Von Zeitenwenden und Zeitenenden: Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum 3515111743, 9783515111744

In der römischen Kaiserzeit vollzieht sich ein bis heute wirksamer Paradigmenwechsel im Zeitverständnis. Während die gri

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German Pages 219 [226] Year 2015

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
ZEITENWENDEN
MIT ALT MACH NEU
DIE KONSTANTINISCHE WENDE
DER UNTERGANG DES IMPERIUM ROMANUM IN DER ANTIKEN LITERATUR
ZEITEN(W)ENDEN
ZEITLOSE ORTE
DUBIUM TEMPUS
ALLES GOLDEN?
ZEITENENDEN
„ES WIRD KEINE ZEIT MEHR SEIN“ (APK 10,6)
HORRET ANIMUS DICERE
APOKALYPSE AUF RÖMISCH?
LICHTBEFREIUNG DURCH DREI ZEITEN
INDEX
VERZEICHNIS DER BEITRÄGER
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Von Zeitenwenden und Zeitenenden: Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum
 3515111743, 9783515111744

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Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.)

Von Zeitenwenden und Zeitenenden Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum Klassische Philologie Franz Steiner Verlag

Palingenesia 103

Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.) Von Zeitenwenden und Zeitenenden

PALINGENESIA Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft Begründet von Rudolf Stark Herausgegeben von ChrIStoPh SChubErt Band 103

Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.)

Von Zeitenwenden und Zeitenenden Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung

Coverabbildung: Phönix in einem Mosaik aus Antiochia am Orontes, jetzt im Louvre. Fondation Eugène Piot, Monuments et Mémoires, publ. par l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 36, 1938, 100. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11174-4 (Print) ISBN 978-3-515-11177-5 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS Stefan Freund, Meike Rühl, Christoph Schubert Vorwort ................................................................................................................... 7 ZEITENWENDEN Ulrich Eigler Mit Alt mach Neu. Die sogenannte augusteische Zeitenwende als Oxymoron ....................................................................................................... 15 Bruno Bleckmann Die konstantinische Wende. Bemerkungen zur antiken Wahrnehmung der Regierung Konstantins als ‚Wende‘ ............................................................... 31 Armin Eich Der Untergang des Imperium Romanum in der antiken Literatur ........................ 45 ZEITEN(W)ENDEN Anja Wolkenhauer Zeitlose Orte. Überlegungen zur fragilen Zeitstruktur von Höhle, Nacht und Paradies in der römischen Literatur .................................................... 75 Meike Rühl dubium tempus. Zeitenende und -anfang als Strukturprinzip der Literatur in neronischer Zeit .......................................................................... 95 Elisabeth Stein Alles golden? Literatur(geschichte) aus der Sicht der Humanisten .................... 115 ZEITENENDEN Klaus Wengst „Es wird keine Zeit mehr sein“ (Apk 10,6). Vom visionären Schreiben, dass es nicht immer so weiter geht, in der Apokalypse des Johannes ............... 129

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Inhaltsverzeichnis

Stefan Freund Horret animus dicere. Form und Transformation des Endzeitdiskurses in der frühchristlichen lateinischen Literatur ..................................................... 139 Christoph Schubert Apokalypse auf Römisch? Inkulturation und Exotismus christlich-jüdischer Endzeitvorstellungen bei Commodian ............................... 171 Markus Stein Lichtbefreiung durch drei Zeiten. Zum manichäischen Zeit- und Geschichtsverständnis ........................................................................ 197 Index .................................................................................................................. 213 Verzeichnis der Beiträger .................................................................................... 219

VORWORT Stefan Freund, Meike Rühl, Christoph Schubert In der römischen Kaiserzeit vollzieht sich ein Paradigmenwechsel im Zeitverständnis: Während die griechisch-römische Antike vielgestaltige, oft zyklische Modelle einer Epochen- und Geschichtswahrnehmung kennt, ist das frühe Christentum geprägt von einer linearen und eschatologischen Zeitvorstellung. Mit der Ausbreitung des Christentums greift daher endzeitliches Denken in der historischen Selbstverortung Raum. Dieser Prozess wird in der Literatur fassbar, insofern darin die eigene Epoche als Endzeit, als Umbruch oder Neubeginn, als Blüte- oder Verfallszeit wahrgenommen oder gedeutet wird. Diesem Thema widmete sich die Tagung „Von Zeitenwenden zu Zeitenenden. Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum“, die am 10./11. Mai 2012 an der Bergischen Universität Wuppertal stattfand und von der Fritz-Thyssen-Stiftung finanziert wurde. 1 Aus dem gestellten Thema ergeben sich folgende Leitfragen: Während sich in der jüdisch-christlichen Tradition ein, bei aller Verschiedenheit in der konkreten Ausprägung, übergreifendes eschatologisches und weltgeschichtliches Ordnungsschema herausbildet, findet sich in der griechisch-römischen Antike eine Vielzahl unterschiedlicher Zeit-, und Geschichtskonzepte. Daher ist zu untersuchen, wie sich ein Epochen- und Zeitbewusstsein in der Literatur der römischen Antike konstituiert, wie Umbrüche und Übergänge reflektiert werden, welche ethischen oder ästhetischen Implikationen aus der weltzeitlichen Selbstverortung folgen. Christliche Literatur steht spätestens seit dem zweiten Jahrhundert vor der Aufgabe, ihr lineares, mehr oder weniger stark endzeitlich ausgerichtetes Geschichtskonzept einem pagan sozialisierten Publikum plausibel zu machen. In ähnlicher Weise müssen auch andere religiöse Sinnangebote wie zum Beispiel der Manichäismus das ihrer Lehre zugrunde liegende Zeitverständnis vermitteln. Näher zu betrachten ist daher schließlich, wie Autoren vor dem Hintergrund eschatologischen Denkens ihre Zeitdeutungsschemata weiterentwickeln und wie sie historische Umbrüche deuten. Dahinter steht die grundsätzliche Frage: Wie trägt Literatur in Wechselwirkung mit politischen, religionsgeschichtlichen und sozio-ökonomischen Gegebenheiten zur Konstruktion eines Zeit- und Epochenbewusstseins bei? Das Epochen- und das wachsende Endzeitbewusstsein vor und während der Auseinandersetzung zwischen 1

Herzlich gedankt sei der Fritz-Thyssen-Stiftung ebenso für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung. Bei der Erstellung des Manuskripts waren Christoph Buhl, Stefanie Klene, Charlotte Schlie und Martin Schmidt behilflich. Auch ihnen danken wir vielmals.

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Antike und Christentum in der römischen Kaiserzeit ist also in mentalitäts- und literaturgeschichtlicher Perspektive näher zu betrachten. ZEITENWENDEN Vor dem Hintergrund dieser Fragestellungen werden im ersten Abschnitt ‚Zeitenwenden‘ drei große Epochenwechsel in ihrer Konstruktion und Wahrnehmung betrachtet: die augusteische Zeit, die konstantinische Wende und das Ende Roms. Die Figur des Oxymorons verwendet Ulrich Eigler in seinem Artikel „Mit Alt mach Neu. Die sogenannte augusteische Zeitenwende als Oxymoron“, um den Umgang des Augustus mit Vergangenheit und Gegenwart zu charakterisieren. Bezeichnend für die Zeitentwürfe der augusteischen Epoche ist laut Eigler einerseits eine Rückwärtsgewandheit, welche sich vor allem in der Wahl der Figuren Romulus und Numa Pompilius als Referenzpunkte kristallisiert, auf der andere Seite findet man einen Anspruch auf eine neue und bessere Zukunft. Dieser Anachronismus lässt sich vor allem in der Selbstdarstellung des Augustus beobachten: Hier steht ein ländlicheinfacher Habitus des Augustus im privaten Bereich neben den Bestrebungen, mit dem Prinzipat eine neue Herrschaftsform zu etablieren und Rom zu einer Metropole zu gestalten. Für sich genommen ist beides ist nicht neu, der Diskurs der Einfachheit bereits in der späten Rebpulik vorhanden, Aspekte der Herrschaftsinszenierung aus der hellenistischen Herrschaftsinzenierung übernommen, in der Kombination jedoch ist das augusteische System innovativ. Augustus konstruiert so die Zukunft durch die Geschichte: Wir haben eine großartige Vergangenheit vor uns. Bruno Bleckmann geht der Frage nach, ob die sogenannte Konstantinische Wende von den Zeitgenossen und den unmittelbar folgenden Generationen als der bedeutende historische Einschnitt wahrgenommen und konzeptualisiert wurde, als der sie sich im Nachhinein dadurch, dass die von Konstantin eingeleitete Christianisierung der Monarchie nicht mehr revidiert wurde, erwies. Es zeigt sich, dass Konstantins Regierung von ihm selbst und seiner Umgebung durchaus eschatologisch perspektiviert und als Beginn einer neuen Konstantinischen Zeit ewigen Glücks beschrieben wurde, die Zuwendung zum Christentum dabei aber ebenso wie andere originelle Züge nur eine untergeordnete, in die traditionelle Topik der Herrschaftsideologie eingebettete Rolle spielten. Zeitgenössische christliche Autoren wie Eusebios von Kaisareia versuchten hingegen, Konstantins Regierung als positive Zeitenwende in ein heilsgeschichtliches Modell einzuzeichnen. Unter den Söhnen Konstantins erlebte seine Zeit und Person eine Phase der Relativierung und Einebnung. Erst die systematische Demontage des Mythos Konstantin durch Julian führt dann in der Zeit der valentinianischen Dynastie zu einer bis heute nachwirkenden doppelten Reaktion, indem in der christlichen Geschichtsschreibung mit zunehmender Hyperbolik die ‚Konstantinische Wende‘ im modernen Sinne konstruiert, in der paganen Historiographie im Anschluss an Julian ein negatives Konstantinbild fortgeschrieben wurde. Armin Eich beleuchtet in seinem Beitrag den „Untergang des Imperium Romanum in der antiken Literatur“. Er geht aus von einer Spirale des Niedergangs, die

Vorwort

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aus militärischen Niederlagen mit desaströsen Folgen für das gesamte Wirtschaftssystem besteht und im dritten Jahrhundert in Gang kommt. Daraus ergibt sich eine dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen für die große Mehrheit der Bevölkerung, die unter Vertreibung, Hunger und unsteten Machtverhältnissen zu leiden haben, während eine kleine politisch-militärische Elite unermessliche Reichtümer aufhäufen kann. In der Literatur finden sich unterschiedliche Modelle, mit dem Erleben dieses Prozesses umzugehen: Eine Gruppe von Autoren des vierten und fünften Jahrhunderts, die literarisch den Geist der Zeit repräsentieren, namentlich Macrobius, Symmachus, Ausonius und Sidonius Apollinaris, blenden die Realität des Niedergangs in ihren Werken weitgehend aus. Eine weitere Tendenz ist zu beobachten: Aus den Chroniken, die selbst epochale Einschnitte wie die Absetzung des letzten römischen Kaisers im Jahr 476 in nüchternen Notizen festhalten, geht diese Haltung auch auf andere Historiographen wie beispielsweise Eugipp und Philostorg über. Eine dritte Gruppe von Autoren, wozu die Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus, Priscus und Orientius gehören, führen ihren Lesern in einer insgesamt klassizistischen Darstellungsweise beeindruckende Einzelszenen vor Augen, in denen sich der militärische Machtverfall und der ökonomische Niedergang plastisch zeigt. Eine vierte Herangehensweise zeigt sich bei den Autoren von Denkschriften: Der dem Kaiserhof nahestehende Vegetius blendet die Realitäten weitgehend aus, während der Anonymus de rebus bellicis und Synesios in seiner Königsrede die Probleme klarer ins Auge fassen. In den offiziellen Verlautbarungen, die einer fünften Kategorie angehören, wird das Unübersehbare als Grundlage für Entscheidungen angeführt, oft mit apologetischer Grundtendenz. Die christlichen Historiker konzentrieren sich eher auf die Dogmengeschichte; Autoren wie Hieronymus, Augustinus und Orosius relativieren die Eroberung Roms 410, während Schriften apokalyptischer Tradition lebendige Einzelszenen des Untergangs bieten. Insgesamt fehlen daher tiefer gehende Analysen des Untergangs – die Literatur dient eher als Fluchtpunkt denn als Mittel, die Ausweglosigkeit der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Gesamtlage zu beleuchten. ZEITEN(W)ENDEN Der zweite Abschnitt mit dem Titel ‚Zeiten(w)enden‘ reflektiert unterschiedliche Zeitentwürfe, die im frühen Prinzipat vorlagen oder im Rekurs auf diese Zeit neu konstruiert werden. In ihrem Beitrag „Zeitlose Orte: Überlegungen zur fragilen Zeitstruktur von Höhle, Nacht und Paradies in der römischen Literatur“ zeigt Anja Wolkenhauer aus mentalitätsgeschichtlicher Perspektive, welche Zeitvorstellungen es in der Antike neben den gängigen zyklischen oder linearen Modellen gab, die durchgängig als alternative, nicht konkurrierende Entwürfe zu gelten haben. Kategorien der Betrachtung sind die Zeit als kosmische Konstante, Zeit als kulturelles Konstrukt und Zeit als individuelle Erfahrung. In welchen Texten und Diskursen diese Zeitauffassungen zu finden sind, illustriert sie in ihrem Aufsatz anhand der im Titel genannten Topoi der Höhle, der Nacht und des Paradieses. Hier ist zu sehen, dass nicht

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nur Raum, Zeit und Wahrnehmung aneinander gekoppelt sind, sondern auch, dass Raum-Zeit-Konstellationen als Projektionsfläche für zivilisationskritische Reflexionen dienen. So ergibt sich als Erkenntnis, dass gerade in der Nacht nicht nur die Möglichkeiten der Wahrnehmung eingeschränkt sind, sondern diese auch mit der Abwesenheit von sozialer Ordnung und kulturellen Errungenschaften assoziiert wird. Utopische Vorstellungen wie das Paradies oder die Insel der Seligen hingegen setzen eine gleichförmige Unendlichkeit voraus, die in einer fiktiven historischen Entwicklung deutlich vor dem Einsetzen der Zivilisation anzusiedeln ist. Der Beitrag „dubium tempus: Zeitenende und -anfang als Strukturprinzip der Literatur in neronischer Zeit“ von Meike Rühl geht der Frage nach, inwiefern sich im ersten Jahrhundert die Metaphern und Modelle, mit deren Hilfe Zeitwahrnehmung artikuliert wird, verändern. Hier wird zunächst in einem Vergleich mit Texten der augusteischen Zeit deutlich, dass Neros Herrschaft ausdrücklich auf das augusteische Modell rekurriert, was einen wiederholten Anfang impliziert. Anders als in der zeitgenössischen Deutung des augusteischen Rom, die die Unmittelbarkeit des neuen Anfangs unterstreicht, wird in neronischer Zeit jedoch die Mittelbarkeit der Herrschaftsinszenierung betont. Dies hat zwei Dinge zur Folge: zum einen, dass der Charakter des kulturellen Konstrukts wahrgenommen und instrumentalisiert wird, zum anderen, dass durch den Zug der Theatralität eine räumliche und zeitliche Distanz zum Geschehen erzeugt werden kann. Angesichts des sich wiederholenden Anfangs und Endes und der damit einhergehenden Verfügbarkeit relativiert sich das artikulierte Zeitempfinden des frühen Prinzipats so zu einer Perspektive, die das Geschehen aus der Ferne betrachtet. Dem Wandel des Epochenbewusstseins in der Avantgarde des italienischen Humanismus, die in vielfältiger Weise an klassisch-antike und spätantik-christliche Modelle anknüpft, widmet sich der Beitrag von Elisabeth Stein „Alles golden? Literatur(geschichte) aus der Sicht der Humanisten“. Er geht von einem chronologisch angelegten Tableau der Werke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts aus, die sich einer frühen Literaturgeschichtsschreibung zurechnen lassen, also der Reflexion über die Stellung der eigenen Produktion innerhalb des als zentral wahrgenommenen bzw. stilisierten Feldes der Literatur. Deutlich wird eine einerseits aus der inneren Dynamik der humanistischen Bewegung (Ablösung einer ‚goldenen‘ Generation durch Literaten, die sich selbst als epigonal empfinden), andererseits aus äußeren historischen Umständen (politische, militärische und wirtschaftliche Krisen) gespeiste Entwicklung, die zum allgemeinen Gefühl des Niedergangs führt. Einen dramatischen Schub erhält die pessimistische Grundstimmung durch den Sacco di Roma, der von den italienischen Humanisten als Katastrophe wahrgenommen wird. Beispielhaft wird dies am Dialogus des Paolo Giovio, der den Sacco di Roma literarisch bewältigen will und als Sinnbild des Niedergangs vor allem im zweiten Buch den Erfolg des Volgare, mithin die Krise der humanistisch-klassizistischen Literatur erörtert. Giovio zeigt nicht nur ein klares Dekadenzbewusstsein, sondern analysiert auch deren Gründe, überwiegend mithilfe analogisch übertragener antiker Deutungsmuster sowohl für den Verfall der Rhetorik (defectio ingenio­ rum) als auch des Übergangs der kulturellen Dominanz vom Griechischen zum Lateinischen (so nun vom Latein zum Volgare). Als selbst hochliterarisches und von

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antiken Zitaten und Anspielungen gesättigtes Werk unterläuft der Dialogus freilich ipso facto die Dekadenzbehauptung und zeigt die Ambivalenz des gelehrten, durch seine Topizität ausgezeichneten Endzeitdiskurses. ZEITENENDEN Das Kapitel ‚Zeitenenden‘ schließlich befasst sich mit den grundlegenden Neuerungen in der Zeitwahrnehmung und -deutung, insbesondere dem Vordringen eschatologischen Denkens, die der religiöse Wandel der Kaiserzeit, namentlich die Verbreitung des Christentums, aber auch die des Manichäismus mit sich bringt. Dem Kerngedanken der vielleicht dichtesten endzeitlichen Schrift des frühen Christentums geht Klaus Wengst nach in seinem Beitrag „‚Es wird keine Zeit mehr sein.‘ (Apk 10,6). Vom visionären Schreiben, dass es nicht immer so weiter geht, in der Apokalypse des Johannes“: Die Johannesakpokalypse ‚enthüllt‘ in visionären Bildern, dass nicht das brutal herrschende, vermeintlich so übermächtige Imperium Romanum, sondern der am Kreuz hingerichtete Jesus Christus die wahre Hoffnungsperspektive bietet. Dessen Zeit ist aber noch nicht angebrochen, noch lebt die Welt daher in der Katastrophe. Die Christen, die verzweifelt des Endes der bedrückenden Gegenwart harren, sollen sich, so die Botschaft der Offenbarung, als vorbildliche Gemeinschaft von ihrem verderbten Umfeld absetzen. Im Text drückt sich dabei keine unmittelbare Naherwartung aus, sondern eher die Erfahrung, dass bis zur Wiederkunft Christi noch einige Zeit vergehen kann; gleichwohl ist sie begrenzt. Diese widersprüchliche Aussage ist die dem Autor einzig mögliche Hoffnungsperspektive: Gott scheint in einer Welt voller Unrecht nicht einzugreifen, und doch ist er der Kommende und der, der den Toten Gerechtigkeit widerfahren lassen wird. Die Johannesapokalypse bietet also eine Fülle von alttestamentlichen Bildern auf, um den bedrängten Christen das unmöglich Erscheinende als reale Möglichkeit ermutigend vor Augen zu führen: Das zerstörte Jerusalem wird zum Zentrum einer gerechten Welt, Rom wird in Trümmern liegen. Der Beitrag von Stefan Freund, „Horret animus dicere. Form und Transformation des Endzeitdiskurses in der frühchristlichen lateinischen Literatur“, geht der Frage nach, wie einem römischen Publikum die eschatologische Botschaft vermittelt wurde. Die Schwierigkeiten dabei sind beachtlich: Die christliche Verkündigung vom Ende umfasst auch furchterregende Katastrophen und ist teilweise in eine rätselhafte Bilderwelt gekleidet. Dem paganen Denken sind die konsequente Ausrichtung auf das Ende, die Vorstellung von einem Weltgericht und der darin sich manifestierende Wahrheitsanspruch des Christentums fremd. Schließlich stellt die Botschaft vom Ende der herrschenden Ordnung und vom Triumphieren der Christen Staat und Gesellschaft grundlegend in Frage. Im zweiten Teil wird vor diesem Hintergrund der Umgang mit den Aussagen zur Endzeit betrachtet: In der Passio Perpetuae kommt allein eine individualeschatologische Sichtweise zum Tragen. Tertullian behandelt eschatologische Fragen eher am Rande. In den Schriften, die sich an ein paganes Publikum richten, knüpft er an eine augenscheinlich verbreitete Stimmung an, in einer Zeit von Katastrophen zu leben, und betont, wenn er die

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Wiederkunft Christi schildert, das Gebet der Christen um den Aufschub des Endes. Ein eschatologisches Triumphalismus schimmert allenfalls durch. In den innerchristlichen Schriften hingegen tritt dieser Aspekt viel deutlicher hervor. Minucius Felix beschränkt sich auf einen Blickwinkel, der die christlichen Endzeitvorstellungen ganz nahe den stoischen erscheinen lässt. Cyprian legt die Vorstellung eines Alterns der Welt zugrunde und leitet aus dem baldigen Ende die Dringlichkeit seiner Heilsparänese ab, die sich an Christen wie Nichtchristen richtet. Für Laktanz ist das Ende ambivalent: Einerseits bringt das Weltgericht endlich den Verfolgern Strafe und den Gottestreuen den verdienten Lohn, andererseits gehen ihm solche Schrecknisse voraus, dass die Christen berechtigterweise für dessen Aufschub beten. Der Beitrag von Christoph Schubert zeigt am Beispiel des christlichen Dichters Commodian, wie die politische und ökonomische Krise des 3. Jahrhunderts und die ersten reichsweiten Christenverfolgungen des Decius und Valerian innerhalb eines apokalyptischen Deutungsrahmens als Zeichen der Endzeit wahrgenommen, literarisch verarbeitet und vermittelt werden konnten. Commodian entwirft auf der Grundlage der Offenbarung des Johannes mit prophetischem Gestus eine Geschichte der Zukunft, an deren Schwelle sich die zeitgenössischen Leser durch hinreichend klare ereignisgeschichtliche Anspielungen verorten können und deren drastisch ausgemalte Alternativen – ewige Seligkeit für die verfolgten Christen, ewige Verdammnis für die Nicht-Christen – sowohl zur Positionierung in der Gegenwart nötigen als auch ein Sinnstiftungsangebot für Leid und Verfolgung machen. Zur Vermittlung der „eschatologischen Gegenwartsdeutung“ werden literarische Strategien genutzt, die sich als Ausprägungen eines bewussten Exotismus und des gleichzeitigen Versuchs der Inkulturation beschreiben lassen. Als weder klassisch-antikes noch christliches Zeitkonzept kann das als mythische Rede gefasste des Manichäismus den Blick für die Problematik einer zu schlichten Dichotomie von Linearität und Zyklizität der Zeitauffassung schärfen. Markus Stein stellt in seinem Beitrag „Lichtbefreiung durch drei Zeiten. Zum manichäischen Zeit- und Geschichtsverständnis“ zunächst die Grundlinien der dualistischen manichäischen Lehre vor, die von drei Phasen ausgeht: einer ersten, in der Licht und Finsternis getrennt waren, einer zweiten der Mischung und des Kampfes, und einer dritten der erneuten Trennung von Licht und Finsternis. Der auf den ersten Blick zyklisch anmutende Ablauf trägt ein lineares Element in sich, insofern die erste und dritte Phase aus der Ewigkeit kommen bzw. in sie hinein laufen und in der dritten Phase eine neue Qualität der Trennung von Licht und Finsternis erreicht wird. Die aufgrund der Quellenlage schwierige Rekonstruktion der Auffassung, die Mani zur mittleren Phase und ihrem in sich dreigeteilten Ablauf vertrat, führt darauf, dass die eigene Gegenwart in jedem Fall als Schwellenzeit unmittelbar vor oder zu Beginn der finalen Trennung von Licht und Finsternis gesehen wurde und sich daraus Handlungsimperative an die Gläubigen ableiteten, um an der unmittelbar in Gang gesetzten oder kommenden kosmischen Erlösung Anteil zu haben.

ZEITENWENDEN

MIT ALT MACH NEU Die sogenannte augusteische Zeitenwende als Oxymoron Ulrich Eigler Nie hat es eine Gegenwart gegeben, die der Vergangenheit in dem Masse angehört hätte wie die, welche wir zurzeit in Deutschland erleben, nie hat ein Volk mehr Ursache gehabt, sich beschämt einzugestehen: Wir haben eine große Zukunft hinter uns.

Erich Mühsam stellt in seinem kritischen Rückblick „Zwölf Jahre Republik“1 den seit 1918 in Deutschland verspielten demokratischen Zukunftschancen Tradition und Neuerung gegenüber. Er nimmt die Phase zwischen 1918 und 1930 als Zeitenwende von Altem zu Neuem wahr, verkehrt allerdings die natürliche zeitliche Sukzession. Die Vergangenheit überholt die Zukunft, saugt sie gleichsam auf und beraubt sie ihres eigentlichen temporalen Status. Zugleich wird die Periode von 12 Jahren auf einen Punkt verdichtet, Ungleichzeitiges als gleichzeitig suggeriert, werden Konservativismus und Fortschrittlichkeit nebeneinander und gegeneinander gestellt. Im Moment der politischen Kommunikation überspitzt Mühsam das Widersprüchliche der überblickten Zeitspanne in der Figur des Oxymorons.2 Als Sozialist reagiert er damit auf die politische Propaganda des rechten Lagers, Fortschritt als Wiederherstellung des Alten zu deklarieren. Was sich bei Mühsam ex post als hellsichtige Ankündigung der nationalsozialistischen Diktatur erweist, als Ahnung vom Rückfall in eine längst vergangen geglaubte Barbarei, lässt sich unter anderem Vorzeichen auf synchrone und diachrone Wahrnehmung des Octavianus-Augustus als Epochenmarker übertragen.3 Der Begründer des Prinzipats inszenierte sich schließlich spätestens, nachdem er heftigen inneren Widerstand hatte erfahren müssen, seit 23 v. Chr. als Repräsentant eines neuen saeculum,4 zugleich aber als alter Romulus und Neugründer Roms nach den Bürgerkriegen sowie als Garant der Rückkehr eines vergangenen Goldenen Zeit-

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Erschienen in: Fanal 2, Berlin 1930, 27. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 21973, § 807 definiert das Oxymoron als „die gerafft-enge syntaktische Verbindung widersprechender Begriffe zu einer Einheit, die dadurch eine starke Widerspruchsspannung enthält.“ Mühsam erzielt diese Wirkung durch die Verbindung von Zukunft mit dem semantisch widersprechenden Adverb „hinter“. In der Tat wurde gerade für die faschistischen Bewegungen, die Mühsam mit seiner Aussage angriff, dieser Aspekt der Herrschaft des Augustus vorbildgebend. Kienast (1982), 92–99 zur Konstituierung eines neuen Saeculum (22–17 v. Chr.).

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Ulrich Eigler

alters.5 Es wurde also die Botschaft von der „Wiederherstellung des Alten“6 mit objektiv innovativem und zukunftsweisendem Handeln verbunden.7 Freilich bleibt unklar, wie Augustus selbst in letzter Konsequenz seine Stellung als Prinzeps verstanden hat.8 Der verfassungsmäßigen Ambivalenz entspricht nämlich eine programmatische, in der die Darstellung der Herrschaft als Begründung imperialer, monarchischer Machtentfaltung mit glanzvoller Metropole hellenistischer Prägung9 gegen die Restauration altrömischer mores stand, die in der Vorstellung exemplarischer Repräsentanten eines bäuerlich-ländlichen Gemeinwesens von großer Einfachheit und Bescheidenheit bildmächtigen Ausdruck erhielten. Dieser widersprüchlichen Wahrnehmung verleiht im Rückblick auf die augusteische Zeit auch Sueton in seiner Vita des Augustus (Aug. 73) Ausdruck, wenn er betont, dass der Repräsentant eines Weltreiches im Hausrock im bescheidenen Ambiente seines bereits ab 36 v. Chr. konzipierten Hauses nicht zuletzt auch in Absetzung von den „standards of aristocratic residences“10 ostentativ den römischen Kleinbauern spielte,11 obwohl von ihm die Attitüde höchster Urbanität erwartet wurde.12 So schien in diachroner Sicht der Epochenmarker Augustus widersprüchliche Signale zu vereinen, die einem retrovers republikanischen, aber auch modern-monarchischen Zeichensystem entstammten.13 In der Rezeption wurde trotz dieser Mehrdeutigkeit stärker das Zukunftsweisende und Neue akzentuiert, der Prinzeps weit eher als Begründer des Kaisertums und damit als Repräsentant einer Zeitenwende begriffen. Dennoch kann man wie Sueton aus der Sicht des Späteren die Widersprüchlichkeit von Modernität und 5 6 7

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Zum Antrag des cognomen Romuli s. Suet. Aug. 7,4; zum saeculum aureum: Gatz (1967); vgl. auch allgemein Müller (2003), 305–327. Zum augusteischen saeculum-Begriff ferner: Strothmann (2000). Formulierung nach Fuhrmann (1987). Hoffmann (1969), 18 (s. auch 24 f.): „Der Widerstreit von Altem und Neuem prägt, soweit wir wenigstens die politische Geschichte verfolgen, auch das Gesicht der Augusteischen Zeit.“ Auf die Widersprüchlichkeit retroverser Sittenpolitik im Rahmen steigenden materiellen Wohlstands und äußerer Prachtentfaltung ab 19 v. Chr. weist nachdrücklich Kienast (1982), 98 hin. Deininger (1985), 265–272 zur Unbestimmtheit des Prinzipats in der politischen Vorstellung des Augustus. Das Urteil von Suet. Aug. 31,5 zur Aufstellung der Statuen auf dem Forum Augusti ist entsprechend ex post getroffen: Augustus habe die Stauen des Forum Augusti aufgestellt, damit die Bürger an ihnen seine und der folgenden principes Taten messen sollten: … commentum id se, ut ad illorum velut exemplar et ipse, dum viveret, et insequentium aetatium principes exigeretur a civibus. Vgl. Luce (1990), 127 und allgemein: Eder (1990). Haselberger (2007), 71 ff. Miles (1995), 91. Suet. Aug. 72,5 betont die Abneigung des Augustus gegen prunkvolle Villenbauten: ampla et operosa praetoria gravabatur. So ließ er die Prachtvilla seiner Enkelin Julia einreißen und besaß selber nur einfache Villen. Zum gesamten Zusammenhang allgemein vgl. Eigler (1997). Die Wahl des einfachen Hauses entfaltet eine umso größere Signalwirkung, wenn man bedenkt, dass Octavian zuvor im sicher aufwändig ausgestatteten Haus des Licinius Calvus, des Freundes Catulls, wohnte (Suet. Aug. 72,1). Die teleologische Struktur der Aeneis mag dazu verleiten, diesen Eindruck zu verallgemeinern. Dagegen ist das Geschichtswerk des Livius von einer Offenheit geprägt, die Augustus bei deutlicher Sympathie nicht als Ziel- und Wendepunkt der römischen Geschichte und ihrer Darstellung erkennen lässt (Luce [1990], 128; 137).

Mit Alt mach Neu

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Rückwärtsgewandtheit registrieren. Bei diachroner Betrachtung überlagern sich nämlich diese u. U. ungleichzeitigen Tendenzen, so dass man in Abwandlung des Zitats von Erich Mühsam die augusteische Zeit verkürzend und verdichtend als Oxymoron begreifen und formulieren möchte: „Wir haben eine große Vergangenheit vor uns.“ Völlig neu war der wohlberechnete bäuerliche Habitus des Augustus in städtischem Ambiente nicht. Entsprechend dem etablierten Zeichensystem zur Konstitution idealer republikanischer Vergangenheit tritt uns hier Ländlichkeit als leistungsfähige Fiktion entgegen, die wie ein Exemplum punktuell zu politischen Standortbestimmungen und Zuordnungen rhetorisch effizient und agitatorisch, aber ohne Bezug auf reale bäuerliche Identität und Herkunft, verwendet werden kann. Im folgenden wollen wir Überlegungen zu diesem im Gefolge des älteren Cato aber auch Ciceros stehenden Diskurs anstellen.14 Auch synchron war für ihn von jeher ein gewisser Anachronismus konstitutiv, der sich offenbart, wenn er – wie z. B. von Sueton – erzählt wird, der aber im Akt der rhetorisch-literarischen Kommunikation als Oxymoron begegnet, das Anachronismen und Brüche je nach Tendenz so verschleiert wie bloßlegt. Gerade dies ist für die diachrone Bewertung des Phänomens einer augusteischen Zeitenwende wichtig. Sehr instruktiv ist in diesem Zusammenhang der widersprüchliche Selbstentwurf des Augustus als neuer Romulus, d. h. als Eroberer und Sicherer eines Reiches und als Numa Pompilius, mit dem sich Attribute einfacher Ländlichkeit (simplici­ tas), Sittenstrenge (mores) und religiöser Gewissenhaftigkeit (religio) verbinden. Auf diesen Vergleich mit den Exempla der ersten beiden römischen Könige wird in einem ersten Teil eingegangen (1). Der Rekurs auf Ländlichkeit als politischem Aussagemittel hatte sich während der späten Republik als Bestandteil einer „ideology of the mos maiorum“15 entwickelt, welche die durch sozialen Wandel bedingten Brüche in der Gesellschaft verschleierte. Daher gilt der Tradition nonverbaler Kommunikation innerhalb dieses Diskurses ein zweiter Blick (2). Ihm folgt ein Abschnitt zur Einordnung der Darstellung des Sueton von Augustus im Hausrock (Suet. Aug. 73), vom Weltherrscher im Bauerngewand. Dieser ist noch einmal bemüht, dem ländlichen Bezug auf den mos maiorum besonderen Ausdruck zu verleihen, visualisiert darin aber – eben als Oxymoron – nur den Anachronismus16 zwischen realem, urbanen Rom und gedachtem Stadtstaat in ruraler Verankerung (3). Es schließt sich unter erneutem Rückblick auf die Republik eine kurze Behandlung des Themas an, wie es in Varros Satiren, besonders in der sexagesis, begegnet, einer Art Rip-van-Winkel-Geschichte, die in gattungstypischer Überspitzung die Unvereinbarkeit von Altem im Neuen und damit den oxymoronhaften Charakter der später von Augustus gewählten Selbstdarstellung offenlegt (4). Zum Ende sei das Verhalten des Augustus nochmals im Kontext der augusteischen Literatur und mit Blick auf unser Thema „Zeitenwende“ erörtert (5). 14 15 16

Wie diese stammte Octavian nicht aus Rom, was ihm offenbar von Antonius spöttisch vorgeworfen wurde (Cic. Phil. 3,15). Es wäre denkbar, dass er wie Cicero an dieser Stelle aus der Not eine Tugend machte und gegen die ‚Sittenlosigkeit‘ des Antonius instrumentalisierte. Cornell (1991), 55 und 57 (Zitat). Cornell (1991) (mit weiterer Literatur).

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Ulrich Eigler

1 Zu den Widersprüchlichkeiten in der Selbstdarstellung des Augustus gehört der vielfach mit seiner Person verbundene Anspruch, das Programm der Exempla der beiden römischen Gründerkönige, des expansiven Stadt-Erbauers Romulus und des ländlich-sittlichen Numa, zu vereinigen.17 Noch 40 Jahre nach dem Tod des Augustus bestimmt diese kanonische Widersprüchlichkeit, auch bei einem nur impliziten Bezug auf die beiden ersten Könige die Erinnerung an den ersten Prinzeps. So legt Seneca in der Apocolocyntosis Augustus eine Invektive gegen Claudius in den Mund, in der er ihn auf seine Konsolidierungspolitik zurückschauen lässt:18 Sed non possum amplius dissimulare, et dolorem, quem graviorem pudor facit, continere. In hoc terra marique pacem peperi? Ideo civilia bella compescui? Ideo legibus urbem fundavi operibus ornavi, ut – quid dicam p. c. non invenio: omnia infra indignationem verba sunt. Aber jetzt kann ich dieses Spiel nicht mehr länger gleichgültig mitmachen und den Schmerz, den mein Ehrgefühl noch schlimmer macht, bezwingen. Dafür also habe ich zu Wasser und zu Lande Frieden geschaffen? Darum die Bürgerkriege beendet? Deshalb die Stadt auf den Boden der Gesetze gestellt, sie durch Prachtbauten verschönert, nur um – Senatoren! Ich weiß nicht, was ich sagen soll … Sen. apocol. 10,1 f.

Auch Seneca benennt pointiert die programmatisch gegenläufigen Tendenzen in Herrschaft und Person des Augustus: retroverse Ländlichkeit und moderne, imperiale Attitüde.19 Der intertextuelle Bezug auf eine prominente Stelle der vergilischen ‚Heldenschau‘ (legibus urbem fundavi) löst nämlich – auch wenn die Namen nicht genannt werden – die typologische Zuordnung von Augustus’ Regierungstätigkeiten zu den beiden konträren und doch komplementären Königen aus:20 Eroberung und Überwindung des Bürgerkriegs weisen auf Romulus, die zivilen Leistungen auf Numa, dem Vergil in der ‚Heldenschau‘ breiten Raum gegeben und klar mit der Herkunft des Numa vom ärmlich-bescheidenen Land assoziiert hatte: quis procul ille autem ramis insignis oliuae sacra ferens? nosco crinis incanaque menta regis Romani primam qui legibus urbem fundabit, Curibus paruis et paupere terra missus in imperium magnum.21 17

18 19 20 21

Zoepffel (1978), 404. Es ist deutlich, dass Augustus mit der dreimaligen Schließung des Janustempels (R. Gest div. Aug. 13) mit Numa in Konkurrenz trat, der ihn zweimal geschlossen hatte. Zur imitatio Numae gehört auch die Wiederherstellung der Kulte. Zur Angleichung des Augustus an Numa in der Münzprägung vgl. Kraft (1952/3), 74 ff. Zoepffel (1978), 404 Anm. 70 (mit weiterer Literatur). Austin (1977), zu Vers 810 ff.: „Augustus is made to claim ‚legibus urbem fundavi‘, a second Numa as well as a second Romulus.“ Vgl. Classen (1965), 285–403 sowie Ders. (1962), 174–204. Hervorhebungen v. Vf.; übers. J. und M. Götte, 1994.

Mit Alt mach Neu Wer aber trägt dort fern, gekränzt mit den Zweigen des Ölbaums, Opfergut? Ich erkenne das Haar und den grauweißen Bart des Römerkönigs, der die erste Stadt durch Gesetze festigen wird, entsandt vom kleinen Cures aus armem Land zu erhabenem Amt.

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Verg. Aen. 6,808–812

Vergil hatte also bereits die Widersprüchlichkeit formuliert, als er temporal verkürzend die ländliche Herkunft des Numa mit dem das spätere Weltreich antizipierenden imperium magnum des Romulus konfrontierte. Neben der topographischen Differenz wird damit auch eine temporale deutlich gemacht. Numa scheint als Repräsentant römischer Vergangenheit in das zukünftige Reich zu kommen (811 f.). Daraus ergibt sich ein von innerer Spannung bestimmtes Bild, welches schon zeitgenössische Autoren des Augustus zeichnen,22 und das sich durch eigentümliche konträre und doch komplementäre Überlagerung von Alt und Neu auszeichnet. Auch hier erlaubt die widersprüchliche Situation die Verwendung der rhetorischen Figur des Oxymorons, das zwei lokal und temporal einander widersprechende Begriffsbestandteile miteinander kombiniert: Stadt/Land, Zukunft/Vergangenheit. Offenbar orientierte sich Augustus bei allem Bemühen um Bekräftigung einer Zeitenwende mit der Verbindung zweier Zeichengruppen bzw. Diskursen – dem der Urbanität und dem der Ländlichkeit, über die in der ausgehenden Republik ganz entscheidend soziale Konflikte ausgetragen wurden. 2 Als im Jahre 63 das Siedlergesetz verhandelt wird, tritt Cicero in der Funktion des Konsuls vor die Volksversammlung und wirft einen Blick auf den Wortführer der Befürworter, den Volkstribunen P. Rullus: contio exspectatur P. Rulli, quod et princeps erat agrariae legis et truculentius se gerebat quam ceteri. Iam designatus alio voltu, alio vocis sono, alio incessu esse meditabatur, vestitu obsole­ tiore, corpore inculto et horrido, capillatior quam ante barbaque maiore, ut oculis et aspectu denuntiare omnibus vim tribuniciam et minitari rei publicae videretur. Man wartet auf die Kundgebung des P. Rullus, weil er Urheber des Siedlergesetzes war und hitziger auftrat als die anderen. Schon unmittelbar nach seiner Wahl übte er sich eine andere Miene, einen anderen Klang der Stimme, eine andere Art zu gehen ein; er trug schäbigere Kleider, zeigte ein ungepflegtes und struppiges Äußeres, hatte längere Haare und einen größeren Bart 22 S. allgemein dazu: Eigler (1997) (mit weiterführender Literatur). Miles (1995), 94 ff., bes. 92 betont, dass die ebenfalls als „link between past and future“ gestaltete Figur des Camillus in der Darstellung im fünften Buch des Livius der grundsätzlichen Offenheit des Werks entsprechend zwar nicht explizit mit Augustus in Beziehung gesetzt wird, jedoch eine suggestive Projektionsfläche für die Verbindung der Exempla des Romulus und des Numa bietet, die dann wieder auf Augustus weist. Derartige Überlegungen stünden dann je nach Datierung der Publikation von Livius’ 5. Dekade zwischen 27 und 23 v. Chr. am Beginn der „Konstituierung eines neuen Saeculums“ (Kienast [1982], 92–99) 22–17 v. Chr. durch Augustus.

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Ulrich Eigler als zuvor; so sah es aus, als wolle er durch Blicke und Erscheinung jedermann die tribunizische Gewalt verkünden und der Verfassung den Kampf ansagen. Cic. leg. agr. 2,5

Rullus verstößt mit der Stilisierung seines Auftritts im Sinne fingierter Ländlichkeit ostentativ gegen die gerade in seinen Kreisen etablierten und gegen altrömische gravitas gerichteten Kriterien der urbanitas.23 Er setzt diesen Verstoß nicht nur ganz allgemein im Interesse der Dokumentation alter tribunizischer Macht ein, wie Cicero bemerkt, sondern inszeniert sich auch themenbezogen ländlich, setzt die Chiffre Land als politische Resource in einer Debatte um das Ackergesetz ein. Hierbei beansprucht er nonverbal zum Gewinn größerer auctoritas den sonst von den Optimaten und besonders Cicero reklamierten Kosmos ‚ländlicher‘ Zeichen.24 Ungepflegter Haarwuchs verweist auf die einfachen, bäuerlichen Helden der Vorzeit wie Fabricius, Curius oder Camillus.25 Horaz fasst später die immer wieder im Zusammenhang mit den Exempla vorbildlicher Römer begegnenden Attribute zusammen:26 hunc et incomptis Curium capillis utilem bello tulit et Camillum saeva paupertas et avitus apto cum lare fundus. Ihn [sc. Fabricius] und Dich, o Curius, unfrisierter, und Camillus ließ reifen zu Kriegshelden strenger Armut Druck und des Ahnen Feld mit ärmlicher Hütte.

Hor. carm. 1,12,41–44

Diese bäuerlichen Heroen der römischen Frühzeit stellte man sich auch bärtig vor wie auf den alten Statuen. Cicero beschreibt in der Anfang April 56 v. Chr. gehaltenen Rede pro Caelio, wie – sieben Jahre zuvor von Rullus – Ländlichkeitsverweise instrumentalisiert werden können, und worin ihre rhetorische Wirksamkeit besteht. Auch der Barttracht kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, ob sie modisch kurzgeschnitten oder altväterlich struppig ist. In der längeren Polemik gegen Clodia, deren Glaubwürdigkeit als Zeugin Cicero erschüttern möchte, spricht er sie direkt an: Sed tamen ex ipsa quaeram prius utrum me secum severe et graviter et prisce agere malit, an remisse et leniter et urbane. Si illo austero more et modo, aliquis mihi ab inferis excitandus est 23 Cic. Cael. 36 durum und agreste als Gegensatz zum urbanum. Zum hochkomplexen urbanitasBegriff und dem Habitus der Urbanität im 1. Jh. v. Chr. s. bes. Ramage (1973), 52–76. 24 Die Intensivierung der Fiktion einer idealen, ländlichen Vergangenheit s. bereits Kroll (1933). 25 Vgl. Tib. 2,34 (intonsis avis) mit weiteren Stellen bei: P. Murgatroyd, Tibullus. Elegies II, Oxford 1994, z. St. S. auch Ov. fast. 2,30 (intonsos avos) mit F. Bömer, Publius Ovidius Naso. Die Fasten Bd. II Kommentar, Heidelberg 1958, z. St. 26 Weitere Stellen bei R. G. M. Nisbet – M. Hubbard, A Commentary on Horace. Odes. Book 1, Oxford 1970, 159.

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ex barbatis illis, non hac barbula qua ista delectatur sed illa horrida quam in statuis antiquis atque imaginibus videmus […]. Doch ich will sie zunächst selber fragen, was ihr lieber ist: ob ich sie streng und hart und mit der Grobheit von ehedem oder zurückhaltend und milde und höflich behandeln soll. Wenn sie den barschen Umgangston von einst vorzieht, dann muss ich jemanden aus der Unterwelt heraufbeschwören, so einen bärtigen Kerl – nicht mit einem Bärtchen, wie es ihr Freude macht, sondern mit dem struppigen Bart, den uns alte Statuen und Gemälde zeigen […].27 Cic. Cael. 33

Pointiert stellt Cicero graviter et prisce agere dem remisse, leniter und urbane agere gegenüber, überträgt also wie die Neoteriker ästhetische Terminologie ins Vokabular zur Charakterisierung angemessener politischer Kommunikation.28 Die erste Variante, der auch die lange Barttracht entspricht, wird nämlich als die bei den Verstorbenen übliche mit der Ländlichkeit dieser Vorfahren assoziiert und historisiert, der urbane Ton entspricht dem gegenwärtigen städtischen Leben der jeu­ nesse dorée, der Clodia angehört und die Cicero nun mit der höheren Autorität der Vergangenheit in ihrer Glaubwürdigkeit in Frage stellen möchte. Gegenwart und Vergangenheit werden im Interesse der Argumentation getrennt, die beiden Zeichensysteme explizit und implizit einander gegenübergestellt. Diese Strategie hatte Cicero übrigens auch in der Rede gegen Rullus beim Gegner registriert. Um der Entfaltung dieser Autorität zu begegnen, legt er die Bedeutung offen, ja stellt sie als ‚Kostüm‘ eines Komödien-Schauspielers dar.29 Er stellt fest, dass Rullus längere Haare und nicht sein kurzes Bärtchen trage (capillatior quam ante barbaque maiore), sondern dieses habe wachsen lassen. Cicero merkte also sehr wohl, dass er mit der Land-Chiffre für die eigene Argumentation die moralisch bessere und unbestritten exemplarische römische Vorzeit in Anspruch nahm. Cicero ist sonst Vertreter der mores maiorum,30 in der Rede zum Ackergesetz agiert er situationsbedingt dagegen und legt die topographische Unvereinbarkeit sowie Anachronie im dezidiert städtischen Kontext offen, benennt bzw. entlarvt das Ostentative in Rullus’ Vorgehen, um ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. Die von Rullus gewählte Form der nonverbalen Provokation durch Attribute der Ländlichkeit scheint insbesondere mit dem alten Cato verbunden worden zu sein, der nun nicht durch Bart- oder Haartracht von sich reden machte, sondern unter der Toga ein campestre trug.31 Die Authentizität und Autorität wurde auch hier durch die Sichtbarkeit an alten Statuen garantiert: 27 Übersetzung: M. Fuhrmann. Hervorhebungen im lateinischen Text v. Verf. 28 Ramage (1973), 53 f. 29 Ein Hinweis auf die Komödie mag auch in der Charakterisierung von Rullus’ Verhalten als truculentius gesehen werden, das an die plautinische Komödie Truculentus erinnert. 30 Die augusteische Widersprüchlichkeit ist geradezu mustergültig bereits vorgeprägt in der Rahmenhandlung von Ciceros de legibus; dazu s. Eigler (1996). 31 Zu dieser gerne als catonisch bezeichneten Strategie der Verwischung aktueller sozialer Differenz im Sinne eines bäuerlichen Idealbilds von der Vergangenheit: Cornell (1991), 55 und 57. Horaz beschreibt in verdichteter Form den Zeichencharakter des bäuerlichen campestre, um altertümliche Sprache (cinctutis non exaudita Cethegis [ars 50]) zu charakterisieren. Mit dem archaisierenden cinctutis unterstreicht Horaz die Auflösung des nonverbalen Zeichens,

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Ulrich Eigler Cato praetor iudicium, qui aestate agebatur, sine tunica exercuit campestri sine tunica exercuit sub toga cinctus. In forum quoque sic descendebat iusque dicebat, idque repetierat ex vetere consuetudine secundum quam et Romuli et Tati statuae in Capitolio et in rostris Camilli fuerunt togatae sine tunicis. Cato hielt als Praetor Gericht, wie man es im Sommer tat, ohne Tunica mit ländlichem Unterschurz unter der Toga gegürtet. Er kam auch so aufs Forum und sprach Recht und das hatte er wieder aufgenommen aus einer alten Gewohnheit heraus, nach der sowohl die Statuen des Romulus als auch des Tatius auf dem Kapitol und den Rostren die des Camillus zwar die Toga anhatten, nicht aber eine Tunica. Ascon. in Cic. Scaur. 25

Ein campestre trug wohl auch bei Livius ein weiteres Bespiel römischer Bauerntugend, Cincinnatus, bevor er ihn die Toga anlegen ließ, um von der Landarbeit (operi certe, id quod constat, agresti intentus) weg die Aufgabe des Dictators zu übernehmen:32 Ibi ab legatis – seu fossam fodiens palae innixus, seu cum araret, operi certe, id quod constat, agresti intentus – salute data in vicem redditaque rogatus ut, quod bene verteret ipsi reique publicae, togatus mandata senatus audiret, admiratus rogitansque ‚satin salve?‘ Togam pro­ pere e tugurio proferre uxorem Raciliam iubet. Qua simul absterso pulvere ac sudore velatus processit, dictatorem eum legati gratulantes consalutant, in urbem vocant. Dort trafen ihn die Gesandten – entweder beim Ausheben eines Grabens, auf den Spaten gestützt, oder beim Pflügen, auf jeden Fall, wie feststeht, mit einer Arbeit auf dem Feld beschäftigt. Nachdem man sich gegenseitig begrüßt hatte, baten sie ihn, er solle, was ihm selbst und dem Staat Glück bringen möge, in der Toga die Aufträge des Senates anhören. Er wunderte sich und fragte nachdrücklich: „Ist alles in Ordnung?“, dann forderte er seine Frau Racilia auf, eilends die Toga aus der Hütte zu bringen. Sobald er sich den Staub und den Schweiß abgewischt hatte und mit der Toga bekleidet vortrat, wünschten die Gesandten ihm Glück und begrüßten ihn als Diktator, riefen ihn in die Stadt. Liv. 3,26,9 f.

Livius gestaltet zunächst einen Gegensatz einfacher, durch die schlichte Hütte (tu­ gurium) versinnbildlichter Bäuerlichkeit und Berufung in die Stadt (urbs), wobei der Übergang durch die Person des Cincinnatus markiert ist, der das Bauern- gegen das Staatsgewand wechselt. Hier wird nicht wie im Falle des Cato mit einer ostentativen Differenz auf einen defizitären Zustand aufmerksam gemacht, nämlich den Mangel altrömischer Tugend im modernen Rom, oder ein anachronistisches Schauspiel geboten, wie im Falle des Rullus. Livius erzählt einen natürlichen, Authentizität beanspruchenden Vorgang, der keine temporale, sondern lediglich eine topographische Differenz überbrückt.

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des campestre, einer als altertümlich konnotierten Form der Tunica, als topographischen und temporalen Hinweis auf Traditionsverbundenheit sowie bäuerliche Einfachheit. Zur Erklärung des campestre und Identifikation mit Cato vgl. Horace Epistles Book II and Epistle to the Pisones, ed. N. Rudd, Cambridge [u. a.] 1989, z. St. Hervorhebungen v. Vf.; übers. H. J. Hillen, 1997

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3 Die Nähe zum bereits angesprochenen Auftreten des Augustus ist augenfällig, doch sind in diachroner Sicht die Differenzen weniger leicht zu überbrücken. Die Herrschaft des Octavianus-Augustus ist in den Augen späterer Betrachter einerseits durch einen großen Modernitätsschub ausgezeichnet. Dieser wird besonders in der Ausgestaltung Roms als Metropole und Stadt-‚Bild‘ sichtbar.33 Andererseits ist die politische Tätigkeit des ersten Prinzeps vom konservativen Gedanken der Wiederherstellung der res publica und der Wiedergewinnung einer traditionsorientierten römischen Identität geprägt. Angesichts der Durchdringung jeglicher Reformüberlegungen mit dem Ländlichkeitsdiskurs lag es nahe, die allgemeine Reorganisation in diesem Sinne zu inszenieren. Augustus verfolgte, auch für zeitgenössische Beobachter erkennbar, diese Doppelstrategie der inneren retroversen Organisation und einer der maiestas imperii angemessenen Modernität offenbar mit großer Ernsthaftigkeit.34 Dazu gehört auch, dass er, der Initiator von Marmorbauten und damit Protagonist einer erneuerten urbanitas, der rusticitas wie vor ihm Rullus Ausdruck verlieh, damit zugleich den Weltherrscher und den Cincinnatus spielte und bei aller Widersprüchlichkeit in einer Person als Exemplum ostentativ vereinte.35 Neben seine öffentliche Wirksamkeit, die von eben dieser Modernität und Prachtentfaltung geprägt war, trat eine intensive, offenbar nicht minder auf öffentliche Wirkung berechnete als privat konzeptionalisierte Selbstdarstellung als ländlich-einfacher Römer, die in synchroner Betrachtung durch Ungleichzeitigkeiten gemildert, diachron aber umso schärfer erkennbar war. Dies reflektiert gerade die Augustusvita des Sueton. Er betont nämlich einerseits mit den gleichen Worten wie Augustus’ Zeitgenosse Vitruv die Modernität der Stadtplanung und dass er der maiestas impe­ rii angemessen eine Marmorstadt gebaut habe (Suet. Aug. 28,4, vgl. Vitr. 1 praef. 2). Andererseits hebt der Biograph die ostentative Einfachheit und Ländlichkeit in der häuslichen Lebensführung des Prinzeps hervor. Gleich zu Beginn des Abschnitts liefert er die moralische Deutung mit, die das verwendete Zeichensystem erklärt und zugleich den Widerspruch, der sich aus topographischer wie temporaler Differenz ergibt, interpretiert, aber nicht aufhebt. Sueton gibt damit, noch bevor er die häuslichen Verhältnisse des Augustus beschreibt, eine Lesart vor, die der Intention des Augustus entspricht, nämlich sein Leben zu Hause als besondere moralische Haltung zu interpretieren. Augustus zitiert gleichsam ein ländliches, auf altrömische Hausväterlichkeit verweisendes Privatleben, bedient sich dabei aber auf römi33 34

Zanker (1987), 157–159; Haselberger (2007), 23 f. Vitr. 1 praef. 2 betont die notwendige Zusammengehörigkeit von der Sorge des Prinzeps non solum […] de […] rei publicae constitutione sed etiam de opportunitate publicorum aedificio­ rum […], damit der Staat nicht nur durch Provinzen erweitert werde: verum etiam ut maiestas imperii publicorum aedificiorum egregias haberet auctoritates. 35 Augustus’ Bemühen, seine moralischen Ziele öffentlich zu verkörpern berichtet auch Velleius Paterculus (2,125,5): nam facere recte cives suos princeps optimus faciendo docet, cumque sit imperio maximus, exemplo maior est. Auch darin bedient er sich in intensivierter Weise eines bereits etablierten gesellschaftlichen Codes, den Cicero (Mur. 76) umschreibt: odit populus Romanus privatam luxuriam, publicam magnificentiam diligit.

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sche Vergangenheit verweisender Zeichen, nicht der in der publica magnificentia verwendeten Zitate. Albanerberggestein steht gegen Marmor:36 In ceteris partibus vitae continentissimum constat ac sine suspicione ullius vitii. Habitavit pri­ mo iuxta Romanum Forum supra Scalas anularias, in domo quae Calvi oratoris fuerat, postea in Palatio, sed nihilo minus aedibus modicis Hortensianis, et neque laxitate neque cultu con­ spicuis, ut in quibus porticus breves essent Albanarum columnarum et sine marmore ullo aut insigni pavimento conclavia. Instrumenti eius et supellectilis parsimonia apparet etiam nunc residuis lectis atque mensis, quorum pleraque vix privatae elegantiae sint. Ne toro quidem cubuisse aiunt nisi humili et modice instrato. Veste non temere alia quam domestica usus est, ab sorore et uxore et filia neptibusque confecta; togis neque restrictis neque fusis, clavo nec lato nec angusto, calcamentis altiusculis, ut procerior quam erat videretur. Et forensia autem et calceos numquam non intra cubiculum habuit ad subitos repentinosque casus parata. In den übrigen Lebensbereichen war er erwiesenermaßen äußerst bescheiden und über jeden Verdacht eines Lasters erhaben. Anfangs wohnte er neben dem Forum Romanum oberhalb der Scalae annulariae im Hause des Redners Calvus, danach wohnte er auf dem Palatin, aber wieder in einem bescheidenen Haus, das früher dem Hortensius gehört hatte. Dies war weder durch seine Ausmaße noch seinen Stil irgendwie herausragend. Es besaß nämlich nur kleine Wandelhallen mit Säulen aus Albanerberggestein und innen gab es weder Marmor noch einen besonders belegten Boden. […] Die Bescheidenheit des Hausgeräts und Geschirrs mutet bescheiden an, wie auch die noch erhaltenen Betten und Tische heute noch erkennen lassen, von denen die meisten kaum einem eleganten privaten Wohngeschmack genügten. Angeblich schlief er nur auf einem niedrigen und schwach gepolsterten Bett. Nicht ohne Grund trug er keine andere Kleidung als einen Hausrock, den seine Schwester, Gattin, Tochter oder die Enkelinnen gefertigt hatten. Er trug die Toga nicht zu eng und nicht zu weit mit einem Purpurstreifen, der nicht zu breit und nicht zu schmal war, aber etwas erhöhte Schuhe, um größer zu erscheinen. Die Kleidung und Stiefel für offizielle Anlässe verwahrte er im Schlafzimmer für den Fall, dass sie ganz plötzlich gebraucht wurden. Suet. Aug. 72 f.

Das Ostentative des dargestellten Verhaltens spürt man noch aus den Worten des Sueton heraus. Augustus trug angeblich Kleidung aus eigener Familienproduktion, verschmähte jeden baulichen Luxus. Eine primäre ländliche Existenzform als Bauer wird damit – eigentlich ganz wie im Falle des Rullus – durch bestimmte Zeichen ausgedrückt, im persönlichen Auftreten habitualisiert und dem Auftreten im städtischen Kontext als ethisches Konzept und politisches Zeichen affirmativ inkorporiert. Mit dieser Selbstdarstellung übte Augustus nicht nur Kritik an der etablierten luxuria und Repräsentationssucht der römischen Elite, sondern untermauerte auch die Absicht einer inneren Erneuerung der res publica aus dem Geiste der Tradition trotz erkennbaren Modernitätsschubs im öffentlichen Bereich. Er präsentiert programmatisch die Attribute altrömischer Hausväterlichkeit als Ausdruck einer überlegenen Moralität. Die suggerierte Nähe zum Exemplum eines Cincinnatus, wie er uns in der Darstellung des Livius, die eine Fülle der Ländlichkeits-Zeichen vereint, entgegentritt, zeigt auch die in diesem Sinne zu interpretierende Schlussbemerkung des Sueton. Augustus verlieh sich offenbar den Anschein, als könnte er wie ein Cincinnatus 36

Zur „Symbolkraft des Zitats“ in augusteischer Zeit s. Zanker (1987), 255 ff.

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vom Pflug weg, d. h. jederzeit aus seiner bäuerlichen Bescheidenheit, zu staatswichtigen Aufgaben berufen werden. Die ‚Dienstkleidung‘ (forensia) liegt bereit, um sofort wieder nach Erledigung der Pflichten gegen das bäuerliche Habit und die damit konnotierte Existenz als einfacher Privatmann eingetauscht zu werden. 4 Livius verwischt in der Situation der Erzählung römischer Vergangenheit die topographische, temporale und moralische Differenz zwischen Stadt und Land und liefert damit ein harmonisierendes Deutungsmodell für das Verhalten des Augustus, wenn man Cincinnatus und Augustus einander gegenüberstellen und Augustus’ ostentatives Programm akzeptieren wollte. Das Anchronistische, der oxymoronhafte Charakter, im Falle des Rullus von Cicero offengelegt, kann so wie bei jedem affirmativ gebrauchten Exemplum ignoriert werden, in dem Differenzen in punktueller Erwähnung verschleiert werden. Cicero dagegen hatte dem Rullus nicht ermöglicht, sich als Inkarnation eines Exemplums zu präsentieren, indem er das punktuelle Narrative auflöste und die Brüche offenlegte. In dieser Weise behandelte der Cicero-Zeitgenosse M. Ter. Varro das Thema auch in seinen menippeischen Satiren, die in den bewegten Jahren 81–67 bzw. danach37 entstanden sind und sich mit dem die römische Elite beschäftigenden Thema des drohenden Identitätsverlusts auseinandersetzen. Einige Fragmente enthalten Motive, die an Augustus’ späteren ländlichen Auftritt erinnern.38 Sie lassen erahnen, aufgrund welcher Voraussetzungen besondere Exempla in augusteischer Zeit aufgenommen und harmonisierend umgedeutet wurden. Varro bemüht sich allerdings um die Akzentuierung der Differenzen. So nennt er besonders Numa als Beispiel für einen Römer, der sich im heutigen Rom nicht zurechtfinden würde: haec Numa Pompilius fieri si videret, sciret suorum institutorum nec volam nec vestigium appa­ rere (Varr. Men. Fr. 537 Buecheler). Ein berühmtes Beispiel für die satirische Gegenüberstellung einer verdorbenen Gegenwart mit einer idealisierten bäuerlichen Vergangenheit bieten die von Theodor Mommsen zusammen mit anderen Varronischen Satiren als Sittenbild der „catilinarischen Zeit“ interpretierten menippeischen Satiren Gerontodidaskalos und Sexagesis.39 Ihre Grundlage ist die satirische Opposition von einst und jetzt. So wird im Gerontodidaskalos schon durch den Titel deutlich, dass Altes, ja Überholtes in die neue Zeit erfolglos implementiert werden soll.40 Auch hier lassen sich Ähnlichkeiten mit Suetons Beschreibung von Augustus’ Wohnung erkennen. Varro Robinson (1976), 482 lokalisiert z. B. Varros Sexagesis im Jahr 56 v. Chr. An den „Hausrock“ des Augustus erinnert Varros Reminiszenz an seine bäuerliche Kindheit im Sabinerland, wo er nur eine einfache Tunica und eine einzige Toga besaß: mihi puero modica una fuit tunica et toga, sine fasceis calcamenta … (Logist. Fr. 10 Bol.). 39 Th. Mommsen, Römische Geschichte, Bd. 3, Berlin 61875, 509–611; vgl. Robinson (1976), 481. 40 Robinson (1976), 480 betont die satirische Gegenüberstellung durch Translokation der Vergangenheit in die Gegenwart, um die Widersprüchlichkeit herauszustellen. 37 38

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betont die Bevorzugung einfachen Mauerwerks sowie den Verzicht auf Mosaikböden und Portiken als typisch für die Alte Zeit.41 Ähnlich wird in der Sexagesis Kritik an der verdorbenen Gegenwart geübt und die aktuelle Dekadenz als jäher Schwund der sinnstiftenden (ländlichen) Einfachheit gedeutet. Ein römischer Rip van Winkel hat 60 Jahre geschlafen, erwacht in der Zeit Varros und thematisiert den jähen Wandel zwischen einst (tum) und jetzt (nunc):42 ergo tum Romae parce pureque pudentis vixere. En patriam! Nunc sumus in rutuba

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Damals lebten in Rom sie kärglich, sauber und schamhaft; sehet das Vaterland jetzt: Tohuwabohu und Dreck! in quarum locum subierunt inquilinae impietas, perfidia, impudicitia 495 nunc quis patrem decem annorum natus non modo aufert, sed tollit, nisi veneno? ubi tum comitia habebant, ibi nunc fit mercatus quod leges iubent, non faciunt. δὸς καὶ λάβε fervit omnino avidus iudex reum ducebat esse κοινὸν Ἑρμῆν 500 Jetzt sind an deren Stelle getreten als Einwohnerinnen: Gottlosigkeit, Treulosigkeit, Schamlosigkeit. Jetzt aber, welcher zehnjährige Knabe trägt seinen Vater nicht nur weg, sondern räumt ihn aus dem Weg – durch Gift nämlich? Wo sie damals die Volksversammlung hielten, da findet nun ein Markt statt. Was die Gesetze gebieten, führen sie nicht mehr aus: ‚donnant-donnant‘ heißt jetzt das Gesetz, das ganz und gar gilt. Der habgieriege Richter hielt den Angeklagten für eine von Hermes gewiesene Goldgrube. Varr. Men. 488; 495–500 ed. Astbury, Leipzig 1985

Varro konstruiert eine Differenz einst – jetzt und setzt zugleich Land und Stadt in Opposition: An die Stelle der alten virtutes traten als Bewohnerinnen Frevel, Treulosigkeit, Schamlosigkeit (595), der zehnjährige Sohn räumt bereits den Vater mit Gift aus dem Weg (496), an den Komitien ist jetzt nur noch Stimmenkauf üblich (497), Gesetze gelten nichts mehr (498). Man muss den umgekehrten Weg gehen wie der Schläfer, eine Zeitreise vornehmen, um wieder Ländliches zu implementieren. Augustus tut dies später, indem er den Hausrock anlegt, führt damit aber eine oxymore Existenz vor, eine coincidentia oppositorum, deren Differenz sich aus Topographie, Zeit und Moral ergibt. Bei Varro betont die satirische Konstellation nur die Unmöglichkeit der Verbindung beider Welten und Zeichensysteme. Die Reihenfolge der Fragmente ist nicht ganz klar, betont wird aber die Unmöglichkeit, dass ein Römer früherer Zeit in der Gegenwart leben könnte. Was bleibt, ist die Eliminierung des (zeitlichen) ‚Fremd-Körpers‘: acciti sumus ut depontaremur. murmur fit ferus vix ecfatus erat, cum more maiorum ultro casnales arripiunt, de ponte in Tiberim deturbant. 41 42

Varr. Gerontodidaskalos Fr. 524–536 Bücheler. Die Übersetzung der Varro-Fragmente folgt der von Otto Weinreich angefertigten.

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Man rief hinter uns her, uns von der Brücke zu werfen; wilder Lärm wird laut. Kaum war gesprochen das Wort, als nach der Sitte der Vorfahren unaufgefordert die Henkersknechte ihn ergreifen und von der Brücke werfen. Varr. Men. 493–494

Die Zukunft wünscht keine Vergangenheit – jedenfalls nicht zu viel! 5 Die augusteische Zeitenwende als Oxymoron. Mit diesem Titel versuchten wir auf den gerade in der augusteischen Zeit merkwürdig intensiven Versuch hinzuweisen, die Fiktion eines idealen ländlichen Roms in das moderne Rom zu inkorporieren. Dieses Bemühen ist gerade in der augusteischen Literatur greifbar,43 hat aber seine Ursprünge in der politischen Diskussion des letzten Jahrhunderts der Republik, wo das Zeichensystem der altrömischen Ländlichkeit vielfältig innerhalb der politischen Debatten Verwendung fand. Varro hat in seinen Satiren in den 60–50er Jahren zugleich Zeitkritik geübt wie das Anachronistische des Rückbezugs auf eine fiktive Ländlichkeit deutlich gemacht. Allerdings war es derselbe Varro, der ab ca. 55 v. Chr. in seinen enzyklopädischen Schriften – und schließlich in den Büchern de vita populi Romani sowie de re rustica44 die spätere augusteische Inkorporierung der Vergangenheit in das Neue Rom vorbereitet hat. Die damit verbundene Identitätsstiftung d. h. ‚Ent-Fremdung‘ aus dem Geist des Vergangenen betont Cicero 45 v. Chr. gegenüber Cato mit Blick auf die antiquitates, besonders aber auf das kurz vor dem Abschluss stehende Werk de lingua Latina: Nos in urbe peregrinantis […] tui libri quasi domum deduxerunt […] tu descriptiones tempo­ rum, tu sacrorum iura, tu sacerdotum, tu domesticam, tu bellicam disciplinam, tu sedum, tu re­ gionum, locorum, tu omnium divinarum et humanarum rerum nomina, genera, officia, causas aperuisti […] Uns haben deine Bücher, als wir in der Stadt mit Freude umhergingen, gleichsam nach Hause geführt … Du hast uns für die Chronologie, die rechtlichen Aspekte der Kulte und Priester, für die Regelungen in Frieden und Krieg, für die Bezeichnungen aller göttlichen und menschlichen Dinge, ihre Arten, Funktionen und Gründe die Augen geöffnet. Cic. ac. 1,9

Varro verlieh wie auch Cicero in de re publica der Hoffnung Ausdruck, durch Rückgewinnung der Bedingungen des alten Rom im Akt der memoria die Römer gleichsam wieder in ein eigentliches Rom zurückführen zu können, ein Paradox, das mit

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Eigler (1994) (zu Vergil); Eigler (2002), Herzog (1984) (zu Horaz). Folgt man gängiger Datierung, so könnte auch das dritte Buch von Varros de re rustica in den 50er Jahren entstanden sein und einen Beitrag zur politischen Diskussion geleistet haben. Das Gesamtwerk wurde allerdings erst Ende der Dreißiger Jahre publiziert, traf aber erst dann den Nerv des aktuellen politischen Diskurses.

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besonderer Innigkeit beschworen wird.45 Augustus erkannte später die Sprengkraft, aber auch die Leistungsfähigkeit dieses mythischen, paradoxen Denkens, bemächtigte sich seiner und nutzte es, seinen pragmatischen Umbau der res publica zu ummänteln. So ließen sich mit traditionellen Ausdrucksmitteln prospektiv Reichs- und Friedensprogramm zusammen mit der retrospektiven Rückkehr des alten Roms und eines goldenen Zeitalters transportieren, zugleich aber der alte aristokratische Diskurs kontrollieren. Augustus stilisierte sich entsprechend als Romulus und Numa, als Alleinherrscher im Hausgewand und die durch ihn proklamierte Wende als Oxymoron. Die Zeitenwende des Augustus ist kein Zeitenende, ja die Verweigerung des Endes ist geradezu konstitutiv für die Inszenierung des neuen Zeitalters. Der augusteische Diskurs mutet daher bei aller Modernität merkwürdig retrovers an, als stünde in seinem Zentrum der Appell: Wir haben eine große Vergangenheit vor uns! LITERATUR Austin, R. G., P. Vergili Maronis Aeneidos liber VI, Oxford 1977. Baldarelli, B., Moralreflexion im Dienst der Politik? Die Frage nach der politischen Wirkung von Varros Menippeischen Satiren, in: Felgentreu, F. – Mundt, F. – Rücker, N. (Hgg.), Per attentam Caesaris aurem: Satire – die unpolitische Gattung (Leipziger Studien zur Klassischen Philologie), Tübingen 2009, 62–84. Boscherini, S., Città e campagna nella dottrina linguistica di Varrone, Atti del congresso di studi varroniani, Rieti 1976, 317–320. Classen, C. J., Die Königszeit im Spiegel der Literatur der römischen Republik. Ein Beitrag zum Selbstverständnis der Römer, Historia 14, 1965, 385–403. Ders., Romulus in der römischen Republik, Philologus 106, 1962, 174–204. Cornell, T. J., Rome. The History of an Anachronism, in: Molhon, A. – Raaflaub, K. – Emlen, J. (Hgg.), City States in Classical Antiquity and Medieval Italy, Stuttgart 1991, 53–69. Deininger, J., Livius und der Prinzipat, Klio 77, 1985, 265–272. Eder, W., Augustus and the Power of Tradition. The Augustan Principate as Binding Link between Republic and Empire, in: Raaflaub, K. A. – Toher, M. (Hgg.), Between Republic and Empire, Berkeley 1990, 71-122. Eigler, U., Non enarrabile textum. Servius und die römische Geschichte bei Vergil, Aevum 68,1, 1994, 147–163. Ders., Von der Platane im Phaidros zur Eiche des Marius – Vergangene Zukunft in Ciceros de legibus, in: Flashar, M. – Gehrke, H.-J. – Heinrich, E. (Hgg.), Retrospektive. Konzepte von Vergangenheit in der griechisch-römischen Antike, München 1996, 137–146. Ders., Augusteische Repräsentationskunst als Text? Zum Problem der Erzählbarkeit von bildender Kunst in augusteischer Dichtung am Beispiel des Schildes des Aeneas, Gymnasium 105, 1997, 289–305. Ders., Urbanität und Ländlichkeit als Thema und Problem der augusteischen Literatur, Hermes 130, 2002, 288–298. 45

Die antiquarisch-philologische Tätigkeit Varros dient gleichsam dazu, den Römern die Präsenz der Vergangenheit in Lebens- und Kultpraxis sowie in der Sprache bewusst zu machen, vgl. Boscherini (1976), 318. ‚Land‘ dient hier als Metapher zur summarischen Erfassung der einzelnen Phänomene und Zeichen, um diese wieder der eigenen Gegenwart zu inkorporieren, was letzten Endes bereits bei Cato (agr. praef. 4) angelegt ist (vgl. Gabba [1990], 275).

Mit Alt mach Neu

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DIE KONSTANTINISCHE WENDE Bemerkungen zur antiken Wahrnehmung der Regierung Konstantins als „Wende“1 Bruno Bleckmann Die römische Geschichte kennt vielleicht zwei, drei Einschnitte, die mit revolutionären Veränderungen, mit der Vorstellung von Wenden verbunden sind. Die eine Wende ist der Übergang von der Republik zur Monarchie, eine weitere die Christianisierung der römischen Welt durch Konstantin den Großen und die dritte vielleicht das Ende des Weströmischen Reiches. Allen diesen Wenden ist gemeinsam, dass bei genauerem Hinsehen das Bild nicht ganz so eindeutig ist, wie man es von Wenden eigentlich erwarten dürfte. Bei der Entstehung der Monarchie des Augustus ist etwa der Befund zu berücksichtigen, dass eine solche Wende zur Monarchie vom Begründer nach außen bewusst kaschiert wurde und dass der Übergang zwischen Republik und Monarchie als ein Prozess beschrieben werden kann, der erst mit der vollständigen Institutionalisierung des Kaisertums unter den Flaviern oder sogar erst unter Traian endet. Auch die Christianisierung des römischen Reiches wird heute eher als eine komplexe Entwicklung beschrieben, die selbst unter Theodosius dem Großen am Ende des vierten Jahrhunderts noch keineswegs abgeschlossen ist. Trotzdem hat in diesem Übergangsprozess die Zuwendung Konstantins zum Christentum, genauer gesprochen die Tatsache, dass er nicht nur die Kirche privilegierte, sondern sich in welcher Form auch immer als Christusverehrer ausgab und dafür sorgte, dass seine Söhne dann konfessionelle Christen wurden, zentrale Bedeutung. Diese Entscheidung, nämlich die Christianisierung der Monarchie, ist dann – aufgrund von Entwicklungen, für die Konstantin kaum allein verantwortlich zu machen ist – nach dem gescheiterten Versuch Julians, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, nicht wieder rückgängig gemacht worden. Vor diesem Hintergrund ist die Rede von der konstantinischen Wende richtig. Etwas anderes ist, ab wann die konstantinische Wende überhaupt als Wende ausgemacht worden ist. Während die Bedeutung insbesondere katastrophaler Ereignisse durchaus von Zeitgenossen wahrgenommen werden kann, müsste bei der Feststellung von Epochengrenzen und Zeitenwenden durch Zeitgenossen ein gewaltiges analytisches und prognostisches Potential vermutet werden. Tatsächlich zeigt ein Blick auf die zeitgenössische Wahrnehmung, dass zu Lebzeiten Konstantins zwar durchaus Vorstellungen von einem neuen Zeitalter und von einer Zeiten1

Der Vortragscharakter wurde weitgehend beibehalten. Literaturhinweise sind trotz der üppig wuchernden Bibliographie zu Konstantin auf das Notwendigste beschränkt. Eine Zusammenfassung fast aller Aspekte der aktuellen Konstantinforschung bietet Bardill (2012).

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wende kursieren, dass diese an vielfache Voraussetzungen gebundenen Vorstellungen aber nur eingeschränkt mit der später üblichen Wahrnehmung einer besonderen historischen Bedeutung Konstantins zu tun haben. Konzeptionen von einer grundsätzlichen, mit der Herrschaft verbundenen Wende und einer Endzeitperspektive sind zunächst im Umkreis Konstantins bzw. von Konstantin selbst formuliert worden, und zwar in einer Art und Weise, die einerseits den Konventionen und dem geläufigen Vokabular kaiserlicher Selbstdarstellung entspricht, andererseits durch den Erfolg der Regierung und durch tatsächliche Veränderungen der Regierungspolitik einen neuartigen Hintergrund hatte. In der politischen Grammatik der späten Tetrarchie waren sowohl Aussagen zur Überzeitlichkeit und zur ständigen Erneuerung der Herrschaft als auch zu der mit dieser Erneuerung anbrechenden und auf Dauer sich erstreckenden glückhaften neuen Zeit vorhanden. Die Tetrarchen haben, wie es in der Vorrede des Preisedikts heißt, im Kontrast zu den vorangehenden krisenhaften Zeiten eine „für die Ewigkeit begründete Ruhe“ herbeigeführt.2 Ihr kompliziertes Mehrherrschaftssystem ist darauf ausgerichtet, diese Ewigkeit zu sichern, und wird in Zehnjahreszyklen erneuert. Nach zwei Zyklen, am Ende ihrer zwanzigjährigen Herrschaft, treten die Herrscher keineswegs zurück, sondern bereiten sich als seniores Augusti in Rückzugspalästen auf die Ewigkeit vor. Mit dem Zerbrechen der Tetrarchie wurden diese Endzeit- und Glücksperspektiven nicht obsolet, sondern den neuen politischen Bedingungen entsprechend umformuliert, etwa in der Roma-aeterna-Propaganda des Maxentius, in der Roma aeterna und übermenschlicher Kaiser auf gleicher Augenhöhe stehen und den neuen Glückzustand herbeiführen.3 Unter Konstantins erfolgreicher Regierung wurden solche Ansätze nun fortgesetzt und neu interpretiert. Die Christianisierung spielte bei diesem Konzept einer glücklichen Wende zur Erneuerung und Verjüngung des Reiches hin eine zwar nicht unwichtige Rolle, war aber aus kaiserlicher Perspektive dem dynastisch-imperialen Zusammenhang untergeordnet. Im Zentrum stand die Propagierung der ewigen Dauer des neu angebrochenen Zeitalters durch den charismatisch-siegreichen, im Bunde mit einem wie auch immer gearteten Gott agierenden Konstantin. Der Sieg über Maxentius wurde nicht nur als Wende zum Besseren, beispielsweise als Sieg der res publica über die Tyrannis, verstanden. Dieser Sieg garantierte vielmehr, da er von Konstantin im Bunde mit dem summus deus erzielt worden ist, eine endzeitliche, auf ewige Dauer angelegte Perspektive des neuen Regiments. Das wurde durchaus auch mit Mitteln verdeutlicht, die nicht der christlichen Theologie entsprachen. Unmittelbar nach der Eroberung Roms von Maxentius ließ Konstantin vermutlich keineswegs, wie von Zosimos unterstellt, die Säkularspiele, die ein neues Zeitalter verkündeten, unterschlagen.4 Vielmehr müssen wohl, wie J. Wienand plausibel gemacht hat, die beim Panegyriker von 313 erwähnten ludi aeterni als 2 3 4

Vgl. die Praefatio des Preisedikts (S. Lauffer, Diokletians Preisedikt, Berlin 1971): in aeternum fundatam quietem. RIC VI 373 Nr. 173. Vgl. zur Interpretation dieser Prägung Ziemßen – Leppin (2007), 49–51. Zos. 2,1–7. Zu dieser Erzählung des Zosimos s. zuletzt van Dam (2011), 35–39.

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ludi saeculares aufgefasst werden.5 Der direkte Bezug zu den Siegesfeierlichkeiten über Maxentius zeigte somit, dass bereits in dieser frühen Zeit der konstantinischen Sieghaftigkeit und die Rede vom neuen saeculum miteinander verbunden waren. Die ewige Dauer der glücklich bestätigten Herrschaft wurde durch das vertraute Repertoire der aeternitas-Symbolik verdeutlicht und die aeternitas der Stadt Rom mit der kaiserlichen aeternitas verbunden. Auf die kosmisch-ewige Qualität der neuen Herrschaft Konstantins weist auf dem Konstantinsbogen etwa die Einrahmung durch eine (nicht aus Spolien gewonnene, sondern eigens für den Bogen hergestellte) Darstellung von Mond und Sonne hin. Die kapitolinische Wölfin, in der Münzprägung ein seit Gallienus geläufiges Symbol der aeternitas,6 findet sich auf dem Schild Konstantins auf dem berühmten, anlässlich der Dezennalien geprägten Medaillon von Ticinum, auf dem gleichzeitig durch das Christogramm auf die charismatische Sieghaftigkeit des Kaisers hingewiesen wird.7 Für den gleichen Anlass feiern parallel Goldprägungen, die den frontal mit Nimbus abgebildeten Kaiser zeigen, die mit Konstantin angebrochenen FELICIA TEMPORA.8 Die Eroten mit Sensen, heimgebrachten Feldfrüchten und vor allem dem Ertrag der Weinlese verdeutlichen das Motiv des neuen, durch das Glück und die Dauer der Regierung Konstantins garantierten saturnischen Zeitalters, der aurea aetas. Motive des Dionysos-Kultes mit den Eroten in der Weinlese wurden in konstantinischer Zeit immer wieder gerne und oft in dynastischen Zusammenhängen gebraucht, um das Glück der kaiserlichen Epoche hervorzuheben, zuletzt und besonders augenscheinlich in der Grablege für Constantina, die Tochter Konstantins.9 Mit dem Sieg über Licinius 324 war die Epoche der tetrarchischen Mehrherrschaft abgeschlossen. Konstantin hatte die Alleinherrschaft erlangt und die kaiserliche Selbstdarstellung erschöpfte sich in Varianten der scharfen Kontrastierung der besiegten Tyrannen und des siegreichen Konstantin. Der Kampf zwischen den Tyrannen, besonders Licinius einerseits und Konstantin andererseits wurde als ein Kampf zwischen dem Bösen und dem Guten verstanden, dessen glücklicher Ausgang ein neues und glückliches Zeitalter des Lichtes begründete. Im Zentrum der im Zusammenhang mit der Kunde vom neuen Zeitalter vorgestellten Themen stand die Dauer der neuen Herrschaft, die durch den Aufbau einer Thronfolge garantiert und durch die permanente Sieghaftigkeit des Kaisers gesichert war. Während der Siegesfeierlichkeiten von 324 durch die Erhebung der Augustae Fausta und Helena in radikaler Abwendung von den Prinzipien der Tetrarchie die Beteiligung gerade auch von weiblichen Mitgliedern an der kaiserliche Selbstdarstellung und das neue, 5 6 7 8 9

Vgl. Paneg. Lat 12,19,6: Nec quidquam aliud homines diebus munerum aeternorumque lu­ dorum quam te ipsum spectare potuerunt. Dazu Wienand (2012), 490 mit Anm. 31. Anders beispielsweise Girardet (2010), 79. Ziemßen – Leppin (2007), 25. RIC VII Ticinum 36. Zum Medaillon vgl. zuletzt Ehling (2011). RIC VII Ticinum 41. Das gilt sowohl für den Sarkophag wie für die Mosaiken im Umgang. Vgl. die Publikation von J. J. Rasch – A. Arbeiter, Das Mausoleum der Constantina in Rom, Mainz 2007. Der Sarkophag könnte allerdings auch derjenige der ebenfalls im Constantina-Mausoleum bestatteten Konstantinstochter Helena gewesen sein.

