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German Pages 200 Year 2014
Julia Reinecke Street-Art
Urban Studies
Die Kulturwissenschaftlerin Julia Reinecke (M.A.) arbeitet als Fernseh-Redakteurin und Autorin für TV-Formate wie Arte Metropolis und zdf.kulturpalast.
Julia Reinecke
Street-Art Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz (2. Auflage)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Rattenschablonengraffiti von Banksy; Foto: Julia Reinecke, London 2006 Lektorat: Eva Reinecke, Hamburg Satz: Julia Reinecke, Berlin Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-759-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
! "# !$ 2.1 Street-Art 2.2 Post-Graffiti
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3.1 Die Entstehungsgeschichte
3.2 Stile und Characters
3.3 Bemalen von Zügen
3.4 Die Graffitiregeln und das Ziel
3.5 Die ersten zwei Ansätze der Etablierung von Graffiti im Kunstfeld
3.6 Gründe für die Nicht-Etablierung von Graffiti als Kunstform während der 80er Jahre
3.7 Der dritte Ansatz, Graffiti im Kunstfeld zu etablieren und der Übergang zu Street-Art
3.8 Die Graffitisubkultur
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4.1 Blek Le Rat: Begründer der französischen Pochoir-Bewegung
4.2 Shepard Fairey: Die »Obey Giant«-Kampagne
4.3 Banksy: Politisches Schablonengraffiti
4.4 D*Face: Aufkleber, Cut-outs und Finders Keepers
4.5 Jeroen Jongeleen alias Influenza: Street-Art im Kunstfeld
4.6 Invader: Skulpturen im urbanen Raum
4.7 Solo One: Stickerkampagnen
4.8 Grim alias Stirb: Street-Art als Provokation
4.9 Stefan Marx alias Gomes: Autonomes Publizieren von Zeichnungen
4.10 56K: Vom Graffiti-Tag zum Logoschriftzug
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5.1 Die Begriffe Gegenkultur, Jugendkultur, Szene und Subkultur
5.2 Drei Phasen der Subkulturtheorie und Subkulturforschung
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6.1 Kommunikation in der Street-Art-Subkultur
6.2 Treffpunkte der Street-Art-Subkultur
6.3 Sozialstatistische Kriterien
6.4 Musik- und Kleidungsstil
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7.1 Der Feldbegriff und der Habitus
7.2 Die verschiedenen Kapitalformen nach Pierre Bourdieu
7.3 Die Dynamik innerhalb des Feldes
7.4 Zwei ökonomische Logiken im Feld
7.5 Konsekration und das Machtfeld
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8.1 Die Rolle des Habitus im Street-Art-Feld
8.2 Die Gewichtung der Kapitalformen im Street-Art-Feld
8.3 Konsekration und Legitimation im Street-Art-Feld
8.4 Zwei ökonomische Logiken im Street-Art-Feld
8.5 Die Dynamik im Street-Art-Feld
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9.1 Die Konvergenz von Werbung und Kunst
9.2 Pop-Art: Eine Kunstbewegung zwischen Kunst und Werbung
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10.1 Gemeinsamkeiten mit Land-Art
10.2 Gemeinsamkeiten mit Kunst im öffentlichen Raum
10.3 Gemeinsamkeiten mit Dada
10.4 Gemeinsamkeiten mit Situationismus
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11.1 Guerilla-Marketing
11.2 Imagewerbung
11.3 Das Street-Art-Image
11.4 Trend
11.5 Die Sell-out-Diskussion innerhalb der Street-Art-Subkultur
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V i el e n D a nk a n Eva Re i ne c k e f ü r da s L ekt o ra t D a n ke: 56K, Alëxone, Blek Le Rat, Chris Köver, Christoph Behnke, Dave the Chimp, D*Face, Eve (E*Face), Eko, Ephraim Webber, Flying Fortress, Funk 25, Gerd Ziegler, Grim, Hindeja Farah, Inga Reinecke, Invader, Jeroen Jongeleen, Kerstin Niemann, Marc und Sarah von Wooster Collective, Maren Reinecke, Margarita Tsomou, Markus Fiedler, Mirko Reisser, Misterious Al, Os Gemeos, Peter Reinecke, Pitt Feil, PMH, Solo One, Stefan Marx, Stefanie Lohaus, Susanne Manz, Tine Opitz, Ulf Wuggenig & Wanda Wieczorek Und Danke an all diejenigen, die ihre Arbeiten in der Strasse anbringen.
6 7 8 6 7 9 : 7 98 : / $ Vor knapp zehn Jahren unterhielt ich mich nach der Vernissage der Urban Discipline-Ausstellung mit einer Gruppe von Street-Art-Akteuren in einer dunklen Nebenstraße von St. Pauli. Einer von ihnen berichtete aufgeregt davon, wie er gerade beim Sprayen von der Polizei gefasst wurde. Das war Banksy. Heute ist es die Karriere dieses jungen Schablonen-Sprayers, die mich seit der Veröffentlichung der ersten Buch-Auflage am meisten fasziniert. Die politische Stringenz seiner Arbeiten und deren Wiedererkennungswert, verbunden mit geschickten Strategien, wie die strikte Geheimhaltung seiner Person, machen Banksy heute zu dem erfolgreichsten StreetArt-Akteur überhaupt. Im Folgenden wird erläutert, warum Banksys Erfolg die Ursache dafür ist, dass Street-Art immer mehr aus den Straßen verschwindet. Banksys Anerkennung im Kunstmarkt ist einzigartig für urbane Kunst wie Graffiti und Street-Art. Am Ende des bisher größten Street-Art-GalerieBooms 2008 wurde das Banksy-Gemälde »Keep It Spotless« für 1,87 Millionen US-Dollar (1,28 Millionen Euro) bei Sothebyތs versteigert. Es kam zu diesem Rekordpreis durch einen Street-Art-Trend, den Einkäufe des Künstlers Damien Hirst und von Celebrities wie Brad Pitt und Kate Moss 2006 auslösten. Zunächst stiegen die Preise von Banksys verfügbaren Arbeiten sprunghaft an. Es folgte ein regelrechter Run auf die Werke. Die Sammler machten vor nichts Halt. Sei es eine gemauerte Wand oder eine Tür – alles worauf eine Banksy-Schablone prangte, fand Käufer. Hausbesitzer boten gar eine Wand mitsamt des damit verbundenen Hauses zum Kauf an. 2007/2008 herrschte Goldgräberstimmung. Als traurige Folge verschwanden bis Ende 2008 weltweit die meisten Banksy-Werke aus dem öffentlichen Raum. Street-Art-Akteure wie D*Face, Faile und Shepard Fairey surften mit auf Banksys Erfolgswelle. Auch ihre Werke wurden aus dem öffentlichen Raum gestohlen, was auf Interesse schließen lässt. Trotzdem erreichte keiner annähernd so hohe Preise wie Banksy in den großen Auktionshäusern Sothebyތs, Bonhams und Phillips de Pury. Bei D*Face fiel der Hammer stets unter einem Preis von $ 20.000. Shepard Faireys Versteigerungen endeten bei $ 80.500. Das Kollektiv Faile erreichte einmalig $ 192.300 und tummel-
te sich sonst bei Preisen um die $ 20.000.1 Bereits Ende 2006 sprach der CNN-Journalist Max Foster bei dieser Erfolgsteilhabe von dem »Banksy Effect«. Schauen wir uns an, wie es den anderen hier im Buch vorgestellten Akteuren in den letzten fünf Jahren ergangen ist. Kaum profitiert von Banksys Erfolg hat der Franzose Xavier Prou alias Blek Le Rat. Dabei ist er der Meinung, dass es Banksy ohne ihn gar nicht gegeben hätte. In der Fernsehdokumentation Graffiti Wars von Channel 42 zeigt er anhand seiner Motive wie Ratte und Soldat, dass Banksy Prous Technik und Motive von Anfang an kopierte – mit dem Unterschied, dass Prou bereits zwanzig Jahre vor Banksy illegal Schablonen-Ratten an städtische Häuserwände sprühte. Doch Prou fehlen die Vermarktungsstrategie und große, grenzüberschreitende Ideen. Bei Prous Ausstellungen gab es weder lebende angemalte Elefanten zu sehen, noch brachte er, wie Banksy, seine Arbeiten ungefragt in großen Museen an. Aber Prou gibt nicht auf. Dieses Jahr feiert der Franzose 30jähriges Street-Art-Jubiläum. Allzu starke Beschwerden über den ausbleibenden Geldsegen äußerte er nicht. In einer E-Mail vom 05.01.12 schrieb er mir zusammenfassend: »Life is beautiful«. Auch bei Jeroen Jongeleen aka Influenza hat sich nicht viel getan. Er stellt nach wie vor in kleinen Galerien aus und verkauft ab und zu ein Kunstwerk. Seine Nebenjobs dokumentiert er mit inszenierten Fotos als wären sie Kunstperformances. Seine Arbeitsmedien erweiterte er um Plastiktüten und speziell angefertigte Absperrbänder. Erfreulich empfinde ich den Werdegang von Stefan Marx. So wie er es sich in meinem Forschungsinterview im Dezember 2003 wünschte, feiert er jetzt seinen Erfolg im Kunstfeld. Seit Veröffentlichung der ersten Auflage hat er unter anderem in Institutionen wie dem ZKM Karlsruhe, den Hamburger und Kasseler Kunstvereinen sowie in Galerien in Sydney, Tokio und London ausgestellt. Vertreten wird er durch die Hamburger Galerie Karin Guenther. Seine Karriere im Kunstfeld geht überein mit verspielten Designs für das Hamburger Technolabel Smallville, für Cleptomanicx und für seine T-Shirt-Firma Lousy Livincompany. Der Kunstbuchverlag Nieves veröffentlichte Bücher und eine Posteredition von ihm. In Eigenregie stellt er weiterhin Fanzines her. Was ich nicht mehr von ihm ausfindig machen konnte, sind die »autonom publizierten«3, handgemalten Bilder an Häuserwänden von damals. Nur noch im institutionellen Rahmen lassen sich Arbeiten im öffentlichen Raum von Marx finden. Vor seiner Ausstellung im Hamburger Kunstverein wehten bedruckte Fahnen im Wind. Im Gerisch Skulpturenpark 1 2 3
Vergleiche Webseiten von Bonhams, Sothebyތs und Phillips de Pury am 14.01.12 Graffiti Wars am 14.08.11 in dem englischen Fernsehkanal Channel 4 So beschreibt Stefan Marx seine Straßenzeichnungen.