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durch eine Nachkommenschaft gesegnete Herrscherhaus vorgestellt. Die Siegesfeierlichkeiten mit der Vorstellung der neuen Dynastie – zu ihr gehörte auch der bei dieser Gelegenheit zum dritten Caesar erhobene Sohn Constantius – wurden in den Vicennalien wiederholt, die in Abweichung von bisherigen Gepflogenheiten im Osten und Westen 325 in Nikomedeia und 326 in Rom gefeiert wurden.10 Das neue ‚goldene Zeitalter‘ der konstantinischen Dynastie wurde in den Carmina Optatians, die dieser dem Kaiser für die Vicennalien widmete und mit denen er seine Rückberufung aus der Verbannung erzielte, ausgiebig in künstlerisch reichlich komplizierter Form gefeiert.11 Von den Unstimmigkeiten in der konstantinischen Dynastie hatte dieser Autor noch nicht erfahren, und die kurze Zeit später mit dem goldenen Zeitalter scharf kontrastierende Beseitigung prominenter Familienmitglieder wurde nach Möglichkeit vertuscht und verhüllt. Die Penetranz der Rede vom goldenen Zeitalter und der augenscheinliche Kontrast mit der dynastischen Realität haben aber einen Zeitgenossen, nämlich angeblich niemand anderen als den Prätorianerpräfekten Ablabius, dazu veranlasst, das neue goldene Zeitalter als neronisches Zeitalter zu verspotten.12 Nachdem die konstantinische Dynastie ab 326 reorganisiert werden musste, wurde das konventionelle Thema des fortdauernden dynastischen Glücks mit dem Thema der auf Dauer garantierten Sicherung der Reichsgrenzen und dem permanenten Sieg der kaiserlichen Waffen verbunden. Die Mitherrschaft von zwei, später drei und zum Schluss vier Caesaren sichert nicht nur die kaiserliche Nachfolge, sondern dieses neue Mehrherrschaftssystem erhöht die kaiserliche Präsenz an allen Reichsgrenzen und garantiert auf diese Weise die SALVS ET SPES PVBLICA. Eine Münze mit dieser Legende zeigt, wie die im Militärkostüm stehenden Caesares auf Geheiß des mit dem Nimbus versehenen übergeordneten, in göttlicher Majestät ruhig thronenden Augustus agieren, und wiederholt damit eine aus der Tetrarchenzeit vertraute Thematik, wie sie etwa auf dem Galeriusbogen von Thessalonike zu erkennen ist.13 335 preist Eusebios die glückliche, verstetigte und erneuerte Herrschaft Konstantins in überschwenglichen Worten. Die als Gottesgeschenk gewährte „Vermehrung von Zeit und Kindern“ des Kaisers habe gewissermaßen nach dem Sieg über alle inneren und äußeren Feinde die Herrschaft des Universalgottes selbst durchgesetzt, „blühend und jung, als hätte sie eben erst zu wachsen begonnen“. Die Caesares sorgen dabei wie Strahlen der Sonne dafür, dass die Gegenwart des Kaisers den entferntesten Untertanen zuteil wird.14 Hier. chron. a. 326: Vicennalia Constantini Nicomediae acta et sequenti anno Romae edita. Vgl. nur einige Beispiele: Carm. 3,12: Aurea iam toto, victor, tua saecula pollent / Constan­ tine, polo; carm. 15,6: aurea Romanis propagans saecula nato; 19,2: lux aurea saecli; carm. 19,31–32: sic nobis lecto quo crescunt aurea saecla mox Latio vincens iam bis vicennia reddes, carmine quae pietas miro de nomine formet. Auch die Intexte der Gedichte sind voller Bezüge zum ‚Goldenen Zeitalter‘, vgl. J. Polara, Publilii Optatiani Porfyrii Carmina, Turin 1973, 42 f. Zur Interpretation der Bezüge zwischen Optatianus und der Selbstdarstellung Konstantins vgl. jetzt grundlegend Wienand (2012 a und 2012 b). 12 Sidonius Epist. 5,8,2: Saturni aurea saecla quis requirat? / Sunt haec gemmea, sed Neroniana. 13 Vgl. die Abbildung bei F. Kolb, Herrscherideologie in der Spätantike, Berlin 2001, 200. 14 Eusebios, Triakontaeterikos 3. S. die Übersetzung dieser Passage bei Th. Grünewald, Constantinus Maximus Augustus. Herrschaftspropaganda in der zeitgenössischen Überlieferung, Stutt-

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Wenn durch die Darstellung des Phoenix, den Konstantin mit einem Globus einem seiner Söhnen übergibt, die Erneuerung des Reiches durch die siegreiche Herrschaft deutlich gemacht wurde,15 blieb dies ebenso wie alle anderen Bezeugungen zur Erneuerung oder zum Glück der Dynastie zunächst im Konventionellen verhaftet. Dennoch gab es zu oft nur wenige Jahre dauernden Vorgängerregierungen immerhin den Unterschied, dass die Diskrepanz zur Realität nicht ganz so groß war. Es ist vor allem unbestreitbar, dass die Größe des Erfolgs Konstantins, die Stabilität seiner Herrschaft und die Wiederholung großer Bürgerkriegssiege Impulse eines besonderen ‚Könnensbewusstseins‘ auslösten und Energien einer umfassenden Reformtätigkeit freisetzten. Festgehalten worden ist dies durch Aurelius Victor (41,12), in einer merkwürdigen zeitlichen Verbindung mit der Niederschlagung der völlig unbedeutenden Usurpation des Calocaerus, der als letzter der besiegten Widersacher Konstantins aufgeführt wird: Quo excruciato, ut fas erat, servili aut latronum more, condenda urbe formandisque religionibus ingentem animum avo­ cavit, simul novando militiae ordine. Auch wenn die Passage wie so oft bei Aurelius Victor sprachlich unklar ist,16 wird in evidenter Weise die Reformtätigkeit des siegreichen Kaisers auf drei Gebieten hervorgehoben, nämlich denen der Gründung einer neuen Stadt, der religiösen Reform, die im übrigen durch den Plural nicht eindeutig auf das Christentum bezogen werden kann, und der Reform der in der Spätantike als militia aufgefassten Verwaltung. Diese drei Aspekte der eingreifenden Reformtätigkeit werden auch bei Zosimos, der ein negatives Spiegelbild bietet, festgehalten, nämlich die Gründung Konstantinopels, die Verwaltungsreform durch die angebliche Schaffung der Prätorianerpräfektur und die von Zosimos natürlich als Verrat aufgefasste Aufgabe der alten Kulte.17 Das Feld der bald gelobten, bald heftig kritisierten Innovationen der Herrschaft Konstantins genau zu beschreiben, ist hier nicht der Ort. In vielem ist eine genaue Beschreibung nicht mehr möglich, etwa beim Problem, ab wann die Prätorianerpräfekturen als Großregionen geschaffen worden sind.18 Unvollständig fallen auch die Hinweise darauf aus, wie sehr etwa durch Konstantin geschaffene Ämter mit altrömischem Namen, dem cen­ sor, dem patricius, eine erneuerte römische Res Publica darstellen sollten. Bei der Gründung Konstantinopels als einer neuen auf die Feier der Sieghaftigkeit Konstantins konzentrierten Kapitale wird in der Forschung heftig über die Motive des Kaisers gestritten.19 Spätere, konstantinfeindliche Quellen betonen den deutlichen Bruch Konstantins mit der alten Kapitale. Historisch richtiger vertreten annähernd zeitgenössische Quellen die Idee, dass die Erneuerungsbewegung der neuen konstantinischen Herrschaft das Rom mit erfasst hat. Besonders deutlich ist hier Aurelius Victor 41,17: Funus relatum in urbem sui nominis. Quod sane populus Romanus aegerrime tulit, quippe cuius armis legibus clementi imperio quasi novatam urbem

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gart 1990, 156 f. RIC VII, Rom 279. Vgl. Girardet (2009), 256. Insbesondere, was den Ablativ condenda urbe betrifft. Zos. 2,29–39,1. Vgl. zuletzt Porena (2003). Vgl. Bardill (2012), 251–255 mit weiterer Literatur.

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Romam arbitraretur.20 Die paarweise für Urbs Roma und Constantinopolis herausgebrachten Münzen mit der für Rom deutlich verkündeten Aeternitas-Symbolik unterstreichen diesen Aspekt.21 Gleichwohl machte die Gründung Konstantinopels als eine Schwester des alten Roms, als eine neue, auf die Herrschaft Konstantins konzentrierte Hauptstadt, in vielfacher Hinsicht deutlich, dass nicht Konstantin als Diener der Roma aeterna agierte, sondern umgekehrt die Idee der Roma aeter­ na durch die Herrschaft Konstantins mit einem neuen, dynastischen Inhalt gefüllt war. Das vollständige Rom war von nun an die Kombination der beiden Kapitalen, der traditionellen und derjenigen, die – wenn man den einsichtigen Darlegungen von Ehrhardt folgt – von Konstantin aeterno numine iubente, also auf Geheiß des Logos-Aion gegründet und Gott geschenkt worden war (…).22 Aus der gerade zitierten Passage des Aurelius Victor, aber auch aus einer Betrachtung der bisher vorgestellten zeitgenössischen Zeugnisse geht hervor, dass der religiöse Wandel bei Konstantin nur einen Teilaspekt der generellen Erneuerung des römischen Reiches unter der neuen und siegreichen Herrschaft darstellt. In modernen Interpretationen steht dagegen die religiöse Motivation des Kaisers im Vordergrund, so sehr, dass für Konstantin sogar ein missionarisches Anliegen vermutet wird. Der überzeugte Christ Konstantin habe – das ist die Grundthese von T. D. Barnes – seine Herrscheraufgabe hauptsächlich darin verstanden, im Dienste des christlichen Gottes der christlichen Religion zum Siege zu verhelfen.23 K. M. Girardet geht davon aus, Konstantin habe sich als konfessioneller Christ der universalistischen Perspektive des Christentums verpflichtet gefühlt und bereits 314 diesen neuen christlichen Einheitsgedanken zum Ausdruck gebracht.24 Da die Elemente imperialer Konvention nicht geleugnet werden können, folgt aus diesen Deutungen letztlich, dass Konstantin schon ab 312 entgegengesetzte Deutungen seiner Rolle im aktuellen, mit seiner Regierung verbundenen Heilsgeschehen geboten haben muss. Auf der einen Seite erscheint er bis zum Ende seiner Regierung, etwa in dem Kolossalbild auf der Porphyrsäule, als erhabenes zwischen Diesseits und Jenseits vermittelndes Zwischenwesen, auf der anderen Seite fasst er sich als bescheidenes Instrument des heilsgeschichtlichen Handelns Gottes auf. Nur für das letzte Bild wird dann eine Übereinstimmung mit der wirklichen, der christlichen Gesinnung des Kaisers angenommen. Letztlich kommt es darauf an, wie man die zahlreichen programmatischen Äußerungen Konstantins bzw. seiner Kanzlei deutet, die Eusebios ausführlich zitiert. Insbesondere geht es um die großen Rundschreiben nach 324, in denen Konstantin beschreibt, wie nach der Tyrannis des Licinius und seiner Vorgänger die Gerechtigkeit im Osten wiederhergestellt und die richtige Gottesverehrung eingerichtet wird. Konstantin betont in diesen Texten, selbst im Auftrag Gottes tätig zu sein: 20 Aur. Vict. 41,17. 21 RIC VII Roma 331/332; 370,371; 386/387. Allgemein s. Bühl (1995). 22 Cod. Theod. 13,5,7. Pro commoditate urbis, quam aeterno nomine iubente deo donavimus. Für nomine ist wohl numine zu lesen, vgl. Ehrhardt (1959), 276. 23 Vgl. zuletzt Barnes (2011). 24 Girardet (2010).

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Meine Hilfe suchte er (der Gott) und beurteilte sie als geeignet für seinen Willen, der ich – angefangen bei den Britanniern und den Teilen, wo der Untergang der Sonne durch einen höheren Zwang angeordnet ist, indem ich die Entsetzlichkeiten, die alles festhalten, wegstoße und zerstreue, damit zugleich das menschliche Geschlecht, durch meine Wirksamkeit erzogen, die Pflege des ehrwürdigsten Gesetzes wiederaufnehme (…) – auch bis zu den östlichen Plätzen vorrücke.25

Zeugnisse dieser Art könnten in der Tat den Schluss erlauben, dass Konstantin sich selbst als Instrument eines heilsgeschichtlichen Planes im christlichen Sinne fühlte und dass der religiöse Wandel im Zentrum seiner Erneuerungsstrategie stand, allerdings wohl nur dann, wenn man sich von der Interpretation des Eusebios leiten lässt. Für sich genommen und vom erklärenden Kontext des Eusebios isoliert, zwingt dagegen wohl keiner der Konstantin sicher zugeschriebenen Texte dazu, die Annahme aufzugeben, dass Konstantin in den Bahnen der seit der Reichskrise formulierten kaiserlichen Ideologie verblieb und nach seiner Herrschaftsauffassung zwar im Bunde mit höheren Mächten agiert, aber doch selbst als übergroßer Architekt einer Wende zum Besseren in allen Bereichen auftritt und darin ein konstantinisches Zeitalter begründet. Was Eusebios von Kaisareia dagegen bietet, ist eine besondere konfessionellchristliche Sicht von der konstantinischen Wende, in der die Rolle Konstantins wechselt, aber immer die eines bloßen Instruments bleibt. Wie alle christlichen Zeitgenossen, die die große, von Diokletian eingeleitete Verfolgung erduldet hatten, hatte auch Eusebios eine völlige Umkehrung der Situation erlebt und war aus diesem Grunde auch durchaus dazu disponiert, den Sieg des christenfreundlichen oder vielleicht christlichen Kaisers in einer eschatologischen Perspektive als große Zeitenwende zu deuten. Insbesondere am Ende seiner Kirchengeschichte, die diverse Erweiterungen erfuhr, aber unmittelbar nach 324 dann abgeschlossen wurde, hat er in sehr eingehender Weise das Glücksgefühl der christlichen Zeitgenossen beschrieben: Genommen war nun von den Menschen jede Furcht vor denen, die sie einst bedrängt. In Glanz und Prunk begingen sie festliche Tage. Alles war von Licht erfüllt. Und die zuvor niedergeschlagen einander anblickten, sahen sich an mit freudelächelndem Anlitz und strahlenden Auges. (…) Die alten Leiden waren vergessen, und begraben jede Erinnerung an Gottlosigkeit. Man freute sich der gegenwärtigen Güter und harrte dazu der künftigen.26

In der sogenannten großen Kaiseranrede im siebten Buch der Divinae Institutiones des Lactantius finden wir ein solches, in seinen Perspektiven sich völlig mit Eusebios deckendes, wohl nach 324 entstandenes Zeugnis, das die Erleichterung der Christen über die durch den Sieg Konstantins beendete Verfolgung zum Ausdruck bringt und als große Wende beschreibt.27 25 Euseb. Vita Constantini 2,28,1–29,1 (Übersetzung P. Dräger). 26 Euseb. h. e. 10,9,7–8 (Übersetzung Häuser – Gärtner). 27 Lactantius, Divinae Institutiones 7,26,11–17. Zur Datierung und Deutung dieser Passage vgl. Freund (2009), 591–607.

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In der um 338 verfassten Vita Constantini hat Eusebios dann zwar die Perspektive der Kirchengeschichte übernommen, zusätzlich aber die programmatischen Texte, in denen Konstantin selbst die von ihm auf Geheiß Gottes durchgeführte Heilung der Verhältnisse beschreibt, genutzt, um die mit Konstantin verbundene, selbst erlebte heilsgeschichtliche Wendung zu beschreiben. Trotz der Benutzung und des Einbaus kaiserlicher Verlautbarungen, die die Vita Constantini zur Fundgrube und zur wichtigsten Informationsquelle zur konstantinischen Kaiserideologie machen, werden diese Texte aber durch den Kontext insofern relativiert, als Konstantin bei Eusebios nie zum göttlich-menschlichen Zwischenwesen geworden ist, sondern ein bloßes Instrument des heilsgeschichtlichen Handelns Gottes bleibt. Zwar wird Konstantin immer wieder mit Christus-Logos in Beziehung gesetzt, aber nur in dem Sinne, dass seine Herrschaft ein Abbild des Wirkens des Logos schafft.28 Wie sehr Eusebios die Bedeutung des Kaisers für die Wende relativiert hat, lässt sich schon dadurch erkennen, dass in der Kirchengeschichte die unmittelbar nach 312/313 fertiggestellten Werkteile nicht überarbeitet worden, sondern stehen gelassen worden sind. In dieser älteren Fassung sind – obgleich Eusebios sich durchaus schon vor 324 der Tatsache bewusst war, dass der eigentliche Wechsel von Konstantin ausging – ohne weiteres Konstantin und Licinius gemeinsam die Instrumente des göttlichen Rettungshandelns, und sind es Konstantin und Licinius gemeinsam, die die „Gottlosen“ austilgen und die „Welt von der Feindschaft gegen Gott säubern“.29 Der eigentliche Architekt der Wende ist für Eusebios (nicht anders als für den Zeitgenossen Laktanz) immer der Logos bzw. Gott selbst. Die frommen und gottesfürchtigen Herrscher sind nur Instrumente. In der Predigt anlässlich der noch unter Licinius erfolgten Einweihung der Kirche von Tyros, die in der Kirchengeschichte zitiert wird, wird in langen Passagen sogar auf die Erwähnung der Herrscher als der für die Wende Verantwortlichen ganz verzichtet, sondern allein Gott als Akteur erwähnt. Teilweise wird dabei das Wirken dieses siegreichen Gottes in Wendungen beschrieben, die geradezu als Gegenprogramm zu der kaiserlichen Rede vom Sieg und der ständigen Erneuerung der Herrschaft erscheinen: Denn welcher Kaiser hat je solche Berühmtheit erlangt, daß Ohr und Zunge aller Menschen auf Erden voll sind von seinem Namen? Und welcher Kaiser hat so fromme und weise Gesetze aufgestellt und Macht genug besessen, sie allen Menschen von den Enden der Erde bis zu den Grenzen der ganzen Welt zur Kenntnis und Anerkennung zu bringen? Welcher Kaiser ist so stark und befehligt nach dem Tode noch ein Heer und errichtet Siegeszeichen wider die Feinde und füllt bei Griechen und Barbaren jeden Ort, Dorf wie Stadt, mit den Weihegaben seiner kai-

28 Eger (1959). 29 Euseb. h. e. 9,11,8 (Zitate aus der Übersetzung von Ph. Häuser und H.-A. Gärtner). Vgl. auch die Predigt von Tyros: Euseb. h. e. 10,4,60 (modifizierte Übersetzung von Ph. Häuser und H.-A. Gärtner). „Zuerst erkor es [das Wort, der Logos] sich die Seelen der obersten Machthaber und reinigte mit Hilfe dieser gottgeliebten Männer den ganzen Erdkreis von allen gottlosen und verderblichen Menschen und von den grausamen und gottverhassten Tyrannen selbst. Sodann führte es die ihm wohlbekannten Männer [...] ans Licht und ehrte sie in gebührender Weise mit den herrlichen Gaben des Vaters.“

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serlichen Paläste und göttlichen Tempel an, wie wir es in den kostbaren Schätzen und Gaben dieses Heiligtums sehen?30

Unter der Alleinherrschaft Konstantins kam natürlich eine solche Gegenüberstellung zwischen dem Ruhm Gottes und dem kaiserlichen Ruhm nicht mehr in Frage. Pikanterweise hat fast ein Vierteljahrhundert später Eusebios teilweise die Wirkungen des Regiments Konstantins genau in diesen von ihm in der Predigt für Tyros zunächst für den Kaiser als unzutreffend beschriebenen Kategorien geschildert, indem er den unermesslichen Ruhm, die weisen Gesetze, sogar die posthume Wirksamkeit Konstantins beschrieben hat.31 Dadurch, dass der gelehrte Bischof von Kaisareia in der Zwischenzeit die erfolgreiche Alleinherrschaft Konstantins erlebt hatte, war er nämlich bereit, die besondere Bedeutung des Kaisers so zu beschreiben, dass er deutlicher die Elemente herausarbeitete, in denen das Wirken des Kaisers als Universalherrscher und als Abbild des Christus betont wurde. Gleichwohl: Trotz aller Angleichung an den Logos und bei aller Betonung der Besonderheit des konstantinischen Wirkens blieb aber bei Eusebios auch in der Vita Constantini immer deutlich, dass Konstantin keine Zwischenstellung zwischen Diesseits und Jenseits einnahm, so dass hier immer eine Restdistanz zur Kaiserideologie wirksam blieb.32 Dass in der Kaiserideologie umgekehrt sich aufgrund der Annahme des Christentums ebenfalls eine solche neue Bescheidenheit etabliert hätte, mag die von Eusebios gegebene Interpretation suggerieren, ist aber mit Sicherheit ein Missverständnis. Nach Eusebios ist die Rolle Konstantins nur ein Abbild der Rolle des zwischen Diesseits und Jenseits vermittelnden Logos, nach der kaiserlichen Ideologie ist dagegen der Kaiser weiterhin ein halbgöttliches, zwischen Diesseits und Jenseits vermittelndes Wesen. Aus allen Selbstzeugnissen Konstantins spricht die durch den Sieg und die Erringung der Alleinherrschaft zementierte, letztlich aber in einer besonderen Form vulgarisierter neuplatonischer Philosophie bereits angelegte Selbstgewissheit, dass der Kaiser als halbgöttlicher Politikos und Mittler zwischen dem Jenseits und dem Diesseits für stabile, für dauerhafte Verhältnisse des Glücks zu sorgen hat.33 Dies geschieht nicht zuletzt durch die pietas, indem er die Gesamtheit seiner Untertanen zur richtigen Gottesverehrung führt. In diesem Sinne sind die Äußerungen Konstantins, in denen er sich scheinbar demütig als Therapon oder Syntherapon bezeichnet, zu relativieren.34 Nach dem Tode Konstantins schrumpfte die Größe des Kaisers. Für die Söhne war er Vorbild, aber ihre Kaiserrolle war nicht mehr von ihrem Vater abgeleitet. 30 31 32

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Euseb. h. e. 10,4,17–18 (modifizierte Übersetzung von Ph. Häuser und H.-A. Gärtner). Ruhm: Euseb. Vit. Const. 1,1–3; Gesetze: 2,43 und 45; posthume Wirksamkeit: 4,67. Dies ist in der modernen Diskussion um die ‚politische Theologie‘ bisweilen aus dem Blickfeld geraten, vgl. dazu Bleckmann (2007), 96–106. Auch eine heilsgeschichtliche Begründung des Kaisertums als einer von Gott eingesetzten Institution findet sich bei Eusebios nicht. Eusebios ist nicht der Begründer einer Ideologie des byzantinischen Caesaropapismus. Im Sinne der neuplatonischen politischen Theorie stellte sich Konstantin als Philosophenkönig dar. Der Neuplatonismus predigte keineswegs politische Abstinenz. Vielmehr gibt der Politikos sich nicht mit Theoria zufrieden, sondern gibt im Sinne höherer Philanthropie den Überschuss an Gutem weiter (Phot. Bibl. cod. 251, 464 b 9). Vgl. O’Meara (2005). Bleckmann (2007), 99, Anm. 459.

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Vielmehr übte sich gerade Constantius II., insbesondere nachdem er in den Besitz der Alleinherrschaft gelangt war, durchaus im Gestus der superatio, und wer sich den neuen Kaiser geneigt machen wollte, betonte sogar deutlich, dass Constantius größere Höhen erreicht habe als sein Vater.35 Die diversen theologischen Begründungen, die in unterschiedlichen Nuancen Eusebios und Konstantin selbst von der Bedeutung der Zeitenwende gegeben haben, galten spätestens in der Alleinherrschaft des Constantius II. nicht mehr. Hervorgehoben wurden im Rückblick auf die Regierungszeit Konstantins vielmehr einzelne Reformmaßnahmen. Einen Zeugen dieser die Größe Konstantins bereits relativierenden Epoche hat man in dem schon zitierten Aurelius Victor, der das Gros seines Geschichtswerks in der Regierungszeit des Constantius II. verfasste und insbesondere durch kritische Bemerkungen zu den Freunden Konstantins den Glanz der Regierungszeit dieses Kaisers nuancierte.36 Unter der von Valentinian I. begründeten Nachfolgedynastie, die nur durch wenige Heiratsverbindungen mit dem Vorgängerhaus verbunden war,37 setzte sich die Relativierung der historischen Bedeutung Konstantins fort. Bei Eutropius, der im Dienste des Valens schrieb, ist Konstantin nur ein Glied in einer Serie von Kaisern. Er ist zwar für die Anfänge seiner Regierungszeit mit den besten, für die Zeit aber, in die die eigentlichen Reformmaßnahmen seiner Herrschaft fallen, dagegen nur noch mit den mittelmäßigen Kaisern vergleichbar.38 Seine Gesetzgebungstätigkeit ist eher überflüssig: Multasque leges rogavit, quasdam ex bono et aequo plerasque superfluas, nonnullas severas. Festgehalten wird – weil für Valens natürlich relevant – die Gründung von Konstantinopel während seiner Regierung.39 Die Epoche der valentinianischen Dynastie ist aber gleichzeitig die Epoche, in der das Scheitern Julians verarbeitet werden musste und in der im Zusammenhang mit dieser Krise auch die Akzente, die Julian bei der Bewertung seines Onkels gesetzt hatte, für die Geschichtsdeutung wirksam blieben. Julian hatte, die panegyrischen Berichte über die Reform und die Erneuerung des römischen Staates durch Konstantin in ihr Gegenteil kehrend, aus Konstantin einen systematischen Vernichter und Zerstörer des römischen Staates gemacht, einen negativ agierenden Reformator. Diese Perspektive ist in der theodosianischen Zeit, in der die Irreversibilität der Maßnahmen Konstantins immer deutlicher wurde, bei Eunapios und bei Zosimos, der aus Eunapios geschöpft hat, beibehalten worden, und Ammian musste 35 36 37

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Vgl. zu den Zeugnissen Kyrills, des Themistios oder Julians Bleckmann (1999), 62 f. Anders Piétri (1989), 113. Aur. Vict. 41,20: cunctaque divino ritui paria viderentur, ni parum dignis ad publica aditum concessisset. Justina, die Tochter des Iustus, war zweite Frau Valentinians. Iustus wiederum hatte Verbindungen mit dem konstantinischen Kaiserhaus, deren Deutung allerdings komplex sind, vgl. dazu Chausson (2007), 97–187. Die Tochter des Constantius war mit Gratian verheiratet: Amm. 21,15,6. Eutr. 10,7,1: vir primo imperii tempore optimis principibus, ultimo mediis comparandus. Vgl. Eutr. 10,6,3: Verum insolentia rerum secundarum aliquantum Constantinus ex illa lavorabili animi docilitate mutavit. Zur distanzierenden Darstellung Konstantins durch Eutrop vgl. Neri (1992), 65–137. Zur Relativierung der Bedeutung Konstantins in den 80er Jahren s. Johannes Chrysostomus, Homiliae de statuis 21,11 (PG 49,216) mit van Dam (2011), 33 f.

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schon wegen seiner Verehrung Julians dem ersten christlichen Kaiser gegenüber ebenfalls kritisch eingestellt sein. Für das Konzept einer negativen Deutung des konstantinischen Zeitalters, die bis in die Aufklärung nachgewirkt hat, lassen sich also zwei Wurzeln ausmachen: die unmittelbar zeitgenössische Würdigung des reformerischen Impetus, die dann durch Julian ins Negative gekehrt wird, und die Tatsache, dass in der theodosianischen Epoche so etwas wie der Eindruck einer Unumkehrbarkeit der Entscheidungen Konstantins entstand. Parallel zum sich in der theodosianischen Epoche rundenden heidnischen Geschichtsbild entwickelte sich bei den christlichen Autoren der theodosianischen Zeit dann das Konzept der ‚konstantinischen Wende‘ im positiven Sinne, allerdings keineswegs in geradliniger Form. Die Bedeutung des Kaisers für das Ende der Christenverfolgung und als erster christlicher Kaiser ist etwa bei Hieronymus noch deutlich relativiert, der insbesondere die Förderung der subordinationistischen Theologie durch den Kaiser und seine Taufe durch Eusebios von Nikomedeia im Blick behielt.40 Eine Wende bedeutet dessen Regierung nach Hieronymus eher deshalb, weil mit ihr die innerkirchlichen, bis zu den Zeiten des Hieronymus selbst andauernden Streitigkeiten beginnen. Augustinus hat dagegen vor allem den äußeren Erfolg, die in den profangeschichtlichen Quellen hervorgehobene felicitas des Kaisers im Blick, die er als Geschenk Gottes für das christliche Bekenntnis des Kaisers zwar hervorhebt, aber nur in Verbindung mit der Gründung Konstantinopels als angeblich rein christlicher Metropole mit einer länger anhaltenden historischen Wirkung verbindet.41 Eine deutliche Akzentverschiebung erkennt man dagegen beim AugustinusSchüler Orosius, der nicht nur in Konstantin den ersten christlichen Kaiser sieht, sondern betont, dass ab Konstantin mit Ausnahme Julians alle Kaiser christlich geblieben sind.42 Eine ähnliche Wertung der mit Konstantin verbundenen historischen Zäsur findet sich bei Polemius Silvius. Gleichwohl ist selbst bei Orosius das Urteil über den ersten christlichen Kaiser durchaus nuanciert. Die Beteiligung Konstantins am Konzil von Nicaea ist nicht erwähnt, er ist zwar der erste römische Kaiser christlichen Bekenntnisses, aber von einer Veränderung seiner Umwelt ist nichts zu lesen. Eine entscheidende Bedeutung bei der Gestaltung des Konzepts einer wirklichen Wende scheint vor allem das verlorengegangene Werk des Gelasios von Kaisareia gehabt zu haben, der das Eusebios-Material umformte und die Schlacht an der Milvischen Brücke zur heilsgeschichtlichen Zäsur machte und dessen Erzählung in die Darstellung des Rufinus von Aquileia eingegangen ist.43 In den späteren Jahren des Theodosius II., der das theologische Engagement des römischen Kaisertums zu einem bisher noch nicht erreichten Grad vorangetrieben hatte, 40

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Hier. Chron. a. 337 p. 234 Helm: Constantinus extremo vitae suae tempore ab Eusebio Nico­ mediensi episcopo baptizatus in Arrianum dogma declinat. A quo usque in praesens tempus ecclesia rum rapinae et totius orbis est secuta discordia. Vgl. dazu Grünewald (1992), 470 und passim. Über Isidor von Sevilla bleibt die Kenntnis von der Taufe durch einen Häretiker bis in die Karolingerzeit erhalten und führt zu Äußerungen kritischer Distanz. Augustinus, civ. dei 5,25. Orosius 7,28,2. Vgl. zur Erzählung des Rufinus, in der der Bericht des Eusebius über die konstantinische Vi-

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wurde dann das Bild des Kaisers, der nicht nur sich selbst bekehrt, sondern den ganzen römischen Staat christianisiert, in Details gestaltet.44 Dieses Bild ist in den großen Kirchengeschichten der 30er und 40er Jahre des fünften Jahrhunderts zu greifen, für die die Regierung Konstantins der bedeutende Auftakt ihrer Darstellung ist.45 Die Darstellung des ersten christlichen Kaisers durch Eusebios wurde zwar in dieser Zeit rezipiert, dessen eschatologische und apologetische Perspektiven aber völlig verändert: Konstantin war nun nicht mehr das Instrument göttlichen Heilsgeschehens zur Beendigung der Verfolgung und er war auch kein halbgöttliches Wesen mehr, dessen Rolle mühsam christianisiert werden musste. Vielmehr wurde das Kaiserbild der eigenen Zeit in das vierte Jahrhundert rückprojiziert und Konstantin erschien als ein idealisierter Vorgänger Theodosius’ II., als ein christlicher Idealherrscher, als Architekt des neuen christlich-byzantinischen Staats und als Initiator rechtgläubiger und kanonischer Konzilien. Das gleiche Bild findet sich im Codex Theodosianus, in dem die kaiserliche Gesetzgebung ab dem Jahre 312 gesammelt ist und in dem damit Konstantin als Schöpfer des neuen christlichen Staates gilt.46 LITERATUR Barnes, T. D., Constantine. Dynasty, Religion and Power in the Later Roman Empire, Oxford 2011. Bardill, J., Constantine. Divine Emperor of the Christian Golden Age, Cambridge 2012. Bleckmann, B., Die Schlacht von Mursa und die zeitgenössische Deutung eines spätantiken Bürgerkriegs, in: H. Brandt (Hg.), Gedeutete Realität. Krisen, Wirklichkeiten, Interpretationen (3.–6. Jh. n. Chr.), Stuttgart 1999, 47–101. Bleckmann, B., Konstantin in der Kirchengeschichte Philostorgs, Millennium 1, 2004, 185–231. Bleckmann, B., Einleitung. Eusebius von Caesarea. De Vita Constantini. Über das Leben Konstantins, eingeleitet von Bruno Bleckmann, übersetzt und kommentiert von Horst Schneider, Turnhout 2007. Bühl, G., Constantinopolis und Roma. Stadtpersonifikationen der Spätantike, Zürich 1995. Chausson, F., Stemmata Aurea. Revendications généalogiques et idéologie impériale au IVe siècle ap. J.-C., Rom 2007. Ehling, K., Das Christogramm als magisches Siegeszeichen. Zum konstantinischen Silbermedaillon des Jahres 315, in: Ehling, K. – Weber, G. (Hgg.), Konstantin der Große. Zwischen Sol und Christus, Mainz 2011, 27–32. Ehrhardt, A. T., Politische Metaphysik von Solon bis Augustin. Band 2, Tübingen 1959. Eger, H., Kaiser und Kirche in der Geschichtstheologie Eusebs von Caesarea, ZNW 38, 1959, 91– 115. Freund, S., Laktanz. Divinae institutiones. Buch 7: De vita beata. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar, Berlin u. a. 2009.

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sion ausgebaut und variiert wird, van Dam (2011), 45–47. Genauerer Aufschluss zur quaestio vexata des Verhältnisses zwischen Gelasios und Rufinus ist durch ein von Martin Wallraff geleitetes Forschungsprojekt an der Universität Basel zu erwarten. S. noch Gregor der Große ep. 22,66. Winkelmann (1964); Mazza (1993); Leppin (1996), 40–59; Bleckmann (2004). Vgl. Millar (2006), 1. S. Cod. Theod., Gesta Senatus Romani de Theodosiano Publicando, 4; Cod. Theod. 1,1,5; 1,1,6.

Die konstantinische Wende

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Girardet, K. M., Renovatio imperii aus dem Geiste des Christentums (2000), in: Girardet, K. M., Kaisertum, Religionspolitik und das Recht von Staat und Kirche in der Spätantike, Bonn 2009, 251–267. Girardet, K. M., Der Kaiser und sein Gott. Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Großen, Berlin u. a. 2010. Grünewald, T., „Constantinus Novus“. Zum Constantin-Bild des Mittelalters, in: Bonamente, G. – Fusco, F. (Hgg.), Costantino il Grande dall’Antichità all’Umanesimo. Band 1, Macerata 1992, 461–485. Leppin, H., Von Constantin dem Großen zu Theodosius II. Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Socrates, Sozomenus und Theodoret, Göttingen 1996. Mazza, M., Costantino nella storiografia ecclesiastica (dopo Eusebio), in: Bonamente, G. – Fusco, F. (Hgg.), Costantino il Grande dall’Antichità all’Umanesimo, Band 2, Macerata, 1993, 659–692. O’Meara, D., Platonopolis. Platonic Philosophy in Late Antiquity, Oxford 2005. Millar, F., A Greek Roman Empire. Power and Belief under Theodosius II 408–450, Berkeley u. a. 2006. Neri, V., Medius princeps. Storia e immagine di Costantino nella storiografia latina pagana, Bologna 1992, 65–137. Piétri, C., La politique de Constance II. Un premier ‚Césaropapisme‘ ou l’Imitatio Constantini, in: Dihle, A. (Hg.), L’Eglise et l’Empire au IVe siècle, Vandoeuvres 1989, 113–178. Porena, P., Le origini della prefettura del pretorio tardo antica, Rom 2003. van Dam, R., Remembering Constantine at the Milvian Bridge, Cambridge u. a. 2011. Wienand, J., Der Kaiser als Sieger. Metamorphosen triumphaler Herrschaft unter Constantin I., Berlin 2012. Wienand, J., Die Poesie des Bürgerkriegs. Das constantinische aureum saeculum in den carmina Optatians, in: Bonamente, G. – Lenski, N., Lizzi Testa, R. (Hgg.), Costantino prima e dopo Costantino, Bari 2012, 419–444 = Wienand 2012 a. Wienand, J., The Making of an Imperial Dynasty. Optatian’s carmina figurata and the Development of the Constantinian domus divina (317–326 AD), Giornale italiano di filologia 3, 2012, 225–265 = Wienand 2012 b. Winkelmann, F., Die Beurteilung des Eusebius von Cäsarea und seiner Vita Constantini im griechischen Osten, in: J. Irmscher, Byzantinische Beiträge, Berlin 1964, 91–119. Ziemßen, H. – Leppin, H., Maxentius. Der letzte Kaiser in Rom, Mainz 2007.

DER UNTERGANG DES IMPERIUM ROMANUM IN DER ANTIKEN LITERATUR Armin Eich Rom ist nicht an einem Tag untergegangen, weder am 4. September 476 n. Chr. noch an einem anderen bestimmten Stichtag. Doch vielleicht kann man den von Georg Büchner verwendeten Begriff des historischen „Interpunktionszeichens“ wieder aufgreifen,1 wenn von den Ereignissen, die den Untergang des Reiches skandierten, die Rede ist. Solche Interpunktionszeichen kannte die römische Geschichte allerdings viele: 410, 455 und 472 n. Chr. könnten genannt werden, doch bereits das dritte Jahrhundert, in dem zwischen 238 und 285 n. Chr. im Durchschnitt etwa alle anderthalb Jahre ein Kaiser gewaltsam zu Tode kam, war überreich an Zäsuren, die das Ende vorausahnen ließen. Wenn man auf der anderen Seite der Zeitskala so weit ausgreifen will, könnte man die Hinrichtung des „letzten Augustus des Westens“ Mezezius im Jahr 668 n. Chr. nennen.2 Dieser Herrscher demonstrierte bis hin zur Münzprägung noch ein lebendiges Wissen über die Paraphernalien der spätantiken Kaisermacht, so dass seine Entmachtung in der Tat eine markante Zäsur in der Geschichte der Roma aeterna darstellt. Der Machtverfall der zentralen politischen Institutionen, der sich in den genannten Daten spiegelt, ist dabei offenkundig nur ein Aspekt des politisch-militärischen Niedergangs, wenn auch kein unwichtiger. Die (zuweilen retardierte) Abwärtsbewegung wurde von logistischen, fiskalischen und militärischen Faktoren angetrieben. Dieses Ursachengefüge im einzelnen zu beschreiben, ist hier nicht der Ort, darum möge die einfache Formel genügen: Die Kette militärischer Niederlagen, der andauernde Zwang zu massiven Truppenverlegungen, zu Kontributionszahlungen und zur Aufrüstung der militärischen Logistik trieb die kaiserliche Regierung in den Ruin und hatte verheerende Folgen für weite Teile der Bevölkerung. Dies sei hier nur an einigen langfristigen Trends demonstriert: Schon im Laufe des dritten Jahrhunderts wurde der Silbergehalt des gewöhnlichen Kurantgeldes und das Münzgewicht auf ein Minimum reduziert, ein Ausdruck der dramatischen Verarmung der aufeinander folgenden Zentralregierungen.3 Die Verschlechterung des Geldes hatte einen in Schüben verlaufenden Preisauftrieb zur 1

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Dantons Tod (Werke und Briefe, hg. von F. J. Görtz, Zürich 1988, 73; St. Just spricht): „Jedes Glied dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen getötet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine Interpunktionszeichen. Er hatte vier Jahre Zeit, um in der Körperwelt durchgeführt zu werden, und unter gewöhnlichen Umständen hätte er ein Jahrhundert dazu gebraucht und wäre mit Generationen interpunktiert worden.“ Börm (2008). Die Basisdaten bei Walker (1978); Callu (1969); zur späteren Entwicklung vgl. bspw. Carrié (1978).

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Folge (der erste schwere Schub erfolgte unter Commodus, unter dem „die Märkte“ auf die verheerende Fiskalpolitik Mark Aurels reagierten).4 Im Laufe des vierten Jahrhunderts führten diese Schübe zu einer Hyperinflation, die an die katastrophalen, aber in der Regel viel kurzlebigeren Inflationen der Moderne erinnert.5 Als stabil erwiesen sich im vierten und teilweise noch im fünften Jahrhundert allerdings die Goldzufuhr6 und der Goldreichtum der Eliten. Diese elitenorientierte Geldpolitik der spätantiken Kaiser hatte auch für die Literaturgeschichte, wie noch zu sehen sein wird, erhebliche Konsequenzen. Aufs Ganze gesehen ging mit der schwindenden Kaufkraft des Geldes auch ein Rückgang der überregionalen Handelstätigkeit einher, die im 6. Jh. n. Chr. etwa wieder das Volumen des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts erreicht haben dürfte.7 Welche schwerwiegenden Folgen diese Regression für große Teile der Reichsbevölkerung im Hinblick auf die Ernährungslage hatte, zeigen Untersuchungen an menschlichen Skeletten, aus denen hervorgeht, dass die durchschnittliche Körpergröße der Provinzialbevölkerung, bedingt durch Fehlernährung, seit dem dritten Jahrhundert progredierend zurückging.8 Die Untersuchung menschlicher Skelette liefert übrigens noch ein weiteres, nach dem Gesagten wenig überraschendes Ergebnis: die an erhaltenen Skeletten nachweisbaren Verletzungen nehmen in der Spätantike und im frühen Mittelalter zu.9 Die kurze Liste könnte fast beliebig verlängert werden. Dennoch dürfte eine bloße Auflistung immer nur einen schattenhaften Eindruck der Leidensrealität derjenigen geben, die das Ende des Imperiums durchleben mussten.10 Zwar waren nicht alle gleichermaßen von den Folgen dieser Entwicklungen betroffen. Einige, vor allem Angehörige der politisch-militärischen Elite, wurden unvorstellbar reich, reicher als die augusteischen Aristokraten je gewesen waren. Doch niemandem dürften die Folgen des politisch-militärischen Niedergangs entgangen sein. Die umrisshafte Aufzählung diente nur dazu, noch einmal vor Augen zu führen, dass 4 5 6

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Vgl. Rathbone (1996). Zur Finanzpolitik Mark Aurels und ihren Folgen vgl. etwa Bost (2000); Kirbihler (2006). Jones (1974). Die Quellen für die Goldzufuhr der „konstantinidischen“ Epoche konnten nach meinem Kenntnisstand durch metallurgische Untersuchungen noch nicht erschlossen werden (das Gold stammte offenkundig aber nicht aus massiver Einschmelzung vorhandener Goldvorräte, sondern wurde zusätzlich in den Kreislauf eingespeist). Während die Goldprägungen des vierten Jahrhunderts eine hohe Qualität hatten, wurde das für das alltägliche Marktgeschehen bestimmte Transaktionsgeld weiterhin und zunehmend in schlechten Legierungen emittiert. Vgl. Callu – Barandon (1986), Callu (1989). Vgl. etwa die Auswertung des archäologischen Materials bei de Callataÿ (2005); Duncan-Jones (2004); Gibbins (2001). Weitere Indikatoren (etwa die diachrone Auswertung der Funddichte von Nutztierknochen) weisen in dieselbe Richtung wie die Ergebnisse der Analyse menschlicher Skelette. Abweichungen von dem nach unten weisenden Gesamttrend zeigt das Italien des vierten Jh. n. Chr. Material bspw. bei Jongman (2007), 187–199. Vgl. etwa die Graphen bei Peter-Röcher (2007), 164, 170, 174. Zu dem Aspekt der Leidensrealität vgl. etwa das Eingangskapitel von Ward-Perkins (2007), 21–39 („Der Schrecken des Krieges“).

Der Untergang des Imperium Romanum in der antiken Literatur

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der schubweise erfolgende Zusammenbruch des Imperiums zahlreiche Facetten hatte und tief in die Lebenswirklichkeit der Bewohner des Reiches einwirkte.11 In der vorliegenden Studie geht es um die Frage, wie der skizzierte, konkrete historische Prozess des Untergangs sich in der zeitgenössischen spätantiken Literatur spiegelte. Diese Frage hat viele Facetten, denen gleichmäßig gerecht zu werden wohl den Raum mehrerer Bände beanspruchen würde. Daher sei die hier selbst auferlegte Beschränkung betont: Es geht in diesen Zeilen nur um den konkreten, ‚materialistisch‘ fassbaren Aspekt des Untergangs, die Kette militärischer Niederlagen, den staatlichen Ruin, Vertreibungen, Hunger, Unterwerfungen unter neue Machthaber etc. Wie stellten sich die Eliten, aus deren Reihen bei weitem die meisten antiken Autoren hervorgingen, zu diesen Phänomenen und damit dem Untergang ‚ihres Staates‘, dessen imperiale raison d’être sie über Jahrhunderte meist emphatisch bejaht hatten? Wie viel Realität waren sie bereit in ihren Werken zuzulassen und nach welchen formalen Prinzipien gestalteten sie diese Realität in ihren Werken? In den engen Grenzen dieser Doppelfrage möchte ich mich der Problematik nähern, wie der Untergang des römischen Imperiums in der antiken Literatur behandelt wurde. 1 VERDRÄNGUNG DER WIRKLICHKEIT: DIE OSTENTATIVE ‚UNBEKÜMMERTHEIT‘ DER ELITEN Zunächst sei, gewissermaßen als negativer Befund, eine Beobachtung vorangestellt, die Samuel Dill12 bereits 1898 in seinem Buch über die römische Gesellschaft im letzten Jahrhundert des weströmischen Reiches gemacht hat: Es gibt ein recht vielfältiges Spektrum aristokratischer Literatur, in der der politisch-militärische Niedergang entweder gar nicht zur Kenntnis genommen wird oder als ein eher unterhaltsames Phänomen marginalisiert wird. Dill benutzt das französische Wort insouciance (Unbekümmertheit), um die zugrundeliegende Geisteshaltung zu beschreiben. Sie lässt sich vor Augen führen, wenn man das detaillierte Inhaltsverzeichnis betrachtet, das Samuel Dill zu seinen ausführlichen Paraphrasen wichtiger Modeautoren wie Macrobius,13 Quintus Aurelius Symmachus, Ausonius oder Sidonius Apollinaris erstellt hat. Als beliebig herausgegriffenes Beispiel kann das Themenverzeichnis zur 11

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Ausgangsmoment für alle genannten konkreten Erscheinungsformen des Niedergangs ist, um einen Ausdruck Herbert Heftners zu gebrauchen, der Zusammenbruch des ‚institutionellen Dachs‘, das das Imperium zusammenhielt. Vgl. Heftner (22005), 426. „Die römische Reichsmacht bildete das institutionelle Dach, unter dessen Schirm die Völker der Mittelmeerwelt, späterhin auch Westeuropas, zu einer neuartigen, aus der Mischung griechischer und römischer Kulturelemente geprägten Einheit zusammenschmolzen, deren kulturelles Erbe bis zum heutigen Tag in der abendländischen Welt lebendig geblieben ist.“ Der spätantike Zusammenbruch steht also historisch präzise antipodisch zu der Errichtung des römischen ‚institutionellen Dachs‘ in den letzten drei vorchristlichen Jahrhunderten, der Phase der gewaltsamen Unterwerfung der Mittelmeerwelt. Dill (1898). Zur Aura des macrobischen Literaturkreises vgl. jetzt das Kapitel „Macrobius and the ‚Pagan‘ Culture of his Age“ (231–272) in Alan Camerons großer Monographie über die letzten Heiden Roms (2011).

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Darstellung der ausonischen Werke dienen: Bericht über seine (des Autors) Jugend, diverse Versuchungen, sein Geschmack an Sport, Heirat, management der Güter seiner Frau, seine Liebe zum Luxus und verfeinerter Genüsse.14 Oder um ein anderes Beispiel zu geben: Von der Korrespondenz15 des Senators Quintus Aurelius Symmachus sind aus dem Zeitraum von 364 bis 402 n. Chr., also aus der Zeit bis kurz vor den Katastrophen von 406–411 n. Chr., etwas über 900 Briefe erhalten, in denen nahezu ausschließlich (mit den Worten von John Matthews) the „mere perfomance of amicitia“, also aristokratische Beziehungspflege, dokumentiert ist.16 Ansonsten kommen in diesen Briefen eine fastidiose Abneigung gegen Politik und ein dandyhafter Genuß des fabelhaften Überreichtums zum Ausdruck, den das spätantike Imperium einer kleinen Oberschicht gestattete.17 Die Dill’sche Einreihung des Sidonius Apollinaris unter die Autoren der insousi­ ance mag dagegen fragwürdig erscheinen, seitdem Jill Harries 1994 dem Bischof der Averner eine gelehrte Monographie mit dem programmatischen Titel Sidonius Apollinaris and the Fall of Rome, AD 407–485 gewidmet hat. Der Titel könnte jedenfalls den Eindruck erwecken, dass der gallische Aristokrat in seinem schriftstellerischen Lebenswerk über Jahrzehnte immer wieder über den Untergang des Imperiums reflektiert hätte. Aber die Äußerungen über das Ende des Westreiches sind in seinem den bonae litterae geweihten Œuvre18 insgesamt doch eher dünn gesät. Die wichtigsten sind folgende: Von einer Gesandtschaft, die ihn 467 nach Rom geführt hatte, um dort Hilfe für sein zwischen die visigotische und burgundische Front geratenes Bistum zu erbitten, nahm Sidonius den Eindruck mit, dass auf Seiten des römischen Staates keine Machtmittel, keine Soldaten und soweit man höre, keinerlei Geldmittel des Anthemius mehr existierten (… si nullae a republica vires, nulla praesidia, si nullae, quantum rumor est, Anthemii principis opes).19 Diese Erkenntnis20 löste bei Sidonius wohl schon eine gewisse politische Umorientierung 14 15

Dill (1898), XX. Generell ist der Brief die adäquate Ausdrucksform für die literarisch manifestierte Beziehungspflege der Aristokratie. Die Diffusion von Stil- und Ausdruckselementen (hoher Stil, Demonstrationen von Taktgefühl und Anteilnahme, Nachweis der Beherrschung komplexer Kulturtechniken) in andere Genera wie die Poesie gelingt bei diesen spezifischen Sujets jedoch fraglos besonders leicht. 16 Matthews (1975), 7. 17 Vor diesem Hintergrund klingt die bekannte Anekdote Ammians (14,6,19) durchaus glaubhaft, dass während der Hungersnot von 353 n. Chr. zwar alle Fremden (wahrscheinlich einschließlich Ammianus Marcellinus selbst) aus Rom ausgewiesen wurde, für 3000 Tanzgirls und deren 3000 Ausbilder aber eine Ausnahme gemacht wurde, weil die stadtrömische Aristokratie auf die selbstverständlichen Annehmlichkeiten des Lebens nur wegen einer Hungersnot nicht verzichten wollte. Vgl. Matthews (1975), 1–12 für zahlreiche Belege zum luxuriösen Lebensstil der italischen Elite und ihre Fixierung auf Fragen des standesgemäßen Lebens. 18 Dieser Aspekt steht zu Recht ganz im Mittelpunkt von André Loyens klassischer Darstellung mit dem sprechenden Titel: Sidoine Apollinaire et l’esprit précieux en Gaule aux derniers jours de l‘empire (1943). 19 Epist. 2,1,4 (469 n. Chr.). 20 Die sich in der Folge bestätigte: 471 n. Chr. schickte der Kaiser ein kleines Hilfskontingent gegen die Westgoten nach Gallien, das jedoch bereits bei Arles von den Truppen Eurichs zusammengehauen wurde. 472 wurde Rom einmal mehr eingenommen (durch die Truppen des

Der Untergang des Imperium Romanum in der antiken Literatur

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aus:21 Bereits 474 betrachtete er es als Verrat, loyal gegenüber dem princeps des Rumpfimperiums zu sein.22 Nach einer kurzen Kriegsgefangenschaft finden wir Sidonius als kooperativen Untertanen Eurichs wieder. Im Epistolarium des Bischofs lässt sich zu dieser Zeit bereits die Tröstungsideologie finden, dass die römische Armee wohl untergegangen sei, die lateinische Kultur aber fortbestehe (epist. 8,2,1: sub hac tempestate bellorum Latina tenuerunt ora portum, cum pertulerint arma naufragium). Gemessen an dem Gesamtumfang des sidonischen Briefcorpus handelt es sich bei den wenigen Reflexen auf das definitive Ende des Westreichs aber um nicht mehr als einige Marginalia. Wie bei allen anderen (erhaltenen) Autoren des lateinischen Westens war der epochale Einschnitt von 476 dem Bischof dem Averner keine Bemerkung mehr wert. Die in der Literatur zur Schau getragene Unbesorgtheit ist eine künstlerische Verarbeitung oder Widerspiegelung eines konsequent durchgehaltenen Habitus, den die politisch-militärischen Eliten angesichts der Dekomposition ihres Imperiums entwickelten. Dieser Habitus lässt sich in der Formel kondensieren, dass der Prozess der Auflösung so lange wie irgend möglich nicht zur Kenntnis genommen wurde. Anders gewendet: Die Führungsschicht konservierte ihr tradiertes imperiales Auftreten auch nach dem Umschlagen der Kräfteverhältnisse, als ob sich politisch nichts wesentlich geändert hätte. Zur Illustration sei an die Weigerung der weströmischen Eliten erinnert, selbst in einer ausweglosen Situation23 mit dem visigotischen König Alarich anders als unter dem unmittelbaren Eindruck von Waffengewalt zu verhandeln24 oder sich auch nur an geschlossene Vereinbarungen zu hal-

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Burgunders Gundobad, die den als Bettler verkleideten Kaiser in der Kirche St. Chrysogonos am 11. Juli erschlugen). Vgl. Harries (1994), 225. Epist. 5,6,2. Harries (1994), 231 f. diskutiert weitere in diesem Zusammenhang relevante Stellen. Am 31.12.406 hatte eine germanische Stammeskoalition den zugefrorenen Niederrhein überschritten, ohne noch auf nennenswerten Widerstand zu treffen. Der Arm des weströmischen Kaisers Honorius reichte nicht mehr so weit. Der in Gallien (Arles) residierende Usurpator Constantin III. hatte weder den Willen noch die Möglichkeit, sich den Invasoren entgegenzustellen. In Konstantinopel regierte seit 408 ein Kind. Auf dem Balkan kampierte die visigotisch dominierte Stammesallianz Alarichs. Der detailreichste antike Bericht über die Ereignisse von 406–410 n. Chr. war wohl der des Historikers Olympiodorus von Theben, dessen verlorener Text noch in der Kirchengeschichte des Sozomenos (h.e. 9,6–9) und dem „photianischen Philostorg“ durchscheint. Hinzu kommen Erwähnungen bei Zosimos und Prokopios von Caesarea. Die Versionen unterscheiden sich teilweise erheblich voneinander; vgl. Bleckmann (2007), Wirbelauer (2011). Quellenzusammenstellung bei Blockley (1983), Olympiodorus, Frg. 8–16, S. 159–177; Chaffin (1993) und Matthews (1970). Da es in unserer Perspektive nur um den Habitus der Personen geht, der in allen Darstellungen recht ähnlich ist, wird auf eine Rekapitulation der historischen Detailkritik verzichtet. Generell gewinnt der Leser aus den Schilderungen der Ereignisse den Eindruck, dass Alarich Rom eigentlich nicht einnehmen, sondern nur durch Erhöhung des militärischen Drucks bessere Siedlungskonditionen für seine Stammesallianz heraushandeln wollte. Aber nur unter dem unmittelbaren Eindruck von ‚barbarischer‘ Präsenz und Schwertern waren die Entscheidungsträger (Honorius und sein Hof, der Senat in Rom) zu irgendwelchen Konzessionen bereit. Fehlte der visuelle Eindruck, wurden die Verlautbarungen umgehend wieder hochfahrend imperial und Zusagen kommentarlos als nicht gegeben behandelt. Die Verhandlungen

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ten.25 Kaum weniger realitätsvergessen mutet dann jedoch die Regierungserklärung des von Alarich 409 n. Chr. ernannten Gegenkaisers Attalus Priscus an, der trotz völliger Ermangelung eigener Soldaten die Eroberung der östlichen Reichshälfte und Ägyptens ankündigte,26 ohne natürlich zur Tat schreiten zu können. Vielmehr sperrte der honoriustreue comes Africae, Heraclianus,27 Rom die Getreidelieferungen, was zu einer akuten Hungersnot führte. Alarich bot daraufhin an, einen kleinen gotischen Stoßtrupp nach Karthago zu senden, um die Wiederaufnahme der Lieferungen zu erzwingen. Der Senat von Rom verabschiedete als Reaktion eine feierliche Erklärung, dass Afrika keinen Barbaren anvertraut werden dürfe.28 Dieses Verhalten charakterisiert die ideologische Basisstimmung, in der die Literatur der insouciance entstand. 2 DIE REDUKTION DER KATASTROPHEN AUF CHRONIKEINTRÄGE Ein anderes Phänomen scheint mit den unter (1) genannten Erscheinungen indirekt verbunden zu sein. Es betrifft speziell die Historiographie, in der sich im vierten und fünften Jahrhundert mehrere Entwicklungsstränge deutlich voneinander schei-

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408 n. Chr. scheiterten angeblich noch daran, dass Honorius Alarich den Titel magister utrius­ que militum vorenthielt (den der ppo Iovius angeboten hatte; Sozom. 9,7,2; Zos. 5,48,4 ff.); der gesamte Hof des Honorius legte daraufhin einen kollektiven Eid ab, niemals Frieden mit Alarich zu schließen: Sozom. 9,7,4; Zos. 5,49,2). Alarich schraubte seine Forderungen anschließend deutlich herunter (kein Titel, angeblich Lieferung einer geringen Menge Getreides [Zos. 5,50,2] an seinen Verband und Anweisung von Siedlungsplätzen), doch seine Gesandtschaften fanden kein Gehör: Sozom. 9,7,5 f.; Zos. 5,50–6,1). Nachdem sich Alarich in den Besitz des römischen Hafens als Druckmittel gesetzt hatte, zeigte sich der Senat umgehend gegenüber den Wünschen Alarichs sehr entgegenkommend (Zos. 6,7,1). Als Alarich wenig später auch noch von einem (wohl in Ravenna instruierten) Überfallkommando aus dem Hinterhalt angegriffen wurde (Sozomenos 9,9,2–5; Philostorg 12,3–4 / Olympiodorus frg. 11,1 u. 2 [Blockley]) und endlich doch den Befehl zum Angriff auf das wehrlose Rom gab (410 n. Chr.), wirkte diese Geste fast schon resigniert. Berühmt ist der Zwischenruf, den Stilicho 408 n. Chr. aus dem Senat kassierte, als er auf eine Einhaltung der Abkommen mit der von Alarich geführten Stammesallianz drang: non est ista pax, sed pactio servitutis; vgl. Zosimos 5,29,2–9; zu dem Kontext Burns (1994), 214 f. Die Mehrheit der Senatoren dachte noch ganz wie Plinius im Jahr 100 n. Chr., der es mit der Würde des Imperium für unvereinbar erklärte, sich an einen inter pares geschlossenen Friedensvertrag einfach zu halten. Doch dies geschah 300 Jahre zuvor aus einer Position der Stärke; die Ermordung Stilichos und die anschließenden antigermanischen Pogrome hatten bekanntlich lediglich zur Folge, dass die römischen Verteidiger den Visigoten Alarichs 408 bis 410 buchstäblich nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Vgl. Plin., Pan. 11 f. mit dem Kommentar von Strobel (2010), 211, zur Stelle. Sozomenos, h.e. 9,8 = Olympiodorus, frg. 10 (Blockley II p. 163). Vgl. zur Attalusepisode auch Philostorgius 12,3 ( = Blockley II p. 167). Dieser Autor berichtet von einem Heerzug des Attalus vor die Tore Ravennas, wo er ultimativ den Rückzug des Honorius vom Kaiseramt gefordert haben soll. Wenn das so stimmt, ist klar, dass Attalus in diesem Kontext ausschließlich als Marionette Alarichs handelte. Übrigens auch in diesem Fall völlig erfolglos. Burns (1994), 230, 243 f. Vgl. zu den Quellen Matthews (1975), 299.

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den lassen.29 Demjenigen, der hier an den Anfang gestellt ist, gehörte fraglos die Zukunft: der Form der Chronik, in der äußerlich emotionslos auf den bloßen Nachrichtenkern reduzierte Fakten in chronologischer Folge, möglichst bis in die Gegenwart des Autors aufgelistet, reportiert werden. Als Beispiel kann der berühmte Eintrag des oströmischen Hofbeamten Marcellinus Comes über die Absetzung des weströmischen Kaisers Romulus Augustus dienen: Hesperium Romanae gentis imperium, quod septingentesimo nono urbis conditae anno primus Augustorum Octavianus Augustus tenere coepit, cum hoc Augustulo periit, anno decessorum regni imperatorum quingentesimo vigesimo secundo, Gothorum dehinc regibus Romam tenen­ tibus. Marc. Com. 476,230

Diese Zeilen sind um 519 n. Chr. in Konstantinopel geschrieben worden; sie gehören zu den frühesten expliziten Reflexen auf das epochale Ereignis von 476. Brian Croke, der Marcellinus eine ausführliche Monographie gewidmet hat, hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch vermittels solcher knappen Formulierungen bestimmte regierungsnahe Interpretationen transportiert wurden. Marcellinus ist jenem lateinisch-sprachigen Illyrermilieu31 in Konstantinopel zuzurechnen, dem auch Iustin und Iustinian angehörten, und denen eine Deutung, wie sie in dem Chronisteneintrag aufscheint, sehr entgegenkam: War hier doch deutlich ausgesprochen, dass Italien seit 476 n. Chr. fremdbestimmt und damit auch ein legitimes Eroberungsziel war. Dennoch sind die lapidaren Notizen der Chronographen keine maskierten historischen Reflexionen, sondern sind im Kern vielmehr Ausdruck der Verweigerung von Reflexion. Sicher haben sie auch einen relativ trivialen ‚Sitz im Leben‘, indem sie Hofangehörigen und anderen politisch Tätigen die schnelle Aneignung historischen Basiswissens ermöglichten, so dass sie gewissermaßen auf der Höhe der Zeit mitreden konnten (aus diesem Grund wurden die Chroniken von ihren Autoren regelmäßig bis in die Gegenwart herabgeführt). Aber neben diesem pragmatischen Aspekt gibt es auch einen psychologischen: Die Reduktion der Zeitgeschichte auf den dürren Chronikstil erleichterte es, nicht für möglich gehaltene Jahrtausendkatastrophen wie den Zerfall des römischen Reiches lapidar auszusprechen. Gleichzeitig sperrt sich ein solcher Typ der Geschichtsaneignung gegen eine reflektierende Zusammenführung politischer, fiskalischer, ökonomischer u. a. Fak-

29 Eine ausführliche Diskussion kann hier nicht erfolgen; vgl. zur Forschung etwa Cameron (2006), 16–19. 30 Ed. Th. Mommsen MGH AA XI Chronica minora II 60–108, p. 91 (476,2). Eine ähnliche Darstellungstypologie findet sich bspw. bei dem Anonymus Valesiani pars posterior 37: Augustulus, qui ante regnum Romulus a parentibus vocabatur, a patre Oreste patricio factus est Imperator. Superveniens autem Odoacar cum gente Scirorum occidit Orestem patricium in Placentia (…). Ingrediens autem Ravennam deposuit Augustulum de regno, cuius infantiam misertus concessit ei sanguinem. 31 Vgl. dazu ausführlich Croke (2001), 17–142.

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toren, wie sie eingangs angedeutet worden sind. Sie nimmt nur noch das Resultat im Stil einer Faktenaufnahme zur Kenntnis.32 Die der Chronik immanente Möglichkeit, ‚undenkbare‘ Katastrophen in einem teilnahmslosen Stil zu referieren, wurde auch in anderen Literaturgattungen aufgegriffen, die für diesen Stil weniger prädestiniert erscheinen. Als Beispiel aus der Hagiographie sei auf die vita Severini des Eugippius von Lucullanum verwiesen, in der der Untergang des weströmischen Reiches als historisches Ereignis rückschauend wahrgenommen wurde (511 n. Chr., also vor Marcellinus). Ähnlich wie etwa bei Sidonius Apollinaris wird dieses Ereignis aber weder reflektiert oder auch nur explizit benannt, sondern lediglich in seinen konkreten Folgen zur Kenntnis genommen und insofern registriert. Bei Eugippius handelt es sich gewissermaßen um einen Exkurs: Der Ausfall der bisherigen Zentralgewalt hatte zur Folge, dass die Soldzahlungen für die Garnison in Batavis und die übrigen Mannschaften der Provinz ausblieben, woraufhin die Soldaten eine Protestdelegation nach Italien sandten. Die Teilnehmer an dieser Gesandtschaft kamen ums Leben, Geldsendungen aus Italien haben die rätischen Vorposten nie mehr erreicht. In diesem Kontext erläutert Eugippius, es habe einmal eine Zeit gegeben, als noch regelmäßig Soldgelder zur Bezahlung der praesidia eintrafen, nämlich „als das Imperium Romanum (noch) existierte.“33 Die Tendenz, politische Katastrophen im nüchternen Chronikstil neutralisiert darzustellen, findet sich auch bei Historikern, die tief in der apokalyptischen Tradition verwurzelt sind und in dieser Haupttendenz zur emphatischen Dramaturgie neigen. Als Illustration kann Philostorgs Ekklesiastike Historia dienen,34 bspw. die Darstellung der Einnahme Roms durch Alarichs Goten.35 Die Erzählung von der 32

Antipodisch zu dieser residualen Historiographie des Untergangs steht die ökumenische Geschichte des Polybios, die den ‚Aufstieg‘ der Weltmacht in epischer Breite untersucht und darstellt. 33 Vgl. Thompson (1982), 117 f. Aus der im 20. Jahrhundert zeitweise dominanten Tendenz, statt vom Ende des Imperiums nur von seiner „Transformation“ sprechen zu wollen (vgl. jetzt wieder Pohl [2008]), muss die Diskussion über den als schwer verständlich empfundenen Sinn der eigentlich unmissverständlichen Feststellung des Eugippius Vit. Sev. 20,1 erklärt werden: Per idem tempus, quo Romanum constabat Imperium, multorum milites oppidorum pro cus­ todia limitis publicis stipendiis alebantur; qua consuetudine desinente simul militares turmae sunt deletae cum limite (…). Die Bibliographie zu dieser Diskussion findet sich bei Markus (1982). Um die Darstellung des Eugippius als geheimnisvoll verstehen zu können, musste sich zunächst die Auffassung zur Doktrin verfestigen, die Invasionen des fünften Jahrhunderts und die Absetzung des Romulus seien politisch bedeutungslos gewesen. Vor diesem Hintergrund erschien Eugipps nüchterne Registrierung des Faktums, dass das Imperium Romanum nicht mehr existiere, wohl tatsächlich rätselhaft. Über weitere Reflexe auf das Epochenjahr 476 in der nicht erhaltenen Literatur des Westens ist viel spekuliert worden, allerdings mit doch sehr unsicheren Ergebnissen; vgl. etwa Wes (1967); Zecchini (1993). 34 Vgl. zur Einordnung des Eunomianers in die apokalyptische Tradition Bleckmann (2008). 35 Bleckmann (2007). Eckhard Wirbelauer (2011) hat demgegenüber betont, dass die Überführung in den Chronikstil häufig späteren Exzerptoren geschuldet sein dürfte (Wirbelauer spricht etwa vom „photianischen Philostorg“, um deutlich zu machen, dass wir den „philostorgischen Philostorg“ nicht mehr lesen können). Für weitere Beispiele der Überführung ideologisch stark

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Katastrophe Roms 410 n. Chr. endet etwa mit der dürren Feststellung: „Als aber die Stadt in Trümmern lag, plünderte Alarich die Gebiete in Kampanien und verstarb dort durch Krankheit.“36 In den Worten Bruno Bleckmanns: Philostorg ordnet „die Einnahme Roms gewissermaßen in die Routine militärischer Handlungen der Völkerwanderungszeit ein.“37 Selbstverständlich ist dieser chronikhafte Stil bei Autoren wie Eugippius oder Philostorg bzw. den literarischen Genera, für die sie stehen (Hagiographie und Kirchengeschichtsschreibung), nicht die einzige expressive Strategie, um politische Katastrophen zu verarbeiten (siehe unten). Es handelt sich um stilistische Anleihen beim Genus der Chronik, die innerhalb dieser Werke eine Funktion einnehmen, die die Chronik insgesamt hat: Sie verarbeiten den Untergang, der als Eventualität im politischen Weltbild der sich als ‚sieghaft‘ verstehenden Reichseliten eigentlich nicht vorgesehen war, zu einer bloßen Nachricht unter vielen. 3 AUF EINZELBILDER FIXIERTES IN-SZENE-SETZEN DER EREIGNISSE Eine andere historiographische Tradition, die im vierten und fünften Jahrhundert eine Blüte erlebte, ist von einem ihrer führenden Erforscher, Peter Blockley, als „klassizistisch“ bezeichnet worden (classicising, eigentlich „die Klassiker imitierend“). An dieser Stelle interessiert besonders ein spezieller Aspekt dieser Richtung: die Tendenz zur einprägsamen Illustration, die vor allem darauf zielt, dem Leser emotional aufgeladene Bilder vor das innere Auge zu stellen.38 aufgeladener Texte in den nüchternen ‚Vermerkstil‘ der Chroniken vgl. zum Beispiel das Kapitel 6 in Croke (2001), 170–215 („Constructing the Chronicle“), bes. 197–200 (die Bearbeitung der Historia adversus paganos des Orosius durch Marcellinus). Auf der anderen Seite hat Bleckmann durchaus plausibel gemacht, dass wir für die Alarichepisode noch die Substanz der originär philostorgischen Darstellung erhalten haben. Wie man das quellenkritische Problem im Einzelfall auch entscheidet, die ideologische Verarbeitung der weltanschaulich aufgeregten Autoren zu nüchternen Chronisten ist jedenfalls Teil des oben skizzierten Phänomens. 36 Philostorg 12, p. 142,24 f. Bidez (Übersetzung Bleckmann [2007], 100). 37 Bleckmann (2007), 109. 38 Die These, dass diese Tendenz einen wesentlichen Charakterzug spätantiker Historiographie ausmacht, gilt seit Erich Auerbach (51971), 53–77, in den Literaturwissenschaften als kanonisiert. Auerbach hat seine Sicht vor allem an einer exemplarisch ausgewählten Szene aus den Res gestae des Ammianus Marcellinus zu demonstrieren gesucht, der Verhaftung des Petrus Valvomeres (15,7,4 f.), einer Episode, deren Kenntnis seit dem Erscheinen von Auerbachs Buch zum Basiswissen für Studenten der Vergleichenden Literaturwissenschaften gehört. Vgl. die von altertumskundlicher Seite vorgetragenen Differenzierungen der Auerbach’schen Thesen bspw. bei MacMullen (1964) und Barnes (1998), 11–19. Barnes betont vor allem die Unterschiede zur ‚Theatralik‘ des Tacitus, der ja eines der wichtigen Vorbilder Ammians war. Tacitus sei es auch um die folgerichtige Darstellung der charakterlichen Entwicklung seiner Figuren gegangen, während Ammian ganz auf die Wirkung der mehr oder weniger dekontextualisierten Einzelbilder konzentriert gewesen sei. Solchen Einschätzungen wohnt naturmäßig ein gewisses Maß an Subjektivität inne (wie schon das Spektrum der Meinungen zeigt, dass Barnes in dem angeführten Abschnitt dokumentiert).

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Zur Veranschaulichung sei auf eine Episode bei Priscus von Panium (410/20? – nach 470)39 verwiesen, dessen unter unbekanntem Titel verfaßte Zeitgeschichte mindestens den Zeitraum von 433–471 n. Chr. behandelte. Seine Schilderung der Reise an den Hof Attilas erinnert stilistisch partiell an ein Reisetagebuch; die Sprache ist dem alltäglichen Ausdruck viel stärker angenähert als der artifizielle Attizismus oder Taciteismus anderer Klassizisten der Zeit.40 Doch gerade aufgrund ihrer Nüchternheit wirkt die Schilderung der Gesandtschaftsreise von Konstantinopel durch die Provinzen zur Königsburg Attilas (449 n. Chr.) besonders nachdrücklich – eben weil die unbeschönigten Fakten sich realistisch einprägen. Ein kurzer Auszug: Als wir Naïssus erreichten, fanden wir die Stadt leer von Menschen, da sie durch Feinde heimgesucht worden war. In den christlichen (hagioi) Herbergen lagen Menschen, die an ansteckenden Epidemien litten. (Doch) ein kleines Stück vom Fluß entfernt fanden wir einen reinen Platz (die Flußufer selbst lagen nämlich sämtlich voll von Knochen der im Krieg Umgekommenen). Priscus, Exc. de Leg. Rom. 3, Z. 50–5541

Die spätantike Literatur bietet eine Überfülle solcher Darstellungen. Herausgegriffen sei etwa noch eine Passage aus dem poetischen Commonitorium des Orientius, Bischof von Auch, in der er die Situation in Gallien nach dem großen Barbareneinbruch von 406 ausmalt: Hinterhalte bewirkten viel, viel auch die allgemeine Gewalt. Was nicht durch physische Gewalt überwältigt wurde, das fiel dem Hunger zum Opfer. Die Mutter fiel mit Kindern und Gatten, der Herr erlitt mit seinen Sklaven die Knechtschaft. Diese lagen den Hunden zum Fraß, vielen wurde ihr brennendes Heim, das ihnen ihr Leben entriss, zum Scheiterhaufen. Überall in den Dörfern und Höfen, auf dem flachen Land und an den Wegkreuzungen, in allen Gauen, auf allen Straßen, die von einem Platz zu einem anderen führten, war Tod, Sorge, Zusammenbruch, Schmutz, Feuer, Trauer: Gallien brannte wie ein einziger großer Scheiterhaufen. Orientius, Commonitorium 2,175–18442

In solchen Passagen holt der Untergang des Imperiums den Leser in unmittelbarer Anschauung ein. Der Entwurf solcher, an James Ensor gemahnenden düsteren Imaginationen ist das stärkste Ausdrucksmittel, das das spätantike Denken für die Auseinandersetzung mit dem Ende des Imperiums gefunden hat. In dichter Abfolge können wir solche Szenen noch in den Res gestae von Ammianus Marcellinus lesen, von denen die Bücher 14–31 erhalten sind.43 Ich versu39 40

Neue Edition mit veränderter Zählung der Fragmente: Carolla (2008); s. auch Doblhofer (1955). Zur „plain prose“ als einem Stilmittel in (einigen) spätantiken historiographischen Werken vgl. Jeffreys (2006). 41 Frg. 11,2 Blockley (II p. 249) = Frg. Exc. 8,13 f. p. 18 Carolla. 42 Ed. C. A. Rapisarda (1958), p. 117 f.: Insidiae multum, multum vis publica fecit. / Robore quae non sunt, sunt superata fame. / Concidit cum prole et coniuge mater, / cum servis dominus ser­ vitium subiit. / Hi canibus iacuere cibus, flagrantia multis, / quae rapuere animam, tecta dedere rogum. / Per vicos, villas, per rura et compita et omnes, / per pagos, totis inde vel inde viis, / mors, dolor, excidium, , incendia, luctus: / uno fumavit Gallia tota rogo. 43 Eine Auswahl von darstellungstypologischen Parallelen zu der zitierten morbiden Szenerie aus Priscus findet sich etwa bei Kelly (2008), 13–30 (Chapter I: „The bones on the battlefield“). Als

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che nur einen Eindruck davon zu geben, wie diese Szenen wirken, wenn man sie am Stück liest. Vorausgeschickt sei noch, dass es sich bei Ammian um einen für unsere Zwecke sehr frühen Autor handelt, der die Katastrophe von 410 nicht mehr erlebt hat (aber natürlich die von 37844). Die im Anschluss skizzierten Episoden fallen in den Augen vieler moderner Historiker noch in eine späte Blütezeit des Imperiums. Sie finden sich in den Büchern 15–20, in denen – immer wieder durch Exkurse und Schauplatzwechsel unterbrochen – die 355 n. Chr. beginnende Mission des Caesars Julian in Gallien geschildert wird. Wir lesen hier etwa, wie sich Julian den Weg durch Gallien an den Rhein gegen marodierende Banden freikämpfte, um schließlich vor den Toren von Tricasae (Troyes) erst nach einer langen Debatte von den Einwohnern in die Stadt gelassen zu werden, weil sie sich vor den Barbaren fürchteten (16,2,7). In das völlig zerstörte Köln (nach einer Nebenbemerkung Ammians neben Koblenz und Remagen die letzte übrig gebliebene Stadt in der Großregion: in quos tractus [16,3])45 konnte er dagegen mit seinen Leuten ungehindert einziehen. Nach einiger Zeit schlossen „fränkische Könige“ mit ihm in den dortigen Ruinen einen sogenannten Frieden. Darauf begab sich Julian für den Winter 355/56 in die Stadt der Senonen (Sens), unter anderem, um dort die Mauern auszubessern und die Militärstationen des nordwestlichen Gallien wieder zu bemannen. Schließlich hatte dieses „kaiserliche Hauptquartier“ in Sens nur noch so wenige Leute, dass ein nicht näher benannter Kriegerhaufen sich entschloss, die Stadt einzuschließen. Die Hilferufe des Caesars aus der belagerten Stadt wurden von dem in der Nachbarschaft in Garnison liegenden magister equitum Marcellus einfach überhört (16,4,4). Der Angreiferhaufen musste allerdings irgendwann abziehen, weil es nichts mehr zu essen gab (auch die Soldaten Julians rebellieren mehrfach in diesen Büchern, weil der Caesar sie schlicht nicht ernähren kann). Ereignisse dieser Art reihen sich in vielen aufeinander folgenden Kapiteln aneinander. Als Julian im Jahr 357 einmal einen marodierenden Haufen von 600 Franken an der Maas festsetzt und zur Kapitulation zwingt (17,2), wird dies von Ammian als großer Erfolg gefeiert. Während diese 600 als besonders starker Verband (!) beschrieben werden, betont Ammian wiederholt die geringe Zahl der Soldaten Iulians (z. B. bei der Belagerung von Sens). Mit diesen Episoden in ihrer Gesamtheit hat Ammian dem Abwehrkampf des Imperiums ein bleibendes Denkmal gesetzt. Der kreuz und quer mit einigen hundert Soldaten durch eine römische Provinz ziehende Prinz, der um Einlass in seine eigenen Städte verhandeln muss, dessen Soldaten hungern, dem die eigenen Offiziere in äußerster Not nicht zu Hilfe kommen wollen oder können, und der manchmal mit sieben oder neun fränkischen Königen Frieden schließt, der dann einige Wochen

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Beispiel vgl. etwa 31,7,16: humatis denique pro locorum et temporibus ratione, honoratis qui­ busdam inter defunctos, reliqua peremptorum corpora dirae volucres consumpserunt, assuetae illo tempore cadaveribus pasci, ut indicant nunc usque albentes ossibus campi. Lenski (1997) zu den zeitgenössischen literarischen Reaktionen auf die Niederlage von Hadrianopel. Der archäologische Befund deutet darauf hin, dass die Situation möglicherweise weniger desolat war, als Ammian dies ausdrückt. Dazu und zu den späteren Wiederaufbaumaßnahmen vgl. etwa Eck (2004), 652–676. Für die größere Region Chr. Witschel (2004/5). Im vorliegenden Zusammenhang interessiert lediglich die literarische Inszenierung als solche.

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hält: diese Aneinanderreihung von Momentaufnahmen stellt wohl den wichtigsten und eindringlichsten Beitrag über das langsame Ende des Imperiums in der antiken Literatur dar. Dass diese Episoden den eigentlichen Katastrophen erst noch vorausgehen, hat als solches bereits einige Aussagekraft. Die angeführten Autoren haben im übrigen sehr unterschiedliche Schlüsse aus ihrer illusionslosen Sicht auf den Zustand des Imperiums gezogen. Ammian ruft zur entschlossenen Rückbesinnung auf den mos maiorum46 auf, in den Fragmenten des Priscus ist der Dialog zwischen dem Erzähler und dem griechischen Händler aus Viminiacium (eine Art ‚Aussteiger‘, der dem Leben bei den Hunnen den Vorzug vor dem Dasein als Untertan des römischen Kaisers gab)47 eingebaut, der die Situation des Imperiums in eine dialektische Spannung stellt, und Orientius schließlich begibt sich auf einen einsamen Posten, indem von der Warte des christlichen Bewußtseins – unrealistisch, aber bemerkenswert – zu allgemeinem Frieden in der Welt aufruft.48 4 DIE DENKSCHRIFTLITERATUR Der Untergang des Imperium Romanum resultierte aus einer Überdehnung der eigenen militärischen Kräfte, die eine Abwärtsbewegung auslöste, die von einer komplexen Dynamik ineinander greifender fiskalischer, monetärer, militärischer, demographischer und anderer Faktoren in Gang gehalten wurde. Unsere Frage ist, wie die Literatur auf diese Dynamik reagierte und wie viel Realität aufzunehmen und widerzuspiegeln sie bereit war. Die bisher benannten literarischen Reaktionstypen – ostentatives Ignorieren der politischen Realität, Reduktion der Ereigniszusammenhänge auf eine Folge von Chronikeinträgen und das dramatische Komponieren historischer Veduten – scheinen jedenfalls nicht geeignet, zu einem realistischen Begriff vom Nieder- und Untergang des Reiches als Resultat eines komplexen Prozesses zu gelangen. Realitätsnähere Reflexionen finden sich jedoch in einer in der Spätantike in Blüte stehenden Subliteraturgattung, die in einigen Vertretern auf uns gekommen ist: Gemeint ist die literarisch ausgearbeitete Denkschrift zur militärischen und fiskalischen Situation des Reiches. Die wohl bedeutendsten Vertreter49 sind die Epito­ ma rei militaris des Flavius Vegetius Renatus50 und die anonym überlieferte Schrift de rebus bellicis. 46 47 48 49 50

Vgl. den Boeft (2007). Den Boeft findet „remarkable reflections“ in Ammians Res Gestae, die jedoch in dem Satz kondensiert werden können, „that correct and salutary conduct, especially, but not only, of emperors, can result from serious attention to models of the past“ (302). Blockley II p. 266–273, Frg. 2,407–510 (Exc. de Leg. Rom. 3). Commonit. 1,593–618. Vgl. zur Isoliertheit dieser Position Courcelle (31964), 79. Erwähnt seien bspw. noch der Anonymus Syrianus peri strategikes (Dennis [1985]) und als Besonderheit die aus kaiserlicher Feder stammende Denkschrift des Maurikios: Dennis (2010). Überblick über den Kontext dieser Schriften bei Whitby (2004). Zu dem korrekten Titel und dem Namen des Autors jetzt Charles (2007). Die Zeit der Niederschrift muss allerdings weiter offenbleiben, d.h. weiterhin kommt ein Zeitraum von Theodosius

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Beiden ist gemeinsam, dass sie ohne Umschweife eine extrem schwierige politisch-militärische Situation als gegeben voraussetzen, dass sie diese als Ergebnis einer Abwärtsentwicklung auffassen, dass sie praktisch etwas daran ändern wollen und – eine Folge dieses Eingeständnisses – dass sie ihren Werken sehr vorsichtige und geradezu ängstliche Einleitungen voranstellen. Das war wohl keine literarische Attitude; wer Ammian gelesen hat, weiß, wie schnell und häufig am kaiserlichen Hof, nicht selten aufgrund von Lappalien, gefoltert und exekutiert wurde. Die Angst unserer Autoren dürfte demnach ganz echt gewesen sein. Schon dies wirft ein Schlaglicht auf die Artikulationsbedingungen der Zeit, die offiziell in stereotypen Superlativen gefeiert wurde. Bei Vegetius, einem hochrangigen Höfling, erstreckt sich die Realitätsnähe allerdings nur so weit, dass er die schwierige Situation des Reiches als solche zur Kenntnis nimmt, die Ratschläge, die er zu erteilen weiß, stammen dagegen überwiegend aus alten bis uralten Antiquaren wie Tarrutenius Paternus, Frontinus und Celsus, die er nach der Devise, dass eine möglichst getreue Orientierung an den tradierten militärischen Vorbildern die Rettung aus den Übeln der Gegenwart bringen würde,51 ohne wesentliche Adaptionen an die Gegenwart ausschreibt.52 Daneben gibt es auch einige Passagen, die auf eigene Überlegungen zurückgehen könnten, die aber insgesamt eher einfallslos und etwas naiv wirken.53 Ungerührt rät Vegetius beispielsweise seinem kaiserlichen Leser (vielleicht Theodosius I.), bei der Rekrutierung von militärischem Nachwuchs möglichst nicht von dem augusteischen Gardemaß von sechs Fuß (annähernd 1,80 m) abzuweichen; eine glatte Realitätsverweigerung, wenn man zugrundelegt, was wir über die Entwicklung der Körpergröße in der Spätantike wissen.54 Auch sollten die Rekruten nicht aus zu heißen Regionen gewählt werden, denn Menschen, die unter zu heißer Sonne aufwüchsen, hätten so wenig Blut, dass sie Angst hätten, das wenige, das in ihren Adern fließe, im Kampf auch noch zu verlieren. Soldaten aus gemäßigten Regionen würden dagegen gerne für ihren Kaiser bluten.55 Der Kaiser, dem das Werk 51 52 53

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bis Valentinian III. in Frage. Als Ausdruck dieser Haltung kann wohl auch die emendierte Herausgabe alter, militärhistorisch einschlägiger Schriftsteller gelten, die im 4. und 5. Jahrhundert in Blüte stand. Vgl. Ratti (2010), bes. 77 zur ars bellandi. Vgl. Elton (1996), 265 ff. Vor kurzem hat Janniard (2009) mit Verve dafür plädiert, in der epitoma – vor allem in Buch III – ein Werk originellen Denkens und „une revolution dans les theories militaires romaines“ (23) zu sehen. Ein Beispiel: Der Abschnitt „Les réticences devant l’affrontement en ligne“ (23 f.). Den Kommandeuren wird geraten, die offene Feldschlacht erst zu suchen, wenn sie sich ihrer Überlegenheit über den Feind sicher seien (multis rebus superior: 3,9,19). Wenn das nicht der Fall sei, mahnt Vegetius, besser mit Hinterhalten zu arbeiten. Solche Überlegungen stellen wohl tatsächlich einen Reflex auf die zahlenmäßige Unterlegenheit der römischen Truppen in vielen Gefechtssituationen dar. Ob wirklich eine Revolution des militärischen Denkens nötig war, um zu diesen Einsichten vorzustoßen, ist zweifelhaft. Die Weisheit der Altvorderen scheint doch wesentlich darin bestanden zu haben, zahlenmäßig überlegen zu sein. Die vorgeschriebene Mindestgröße wurde im Jahre 367 auf umgerechnet etwa 1,57 m festgelegt: CTh 7,13,3; vgl. Richardot (32005), 53. Veg. Epit. 1,2,3–5. Vgl. zu einer weiteren Obsession des Vegetius, die in der Praxis nicht gerade hilfreich gewesen sein wird (die Rekrutierung ausschließlich solcher Rekruten, die ‚eh-

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gewidmet worden war, war übrigens von diesen Ratschlägen angetan, so dass das Werk als eine Art reformerischer Fortsetzungsroman in vier Büchern erscheinen konnte. Aus etwas anderem Holz ist der sog. Anonymus de rebus bellicis geschnitzt,56 der immerhin ohne Rücksicht auf die Popularität seiner Ausführungen sozialökonomische Mißstände zu diagnostizieren sucht. Dabei gab er etwa dem enormen, auf den Unterschichten lastenden Steuerdruck und auch der Korruption der Funktionäre eine erhebliche Mitschuld an den Verwerfungen innerhalb der reichsrömischen Gesellschaft.57 Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die Masse der Bevölkerung, die in aller Regel nur in den Besitz des im nur zeitweilig abgebremsten Wertverlust begriffenen Kupfergelds und Pseudosilbergelds kam, gezwungen war, den in reinem Gold58 akkumulierten Überreichtum der höfischen Eliten zu erarbeiten.59 Der Anonymus erahnte zumindest einen Zusammenhang zwischen der Verzweiflung der ökonomischen Unterschichten und der von ihm beobachteten Bereitschaft zur Bandenbildung und Loyalitätsaufkündigung. Sehr interessant ist – bezüglich des Aspekts des Zur-Kenntnis-Nehmens der Wirklichkeit – der fünfte Abschnitt der Schrift, in dem der Autor Vorschläge macht, die die Senkung der (nach der Einsicht des Anonymus) den Gesamthaushalt extrem belastenden Militärausgaben zum Gegenstand haben60: zunächst die ehrenvolle Entlassung von älteren Soldaten, die aufgrund ihres Dienstalters ein Anrecht auf die Auszahlung des Gegenwerts von fünf sog. annonae erworben hatten.61 Die Verjüngung des Heeres sollte also die Personalkosten drücken. Die entlassenen Soldaten wären nach den Vorstellungen des Reformers in Grenznähe als steuerpflichtige Bauern anzusiedeln gewesen und damit von Steuergeldempfängern zu Steuerschuldnern des Reiches geworden. Schließlich sollten nach Auffassung des Autors zusätzliche Reserveeinheiten gebildet werden, die bestimmt waren, durch Kampfverluste und Desertionen entstehende Lücken zu schließen. Im letzten, zwanzigsten Kapitel regte der Anonymus noch den Bau von zusätzlichen Steinfestungen entlang der gesamten Grenzen des Imperiums im Abstand von jeweils tausend Fuß an. Diese Vorschläge befassen sich eher nüchtern mit den manifesten, realen Herausforderungen des spätantiken Staates und stellen insofern eine Besonderheit in der spätantiken Literatur dar. Zur Kritik kann allerdings gesagt werden, dass sie renwerten‘ Berufen nachgingen): Charles (2010). Diese Politik entsprach jedoch tatsächlich theodosischen Grundsätzen: Leppin (2010). 56 Ireland (1984). Grundlegend: Thompson (1952). Thompson setzt die Abfassung der Schrift in die Zeit zwischen 366 und 375 n. Chr. Siehe auch Hassall – Ireland (1979) und Brandt (1988). Brandt geht von einer Entstehungszeit unter Valentinian III. aus (147–165). 57 Reb. bell. 3,1; 4,1. 58 Vgl. die explizite Kritik Reb. bell. 2,1–5. S. oben die Arbeiten Callus, Anm. 3 u. 6. 59 Wie kompliziert dieses Einsammeln winziger Goldquantitäten vonstatten ging, ist bspw. bei Bagnall (1996), 153–160, erläutert. 60 Der Nutzen der kaiserlichen Kasse (in spätantiker Diktion: die utilitas largitionum) lag nach eigener Aussage dem Anonymus besonders am Herzen: Praef. 2. 61 Annona kann in der Spätantike die Basistarifeinheit bedeuten, nach der ein Soldat bezahlt wurde. Die genaue Umrechnung in monetäre Größen ist für das vierte Jahrhundert unbekannt, vgl. Carrié (1978), 239 f.