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in Neumünster wurde 2010 die 5m x 7m große Wand mit der Aufschrift »The Houses and Homes Seem Quiet« ausgestellt. Auch von dem mit Stefan Marx befreundeten 56K hat sich die Aktivität von der Straße ins professionelle Umfeld verschoben. 56K arbeitet mittlerweile unter seinem Geburtsnamen Ole Utikal als Illustrator und Grafikdesigner. 56K illustriert für den Fußballverein FC St. Pauli und für die Deutsche Telekom. Als Grafikdesigner arbeitet er zudem für große deutsche Zeitschriften.4 Ganz anders ist die Karriere des Londoners Solo One verlaufen. Klickt man seine Webseite an, so sieht man wöchentlich neue Fotos von Graffiti Pieces, die er gemalt hat. Solo One ging nicht als einer der Gewinner aus dem Street-Art-Hype. Er hat sich jetzt zurück auf seine Wurzeln besonnen. Die hier im Buch behandelte Boxfresh-Sticker-Kampagne ist schon lange eine abgeschlossene Sache für ihn. Geld verdient er nun mit Jugend-GraffitiWorkshops. Für den ebenfalls in London lebenden D*Face ist dagegen Street-Art zur Haupteinnahmequelle geworden. Er führt weiterhin seine erfolgreiche Galerie StolenSpace und ist damit einer der Drahtzieher im Street-Art-Feld. Mit Hilfe mehrerer Angestellter haben in der angesagten Galerie in der Truman Brewery in den letzten Jahren Ausstellungen von u.a. Dan Witz und Shepard Fairey stattgefunden. D*Face selbst ist nach wie vor als Künstler sowohl in Galerien rund um die Welt, wie auch im öffentlichen Raum tätig. Ich denke, dass bei ihm die illegalen Arbeiten in der Straße, genau wie bei Banksy, obligatorisch sind für seine Glaubwürdigkeit als Street-Art-Akteur. Der in Paris lebende Invader wird von Lazarides, einer weiteren erfolgreichen Londoner Street-Art-Galerie, vertreten. Der Stil von Invader hat sich kaum in den letzten Jahren geändert. Er verkauft weiterhin Rubik-KubikBilder5 und Invader Kits. Neu sind die Alias Space Invader-Bilder. Zu jedem in die Straße gekachelten Space Invader gibt es eine käufliche Kopie inklusive ID-Karte, die dessen genauen geografischen Ort in der Straße aufzeigt und angibt. Die Invasion von Invader setzt sich also fort. Auch Shepard Faireys Mission, die größte sinnfreie Propaganda-Kampagne zu schaffen, dauert an. Seinen größten Clou und damit weltweite Bekanntheit erlangte Shepard Fairey 2008. In Eigeninitiative unterstützte er die Barack Obama-Wahlkampagne mit der Verbreitung seiner designten Obama-Poster. Das ikonografische Motiv »Hope« mit Obamas Kopf schaffte es bis auf das Cover des Time-Magazines und ging damit um die Welt. Doch Fairey brachte dieser Einsatz nicht nur einen persönlichen Dankesbrief von Barack Obama ein. Associated Press verklagte ihn für die Nichtbeachtung des Urheberrechts bei der Verwendung ihres Fotos als Motivvorlage. Der 4 5
http://oleutikal.de/ Aus Zauberwürfeln zusammengesetzte Bilder
Rechtsstreit wurde erst 2011 beigelegt. Erneut auf dem Cover des TimeMagazins landete er Ende 2011 mit einem Motiv einer Occupy-Demonstrantin. Der ebenfalls politisch arbeitende Grim alias Stirb ist seit der ersten Auflage dieses Buches von der Bildoberfläche verschwunden. Ich entdeckte keine weiteren Arbeiten unter den mir bekannten Pseudonymen in Galerien oder im öffentlichen Raum von Hamburg, London und Berlin. Allgemein hat die Anzahl von Arbeiten in der Straße stark abgenommen. Die Sticker-Galerien wichen Ansammlungen von Werbeaufklebern. Handbemalte Postaufkleber werden gar nicht mehr verklebt. Street-ArtAufkleber gelten heute eher als Sammlerstücke. In Berlin gibt es das Sticker-Museum Hatch, in dem Street-Art-Aufkleber aus der ganzen Welt ausgestellt werden. Großformatige Wandarbeiten wie Cut-Outs, Schablonenbilder oder Malereien sieht man heute selten. Nachdem die Akteure Erfolg in Galerien hatten, bringen sie in der Straße nur noch ab und zu Arbeiten an. Es zählt jetzt Qualität statt Quantität. Straßenarbeiten scheinen oft nur noch Werbung für die Verkaufsausstellungen in Galerien, Firmenkooperationen und den Verkauf von Merchandise-Artikeln zu sein. Ein Grund hierfür ist, dass die Akteure älter geworden sind. Sie haben, wie D*Face und Shepard Fairey, mittlerweile Familie mit Kindern zu ernähren. Der andere Grund ist, dass ihre Zeit finanziell effizienter genutzt ist, wenn sie Arbeiten für den Galeriekontext herstellen. Der mit D*Face während meiner Hauptrecherchezeit zusammen arbeitende Dave the Chimp kritisiert heute die Street-Art-Szene für das Ungleichgewicht von kommerziellen und nicht kommerziellen Arbeiten. Er hat aus diesem Grund 2011 das »Maintaining the Balance«-Projekt ausgeführt. So konnte man beispielsweise für 30 Euro die Patenschaft für eine Arbeit im öffentlichen Raum übernehmen. Unter der Aufschrift »This poster and itތs placement here made possible by the generosity of« steht der Name des Poster-Paten. Eine signierte Kopie des in der Straße angebrachten Posters erhielt der Pate per Post. Dave the Chimp beschreibt die Absicht seiner Aktion so: »To balance the output of street pieces and products for sale. To remain authentic while being commercially viable«.6 Dave the Chimp arbeitet nach wie vor leidenschaftlich gerne im öffentlichen Raum. Aber auch er ist von Verkäufen und Kooperationen abhängig. Dieses Projekt stellt also auch einen Hilferuf dar, mit dem Dave the Chimp sein eigenes Dilemma kommentiert. Vorteilhaft für ihn und die anderen Street-Art-Akteure ist das eigene Galerienetzwerk, das sich in den letzten fünf Jahren gebildet hat. Neben den genannten Londoner Galerien gibt es beispielsweise in Hamburg die Vicious Gallery und die heliumcowboy artspace. In Berlin repräsentieren ATM 6
www.davethechimp.co.uk
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Gallery, Circleculture Gallery und West Berlin Gallery Street-Art-Akteure. In New York geschieht dieses beispielsweise durch die Jonathan LeVine Gallery. Eine aktuelle vollständige weltweite Liste der Galerien würde mehrere Seiten füllen. Es hat sich ein eigener Kunstmarkt für Street-Art und damit verwandte, so genannte »Urban Art«, entwickelt. Urban Art-Messen wie Scope (Miami Beach) und Stroke (München/Berlin) sind mittlerweile Nebenschauplätze von großen Kunstmessen wie Art Basel Miami Beach. Im Gegensatz zu den im Kapitel 3.6. beschriebenen Schwierigkeiten bei der Etablierung von Graffiti im Kunstfeld, verkauft sich Street-Art gut. Grund dafür sind Überschneidungen mit dem Kunstfeld wie bei Jerome Jongeleen und Banksy. Zum Abschluss möchte ich noch kurz vier Künstler nennen, die mir in den vergangenen Jahren auf Grund ihrer außergewöhnlichen Arbeiten in der Straße positiv aufgefallen sind: Vhils, Blu, Mark Jenkins und JR. Der Franzose JR bringt Riesen-Cut-Outs mit Portrait-Fotos an Häuserwänden in Ländern wie Brasilien und Haiti an. Er stellte wegen seines großen politischen Straßen-Engagements bereits im Centre Pompidou und Tate Modern aus.7 Der Italiener Blu hat in Berlin zusammen mit JR vor einigen Jahren eine faszinierende Gemeinschaftsarbeit brandwandfüllend angebracht. Die Spezialität von Blu sind jedoch Street-Art-Animationsfilme. Das sind per StopTrick produzierte Filme, die Malereien in der Straße zum Leben erwecken und so Geschichten erzählen.8 Vhils heißt eigentlich Alexandre Farto und ist auch als »Sprengkünstler« bekannt. Wie JR wählt er als Motive meistens häuserwandfüllende Porträts von Menschen. Das Faszinierende an Vhils ist seine Technik. Er trägt eine Lehmschicht auf die Wände auf, von der er dann mit Meißel und gezielten Sprengungen Konturen wieder entfernt.9 Letztendlich möchte ich Mark Jenkins nennen. Seine Straßen-Arbeiten sind, im Vergleich zu denen der hier vorgestellten Künstler, von kürzester Haltbarkeit. Er stellt realistische, humane Skulpturen aus Plastik in den öffentlichen Raum. Der sitzende Demonstrant, den er vor drei Tagen in Berlin platzierte, wurde nach nur vierzig Minuten von der Polizei entfernt. Mit diesen vier Beispielen will ich zeigen, dass Street-Art auch 2012 weiterhin in der Straße praktiziert wird und Reaktionen hervorruft. Die Subkultur hat sich in den letzten Jahren allerdings weiter entwickelt und professionalisiert. Julia Reinecke, Berlin, 21. Januar 2012
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http://jr-art.net/ http://blublu.org http://alexandrefarto.com
: $ Weltweit lässt sich verstärkt seit dem Jahr 2000 ein neues Phänomen in den Straßen der gentrifizierten1 Stadtteile beobachten. In der Nähe von Kunstgalerien und Treffpunkten junger Designer sammeln sich künstlerisch modifizierte Postaufkleber, ausgeschnittene Poster und mit Hilfe von Schablonen gesprühte oder per Hand gezeichnete Bilder an. Aufkleber befinden sich vor allem an der Rückseite von Straßenschildern, an Stromkästen, Haustüren, Kaugummiautomaten und an den Schaufenstern leer stehender Geschäfte. Über die Jahre wurden aus den kleinen Aufklebern immer größere Cut-outs, aus kleinen einfarbigen Schablonenbildern entstanden lebensgroße mehrfarbige, kunstvolle Arbeiten, und auch die Variation der unterschiedlichen verwendeten Medien wuchs. In Metropolen wie London, Paris, Barcelona, Los Angeles und New York, in denen dieses Phänomen bereits seit Mitte der 90er Jahre zu beobachten ist, zementieren, hängen oder nageln die Aktivisten bereits seit längerem Skulpturen in den öffentlichen Raum. Diese Aktivität und das Resultat daraus wird in der Regel als Street-Art bezeichnet, tritt aber auch unter den Namen Urban Art, Post-Graffiti und anderen Bezeichnungen auf, wie im zweiten Kapitel dieses Buches gezeigt wird. Da Street-Art erst seit wenigen Jahren praktiziert wird und es keine wissenschaftlichen Arbeiten darüber gab, wurde für dieses Buch Feldforschung betrieben. Anhand von Interviews, Beobachtungen im Feld, E-MailWechsel mit Akteuren und der genauen Studie der der subkultureigenen Medien wurde der Fragestellung nachgegangen, inwiefern Street-Art sich zwischen Straße, Kunst und Kommerz befindet. Den theoretischen Unterbau liefern die Feldtheorie von Pierre Bourdieu und die Subkulturtheorien vor allem von Sarah Thornton und David Muggleton. Street-Art hat seine Wurzeln in der Graffitibewegung, die in den 70er Jahren in New York und anderen Großstädten der USA aufkam. Um StreetArt zu verstehen, muss dem Leser deshalb die Graffitisubkultur mit deren
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Gentrifikation ist die Aufwertung von Stadtteilen, die durch den Einzug junger Leute und Künstler vorangetrieben wird. In Hamburg sind diese Stadtteile u.a. Sternschanze, Karolinenviertel und St. Pauli, in London ist es beispielsweise Shoreditch und in Berlin Prenzlauer Berg und Kreuzberg.
Zielen und Regeln bekannt sein. Diese wird ausführlich im dritten Kapitel beschrieben. So verschieden wie die Bezeichnungen für die Bewegung sind auch die Akteure und ihre jeweiligen Ansätze, Techniken und Motivationen für das autonome Verbreiten von grafischen und künstlerischen Arbeiten in der Straße. Im vierten Kapitel werden zehn verschiedene Akteure exemplarisch vorgestellt. Es werden ihr Lebenslauf, ihre Inspirationen und Vorbilder und schließlich ihre Arbeiten beschrieben. Obwohl Street-Art sehr unterschiedliche Formen annimmt, haben die Akteure alle gemeinsam, dass sie sich selbst autorisieren, ihre Werke im öffentlichen Raum anzubringen. Welche anderen Gemeinsamkeiten, spezifischen Kommunikationsformen und subkultureigenen Medien es gibt, wird im Kapitel über Subkultur beschrieben. Zuvor wird jedoch der SubkulturBegriff von anderen Bezeichnungen wie Szene oder Gegenkultur, die im Sprachgebrauch im Zusammenhang mit Street-Art verwendet werden, abgegrenzt. Street-Art hängt nicht nur eng mit in der Straße ausgelebten Subkulturen wie Graffiti zusammen, sondern tritt auch in Galerien und Museen auf. Nachdem im Graffitikapitel beschrieben wird, wie der Kontakt der Writer2 mit dem Kunstfeld ablief, wird anschließend erläutert, warum Street-Art besser als Graffiti im Feld der bildenden Kunst zurechtkommt. Es gibt Kunstformen wie Kunst im öffentlichen Raum, Land-Art, Pop-Art, Dada und die situationistische Bewegung, die Überschneidungen mit Street-Art aufweisen. Diese werden im neunten und zehnten Kapitel aufgezeigt. Im Kapitel über Bourdieu werden dessen Feldtheorie und die Regeln, nach denen das Kunstfeld funktioniert, erläutert. Die Durchdringung von Street-Art mit dem kommerziellen Feld und mit der Werbung wirkt sich, nach Bourdieus Theorie, negativ auf das für das Kunstfeld relevante, symbolische Kapital aus. Die Durchdringung mit der Werbung und deren Versuche, sich als bildende Kunst zu etablieren, werden im neunten Kapitel veranschaulicht. Die Werbung im öffentlichen Raum beeinflusst die Street-ArtAkteure bei dem Entwurf und der gewählten Distributionstechnik ihres Logos oder anderen Motiven. Da Street-Art eine Straßenkultur ist, die von vielen Menschen anerkannt wird und im Trend liegt, wird im elften Kapitel beschrieben, in welcher Form und warum Street-Art sich als verkaufsförderndes Mittel einsetzen lässt. Street-Art soll idealerweise eine künstlerische Ausdrucksform sein, die ohne kommerziellen Hintergedanken für jeden zugänglich in der Straße an2
Der englische Begriff writing hat sich auch im Sprachgebrauch der deutschen Graffitiszene durchgesetzt und wird deshalb hier verwendet. Man kann Writing mit »Malen« übersetzen. Die oder der Writer wären dann Graffitimaler oder Graffitiaktivisten.
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gebracht wird. Deshalb endet das vorliegende Buch mit dem Sell-out3Diskurs, der verstärkt zwischen 2002 und 2004 innerhalb der Subkultur geführt wurde. Im Anhang ist dokumentiert wie die Forschung ablief, mit welchen Akteuren auf welche Weise kommuniziert wurde. Die Kernforschung fand von 2002 bis 2004 statt. Im Sommer 2006 und im Frühjahr 2007 wurden von der Verfasserin lediglich Updates vorgenommen.
Abbildung 1: Cut-outs nach der »Backjumps«-Ausstellung: Links von oben nach unten: Akay, Shepard Fairey, Faile. Rechts: Swoon. Berlin 2003
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Auf Deutsch: Ausverkauf. Ein Akteur wird des Sell-outs beschuldigt, wenn er den Anschein erweckt, dass Geld verdienen für ihn die Hauptmotivation für das Anbringen von Arbeiten im urbanen Raum ist.
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Die Recherche für dieses Buch begann im Sommer 2002 bei der Vernissage der Ausstellung »Urban Discipline« in Hamburg. Zu dieser Zeit gab es noch keinen feststehenden Begriff für das hier behandelte Phänomen, da sich der Begriff Street-Art erst seit 2005 im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Im Jahr 2004 löste die Begriffsfrage noch eine rege Diskussion zwischen den Akteuren aus. Anfang Januar 2004 bat ich Marc, den Leiter der wichtigsten Street-Art-Internetseite Wooster Collective, um Hilfe. Er leitete meine Frage an seine Leser weiter und fragte am 07.01.2004 »What the hell should we call it?«. Die Antworten sind vielseitig. Der Amerikaner Logan Hicks, der mit Schablonen arbeitet, antwortete als erster. Er beschreibt, warum er den von der Beliebtheit kurz hinter Street-Art und Post-Graffiti liegenden Begriff Urban Art am passendsten findet: »My take is, that Urban Art best describes this movement. The art that signifies this movement is influenced, and primarily lives within the city environment. [...] The people, the mediums, surfaces and showcases that exist within this movement are all born from the city streets.«1 Onema von der OMG-Crew aus Cambridge schließt sich Logan Hicks mit folgender Begründung an: »It sums up what we are doing: creating art in /for/inspired by the urban environment that we live in. It is simple and easily understandable to those who don't do art, while still maintaining an idea of creativity and intelligence, not just ›vandalism‹.«2 Onema lehnt die Bezeichnung Post-Graffiti sowie alle Begriffe, die das Wort Graffiti beinhalten, ab. Er befürchtet, dass Außenseiter die häufig mit Graffiti verbundenen negativen Seiten assoziieren könnten und dabei die Qualitäten dieser neuen Bewegung übersehen. Auch Adrian Nabi, der Organisator der einflussreichen Berliner Ausstellung »Backjumps – The Live Issue«, nennt diese Kunst in der Straße Urban Art. Der vom Graffiti kommende Nabi versteht im Gegensatz zu Onema unter Urban Art auch das Graffiti-Writing. In der von ihm herausgebrachten Zeitschrift Backjumps verwendet er deshalb zur Abgrenzung den Ausdruck »Urban Aesthetics«.
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Logan Hicks am 07.01.2004 auf www.woostercollective.com Onema am 09.01.2004 auf www.woostercollective.com
Neben Nabis Begriffserfindung schlugen die Akteure auf Wooster Collective neue Begriffe vor wie »Urban Take Overs«, »Post Structural Urban Symbolism«, »Public Expressionism«, »Urban Painting«, »Alternative Art«, »Poetic Terrorism«, »Asphalt Sketchbooking«, »Urban Expressionism«, »Public/Urban Exhibitionists«, »Socially Communicative Artform«, »Graphic Delinquents«, »Post Art« und »Free Art«. Unter den zahlreichen Wortkreationen gibt es auch viele, die Graffiti beinhalten wie »Pretty Graffiti«, »Neo Graffiti« und Ekos »Non HipHop Graffiti«. Alëxone findet »Peinture« (Malerei) passend: »Peinture. Parce que je ne trouve rien de nouveau dans ce phénomène! C’est de la peinture, de l’affichage, du graphisme, mais dans la rue offert à tout le monde.«3 Es bestand im Jahr 2004 also noch Bedarf, der neuen Bewegung einen Namen zu geben, der diese gleichzeitig eingrenzt und definiert. An den Wortkreationen fällt auf, dass sie das jeweils persönliche Verständnis von Street-Art wiedergeben.
! Street-Art4 ist der Fachausdruck, der sich in der Street-Art-Subkultur und in der Öffentlichkeit von Anfang an als Hauptbegriff abzeichnete. So lautete nicht nur bei Wooster von Beginn an die Überschrift: »Wooster Collective – A celebration of Street Art«, sondern es tauchte diese Bezeichnung auch in Mode-, Musik- und Lifestylemagazinen, Zeitungsartikeln, Fernsehbeiträgen und Marketingberichten von Firmen auf. Das Internet und die anderen Medien sind mit ihren Publikationen dafür verantwortlich, dass Street-Art als Terminus auf dem Vormarsch ist. Die Soziologin Sarah Thornton konstatiert in ihrer Studie Club Cultures – Music, Media and Subcultural Capital: »Subcultures are best defined as social groups that have been labelled as such.«5 Thornton bezieht sich darauf, dass nach ihren Erkenntnissen die Kommunikationsmedien Subkulturen kreieren, indem sie diese benennen, eingrenzen und den Namen verbreiten.6 Ähnlich verhält es sich bei der Zementierung des Street-Art-Begriffes. Zur gleichen Zeit sind die Medien und ihre Art der Verbreitung des Begriffes der Grund für viele Akteure, diesen Begriff abzulehnen. In Zeitschriften und Firmenberichten ist Street-Art nämlich häufig mit Vermark3
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Übersetzung: »Malen, weil ich nichts Neues an diesem Phänomen finden kann. Das ist Malerei, Kleberei, Schriftzug. Allerdings in der Straße, damit es jeder sieht.« Alëxone E-Mail-Interview am 04.05.2004 Auf Deutsch auch »Streetart« geschrieben, auf Englisch meistens »Street Art« Thornton 1996, S. 162 Ebd., S. 116 ff.