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entweder nicht gerade originell waren (das Problem der Verteuerung des Apparats aufgrund der nach Dienstalter gewährten Privilegien hatten diverse Kaiser seit Theodosius ins Visier genommen62) oder nicht eben geeignet erscheinen, das Budget zu entlasten. Das mag zwar so klingen, wenn der Autor vorschlägt, den massiven Ausbau der Grenzen von den possessores tragen zu lassen,63 da aber der Staat diese Vorgänge hätte regulieren und über seine Verrechnungsstellen laufen lassen müssen, laufen sie eher auf zusätzliche Budgetbelastungen als auf Entlastungen hinaus.64 Die ansonsten vorgebrachten Reformvorschläge lassen sich unter der Kategorie des abgeklärten Pragmatismus subsumieren. Beispielsweise möchte der Anonymus die Geldproduktion auf unzugängliche Inseln verlegen, um die Möglichkeiten des Unterschleifs von Edelmetall zu minimieren.65 Auch sollten die Gestalt und Aufprägungen der Münzen geändert werden (er fügte seinem Werk einen Bildteil mit Vorschlägen bei, die illustrierten, wie die erfolgreichen Münzen aussehen sollten66). Den weitaus größten Teil des Pamphlets (ca. drei Viertel) füllen jedoch Anleitungen zum Bau neuer Waffen und Militärmaschinen wie Katapulte oder Sichelwagen. Man fühlt sich unwillkürlich an neue Geheimwaffen erinnert, mit deren Hilfe kurz vor der endgültigen Niederlage die umfassende Wende herbeigeführt werden sollte.67 Zur Gattung der Denkschrift lässt sich auch die sog. Königsrede des Synesios von Cyrene rechnen, die dieser im zeitlichen und thematischen Kontext der kleinasiatischen Raub- und Einschüchterungszüge des Tribigild und des Gainas hielt. Diese Aktionen fanden 400 n. Chr. mit der Besetzung Konstantinopels durch die

62 Quellen bei Brandt (1988), 106 f. 63 Anon. reb. bell. 20,1. 64 Die Ansiedlung von Veteranen als voll steuerpflichtige Bauern lief auf eine Aberkennung der den Veteranen bzw. limitanei gewöhnlich gewährten Steuerprivilegien hinaus (Brandt [1988], 108–116). Die Aufstellung zusätzlicher Reserveeinheiten (die sich der Anonymus aufgrund des jugendlichen Alters der Rekruten offenbar als preiswert ausmalt [5,5]) hätte die Gesamtkosten des Militärs doch wohl eher erhöht als abgesenkt. 65 Anon. reb. bell. 3,2 f. 66 Anon. reb. bell. 3,4. Vgl. bspw. die figures I und II nach S. 132 in Thompsons Ausgabe (s. Anm. 56) bzw. S. 6 in Irelands Edition. S. auch Alexander (1979), 11–15. 67 Um einen Eindruck zu geben, was in lateinischer Sprache an realitätsbezogenen Ausführungen zu fiskalischen Problematiken möglich ist, sei an den Tractatus de mutatione monetarum des Nicolas de Oresme erinnert (ediert und übersetzt von Wolfram Burckhardt [1999]), der im 14. Jahrhundert, etwa tausend Jahre nach dem Anonymus ebenfalls in einer ausgesprochenen Krisenstimmung schrieb. Nicolas vermochte es immerhin schon, hochkonzentriert bei dem Problemkreis des Geldwertes und der Metallmanipulation durch den Staat und deren Folgen zu bleiben. Im Vergleich zu diesem Traktat bleibt die Problemanalyse des Anonymus de rebus bellicis eher ‚naiv‘. Der Ausdruck bei Brandt (1988), 93; zur Begründung ebd.: „Er besitzt keine Kenntnis des Strukturzusammenhangs zwischen der monetären Entwicklung und dem Steuersystem und kennt auch nicht interne Veränderungen des Steuerwesens, sondern nennt als Ursache der von ihm kritisierten Zustände nur die fehlende moralische Integrität der Administrationsangehörigen.“

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Truppen68 des Gainas (nominell der magister utriusque militiae69 des Arcadius) ihren vorläufigen Höhepunkt. Noch kurz vor dieser Katastrophe erläuterte Synesios dem Arcadius in der erwähnten Königsrede,70 wie man der Probleme Herr werden könne: Die Römer müssten zur Sitte der Alten zurückkehren (de regno 16d; 24d– 25a), der Kaiser solle wieder ein stets siegreicher βασιλεὺς πολεμικός werden (das Leben am Hof war für die Sieghaftigkeit der Imperatoren nicht förderlich; 13b– 16c), die Armee solle von „fremden Elementen“ gereinigt werden, was in durchweg rassistischen Bildern veranschaulicht wird (22a–23b; 25a), die Soldatenzahlen müssten aber deutlich erhöht (26), die Steuern selbstverständlich gleichzeitig gesenkt werden (27d–29a) und die Kaiser überhaupt militärische Stärke zeigen (26c– 27a). Nach großer Empathie für die Lage des Kaisers klingen diese Vorschläge des berühmten Cyreners nicht. Am Hof war wohl noch in lebendiger Erinnerung, wohin ein persönliches Militärregiment, wie es Synesios als Lösung der politischen Probleme vorschwebte, führen konnte, veranschaulicht durch das Fiasko Julians in Mesopotamien 363 n. Chr. Doch nach der Vertreibung der Goten des Gainas ging man in Byzanz erwartungsgemäß ohne Verzug zu Triumphfeiern über (im Westen ließ Honorius nach dem Abzug des Alarich 410 immerhin sieben Jahren bis zu seinem triumphalen Einzug in Rom verstreichen). 5 DER REGIERUNGSBEITRAG Es mag für moderne Ohren etwas seltsam anmuten, Regierungsverlautbarungen unter dem Lemma der Literatur zu behandeln. Für antike Wahrnehmung ist das nicht so abwegig. Die Verlautbarungen, die als Aushang, aber auch in Buchform erschienen, wurden von angesehenen Literaten verfaßt und erhielten immer auch eine literarisch ansprechende Form.71 Man darf sich die für unseren Zusammenhang wichtigsten Texte, wie z. B. die Novellae Valentiani, Maioriani oder Iustini­ ani in Codexform in den Regalen juristisch und historisch interessierter Gelehrter vorstellen (wie etwa bei Ammianus Marcellinus oder den Kirchenhistorikern seit Eusebius, die häufig Gebrauch von offiziellen Texten machten). Besonders in der Spätantike läßt sich auch beobachten, dass die kaiserliche Zentrale sich mit Publikationen von individuellen Autoren auseinandersetzte, wenn auch häufig in unfreundlichem Tonfall.72 Die höfischen Verlautbarungen gehören also partiell in die literarische Sphäre mit hinein, und ihre Interpretation würde eigentlich Stoff für eine ganze Untersuchung im Zusammenhang mit der Frage bieten, wie die Kaiser das Ende ihres 68 Angeblich 35 000 Mann: Zos. 5,19,4. 69 Alexander Demandt, Magister militum, RE Suppl. XII (1970), 553–790, 733 f. 70 De regno (Lacombrade [1951]). Conspectus über den Inhalt (71–74) und ausführliche Interpretation (76–102) bei Hagl (1997). 71 Siehe bspw. Harries (1999); Matthews (2000). 72 Verwiesen sei nur auf die Debatten zwischen Theologen und Justinian über die literarischen Anathemata im Rahmen des Dreikapitelstreits. Vgl. e.g. Eich (2007).

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Imperiums reflektierten. Hier nur einige ganz knappe Bemerkungen: die Verlautbarungen der Kaiser von Diokletian bis Iustinian zeigen sehr häufig einen ausgeprägt moralisierenden Tenor. Nur exempli gratia sei auf typische kaiserliche Zeitdiagnosen verwiesen: Die tetrarchische Arrenga im Maximaltarif wider die Geldgier ist im Stil Abraham a Santa Claras verfasst,73 Iustinian prangerte sexuelle Verfehlungen seiner Untertanen als Ursache für militärische und andere Katastrophen an,74 und sowohl Diokletian als auch Iustinian waren, wie die meisten anderen Kaiser zwischen ihnen,75 manisch auf religiös-dogmatische Abirrungen ihrer Untertanen fixiert (nur exempli gratia seien etwa Diokletians antimanichäisches Edikt76 und Justinians dogmenkritische Verlautbarungen77 angeführt). In ihrem Sprachduktus stehen diese Texte den moralisierenden Tiraden von Predigern wie Salvian oder Quodvultdeus sehr nahe. Mitunter finden wir jedoch ein überraschend konkretes Eingehen auf militärische und fiskalische Konstellationen, mittels dessen den Untertanen die Zwänge und Nöte politischen Handelns vermittelt werden sollte.78 Besonders hervorzuheben sind die – wahrscheinlich schon in der Antike in Buchformen vorliegenden – Novellae Valentiniani des Augustus Valentinian III. (425–455). Ein Beispiel: 445 n. Chr., nach dem Wegfall weiter Teile des afrikanischen Steuerterritoriums aufgrund der vandalischen Invasion und der Verwüstung Siziliens, publizierten Valentinian III. und Theodosius II. eine Verlautbarung, die zunächst mit dem Eingeständnis der eigenen Ratlosigkeit beginnt79: Die Armee müsse weiter finanziert werden, aber jede weitere Belastung der Gewerbetreibenden hätte unerwünschte Folgen; verschiedene Möglichkeiten werden erwogen, verworfen, schließlich etwas zaghaft eine Lösung präsentiert: eine vierprozentige Steuer auf alle Verträge, die die Zahlung einer Geldsumme vorsähen. Die Modalitäten der Einhebung werden dann ausführlich dargestellt. Fast entschuldigend wird darauf hingewiesen, dass die Umsetzung des Plans die Anwesenheit von Regierungspersonal auf den Marktplätzen der Städte des Rumpfreiches erfordere, in deren Gegenwart Vertragsvereinbarungen zukünftig abzuschließen seien. Der Text ist in vieler Hinsicht typisch für den Verlautbarungsstil der Kaiser in den Jahrzehnten nach 410 n. Chr. Ein apologetischer Grundzug läßt sich immer wieder heraushören, Argumente werden vorgebracht, die Maßnahmen der Herrscher in einen politischen Kontext eingebettet (Anm. 78). Mit diesen Texten war (oder wäre) auch eine Anknüpfungsmöglichkeit für literarisch geführte Debatten gegeben gewesen. Man denke, um eine Vergleichsgröße zu haben, bspw. an die Publikationen eines Jacques Necker oder Abbé Sieyès im Vorfeld der Französischen Revolution (die sich ja unter anderem mit publizierten Positionen der Krone auseinandersetzten). In Ansätzen ist dergleichen auch im vierten bis sechsten Jahrhundert 73 74 75 76 77 78 79

Giacchero (1974), 1,134–137. Meier (2003), 595–598. Grundlegend: Dagron (1996). FIRA II2 580 f. Meier (2003), 217–223 und passim; Leppin (2011), 293–299. Ausführliche Quellendokumentation bei Eich – Eich (2004). Nov. Val. 15.

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geschehen, wie an den Beispielen des Vegetius und des Anonymus de rebus bellicis schon gezeigt wurde. Doch handelt es sich tatsächlich nur um Ansätze.80 Auch die Kaiser beschränkten sich darauf, für die Fortführung ohnehin vorhandener Tendenzen apologetisch oder affirmativ einzutreten, also etwa wie in dem angeführten Beispiel den weiteren Ausbau des Steuerstaates auf schwindender Territorialgrundlage zu rechtfertigen. Bis zu ihrem endgültigen Verschwinden im Westen ist der kaiserlichen Zentrale inhaltlich nichts wesentlich Neues eingefallen, doch konfrontierte sie ihre Untertanen in den normativen Verlautbarungen mit den fiskalisch-militärischen Realitäten und verzichtete auf den triumphierenden Invictissimus-Diskurs, der in der repräsentativen Sphäre gepflegt wurde.81 6 DIE CHRISTLICHEN DEUTUNGEN 6.1 Kirchengeschichtsschreibung und Heilsgeschichte Schließlich sei noch kurz auf die bisher weitgehend ausgeklammerte christliche Literatur eingegangen. Natürlich waren viele der im Vorhergehenden behandelten Autoren wie Vegetius oder Valentinian III. auch Christen, aber sie stellten ihr Bekenntnis in den behandelten Werken nicht in den Mittelpunkt ihrer Stellungnahmen oder Schilderungen. In der christlichen Literatur im engeren Sinn schrieben die Autoren ganz vom Standpunkt ihres jeweiligen Dogmas aus. Zunächst ist zu konstatieren, dass die christliche Historiographie ein wesentlicher Motor für verschiedene gattungsspezifische Innovationen war. Genannt sei nur das wichtigste Moment: seit der eusebischen Kirchengeschichte vom Beginn des vierten Jh. war es in dieser Gattung üblich, quellennah zu arbeiten und für die Darstellung einschlägige Dokumente ausführlich zu zitieren. Eigentlich eine hervorragende Voraussetzung, um sich kritisch mit der Zeitgeschichte auseinanderzusetzen. Doch wurde die diesbezügliche Energie der großen Kirchenhistoriker wie Eusebius, Socrates oder Sozomenos ganz weitgehend von dogmengeschichtlichen Interessen absorbiert.82 80 Wie oben gesehen, waren Themen wie eine grundsätzliche Neuausrichtung der Außenpolitik – z. B. in Richtung auf Kooperation statt Konfrontation – für die Denkschriftautoren tabu. Da ließ es sich schon leichter über neue Münzbilder, Wunderwaffen oder die Rückkehr zur Sieghaftigkeit philosophieren. 81 Nur ein Beispiel für diesen Tonfall von vielen: Als Alarich 401 zum ersten Mal in Italien eindrang, wurden in Rom auf Geheiß des Senats an den Toren der restaurierten Mauern Inschriften angebracht, die so begannen: Imp(eratoribus) Caes(aribus) DD NN Invictissimis Principib(us) Arcadio et Honorio victoribus ac triumfatorib(us) semper Aug(ustis) etc. (CIL VI 1188–1190). Auch die Roma aeterna begegnet, wie nicht selten in dieser Zeit, in diesem Text. Allerdings währte diese Ewigkeit in diesem Fall nur neun Jahre. Vgl. zu dem Text und seiner Typologie Zwierlein (1978), 45 f. 82 Vgl. bspw. Urbainczyk (2002); Wallraff (1997), 1 f.; 257–289; Urbainczyk (1997); Leppin (1996). Leppin verzeichnet bspw. 145, zu den – durchaus unterschiedlich gewichtenden – Darstellungen der Katastrophe von 410 durch die Kirchenhistoriker des Ostens: „[…] dieses Ereignis (bleibt) in den Augen aller drei Kirchenhistoriker, wie es Chestnut zutreffend für Sozome-

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Wie Peter Brown bemerkt, hat diese Fixierung auf die streiterfüllte Geschichte um die richtige Deutung der geheiligten Überlieferung eine merkwürdige Folge bezüglich des Habitus der spätantiken Kirchenhistoriker. Zwar lebten sie in einem Zeitalter, in dem ihr Staat einen tiefgehenden krisenhaften Prozess durchlief, aber ihre eigene Haltung war die eines ausgeprägten Triumphalismus, der sich daraus speiste, dass ihre Religion und vor allem: die von ihnen vertretene Interpretation dieser Religion mit den politisch abgesicherten Konzilbeschlüssen im 4. und 5. Jahrhundert einen nachhaltigen historischen Triumph davon getragen zu haben schien.83 In der Folge Browns hat Peter van Nuffelen in seiner umfangreichen Analyse der Kirchengeschichten von Socrates bzw. Sozomenos von einer Grundhaltung des historischen Optimismus gesprochen, der diese Autoren auszeichne.84 Wenn man, wie wir an dieser Stelle, literarische Reflexe auf die ganz realen Phänomene des fiskalisch-militärischen Niedergangs sucht, kann man diese massive Ablenkung85 intellektueller Energie auf die Subtilitäten der Christologie als eine weitere Form des Eskapismus verbuchen. Bemerkenswert ist allerdings die von van Nuffelen aufgezeigte Parallele zwischen dem theologischen ‚Frieden‘ und der kaiserzeitlichen Pax-Ideologie, die den politischen Friedensbegriff wesentlich formte. Pax im dominanten römischen Verständnis ist bekanntlich ein durch Waffengewalt herbeigeführter Zustand, Resultat des debellare superbos.86 Analog dazu verstehen die Kirchenhistoriker den kirchenpolitischen Frieden als Triumph über Häretiker und Ketzer. Die dogmengeschichtliche bzw. die politische Perspektive gewinnen so einen gemeinsamen Fluchtpunkt, denn der Garant der kirchlichen ebenso wie der politischen Einheit war der rechtgläubige und siegbringende87 Kaiser.88 Einige Autoren haben dieses Moment spätantiken christlichen Denkens (der Kaiser als siegreicher Führer eines militarisierten Christentums)89 sehr affirmativ hervortreten lassen. Als Beispiel sei auf Prudentius verwiesen, der etwa in seiner

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nos formuliert hat, a purely local problem, das Theodoret nicht einmal einer Erwähnung wert ist.“ Brown (1998), 640; vgl. Andresen (1979). van Nuffelen (2004), 413–417. Anders als Brown sieht van Nuffelen diesen Optimismus allerdings nicht als uneingeschränkt an, sondern meint – wohl zu Recht – eine unterschwellige Furcht erkennen zu können, dass der historische Sieg der Rechtgläubigkeit nicht endgültig sein könne: van Nuffelen (2004), 417–425. Die erwähnten Kirchengeschichten sind natürlich nur eine Erscheinungsform des Phänomens unter vielen. Vgl. nur die Quellen-Bibliographie in dem zitierten Werk van Nuffelens (XXXI– XLVIII). Die Thematik ist mit Quellenbelegen ausgeführt bei Barton (2007). Vgl. dazu bspw. auch Holum (1982). Politische und Glaubenseinheit fallen also nach dem Wunschdenken von Eusebius und seiner intellektuellen Nachfolger idealiter zusammen. Es ist daher meines Erachtens nicht ganz gerechtfertigt, wenn van Nuffelen im Zusammenhang mit diesen Autoren von einem „Erbe des Friedens und der Frömmigkeit“ spricht. Jedenfalls ist es bei anderen Religionen als der christlichen bei solchen Merkmalen durchaus üblich, anstatt von ‚Frieden‘ von ‚Fundamentalismus‘ zu sprechen. So gesehen stellt die Ideologie der spätantiken Kirchenhistoriker ein recht vertrautes Krisenphänomen dar (vgl. dazu jetzt den Sammelband Barceló [2010]). Vgl. zu Militarisierungstendenzen innerhalb des antiken Christentums e. g. Shean (2010); Helgeland (1979).

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poetischen Anwort an Symmachus90 lästige Mahner, die die Ohren des Dichters mit den alten Katastrophen Roms behelligen, entschlossen vor die Tür weist. Diese Zeiten seien vorbei: „Kein barbarischer Feind schlägt mit seinem Speer an mein Tor oder durchstreift, mit fremden Waffen, Habit und Frisur, in der eroberten Stadt herum, um meine jungen Leute zu rauben und jenseits der Alpen zu verschleppen.“ Schließlich verfügten über die Römer über einen „christipotenten“ Führer,91 und Christus kämpfte auf ihrer Seite tapfer mit. Dies ist wohl im Sommer 402 n. Chr.,92 acht Jahre vor dem Einzug Alarichs in Rom, geschrieben worden. Es muss nicht gesagt werden, dass der Wunsch hier vollkommen die Oberhand über die Wirklichkeit gewonnen hat.93 Die Ereignisse von 410 waren allerdings so schmerzhaft und unerwartet, dass sie sich nicht durch den üblichen Triumphalismus überspielen ließen.94 Die Protagonisten der heilsgeschichtlichen Reflexion schrieben aber nicht in Italien, sondern im heiligen Land bzw. in Hippo Regius. In Jerusalem bzw. Bethlehem bekannte Hieronymus die schmerzhafte Erschütterung seines tief verwurzelten Glaubens95 an die Roma aeterna in mehreren Texten.96 Seine oft zitierten Ausführungen in der Epistel 127 zeigen allerdings eine so verblüffende Anlehnung an die rhetorische Schulliteratur, dass der moderne Leser Schwierigkeiten hat, die Aufrichtigkeit seines Schmerzes nachzuvollziehen. Unter anderem scheute Hieronymus nicht davor zurück, den angeblichen Kannibalismus der Belagerten mit Rückgriff auf die Pseudo-Quintilianischen Deklamationen auszumalen (vgl. Epist. 127,12: dum mater non parcit lactanti infantiae et recipit utero, quem paulo ante effuderat mit [Quint.] 12,27: oppressa decimo mense mater sibi parit, redit in uterum laceratus infans). Die kunstvollen Phrasen (capitur urbs, quae totum cepit orbem) und Stilmittel (quis funera fando explicet) und literarischen Reminiszenzen (neben man90 II 680 ff. Vgl. zum Kontext bspw. Lavarenne – Charlet (22002), 86–131. Die Situation wirkt wie antizipiert in den Ermahnungen des Ambrosius an Gratian, nun endlich (kurz vor der Katastrophe von Adrianopel) mit den Goten militärisch kurzen Prozeß zu machen (De fide 2,16,136 und passim). Auftrumpfend imperial sind natürlich auch die einschlägigen Epen und Panegy­ rici Claudians aus dieser Zeit. Vgl. den Überblick bei Eno (1989), 141 f. 91 II 710: Honorius. 92 Lavarenne – Charlet (22002), 94. 93 Ein kämpferischer Optimismus zeigt sich bei Autoren unterschiedlicher Couleur dann besonders im Kontext der großartig gefeierten ‚Neugründung‘ Roms 417 n. Chr. Bspw. der ehemalige Stadtpräfekt Rutilius Namatianus betonte in diesem Zusammenhang trotzig den imperialen Herrschaftswillen der Urbs aeterna. Die Belege zusammengestellt bei Courcelle (31964), 104–107 und Bleckmann (2007), 106. 94 Ein Überblick über die zeitgenössischen Reaktionen bei Heinzberger (1976). 95 Barbara Feichtinger bemerkt (1998), 152: „Erst als (Hieronymus) 399 die Auswirkungen der Barbareneinfälle am eigenen Leib zu spüren bekommt und Vorkehrungen zur Flucht treffen muss, scheint ihm die Brisanz der Lage voll bewußt zu werden.“ Dies ist eine bemerkenswerte Parallele zu der oben beschriebenen Haltung der politisch-militärischen Eliten, die Bedrohung durch die Invasoren nur zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie sie unmittelbar vor sich sahen. Anders gewendet: Bis zum Eintreffen der Goten schützte der Glaube an die Roma aeterna vor jedem Anflug von Panik. 96 Belege bei Zwierlein (1978), 49–55.

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chem anderen Psalm 38, Aeneis, Pharsalia) sind sorgfältig von Otto Zwierlein97 verzeichnet worden, so dass hier der Hinweis auf das Faktum genügen kann. Es ist durchaus möglich, dass die massiv und jedermann sichtbar eingesetzten rhetorischen Handbuchmittel dazu dienen sollten, die Authentizität des Schmerzes fühlbar zu machen. Das ist für uns heute, wie gesagt, nicht mehr leicht nachzuvollziehen. Dennoch bleibt eine solche Darstellung, wie Hieronymus sie liefert, auf der Ebene erlernter Kulturtechniken stehen: mit den Worten des Kirchenvaters hätte auch eine Übungsdeklamation über den Fall Karthagos geschrieben werden können.98 Das ist anders bei Augustinus, der, mit enragierten Kommentaren (speziell der in Nordafrika eintreffenden, altgläubigen Italienflüchtlinge) konfrontiert, das Thema des unerwarteten Sturzes Roms in mehreren Predigten und seiner großen heilsgeschichtlichen Synthese, der civitas Dei, behandelte. Außerdem vergab er an einen Assistenten, Paulus Orosius, eine Art „Doktorarbeit“ (Zwierlein), in der der heilsgeschichtliche Ort von Alarichs Tat erforscht werden sollte. Angesichts des begrenzten Raums beziehe ich mich hier nur auf das letztgenannte Werk, die His­ toria adversus paganos des Orosius.99 Der Hauptsinn dieses die civitas Dei historiographisch ergänzenden Werkes war es, aufzuzeigen, dass es auch vor 410 und in Zeiten einer uneingeschränkten paganen Kultausübung viele Unglücksfälle in der römischen wie überhaupt in der menschlichen Geschichte gegeben hatte (1,1,4: ego initium miseriae hominum ab initio peccati hominis docere institui100). Entgegen seinen politisch-religiösen Sympathien rückt er damit empfindlich in die Nähe jener (unter (1) behandelten) paganen Autoren der alten Elite, deren Werke sich unter dem Motto des ‚Was ist eigentlich Ungewöhnliches passiert?‘ subsumieren lassen.101 Städte seien schon immer erobert worden, Reiche schon immer gefallen, die Aufregung solle daher in Grenzen bleiben.102 Aufgrund dieser Basiseinstellung 97 Zwierlein (1978). 98 Die von Feichtinger (1998), 150–152, zusammengestellten Briefstellen machen es allerdings sehr unwahrscheinlich, dass der Schmerz des Kirchenvaters nur gespielt war. Unter unserer Fragestellung, wie nahe die Schriftsteller der Epoche dem Untergang Roms als einem komplexen militärisch-fiskalischen Prozess kamen, bleibt aber doch zu verzeichnen, dass Hieronymus in diesem Fall seine Lamentationen im wesentlichen nach den Vorbildern der rhetorischen Handbuchliteratur gestaltete. 99 Die Parallelen in den Werken Augustins bei Zwierlein (1978), 56–80. 100 Lacroix (1965); Koch-Peters (1984). 101 Eine vergleichbare Reihung von mala omina und kriegerischen Unglücksfällen durch die Jahrhunderte bietet die Chronik des Hieronymus; vgl. die Auflistung (zur Kaiserzeit seit Augustus) bei Ratti (2004). 102 Eine Fülle von Zitaten aus Augustins Werken, die die Begrenztheit der Katastrophe hervorheben, hat Zwierlein (1978), 59–70, zusammengestellt. Vgl. nur: Sermo de excidio urbis 2,27: perditio enim civitatis ibi facta non est sicut in Sodomis facta est; 8,12–16: sic minime du­ bitandum est, pepercisse deum Romanae etiam civitati, quae ante hostile incendium in multis ex multa parte migraverat. Migraverant qui fugerant, migraverant qui de corpore celerius exi­ erant. Multi praesentes utcumque latuerunt, multi in locis sanctorum vivi sanctique servati sunt. Manu ergo emendantis Dei correpta est potius civitas illa quam perdita (…). Für die sancti in der Stadt, die dennoch den Tod durch Barbarenhand gefunden hatten, war dies eine willkommene Gelegenheit, den Widrigkeiten des Diesseits endlich zu entkommen (cap. 6). Siehe auch de Bruyn (1993); Doignon (1990).

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läßt sich eine realitätsbezogene Auseinandersetzung mit dem Niedergang des Imperiums aus der augustinisch-orosischen Perspektive a limine nicht erwarten. Der Trick bestand ja gerade darin, die terrestrische Realität für irrelevant zu erklären. 6.2 Die Apokalyptik Eine wichtige religiöse Literaturgattung, die mit dem Ende des Imperium (als Prozess verstanden) eine Blüte erlebte, kann hier abschließend nur noch erwähnt werden: die Apokalyptik und Eschatologie. Zu diesem Aspekt findet sich eine Reihe von Beiträgen in diesem Band, was seine kursorische Erwähnung an dieser Stelle rechtfertigt. Apokalyptik findet sich sowohl in paganer103 als auch in christlicher (und jüdischer, manichäischer etc.) Literatur der Spätantike.104 Von den sibyllinischen Orakeln105 und dem Testamentum domini Jesu Christi des dritten Jahrhunderts (?)106 bis zu den Predigten Gregors des Großen am Ende des sechsten, lassen sich zahlreiche Zeugnisse für die Naherwartung des kosmischen Endes oder doch des Untergangs der überkommenen Ordnung sammeln. Allerdings ist nicht zu vergessen, dass die Apokalyptik von Anfang an ein wichtiger Zweig der christlichen Literatur war.107 Ihre Beliebtheit ist Ausdruck der Tatsache, dass sich die frühen Christen im Imperium Romanum nicht zuhause fühlten. Die Apokalyptiker und Eschatologen der Spätantike konnten aus diesem seit langem bereitstehenden Fundus schöpfen. Während die christlichen Apokalyptiker der Frühzeit das Weltende allerdings eher freudig erwarteten (wie die Urgemeinde in der Apostelgeschichte108) oder regelrecht herbeibeten wollten (wie die Verfasser die Didache109), sind die spätantiken christlichen Apokalyptiker eher von der angsterfüllten Überzeugung erfüllt, dass das kosmische oder politische Ende tatsächlich da sei (bzw. sie setzen sich – wie Augustinus – mit dieser verbreiteten Überzeugung kritisch auseinander). Als besondere Form des eschatologischen Genus kann die apokalyptisch untermalte Bußpredigt gelten (sei es in authentischer Predigtform als Nachschrift einer oratio, sei es in bloßer Adaption des Predigtstils). Als typische Vertreter dieser Richtung können bspw. das Commonitorium des Orientius, De gubernatione Dei Salvians, einschlägige Predigten Augustins,110 und die Sermones de tempore bar­ barico des karthagischen Bischofs Quodvultdeus hervorgehoben werden. Gemeinsam ist diesen (und verwandten, von Robert Eno zusammenfassend behandelten) 103 104 105 106 107 108 109 110

Zur paganen Apokalyptik Feichtinger (1998), 155–157. Vgl. etwa Kötting (1958) und weitere Literatur bei Bleckmann (2008), 13. Potter (1990); Parke (1988); zur Rezeption im Westen Bischoff (1951). Zur Datierung und Editionsgeschichte dieses Werks (das typologisch in die Reihe der Gemeindelehrtexte fällt, aber ähnlich wie die Didache einen apokalyptischen Teil enthält) Bleckmann (2008), 15–20. Zum Beispiel die eschatologische Rede Christi (Luk. 21, Matth. 24, Mk. 13), der Zweite Thessalonicherbrief, die Didache, die Johannesapokalypse. Vgl. etwa Apg. 1,11; 2,15–21. 10,6: „Diese Welt möge vergehen“ und die Schlußapokalypse (16). Dazu ausführlich Zwierlein (1978), 58–80.

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Texten,111 dass sie die durch die Invasionen germanischer Stammesgruppen verursachten „Greuel der Verwüstung“ in eindringlichen Bildern schildern, die Frage nach der Rolle Gottes bei diesen Katastrophen stellen und zu dem Ergebnis kommen, dass die Christen aufgrund ihres sündigen und heuchlerischen Lebens selbst Schuld an der erlittenen Gewalt tragen. Die Kriegs- und Niederlagenerfahrungen werden, anders gewendet, von den Autoren der Bußpredigten und verwandter Texte112 instrumentalisiert, um den Zuhörern und Lesern die Leviten zu lesen. Unter dem Eindruck der militärischen Katastrophen des vierten und fünften Jahrhunderts bot die Apokalyptik ein Mittel zum Einsammeln angsterfüllter Sünder oder Konvertiten, vor allem aber auch eine psychologische Fluchtburg gegen die Ängste der Gegenwart.113 Diesem psychologischen Zugewinn stand allerdings einmal mehr als kognitiver Verlust gegenüber, dass die Fluchtburg dem Realitätsprinzip verschlossen blieb. Wenn man den Ertrag dieser knappen Revue zusammenzufassen sucht, lässt sich bei allen Unterschieden der literarischen Reaktionen auf das Ende des Imperiums als Gemeinsamkeit fast aller Genera festhalten, dass sie sich der Realität des politischen und militärischen Niedergangs entweder ganz verweigern oder doch Mühe haben, sich dieser Realität reflektierend anzunähern. Mit der Realität meine ich die oben angesprochenen Zusammenhänge von fiskalischer und militärischer Überbelastung, logistischer Überforderung, ökonomischer Regression und schließlich territorialer Desintegration und politischem Zusammenbruch. Bei der insouci­ ance der Millionäre liegt dieser Befund auf der Hand. Aber auch die Literatur, die Aspekte der Realität einfing, ging den inneren Zusammenhängen und historischen Entwicklungslinien des politisch-militärischen Niedergangs aus dem Weg. Das gilt etwa für die Untergangsbilder komponierende Historiographie des ammianischen Typs (und verwandte Textarten). Wir verdanken dieser Literatur beeindruckende Szenen des Untergangs, die die kollektive Erinnerung an das Ende des Imperiums entscheidend geprägt haben. Aber diese auf die Gestaltung einprägsamer Einzelszenen orientierte Haltung war schon aufgrund ihrer Eigenart nicht geeignet, konkrete Wechselbeziehungen und Entwicklungslinien aufzudecken. Analoges gilt für die Chroniken à la Marcellinus Comes, die anders als die große Historiographie emotionslos verfährt, aber ebenso wie diese Momente in sich einkapselt. Die Apokalyptik lenkt den Blick bewusst von der irdischen Realität ab, die Kirchengeschichtsschreibung wählt einen Ausschnitt der Realität, in dem fiskalische / militärische / politische Phänomene nicht sichtbar werden oder eine untergeordnete Bedeutung haben. Gezielt in den Blick genommen wird dieser Bereich der Wirklichkeit von den Denkschriftautoren wie Vegetius oder Synesios. Aber diese Wirklichkeit in ad111 Eno (1989). Es gibt erwartungsgemäß Nuancen in der Behandlung der Thematik. Bei Salvian erscheinen die ‚Barbaren‘ als relativ gemäßigt, jedenfalls allgemein in sittlichen Dingen als tugendhaft, weshalb sie von Gott als Geißel der sündigen Kirche verwendet werden. Mit dieser Intention formuliertes ‚Barbarenlob‘ begegnet bei mehreren christlichen Autoren; mitunter werden die ‚Barbaren‘ jedoch auch abschätzig und rassistisch abqualifiziert (so durchgehend bei Synesios). 112 Vgl. auch Fahey (1999), 225–241. 113 Wichtige Beiträge zu dieser Thematik jetzt in dem Sammelband von Ameling (2011).

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äquater Weise zur Kenntnis zu nehmen, waren auch diese Autoren nicht in der Lage. Sie riefen nach todesmutigen, kraftstrotzenden Rekruten, Wunderwaffen, ‚sieghaften Kaisern‘ und neuen Münzbildern. Ratschläge der Art, den militärischen Apparat auszubauen und gleichzeitig die Steuern zu senken, wie Synesios sie erteilte, zeigen wenig Einsicht in die Zwangslage der politischen Zentrale. Warum brachte die antike Kultur, deren medizinische, geographische oder philosophische Autoren sich nüchtern dem Realitätsprinzip unterwerfen konnten, so wenig Konkretes über den Prozess des Niedergangs des (ihres) Imperiums hervor? Darüber lässt sich nur spekulieren. Die auf den Untergang orientierenden Weichenstellungen lagen lange zurück. Die Entscheidung für ein steuerfinanziertes stehendes Heer, das den Reichsstaat als Zwangsinstrument zusammenhalten und vergrößern sollte, hat das Imperium langfristig überfordert. Mit der politischen Außenwelt hatte es niemals auf der Basis der Kooperation und Verständigung, sondern mit dem zutiefst verinnerlichten Habitus politischer Überlegenheit verkehrt. Der Modus der Einbeziehung in den imperialen Machtbereich war der der Unterwerfung, etwaigem Widerstand wurde ausschließlich mit Gewalt begegnet. Im Laufe des dritten Jahrhunderts n. Chr. stellte sich heraus, dass der militärische Apparat des Imperiums erhebliche Schwachstellen hatte. Zeitgleichen Angriffen auf die Reichsgrenzen an weit auseinander liegenden Frontabschnitten war dieser Apparat nicht gewachsen.114 Truppenaufstockungen, Solderhöhungen und das Stakkato der Truppenverlegungen ließen die Reichsfinanzen kollabieren. Erst im vierten Jahrhundert wurde eine Defensivstruktur aufgebaut, die diesen Namen verdiente, doch ihre Kosten waren zu hoch und ihre Kapazitäten der Erhöhung des äußeren Drucks nicht gewachsen. Nach 406 n. Chr. brach das westliche Verteidigungssystem zusammen. In dieser Situation war nichts mehr zu retten. Eine vertiefte Reflexion hätte die Fehler der Vergangenheit aufdecken und die Ausweglosigkeit der Gegenwart aufzeigen können. Da war es schon komfortabler, den imperialen Tonfall bis zum Ende, gleichsam als wäre nichts gewesen, beizubehalten,115 oder den emotionalen Halt der Apokalyptik zu suchen. Auch die Rufe nach Steuersenkungen, religiöser Einheit, moralischer Umkehr oder neuen Waffensystemen und Münzbildern hatten, so nutzlos sie in der Praxis waren, doch immerhin den Vorteil, von der hoffnungslosen Wirklichkeit abzulenken. Damit hat die Reaktion der spätantiken Schriftsteller etwas Zeitloses. Dass sie ihre Appelle in eleganten, innovativen Formen und kreativer Sprachgestalt vorbrachten, kann dagegen als Ausweis der spezifischen Vitalität antiker Kultur verbucht werden.

114 Eich (2007a). 115 Eine bemerkenswerte Parallele bieten übrigens die Quellen aus der Vorphase des totalen Kollaps des assyrischen Großreichs im Jahr 612 v. Chr. Vgl. etwa den Kommentar von Liverani (2001), 385: „Compared to the hundreds of extant letters sent or received by the king dealing with personal or court affairs, just a few deal with border defense and foreign relations, and not even one with tribute income or similar economic matters, or with the administrative arrangements of provinces.“

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ZEITEN(W)ENDEN

ZEITLOSE ORTE Überlegungen zur fragilen Zeitstruktur von Höhle, Nacht und Paradies in der römischen Literatur Anja Wolkenhauer Tempus per se non intellegitur. Zeit ist nicht einfach da, Menschen können sie nicht ‚einfach so‘ wahrnehmen, sondern sie nur mittelbar erfahren. Zeit wird definiert, in ihren Wirkungen beschrieben und göttlichem oder menschlichem Handeln zugeordnet. Sie wird klassifiziert als ungreifbare Größe oder Instrument politischen Handelns, als poetischer Gegenstand oder Maß der alltäglichen Mühsal. Erst die fixierte und in einen spezifischen Referenzrahmen gestellte Zeiterfahrung ist für die historisch orientierte Forschung greifbar. Diese Referenzrahmen bestimmen die spezifische Wahrnehmung der Zeit, die ihr zugesprochene Autorität bzw. Beeinflussbarkeit; sie wirken ihrerseits auf den Handlungsrahmen, der für individuelles resp. gesellschaftliches Handeln angenommen wird. Versuchsweise sollen diese Referenzrahmen als „kosmische Konstante“, „kulturelles Konstrukt“ und als „individuelle Zeiterfahrung“ benannt werden, wobei letztere in die ersten beiden ‚Zeitordnungen‘ eingebettet erscheint.1 Eine derartige Differenzierung bietet eine Alternative zur historischen Unterscheidung von zyklischen und linearen Zeitvorstellungen. Beide Konzepte existierten in Rom nebeneinander; eine Entwicklung vom einen zum anderen hin, wie sie die ältere Forschung suchte, ist in Rom nicht nachweisbar. Je nach Zusammenhang treten lineare oder zyklische Vorstellungen stärker in den Vordergrund, die sich in römischen Texten also nicht nach älteren oder jünger, sondern nur nach Textspezifika wie Diskurszugehörigkeit, Publikum, Thema, Gattung u. ä. bestimmen lassen. Die drei Referenzrahmen und ihre Wechselwirkungen werden im Folgenden knapp skizziert, um im Anschluss ihre Negation, das ganze oder partielle Aussetzen der Zeit, näher zu untersuchen. 1 REFERENZRAHMEN Die kosmische Zeitordnung, platonisch-zyklisch oder aristotelisch-linear gedacht, gilt als unantastbar und unveränderlich; die gesellschaftliche Zeitordnung hingegen ist in Rom diskutiert und besonders in der späten Republik verändert worden. Begleiterscheinungen dieser Reform der kulturellen Zeitordnung waren eine zuneh1

Viele der hier knapp skizzierten Überlegungen beruhen auf Fallstudien, die ich in Wolkenhauer (2011) detailliert ausgeführt habe. Dort findet sich auch weiterführende Literatur.

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mende zeitliche Fixierung und Verschriftlichung von Ereignissen und eine sukzessive Verzeitlichung des Alltags, die in der frühen Kaiserzeit ein Maß erreicht hatte, das für mehr als anderthalb Jahrtausende nicht mehr überboten wurde.2 Der erstgenannte Bereich, die kosmische Zeit, ist Gegenstand philosophischer und astronomischer Überlegungen, die sich in den antiken Diskursen z. B. in der Beschreibung der Gestirnsbewegung, im Bild des Planetensystems als ‚himmlischer Uhr‘ bei Platon oder in der aristotelischen Definition der Zeit als Maß der Veränderung konkretisieren.3 Diese ‚Zeit‘ wird primär als Moment der Dauer aufgefasst, die als kurzfristig linear oder langfristig kreisförmig erscheinende, gleichförmige Bewegung auf einer fixen Bahn zu veranschaulichen ist. Sie dient vor allem der naturphilosophischen Literatur als Bezugspunkt. Die Verankerung in Ursprungs- und Schöpfungserzählungen macht sie häufig zu einer präkulturellen, dem Göttlichen nahen oder ihm direkt zugehörigen Größe. Als Vorstellung zyklischer Dauer oder eines linear gerichteten, gleichmäßig verlaufenden, dem menschlichen Zugriff in jedem Fall entzogenen Zeitflusses hat sie aber auch jenseits naturphilosophischer Diskurse Anteil am kulturellen Wissen der Antike. Im Alltag prägt sie z. B. die Wahrnehmung des bäuerlichen Jahres, das – unabhängig von den jeweils gültigen kulturellen Zeitordnungen und den damit verbundenen Diskursen – in der agrarwissenschaftlichen Literatur, der georgischen Lehrdichtung oder den sogenannten Bauernkalendern als irdischer Spiegel kosmischer Abläufen erscheint. Der zweite Bereich, die kulturelle Zeitordnung, ist vor allem an gesellschaftlichen Praktiken abzulesen. Hier werden Epochen definiert, Kalender entwickelt, Feiertage festgelegt, Lebensphasen fixiert, Ereignisse synchronisiert usw. Die genaue Bestimmung von Zeitpunkten und Übergängen in einem humanen Bezugsrahmen steht in ihrem Zentrum; Verschriftlichung spielt eine bedeutende Rolle. Ihre umfangreichste zusammenfassende Darstellung fand sie in Rom in den verlorenen Antiquitates des M. Terentius Varro, die der Kategorie der Zeit insgesamt fast ein Viertel des Textes (9 von 41 Büchern) widmeten, wobei zumindest die drei Bücher zur Kultpraxis eindeutig der kulturellen Zeitordnung zuzuweisen sind.4 Die Legitimation der kulturellen Zeitordnung erfolgt durch die Gesellschaft; sie kann im politischen Prozess verändert werden. Ein wichtiges movens dieser Reformen waren die Differenzen zwischen verschiedenen Zeitordnungen, die im Kulturkontakt sichtbar wurden: Griechische wie römische Geschichtsschreiber dachten z. B. explizit darüber nach, an welchem der zahlreichen zeitlichen Ordnungsschemata 2 3 4

Wichtige Indizien hierfür sind u. a. der Anstieg kleinteiliger Zeitbestimmungen in der damaligen Literatur oder, im Bereich der Realien, die zahlreichen Uhrenfunde aus Pompeji. Nachweise bei Gibbs (1976). Plat. Tim. 37 c–39 e; Aristot. phys. 4,10–11, 219 b 1–2; Wolkenhauer (2011), 23–31. Augustins Darstellung in civ. 6,3 macht es möglich, den Gesamtaufbau des Werks sowie die Titel der einzelnen Bücher de temporibus innerhalb der Antiquitates divinae als de feriis, de ludis circensibus und de ludis scaenicis zu bestimmen. Da sein Interesse primär den Antiqui­ tates divinae galt, sind die (auch aus anderen Quellen gewonnenen) Informationen über die sechs Bücher des tempus humanum letztlich so fragmentarisch, dass nicht zu bestimmen ist, welche zeitlichen Referenzrahmen dort thematisiert wurden. Cardauns (1976), frg. 76–82; zum Gesamtaufbau vgl. 130 f. Cardauns (2001), 50–60. Wolkenhauer (2011), 168–174.

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des Mittelmeerraums (Synchronismen, Olympiaden, Gründungsjahre etc.) ihre Geschichtserzählung sich ausrichten solle.5 Ebenso registrierte Caesar die abweichenden kulturellen Zeitordnungen in Gallien oder Ägypten und war in der Lage, die tradierte römische Ordnung des Jahres durch die Kalenderreform neu zu bestimmen. Im Hintergrund dieser Diskurse steht deutlich sichtbar die Frage, ob und wodurch Veränderungen der bestehenden Zeitordnung zu legitimieren sind. Dabei werden in Rom sowohl die eigene Tradition als auch die Gottgegebenheit der kalendarischen Ordnung zur Begründung herangezogen: Während z. B. Cicero im Hinblick auf die Kalenderreform postulierte, dass die kulturelle Zeitordnung der kosmischen untergeordnet, die Ordnung der Zeit daher dem menschlichen Zugriff entzogen und Caesars Kalenderreform somit unzulässig sei, vertrat dieser im Gegenzug seine Kalenderreform offenbar als Rückkehr zur römischen Tradition, als Anpassung an das kosmische Maß (die Zyklizität des Sonnenjahres) und als Harmonisierung der eigenen Zeitordnung mit derjenigen anderer Kulturen des Mittelmeerraumes.6 Der dritte Bereich, der die Zeiterfahrungen des Individuums umfasst, findet sich besonders in den Texten, in denen uns ein literarisches ‚Ich‘ entgegentritt. Die dort formulierten Zeiterfahrungen können als Folge der Reibung, der Widerständigkeit gegen die beiden vorgenannten Zeitordnungen gelesen werden: Ein individuelles Leben erscheint sowohl in die kosmischen Abläufe von Monat und Jahr als auch in den Rhythmus der kulturellen Ereignisse und Fristen eingebettet. Es hat Anfang und Ende; es ist von einem ständigen ‚noch nicht‘ oder ‚nicht mehr‘, im Verhältnis zu den überindividuellen Zeitordnungen geprägt, die ihm – je nachdem – einen stützenden oder beengenden Rahmen verleihen. Wo diese Zeitskalen sich gegeneinander verschieben, erscheint das Individuum existentiell bedroht. So beschreibt es exemplarisch Ovid, der deutlicher als andere klassische Autoren widerstreitende Zeitordnungen in seinen Texten, besonders in der Exildichtung, registriert hat. Er soll daher zur Verdeutlichung des Gesagten kurz herangezogen werden:7

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Wolkenhauer (2011), 194–208. Wolkenhauer (2011), passim, bes. 221 ff. – Mit Caesars Eingriff beginnt übrigens, das sei zumindest am Rande bemerkt, tatsächlich eine neue zyklische Wahrnehmung im Hinblick auf das Kalenderjahr der Römer. Durch den Verzicht auf die Schaltmonate wird das Kalenderjahr am Ende der Republik endlich wieder zyklisch, da es fest an das Vegetationsjahr angebunden wird. Zyklisch meint hier, dass in jedem März sichtbar der Frühling beginnt, jeden April alles blüht und in jedem Juli geerntet werden kann. Noch für Cicero ist dies keine sicher zu handhabende Realität, sondern ein frommer Wunsch (Cic. Verr. 2,2,129–130). Die Kombination der Monatsnamen mit charakterisierenden Adjektiven setzt erst ganz allmählich in der augusteischen Dichtung ein. Übers. angelehnt an G. Luck. Grundlegend für die Analyse dieser Passage ist Hinds (2005), bes. 214 f.; vgl. auch Wolkenhauer (2011), 323–326. In seiner Tristienausgabe schlägt Hall für omnia in Vers 10 die sachlich unergiebige Konjektur momina (zum momen, i.e. motus) vor. – Luck weist in seinem Kommentar auf Joachim Du Bellay hin, unter dessen „Regrets“ sich eine Elegie (Nr. 36, „Depuis que j’ai laissé mon naturel séjour“) findet, die eine sehr lesenswerte, textnahe und zugleich ähnlich autobiographisch gelagerte Variatio von trist. 5,10 darstellt: Es ist die Klage eines Mannes, der seit drei Jahren in Rom weilt, das für ihn Tomi ist. Ihm wird die Zeit lang, und er sehnt sich nach Paris und dem dort lebenden Freund zurück.

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Anja Wolkenhauer Ut sumus in Ponto, ter frigore constitit Hister, facta est Euxini dura ter unda maris: at mihi iam uideor patria procul esse tot annis, Dardana quot Graio Troia sub hoste fuit. stare putes, adeo procedunt tempora tarde, et peragit lentis passibus annus iter; nec mihi solstitium quicquam de noctibus aufert, efficit angustos nec mihi bruma dies. scilicet in nobis rerum natura novata est, cumque meis curis omnia longa facit? an peragunt solitos communia tempora motus, stantque magis vitae tempora dura meae?

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Seit ich am Pontus bin, ist die Donau dreimal vor Kälte erstarrt, sind dreimal die Wellen des Schwarzen Meeres fest geworden. Mir aber kommt es vor, als ob ich schon so viele Jahre von meiner Heimat fort wäre, wie Troia, die Stadt des Dardanos, vom griechischen Feind belagert wurde. Man könnte glauben, die Zeit stünde still: so langsam geht sie voran und mit so trägen Schritten vollendet das Jahr seinen Weg. Mir nimmt die Sommersonnenwende nichts von den Nächten weg, und die Wintersonnenwende macht mir die Tage nicht kurz. Ist denn wirklich bei mir die Natur ganz neu geworden und macht mit meinen Sorgen zusammen alles lang? Oder vollziehen die allen gemeinsamen Zeiten ihre gewohnten Bewegungen, und nur die harten Zeiten meines Lebens stehen still? Ov. trist. 5,10,1–14

Auf die hier wiedergegebene einleitende Klage folgt noch eine differenzierte Darstellung aller Unbill, unter der Ovid im Exil zu leiden hat: die rauen Sitten, beständige Unruhen, Verständigungsschwierigkeiten und emotionale Isolation zeigen ein breites Spektrum von Alteritätserfahrungen, die am Ende in einer nur wenig verhüllten Bitte an den Kaiser um einen anderen Verbannungsort münden.8 Im Zentrum dieser Elegie stehen Verweigerung und Selbstbehauptung in einer fremden Umgebung, doch der Dichter stellt noch ein anderes, selbständiges, aber eng damit verflochtenes Motiv an den Anfang: Die offensichtliche Veränderung der zeitlichen Referenzrahmen und der daraus abgeleiteten Handlungsoptionen.9 Die Zeit steht am Beginn der Elegie, da sie wenn schon nicht die Urheberin, so doch eine verstärkende Kraft ist, die alle anderen Leiden vergrößert. Dadurch, dass die altvertraute Zeitordnung durcheinander geraten zu sein scheint, wird jedes Leiden ins Unendliche gedehnt. Dabei treten die drei verschiedenen zeitlichen Referenzrahmen sehr deutlich hervor: Bruma und solstitium (sc. aestivum), Winter- und Sommersonnenwende sind zwei zentrale Parameter der kosmischen Ordnung, nach denen das Jahr und die Jahreszeiten in allen antiken Zeitordnungen gemessen werden. Das Überwinden der dunkelsten Zeit des Winters, der bruma, ist regelmäßig ein wichtiger Fixpunkt von Ovids pontischer Zeitrechnung und ersetzt dort meist die römische Kalender8 9

Ovids topische Klage über den locus horribilis behandelt Kettemann (1999), allerdings ohne auf die zeitliche Struktur des Ortes besonders einzugehen. Zur Deutung der Elegie im Kontext der Exilserfahrung s. exemplarisch Feichtinger (2010) 38–56, bes. 47 f.

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rechnung, deren Geltungsbereich für Ovid offenbar auf Rom beschränkt war.10 Die Datierung des dritten Exiljahres wird allerdings in einer rätselhaften, an ein Adynaton erinnernden Form angeboten:11 Weder könne die Sommersonnenwende ihm die Nächte noch die Wintersonnenwende die Tage verkürzen (v. 7/8). Winter- und Sommersonnenwende finden in Tomi, das ungefähr auf der Breite von Rimini und Ravenna liegt, natürlich genau so statt wie in Rom. Die Daten sind hier vielleicht sogar besser fixierbar, aber sie ‚funktionieren‘ nicht. Es lohnt sich nicht, dass sie stattfinden, da in Tomi keine kulturellen Konventionen damit verbunden sind, so dass die individuelle Zeit- und Lebensordnung nicht mehr so sein kann, wie sie war.12 Der Sprecher veranschaulicht das Schwinden des individuellen Zeitempfindens, indem er die Wirksamkeit der kosmischen und der kulturellen Zeitordnung leugnet. Die Sonnenwenden bewirken nichts, und die kulturelle Zeitordnung Roms ist nur noch durch den verzerrten Vergleich der drei Exilwinter mit den historischen Daten des Trojanischen Krieges vorstellbar. Andersherum formuliert: Da die Zeitordnung des Individuums zwischen kosmischer und kultureller Zeitordnung ausgespannt ist, erscheint die a priori so unerschütterliche kosmische Ordnung nicht mehr als verlässlich, wenn die kulturelle verlorengeht. Dieser Funktionsverlust wird als Verlangsamung spürbar: Die Zeit schleicht, ist langsam, scheint zu stehen;13 ihre Signale, die nichts mehr ankündigen, sind nutzlos. Das Individuum erscheint existentiell verloren in einer Welt, in der Spuren der Zeit zwar sichtbar sind, ihre Deutung aber nicht mehr in den vertrauten Bahnen der urbs funktioniert. Doch auch in der urbs, die in vielen Exilgedichten in den Blick kommt, ist die Zeitordnung nicht homogen. Denn neben den drei hier knapp skizzierten Perspektiven auf die Zeit – kosmisch, kulturell, individuell – steht die Topographie der Zeit, die festlegt, wo Zentrum und Peripherie liegen, wie weit eine Zeitordnung reicht und wo Bereiche fragiler oder fehlender Zeit zu erwarten sind, Orte der Zeitruhe oder der Zeitlosigkeit. Wenn man im Kontext mentalitätsgeschichtlicher Untersuchungen danach fragt, wo eine Kultur eine auf den ersten Blick absolut anmutende Größe gedanklich in Frage stellt, sie als fehlend, veränderlich oder fragil imaginiert, dann stößt man auf ganz unterschiedliche Texte: Die antiken Kulturentstehungsmythen denken die Zeit an sich als veränderliche Größe. Aristoteles stellt in den Kern seiner Zeittheorie den Mythos von den sardischen Schläfern, der die kosmische Zeit von ihrer jeweiligen Wahrnehmung durch den Menschen abhängig macht und 10

Ov. trist. 4,7,1; Pont. 4,13,40; zu den Sommern vgl. Pont. 4,10,1; Pont. 2,10,37 (die langen Abende). Die Nutzung kosmischer Daten anstelle des römischen Kalenders veranschaulicht Ov. Pont. 3,3,5–6; dazu Wolkenhauer (2011), 326. 11 Vgl. etwa. Ov. Pont. 2,4,25 ff. 12 Was man – besonders in Liebesdingen – wann und wo tun sollte, ist Gegenstand der ars amato­ ria. Dabei steht der Sommer im Vordergrund; den Winterabend als Zeit der Feste, der Gemeinschaft, aber auch der stillen Lektüre besangen v.a. Vergil (georg. 1,299–310; 3,375–383) oder Horaz (epist. 1,7,10–13). Weitere Texte zum winterlichen Alltagsleben sind zusammengestellt bei Rathmayr (2001), 218–294. 13 Ov. trist. 5,10,5: stare putes, adeo procedunt tempora tarde / et peragit lentis passibus annus iter. Hinds (2005), 215, bemerkt den Stillstand etymologisch auch in den Begriffen sol­stitum und Hister (zu ἵσταμαι).

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dadurch relativiert. Fiktionale Darstellungen der Alterität, von fernen Epochen und fremden Ländern, erproben alternative kulturelle Zeitordnungen mit je spezifischen Eigenschaften. Aber auch die Nacht, Repräsentantin des gänzlich Anderen im Alltag, weist eine ganz eigene, fragile Zeitstruktur auf. 2 ZEITLOSE ORTE 2.1 Die Höhle Die abstrakteste aller antiken Darstellungen der Zeit, Aristoteles’ Zeittheorie, trägt in ihrem Zentrum die bildhafte Erzählung von den sardischen Schläfern. Sie hat die Nichtwahrnehmbarkeit der ‚Zeit an sich‘ zum Gegenstand, die hier als individuell erfahrene Zeitlosigkeit erscheint:14 Ἀλλὰ μὴν οὐδ’ ἄνευ γε μεταβολῆς· ὅταν γὰρ μηδὲν αὐτοὶ μεταβάλλωμεν τὴν διάνοιαν ἢ λάθωμεν μεταβάλλοντες, οὐ δοκεῖ ἡμῖν γεγονέναι χρόνος, καθάπερ οὐδὲ τοῖς ἐν Σαρδοῖ μυθολογουμένοις καθεύδειν παρὰ τοῖς ἥρωσιν, ὅταν ἐγερθῶσι· συνάπτουσι γὰρ τῷ πρότερον νῦν τὸ ὕστερον νῦν καὶ ἓν ποιοῦσιν, ἐξαιροῦντες διὰ τὴν ἀναισθησίαν τὸ μεταξύ. ὥσπερ οὖν εἰ μὴ ἦν ἕτερον τὸ νῦν ἀλλὰ ταὐτὸ καὶ ἕν, οὐκ ἂν ἦν χρόνος, οὕτως καὶ ἐπεὶ λανθάνει ἕτερον ὄν, οὐ δοκεῖ εἶναι τὸ μεταξὺ χρόνος. εἰ δὴ τὸ μὴ οἴεσθαι εἶναι χρόνον τότε συμβαίνει ἡμῖν, ὅταν μὴ ὁρ καὶ ζωμεν μηδεμίαν μεταβολὴν, ἀλλ’ ἐν ἑνὶ καὶ ἀδιαιρέτῳ φαίνηται ἡ ψυχὴ μένειν, ὅταν δ’ αἰσθώμεθα καὶ ὁρίσωμεν, τότε φαμὲν γεγονέναι χρόνον, φανερὸν ὅτι οὐκ ἔστιν ἄνευ κινήσεως καὶ μεταβολῆς χρόνος. Aber andererseits ist Zeit auch ohne Veränderung nicht möglich. Denn wenn wir in unserem Denken keine Veränderung durchmachen oder aber eine solche nicht bemerken, dann haben wir nicht den Eindruck, dass Zeit vergangen sei: wie es ja auch den sardischen Schläfern, die bei den Heroen schlafen, nach ihrem Aufwachen – so erzählt man – ergeht: sie knüpfen das spätere Jetzt unmittelbar an das frühere und lassen die beiden Zeitpunkte zusammenfallen, indem sie die Zwischenzeit infolge ihrer Bewusstlosigkeit einfach annullieren. Wie es also keine Zeit gäbe, wenn die Jetztpunkte nicht verschieden wären und es nur einen einzigen Jetztpunkt gäbe, so wirkt hier die Zwischenzeit, als wäre sie nicht gewesen, weil man es nicht merkt, dass die Jetztpunkte verschieden sind. Wenn demnach unser Zeitbewusstsein dann ausfällt, wenn wir keine Veränderung feststellen können, die Seele vielmehr an einem und demselben Zeitpunkte zu beharren scheint; wenn wir andererseits ein Zeitbewusstsein dann haben, wenn wir Veränderungen bemerken und feststellen, so beweist dies, dass Prozess (kinesis) und Veränderung (metabolé) Bedingungen der Zeit sind. Aristot. phys. 4,11,218 b

Die Geschichte von den sardischen Schläfern wird hier nicht weiter ausgeführt. Das Motiv ist allerdings in vielen Literaturen geläufig, erinnert sei nur an Epimenides in der Diktäischen Höhle, die Siebenschläferlegende und die Erzählung vom Schlaf des Königs Barbarossa im Berge.15 Die sardischen Schläfer schlafen eine unbestimmte Zeit lang an einem abgeschiedenen Ort in einer dunklen Höhle, vielleicht in 14 15

Übers. in Anlehnung an Hans Wagner. Ausführlich dazu Koch (1883).

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einem Heroon.16 Ob es hier um Ekstase, um Heilung oder philosophische Erkenntnis geht, bleibt offen, denn Aristoteles verschweigt die Motive der Handelnden,17 während er ihre unterschiedlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten hervorhebt: solange sie schlafen, spüren sie die vergehende Zeit nicht; wenn sie erwachen, können sie nicht ermessen, wie viele Stunden und Jahre mittlerweile vergangen sind, sofern der sie umgebende Raum sich nicht verändert hat. Aristoteles zitiert hier, wie er sagt, eine alte, dem Mythos nahe Geschichte, um seiner raumorientierten Definition der Zeit Rückhalt zu verleihen. Dazu konzentriert er sich auf den visuell erfahrenen Raum und dessen Veränderung in der Zeit (κίνησις καὶ μεταβολή). Ausgehend von der menschlichen Grunderfahrung, dass jede Wahrnehmung durch Dunkelheit, Schlaf und Traum beeinflusst wird, arbeitet er die Schwächen des menschlichen Betrachters heraus, der die Zeit an sich nicht erkennen kann. Doch das ist nur ein Zwischenschritt; letztlich zielt der intellektuelle Aufwand, den Aristoteles durch Beispiel, Veranschaulichung, Mythos und Traum treibt, darauf, die Begrifflichkeit des Raumes als adäquates Vokabular zur Beschreibung zeitlicher Phänomene zu etablieren. Wenn Zeit nicht nur in der Begrifflichkeit des Raumes gedacht wird, sondern auch ohne Veränderungen im Raum gar nicht wahrgenommen werden kann, dann scheint die Zeit dort stillzustehen, wo sich nichts verändert oder wo keine Veränderung wahrgenommen wird. Da der Mensch kein Zeitorgan besitzt, kann die Zeit nur stellvertretend mit Hilfe der anderen Sinne – in seiner Erzählung: des Sehsinns – wahrgenommen werden. Damit werden die Grenzen menschlicher Zeitwahrnehmung deutlich, die immer nur mittelbar erfolgen kann und an Licht und Bewegung gebunden ist. Nacht 16

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Der spätantike Aristoteles-Kommentator Johannes Philoponos kategorisiert die Erzählung als Mythos und Paradeigma und geht davon aus, dass es sich um einen mehrtägigen Heilschlaf in einem sardischen Heiligtum gehandelt habe. (Schol. Arist. 218 b 23; Commentaria in Aristotelem Graeca, 17,715). Rohde (1880), 160, versucht eine etwas anders gewichtete Rekonstruktion des Mythos: „Man könnte sich vorstellen, dass auf Sardinien die Sage ging, einzelnen Menschen sei es geglückt, zu dem Aufenthaltsorte jener entrückten Thestiaden (doch wohl in einer Berghöhle) vorzudringen; wo denn auch sie in langen Schlaf gesunken seien, aus welchem erwachend sie zu ihrem Erstaunen eine lange Zeit verflossen fanden, deren Verlauf sie doch nicht gespürt hatten. So dringen ja in vielen nordischen Sagen und Märchen einzelne Menschen zu den entrückten Helden und Göttern vor, finden den Weg in den Berg zu den Erdmännchen, oder, wie Tannhäuser, zu Frau Venus; und sehr häufig kommt der also Begünstigte nach Ablauf langer Jahre erst wieder an die Oberwelt, da er doch nur allerkürzeste Zeit drunten gewesen zu sein meinte.“ Die Kontrastierung ist auffällig; während sonst die Grenzerfahrung im Mittelpunkt steht, die Zeitstruktur hingegen nicht thematisiert wird, liest Aristoteles das Motiv auf einen bis dahin offenbar ungesehenen Aspekt hin. Blum (2004) gibt zwar einen weiten Überblick über die Motivgeschichte, geht aber auf den hier besprochenen Fall nicht ein. – Zur Raumsymbolik der Höhle s. zuletzt Männlein-Robert (2012); zum Motiv des langen Höhlenaufenthalts bes. 5 f. Die spezifische Zeitstruktur der Höhle scheint im platonischen Kontext wenig Bedeutung zu besitzen; man könnte allenfalls in der Rahmenerzählung der Nomoi, die eine Wanderung zur Zeushöhle zum sonst nicht weiter motivierten Zeitpunkt der Sommersonnenwende skizziert, eine Kontrastierung von expliziter Zeitlichkeit (der tagmessenden Sonne und ihrer Sommerwende als einem der vier Fixpunkte des astronomischen Zeit) und expliziter Zeitlosigkeit (der mythisch-dunklen Höhle) bemerken.

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und Dunkelheit implizieren, so ist aus der Erzählung im Gegenzug zu schließen, nicht nur Welt-, sondern auch Zeitverlust. Die Erkenntnis, dass Licht, Bewegung und Zeitwahrnehmung nicht voneinander zu scheiden sind, bleibt in der späteren Diskussion um das Wesen der Zeit hintergründig immer präsent. So stellt Lukrez die immer nur mittelbare Wahrnehmung der Zeit an den Beginn seiner Definition und folgert daraus die Notwendigkeit von Bewegung zur Zeitbestimmung,18 und noch Servius zieht diesen Gedanken zur Deutung von Nachtszenen heran, wobei er das Moment der Wahrnehmung – intellegitur – besonders hervorhebt.19 Aristoteles, Lukrez, Servius stehen bei aller Unterschiedlichkeit für die gemeinsame Beobachtung ein, dass aufgrund der Gleichförmigkeit und Handlungsarmut, die üblicherweise in der Mitte der Nacht herrschen, die Zeit in der Mitte der Nacht nicht wahrnehmbar ist. 2.2 Das ferne Paradies In der griechisch-römischen Antike gibt es neben der Höhle noch eine Reihe anderer literarischer Raumentwürfe, in denen die Zeit eine Rolle spielt. Anders als der Höhlentopos sind sie jedoch oberirdisch, wenngleich vom normalen Erfahrungsraum getrennt; sie werden von Helligkeit bestimmt und meist positiv beurteilt. Es sind jenseitige Orte und irdische Paradiese, die Utopien vor dem Begriff, so z. B. Ovids goldene Zeit (aetas aurea), Lukians Inseln der Seligen, die fernen Länder der Phäaken und Hyperboreer. Allen Darstellungen gemeinsam ist eine extreme Gleichförmigkeit, die Natur und Kultur gleichermaßen prägt. Dies impliziert ein gedachtes Anhalten oder Aussetzen der Zeit: Alle Abläufe erscheinen gedehnt oder verlangsamt, was idealiter zur Angleichung von Lebenszeit (Individualzeit) und Weltzeit (kosmischer Zeit) führt.20 Exemplarisch für die positive, utopische Zeitdehnung sei hier wieder eine Passage aus Ovid, jetzt aus dem Zeitaltermythos der Metamorphosen angeführt:21 Ver erat aeternum, placidique tepentibus auris mulcebant Zephyri natos sine semine flores; Lucr. 1,459–460: tempus item per se non est, sed rebus ab ipsis / consequitur sensus; wiederaufgenommen 462–463: nec per se quemquam tempus sentire fatendumst / semotum ab rerum motu placidaque quiete. 19 Serv. Aen. 3,587: Ait enim Lucretius quia per se tempus non intellegitur, nisi per actus humanos. medium autem noctis tempus actu caret; ergo intempesta ‚inactuosa‘, quasi sine tempore, hoc est sine actu per quem dinoscitur tempus („Dies nämlich sagt Lucretius, dass die Zeit aus sich allein heraus nicht zu erkennen ist; sondern nur durch menschliches Handeln. Die Mitte der Nacht jedoch kennt kein Handeln; also bedeutet ‚unzeitig‘ ‚bewegungslos‘, gleichsam ohne Zeit, d. h. ohne Bewegung, durch die die Zeit zu erkennen ist“); zum Kontext der Servius-Stelle s. S. 88. 20 Vgl. Wolkenhauer (2012), 230 f. – Ovids bereits erwähnter Verbannungsort Tomi bietet allerdings einen locus horribilis, ein Zerrbild des Ideals, dessen Entzeitlichung nicht zu einer idealen Ordnung, sondern zum Orientierungsverlust führt. 21 Übersetzung in Anlehnung an G. Fink; zum Topos s. grundlegend Reynen (1965). 18

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Zeitlose Orte mox etiam fruges tellus inarata ferebat, nec renovatus ager gravidis canebat aristis; flumina iam lactis, iam flumina nectaris ibant, flavaque de viridi stillabant ilice mella. Postquam Saturno tenebrosa in Tartara misso sub Iove mundus erat, subiit argentea proles, auro deterior, fulvo pretiosior aere. Iuppiter antiqui contraxit tempora veris perque hiemes aestusque et inaequalis autumnos et breve ver spatiis exegit quattuor annum.

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Es herrschte ewiger Frühling, und linde Westwinde liebkosten mit lauen Lüften die Blumen, die niemand gepflanzt hatte. Bald trug die Erde ungepflügt auch Früchte des Feldes, und ohne je einer Ruhepause zu bedürfen, leuchtete der Acker mit schweren Ähren. Schon flossen Ströme von Milch, schon Ströme von Nektar, und von den grünen Steineichen tropfte goldgelber Honig. Nachdem aber Saturnus in den finsteren Tartarus gestoßen worden war und die Welt unter Jupiter lebte, folgte das silberne Menschengeschlecht, das schlechter war als das goldene, aber kostbarer als das eherne. Jupiter zog die Zeit des alten Frühlings zusammen und gliederte durch Winter und Sommer und unregelmäßige Herbste und den kurzen Frühling das Jahr in vier Zeiträume. Ov. met. 1,107–118

Ovid hat die Zeitstruktur des tradierten Mythos verändert, indem er das Motiv ver aeternum in das goldene Zeitalter einführte. Die Stillstellung der Zeit (aeternum) erfolgt bei ihm dort, wo es am auffälligsten ist: am vollen Tag, im lichten Frühjahr, mitten im bewegten Leben. Doch nicht nur das Klima wird hier auf Dauer und gleichförmige Präsenz ausgerichtet, sondern auch alles andere: Weder Geburt noch Tod, weder Jugend noch Alter,22 weder Mangel noch Schlaf gibt es in diesem irdischen Paradies, auch die Nacht und die Jahreszeiten fehlen – alles ist auf Dauer gestellt, eine unbeschränkte und unstrukturierte Dauer, die Individuum und Welt gleichermaßen umfasst. Einen späten Reflex dieser utopischen Dauer findet man in den Wahren Geschichten Lukians, der in ironischer Brechung seine Seligen in ewigem Frühling und nie endender Morgendämmerung bei immer gleichem Wind auf ewig über Wiesen wandeln lässt.23 In der silbernen Zeit stößt Jupiter das ver aeternum in die Zeitlichkeit: Durch die contractio veris wird die unbegrenzte Dauer zur begrenzten Frist. Der Frühling wird verkürzt und eröffnet den Raum für die anderen Jahreszeiten, deren Reduktionscharakter ihre Attribute hervorheben: inaequalis und breve, unregelmäßig, veränderlich und verkürzt sind sie. Die üblichen römischen Etymologien des Zeitbegriffs tempus transportieren eine ähnlich reduktive Vorstellung, wenn sie tempus von den Verben temperare, ein Maß verleihen, bzw. τέμνειν, schneiden, herleiten.24 Dies sind die Charakteristika der neuen Zeitordnung unter Jupiter, wie Ovid sie aus der Perspektive eines imaginären Beobachters beschreibt. Er ordnet die Kräfte 22 Dazu ausführlich Wolkenhauer (2012). 23 Lukian. VH 2,12–13; dazu Möllendorff (2000) 318–327; Wolkenhauer (2011), 285 f. 24 Vgl. etwa Varro ling. 6,2,3: [tempus] divisum in partes qliquot maxime ab solis et lunae cursu. Itaque ab eorum tenore temperato tempus dictum; weitere Belege Maltby (1991), 603.

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der Natur in die Kulturentstehungslehren ein und unterwirft ihre scheinbare Naturgesetzlichkeit dem zivilisatorischen Prozess. Grundsätzlich ist daran wenig Neues; schon Aischylos hatte Prometheus als Erfinder der kulturellen Zeitordnung, konkret: der Zeitmessung vorgestellt. Ovid aber weitet dieses Verfahren auf die Veränderlichkeit der kosmischen Zeitordnung aus, die zwar außerhalb jedes menschlichen Zugriffs, aber ja nicht außerhalb der Vorstellungskraft liegt. Er historisiert sie und macht aus ihr eine Vorstufe der kulturellen Zeitordnungen. Im Wandel von der unbegrenzter Dauer der Goldzeit zur Endlichkeit der späteren Epochen wird der Schritt in das tempus hinein als Beginn der Zivilisation sichtbar. 2.3 Die Nacht Die Nacht ist das grundsätzlich Andere; Negation von Licht, Alltag und Ordnung, deren Kräfte dort, wo es unumgänglich erscheint, mühsam in die Nacht hineingetragen werden müssen. Die lateinische Sprache weist zwar zahlreiche Bezeichnungsmodi für die einzelnen Momente des Tages (nach dem Sonnenstand, den üblichen Handlungen, den Stundennummern usw.) auf. Auch Morgen- und Abenddämmerung sind noch reich gegliedert, dann aber lässt die Genauigkeit und Vielfalt der Zeitangaben deutlich nach. Die Namen der verschiedenen Nachtphasen sind seit Varro immer wieder kompiliert worden.25 Sie beziehen sich auf die Beobachtung des Himmels, auf die bäuerliche Natur und auf das menschliche Zusammenleben, reflektieren also die eingangs erwähnten unterschiedlichen Perspektiven der Zeitbeschreibung: vesper und crepusculum, Abendstern und Zwielicht, fokussieren die Veränderungen des Abendhimmels; das nachlassende Leben wird durch fax (= Zeit des Lichtanzündens) und concubium, Schlafenszeit, die nachfolgende Ruhe der tiefen Nacht als

25 Varro ling. 6,2,3 ff., bes. 5–7 Spengel: Secundum hoc dicitur crepusculum a crepero: id vocabu­ lum sumpserunt a Sabinis, unde veniunt Crepusci nominati Amiterno, qui eo tempore erant nati, ut Lucii prima luce in Reatino; crepusculum significat dubium; ab eo res dictae dubiae crepe­ rae, quod crepusculum dies etiam nunc sit an iam nox multis dubium. Nox, quod, ut Catulus ait, ‚omnia nisi interveniat sol, pruina obriguerint‘, quod nocet, nox, nisi quod graece νύξ nox. Cum stella prima exorta (eum Graeci vocant ἕσπερον, nostri vesperuginem ut Plautus: ‚Neque Ves­ perugo neque Vergiliae occidunt‘), id tempus dictum a Graecis ἑσπέρα, latine vesper; ut ante solem ortum quod eadem stella vocatur iubar, quod iubata, Pacui dicit pastor: ‚Exorto iubare, noctis decurso itinere‘; Ennius ‚Aiax, lumen iubare in caelo cerno.‘ Inter vesperuginem et iubar dicta nox intempesta, ut in Bruto Cassii quod dicit Lucretia: ‚Nocte intempesta nostram devenit domum‘. Intempestam Aelius dicebat cum tempus agendi est nullum, quod alii concubi­ um appellarunt, quod omnes fere tunc cubarent; alii ab eo quod sileretur silentium noctis, quod idem Plautus tempus conticinium: scribit enim: ‚Videbimus: factum volo. Redito conticinio.‘ Ginzel (1906–1914), 164, bietet eine viel rezipierte Übersicht der römischen Tages- und Nachtzeitbenennungen, die jedoch daran leidet, dass er versucht, alle Begriffe überschneidungsfrei unterzubringen. Vermutlich aus diesem Grunde setzt er nox intempesta hinter die Schlafenszeit, aber vor die Mitternacht; eine Fixierung, die die antiken Texte, wie im Folgenden deutlich wird, nicht stützen. Eine Übersicht über weitere Quellen bietet Courcelle (1974).

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conticinium und nox intempesta bezeichnet; gallicinium, diluculum und aurora wiederum charakterisieren die Rückkehr von Geräusch und Licht zu Tagesbeginn. Die langsame und späte Verzeitlichung der Nacht lässt sich natürlich aus der Lebenspraxis begründen: Die Anzahl kulturell relevanter bzw. verschriftlichter Handlungen ist in der Nacht geringer als am Tag. Obwohl spätestens ab 150 v. Chr. in Rom eine differenzierte Nachtzeitmessung sowohl durch natürliche Zeichen (Sternbilder, Hahnenschrei) als auch durch Wasseruhren möglich und kommunizierbar war, fand sie doch kaum Niederschlag in den bekannten Schriftzeugnissen.26 Eine nicht nur mögliche, sondern tatsächliche Nutzung der Wasseruhren bei Nacht ist für Rom in dieser Zeit nicht bekannt. Selbst in der ‚städtischen Dichtung‘ eines Horaz, Ovid oder Martial dringen die typischen Verrichtungen des städtischen Lebens und die Stundenzählung des Tages nicht bis in die Nacht vor; ja sogar die erste, elfte und zwölfte Stunde des Tages werden kaum je numerisch gezählt, sondern gewöhnlich durch Ausdrücke wie ortus und occasus (solis) ersetzt.27 Das öffentliche Leben ruhte; die Stadt lag weitgehend im Dunkeln; was jetzt in der Stadt noch geschah, ereignete sich außerhalb der zeitlich fixierten Ordnung.28 Die Reduktion der Zeitbestimmungen und der Verzicht auf die numerische Stundenzählung in der Nacht markieren einen definitorisch wenig eingegrenzten Freiraum, sozusagen eine unbesetzte Zeitspanne, eine Projektionsfläche. Die Nacht bot nicht nur kulturell, sondern auch innersprachlich ablesbar einen Platz für das, was den lichten Tag floh oder jenseits aller zivilisatorischen menschlichen Ordnung stand. Am deutlichsten wird dies am Begriff der nox intempesta. 2.4 Nox intempesta Im Herzen der Nacht, dort, wo die Nacht am tiefsten ist, liegt die nox intempesta,29 die dem Wortsinne nach zeitlose Nacht. Das Adjektiv intempestus ist schon im Altlatein geläufig; er stammt also aus Epochen einer geringen Zeitstrukturierung und 26 Die numerische Stundenzählung der Nacht bereitete sich in der Kaiserzeit allmählich aus. Vgl. dazu Gundel (1936–1942). 27 Vgl. Bilfinger (1888), 38 ff.; Belege für Horaz bei Gemoll (1892) 2. Heft, 19–20. Martial beschränkt in den einschlägigen Epigrammen (4,8; 8,67) die normative Stundengliederung auf den Tag und schweigt über die Nacht, deren einzelne Phasen oder Stunden er auch sonst nicht nennt; 10,70 betont die Irregularität der nox actuosa. Alle diese Überlegungen gelten natürlich für das städtische Leben in Rom und in den größeren Städten; Militär und Landwirtschaft hatte unabhängige, ihren eigenen Bedürfnissen entsprechende Zeitordnungen. 28 Eine Übersicht über das, „was zur Schlafenszeit vor sich geht“, auch wenn eigentlich nichts geschehen sollte, bietet Strobl (2002), 231–252; zur nächtlichen Beleuchtung im Haus, auf den Straßen und bei besonderen Ereignissen s. Seidel (2009). 29 Die griechische Zeitbestimmung ἀωρὶ νυκτός, auf die gelegentlich vergleichend verwiesen wird und auf die auch Nietzsche zurückgreift, sollte hiervon getrennt werden. Sie trägt keine Konnotationen von Gefährdung oder Zeitlosigkeit, sondern dient entweder als ‚nüchterne‘ Zeitbestimmung (= in tiefer Nacht, so bei Antiph. 2,1,4; 2,4,5) oder sie betont wie das lateinische intempestivus, dass eine Handlung in einem unpassenden Moment stattfindet (z. B. Ar. Ec. 741 – das zu frühe Wecken). Dies gilt für die gesamte Wortfamilie (ἄωρος, ἀωρί, ἀωρία).

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reflektiert keine spezifisch neuartige, etwa aus dem Gebrauch von Uhren herrührende Erfahrung, sondern etwas kulturell Älteres. Der Ausdruck wird die ganze Antike hindurch kontinuierlich, wenn auch nicht eben häufig benutzt.30 Sein semantisches Potential ist in der neuzeitlichen Philologie zuerst Friedrich Nietzsche (1844–1900) aufgefallen, der sich Anfang der 1880er Jahre mit antiken Zeitkonzepten befasste. Nietzsche sah hier die Eigenart jenes Moments der tiefsten Nacht festgehalten, in dem die Zeitempfindung aussetze, begründet durch das „Zeitenchaos des Traums“, in dem man normalerweise diese Phase verbringe.31 Dunkelheit und Traum tragen sicher das Ihre zur nox intempesta bei; die antiken Definitionen rücken allerdings einen anderen Aspekt ins Zentrum: die Abwesenheit von Ordnung, Zivilisation und Zeitlichkeit. Unter allen Bezeichnungen für die verschiedenen Phasen der Nacht, die Varro zusammengetragen hat,32 fällt allein die nox intempesta durch ihr Abstraktionsniveau auf, da sie weder durch zeitgebende Sternbilder am Himmel noch durch irdische Geräusche sondern allein durch den Mangel gekennzeichnet ist – den Mangel an deutbaren Zeitzeichen und dem daraus abzuleitenden Wissen um die Zeit, darf man in Kenntnis der oben besprochenen aristotelischen Erzählung ergänzen.33 Antike Etymologien führen das Adjektiv intempestus – gelegentlich auf dem Umweg über tempestas – auf tempus zurück und nehmen als Grundbedeutung daher die Negation der Zeit bzw. im aristotelischen Sinne die Negation ihrer Wahrnehmbarkeit an.34 Das Adjektiv tritt ausschließlich in Verbindung mit nox und einigen wenigen ähnlichen Begriffen auf; es bezeichnet nur einen spezifischen Aspekt 30 31

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Nielsen (1934–1964), 2110; die meisten Belege im Kontext zitiert sowie zusätzliche Hinweise auf die Verwendung des Begriffs in Mittelalter und Renaissance bei Courcelle (1974). F. Nietzsche, KSA 9, 1881, 11 (260): „Es giebt einen Theil der Nacht, von dem ich sage ‚hier hört die Zeit auf!‘ Nach allen Nachtwachen, namentlich nach nächtlichen Fahrten und Wanderungen hat man in Bezug auf diesen Zeitraum ein wunderliches Gefühl: er war immer viel zu kurz oder viel zu lang, unsere Zeitempfindung fühlt eine Anomalie. Es mag sein, daß wir es auch im Wachen zu büßen haben, daß wir jene Zeit gewöhnlich im Zeitenchaos des Traums zubringen. Genug, nachts von 1–3 Uhr haben wir die Uhr nicht mehr im Kopf. Mir scheint, daß eben dies auch die Alten ausdrückten, mit intempestiva nocte und ἐν ἀωρονυκτί (Aeschylus), ‚da in der Nacht, wo es keine Zeit giebt‘; […].“ Zur nox intempesta in der neuzeitlichen Philosophie, besonders bei Nietzsche, s. Lupo (2000). Siehe Anm. 25. Varro ling. 6,2,7 bezeichnet in einem ersten Zugriff die gesamte Zeitspanne zwischen Abend- und Morgenstern, also die Zeit, in der die Sterne zu sehen sind, als nox in­ tempesta, beschränkt in einem zweiten, vergleichenden Versuch den Begriff dann aber auf die tiefste, mond- und sternenlose Nacht, in der keine Handlung möglich ist. Festus (Paul. Fest. 98,15 Lindsay) ordnet ihr alle diejenigen Nachtstunden zu, die aufgrund fehlender sicht- oder hörbarer Spezifika nicht zu unterscheiden sind; eine entsprechende Problematik gibt es bei den Tagstunden nicht: intempestam noctem dicimus pro incertiore tempore, quia non tam fa­ cile noctis horae quam diei possint intellegi. Isidor von Sevilla ordnet sie hinter dem zeitlich schwer bestimmbaren conticinium und vor dem ersten Hahnenschrei ein (Isid. Orig. 5, 31, 4–5). Vgl. die Definitionen von Cens. 24,6: qua nihil agi tempestivum, und Macrobius, Sat. 1,3,15: quae non habet idoneum tempus rebus gerendis. Belege bei Nielsen (1934–1964), 2110, ausführlicher und bis in die mittellateinische Literatur fortgeführt Courcelle (1974). Einen anderen Aspekt des Begriffs (in­tempestus im Sinne von keinem Unwetter ausgesetzt, ruhig, mild) findet Gazzarri in der Schiffsepisode des Satyricon (Gazzari [2009]).