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tung und dem Qualitätsverlust behaftet. Stefan Marx (alias Gomes) nannte seine Tätigkeit 2004 folglich »autonomes Publizieren« und Jeroen Jongeleen (alias Influenza) spricht von »Urban Intervention Art«. Er lehnt Street-Art mit folgender Begründung ab: »I think you are buzzy with your art or you ain’t. It just uses the street. An art space or a magazine as a podium doesn’t make a big difference. It is just a shift in context [...]. Artists already worked on the streets in other ways away from the commercial galleries in the 20th and after«7. In einer E-Mail schreibt er weiterhin: »I really hate the term ›Street-art‹ because it is really paternalizing and keeping the options of the medium very limited«8. Viele haben Probleme mit dem Wort Kunst (Art), da ihrer Meinung nach die meisten Arbeiten in der Straße keine Kunst sind. So löste der Aktivist Eko auf seiner europäischen Street-Art-Internetseite eine rege Diskussion aus. Er schrieb als Beitrag in dem Forum zum Begriffsdilemma, dass das meiste keine Kunst sei: »One of the reasons why I don’t like using the word ›Street Art‹ is, that most of the work that we call Street Art is simply not art. It is only graphic design, illustrations etc. To make a character or a pictogram on a paper and put it in the street doesn’t make you an artist. You also need to know and explain why you do that«9 . Auch Jeroen Jongeleen ist der Meinung, dass vieles keine Kunst im klassischen Sinne ist. So antwortete er auf meinen Vorschlag, das Wort »ästhetisch«10 mit in den Titel aufzunehmen: »›Aesthetic‹ isn’t always the aim. Certainly half the things produced can be seen as anti-aesthetic or just nonaesthetic: Graffiti by acid on windows or attacking billboards with blackpaint etc.«11.
# !$ Um das hier behandelte Phänomen für Außenstehende leichter begreifbar zu machen, wäre der Begriff Post-Graffiti deutlicher gewesen. Es fällt auf, dass Street-Art, auf Deutsch Straßenkunst, durch die Verwechslungsgefahr irreführender ist als Post-Graffiti. Außerdem sind Street-Art sowie Post-Graffiti Begriffe, die bereits mit anderen Bedeutungen belastet sind. In der Regel assoziieren Menschen, denen die Aufkleber, Schablonen etc. nie im Straßenbild auffielen, mit Street-Art Straßen-Jonglage und das Malen von Kreide7 8 9 10
Jeroen Jongeleen in: Hundertmark 2003, S. 49 Jeroen Jongeleen in E-Mail vom 06.01.2004 Eko am 13.01.04 im Forum auf www.ekosystem.org Der Originaltitel hätte dann gelautet: »Post-Graffiti. Eine ästhetische Intervention im urbanen Raum zwischen Straße, Kunst und Kommerz«. 11 Jeroen Jongeleen in E-Mail vom 10.01.2004
bildern auf den Boden einer Einkaufsstraße. Insider dagegen kennen den Begriff Post-Graffiti von Sidney Janis, der in den 80ern damit das Galeriegraffiti vom illegalen Graffiti abgrenzen wollte.12 Wenn man jedoch in dreißig Jahren auf diese hier behandelten Bilder, Aufkleber etc. in der Straße zurückblickt und diese Arbeiten einem größeren Bereich zuordnen will, wird die Nähe zum Graffiti nicht wegzudenken sein. So ist es auch kein Zufall, dass der vom Graffiti kommende Künstler Stak diesen Begriff eingeführt hat und konsequent in seiner Zeitschrift World Sign verwendete. Ephraim Webber, der bis Oktober 2003 Chefredakteur der Zeitschrift Graphotism war, begründet den von ihm ebenfalls favorisierten Terminus Post-Graffiti damit, dass er einen Zeitrahmen gibt. PostGraffiti schließt die französischen Pochoiristen13 der frühen 90er aus. Er sagt, dass – auch wenn die Aktivisten es nicht zugeben – sie in fast allen Fällen das Ziel des Graffiti Getting-up14 verfolgen.15 Die Verwandtschaft und die Herkunft vom Graffiti zeigt sich auch darin, dass die ersten Internetseiten und Spezialzeitschriften, die Street-Art behandeln, ursprünglich reine Graffitimedien waren.16 Viele der Akteure arbeiten auch in ihrer Street-ArtAktivität nach wie vor mit Spraydosen und beziehen sich häufig auf Graffiti. Der Akteur D*Face und seine Frau Yvette, die beide auch für Graphotism schreiben, geben folgendes Statement zu der Begriffsdiskussion ab: »Post Graffiti implies that Graffiti is dead. ›Post‹ being after, which clearly isn’t true (unless of course you want to argue that it is). I know lots of people favour this term, but I think it complicates things. I don’t particularly like the term ›Street Art‹ but it sums up what the work is. So for me until someone finds a better term I would go for Street Art«17. Die Problematik des Post-Graffititerminus steckt im Präfix »Post«, dem, wie D*Face, viele das Ende von Graffiti implizieren. Der Post-Graffitibegriff, der sich auf Aufkleber, Schablonen, Poster und andere urbane Interventionen im öffentlichen Raum bezieht, besagt jedoch in keiner Weise, dass Graffiti tot ist, sondern lässt die parallele Existenz von Writing zu. Der Begriff bezieht sich vielmehr auf die Herkunft vieler Akteure vom Graffiti, die sich nun mit Post-Graffiti neuer Formen und Ausdrucksweisen bedienen und in der Regel auch eine andere Zielgruppe erreichen wollen.
12 Siehe Kapitel 3.6 dieses Buches 13 Pochoiristen sind die Schablonensprüher, wie Blek Le Rat und Miss Tic, die in Frankreich seit den 80er Jahren aktiv sind. 14 Getting-up ist das Bekanntmachen des in der Straße verwendeten GraffitiAliasnamens in der ganzen Stadt. 15 Telefonat im Januar 2004 16 Z.B. Backspin und Graphotism und die Internetseite www.graffiti.org 17 In E-Mail am 07.01.2004
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Schlägt man im deutschen Fremdwörterbuch nach, findet sich unter »post« hinter (im Sinne von danach) und unter »Graffiti« (als Plural von Graffito) die Bedeutung: auf Wände, Mauern, Fassaden usw., meist mit Spray gesprühte, gespritzte oder gemalte (künstlerisch gestaltete) Parole oder Darstellung.18 Den Begriff Street-Art gibt es im deutschen Fremdwörterduden von 2001 nicht. Es lässt sich deshalb konstatieren, dass der Begriff Post-Graffiti, insbesondere für den deutschen Sprachgebrauch, vorteilhafter gewesen wäre. Unabhängig davon, wie passend Post-Graffiti für das hier behandelte Phänomen gewesen wäre, konnte man 2006 beobachten, dass Street-Art sich als allgemein gültiger Begriff durchgesetzt hat. Norbert Siegl, der Vorsitzende des Wiener Institutes für Graffitiforschung, verifiziert mit seinem Eintrag in dem 21. Brockhaus von 2005/2006 den Begriff Street-Art. Nach seiner Definition bezieht sich der Begriff, wörtlich übersetzt als »Straßenkunst«, in der alten Bedeutung auf unterschiedliche Kunstformen im öffentlichen Raum wie Musik, Pflaster-Kreide-Malerei und Jonglage. In der neuen Bedeutung des Begriffes beinhaltet der aus dem Amerikanischen stammende Begriff auch im Deutschen »den weiten Bereich visueller künstlerischer Arbeit im öffentlichen Raum und bezieht sowohl offizielle, als auch inoffizielle Formen der Kunst mit ein«19. Siegl verortet demnach auch anerkannte Formen wie Kunst im öffentlichen Raum20 unter Street-Art. Siegls StreetArt-Begriff ist somit weiter gefasst als der hier verwendete. Dieser Eintrag im Brockhaus bestätigt, dass sich Street-Art als anerkannter Terminus durchgesetzt hat. Deshalb wird in diesem Buch Street-Art als Begriff im Titel und im Text verwendet und nicht Post-Graffiti.
18 Duden, Das Fremdwörterbuch, 2001 (7. Auflage), S. 361 19 Siegl, Norbert in: Brockhaus Enzyklopädie 21., Mannheim 2005/2006 20 Zu Kunst im öffentlichen Raum vgl. Kapitel 10.2
% $ 7 / / Als Graffiti in den 80er Jahren und frühen Neunzigern stark boomte, war die erste Generation der Street-Art-Akteure noch im Teenageralter. Heute teilen sie die Faszination von illegalen Arbeiten in Straßen und an Zügen mit den Graffitiakteuren. Viele der Street-Art-Akteure waren selbst aktive Writer oder wurden zumindest von dieser Bewegung stark geprägt. Die Graffitisubkultur hatte also einen großen Einfluss auf Street-Art, was sich am meisten in dem Ziel des Getting- up ausdrückt. In der Graffitisubkultur bedeutet Getting-up, das verwendete Pseudonym (in Form von Tag oder Schriftzug) in der ganzen Stadt und darüber hinaus bekannt zu machen. In der Street-Art-Bewegung kann statt des Schriftzuges auch ein Logo, eine Figur, eine Skulptur oder ein bestimmter Malstil durch Wiederholung verbreitet werden. Weitere Gemeinsamkeiten sind das ungefragte, illegale Anbringen der Arbeiten im öffentlichen, urbanen Raum und gelegentlich die Verwendung gleicher Mittel, wie zum Beispiel die Sprühdose. Im Folgenden werden deshalb die Entstehungsgeschichte von Graffiti, dessen Eigenschaften und Regeln beschrieben sowie die drei Ansätze, in denen versucht wurde, Graffiti im Kunstfeld zu etablieren. Schließlich wird eine Erklärung der Beweggründe, die junge Menschen zum Writing bringen, im Kapitel über Graffitisubkultur gegeben.