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der Nacht, keine andere Tageszeit, kein anderes Geschehen. Intempesta nox ist, wie Censorinus festhält, multa nox;35 es besitzt eine derartige Intensität, dass das Adjektiv nicht mehr zu steigern ist: Komparativ und Superlativ fehlen; mehr als intempes­ ta kann eine Nacht nicht sein.36 Zugleich impliziert multa nox nach etymologischen Begriffsverständnis zugleich multa noxia;37 die tiefste Nacht ist wort-ursächlich mit Schuld und Verbrechen verbunden.38 Der tatsächliche Gebrauch der Zeitbestimmung intempesta nocte in der klassischen lateinischen Literatur entspricht dem etymologisch begründeten Eigencharakter dieser Zeitphase, die sich deutlich von anderen Momenten der Nacht unterscheidet: Im Gegensatz zu ihnen ist die als nox intempesta bestimmte Phase der Nacht jedoch keine Zeit der späten Gastmähler, der nächtlichen lucubrationes oder der heimlich Liebenden.39 Sie ist jedoch auch nicht inactuosa,40 wie die tiefe Dunkelheit erwarten ließe, sondern eine Zeit der Verschwörung, der Vergewaltigung und der Vergehen gegen die Götter; die größten Verstöße gegen menschliches und göttliches Recht finden hier statt:41 Tarquinius Superbus soll in diesen Stunden, so heißt es bei einem archaischen Dichter, die politisch so folgenreiche Vergewaltigung der Lucretia begangen haben: Intempesta nocte sei er zu ihrem Haus gekommen.42 Verres habe versucht, so erzählt Cicero, das von den Bewohnern von Agrigent hochverehrte Kultbild des Herkules, das er bei Tage nicht zu fordern wagte,43 intempesta nocte stehlen zu lassen.44 Viele Ereignisse der catilinarischen Verschwörung fanden intempesta nocte statt, wenn man Sallust folgt – kein Autor verwendet den Ausdruck häufiger als er.45 Und noch Hieronymus lässt den plötzlichen Kindstod und den darauf folgenden betrügerischen Kindertausch, die dem salomonischen Urteil vorausgehen, intempesta nocte stattfinden.46 Man könnte einwenden, dass es in jedem dieser Fälle sowohl 35 36

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Cens. 24,6. Den superlativischen Charakter von intempestus zeigt eine Beschreibung der fortschreitenden Nacht bei Apuleius, wo nach zwei Komparativen als letzte Steigerung nur noch intempestus folgt: Sic desolatus ad cadaveris solacium perfrictis oculis et obarmatis ad vigilias animum meum permulcebam cantationibus, cum ecce crepusculum et nox provecta et nox altior et dein concubia altiora et iam nox intempesta (Apul. met. 2,25). Varro ling. 6,2,6; Serv. Aen. 1,89. Varro ling. 6,2,6; vgl. das Spiel mit der Etymologie bei Ov. met. 15,334. Zur mittelalterlichen Verwendung s. Boiadjiev (2003), 30–31. Dazu ausführlich Ker (2004). Courcelle (1974), 129 f. Courcelle (1974), 129 f. nennt als charakteristischen Inhalt der nox intempesta: manœuvres stratégiques, complot et crime, assasinat. Acc. 675 Dangel (= Acc. Praet. 41R); die Autorenfrage (Accius oder Cassius?) ist zuletzt ausführlich diskutiert bei Castagna (2002), 90–94. Das Fragment ist bei Varro überliefert; zum Kontext s. Anm. 25. Cic. Verr. 2,4,93: Non audebat palam poscere aut tollere. Cic. Verr. 2,4,94; 2,5,186. Sall. Catil. 27,3; s. auch Catil. 32,1 (seine Flucht aus Rom); siehe auch Sall. Iug. 38,4; vgl. Enn. frg. 160 Skutsch. Vulgata, 1. Kön. 3,20; der einzige Beleg für diesen Ausdruck innerhalb der Vulgata. Die LXX bietet keinen Anknüpfungspunkt für diese Forcierung, dort steht μέσης τῆς νυκτὸς, das auch

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in der Sache als auch in der erzählerischen Dramaturgie liegende Gründe gab, die Ereignisse bei Nacht stattfinden zu lassen. Das ist zutreffend. Die jeweilige literarische Bestimmung des Moments als intempesta ist damit jedoch nicht zureichend begründet. Das Adjektiv bietet einen semantischen Überschuss, der über die Zeitbestimmung hinaus das Geschehen bestimmt: intempesta nocte konzentriert sich in einem spezifischen, zeitlich determinierten Moment das bedrohliche Potential, das der Nacht an sich innewohnt, wenn die Regeln der Zivilisation fallen. Nicht nur die Fragilität zivilisatorischer Normen, auch ihr völliges Fehlen ist Teil der Begriffsgeschichte. Intempesta nocte impliziert Ordnungsverlust und das Fehlen der Zivilisation auch dort, wo kein Verbrechen geschieht. Lukrez benutzt den Ausdruck in seiner Kulturentstehungslehre, um die nächtliche Schutzlosigkeit der ersten Menschen zu veranschaulichen.47 Vergil nutzt ihn für Orte und Erfahrungen, die außerhalb der zivilisierten Welt liegen: In den Georgica steht er zur Kennzeichnung der ewigen Nacht, die am Südpol und bei den mythischen Randvölkern herrscht;48 in der Aeneis charakterisiert er einen der dunkelsten Momente der Irrfahrten auf dem schwierigen Weg nach Italien: Nach den Erlebnissen mit Skylla und Charybdis und vor dem Zusammentreffen mit dem Kyklopen verbringen Aeneas und seine Gefährten eine Nacht unterhalb des Ätna, der faucht, Gestein und Rauch speit und die Nacht in amorphe Dunkelheit taucht:49 fama est Enceladi semustum fulmine corpus urgeri mole hac, ingentemque insuper Aetnam mit media nocte angemessen wiederzugeben gewesen wäre. Steidle (1981) 194–196 erkennt das Besondere des Ausdrucks und qualifiziert es als „etwas Geheimnisvolles, Unheimliches, Dämonisches, Göttliches“. Seine Versuche, dem genauen Zeitpunkt näherzukommen, werden dadurch etwas beeinträchtigt, dass er die Schwierigkeiten der nächtlichen Stundenmessung und die horae inaequales nicht ausreichend berücksichtigt. 47 Lucr. 5,984–987: eiectique domo fugiebant saxea texta / spumigeri suis adventu validique leo­ nis/ atque intempesta cedebant nocte paventes / hospitibus saevis instrata cubilia fronde. 48 Verg. georg. 1,240–251: mundus, ut ad Scythiam Riphaeasque arduus arces / consurgit, premi­ tur Libyae devexus in Austros. / hic vertex nobis semper sublimis; at illum / sub pedibus Styx atra videt Manesque profundi. / […] / illic, ut perhibent, aut intempesta silet nox / semper et ob­ tenta densentur nocte tenebrae; / aut redit a nobis Aurora diemque reducit, / nosque ubi primus equis Oriens adflavit anhelis / illic sera rubens accendit lumina Vesper. Die Kommentatoren weisen hier auf Enn. frg. 33 Skutsch und frg. 160 Skutsch hin, wo die nox intempesta erstmalig in der erhaltenen lateinischen Literatur auftritt; das bedrohliche Potential dieses Ausdrucks und seine mögliche Aktualisierung durch Vergil analysieren sie nicht weiter. Courcelle (1974), 128 f. verfolgt die topische Fügung von ‚tiefer und schweigender Nacht‘ komparatistisch bis in die Neuzeit. 49 Für Servius’ Kommentar ad loc. s. Anm. 19. Horsfall (2006) arbeitet in seinem Kommentar ad loc. die Enniusrezeption besonders heraus, die sich nicht nur auf die nox intempesta, sondern auf die gesamte Passage erstrecke. Vgl. auch Aen. 12,846–847, die Geburt der Furien intem­ pesta nocte. Die vergleichsweise häufige Verwendung des Begriffs bei Vergil passt zu Heinzes Beobachtung, dass nachts bei Vergil erstaunlich viel geschehe (Heinze [1903], 345–346). Zwierlein (1999), 127, weist auf heterogene Strukturen und Redundanzen im Text hin, die er als Zeichen einer Überarbeitung deutet, die er dem Urheber der Aetna-Dichtung zuschreibt. Am auffälligsten ist sicher die an die hier zitierte Passage direkt anschließende Darstellung des Sonnenaufgangs, der in keiner Weise vom Vulkanausbruch beeinträchtigt zu sein scheint.

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Zeitlose Orte impositam ruptis flammam exspirare caminis, et fessum quotiens mutet latus, intremere omnem murmure Trinacriam et caelum subtexere fumo. noctem illam tecti silvis immania monstra perferimus, nec quae sonitum det causa videmus. nam neque erant astrorum ignes nec lucidus aethra siderea polus, obscuro sed nubila caelo, et lunam in nimbo nox intempesta tenebat.

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Es geht die Sage, dass der Körper des Giganten Enkelados, halbverbrannt vom Blitz, von dieser Masse zerdrückt werde, während der riesige Ätna über ihm Flammen aus klaffenden Schloten speie, und dass, so oft der Erschöpfte sich umdrehe, ganz Sizilien von dem Grollen erzittere und der Himmel sich mit Rauch überziehe. Jene Nacht lang ertragen wir, geschützt von den Wäldern, die ungeheuren Erscheinungen und sehen nicht, was den Lärm verursacht: Denn da waren weder Sternenfeuer noch erstrahlte der Pol im Himmelsglanz, sondern Wolken am dunklen Himmel, und eine tiefe Nacht (nox intempesta) hielt den Mond verhüllt. Verg. Aen. 3,578–587

Das Aition von Enkelados verleiht der Naturbeschreibung ein mythisches Fundament, das bis zur Charakterisierung der Nacht als intempesta ausstrahlt. Der Verlust des Lichts geht mit dem Verlust der Zeitwahrnehmung einher. Die Nacht ist nicht nur einfach dunkel, sondern auch in ihrer Zeitlichkeit nicht mehr zu erkennen bzw. der zivilisations- und strukturarmen mythischen Zeit nahe. Dunkelheit, Zivilisationsferne und die Aufhebung der Zeitordnung fließen hier zusammen. Der Kern der Vorstellung, dass die nox intempesta einen Moment außerhalb des menschlichen Ordnungen beschreibe, hat sich in den 500 Jahren, die zwischen Ennius und Laktanz liegen, nicht erkennbar verändert. Dies zeigt der besondere Gebrauch, den Laktanz von der Wendung macht. Nicht nur der unheimliche Moment der tiefen Dunkelheit, auf den die Laktanzkommentatoren unisono verweisen, sondern auch der ältere, bei Vergil nur angedeutete Zeit-Verlust wird von ihm mitgedacht. In seinen zwischen 304 und 311 zuerst publizierten Institutiones divinae, in denen sich Apologie und Protreptikos verbinden, greift er, als er auf die Endzeiterwartung des Christentums zu sprechen kommt, auf den skizzierten Bedeutungshorizont der nox intempesta zurück und verknüpft ihn mit den oracula Sibyllina. Danach solle die Parusie Christi, der spätantiken Tradition entsprechend, in der Osternacht erfolgen, und zwar, wie Laktanz hier übersetzt, nocte intempesta:50 tunc aperietur caelum medium intempesta et tenebrosa nocte, ut in orbe toto lumen descenden­ tis dei tamquam fulgur appareat. Quod Sibylla his versibus elocuta est: ὁππόταν ἔλθῃ, / πῦρ ἔσται σκοτόεντι μέσῃ ἐνὶ νυκτὶ μελαίνῃ. Haec est nox quae a nobis propter adventum regis ac dei nostri pervigilio celebratur. Cuius noctis duplex ratio est, quod in ea et vitam tum recepit, cum passus est, et postea regnum orbis terrae recepturus est. Dann wird sich die Mitte des Himmels öffnen in unzeitiger und dunkler Nacht, so dass auf der ganzen Welt das Licht des herabsteigenden Gottes so wie ein Blitz erscheint. Dies hat die Sibylle in folgenden Versen ausgedrückt: ‚Wenn er kommt, dann wird ein Feuer sich zeigen mitten 50

Vgl. Lact. epit. 67; or. Sib. frg. 6 Geffcken. Zur Semantik der νὺξ μέλαινα und ähnlicher Verbindungen in der griechischen Epik s. Schirlitz (1881), 66–67.

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Anja Wolkenhauer in der schwarzen Nacht.‘ Das ist die Nacht, die von uns wegen der Ankunft unseres Königs und Gottes durch die Nachtwache gefeiert wird. Es gibt einen doppelten Grund für diese Nacht: dass er in ihr einst das Leben empfing, als er die Passion erlitt, und dass er später die Herrschaft über die Welt empfangen wird. Lact. inst. 7,19,2

Natürlich spielt die Lichtsymbolik bei der Parusie Christi eine gewichtige Rolle, aber für den Gegensatz von Licht und Dunkel hätte auch eine einfache Dunkelheit ausgereicht. Der griechische Orakelspruch, von dem Laktanz ausgeht, bietet zur Beschreibung der dunklen Nacht zwei Adjektive auf, μέση und μέλαινα, die er mit intempesta et tenebrosa wiedergibt. Dabei erweitert er ihr semantisches Spektrum deutlich. Denn der naheliegendste und geläufigste Begriff, den er zur lateinischen Bezeichnung der tiefen Nacht hätte wählen können, wäre media nocte gewesen. Laktanz entschied sich gegen ihn und für das seltenere, der gehobenen Sprache angehörende, semantisch nuanciertere Adjektiv intempesta.51 Während die Alternativen zu tenebrosa – etwa nigra nocte – das semantische Spektrum nur geringfügig verschoben hätten, bringt die Begriffsgeschichte von intempesta eine ganze Reihe zusätzlicher Konnotationen in den Text hinein, die vom Erschrecken der Desorientierung bis hin zur vollständigen Entgrenzung und Überschreitung des menschlichen Maßes reichen. Denn nox intempesta bezeichnet denjenigen Moment der Nacht, der außerhalb des Humanen steht, im Negativen wie im Positiven. Durch die Einfügung in die wichtigste aller Nächte, die Osternacht, erfährt dieser Moment eine letzte, christlich gegründete Erhöhung. Hier öffnet sich die Tür weit für das, was nicht zivilisiert und noch nicht einmal menschlich ist, für das, was außerhalb jeder Zeit steht: und das konnte immer schon, wie der Blick in die römische Antike gezeigt hat, Verbrechen und Untat, es kann aber auch das Göttliche sein. Dass Laktanz die Parusie hier ganz spezifisch als überzeitliches und außerzivilisatorisches Moment konnotiert, macht nicht nur die Wahl des ungewöhnlichen, aber aus der vergilischen Tradition vertrauten Begriffs deutlich.52 Die Bedeutung, die er den Umständen beimaß, erschließt sich auch daraus, dass er auch in der Epitome divinarum institutionum, der Kurzfassung der Institutiones, am Begriff der intempesta nox festhielt, während er das andere Attribut, tenebrosa, fortließ: intempesta transportierte offenbar die wichtigere oder umfassendere Information.53 Im Weiterdenken des Begriffs haben die Kirchenväter, von Augustin über Hieronymus bis hin zu Gregor dem Großen, den besonderen Status dieser Nachtphase weiter konturiert. Als Moment des Außerzeitlichen findet

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Vgl. Steidle (1981), 196. Auf diese Tradition verweist auch Freund (2009), ad loc. Lact. epit. 67,1: Tunc caelum intempesta nocte patefiet et descendet Christus in virtute magna et anteibit eum claritas ignea et virtus inaestimabilis angelorum […]; Heck – Schickler übersetzen: „Dann wird sich der Himmel in der Nacht zur Unzeit öffnen und Christus herabsteigen in großer Kraft, und ihm vorausgehen wird feurige Helligkeit und die unschätzbare Kraft der Engel […].“

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man ihn exponiert in Gregors Beschreibung der sogenannten kosmischen Vision des heiligen Benedikt: Sie habe, so heißt es, intempesta noctis hora stattgefunden.54 3 RESÜMEE Will man im Kontext einer Mentalitäts- und Sinngeschichte der Antike den literarischen Zugriff auf Zeitphänomene, Zeitenwenden und -brüche erfassen, ist eine vorherige Differenzierung nach den übergeordneten chronologischen Referenzrahmen, die die je spezifischen Zeitordnungen determinieren, geboten; hierzu wurden die Kategorien der kosmischen, kulturellen und individuellen Zeitordnung herangezogen. Sie ermöglichen es, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das Nebeneinander verschiedener Zeitdiskurse, das so ganz unterschiedlich gerichtete gedankliche Ausloten des Möglichen nachzuzeichnen. Dazu habe ich im vorliegenden Aufsatz eine Reihe exemplarischer Texte und Begriffe daraufhin untersucht, wie das Fehlen von Zeit bzw. ihrer Strukturiertheit gedacht und sprachlich gefasst wird. Es sind nicht unbedingt religiöse Kontexte, die hier den ersten Platz einnehmen, sondern die Verarbeitung alltäglicher Erfahrungen wie Schlaf oder Dunkelheit, kulturell geprägte Konstellationen wie der Zivilisationsverlust durch Verbannung oder auch die Gedankenspiele der Utopie, die das Aussetzen, Wenden und Enden der Zeit durchdenken. Die Autoren beschreiben Orte, an denen die Zeit nicht als geordnete (tempus) wahrnehmbar oder aber zu diffuser Dauer, Dehnung, Ewigkeit und ‚Unzeit‘ geronnen ist. Doch keine dieser Zeiten ist aus sich allein heraus zu denken: Aristoteles hat gezeigt, dass Wahrnehmung und Sprache kontinuierlich auf räumliche Kategorien zurückgreifen müssen, um die Zeit zu beschreiben; das gleiche gilt für ihr Fehlen. Da eine direkte Zeitwahrnehmung nicht möglich ist, ist jede Zeitrede notwendigerweise metaphorisch, bildlich, übersetzungsbedürftig. Wo und wie die räumlichen ‚Unzeiten‘ ihren Platz im römischen Denken haben, haben die Beispiele – die wissenschafts- und wahrnehmungstheoretischen Überlegungen in Aristoteles’ Physik, die literarischen Utopien und die literarische Begriffsbestimmung der allertiefsten Nacht (nox intempesta) – zu zeigen versucht. In der nox intempesta wird die Idee eines gänzlichen Verlusts aller Zeitlichkeit am deutlichsten fassbar. Sie veranschaulicht in einer Art fest installiertem Ausnahmezustand das Wesen der Welt ohne Ordnung und ohne Zeit, eine Apokalypse, die jede Nacht wiederkehrt.

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Greg. Dial. 2,35,2: Cumque vir Domini Benedictus, adhuc quiescentibus fratribus, instans vigi­ liis, nocturnae orationis tempora praevenisset, ad fenestram stans et omnipotentem Dominum deprecans, subito intempesta noctis hora respiciens, vidit fusam lucem desuper cunctas noctis tenebras exfugasse, tantoque splendore clarescere, ut diem vinceret lux illa, quae inter tene­ bras radiasset. Dazu Steidle (1981) mit weiteren Belegen auf die frühchristliche, z. T. nicht im ThlL erfasste Literatur.

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DUBIUM TEMPUS Zeitenende und -anfang als Strukturprinzip der Literatur in neronischer Zeit Meike Rühl 1 EINLEITUNG: ROM BRENNT. Der Brand Roms im Jahre 64 n. Chr. wird in den Annalen des wenige Jahrzehnte später schreibenden Historikers Tacitus in allen Details der Katastrophe geschildert und als bis dahin in der Geschichte der Stadt schwerste und furchtbarste Brandkatastrophe klassifiziert. Auf die Brandursache mag sich der Historiker nicht festlegen, insinuiert jedoch durch die Art seines Berichtes, dass Nero als Brandstifter durchaus in Frage komme.1 Dies wird vor allem durch folgenden Abschnitt deutlich gemacht: Eo in tempore Nero Antii agens non ante in urbem regressus est quam domui eius, qua Palati­ um et Maecenatis hortos continuaverat, ignis propinquaret. … quae quamquam popularia in inritum cadebant, quia pervaserat rumor ipso tempore flagrantis urbis inisse eum domesticam scaenam et cecinisse Troianum excidium, praesentia mala vetustis cladibus adsimulantem. Zu dieser Zeit hielt sich Nero in Antium auf und kehrte nicht früher in die Stadt zurück, bis sich die Flammen seinem Haus, mit dem er den Palatin und die Gärten des Maecenas verbunden hatte, näherten. … Alle Maßnahmen zur Beruhigung der Bevölkerung waren jedoch wirkungslos, weil weiterhin das Gerücht kursierte, er habe, während die Stadt brannte, seine Privatbühne betreten und den Fall Troias besungen, indem er die gegenwärtige Katastrophe mit denen der Vorzeit verglich. Tac. ann. 15,39

Wie tendenziös Tacitus’ Nerobild auch sein mag, er nennt Details, die symptomatisch auf kulturelle Phänomene der neronischen Zeit verweisen: In der Figur des singenden und dichtenden Nero spiegelt sich zum einen eine durch den Princeps forcierte Kulturpolitik. Zum anderen spielt für die Erinnerungskultur und Identitätskonstruktion der neronischen Zeit der repetitive Rekurs auf Vergangenes im positiven wie negativen Sinn eine entscheidende Rolle (bei Tacitus ist dies der Verweis auf Troia, aber auch auf alte wie neue Katastrophen). Die beiden angedeuteten Phänomene der Theatralität und des Vergangenheitsbezuges sind – das eine mehr, das andere weniger offensichtlich – zentrale Bestandteile nicht nur neronischer 1

Tac. ann. 15,38: sequitur clades, forte an dolo principis incertum (nam utrumque auctores pro­ didere), sed omnibus, quae huic urbi per violentiam ignium acciderunt, gravior atque atrocior. Vgl. zur Darstellung Galtier (2011), 247–51 und Champlin (2003), 48 f.

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Kultur, sondern auch neronischer Zeitwahrnehmung. Sie sollen in den folgenden Abschnitten weiter ausgeführt werden. Die These meines Aufsatzes lautet, dass die im Titel des vorliegenden Tagungsbandes genannten Zeitmodelle (zyklisch vs. linear auf- bzw. absteigend) für die untersuchte Epoche nicht als konkurrierende Entwürfe zu gelten haben, sondern lediglich als verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten ein und derselben Erscheinung zu lesen sind. 2 ZEIT UND ZEITEINTEILUNG Zunächst seien einige grundsätzliche Überlegungen zur Zeit als kulturellem und sozialem Phänomen vorangestellt. Zeit ist ein abstraktes Konzept, das nicht unmittelbar wahrgenommen werden kann. Dem entspricht, dass man häufig Metaphern verwendet, wenn man sich über Zeit unterhält. Die Zeit ‚verrinnt‘ etwa oder ‚flieht‘, man möchte sie ‚anhalten‘ oder ‚zurückdrehen‘. Oft sind diese Metaphern der kulturellen Konzeption von Zeit entnommen, das machen die beiden letzten Beispiele deutlich: Hinter dem Verb ‚zurückdrehen‘ steht die Vorstellung einer Uhr mit Zeigern, durch deren Bewegung auf dem Ziffernblatt Zeit angezeigt wird, mit ‚verrinnen‘ verbindet man die Flüssigkeit einer Wasseruhr. Da Metaphern durch die Überschneidung zweier Zeichen aus unterschiedlichen Bereichen entstehen, können sie auch nur dann als solche wahrgenommen werden, wenn die jeweiligen Konzepte, auf die verwiesen wird, der Vorstellungswelt des Produzenten wie Rezipienten zugeordnet werden können. Der Gebrauch von Metaphern aktiviert die Vorstellungskraft des Rezipienten. Dabei kann grundsätzlich jeder Bereich aus der Umwelt des Sprechers zur Metapher werden, um Erscheinungen bildhaft Sinn zu verleihen.2 Im Umkehrschluss ließe sich daraus ableiten, dass man vom Metapherngebrauch einer bestimmten Zeit auch auf die kulturelle Wahrnehmung dieser Zeit schließen kann. Wie die Metaphernverwendung in der Sprache ist auch die Art, Zeit zu takten und anzuzeigen, gesellschaftlich kodiert: Den Gebrauch einer Uhr muss man zunächst erlernen, um mit ihr auch zu verstehen, was Zeit meint. Wo es keine Uhren gibt, ist auch die Wahrnehmung der Zeit eine andere. Zeit ist also nur als gesellschaftliches und kulturelles Konstrukt wahrnehmbar und beschreibbar.3 Modelle der Zeitbeschreibung behelfen sich mit Zuweisungen, stellen Analogien her. Diese Zuweisungen beruhen jedoch nicht nur auf gesellschaftlicher Konvention, sie können auch dekretiert werden – mit mehr oder weniger bleibendem Erfolg. Wer in der Lage ist, Zeit(zu)ordnungen längerfristig festzusetzen, kann dies als Machtinstrument nutzen: Man denke an Kalenderrefor2 3

Vgl. schon bei Cic. orat. 3,161 und Kohl (2007), 126 f.; sowie Kohl (2007) grundlegend zur Metapher. Dücker (2001), 688: „Z. ist abhängig von und nur gültig in einem Bezugssystem aus kulturellem Kontext, Techniken der Z.messung und zeitordnungspolitischer Umsetzung.“

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men, Einsetzung oder Abschaffung von Feiertagen, Phrasierung von Zeiteinheiten in einer bestimmten Anzahl von Wochentagen, Datierung nach Herrschern usw. Die Einordnung von Ereignissen oder Sequenzen in eine temporale Maßeinheit ist eine Syntheseleistung des Menschen.4 Wenn man auf der einen Seite Zeitbegriffe wie ‚Jahr‘ oder ‚Stunde‘ hat und auf der anderen Seite Begriffe wie ‚Vergangenheit‘, ‚Gegenwart‘ oder ‚Zukunft‘, so repräsentieren ‚Jahr‘ und ‚Stunde‘ eine Zeitstruktur des Geschehensablaufes an sich, wogegen ‚Vergangenheit‘ und ‚Gegenwart‘ nicht per se als konventionelle Größe existieren, sondern jeweils von Menschen in Einklang mit den Zeitmaßen ‚Jahr‘ etc. gebracht und mit einer spezifischen Bedeutung versehen werden. Was Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist, hängt jeweils von der Perspektive einer bestimmten Generation ab: Die Zukunft von heute ist morgen schon die Gegenwart. Kollektive wie individuelle Zeitmessung dient damit der Orientierung innerhalb der sozialen Welt. Geordnet wird durch eine solche Zeitorganisation nicht nur die Gegenwart, sondern in der Gegenwart vor allem auch die Vergangenheit.5 Und durch die besondere Ordnung der Vergangenheit bestimmt sich die Identität der Gegenwart (und Zukunft): So kann etwa durch rückblickend fixierte Daten und Ereignisse in der Vergangenheit eine Zeitauffassung für die Gegenwart abgeleitet und legitimiert werden. Zeitmessung und Zeitdeutung betten Ereignisse und Verläufe in einen übergeordneten sinnhaften Zusammenhang. Auch dies kann individuell ablaufen wie kollektiv gesteuert werden. Zeit und Zeiteinheiten übernehmen schließlich eine kommunikative Funktion.6 Man kann sich mithilfe zeitlicher Begriffe über gesellschaftliche Vorstellungen, Werte und Muster verständigen, ohne diese jeweils umständlich erläutern zu müssen. Für die Überlegungen des vorliegenden Aufsatzes wird als Modellfall eine bestimmte Zeitvorstellung, nämlich die der ‚goldenen Zeit‘ (aurea aetas), aufgegriffen, um an ihr jeweils zu überprüfen, welche Konzeptionen und Vorstellungen von Zeit mit ihr artikuliert werden und ob diese sich auf ein zyklisches bzw. lineares Zeitmodell festlegen lassen. Die Vorgehensweise wird sich dabei an beiden Begriffsbestandteilen, dem Gold und der Zeit, orientieren, um herauszuarbeiten, welchen Vorstellungskonzepten beide Bereiche der Metapher entspringen.

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Elias (1984), 11 f.: „Das Wort ‚Zeit‘, so könnte man sagen, ist ein Symbol für eine Beziehung, die eine Menschengruppe, also eine Gruppe von Lebewesen mit der biologisch gegebenen Fähigkeit zur Erinnerung und zur Synthese, zwischen zwei oder mehreren Geschehensabläufen herstellt, von denen sie einen als Bezugsrahmen oder Maßstab für den oder die anderen standardisiert.“ Vgl. etwa Rüsen (1982), 27 f.: „Geschichte ist ein Sinngebilde des Menschen, in dem er seine Erfahrungen vom zeitlichen Wandel und seiner selbst auf sein Bedürfnis nach Selbstvergewisserung (oder Identitätsstabilisierung) in diesem Wandel bezieht, sich dabei diese Erfahrungen geistig aneignet und dadurch sein Handeln und Leiden in der Zeit orientiert, ja als Vollzug von Zeit intentional organisiert.“ Vgl. etwa Elias (1984), xlv.

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3 DIE AUREA AETAS ALS TOPOS Am prominentesten und für die antike Literatur wirkmächtigsten findet sich die Vorstellung einer ‚goldenen Zeit‘ bei Hesiod (Hes. op. 106–201). Hier bildet sie die erste von vier Stufen (gold, silber, ehern, eisern) einer an Wert und Inhalt degenerierenden Abfolge zeitlicher Epochen. Bodo Gatz konnte in seiner einschlägigen Abhandlung zum Thema zeigen, dass es sich dabei nur um eine Ausprägung eines mithilfe persischer, babylonischer und indischer Varianten rekonstruierbaren Ur-Mythos handelt, der ein mehrstufiges Modell umfasst, das in der Abfolge der Metalle den Gedanken der Depravation enthält. Zugleich ist mit dem Abstieg ein Endpunkt gedacht. Die apokalyptischen Szenarien an diesem Endpunkt können jedoch auch den Gedanken der Palingenesie durchaus enthalten.7 In der vorliegenden Abhandlung soll und kann kein auf Vollständigkeit bedachter Abriss dieses Motivs gegeben werden.8 Bevor ich mich der neronischen Zeit widme, soll dennoch ein skizzenhafter Blick auf die augusteische Zeit geworfen werden, da diese grundlegend für die Konzeption des Zeitmodells unter Nero geworden ist. Aus der Fülle der Belege seien lediglich zwei herausgegriffen, um unterschiedliche Vorstellungen dieser Zeit zu illustrieren. 3.1 Augusteische Zeit Der bekannteste Reflex des Zeitaltermythos ist sicherlich Vergils vierte Ekloge.9 Die entsprechende Passage lautet: Vltima Cumaei uenit iam carminis aetas; magnus ab integro saeclorum nascitur ordo. iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna, iam noua progenies caelo demittitur alto. tu modo nascenti puero, quo ferrea primum desinet ac toto surget gens aurea mundo, casta faue Lucina: tuus iam regnat Apollo.

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Das letzte Zeitalter, bekannt aus dem Lied der Sibylle von Cumae, ist bereits gekommen; da entsteht von neuem eine große Folge an Zeitaltern. Schon kehrt die Jungfrau zurück, schon die Herrschaft Saturns, schon wird eine neue Generation aus dem hohen Himmel herabgeschickt. Sei du nur dem neugeborenen Kind gewogen, lautere Lucina, durch das das eiserne Menschengeschlecht zunächst aufhören wird zu existieren und sich dann auf der ganzen Welt ein goldenes erheben wird: Die Herrschaftszeit deines Apollon ist bereits angebrochen. Verg. ecl. 4,4–10

Ein Blick auf die verwendeten Tempora ist aufschlussreich für die artikulierte Zeitvorstellung: In dem resultativen Perfekt venit (4) wird zunächst konstatiert, dass 7 8 9

Gatz (1967), 7–27. Weitere Ausführungen und Literaturhinweise bei Galinsky (1996), 90–121. Zur augusteischen Zeit vgl. auch den Beitrag von Ulrich Eigler in diesem Band.

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das letzte Zeitalter da ist. Der Text fährt fort im Präsens, berichtet also den IstZustand (nascitur, redit, redeunt, demittitur, regnat), und greift in dem Relativsatz, der dem neugeborenen Knaben gewidmet ist, in die Zukunft aus (desinet, surget). Geschildert wird buchstäblich eine Zeitenwende, ein Kristallisationspunkt, an dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins sind. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die permanente Wiederholung des iam, das den zeitlichen Abstand weiter verkleinert. Das Neue, das entsteht (nascitur ab integro, 5), ist aber gleichzeitig auch das Alte (redit, redeunt, 6). Schließlich wird der Neuanfang der Zeitordnung gleichgesetzt mit der Geburt eines Kindes (nascitur, nascenti, 5/8), die neue Zeitrechnung denkt also in Lebensaltern/Generationen, ist auch und gerade als personale Ära imaginiert. Dieser Textausschnitt kann als essentiell für die augusteische Zeitauffassung gelten, denn die Idee eines neuen Zyklusbeginns manifestiert sich nicht alleine im literarischen Topos des goldenen Zeitalters.10 So lässt Augustus für das Jahr 17 n. Chr. die ludi saeculares ausrichten, Feierlichkeiten, die die Vollendung eines sae­ culum, eines Jahrhundert-Abschnitts begehen. Diese saecula folgen jedoch keinem strikten Zeitplan, sondern werden immer dann in den Vordergrund gerückt, wenn ein neuer Zeitabschnitt betont werden soll. Nicht ein Gebot der Wiederholung, dass es nach hundert Jahren nun an der Zeit wäre zu feiern, gibt dem Ereignis seine Bedeutung, sondern seine Einfügung in eine zeitliche Ordnung.11 Augustus lässt dementsprechend für seine ludi rückwirkend Säkularfeiern von 126, 236, 346 und 456 voraussetzen und in die Kapitolinischen Fasten eintragen. Die Saecularspiele verdanken ihre Ausrichtung und ihre Bedeutung nicht der Tatsache, dass der Zeitraum von 100 Jahren um ist, deren Ablauf automatisch das Ergebnis begründet. Ihre Bedeutung erhalten sie vielmehr aus dem Bedürfnis, den epochalen Abschnitt des saeculums als herausragendes Ereignis zu markieren. Der Neubeginn wird ex ante legitimiert. Ein ähnliches Verfahren liegt der dreimaligen Schließung des Ianus-Quirinus-Tempels zugrunde, derer Augustus sich in seinen Res gestae (13) rühmt. Auch dieses Ereignis hat es davor in der römischen Geschichte nur zwei Mal gegeben, und erst durch seine Wiederholung und seine Propagierung als epochales Ereignis durch Augustus wird es mit Sinn aufgeladen. Als zeitbezeichnende Vorstellung halten wir den inszenierten Neueinsatz einer Hoch-Zeit fest. Aus dem linear-depravierenden Zeitkonzept ist ein Zyklus-Modell geworden. 3.2 Augusteisches Gold Befindet man sich am Beginn eines neuen goldenen Zeitalters, bringt dies den Vorteil mit sich, dass diese Epoche für eine erst einmal nicht näher zu definierende

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Gatz (1967), 90: „Der Gedanke der Wiederkehr des goldenen Zeitalters ist in dem gesamten griechisch-römischen Schrifttum vor Vergil nicht belegt.“ Vgl. Gladigow (1983), 265–269.

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Dauer bestehen bleiben kann. Gleichwohl trägt die Institutionalisierung eines Zyklus die Möglichkeit eines erneuten Abstieges in sich. Um einen Einblick zu erhalten, welches Gegenwarts- und Zukunftsverständnis auf dem Höhepunkt einer Goldzeit vorherrscht, sei eine Passage aus Ovids Fasten angeführt, in der der Gott Ianus Stellung zur pax Augusta nimmt.12 Ianus erklärt dem fragenden Dichter, warum man seine Tempeltüren bei Krieg öffne und im Frieden schließe: So könne nämlich der Frieden nicht entweichen. Und nach Augustus’ Wille und Herrschaft bleibe er auch für lange Zeit geschlossen.13 Man beachte, dass Ianus für die Dauer des Friedens lediglich eine „lange Zeit“ (diu) angibt, nicht „für immer“. Der Gedanke an eine mögliche Verschlechterung des Zustandes wird also zugelassen. Auf eine andere Frage des Dichters, warum man dem Gott Geld schenke, antwortet Ianus: tu tamen auspicium si sit stipis utile quaeris, curque iuvent nostras aera vetusta manus, aera dabant olim: melius nunc omen in auro est, victaque concessit prisca moneta novae. nos quoque templa iuvant, quamvis antiqua probemus, aurea: maiestas convenit ipsa deo. laudamus veteres, sed nostris utimur annis: mos tamen est aeque dignus uterque coli.

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Aber du fragst, ob eine Spende Glück bringt und warum unsereiner sich freut über altes Kupfergeld in der Hand. Geld aus Kupfer gab man früher: Jetzt gilt Gold als besser, und die alten Münzen sind vor den neuen unterlegen gewichen. Auch gefallen mir Tempel aus Gold (obwohl ich für Antiquitäten zu haben bin), denn gerade diese Erhabenheit passt zu einem Gott. Wir loben die gute alte Zeit, leben aber heute: Und so ist es nur recht, alte und neue Bräuche gleichermaßen zu pflegen. Ov. fast. 1,219–226

Als Gott, der vorwärts und rückwärts zugleich schaut, ist Ianus prädestiniert, Altes und Neues miteinander zu vergleichen, Einst und Jetzt, die alte Zeit und seine eigene Zeit. Das Bild hat sich gewandelt: Ging mit der früheren Propagierung eines goldenen Zeitalters auch ein Lob der Tradition einher, die in der ländlichen und betont einfachen Vergangenheit verortet wurde, herrschen nun die Errungenschaften der prosperierenden Stadtlandschaft vor. Man stellt nun fest, dass der ideelle Glanz der ‚guten alten Zeit‘, aus der heraus sich zuvor die Wiederkehr der neuen glanzvollen Zukunft legitimiert hatte, zurücksteht hinter dem materiellen Glanz der Gegenwart. Das Gold ist vom metaphorischen zum eigentlichen Gebrauchswert zurückgekehrt, die Metapher ist in Roms Stadtbild zur greifbaren Wirklichkeit geworden. Aus ideellem Gold ist materieller Wohlstand geworden.14 12 13 14

Zwischen Vergils Ekloge und Ovids ‚Fasten‘ sind inzwischen über vierzig Jahre vergangen. Ov. fast. 1,282: Caesareoque diu numine clausus ero. Vgl. auch (mit Betonung auf materiellem Wohlstand und moralischer Depravation) Barchiesi (1997), 234–237 und Feeney (2007), 134 f. sowie Green (2004), 97 f. und ad loc.

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4 ES GLÄNZT NICHT ALLES, WAS GOLD IST: METAPHERN IN NERONISCHER ZEIT 4.1 Ein zweiter neuer Anfang In Bezug auf die neronische Zeit fallen zwei für die vorliegende Untersuchung relevante Beobachtungen auf: zum einen, dass die Metapher der aurea aetas ausgesprochen oft in der zeitgenössischen Literatur vorkommt; zum anderen, dass zu Neros Regierungszeit dezidiert auf Augustus rekurriert wird. Dies lässt sich beispielsweise an einer Reihe von Münzen ablesen, die Nero prägen lässt und auf deren einer Seite typisch augusteische Motive wie der geschlossene Ianus-Quirinus-Tempel oder die Ara pacis abgebildet sind.15 Der von Augustus initiierte Neuanfang eines zeitlichen Hochs kann unter Nero, dem vierten Princeps nach Augustus, wieder aufgegriffen werden. Mit drei Herrschern Abstand scheint ein neuer Zyklus-Beginn plausibel. In der Proklamierung eines neuen Anfangs werden Neros Vorgänger implizit zu schlechteren Herrschern degradiert. Eine solche Wiederaufnahme des Zyklus-Modells zeigt auch, dass mit der Etablierung des Prinzipats zwar weiterhin nach den Konsuln datiert wird, diese jährliche Zeitmessung aber durch eine gröber gerasterte und sich an den Regierungszeiten der Kaiser orientierende Zeiteinteilung überlagert wird. Besonders der Übergang zum direkten Vorgänger Claudius lässt sich so zur markante Wende stilisieren. Interessanterweise sind es auch und gerade die literarischen Zeugnisse aus den Anfängen von Neros Regierungszeit, die prospektiv und affirmativ eine neue aurea aetas verkünden. Man denke hier vor allem an Senecas Apocolocyntosis, die aus dem Chaos claudianischer Endszenarien in prophetischem Parzenlied eine neue goldene Zeit ankündigt (Sen. apocol. 4,1), oder an De clementia, worin der neue Herrscher auf ein Programm der Zurückhaltung und Anknüpfung an frühere Zeitalter verpflichtet wird (Sen. clem. 2,1,3). Wenn für die augusteischen Vorstellungen vom goldenen Zeitalter galt, dass sie aus den Erfahrungen des Bürgerkriegs resultierten und eine neue Herrschaftsform legitimierten, so muss gefragt werden, ob die Voraussetzungen für die Wiederkehr unter Nero die gleichen sind. Dies muss entschieden verneint werden. Hatte man bereits am Ende der augusteischen Zeit konstatieren können, dass sich die Auswirkungen der pax Augusta vor allem im Inneren Italiens und Roms zeigten, so gilt dies erst recht für die folgenden Jahrzehnte. Auch wenn die Regierungszeit des Claudius durch Neros Kreise als schlecht hingestellt wurde, so ist doch als grundlegender Unterschied zu Augustus’ Machtübernahme zu vermerken, dass der Regierungswechsel von Claudius zu Nero vergleichsweise reibungslos vonstatten ging. Auch die Größe des römischen Herrschaftsgebiets nahm unter Augustus’ Nachfolgern, nicht zuletzt unter Claudius, stetig zu – und mit ihr die Verfügbarkeit von Waren in Rom und der Aufstieg sozialer Gruppen, die durch Handel und Finanzgeschäfte zu Ansehen und Wohlstand gelangten.16 15 16

Champlin (2003), 140 mit Verweis auf RIC 263–271 u.ö. Etwa die Gruppe der Freigelassenen, wie sie in Petrons Satyrica präsentiert wird.

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Mit der Stabilität im Äußeren geht eine Prosperität im Inneren einher – dies dürfte zumindest für große Teile Roms dieser Zeit zutreffend sein. Die Erfahrungen, die die Generation eines Vergil oder Horaz gemacht hat, kennen die Römer in der Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts nur noch vom Hörensagen.17 Eine Folge davon scheint die veränderte Wahrnehmung und Konzeptualisierung des Phänomens ‚goldene Zeit‘ zu sein. Dem soll im Folgenden weiter nachgegangen werden. 4.2 Gold zum Anfassen? Die letzte Aussage zum Thema Luxus und Prosperität muss sogleich präzisiert werden: Beschränken wir diesen Bereich auf den Besitz und die Zurschaustellung von teuren Steinen oder edlen Metallen (namentlich dem Gold), so partizipiert an diesen Luxusgütern als Eigentum freilich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Dass es sich dabei nicht um Gold zum Anfassen, sondern nur um Gold zum Bestaunen handelt, zeigt die siebte Ekloge des Calpurnius Siculus, in der einer der beiden Protagonisten aus Rom von einem Besuch der Spiele im Amphitheater zurückkehrt. Er berichtet von seinem Staunen über die Prachtentfaltung dort. In der Beschreibung der Ausstattung der Arena fällt neben anderen Materialbezeichnungen wie Juwelen, Marmor und Elfenbein allein vier Mal das Wort Gold (7,41. 47. 53. 72). Freilich hat der Hirte Corydon die ganze Pracht nicht nur zum ersten Mal in seinem Leben gesehen (denn er ist erstmalig in der urbs; 7,1. 18), sondern auch nur von weitem zu Gesicht bekommen, denn aufgrund seiner schäbigen Kleidung hatte er lediglich einen Platz ganz oben im Amphitheater. Es ist also keine direkte Partizipation am Gold der Zeit, sondern nur eine indirekte. Gleichwohl wird in den ersten Worten der Ekloge deutlich, dass Vergils ländliche Landschaft (tu, Tityre, lentus in umbra; Verg. ecl. 1,4) durch einen städtischen Inspirationsraum (lentus ab urbe venis, Corydon; Calp. ecl. 7,1) überschrieben wird. Garant dieser Fülle ist der iuvenis deus (ecl. 7,4), Ort dieser Fülle die patula … harena.18 Calpurnius’ siebte Ekloge spiegelt architektonische Parallelen: Mit der Errichtung der domus aurea (Suet. Nero 31,1) nach dem Brand Roms erhält der Princeps endlich ein seinem saeculum entsprechendes Bauwerk, dessen Ausmaße so groß sind, dass Martial es später rus in urbe (Mart. 12,57,21) nennen wird und damit genau die Überlagerung ländlich-einfacher (vergilisch-augusteischer) Tradition mit neronischer Luxusinszenierung trifft. Und hierin besteht ein gravierender Unterschied zur Selbststilisierung des Augustus, dessen Erneuerungs- und Verschönerungsmaßnahmen in Rom sich auf öffentliche Gebäude und Paläste konzentrierten (Suet. Aug. 28,3–29).

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Individuelle und in anderen Ursachen begründete Ausnahmen wie etwa Senecas Verbannung unter Claudius bestätigen die Regel. Auch dies eine Reminiszenz an Verg. ecl. 1,1; zum intertextuellen Verhältnis vgl. Newlands (1987).

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Bezeichnenderweise kollidiert diese umdeutende Maßnahme in neronischer Zeit mit dem moralischen Anspruch, den die Römer seit jeher an den Besitz und die Verwendung von Luxusgütern stellen. Die Debatte über die Verbreitung und die Qualität materiellen Wohlstands ist gleichzeitig ein Diskurs über die sozialen Strukturen und Befindlichkeiten der römischen Gesellschaft.19 Verfügbarkeit, ostentativer Konsum und Prachtentfaltung sind mit dem traditionellen Römerbild der Nobilität nicht in Einklang zu bringen. So kommt es, dass parallel zu Neros Propagierung eines neuen goldenen Zeitalters die Vorstellung der ‚alten‘ (und damit ist die mythische, pro-augusteische gemeint) aurea aetas artikuliert wird. Als Paradoxon ergibt sich, dass just derjenige Zeitabschnitt als golden vorgestellt wird, der das Material nur im metaphorischen Sinne verwendete – und das in einer Zeit, zu der das ‚golden‘ materielle Realität geworden ist: Mihi crede, felix illud saeculum ante architectos fuit, ante tectores. … Non enim tecta cenationi epulum recepturae parabantur, nec in hunc usum pinus aut abies deferebatur longo vehicu­ lorum ordine vicis intrementibus, ut ex illa lacunaria auro gravia penderent. … Sub his tectis habitavere securi: culmus liberos texit, sub marmore atque auro servitus habitat. Glaube mir, glücklich war die Zeit, bevor es Architekten und Stuckateure gab. … Denn es wurden keine Bankettsäle geplant, und kein Fichten- oder Tannenholz wurde hierfür in langen Lastzügen auf donnernden Straßen herbeigeschafft, damit sich daraus goldschwer Kassettendecken wölbten. … Unter diesen [sc. einfachen] Dächern hingegen wohnte man sorglos: Stroh deckte die Freien, unter Marmor und Gold wohnt die Sklaverei. Sen. epist. 90,9

Es fällt schwer, bei Senecas Beschreibung des Speisesaales (vor allem in Verbindung mit den später in § 15 geschilderten architektonischen Raffinessen) nicht an Neros domus aurea zu denken. Im erläuterten Sinne ist Senecas Epoche mitnichten ein goldenes Zeitalter, sondern vielmehr der momentane Tiefstand einer sich abwärts windenden Dekadenzspirale.20 Während im politischen Diskurs das echte Gold mit dem Metaphern-Gold mehr als je zuvor zusammenfällt, der Ausdruck damit in sich konsistent ist, klaffen im literarischen Diskurs eigentliche und übertragene Bedeutung des aurea weit auseinander – und damit auch zyklische und lineare Zeitvorstellung. 4.3 Gold zum Staunen Die Diskrepanz zwischen politischem und literarischem Diskurs lässt sich auch noch auf anderer Ebene fassen. Während das politisch propagierte Zeitalter durch den deutlichen Rückgriff auf augusteisches Vorbild Stabilität evoziert, ergibt sich 19

Vgl. Wallace-Hadrill (2008), 319. Zum moralisierenden Luxusdiskurs vgl. Citroni Marchetti (1991), bes. 116 f. 20 Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Plin. d.Ä., vgl. Wallace-Hadrill (2008), 346; 352.

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auf literarischem Feld eine deutliche Distanz zwischen Äußerung und Inhalt. Die Protagonisten der Texte nehmen das Gold auffallend oft nur in Vermittlung und Brechung durch eine weitere Instanz des Textes wahr oder haben nur aus einiger Entfernung an ihm teil. Diese Mittelbarkeit scheint ebenfalls symptomatisch für die neronische Zeit zu sein. Im folgenden soll diese Sekundarität auf ihren Zusammenhang mit den gängigen Zeitvorstellungen überprüft werden. Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits gezeigt, dass Corydon, der Hirte der siebten Ekloge des Calpurnius Siculus, im Amphitheater lediglich einen Platz ganz oben ergattert, aufgrund der ganzen Pracht aus dem Staunen nicht mehr herauskommt und nach eigener Aussage den Wert des Gesehenen gar nicht richtig einzuschätzen vermag.21 Um die Vorgänge in der Arena erfassen zu können, ist er auf einen Sitznachbarn angewiesen, der ihm das Gesehene vermittelt und bestätigt. Alle Pracht ist damit auf Abstand gehalten, sie lädt ein zum Staunen, ansonsten jedoch nur zur Partizipation aus der Ferne an der luxuriösen Inszenierung der Herrschaft. Eine Distanz, die Irrtümer nicht ausschließt, wie der Text selbst insinuiert.22 Die im Text artikulierte Diskrepanz zwischen Herrschaftsostentation und Distanzierung des Publikums scheint denselben kulturellen Mustern zu folgen wie die Konzeption der domus aurea, deren Grundriss zwar in weiten Teilen dem Publikum geöffnet war, was jedoch nichts an der Tatsache änderte, dass es die Palastanlage des Princeps war und dass diese so angelegt war – dies konnte Champlin zeigen –, dass sie durch ihre Lage und Konzeption in Größe und Ausstattung zum Schauen und Staunen einlud.23 Nero hat durch diese Anlage quasi den Bau des Colosseums auf einer anderen Ebene vorweggenommen. Der Anbruch des goldenen Zeitalters war in Vergils vierter Ekloge direkt, ohne weitere In-Szene-Setzung prophezeit worden, gekennzeichnet im ersten Vers durch die Anrufung der Musen Siziliens und die Ankündigung eines eigenen Liedes des nicht näher bestimmten Dichters: Sicelides Musae, paulo maiora canamus! (Verg. ecl. 4,1). Bei Calpurnius ist die Verkündigung gerahmt und vermittelt: In seiner ersten Ekloge entdecken die beiden Hirten Corydon und Ornytus im Schatten eines dem Faunus geweihten Heiligtums auf einer Buche eine Prophezeiung, die Faunus selbst dort eingeritzt hat: aurea secura cum pace renascitur aetas et redit ad terras tandem squalore situque alma Themis posito iuvenemque beata sequuntur saecula, maternis causam qui uicit Iulis. 21 Calp. 7,37–45: stabam defixus et ore patenti / cunctaque mirabar necdum bona singula noram, / cum mihi tum senior, lateri qui forte sinistro / iunctus erat, „quid te stupefactum, rustice“, di­ xit / „ad tantas miraris opes, qui nescius auri / sordida tecta, casas, et sola mapalia nosti? / en ego iam tremulus et vertice canus et ista / factus in urbe senex stupeo tamen omnia: certe / vilia sunt nobis quaecumque prioribus annis / vidimus, et sordet quidquid spectavimus olim.“ 22 Calp. 7,82–84: utcumque tamen conspeximus ipsum / longius; ac, nisi me visus decepit, in uno / et Martis vultus et Apollinis esse putatur. 23 Zur domus aurea Champlin (2003), 178–209, bes. 209: „The Golden House should be conceived as something new, physically seperate from the structures, public or private … it is, in short, a theater, or rather an amphitheater. People were meant to look. Privacy was not an issue.“

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Ein goldenes Zeitalter und sicherer Friede wird wiedergeboren, auf die Erde kehrt endlich die segenspendende Themis zurück, nachdem sie starrende Trauerkleidung abgelegt hat, und glückliche Zeiten folgen dem jungen Mann, der für seine iulischen Vorfahren mütterlicherseits gesiegt hat. Calp. 1,42–45

Vergleicht man die Stelle mit Vergils Prätext (s. S. 98), so fallen einige Veränderungen auf: Der vielversprechende Friedensbringer ist zum jungen Mann (iuvenem) geworden, legitimiert als Urenkel des Augustus.24 Deutlich wird, dass es die Wiederkehr des goldenen Zeitalters ist (renascitur vs. nascitur bei Vergil). Während jedoch in Vergils Version das goldene Zeitalter mit dem verheißungsvollen Knaben in die Welt kam, folgen (sequuntur) die glücklichen Zeiten dem jungen Nero wie eine Entourage, der iuvenis wird eindeutig als Hauptperson verstanden. Die neronische goldene Zeit ist somit in jeder Hinsicht sekundär: Es ist nicht nur eine durch eine genealogische Reihe legitimierte Wiederkehr, die erst zu einem späteren Zeitpunkt im Leben des Protagonisten eintritt. Sekundär ist ferner die Relektüre vergilischen Vorbilds wie auch die Inszenierung einer vermittelten Prophezeiung durch ihre Lektüre auf der Baumrinde. Hier kommt schließlich hinzu, dass der Verfasser der Prophezeiung, Faunus, als Enkel des Saturnus galt und somit auch ein Erbe des goldenen Zeitalters ist.25 5 ‚PLAY IT AGAIN‘ 5.1 Inszenierte Wiederholung als kulturelles Symptom Nero ging bekanntermaßen als imperator scaenicus (Plin. paneg. 46,4) in die Geschichte ein. Dieses Attribut bündelt passgenau jedoch nicht nur Neros eigenes Faible für Theater und andere spektakuläre Ereignisse, sondern trifft auch auf die Seh- und Rezeptionsgewohnheiten neronischer Zeit zu, nicht zuletzt auf die zeitgenössische Literaturproduktion.26 Als besonders signifikant und relevant für die vorliegende Untersuchung sind folgende Beobachtungen anzuführen: Nero selbst repräsentiert den Zeitgeist, indem er als Schauspieler auftritt, und zwar in einer Maske mit den eigenen Gesichtszügen. Damit spielt er einerseits eine Rolle, andererseits aber doch auch sich selbst, die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit werden hintergangen; das Bedeutungsspektrum des Wortes persona in seiner eigentlichen Bedeutung ‚Maske‘ und in seiner übertragenen Bedeutung ‚Rolle‘ im Theater bzw.

24 Zur Interpretation dieser Stelle vgl. Wiseman (1982), 57 f. 25 Zur Gleichsetzung der aurea aetas mit den Saturnia regna ausführlich Versnel (1993). 26 Zu Nero selbst Champlin (2003), 53–83; zur Instrumentalisierung von Akteuren und Publikum Bartsch (1994), zum ‚amphitheatralischen Blick‘ in der Literatur Leigh (1997), zum Theaterund Tragödienverständnis Boyle (2006), 176–218, zu Metatheatralität Boyle (2006), 208–218, Schiesaro (2003), 235–243.

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im realen Leben wird mit einem Handgriff ausgeleuchtet.27 Aus der Tatsache, dass Nero quasi sich selbst spielt, lässt sich ableiten, dass das römische Publikum (zumindest in Teilen) dem Spiel mit Fiktion und Realität folgen konnte. Hinzu kommt, dass das Phänomen Theater bzw. Theatralität in der frühen Kaiserzeit sich auch auf Lebensbereiche außerhalb des Theaters verstärkt ausbreitet.28 Dies lässt sich nicht nur an der Zunahme deklamatorischer Übungen, in denen die Redner für ihr Plädoyer in die Rolle mythologischer Figuren schlüpfen, ablesen, sondern etwa auch daran, dass zu dieser Zeit die Sujets pompeianischer Wandbilder oft aus Tragödienszenen gebildet werden. Schließlich ist auch eine strukturell-reflexive Theatralisierung der Literatur zu nennen, die offenbar zeitgenössische Wahrnehmungsgewohnheiten abbildet: Man denke an die Modellierung und Inszenierung der Protagonisten in Lucans Epos in der Art von Gladiatoren, an die Inszenierung des Geschehens und die Blicklenkung des Lesers, als säße er im Amphitheater, oder die effektvolle Inszenierung der Trimalchionischen Cena in Petrons Satyrica.29 Schließlich ist die Tatsache, dass es just Tragödien sind, die Seneca in jener Zeit schreibt, nicht zu vernachlässigen.30 Die Gemeinsamkeit der genannten Phänomene scheint darin zu liegen, dass die besondere Rezeptionssituation des Theaters als prägendes kulturelles Muster akzeptiert und reflektiert wird. Worin besteht aber die spezifische Rezeptionssituation des Theaters? Wer ein Theater besucht, lässt sich auf eine besondere Konvention der Bedeutungszuweisung ein: Da stehen Personen auf der Bühne und behaupten, Agamemnon zu sein, und der Zuschauer nimmt dies als gegeben hin, obwohl er weiß, dass es sich um einen Schauspieler handelt, der in Wirklichkeit ganz anders heißt, nicht aus Mykene kommt und auch kein König ist. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Das Theaterpublikum ist es also gewohnt, Dinge, die auf der Bühne passieren, mit anderen Augen zu sehen als gewöhnlich und im Zuge dieses Signifikationsprozesses jedes Detail der auf der Bühne dargestellten Welt mit einer eigenen Bedeutung zu versehen.31 In dem Maße, wie die Akzeptanz der Theatersituation auf kultureller Konvention beruht, ist auch das auf der Bühne Dargestellte kulturell kodiert.32 Wir können also davon ausgehen, dass im Drama dem Rezipienten eine zwar fiktive

27 Zum Bedeutungsspektrum von persona vgl. ThLL s.v. (Dubielzig 1998, X 1, p. 1715, lin. 29 – p. 1729, lin. 34). Neros Rollenspiele überliefert bei Suet. Nero 21,3 und D.C. 63,9,4–10,1. 28 Zu den folgenden Beispielen Boyle (2006), 182; zu Senecas Tragödien als Palimpseste 205– 208. 29 Zu Lucan Leigh (1997), zu Petron Hales (2009), 174–176 und Panayotakis (1995). 30 Hierfür ist die unsichere und umstrittene Datierung der Tragödien vernachlässigbar, da es für das Aufzeigen kultureller Phänomene ohnehin nicht um exakte Datierung gehen kann. Gleiches gilt für die Frage, ob es sich um Bühnenstücke oder nur um Rezitationsdramen handelte. 31 Vgl. Fischer-Lichte (1983), 191: „Prozesse theatralischer Kommunikation sind zunächst als Spezialfall ästhetischer Kommunikation zu begreifen: auf der Bühne werden zum Zwecke der Konstitution von Bedeutung Zeichen hervorgebracht, denen die Zuschauer ihrerseits Bedeutungen beilegen, die zum Teil mit den von den Produzenten gemeinten übereinstimmen, zum Teil jedoch auch von ihnen abweichen werden.“ 32 Ein Gedankenspiel, wie Theater auf einen Zuschauer wirkt, der nicht weiß, was Theater ist, findet sich bei Eco (2002).

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Welt entgegentritt, die jedoch als modellhafter Entwurf aus sich heraus wieder auf die wirkliche Welt zurückverweist. Bisweilen werden die Mechanismen von Bedeutungszuschreibung und Verweisfunktion offengelegt und die Grenzüberschreitung zwischen textinterner Welt und textexterner Welt thematisiert; dann werden Bühnenfiguren zu Zuschauern33, das Publikum zum Akteur. Eine weitere Möglichkeit der Grenzüberschreitung besteht darin, aus der textinternen Welt auf eine andere textinterne Welt zu verweisen, die wiederum zum Wissensschatz der textexternen Welt gehört: Senecas Dramenfiguren sind bekannt dafür, dass sie sich selbst als mythologische Figur und ihren Ort in der Literaturgeschichte reflektieren. In nuce formuliert das Medeas Ausruf Medea … – fiam! (Sen. Med. 171). Dabei ist jeder Mythos selbst nichts anderes als die variierte Wiederkehr einer durch Konvention und Tradition bekannten Erzählung. Mythen verändern sich in ihrem Bestand insgesamt und passen sich auch im Detail jeweils dem neuen Kontext an. Wie die auf der Bühne dargestellte Welt ein Reflex bzw. Modell dieser gerade aktuellen Welt ist, so ist auch der Mythos immer ein Spiegel der Zeit, in der er erzählt wird. Das heißt, im Mythos artikulieren sich die jeweils aktuellen kulturellen Konzepte und Diskurse. Daraus folgt, dass der Mythos selbst ein sekundäres System ist, der Bedeutungszuordnung darstellt.34 Wenn bereits die Figuren auf der Bühne auf ihre mythologische Herkunft verweisen, dann tritt auch und gerade dieser Verweis als ein kulturelles Muster in den Vordergrund. – Und hier schließt sich der Kreis zu unseren Beobachtungen zur Struktur des zweiten Anfangs in neronischer Zeit in Kap. 4.1: Nero wiederholt nicht nur die Geschichte mit seinem Rekurs auf Augustus, sondern auch den Mythos. Denn er betritt laut Quellen die Szene nicht nur mit einer Maske, die seine eigenen Gesichtszüge abbildet, sondern spielt auch noch bevorzugt Rollen wie die des Orestes, die parallele Strukturen zu seinen Taten, etwa den Mord an seiner Mutter, aufweisen.35 Damit steht nicht so sehr der Tatbestand an sich im Vordergrund, sondern die Parallelisierung zwischen Jetzt und Früher. Halten wir für unsere Frage nach der Vorstellung von Zeitverläufen fest, dass zu dem bereits beobachteten repetitiv-zyklischen Modell die Fokussierung auf der Wiederkehr, vor allem aber auf der Inszenierung der Wiederkehr und der bedeutsamen Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart liegt.36

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Vgl. etwa Sen. Tro. 1125. Exemplifiziert am Thyestes bei Boyle (2003), 210 f., Schiesaro (2003), 235–243. – Zur Umkehrung des Akteur-Zuschauer-Verhältnisses Bartsch (1994). Vgl. Barthes (2012), 251: „Der Mythos ist ein System der Kommunikation, eine Botschaft … er ist eine Weise des Bedeutens, eine Form.“ und 258: „Er ist ein sekundäres semiologisches System.“ D.C. 63,9,4–10,1; zur Instrumentalisierung des Mythos durch Nero Champlin (2003), 84–111. Dazu passt, dass Gowing (2005), 67–101 bei der Untersuchung von Erinnerungskultur und Geschichtsbild der Republik in neronischer Zeit herausarbeitet, dass dieser Zeitabschnitt nicht tableauartig, sondern vor allem an einzelnen Figuren exemplifiziert und zur gezielten Manipulation von Erinnerung und Kommentierung der Gegenwart eingesetzt wird.

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5.2 dubium tempus: Tragödie, Zeit und Raum Die im vorangegangenen Abschnitt angestellten Überlegungen sollen nun exemplarisch an den artikulierten Zeitvorstellungen einer der Tragödien Senecas, der Phaedra, überprüft werden. Dabei soll zunächst die Zeit- und Raumbedeutung in den Blick genommen werden, bevor auf die Signifikationsprozesse selbst eingegangen wird. Im Zentrum des Dramas steht die Figur der Phaedra, Tochter des Königs Minos von Kreta und seiner Frau Pasiphae, die mit einem Stier den Minotaurus gezeugt hatte. Zum Zeitpunkt des Dramas ist Phaedra die Frau des Königs Theseus von Athen, der bereits einen Sohn, Hippolytus, aus einer Liaison mit einer Amazone hat. Der Konflikt entsteht, als sich Phaedra in ihren Stiefsohn verliebt, jedoch zurückgewiesen wird. Aus Rache beschuldigt sie Hippolytus vor ihrem Mann des Ehebruchs. Dieser verflucht seinen Sohn, der daraufhin ums Leben kommt. Phaedra begeht Selbstmord. Im Stück sind Raum- und Zeitsemantik miteinander gekoppelt. Der Konflikt im Drama entsteht nicht nur durch die mit einem kulturellen Tabu belegten Nachstellungen der Stiefmutter Phaedra nach ihrem Stiefsohn Hippolytus, sondern auch und gerade, weil die beiden Protagonisten Zeit und Raum zwar in einem ähnlichen Verfahren, aber mit gegensätzlichem Ergebnis bewerten. Hippolytus wird in einem Eingangslied als erfahrener und engagierter Jäger und der Göttin Diana zugewandter junger Mann exponiert, der sein Gefolge genauestens für die bevorstehende Jagd instruiert und kurz darauf selbst in den Wald aufbricht. Die in diesem Eingangslied geschilderte Landschaft wird als einsam und unberührt charakterisiert. Dies korrespondiert mit Hippolytus’ Habitus eines Anhängers der Göttin Diana, zu deren Eigenschaften die Jungfräulichkeit gehört. Dem widerspricht jedoch, dass Hippolytus als moderne und aristokratische Variante eines Jägers auftritt, der überlegt Anweisungen erteilt und an Jagdgerät technisch, so scheint es, auf dem neusten Stand ist. Zweck dieser Jagd, so der Eindruck, ist nicht die Sicherung lebenserhaltender Grundbedürfnisse, sondern vielmehr der sportliche Zeitvertreib. In der Tragödie versucht nun zunächst Phaedras Amme, nicht ganz freiwillige Mittlerin zwischen Stiefmutter und -sohn, Hippolytus von seiner keuschen Lebensweise abzubringen, indem sie darlegt, dass sein Lebensstil nicht dem kulturell üblichen entspreche. Hippolytus rechtfertigt sich gleich darauf für seine Lebensweise folgendermaßen: Non alia magis est libera et uitio carens ritusque melius uita quae priscos colat, quam quae relictis moenibus siluas amat. … regios luxus procul est impetus fugisse: sollicito bibunt auro superbi; quam iuuat nuda manu captasse fontem! certior somnus premit secura duro membra laxantem toro. non in recessu furta et obscuro improbus

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Dubium tempus quaerit cubili seque multiplici timens domo recondit: aethera ac lucem petit et teste caelo uiuit. Hoc equidem reor uixisse ritu prima quos mixtos deis profudit aetas.

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Kein anderes Leben ist freier und mit weniger Lastern behaftet, und es gibt keins, das die früheren Bräuche besser achtete als ein Leben, das die Stadtmauern verlässt und die Wälder liebt. ... Königlichen Wohlstand vermieden zu haben ist mein Ziel: aus ausgesuchten Goldgefäßen trinkt, wer sich für was Besseres hält; welche Lust, mit bloßer Hand aus der Quelle zu trinken! Gut und tief schläft der, der seine Glieder auf ein hartes Lager sorglos bettet. Nicht sucht er ruchlos verstohlene Liebe in Abgeschiedenheit und auf heimlichem Lager, versteckt sich angsterfüllt in einem Haus voller Schlupfwinkel: er sucht die Luft und das Licht und lebt unter offenem Himmel. Ich jedenfalls glaube, dass auf diese Weise jene gelebt haben, die in Gemeinschaft mit den Göttern das erste Zeitalter hervorbrachte. Sen. Phaedr. 483–527

Hippolytus modelliert seinen Lebensstil nach einer prima aetas und rekurriert damit auf das seit Hesiod in der antiken Literatur tradierte Zeitaltermodell, als deren bestes die aurea aetas galt. Hippolytus versieht seine Skizze des idealen Zustandes jedoch nicht mit einem auf die materielle Qualität abzielenden, sondern mit einem die numerische Reihenfolge bezeichnenden Attribut. Dies impliziert (mehr als ‚golden‘), dass nach einem ‚ersten‘ noch mehr kommen muss. – Das Gold (519) war ohnehin schon negativ besetzt durch die Verbindung mit Trinkgefäßen und monarchischer Luxusentfaltung. Hippolytus’ Skizze ist allerdings eigene subjektive Setzung, das markiert das reor (525) eindeutig. Dieses anvisierte ursprüngliche Leben findet seines Erachtens fernab der Zivilisation im Wald statt. Damit beansprucht Hippolytus für sich eine Lebensweise, die einen in dieser Art nicht mehr existierenden Raum (im Theater dadurch sichtbar gemacht, dass er sich außerhalb des Bühnenraums befindet, absolut setzt, und etabliert so eine Parallelwelt. Dass vorhandener Raum und anvisierte Zeit nicht zueinandergehören, wird im Rückblick auf Hippolytus’ Eingangslied ersichtlich, denn dort brach er zur Jagd auf, mit allen zur Verfügung stehenden Raffinessen und Technik, die in der ‚Goldenen Zeit‘, die als literarischer Topos traditionell mit einer einfachen und primitiven Lebensweise verbunden war, nicht vorhanden waren. Der Konstruktcharakter des Entwurfs wird fernerhin dadurch deutlich, dass Hippolytus das übliche Dekadenz-Modell aus der Goldenen Zeit um eine weitere negative Komponente bereichert: Nicht nur Gewinnsucht und Unmäßigkeit haben die Welt schlechter werden lassen, sondern auch sexuelles Verlangen, verkörpert allem voran durch ‚die Frau‘, die Kriege auslöst und so zum Weltuntergang beiträgt (559–564). Exemplifiziert wird dies an Medea, quasi als der Urversion aller Frauen. Damit wird innerhalb der Figurenebene durch Hippolytus ein autobiographisches Detail in der Vergangenheit konstruiert, denn Medea ist seine Stiefgroßmutter; auf textexterner Ebene wird eine Verbindung zu Senecas Medea geschaffen. In dieser Reihung gelesen, müsste – Deutung von der internen auf die externe Ebene hinaus – Phaedra noch schlimmer sein als Medea.

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Wenden wir uns nun Phaedra zu. Phaedras Auftrittsmonolog schließt direkt an Hippolytus’ Eingangslied an und bildet den formalen wie inhaltlichen Kontrast, präfiguriert den Konflikt. Phaedra beklagt sich zunächst über die notorische Abwesenheit und Untreue ihres Gatten Theseus, bevor sie ein viel größeres Phänomen diagnostiziert: Ihren gewöhnlichen Beschäftigungen im Palast mag sie nicht mehr nachgehen, stattdessen hat sie ihr neues Faible für die Jagd entdeckt. Dies führt sie weniger auf Hippolytus per se zurück, sondern vielmehr darauf, dass skandalöse Liebschaften das Schicksal ihrer Familie seien. quo tendis, anime? quid furens saltus amas? fatale miserae matris agnosco malum: peccare noster nouit in siluis amor. ... stirpem perosa Solis inuisi Venus per nos catenas uindicat Martis sui suasque, probris omne Phoebeum genus onerat nefandis: nulla Minois leui defuncta amore est, iungitur semper nefas. Wohin willst du, mein Herz? Warum strebst du rasend fort in die Wälder? Ich erkenne das vom Schicksal vorgegebene Leid meiner unglücklichen Mutter: unsere Liebe lernte die Sünde in den Wäldern kennen. ... Voller Feindseligkeit gegenüber den Nachfahren des ihr verhassten Sol rächt Venus sich an uns und dafür, dass sie und ihr Mars gefesselt wurden, das ganze Phoebus-Geschlecht belastet sie mit unsäglicher Schande: Keine der Minos-Töchter ging an einem einfachen Liebesverhältnis zugrunde, die Sünde ist ihr ständiger Begleiter. Sen. Phaedr. 112–114. 124–128.

Phaedra rechtfertigt ihr unerlaubtes Verlangen, indem sie ihren persönlichen Geschlechterfluch konstruiert und auf diese Weise ihr gegenwärtiges Problem in eine zeitliche Linie stellt, der sich nicht entkommen lässt und die zwangsläufig zum Schlechteren führt – ein persönliches Dekadenzkonzept also. In den Äußerungen des Hippolytus und der Phaedra artikulieren sich Raumund Zeitvorstellungen, die auf unterschiedlichen Vorannahmen beruhen: Hippolytus geht davon aus, dass ‚die gute alte Zeit‘ wiederaufgenommen werden kann, indem man Umgang mit Mitbürgern, insbesondere Frauen, meidet, um zwischenmenschlichen Emotionen und daraus resultierenden möglichen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Das heißt aber, dass das aktuelle gesellschaftliche Leben in keiner Weise den sozialen Praktiken der prima aetas entspricht. Dieser Widerspruch lässt sich nur lösen, wenn man eines von beiden außer Kraft setzt. Dies geschieht in der Tragödie dadurch, dass eine solche ‚aus der Zeit gefallene‘ Zeitkonstruktion auch nur in einem Raum außerhalb des Bühnenraumes und außerhalb der auf der Bühne dargestellten Welt gelebt werden kann. Für Phaedra ist der von Hippolytus so absolut gesetzte Wald räumlich wie zeitlich bereits anders konnotiert: Es ist der Ort, wo ihre Mutter sich mit dem Stier vereinigt hatte. Beiden Konnotationen gemeinsam ist, dass es ein Raum außerhalb der durch die Regeln gesellschaftlichen Zusammenlebens strukturierten Welt ist.

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Auch das Gold der einstmals goldenen Zeit kehrt in verändertem Kontext wieder. Verschwunden ist der metaphorische Gebrauch einer aurea aetas und wurde ersetzt durch eine prima aetas. Dafür ist der eigentliche, das Material bezeichnende Gebrauch in dem als negativ bewerteten Weltentwurf zu finden: Hippolytus bezeichnet mit aurum metonymisch die Luxusgefäße, aus denen die aristokratische Gesellschaft trinkt, Phaedra hingegen weist alle Luxusgegenstände von sich, um Hippolytus in einer tabuisierten Verbindung nahe zu sein. Während Hippolytus Luxusgüter ablehnt, um ein unschuldiges Leben zu führen, lehnt Phaedra sie ab, um ein schuldiges Leben zu führen. Rollenspiel und Signifikationsprozesse sind damit selbst kulturelles Merkmal neronischer Zeit. Wie beispielhaft an Senecas Phaedra gezeigt, führt dies dazu, dass es um die Signifikation als solche geht. Jedoch verläuft auch diese innerhalb bekannter soziokultureller und literarischer Diskurse. So kommt es, dass wir sowohl das Zyklusmodell, ein linear auf- bzw. absteigendes Modell sowie genealogische Modelle von Zeitstrukturierung und Zeitphrasierung wiederfinden. Neu ist die Flexibilität dieser Muster und die Inszenierung ihrer Verwendung. 6 ALLES THEATER: DIE KATASTROPHE FINDET WOANDERS STATT. Im vorangegangenen Abschnitt wurde dargelegt, auf welche Weise Distanz und Mittelbarkeit als Phänomen neronischer Zeit auch den konstruktiven Umgang mit Zeitphrasierung und Zeitdeutung prägen. Wenn das Reden über Zeit und Zeitbestimmung, wie in Abschnitt 2 postuliert, eine Syntheseleistung des Menschen voraussetzt, so kann diese Synthese selbst zum Gegenstand kultureller Reflexion werden. Gezeigt wurde dies im letzten Abschnitt am Beispiel des Theaters, das sich hierfür als besonders geeignet erwies, da das Theater durch die sichtbar gemachte Distanz zwischen textinterner Welt auf der Bühne und textexterner Welt des Publikums Signifikationsprozesse offenlegt. Hieraus folgt, dass für die behandelte Epoche weder das zyklische Modell noch das linear-apokalyptische Modell ausschließlich prägend wäre, sondern vielmehr die jeweils flexible Adaption auf bestimmte Umstände, die durch das applizierte Modell wiederum ihre Deutung erhalten. Anders als für die augusteische Zeit lässt sich nicht aufzeigen, dass das Dekadenzmodell vom zyklischen abgelöst würde (oder umgekehrt), vielmehr sind beide miteinander verquickt. Exemplarisch soll dies an einem letzten Textausschnitt illustriert werden. Senecas 91. Brief an Lucilius handelt vom Brand Lyons. Zweck des Briefes ist laut Seneca, Trost für den gemeinsamen Bekannten Liberalis zu finden, der aus Lyon stammte und mit seiner Vaterstadt sehr verbunden war: ubique armis quiescentibus, cum toto orbe terrarum diffusa securitas sit, Lugudunum, quod ostendebatur in Gallia, quaeritur. … nulla res magna non aliquod habuit ruinae suae spatium:

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Meike Rühl in hac una nox interfuit inter urbem maximam et nullam. denique diutius illam tibi perisse quam perit narro. Während überall die Waffen ruhen und auf der ganzen Welt Sicherheit herrscht, sucht man die Stadt Lyon, die man in Gallien gerne Besuchern zeigte, vergeblich. … Es gibt nichts, was bis zu seinem Untergang nicht noch ein wenig Zeit hätte: Hier war es nur eine Nacht zwischen einer großen Stadt und keiner mehr. Und so dauert am Ende meine Erzählung von ihrem Untergang länger als ihr Untergang selbst. Sen. epist. 91,2

Diese Zeilen sind ganz offenbar aus der Perspektive einer innen- wie außenpolitisch weitgehend geregelten Welt verfasst und aus dem Bewusstsein, selbst an dieser Sicherheit zu partizipieren. In das Bewusstsein mischt sich jedoch der Gedanke des Umschwungs.37 Bezeichnend scheint der Gegensatz zwischen Weltpanorama und lokaler Katastrophe: Wo Roms Herrschaft ein ganzes Weltreich in sicherem Zustand umfasst, ereignen sich vereinzelte Unglücke in der Regel weit weg und können aus der sicheren Distanz kommentiert werden. Der Römer auf dem Weg zum philosophisch Weisen übt sich literarisch und mit Lust am Detail im Katastrophenfall: Das Szenario umfasst den ganzen Bogen zwischen der Blütezeit der Stadt (ostendebatur, maximam) und ihrer kompletten Vernichtung (nullam). Und da es dementsprechend geschildert und mit ähnlichen Beispielen illustriert wird, ist es erst der Text, der die Katastrophe im Vergleich mit anderen vollendet, den Untergang in die Länge zieht (diutius perisse) und ihm einen eigenen Stellenwert zuweist. Zwei symptomatische Vorstellungen lassen sich aus diesem Brief herauspräparieren: Erstens, das Ende kommt jeden Augenblick. Zweitens, es muss aber nicht das Ende gewesen sein, vielleicht ist es auch ein Anfang.38 Im literarischen Diskurs stehen mehrere Modelle gleichzeitig zu Gebote. LITERATUR Anz, Thomas, Literatur und Lust. Glück und Unglück beim Lesen, München 1998. Baldry, H.C., Who invented the Golden Age?, CQ 2, 1952, 83–92. Barchiesi, Alessandro, The Poet and the Prince. Ovid and Augustan Discourse, Berkeley 1997. Barthes, Roland, Mythen des Alltags, Berlin 2012 (frz. Orig. Mythologies, Paris 1957). Bartsch, Shadi, Actors in the Audience. Theatricality and Doublespeak from Nero to Hadrian, Cambridge 1994. Boyle, Anthony J., An Introduction to Roman Tragedy, London 2006. Citroni Marchetti, Sandra, Plinio il Vecchio e la tradizione del moralismo romano, Pisa 1991.

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Man vergleiche die Stelle bei Ovid auf S. 100. Sen. epist. 91,12: Hoc unum scio: omnia mortalium opera mortalitate damnata sunt, inter peritura vivimus. und 13: Saepe maiori fortunae locum fecit iniuria: multa ceciderunt ut altius surgerent. Timagenes, felicitati urbis inimicus, aiebat Romae sibi incendia ob hoc unum dolori esse, quod sciret meliora surrectura quam arsissent. Zu Erdbeben in Senecas Werk Williams (2012), Kap. 6, zu epist. 91 und dem Brand Roms Ker (2009), 106–108; zur Lust am Schrecklichen bei der Lektüre vgl. Anz (1998), 125–149.

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Dücker, Burckhard, Zeit, in: Nünning, Ansgar (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart 22001, 687–689. Eco, Umberto, Semiotik der Theateraufführung, in: Wirth, Uwe (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt 2002, 262–276. Feeney, Dennis, Caesar’s Calendar. Ancient Time and the Beginnings of History, Berkeley 2007. Fischer-Lichte, Erika, Semiotik des Theaters. Eine Einführung, Bd. 1: Das System der theatralischen Zeichen, Tübingen 1983. Galinsky, Karl, Augustan Culture. An Interpretative Introduction, Princeton 1996. Galtier, Fabrice, L’image tragique de l’Histoire chez Tacite. Études des schèmes tragiques dans les Histoires et les Annales, Bruxelles 2011. Gatz, Bodo, Weltalter, goldene Zeit und sinnverwandte Vorstellungen, Hildesheim 1967. Gladigow, Burkhard, Aetas, aevum und saeclorum ordo. Zur Struktur zeitlicher Deutungssysteme, in: Hellholm, David (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East, Tübingen 1983, 255–271. Green, Steven J., Ovid, Fasti 1. A commentary, MnS 251, Leiden 2004. Hales, Shelley, Freedmen’s Cribs. Domestic Vulgarity on the Bay of Naples, in: Prag, Jonathan R.W. – Repath, Ian D. (Hgg.), Petronius. A Handbook, Malden 2009, 161–180. Ker, James, The Deaths of Seneca, Oxford 2009. Kohl, Katrin, Metapher, Stuttgart 2007. Leigh, Matthew, Lucan. Spectacle and Engagement, Oxford 1997. Newlands, Carole, Urban Pastoral. The Seventh Eclogue of Calpurnius Siculus, Classical Antiquity 6,2, 1987, 218–231. Panayotakis, Costas, Theatrum Arbitri. Theatrical Elements in the Satyrica of Petronius, MnS 146, Leiden 1995. Rüsen, Jörn, Geschichte als Theorieproblem der Geschichtswissenschaft. Skizze zum Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion, in: Koselleck, Richard (Hg.), Formen der Geschichtsschreibung, München 1982, 14–35. Schiesaro, Alessandro, The Passions in Play. Thyestes and the Dynamics of Senecan Drama, Cambridge 2003. Versnel, H. S., Saturnus and the Saturnalia, in: ders., Inconsistencies in Greek and Roman Religion, Bd. 2: Transition and Reversal in Myth and Ritual, Leiden 1993, 136–227. Wallace-Hadrill, Andrew, The Golden Age and Sin in Augustan Ideology, Past & Present 95, 1982, 19–36. Wallace-Hadrill, Andrew, Rome’s Cultural Revolution, Cambridge 2008. Williams, Gareth D., The Cosmic Viewpoint. A Study of Seneca’s Natural Questions, Oxford 2012. Wiseman, Timothy P., Calpurnius Siculus and the Claudian Civil War, JRS 72, 1982, 57–67.

ALLES GOLDEN? Literatur(geschichte) aus der Sicht der Humanisten1 Elisabeth Stein Krisenzeiten, d. h. nachhaltige Erschütterungen von bislang funktionierenden Systemen, führen häufig nicht nur zu gravierenden Veränderungen, sondern meist auch zu Versuchen, das Geschehene zu analysieren und zu reflektieren. In der Regel sind es ambitionierte Vertreter gesellschaftlich führender Kreise, also (ehemalige) Politiker oder Intellektuelle, die scharfsichtig und scharfsinnig, bisweilen aber auch larmoyant zu skizzieren suchen, wie es zum deplorablen Status quo kommen konnte. In ihren Betrachtungen zeichnen sie oft Entwicklungslinien nach, die mehr oder minder suggestiv Gründe für den „Verfall“, den „Abstieg“, kurzum für das Ende oder den Untergang einer Herrschaftsform oder Leitkultur nachvollziehbar machen sollen. Sie bieten oft aber auch Bestandsaufnahmen, in denen aussagestarke kulturelle Phänomene einer als vorbildlich empfundenen Vergangenheit kategorisiert, hierarchisiert und in Bezug zur Gegenwart gesetzt werden. Das gilt im kaiserzeitlichen Rom, in dem Tacitus mit seinem Dialogus de oratoribus eindringlich die politisch-gesellschaftliche Belanglosigkeit römischer Redekunst in seiner Gegenwart evoziert und damit ein nachtschwarzes Panorama von kaiserlicher Willkürherrschaft und weitgehend akzeptierter Unfreiheit entwirft. Das gilt cum grano salis auch für Ciceros Brutus; in ihm präsentiert der auch nach eigenem Dafürhalten größte Redner Roms eine literaturgeschichtlich anmutende Darstellung griechisch-römischer Rhetorik von ihren Anfängen bis zu seiner unmittelbaren Gegenwart. Dass er deren Entwicklung mit dem von ihm zu Recht wahrgenommenen Endstadium der Republik gewissermaßen zwangsläufig einen Endpunkt (keinen Höhepunkt?!) erreichen sieht, dürfte nicht verwundern. Denn in der Möglichkeit politische Entscheidungsprozesse vornehmlich durch rhetorische Fertigkeiten zu steuern und zu beeinflussen, liegt nach dem Urteil von Marcus Tullius ebenso wie nach dem des kaiserzeitlichen Historikers ein maßgebender Indikator für Roms (einstige) politisch-kulturelle Überlegenheit. Es korrespondieren also in ihren Augen politische Freiheit des einzelnen und Fortentwicklung (bzw. „Aufstieg“) intellektuell-kultureller Fertigkeiten bzw. Leistungen miteinander. Während man solche, ansatzweise literaturhistorisch orientierte Deutungen von Krisenphänomenen in der christlich geprägten Literatur des lateinischen Mittelalters vergeblich sucht, läßt sich einigermaßen Vergleichbares vor allem in Texten aus dem Italien des späten 15. und 16. Jahrhunderts nachweisen. Bestandsaufnah1

Die folgenden Überlegungen, die einer künftigen größeren Publikation zugrunde liegen, werden hier in der Vortragsform präsentiert.

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men literarischer Produktionen und ihrer Erzeuger, die über katalogartige Aufzählungen à la De viris illustribus hinausgehen, wie sie seit der Spätantike und auch im Mittelalter durchaus in bescheidenem Rahmen en vogue sind, finden sich in lateinischen Texten von Humanisten eher selten. Es gibt zwar in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts schriftliche Zusammenstellungen, die von Leistungen herausragender Zeitgenossen (viri illustres) Kunde geben und von angesehenen Verfassern stammen; doch sowohl Bartolommeo Facio (1400–1457) wie auch Enea Silvio Piccolomini (1405–1462), der spätere Papst Pius II., beschränken sich in ihren gleichlautenden Werken (De viris illustribus) nicht darauf, Verdienste namhafter „Kollegen“ um die Literatur herauszustellen, sondern erwähnen auch Produkte von Künstlern oder (im Falle Eneas vorrangig) politisch-kriegerische Erfolge weltlicher und geistlicher Machthaber. Ansätze zu einer Geschichte der antiken Literatur im eigentlichen Sinne bietet dagegen Sicco Polenton (1375/76–1447) mit seinen, in der zweiten Redaktion 18 Bücher umfassenden Scriptores illustres latinae lin­ guae (1425/1437). Das beeindruckende Spektrum der von ihm behandelten Autoren reicht von Livius Andronicus bis ins 14. Jahrhundert und schließt toskanische Dichter des Trecento und sogenannte Prähumanisten ein. Dennoch finden sich auch bei ihm so gut wie keine Reflexionen zum Verhältnis von Schriftstellerei und zeitgenössischen Einstellungen. Das beginnt sich allerdings in den letzten Dezennien des Quattrocento allmählich zu ändern. Zwei dialogisch strukturierte Texte sind es vor allem, die eine nicht auf Vollständigkeit abzielende Bestandsaufnahme (auch zeitgenössischer) ausschließlich lateinischer Literatur mit einem nicht unkritischen Blick auf die Gegenwart verbinden: Der lange Jahre in Diensten der Serenissima stehende Historiker und Philologe Marcantonio Sabellico (1436–1506) zeichnet zwar in De latinae lin­ guae reparatione (1489) die im Laufe des 15. Jahrhunderts erfolgte ruhmreiche Wiederherstellung der antiken Latinität nach und skizziert somit eine rasante und fulminante Erfolgs- und Fortschrittsgeschichte humanistischer Philologen, Lehrer und Schriftsteller nach tausendjähriger (mittelalterlicher, mittellateinischer?) Barbarei. Das wohlige Gefühl des „Sieges“ erscheint aber ein wenig dadurch getrübt, daß nach der endgültigen Vertreibung des Barbarentums, die sich im wesentlichen den Elegantiae Lorenzo Vallas verdankt, eigentlich alles erreicht und keine Verbesserung der lateinischen Sprache mehr möglich (oder notwendig?) ist. Bezeichnenderweise unterbleibt die Frage nach der etwaigen weiteren Entwicklung des Lateinischen; an ihre Stelle tritt die deutlich artikulierte Freude der Sprecher über die Fülle und Vielzahl neuer literarischer Texte auf hohem Niveau, deren Qualität explizit auch an der Wertschätzung durch das lesende Publikum gemessen wird. Auf diese Weise entsteht der (zwiespältige) Eindruck, daß eine (angeblich) kontinuierlich zunehmende Breitenwirkung des in vollem Glanze wiedererstandenen Lateins potentielle Literaten zu entsprechenden Leistungen animieren soll, auch wenn im Bereich der Sprache keinerlei Verbesserungen mehr denkbar erscheinen. Der durchschlagende Erfolg humanistischer Bemühungen hat also eine Aporie, eine Krise (?) zur Folge, die als solche aber keineswegs benannt, sondern mit dem Verweis auf den progressiven Geschmack des Publikums regelrecht überspielt wird.