Abbildung 2: Graffiti-Tags. Eindhoven 2006
% - ( + ( + ( Das Wort Graffiti kommt von dem italienischen Wort Graffito. Graffiti ist der Plural, der für die hier beschriebene Bewegung als Singular verwendet wird. Dieses Wort bezog sich ursprünglich auf die Jahrtausende alten Wandmalereien.1 Menschen von bereits vergangenen Hochkulturen verwendeten Wände als Untergrund für Kunst und Mitteilungen. Besonders viele Zeichnungen und Sprüche sind aus den römischen Städten Pompeji und Herculaneum überliefert. Die Wände trugen dort unter anderem Wahlkampfparolen und Wohnungsangebote, wurden aber auch von den Einwohnern in humorvoller Art und Weise für Zeichnungen und Sprüche genutzt.2 Die erste bekannt gewordene Aktivität, die in die Richtung des hier behandelten Graffitis geht, ist die Aktion von Josef Kyselak. Im BiedermeierWien des 19. Jahrhunderts wurde er durch das Schreiben seines Namens im öffentlichen Raum landesweit bekannt. Die Form von dem Graffiti, welches der direkte Vorbote von Street-Art ist, hat ihren Ursprung jedoch nicht in dieser Aktion sondern in der US-amerikanischen Jugendbewegung der 60er Jahre, die sich als eines der vier Elemente von HipHop3 versteht. International wurde New York als weltweite Graffitihauptstadt gehandelt. Trotzdem war es Cornbread aus Philadelphia, der zuerst in den 60er Jahren Bekanntheit durch das wiederholte Schreiben seines Namens an Wänden erlangte.4 Dann erst folgten New Yorker Jugendliche. Taki 183 fuhr den ganzen Tag mit der S-Bahn durch die Stadt. Er begann 1969 damit, seinen Spitznamen und die Zahl seiner Straße mit wasserfestem Marker in alle fünf New Yorker Bezirke zu schreiben. Takis Inspiration kam von Julio 204, der in Takis Stadtteil als erster seinen Namen überall hin schrieb.5 Das ständige Erscheinen des Namens Taki 183 an Hauswänden, S-Bahn-Stationen, in und an Zügen bewirkte Aufmerksamkeit und viele Jugendliche, darunter Joe 136, sowie Barbara und Eva 62, folgten seinem Beispiel. Die Jugendlichen bemerkten, dass man durch das fleißige Verbreiten seines Namens in der ganzen Stadt Ansehen und Bekanntheit erlangen konnte. Der 1971 in der New York Times veröffentlichte Bericht über Taki 183 und seine Nachahmer löste eine regelrechte Tag6-Welle aus.7 1 2 3 4 5 6 7
Die in den Höhlen von Lascaux und Altamira entdeckten, von Menschenhand gemalten Graffiti, werden auf ein Alter von 40.000 Jahren geschätzt. Suter 1988, S. 9 f. Die vier HipHop-Elemente sind Rap, Breakdance, Graffiti und Deejaying. Vgl. Chalfant, Prigoff 1987, S. 42 Witten, White 2001, S. 9 Tag ist ein Graffitifachbegriff für die stilisierte Unterschrift eines synonymen Namens, der ungefragt an Häuserwände und Züge geschrieben wird. Vgl. Chalfant, Cooper 1984, S.14
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Am Rande sei angemerkt, dass dieses taggen in der ganzen Stadt nicht mit dem Markieren eines Territoriums verwechselt werden darf, das die Straßengangs zu der gleichen Zeit durch das an die Wand Schreiben eines Namens verfolgten.8 Writer waren in den 70ern häufig nur Handlanger einer Gang. Der Grund: die Jugendbanden gewährten den Writern Sicherheit und bezahlten sie für die Verbreitung des Gangnamens im Territorium. Das Herz von Graffiti ist vielmehr der eigene Name. Die Namenswahl folgt zwei Hauptkriterien. Die Buchstabenkombination muss gut schreibbar sein und die Identität des Writers innerhalb der Szene repräsentieren. Die ursprüngliche Kombination von Spitznamen und Straßenzahl veränderte sich zu der freien Namenswahl, die zu Namen wie Iz the Wiz, Dondi, Skeme, Lady Pink, Funk oder Quik führte. Nachdem die Flächen auf Zügen und Wänden mit Namen gefüllt waren, erweiterten die Writer ihre Schriftzüge durch das Hinzufügen von Punkten, Pfeilen, Kronen und anderen Linien. Schließlich entwickelte sich durch die Ergänzung von Farbe aus dem Tag das Piece9. Anfangs waren Pieces lediglich Tags, die mit einer anderen Farbe umrandet wurden. Da nicht jeder Writer vom taggen zum piecing wechselte, unterschied der Soziologe und Graffitiforscher Richard Lachmann zwischen »Muralists«, die aufwendige Bilder malen und »Taggern«, die lediglich ihren Namen nach quantitativen Gesichtspunkten sprayen.10 Nach Europa kam diese Form des Graffiti-Writings durch Medien, insbesondere durch den 1982 erschienenen Kinofilm Wild Style, dem Fernsehdokumentarfilm Style Wars!11 und dem 1984 veröffentlichten Buch Subway Art. Das Erscheinen des Buches und die Ausstrahlung von Wild Style, Style Wars! und später Beat Street im internationalen Fernsehen lösten eine weltweite Graffitiwelle aus. Graffiti entwickelte sich zu einer stark verbreiteten Subkultur, mit Regeln und Eigenarten, die bis heute von vielen Jugendlichen praktiziert wird. Durch die enge Verknüpfung mit dem seit 2000 wieder sehr populären HipHop erlebt Graffiti einen erneuten Boom.
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Dazu: Ley, David/Cybrisky, Roman: Stadt Graffiti als Territorialmarkierung. In: Müller, Siegfried (Hg.): Graffiti, Tätowierte Wände. Bielefeld 1985. Dieses Thema wird in diesem Buch jedoch nicht weiter behandelt. 9 Aufwendig gemaltes, mehrfarbiges Bild des Namens 10 Lachmann 1988, S. 226 f. 11 Chalfant, Silver: Style Wars! – Dokumentarfilm von 1983
Abbildung 3: DAIM sprüht ein legales Piece. Hamburg (Altona) 2002
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Die Jahre zwischen 1972 und 1975 gelten als die innovativsten Graffitijahre.12 Mitte der 70er Jahre verwendeten viele Writer den 3D-Stil13. Es wurden auch so genannte Bubble letters14 und seit Ende der 70er Jahre der schwer lesbare Wildstyle entwickelt, in dem die Buchstaben kompliziert miteinander verknüpft werden. Dondi sagte, dass er Wildstyle nur gebrauchte, wenn er sein Piece an andere Writer adressierte. Für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit malte er mit klaren Linien leicht lesbare Buchstaben.15 Laut des Autors Henry Chalfant macht ein Writer sein Piece deshalb schwer lesbar, um sein Kunstverständnis unter Beweis zu stellen und um durch den komplexen Stil die Nachahmung zu erschweren.16 Neben Schriftzügen gibt es im Graffiti Characters. Die Vorlagen für diese figurativen Bilder stammen aus der HipHop-Subkultur, Werbung, Comics und aus dem Fernsehen. Es werden beispielsweise Donald Duck
12 »The years between 1972 and 1975 were ›golden years‹, during which countless stylistic innovations were made.« Witten, White 2001, S. 11 13 Der 3D-Stil zeichnet sich durch das dreidimensionale Malen der Buchstaben aus. Die Pieces bekommen durch diese stilistische Entwicklung eine räumliche Wirkung. 14 Bubble letters sind runde, aufgeblasene Buchstaben. 15 Vgl. Chalfant, Cooper 1984, S. 70 f. 16 Ebd., S. 71
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oder ein Breakdancer17 abgebildet. Häufig stellt der Character gleichzeitig einen Buchstaben dar. Shok 1 und Seak 1 sind Writer, die durch ihre Vermischung von Character mit Buchstaben herausstechen. Shoks organische, dreidimensionale Formen sind so stark abstrahiert, dass man die Buchstaben kaum erkennen kann.
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Damit der Name durch die ganze Stadt fahren kann, sind Züge die originale und bis heute bevorzugte Malfläche für Tags, Throw-ups und Pieces. Die Größe der Bilder wuchs bis 1975, als das erste Whole car18 gemalt wurde.19 Das Bemalen des gesamten Zuges ist bis heute das ultimative Ziel der ZugWriter. Andere Möglichkeiten Züge zu bemalen sind das Panel Piece und das Window-down, bei denen unterhalb der Fenster und zwischen den Türen gemalt wird. Window-down und Panel Piece haben die längste Haltbarkeit, da sie die Sicht der Fahrgäste nicht beeinträchtigen. Das Bemalen von Zügen ist zwar das höchste Ziel, beschert GraffitiWritern aber auch ihren größten Feind. In New York ist es die Manhattan Transit Authority (MTA), die seit Ende der 70er Jahre hart gegen Writer vorgeht. Das Reinigen der Züge in einer speziellen Anlage wird Buffing genannt. In dem Film Style Wars! wurden die verschiedenen Ansätze der MTA dargestellt, das Graffitiproblem zu lösen. Neben Einführen von Reinigungsanlagen, umgaben sie die Rangierbahnhöfe und Zuglinien mit einem doppelten Zaun. Den Zwischenraum beschützten Wachhunde. Unterstützend gab es große öffentliche Kampagnen gegen Graffiti und Aktionen, in denen Bürger beispielsweise alle Züge weiß strichen. Das Zugmalen wurde für die Writer immer schwerer. Aus diesem Grund entwickelte sich Ende der 70er Jahre das Bemalen von Häuserwänden und tragbaren Gegenständen wie Leinwänden. 1978 begann Lee, einer der bekanntesten New Yorker Writer, Wände in seinem Stadtteil zu bemalen. »In 1978, not satisfied with the staggering number of ›top-to-bottom whole cars‹ that for five years had by sheer numbers, scale mastery overwhelmed the competition on the ›twos’n fives‹, Lee had begun to transform his neighbourhood on the shadow of the Brooklyn Bridge into one of the city’s most spectacular exhibits of public art.«20 An den Jugendtreffpunkten der Stadt, wie Basketballfeldern und Handballplätzen, an denen Graffiti nicht entfernt 17 Breakdance ist ein HipHop-Tanz, bei dem sich der so genannte Breakdancer auf dem Boden dreht oder akrobatische Sprünge vollführt. 18 Ein komplett mit Farbe besprühter Zugwaggon. 19 Vgl. Chalfant, Cooper 1984, S. 17 20 Chalfant, Prigoff 1987, S. 7
wurde, entstanden die Halls of fame. Sie galten als legale Sprühorte, an denen Jugendliche üben und sich treffen und austauschen konnten. Neben der Hall of fame malten die Writer vor allem an den Wänden anderer nicht genutzten Mauern und Ladenjalousien. Mit der zunehmenden Popularität entwickelte sich auch ein Markt für Auftragsarbeiten, so dass die Writer entweder die Farbdosen gestellt bekamen oder sogar mit ihrem Können Geld verdienen konnten. Auch heutzutage macht das Bemalen von Zügen noch einen wichtigen Teil vom illegalen Graffiti aus. Die Bilder fahren mittlerweile aber nur noch wenige Stunden durch die Stadt. Häufig beweist lediglich die Dokumentation auf Fotos das Bemalen eines gesamten Zuges. Auf Grund der kurzen Haltbarkeit kratzen die Writer, die nicht auf Züge verzichten wollen, seit ca. 2000 ihren Namen mit speziellen Fensterkratzsteinen in die Scheiben der Züge. Viele der legal arbeitenden Writer finanzieren sich ihren Lebensunterhalt durch Auftragsarbeiten, wie der Hamburger Daim und der Kölner Seak 1. Binho aus São Paulo bringt zusätzlich zu den Malauftragsarbeiten Brasiliens Graffitizeitschrift GRAFFITI heraus. Wie es in der älteren Generation der über zwanzigjährigen Writer gang und gäbe ist, fungiert auch bei Binho als dritte Einnahmequelle Grafikdesign. Er kann, genau wie andere, die seit den 80ern Graffiti sprayen, von den graffitiverwandten Aufträgen leben.