Alles golden?

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Auch in Paolo Cortesis (1465?–1510) etwa zeitgleich entstandener Schrift De hominibus doctis (wohl um 1489), die er keinem Geringeren als Lorenzo de’ Medici widmete, wird eine Geschichte der humanistischen Literatur von Petrarca bis in seine eigene Zeit entfaltet. Sprachlich und strukturell eng am Vorbild des ciceronianischen Brutus orientiert, entwirft der ambitionierte Kuriale und bekennende Anhänger des Arpinaten in Dialogform ein beeindruckendes Panorama von hauptsächlich italienischen Gelehrten, Dichtern und Denkern, die sich seit dem 14. Jahrhundert den studia humanitatis verschrieben haben. Deren schriftliche Leistungen werden einer durchaus strengen Prüfung unterzogen, die vor allem stilistische Kriterien zugrunde legt. Wenn auch ein gewisser Stolz auf das bislang von Humanisten Erreichte (als eine Lichtgestalt erscheint überraschenderweise Enea Silvio Piccolomini) anklingt, so sind doch kritische Töne letztlich nicht zu überhören. Sie äußern sich vorrangig in beredtem Schweigen: Denn zum einen werden die florentinischen Lichtgestalten und „Leuchttürme“ des Humanismus Angelo Poliziano (1450–1494), Marsilio Ficino und Pico della Mirandola mit keiner Silbe erwähnt, was angesichts ihrer Bekanntheit und Profiliertheit über die Grenzen Italiens hinaus außerordentlich bemerkenswert ist; zum anderen wird am Ende des Gesprächs ausdrücklich auf eine Würdigung von Zeitgenossen verzichtet. Mag man Letzteres eventuell auch noch im Kontext der imitatio Ciceronis betrachten können, so bleibt bei diesem Ausblenden doch ein leises Unbehagen über den Wert und die Qualität gewissermaßen tagesaktueller, intellektueller Leistungsfähigkeit spürbar, die (noch?) kein fachmännisches Urteil verdient oder gar verträgt. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass etwa ab 1480 in Philologenkreisen mit zunehmender Heftigkeit über ein verbindliches Sprachideal gestritten wird. Die Frage, ob man sich an einem bestimmten Autor – zur Wahl stehen programmatisch Cicero als Inbegriff klassisch-römischer Beredsamkeit oder Apuleius als Vertreter einer archaisierend-nuancenreichen Expressivität – orientieren oder einem bewusst gepflegten Eklektizismus huldigen solle, führt zu erbitterten Kontroversen unter aufstrebenden und wohlsituierten Intellektuellen in ganz Italien. An der Vehemenz, mit der diese Richtungskämpfe bis weit ins 16. Jahrhundert ausgetragen werden, lässt sich nicht nur ersehen, welche Relevanz man der Wahl des „richtigen“, d. h. des vorbildlichen Lateins als Medium elitärer, grenzüberschreitender Kommunikation beimisst. Zu berücksichtigen gilt es vielmehr auch, dass solche scharfen Debatten auf die stetig wachsende Bedeutung der Volkssprache hinweisen, die von den unterschiedlichen Meinungsführern mit durchaus gemischten Gefühlen wahrgenommen wird. Man kann den sich seit 1480 abzeichnenden „Kampf“ um die nachzuahmende, maßstabsetzende Latinität also durchaus als Indikator einer beginnenden Krise, die auch um die Durchsetzbarkeit von verbindlichen Sprachnormen kreiste, betrachten. Paolo Cortesi zählte zu den ersten Humanisten, die eine solche noch relativ gemäßigte Auseinandersetzung wagten, und er brach dabei mit Verve und Entschiedenheit eine Lanze für Cicero. Der Gegner, den er um 1485 wohl ostentativ brieflich zu einer Stellungnahme in der Frage nach dem optimus modus Latine dicendi herausforderte, war kein Geringerer als der damals federführende Gelehrte Italiens, der streitbare und keineswegs als konziliant geltende Meister-Philologe Angelo Po-

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liziano, der sich dezidiert zu einem eklektizistischen Sprach-Modell bekannte. Das Unternehmen des ehrgeizigen jungen Mannes, das den Beginn der sogenannten Ciceronianismus-Debatte markiert, zeugt somit von einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein. Zugleich aber dokumentiert es ein Bedürfnis nach Orientierung und „Steuerung“, das auf eine zumindest latente Verunsicherung innerhalb der intellektuellen Führungsriegen hindeutet. Dass Poliziano als der Repräsentant humanistischer Gelehrsamkeit schlechthin in seinem scharf argumentierenden, aber nicht aggressiv-beleidigenden Schreiben keinerlei Anlass sah, auf die Seite seines jugendlichen „Herausforderers“ einzuschwenken, verwundert wohl nicht; dass aber Cortesi, der sich in unterschiedlichen Texten sein ganzes Leben lang mit Fragen einer adäquaten lateinischen Ausdrucksweise beschäftigen und auch vor einer Auseinandersetzung mit volkssprachlichen Schriften nicht zurückschrecken sollte, in seinem erwähnten literaturhistorischen Traktat auf eine Nennung der hochberühmten florentinischen Trias verzichtete, zeigt auf subtile Weise seine Standfestigkeit bzw. sein hartnäckiges Beharren in der von ihm angestoßenen Debatte. Der Weg, den die selbsternannte Avantgarde in der Stadt am Arno einschlug, überzeugte Cortesi offenkundig nicht. Sein nachhaltiges Schweigen über die gefeierten Vorzeigedenker dürfte kundigen Lesern eindringlich vermittelt haben, dass deren Konzeption von Sprache für ihn eine Sackgasse darstellte und daß nach seinem Dafürhalten im Bereich humanistischer Gelehrsamkeit längst nicht alles golden war. Wie bei Sabellico sind also auch bei dem langjährigen Kurialen Krisensymptome erst auf den zweiten Blick erkennbar. Während aber der Historiograph in Venedigs Diensten insgesamt einigermaßen zuversichtlich in die humanistisch gefärbte Zukunft zu blicken scheint, ist Cortesis Sicht auf die Entwicklung des lateinischen Geisteslebens von spürbarer Zurückhaltung gekennzeichnet. Unter dem Druck der historisch-politischen Ereignisse ändert sich dieses Bild jedoch in den folgenden Jahrzehnten rasant: Es sind nicht nur die sogenannten italienischen Kriege, die unter allmählicher Beteiligung aller europäischen Großmächte ab 1494 die Bevölkerung des „Stiefels“ fast pausenlos in Atem halten und dezimieren. Es ist auch nicht allein das nicht nur kriegsbedingte „Abtreten“ einer ganzen Generation renommierter Gelehrter und Intellektueller (von Poliziano bis Pontano), die augenscheinlich nur schwer zu schließende Lücken hinterlassen. Die literarisch-philologische Produktion innerhalb Italiens erscheint von da an insgesamt gedrosselt; es fehlen die ganz großen Namen, es fehlen Texte mit heutigem Wiedererkennungswert, auch literarhistorische Versuche wie die fast ausschließlich auf die Antike bezogenen fünf Bücher De poetis Latinis des Poliziano-Schülers Pietro Crinito von 1505 sind die Ausnahme und nur einem kleinen Kreis von Experten bekannt. Anlass zu Reflexionen über gelehrte Befindlichkeiten bietet insbesondere der Sacco di Roma, die rücksichtslose Verwüstung und Verheerung der Ewigen Stadt durch marodierende deutsch-spanische Söldnerhorden ab dem Mai 1527; sie hat zu zahlreichen, durchaus beeindruckenden literarischen „Verarbeitungen“ des traumatischen Ereignisses geführt. Zeitzeugen berichten von unbeschreiblichen Gewaltszenarien, von unvorstellbarem, hemmungslosem Wüten, von unschätzbaren

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materiellen und immateriellen Verlusten. Noch gesteigert wurde das maßlose Grauen durch die Gefangennahme des Papstes und das Ausbrechen der Pest. In der zeitgenössischen Wahrnehmung war mit diesen Schrecknissen ein historischer Tiefpunkt, vielleicht sogar das Ende römischer (italienischer?) Größe erreicht. Denn nach einer Phase der intensiven Förderung von Kunst und Kultur, in der Rom unter dem großzügigen, verschwenderischen Medici-Papst Leo X. (1513–1521), den immer wieder aufflammenden italienischen Kriegen zum Trotz ein beispielloses Aufblühen, eine regelrechte aurea aetas, erlebt hatte, empfand man die sinn- und haltlosen Zerstörungen von Menschenleben und Kunstwerken als umso niederschmetternder. Das massenhafte Sterben von namhaften Dichtern und Denkern, die Flucht zahlloser Intellektueller und Künstler aus der Kulturhauptstadt des Abendlandes veranlasste dokumentarische und literarische Stellungnahmen aller Couleur: In lateinischer und italienischer Sprache äußerten sich schockierte Zeitgenossen zu den verstörenden Geschehnissen in Rom und zu deren Folgen. Briefe, Predigten, Gedichte und längere Passagen in Geschichtswerken zeugen ebenso wie eigenständige Abhandlungen, die um den Sacco kreisen, von der nachhaltigen Erschütterung der europäischen Geisteswelt. Die von der Plünderung und Zerstörung Roms ausgelöste, massive Krise in Politik und Geistesleben findet einen beeindruckenden Nachhall in einem zeitnah (1527/28) entstandenen, längeren lateinischen Prosatext, der lange von der Forschung vernachlässigt wurde. Obwohl der Dialogus de viris et foeminis nostra ae­ tate florentibus mittlerweile in gleich zwei Editionen mit Übersetzungen ins Italienische (2011) und Englische (2013) vorliegt,2 soll er hier etwas ausführlicher vorgestellt werden. Sein Verfasser ist Paolo Giovio (1486–1552), ein ehrgeiziger und geistreicher Kuriale aus Como; der renommierte Gelehrte mit weitgespannten Interessen, der kunstsammelnde Mediziner und akribisch recherchierende Zeithistoriker hat ein umfangreiches Œuvre lateinischer Texte hinterlassen. Er war außerordentlich gut vernetzt und verfügte über ausgezeichnete Beziehungen zu führenden Vertretern Europas in Kultur und Politik. Der spätere Bischof von Nocera zählte zu den Anhängern der Medici und war Giorgio Vasari (1511–74) freundschaftlich verbunden. Auf das Abfassen von Dichtung hat er verzichtet, dafür aber in unterschiedlichen Prosa-Gattungen reüssiert. Neben biographischen Schriften über hochrangige Geistliche und Militärs (Vitae), unzähligen Briefen, kenntnisreichen Beschreibungen von Land und bedeutenden Leuten (Descriptiones, Elogia) hat vor allem sein ambitioniertes zeitgeschichtliches Werk (Historiae sui temporis), in dem er die dramatischen Geschehnisse rings um die italienischen Kriege kunstvoll präsentiert, unter den Zeitgenossen für Aufsehen gesorgt. Sein auf der Insel Ischia situierter Dialog behandelt Gespräche, die an drei Tagen im Zeitraum von September bis Ende November 1527, also unmittelbar unter dem Eindruck der traumatischen Ereignisse in Rom, stattgefunden haben sollen. 2

Paolo Giovio, Dialogo sugli uomini e le donne illustri del nostro tempo, a cura di Franco Minonzio, Savigliano 2011. und Paolo Giovio, Notable men and women of our time, ed. and transl. by Kenneth Gouwens, Cambridge (Mass.) 2013.

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Gemeinsam mit zwei kultivierten, kenntnisreichen Zeitgenossen reflektiert Paolo Giovio, so suggeriert er es jedenfalls, in landschaftlich traumschöner Atmosphäre und den abscheulichen Zeitläufen entrückt, über den Stand der Dinge. In drei (z. T. unvollständig überlieferten) Büchern räsonieren die Drei angelegentlich darüber, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Natürlich ist aber auch die aktuelle Situation Italiens Thema ihrer Unterhaltungen, und so sinnieren sie nachdenklichsorgenvoll, aber auch versonnen-augenzwinkernd über das intellektuelle Leben und vielleicht etwas überraschend über die schönen Frauen ihrer Heimat. Die Gesprächspartner sind geschickt „gewählt“: Ein jüngerer, führender Vertreter des Militärs (Alfonso D’Avalos), der im Sacco und danach wichtige Vermittlungsaufgaben wahrnahm, ein einflußreicher, musisch interessierter Jurist und Politiker im Alter Giovios (Giovanni Muscettola) und der gebildete Verfasser selbst spielen einander lustvoll die Bälle zu. Da die drei Sprecher über hinlänglich unterschiedliche Lebenserfahrung verfügen, in verschiedenen Interessensbereichen nachweislich ausgewiesen sind, tritt in ihrer Unterhaltung eine bunte Mischung aus Expertise, Lebensklugheit und patriotischen Gefühlen zutage. Wie es der Charakter eines ungeplanten (und unplanbaren!) Gesprächs nahelegt, erheben die von Giovio im Nachhinein aufgezeichneten Ausführungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dokumentieren den assoziativen Verlauf von angeregten und anregenden Diskussionen unter guten Bekannten. Die Wahl des Dialogs als Präsentationsform für die gehaltvollen Erörterungen im hinreißenden und sorgenfreien Ambiente der Myrtenhaine Ischias ist typisch für Humanisten und Humanismus. Im Gewand einer ungesteuerten Unterhaltung lassen sich Themen, Positionen und Argumente von einzelnen Sprechern (vermeintlich) zwanglos und unsystematisch präsentieren. Scholastisches Dozieren und oberlehrerhafte Besserwisserei, wie man sie unter den Liebhabern der studia humanitatis gerne mit mittelalterlicher Literatur assoziiert, werden so tunlichst unterbunden. Obendrein bewegt man sich im Medium des polyphonen Gesprächs auch auf den Spuren des hochgeschätzten Marcus Tullius – jedenfalls Anlaß genug dafür, daß der Dialog (all’antica) neben dem Brief zum beliebtesten Prosa-Genre in Humanistenkreisen avanciert. So vergnüglich es nun wäre, die kennerhaften (großartigen) Unterredungen vor allem der beiden älteren Herren insbesondere über das schöne Geschlecht, ihre wehmütig verklärten Erinnerungen an blitzende Blau-Augen, liebreizende Grübchen und charmantes Geplauder, die das Thema des dritten Buches bilden, genüsslich nachzuzeichnen, so muss an dieser Stelle leider darauf verzichtet werden. Auch die nur allzu verständliche Frage nach den Gründen für das fatale militärische Scheitern, die von den drei Experten im ersten Buch in geradezu selbstquälerischer Manier mit der Suche nach Erklärungen für die zahllosen unglücklich verlaufenen Schlachten „durchdekliniert“ wird und sich ausufernd darin erschöpft, die oft unzureichende Kompetenz italienischer imperatores unter kundiger Zuhilfenahme sallustisch-livianischer Strukturmodelle zu erörtern, gilt es hier nicht zu behandeln. Es soll vielmehr in einem relativ kurzen Aufriss die „Momentaufnahme“ intellektuellen Lebens, wie sie das leider ohne Beginn und Ende überlieferte zweite Buch bietet, vorgestellt und betrachtet werden. Paolo Giovio und seine beiden Mit-

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streiter lassen in einer durchaus kaleidoskopisch anmutenden Schau die literarischen Größen Italiens Revue passieren. Vor dem Hintergrund der nachtschwarzen, unmittelbar erfahrenen Vergangenheit entsteht im Trialog, den der kuriale Schriftsteller dominiert, ein differenziertes Bild schöpferischer Leistungsfähigkeit im ersten Viertel des Cinquecento. Es bleibt aber nicht bei einer Aufzählung von mehr oder minder namhaften zeitgenössischen Dichtern, über deren Qualitäten im Stile des ciceronianischen Brutus oder der literaturgeschichtlichen Passagen Quintilians deutliche Werturteile abgegeben werden; eine auffallend große Rolle spielt vielmehr auch die Volkssprache, deren zunehmende Relevanz als akzeptiertes literarisches Medium im Gespräch der drei Literaturliebhaber eine ambivalent-kritische Beurteilung erfährt. Diskutiert werden der Stellenwert der zeitgenössischen Rhetorik und – angesichts des anwesenden Haus- und Hofhistorikers wenig verwunderlich – die aktuelle Bedeutung von Geschichtsschreibung. Wie ein basso continuo durchzieht die mit viel Herzblut vorgetragenen Ausführungen jedoch der Gedanke des Verfalls, der Krise, der Dekadenz. Die alptraumartige Brutalität des Sacco zwingt ambitionierte Literaten, so lautet eine der Kernaussagen, die Augen zu öffnen und sich der beklemmenden Gegenwart zu stellen, in der insbesondere qualitativ hochwertige lateinische Texte Mangelware sind und zudem kaum noch Anerkennung finden. Giovio wäre jedoch kein professioneller Historiker, wenn er es in seiner Darstellung bei bloßen Behauptungen beließe. Immer wieder werden beispielsweise Fragen nach Gründen für die Wertschätzung volkssprachlicher Literatur gestellt und differenziert beantwortet. So erklärt sich die Beliebtheit von Dichtungen im Volgare u. a. damit, dass deren Verfasser mühelos und ungehemmt auf die reiche antike Tradition zurückgreifen, ohne Entlehnungen oder motivische Übernahmen zu kennzeichnen. Originalität ist also die Stärke der italienischen Poeten nicht. Demgegenüber sehen sich die „Lateiner“ vor ganz anderen, sehr viel schwierigeren Anforderungen. Dichtung in der Sprache der Römer ist gewissermaßen die intellektuelle Königsdisziplin, deren Ansprüchen kaum je Genüge zu leisten ist. Verständlich wird auf diese Weise die Scheu auch noch so herausragender Begabungen, mit ihren poetischen Erzeugnissen ans Licht der Öffentlichkeit zu treten. Gleichzeitig befördert ein solches Verhalten aber (gewissermaßen ex negativo) die Popularität volkssprachlicher Schöpfungen. Deren Akzeptanz gründet u. a. darauf, daß die darin vorrangig behandelten Themen ein breites Laien-Publikum ansprechen. Mit Gedichten, die in der Muttersprache durchaus geistreich die schönste Nebensache der Welt behandeln, erobern zeitgenössische Poeten nicht nur die Herzen junger und alter Männer. Auch Frauen und führende Politiker lassen sich nur allzu gerne auf die Lektüre dieser nugae ein– ein aus Sicht der „Lateiner“ bedauernswerter Tatbestand. Denn mit der Wertschätzung der mühelos zu verstehenden, emotionalen Texte ist in der Regel, zumindest von seiten der Herrscher, auch eine entsprechende materielle Anerkennung und finanzielle Förderung der jeweiligen Autoren verbunden. Damit wird es für die per se anspruchsvollere lateinische Dichtung sehr viel schwieriger sich zu behaupten, und es fehlen gewissermaßen auch ökonomische Anreize für vielversprechende Talente, sich auf das Wagnis einer insgesamt wenig geschätzten, aber voraussetzungsreichen und zeitintensiven Literaturproduktion einzulassen. An Plausibilität gewinnt die engagiert vorgetragene Argumentation durch die Aufzäh-

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lung von namhaften italienischen Musenjüngern, die sich bei zeitgenössischen Lesern und Hörern einer unbestreitbaren Beliebtheit erfreuen. Das kritisch beäugte Verhältnis von lateinischer und volkssprachlicher Literatur stellt aber ohnehin eines der Leitmotive des zweiten Buches dar. Zweifelsohne schärfen die traumatischen Geschehnisse des Sacco den Blick (des Historikers) für die Wahrnehmung vermeintlich dauerhafter Konstellationen wie der des Primats der lateinischen Sprache. Insofern verwundert es nicht, dass ein fast (?) unaufhaltsamer Verfall der antiken Kultur prognostiziert wird. Dieser Befund resultiert zum einen aus einer kritischen Sichtung der momentan aktiven Dichter und ihrer Werke in lateinischer Sprache, zum anderen aus der (zwangsläufigen?) historischen Entwicklung. Denn bei aller grundsätzlichen Wertschätzung, die zeitgenössische carmina aller Art von den Gesprächspartnern erfahren, fällt deren Beurteilung nicht uneingeschränkt positiv aus. Die eventuell zu konstatierende defectio ingeniorum, also ein deutliches Nachlassen der schöpferischen Kräfte auf seiten der lateinischen Poeten, hängt u. a. mit deren Orientierung an kaiserzeitlichen Autoren zusammen. Solche, von den Sprechern als zweitrangig (ingenio mediocres) betrachteten Vorbilder wie Statius und insbesondere Martial trifft offenkundig ein Gutteil der Schuld daran, daß das Niveau lateinischer Dichtung kontinuierlich absinkt. Auch wenn vereinzelte Lichtgestalten wie Marco Girolamo Vida (1485–1566) als der Inbegriff meisterlicher Vergil-Imitation bejubelt und etwas halbherzig noch andere, heute allerdings vergessene Größen dichterischen Könnens aufgezählt und gepriesen werden, so bleibt doch der Eindruck eines Schwanengesangs. Nicht klar beantwortet wird dabei die „Schuldfrage“: Denn es liegt wohl nicht nur an den „falschen“ Mustern, d. h. an den Autoren der silbernen Latinität, dass die lateinischen Poeten gegenüber den Vertretern des Volgare ins Hintertreffen geraten. Gleichzeitig mit dem „Abstieg“ der Lateiner erfolgt nämlich aus der Sicht der Sprecher der „Aufstieg“ volkssprachlicher Dichter und Denker. Das ist beispielsweise daran zu erkennen, dass Dante, Petrarca und Boccaccio als Repräsentanten des Anbeginns italienischer Literatur ausdrücklich auf eine Stufe mit Ennius, Cato und Varro, also den Anfängen römischer Schriftkultur, gestellt werden; die analoge Fort- und Weiterentwicklung volkssprachlicher Literarizität auf den Spuren der Römer ist also (fast) unabdingbar. Damit wird dem Lateinischen und seiner Textkultur gewissermaßen eine ähnliche Bedeutung zugeschrieben, wie sie einstmals unter Marcus Tullius und Konsorten dem Griechischen zugemessen wurde. Wie im Brutus, auf den Giovios Dialogus allenthalben Bezug nimmt, die Römer zunächst an die maßstabsetzenden, rhetorischen Leistungen der Griechen anknüpfen und sie dann dauerhaft überbieten, so scheint im Italien des Cinquecento ein ähnlicher „Machtwechsel“, eine Art von translatio von der lateinischen auf die volkssprachliche Literatur stattzufinden. Expressis verbis wird das nicht gesagt, aber die zahlreichen, natürlich unmarkierten Bezugnahmen auf entsprechende literarhistorische Passagen aus antiken Prätexten (Ciceros Brutus, Quintilians Institutio oratoria 10) sprechen eine beredte Sprache. Das von den Gesprächspartnern nachhaltig evozierte Gefühl von Verfall und Untergang betrifft aber nicht nur die lateinische Dichtung, sondern gilt in mindestens ebenso hohem Maße für die Prosa. Mit großer Wortgewalt skizziert Giovio

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die Krise der zeitgenössischen (lateinischen) Rhetorik und macht unterschiedliche Faktoren für deren rapiden Bedeutungsverlust verantwortlich. Die Schuld liegt in seinen Augen etwa zu gleichen Teilen bei den unprofessionell wirkenden Akteuren, die sich wenig Mühe geben und ihre Texte zumeist lieblos herunterhaspeln, wie bei den oft desinteressierten und ungebildeten Rezipienten, die handlungsgeladene, slapstickartige Theaterstücke in ihrer Muttersprache präferieren. Hinzu kommt, daß sich lateinische Eloquenz ganz offenkundig nicht lohnt, da Herrscher es an Vergütungen (praemia) für Leistungen dieser Art fehlen lassen und stattdessen lieber in theatrale Unternehmungen in italienischer Sprache investieren. Bei diesem „Rundumschlag“ kommen auch die zeitgenössischen Prediger nicht besonders gut weg, und Giovio zeichnet mit wenigen wohlgesetzten Strichen ein gnadenloses ZerrBild von der Inkompetenz und Habgier verlogener, nuschelnder Betbrüder. Dabei verschweigt er natürlich nicht, dass es noch immer wahre Pracht-Exemplare christlich-kirchlicher Beredsamkeit (zumal im Kontext des Sacco und der damit verbundenen orationes funebres) gibt, aber insgesamt fällt sein Urteil niederschmetternd aus: Ganz ähnlich wie der Dichtung fehlt der lateinischen Rhetorik die Akzeptanz beim Publikum und die finanzielle Unterstützung durch zahlungskräftige und gesellschaftlich angesehene Förderer. Das Verstummen der docti, das Giovio als der ausgewiesene Experte für die Schönheit der lateinischen Sprachgestalt wortreich heraufbeschwört, ist als ein Krisenindikator ersten Grades zu betrachten. In zahlreichen Reminiszenzen vor allem an Tacitus’ Dialogus de oratoribus, den antiken Paradetext für den Verfall der eloquentia, wird in dieser außerordentlich umfangreichen Passage deutlich, wie sehr es mit lateinischen Hoch-Kultur abwärtsgeht, ein Ende dieser Talfahrt ist (offenkundig) nicht in Sicht. Dass es aber um die Geschichtsschreibung in lateinischer Sprache, die an dieser Stelle noch kurz behandelt werden soll, gar nicht so schlecht bestellt ist, wird den geneigten Leser nicht in besonderes Erstaunen versetzen. Einer der namhaftesten zeitgenössischen Repräsentanten dieser anspruchsvollen Gattung, die unter den Humanisten europaweit besonderes Prestige genießt, ist nämlich nicht nur einer der Sprecher, sondern auch der Verfasser des Dialogus. Und so verwundert es nicht wirklich, daß die Herren auf Ischia auch auf zeitgenössische Historiographie und Giovios ausgesprochen ambitioniertes Vorzeigeprojekt, die Historiae sui temporis, zu sprechen kommen. Es liegt nahe, im Angesicht von sinnloser Zerstörung materieller und immaterieller Werte, wie sie der Sacco unmißverständlich dokumentiert, über die Bedeutung von memoria zu reflektieren. Welche Rolle der historia und ihrer inhaltlich-formal adäquaten Aufzeichnung nach seinem Dafürhalten zukommt, präsentiert der ehrgeizige Comaske in einem hinreißenden längeren autobiographischen Exkurs. Dabei beschwört er nicht nur das goldene Zeitalter Leos X. herauf, unter dessen Ägide und wohlwollender Expertise sein anspruchsvolles Unternehmen gedieh, sondern auch die jetzigen Zeitläufe, in denen (o Wunder!) von Unterstützung durch die herrschenden Kreise so gut wie nicht die Rede sein kann. Wieder sind es also die principes, die in ihrer Verblendung (es fällt der Begriff insania) den Gelehrten nicht die notwendige Förderung bieten. Selbstverständlich nutzt Giovio diese Passage aber auch zur besonders raffinierten Darstellung seiner sprachlich-stilistischen Fertigkeiten. Denn sein vollmun-

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diges Bekenntnis zur Geschichtsschreibung entpuppt sich auch als autobiographischer Passus, wie ihn Cicero im Brutus auf Drängen seiner Gesprächspartner zum besten gibt; dabei sind obendrein aus dessen Werk De legibus sinnfällige (unmarkierte!) Zitate eingefügt, in denen sich der größte Rhetor Roms über seine mögliche historiographische Tätigkeit äußert. Die unausgesprochene Botschaft ist eindeutig: Wer, wenn nicht ein zweiter Marcus Tullius wie Paolo Giovio verdiente finanzielle und materielle Unterstützung bei der Umsetzung eines solchen prestigeträchtigen Projekts? Dass aber nicht nur die Herrscher, sondern auch die litterati an der gegenwärtigen Misere des Geisteslebens schuld sind, weil sie entweder überhaupt nicht literarisch aktiv werden oder ihre Mitstreiter mit bösartigen Kritiken überziehen oder über keinerlei Begabung verfügen, das und vieles mehr bringt Giovio seinen Gesprächspartnern und uns zu Gehör, bevor die Ausführungen zur Lage der Literatur relativ unvermittelt abbrechen. Auffällig ist zweifellos der disparate Verlauf der Unterhaltung: Es gibt zwar wiederkehrende Themen wie die zunehmende Bedeutung des Volgare oder die fehlende Wertschätzung der politischen Elite für lateinische Literatur, insgesamt jedoch mäandriert das Gespräch mal hierhin, mal dorthin. Giovio ist sehr bemüht, die kommunikative Situation nachvollziehbar zu gestalten. Die Sprecher treten als erkennbare Persönlichkeiten mit eigenen Standpunkten, Kenntnissen und spezifischen Interessen hervor, sie unterbrechen einander und wechseln Scherzworte, ihre Gesprächsanteile sind vergleichbar ausgewogen. Das heißt aber natürlich nicht, daß der geistreiche und gebildete Kuriale in seiner Darstellung auf literarischen Aufputz verzichtete, ganz im Gegenteil: Alle drei Bücher sind von einem dichten Netz von Anspielungen unterschiedlicher Länge und unmarkierten Zitaten aus der antiken Geisteswelt überzogen. Für die Verfallsthematik werden, wie bereits erwähnt, neben Tacitus’ Dialogus, Passagen aus dem zehnten und dem ersten Buch von Quintilians Institutio oratoria und aus den Controversiae von Seneca maior benutzt. In literarhistorischen Abschnitten kommen insbesondere Quintilian und Cicero (Brutus, Orator, De oratore), aber auch Horaz mit der Ars zum Zuge; daneben finden auch Formulierungen aus den Werken Vergils, Livius’, der beiden Plinii und unzähliger anderer Autoren unauffällig Eingang in den Text. Ähnliches gilt für die Übernahme von wiedererkennbaren Argumentationsmustern oder Motiven aus antiken Prätexten wie die hier nicht behandelte Bedeutung des Theaters für die Schulung rhetorischer Kompetenzen, die sich eng an Quintilian (Buch 10) anschließt. Es sollte (hoffentlich) deutlich geworden sein, daß Giovios gelungene und gekonnte Präsentation mehr und anderes bietet als bloße Glanzlichter. Die subtile Einordnung eigener literarischer Befindlichkeiten in antike Kontexte, die überlegte, literarisch raffinierte Analyse der Gegenwart anhand der gründlichen Kenntnis grundlegender Strukturen der antiken Vergangenheit verrät Ambition und Scharfsinn. Dabei handelt es sich bei dem hier näher skizzierten zweiten Buch jedoch mitnichten um einen systematischen (literar-)historischen Abriß. Dennoch sind wiederkehrende Bezugnahmen auf literaturgeschichtliche Schriften der Antike ebenso festzustellen wie explizit behauptete Parallelen in der Literatur des Volgare

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zu historisch fassbaren Entwicklungen in derjenigen der Römer. Bemerkenswert erscheint auch die Tatsache, daß in Dekadenzkontexten die silberne Latinität stark akzentuiert wird, während gleichzeitig Giovio als der Cicero unter den zeitgenössischen Historikern hervortritt. In diesem Zusammenhang bedürften auch einige auffällige strukturelle Übereinstimmungen mit Cortesis De hominibus doctis, das bekanntlich dem ciceronianischen Brutus verpflichtet ist, einer genaueren Untersuchung. Erschwert wird eine genauere Bewertung von Giovios Dialogus allerdings durch die Tatsache, daß der Text unvollständig überliefert ist, Spuren von Überarbeitung erkennen läßt und zu Lebzeiten des Verfassers nicht veröffentlicht worden ist. Bei einem so gewieften Selbstinszenierer wie dem Mann aus Como ist ein derartiges Vorgehen erstaunlich. Möglicherweise erschien ihm unter veränderten historisch-politischen Gegebenheiten eine Publikation, die so sehr tagesaktuellen Umständen Rechnung trug, nicht mehr opportun. In seinem Dialogus entwirft Paolo Giovio ein beeindruckendes Panorama von Italien nach dem Sacco, das sich mit seiner Darstellung von militärischer virtus, von litterae und feminae konzeptionell an Baldassare Castigliones Cortegiano (1528) anlehnt. Sein informierend-unterhaltsamer Text mißt der Religion bemerkenswert wenig Relevanz bei; ohne didaktische Anweisungen, ohne Patentrezepte für die Zukunft spricht er dennoch deutliche Wertungen über Menschen und Bücher aus. Mit dem analytischen Blick des (Literatur-)Historikers betrachtet er voll Wehmut und Trauer die Situation seines geliebten Heimatlandes nach dem grauenerregenden Sacco, der als Leit(d)motiv die lebhaften Ausführungen der subtil charakterisierten Gesprächspartner durchzieht. Paolo Giovio schafft ein virtuoses, polyperspektivisches, monumentales Gemälde der Größe Italiens, seiner Militärs, seiner Literaten und bezaubernden Frauen vor dem immer wieder aufblitzenden Hintergrund monströser Gewalt, ein Bild mit antikisierendem goldenem Licht und nachtschwarzen Schatten. Solange jedoch Sprache und Literatur mit ästhetischen Mitteln Katastrophen wie den Sacco zu fassen und damit zu bändigen vermögen, ist ein Ende Roms und Italiens nicht in Sicht.

ZEITENENDEN

„ES WIRD KEINE ZEIT MEHR SEIN“ (APK 10,6) Vom visionären Schreiben, dass es nicht immer so weiter geht, in der Apokalypse des Johannes1 Klaus Wengst 1 DIE KATASTROPHE IST SCHON DA ZUR GRUNDERFAHRUNG VON ‚APOKALYPTIK‘ Das letzte Buch der christlichen Bibel beginnt mit dem Wort ἀποκάλυψις. „Apokalypse“ bedeutet nicht „Weltuntergang“, sondern „Offenbarung“, genauer: „Enthüllung“. Enthüllt wird in der Offenbarung des Johannes die Macht in doppelter Weise.2 Johannes lebt im Imperium Romanum. Er vermag in ihm kein Friedensreich zu erblicken und stimmt nicht ein in das Lob der Pax Romana, sondern enthüllt die bestialischen Züge imperialer Gewalt und den teuflischen Charakter der von Menschen ausgeübten Weltherrschaft. Zugleich enthüllt er, dass diese Gewalt nicht die alles bestimmende Wirklichkeit ist, sondern, dass gegen allen Augenschein Gott die Herrschaft innehat – Gott und sein Gesalbter, der Messias Jesus, den Johannes als siegreichen Löwen und als geschlachtetes Lamm zugleich darstellt (5,5 f.). Er setzt damit auf die Macht dieses am Kreuz hingerichteten Ohnmächtigen und gibt so den ohnmächtig dem Geschichtsverlauf Unterworfenen eine Hoffnungsperspektive. Diese Enthüllung erfolgt in visionären Bildern, die ganz und gar geprägt sind von der Sprache der Bibel und ihrer weitergehenden Auslegung. Wenn Johannes in Apk 13,1 f. das Tier aus dem Meer beschreibt, liegt für mit Dan 7 Vertraute „die Enthüllung der Macht“ klar auf der Hand: Die dort durch Raubtiere symbolisierten aufeinander folgenden Weltreiche, die dadurch als gewaltsam und ausbeuterisch charakterisiert werden, stehen hier, zu einem einzigen Untier verschmolzen, für das gegenwärtige, das römische Imperium als die Kumulation aller vorherigen Imperien. Mit der Bibel Vertraute verstehen das zu lesen; anderen wird es als abstrus erscheinen. Die Apokalypse ist ein zugleich hochtheologisches und hochpolitisches Buch. Dass Gott die Macht gehört und nicht dem Imperium, muss in der Tat enthüllt werden; es liegt nicht offen zutage. Die tatsächliche Erfahrung scheint eine ganz andere Sprache zu sprechen. Johannes erwartet nicht die Katastrophe; er erfährt bereits seine Gegenwart als katastrophal. Das kommt sehr anschaulich in Kap. 5 zum 1 2

Ich belasse dem Beitrag den Vortragscharakter und bringe nur wenige Verweise. Für eine ausführliche Darstellung zur Apokalypse verweise ich auf meine Monographie (2010). Einen materialreichen Kommentar bietet Giesen (1997). Vgl. Ebach (1985), 11–16.

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Ausdruck. Dort ist von einer Buchrolle mit sieben Siegeln auf der Hand Gottes die Rede, und es wird nach jemandem gefragt, der die Siegel öffnen und die Rolle lesen könnte. Vom Kontext der Apokalypse und den eingespielten biblischen Stellen her enthält die Rolle das Endzeitgeschehen, den Anbruch eines wirklich Neuen entgegen der weiterlaufenden Geschichte. Das käme in Gang, würden die Siegel geöffnet. Als sich niemand findet, der das vermöchte, weint Johannes sehr (5,4). Denn wenn die Rolle nicht geöffnet wird, bleibt alles beim Alten und läuft die Weltgeschichte weiter wie bisher. Dem Johannes gilt der Weltlauf nicht als großartige Fortschrittsgeschichte, an der man voller Optimismus teilhat. Nein, im Gegenteil, so wie es läuft, ist es zum Heulen. Der Weltlauf ist zum Heulen, wenn er aus der Perspektive der Opfer betrachtet wird. Und er ist es erst recht, wenn sich seine Geschlossenheit und Unentrinnbarkeit aufdrängt, wenn keine Öffnung möglich erscheint, keine ‚Gegenlektüre‘. Die Lektüre der Rolle, wenn sie denn gelänge, wäre eine Lektüre, die ihn aufbräche. Indem die Apokalypse des Johannes genau davon im Folgenden erzählt, wird sie selbst zur Gegenlektüre gegen die Propagandisten des ‚ewigen Rom‘, gegen die Verfechter dessen, dass es immer so weitergehen wird. Das also ist die Grunderfahrung von Apokalyptik: Die Katastrophe ist schon da – gerade im ganz ‚normalen‘ Leben. Deshalb kann und darf es so nicht weitergehen – und so wird es nicht weitergehen.3 So geht alle Hoffnung auf den radikalen Abbruch einer tödlichen Geschichte. 2 WIE MAN IN DER KATASTROPHE LEBEN SOLL Die Hoffnung auf den Abbruch wird gelebt in Unterbrechungen. Das geschieht negativ in der Distanzierung von und Verweigerung gegenüber dem herrschenden System. Das formuliert Johannes am prägnantesten in 18,4: „Zieht, mein Volk, aus ihr heraus, damit ihr nicht Komplizen ihrer Sünden werdet und damit ihr nichts von ihren Schlägen abbekommt!“ Es kann hier nicht ein wörtlich verstandener Auszug aus der Stadt Rom gemeint sein, da die Adressaten in der Provinz Asia leben. Es geht vielmehr um Verweigerung gegenüber dem herrschenden Gewaltsystem, was soziale Isolierung zur Konsequenz hat. Sie soll bewusst bejaht werden. Denn wenn die bestehenden Strukturen Sünde sind, bedeutet das Mitmachen unweigerlich Komplizenschaft mit der Sünde. Das schließt dann aber ebenfalls das Einbezogensein in die Folgen der Sünde ein. Als nichts anderes ist das Gerichtshandeln Gottes verstanden: als Eingeholtwerden von der eigenen Sünde, als Zurückfallen der Untat auf diejenigen, die sie tun. Man soll nicht mitgegangen sein, um auch nicht mitgefangen und mitgehangen zu werden. Johannes plädiert für völligen Nonkonformismus, will nicht, dass die Menschen in den Gemeinden im allgemeinen Trend als Mitläufer mitmachen. Das betrifft insbesondere Feste und Feiern, die von den Kaisertempeln, aber auch von anderen Tempeln ausgehen, und konkretisiert sich

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„Die Botschaft der Apokalyptiker lautet auf einen Satz gebracht: ‚Es geht nicht immer so weiter!‘“ Ebach (1998) 136.

„Es wird keine Zeit mehr sein“ (Apk 10,6)

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in der strikten Enthaltung von „Götzenopferfleisch“, was pars pro toto für gesellschaftliche Partizipation steht. Positiv soll sich die Hoffnung auf den Abbruch der Gewaltgeschichte manifestieren in der Gemeinde als solidarischem Miteinander. Die Vision vom neuen Jerusalem als Braut des Lammes stellt Johannes der Vision von der auf dem Untier sitzenden Luxushure, der Symbolisierung der auf militärischer Gewalt gründenden wirtschaftlichen Prosperität Roms, entgegen. Er konzipiert damit Gemeinde als antiimperialen Entwurf. In 22,5 heißt es von den Bewohnern dieser Stadt: „Und sie werden machtvoll regieren für immer und alle Zeit.“ Allerdings: Diese Regentschaft ist gegenstandslos im wahrsten Sinn des Wortes. Sie hat keine Objekte. Wenn alle herrschen, gibt es keine Beherrschten. Ihren Sinn hat solche Redeweise nur in der Bestreitung noch ausgeübter Herrschaft, unter der Johannes und die Seinen zu leiden haben. Im Protest gegen eine als niederschmetternd erfahrene Realität bietet die Apokalypse die Imagination einer anderen Welt. Johannes ist kein Fetischist der Katastrophe. Sein Buch ist nicht düster; es ist durchzogen von Gesang. Immer wieder finden sich Stücke, die Gott und seinen Messias lobpreisen. In sie kann und soll die Gemeinde beim Verlesen des Buches einstimmen. So gilt: Das „neue Lied“ (5,9), dass es nicht immer so weiter gehen wird, wird schon gesungen, Gottesdienst wird schon gefeiert. Das Miteinander in der Gemeinde wird schon gelebt. Die Verweigerung des Mitmachens bei den Ritualen der herrschenden Macht ist kein Ausstieg aus der Geschichte, kein Rückzug in einen Raum untätigen Abwartens. Es geht vielmehr darum, dass eine Alternative gelebt wird: eine Prolepse aus der Kraft dessen, woran geglaubt und worauf gehofft wird. 3 KEIN ERSTARRTER BLICK AUF DAS ENDE Von der Apokalypse des Johannes wird gesagt, sie gebe einer intensiven Naherwartung Ausdruck. Das mag sein. Aber es sollte präzis angegeben werden, was darunter zu verstehen ist. Albert Schweitzer hatte einst bei Jesus und seinen Schülern eine „fieberhafte eschatologische Spannung“ ausgemacht, in der „sie stündlich das Reich und die Offenbarwerdung des Menschensohnes [erwarteten]“.4 Wenn man sich in dieser Weise Johannes vorstellt, ist das unzutreffend. Das zeigen folgende Beobachtungen: Die Apokalypse ist keine hastig auf ein Papyrusblatt hingeworfene Flugschrift, sondern ein relativ umfangreiches literarisches Werk, das schlicht Zeit zum Schreiben braucht und vorher schon zum Konzipieren. Es zeigt einen überlegten Aufbau. Dabei spiegelt der große Visionsteil von 4,1–22,5 deutlich das Bewusstsein noch weitergehender Zeit wider. Er enthält drei immer umfangreicher werdende Zyklen, die nicht einfach hintereinander gestellt, sondern auf eigenartige Weise verzahnt sind. Am Anfang stehen die sieben Siegel. Bei der Öffnung der ersten sechs Siegel schreitet die Darstellung recht schnell und zielstrebig voran. Das Ende scheint unmittelbar bevorzustehen. Doch dann gibt es eine erste Verzögerung. 4

Schweitzer (1913), 424. 431.

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Die Öffnung des siebten Siegels folgt nicht unmittelbar. Aber immerhin findet sich hier nur ein einziger Anhang. Doch als danach das siebte Siegel geöffnet wird, führt das nicht zum Ende, sondern das siebte Siegel entlässt aus sich eine neue Visionsreihe, die der sieben Posaunen. Das Endgeschehen geht zwar weiter, aber das Ende ist noch nicht da. Es muss vielmehr noch einmal mit der Zählung bei Eins begonnen und bis Sieben durchgezählt werden. Dieser Vorgang wiederholt sich noch einmal in variierter Form. Bei den ersten sechs Posaunen schreitet die Darstellung wieder relativ schnell voran. Allerdings ist der Text jetzt umfangreicher als bei den Siegeln. Wieder gibt es vor Nummer Sieben ein retardierendes Moment; diesmal sind es zwei Anhänge. Das Erklingen der siebten Posaune veranlasst ein umfangreiches Geschehen, aber auch das ist noch nicht das Ende. Die siebte Posaune führt vielmehr schließlich zur Vision der sieben Schalen. Wiederum geht so zwar das Endgeschehen weiter, aber noch ein drittes Mal muss der Weg von Eins bis Sieben durchschritten werden, bis es endlich nach noch einmal umfangreicheren Anhängen zu Gericht und Vollendung kommt. In dieser Weise der Darstellung spiegelt sich die Erfahrung, dass die Zeit bis zum Kommen Jesu sich dehnt. Wer ein solches Werk schreibt, will gelesen werden – in den vom Autor genannten Gemeinden in der Provinz Asia (1,3; 1,11). Er schreibt aber auf der Insel Patmos (1,9). Daher muss sein Buch zunächst aufs Festland und dort auf langen Wegen von Gemeinde zu Gemeinde gebracht werden, wahrscheinlich in Form einer je neu angefertigten Abschrift. Das alles braucht Zeit, viel Zeit. Die hält also Johannes für gegeben. Und doch trifft es ja zu, dass sein Buch einer Naherwartung Ausdruck gibt. 4 WER KEINE ZEIT MEHR HABEN SOLL Am Ende der Apokalypse steht die Zusage Jesu: „Ja, ich komme schnell“ (22,20; vorher schon im selben Kapitel in V. 7 und 12 und in den Sendschreiben in 2,16 und 3,11). Darauf wird mit „Amen“ geantwortet und also dringlich unterstrichen, dass es so sein möge, und die Bitte angeschlossen: „Komm, Herr Jesus!“ Das ist eine mögliche Übertragung des an anderen Stellen begegnenden aramäischen Rufes: marána tha! (1 Kor 16,22; Did 10,6). Nach Apk 22,10 soll Johannes sein Buch nicht versiegeln; denn: ὁ καιρὸς γὰρ ἐγγύς. Die rechte, die gute Zeit ist nahe; der rettende Zeitpunkt steht unmittelbar bevor. Genauso stand es schon am Anfang seines Werkes (1,3). In 6,11 wird den nach Recht und Gerechtigkeit schreienden Märtyrern gesagt, dass sie „noch eine kurze Zeit“ (ἔτι χρόνον μικρόν) warten müssen. Diese Zeit ist dadurch ausgefüllt, dass ihre Mörder ihr Tun immer noch fortsetzen. Wenn man nun in der weiteren Lektüre der Apokalypse bei 10,6 angekommen ist, erscheint den Lesenden diese kurze Zeit als weiter verkürzt, wenn es dort heißt: „Es wird keine Zeit mehr sein“, nämlich die Zeit, die die Gewalthaber für ihr bedrängendes Handeln haben, unter dem Johannes und die von ihm Angeschriebenen leiden. Die Spannung zwischen der Erwartung, dass es damit ein Ende habe, und dem Bewusstsein vom noch Andauern dieser alten Zeit zeigt sich in der Formulierung dieses Satzes darin, dass er im Futur steht und keine Feststellung für die Gegenwart

„Es wird keine Zeit mehr sein“ (Apk 10,6)

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ist. Diese Spannung tritt im Kontext noch stärker hervor. Der Satz steht in einem eigenartigen Zwischenstück in den Anhängen nach dem Blasen der sechs Posaunen und vor dem Blasen der siebten Posaune. Als dort ein gewaltiger Engel mit lauter Stimme ruft, „redeten die sieben Donner mit ihren Stimmen. Und als die sieben Donner geredet hatten, wollte ich schreiben. Da hörte ich eine Stimme vom Himmel sprechen: ‚Versiegele, was die sieben Donner geredet haben, und schreibe es nicht auf!‘“ (10,3 f.) Dreimal wird hier davon gesprochen, dass die sieben Donner „geredet“ haben. Es handelt sich also nicht um bloßes „Donnergrollen“. Und so will Johannes ihr Reden auch sofort aufschreiben. Das aber hieße: Nach den sieben Siegeln und den sechs Posaunen und vor der siebten Posaune wären auch noch die Ereignisse zu registrieren, die die sieben Donner ankündigen und bringen. Die Endereignisse zögen sich noch mehr in die Länge. Aber bevor Johannes mit dem Schreiben beginnen kann, erhält er den Befehl, das von den Donnern Geredete zu versiegeln und nicht aufzuschreiben. Etwas Gehörtes versiegeln und nicht aufschreiben – wie das vorzustellen ist, wird nicht ausgeführt. Aber was es bedeutet, ist klar: Es soll gar nicht zur Aufführung und Wirkung kommen. Es bleibt sozusagen reiner Theaterdonner und setzt sich nicht um in wirkliches Geschehen. Damit aber erfolgt eine Verkürzung der Endzeit. Das ist das Erfreuliche, was Johannes seiner Leser- und Hörerschaft vermitteln will. Als Schriftsteller muss ihm dieser Verzicht auf Darstellung allerdings schwer gefallen sein. Dass die tödliche Gewaltgeschichte begrenzt ist, bringt Johannes an anderen Stellen mit einem weiteren Motiv zum Ausdruck, das er aus dem Buch Daniel aufnimmt. Dort ist zweimal von „einer Zeit und Zeiten und einer halben Zeit“ die Rede (7,25; 12,7). Dreieinhalb Jahre wurde unter seleukidischer Herrschaft der Tempel in Jerusalem für Zeus Olympios missbraucht, bis die Makkabäer ihn zurückeroberten und neu weihten. Daran wird im Judentum bis heute mit dem Chanukkafest erinnert. Dieses historische Geschehen bekam zugleich symbolische Bedeutung. Die dreieinhalb Zeiten bilden bei Daniel die Hälfte der siebzigsten und also letzten Weltwoche; sie füllen sie nicht aus. Diese dreieinhalb Zeiten der Bedrängnis sind daher eine begrenzte Zeit. Das ergibt sich auch von daher, dass dreieinhalb als die Hälfte von sieben, der Zahl der Vollkommenheit und Vollständigkeit, Ausdruck der Unvollständigkeit und Unvollkommenheit, eben eine ‚Halbheit‘ ist. Die Zeit der endzeitlichen Bedrängnis ist von Gott her begrenzt. In der bei Daniel begegnenden Form, „eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit“, nimmt Johannes diesen Aspekt in 12,14 auf und betont mit dem an dieser Stelle gemalten Bild zugleich, dass die Gemeinde in der Bedrängnis doch Bewahrung erfährt. An anderen Stellen bietet er die Zeitangabe von den dreieinhalb Jahren mit 42 Monaten (11,2; 13,5) und 1260 Tagen (Apk 11,3; 12,6). Besonders auffällig ist die Stelle 13,5. Vorher hatte er das Tier aus dem Meer dargestellt, das Roms militärische Macht symbolisiert. In Huldigung gegenüber dieser Macht hatte alle Welt gefragt: „Wer ist dem Tier gleich und wer kann gegen es Krieg führen?“ Dass Roms Waffen „unwiderstehlich“ seien, lehrte die Erfahrung und wurde von antiken Autoren öfters festgestellt. Die Verse 5–7 blicken anschließend auf das, was das Tier tut. Dabei zeigt sich aber in der Art, wie Johannes formuliert, eine eigenartige Besonderheit. Bei allem, was er hier von dem Tier als

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dessen Aktivitäten aussagt, stellt er voran: „Es wurde ihm gegeben“. Das geschieht viermal. Es wurde ihm gegeben, es wurde ihm eingeräumt, das zu tun, was es tut. Logisches Subjekt kann in diesem Passiv nur Gott sein. Das ist besonders klar bei V. 5b: „Und ihm wurde Herrschergewalt gegeben 42 Monate zu wirken.“ Dass hier von der Begrenzung des Wirkens des Tieres die Rede ist, weist eindeutig auf Gott als Subjekt. Rom selbst möchte ja „ewig“ sein. Johannes macht also die Aussage, dass Gott dem Tier Macht gegeben, zugleich aber seinem Wirken eine zeitliche Grenze gesetzt hat. Eben noch, in V. 4, hatte es wie schon in V. 2 geheißen, dass der Drache dem Tier seine Macht gegeben habe. Johannes formuliert hier also widersprüchlich. Er bemüht sich nicht um einen logischen Ausgleich beider Aussagen; er bringt sie nicht in ein widerspruchsfreies System. Er macht sie beide nebeneinander und muss sie offenbar machen. Logische Widerspruchsfreiheit wäre hier nur um einen sehr hohen Preis zu haben. Das kann man sich daran klar machen, wenn jeweils nur eine Aussage gemacht würde. Dann wäre zwar Widerspruchsfreiheit erreicht, aber was wäre damit gewonnen? Würde nur ausgesagt, dass der Drache dem Tier seine Macht gegeben hätte, würde die Welt im wahrsten Sinn dem Teufel überlassen. Würde auf der anderen Seite nur gesagt, dass dem Tier von Gott gegeben worden ist, das zu tun, was es tut, dann würde eine teuflische Wirklichkeit auch noch theologisch legitimiert. Johannes muss also beides sagen. Wie sollte angesichts der Erfahrungen, die er und die Seinen machen, angesichts der blutig erlittenen Herrschaft Roms, der Glaube an Gott als Schöpfer und Herrn der Welt anders festgehalten werden können als – im Widerspruch?! Die logische Widersprüchlichkeit ist nichts anderes als die Konsequenz dessen, dass Gott selbst an der widersprüchlichen Wirklichkeit teilhat, an ihr leidet und ihr widerspricht und so dem Widersprechen Raum gibt. Die widersprüchliche und dualistisch erscheinende Redeweise macht deutlich, dass auch Gott noch nicht am Ziel ist. Deshalb redet Johannes vom kommenden Gott. Er tut das, weil er sich nicht abfinden will mit dem Unrecht und der Gewalt, der Not und dem Elend, den Tränen, die aus Leid und aus Wut vergossen werden müssen. Gott ist noch nicht am Ziel. Aber als der kommende Gott überlässt er diejenigen nicht der Hoffnungslosigkeit, die auf ihn ihr Vertrauen setzen. 5 VON GOTT, DER KOMMT Der biblisch bezeugte Gott hat einen Namen, der aber schon seit vorchristlicher Zeit nicht ausgesprochen, sondern umschrieben wird – aus Respekt vor der Einzigkeit Gottes. Namen dienen der Identifizierung von Angehörigen derselben Gattung. Gibt es aber nur den einen Gott und nennte man ihn mit Namen, täte man so, als müsste man ihn so in Unterscheidung von anderen Göttern benennen. Die für Johannes wesentliche Umschreibung des Namens Gottes knüpft an Ex 3,14 an, wo Mose am brennenden und nicht verlöschenden Dornbusch der Name des ihm begegnenden und ihn beauftragenden Gottes verweigert wird und er stattdessen als Umschreibung erhält: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Dazu passt, dass er zwei Verse vorher als Zeichen für die Richtigkeit seines Auftrags in Aussicht

„Es wird keine Zeit mehr sein“ (Apk 10,6)

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gestellt bekommt: „Wenn du das Volk aus Ägypten herausführst, werdet ihr Gott an diesem Berg dienen.“ Aber um dieses Zeichen zu erhalten, muss er sich erst mit dem Volk auf den Weg machen, also einfach damit beginnen, den Auftrag auszuführen – und unterwegs wird sich ihm das Mitsein Gottes schon erweisen und damit die Identität Gottes als dessen, der seinem Volk gegenwärtig ist, ihm vorangeht und ihm nachgeht. Das nimmt Johannes auf mit der von ihm mehrfach gebrauchten Kennzeichnung Gottes: „Der Er ist und der Er war und der Er kommt.“ Sie begegnet zuerst in 1,4. Dabei zeigen sich zwei bewusste grammatische Gewaltsamkeiten. Der Kontext verlangt bei dieser Wendung den Genitiv. Aber als Umschreibung des Namens Gottes wird sie von Johannes nicht dekliniert; und so folgt auf die Präposition ἀπό der Nominativ. Sodann wird das finite Verb ἦν, „er war“, substantiviert. Das zeigt: Es geht hier nicht um die Bestimmung eines ‚Wesens‘ Gottes, sondern um Erinnerung an die biblisch bezeugte Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel. Sicherlich nimmt Johannes mit dieser Wendung die griechische Dreizeitenformel auf, aber er bricht sie von seiner biblisch-jüdischen Tradition her um. Das ist am deutlichsten am Schluss, wo eben nicht ὁ ἐσόμενος („der sein wird“) steht, sondern ὁ ἐρχόμενος „der Kommende“ oder vielleicht präziser noch: der mit seinem Volk auf ein Ziel hin Gehende. Auch dass die Reihenfolge nicht derjenigen der Zeitenfolge entspricht, ist von Bedeutung. Am Anfang steht Gott als der Gegenwärtige, der für sein Volk da ist. Anders als Philon von Alexandria könnte Johannes die Wendung ὁ ὤν schlechterdings nicht im platonischen Sinn verstehen („der Seiende“) und an ihrer Stelle ebenso gut τὸ ὄν („das Seiende“) gebrauchen. Von daher geht es in seinem Zeitverständnis nicht um die Erstreckung des Gewesenen und Seienden ins Zukünftige und gar ins Unendliche, sondern um die Revision des Gewesenen in der Weise, dass den Opfern des Geschichtsverlaufs zum Recht verholfen wird. Dieser Revision kann er nicht anders als durch Visionen Ausdruck geben. 6 RE-VISIONEN: OPFER, DIE INS RECHT GESETZT WERDEN In 6,9 erblickt Johannes unter dem himmlischen Altar „die Seelen derjenigen, die um des Wortes Gottes willen und um des Zeugnisses willen, das sie hatten, hingeschlachtet worden sind“, und hört sie mit lauter Stimme schreien: „Wie lange noch, heiliger und wahrhaftiger Herrscher, richtest Du nicht und vergiltst Du nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?!“ Die Ermordeten erheben hier Protest gegen die Gewaltgeschichte, deren Opfer sie geworden sind, und verlangen ihr Ende. Selbst und gerade sie, die Märtyrerinnen und Märtyrer, sind noch nicht am Ziel, solange die Gewaltgeschichte unablässig weiterläuft, solange ihre Mörder, dazu noch unter dem Schein des Rechts, ihr Werk weitertreiben können. Indem Johannes sie schreien lässt: „Wie lange noch?“, hält er fest, dass ihr Tod Protest bleibt, wie das Widerspruch war, was zu ihrer Verurteilung führte: die Verweigerung gegenüber Götzendienst und Kaiserkult, die Weigerung, sich den Herrschenden anzupassen. Ihr Tod bleibt Protest gegen eine Wirklichkeit, die solche Opfer verlangt, und er ist zugleich Zeugnis für eine andere Wirklichkeit, für eine bessere Welt der Gerechtig-

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keit Gottes. Der biblische Ruf „Wie lange noch?!“ (vgl. Ps 94,3) ist ein Schrei nach der Wiederherstellung des Rechts. Gott soll als Richter handeln und den Ermordeten zu ihrem Recht verhelfen. Dieser Schrei nach Recht und Gerechtigkeit wird in der Apokalypse immer wieder aufgenommen; man kann in ihm geradezu einen Leitfaden durch dieses Werk sehen. Bevor ich dem ein Stück weit nachgehe, sei angemerkt, dass der Blick auf die Opfer Johannes auch den imperialen Blutzoll außerhalb der eigenen Gemeinschaft wahrnehmen lässt, wenn er in 18,24 das Gericht an der Hure Babylon abschließend damit begründet, dass „an ihr das Blut der Heiligen und Propheten gefunden worden ist und aller Hingeschlachteten auf der Erde“. In 16,7 macht Johannes den Altar zum Sprecher der unter ihm versammelten Ermordeten, deren vergossenes Blut unmittelbar vorher in V. 6 erwähnt worden war, wenn er ihn Gottes Gerichtshandeln als gerecht feststellen lässt. Es setzt die Opfer ins Recht gegen ihre Denunzianten, Richter und Mörder. Dasselbe Motiv nimmt er in 19,2 auf, wenn er neben das richtende Handeln Gottes an den Verursachern des Verderbens sein Recht schaffendes Handeln an den Opfern stellt: „Und er [Gott] hat Recht geschaffen dem Blut seiner Sklaven und Sklavinnen an ihrer [der großen Hure] Hand.“ Gewöhnlich wird ἐκδικέω und das dahinter stehende hebräische Verb Mqn (naqám) mit „rächen“ übersetzt. Das leitet jedoch fehl. Der Aspekt, auf den es dabei ankommt, ist vielmehr: Die Opfer, denen Unrecht geschehen ist, sollen gegen ihre Vergewaltiger, die sich selbst dreist ins Recht gesetzt haben, ins Recht gesetzt werden. Darum geht es in erster Linie: um die Wiederherstellung des Rechts, um Gerechtigkeit, um Solidarität mit den Opfern. Ihnen selbst und wofür sie eingestanden sind, soll Geltung verschafft werden. Dass durch das Gerichtshandeln Gottes diejenigen ins Recht gesetzt werden, die Unrecht erlitten haben, wird auch in 18,20 deutlich herausgestellt. Mitten in den Darstellungen über den Untergang „Babylons“ findet sich dort eine Aufforderung zum Jubel: „Freu dich über sie [über ‚Babylon‘ und ihren Untergang], Himmel, auch ihr Heiligen, ihr apostolisch Beauftragten und prophetisch Begabten! Denn Gott hat euer Recht an ihr vollzogen.“ In Aufnahme von Jer 51,48 hat Johannes hier einen kleinen Hymnus gestaltet, der auf die Frage „Wie lange noch?“ von 6,10 antwortet. Visionär wird hier Vollzug gemeldet. Diese Antwort ist in 20,4 in visionäre Erzählung umgesetzt, wenn es unter Verwendung von Dan 7,22 von den zu Tode Gebrachten aus der Gemeinde heißt: „Da sah ich Throne und sie setzten sich darauf und Recht wurde ihnen verschafft.“ Nach Apk 20,11 ist Gott der alleinige Richter. Die in V. 4 ins Auge gefassten Getöteten bekommen nicht Vollmacht, Gericht zu halten, wie manche Übersetzungen meinen, sondern sie werden ins Recht gesetzt.5 Denen, die sie umgebracht haben, wird bestritten, damit letzte Fakten gesetzt zu haben. Es wird bestritten, dass nach ihrem Tod ‚die Akten‘ endgültig geschlossen seien und zur Tagesordnung der Welt übergegangen werden könne. Proklamiert wird stattdessen eine himmlische Revision, die ‚die Akten‘ erneut öffnet und den Toten Gerechtigkeit widerfahren lässt. Den Toten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – das wäre die elementare Aufgabe der Geschichtswissenschaft. Den Toten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, das hieße vor allem: Solidarität mit 5

Vgl. Giesen (1997), 431 f.

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den Opfern unter ihnen; sie nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen, sondern immer wieder zu erinnern und damit unterdrückten und niedergemachten Hoffnungen Raum zu geben. In der Darstellung der Apokalypse erfolgt der vorher zitierte Aufruf zum Jubel erst, als die auf die Stadt „Babylon“ Fixierten, mit gebanntem Blick auf ihren Untergang starrend, in Wehklagen ausgebrochen sind. Aber faktisch ist „Babylon“ ja noch nicht untergegangen; es liegt eine visionäre Vorwegnahme, eine visionäre Umkehrung vor. In der erfahrenen Welt des Johannes ist Jerusalem nur noch ein Trümmerhaufen, während die Metropole Rom prachtvoll glänzt und sich pulsierenden Lebens erfreut. In seinen Visionen steigt aus Roms Trümmern nur noch Rauch auf und das vom Himmel kommende neue Jerusalem erstrahlt in nicht zu überbietender Schönheit und hat unvorstellbare Ausmaße. Aber ist diese Umkehrung der Wirklichkeit in visionären Bildern nicht die Flucht in eine Traumwelt, eine ohnmächtige Geste? Ich denke, es ist der Versuch eines Ohnmächtigen, anzuschreiben gegen den Triumph der Gewalt, die über Leichen gegangen ist und weiterhin Opfer produziert. Die Visionen des Johannes widersprechen der erfahrbaren Wirklichkeit. Aber sind sie deswegen irreal? Vielleicht kann man sie am besten als surreal bezeichnen. Sie bekommen ihre unter- und hintergründige Realität vor allem dadurch, dass sie nicht freie Erfindungen des Johannes sind, sondern aus der Lektüre der jüdischen Bibel gewonnene Collagen.6 Sie beziehen sich damit auf theologisch gedeutete geschichtliche Erfahrungen und bringen den in den Texten darüber bezeugten Gott ins Spiel, dem als Schöpfer und Neuschöpfer die Revision zugetraut wird. Die Visionen versuchen, das Unvorstellbare vorstellbar zu machen; sie eröffnen Spielräume. Vielleicht sollte ich präziser sagen: Zeitspielräume – Räume, in denen mit der Zeit gespielt werden kann, in denen das Ungleichzeitige gleichzeitig wird, in denen vor allem diejenigen, denen Lebenszeit genommen wurde, Zeit haben, die Potentialität ihres ungelebten Lebens durchzuspielen. Die Visionen des Johannes bestreiten der sogenannten Realität die Totalität, dass nämlich das, was gewesen ist und was ist, alles sei. LITERATUR Ebach, Jürgen, Apokalypse. Zum Ursprung einer Stimmung, in: Marquardt, Friedrich-Wilhelm u.a. (Hgg.), Einwürfe 2, München 1985, 5–61. Ebach, Jürgen, Es wird nicht immer so weitergehen! Apokalypse als Enthüllung der Macht, in: Schmidinger, Heinrich (Hg.), Zeichen der Zeit – Erkennen und Handeln – Salzburger Hochschulwochen 1998, Innsbruck/Wien [u.a.] 1998, 213–273. Giesen, Heinz, Die Offenbarung des Johannes, Regensburg 1997. Schweitzer, Albert, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 61951 (= 21913). Wengst, Klaus, „Wie lange noch?“ Schreien nach Recht und Gerechtigkeit. Eine Deutung der Apokalypse des Johannes, Stuttgart 2010.

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Vgl. Ebach (1985), 16–21.

HORRET ANIMUS DICERE Form und Transformation des Endzeitdiskurses in der frühchristlichen lateinischen Literatur Stefan Freund Exsurget autem gens super gentem et regnum super regnum, et erunt fames et terrae motus et pestilentiae per singula loca. Omnia autem ista initia parturitionum. Tunc tradent vos in praessuram et interficient vos, et eritis odibiles omnibus gentibus propter nomen meum. Et tunc scandalizabuntur multi et invicem tradent et odient invicem. Es wird sich aber ein Volk gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere, und es werden Hungersnöte und Erdbeben sein und Seuchen an den einzelnen Orten. All dies sind aber erst die Anfänge der Wehen. Dann werden sie euch in die Bedrängnis überliefern, und ihr werdet allen Völkern verhasst sein wegen meines Namens. Und dann werden viele Anstoß nehmen und einander verraten und einander hassen. Cypr. Fort. 11

Dieser Passage, die Cyprian aus dem Matthäus-Evangelium (24,7–10) zitiert, ließen sich zahlreiche weitere an die Seite stellen, in denen von den drohenden Schrecken des nahen Weltendes die Rede ist. Eschatologische Aspekte spielen nicht nur inhaltlich eine wesentliche Rolle im frühen Christentum, sie werden teilweise auch in der verstörenden und bedrohlichen Bilderwelt der Apokalyptik dargeboten mit Reitern, Posaunen, Schwefelregen, dämonischen Gestalten und Untieren – und zudem mit dem angekündigten Ende Roms.1 Daher sind die christlichen Autoren vom ausgehenden zweiten Jahrhundert an mit der Aufgabe konfrontiert, diese brisanten eschatologischen Glaubensinhalte in ihrer teilweise schwer zugänglichen Metaphorik einem zunehmend auch aus der gebildeten Oberschicht stammenden Publikum in apologetischem, protreptischem oder paränetischem Zusammenhang nahezubringen. Die antike Rhetorik, mit der Tertullian, Minucius Felix, Cyprian und die anderen zutiefst vertraut sind, bietet zwar Empfehlungen: Man solle Dinge, die beim Leser Anstoß erregen könnten, vermeiden oder wenigstens unter dem 1

In der Fülle endzeitlicher Aussagen, die sich im frühen Christentum finden (aufschlussreiche Typologie bei Erlemann (1996), 28–32; das Material findet sich bei Atzberger (1896) zusammengestellt), könnte man vereinfachend drei Grundkomplexe eschatologischen Denkens unterscheiden, nämlich erstens die insbesondere in den Evangelien präsente Verkündigung vom Reich Gottes, das zugleich als angebrochen und als noch nicht vollendet erklärt wird (Mk 1,15; Lk 11,20; 17,20 f.), zweitens die vor allem in den Paulusbriefen aufscheinende Parusieerwartung (1 Kor 5,24; 1 Thess 4,13–18) und drittens die Apokalyptik in jüdischer Tradition (Mk 13 und Parallelen; Offb), die in reicher Bilderwelt (dazu noch immer Volz [1934] 145–419) das Ende aller bestehenden Strukturen (und so auch Roms: 1 Petr 5,13; Offb 17,5; 18,2) ankündigt.

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Anschein behandeln, man tue es ungern.2 Nun gehört aber gerade der Glaube an die bevorstehende Wiederkunft Christi und an einen damit verbundenen Wandel der bestehenden Ordnung zum Kernbestand christlicher Überzeugung,3 kann und soll mithin kaum in den Hintergrund gerückt werden. Es stellt sich daher die Frage, wie christliche lateinische Autoren ihren nichtchristlichen, aber auch ihren (natürlich in der römischen Kultur sozialisierten) christlichen Lesern das Ende vor diesem Hintergrund als Gegenstand des Glaubens, ja des Hoffens vermitteln. Dabei geht es vor allem um apologetische Literatur; wo es möglich ist, sollen dieser aber auch die Aussagen des innerchristlich ausgerichteten Schrifttums gegenübergestellt werden – doch stehen dabei im Folgenden nicht die eschatologischen Lehren als solche, sondern alleine die Vermittlungsweise im Zentrum.4 Diese Betrachtung soll Aufschluss geben nicht nur über die Argumentationsstrategie der Apologeten (und damit über den literarischen und gesellschaftlichen Diskurs des dritten Jahrhunderts), sondern letztlich auch darüber, wie das Denken des Endes in die abendländische Tradition Einzug halten kann und somit das entsteht, was der Historiker Johannes Fried für das Mittelalter die „Apokalyptik als westliche Sinnformation“5 nennt. Zunächst sollen daher die Schwierigkeiten näher betrachtet werden, die sich bei der Darlegung christlicher Endzeiterwartungen gegenüber einem paganen beziehungsweise pagan sozialisierten römischen Publikum ergeben. Dann soll es um die Vorgehensweisen der einzelnen Autoren gehen, schließlich um die angewandten Strategien insgesamt. 1 DAS ENDE ALS VERMITTLUNGSPROBLEM Die soeben schon erwähnte Anstößigkeit der christlichen Botschaft vom Ende lässt sich auf drei Aspekte zurückführen, nämlich erstens auf die Lehre selbst, zweitens auf philosophische Vorbehalte und drittens auf die politischen Implikationen, die sie mit sich bringt:

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So etwa Quint. inst. 4,1,27: quod laedit, aut omnino repellere aut certe minuere ex causa est. 44: illud in uniuersum praeceptum sit, ut ab iis, quae laedunt, ad ea, quae prosunt, refugiamus: si causa laborabimus, persona subueniat, si persona, causa. 11,1,87: in quibus omnibus com­ mune remedium est, ut ea, quae laedunt, non libenter tractare uidearis. Erinnert sei nur an die Vaterunserbitte „dein Reich komme“ (Mt 6,10) oder Bekenntnisformeln wie etwa Tert. adv. Prax. 2,1 credimus […] Iesum Christum […] uenturum iudicare vivos et mortuos. Zur Doxographie und Entwicklung frühchristlicher Eschatologie etwa Atzberger (1896); Daley (1986) und (2003). Fried (2001), 9, die Überschrift des Einleitungskapitels.

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1.1 Der apokalyptische Aspekt: Ambivalenz und Metaphorik christlicher Eschatologie Schon an sich ist die eschatologische Botschaft in der Tradition der jüdisch-christlichen Apokalyptik eine durchaus ambivalente: Zwar ist das Ende Gegenstand der Hoffnung, da in der Wiederkunft Jesu die Gerechten über die Verfolger triumphieren und die Welt ihre Vollendung erfährt, aber zugleich legen die angsterregenden Vorwehen der Endzeit, die grauenvollen Widersachergestalten und die furchtbaren Kämpfe den Wunsch nach dem Aufschub und der Verkürzung der Endzeit nahe.6 Weitere Schwierigkeiten ergeben sich bei der Verbreitung der Botschaft in einem paganen Kontext: Zwar ist im gesamten griechisch-römischen Kulturraum für das zweite und dritte Jahrhundert nach Christus ein gesteigertes Interesse an Fremdem, Exotischem, daher (vermeintlich) Altem und Sicherheit Bietendem in Religion und Kult zu verzeichnen. So gewinnen die Mysterienkulte Anhänger und Verbreitung, Orakel werden zu gewichtigen Instanzen in Philosophie und Politik, Mantisches und Numinoses zum Gegenstand der Literatur.7 Dennoch erschließt sich die apokalyptische Symbolik und Metaphorik nicht unmittelbar.8 1.2 Der philosophische Aspekt: das Ende der Welt und der christliche Wahrheitsanspruch Auch das Grundkonzept der jüdisch-christlichen Eschatologie, nämlich die konsequente teleologische Ausrichtung linear verstandener Zeit und Geschichte auf eine endgültige Vollendung, entspricht nicht antiken Denkmodellen. Zwar greift es natürlich zu kurz, mit Augustinus ein christliches lineares Zeitverständnis und ein philosophisches zyklisches gegenüberzustellen,9 dennoch fügt sich ein christliches 6

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Schon in den prophetischen Schriften erscheint der ‚Tag des Herrn‘ als Schreckensereignis (vgl. Am 5,18–20; Joel 2,11.19 f.), für die Apokalyptik ist die Endzeit mit nie dagewesenen Schrecknissen verbunden (vgl. Dan 12,1; Volz [1934], 147 f.). Dazu gehören auch die Motive, dass Gott die Zeit im Hinblick auf die Auserwählten verkürzt (vgl. 4 Esr 4,26; ApcBar[syr] 20,1; Mk 13,20), Gott das Ende nur aus Langmut hinauszögert (Apg 3,19 f.; 2 Petr 3,9) und die Frommen um Aufschub beten (Aristid. apol. 16,6; Justin. 1 apol. 28,2; Tert. apol. 30,4 – dem steht anderwärts freilich ein Beten um ein baldiges Ende gegenüber, etwa 2 Petr 3,12, vgl. Erlemann [1996], 75 f.). Zu den Mysterienreligionen etwa Latte (1967), 338–359; Schuol (2008), 933–935; zur Bedeutung des Mantisch-Übersinnlichen grundsätzlich Dodds (1992), 45–66; zur Instrumentalisierung von Orakelsprüchen in Politik und Philosophie etwa Scheer (2001), 73–82; Busine (2005), 233–317; Bendlin (2006) (auch zur ambivalenten Bewertung); zur Bedeutung von magischen und okkulten Phänomenen in fiktionaler Prosa (Apuleius, Lukian, Philostrat) und in der Rhetorik etwa Thraede (1988), 1271–1273; Luck (1990), v. a. 35 f.; Fögen (1997), 185–189; Hömke (2002), 40. 209 f.; Baertschi/Fögen (2006). An dieser Eigentümlichkeit der apokalyptischen ändert die Tatsache nichts, dass die neuere Forschung immer deutlicher Anknüpfungsbemühungen an die pagane Gedankenwelt und Sprache erkennt, dazu jetzt Karrer (2013), 40–47. So deutet insbesondere Löwith (2004), 173–186 in einer viel rezipierten Studie Augustinus’ Kritik an zyklischen Vorstellungen der Antike (v. a. civ. 12,14. 18. 21). Freilich sind weder Au-

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Verständnis von Eschatologie und Teleologie nicht bruchlos in pagane Denktraditionen ein. Problematisch erscheint die Lehre vom Ende als solchem, die grundsätzliche Bedeutung eines linearen und teleologischen Zeitverständnisses und schließlich der Wahrheitsanspruch, der sich aus der christlichen Eschatologie und ihren ethischen Implikationen ergibt: 1.2.1 Das Ende als solches Das junge Christentum zeigt – bei allen Differenzen in der Ausprägung – eine wenigstens in den Eckdaten einheitliche eschatologische Ausrichtung. Die Rede vom ‚Ende‘ einer Welt, deren Ewigkeit öfter, deren absolute Endlichkeit jedoch nicht in der antiken Philosophie gelehrt wird,10 kann als solches schon Anstoß erregen,11 wie einige fragmentarische Äußerungen aus der antichristlichen Schrift des Neuplatonikers Porphyrios zeigen12. 1.2.2 Die absolute Linearität und Teleologie Dieser eschatologischen Grundausrichtung des Christentums steht eine für die antike Welt charakteristische Pluralität von Denkmodellen gegenüber, denen teils zyklische oder biomorphe Bilder zugrunde liegen, teils auch ein linearer Fortschrittsgedanke.13 Neu ist also überhaupt die Vorstellung eines streckenhaften Zeitverlaufs, der durch göttliches Eingreifen – christlich gesprochen: von den grundlegenden heilsgeschichtlichen Ereignissen – begrenzt wird. Hinzu kommt noch, dass jedes dieser die Linearität der Ereignisse (Schöpfung, Menschwerdung, Wiederkunft Christi, Verwandlung der Welt) nach christlichem Verständnis notwendig und unwiederholbar ist. Gleichfalls neu ist somit die konsequente Teleologie, die sich aus der Verknüpfung von Kosmologie, Geschichtstheorie, Eschatologie und Ethik im

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gustinus (in seiner Weltzeitalterlehre) zyklische Gedanken fern (vgl. Luneau [1964], 395–400; Marrou [1978], 770 f.; Horn [1997], 180 f.) noch beherrschen diese paganes Denken; vgl. zum Gegensatz von Linearität und Zyklizität Kehl (1978), 743 f.; Sorabji (1983), 182–190; Schmidt (2012), 96–105. Im Wesentlichen stehen die Vorstellung einer zyklischen Erneuerung (so in Platons Timaios und in der Stoa) und die einer Ewigkeit der Welt (so bei Aristoteles) einander gegenüber, vgl. Behler (1972), 844 f.; Thraede (1966), 560 f.; Kehl (1978), 710–715. Vgl. Nestle (1941), 57 f.; Marrou (1978), 759 f. Dementsprechend kritisiert in apologetischem Kontext Laktanz (inst. 7,1,8 f.) die (wohl nach Cic. ac. 2,118 f.) Platon und Aristoteles zugeschriebene Lehre einer Unendlichkeit der Welt. So etwa frg. 13 Harnack (zu Mt 24,14) Ἐκεῖνο δ᾽ αὖθις μνημονευτέον ὃ ὁ Ματθαῖος εἶπε, καθάπερ ἐν μύλωνι κατακεκλειμένος· Καὶ κηρυχθήσεται, λέγων, τὸ εὐαγγέλιον τῆς βασιλείας ἐν ὅλῳ τῷ κόσμῳ, καὶ τότε ἥξει τὸ τέλος. ἰδοὺ γὰρ πᾶσα τῆς οἰκουμένης ῥύμη τοῦ εὐαγγελίου τὴν πεῖραν ἔχει, καὶ τέρμονες ὅλοι καὶ κόσμου πέρατα τὸ εὐαγγέλιον ὅλα κατέχουσι, καὶ τὸ τέλος οὐδαμοῦ οὐδ᾽ ἥξει ποτέ. Ähnlich frg. 34. 89. 90a. Vgl. grundsätzlich Kehl (1978), 710–715; Cancik (1989). Am Beispiel Cicero zeigt Luciani (2010), 234 f. den antiken Eklektizismus im pluriformen Zeit- und Epochenverständnis auf.

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Christentum ergibt.14 Pagane Denkmodelle kennen zwar beispielsweise moralische Dekadenz in einem quasi-eschatologischen Kontext,15 aber eben kein Weltgericht als Ziel der Geschichte und letzte Instanz ethischen Urteilens. Christliche Ethik setzt also ewiges Heil und damit einen Endpunkt der Geschichte voraus. 1.2.3 Der Wahrheitsanspruch des Christentums in der Eschatologie Diese Verflechtung von Eschatologie und Ethik im Christentum geht, auch unter dem Einfluss eines Erwählungsbewusstseins aus jüdisch-apokalyptischer Tradition, mit der Annahme epistemischer und ethischer Überlegenheit einher. Mit anderen Worten, die Christen maßen sich in den Augen ihrer Umwelt an, nicht nur genau über den Verlauf des Weltendes Bescheid zu wissen, sondern auch selbst als moralisch Überlegene daraus hervorzugehen. In diesem Sinne äußert der Christengegner Kelsos im späten zweiten Jahrhundert: Ἠλίθιον δ᾽ αὐτῶν καὶ τὸ νομίζειν, ἐπειδὰν ὁ θεὸς ὥσπερ μάγειρος ἐπενέγκῃ τὸ πῦρ, τὸ μὲν ἄλλο πᾶν ἐξοπτήσεσθαι γένος, αὐτοὺς δὲ μόνους διαμενεῖν. Es ist töricht von ihnen zu glauben, dass, nachdem Gott wie ein Koch das Feuer herangebracht hat, das ganze übrige Menschengeschlecht verbrennen wird, sie aber allein bleiben werden.16 Orig. c. Cels. 5,14

Auch daran, dass Christus nicht nur das Ende voraussagt, sondern sich anheischig macht, selbst der Retter zu sein, nimmt Kelsos Anstoß. Über Propheten in Phönikien und Palästina, unter die er Christus rechnet, sagt er: Πρόχειρον δ᾽ ἑκάστῳ καὶ σύνηθες εἰπεῖν· Ἐγὼ ὁ θεός εἰμι ἢ θεοῦ παῖς ἢ πνεῦμα θεῖον. ῞Ηκω δέ· ἤδη γὰρ ὁ κόσμος ἀπόλλυται, καὶ ὑμεῖς, ὦ ἄνθρωποι, διὰ τὰς ἀδικίας οἴχεσθε. Ἐγὼ δὲ σῶσαι θέλω· καὶ ὄψεσθέ με αὖθις μετ᾽ οὐρανίου δυνάμεως ἐπανιόντα. Μακάριος ὁ νῦν με θρησκεύσας, τοῖς δ᾽ ἄλλοις ἅπασι πῦρ αἰώνιον ἐπιβαλῶ καὶ πόλεσι καὶ χώραις. Καὶ ἄνθρωποι, οἳ μὴ τὰς ἑαυτῶν ποινὰς ἴσασι, μεταγνώσονται μάτην καὶ στενάξουσι· τοὺς δέ μοι πεισθέντας αἰωνίους φυλάξω. Für jeden von ihnen ist es geläufig und üblich zu sagen: „Ich bin Gott oder Gottes Sohn oder der göttliche Geist. Ich bin gekommen, denn die Welt geht bald zugrunde, und ihr, o Menschen, werdet wegen der Ungerechtigkeiten vergehen. Ich will euch retten, und ihr werdet mich sogleich sehen, wenn ich mit himmlischer Macht wiederkomme. Selig ist, wer jetzt mich verehrt. Auf alle anderen, auf die Städte und Regionen, werde ich ewiges Feuer werfen, und die Menschen, die ihre bevorstehenden Strafen nicht kennen, werden vergeblich bereuen und seufzen: Die aber an mich glauben, werde ich in Ewigkeit schützen.“ Orig. c. Cels. 7,9

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Vgl. Kehl (1978), 736 f. So etwa in Hesiods Weltalterlehre, vgl. Cancik (1998), 105. Übersetzung: Horacio E. Lona, Die ‚Wahre Lehre‘ des Kelsos, Freiburg 2005.

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Darauf folgt unmittelbar ein Gedanke, in dem dann auch die pagan-philosophischen Vorbehalte gegen apokalyptisches Sprechen zusammengefasst scheinen: εἶτα τούτοις ἑξῆς φησι· ταῦτ᾽ ἐπανατεινάμενοι προστιθέασιν ἐφεξῆς ἄγνωστα καὶ πάροιστρα καὶ πάντῃ ἄδηλα, ὧν τὸ μὲν γνῶμα οὐδεὶς ἂν ἔχων νοῦν εὑρεῖν δύναιτο· ἀσαφῆ γὰρ καὶ τὸ μηδέν, ἀνοήτῳ δὲ ἢ γόητι παντὶ περὶ παντὸς ἀφορμὴν ἐνδίδωσιν, ὅπῃ βούλεται, τὸ λεχθὲν σφετερίζεσθαι. Diesen Drohungen fügen sie der Reihe nach unbekannte, rasende und ganz dunkle Worte hinzu, deren Sinn kein verständiger Mensch finden könnte. Denn sie sind unklar und nichts sagend, jedem Unverständigen und Gaukler aber geben sie in jeder Hinsicht Gelegenheit, sich das Gesagte, so wie er will, anzueignen.

1.3 Der politische und soziale Aspekt: das Ende Roms und die Gefährlichkeit der Christen Dieses apokalyptische Sprechen setzt bei aller Vielgestaltigkeit eines voraus: das Ende der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Ordnung, teilweise klingt auch das erwartete Ende Roms durch oder es finden sich Bilder eines militärischen Sieges Christi über seine Widersacher.17 Damit steht die christliche Eschatologie in einer Spannung zu den politisch-historischen Ansprüchen der paganen Antike: Ihr nämlich gilt das römische Reich als Garant der Sicherheit und Ordnung; insbesondere die Vorstellung von der Roma aeterna, der auch göttliche Verehrung zukommt, ist ein wichtiger Faktor welthistorischer Selbstvergewisserung.18 Wenn nun das Versinken der Welt im politischen Chaos und der Untergang des römischen Staatswesens zur Topik der Endzeitvorwehen gehört und Teil der erwarteten Endzeitereignisse ist, liegt darin ein klarer Widerspruch zum Anspruch des Reichs und der Stadt als Garanten der Ordnung. Mögen diesen eschatologischen Aussagen auch solche gegenüberstehen, die die Loyalität zum römischen Staat beteuern beziehungsweise dazu auffordern,19 der christlichen Lehre von der Endzeit muss in den Augen eines antiken Lesers etwas Bedrohliches und Subversives innewohnen. Doch bleiben die vermeintlich gegen das Staatswesen und seinen Bestand gerichteten Aussagen daneben natürlich bestehen. 17

Prägnanteste Beispiele sind die Kriege und politischen Umwälzungen sowie das Zerbrechen der Familien als Zeichen der Endzeit (Mk 13,7 f. 12), die alles umstürzende Wiederkunft Christi (1 Kor 15,24) und natürlich der Untergang Roms in den endzeitlichen Kämpfen (Offb 18 als ‚Babylon‘, vgl. 1 Petr 5,13), diese sind etwa Offb 19,11–21 detailreich ausgeführt, dazu etwa Nicklas (2009). 18 Grundlegend Verg. Aen. 1,278 f.; 6,788–807; Liv. 28,28,11, vgl. Kehl (1978) 738. Seit der Kaiserzeit – insbesondere seit Hadrian, der auch der Venus und der Roma einen monumentalen Tempel errichtet (dazu Mols [2003] und Knell [2009]) – verbreitet sich die Verehrung einer personifizierten, als ewig gedachten Roma (umfassend Dopico Caínzos [1998]; Schuol [2008] 928 f.), an der bis zum Ausgang der Antike festgehalten wird (vgl. Paschoud [1967]). 19 Erinnert sei nur an Mt 22,21; Röm 13,1–7; 1 Petr 2,13f; Tit 3,1; in eschatologischem Kontext 2 Thess 2,6 f. und die entsprechenden Entfaltungen in der Apologetik.

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Erschwerend kommt hinzu: Schon in den frühesten paganen Zeugnissen wird das Christentum als gemeinschaftsfeindlicher Aberglaube wahrgenommen. So heißt es bei Tacitus über die Chrestiani, die Nero für den Brand Roms im Jahr 64 verantwortlich macht: Auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat; repressaque in praesens exitiabilis superstitio rursum erumpebat, non modo per Iudaeam, originem eius mali, sed per urbem etiam, quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluunt celebranturque. (4) igitur primum correpti qui fatebantur, deinde indicio eorum mul­ titudo ingens haud proinde in crimine incendii quam odio humani generis convicti sunt. Der Mann, von dem sich dieser Name [Chrestianer] herleitet, Christus, war unter der Herrschaft des Tiberius auf Veranlassung des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet worden; und für den Augenblick unterdrückt, brach der unheilvolle Aberglaube wieder hervor, nicht nur in Judäa, dem Ursprungsland dieses Übels, sondern auch in Rom, wo aus der ganzen Welt alle Gräuel und Scheußlichkeiten zusammenströmen und gefeiert werden. So verhaftete man zunächst diejenigen, die ein Geständnis ablegten, dann wurde auf ihre Anzeige hin eine ungeheure Menge nicht so sehr des Verbrechens der Brandstiftung als einer hasserfüllten Einstellung gegenüber dem Menschgeschlecht schuldig gesprochen.20 Tac. ann. 15,44,3 f.

Der Eindruck des ‚Hasses auf das Menschengeschlecht‘ entsteht nicht zuletzt dadurch, dass sich die Christen bestimmten sozialen Vollzügen verweigern, etwa überhaupt dem Staats- und vor allem dem Kaiserkult, der doch den Wohlwollen der Götter garantieren soll, aber auch den Zirkusspielen und anderem Brauchtum, das sie als idolatrisch erachten.21 Hinzu kommen die schon von Plinius gegenüber Trajan erwähnten Zusammenkünfte der Christen untereinander22, die Vermutungen unsittlichen und verbrecherischen Tuns aufkommen ließen,23 sowie ihre Arkandisziplin, in der sie bestimmte Lehren und kultische Handlungen nur im inneren Kreis bekannt machten24. All dies lässt die Christen als einen gemeinschaftsfeindlichen, subversiven Geheimbund erscheinen – so spiegeln auch die Vorwürfe wider, die Minucius Felix dem Heiden Caecilius in den Mund legt.25 Vor diesem Hintergrund werden eschatologische Aussagen, die den Untergang einer alten und die Entste20 Übersetzung: Erich Heller, P. Cornelius Tacitus, Annalen. Lateinisch und deutsch, München/ Zürich 1982. 21 Vgl. zur Tacitusstelle und dazu, was sie über die Vorwürfe gegen die Christen besagt, De Labriolle (1934), 36–41; Wlosok (1959), 122–125; Benko (1986), 14–24; Engberg (2007), 215–227; Cook (2010), 39–83. Umfassend erörtert wird der ganze Komplex des Vorwurfs bei Levieils (2007), 393–503. 22 Plin. epist. 10,96 […] quod essent soliti stato die ante lucem conuenire. 23 Zu diesen bekannten Christengräueln, die mit den Versammlungen sexuelle Ausschweifungen und Kannibalismus in Zusammenhang brachten, beispielsweise Min. Fel. 9,5–7, vgl. Levieils (2007), 291–310. 24 Zu den ersten eindeutigen Belegen gehören die Äußerungen Lact. inst. 1,1,7; 5,1,20 f.; 5,2,1; 7,26,8–10, vgl. Perler (1950), 671 f. 25 Min. Fel. 8,4 (Christen als gefährlicher Geheimbund, der die öffentlichen Kultstätten verachtet); 12,5 f. (Verweigerung der Christen gegenüber Spielen und kultischen Handlungen, vgl. Orig. c. Cels 8,24. 30 f.).

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hung einer neuen Herrschaft und Welt zum Gegenstand haben, als konkrete politische Programmatik, die Christen damit als staatsgefährdend und subversiv angesehen.26 Der Anstoß erscheint noch desto größer, wenn zugleich eine Überlegenheit der Christen, die letztlich als Sieger und Gerechtfertigte aus den Endzeitkatastrophen hervorgehen sollen, impliziert wird. 2 DAS ENDE ERKLÄRT: DIE EINZELNEN CHRISTLICHEN LATEINISCHEN AUTOREN 2.1 Die Passio Perpetuae Der Märtyrerbericht der Perpetua und Felicitas gehört zwar als innerchristlich ausgerichteter Text nur bedingt hierher, verdient aber als eines der ältesten Zeugnisse der christlichen Latinität einen kurzen Blick, insofern darin Inhalt und Funktion eschatologischen Argumentierens in der ganzen frühchristlichen Latinität exemplarisch fassbar wird: Der unbekannte Redaktor27 erläutert am Anfang die Absicht, die er mit der Herausgabe der Märtyrerselbstzeugnisse verfolgt: Die von einer besonderen Fülle an Geistesgaben gekennzeichnete Zeit vor dem Ende ist da: Sed uiderint qui unam uirtutem Spiritus unius Sancti pro aetatibus iudicent temporum, cum maiora reputanda sunt nouitiora quaeque, ut nouissimiora, secundum exuberationem gratiae in ultima saeculi spatia decretam. (4) In nouissimis enim diebus, dicit Dominus, effundam de Spiritu meo super omnem carnem et prophetabunt filii filiaeque eorum; et super seruos et an­ cillas meas de meo Spiritu effundam; et iuuenes uisiones uidebunt et senes somnia somniabunt. Doch sollen sich alle vorsehen, die allen Zeitläuften eine immer gleich Kraft an des einen heiligen Geistes zuschreiben möchten, da doch für bedeutsamer alle (jüngeren) Zeugnisse anzusehen sind, als die ans Jüngste rührenden nämlich, gemäß des Überströmens der Gnade, das für die Endzeiten der Welt zugesagt ward. Denn in den letzten Tagen, spricht der Herr, werde ich ausgießen von meinem Geist über alles Fleisch, und weissagen werden ihre Söhne und Töchter; und über meine Knechte und Mägde werde ich von meinem Geist ausgießen; und die Jungen werden Gesichte schauen und die Alten werden Träume träumen.28 Pass. Perp. 1,3f.

Bemerkenswert ist aber, dass sodann in den verarbeiteten Berichten allein eine individualeschatologische Perspektive erkennbar wird: Gegenstand der Hoffnung angesichts von Folter und Tod ist die Erlangung individuellen Heils durch das Mar-

26 Zu diesem wörtlichen (Miss-)Verstehen christlicher Endzeitaussagen als politischer Umsturzbotschaft Levieils (2007), 488–501. 27 Zur Verfasserfrage und Redaktionsgeschichte Bremmer/Formisano (2012), 5 f.; Heffernan (2012), 67. 28 Übersetzung: Peter Habermehl, Perpetua und der Ägypter, oder Bilder des Bösen im frühen afrikanischen Christentum. Ein Versuch zur Passio sanctarum Perpetuae et Felicitatis, Berlin/ New York 22004. Es folgt ein Zitat aus 1 Kor 12,11.

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tyrium, nicht etwa ein baldiges Ende der Welt.29 Auch im Schlussgebet wird das Fortwirken des Geistes in den Martyrien, nicht mehr aber die Nähe der Endzeit aufgegriffen.30 Einen Endzeitbezug stellt also lediglich eine knappe Bemerkung in der Einleitung her; sie entspricht dem Geist der Zeit, aus dem auch der Montanismus, eine eschatologisch-prophetische Sonderströmung innerhalb (oder am Rande) des Christentums der Zeit, entsteht, deutet aber nicht auf ein montanistisches Werk.31 2.2. Tertullian Bei dem Afrikaner Tertullian finden wir das erste Zeugnis für eine Vermittlung an ein nichtchristliches Publikum, und zwar in seinem 197 entstandenen Apolo­ geticum, einer Verteidigungsschrift für das Christentum.32 Was Tertullian hier zur Endzeit sagt,33 steht (natürlich) nicht im Rahmen einer systematischen Entfaltung christlicher Lehre, vielmehr kommt er in anderem Zusammenhang auf eschatologische Fragen zu sprechen. So führt Tertullian als Argument für das hohe Alter und die Autorität der Heiligen Schrift an, dass gegenwärtige Katastrophen (Überschwemmungen, Kriege, Seuchen usw.) darin angekündigt seien: Quicquid agitur, praenuntiabatur; quicquid uidetur, audiebatur: quod terrae uorant urbes, quod insulas maria fraudant, quod interna et externa bella dilaniant, quod regnis regna com­ pulsant, quod fames et lues et locales quaeque clades et frequentiae plerumque mortium uas­ tant, quod humiles sublimitate, sublimes humilitate mutantur, 3 quod iustitia rarescit, iniquitas increbrescit, bonarum omnium disciplinarum cura torpescit, quod etiam officia temporum et elementorum munia exorbitant, quod et monstris et portentis naturalium forma turbatur, proui­ dentiae scripta sunt. Dum patimur, leguntur; dum recognoscimus, probantur. Idoneum, opinor, testimonium diuinitatis ueritas diuinationis. Alles, was geschieht, wurde im Voraus verkündet, alles, was erscheint, schon vernommen. Dass die Erde Städte verschlingt, dass das Meer Inseln entwendet, dass draußen wie drinnen Kriege Wunden reißen, dass Reiche mit Reichen zusammenprallen, dass Hungersnöte, Seuchen, alle 29 Charakteristisch etwa Pass. Perp. 4,10 (nach Perpetuas erster Vision): et rettuli statim fratri meo; et intelleximus passionem esse futuram, et coepimus nullam iam spem in saeculo habere. Ähnlich Pass. Scill. 15 Hodie martyres in caelo sumus. 30 Pass. Perp. 21,11: Martyriumsberichte sollen verlesen werden, ut nouae quoque uirtutes unum et eundem semper Spiritum Sanctum usque adhuc operari testificentur. 31 Vgl. Amat (1996), 190; Markschies (2012a), v. a. 289 f.; (2012b), 1209. 32 Im frühen apologetischen Werk Ad nationes, das eine Art Entwurf zum Apologeticum geblieben ist, fehlen Hinweise zur Eschatologie. 33 Zur Eschatologie des Tertullian (unter verschiedenen dogmengeschichtlichen Fragestellungen) noch immer Atzberger (1896), 291–331; zusammenfassend Daley (2003), 34–37; wichtig Schöllgen (1984/1985), ferner Siniscalco (1992 und 2000), Berruto (1998), 91–97, Delrio (2003), Zilling (2004), 139–155, Dattrino (2009) und Stander (2011), 596 f. Dabei stehen durchweg die Entwicklung des eschatologischen Denkens, ohne dass zwischen apologetischen und innerchristlichen Schriften unterschieden würde, und die Einflussfaktoren (namentlich Chiliasmus und Montanismus) im Mittelpunkt.

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Stefan Freund möglichen örtlichen Katastrophen und häufige Epidemien Länder veröden, dass die Niedrigen zur Hoheit, die Hohen zur Niedrigkeit wechseln müssen, dass die Gerechtigkeit selten, die Ungerechtigkeit häufig, die Sorge für alle rechte Gesittung müde wird, dass auch die Tätigkeit der Jahreszeiten und die Leistung der Naturkräfte aus der Bahn geleitet, dass durch Ungeheuer und sonderbare Erscheinungen die natürliche Weltordnung in Verwirrung gerät, ist aus Voraussicht niedergeschrieben worden. Wenn wir es erleben, wird es verlesen; wenn wir es im Buch sehen, bewahrheitet es sich. Gültiges Zeugnis göttlicher Weisheit, scheint mir, ist die Wahrheit einer Weissagung.34 Tert. apol. 20,2 f.

Tertullian geht hier geschickt vor: Er knüpft an eine pessimistische Grundstimmung an, die er offensichtlich bei seinem Publikum voraussetzen kann. In diesen Rahmen ordnet er die biblischen Schilderungen der Endzeitvorwehen ein.35 Deren zumindest vage Kenntnis setzt er bei seinen paganen Lesern offenbar voraus. Damit verbunden ist freilich eine entscheidende Dekontextualisierung: Es handelt sich bei den genannten Katastrophen nun eben nicht um die Vorwehen des einen Endes und der erwarteten Wiederkunft Christi, sondern um allgemeine Symptome eines Niedergangs – aus zugespitzter Eschatologie wird damit unversehens ein konsensfähiger Depravationsgedanke. Etwas später beruft sich Tertullian auf die Dämonen, die sich in Wirklichkeit hinter den paganen Göttern verbergen:36 Diese könnten, wenn ein Christ sie in einem Exorzismus zum Sprechen zwänge (apol. 23,4), die Wahrheit über Christus nicht verhehlen. Und was die Dämonen unwillkürlich bekennen müssten, formuliert Tertullian in Art einer regula fidei, nämlich Christi Tod, seine Auferstehung, seine Wiederkunft und sein Weltgericht: Dicent ibidem et quis ille ‚Christus cum sua fabula‘: si homo communis condicionis, si magus, si post crucem de sepulchro a discipulis subreptus, si nunc denique penes inferos, si non in cae­ lis potius et inde uenturus cum totius mundi motu, cum orbis horrore, cum planctu omnium, sed non Christianorum, […]. 13 […] negent Christum omnem ab aeuo animam restituto corpore iudicaturum; dicant hoc tribunali, si forte, Minoen et Rhadamanthum secundum consensum Platonis et poetarum esse sortitos. Sie – die Dämonen – werden hier an dieser Stelle sagen, wer dieser ‚Christus mit seinem Mythos‘ ist, ob ein Mensch gewöhnlicher Art, ob ein Zauberer, ob nach seinem Tode von den Jüngern heimlich aus dem Grabe weggeschafft, ob schließlich jetzt in der Unterwelt, oder ob nicht vielmehr im Himmel, von wo er kommen wird unter dem Beben der ganzen Welt, unter dem Zittern des Erdkreises, unter dem Wehklagen aller, aber nicht der Christen […] Leugnen sollen sie doch, dass Christus jede seit Urbeginn geborene Seele in ihrem wiedererstandenen Leib richten wird; behaupten sollen sie allenfalls vor diesem Richterstuhl, Minos und Rhadamanthys hätten nach dem übereinstimmenden Urteil Platos und der Dichter dieses Amt erhalten. Tert. apol. 23,12 f.

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Übersetzung aus dem Apologeticum nach Carl Becker, Tertullian, Apologeticum. Verteidigung des Christentums. Lateinisch und deutsch, München 31984. Vgl. Schöllgen (1984/1985), 83 f. Vgl. Georges (2011), 364–401.

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Tertullian triumphiert hier zweifach: Die (von den Heiden als Götter verehrten) Dämonen werden die Glaubensaussage von der Wiederkunft Christi zum Gericht bestätigen, und bei diesem Gericht selbst werden allein die Christen keine Furcht zu haben brauchen. Es geht hier freilich in erster Linie um die Bestätigung und das Rechtbehalten; das für die Nichtchristen Bedrohliche der Endzeit ergibt sich eher aus der Argumentation. Wiederum eher beiläufig ist die nächste Bezugnahme auf die Eschatologie: Dem Vorwurf, die Christen seien Feinde des Staates, hält Tertullian unter anderem den Hinweis entgegen, dass die Christen für das Wohl des Kaisers beteten, in diesem Zusammenhang heißt es: Est et alia maior necessitas nobis orandi pro imperatoribus, et ita uniuerso orbe et statu impe­ rii rebusque Romanis, qui uim maximam uniuerso orbi imminentem ipsamque clausulam sae­ culi acerbitates horrendas comminantem Romani imperii commeatu scimus retardari. Itaque nolumus experiri et, dum precamur differri, Romanae diuturnitati fauemus. Es gibt noch eine andere, höhere Notwendigkeit für uns, für die Kaiser zu beten, ebenso für den Bestand des Reiches überhaupt und die Macht der Römer: Wir wissen, dass die gewaltige Katastrophe, die dem Erdkreis droht, ja dass das Ende der Welt, das entsetzlich Leiden heraufbeschwört, nur durch die dem römischen Reich gewährte Frist aufgehalten wird. Daher wollen wir dies nicht erleben, und indem wir um Aufschub beten, tragen wir zum Fortbestande Roms bei. Tert. apol. 32,1

Tertullian legt hier einen Gedanken aus dem Zweiten Thessalonicherbrief (2,1–12) zugrunde.37 Dort wird der Auftritt eines Widersachers vor der Wiederkunft Christi angekündigt; derzeit gebe es aber noch einen diesen Widersacher „Aufhaltenden“ (κατέχων). Jenen identifiziert Tertullian38, einer verbreiteten Deutung folgend,39 mit dem römischen Reich. Und da nun das Ende acerbitates horrendae mit sich bringt, ist der Bestand Roms Gegenstand des Gebets. Etwas später betont Tertullian noch einmal, dass die harmlosen – darum nämlich geht es in diesem Zusammenhang – Christen sich versammeln, um gemeinsam für den Kaiser und „den Aufschub des Endes“ (apol. 39,2 pro mora finis) zu beten. Denselben Gedanken äußert Tertullian auch in der kurzen Schrift Ad Scapulam, die an den Prokonsul der Provinz Africa – eben Scapula – appelliert, zurückhaltender gegen die Christen vorzugehen: Christianus nullius est hostis, nedum imperatoris, quem sciens a deo suo constitui, necesse est ut et ipsum diligat et reuereatur et honoret et saluum uelit, cum toto Romano imperio, quousque saeculum stabit: tamdiu enim stabit. Die Christen sind niemandes Feinde, am wenigsten des Kaisers. Da sie wissen, dass derselbe von ihrem Gott eingesetzt worden ist, so müssen sie ihn notwendig lieben, fürchten, ehren und 37 38 39

Zum Motiv Müller (2001), 270–272; Metzger (2005); Röcker (2009); zur Verwendung hier Georges (2011), 482 mit Anm. 1142. Ebenso apol 39,2; resurr. 24,18; Scap. 2,6. So etwa Hippolyt. Dan. 4,21,3; Lact. inst. 7,25,6–8; Hier. epist. 121,11; 123,1.

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Stefan Freund seine Erhaltung wünschen mit der des gesamten römischen Reiches, solange die Welt steht. Denn so lange wird letztere auch bestehen.40 Tert. Scap. 2,6

Aufschlussreich ist freilich auch schon eine beiläufige Bemerkung in der Einleitung dieser Schrift, in der Tertullian erläutert, dass das Werk nicht christlichem Eigeninteresse, sondern letztlich dem Heil der Verfolger diene.41 Es heißt dann: Qui ergo dolemus de ignorantia vestra, et miseremur erroris humani, et futura prospicimus, et signa eorum cottidie intentari videmus, necesse est vel hoc modo erumpere ad proponenda vobis ea quae palam non vultis audire. Da uns also eure Unwissenheit Kummer und Schmerz bereitet und wir Mitleid haben mit den Irrtümern der Menschen, da wir die Zukunft vorausahnen und deren Vorzeichen jeden Tag dräuen sehen, so ist es notwendig, auch auf diese Weise einen Ausfall zu machen und euch Dinge zu sagen, die ihr öffentlich nicht hören wollt. Tert. Scap. 1,4

Hier zeigt sich Tertullian also der Tatsache bewusst, dass das pagane Publikum die Verkündigung christlicher Endzeitlehren nicht wünscht, rechtfertigt diese aber mit der Feindesliebe, aufgrund derer die Christen ihr Wissen um die Zukunft nicht für sich behalten dürften.42 Später freilich verweist Tertullian auf bereits gegenwärtige Zeichen göttlichen Zorns (Scap. 3,3 signa […] imminentis irae dei) ob der Verfolgungsmaßnahmen. Der eschatologische Aspekt, namentlich der Blick auf einen Jüngsten Tag und das Ende der Welt, tritt somit gegenüber dem Aspekt der Rache an den Verfolgern zurück – einer Rache, die sich, und das ist das Ziel der Argumentation, noch abwenden ließe. An dieser Stelle können wir zunächst den Befund aus den an ein paganes Publikum gerichteten Schriften zusammenfassen: Die allgemeine Eschatologie, also die Lehre vom bevorstehenden Ende der Welt, ist bei Tertullian nicht unmittelbarer und erst recht nicht zentraler Gegenstand apologetischer Argumentation. Grunddaten kommen gleichwohl zur Sprache: Zum einen erwähnt Tertullian die mit schreckenerregenden Ereignissen verbundene Wiederkunft Christi. Zweitens betont er, dass der Fortbestand des römischen Reichs die endzeitlichen Katastrophen derzeit noch aufhält und die Christen um dessen Bestand und somit einen weiteren Aufschub des Endes beten. Die Haltung zur Eschatologie bleibt also eher düster und verhalten. Dabei ist der Apologet bemüht, das für den nicht-christlichen Leser Bedrohliche in den Hintergrund treten zu lassen. Lediglich das den Dämonen abzutrotzende Zeug-

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Übersetzung der weiteren Werke Tertullians nach Karl Adolf Heinrich Kellner, Tertullians sämtliche Schriften. Aus dem Lateinischen übersetzt, Köln 1882. Zur Einordnung in Tertullians eschatologisches Denken Schöllgen (1984/1985), 82 f. Man erwartet also von den Christen, dass sie ihre Aussagen über das Ende für sich behalten. Das dürfte mit palam non uultis audire gemeint sein, nicht etwa, was zunächst denkbar erscheint, eine Divergenz zwischen öffentlich zur Schau getragener Ablehnung und privatem Interesse.

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nis über die Wiederkunft Christi lässt den triumphierenden Unterton des Christen erkennen, der sich gewiss ist, am Ende der Tage Recht zu behalten. Blickt man nun – ohne den Anspruch zu erheben, eine irgend vollständige Doxographie zu Tertullians Eschatologie zu bieten – vergleichend auf die innerchristlichen Schriften, so setzen sich zwei bereits beobachtete Grundtendenzen fort: Fragen der Endzeit werden beiläufig angesprochen (nun eben im Kontext antihäretischer oder praktisch-asketischer Argumentation), das Ende erscheint durchaus ambivalent.43 Dies zeigt etwa der folgende Abschnitt aus der Schrift De resurrectione, in der sich Tertullian gegen eine rein geistliche Deutung der Auferstehung wendet: Etiam in apocalypsi Iohannis ordo temporum sternitur, quem martyrum quoque animae sub altari ultionem et iudicium flagitantes sustinere didicerunt, ut prius et orbis de pateris angelo­ rum plagas suas ebibat, et prostituta illa ciuitas a decem regibus dignos exitus referat, et bestia antichristus cum suo pseudopropheta certamen ecclesiae inferat. […] 3 Cum igitur et status temporum ultimorum scripturae notent et totam Christianae spei frugem in exodio saeculi con­ locent, adparet aut tunc adimpleri totum quodcumque nobis a deo repromittitur et uacat, quod hic iam ab haereticis uindicatur, aut, si et agnitio sacramenti resurrectio est, salua utique illa creditur quae in ultimo praedicatur. Auch in der Apokalypse des Johannes wird der Verlauf der Zeiten entrollt, den auch „die Seelen der Martyrer unter dem Altare“, welche um Rache und Gericht rufen, abwarten gelernt haben, damit erst der Erdkreis „aus den Schalen der Engel“ [Offb 6,9 f.] seine Plagen austrinke, die Stadt der Unzucht durch die zehn Könige ihr verdientes Ende finde [Offb 15,7] und das Tier, der Antichrist und sein Pseudoprophet, mit der Kirche Gottes den Kampf beginne. […] Da also die Heilige Schrift auch die Zustände der letzten Zeiten bekannt gibt und die gesamte Frucht der christlichen Hoffnung auf den Ausgang der Zeiten ansetzt, so leuchtet ein, dass entweder alles, was auch immer von Gott versprochen ist, in jener Zeit erfüllt werde – und dann ist das, was hier von den Häretikern behauptet wird, gegenstandslos – oder aber dass, wenn die Erkenntnis der Heilsgeheimnisse auch eine Auferstehung ist, unbeschadet dieser letzteren auch noch an jene Auferstehung geglaubt werde, welche von der Predigt des Heiles auf das Weltende angesetzt wird. Tert. resurr. 25,1.3

Einerseits müssen also noch die Nöte der endzeitlichen Kämpfe überstanden werden, andererseits lege die Heilige Schrift, so Tertullian, „die gesamte Frucht der christlichen Hoffnung in die Endzeit“ (totam Christianae spei frugem in exodio saeculi). Vor allem aber wird an diesem Blick auf die Johannesoffenbarung eines deutlich: Wenn einmal, so wie hier, die apokalyptischen Texte der Bibel und überhaupt die Endzeitereignisse in den innerchristlichen Schriften detaillierter zur Sprache kommen, dient dies einem übergeordneten Argumentationszweck: Tertullian kann und muss sich einem (wenn auch als häretisch angesehenen) christlichen Publikum gegenüber auf biblische Belege berufen, und darunter sind, je nach Kontext, natürlich auch apokalyptische Schriften und eschatologische Inhalte. Doch liegt es nicht nur an der geringen Beweiskraft biblischer Belege gegenüber einem paganen Publikum, wenn in den apologetischen Schriften die christliche Lehre von der Endzeit (samt ihren Schriftbelegen) in den Hintergrund tritt. Vielmehr muss der Ein43

So schon Atzberger (1896), 317: „So ist für Tertullian die Wiederkunft Christi bald Gegenstand der Furcht, bald Object der Sehnsucht.“

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druck entstehen, dass Tertullian auch darüber hinaus gewisse Rücksichten walten lässt. Dies lässt sich anhand der folgenden Stellen näher beleuchten, in denen dieselben Inhalte einmal in innerchristlichen und einmal in apologetischen Schriften abgehandelt werden: In der bereits zitierten Schrift „Über die Auferstehung“ heißt es (in einem erläuternden Zitateinschub nach 2 Thess 2,7) als Erläuterung dazu, wer der „Aufhaltende“ (κατέχων) sei: Quis, nisi Romanus status, cuius abscessio in decem reges dispersa Antichristum superducet? Wer denn? Kein anderer als der römische Staat, dessen Untergang und Verteilung unter zehn Könige den Antichrist herbeiführen wird. Tert. resurr. 24,18

So knapp die Bemerkung ist – hier lässt Tertullian klar durchblicken, was auf das Ende Roms folgt: politisches Chaos und das Kommen des Antichrist – einem christlichen Publikum gegenüber kann man diese apokalyptischen Topoi offenbar ganz beiläufig erwähnen. Im Apologeticum und in Ad Scapulam hatte sich Tertullian, wie gezeigt, diesem Aspekt neutestamentlicher Eschatologie lediglich im Zusammenhang mit dem Gebet um den Fortbestand des κατέχων angenähert. An anderer Stelle wird diese Rücksichtnahme auf ein paganes Publikum noch deutlicher. So heißt es in der Schrift De oratione mit Bezug auf die dritte Bitte im Vaterunser („Dein Reich komme“): Itaque si ad dei uoluntatem et ad nostram suspensionem pertinet regni dominici repraesentatio, quomodo quidam protractum quendam saeculo postulant, cum regnum dei, quod ut adueniat oramus, ad consummationem saeculi tendat? optamus maturius regnare et non diutius serui­ re. Etiam si praefinitum in oratione non esset de postulando regni aduentu, ultro eam uocem protulissemus festinantes ad spei nostrae complexum. Clamant ad dominum inuidia animae martyrum sub altari: quonam usque non ulcisceris, domine, sanguinem nostrum de incolis terrae? nam utique ultio illorum a saeculi fine dirigitur. Immo quam celeriter ueniat, domine, regnum tuum, uotum Christianorum, confusio nationum, exultatio angelorum, propter quod conflictamur, immo potius propter quod oramus. Wenn daher die Verwirklichung des Reiches des Herrn sich auf den Willen Gottes und auf unsern ungewissen Zustand bezieht, wie können manche einen Aufschub für die Welt verlangen, da ja das Reich Gottes, um dessen Ankunft wir bitten, auf die Vollendung der Welt hinarbeitet? – Wir wünschen früher zu regieren und nicht länger mehr zu dienen. Auch wenn im Gebete keine Vorschrift, um die Ankunft des Reiches zu bitten, vorgezeichnet wäre, so müssten wir von freien Stücken diesen Wunsch aussprechen, indem wir den Gegenstand unserer Hoffnung in die Arme zu schließen eilen. Es schreien ja die Seelen der Märtyrer unter dem Altare mit Unwillen zum Herrn: „Wie lange noch, o Herr, wirst Du unser Blut nicht rächen an den Bewohnern der Erde?“ [Offb 6,10]. Denn die Rache für sie ist vom Ende der Welt abhängig. Ja recht bald, o Herr, möge Dein Reich, der Gegenstand der Wünsche der Christen, zu uns kommen zur Beschämung der Heiden, zur Freude der Engel. Um seinetwillen werden wir angefeindet, oder richtiger, um seinetwillen beten wir. Tert. orat. 5

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Klarer könnte der Widerspruch zum Apologeticum kaum sein:44 Dort hob Tertullian das Gebet um einen Aufschub des Endes hervor, hier lehnt er es ab „irgendeine Art von Verlängerung für die Welt“ (protractum quendam saeculo) zu erbitten. Übrigens lässt sich der Widerspruch auch nicht durch Tertullians Annäherung an den Montanismus erklären: De oratione und das Apologeticum gehören in Tertullians vormontanistische Phase; Ad Scapulam hingegen, wo ebenfalls die Bitte um Aufschub erwähnt wird, in die montanistische.45 Und ebenfalls vormontanistisch ist die Schrift über die Schauspiele, in der sich Tertullians vielleicht bemerkenswerteste Aussage zur Endzeit findet: Am Schluss des Werks stellt der Autor hier den Christen das alles überragende spectaculum vor Augen, das sie am Ende der Zeiten gewärtigen können und das ihnen einen mehr als befriedigenden Ersatz für die Zirkusspiele bieten soll, denen fernzubleiben Tertullian seine Leser auffordert. Quale autem spectaculum in proximo est aduentus domini iam indubitati, iam superbi, iam triumphantis! Quae illa exultatio angelorum, quae gloria resurgentium sanctorum! Quale reg­ num exinde iustorum! qualis civitas nova Hierusalem! 2 At enim supersunt alia spectacula, ille ultimus et perpetuus iudicii dies, ille nationibus insperatus, ille derisus, cum tanta saeculi vetustas et tot eius nativitates uno igni haurientur. 3 Quae tunc spectaculi latitudo! quid ad­ mirer? quid rideam? ubi gaudeam, ubi exultem, spectans tot ac tantos reges, qui in caelum recepti nuntiabantur, cum ipso Iove et ipsis suis testibus in imis tenebris congemescentes? item praesides persecutores dominici nominis saevioribus quam ipsi flammis saevierunt insultan­ tibus contra Christianis, liquescentes? 4 quos praeterea? sapientes illos philosophos coram discipulis suis una conflagrantibus erubescentes, quibus nihil ad deum pertinere suadebant, quibus animas aut nullas aut non in pristina corpora redituras adfirmabant? etiam poetas non ad Rhadamanthi nec ad Minonis, sed ad inopinati Christi tribunal palpitantes? 5 tunc magis tragoedi audiendi, magis scilicet vocales in sua propria calamitate; tunc histriones cognoscen­ di, solutiores multo per ignem; tunc spectandus auriga in flammea rota totus ruber; tunc xystici contemplandi, non in gymnasiis, sed igne iaculati. Welches Schauspiel für uns ist demnächst die Wiederkunft des Herrn, an den man dann glauben wird, der dann erhöht ist und triumphiert! Wie werden da die Engel frohlocken, wie groß wird die Glorie der auferstehenden Heiligen sein! Wie werden von da an die Gerechten herrschen, wie wird die neue Stadt Jerusalem beschaffen sein! Aber es kommen noch ganz andere Schauspiele: Der Tag des letzten und endgültigen Gerichts, den die Heiden nicht erwarten, über den sie spotten, der Tag, wo die alt gewordene Welt und alle ihre Hervorbringungen im gemeinsamem Brande verzehrt werden. Was für ein umfassendes Schauspiel wird es da geben? Was wird da der Gegenstand meines Staunens, meines Lachens sein? Wo der Ort meiner Freude, meines Frohlockens? Wenn ich so viele und so mächtige Könige, von welchen es hieß, sie seien in den Himmel aufgenommen, in Gesellschaft des Jupiter und ihrer Zeugen selbst in der äußersten Finsternis seufzen sehe; wenn so viele Statthalter, die Verfolger des Namens des Herrn, in schrecklicheren Flammen, als die, womit sie höhnend gegen die Christen wüteten, zergehen; wenn außerdem jene weisen Philosophen mit ihren Schülern, welchen sie einredeten, Gott bekümmere sich um nichts, welchen sie lehrten, man habe keine Seele, oder sie werde gar nicht 44 45

So auch schon Schnurr (1985), 36. Dazu passt, dass Schöllgen (1984/1985), v. a. 86–90 in Auseinandersetzung mit der älteren Forschung aufzeigt, dass zwar Tertullians Rigorismus in Moralfragen mit seiner Hinwendung zum Montanismus zunimmt, dass aber Eschatologie und Erwartung weder inhaltlich radikaler noch in der Argumentation wichtiger werden.

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Stefan Freund oder doch nicht in die früheren Körper zurückkehren – wenn sie mitsamt ihren Schülern und von ihnen beschämt im Feuer brennen, und die Poeten nicht vor dem Richterstuhl des Rhadamantys oder Minos, sondern wider Erwarten vor dem Richterstuhl Christi stehen und zittern! Dann verdienen die Tragöden aufmerksameres Gehör, da sie nämlich ärger schreien werden in ihrem eigenen Missgeschick; dann muss man sich die Schauspieler anschauen, wie sie noch weichlicher und lockerer durch das Feuer geworden sind; dann muss man sich den Wagenlenker ansehen, wie er auf flammendem Rade erglüht; dann die Athleten betrachten, wie sie nicht wie in der Ringschule (mit Sand), sondern mit Feuer beworfen werden. Tert. spect. 30,1–5

Im Mittelpunkt steht hierbei die triumphierende Freude der Unterdrückten, die nun gegenüber allen, die ihnen Unrecht tun oder die ihrem Glauben entgegenstehen, in der demnächst bevorstehenden Wiederkunft Christi und seinem Gericht endlich und ein für alle Mal Recht bekommen. Hier malt Tertullian also in kräftigen Farben aus, was er im Apologeticum bezüglich des Zeugnisses der Dämonen (Kap. 23) skizziert hatte. Man versteht, wie Brian Daley bezüglich Tertullians Endzeitdenken zu dem Schluss kommen konnte: „Für Tertullian ist das Hauptmerkmal des kommenden Endes der Geschichte die Abrechnung zwischen Gott und jenen, die Belohnung oder Bestrafung verdient haben“. 46 Keine Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Katastrophen der Endzeit.47 Fassen wir zusammen: Es gibt zwar keine systematische Darbietung eschatologischer Inhalte bei Tertullian, aber wiederkehrende Denkfiguren, nämlich die Ambivalenz des Endes, die Bitte um einen Aufschub und den Triumph, der die Christen erwartet. Dabei übt Tertullian in den Schriften, die an ein nichtchristliches Publikum gerichtet sind, merkliche Zurückhaltung: Das Bedrohliche, die Nähe und die apokalyptischen Begleitumstände des Endes klingen nur dort an, wo die rhetorische Strategie ein anderes Ziel verfolgt – die Bitte um Aufschub als Zeichen der Staatstreue und das Bekenntnis der Dämonen. Vor allem die triumphierende Attitüde und das revolutionär-subversive Element, das die Endzeitschilderung vor allem in De spectaculis hat, steht in klarem Gegensatz zur Botschaft in den apologetischen Werken: Zwar spürt auch ihr schon die Endzeitvorwehen in den gegenwärtigen Katastrophen (apol. 20), aber wir bitten um Aufschub (apol. 32). 2.3 Minucius Felix Bewusst andere Wege als Tertullian, dessen Apologeticum er kennt, benutzt und übertreffen will, geht Minucius Felix in seinem Dialog Octavius. Darin lässt er zunächst einen heidnischen Redner, Caecilius, Argumente gegen die Christen vortragen, darunter auch eines gegen ihren Glauben an ein Weltende:

46 47

Daley (1986), 111. Hierzu pass die Beobachtung von Thiede (1986), 91 f. Anm. 5, dass Tertullian die 2 Petr 3,7 angesprochene Vernichtung der Welt durch Feuer nur in innerchristlichem Kontext (etwa bapt. 8,5; anim 54.1) erwähnt, nicht aber im Apologeticum.

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Quid? quod toto orbi et ipsi mundo cum sideribus suis minantur incendium, ruinam moliuntur, quasi aut naturae divinis legibus constitutus aeternus ordo turbetur, aut rupto elementorum omnium foedere et caelesti conpage divisa moles ista, qua continemur et cingimur, subruatur? Aber nicht genug! Dem ganzen Erdkreis, ja dem Weltall mit allen seinen Gestirnen drohen sie einen Brand an, allen Dingen wollen sie den Untergang bereiten. Als könnte die auf göttlichen Naturgesetzen beruhende, ewige Ordnung gestört, als könnte das Band, das alle Elemente umschlingt, zerrissen, das Gefüge des Himmels zerstört, der Riesenbau, der uns umschließt, zum Einsturz gebracht werden!48 Min. Fel. 11,1

Dieser Kritikpunkt ist bemerkenswert – und unter den Zeugnissen antichristlicher Polemik einmalig:49 Nur hier wird den Christen ausdrücklich zum Vorwurf gemacht, dass sie an ein Vergehen der Welt glauben. Der Grund liegt freilich auf der Hand: Es handelt sich nicht in erster Linie um einen tatsächlich erhobenen Einwand gegen die christliche Lehre, vielmehr formuliert Minucius Felix mögliche Vorbehalte gegen die christliche Eschatologie so, dass sie einen Ansatzpunkt für ihre Widerlegung in der Octaviusrede bieten. In dieser Entgegnung nämlich lenkt der christliche Vertreter die Argumentation ganz und gar auf philosophisches Gebiet: Ceterum de incendio mundi aut improvisum ignem cadere aut diffindi caelum non credere vul­ garis erroris est. (2) quis enim sapientium dubitat, quis ignorat omnia, quae orta sunt, occidere, quae facta sunt, interire? caelum quoque cum omnibus quae caelo continentur, ita ut coepisse desinere fontium dulcis aqua maria nutrire, in vim ignis abiturum Stoicis constans opinio est, quod consumpto umore mundus hic omnis ignescat; (3) et Epicureis de elementorum conflag­ ratione et mundi ruina eadem ipsa sententia est. (4) loquitur Plato partes orbis nunc inundare, dicit nunc alternis vicibus ardescere et, cum ipsum mundum perpetuum et insolubilem diceret esse fabricatum, addit tamen ipsi artifici deo soli et solubilem et esse mortalem. ita nihil mi­ rum est, si ista moles ab eo, quo exstructa est, destruatur. (5) animadvertis philosophos eadem disputare quae dicimus, non quod nos simus eorum vestigia subsecuti, sed quod illi de divinis praedicationibus prophetarum umbram interpolatae veritatis imitati sint. Ferner: der Lehre vom Weltenbrand nicht Glauben schenken zu wollen und zu leugnen, dass plötzlich Feuer niederfallen, der Himmel sich auflösen werde, das ist ein Irrtum, der nur im Volk verbreitet ist. Gibt es denn einen Philosophen, der daran zweifelte? Der nicht wüsste, dass alles Gewordene vergeht, alles Geschaffene zunichte wird? Bei den Stoikern herrscht allgemein die Ansicht, dass auch der Himmel und alles, was von ihm umschlossen wird, durch die Macht des Feuers untergehen werde, sobald das süße Quellwasser allmählich aufhört, die Meere zu speisen, weil die ganze Welt in Feuer aufgehen muss, sobald die Feuchtigkeit aufgebraucht ist. Die Epikureer vertreten genau die gleiche Meinung über die Vernichtung der Elemente im Feuer und den Untergang der Welt. Platon spricht davon, dass bald Teile des Erdkreises überflutet werden, und sagt, dass bald wieder im Wechsel Teile der Welt in Flammen aufgehen. Und obwohl er zuvor erklärte, die Welt sei unvergänglich und unauflöslich geschaffen, so setzt er doch hinzu, dass sie für ihren göttlichen Baumeister – allein für ihn – auflösbar 48 49

Übersetzung nach Bernhard Kytzler, M. Minucius Felix, Octavius. Lateinisch und Deutsch, München 1965. Vgl. das bei Pellegrino (2000), 277 zusammengestellte Material. Justin. 1 apol. 20,2 beruft sich zwar auf die stoische Lehre von ἐκπύρωσις und ἀποκατάστασις, doch geht es bei ihm um die leibliche Auferstehung, nicht etwa das Weltende.

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Stefan Freund und also vergänglich sei. Es ist also gar nicht so eine merkwürdige Auffassung, dass dieses Weltgefüge von dem, der es errichtet hat, auch wieder zerstört werden kann. Du siehst, die Philosophen lehren dasselbe wie wir, nicht etwa, weil wir ihren Spuren gefolgt wären, sondern weil jene aus den gotterfüllten Weissagungen der Propheten das Schattenbild einer – freilich entstellten – Wahrheit übernommen haben.“ Min. Fel. 34,1–5

Damit wird vollends klar, warum der Apologet Caecilius den Vorwurf in den Mund gelegt hatte, die Christen lehrten einen Weltenbrand. Die Formulierung nämlich (mundo cum sideribus suis minantur incendium) ist so gewählt, dass ihr der christliche Dialogteilnehmer Octavius nun ohne jede Schwierigkeit die stoische Lehre von der ἐκπύρωσις entgegenhalten kann.50 Selbst Platon wird mit einiger Kühnheit aufgrund seiner Annahme eines teilweisen Zugrundegehens beinahe gewaltsam für die christliche Sache vereinnahmt. Jedwede apokalyptische Umrahmung des Weltendes bleibt außen vor. Die auf diese Weise konstruierte Übereinstimmung zwischen paganer Philosophie und christlicher Lehre wird eigens konstatiert (und erklärt). Dies ist wesentlich und vielleicht der Sinn des ganzen Manövers: Noch einmal soll die Übereinstimmung zwischen Philosophie und Christentum festgehalten werden, ehe es an die – nun tatsächlich schwierige – Begründung für die Auferstehung des Fleisches geht. Freilich ist hier Minucius Felix noch etwas geschickter und versierter im Umgang mit biblischen Texten, als es zunächst den Anschein hat: Wenn Minucius Felix hier die Eschatologie als Weltenbrand darstellt, kann er sich (wie schon Justin) auf einen Gedanken des Zweiten Petrusbriefs beziehen:51 οἱ δὲ νῦν οὐρανοὶ καὶ ἡ γῆ τῷ αὐτῷ λόγῳ τεθησαυρισμένοι εἰσὶν πυρί, τηρούμενοι εἰς ἡμέραν κρίσεως καὶ ἀπωλείας τῶν ἀσεβῶν ἀνθρώπων. Der jetzige Himmel aber und die jetzige Erde sind durch dasselbe Wort für das Feuer aufgespart worden. Sie werden bewahrt bis zum Tag des Gerichts, an dem die Gottlosen zugrunde gehen.52 2 Petr 3,7

Minucius Felix behandelt das Thema der Eschatologie also sehr geschickt, indem er eine Perspektive auswählt, in der eine pagan-philosophische und christliche Po50

Für diese finden sich insbesondere bei Seneca ganz ähnliche Darstellungen, vgl. benef. 6,22,1 Omnia ista ingentibus interuallis diducta et in custodiam uniuersi disposita stationes suas de­ serant; subita confusione rerum sidera sideribus incurrant, et rupta rerum concordia in ruinam diuina labantur, contextusque uelocitatis citatissimae in tot saecula promissas uices in medio itinere destituat, et quae nunc alternis eunt redeuntque opportunis libramentis mundum ex ae­ quo temperantia, repentino concrementur incendio et ex tanta uarietate soluantur atque eant in unum omnia. dial. 6,26,6; 11,1,2 Mundo quidam minantur interitum et hoc universum, quod omnia diuina humanaque complectitur, si fas putas credere, dies aliquis dissipabit et in con­ fusionem ueterem tenebrasque demerget. nat. 3,29,1. Die Hinweise auf diese Stellen verdanke ich Christoph Schubert, in dessen Kommentar (Schubert [2014]) sich auch alles Wesentliche zu Min. Fel. 11,1 findet. 51 Dazu Thiede (1986), v. a. 81–88, der aufzeigt, wie Minucius Felix die eigentlich unterschiedlichen Konzepte des biblischen und des stoischen Weltenbrandes einander annähert. 52 Einheitsübersetzung.

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sition nahezu deckungsgleich erscheinen: Die Welt wird, wie auch die Stoa lehrt, untergehen. Allein dieser Aspekt kommt in der Christenkritik und in der Replik zur Sprache. Über die katastrophalen Vorwehen der Endzeit, die politischen Implikationen und den Triumph der Anhänger Christi verliert der Apologet kein Wort. Die einleitend skizzierten Vermittlungsprobleme sind somit vollständig umgangen. 2.4 Cyprian In anderer Weise als der apologetisch bedachtsame Minucius Felix greift der karthagische Bischof Cyprian das Endzeitthema53 in seinen nach außen gerichteten Schriften auf: In der Schrift Ad Donatum, einem protreptischen Werk, das die Freuden des Getauften mit der Verderbtheit des profanen Lebens kontrastiert, tritt die Vollendung des Einzelnen hinter die Überlegungen über die Welt als ganze und ihr Ende zurück. Etwas anders verhält sich das in der 252 entstandenen Schrift Ad Demetrianum. Ihr ansonsten unbekannter Adressat war offenbar mit antichristlicher Polemik hervorgetreten. Hier sind eschatologische Gedanken durchweg präsent. Eingeführt werden sie als Reaktion auf Vorhaltungen gegen die Christen: Diese nämlich, so greift Cyprian einleitend die Vorwürfe auf, seien durch ihre Vernachlässigung der alten Götter, die deren Zorn verursache, an den derzeitigen Übeln der Welt, den Naturkatastrophen und dem allgemeinen Verfall schuld. Dem hält der Christ die Vorstellung einer alternden Welt54 entgegen: Dixisti per nos fieri et quod nobis debeant inputari omnia ista quibus nunc mundus quatitur et urguetur, quod dii vestri a nobis non colantur. Qua in parte qui ignarus divinae cognitionis et veritatis alienus es illud primo in loco scire debes senuisse iam mundum, non illis viribus stare quibus prius steterat nec vigore et robore ipso valere quo ante praevalebat. Hoc etiam nobis tacentibus et nulla de scripturis sanctis praedicationibusque divinis documenta promentibus mundus ipse iam loquitur et occasum sui rerum labentium probatione testatur. Du hast behauptet, wir hätten die Schuld und uns müsse all das zugerechnet werden, was jetzt die Welt erschüttert und bedrängt, weil eure Götter von uns nicht verehrt würden. In dieser Beziehung musst du, der du von göttlicher Erkenntnis keine Ahnung hast und der Wahrheit ferne stehst, in erster Linie wissen, dass die Welt bereits alt geworden ist, dass sie nicht mehr in ihrer früheren Kraft steht und sich nicht mehr derselben Frische und Stärke erfreut, in der sie ehemals prangte. Auch wenn wir schweigen und keine Belege aus den heiligen Schriften und den göttlichen Verkündigungen beibringen, so redet schon die Welt selbst eine deutliche Sprache, und sie bezeugt ihren eigenen Untergang durch den sichtlichen Verfall aller Dinge.55 Demetr. 3,1

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Zur Endzeitlehre bei Cyprian Atzberger (1896), 540–546; Fernández (1981); Noormann (2009), 257–273; Brent (2010), 88–92. 100–116. 54 Zum Motiv der senectus mundi und ihren stoischen Vorformen Zocca (1995); Brent (2010), 100–108. 55 Übersetzung nach Julius Baer, Des heiligen Kirchenvaters Caecilius Cyprianus sämtliche Schriften. Aus dem Lateinischen übersetzt, München 1918.

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Es folgt eine Aufzählung der Symptome von Ermüdung und Verfall, die sich in der Natur und im Leben der Menschen feststellen ließen, dann fasst Cyprian zusammen: Haec sententia mundo data est, haec dei lex est ut omnia orta occidant et aucta senescant et infirmentur fortia et magna minuantur et cum infirmata et deminuta fuerint finiantur. Das ist der Grundsatz, der für die Welt aufgestellt ist, das ist Gottes Gesetz, dass alles, was entstanden ist, wieder vergeht, und alles, was gewachsen ist, altert, dass das Starke schwach, das Große klein wird und, wenn es dann schwach und klein geworden ist, sein Ende nimmt. Demetr. 3,3

Nach der Widerlegung der gegen die Christen gerichteten Vorwürfe (Demetr. 3–11) skizziert Cyprian die Haltung der Christen, die zwar den gegenwärtigen Übeln in gleicher Weise ausgesetzt seien, diese aber getrost ertragen könnten (Demetr. 12–19). Denn ihnen seien diese Drangsale vorhergesagt und zugleich das darauf folgende Heil verheißen (Demetr. 20 f.). Dann wendet sich der Blick auf das Bevorstehende (Demetr. 21) – und von hier an verdient die Argumentation eine genauere Betrachtung: Die Gegenwart sei nur Vorgeschmack dessen, was am noch ausstehenden ‚Tag des Gerichts‘ (dies iudicii) geschehen werde. Dies betreffe gleichermaßen Christen wie Nichtchristen, denn beiden sei interim per aequalitatem carnis et corporis laborum saecularium condicio communis einstweilen infolge der Gleichheit des Fleisches und des Leibes das gemeinsame Los der zeitlichen Mühsale beschieden. Demetr. 21

Mit Unheilsankündigungen, die er aus alttestamentlichen Prophetenbüchern zitiert, illustriert Cyprian sodann die Vernichtung der Gottesfernen: Ecce dies Domini uenit ardens uelut clibanus, eruntque omnes alienigenae et omnes iniqui stipula, et succendet illos adueniens dies, dicit dominus [Mal 3,19]. Succendi et cremari alie­ nigenas praecanit dominus, id est alienos a diuino genere et profanos, spiritaliter non renatos nec filios factos. „Siehe, der Tag des Herrn kommt brennend wie ein Ofen, und alle Fremdlinge und alle Ungerechten werden Stroh sein, und der herankommende Tag wird sie anzünden“, sagt der Herr [Mal 3,19]. Angezündet und verbrannt, so verkündigt der Herr im Voraus, werden die Fremdlinge, das heißt: die dem göttlichen Geschlechte Fernstehenden und Unheiligen, die nicht geistig wiedergeboren und Gottes Söhne geworden sind. Demetr. 22

Die Gottestreuen hingegen würden, mit dem Blut Christi gezeichnet, verschont wie die Söhne des Volkes Israel bei der Tötung der ägyptischen Erstgeborenen:56

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Vgl. Ex 12,13.

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Ut illic percussa Aegypto Iudaicus populus euadere non nisi sanguine et signo agni potuit, ita et cum uastari coeperit mundus et percuti quisque in sanguine et signo Christi inuentus fuerit solus euadit. Wie dort, als Ägypten heimgesucht ward, das jüdische Volk nur durch das Blut und Zeichen des Lammes entrinnen konnte, so entrinnt auch dann, wenn die Verwüstung und Heimsuchung der Welt begonnen hat, nur der, an dem das Blut und Zeichen Christi befunden wird.

Angesichts dessen, so fordert Cyprian sie auf, sollten sich die paganen Leser zu Gott bekehren (Demetr. 23), denn, so fährt er fort: Quae tunc erit fidei gloria, quae poena perfidiae, cum iudicii dies uenerit, quae laetitia creden­ tium, quae maestitia perfidorum noluisse istic prius credere et ut credant iam redire non posse. Cremabit addictos ardens semper gehenna et uiuacibus flammis uorax poena, nec erit unde habere tormenta uel requiem possint aliquando uel finem. Welche Herrlichkeit wird dann dem Glauben, welche Pein dem Unglauben zuteilwerden, wenn der Tag des Gerichtes kommt; welche Freude wird herrschen bei den Gläubigen, welche Trauer hingegen bei den Ungläubigen, dass sie seinerzeit hienieden nicht glauben wollten und nun nicht mehr zurückkehren können, um zu glauben! Verbrennen wird die Verdammten die stets lodernde Hölle und die verzehrende Pein mit ihren züngelnden Flammen, und es ist gar nicht abzusehen, wie die Qualen einmal zur Ruhe kommen oder ein Ende finden könnten. Demetr. 24

Dass die „Freude der Glaubenden“ (laetitia credentium), mit der diese auf die Bestrafung der Gottesfeinde blicken, nicht etwa eine Rachedrohung impliziert, sondern eine Aufforderung, sich diesen Glaubenden vor dem Tag des Gerichts anzuschließen,57 zeigt der weitere Gedankengang: Es folgt der abschließende Appell an die Verfolger, sich, und sei es im letzten Moment, zu bekehren (Demetr. 25) und mit den Christen zusammen die ewige Herrlichkeit zu genießen (Demetr. 26). Werfen wir vor einer Auswertung zunächst noch einen Blick auf die innerchristlich ausgerichteten Werke. Auch dort findet sich zum einen der von stoischem Denken beeinflusste Gedanke der senectus mundi wieder. So sucht Cyprian die Todesnähe des Menschen – Thema seiner Schrift De mortalitate, in der er auf die Pestepidemie der Jahre 252/254 reagiert und den Christen darob Trost zusprechen will – dadurch zu relativieren, dass ohnehin die Welt vor ihrem Ende stehe. Dies stellt Cyprian anhand verschiedener Vergleiche aus dem Alltag als die konkrete Lebenssituation des Einzelnen dar: Si in habitaculo tuo parietes uetustate nutarent, tecta desuper tremerent, domus iam fatigata, iam lassa aedificiis senectute labentibus ruinam proximam minaretur, nonne omni celeritate migrares? si nauigante te turbida et procellosa tempestas fluctibus uiolentius excitatis prae­ nuntiaret futura naufragia, nonne portum uelociter peteres? mundus ecce nutat et labitur et ruinam sui non iam senectute rerum sed fine testatur: et tu non deo gratias agis, non tibi gratularis quod exitu maturiore subtractus ruinis et naufragiis et plagis inminentibus exuaris?

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In diesem Sinne etwa Heck (1987), 157 f. und Noormann (2009), 267 f. (mit weiterer Literatur).

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Stefan Freund Wenn in deiner Wohnung die altersschwachen Wände wankten, wenn das Dach über dir zitterte, wenn das schon haltlose, schon baufällige Haus samt seinen in der Länge der Zeit verfallenden Räumen jeden Augenblick einzustürzen drohte, würdest du da nicht in aller Eile ausziehen? Wenn auf einer Seefahrt ein wildbrausender Sturm die Fluten gewaltig aufpeitschte und dir nahen Schiffbruch verkündigte, würdest du da nicht schleunigst dem Hafen zueilen? Sieh nun, die ganze Welt wankt und fällt zusammen und bezeugt ihren Einsturz nicht nur mehr durch das Alter, sondern durch das Ende aller Dinge: und du dankst nicht Gott dafür, du wünschest dir nicht Glück dazu, daß du durch einen früheren Hingang entrückt wirst und so dem bevorstehenden Einsturz und Schiffbruch und den drohenden Heimsuchungen entgehst? mortal. 25

Schließlich rühmt er in leuchtenden Farben die Freuden bei der Auferstehung: Amplectamur diem qui adsignat singulos domicilio suo, qui nos istinc ereptos et laqueis saecu­ laribus exsolutos paradiso restituit et regno. Quis non peregre constitutus properet in patriam regredi? quis non ad suos nauigare festinans uentum prosperum cupidius optet, ut uelociter caros liceat amplecti? patriam nos nostram paradisum conputamus, parentes patriarchas ha­ bere iam coepimus: quid non properamus et currimus, ut patriam nostram uidere, ut parentes salutare possimus? Mit Freuden wollen wir den Tag begrüßen, der einen jeden seiner Heimat zuweist, der uns von hinnen nimmt, der uns von den Fallstricken der Welt befreit und dafür dem Paradiese und dem Himmelreich zurückgibt. Wer würde, wenn er in der Fremde weilt, sich nicht beeilen, in die Heimat zurückzukehren? Wer würde, wenn er in schneller Fahrt zu den Seinen gelangen will, nicht besonders sehnsüchtig günstigen Wind sich wünschen, um nur ja recht bald seine Lieben umarmen zu können? Als unsere Heimat betrachten wir das Paradies, unsere Eltern haben wir in den Patriarchen zu sehen begonnen: Warum eilen und laufen wir dann nicht, um unsere Heimat sehen, um unsere Eltern begrüßen zu können? mortal. 26

Überhaupt durchzieht das Motiv des bald bevorstehenden Endes das gesamte Werk des Autors58 und erscheint durchweg, wie im gerade zitierten Text, angesichts der gegenwärtigen Bedrängnisse als etwas Ersehnenswertes, worum es auch zu beten gilt.59 Und in der Schrift De bono patientiae (21–24) fordert Cyprian dazu auf, auch in größter Not und Verfolgung den Tag des Weltendes und damit des Gerichts geduldig zu erwarten. Das Ergebnis ist aufschlussreich: Eschatologische Themen erscheinen in den apologetischen und in den innerchristlichen Werken in einem recht ähnlichen argumentativen Kontext: Diärtige Bedrohung und das nahe Ende, das Bild vom Altern der Welt, das aus dem gegenwärtigen Verfall auf den nahen Untergang schließen 58

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So spricht Cyprian öfter über die baldige Ankunft des Antichrist (epist. 58,7; 61,2; 67,7), aber auch Christi (epist. 57.3; unit. eccl. 27). Bedenkenswert ist eine Beobachtung von Atzberger (1896), 543: Aus Fort. 2 (sex milia annorum iam paene conplentur, ex quo hominem diabolus inpugnat) ergibt sich ein Weltalter von annähernd 6000 Jahren. Wäre dies zu verbinden mit einer chiliastischen Heptaemerontypologie, wäre ein baldiges Weltende auch chronologisch fixiert. Doch bleibt sehr fraglich, ob Cyprian (etwa Fort. 11 primi in dispositione diuina sep­ tem dies annorum septem milia continentes) entsprechend konkret millenaristisch denkt, vgl. Schwarte (1966), 161 f.; Gallicet (1983), 82–84; Noormann (2009), 165 Anm. 59. Vgl. etwa domin. orat. 13. 19 petimus regnum Dei uelociter aduenire; mortal. 18.

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lässt, die Wiederkunft Christi und das Gericht, das den Menschen zur Entscheidung zwingt, schließlich die Aussicht auf das ewige Heil als Hoffnungsperspektive – all dies wird zwar nirgends systematisch entfaltet, klingt aber stets und gleichermaßen in den innerchristlichen Schriften wie in Ad Demetrianum an. Ausgangspunkt von Cyprians Reflexionen ist oft das – in der Forschung viel diskutierte – allgemeine Empfinden, in einer Epoche des Verfalls zu leben.60 In seinen weiteren Ausführungen dazu verzichtet Cyprian bemerkenswerterweise darauf, die Analogie zu paganen Deszendenzmodellen ausdrücklich herzustellen – eine solche klingt nur in der Sache, also in der Verwendung der senectus mundi-Metaphorik an. Er sucht also sehr wohl die Gemeinsamkeit in der lebensweltlichen Erfahrung eines Niedergangs, nicht aber in den Erklärungsmodellen. Vielmehr, und darin liegt seine Eigenheit, schließt der Bischof von Karthago, wie der Schlussteil (21–26) von Ad Demetrianum vor Augen führt, alle sozusagen in seine pastorale Sorge ein: In seiner Paränese, die als Grundhaltung sein ganzes literarisches Schaffen prägt,61 macht er sich anheischig, den christlichen Zugang zum Heil zu vermitteln: Auch den Nichtchristen und den Verfolgern naht, so der Gedankengang, unweigerlich das Ende und das Gericht, in dem ihnen Verderben oder ewige Seligkeit zugesprochen wird.62 Mit anderen Worten, statt die christliche Eschatologie gegenüber einem paganen Publikum abgemildert darzustellen, schließt er die nichtchristliche Leserschaft ausdrücklich in ein umfassendes, als unumgänglich dargestelltes Welt- und Heilskonzept mit ein. Das gelingt, weil der Zugang letztlich ein durch und durch individualeschatologischer ist:63 Cyprian weist dem Einzelnen in gleichsam pastoraler Sorge den Weg zum Heil angesichts einer nahenden Endzeit; politische Rücksichtnahmen, wie sie es bei Tertullian gibt, fehlen. Ein Blick auf Cyprians römischen Zeitgenossen Novatian legt übrigens den Schluss nahe, dass die eschatologische Ausrichtung des Karthagers nicht unbedingt und nicht überall Gemeingut sein muss: Während Novatian nämlich ansonsten seine (innerchristliche) Schrift De spectaculis an Tertullians gleichnamiges Werk anlehnt, weicht er just am Ende davon ab: Das wahre Schauspiel für den Christen, 60 Für die in der historischen Forschung lebhaft diskutierte Frage, inwiefern das dritte Jahrhundert als Krisenepoche anzusehen sei (Forschungsberichte: Gerhardt [2008]; Schulz [2008]), hat man immer wieder auf Cyprians Schriften, insbesondere auf De mortalitate und Ad Demetri­ anum Bezug genommen: Alföldy (1973) zieht sie als Zeugnisse eines allgemeinen Krisenbewusstseins heran, dem widerspricht Strobel (1993), 146–184; auch Fitschen (1997), Schuler (1999) und Christol (2006) führen das Motiv der Endzeitnähe bei Cyprian in erster Linie auf christlich-eschatologische Vorstellungen zurück. 61 Diese paränetische Ausrichtung in Cyprians Werk hat jüngst Noormann (2009), v. a. 343–366 überzeugend herausgestellt. 62 Zu Recht hat man darauf verwiesen, dass Cyprian insbesondere in De mortalitate Mustern paganer, namentlich stoischer Konsolationstopik folgt (in jüngerer Zeit etwa Scourfield [1996], 20–31; Noormann [2009], 261. 264). Für uns ist bemerkenswert, dass der Autor diese Konvergenzen in apologetischem Zusammenhang, also insbesondere in Ad Demetrianum, nicht ausdrücklich hervorhebt. 63 Das gilt auch (und noch deutlicher) für die apologetisch-protreptische Schrift Ad Donatum, in der das individuelle Seelenheil im Mittelpunkt steht, letztlich auch vor einem eschatologisch geprägten Hintergrund (vgl. Noormann [2009], 98 f.; Brent [2010], 97–99).

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das Novatian den paganen gegenüberstellt, ist die Schönheit der Schöpfung – nicht etwa das Endzeitspectaculum, wie bei seinem Vorbild Tertullian.64 2.5 Arnobius65 Die sieben Bücher Adversus gentes des nordafrikanischen Rhetors Arnobius, entstanden wohl zwischen 303 und 305, sind eine Apologie ganz eigener Art: Nur im ersten Buch setzt sich der Verfasser mit Vorwürfen gegen die Christen auseinander; nach einer Abhandlung zur Seelenlehre im zweiten Buch widmet sich Arnobius vor allem der Polemik gegen pagane Gottesvorstellungen und Kulte. Das Ende der Welt kommt dabei kaum in den Blick: Auch bei der Antwort auf den Vorwurf, die Christen seien durch ihre Gottlosigkeit schuld an den Übeln der Welt – hier hatte ja Cyprian seine Argumentation über das nahe Ende entfaltet –, verliert Arnobius kein Wort über deren bevorstehenden Untergang.66 Gleichermaßen wird die Wiederkunft Christi zum Gericht nur leise angedeutet.67 Diese Zurückhaltung bei einem ansonsten so offensiv romfeindlichen68 Autor mag verwundern – zumal wenn man die von Tertullian aufgezeigten polemischen Möglichkeiten des Stoffes erwägt. Sollte Arnobius, der die Übel der Welt mechanistisch erklärt und den paganen Lesern ihre unvernünftigen Gottesvorstellungen vorhält, die Eschatologie ob ihrer irrational anmutenden apokalyptischen Komponente bewusst vermieden haben? 64 Diese Abgrenzung wird noch deutlicher dadurch, dass Novatian (spect. 10,3 Quam hoc deco­ rum spectaculum, fratres, quam iocundum, quam necessarium, intueri semper spem suam et oculos aperire ad salutem suam!) das am Schluss stehende wahre spectaculum in ähnlichem Ton kommentiert wie Tertullian (spect. 30,3 Quae tunc spectaculi latitudo! quid admirer? quid rideam? Ubi gaudeam, ubi exultem, spectans […]), vgl. Saggioro (2001), 106 f. 65 Commodian und Victorinus von Pettau, die chronologisch betrachtet noch vor Arnobius liegen, können wir hier beiseite lassen: Der erste christliche lateinische Dichter Commodian ergeht sich in seinem Carmen apologeticum in ausführlichen Endzeitschilderungen; sein Tun und Wollen sind so besonders, dass hier lediglich auf den Beitrag von Christoph Schubert (in diesem Band) verwiesen werden kann. Von Victorinus von Pettau, der wohl in der Zeit der Diokletianischen Verfolgung (ab 303) lebte, ist ein Kommentar zur Johannesoffenbarung erhalten. Für unseren Zusammenhang bemerkenswert ist die lapidare Kürze, in der Victorinus (in apoc. 8,2 und 13,2) den Bezug apokalyptischer Aussagen auf den Untergang Roms deutet: id est ciuitas Romana. 66 Der Unterschied zu Cyprian lässt sich an einem Beispiel konkretisieren: In philosophischen Weltbildern, so argumentiert Arnobius, könne das (vermeintlich) Schlechte durchaus sinnvoller Bestandteil sein, so etwa bei Platon (1,8,7): Plato ille sublimis apex philosophorum et columen saeua illa diluuia et conflagrationes mundi purgationem terrarum suis esse in commentariis prodidit, nec uir prudens extimuit humani generis subuersionem cladem ruinas interitus funera rerum innouationem uocare, et iuuentutem his quandam redintegratis uiribus comparari. Die biomorphe Metaphorik von den Lebensaltern kommt hier zwar vor, und, wie bei Cyprian, in der Widerlegung des Vorwurfs, die Christen und ihre Abkehr von den alten Göttern sei schuld an den gegenwärtigen Katastrophen. Doch schreibt Arnobius sie allein Platon zu und verwendet sie (als iuuentus) nur für die mit christlichen Geschichtskonzeptionen unvereinbare Erneuerung des Kosmos. 67 Vgl. das bei Amata (1985), 52 f. zusammengestellte Material. 68 Vgl. die Belege bei Wlosok (1989), 144.

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2.6 Laktanz Laktanz schließlich, Landsmann und Schüler des Arnobius, verfasst zwischen 303 und 311 eine apologetische Einführung in das Christentum, sieben Bücher Divinae institutiones. Deren letztes befasst sich systematisch mit der christlichen Lehre von der Endzeit.69 Zunächst legt der Verfasser die Funktion der Eschatologie im Heilsplan Gottes (inst. 7,1–7) und die Unsterblichkeit der Seele (8–13) dar. Dann folgt eine detaillierte Schilderung der Endzeitabläufe (14–26). Hinführend steckt er den chiliastischen Rahmen ab und erläutert ihn für pagane Leser (14): Bis zum tausendjährigen Gottesreich, dass dem Sabbat in der Schöpfungswoche entspricht, müssten 6000 Jahre der Weltgeschichte vergehen. Die bevorstehenden Endzeitkatastrophen, so erläutert Laktanz sodann, hätten die Funktion der ägyptischen Plagen und sollten der Befreiung des Gottesvolkes dienen (15,1–6). Inwiefern sie dies tun, wird aus der Darstellung nicht klar; die Parallele liegt wohl eher im gottgesandten Unheil, das über die Unterdrücker seines Volkes kommt. Nun jedenfalls heißt es (15,7–11): Propinquante igitur huius saeculi termino humanarum rerum statum commutari necesse est et in deterius nequitia inualescente prolabi, ut iam nostra haec tempora, quibus iniquitas et malitia usque ad summum gradum creuit, in illius tamen insanabilis mali comparatione felicia et prope aurea possint iudicari. (8) ita enim iustitia rarescet, ita impietas et auaritia et cupi­ ditas et libido crebrescet, ut si qui forte tum fuerint boni, praedae sint sceleratis ac diuexentur undique ab iniustis, soli autem mali opulenti sint, boni uero in omnibus contumeliis atque in egestate iactentur. confundetur omne ius et leges interibunt. (9) nihil quisquam tunc habebit nisi aut quaesitum aut defensum manu, audacia et uis omnia possidebunt. non fides in homi­ nibus, non pax, non humanitas, non pudor, non ueritas erit atque ita neque securitas neque regimen neque requies a malis ulla. (10) omnis enim terra tumultuabitur, frement ubique bella, omnes gentes in armis erunt et se inuicem oppugnabunt, ciuitates inter se finitimae proeli­ abuntur et prima omnium Aegyptus stultarum superstitionum luet poenas et sanguine uelut flumine operietur. (11) tum peragrabit gladius orbem metens omnia et tamquam messem cuncta prosternens. cuius uastitatis et confusionis haec erit causa, quod Romanum nomen, quo nunc regitur orbis – horret animus dicere, sed dicam, quia futurum est – tolletur e terra et imperium in Asiam reuertetur ac rursus oriens dominabitur atque occidens seruiet. Weil sich also das Ende dieses Zeitalters nähert, muss sich zwangsläufig die Lage der Menschheit verändern und durch das Anwachsen der Bosheit zum Schlechteren abgleiten, so dass sogar diese unsere Zeiten, in denen Ungerechtigkeit und Bösartigkeit zum höchsten Grad angewachsen sind, im Vergleich mit jenem heillosen Bösen dennoch als glücklich und beinahe golden betrachtet werden können. (8) Denn so selten wird die Gerechtigkeit werden, so häufig die Frevelhaftigkeit, Habsucht, Begierde und Triebhaftigkeit, dass die Guten, wenn es dann überhaupt noch welche geben sollte, den Verbrechern zum Opfer fallen und von allen Seiten von den Ungerechten gequält werden, nur die Schlechten hingegen wohlhabend sind, die Guten aber in jede Art von Schmach und Armut fallen. Jedes Recht wird auf den Kopf gestellt werden, und die Gesetze werden untergehen. (9) Niemand wird dann irgendetwas haben außer dem, was man sich mit der Hand verschafft oder verteidigt hat, Frechheit und Gewalt werden alles besitzen. Es wird keine Verlässlichkeit unter den Menschen geben, keinen Frieden, keine Menschlichkeit, keinen Anstand, keine Wahrhaftigkeit und so weder Sicherheit noch Lenkung 69 Dazu Fábrega (1974); Freund (2009); Dochhorn (2011). Die folgende Darstellung kann sich daher auf die für unseren Zusammenhang wesentlichen Fragen beschränken.

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Stefan Freund noch irgendeine Ruhe von den Übeln. (10) Denn die ganze Erde wird in Aufruhr geraten, überall wird Kriegslärm dröhnen. Alle Völker werden unter Waffen sein und einander angreifen, benachbarte Städte werden einander bekämpfen, und als erstes von allen wird Ägypten die Strafe für den dummen Aberglauben erleiden und vom Blut wie von einer Flut bedeckt werden. (11) Dann wird das Schwert die Erde durchwandern und dabei alles abmähen und alles wie eine Mahd niederstrecken. Der Grund dieser Verwüstung und Verwirrung wird sein, dass das Römertum, von dem jetzt die Welt beherrscht wird, –mein Sinn schaudert, es auszusprechen, aber ich will es sagen, weil es so sein wird – von der Erde beseitigt werden und die Herrschaft nach Asien zurückkehren und wieder der Osten herrschen und der Westen dienen wird.70 Lact. inst. 7,15,7–11

Hier hält Laktanz inne und schiebt eine Reihe von Begründungen nach, warum Rom fallen muss (15,11–19): Rom müsse untergehen erstens wie jedes Werk von Menschenhand, zweitens da auch die früheren Weltreiche untergangen seien, und drittens, da man Roms Geschichte treffend mit dem Leben eines Menschen verglichen habe und dies eben mit dem Tod ende.71 Dies unterstreicht Laktanz noch mit Zeugnissen aus der Orakelliteratur. Damit sind gewissermaßen die Präliminarien abgeschlossen und der Autor beginnt seine detaillierte Schilderung der Endzeitereignisse, in der er gleichsam die Perspektive eines Historikers einnimmt: Die Herrschaft wird geteilt, dadurch zerfällt das Imperium und es kann sich ein furchtbarer Tyrann aus dem Norden etablieren (16,1–4). Naturkatastrophen und Veränderungen im Lauf der Gestirne führen zu Massensterben und völliger Verzweiflung (16,5–14). Der Antichrist tritt auf und verfolgt die verbliebenen Gottestreuen (17,1–9). Endlich kommt es zur Wiederkunft Christi, der den Antichrist besiegt (17,10 f. und 19,1–7) und sein 1000-jähriges Friedensreich auf Erden errichtet (19,8 f.; 24). Dieses setzt Laktanz mit den poetischen Vorstellungen von einer Goldenen Zeit gleich. Dann schiebt er einige grundsätzliche Bemerkungen zu seinen eschatologischen Ausführungen ein: Diese fußten auf den biblischen Texten (25,1 f.); das Datum des Weltendes könne unterschiedlich berechnet werden, jedenfalls liege es nicht ferner als 200 Jahre (25,3–6). Da aber offensichtlich auch für den Verfasser (oder jongliert er hier in typisch apokalyptischer Weise mit rätselhaften uaticinia ex euentu?) nicht ganz klar ist, wie lange vor der Wiederkunft Christi die katastrophalen Endzeitereignisse beginnen, ist mit dem Beginn der Verfallserscheinungen auch jetzt schon zu rechnen. Einziges verlässliches Indiz jedenfalls sei das Ende Roms (25,7–9). Damit wird der Bestand der Stadt Rom Gegenstand vorläufiger Hoffnung auf einen Aufschub der Katastrophe:72 Etiam res ipsa declarat lapsum ruinamque rerum breui fore, nisi quod incolumi urbe Roma nihil istius uidetur esse metuendum. (7) At uero cum caput illut orbis occiderit et ῥύμη esse coeperit, quod Sibyllae fore aiunt, quis dubitet uenisse iam finem rebus humanis orbique ter­ rarum? (8) Illa, illa est ciuitas quae adhuc sustentat omnia, precandusque nobis et adorandus est deus caeli, si tamen statuta eius et placita differri possunt, ne citius quam putamus tyrannus

70 71 72

Übersetzung nach Freund (2009). Vgl. Freund (2009), 420 f. Zur Stelle die vorzügliche Interpretation von Nicholson (1999).

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ille abominabilis ueniat, qui tantum facinus moliatur ac lumen illud effodiat, cuius interitu mundus ipse lapsurus est. Auch die Sachlage selbst verdeutlicht, dass sich der Zusammenbruch und Untergang der Welt bald ereignen wird, mit der Einschränkung, dass anscheinend nichts davon zu befürchten ist, solange die Stadt Rom noch unversehrt ist. (7) Jedoch, wenn jene Hauptstadt der Welt gefallen ist und eine ‚Ruine‘ zu sein begonnen hat, was nach den Aussagen der Sibyllen geschehen wird, wer wird dann wohl bezweifeln, dass nun das Ende über die ganze Menschheit und die ganze Welt gekommen ist. (8) Das, das ist die Stadt, die noch immer alles aufrecht erhält, und wir müssen den Gott des Himmels bitten und zu ihm beten, sofern seine Festsetzungen und Beschlüsse überhaupt aufgeschoben werden können, dass nicht schneller, als wir glauben, jener verabscheuenswerte Tyrann komme, der eine so gewaltige Untat ins Werk setzt und jenes Augenlicht aussticht, durch dessen Untergang die Welt selbst zusammenstürzen wird. inst. 7,25,6–8

Eher knapp schildert Laktanz die endgültige Verwandlung der Welt – den Sieg Christi über den nochmals befreiten Antichrist, die Vollendung des Kosmos und, darauf liegt der größte Nachdruck, die ewige Bestrafung der Gottesfeinde (26). Mit dem Blick auf diese schließt die Darstellung der Endzeitereignisse: Sed et dominus illorum cum ministris suis conprehendetur ad poenamque damnabitur, cum quo pariter omnis turba impiorum pro suis facinoribus in conspectu angelorum atque iustorum perpetuo igni cremabitur in aeternum. Aber auch deren Herr wird zusammen mit seinen Dienern ergriffen und zu einer Strafe verurteilt werden, mit ihm zusammen wird die ganze Schar der Gottlosen zur Strafe für ihre Schandtaten vor den Augen der Engel und der Gerechten auf ewig vom immer währenden Feuer verbrannt werden. inst. 7,26,7

Diese Darstellung, die ausführlichste des Weltendes in der frühen christlichen Latinität, schillert geradezu in ihrem Facettenreichtum. Manche Besonderheit erklärt sich aus dem Bestreben des Laktanz, unterschiedliche, zum Teil einander widersprechende Traditionen harmonisierend zusammenzuführen:73 Seine Absicht ist ganz offensichtlich, einerseits die ganze Palette eschatologischen Denkens zu berücksichtigen, andererseits den Eindruck eines geschlossenen Ganzen zu bieten. Denn in seinem Gesamtwerk bietet Laktanz einen heilsgeschichtlichen Gesamtentwurf, der die gesamte Weltgeschichte von der Schöpfung bis zur Vollendung abdeckt.74 Umso bemerkenswerter erscheint sein Spagat zwischen Romtreue und eschatologischem Triumphalismus: Das Ende Roms führt er, gemäß dem rhetorischen Regelwerk für unangenehme Wahrheiten,75 ein als etwas, das er selbst ungern verkün73 74

75

Dazu im Einzelnen Freund (2010). Nach dem allgemein apologetischen ersten Buch beginnt Laktanz im zweiten mit der Erschaffung der Welt und dem Beginn des menschlichen Irregehens, das dann im dritten weiter verfolgt wird. Im vierten Buch geht es um die Menschwerdung Christi, im fünften und sechsten um deren Konsequenzen für die Gegenwart, im siebten schließlich um die Vollendung der Geschichte; zur Komposition des Werks Ingremeau (1993). Siehe oben Anm. 2.

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det (inst. 7,15,11 horret animus dicere), und er begründet es sogleich ausführlich durch eine logische Argumentation und durch Autoritätsbelege (inst. 7,15,12–19). Ja, Rom kommt sogar die Funktion zu, die Endereignisse, die bei ihm eher als Gegenstand der Furcht denn der Hoffnung erscheinen, noch hinauszuzögern (inst. 7,25,8 illa, illa est ciuitas quae adhuc sustentat omnia). Andererseits setzt Laktanz an den Schluss das Bild der Gerechten, deren himmlische Seligkeit, so scheint es, nicht zuletzt darin besteht, die ewige Bestrafung der Gottesfeinde mitansehen zu dürfen (inst. 7,26,7). Man meint, hinter aller rhetorisch-theologischen Bemühung zutiefst menschliche Empfindungen hindurchschimmern zu sehen, die Angst vor dem apokalyptischen Chaos und das Bedürfnis, die Verfolger bestraft zu wissen. 3. DIE MULTIVALENZ DES ENDES Das baldige Ende ist, zunächst einmal quantitativ betrachtet, durchaus unterschiedlich gegenwärtig: Bei manchen Autoren ist die eschatologische Ausrichtung geradezu Grundtenor ihres Schreibens, bei anderen kommt sie nur ganz punktuell zutage. Das kann schwerlich an den Zeitumständen liegen: Cyprian und Novatian, Laktanz und Arnobius sind jeweils Zeitgenossen und haben unter Verfolgungen zu leiden, dennoch fällt die Präsenz des Eschatologischen sehr unterschiedlich aus. Die Bedeutung des Themas und damit die Dringlichkeit der Endzeitpropädeutik wird also von den Autoren verschieden eingeschätzt. Bemerkenswert erscheint aber vor allem der Facettenreichtum, mit dem das Ende betrachtet wird. Das fällt zunächst bei der durchaus ambivalenten Wertung auf: Im Blick auf das Ende können einerseits der Sieg der christlichen Sache, ihr endgültiger Wahrheitserweis und die Bestrafung der Gottesfeinde (und somit der Verfolger) tröstlich, ja triumphierend vorweggenommen werden. Andererseits ist das Ende mit furchtbaren Katastrophen verbunden, so dass man gar um seinen Aufschub bitten sollte, um sie nicht erleben zu müssen. Gerade bei Tertullian und Laktanz fällt dieses Nebeneinander der Sichtweisen besonders in Auge; bei Ersterem hängt der Blickwinkel offensichtlich auch vom Publikum (heidnisch oder christlich) ab, aber eine gewisse Subjektivität und innere Zwiegespaltenheit angesichts der Botschaft vom Ende wird man bei beiden Autoren nicht von der Hand weisen können. Im apologetischen Kontext lassen sich unterschiedliche Strategien beobachten: Tertullian nimmt die Endzeitaussagen zurück, Minucius Felix und letztlich auch Cyprian knüpfen an stoische Vorstellungen an, Laktanz bemüht sich um eine umfassende Begründung und Erläuterung. Überhaupt liegt es den Autoren – abgesehen von Commodian, der mit seiner Randstellung aber eher die Tendenz bestätigt – fern, gegenüber einem nichtchristlichen Publikum in apokalyptischen Bildern zu schwelgen. Zwar klingt – typisch für apokalyptische Texte – durchweg an, dass gegenwärtige Krisenzeiten möglicherweise schon die Vorboten der Endzeitkatastrophen seien, aber – und dies entspricht wiederum apokalyptischer Tradition76 – eine 76

Mk 13,32; Mt 25,13 usw.

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exakte Einordnung der Gegenwart in den Endzeitablauf wird vermieden: Der Leser soll das Ende dräuen fühlen, ohne dass sich der Autor auf ein Datum festlegen lassen muss. Dabei knüpfen die Christen offensichtlich an eine mentalitätsgeschichtliche Grundtendenz des krisengeschüttelten dritten Jahrhunderts an, die sich für uns aber nur schwer fassen lässt. Darüber hinaus bleiben die Endzeitdarstellungen in apologetischem Kontext zunächst knapp – man weicht auf Unanstößiges aus: Tertullian auf das Gebet für den Aufschub, Minucius Felix auf den Weltenbrand, Cyprian auf die senectus mun­ di, Arnobius meidet den ganzen Themenbereich. Erst Laktanz entwirft ein umfassendes und detailreiches Szenario, das sich aber gerade eben in seiner Konkretheit und Geschlossenheit von der Verrätselung der Apokalyptik distanziert. Eines wollen die untersuchten Autoren bei aller Treue zur disparaten apokalyptischen Tradition offensichtlich vor ihrem römischen Publikum nicht sein: wirre Endzeitpropheten. LITERATUR Alföldy, G., Der Heilige Cyprian und die Krise des römischen Reiches, Historia 22, 1973, 479–501. Amat, J., Passion de Perpétue et de Félicité suivi des Acts. Introduction, texte critique, traduction, commentaire et index, Paris 1996. Amata, B., Destino finale dell’uomo nell’opera di Arnobio di Sicca (III–IV sec. d. C.), in: S. Felici (Hg.), Morte e immortalità nella catechesi dei Padri del III – IV secolo, Roma 1985, 47–62. Atzberger, L., Die Geschichte der christlichen Eschatologie innerhalb der vornicänischen Zeit, Freiburg 1896. Baertschi, A. M. – Fögen, T., Zauberinnen und Hexen in der antiken Literatur, Gymnasium 113 (2006) 223–251. Behler, E., Art. Ewigkeit der Welt, HWPh 2, 1972, 844–848. Bendlin, A., Vom Nutzen und Nachteil der Mantik. Orakel im Medium von Handlung und Literatur in der Zeit der Zweiten Sophistik, in: D. Elm von der Osten – J. Rüpke – K. Waldner (Hgg.), Texte als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich, Stuttgart 2006, 159–207. Benko, S., Pagan Rome and the early Christians, Bloomington 1986. Berruto, A. M., Millenarismo e montanismo, AnnSE 15, 1998, 85–100. Bremmer, J. N. – Formisano, M., Pepetua’s passions. A brief introduction, in: dies. (Hgg.), Perpetua’s passions. Multidisciplinary approaches to the Passio Perpetuae et Felicitatis, Oxford 2012, 1–13. Brent, A., Cyprian and Roman Carthage, Cambridge 2010. Busine, A., Paroles d’Apollon. Pratiques et traditions oraculaires dans l’Antiquité tardive (IIe – VIe siècles), Leiden u. a. 2005. Cancik, H., Die Rechtfertigung Gottes durch den „Fortschritt der Zeiten“. Zur Differenz jüdischchristlicher und hellenistisch-römischer Zeit- und Geschichtsvorstellungen, in: Die Zeit. Schriften der Carl Friedrich von Siemens-Stiftung 6, München 19892, 257–288. Cancik, H., The end of the world, of history, and of the individual in Greek and Roman antiquity, in: J. J. Collins (Hg.), The Encyclopedia of Apocalypticism. Volume 1: The origins of Apocalypticism in Judaism and Christianity, New York u. a. 1998, 84–125. Christol, M., Cyprien de Carthage et la crise de l’Empire romain, in: M.-H. Quet (Hg.), La ‚crise‘ de l’Empire romain de Marc Aurèle à Constantin. Mutations, continuités, ruptures, Paris 2006, 455–480. Cook, J. G., Roman Attitudes toward the Christians. From Claudius to Hadrian, Tübingen 2010.