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Die Hauptregel im Graffiti ist, dass keiner über das Piece oder Tag des anderen malt – zumindest soweit der Schriftzug noch lesbar ist. Eine Ausnahme stellt die Hierarchie der verschiedenen Arten von Bildern dar. An guten Stellen darf ein Throw-up21 über ein Tag oder ein Piece über ein Throw-up gemalt werden. Wenn genug Platz zur Verfügung steht, bedeutet das so genannte Crossen22 im Graffitifeld eine Kampfansage. Die Nichtbeachtung dieser Hauptregel zieht die Verfeindung der Crew nach sich. Verpönt, jedoch nicht verboten, ist das Nachahmen. Wenn der Stil eines anderen Writers kopiert wird, verliert der nachahmende Aktivist auf Grund seines geringen kreativen Könnens stark an Ansehen. Die Folge dieses so genannten Bitings oder Nachahmens kann die Abstempelung des Writers als Toy sein. Toy ist die Bezeichnung für schlechte, oft auch für junge Writer, die ihr Können erst noch beweisen müssen. 21 Ein Throw-up ist die schnell gemalte Kurzform des Namens, die aus Umrandungslinie (Outline) und einfarbiger Füllfarbe (Fill-in) besteht. 22 Crossen ist das Übermalen eines anderen Namens (Piece oder Tag).
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Das Ziel der Graffitiaktivisten ist Ruhm und Ansehen, vor allem von ihrer Peergroup23, zu bekommen. »›Getting fame‹ is the repeatedly stated goal of graffiti Writers.«24 Es gibt zwei Möglichkeiten, besonders viel Ruhm zu bekommen. Ein Aktivist, und hier handelt es sich vor allem um Tagger und Bomber25, schreibt so oft in der ganzen Stadt seinen Namen, dass er, wie damals Taki 183, stadtweit bekannt ist. In der englischen Fachsprache nennt sich das all city sein. Ein Writer kann auch durch seinen besonders guten Stil und durch Innovation und Frische viel Ansehen und Ruhm bekommen. Ein Beispiel hierfür ist Daim. Der Hamburger arbeitete nur kurze Zeit illegal. Die Anerkennung verdankt der seit Ende der 80er Jahre aktive Auftragssprüher seinem perfektionierten 3D-Stil. Das klassische Graffitiziel ist jedoch das so genannte Getting-up: das bekannt machen des Namens. In dem Graffiti der 70er und 80er Jahre gibt es die Auszeichnung King zu sein.26 So durfte sich die Person King of the Line nennen, die eine Zuglinie beherrschte. Als Zeichen durfte eine Krone über den Namen gemalt werden. King of the Line ist nicht die einzige Auszeichnung des »Graffiti Königs«. Es gab auch den King of style und den stadtbekannten All City King. Bei King of the Line und All City King zählte die Quantität. Der Writer musste sehr viel Energie und Zeit aufwenden – oft tage- und nächtelangen Einsatz, um sich den Titel King und den damit verbundenen Ruhm zu verdienen und beizubehalten. In vielen Fällen hielt der Writer den Titel nicht lange und geriet schnell wieder in Vergessenheit.27 Nach Lachmann ist die Karriere eines Taggers oft nach nur acht aktiven Monaten beendet: »The lack of possibilities for further achievements, beyond becoming king of a line, precludes tagging from becoming a career. In the absence of career opportunities, and under the pressures of competition, all the Writers interviewed, unless they became muralists or gang taggers, abandoned active writing within eight months.«28 In dieser aktiven Zeit hatten die von Lachmann untersuchten jungen Writer oft viele Probleme. Sie vernachlässigten ihre Schulpflicht oder hatten Ärger mit der Polizei. Das vermehrte Stehlen von Sprühdosen und Markern erhöhte die Gefahr, in flagranti erwischt zu werden. Getting-up nicht als Einzelkämpfer sondern mit einer Crew, einer Gruppe von Writern, minderte 23 Gruppe von etwa gleichaltrigen Jugendlichen, die als Orientierung im Übergang vom Kindesalter zum Erwachsenendasein fungiert. 24 Chalfant, Cooper 1984, S. 28 25 Bomber verfolgen mit vielen Throw-ups und Tags, vor allem an Zügen, das quantitative Ziel, ihren Namen zu verbreiten. 26 Vgl. a.a.O., S. 54 27 Heute hat die Bezeichnung King durch Missbrauch an Wert verloren, das Prinzip ist jedoch das gleiche. 28 Lachmann 1988, S. 228
da die Risiken. Auch heute noch schreiben Writer immer die Anfangsbuchstaben ihrer Crewnamen hinter ihr Piece. Gelegentlich malen die Crewmitglieder auch nur den Crewnamen. In den 70er und 80er Jahren waren zum Beispiel The Fabulous Five und United Artists sehr bekannt.29 Im Gegensatz zum Tagger ist die Karriere als Muralist von längerer Dauer. Viele Anfänger haben einen Mentor, der ihnen die Technik, die Regeln und das Malen in Abstellgleisen beibringt. Es ist typisch, dass ein Anfänger damit beginnt, die Farbfüllungen für seinen Lehrer zu malen. Wenn er den Umgang mit der Spraydose beherrscht und das Prinzip verstanden hat, wie ein Piece gemalt wird, beginnt der Neuling an seinem eigenen Stil zu arbeiten. Writer der 80er Jahre wie Dondi, Futura, Lee, Kase 2 und Writer, die heutzutage viel Ruhm genießen wie Daim, Shok 1, Sickboy und Stohead, entwickelten ihren Stil über viele Jahre hinweg. Neben dem guten Malstil zählt bei illegalen Arbeiten der Ort des Pieces. Dem guten Malstil geht voraus, dass die Sprühdosentechnik perfekt beherrscht wird. In der weiteren Entwicklung zählt Kreativität und Innovation. Bei der Wahl des Ortes kommt es zum einen darauf an, dass das Piece gut in den gewählten Platz eingegliedert und gut sichtbar ist. Weiterhin zählt das Risiko, das der Writer für das Piece auf sich nehmen muss. Aus diesem Grund bekommen Writer für das Bemalen von Zügen viel Ansehen, da sie sehr schnell und unter Stress arbeiten müssen. Obwohl illegales Arbeiten höher angerechnet wird, können stilistisch gute Writer auch mit legalen Arbeiten hohes Ansehen in der Szene genießen. Doze und Futura 2000 arbeiteten beispielsweise viele Jahre lang illegal, bevor sie nach mehreren Jahren Pause ein großes legales Comeback genossen haben. Strafrechtliche Verfolgung ist heutzutage für viele Writer, vor allem wenn sie im straffähigen Alter sind, ein triftiger Grund, die illegale Karriere zu beenden. Reine Tagger sind deshalb im Normalfall zwischen 14 und 16 Jahre alt. Mit zunehmendem Alter werden viele zu Wandmalern, die dann vor allem legal arbeiten oder eben zu Street-Art überwechseln.
% ) - ' * " $ 42 Insgesamt gibt es drei Ansätze, Graffiti im Kunstfeld zu etablieren: das erste Mal Ende 1972, das zweite Mal 1980, das dritte Mal seit 2000. Der dritte Ansatz unterscheidet sich von den ersten beiden und vermischt sich mit Street-Art. Er wird deshalb gesondert behandelt. 29 Vgl. Chalfant, Cooper 1984, S. 50 f.
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Zu dem ersten Versuch, Graffiti als Kunstform zu etablieren, trug die von Hugo Martinez gegründete New Yorker Verkaufsorganisation United Graffiti Artists (UGA) bei. Der von Graffiti begeisterte Soziologiestudent motivierte die Sprayer, Bilder auf Leinwand zu malen und organisierte eine Ausstellung, die von 1973 bis 1975 tourte. Danach löste sich die Organisation schnell auf.30 Eine ähnliche Organisation war die Anfang 1974 von Jack Pelsinger gegründete Nation of Graffiti Artists (NOGA). Wie bei UGA wurden Bilder mit einem Preis von bis zu US$ 3.000 verkauft.31 Doch auch sie war nicht von langem Bestand. Die erste Phase der Annährung an das Kunstfeld endete bereits 1975. Ein Grund für die kurze Dauer des ersten Galerieansatzes stellte laut Lachmann das System der damals noch intakten Writers Corners32 dar. Sie waren die Orte, an denen über Qualität und Stil entschieden wurde. Verkäufe in Kunstausstellungen bildeten demnach nur eine zweite Messmöglichkeit und stellten eine zusätzliche Belohnung dar. Das wahre Können der Writer zeigte sich auf den vorbeifahrenden Zügen.33 Der Galerist Stephen Eins eröffnete 1978 die erste Graffiti-Art34-Galerie. Seine Fashion Moda-Galerie lag in der in Verruf geratenen Südbronx. Die Galerie fungierte mit Graffiti-Workshopangeboten wie ein Sozialprojekt.35 Der Writer Crash organisierte die erfolgreiche Ausstellung »GAS: Graffiti Art Success of America«, die Arbeiten von Lee, Lady Pink, Mitch 77, Dondi, Disco, Futura, Ali, Zephyr, Kel und Noc 167 zeigte. Diese Ausstellung bescherte den Writern Medienaufmerksamkeit, wie davor schon die UGA und NOGA-Ausstellungen. Es folgten weitere von der Fashion ModaGalerie organisierte Ausstellungen und es entstanden neue Ausstellungsflächen wie PS1 und die Fun Gallery, die Patti Astor und Bill Stelling Anfang 1980 im kunstgentrifizierten East End von New York eröffneten.36 Mit der Eröffnung der Fun Gallery begann der zweite und größte Graffitikunstboom. Ausgelöst wurde er durch eine neue Mischung von Künstlern und Sprayern. Akademisch ausgebildete Künstler wie Keith Haring und Kenny Scharf stellten mit Sprayern wie Dondi, Lee und Futura 2000 aus.37 Diese Konstellation wies die Richtung zu der signifikantesten Graffitiaus-
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Stahl 1990, S. 134 Lachmann 1988, S. 232 Treffpunkte, die auch als Writers Benches (Graffitisprayerbänke) bekannt sind. Lachmann 1988, S. 237 Der Begriff Graffiti-Art sollte die im Kunstfeld aktiven Writer von den übrigen abgrenzen. In dieser Arbeit wird synonym Graffitikunst verwendet. 35 Vgl. Stahl 1990, S. 135 f. 36 Austin 2001, S. 190 f. 37 Stahl 1990, S. 137
stellung dieser Zeit in der Sidney Janis-Galerie.38 Von 1980 bis 1983 erfuhr daraufhin Graffiti in New York seine bedeutendsten Jahre. Graffiti wurde als eine frische neue Bewegung mit jungen, innovativen, hoch motivierten Akteuren gefeiert, die für alles bereit sind. Dondi malte in dieser Zeit so viele Bilder, dass er fünf Galerien mit seinen Leinwänden versorgen konnte.39 Sidney Janis trug, dank der Etablierung des abstrakten Expressionismus und der Pop-Art-Bewegung in den 50er und 60er Jahren, einen wesentlichen Teil zur Verfestigung von New York als Weltkunsthauptstadt bei. Dolores Neumann, die Kuratorin seiner »Post-Graffiti«40-Ausstellung, stammt aus einer weltbekannten Sammlerfamilie. Diese Kombination von Ausstellungsort und Kuratorin hielt entgegen der Erwartungen vieler nicht was sie versprach: Die große »Post-Graffiti«-Ausstellung markierte das Ende des zweiten Graffitigaleriebooms in Amerika. »Despite good reviews, the ›Post-Graffiti‹ show at Janis marked the decline of the mainstream New York City art world’s fascination with writers as canvas-painters. Gallery owners had already stopped buying new paintings before the Janis show was hung, and they had a difficult time selling those already in stock during the subsequent Christmas season of 1983. There were no other group shows for writers that attracted major art world attention during the 1980s.«41
Einige Writer gingen auf Grund der abnehmenden Nachfrage nach Graffitileinwänden von den USA nach Europa, wo der Trend noch bis zum Ende der 80er Jahre anhielt.42 Der in Holland lebende Yaki Kornblit war zu dieser Zeit der wichtigste europäische Galerist. Er entdeckte Graffiti 1982 in der Fun Gallery. Zu seinem Konzept mit Graffiti umzugehen gehörte, nur Einzelausstellungen zu kuratieren. Den Auftakt von elf Ausstellungen mit New Yorker Writern lieferte im Januar 1983 die ausverkaufte »Dondi«-Ausstellung.43 Ein anderer großer Erfolg der New Yorker Writer in Europa war die Gruppenausstellung mit Blade, Crash, Dondi, Futura, Lee, Noc, Quik, Rammellzee, Seen und Zephyr im Museum Boymans van Beuningen. Nach der Eröffnung in Rotterdam tourte sie durch Holland. Europa wurde also für viele der New Yorker Writer zur zweiten Chance. »They [the europeans J.
38 In dieser Ausstellung verkauften sich die Leinwände für bis zu US$ 5.000. 39 Witten, White 2001, S. 113 40 Janis nennt die von ihm ausgestellte Kunst in dem Ausstellungskatalog von 1983 »Post-Graffiti«. Er beabsichtigt damit die Abgrenzung vom illegalen Graffiti. Um die Tradition seiner Galerie beizubehalten, betont er zudem die Analogie von Graffiti und Pop-Art. 41 Austin 2001, S. 192 42 Ebd. 43 Witten, White 2001, S. 168
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R.] showed their enthusiasm for the new art by granting it, overnight, ›museumworthiness‹. While graffiti writers struggeled to find a financial foothold in the United States, in Europe their paintings went straight to venerable institutions like the Boymans van Beuningen in Rotterdam.«44 Der Boom hielt zwei Jahre lang an. 1985 nahm auch in Europa die Popularität von Graffiti ab. Die meisten Writer fielen nach diesem Hype, der um sie und ihre Kunst gemacht wurde, in ein tiefes Loch. Laut Lachmann teilten die Galeriegraffitikünstler zu dieser Zeit, durch die Zerstörung der Writers Benches, die Meinung der Galeristen, dass ihre Leinwandkunst hochwertiger als das Bemalen von Zügen45 sei. Eine Resozialisation in diese Szene war den meisten deshalb nicht mehr möglich.46 Nach dem Ende ihrer Galeriekarriere zog sich der Großteil der Galerie-Writer komplett aus der Graffitisubkultur zurück.
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Mit der Popularität von HipHop und verbunden mit dem 80er-JahreRevival-Trend, erfährt Graffiti ungefähr seit dem Jahr 2000 ein Comeback. In den ersten beiden Graffitikunstbewegungen wurden die unerfahrenen jungen Writer von dem Boom überrollt und fühlten sich häufig von der 55 56 57 58
Stahl 1990, S. 139 Ricard, René, Anfang der 80er zitiert in: Austin 2001, S. 198 Austin 2001, S. 196 »Just as Ricard had warned, many of the writers who participated in the galleried art world interlude of the early 1980s felt that they had been ripped off in some way. Exposure to the mainstream art world’s economy of prestige and it’s system of commercial exchanges contrasted sharply with their own system of relations in the yards. [...] Again, as Ricard has suggested, most writers found the purely commercial art avenues – murals, signs, posters, advertising, illustration- to be a more friendly arena for the exchange of writing skills and works for cash.« Ricard, René, Anfang der 80er, zitiert in: Austin 2001, S. 198
Kunstwelt ausgenutzt.59 Der dritte Ansatz, Graffiti im Kunstfeld zu etablieren, verläuft anders. Heute variiert der Habitus der Writer. Es gibt vereinzelt Writer, die freie Kunst studieren und eine große Anzahl, die Grafikdesign oder Illustration studieren oder studiert haben. Auch das durchschnittliche Alter der Aktivisten ist durch die Etablierung vom legalen Sprühen heute höher. Es gibt nun also neben vielen Aktivisten, die ausschließlich illegal arbeiten, eine Gruppe die weiß, wie das Kunstfeld funktioniert und die eine Karriere in diesem Feld anstrebt. Die Zusammenarbeit zwischen dieser Gruppe und den Galeristen funktioniert heutzutage gut, da diese mit der Bewegung aufgewachsen sind. Sie kennen die Graffitigeschichte und können mit dem nun schon dreißig Jahre alten Phänomen umgehen. In den 80er Jahren nahm Graffiti keine neue Form und Sprache an, sondern wurde nur auf einem neuen, handlichen Malgrund ausgestellt. Mittlerweile nimmt Graffiti in vielen Fällen die Sprache der etablierten Kunst an. Es gibt Installationen, Skulpturen und neue innovative Maltechniken und Malstile. Die Arbeit von Stak zählt zu der neuen galeriefähigen Form von Graffiti. Stak änderte in den 90er Jahren sein Tag in eine Logoform. Mit Installationen, wie die aus Neonröhren und Sprayfarbe bestehende Arbeit »most hated most loved – very modisch«, orientierte er sich in Richtung Kunstwelt. Er begründete seine seit 1999 in den Arbeiten stattfindende Verwendung von Neonlicht folgendermaßen: »I wanted to present my work in a different way, something closer to the street and closer to contemporary art; going against what we are used to seeing in exhibitions of artists from the graffiti realm. Many didn’t understand!«60 Die seit den frühen 80er Jahren aktiven Writer Twist, Espo und Reas lieferten den bis 2006 für diese dritte Annährung größten Erfolg mit der Installation »Indelible Market«, die 2001 auf der 49. Biennale in Venedig ausgestellt wurde. Espo erklärte die Installation: »The Indelible Market is about youth and what happens when big business goes shopping for culture. Big business takes a look, borrows a colour scheme, adopts a personality, throws a couple pennies inna someone’s cup and steps. The resulting TV campaign instantly renders the culture passé. The Indelible Market is returning the favour by stealing techniques and styles from marketers, and selling our uncompromised style one pound at a time.«61
Der in San Francisco lebende Künstler Barry McGee, auch bekannt als Twist, stellte im Sommer 2002 in der Modern Art Galerie in London aus.
59 Austin 2001, S. 201 60 Stak in: Graphotism Nr. 29, September 2002, S. 134 61 Espo (original aus Graphotism April 2000) in: Graphotism 27, Juni 2002, ohne Seitenzahl
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Seine Galeriearbeiten basieren zwar auf seinen Writing-Wurzeln62, nehmen aber neue Formen an. Statt ein Piece zu malen, setzte er sich in dieser Ausstellung unter anderem anhand einer Installation mit dem Reinigen von Graffiti auseinander und zeigte Filmmaterial. In einer anderen Ausstellung 1998 im Walker Art Center Minneapolis, malte er hauptsächlich die für seine zeitgenössische Arbeit bekannten Figuren.
Abbildung 4: Unter dem Klingelknopf der Modern Art Galerie in die Wand eingefügte Arbeit von Barry McGee. London 2003
62 Wie Espo und Reas ist er seit den frühen 80er Jahren aktiv.
Teilweise malte er in Graffititradition direkt auf die Wand. Viele Bilder waren jedoch eingerahmt und stellten in ihrer Hängung eine Installation dar.63 Barry McGee erklärte seine Arbeit folgendermaßen: »My work explores the sometimes humorous ills of contemporary city life. I combine graffiti, drawings, paintings and found objects together to create installations that try to capture the overload of the senses that you might feel walking down the streets of any one of our fine American cities.«64 Vor allem in Paris und New York und in anderen Städten, in denen viele Writer und Street-Art-Aktivisten wohnen, wird Graffiti und damit zusammenhängende Kunst wie z.B. Street-Art, in Galerien ausgestellt. In Los Angeles gründete Shepard Fairey mit dem Künstler Blaze Blouin 1995 die Künstlergemeinschaft Subliminal Projects, die nach eigenen Angaben die Beziehung zwischen der Skateboardkultur – und somit auch Graffiti und Street-Art – und dem Kunstfeld verbessert hat. Die Galerie näherte sich dem Kunstfeld durch das Interesse, das Aaron Rose, der Kurator der Alleged Galerie in New York, für die Kunstdrucke von Subliminal Projects entwickelte. »By expanding beyond skateboards and apparel to include fine art prints, the group began drawing the attention of Aaron Rose, curator of Alleged Gallery in New York. As a result, Subliminal is one of the key groups responsible for cementing the relationship between the skateboard culture with the fine art world, working with then – unknown artists such as Phil Frost, Thomas Campbell, Mike Mills, Dave Aaron, and Mark Gonzales.«65
Die Ausstellungen werden von Schuhfirmen, Bierbrauereien und ähnlichem gefördert. Sie funktionieren also nicht nach den Regeln der Kunst sondern nach eigenen Gesetzen. In Santa Monica eröffnete 2003 Freddi C, die Organisatorin der »Streetwise«-Ausstellungen, gemeinsam mit Logan Hicks und anderen Aktivisten des Künstlerkollektives Work Horse, die Galerie Lab 101. Neben Graffitiaktivisten der 80er Jahre stellt das Kollektiv Street-ArtAkteure aus. In dem dritten Ansatz, Graffiti im Kunstfeld zu etablieren, nimmt die Selbstorganisation der Aktivisten eine wichtige Stellung ein. Es finden viele Ausstellungen statt, die von aktiven oder ehemals aktiven Writern initiiert werden. Die Veranstaltungsorte und die Käufer66 sind bei diesen Ausstellungen zumeist vom etablierten Kunstfeld unabhängig. 2002 stellten Tasek,
63 Blackshaw, Farrelly 1999, S. 62 ff. 64 Ebd., S. 12 65 Vorstellung von Subliminal Projects in einer E-Mail vom 10.03.2004, die die »Space Invader«-Ausstellung ankündigte. 66 Viele Käufer sind Mitte Dreißig und kaufen Graffitibilder aus Nostalgiegründen.