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APOKALYPSE AUF RÖMISCH? Inkulturation und Exotismus christlich-jüdischer Endzeitvorstellungen bei Commodian Christoph Schubert So randständig, ja nahezu erratisch innerhalb der lateinischen Literatur Commodians Œuvre erscheint, auch wenn es sich bei näherem Hinsehen überraschend gut in den Diskurs seiner Zeit, die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr., einfügt, hat es doch fraglos viel zum Thema Zeitenwende und vor allem Zeitenende zu sagen. Es kann hier stellvertretend für eine gewissermaßen ungezähmte christliche Apokalyptik stehen, die von der Offenbarung des Johannes her wesentliche Impulse erhalten hat. Ausgehend von knappen Hinweisen zum Inhalt der beiden erhaltenen Werke Commodians, den Instructiones und dem Carmen apologeticum, und ihren wichtigsten formalen und inhaltlichen Besonderheiten, sollen die Arten von Zeit, die Commodian kennt, und die Rolle, die sie in seinem Werk spielen, vorgestellt werden. In einem weiteren Schritt erfolgt der Versuch, die Besonderheiten des Dichters und seine Zeitvorstellungen im Hinblick auf die intendierte Leserschaft in ein literarisches Gesamtkonzept einzuordnen. Dieses soll abschließend wenigstens ansatzweise in die umgebende Literatur und den zeitgenössischen Diskurs eingezeichnet werden. 1 Es gehört zu den kleinen Ritualen der Commodianforschung, jeden Beitrag damit zu beginnen, wie rätselhaft diese Gestalt und ihr Werk doch seien.1 Dabei steht vergleichsweise viel fest. Wir haben einen sicheren Verfassernamen, Commodianus, den die letzte Akrostichis der Instructiones (2,35) nennt. Sicher und unumstritten ist die Zuschreibung nicht nur der Instructiones, sondern auch des anonym und titellos überlieferten Carmen apologeticum2 als zweites Werk an Commodian. Beide Texte sind im Großen und Ganzen vollständig überliefert. Die kleinen Lü1

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Einen konzisen Forschungsüberblick gibt Heck (1997a), vgl. daneben kürzer Heck (1997b), Smolak (1997) und Döpp (1999). Zu den Einleitungsfragen ist außerdem auf die Vorworte bei Salvatore (1977), 5–39, Poinsotte (2009), IX–LX und Salvadore (2011), 9–66 sowie auf Salvatore (1974) hinzuweisen. Über das Commodian-Bild in der älteren Forschung orientiert daneben gut Baldwin (1989), 331–339. Diese etwas unglückliche traditionelle Bezeichnung ist im Folgenden nicht als rekonstruierter Titel, sondern als Titelplatzhalter verwendet. Zur Titelfrage vgl. Heck (1997a), 632 und Fredouille (1997), 390–395, der selbst für Vorfestlegungen vermeidendes bloßes ‚Carmen‘ plädiert. Als im weiteren Sinne apologetischen Text mit protreptischen, paränetischen und didak-

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cken am Ende des Carmen apologeticum erschweren das Gesamtverständnis nicht entscheidend, die textkritischen Probleme sind nicht wesentlich größer als überall, wo wie hier nur jeweils ein codex unicus die Basis der Überlieferung bildet.3 Sogar die Buchgliederung der Instructiones ist einvernehmlich geklärt, wonach die ersten vier Teilgedichte des zweiten Buches in der Handschrift tatsächlich ans Ende des ersten Buches gehören. Schließlich ist auch die Datierung klarer als bei vielen anderen antiken Werken, selbst wenn Poinsotte in seiner neuen Ausgabe der Instruc­ tiones merkwürdig verhalten formuliert und den Zeitraum auf das halbe Jahrhundert zwischen Cyprian und dem Ende der Christenverfolgungen durch Konstantin öffnen will.4 Alle Indizien sprechen dafür, an den Anfang dieser Spanne zu gehen und die Entstehung beider Werke in den 250er und 260er Jahren anzusetzen. Für das Carmen apologeticum wird dies noch zu präzisieren sein. Die Instructiones, eine Sammlung von insgesamt 80 kürzeren Gedichten in zwei Büchern, wenden sich im ersten Buch an noch nicht zum Christentum Bekehrte und entwickeln Themen, die aus der frühchristlichen Apologetik vertraut sind. Sie beginnen mit einem persönlichen Vorspruch des Dichters, der von seiner eigenen Bekehrung berichtet und daraus den Antrieb nimmt, seine noch im Irrtum des Heidentums befangenen Mitmenschen aufzuklären und zum Glauben und Heil zu führen.5 Ausgehend vom ersten Gebot steht das Prinzip des Monotheismus in einem ersten großen Block im Zentrum der Unterweisung, die den Polytheismus und in einem Exkurs auch den Sternenglauben attackiert. Von den zentralen olympischen Göttern schreitet Commodian dabei zu den Mysterienreligionen und den häuslichen Kulten. Eine zweite Serie von Gedichten drängt diejenigen, die dem Christentum gegenüber aufgeschlossen sind, zur Entscheidung. Das ewige Leben wird nur der erhalten, der Christ wird und jetzt bereits entschieden so lebt. Wesentlich ist dafür die Absage an den Polytheismus, der Glaube an das Kreuz Christi und eine ethisch richtige Lebensführung. Es folgt die scharfe Abgrenzung vom

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tischen Zügen und zusätzlichem Einfluss weiterer Gattungen wie der Apokalyptik beschreibt Bacci (2006a), 574 das Carmen apologeticum. Im folgenden wird der Text der Instructiones nach der Ausgabe von Poinsotte (2009), der des Carmen apologeticum nach der Ausgabe von Martin (1960) zitiert, welcher die Edition von Salvatore (1977) nicht nachsteht. Abweichungen sind jeweils vermerkt. Vgl. Poinsotte (2009), XIVf. Den letzten Vorstoß, Commodian unter Berufung auf den Eintrag bei Gennadius und die Sphragis (mendicus Christi) wieder ganz spät zu datieren, hat Salvadore (2011), 209–220 unternommen. Dagegen behalten die zugunsten des 3. Jahrhunderts zusammengetragenen Argumente ihr Gewicht, vgl. besonders Sirago (1961), Gagé (1961a) und Gagé (1961b), Sordi (1963), Baldwin (1989) 337–339, Poinsotte (1996) und mit einem Überblick über die wichtigsten Argumente Badilita (2005), 303–305. Der vielbeachtete Versuch von Courcelle (1946), für carm. apol. 805–816 Orosius und Salvian als Vorbilder wahrscheinlich zu machen, mit dem Prete (1966), 53 f. sympathisiert, kann als widerlegt gelten. Eine Lokalisierung des Dichters wage ich nicht; die komplizierte These verschiedener Lebensstationen bei Poinsotte (1996) leidet an zu vielen Unwägbarkeiten, ebenso die Argumentation von Sordi – Ramelli (2004) für eine stadtrömische Verortung; einen Überblick über die extrem divergierenden Datierungs- und Lokalisierungsversuche gibt Poinsotte (2005). Zu diesem Grundanliegen und den dahinter stehenden soteriologischen Vorstellungen Commodians, die beide Gedichte prägen, vgl. Bacci (2006a) passim.

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Judentum und schließlich eine Gedichtserie zur Eschatologie, die Stücke 1,41–45, die den Lohn der Gerechten und die schreckliche Strafe für die Ungläubigen in kräftigen Farben ausmalt. Man wird das erste Buch der Instructiones insgesamt als apologetisch-protreptisch bezeichnen können. Die breite Absetzung vom Judentum und die prominente Rolle der timentes, also der φοβούμενοι im Umkreis der Synagoge, sprechen dafür, dass Commodian Heiden ansprechen wollte, die bereits in Berührung mit dem Gott, der Prophetie und der Ethik des Alten Testaments gekommen waren.6 Das zweite Buch der Instructiones wendet sich, von den Katechumenen angefangen, der christlichen Gemeinde selbst zu, deren einzelne Gruppen – Büßer, Renegaten, Märtyrer, Älteste, verheiratete Frauen und viele andere – Commodian bedenkt und ihnen teils sehr konkrete Ratschläge zum richtigen Verhalten erteilt, Tadel ausspricht, aber auch Lob spendet. Ein eschatologischer Ausblick schließt das Buch ab. Man wird es eine Art Gemeindespiegel nennen können, der ein christliches Lesepublikum ansprechen will.7 Als konzeptionelle Einheit beschreiben die Instructiones insgesamt den Weg in die und den Weg in der christlichen Gemeinde, sind also auf die Gegenwart und das Verhalten in ihr ausgerichtet. Vielleicht darf man als intendierte Leser – auch – Christen vermuten, die mit den Instructiones das Rüstzeug für das missionarische Gespräch mit Unbekehrten und für das seelsorgerische mit ihren Mitchristen erhalten sollten, dazu sicher einen Text, der die Selbstprüfung und Selbstvergewisserung ermöglichte.8 Commodians zweites Werk, das Carmen apologeticum, verhandelt ganz ähnliche Themen, so dass man es treffend als eine retractatio der Instructiones bezeichnet hat, setzt aber die Schwerpunkte anders und bietet einen fortlaufenden Text von insgesamt wohl 1059 Versen. Commodian geht es, wie er selbst sagt, um die Aufklärung darüber, ubi sit spes vitae ponenda (v. 58). Die Hoffnung ist die auf Gott, der als Christus den Christen den Weg zum ewigen Leben eröffnet hat. Das wird, nach einer persönlichen Einleitung (v. 1–88), emblematisch in zwei Abschnitten zum Gottesbild (v. 89–130) und zur Verheißung der Auferstehung (v. 131–148) vorangestellt. Es folgt ein im Wesentlichen chronologischer Durchgang von der Schöpfung über die Erwählung und Bestrafung Israels bis zu Christus (v. 149–248). Bei Jesus Christus verharrt Commodian und beweist mit einer Fülle an Bibelzitaten über mehrere hundert Verse hinweg, dass dieser wirklich der im Alten Testament verheißene Messias ist, ja dass niemand anderer als der Gott Abrahams am Kreuz hing (v. 249–672). Nachdem der lehrhafte Teil damit abgeschlossen ist, folgt ein nachdrücklicher Appell, sich vom Heidentum und Judentum zu befreien und voller Christ zu werden, da nur so das ewige Leben zu erreichen sei (v. 673–790). Am Ende steht das frohe Bild der Auferstehung zum Heil (v. 791–804). Wie im ersten Buch der Instructiones hat Commodian diesem noch einen eschatologischen 6 7 8

Zum Aufbau des ersten Buches und dem inneren Zusammenhang der Stücke vgl. Heck (1997a), 631 und Poinsotte (2009), XXV–XXVIII; zu den Adressaten der Instructiones vgl. Poinsotte (2009), XXIf. Zum Aufbau und Inhalt des zweiten Buches vgl. Poinsotte (2009), XXVIII–XXXII. Zumindest intendierte der Dichter, wie Poinsotte (2009), XXIVf. und XXXIIf. richtig herausstellt, die Ganzschriftlektüre.

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Block angeschlossen, der hier in etwa ein Viertel des Gesamtumfangs ausmacht und die Zeichen der Endzeit und deren Verlauf im Detail und ziemlich schrecklich beschreibt (v. 805–1060).9 Die Funktion ist aber dieselbe wie im ersten Werk, nämlich die Dringlichkeit der Bekehrung durch die unmittelbar drohenden Schrecken der letzten Tage zu verstärken. Die apokalyptische Rede will in die unmittelbare Gegenwart hinein wirken, als Impuls zur Bekehrung der Unentschiedenen und als Tröstung der Bekehrten, denen die Schrecknisse der Gegenwart, besonders die Christenverfolgungen, als Zeichen der unmittelbar bevorstehenden Herrlichkeit verständlich und dadurch erträglicher gemacht werden.10

Zum Inhalt des Carmen apologeticum (mit je anderer Gliederung des Hauptteils) vgl. Heck (1997a), 631 und Poinsotte (2009), XVIIIf. Eine detaillierte Strukturuntersuchung fehlt. Salvatore (1977) gibt durch Zwischenüberschriften folgende siebzehn Abschnitte: 1–14 La conversione del poeta; 15–58 Uomini come bestie: la lezione delle Scritture; 59–88 Il tema dell’insegnamento commodianeo; 89–130 Il mistero del Dio inattingibile; 131–148 La vita futura; 149–184 L’inganno di Satana; 185–248 Elezione e castigo d’Israele; 249–312 Il Cristo speranza delle genti; 313–368 La trappola antisatanica; 369–578 Avveramento delle profezie; 579–616 Cultura e interessi secolari; 617–672 Cristo è la stesso Dio del Vecchio Patto; 673–790 Ammonimenti ai pagani giudaizzanti; 791–804 La prima risurrezione; 805–940 L’invasione dei Goti e i due Anticristi; 941–988 Il santo popolo nascosto; 989–1059 Il giudizio del fuoco e la Parousia. Badilita (2005), 305 erkennt folgende dreizehn Abschnitte: 1–14 la conversion du poète; 15–89 la description de la Loi; exhortation à la conversion; 90–130 exposition de la doctrine: sur l’ignoscibilité de Dieu; 131–148 le seul sujet descriptible: promissa de futuro; 148–248 les subterfuges de Satan; l’apparition de la mort; 249–578 vaste anthologie de testimonia; 579–616 vanitas vanitatum; appel à la conversion; 617–672 démonstration de la divinité de Jésus par l’invocation des miracles; 673–790 polémique antijudaïque et antipaïenne; 791–804 première résurrection; 805–940 les ‚deux‘ antichrists; 941–988 le peuple caché; 989–1038 (sic!) le Jugement; la fin des temps. Salvadore (2011), 15–17 schlägt mit feiner weiterer Untergliederung folgende fünf Hauptabschnitte vor: 1–88 Proemio; 89–130 Descrizione di Dio; 131–546 Storia dell’uomo da Adamo a Cristo e affermazione che in Cristo si sono compiute le profezie veterotestamentarie; 547–804 Vicenda di Cristo; 805–1060 Apocalisse. 10 In diesem Sinne auch Potestà – Rizzi (2005), 393 und XXXVf. Den auf die Bekehrung, nicht auf eine theologische Auseinandersetzung hin gerichteten Charakter betont in seinem Überblick zu den eschatologischen Vorstellungen Commodians zu Recht Bacci (2006a), 577–582 wie schon Günther (1985), 681. Analog dazu weist Buitenwerf (2003), 363 f. für die Oracula Sibyllina darauf hin, dass die langen eschatologischen Passagen weniger die Zukunftserwartungen des Autors spiegeln als die religiöse und ethische Ermahnung forcieren sollen, wie dies in anderen jüdischen Apokalypsen ebenfalls der Fall ist, vgl. dazu den Hinweis bei Buitenwerf (2003), 364 auf Münchow (1981). Den Appellcharakter der apokalyptischen Passagen Commodians hat zu Recht Prete (1966), 54–56 betont; dieser muss aber nicht gegen eine tatsächliche brennende Naherwartung des Endes der Zeiten sprechen, wie es Prete (1966), 54 anzunehmen scheint, wenn er den Charakter der eschatologischen Vision Commodians als „‚atemporale‘, proiettata nel futuro, come nella fantasia d’un moralista, d’un riformatore ‚visionario‘“ beschreibt. Das Klima aktueller Verfolgung durch die pagane Umwelt und der Wunsch nach möglichst rascher und radikaler Veränderung ist allenthalben zu spüren, so richtig Sirago (1961), 485 f. und Günther (1985), 682. Commodians Lebensgefühl und wohl auch das seines Publikums ist beherrscht von einer als katastrophal empfundenen Gegenwart und der Hoffnung auf Erlösung und ewige Glückseligkeit, so richtig Bacci (2006a), 580–582, vgl. carm. apol. 309–312. 9

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Die Kurzcharakteristik hat bisher die Eigentümlichkeiten des Dichters ausgespart, die ihm den Ruf der Rätselhaftigkeit und des Bizarren eingetragen haben. Die wichtigsten seien genannt: – Commodians Versbau. Die Verse, die er schreibt, wirken, als sollten sie Hexameter sein, sind aber weder metrische noch rhythmische Verse, sondern Zeilen in der Länge von Hexametern, deren Wortakzente den Wortakzenten, die sich im klassischen Hexameter ergeben, nachempfunden sind.11 Wirklich Vergleichbares gibt es, auch wenn gewisse Parallelen zu Augustins Psalmus contra partem Do­ nati bestehen, in der Antike nur vereinzelt auf Inschriften. Alle Einzelgedichte der Instructiones bilden Akrosticha, die den Titel bzw. Inhalt des jeweiligen Stücks angeben, ein innerhalb der erhaltenen lateinischen Dichtung in diesem Umfang singuläres Phänomen. Die Verse des Carmen apologeticum sind einander weitgehend paarweise zugeordnet, wie man es von den Psalmen kennt, auch das in dieser Form ohne Gegenstück in der lateinischen Literatur. Am nächsten stehen noch die allerdings einzelnen Hexameterpaare der Disticha Catonis, einer von Commodian genutzten Quelle.12 – Commodians Sprache und Stil. Das vulgärlateinische Element, das so massiv sonst erst in der spätesten Antike wieder in literarischen Texten begegnet, prägt beide Gedichte nicht nur im Wortschatz, sondern auch in der Morphologie und in der Syntax, und zwar nicht nur innerhalb der Bibelzitate, sondern auch in frei formulierten Passagen. Dazu steht die Kenntnis und Benutzung der Klassiker, vor allem vergilischer Wendungen13, in einem merkwürdigen Kontrast. Sich dieses Gemisch als üblichen Jargon vorzustellen, wie es Poinsotte möchte,14 verharmlost den Befund.15 – Commodians Gedankenführung. Auch wo der Zwang zum Akrostichon nicht als Rechtfertigung verdrehter Formulierungen dienen kann, lässt sich der Gedankengang nicht immer leicht nachvollziehen. Schuld daran ist die Neigung zu gele11

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Zur Metrik vgl. richtig Heck (1997a), 633 (mit Lit.). Nicht folgen kann ich Poinsotte (2009), XLII–XLV, der sich im Wesentlichen Perret (1957) und Callebat (1966), 92 anschließt, wonach Commodian als Neuerer in metricis den Hexameter durch den Einsatz einer modernen Prosodie bewusst modernisieren wollte; Ähnliches deutet Baldwin (1989), 332 f. an. Eine umfassende Aufarbeitung und Widerlegung der zahlreichen konkurrierenden Versuche, in Commodians Verse diese oder jene metrische oder rhythmische Struktur (oft mit problematischen Auswirkungen auf die Textkonstitution) zu legen, unter denen Norberg (1988) hervorragt, ist in Vorbereitung. Vgl. dazu Opelt (1988). Zum Umfang der Vergilbenutzung vgl. nur den Index bei Martin (1960), 210, der rund 100 Zitate auflistet. Eine Übersicht über die Frequenz der übrigen Dichterreminiszenzen mit Korrekturen und Ergänzungen zu Martin bei Baldwin (1989), 340–342. Vgl. Poinsotte (2009), XLV und XLVIII. Noch weiter geht Garuti (2002), 296, der Commodian dem Sprachwandel bewusst Rechnung tragen lassen will: „[…] Commodiano […] ricorse a questo stilo […] per inserire […] i contenuti cristiani in quell’evoluzione linguistica che doveva portare al graduale passaggio dal latino alle lingue romanze“. Zur Sprache Commodians vgl. Ciceri (1913a), den Index bei Martin (1960), Hoppenbrouwers (1964), Baldwin (1989), 336 f. und 342–344 (zu Innovationen im Wortschatz) und Salvadore (2011), 49–61.

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gentlich brachial kurzen Formulierungen, die oft parataktische Fügung ohne logische Konnektoren, der Gebrauch von Kurzfragen, die empört, ironisch, rhetorisch, aber auch ernst gemeint sein können, ohne dass signalisiert würde, welcher Typus gerade vorliegt, an anderen Stellen, insbesondere im Carmen apologeticum, die Verschüttung des Argumentationsziels unter Kettenzitaten. – Commodians Gotteslehre. Der Begriff Patripassianismus ist aus der Mode gekommen, da er die Theologie, die er beschreiben sollte, tatsächlich nur unzureichend erfasst. Auf Commodian trifft er aber zu. Innerhalb des breiten und bunten Spektrums, das das 3. Jahrhundert theologisch entfaltete, steht der Dichter dezidiert auf der Seite derer, die die Einzigkeit Gottes und die Identität des Vaters mit dem Sohn so stark betonen, dass sie sich in der Trinitätstheologie dem Modalismus und in der Christologie dem Doketismus anschließen. Commodian kann die Einheit Gottes und die Göttlichkeit Christi nicht anders denken, als dass Gott nur scheinbar Mensch geworden ist.16 Aus heutiger Perspektive und schon der der altkirchlichen Konzilien ist das zweifellos heterodox, in seiner Zeit steht der Dichter damit nicht allein, ohne dass das Verhältnis zu den Entwürfen eines Noet von Smyrna, Praxeas oder Sabellius hinreichend geklärt wäre. – Commodians Eschatologie und insbesondere die Lehre von zwei Antichristen, die im Folgenden genauer betrachtet werden soll. Hierzu ist vorab eine Einschränkung zu machen. Die apokalyptischen Passagen der Instructiones, die Gedichte 41 bis 45 des 1. Buchs und das letzte des 2. Buchs, vertreten im Wesentlichen dieselbe Lehre wie das Carmen apologeticum. Umstritten ist, ob das auch im Detail gilt und ob nicht eine Entwicklung von einem Werk zum anderen, deren relative Chronologie im übrigen nicht völlig klar ist,17 stattgefunden hat. Meines Erachtens lassen Vgl. z.B. carm. apol. 631 f.: Hic erat venturus conmixto sanguine nostro, / ut videretur homo, sed Deus in carne latebat („Er [scil. der Gott Abrahams] war es, der da kommen sollte, mit unserem Blut vermischt, / dass er ein Mensch erscheine. Doch im Fleisch war Gott verborgen“) oder carm. apol. 357–364: Stultitia subiit multis, Deum talia passum, / ut enuntietur crucifixus conditor orbis. / Sic illi conplacuit, – consilium neminis usus, / nec alius poterat – taliter venire pro nobis. / Mortem adinvenit, cum esset invidus hostis, / quam ebibit Dominus passus ex infer­ no resurgens. / Idcirco nec voluit se manifestare, quid esset, / sed filium dixit se missum fuisse a patre („Zur Torheit wurde vielen, dass Gott solches litt, / dass gar verkündet wird, der Weltenschöpfer sei gekreuzigt worden. / Jenem gefiel es, der dabei keines Menschen Rat befolgte, – auch hätte es kein anderer gekonnt – so für uns zu kommen. / Es fand der Herr, denn voller Missgunst war der Feind, den Tod, / den er austrank, als er nach seinem Leiden aus der Unterwelt wieder emporstieg. / Deswegen wollte er von sich nicht offenbaren, was er sei, / sondern sagte, er sei der Sohn, der von dem Vater gesandt worden wäre“). Vgl. dazu Salvadore (2011), 37 und 210 mit Anm. 7 (mit einer Stellensammlung). Die Theologie Commodians ist erst in jüngerer Zeit wieder stärker in den Fokus der Forschung gerückt, vgl. neben Bacci (2006a), besonders 578 f. zum Monarchianismus und zur spezifischen Ausprägung der Heilsökonomie als anti-satanischem Plan Gottes, auch Bacci (2006b) zum Mysterium der Fleischwerdung Gottes bei Commodian, aus der älteren Literatur Daniélou (1978), 93–111 mit der Einordnung seiner Theologie in ein lateinisches Judenchristentum und Loi (1984). Die Problematik des theologisch wohl zu engen Begriffs ‚Doketismus‘ – dazu Brox (1984) – ist hier nicht zu diskutieren. 17 Vgl. Poinsotte (2009), XIXf., der für die Priorität des Carmen apologeticum bzw. für eine parallele Entstehung plädiert. Potestà – Rizzi (2005), 392 neigen hingegen zur Priorität der Instruc­ tiones. 16

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sich alle Äußerungen zur Endzeit bei Commodian harmonisieren.18 Dennoch sollen sich die folgenden Überlegungen auf das Carmen apologeticum beschränken, das die ausführlichere, eindeutigere und wohl auch reifere Eschatologie bietet. 2 Nicht nur die Endzeit, sondern Zeit überhaupt ist für Commodian eine wichtige Größe. Das Wort tempus kommt im Carmen apologeticum allein siebzehnmal vor, hinzu treten Begriffe wie aevum mit sieben Belegen, saeculum mit neun, substantiviertes futurum mit fünf und eine Fülle weiterer Ausdrücke für Vergangenheit und Zukunft, Zeitpunkte und Zeitspannen, die den Text durchziehen.19 Diese lassen sich um drei chronologische Bezugssysteme gruppieren: das persönliche des Sprechers und seiner Adressaten, das weltlich-historische und das christlich-biblische. Prägend für die Zeitangaben, die die Person des Sprechers betreffen, ist der Gegensatz von einst und jetzt:20 Errabam ignarus spatians spe captus inani, dum furor aetatis primae me portabat in auras. Plus eram quam palea levior; quasi centum inessent in umeris capita, sic praeceps quocumque ferebar. Non satis his rebus, criminosus denique Marsus paene fui factus herbas incantando malignas. Sed gratias Domino – nec sufficit vox mea tantum reddere – qui misero vacillanti tandem adluxit! Adgressusque fui traditor21 in codice legis, quid ibi rescirem; statim mihi lampada fulsit. 18

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Vgl. Martin (1913) mit grundlegenden Beobachtungen zur Antichristsage bei Commodian; Visser (1966) mit der bedenklichen These, in instr. 1,41 sei die ursprünglich mit dem Carmen apologeticum übereinstimmende Fassung durch einen späteren redaktionellen Eingriff bewusst verunklärt worden; Schubert (1998), 385–388, Poinsotte (1999), Poinsotte (2009), 299–311 zu instr. 1,41 (zur Frage der Zahl der Antichristoi besonders 302–304) und Badilita (2005), 319–324, der sich Poinsotte anschließt: „il existe, chez Commodien, une vision cohérente de l’eschatologie, le scénario de la fin des temps des Instructiones étant en parfait accord avec celui du Carmen“ (ebd. 322). Der These von Potestà – Rizzi (2005), XXXIII, die die historische Erfahrung, dass die Christen im Heiligen Land auch nach der Gefangennahme Valerians durch den Perserkönig Schapur I. weiter verfolgt wurden, als Auslöser für die Doppelung des Antichrists im Carmen apologeticum sehen, kann ich nicht folgen. Die komplexe Entstehung und die Ausprägungen des Antichristmythos bis ins 3. Jahrhundert erschließt mit anderem Ansatz als Badilita (2005) auch Jenks (1991) mit Berücksichtigung Commodians, vgl. besonders 34; 103–107; 114. 19 Die Zahlen nach dem Lexikon bei Martin (1960), 213–267. 20 Zu den vielen Einzelfragen dieser und der im Folgenden zitierten Passagen sei nur auf die Kommentare von Salvatore (1977) und Salvadore (2011) sowie auf Badilita (2005), 307–319 und Bacci (2006a), 569–571 verwiesen. Gutes Material liefert neben den Aufsätzen zu einzelnen Passagen immer noch Rönsch (1872/1873). 21 Gegen Martin, der hier Dombarts Konjektur traditus in den Text setzt, halte ich tradiertes tra­ ditor.

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Christoph Schubert Tunc vero agnovi deum22 summum in altis et ideo tales hortor ab errore recedant.23 Ich irrte, unwissend, stolzierte auf und ab, voll eitler Hoffnung, / da mich der frühen Jugend stürmisch Drängen in die Lüfte trug. / Noch leichter war ich als die Spreu; als ob einhundert Köpfe / auf meinen Schultern wären, gerade so stürmte ich jählings überall hin. / Mit diesen Dingen nicht genug, beinahe wäre ich am Ende durch die Zauberei / mit üblen Kräutern zum verbrecherischen Marser noch geworden. / Aber Dank sei dem Herrn – und meine Stimme reicht nicht aus, so viel / Dank abzustatten – , der mir armem Wankenden endlich den Weg erhellte. / Als Übergeber hatte ich bei einem Buche des Gesetzes den Versuch gemacht, / was ich darin verstünde. Augenblicklich leuchtete ein Licht mir auf. / Wahrlich, da anerkannte ich den höchsten Gott, der in der Höhe ist, / und daher fordere ich ebensolche auf, dass sie vom Irrtum lassen. carm. apol. 3–14

In einer nicht näher verankerten frühen Phase seines Lebens war Commodian noch kein Christ, sondern irrte.24 Diese Vergangenheit hat eine gewisse Ausdehnung und Geschichte, insofern er noch sehr jung war, aetatis primae (v. 4), und sich nach anderen Verirrungen, denique (v. 7), beinahe auch noch mit Zauberei beschäftigt hätte. Es folgte als zentraler Einschnitt des Lebens die Bekehrung, ein vergangenes Ereignis, das im geläufigen, ebenso gut paganen wie biblischen Bild der Erleuchtung gefasst wird und das in der Erkenntnis und Anerkenntnis Gottes bestand. Dem steht die Gegenwart des Dichters gegenüber, der das Licht der Erkenntnis weitergeben möchte. Sonst erfahren wir hier und andernorts im Carmen apologeticum über sein aktuelles Leben nichts. Es scheint ein guter, unangefochtener und ruhiger Zustand zu sein, der auf die Bekehrung folgte, in dem es keine mitteilungswerte Entwicklung gibt. Nicht einmal das Ende des diesseitigen Lebens wird daran viel ändern, da die ewige Seligkeit winkt. Als bekehrter Christ steht Commodian im Carmen apologeticum anders als in den Instructiones allein. Es gibt keinen werbenden Hinweis auf eine Gruppe von christlichen Vorbildern, es gibt keinen Hinweis auf persönliche Lehrer. Alles Wissen ist, dem eigenen Zeugnis nach, aus Büchern geschöpft.25 Die Christenheit, von der als zweitem Gottesvolk durchaus viel gesprochen wird, erscheint als ge22 Martin konjiziert hier m.E. ohne Not deum , das auch Salvadore (2011), 93 verwirft. 23 Zur Passage vgl. auch Consolino (1993), 211–213, die die Motivik mit dem Eingang von Cyprians Ad Donatum vergleicht. 24 Zur üblichen Konnotation (heidnischen) Irr- oder Aberglaubens vgl. Salvatore (1977), 126 ad. loc. und Salvadore (2011), 99 ad loc.; allein im Carmen apologeticum verwendet Commodian errare / error 11x. 25 Vgl. die Hinweise auf eigene Lektüre v. 11 f.; 57; 132; 936 und die Einführung von Schriftzitaten als Gelesenes v. 161; 369; 379; 420; 478 oder Geschriebenes v. 255; 258; 418; 577; 712, dazu die Beschreibung der üblichen paganen Schullektüre v. 583–586 und die Aufforderung zur Schriftlektüre v. 29 f.; 53. Mit lex (v. 11) ist hier wie sonst bei Commodian nicht nur der Pentateuch, sondern die ganze Schrift gemeint, vgl. Salvadore (2011), 104 f. ad loc. Zur Bedeutungsbreite von lex und dem leitmotivischen Charakter dieses Begriffs vgl. Prete (1966), 49 f., der lex auch als ursprünglichen Titelbestandteil des Carmen apologeticum vermutet. Commodian verwahrt sich selbst mehrfach dagegen, ein doctor zu sein; zu diesem Bescheiden-

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wissermaßen abstrakte Größe, zu der der Dichter gehört, die ansonsten aber nicht individualisiert wird. Dieselbe Grundstruktur ist dem Leben der Adressaten unterlegt. Auch hier ist die Bekehrung der Dreh- und Angelpunkt, nur dass der Irrtum gegenwärtig noch herrscht und sich in verschiedenen Lastern entfaltet, die Bekehrung aktuell ansteht und, je nachdem ob sie erfolgt oder nicht, eine gute oder schlimme persönliche Zukunft sicher ist, in Pein und Vernichtung oder ewigem Leben.26 Neben dieser persönlichen Chronologie und ohne Verbindung zu ihr steht die historisch-weltliche, besser gesagt: befindet sich eine erstaunliche und fast totale Leerstelle, wo man historisch-weltliche Daten erwarten könnte.27 Commodian erwähnt im Carmen apologeticum mit einer einzigen Ausnahme keinen römischen Kaiser und auch sonst keinen Herrscher namentlich, er erwähnt kein politisches Ereignis der griechischen oder römischen Geschichte, er verortet auch das Erdenleben des Messias nicht in der allgemeinen Geschichte. Ausschließlich im letzten, eschatologischen Teil ist von politischen Einrichtungen wie dem Senat und den amtierenden Caesaren die Rede. Dass diese Institutionen und Ämter eine historische Tiefe besitzen, wird aber nur an einer einzigen Stelle klar, als der Antichrist des Westens, der wiedererstandene Nero, mit dem historischen Kaiser identifiziert wird, unter dem Petrus und Paulus das Martyrium erlitten: Ex infero redit, qui fuerat regno praeceptus et diu servatus cum pristino corpore notus. Dicimus hunc autem Neronem esse vetustum, qui Petrum et Paulum prius punivit in urbem. Ipse redit iterum sub ipso saeculi fine[m] ex locis apocryphis, qui fuit reservatus in ista. Er kehrt aus der Unterwelt zurück, der seiner Herrschaft vorzeitig beraubt / und lange aufbewahrt gewesen war, mit dem früheren Körper, daran kenntlich. / Der ist aber, so sagen wir, der alte Nero, / der einst in der Stadt Petrus und Paulus strafte. / Er selbst kehrt wiederum zurück am Ende selbst der Zeit /aus den düsteren Orten, der er dazu aufgespart gewesen ist. carm. apol. 825–830

heitstopos vgl. Bacci (2006a), 572 mit Anm. 17; Hinweise auf ein eigenes kirchliches Amt gibt er nirgends; zur Selbstinszenierung als „Zeuge“ vgl. Bacci (2006a), 574 f. 26 Vgl. u. a. v. 29–32 Suadeo nunc ergo altos sic et humiles omnes, / ut legant assidue vel ista vel cetera legis. / Aspice, quoniam (so mit der Handschrift gegen Martins Konjektur quam) brevis est nobis credita vita; / discite, quapropter moriamur nati, prudentes! („Nun also rate ich dies allen Hohen wie auch Niedrigen, / dass sie ausdauernd diesen Teil und auch die anderen Teile des Gesetzes lesen. / Merk’ auf, weil uns ein kurzes Leben nur geliehen wurde. / Lernt, weswegen wir, einmal geboren, sterben müssen, und werdet klug daraus“). Die ewige Pein wird u. a. v. 747–752, die ewige Freude v. 799–804 ausgemalt. 27 Dies sah schon Baldwin (1989), 334: „This impression [scil. die von Baldwin angenommene Bestimmung der Werke für ein unkultiviertes Publikum] is underscored by the panoramic secular emptiness of Commodian’s verses […]. Few collections of poems can have been so devoid of historical names and points of contact with Roman life.“

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Im übrigen interessiert den Dichter die Profangeschichte als solche, ihr Bezug zur biblischen Geschichte oder gar der Geschichte des Christentums und auch ihr Verhältnis zu seiner eigenen Person nicht. Gegenüber den in der lateinischen Literatur schier allgegenwärtigen Modellen einer aszendenten oder deszendenten Geschichtsdeutung zeigt er sich völlig immun. Vielleicht darf man das so deuten, dass die überwältigende Bedeutung der Bekehrung die Frage nach der historischen Herkunft der Nation, der Familie, der Person irrelevant macht.28 Einen Hinweis auf diese Haltung liefert die knappe, aber radikale Ablehnung der paganen Literatur. Neben den kanonischen Schulautoren Vergil, Cicero und Terenz wird auch die historische Kenntnis, wie sie die Historiographen und die zahlreichen Breviarien vermittelten, vertreten durch die Könige mit ihren Lastern und Kriegen, pauschal als überflüssig abgetan: Vergilius legitur, Cicero aut Terentius idem; nil nisi cor faciunt, ceterum de vita siletur. Quid iuvat in vano saecularia prosequi terris, et scire de vitiis29 regum, de bellis eorum.30 Vergil und Cicero und ebenso Terenz werden gelesen: / sie schulen höchstens das Gedächtnis; davon abgesehen, hört man über das Leben nichts. / Was hilft es, ganz vergeblich Weltliches auf Erden zu verfolgen, / etwas zu wissen von den Lastern der Könige und von ihren Kriegen. carm. apol. 583–586

Viel wichtiger und für die zeitliche Strukturierung der Welt entscheidend ist für Commodian die biblisch-christliche Chronologie. Als Vertreter des Chiliasmus zählt er 6000 Jahre von der Schöpfung bis zur ersten Auferstehung (vgl. carm. apol. 791–796), auf die noch einmal eintausend Jahre bis zum Endgericht folgen werden.31 Vor allem in Anlehnung an das 1. Buch Mose, dann auch an die Pro28 Commodian zeigt sich insofern als typisch apokalyptischer Denker, der die Weltgeschichte zugunsten der (Un)Heilsgeschichte negiert und von jedem Ansatz einer Geschichtstheologie weit entfernt ist. Zur Sache vgl. im Überblick Milburn (1956) und Timpe (2001). 29 Martin schreibt hier mit der Handschrift divitiis; de vitiis ist eine erstmals von W. Meyer und Dombart vorgeschlagene Konjektur, die Salvatore (1977) im Apparat und Salvadore (2011), 158 ad loc. verteidigen. 30 Salvadore (2011), 158 ad loc. sieht in v. 583 f. eine Art Zwischenüberschrift, die im Folgenden mit Abschnitten zu drei unterschiedlichen, auf die drei Autoren bezogenen Lastern gefüllt werden (v. 585 f. Vergil – Krieg; v. 587–608 Cicero – forensische Tätigkeit; v. 609–612 Terenz – Gefräßigkeit und Habgier). M.E. schwebt Commodian eher die übliche Laufbahn von Schulunterricht, beruflicher Tätigkeit und Genuss des daraus gewonnenen Reichtums vor; v. 585 f. ist hier daher als weiterer Gegenstand des schulischen Unterrichts gedeutet. Ähnlich vermutet Heck (1990), 116 hinter den Königen hier „eine Anspielung auf historische Epen wie die Aeneis“. 31 Klar ist dies in instr. 2,35,15 ausgesagt, wie Commodian im Schlussgedicht der Instructiones überhaupt bezeichnenderweise sein millenaristisches Credo mit seinem Namensakrostichon verbindet. In der Parallelstelle carm. apol. 998 fehlt die Zahl Tausend, vgl. den Kommentar von Poinsotte (2009), 479 ad instr. 2,35,15 und Prete (1966), 52, der auf den deutlich verhalteneren Charakter des Millenarismus im Carmen apologeticum aufmerksam macht. Zur Ausprägung des Millenarismus bei Commodian, der sich anders als Lactanz kaum um die Kompatibilität

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pheten, werden eine Vielzahl biblischer Ereignisse und Gestalten, von der Sintflut und Noah über den Pharao, David, Salomo und die babylonische Gefangenschaft bis zu Jesu Wundern, Tod und Auferstehung nach erkennbar chronologischem Anordnungsprinzip aneinander gereiht. Allerdings vermeidet Commodian die exakte Datierung innerhalb der 6000 Jahre. Ein einziger Punkt, die Berufung Abrahams, wird chronologisch verankert, auch dies einigermaßen vage auf knapp die Hälfte der Zeit, worin man ein mehr symbolisches Datum als den Ansatzpunkt zu einer exakten Rechnung sehen wird: Iam paene medietas annorum sex milibus ibat, et nemo scibat dominum, passimque viventes. Sed Deus, ut vidit hominum nimis [ut] pectora clausa, adloquitur Abraham, quem Moyses enuntiat ipsum.32 Schon lief beinah die Hälfte bei den sechsmal tausend Jahren ab, / und niemand wusste von dem Herrn, auch lebten sie ringsum verstreut. / Doch als Gott sah, dass allzu fest verschlossen war das Herz der Menschen, / spricht er den Abraham an, von welchselbem Moses kündet. carm. apol. 45–48

Weder das Erdenleben Christi noch die eigene Zeit werden beziffert, wodurch ein Nachrechnen wie auch ein Errechnen der Zukunft unmöglich wird. Auch die biblischen Geschlechterfolgen oder die genaue relative Chronologie der berichteten Ereignisse interessieren nicht. Offensichtlich geht es dem Dichter nicht um die präzise Verortung vergangener Ereignisse noch auch der eigenen Zeit innerhalb der Weltwoche, sondern um das Ordnungsprinzip 6000 + 1000 als solches, durch das die eigene Zeit zur Schwellenzeit wird. Wichtig ist der Gegensatz von Einst und Jetzt auch innerhalb des biblischen Bezugssystems, indem für den Beweis von Christi Messianität und Göttlichkeit die alttestamentlichen Zitate nach dem Muster eingesetzt werden: „Was schon Mose, David, Jesaja, Hesekiel, Amos usw. prophezeiten, hat sich in Christus bewahrheitet“. Auf die relative Chronologie von Mose zu Jesaja oder Amos geht Commodian

mit Motiven der paganen Kultur bemüht, vgl. Simonetti (1998), der anhand von instr. 1,41–45 den Eintrag von Zügen aus der jüdischen apokalyptischen Tradition (besonders 4 Esr) in die Tradition, die von der johanneischen Offenbarung (besonders 19–21) herkommt, herausarbeitet. Für das Carmen apologeticum stellt Simonetti (1998), 184 f. eine vergleichsweise größere Selbständigkeit gegenüber der johanneischen Apokalypse und die Annäherung an die synoptische fest. Die Verbindung von eschatologischem und millenaristischem Denken im 2. und 3. Jahrhundert skizzieren Potestà – Rizzi (2005), XXIV–XXVIII. Aus der Verhältnisbestimmung zu anderen christlichen und jüdischen millenaristischen Entwürfen hat Gagé (1961b) passim plausibel auf die Jahre um 260 n. Chr., eine Zeit besonders intensiver apokalyptischer und chiliastischer Spekulation, als wahrscheinlichstes Entstehungsdatum geschlossen. 32 Zu den sprachlichen Auffälligkeiten (ibat für praeteribat, scibat, das sich als bewusster Archaismus rechtfertigen lässt, viventes für vivebant) vgl. Salvatore (1975), 399 f. und Salvadore (2011), 112 f. ad loc.

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nirgends ein. Nur auf die Tatsache, dass die Prophetie vor langer Zeit erfolgte und sich erfüllte, kommt es an.33 So ergibt sich für alle drei Bezugssysteme, die für Vergangenheit und Gegenwart nicht miteinander korreliert werden, der Eindruck des Vagen, Offenen, fast Ahistorischen. In scharfem Kontrast dazu steht die Eschatologie, die eine Zukunft einschließlich präziser Zeit- und Ortsangaben, konkreter Ereignisfolgen und Akteuren mit geradezu historiographischer Genauigkeit beschreibt, und in der die drei Bezugssysteme nun zusammengebunden werden. Die letzten 1000 Jahre samt ihren Vorzeichen und ihrem Abschluss durch das Endgericht nehmen die biblisch-christliche Chronologie auf, für sie werden eine Reihe von Begebenheiten angekündigt, die unter die politische Geschichte fallen, und die Zukunft ist für den Dichter und seine Adressaten auch persönlich relevant als Zeit der Prüfung, Bewährung und Belohnung oder Bestrafung. Um es pointiert zu sagen: Commodian interessiert die gewesene Geschichte nicht, dafür entwickelt er eine Geschichte der Zukunft. Das lineare Zeitmodell der Weltwoche führt bei ihm nicht zu einer Historisierung der profanen, religiösen oder persönlichen Geschichte, sondern wird dafür genutzt, die Zukunft in historischer Form beschreibbar zu machen. Wie sieht diese Zukunft aus? Woran soll man erkennen, dass die 6000 Jahre zu Ende gehen und die 1000 Jahre beginnen, wie sich Commodian selbst fragen lässt: Sed quidam hoc aiunt: quando haec ventura putamus? Accipite paucis, quibus actis illa sequantur.34 Doch manche sprechen so: Wann wir denn meinen, dass das kommen wird? / Vernehmen sollt ihr kurzgefasst, welchen Begebenheiten dies dann folgen wird. carm. apol. 805 f.

Viele Zeichen gibt es, der erste Anfang des Endes ist aber die siebte Christenverfolgung (v. 807 f.). Doch wird diese infolge militärischer Ereignisse ein Ende finden. Die heidnischen Goten unter ihrem König Apollyon werden über einen Fluss ins römische Reich einfallen, auf Rom marschieren, Gefangene machen, darunter viele Senatoren, und so die Christenverfolgung auflösen, ja die Christen begünstigen (v. 809–822). Dieses gotische Intermezzo wird fünf Monate lang dauern, bis sich ein neuer Herrscher auf Seiten des Senats erhebt, Kyros, der die Goten vertreibt. Dieser Kyros ist der Kaiser Nero, der in der Unterwelt mit seinem alten Körper für die Endzeit aufbewahrt worden war, nun auftaucht, sich als Gott anbeten lässt und die Christen wieder und nun ganz entsetzlich verfolgt (v. 823–838). In Verbindung mit einem Ortswechsel fügt Commodian hier eine Rückblende ein. In Judäa hatte sich zuvor schon für eine Zeit von dreieinhalb Jahren Elias ge33 34

Beispielhaft sei auf die Aufzählung von Jesaja, Jeremia, Johannes und Zacharias v. 219–222 in der Form vier selbständiger und gleichwertiger Glieder hingewiesen, vgl. auch die Vermischung von Zitaten aus Jesaja, Johannesevangelium und Weisheit v. 461–502. Vgl. zum Gedanken Mt 24,3 und besonders nahe Lact. inst. 7,25,3 fortasse quispiam nunc requirat quando ista quae diximus sint futura. iam superius ostendi conpletis annorum sex mi­ libus mutationem istam fieri oportere et iam propinquare summum illum conclusionis extremae diem; dazu Freund (2009), 567–571.

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zeigt und hatte prophetisch geredet, um das Volk zu Christus zu führen. Weil viele Juden aber nicht hören wollten, hatte Gott auf Elias’ Bitte hin eine große Dürre geschickt, die zu Hunger und Seuchen führte. Die Juden hetzten daraufhin den römischen Senat gegen Elias und die Christen auf, dieser veranlasste den wiedergekehrten Nero, Elias und die anderen Propheten zu fangen, abzutransportieren und hinzurichten, dann auch gegen die christlichen Gemeinden vorzugehen (v. 839– 858). Damit ist die Rückblende abgeschlossen und die künftige neronische Verfolgung wieder erreicht. In ihr wird der zehnte Teil der stadtrömischen Gemeinde das Martyrium erleiden, siebentausend Menschen. Ihre Verfolger lassen sie unbestattet liegen, aber Gott erweckt sie am vierten Tag zum Leben und lässt sie in den Himmel auffahren. Doch auch dieses Wunder hilft nicht, das Herz Neros ist verhärtet wie das des Pharao und er vertreibt die Christen alle aus der Stadt. Mit Hilfe von zwei Caesaren, die er sich nimmt, erlässt er Edikte zu einer reichsweiten Verfolgung des nomen Christianum. Wer nicht abschwört, erleidet das Martyrium, so dass überall Blut fließt, einer der emotionalsten Momente des Gedichts (v. 859–884). Das Wüten Neros dauert dreieinhalb Jahre – zusammen mit der Zeit des Wirkens des Elias ergeben sich so genau sieben Jahre – dann ereilt Nero, den Senat und die Stadt Rom die gerechte Strafe. Denn aus dem Osten wird ein mächtiger König kommen mit vier Völkern, Persern, Medern, Chaldäern und Babyloniern, wird zunächst Tyros und Sidon in seine Gewalt bringen und seine Heerscharen über den ausgetrockneten Euphrat schaffen. Nero und die beiden Caesaren werden ihm entgegenziehen, aber unterliegen und getötet werden. Dann wird man Rom plündern, die Bevölkerung massakrieren und am Ende die Stadt anzünden (v. 885–926). Der siegreiche König aus dem Osten wird von da nach Judäa ziehen, von den Juden begrüßt, weil sie seinen Sieg über Rom erhofft haben und ihn aufgrund der Zeichen, die er wirkt, für den Messias halten. Wenn sie zu spät merken, dass sie sich getäuscht haben und einem Lügenpropheten aufgesessen sind, ist ihre Verfolgung durch den König aus dem Osten schon im Gange (v. 927–932). So wird Nero zum Antichrist für Rom und die Christen, der König aus dem Osten zum Antichrist für den Rest der Welt: Nobis Nero factus Antichristus, ille Iudaeis, isti duo semper prophetae sunt in ultima fine. Urbis perditio Nero est, hic terrae totius; de quo pauca tamen suggero, quae legi secreta. Zum Antichristen wurde für uns Nero, jener für die Juden. / Die beiden sind beständig die Propheten in den allerletzten Zeiten. / Der Untergang der Stadt ist Nero, dieser ist der Untergang der ganzen Erde, / von dem ich indessen nur wenige Geheimnisse anfüge, die ich las. carm. apol. 933–936

Da werden die Juden Gott um Hilfe anrufen, und er wird Hilfe schicken, nämlich die neuneinhalb Stämme Israels, die von den zwölf, die in die babylonische Gefangenschaft geführt wurden, bislang nicht zurückkehrten, sondern weit hinter Persien, von einem Fluss abgeschlossen, sich an einem abgesonderten Ort aufhielten (v. 937–946), einer Art Insel der Seligen, einem Ort, an dem zwar gearbeitet und gestorben wurde, sonst aber paradiesische Zustände herrschten:

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Christoph Schubert Mendacium ibi non est, sed nec est odium ullum; idcirco nec moritur filius suus ante parentes; nec mortuos plangunt nec lugunt more de nostro, expectant quoniam resurrectionemque futuram, non animam ullam vescuntur additis escis, sed olera tantum, quod sit sine sanguine fuso. Iustitia pleni inlibato corpore vivunt, in illis nec genesis exercit impia vires. Non febres accedunt in illis, non frigora saeva, obtemperant quoniam universa candide legis; quae nos et ipsi sequemur pure viventes; mors tantum aderat et labor, nam cetera surda35.

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Dort gibt es keine Lüge, doch auch keinen Hass. / Deswegen stirbt auch der eigene Sohn nicht vor den Eltern. / Und sie beklagen und betrauern ihre Toten auch nicht nach unserer Art, / weil sie ja auf die zukünftige Auferstehung warten. / Nicht eine Seele nehmen sie zur Speise, wenn das Essen aufgetragen wird, / sondern allein das Kraut des Feldes, weil das ohne Blutvergießen geht. / Sie leben, voll Gerechtigkeit, mit unversehrtem Körper. / Bei ihnen übt gottlose Zeugung auch nicht ihre Kräfte aus. / Bei ihnen hat nicht Fieberhitze Zutritt, nicht grimmige Kälte, / weil sie ja dem Gesetz in allen Stücken aufrichtig gehorchen, / was auch wir selbst erlangen werden, wenn wir rein leben. / Der Tod nur und die Arbeit waren da. Denn alles andere dringt nicht zu ihren Ohren. carm. apol. 947–958

Zusammen mit diesen Stämmen zieht Gott selbst und seine Engel, unwiderstehlich siegreich, bis sie Jerusalem eingenommen haben. Der König aus dem Osten flieht vor ihnen in den Norden, wo er neue Truppen sammelt, vom Heer Gottes aber in einer Endschlacht geschlagen und ins Straffeuer geworfen wird. Die Heiligen ziehen nach Jerusalem und es folgt die erste Auferstehung von Toten. Gott richtet die Gottlosen durch das Feuer, die Frommen aber bleiben unversehrt und leben in Freuden, und außerdem auch einige weitere, damit sie den Gerechten dienen und von den Ereignissen erzählen können (v. 959–998). Sieben Monate lang wird die Erde durch das Feuer gereinigt, dann steigt Christus mit den Engeln herab und es erfolgt eine zweite Auferstehung von Toten und ein zweites Gericht, für die Gerechten unter ihnen zur ewigen Seligkeit, für die Bösen zur Höllenpein (v. 999–1060).36 Soweit ein knapper Abriss der eschatologischen Vorstellungen Commodians, seiner „Geschichte der Zukunft“. Dass sie ernst gemeint ist, wurde bisher noch nie in Frage gestellt. Gegen eine Parodie spricht auch die Länge des Gedichts. So reizvoll es wäre, die Herkunft der einzelnen Motive, ihre Neugruppierung und die kreativen Elemente hier im Einzelnen zu betrachten, soll im Folgenden nur ein einzelner literarischer Aspekt im Vordergrund stehen: Wie präsentiert Commodian dem Leser sein Zeit- und Zukunftskonzept und welche Absicht steht hinter dieser Art der Präsentation? Denn chiliastisches Denken, das sich im Christentum bis auf 35 36

Vgl. zum Motiv des populus sanctus den gehaltvollen Kommentar bei Salvatore (1977), 213– 222 zu v. 959–978. Einen Teilkommentar zu carm. apol. 999–1018 gibt Garuti (2002), der auf die Johannes-Offenbarung 8,6–11,19 als zentrale Inspirationsquelle hinweist (292) und die zweifellos gegebene biblische und pagane Literaturkenntnis des Dichters, besonders die Vergils, herausarbeitet.

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Offenbarung 20 zurückführen lässt und das in der Apokalyptik des Frühjudentums verschiedene Ansatzpunkte besaß, ist in den ersten Jahrhunderten zwar relativ weit verbreitet, ist aber doch ein Geschichtskonzept, das innerhalb des Christentums nie unumstritten war, zumal in seiner buchstäblichen Auslegung, und das auf einen religiös traditionell sozialisierten Römer mehr als befremdlich wirken musste.37 Commodian musste sich daher zweifellos fragen, wie er seine Apokalypse und seinen Chiliasmus am glaubhaftesten und überzeugendsten vermitteln könnte. 3 Der auffälligste Zug ist gewiss, dass Commodian unter den denkbaren Legitimierungsstrategien nicht auf die Autorität von biblischen oder außerbiblischen Schriften oder auf berühmte Vorgänger oder auf die Inspiration durch den Geist zurückgreift, sondern seine Endzeitvision im eigenen Namen mit prophetischem Gestus vorträgt. Lediglich für die letzte Phase der Endzeit beruft er sich auf die Lektüre geheimer Bücher (de quo pauca tamen suggero, quae legi secreta, v. 936). Drei leserpsychologisch geschickte Strategien werden dennoch wirksam. Die eine kann man autobiographische Beglaubigung nennen, die andere setzt darauf, dass unwillkürlich der Schluss vom Überprüfbaren auf das Unüberprüfbare vollzogen wird, die dritte arbeitet mit dem Anreiz, zeithistorische Anspielungen gerade noch erkennbar zu verschlüsseln. Die Zuverlässigkeit der quasi-prophetischen Aussagen über die endzeitliche Zukunft wird zunächst dadurch gesichert, dass der Sprecher mit seiner Vita für sie bürgt: Er war einst genauso wie die Adressaten, die er mei similes (v. 63) nennen kann. Die Selbstanklage des Proöms, eine wilde Jugend erlebt zu haben, sorgt für Nähe. Im Bekehrungsakt hat er das Licht der Wahrheit empfangen. Das legitimiert ihn biographisch für die Rolle des Lehrers und Aufklärers. Zum zweiten lässt sich von der Zuverlässigkeit des Referats der alten Prophezeiungen und ihrer Einlösung durch Christus im Hauptteil des Gedichts auf die grundsätzliche Vertrauenswürdigkeit des Sprechers schließen. Indem nun die große Masse der alttestamentlichen Zitate so wörtlich, wie es der Vers nur zulässt, und mit präzisen Herkunftsangaben angeführt wird, belegt der Dichter seine Zuverlässigkeit. Das geht so weit, das nicht nur der Name – und Hesekiel sagt, und an anderer Stelle sagt Amos – genannt wird, sondern die Bücher Moses spezifiziert werden38 und Commodian sogar noch präziser ein Zitat dem vierundvierzigsten Psalm zuweisen kann39. Für den Leser muss sich der Analogieschluss aufdrängen, dass man

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Vgl. Bauer (1954), Fitschen – Leppin (1999) und unter besonderer Berücksichtigung der entwickelten Vorstellung bei Lactanz Freund (2009), 392–403. Vgl. v. 429 Uno volo titulo tangere librum Deuteronomium („Mit einer Stelle nur will ich das Buch Deuteronomium berühren“). Vgl. v. 377 Et psalmus de ipso quartus quadragesimus inquit.

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einem solchen Autor, der alte prophetische Worte derart genau berichtet, auch bei neuen Prophetien glauben kann.40 Freilich wird auch das Alte Testament als autoritativer Text einfach gesetzt und seine Heiligkeit und Zuverlässigkeit nirgends begründet. Das Altersargument oder ähnliche Konstruktionen, die den eigenen Bezugstexten eine besondere Autorität zuweisen, sucht man vergebens. Überhaupt fällt auf, dass der Dichter Erläuterungen und Erklärungen verweigert. Die 6000 Jahre Weltzeit werden einfach genannt, als wären sie selbstverständlich (v. 45; 791), die 9 1/2 Stämme Israels tauchen ohne Verweis auf die babylonische Gefangenschaft einfach auf (v. 946), die offenbar symbolischen Namen des Gotenkönigs Apollyon41 und des Westherrschers Kyros werden nicht ausgedeutet (v. 811; 823), kein biblischer Name, sei es von Propheten oder aus Erzählungen des AT, wird kontextualisiert. Das passt zweifellos mit dem prophetisch-autoritativen Gestus zusammen, verlangt dem Leser aber einiges an Bereitschaft ab, ihm Unbekanntes und Unverständliches einfach hinzunehmen und sich selbständig auf die Suche nach der Bedeutung des Textes zu begeben. Dieselbe aktive Rolle setzt auch die dritte Legitimierungsstrategie voraus. Weder der antike Leser noch die moderne Forschung konnten sich der Versuchung entziehen, in den eschatologischen Passagen zeithistorische Anspielungen aufdecken zu wollen, ist diese doch dem Text inhärent und von Commodian gewollt,42 der zu Beginn des eschatologischen Blocks dem Leser dezidiert die Aufmerksamkeit für zeichenhafte acta empfiehlt (v. 805–808). Nicht umsonst ist daher gerade der erste Abschnitt der Eschatologie (v. 805–822) im Hinblick auf seine zeitgeschichtliche Valenz besonders intensiv diskutiert worden.43 Im Folgenden soll skizziert werden, bis zu welchem Punkt ein zeitgenössischer Leser die im Modus einer symbolischen Schilderung der Zukunft erzählten Ereignisse vergleichsweise problemlos als bereits eingetreten erkennen konnte und wo die Zukunftsschilderung für ihn in den Bereich der Vision übergehen mußte. Auch wenn dies unmittelbare Folgen für die Datierung des Werks hat, kommt es hier in erster Linie auf den beglaubigenden Effekt dieser Entschlüsselung an, nämlich den Leser darin zu bestätigen, dass es auch mit dem rein visionären Teil der Eschatologie seine Richtigkeit hat. Dass die geschilderten Ereignisse mit zwei Christenverfolgungen in relativ kurzem Abstand, der Niederlage des ersten Christenverfolgers, eines römischen Kaisers, gegen heidnische Goten und des zweiten, eines weiteren römischen Kaisers, gegen einen Herr40

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Auf den nicht überall gleich hohen und oft schwer zu bestimmenden Grad der Wörtlichkeit der schier zahllosen Bibelzitate ist hier nicht einzugehen. Scheinbar deviante Textfassungen erklären sich allerdings häufig aus der Benutzung der Testimoniensammlung Ad Quirinum Cyprians bzw. einer Vorstufe dieser oder aus der zu postulierenden Verwendung eines sonst nicht bezeugten frühen Vetus Latina-Textes. Zur volksetymologischen Assoziationsbrücke Apollo – ἀπολλύναι, die den heidnischen Gott, der von Augustus an eine wichtige Rolle in der Prinzipatsideologie spielte, als Zerstörer konzeptualisierbar machte und zum ersten christlichen Zeugnis dieser Umwertung in Offb 9,11 vgl. Micunco (2003) und Karrer (2012), besonders 228–230. So richtig Potestà – Rizzi (2005), XXXII. Vgl. neben den Kommentaren von Salvatore (1977) und Salvadore (2011) besonders Sirago (1961), 485–490 mit einem detaillierten Vergleich mit Offb 9,3–11 und die weitere im Folgenden genannte Literatur.

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scher aus dem Osten am besten auf die Zeit des Decius und Valerian passen, ist mit der opinio communis vorausgesetzt, bestätigt sich aber durch die innere Plausibilität der Annahme. Commodian lässt den Leser auf zwei Christenverfolgungen blicken, deren erste am Anfang der Endzeit steht. Wenn er sie, ohne auf frühere zu verweisen, ganz selbstverständlich die siebte Verfolgung (septima persecutio nostra, v. 808) nennt, wird der Leser dies primär als eine aus sich heraus verständliche eschatologisch veranlasste Zählung, also symbolischen Ausdruck auffassen. Daher sind die in nach-konstantinischer Zeit konstruierten andersartigen Siebenerreihen von (vermeintlich) historischen Verfolgungen, so im Prologus Paschae und im Liber genea­ logus, die jeweils bis Diokletian reichen, hier fernzuhalten. Allerdings konvergiert die vor-konstantinische, aus historischer Erfahrung gewonnene und allmählich akkumulierte Zählung von zehn Verfolgungen bis Diokletian, die durch Eusebius und Hieronymus kanonisch wurde und sich erst im Nachhinein mit der Zehnzahl der Plagen Ägyptens verband und dadurch symbolisch aufgeladen wurde, insofern mit der Angabe Commodians, als in diesen Reihen Decius stets der siebte, Valerian der achte Verfolger ist.44 Über die decische Verfolgung, die jedenfalls zunächst nicht als reichsweite Christenverfolgung intendiert war, verrät Commodian nicht mehr, als dass sie eine Verfolgung der Heiligen (persecutionem … sanctorum, v. 812) gewesen sei, was mit dem historischen Charakter der Maßnahmen, die die Glaubensstärke der Christen durch das Opfergebot offenlegten und die große Kluft zwischen Märtyrern bzw. Bekennern und lapsi in den Gemeinden offen aufbrechen ließen, gut übereinstimmt.45 Decius fiel im Juni 251 n. Chr. bei Abrittus gegen die Goten. Die starken gotischen Verbände unter König Kniwa hatten zuvor bereits auf römischem Reichsgebiet operiert und waren 250 über die Donau in die Provinz Mösien vorgestoßen. Das Land südlich der Donau verheerten sie nach dem Sieg und machten zahlreiche Gefangene unter den römischen Eliten, so besonders in Philippopolis in der Provinz Thracia. Die Niederlage des Decius brachte die Christenverfolgung schlagartig zum Erliegen. Commodians Angaben zeichnen diese Ereignisse teils offen nach, wenn er vom Einfall der Goten – ihr Name taucht hier zum ersten Mal in der Literatur auf – über „den Fluß“ (Gothis irrumpentibus amne, v. 810)46, von der großen Zahl der Feinde unter dem Befehl des Königs (cum multa milia gentes, v. 813), der Gefangennahme römischer Amtsträger (multi senatorum … captivi, v. 815) und der militärisch bedingten Beendigung der Verfolgung (rex … persecutionem dissipet … in armis, v. 811 f.) spricht. Teils verhüllt er die Ereignisse, so durch den symbolischen, Offb 9,11 entnommenen Namen des Gotenkönigs Apollyon, dessen angebli44 45 46

Vgl. Vogt (1954) 13–15 und Potestà – Rizzi (2005), 562 f. Anm. 20. Eine Synopse der Verfolgungsserien bei de Senneville-Grave (1999), 533 Tableau VIII. Vgl. zur Sache Selinger (1994), Duval (2000), Selinger (2002) und im Überblick auch zur valerianischen Verfolgung Green (2010), 138–167. Für die Ereignisgeschichte der Zeit ist insbesondere auch für Valerian auf die Beiträge bei Johne (2008) zu verweisen. Zum zugleich apokalyptischen Motiv der Flussüberquerung vgl. Salavatore (1977), 202 f. zu v. 807–814.

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chen Marsch auf Rom (pergit ad Romam, v. 813), der als Einmarsch auf römisches Reichsgebiet entschlüsselt werden muss, durch die symbolischen fünf Monate der Unterdrückung aus Offb 9,5, der die heidnische römische Bevölkerung ausgesetzt ist (mensibus in quinque trucidantur isto sub hoste, v. 822), als Zeichen dafür, dass die Vergeltung für die Christenverfolgung unter den Goten nicht vollkommen ist, da ein oder sieben Monate auf ein halbes oder volles Jahr fehlen.47 Dafür, dass die heidnischen Goten (gentiles, v. 817)48 und die Christen tatsächlich fraternisierten (hi tamen … pascunt Christianos ubique, / quos magis ut fratres requirunt gaudio pleni, v. 817 f.), hat Sirago Argumente gefunden.49 Dasselbe Ineinander von historischen Bezugspunkten und symbolischer, maßgeblich der Johannes-Apokalypse entnommener Redeweise prägt auch die folgenden Episoden. Besonders deutlich ist der biblische Hintergrund der Figur des Elias, der erneut wie in 1 Kön 17 f. aufgrund des Unglaubens der Menschen eine Dürre über das Land bringt (vgl. auch Offb 11,6), die wie bei Jak 5,17 wieder dreieinhalb Jahre dauert (vgl. Offb 11,3). Die Wiederkehr des Elias als Vorläufer des Messias (Mal 3,23 f.) ist ohnehin ein frühes und nahezu unverzichtbares Motiv der jüdischen und christlichen Endzeiterwartung (Mt 17,10–13 und Joh 1,21).50 Ob man diesen Propheten mit dem Jerusalemer Patriarchen Mazabanes identifizieren muss, wie es Sirago vorsichtig vorschlug, sei dahingestellt.51 Aber an christlichen Predigern im Heiligen Land, die wie Mazabanes unter Valerian den Märtyrertod erlitten und die sich dem Leser als Projektionsfläche anboten, hat es gewiss nicht gefehlt. Das Detail, wonach Elias zusammen mit (einem?) anderen Propheten auf Betreiben der Juden durch die römischen Behörden von Staats wegen gefangengenommen, abtransportiert und hingerichtet wird (vehiculo publico rapit ab oriente prophetas … immolat hos primum, carm. apol. 856–858), kombiniert Offb 11,7 mit historischer Plausibilität und trägt zusätzlich das für Elias charakteristische Motiv des Wagens (vgl. 2 Kön 2,1–18) ein. Dass die Verfolgung zunächst bei den „Propheten“, also einzelnen markanten Persönlichkeiten, ansetzte und dann in größerem Maßstab auf die Gemeinden übergriff (v. 858), ist historisch plausibel. Auch die nach Offb 11,8 f. gestaltete Profanierung der Leiber der Heiligen (v. 862), ihre Auferstehung nach vier Tagen (v. 861–864; vgl. Offb 11,11) und die im Zuge eines Erdbebens erfolgende Strafe, die den zehnten Teil der Stadt und siebentausend Tote kostet (v. 859 f.; vgl. Offb 11,13), ließ sich vom Leser leicht mit der schimpflichen Behandlung der 47

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Zur Identifikation der Goten mit den Ostgoten unter Kniwa im Spannungsfeld der Fortschreibung der Johannes-Offenbarung und konkreter historischer Bezüge vgl. Sirago (1961), 486– 491, Salvatore (1977), 27 f., summarisch Roggisch (1997), Mazzarino (2000), 538, Micunco (2003) und grundsätzlich Karrer (2012). Mit Potestà – Rizzi (2005), 391 ist an der Bedeutung „Heiden“ für gentiles nicht zu rütteln. Sirago (1961), 490 f. Vgl. Salvadore (2011), 182 f. zur Motivtradition. Vgl. Sirago (1961), 492, ähnlich Mazzarino (2000), 541. Sordis These, wonach sich hinter Elias der römische Senator Asturius / Astyrius (vgl. Eusebius, h.e. 7,16 f.) verberge, die von Salvatore (1977), 207 f. zu v. 839 f.. akzeptiert worden war und von Potestà – Rizzi (2005), 564 f. Anm. 29 und Badilita (2005), 314 f. für denkbar erachtet wird, gibt es gewichtige Gegenargumente, vgl. Salvadore (2011), 183.

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Märtyrer und mit Naturkatastrophen, die für die Zeit bezeugt sind,52 in Verbindung bringen. Von den Goten wurden die Römer durch Valerian (253–260 n. Chr.) – den unbedeutenden Nachfolger des Decius, Trebonianus Gallus, kann Commodian übergehen – befreit, der hier tatsächlich weniger militärisch, als diplomatisch operierte, wie der Dichter zutreffend bemerkt (v. 824 qui terreat hostes). Verhüllt wird Valerian unter dem biblischen Namen des Cyrus (Kyros)53 und dem des Nero. Die Doppelung der Namen verweist auf ihren Symbolcharakter und erleichtert die Identifikation mit der historischen Figur. Innerhalb des insgesamt nach apokalyptischer Tradition gestalteten Nero redivivus-Motivs54 fällt die von Commodian betonte Kooperation des Kaisers mit dem Senat auf (v. 823 f.; 831 f.; 849–856), die für Nero keineswegs, für Valerian aber durchaus und auch für die Maßnahmen der Christenverfolgung, zumindest als Symbolpolitik, gegeben war.55 Diese findet im Carmen apologeti­ cum erst in der zweiten Hälfte der Regierungszeit statt, wie Valerian ab 257 n. Chr. tatsächlich seine Politik gegenüber den Christen radikal änderte. Die fast kuriose Übereinstimmung mit Offb 11,3 und 13,5, wonach die Herrschaft dieses Antichrist eine erste, verfolgungsfreie Hälfte der Regierung mit dem 3½ jährigen Wirken des Elias und eine ebenso lange zweite Phase der Christenverfolgung umfaßte,56 deckt sich mit dem historischen Befund der gut siebenjährigen Herrschaft Valerians und seiner religionspolitischen Kehrtwende ausgezeichnet und musste den Leser zur Gleichsetzung nötigen. Verschiedene Vorschläge wurden für die Identifikation der beiden Caesares erwogen, die sich der Kaiser als Gehilfen bei der Christenverfolgung57 und im Kampf gegen den König aus dem Osten nimmt. Am ehesten wird man an die Unterzeichner des zweiten, verschärften Edikts von 258 n. Chr., Gallienus und Saloninus, denken58, doch sind auch andere in die Verfolgung involvierte Figuren, insbesondere die beiden Söhne des Macrianus,59 möglich, die vom Dichter zusammen mit Valerian über die drei apokalyptischen Könige aus Dan 7,24 geblendet werden konnten, die dem 52 53 54

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Vgl. Salvatore (1977), 29. Vgl. dazu Salvatore (1977), 204–206 zu v. 823–830 und Badilita (2005), 313 f. Vgl. dazu neben der oben Anm. 18 genannten Literatur auch die Kommentare und Potestà – Rizzi (2005), XI–XVII mit dem interessanten Ansatz, die Rede vom Antichrist weder als Mythos noch als Legende oder Sage, sondern ganz als exegetischen bzw. theologisch-politischen Diskurs zu fassen. Diesen Punkt betont nach Gagé, Sordi und Salvatore (1977), 28 f. besonders Badilita (2005), 311 f. Auch die Oracula Sibyllina 5,44 f. und 176 f. und Victorinus von Pettau, in Apoc. 14,1 kennen den Senat als Christenverfolger. Die symbolische Dauer von sieben Jahren für die Herrschaft des Antichrist ist schon seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. nachweisbar, vgl. Gagé (1961b), 359 f. Die Formulierung der Maßnahmen – staatliches Vorgehen aufgrund von Edikten durch iudices, die wohl für Provinzstatthalter stehen, Forderung der Bekränzung und des Opfers, reichsweite Wirksamkeit der Verfolgung – erlaubt keine präzise Zuordnung gerade zu Valerian. Dafür nach Sordi und Salvatore (1977), 208 f. zu v. 871 auch Potestà – Rizzi (2005), 565 Anm. 36 und Badilita (2005), 316. Dafür Sirago (1961), 492 als Alternative zu Gallienus und Saloninus und Mazzarino (2000), 541.

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einen König unterliegen. Diesen lässt Commodian aus dem Osten kommen.60 Seine Entschlüsselung als Šāpūr I., dessen neupersisches Heer 260 n. Chr. im dritten und erstmals mit dem Ziel der Gebietserweiterung geführten Krieg gegen die Römer Carrhae und Edessa belagerte, Antiochien eroberte, Syrien, Kappadokien und Kilikien brutal verwüstete und vor allem den Kaiser selbst gefangennahm, ist commu­ nis opinio61 und konnte auch dem zeitgenössischen Leser nicht schwerfallen. An diesem Punkt, der Niederlage des westlichen Antichristen – Valerian – gegen den des Ostens – Šāpūr I. – , bricht der bis dahin historisch-apokalyptische Mischcharakter der Vision in reine Apokalyptik um. Nicht erst das Auftauchen der verschollenen Stämme Israels62, sondern bereits das Aufgehen Roms in den Flammen einer totaler Vernichtung63 und schon der nach Dan 7,24 geformte Tod der drei westlichen Führer auf dem Schlachtfeld64 hat kein Gegenstück in der bis dahin zwanglos übertragbaren historischen Erfahrung der Leser mehr. Commodian führt sie bis ins Jahr 260 n. Chr. Hier oder bald danach dürfte das Carmen apologeticum die größte Wirkung entfaltet haben. Spätestens mit dem Tod Šāpūrs I. (270–273 n. Chr.) war der eschatologische Entwurf hingegen überholt.65 4 Die skizzierten Strategien des Carmen apologeticum, die dem Leser Erhebliches abverlangen, fügen sich mit den eingangs genannten Besonderheiten ausgezeichnet zu einem literarischen Gesamtkonzept, das sowohl vom Stoff und seiner Präsentation her, als auch sprachlich und von der poetischen Form her auf Verwunderung, Befremden und gelegentlich eine Art Schockeffekt setzt, ohne auf Anknüpfungspunkte zu bisher Vertrautem ganz zu verzichten. Wie befremdlich Commodian tatsächlich wirkte, hängt davon ab, welche Leserschaft man postuliert. Wenn man sich mit dem Gros der neueren Forschung als Publikum des Carmen apologeticum und der Instructiones entweder Christen oder, 60 Zum Motiv des Königs aus dem Osten und seiner Transformation zum falschen Messias vgl. Sordi (1982) und Potestà – Rizzi (2005), 565 Anm. 37. 61 Vgl. nur Sirago (1961), 492 und Salvatore (1977), 30. Zum historischen Verlauf des Perserfeldzugs vgl. Kettenhofen (1982), 100–126 und Mosig-Walburg (2009), 34–51. 62 So Sirago (1961), 492. 63 So Potestà – Rizzi (2005), 394. Auf die Parallele zur Eschatologie des dritten Sibyllinenbuchs (dazu im Überblick Buitenwerf (2003), 342–346, vgl. besonders Oracula Sibyllina 3, 652–731) sei hingewiesen, das ebenfalls einen militärischen Untergang Roms vorsieht, das für seine Gottlosigkeit und Amoralität durch einen König aus dem Osten bestraft wird. Der dort rein positive Charakter der Juden, die im Jerusalemer Tempel als neu erblühendem Zentrum der Welt dank ihres reinen Gottesdienstes vor allen Angriffen heidnischer Könige und Völker beschützt werden und unter den Ereignissen gerade nicht zu leiden haben, erscheint bei Commodian allerdings ins Negative bzw. Ambivalente umgebogen. Weitere Parallelen der Sibyllinen-Eschatologie zu paganen und christlichen Vorstellungen führt Gauger (1998), 424–434 aus. 64 So Salvatore (1977), 30. 65 Richtig Potestà – Rizzi (2005), 391. Die noch engere Eingrenzung auf die Jahre bis 262 n. Chr. durch Gagé (1961b), 374 und 378 ist zwar nicht zwingend, aber plausibel.

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wie Commodian sie nennt, iudeisantes und timentes, also Menschen im Umfeld der Synagoge vorstellt, die alle zumindest mit der alttestamentlichen Prophetie vertraut sind, deren Autorität schon anerkannt haben, überhaupt Erfahrung mit prophetischer Rede besitzen und zumindest mit jüdischem apokalyptischem Denken in Berührung gekommen sein dürften,66 so dürfte Commodians Dichtung auf dieses Publikum nicht viel merkwürdiger als Daniel, Henoch, das vierte Buch Esra, die Sibyllinen oder die Ascensio Isaiae gewirkt haben. Vermutet man als Zielgruppe hingegen Heiden, die von Vergil und Cicero herkommen, sich philosophisch weitergebildet haben und nun durch diesen Text zum Übertritt zum Christentum animiert werden sollen, wird man das Konfrontationspotenzial höher veranschlagen. Das Zielpublikum des Carmen apologeticum zu bestimmen, ist schwierig. Nimmt man die Selbstaussagen ernst, handelt es sich um Heiden jeder Gesellschaftsschicht (vgl. carm. apol. 14; 29; 83–85; 89). Meines Erachtens lässt sich das mit der Annahme, φοβούμενοι als unmittelbare oder mittelbare Adressaten anzunehmen, ohne weiteres verbinden, wenn man den Charakter dieser Gruppe etwas anders beurteilt, als es in der Commodian-Forschung teilweise getan wird. Denn die Intensität, mit der diese Leute oder doch Teile von ihnen mit jüdischem Denken vertraut waren – Aspekte der praktischen Lebensführung kann man hier ausnehmen – darf man sich wohl in der Breite nicht übermäßig hoch vorstellen. Es handelt sich eben nicht um Juden, sondern um Menschen, die sich für die Synagoge interessieren, aber auch für andere Religionen, eine religiös aufgeschlossene, aber nicht entschiedene Klientel, deren Affinität zum traditionellen Kult man in Anschlag bringen muss. Für ein solches Publikum mag der Grad der Anstößigkeit ungefähr in der Mitte der Skala gelegen haben. Damit korrespondieren die zwei gegenläufigen Tendenzen, die beide Gedichte prägen und die zusammengenommen für einen schwebenden Zustand zwischen allzu großer Nähe und allzu weiter Ferne sorgen. Sie sollen abschließend in den Begriffen Exotismus und Inkulturation gefasst werden67. Fünf markantere Elemente der Inkulturation, des Versuchs, die eigene Lehre in bekannte Muster einzuschreiben, seien herausgegriffen. 1. Die Wahl der Form eines Gedichts in Quasi-Hexametern bedient sich des Anspruchs und der Akzeptanz der Lehrdichtung. Von Lehrdichtern wie Lukrez ist man den aufklärerischen Gestus und autoritatives Sprechen gewohnt, aus der didaktischen Poesie kennt man lange Kataloge. Weisheit, Mahnung und Warnung in poetischer Form zu präsentieren ist nicht nur in der östlichen, sondern auch in der griechisch-römischen Literatur von Hesiod an eine etablierte Tradition. 66 Zur jüdischen Apokalyptik vgl. nur den Überblick bei Müller (1978). 67 Unter dem etwas anderen Blickwinkel des Traditionellen und Innovativen hat Callebat (1966) einige der im Folgenden skizzierten Züge rubriziert, so die traditionelle imitative Haltung gegenüber der paganen Dichtung und Dichtersprache, die grundsätzlich handwerklich-alexandrinische Auffassung der Poesie, die typisch römische Verbindung von Didaxe und Satire einerseits (86–89) und das innovative Gesamtklima, die Dominanz biblischer Aufnahmen und intertextueller Bezüge zu christlichen Autoren, das Überschreiten bisheriger Gattungsschranken, den bewussten Zug zum Volkssprachlichen, den neuartigen Versbau und die eigenwillige Stilistik andererseits (89–95).

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2. Der Einsatz der Biographie des Autors beginnt ebenfalls bereits bei Hesiod, der in den „Werken und Tagen“ und in der „Theogonie“ seine Kompetenz biographisch begründet. Doch ist der Topos bei weitem nicht auf die Lehrdichtung beschränkt, sondern findet sich in vielen Proömien paganer und christlicher Autoren. Bei den Christen ist insbesondere auf die ebenfalls an ein exoterisches Publikum gerichtete Gruppe der apologetischen Schriften zu verweisen, in denen wie bei Commodian gerne mit der Metaphorik von Dunkel und Licht gearbeitet wird.68 3. Commodian schafft Anknüpfungspunkte zu Vertrautem, indem er eingeführte Konzepte der Allgemeinbildung aufgreift, so wenn er zu Beginn des Carmen apologeticum den aus der praefatio des sallustischen Catilina und vielen anderen Texten bekannten Gedanken, der Mensch sei im Gegensatz zum Tier zum Denken geboren, drastisch aufnimmt und mit der Moralität des jeweiligen Verhaltens verbindet: Multi quidem bruti et ignoti, corde sopiti69 nihil sibi praeponunt cognoscere; more ferino quaerunt, quod rapiant aut quorum sanguinem bibant70. Zwar nehmen viele, stumpf und unkundig, im Herzen eingeschlafen, / sich nichts vor zu erkennen. Wie die wilden Tiere suchen sie, / nur was sie rauben oder wessen Blut sie trinken können. carm. apol. 16–18

4. Commodian bemüht sich, auch wenn der Leser mit vielem ohne Erklärung konfrontiert wird, insgesamt um eine argumentative Struktur, wie man sie aus rhetorischen Texten kennt und erwartet. Die Gedichte sind nicht wirr oder ungegliedert, sondern herkömmlich strukturiert und grundsätzlich logisch nachvollziehbar. 5. Er bedient sich auch im Kleinen vertrauter Verfahren wie der intertextuellen Bezugnahme, etwa wenn er Vergil zitiert und den vergilischen Kontext aufruft. Dafür sei nur ein Beispiel gegeben. In der Schilderung der endzeitlichen Schrecken ist von fliegenden Gesteinsbrocken die Rede: … uri sicut pulvis in auras; saxa volant, ve … tecta domorum. Vastantur patriae, prosternitur civitas omnis71 … wie Staub in die Lüfte. / … fliegen Felsbrocken … Hausdächer durch den Wind. / Die Heimatländer werden wüst und jede Stadt dem Boden gleichgemacht. carm. apol. 1029–1031 68 Aus der Fülle der möglichen Vergleichstexte seien im Bereich des Lateinischen nur der zeitlich benachbarte Minucius Felix (Octavius 1,1–5) und PsEusebius von Vercelli (De trinitate 1,1–3), der auch noch die Taufsymbolik einbezieht, genannt. 69 Martin setzt nach sopiti m. E. irrig einen Strichpunkt. 70 Mit der Handschrift halte ich bibant, Martin hat die bedenkenswerte Konjektur vivant in den Text genommen. Auf die Konnotation des Unglaubens, die in ignotus wie in der Selbstcharakterisierung mit ignarus (v. 3) als spezifisch christlichem Terminus liegt, hat Brugnoli (1997) hingewiesen. 71 Die vollständigen konjekturalen Ergänzungen der Verse bei Martin sind beiseite gelassen.

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Das ruft einen Vers Vergils aus dem Seesturm vom Anfang der Aeneis auf, in dem Bürgerkriegsvokabular zur Beschreibung der durch die Götter entfesselten Naturgewalt verwendet wird (Verg. Aen. 1,150): iamque faces et saxa volant, furor arma ministrat. Die Naturgewalt bei Commodian erhält so größere Tiefe, indem über das Zitat auf ihren göttlichen Ursprung und ihre fürchterliche Konsequenz für den Menschen aufmerksam gemacht werden kann. Dem steht das bewusste Fremdlassen des Fremden gegenüber, für das der Begriff des Exotismus gewählt sei. Vielleicht erlaubt er es, die Frage zu überwinden, ob Commodian zu richtigen Hexametern, richtigem Latein etc. unfähig war oder im Gegenteil bewusst falsche Verse baute und falsche Formen setzte, und kann den Blick darauf lenken, dass jedenfalls der Effekt der Fremdheit gewollt ist. Denn es dürfte unbestreitbar sein, dass in den Instructiones wie im Carmen apologeticum das Exotische in der Lehre, der Gedankenführung, der Sprache und der metrischen Form eine aufeinander abgestimmte Einheit bildet, aus der man kein Element des Fremden schadlos herausbrechen könnte. Die radikale Andersartigkeit des Lebens, Glaubens und Denkens, zu der Commodian führen will, soll sich offensichtlich im Exotismus der Darstellung unmittelbar abbilden. Als literarische Strategie ist nun Exotismus gerade in der Zeit des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. keine singuläre Erscheinung. Die Bandbreite des Phänomens in der paganen wie christlichen Literatur sei anhand dreier Beispiele wenigstens angedeutet.72 Apuleius wählt für seinen Roman den abrupten Einstieg in ein Gespräch, das den Leser befremden muss, nicht nur weil ihm die Gesprächspartner nicht vorgestellt werden, sondern weil sie in einem Idiom miteinander sprechen, das nicht das Latein des Fronto oder des Gellius ist, sondern gerade am Anfang von bedenklicher Qualität einer lutea latinitas. Der Roman zeigt allerdings, dass diese Sprachform wie auch die eigentümliche Struktur des Werkes der exotischen Thematik Magie und Mysterium angepasst ist, so dass sich insgesamt ein Gesamtkunstwerk ergibt. Cyprian hat für Quirinus drei Bücher mit Bibelstellen zusammengestellt, die in bewundernswerter Übersicht Belege für die Messianität und Göttlichkeit Christi, für das sacramentum Christi, also die Ablösung der alten Opfer durch das Opfer und Priestertum Christi und Stellen, aus denen die richtige Lebensführung und die Pflichten eines Christen hervorgehen, bieten. Dieses Werk bzw. seine unmittelbare Vorlage ist eine der wichtigsten Quellen Commodians, der er die Masse seiner Zitate entnommen hat.73 Auf seine Art ist nun Ad Quirinum ebenfalls ein exotisches Werk, indem es sich ganz auf die Wirkung des Zitats verlässt und die erklärenden und überleitenden Passagen extrem kurz hält. Schließlich sei eine weitere wichtige Quelle Commodians genannt, die Oracula Sibyllina. Auch von seriösen christlichen Autoren viel genutzt und für paganen Ursprungs gehalten, weisen sie sprachlich durch die Verbindung von homerischen Wendungen mit tendenziell umgangs72 73

Zum Begriff des Exotismus, der in der französischsprachigen Literaturwissenschaft stärker eingeführt ist als in der deutschen, vgl. den postum veröffentlichten Klassiker von Segalen (1994). Vgl. den Index bei Martin 1960, 202 f. Daniélou (1975) plädiert überzeugend für die wechselseitige Unabhängigkeit beider Texte, die allerdings eine ältere Testimoniensammlung als gemeinsame Quelle hätten. Zu dieser und den sonstigen Quellen Commodians vgl. neben den Kommentaren immer noch Ciceri (1913b).

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sprachlichen Formen, vom prophetisch-autoritativen Gestus und vom Prinzip des Nicht-Erklärens und einer absichtlichen Dunkelheit her deutliche Verbindungen zu Commodian auf. Gewiß bleibt sein Entwurf originell, erscheint aber auf vielfache Weise vorbereitet. Auch der erste christliche lateinische Dichter kommt nicht aus dem Nichts, sondern fügt sich in den theologischen und literarischen Diskurs seiner Zeit ein. LITERATUR Bacci, L., La salvezza secondo Commodiano, in: Pagani e cristiani alla ricerca della salvezza (secoli I – III). XXXIV Incontro di studiosi dell’antichità cristiana, Roma, 5–7 maggio 2005, Roma 2006, 567–582. Bacci, L., Il Mistero di Dio che si fa uomo secondo il poeta Commodiano, in: Mazzanti, A.M. (Hg.), Il volto del Mistero. Mistero e rivelazione nella cultura religiosa tardoantica, Castel Bolognese 2006, 85–94. Badilita, C., Métamorphoses de l’Antichrist chez les Pères de l’Église, Paris 2005. Baldwin, B., Some Aspects of Commodian, ICS 14, 1989, 331–346. Bauer, W., Art. Chiliasmus, RAC 2, 1954, 1073–1078. Brox, N., Doketismus – eine Problemanzeige; in: ZKG 95, 1984, 301–314. Brugnoli, G., Comm. Apol. 16–21, GIF 49, 1997, 243–246. Buitenwerf, R., Book III of the Sibylline oracles and its social setting : with an indroduction, translation, and commentary, Leiden 2003. Callebat, L., Tradition et Novation dans la poésie de Commodien, Pallas 13, 1966, 85–94. Ciceri, P.L., La grammatica di Commodiano, Didaskaleion 2, 1913, 307–362. Ciceri, P.L., Di alcune fonti dell’opera poetica di Commodiano e di Commodiano come scrittore, Didaskaleion 2, 1913, 363–422 (als Separatdruck Torino – Catania 1913). Consolino, F. E., Il discorso autobiografico nella poesia latina tarda, in: Arrighetti, G. – Montanari, F. (Hgg.), La componente autobiografica nella poesia greca e latina fra realtà e artificio letterario. Atti del convegno, Pisa 16–17 maggio 1991, Pisa 1993, 209–228. Courcelle, P., Commodien et les invasions du Ve siècle, REL 24, 1946, 227–246 (erneut abgedruckt in: ders., Histoire littéraire des grandes invasions germaniques, Paris ³1964, 319–337). Daniélou, J., Les ‘testimonia’ de Commodien, in: Forma futuri. Studi in onore di M. Pellegrino, Torino 1975, 59–69 (erneut abgedruckt in: ders., Les Origines du christianisme latin, Paris 1978, 224–234). Daniélou, J., Les Origines du christianisme latin, Paris 1978. de Senneville-Grave, G. (Hg.), Sulpice Sévère, Chroniques. Introduction, texte critique, traduction et commentaire, Paris 1999. Döpp, S., Art. Commodianus, LACL, ²1999, 136 f. Duval, Y., Le début de la persécution de Dèce à Rome (Cyprien, Ep. 37), REAug 46, 2000, 157–172. Fitschen, K. – Leppin, V., Art. Chiliasmus, III. Kirchengeschichtlich, RGG4 2, 1999, 137–140. Fredouille, J.-C, Hésitations titrologiques et interprétation des œuvres, in: Fredouille, J.-C. u. a. (Hgg.), Titres et articulations du texte dans les œuvres antiques. Actes du colloque international de Chantilly, 13–15 décembre 1994, Turnhout 1997, 385–396. Freund, S., Laktanz, Divinae Institutiones Buch 7: De vita beata. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar, Berlin – New York 2009. Gagé, J., Le poème messianique de Commodien et la crise religieuse de l’empire romain vers 260 ap. J.C., RHR 159, 1961, 131–133. Gagé, J., Commodien et le moment millénariste du IIIe siècle (258–262 ap. J.–C.), RHPhR 41, 1961, 355–378.

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LICHTBEFREIUNG DURCH DREI ZEITEN1 Zum manichäischen Zeit- und Geschichtsverständnis Markus Stein Die manichäische Eschatologie ist Teil des Mythos, in den Mani seine Lehre gegossen hat. Daher sei er im folgenden kurz vorgestellt:2 Ursprünglich existierten zwei klar voneinander getrennte Reiche, das des Guten, das Lichtreich, und das des Bösen, das Reich der Finsternis. Dies ist der Kern der manichäischen Lehre, ein radikaler Dualismus zweier ewig bestehender Prinzipien, Licht und Finsternis, gut und böse, Gott und Materie, deren Antagonismus das gesamte Geschehen durchzieht. Gott wird mit allem Guten in Verbindung gebracht, sein Licht ist das reinste, das intelligible Licht, das sichtbare ist seine Schöpfung. Die Materie ist nicht bloß als passive, formbare Substanz gedacht, sondern als ein aktives, Verderben bringendes Prinzip, das von einer eigenen ‚geistigen Größe‘, dem Fürsten der Finsternis, getrieben wird und sich in ständiger ungeordneter Bewegung befindet. Als nun einst das Reich der Finsternis im Zuge seiner ständigen inneren Streitereien das Reich des Lichtes erblickte und in Besitz nehmen wollte, berief Gott in einem ersten Akt aus sich die Mutter des Lebens, die ihrerseits den Ersten Menschen, den sogenannten Urmenschen – der nicht mit Adam zu verwechseln ist – berief.3 Dieser trat, mit den Lichtelementen Luft, Wind, Licht, Wasser und Feuer gerüstet, der Finsternis entgegen. In dem folgenden Kampf wurde er von der Finsternis verschlungen. Das in ihm vorhandene Licht war jetzt zwar in der Finsternis gefangen, aber auch sie war nicht mehr die reine Finsternis, das konzentrierte Böse, da sie das Licht in sich trug, und genau das hatte Gott beabsichtigt. Weil bei dem folgenden Befreiungsunternehmen nur ein Teil des göttlichen Lichtes gerettet werden konnte, wurde, um auch den Rest zu erlösen, in einer zweiten Berufung von weiteren Emanationen Gottes der gesamte Kosmos errichtet. Dabei haben u. a. der Mond und die Sonne die Aufgabe, als eine Art Filter das Licht aus den Körpern der Finsternis, den Archonten, herauszulösen und schließlich ins Paradies zu befördern. Diese Lichtbefreiungsmaschinerie wurde von einer erneuten göttlichen Emanation, dem Dritten Gesandten, in Gang gesetzt. In Sonne und Mond 1 2 3

Für kritische Lektüre danke ich Gregor Wurst (Augsburg). Die folgende Übersicht nach Stein, Dualismus 161–163 (mit weiteren Angaben), ausführlichere Darstellungen des Mythos bei Polotsky (1935), 249–262, Puech (1949), 74–85, Merkelbach (1986), 17–33 und Sundermann (1993). Zum Prinzip der Berufungen, die Hypostasierungen Gottes darstellen, vgl. Polotsky (1935), 248.

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Markus Stein

thronend, zeigen er und seine Begleiter sich den männlichen Archonten in schöner weiblicher Gestalt und den weiblichen Archonten in ebenso verführerischer männlicher Form. Beide Archontengeschlechter geben daraufhin das in ihnen gefangene Licht von sich. Um dieser Entwicklung ein Ende zu setzen, schufen die Mächte der Finsternis Adam und Eva. Seitdem ist beim Menschen das göttliche Licht, die Seele, im Fleisch, dem Werk des Bösen, gefesselt, und sie wird durch jede Zeugung erneut gebunden. Die Gegenmaßnahme folgte unverzüglich: Jesus, der Glanz, eine transzendente Erlösergestalt, stieg aus dem Lichtreich herab und belehrte Adam über seinen göttlichen Kern, seine wahre Herkunft; er führte ihn also zur Selbsterkenntnis, der γνῶσις, womit der entscheidende Schritt zur Befreiung des Lichtes aus den Fesseln des Fleisches getan war. Weitere solcher Offenbarungen wurden auch anderen Urvätern des Alten Testaments zuteil sowie den Religionsstiftern Zarathustra, Buddha, dem historischen Jesus von Nazareth und als Abschluss Mani. Seine Kirche hat den Auftrag, die bei Adam beschriebene γνῶσις in jedem Menschen zu wecken. Darüber hinaus obliegt es den Gläubigen, das in den Pflanzen gefangene Licht zu befreien. Hier kommt nun eine Eigenart der manichäischen Kirche zum Tragen: sie war in zwei Klassen geteilt. Die Auserwählten, die electi, dienten einzig dem manichäischen Ideal: Sie übten Askese, aßen allein pflanzliche Speisen, enthielten sich jeglichen Geschlechtsverkehrs, besaßen kein Eigentum und zogen als Wanderprediger umher. Den Hörern, den auditores, waren nicht so strenge Gebote auferlegt: Sie brauchten nicht so viel zu fasten, durften Fleisch essen, des weiteren heiraten und verfügten über eigenen Besitz. Im Gegenzug mussten sie die electi mit dem zum Leben Notwendigen unterstützen, insbesondere mit der pflanzlichen Nahrung. Denn weil nach manichäischer Lehre das in der ganzen Welt, vor allem aber in der Vegetation vorhandene Licht durch jeden Eingriff verletzt und gequält wird, dürfen die electi keinesfalls selbst z. B. Getreide anbauen und daraus Speisen zubereiten. Diese Sünden müssen die auditores auf sich nehmen, doch werden sie ihnen aufgrund der Fürbitten der electi vergeben. Aus den pflanzlichen Speisen, die die electi zu sich nehmen, wird unter Gebeten und Gesängen das Licht gelöst, so dass es in seine himmlische Heimat zurückkehren kann. Wenn schließlich aus dem gesamten Kosmos genügend Licht ausgeläutert ist, tritt das Weltende ein, in dessen Verlauf die Finsternis gründlichst und auf ewig unschädlich gemacht wird. Das Licht ist nunmehr wieder von ihr getrennt und formt ein neues Reich. Dieser Mythos ist von den Manichäern in drei Abschnitte gegliedert worden. Gemeinsam mit dem Dualismus der Prinzipien Licht und Finsternis bildete die Lehre der drei Zeiten die zwei wichtigsten Glaubensgrundsätze der Manichäer, so dass beide häufig als Schlagworte4 zusammen erwähnt werden, vgl. Ps.-B. p.

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Verbreitet waren bei der Drei-Zeiten-Lehre Formulierungen wie die drei Zeiten bzw. Epochen oder Anfang, Mitte und Ende oder – manchmal unter Auslassung des Mittelteils – das, was war, was ist und was sein wird, vgl. Wurst (1994), 168; Koenen (1986), 285 f.

Lichtbefreiung durch drei Zeiten

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66,25–28; CMC p. 132,11–155; kosmogon. Hymnus S 13 + S 9 R II 30, Strophen š u. t (p. 70 Klimkeit); Xᵘastvanift VIII A (p. 246 Klimkeit) und chinesisches Kom­ pendium 1280 a 13 f.; 1280 c 27–1281 a 2 (p. 70. 75 Schmidt-Glintzer).6 Die Drei-Zeiten-Lehre lief in mehreren Versionen um, die auf zwei Grundmodelle zurückgeführt werden können.7 Bei dem einen verteilen sich die drei Zeitabschnitte wie folgt: Im ersten waren Licht- und Finsternisreich völlig voneinander gesondert; der zweite ist die Zeit der Vermischung, beginnend mit der Aussendung und Verschlingung des Urmenschen; im dritten ist erneut und diesmal endgültig der Zustand der Trennung beider Prinzipien erreicht. In gewisser Weise kann man daher von einem zyklischen Epochenverständnis sprechen, aber zum einen handelt es sich wie in der jüdisch-christlichen Vorstellung um eine einzige Kreisbewegung, also um eine ‚zyklisch-finale‘ Zeitauffassung8, zum anderen ist der Kreis nicht vollkommen (s.u. S. 202). In der zweiten Hauptversion wird jene mittlere Zeit der Vermischung ihrerseits in drei Abschnitte unterteilt: Der erste umfasst Kampf und Rückkehr des Urmenschen, der zweite die Errichtung des Kosmos durch den Lebendigen Geist und der dritte die Spanne von der Ingangsetzung der kosmischen Lichtbefreiungsmaschinerie durch den Dritten Gesandten bis hin zum Weltende. Die Eschatologie ist demnach fester Bestandteil der Drei-Zeiten-Lehre. Da Mani sich selbst als den letzten Propheten „dieser letzten Generation“9 sah und

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Mani berichtet hier über seine Begegnung mit einem König und dessen Fürsten: ἐξέφηνα [δὲ αὐτοῖς] τὴν διάστασιν [τῶν δύο] φ̣ύσεων [καὶ τὰ περὶ ἀρχ]ῆς καὶ με[σότητος καὶ] τέλους. Die Tatsache, dass beide Dogmen gern hintereinander angeführt werden, spricht für die von Koenen / Römer vorgenommene Ergänzung [καὶ τὰ περὶ ἀρχ]ῆς und gegen das von Rosenstock vorgeschlagene [τὴν τῆς ἀρχ]ῆς (vgl. CMC app. crit. z.St.; Koenen [1986], 285,3). Römer (1994), 86 hat bereits auf die Schwierigkeit hingewiesen, dass „διάστασις ... den Zustand der beiden Prinzipien in der mittleren Zeit der Vermischung kaum wiedergeben kann“. Dieses Problem stellte sich zwar nicht bei der von Koenen (1986), 285 f.,3 erwogenen Deutung, unter der διάστασις in der ersten und letzten Periode den Zustand und in der mittleren den Vorgang der Trennung zu verstehen, führte aber zu wechselnden Bedeutungen von διάστασις, was obendrein dadurch erschwert wird, dass sich διάστασιν, wie der nur einmal gesetzte Artikel τὴν (in [τὴν τῆς ἀρχ]ῆς) zeigt, auf die drei Zeiten zusammen bezieht. Vgl. Puech (1949), 74 mit 157–159, 284; Nagel (1974), 201; Wurst (1994), 167. Weiteres dazu im Anhang S. 203 ff.; grundlegend sind die Arbeiten von Nagel (1974), Henrichs (1986) und Wurst (1994); vgl. auch Puech (1949), 157–159, 284. Der Ausdruck stammt von Nagel (1974), 202; vgl. Henrichs (1986), 188; zur Frage, inwieweit im paganen Bereich der Antike eine zyklische Welt- und Geschichtsauffassung vorherrschte, vgl. Kehl in Kehl-Marrou (1977), 743–745, zum jüdisch-christlichen Verständnis Marrou in Kehl – Marrou (1977), 770 f. Keph. p. 14,6 u. 179,16 f.; vgl. Stroumsa (1981), 169 f.

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Markus Stein

das Weltende Keph. p. 146,9 f. als nahe bevorstehend bezeichnete,10 auch wenn er genaue Zeitangaben vermieden hat, reicht sie in die Gegenwart hinein.11 Wie sah nun das Welt- bzw. Zeitenende nach manichäischer Lehre aus? Wir besitzen darüber zwei umfangreiche Darstellungen: zum einen die eschatologischen Abschnitte in Manis Šābuhragān, das er dem Sassanidenkönig Schapur I. gewidmet hat12; zum anderen eine von Kustaios, einem seiner engsten Schüler13, stammende Homilie, den Sermon vom Großen Krieg14, der seinerseits auf das Šābuhragān oder eine verwandte Schrift Manis zurückgeht15: Wir greifen also in jedem Fall authentisches Gedankengut. Aus diesen Texten, die zum Teil durch die Ungunst der Überlieferung Lücken aufweisen, und aus anderen verstreuten Nachrichten ergibt sich folgendes Bild:16 Manis Wirken wird in eine Reihe mit dem Zarathustras und Jesu gestellt: Nachdem sie die Irrlehren niedergeworfen haben, erstarken diese nach einiger Zeit wieder, und so bricht denn nach Manis Mission schließlich der Große Krieg aus, dessen Schrecken im Sermon vom Großen Krieg breit ausgemalt werden17: Allerorten wird es Plünderungen und Bultvergießen, Hunger und Durst geben, die Frauen werden versklavt werden; die Kämpfe werden die Menschen überraschen, so dass sie nicht mehr die Zeit finden, vom Dach herabzusteigen, ein Gewand oder irgendeinen vergessenen Gegenstand aus dem Haus zu holen; alle Schwachen, d. h. Lahme, Blinde, Greise, schwangere und stillende Frauen, Säuglinge, werden schutzlos dem Wüten ausgeliefert sein (die Partie ist voll von Anspielungen auf Jesu Predigt über die letzten Dinge Mt. 24,17–19 par.18). Die manichäischen electi und auditores werden 10

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Vgl. Keph. LVII, bes. p. 146,9 f.: Nachdem er gegenüber einem Katechumenen ausgeführt hat, dass von den nacheinander herrschenden kosmischen Mächten über die Jahre, Monate, Tage, Stunden und Augenblicke jetzt die letzten an der Reihe seien, sagt er: „Du siehst, wie nahe das Ende der Welt gekommen ist.“ Dies erklärt sich vor dem Hintergrund, dass die Menschen spätestens seit Manis Religionsstiftung an der Lichtbefreiung beteiligt, ja unabdingbar dafür sind, denn nur dadurch, dass die auditores die pflanzlichen Speisen bereitstellen und die electi diese zu sich nehmen, kann das Licht aus ihnen ausgeläutert werden und somit in seine himmlische Heimat zurückkehren. Wer sich also der manichäischen Botschaft verweigerte, behinderte die Lichtbefreiung und verzögerte in gewissem Maße das Eintreten der ἔσχατα. Vgl. Koenen (1986), 292–297 (das ebd. 294,32 angeführte Keph. CXLVII, in dem erklärt wird, dass die Apostel deswegen keine Prognosen über die Zukunft abgeben, weil die Archonten die Ereignisse zwar nicht verhindern, aber verzögern oder auch beschleunigen können, um die Apostel als Lügner vorzuführen, jetzt p. 350,13–355,1 Funk ediert); Spekulationen über den Zeitpunkt finden sich erst in späterer Zeit, vgl. Polotsky (1935), 261,30–41. D.N. MacKenzie, Mani’s Šābuhragān I/II, Bulletin of the School of Oriental and African Studies 42 (1979) 500–534 u. 43 (1980) 288–310, bzw. Hutter 116–123. Vgl. J. Tubach, Die Namen von Manis Jüngern und ihre Herkunft, in: Atti del 3o congr. intern. di studi „Manicheismo e oriente cristiano antico“ 1993 (Manichaean Studies III), Turnhout 1997, 375–393, hier 380 f. Homil. p. 7,8–42,8. Vgl. Pedersen (1996), 115–152. Zum Folgenden vgl. Koenen (1986), 298–307; Pedersen (1996), 169–398. Homil. p. 8–21; Koenen (1986), 298–300. Die Hauptquelle der manichäischen Eschatologie ist die sog. synoptische Apokalypse, d. h. die Berichte bei Mt. 24 f., Mk. 13 und Lk. 21,5–36 (vgl. Stroumsa [1981], 165; Koenen [1986],

Lichtbefreiung durch drei Zeiten

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schwere Verfolgungen zu erdulden haben: Sie werden gefangengenommen oder getötet werden oder nehmen sich selbst das Leben; ihre Gemeinden werden zerstreut werden, auch Manis Schriften drohen unterzugehen19. – Dieser Krieg ist Teil des göttlichen Heilsplans: die Macht des Bösen bäumt sich ein letztes Mal auf, bevor ihr der Todesstoß versetzt wird.20 Auf den Krieg folgt eine Phase des Friedens und der Ruhe21: Die manichäischen Gläubigen finden wieder zueinander, sie bereuen ihre Sünden, die sie in der Zeit der Verfolgung begangen haben; die manichäische Kirche wird wiederhergestellt werden, sie wird aufblühen und triumphieren; Manis Bücher werden wiedergefunden werden; die auditores werden zwar weiterhin „Unzucht treiben“ (Homil. p. 31,13), aber sie werden ihre erstgeborenen Söhne der Kirche weihen; die Seelen bzw. Lichtpartikel werden „aus den vier Windrichtungen herbeigeholt werden“22. – Durch die letzte Maßnahme soll offenbar der Widerspruch gelöst werden, dass eine solche Phase des Glücks verheißen wird, obwohl infolge der ständigen Ausläuterung des Lichts seit Errichtung des Kosmos eigentlich eine Verschlechterung der Verhältnisse zu erwarten wäre:23 Die Herbeischaffung des restlichen Lichtes aus allen Winkeln der Welt ist ein letzter Konzentrationsprozess, der für die Aufhellung sorgt.24 Sie findet ihren Höhepunkt in der Ankunft des Weltenrichters Jesus. Doch kurz vorher kommt es noch zu einer letzten Prüfung der Gläubigen bzw. Retardation in der Darstellung der Ereignisse: Pseudopropheten bzw. der Antichrist werden erscheinen (vgl. Mt. 24,23 f.), aber sie werden schnell zuschanden werden.25 Die Schilderung des nun folgenden Jüngsten Gerichts ist eng an Mt. 25,31–46 angelehnt. Geurteilt wird über die auditores und die Sünder, denn die electi sind bereits nach ihrem Tode gerechtgesprochen worden.26 Die auditores werden zur

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291–308); die Benutzung der Johannes-Apokalypse ist nicht zweifelsfrei zu erweisen (vgl. Pedersen [1996], 75–79); zu weiteren möglichen Einflüssen vgl. Koenen (1986), 308–332 (dazu Gardner [1993], 269,50). Mani selbst hat großen Wert darauf gelegt, seine Lehre schriftlich niederzulegen, vgl. M 5794 I (in F. C. Andreas – W. B. Henning, Mitteliranische Manichaica aus Chinesisch-Turkestan II, Sb. Preuss. Akad. Wiss. 1933, 295 f. = W. B. Henning, Selected Papers I [Acta Iranica 14], Leiden 1977, 192 f.); Keph. p. 371,21–30; J. Tubach, Mani, der bibliophile Religionsstifter, in: Studia Manichaica. IV. Intern. Kongr. z. Manichäismus 1997 (Abh. Berlin-Brandenbg. Akad. Sonderbd. 4), Berlin 2000, 622–638. Vgl. Nagel (1974), 208; Pedersen (1996), 186 f. 197. Homil. p. 21,28(?)–33,24(?); Koenen (1986), 300 f.; Pedersen (1996), 257–269. Homil. p. 27,11 nach Mt. 24,31; vgl. Koenen (1986), 300 f. Vgl. Keph. LVII, bes. p. 146,12–29. Auf diesen tieferen Sinn hat Koenen (1986), 301 hingewiesen; vgl. Gardner (1993), 268. Šābuhragān p. 117 Hutter (Z. 1–16); Homil. p. 28,4; 34; Koenen (1986), 301; Pedersen (1996), 120–127. Zum Gericht nach dem Tode des einzelnen Menschen, der „eschatologie individuelle“ (Stroumsa [1981], 164,6) bzw. „microcosmic eschatology“ (Gardner [1993], 259), vgl. Stein (2004), 294 f. (Lit.).

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Markus Stein

Rechten stehen und ins Reich des Lichts berufen werden, die Sünder dagegen, die Böcke, kommen auf die linke Seite und werden verflucht.27 Nachdem Jesus noch „eine geraume Zeit inmitten seiner [Auserwählten]“ geherrscht hat,28 begibt er sich ins Lichtreich.29 Ihm folgen die Lichtmächte, die bisher den Kosmos zusammengehalten haben, so dass dieser einstürzt. In einem 1468 Jahre30 dauernden Weltenbrand werden Himmel und Erde mitsamt den Mächten der Finsternis31 vernichtet und gleichzeitig die letzten verbliebenen Lichtpartikel ausgeläutert, die sich in der sog. Letzten Statue sammeln und emporsteigen32. Nach der ἐκπύρωσις werden die Archonten auf ewig eingekerkert in einem Klumpen, dem βῶλος bzw. globus horribilis (z. B. ep. fund. fr. 8,3).33 Dieser seinerseits befindet sich inmitten des Neuen Äon34, der mit dem Lichtreich zusammenhängt, sei es als vorübergehender oder endgültiger Ruheort des Lichtes.35 So hat sich das Geschick der Finsternis in zweierlei Hinsicht gegenüber dem der Anfangszeit (nach der ersten Hauptversion der Drei-Zeiten-Lehre [s. o. S. 199]) geändert: Sie hat ihre Eigenständigkeit verloren und ist vom Licht umzingelt, während sie sich ursprünglich zumindest auf einer Seite unendlich ausgedehnt hatte, indem sie die untere Region bzw. geographisch betrachtet den Süden einnahm, das Lichtreich dagegen sich nach oben, links und rechts bzw. nach Norden, Westen und Osten erstreckte36. Doch auch das göttliche Licht kehrt am Ende der Zeiten nicht in den Ursprungszustand zurück. Zwar ist es siegreich, aber ein Teil davon wird dem globus horribi­ lis hinzugefügt werden, die Seelen derjenigen Menschen nämlich, die, wie sich aus verschiedenen Stellen in Manis Schriften ergibt, nachlässig gewesen seien beim Kampf gegen die Finsternis und die es geduldet hätten, vom Bösen überwältigt zu

27 Homil. p. 38,12–22; Šābuhragān Z. 17–129 (MacKenzie 504–509 = Hutter 117–119); Koenen (1986), 301–304; Stein (2004), 295 f. mit Lit. ebd. 295,3. 28 Homil. p. 39,1–18, bes. 18; Koenen (1986), 304. 29 Hierzu und zum Folgenden Koenen (1986), 304–306. 30 Vgl. Koenen (1986), 316 u. 321 mit Anm. 100; Bennett (2011), 428 mit Anm. 5. 31 Keph. p. 105,24–29. 32 Zu ihr Koenen (1986), 307 mit Anm. 74; Gardner (1993), 269. 33 Vgl. Stein (2002), 100. 102; Keph. p. 105,30–33 wird berichtet, dass beide Archontengeschlechter voneinander getrennt werden: die männlichen werden im βῶλος gebunden, die weiblichen ins Grab (τάφος) geworfen, womit sichergestellt wird, dass sie sich nicht wieder vermehren können (vgl. Polotsky [1935], 262; Pedersen [1996], 379 f. 388 f.; Bennett [2011], 429 f.). 34 Gefängnis und Neuer Äon sind gleichzeitig mit dem Kosmos außerhalb von diesem bereits errichtet worden und werden beim Weltende in Verwendung kommen, vgl. Šābuhragān, M 7981 I V i/ii (Hutter 45 f., Z. 319–357), M 482 I (MacKenzie 511, Z. 180–184), Hegemon. act. Arch. 13,1 (GCS XVI 21) = Epiphan. pan. haer. 66,31,5 (GCS Epiphan.2 III 70); Bema-Ps. 223,14. 18 (p. 41 Wurst = Ps.-B. p. 11,3–7. 21–25); Koenen (1986), 305–307 mit Anm. 69; Pedersen (1996), 187. 35 Vgl. Koenen (1990) 23 f.,64; nach dem in M 173 R und M 94 R überlieferten Hymnus werden Neuer Äon und Lichtreich vereint werden (p. 73 Klimkeit, Strophe s) 36 Vgl. Koenen (1986), 306 f.; zur ursprünglichen Lage von Licht- und Finsternisreich Stein (2002), 55 (Lit.).

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werden.37 Der manichäische Gott erleidet also schließlich einen gewissen Substanzverlust.38 ANHANG Bemerkungen zur Drei-Zeiten-Lehre In der Nachfolge von Nagels Untersuchung ist die Unterscheidung einer ‚östlichen‘ und einer ‚westlichen‘ Version der Drei-Zeiten-Lehre aufgekommen.39 Nach ersterer beziehen sich die erste und letzte Phase auf die Zeiten, in denen Licht- und Finsternisreich völlig voneinander getrennt sind, während die mittlere die Zeit der Vermischung ist, d. h. die von der Aussendung und Verschlingung des Urmenschen an bis hin zur Befreiung der letzten Lichtpartikel. Bei der anderen Variante wird dieser Mittelteil seinerseits untergliedert in drei Abschnitte, indem der erste Kampf und Rückkehr des Urmenschen enthält, der zweite die Errichtung des Kosmos durch den Lebendigen Geist und der dritte die Spanne von der Ingangsetzung der kosmischen Lichtbefreiungsmaschinerie durch den Dritten Gesandten über die Erschaffung Adams durch die Mächte der Finsternis und seine Erweckung durch Jesus den Glanz bis hin zum Weltende.40 Bedenken gegenüber einer strikten Trennung der zwei Versionen hat bereits Koenen (1990), 26,74 geäußert41; und Wurst (1994), 170–175 hat aus der Struktur des koptischen Bema­Psalms 223 (p. 36–41 Wurst = Ps.-B. p. 9,2–11,32) geschlos37

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Manich. Thes. fr. 2 (= Euod. c. Man. 5 [CSEL XXV 952,23–27]; Aug. c. Fel. II 5 [CSEL XXV 832,22–27]); ep. fund. fr. 8 f.; zur Frage des Widerspruchs zwischen Dualismus und Willensfreiheit in Manis Lehre vgl. Stein, Dualismus 167–173; Pedersen (1996), 380–392, bes. 389 f. – In einer öffentlichen Disputation mit Augustinus 404 in Hippo vertritt der Manichäer Felix die Ansicht, dass jene Seelen nicht etwa bestraft, sondern an der Oberfläche des globus horribilis als Wächter befestigt würden, vgl. Aug. c. Fel. II 16 (CSEL XXV 845,11–13) Manichaeus hoc dicit, quia non damnati sunt, sed ad custodiam positi sunt illius gentis tenebrarum (so auch Bennett [2011], 438 f.). Doch aus ep. fund. fr. 8 wird klar, dass diese Maßnahme nicht als Belohnung gedacht ist, und ep. fund. fr. 9 (lucis autem subsicivam partem, hoc est animas peccatrices, damnari ad custodiam globi) ist ausdrücklich das Verb damnari benutzt. Vgl. Simplic. in Epict. ench. 35,54 f. Hadot: Manche Seelen werden sich im globus horribilis befinden, ὥστε καὶ ἀτελῆ μένειν ἐκεῖνον (sc. θεόν) μέρη αὑτοῦ ἀπολέσαντα; Polotsky (1935), 260,24 f. Vgl. Henrichs (1986), 190; Wurst (1994), 167–170. Zu möglichen iranischen Vorbildern vgl. K. Rudolph, Mani und der Iran, in: Manichaica selec­ ta, Festschr. J. Ries (Manichaean Studies I), Löwen 1991, 307–321, bes. 318–320. Der von Koenen angeführte Passus Keph. p. 34,21–26, bes. 24–26 ([der erste ewige Vater], „der mit fünf Vätern ewiglich existiert, der vor Allem existiert, was existiert hat und was existieren wird“) setzt – wenn er sich denn wirklich auf die Drei-Zeiten-Lehre bezieht – die ‚westliche‘ (hier nur mittels der Vergangenheit und Zukunft bezeichnete [s. Anm. 4]) Version voraus, geht aber, um die Allmacht dieses Vaters zu schildern, über den Beginn der dortigen ersten Zeit hinaus in die ewiglich zurückliegende Vergangenheit, die die erste Phase in der ‚östlichen‘ Version bildet. Denkbar ist jedoch auch, dass der Relativsatz „was … wird“ lediglich eine Umschreibung für die Zeit allgemein ist (zu Parallelen im Griechischen Koenen [1986], 286,3).

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sen, dass dieser der ‚östlichen‘ Version angehöre, wofür auch spricht, dass dort der Dritte Gesandte und seine Rolle in der kosmischen Lichtbefreiungsmaschinerie überhaupt nicht erwähnt werden42. Die sog. östliche Fassung war also bereits in früher Zeit im Westen bekannt.43 Hintergrund dieser Unklarheiten und Unstimmigkeiten ist die Tatsache, dass die drei Phasen sowohl der ‚östlichen‘ als auch der ‚westlichen‘ Version jeweils nur in einem Zeugnis ausführlicher dargestellt werden. Bezüglich der ‚östlichen‘ ist dies das chinesische Kompendium, 1281 a 1–10 (p. 75 Schmidt-Glintzer)44, bezüglich der ‚westlichen‘ das Kephalaion XVII, „Das Kapitel von den drei Zeiten“, p. 55–5745. Dabei bezeichnet allein letzteres den Anfangs- und Endpunkt jeder der drei Zeiten konkret, während ersteres einzelne Charakteristika oder Ereignisse nennt.46 Diese beiden Zeugnisse sind die eigentliche Grundlage für die bekannte Unterscheidung. Anders verhält es sich nun in zwei weiteren der ‚östlichen‘ Version zugewiesenen Texten47, dem uigurischen Beichtspiegel für die Hörer Xᵘastvanift, VIII A (p. 246 Klimkeit), und dem aus zoroastrischer Sicht verfaßten Škand­Gumānīk Vičār (d. h. Zweifel zerstreuende Darlegung)48, 16,4–52 (p. 252–255 de Menasce). Im Xᵘastvanift wird „die Lehre von den zwei Prinzipien und den drei Zeiten“ zwar explizit erwähnt, aber die Zuordnung der danach folgenden Einzelheiten wird nur aus der Formulierung „wir wissen“, die offensichtlich gliedernde Funktion hat, klar: „Und wir wissen, was früher war, als Erde und Himmel nicht existierten [= erste 42 43 44

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Vgl. Heuser (1998) 19,4. Die Entstehungszeit der Bema-Psalmen ist einzugrenzen zwischen Manis Tod (277) und dem Ende des 4. Jh. bzw. Anfang des 5. Jh. (G. Wurst, Das Bêmafest der ägyptischen Manichäer, Altenberge 1995, 52–55). Vgl. Nagel (1974), 202; Wurst (1994), 167. Dieser Katechismus der manichäischen Lehren ist 731 von einem manichäischen Bischof verfasst worden, wahrscheinlich auf Anordnung des kaiserlichen Hofes, vgl. Lin Wushu, The origin of „The compendium of the teaching of Mani, the Buddha of light“ in Chinese, in: Manichaica selecta, Festschr. J. Ries (Manichaean Studies I), Löwen 1991, 225–232. Vgl. Nagel (1974), 204 f.; Wurst (1994), 168 f. Der gleiche Aufbau findet sich ohne Verweis auf die drei Zeiten Keph. p. 102,23–34 (Nagel [1974], 204). Die koptischen Kephalaia, eine umfangreiche Lehrschrift, in der Mani auf die Fragen seiner Jünger antwortet, sind zwar nicht von Mani selbst verfaßt, aber immerhin in der nächsten Schülergeneration wohl anhand seiner mündlichen Belehrung zusammengestellt (von Addas/Adimantus?) und in der Folgezeit redigiert worden, vgl. W.-P. Funk, The reconstruction of the Manichaean Kephalaia, in: P. Mirecki – J. BeDuhn (Hgg.), Emerging from Darkness. Studies in the recovery of Manichaean sources (NHMS 43), Leiden 1997, 143–159, bes. 151–154. Aus der zweiten Zeit nennt das chinesische Kompendium, 1281 a 5–8 (p. 75 Schmidt-Glintzer), lediglich den Sieg der Finsternis über das Licht und die menschlichen Bemühungen, das Licht aus dem Körper zu befreien, nicht aber das Weltende. Es wird jedoch in der Regel dazugerechnet (z. B. Koenen [1990], 26; Stein [2002], 63), weil der Verfasser zur dritten Zeit nur Angaben macht, die das Resultat beschreiben: „sind .. vollendet“, „sind ... zurückgekehrt“, „ist ... zurückgekehrt“, „sind ... wiederhergestellt“, „haben sich ... abgekehrt“. Dies ist aber nicht zwingend, da sich die besagte Ausdrucksweise auch anders erklären ließe, so dass die Grenze zwischen den beiden Zeiten möglicherweise zu verschieben ist (s. Anm. 64). Nagel (1974), 202. Diese Widerlegungsschrift stammt aus dem 9. Jh., vgl. Jackson (1932), 174.

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Zeit]; wir wissen, warum Gott und Teufel miteinander kämpften, wie Licht und Finsternis vermischt wurden und wer Erde und Himmel geschaffen hat [= zweite Zeit]; und ferner wissen wir, warum Erde und Himmel aufhören werden zu sein, wie Licht und Finsternis getrennt werden und was dann sein wird.“ Diese letztgenannte dritte Zeit bezieht sich nun anders als im chinesischen Kompendium nicht allein auf die Periode, in der die zwei Prinzipien sich im Zustand der Trennung befinden, sondern auch auf die des Vorganges. Genauerhin gemeint ist damit die Zeit, die mit dem Weltuntergang einsetzt, denn dieser wird davor erwähnt („warum Erde und Himmel aufhören werden zu sein“), was auf eine entsprechende Abfolge der Ereignisse schließen läßt, ebenso wie die Angaben zur zweiten Zeit chronologisch geordnet sind. In Škand­Gumānīk Vičār 16,4–6 (p. 253 de M.) werden die drei Zeiten nicht ausdrücklich genannt, man kann sie aber aus der durch die Formulierungen gegliederten Reihenfolge erschließen: La doctrine de Mani porte en premier [„the original [lit. foundation-] statement“ bzw. „foundafoundation-word“ nach Jackson (1932), 177. 183] sur l’existence des Principes infinis [= erste Zeit, es ist aber vor allem, wie Jacksons Übersetzung zeigt, ein Hinweis auf den Dualismus], deuxièmement [„the intermediate one“: Jackson (1932), 177], sur le Mélange [= zweite Zeit]; enfin [„the final one“: Jackson (1932), 177] sur la Séparation de la lumière et des ténèbres49 [= dritte Zeit].

In der nachfolgenden Darstellung der Lehre (8–52) wird auf diese Aufteilung jedoch nicht mehr abgehoben, was durch den Gliederungsversuch von de Menasce (1945), 226 letztlich unterstrichen wird.50 Er weist nämlich § 8–27 der zweiten Zeit („le mélange“) zu, die hier die Errichtung des Kosmos, die Einrichtung der Sonne und des Mondes als Stationen der Lichtreinigung sowie die Reaktion des Bösen, die Erschaffung des Menschen, enthält; § 28–50 bilden die dritte Zeit („la séparation“), die die Archontenverführung, die Fesselung der Lichtseele im Leib und das Weltende zum Inhalt hat. Das erinnert an die Version in Kephalaion XVII (s. oben), aber dort gehört die Schöpfung Adams und Evas durch die Finsternismächte der dritten Zeit an und ist die Gegenmaßnahme auf den durch die Archontenverführung erfolgenden Lichtverlust. Abgesehen davon wird die erste Zeit in der Darstellung der Lehre (8–52) gar nicht behandelt. Sollte diesem Teil des Škand­Gumānīk Vičār aber tatsächlich die Kenntnis der Drei-Zeiten-Lehre zugrunde liegen – was wegen der Angaben in § 4–6 nicht auszuschließen ist (s. oben) –, könnte man als Hinweis darauf zumindest bezüglich der dritten Zeit das „à la fin“ in § 46 u. 48 (p. 255 de M.) deuten,51 vgl. 46–50:

49 50

Das folgende „qui (à vrai dire) me paraît plutôt être une non-séparation“ ist Polemik des Autors. Jackson (1932) hat auf einen solchen Versuch verzichtet und verweist in seinem Kommentar zu § 4–7 (S. 183) lediglich auf die Drei-Zeiten-Lehre im Xᵘastvanift, chinesischen Kompendium und bei Augustinus. 51 Es braucht jedoch nicht mehr zu sein als eine schlichte Zeitangabe in einer Erzählung.

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Markus Stein À la fin, Dieu triomphe en séparant les âmes des corps, et ... ce gētīh52 sera, à la fin, anéanti, ... il ne sera pas rétabli, ... il n’y aura pas de restauration des corps ou de corps eschatologique.

Demnach würde hier wie im Xᵘastvanift die dritte Zeit mit dem Weltuntergang einsetzen und, wie der Bemerkung, dass es keine Wiederherstellung der Materie geben wird, zu entnehmen ist, sich bis in die Ewigkeit erstrecken. Es bleibt also festzuhalten, dass in den drei Zeugen aus dem Osten53 zwei Fassungen der Drei-Zeiten-Lehre vorzuliegen scheinen: Bei der einen (Xᵘastvanift und vermutlich auch Škand­Gumānīk Vičār) gehört der Weltuntergang zur dritten, ewig währenden Zeit, bei der anderen (chinesisches Kompendium) anscheinend nicht (s. Anm. 46 u. 66). Was die Zeugen aus dem Westen betrifft, wird bei vielen die Drei-Zeiten-Formel ohne weitere Angaben verwandt, so dass die konkrete Ausgestaltung unklar oder zweifelhaft bleibt.54 Bei den übrigen finden sich mehrere Varianten: Bema-Ps. 223 lässt die Abfolge einer ungemischten, einer gemischten und erneut einer ungemischten Periode erkennen, entspricht also der Version im chinesischen Kompendium (s. o. S. 203). Keph. XVII teilt jene mittlere Phase ihrerseits in drei Zeiten auf (s. o. S. 203).55 Eine dritte Fassung zeigt sich bei Augustinus, der im Rahmen seiner Auseinandersetzungen mit den Manichäern Felix und Faustus verschiedentlich Einzelheiten zu den drei Zeiten (initium, medium und finis) erwähnt.56 Wenn diese Angaben auch polemisch gefärbt sind, so ergeben sie dennoch ein konsistentes Bild: Im initium findet der Kampf des Lichtes mit der Finsternis statt, der zur Vermischung führt.57 Das medium ist die Zeit der Befreiung des mit der Finster52 53

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Gemeint ist damit die körperliche bzw. materielle Welt, vgl. Jackson (1932), 184. In drei weiteren Zeugen, dem parthischen Hymnus M 710 + M 5877, Strophe k (p. 67 Klimkeit), dem persisch-parthischen Hymnus S 13 + S 9 R II 30, Strophe š (p. 70 Klimkeit), und chin. Komp. 1280 a 14 (p. 70 Schmidt-Glintzer), ist mangels weiterer Angaben die konkrete Gestalt der drei Zeiten unklar. Vgl. (in der Formel das, was war[, was ist] und was sein wird) CMC p. 26,1–3; 66,12–14; Keph. p. 5,26–28 (vgl. aber Wurst [1994], 175); 15,19 f.; 16,20 f.; 73,27 f.; 182,16 f.; 257,6 f.; 350,24 f. (mit Funks Ergänzung im app. crit.); Bema-Ps. 224,8,2 (p. 45 W. = Ps.-B. p. 13,7 f.); 227,6,3 (p. 61 W. = Ps.-B. p. 21,20 f.); Ps.-B. p. 66,25; (in der Formel Anfang, Mitte und Ende) CMC p. 132,14 f.; Homil. p. 7,12 f.; Bema-Ps. 223, D (p. 41 W. = Ps.-B. p. 11,30 f.); Aug. c. Fel. II 1 (CSEL XXV 828,23–28) = ep. fund. test. 14; Felix in Aug. c. Fel. I 6. 9 p. 807,16; 811,13 f.; Euod. c. Man. 35 (CSEL XXV 966,11–13). Hierhin gehört auch Bema-Ps. 221 (p. 33 W. = Ps.-B. p. 7,6–9), vgl. Wurst (1994), 176 f. Aug. c. Fel. II 1 u. 7 (CSEL XXV 828,30–829,2 u. 834,24–835,12) sowie c. Faust. XIII 6 u. XXVIII 5 (CSEL XXV 384,1–11 u. 743,5–7); vgl. Henrichs (1986), 190–192; Pedersen (1996), 174–176,63. Aug. c. Fel. II 1 (CSEL XXV 828,30–829,2) ~ ep. fund. fr. *4,1 hoc initium ..., ubi deum dicitis pugnasse contra gentem tenebrarum et miscuisse naturae daemonum polluendam et ligandam partem suam, quae hoc est quod ipse; c. Faust. XXVIII 5 (CSEL XXV 743,6) in capite bellum dei; XIII 6 p. 384, 2–5 cum ... vobis ex eius initio dictum fuerit: immortali, invisibili, incor­ ruptibili deo quid factura erat gens tenebrarum, si cum ea pugnare noluisset? (nach Pedersen (1996), 175 f.,63 ist beim letzten Passus die erste Zeit in der ‚östlichen‘ Version gemeint; doch die Angabe zum initium bezieht sich nicht nur auf den dat. immortali … deo, sondern auf den ganzen Fragesatz immortali … noluisset [zu facere + dat. vgl. K.-St. I 321 Anm. 8], und Gott

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nis kontaminierten Lichtes durch die Archontenverführung und die Mahlzeiten der Manichäer.58 In den finis fällt die Bestrafung der Lichtseelen, indem sie auf ewig an den globus horribilis gefesselt werden.59 Diese Darstellung scheint bezüglich des initium mit Keph. XVII übereinzustimmen60, aber das ist nicht zwingend. Denn die Formulierungen bei Augustinus besagen nur, dass Kampf und Niederlage des Urmenschen in das initium fallen, nicht aber, dass sie damit in Gänze zusammenfallen. Es ist also nicht auszuschließen, dass in dieser Version das initium den anfänglichen unvermischten Zustand bis zu dessen Ende, das im Kampf des Urmenschen bestand, umfasste, Augustinus aber bewusst diesen letzten Teil für seine Polemik herausgegriffen und den Rest übergangen hat.61 Das medium wiederum entspricht der zweiten und dritten Zeit in Keph. XVII mit Ausnahme des Schlusses, der Verurteilung der Seelen, die bei Augustinus den finis bildet.62 Da dies beim Jüngsten Gericht geschieht (s. Anm. 59), das in den Zusammenhang des Weltendes gehört, und da die Verdammung auf ewig ausgesprochen wird (in aeternum bzw. perpetuo vinculo63), scheint der bei Augustinus greifbaren Drei-Zeiten-Lehre die Vorstellung zugrundezuliegen, dass die dritte Zeit mit dem Weltende beginnt, ebenso wie in der durch das Xᵘastvanift (und Škand­Gumānīk Vičār) repräsentierten zweiten Fassung der ‚östlichen‘ Version (s. o. S. 204). Es ergeben sich somit insgesamt vier Versionen der Drei-Zeiten-Lehre:

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blieb auch nach dem erfolgten Angriff der Finsternis immortalis, invisibilis, incorruptibilis, nur ein Teil seines Lichtes war von der Verunreinigung betroffen). Aug. c. Fel. II 7 (CSEL XXV 834,24–835,8) Zusammenfassung der Archontenverführung mit abschließender Bemerkung haec sunt media doctrinae vestrae; c. Faust. XIII 6 (CSEL XXV 384,5–7) et de medio eius: quomodo est incorruptibilis et incontaminabilis deus, cuius membra in pomis et oleribus manducando et digerendo conteritis, ut purgetis?; ebd. XXVIII 5 p. 743,6 in medio contaminationem dei. Aug. c. Fel. II 7 (CSEL XXV 835,9–12) finis vero quis est? quis nisi quia non potuit deus totum purgare? et quia non potuit, facturum eum dicitis velut tectorium genti tenebrarum, ut ibi in ae­ ternum damnetur, quod purgari non potuit et nihil sua sponte commisit; c. Faust. XIII 6 (CSEL XXV 384,7–9) et de fine eius: quid fecit anima misera, ut in globo tenebrarum perpetuo vincu­ lo puniatur? XXVIII 5 p. 743,7 in fine damnationem dei. Im ersten Passus wird aus dem Hinweis auf die Handlungen des manichäischen Gottes (facturum eum dicitis velut tectorium genti tenebrarum, ut ibi in aeternum damnetur etc.) ersichtlich, dass der Vorgang der Verurteilung beim Jüngsten Gericht und das ewig währende Resultat gemeint sind. An den zwei anderen Stellen kann mit puniatur und damnationem sprachlich sowohl an das Geschehen als auch an das Ergebnis gedacht sein (das praes. kann beide Aktionsarten bezeichnen; zu den Substantiven auf ­tio vgl. Kühner – Holzweissig 964), nicht nur an letzteres, wie Pedersen (1996), 175 f.,63 annimmt, der die drei Partien bezüglich des finis für Zeugnisse der ‚östlichen‘ Version hält. Vgl. Pedersen (1996), 175,63. Die Formulierung initium truncum (c. Faust. XIII 6 [CSEL XXV 384,1 f.], wo der manichäische Mythos als ein aniculare deliramentum continens initium truncum et medium putridum et finem ruinosum bezeichnet wird) erhielte dadurch einen weiteren Sinn, indem nicht mehr nur das Geschehen während des initium gemeint ist (d. h. die truncatio des Urmenschen), wie es beim medium und finis der Fall ist, sondern auch formal der Anfang als verstümmelt qualifiziert wird, da die Zeit des unvermischten Zustandes ein abruptes Ende findet. Vgl. Pedersen (1996), 175,63 (mit der in Anm. 59 gemachten Einschränkung). Aug. c. Fel. II 7 (CSEL XXV 835,11); c. Faust. XIII 6 (CSEL XXV 384,8 f.).

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Nr. 1: Abfolge einer a) ungemischten, b) gemischten, c) ungemischten Periode (chin. Komp. und Bema-Ps. 223); Nr. 2: Abfolge einer a) ungemischten, b) gemischten, c) ungemischten Periode, die mit dem Weltende einsetzt (Xᵘastvanift und u. U. Škand­Gumānīk Vičār)64; Nr. 3: Aufteilung der gemischten Periode in a) Kampf und Rückkehr des Urmenschen, b) Errichtung des Kosmos, c) Ingangsetzung der kosmischen Lichtbefreiungsmaschinerie durch den Dritten Gesandten bis hin zum Weltende (Keph. XVII); Nr. 4: Abfolge a) entweder einer ungemischten Periode, die mit Kampf und Rückkehr des Urmenschen endet, oder nur dieser Urmensch-Episode, b) einer Zeit der Lichtbefreiung durch Kosmos und Mensch, c) einer ungemischten Periode, die mit dem Weltende einsetzt (Augustinus). Diese vier Versionen lassen sich auf die zwei Grundmodelle Nr. 1 und Nr. 3 zurückführen, denn Nr. 2 und Nr. 4 sind Abwandlungen von Nr. 1. Da nämlich sowohl der Kampf des Urmenschen als auch das Weltende die Scheidewand zwischen der ersten und zweiten bzw. der zweiten und dritten Zeit (nach Nr. 1, 2 u. 4) darstellen, hing die Zuordnung vom jeweiligen Verfasser (oder allgemeiner gewendet, von den Ansichten des einzelnen manichäischen Gläubigen) ab, und dieser konnte leicht auf den Gedanken verfallen, den Endpunkt der ersten bzw. den Anfangspunkt der dritten Zeit benennen zu wollen,65 was unweigerlich auf den Kampf des Urmenschen bzw. den Weltuntergang führte.66 Die in den Zeugnissen greifbaren Versionen folgen jeweils einer inneren Logik: Nr. 1 und ihre Abwandlungen Nr. 2 und (sofern Kampf und Rückkehr des Urmenschen das Ende der ungemischten Anfangsperiode bilden) Nr. 4 sind symmetrisch aufgebaut, was zu einer Religion, die auf formale Eleganz großen Wert legte67, bestens passt. Nr. 3, die allein der Zeit der κρίσις, der Entscheidung im Ringen zwischen Licht und Finsternis,68 gewidmet ist, orientiert sich an den drei Berufungen, 64 Hier könnte man die drei Beispiele für Themen einordnen, die nach dem Manichäer Secundinus das menschliche Fassungsvermögen übersteigen: der Dualismus der beiden Naturen, die Frage, warum Gott, obwohl er keinen Schaden erleiden konnte, gekämpft hat, und die Errichtung des neuen Äon (ep. Aug. 6 [CSEL XXV 899,21–24 = p. 240,5–7 Kudella]); möglicherweise ist ihre Auswahl anhand der Drei-Zeiten-Lehre erfolgt (vgl. Kudella [2010], 240,75). 65 Dies ist der erste bzw. letzte bestimmbare Zeitpunkt, denn wegen der Unendlichkeit kann weder der Anfangspunkt der ersten noch der Endpunkt der dritten Zeit genannt werden. 66 Vor diesem Hintergrund könnte man sich sogar fragen, ob nicht auch dem chinesischen Kom­ pendium diejenige Fassung der Drei-Zeiten-Lehre zugrundeliegt, in der der Weltuntergang die dritte Zeit einleitet, denn der Verfasser macht nur Angaben, die das Resultat beschreiben (s. Anm. 46). Dies ließe sich neben der herkömmlichen Interpretation auch so erklären, dass in seinen Augen das Ergebnis an sich den Vorrang besaß, während ihm konkrete Angaben zum Beginn nicht so wichtig erschienen. 67 Zur Vorliebe der Manichäer für kostbare Buchausstattungen vgl. Aug. c. Faust. XIII 6. 18 (CSEL XXV 384,12–14; 400,7–22); weiteres bei M. Hutter, Art. Manichäismus, RAC 24 (2010) 14–16. 68 Gegen diesen Gedanken mag man versucht sein einzuwenden, dass nach Manis Lehre Gott mit seinem Lichtreich am Ende ohnehin obsiegen wird, so dass von einer echten Entscheidungssituation mit einem Risiko nicht die Rede sein könne. Dies ist im großen und ganzen auch richtig,

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die für das mythische Geschehen von grundlegender Bedeutung sind (Urmensch, Lebendiger Geist, Dritter Gesandter). Wenn in Nr. 4 das initium allein aus der Urmensch-Episode bestehen sollte wie in Keph. XVII (s. oben), so ist dafür dasjenige Ereignis gewählt worden, das die Ursache für alles Folgende, einschließlich Manis eigener Religionsgründung, ist;69 die Zeit der Lichtbefreiung und ihr erfolgreicher Abschluß bilden die beiden anderen Phasen. Möglicherweise gehen alle diese Versionen auf Mani selbst zurück: Von Nr. 4 ist das initium für seine epistula fundamenti bezeugt (fr. *4,1), so dass man annehmen kann, dass in ihr, die den ganzen Mythos zum Inhalt hatte,70 medium und finis ebenso wie in Nr. 4 abgeteilt waren.71 Die Kephalaia, durch deren 17. Kapitel Nr. 3 bezeugt wird, bieten zumindest im Kern Manis Gedankengut (s. Anm. 46). Die eindeutige Bezeichnung des Anfangs der ersten und des Endes der dritten Zeit in Nr. 372 legt wiederum nahe, dass diese Version in Kenntnis und vor dem Hintergrund von Nr. 1 (bzw. 2) entstanden ist, die damit gleichfalls von Mani stammen dürfte. Offenbar hat er je nach Gegebenheiten variiert. LITERATUR Bema-Ps. = G. Wurst (Ed., Übers.), The Manichaean Coptic Papyri in the Chester Beatty Library. Psalm Book II 1: Bema-Psalmen (Corpus fontium Manichaeorum, series Coptica I 2,1), Turnhout 1996. Bennett, B., Globus horribilis: The role of the bolos in Manichaean eschatology and its polemical transformation in Augustine’s anti-Manichaean writings, in: „In search of truth“: Augustine, Manichaeism and other Gnosticism, Festschr. J. van Oort (NHMS 74), Leiden 2011, 427–440. CMC = Der Kölner Mani-Kodex, Über das Werden seines Leibes. Kritische Edition, aufgrund der von A. Henrichs u. L. Koenen besorgten Erstedition hg. u. übers. von L. Koenen u. C. Römer (Papyrologica Coloniensia XIV), Opladen 1988. ep(istula) fund(amenti) s. Stein (2002). Gardner, I., The eschatology of Manichaeism as a coherent doctrine, Journal of religious history 17 (1993) 257–273. Henrichs, A., The timing of supernatural events in the Cologne Mani Codex, in: Codex Manichaicus Coloniensis, Atti del simposio intern. 1984, Cosenza 1986, 183–204. doch stellen die Lichtseelen, die am Ende nicht ins Paradies eingehen, sondern an den globus horribilis gefesselt werden (s. o. S. 202), einen gewissen Unsicherheitsfaktor dar. 69 Vgl. Henrichs (1986), 193 (mit Blick auf die Zeit der Vermischung gemäß Keph. XVII): „The mixture was the critical phase, without which neither the need nor the opportunity for salvation would have existed.“ 70 Vgl. Stein (2002), 53 f. 71 Augustins nachfolgende Bemerkung sive initium hoc voces sive medium sive finem, non valde id curo (c. Fel. II 1 [CSEL XXV 829,4 f.] ~ ep. fund. fr. *4,2) zeigt zwar, dass er der manichäischen Drei-Zeiten-Formel keine Bedeutung beimaß (vgl. F. Decret, Aspects du Manichéisme dans l’Afrique Romaine, Paris 1970, 260 mit Anm. 4; ders., L’Afrique Manichéenne [IVe-Ve siècles], Paris 1978, II 230,160), aber nicht etwa, weil er vorher absichtlich oder unbewusst initium und medium vertauscht habe (Decret a.a.O.; dagegen schon Henrichs [1986], 192), sondern weil er den gesamten dreigeteilten Mythos wegen seines gotteslästerlichen Inhalts verurteilte. 72 Neben Keph. XVII ist sie auch Keph. p. 102,23–34 zu fassen (s. Anm. 46).

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Markus Stein

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INDEX Ablabius 34 Abraham a Santa Clara 61 aeternitas. Siehe auch Ewigkeit Africa 50, 61, 149 Alarich 49, 50, 52, 53, 60, 62, 64, 65 Ambivalenz 11, 12, 16, 141, 154, 166 Ammianus Marcellinus 40, 48, 54, 55, 56, 57, 60 Anachronismus 17, 21, 22, 25, 27 Anfang 77, 99, 101, 112, 131, 135, 182, 187, 202, 204, 206, 207, 209 Anonymus de rebus bellicis 58, 59, 62 Anthemius 48 Antichrist 151, 152, 164, 165, 176, 177, 179, 183, 189, 190, 201 Apokalypse 52, 91, 98, 112, 129–138, 144, 151, 152, 156, 162, 164, 166, 171–196 synoptische 200 Apokalyptik 66–68, 129–138, 139, 140, 141, 167, 171, 185, 190 ἀποκατάστασις 155 Apollyon 182, 186, 187 Apologeten 140, 160, 171, 172, 173, 192 Apologie 42, 61, 62, 89, 139, 147, 150, 151, 152, 154, 162, 163, 166, 167, 171, 172, 173, 192 Apuleius 117, 193 Arcadius 60 Aristoteles 75, 76, 79, 80, 81, 82, 86, 91, 142 Arkandisziplin 145 Arnobius 162–170 Asia 130, 132 Asturius / Astyrius (vgl. Eusebius) 188 Attalus Priscus 50 Attila 54 Auferstehung 148, 151, 152, 156, 160, 173, 180, 181, 184, 188 Augustinus 41, 65, 66, 141, 203, 206, 207, 208, 209 Augustus 15–30, 31, 98, 99, 101, 102, 103, 107 Aurelius Victor 35, 40 Ausonius 47, 48 Babylon 136, 137, 181, 183, 186 Bekehrung 42, 159, 173, 174, 178, 179, 180,

185 Bema-Ps. 206, 208 Bethlehem 64 Bibel Ps 185 Dan 129, 133, 136, 141 Ex 134 Am 141 Gen 180 Jer 136 1 Kor 132 Lk 200 Mal 158 Mk 200 Mt 139, 200, 201 Offb 129, 151, 171, 181, 184, 186, 188, 201 2 Petr 154, 156 Ps 136 2 Thess 149, 152 Bibel, Altes Testament 173, 186 Bibel, Propheten 180, 191 Boccaccio 122 Büchner, Georg 45 Caesar 77 Calpurnius Siculus 102, 104 Castiglione, Baldassare 125 Cato d.Ä. 17, 21, 22, 122 Celsus 57 Censorinus 87 Chiliasmus 163, 164, 180, 181, 184, 185 chinesisches Kompendium 204, 206, 208 Christentum 36, 37, 39, 42, 63, 139, 142, 143, 145, 147, 156, 172, 180, 184, 185, 191 Christenverfolgung 41, 42, 150, 160, 166, 172, 174, 182, 183, 186, 187, 188, 189 Christianisierung 31, 32, 42 Christus 38, 39, 64, 89, 90, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 148, 149, 150, 154, 158, 161, 164, 165, 172, 173, 176, 181, 183, 184, 185, 193 Cicero 17, 19, 20, 21, 25, 27, 77, 87, 115, 117, 120, 121, 122, 124, 180, 191 Ciceronianismus 118 Commodian 166, 171–196

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Index

Constantius 34, 40 Constantius II. 40 Cortesi, Paolo 117, 118, 125 Crinito, Pietro 118 Cyprian 139, 157–167, 193 Dämonen 148, 150, 154 Dante 122 D’Avalos, Alfonso 120 Decius 187 Dekadenz, Depravation 26, 98, 100, 103, 109, 110, 111, 121, 125, 143, 148, 161 Didache 66, 132 Diokletian 37, 61, 187 Drei-Zeiten-Lehre 197–212 Dualismus 134, 197 ἐκπύρωσις 155, 156, 167, 202 Elias 182, 183, 188, 189 Ende 31, 45, 46, 54, 56, 60, 66, 67, 68, 77, 91, 112, 115, 119, 125, 131, 132, 135, 140–146, 146–166, 182, 198, 204, 207, 208, 209 Endzeit 89, 130, 133, 139–170, 171–196 Endzeitperspektive 32 Engel 133, 184 Epoche 15, 16, 31, 33, 40, 41, 76, 80, 84, 85, 96, 98, 99, 103, 111, 161, 199 Eschatologie 197, 199 Eschatologie, christliche 139–170, 173, 174, 176, 177, 179, 182, 184, 186, 187, 190 Eugippius 52, 53 Eunapios 40 Eusebios 34, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 60, 62, 187 Eutropius 40 Ewigkeit 32, 33, 36, 83, 88, 91, 118, 130, 134, 159, 161, 172, 173, 178, 179, 184, 197, 198, 202, 207 Exemplum 17, 23, 24, 25 Exotismus 191, 193 Facio, Bartolommeo 116 Felicitas. Siehe Perpetua Ficino, Marsilio 117 Finsternis 197–212 Frontinus 57 Gainas 59, 60 Gallien 48, 54, 55, 77 Gallienus 189 Gegenwart 21, 25, 26, 51, 57, 67, 68, 97, 99, 100, 107, 110, 115, 116, 121, 124, 129, 132, 147, 150, 154, 158, 160, 166, 173, 174, 178, 179, 182, 200 Gelasios 41 Geschichte 31, 45, 51, 53, 99, 105, 116, 130,

131, 133, 135, 141, 143, 163, 164, 178, 179, 180, 182, 184 Geschichtsdeutung 40, 180 Geschichtsschreibung 53, 67, 121, 123, 124 Geschichtsverständnis 197–212 Giovio, Paolo 119–126 Glück 8, 32, 33, 35, 37, 39, 201 Gnosis 198 Gold 46, 58, 97, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 109, 111 Goten 48, 49, 50, 60, 182, 186, 187, 188, 189 Gotteslehre 176 Gregor der Große 90 Heilsgeschichte 36, 37, 38, 41, 64, 142, 165, 180 Heraclianus 50 Hesiod 98, 109, 191, 192 Hieronymus 41, 64, 65, 87, 149, 187 Hippolytus 108, 109, 110, 111, 149 Hippo Regius 64 Honorius 49, 60, 64 Horaz 20, 85, 102, 124 Humanisten 115–126 Hymnus 136 Ianus 100, 101 Identität 17, 23, 25, 27, 95, 97, 135, 176 Imperium Romanum 11, 18, 19, 23, 45–72, 112, 129, 150, 164 Inkulturation 191 Israel 135, 158, 173, 183, 186, 190 Jerusalem 11, 64, 133, 137, 184 Jesus 129, 131, 132, 173, 198, 201, 202 Juden 183, 188, 190, 191 Judentum 133, 173, 185 Julian 31, 40, 41, 55, 60 Justinian 61, 155 Kaiserideologie 38, 39 Kalender 76, 77, 78, 96 Karthago 50, 65, 161 κατέχων 149, 152 Kelsos 143 Kephalaion 204, 205, 206, 208, 209 Konstantin 31–44 Konstantinopel 35, 36, 40, 41, 51, 54, 59, 60 Krieg 15, 18, 35, 67, 100, 101, 109, 118, 133, 180, 190, 200, 201 Kulturentstehungslehre 79, 84, 88 Kustaios 200 Laktanz 37, 38, 89, 90, 145, 149, 163–166, 167 Lamm 129, 131 Ländlichkeit 17–29, 100, 102, 109

Index Lehrdichtung 76, 191, 192 Leo X. 119, 123 Licht 33, 37, 81, 84, 89, 90, 178, 185, 192, 197–212 Licinius 33, 36, 38 Literaturgeschichte 46, 107, 115–126 Livius 22, 24, 25, 124, 144 Löwe 129 Lucretia 87 ludi saeculares 33, 99 Lukan 65, 106 Lukian 82, 83 Lukrez 82, 88, 191 Macrianus 189 Macrobius 9, 47 Makkabäer 133 Mani 197, 198, 199, 200, 202, 209 Manichäismus 197–212 Marcellinus Comes 51, 52, 67 Mark Aurel 46 Martial 85, 102, 122 Maxentius 32, 33 Mazabanes 188 Messias 129, 131, 173, 179, 181, 183, 188, 193 Mezezius 45 Minucius Felix 139, 145, 154, 156, 166, 167 Mirandola, Pico della 117 Monarchie 31 Montanismus 147, 153 Muscettola, Giovanni 120 Mysterienkulte 141 Mythos 8, 79, 81, 82, 83, 98, 107, 197, 198, 209 Nacht 75, 79, 80, 84–91 Necker, Jacques 61 Nero 95, 101, 103, 104, 105, 106, 107, 145, 179, 182, 183, 189 domus aurea 102, 103, 104 Neuplatonismus 39 Nietzsche, Friedrich 86 Novatian 161, 162, 166 Novellae Iustiniani 60 Novellae Maioriani 60 Novellae Valentiani 60 Novellae Valentiniani 61 Numa Pompilius 17, 18, 19, 25, 28 Offenbarung. Siehe Apokalypse Olympiodorus von Theben 49 Optatian 34 Oracula Sibyllina 66, 89, 193 Orakel 90, 141, 164

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Orientius 54, 56, 66 Orosius 9, 41, 65 Ovid 77, 78, 79, 82, 83, 85, 100 Oxymoron 15, 17, 19, 25, 26, 27, 28 Palingenesie 98 Paradies 82, 83, 183, 197 Passio Perpetuae 146 Patmos 132 Paulus 179 Perpetua 146 Petrarca 122 Petrus 179 Philon von Alexandria 135 Philostorg 52, 53 Phoenix 35 Piccolomini, Enea Silvio 116, 117 pietas 39 Platon 76, 142, 156, 162 Plinius d.Ä. 124 Plinius d.J. 124, 145 Polenton, Sicco 116 Poliziano, Angelo 117, 118 Pontius Pilatus 145 Porphyrios 142 Posaunen 132, 133, 139 Prediger 61, 123, 188 Priscus von Panium 54, 56 Prokopios von Caesarea 49 Prometheus 84 Propheten 136, 143, 183, 186, 188, 199, 201 Prophetie 101, 147, 173, 182, 183, 185, 186, 191 Prophezeiung 104, 105, 185 Prudentius 63 Pseudo-Quintilianische Deklamationen 64 Quintilian 121, 122, 124, 140 Quodvultdeus 61, 66 Raum 81, 82, 83, 91, 108, 109, 110 Reform 23, 35, 40, 58, 59, 75, 76, 77 Republik 16, 17, 19, 23, 27, 28, 31, 75, 115 Rhetorik 115, 121, 123, 124 Rom 17, 25, 27, 33, 34, 35, 36, 45, 48, 50, 52, 53, 60, 64, 65, 75, 77, 79, 85, 95, 101, 102, 115, 119, 130, 131, 133, 134, 137, 139, 144, 145, 152, 164, 165, 182, 183, 188, 190 Metropole 16, 23, 27, 85, 100, 102, 137 Roma aeterna 32, 33, 36, 45, 64, 144 urbanitas 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 102 Romulus 15, 17, 18, 19, 28 Romulus Augustus 51 Rufinus 41

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Index

Rutilius Namatianus 64 Sabellico, Marcantonio 116, 118 Sacco di Roma 118, 119, 120, 121, 122, 123, 125 saeculum 15, 33, 99, 102, 151, 153, 177 ludi saeculares 33, 99 Sallust 87, 192 Saloninus 189 Salvian 61, 66, 67 Šāpūr I. 190, 200 Saturn 33, 105 Scapula 149 Schweitzer, Albert 131 Selbstdarstellung 8, 17, 18, 23, 24, 32, 33 Seneca d.Ä. 124 Seneca d.J. 18, 101, 103, 106, 107, 108, 109, 111, 156 senectus mundi 157, 158, 159, 160, 161, 167 Servius 82 Sibyllen 89, 165, 190, 191 Sidonius Apollinaris 47, 48, 49, 52 Siegel 130, 131, 132, 133 Sieyès, Emmanuel Joseph 61 Sizilien 61, 104 Škand-Gumānīk Vičār 204, 205, 208 Socrates 62, 63 Sozomenos 49, 62, 63 Sprachideal 117. Siehe auch Ciceronianismus Stadt 17, 18, 19, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 35, 36, 85, 100, 102, 144, 164 Statius 122 Stilicho 50 Stoa 142, 155, 156, 157 Sueton 16, 17, 23, 24, 25 Symmachus 47, 48 Synesios von Kyrene 59, 60, 68 Tacitus 95, 115, 123, 124, 145 Tarrutenius Paternus 57 Teleologie 141, 142 Terenz 180 Tertullian 139, 147–154, 161, 162, 166, 167 Testamentum domini Jesu Christi 66 Tetrarchie 32, 33, 34 Teufel 134, 205 Theatralität 95, 106 Theodosius I. 31, 57 Theodosius II. 41, 42, 61 Tiberius 145 Tier 133, 134, 139 Tradition 15, 23, 24, 36, 77, 100, 102, 103, 107, 165, 185, 191 mos maiorum 17, 21, 56, 97

Tribigild 59 Tricasae (Troyes) 55 Untier 129, 131, 139 Valens 40 Valentinian I. 40 Valentinian III. 61, 62 Valerian 187, 188, 189, 190 Valla, Lorenzo 116 Varro 17, 25, 26, 27, 76, 84, 86, 122 Vasari, Giorgio 119 Vegetius 56, 57, 62, 67 Verfolgung 201. Siehe auch Christenverfolgung Vergangenheit 15, 17, 19, 21, 24, 25, 27, 28, 68, 95, 97, 99, 100, 107, 109, 115, 121, 124, 177, 178, 182 Vergil 18, 19, 65, 88, 89, 98, 102, 104, 105, 122, 124, 144, 175, 180, 184, 191, 192, 193 Vida, Marco Girolamo 122 Vitruv 23 Volkssprache 117, 118, 121, 122, 124 Weltenbrand. Siehe auch ἐκπύρωσις Weltende 66, 139, 143, 149, 150, 153, 154, 156, 159, 160, 162, 164, 198, 200, 203, 207, 208 Weltgericht 143, 148, 158 Weltuntergang 109, 205, 206, 208 Weltwoche 133, 181, 182 Wende 31–44, 101 Wiederholung 35, 99, 105, 107 Xᵘastvanift 199, 204, 206, 208 Zeichen 19, 20, 24, 85, 86, 96, 135, 150, 154, 174, 182, 183, 186, 188 Zeichensystem 16, 17, 21, 23, 26, 27, 106, 108, 111 Zeit 16, 25, 26, 32, 33, 34, 40, 41, 42, 51, 52, 57, 64, 65, 75–94, 96–113, 117, 131, 132, 137, 141, 146, 147, 171, 177, 181, 182, 183, 184, 197–209 Unzeit 91 Zeitalter 33, 34, 37, 41, 63, 99, 101, 103, 109 goldenes 15, 28, 33, 34, 82, 83, 84, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 109, 111, 164 neues 28, 31, 32, 33, 101, 103, 109, 111 silbernes 83 Zeitaltermythos 82, 98 Zeitangaben 84, 133, 177, 200 Zeitauffassung 97, 199 Zeitdeutung 97, 111 Zeitenende 28, 91, 153, 171, 200, 202, 209

Index Zeitenwende 15, 16, 17, 27, 28, 31, 37, 40, 91, 99, 171 Zeitmessung 84, 97, 101 Zeitmodell 75, 96, 97, 98, 110 linear 75, 76, 96, 97, 99, 103, 111, 141, 142, 182 zyklisch 75, 76, 77, 96, 97, 99, 100, 101, 103, 107, 111, 141, 142, 199 Zeitordnung 75, 76, 77, 78, 79, 80, 83, 84, 89,

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91, 96, 99 Zeitvorstellungen 75, 97, 98, 103, 104, 107, 108, 110, 171 Zeitwahrnehmung 81, 89, 91, 96, 102 Zeus 133 Zosimos 32, 35, 40, 49 Zukunft 15, 16, 19, 27, 51, 97, 99, 100, 125, 135, 150, 177, 179, 181, 182, 184, 185, 186

VERZEICHNIS DER BEITRÄGER Bruno Bleckmann, Jahrgang 1962, ist seit 1998 Professor für Alte Geschichte, zunächst in Straßburg und Bern, seit 2003 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Ulrich Eigler, Jahrgang 1959, ist seit 1995 Professor für Klassische Philologie, zunächst in Freiburg und Trier, seit 2005 in Zürich. Armin Eich, Jahrgang 1965, ist seit 2010 Professor für Alte Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal. Stefan Freund, Jahrgang 1969, ist seit 2008 Professor für Klassische Philologie/ Latein an der Bergischen Universität Wuppertal. Meike Rühl, Jahrgang 1973, ist seit 2012 Professurvetreterin für Klassische Philologie/Latein an der Universität Osnabrück. Christoph Schubert, Jahrgang 1970, ist seit 2010 Professor für Klassische Philologie/Latein an der Bergischen Universität Wuppertal. Elisabeth Stein, Jahrgang 1961, ist seit 1996 Professorin für Latinistik mit Schwerpunkt Mittelalter und Humanismus an der Bergischen Universität Wuppertal. Markus Stein, Jahrgang 1962, ist seit 2005 Professor für Klassische Philologie mit Schwerpunkt Latinistik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Klaus Wengst, Jahrgang 1942, war von 1981 bis 2007 Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum. Anja Wolkenhauer, Jahrgang 1967, ist seit 2010 Professorin für lateinische Philologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

pa l i ng e n e s i a Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft

Begründet von Rudolf Stark, herausgegeben von Christoph Schubert.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0552–9638

32. Wolfram Ax (Hg.) Memoria Rerum Veterum Neue Beiträge zur antiken Historiographie und zur Alten Geschichte. Festschrift für Carl Joachim Classen zum 60. Geburtstag 1990. 216 S., kt. ISBN 978-3-515-05598-7 33. Ingolf Wernicke Die Kelten in Italien Die Einwanderung und die frühen Handelsbeziehungen zu den Etruskern 1991. XI, 178 S. mit 16 Ktn., 8 Abb. und 9 Tab., kt. ISBN 978-3-515-05706-6 34. Frank Bubel Euripides, Andromeda 1991. VII, 193 S., kt. ISBN 978-3-515-05813-1 35. Ludwig C. H. Chen Acquiring Knowledge of the Ideas A Study of the Plato’s Methods in the Phaedo, the Symposium and the Central Books of the Republic 1992. X, 248 S., kt. ISBN 978-3-515-05862-9 36. Carl Werner Müller / Kurt Sier / Jürgen Werner (Hg.) Zum Umgang mit fremden Sprachen in der griechisch-römischen Antike Kolloquium der Fachrichtungen Klassische Philologie der Universitäten Leipzig und Saarbrücken vom 21.–22. November 1989 in Saarbrücken 1992. VIII, 252 S., kt. ISBN 978-3-515-05852-0 37. Ivor Ludlam Hippias Major: An Interpretation 1991. 189 S., kt. ISBN 978-3-515-05802-5 38. Claudia Bergemann Politik und Religion im spätrepublikanischen Rom 1992. VIII, 166 S., kt. ISBN 978-3-515-06105-6 39. Peter Cordes Iatros

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Das Bild des Arztes in der griechischen Literatur von Homer bis Aristoteles 1993. 209 S., kt. ISBN 978-3-515-06189-9 Ricarda Müller Ein Frauenbuch des frühen Humanismus Untersuchungen zu Boccaccios De mulieribus claris 1992. 190 S. und 1 Taf., kt. ISBN 978-3-515-06028-8 Cornelia M. Hintermeier Die Briefpaare in Ovids Heroides Tradition und Innovation 1992. XIII, 218 S. mit 7 Abb., kt. ISBN 978-3-515-06224-4 Philipp Stefan Freber Das Illyricum und der hellenistische Osten 1993. IX, 226 S., kt. ISBN 978-3-515-06255-8 Paul Dräger Argo Pasimelousa Der Argonautenmythos in der griechischen und römischen Literatur. Teil I: Theos Aitios 1993. X, 400 S., kt. ISBN 978-3-515-05974-9 Archibald Allen The Fragments of Mimnermus Text and Commentary 1993. VII, 168 S., kt. ISBN 978-3-515-06289-3 Karsten Thiel Erzählung und Beschreibung in den Argonautika des Apollonios Rhodios Ein Beitrag zur Poetik des hellenistischen Epos 1993. XIII, 263 S., kt. ISBN 978-3-515-06306-7 Günter Eckert Orator Christianus Untersuchungen zur Argumentationskunst in Tertullians Apologeticum 1993. 278 S., kt. ISBN 978-3-515-06392-0

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Carmen Cardelle de Hartmann Philologische Studien zur Chronik des Hydatius von Chaves 1994. XIV, 220 S., kt. ISBN 978-3-515-06385-2 Reinhold Scholl Historische Beiträge zu den julianischen Reden des Libanios 1994. VII, 207 S. mit 31 Abb., kt. ISBN 978-3-515-06537-5 Bernhard Kytzler / Kurt Rudolph / Jörg Rüpke (Hg.) Eduard Norden (1868–1941) Ein deutscher Gelehrter jüdischer Herkunft 1994. 240 S. und 8 Taf., kt. ISBN 978-3-515-06588-7 Michael Mause Die Darstellung des Kaisers in der lateinischen Panegyrik 1994. X, 317 S., kt. ISBN 978-3-515-06629-7 Monika Bernett Causarum Cognitio Ciceros Analysen zur politischen Krise der späten römischen Republik 1995. X, 278 S., kt. ISBN 978-3-515-06639-6 Paul Dräger Stilistische Untersuchungen zu Pherekydes von Athen Ein Beitrag zur ältesten ionischen Prosa 1995. VII, 98 S., kt. ISBN 978-3-515-06676-1 Georg Wöhrle Hypnos, der Allbezwinger Eine Studie zum literarischen Bild des Schlafes in der griechischen Antike 1995. 123 S., kt ISBN 978-3-515-06738-6 Poulheria Kyriakou Homeric hapax legomena in the Argonautica of Apollonius Rhodius A Literary Study 1995. X, 276 S., kt. ISBN 978-3-515-06596-2 Michaela Kostial Kriegerisches Rom? Zur Frage von Unvermeidbarkeit und Normalität militärischer Konflikte in der römischen Politik 1995. 192 S., kt. ISBN 978-3-515-06775-1 Friedhelm L. Müller Eutropii Breviarium ab urbe condita / Eutropius, Kurze

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Geschichte Roms seit Gründung (753 v. Chr. – 364 n. Chr.) Einleitung, Text und Übersetzung, Anmerkungen, Index nominum 1995. IX, 336 S., kt. ISBN 978-3-515-06828-4 Rigobert W. Fortuin Der Sport im augusteischen Rom 1996. VIII, 440 S., kt. ISBN 978-3-515-06850-5 Theokritos Kouremenos Aristotle on Mathematical Infinity 1995. 131 S., kt. ISBN 978-3-515-06851-2 Bruno Vancamp Platon Hippias Maior – Hippias Minor 1996. 131 S., kt. ISBN 978-3-515-06877-2 Karsten Thiel Aietes der Krieger – Jason der Sieger Zum Heldenbild im hellenistischen Epos 1996. XI, 100 S., kt. ISBN 978-3-515-06955-7 Paul Dräger Untersuchungen zu den Frauenkatalogen Hesiods 1997. VII, 171 S., kt. ISBN 978-3-515-07028-7 Karin Luck-Huyse Der Traum vom Fliegen in der Antike 1997. VIII, 264 S., kt. ISBN 978-3-515-06965-6 Friedhelm L. Müller Das Problem der Urkunden bei Thukydides Die Frage der Überlieferungsabsicht durch den Autor 1997. 213 S., kt. ISBN 978-3-515-07087-4 Anika Strobach Plutarch und die Sprachen Ein Beitrag zur Fremdsprachenproblematik in der Antike 1997. VIII, 258 S., kt. ISBN 978-3-515-07007-2 Farouk Grewing (Hg.) Toto notus in orbe Perspektiven der Martial-Interpretation 1998. 366 S., kt. ISBN 978-3-515-07381-3 Friedhelm L. Müller Die beiden Satiren des Kaisers

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Julianus Apostata (Symposion oder Caesares und Misopogon oder Antiochikos) Griechisch und deutsch. Mit Einleitung, Anmerkungen und Index 1998. 248 S., kt. ISBN 978-3-515-07394-3 Reinhard Markner / Giuseppe Veltri (Hg.) Friedrich August Wolf Studien, Dokumente, Bibliographie 1999. 144 S., kt. ISBN 978-3-515-07637-1 Peter Steinmetz Kleine Schriften Aus Anlaß seines 75. Geburtstages herausgegeben von Severin Koster 2000. X, 506 S., geb. ISBN 978-3-515-07629-6 Karin Sion-Jenkis Von der Republik zum Prinzipat Ursachen für den Verfassungswechsel in Rom im historischen Denken der Antike 2000. 250 S., kt. ISBN 978-3-515-07666-1 Georgios Tsomis Zusammenschau der frühgriechischen monodischen Melik (Alkaios, Sappho, Anakreon) 2001. 306 S., geb. ISBN 978-3-515-07668-5 Alessandro Cristofori / Carla Salvaterra / Ulrich Schmitzer (Hg.) La rete di Arachne – Arachnes Netz Beiträge zu Antike, EDV und Internet im Rahmen des Projekts „Telemachos“ 2000. 281 S., geb. ISBN 978-3-515-07821-4 Hans Bernsdorff Hirten in der nicht-bukolischen Dichtung des Hellenismus 2001. 222 S., geb. ISBN 978-3-515-07822-1 Sibylle Ihm Ps.-Maximus Confessor Erste kritische Edition einer Redaktion des sacro-profanen Florilegiums Loci communes, nebst einer vollständigen Kollation einer zweiten Redaktion und weiterem Material 2001. 12*, CVIII, 1153 S., geb. ISBN 978-3-515-07758-3 Roderich Kirchner Sentenzen im Werk des Tacitus 2001. 206 S. mit 4 Tab., geb. ISBN 978-3-515-07802-3

75. Medard Haffner Das Florilegium des Orion Mit einer Einleitung herausgegeben, übersetzt und kommentiert 2001. VII, 267 S., geb. ISBN 978-3-515-07949-5 76. Theokritos Kouremenos The proportions in Aristotle’s Phys. 7.5 2002. 132 S., geb. ISBN 978-3-515-08178-8 77. Christian Schöffel Martial, Buch 8 Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar 2002. 723 S., geb. ISBN 978-3-515-08213-6 78. Argyri G. Karanasiou Die Rezeption der lyrischen Partien der attischen Tragödie in der griechischen Literatur Von der ausgehenden klassischen Periode bis zur Spätantike 2002. 354 S., geb. ISBN 978-3-515-08227-3 79. Wolfgang Christian Schneider Die elegischen Verse von Maximian Eine letzte Widerrede gegen die neue christliche Zeit. Mit den Gedichten der Appendix Maximiana und der0 Imitatio Maximiani. Interpretation, Text und Übersetzung 2003. 255 S., geb. ISBN 978-3-515-07926-6 80. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Antike Fachschriftsteller Literarischer Diskurs und sozialer Kontext 2003. 208 S., geb. ISBN 978-3-515-08243-3 81. Konstantin Boshnakov Die Thraker südlich vom Balkan in den Geographika Strabos Quellenkritische Untersuchungen 2003. XIV, 399 S., geb. ISBN 978-3-515-07914-3 82. Konstantin Boshnakov Pseudo-Skymnos (Semos von Delos?) Ta; ajristera; tou` Povntou Zeugnisse griechischer Schriftsteller über den westlichen Pontosraum 2004. X, 268 S., geb. ISBN 978-3-515-08393-5 83. Mirena Slavova Phonology of the Greek inscriptions in Bulgaria 2004. 149 S., geb.

ISBN 978-3-515-08598-4 84. Annette Kledt Die Entführung Kores Studien zur athenisch-eleusinischen Demeterreligion 2004. 204 S., geb. ISBN 978-3-515-08615-8 85. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Wissensvermittlung in dichterischer Gestalt 2005. 348 S., geb. ISBN 978-3-515-08698-1 86. Robert Gorman The Socratic Method in the Dialogues of Cicero 2005. 205 S., geb. ISBN 978-3-515-08749-0 87. Burkhard Scherer Mythos, Katalog und Prophezeiung Studien zu den Argonautika des Apollonios Rhodios 2006. VI, 232 S., geb. ISBN 978-3-515-08808-4 88. Mechthild Baar dolor und ingenium Untersuchungen zur römischen Liebeselegie 2006. 267 S., geb. ISBN 978-3-515-08813-8 89. Evanthia Tsitsibakou-Vasalos Ancient Poetic Etymology The Pelopids: Fathers and Sons 2007. 257 S., geb. ISBN 978-3-515-08939-5 90. Bernhard Koch Philosophie als Medizin für die Seele Untersuchungen zu Ciceros Tusculanae Disputationes 2007. 218 S., geb. ISBN 978-3-515-08951-7 91. Antonina Kalinina Der Horazkommentar des Pomponius Porphyrio Untersuchungen zu seiner Terminologie und Textgeschichte 2007. 154 S., geb. ISBN 978-3-515-09102-2 92. Efstratios Sarischoulis Schicksal, Götter und Handlungsfreiheit in den Epen Homers 2008. 312 S., geb. ISBN 978-3-515-09168-8 93. Ugo Martorelli Redeat verum

Studi sulla tecnica poetica dell’Alethia di Mario Claudio Vittorio 2008. 240 S., geb. ISBN 978-3-515-09197-8 94. Adam Drozdek In the beginning was the apeiron Infinity in Greek philosophy 2008. 176 S. mit 11 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09258-6 95. Eckart Schütrumpf Praxis und Lexis Ausgewählte Schriften zur Philosophie von Handeln und Reden in der klassischen Antike 2009. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-09147-3 96. Theokritos Kouremenos Heavenly Stuff The constitution of the celestial objects and the theory of homocentric spheres in Aristotle’s cosmology 2010. 150 S., geb. ISBN 978-3-515-09733-8 97. Bruno Vancamp Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung von Platons „Menon“ 2010. 115 S., geb. ISBN 978-3-515-09811-3 98. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Condensing texts – condensed texts 2010. 776 S., geb. ISBN 978-3-515-09395-8 99. Severin Koster Ciceros Rosciana Amerina Im Prosarhythmus rekonstruiert 2011. 178 S., geb. ISBN 978-3-515-09868-7 100. Theokritos Kouremenos Aristotle’s de Caelo Γ Introduction, Translation and Commentary 2013. 121 S., geb. ISBN 978-3-515-10336-7 101. Hendrik Obsieger Plutarch: De E apud Delphos / Über das Epsilon am Apolltempel in Delphi Einführung, Ausgabe und Kommentar 2013. 417 S., geb. ISBN 978-3-515-10606-1 102. Theokritos Kouremenos The Unity of Mathematics in Plato’s “Republic” 2015. 141 S. mit 8 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11076-1

In der römischen Kaiserzeit vollzieht sich ein bis heute wirksamer Paradigmenwechsel im Zeitverständnis. Während die griechisch-römische Antike vielgestaltige, oft zyklische Modelle der Epochen- und Geschichtswahrnehmung kennt, ist das frühe Christentum geprägt von einer linearen und eschatologischen Zeitvorstellung. Die konkurrierenden Modelle und ihr Wandel finden in der Literatur ihren Niederschlag: Die eigene Epoche wird als Endzeit, als Umbruch oder Neubeginn, als Blüte- oder Verfallszeit wahrgenommen und gedeutet.

Auf einer Tagung an der Bergischen Universität Wuppertal diskutierten Klassische Philologen, Althistoriker und Theologen den Themenkomplex in synchronem wie diachronem Zugriff. Der Tagungsband ‚Von Zeitenwenden und Zeitenenden ‘ zeigt anhand von zehn Fallbeispielen von paganen und christlichen Texten neue Perspektiven, die Eigenart und die Eigendynamik des literarischen Diskurses über die alte Frage nach dem Ende der Zeit zu bestimmen.

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ISBN 978-3-515-11174-4