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Daim, Stohead und Daddy Cool, die Mitglieder der Getting-up-Ateliergemeinschaft im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg aus. Sie selbst organisierten drei aufeinander folgende Jahre die Ausstellung »Urban Discipline« 2000, 2001 und 2002. Die »Urban Discipline« fand in einem Club, in einem alten Postgebäude und schließlich in den weitläufigen Räumen der Hamburger Astra-Brauerei statt. Diese Ausstellung entwickelte sich zu einer der weltweit wichtigsten Graffiti- und Street-Art-Ausstellungen. 2002 stellten unter anderem internationale Street-Art- und Graffitigrößen wie Banksy, Loomit, Stak, Seak 1, Os Gemeos, Nina, Alëxone und die Mitglieder der Getting-up-Ateliergemeinschaft aus. Die Ausstellung wurde von der Rucksackfirma Eastpack und der Modefirma Carhartt gesponsert. Sie fand in Zusammenarbeit mit den Hamburger HipHop-Tagen statt. In Paris organisiert und finanziert die erfolgreiche Modedesignerin Agnès B Graffiti und Street-Art-Ausstellungen. Durch den Aufbau ihrer Sammlung unterstützt sie seit 1984 die Graffitikunst und damit verwandte Bewegungen wie die Pariser Pochoirs67. Im September 2000 organisierte sie gemeinsam mit dem Writer Jon One eine der bis dato wichtigsten Ausstellungen in der Galerie du jour Agnès B. Wie in der »Urban Discipline«Ausstellung trafen hier Graffitikünstler wie A One, Jay One, Ash, Futura auf Street-Art-Künstler wie Invader, Fafi, Os Gemeos, Zevs und André. Bei Ausstellungen wie dieser, wird die enge Verwandtschaft von Street-Art und Graffiti nach außen getragen und die Übergänge werden fließend. In London gründete sich 2002 ein Writer-Kollektiv unter dem Namen They Made Me Do It, die ihre Arbeiten seit der Gründung in fünf Gemeinschaftsausstellungen zeigten. Die erste Ausstellung fand 2002 in einer Bar statt und zeigte Arbeiten, die sich thematisch alle auf den Film Donnie Darko bezogen. Die letzte fand im März 2004 in einer leeren Ladenfläche im Londoner West End statt. Neben Leinwandbildern wurden hier auch Poster und Drucke von gesprühten Wandbildern und Aufkleber verkauft. Eine weitere wichtige Londoner Gemeinschaft, die aus ehemaligen Graffiti-Writern besteht, ist Scrawl Collective. Ric Blackshaw gründete diese Gruppe nach dem Herausbringen des Scrawl-Buches. Er organisiert Ausstellungen und vor allem kommerzielle Aufträge für die von ihm betreuten Künstler Mr. Jago, Stefan Plaetz und Will Barras. Die Künstler designen beispielsweise Plattencover und waren 2003 bei der »Streetwise 2«Ausstellung vertreten. Banksy organisierte Ende 2003 den »Burner Prize«, in dem Chu, Banksy und 3D ausstellten, und der von dem ehemals in den 80ern als Writer und heute als Musiker aktiven Goldie präsentiert wurde. Diese Ausstellung fand, wie seit den 90ern üblich, in einer Partyatmosphäre mit DJs statt. 67 Pochoirs sind Schablonengraffiti. Siehe auch Blek Le Rat Kapitel 4.1 dieses Buches
Abschließend lässt sich feststellen, dass – obwohl der dritte Ansatz, Graffiti im Kunstfeld zu etablieren, reflektierter und bedachter angegangen wird, Graffiti und Street-Art sich nicht im Feld der bildenden Kunst etabliert haben. Beispiele wie die Installation von Espo, Twist und Reas zeigen, dass Graffiti nur in einer neuen weiterentwickelten Form Chancen im Kunstfeld hat. Es ist also nicht Graffiti, das den Erfolg bewirkt, sondern die Weiterentwicklung der ehemaligen Writer. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Kunstwelt an Graffiti und Street-Art interessiert ist68, die Bewegung in den meisten Fällen aber nicht den Status der angewandten Kunst abstreifen kann.
Abbildung 5: »Streetwise« 2. Von links vorne nach rechts hinten: Doze Green, Kami (auf der Leiter), Will Barras & Mr. Jago. Berlin 2003
68 Dieses zeigt sich an dem Besuch der Graffitiausstellungen von Fachleuten des Kunstfeldes.
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Zuvor wurde bereits beschrieben, wie die Karriere eines Writers beispielsweise vom Tagger zum Wandmaler verlaufen kann. Der Soziologe Howard Becker69 erläuterte in einer bestehenden Studie am Beispiel des Marihuanarauchers, wie die Neulinge einer Subkultur von einem Mentor in die Szene und deren Regeln eingeführt werden. Genauso verhält es sich in der Graffitisubkultur. Die Karriere von Künstlern und devianten Personen hängt, laut Becker, stark von den Reaktionen der Öffentlichkeit ab. Diese sieht Graffiti oft als Vandalismus und Schmiererei an. Konträr dazu sehen die ausführenden Akteure einen Sinn in ihrem Tun und ihr Piece als Kunst an. Becker sagt: »Deviant behaviour is behaviour, that people so label.« So weicht nicht die Handlung als solche von der Norm ab, sondern die Devianz entsteht erst in der Konsequenz durch die damit verbundenen Regeln und Sanktionen der anderen.70 Die von Hebdige behandelte Warenform71, die dieser nach Marx beschreibt, taucht beim Graffiti in der Vermarktung von Kaffeetassen und TShirts mit appropriierten Graffitiaufdrucken auf. Die hegemoniale Gruppe würde auf diese Weise Graffiti zu ihrem Nutzen verwenden.72 Nach den Theorien der frühen Forscher des Contemporary Center for Cultural Studies in Birmingham (CCCS), wäre das Sprühen von Graffiti jedoch Ausdruck des Widerstandes gegen die hegemoniale Gruppe und der Lösung von klassenspezifischen Problemen.73 Nancy Macdonalds Forschungen ergaben im Gegensatz dazu, dass sich die Graffiti-Writer nicht auf eine Klasse oder ethnische Gruppe beschränken lassen. Weiterhin wirft sie der CCCS vor, es verpasst zu haben zu bedenken, dass es auch Gruppen wie die Graffitisubkultur gibt, die nicht gegen die hegemoniale Gruppe angeht, sondern weit davon weg sein möchte und dabei die hegemoniale Welt mit ihrem Denken und ihren Konventionen aufrecht erhalten will. Die Graffitisubkultur ist sogar von dem Bestehen einer »Outside World«74, die gegen sie ist und von der sie sich distanzieren kann, abhängig, um ihre eigene kleine Welt zu erhalten. Die Writer tun dies durch die Betonung ihrer negativen Seite, durch unleserliche Pieces, durch Anonymität und durch die nicht stattfindende Aufklärung der Öffentlichkeit über die Subkultur. Die Akteure der Graffitisubkultur fühlen sich auf ihre Weise 69 70 71 72 73 74
Becker 1963, 1982 Becker 1963, S. 9, zitiert nach Lachmann 1988, S. 220 Bei Hebdige »commodity form« genannt. Lachmann 1988, S. 222 Cohen 1972 nach Macdonald 2001, Hall u.a. 1975 Macdonald 2001, S. 151
der hegemonialen Gruppe sogar überlegen, da sie mit Hilfe von Graffiti Macht und Kontrolle ausüben können. Nach Macdonald überwiegen deshalb junge Leute, da diese sonst über nichts anderes Relevantes, das ihnen gehört, herrschen können.75 Macdonalds Forschungen ergaben, dass die jungen Writer76 sich eine virtuelle Identität in der Graffitisubkultur aufbauen. Diese neue Identität erlaubt es den Writern, in der Graffitiwelt eine unabhängige, erwachsene Persönlichkeit darzustellen, während sie in der Erwachsenenwelt den Konventionen unterlegen sind. Damit die virtuelle Identität ihre Kraft behält, ist die starke Trennung der beiden Leben notwendig. Macdonald nennt diese Trennung »Superman syndrome«77, da die Writer in der Graffiti Parallelwelt unter ihrem Aliasnamen Ruhm, Erfolg und Ansehen haben können, während sie in der realen Welt Probleme und Schwächen haben.78 In der Writer-Identität bleiben Dinge wie familiäre Hintergründe und das Aussehen außen vor.79 Die Writer sind nur das, was sie sprayen. Vor allem die Wahl des Namens füllt das »Alterego«80 mit Charaktereigenschaften. Aber auch durch die Anordnung und die Aktionen, die sie mit dem Graffitinamen machen, können die Writer ihre zweite Identität handeln lassen. Durch das bewusste Crossen anderer Tags und Pieces wird Aggression und eventuell eine Kampfansage ausgedrückt, durch das Bemalen von Zügen beweist der Writer Macht, Mut und Können, und durch den Malstil kann er je nach Verwendung und Anordnung der Buchstaben, die von kantig bis schnörkelig ausfallen können, viel über sich ausdrücken. Ferner kann ein Writer Freundschaft und Respekt, beispielsweise durch das Sprayen seines Tags neben ein anderes oder durch die Widmungen neben einem Piece, kommunizieren.81 Beim Graffiti überwiegt die Anzahl männlicher Teilnehmer stark. Von den Aufzeichnungen der British Transport Police waren unter den verhafteten Writern nur 0,67 % Frauen.82 Die Writer selber geben an, dass Writing zu gefährlich und zu rebellisch für Mädchen sei. Sogar die weibliche Sprüherin Pink sagt, dass Mädchen Graffiti nicht machen, da es ein harter, dreckiger Job ist. Das Tragen der Farben, Klettern, durch Schmutz Kriechen,
75 76 77 78 79
Macdonald 2001, S. 151-163 13-15 Jahre alt Ebd. S. 187 Ebd., S. 187- 203 Bei Frauen wird eine Ausnahme gemacht und das Geschlecht mit in die Bewertung und Behandlung einbezogen. 80 Drax in Macdonald, S. 192 81 Ebd., S. 196-217 82 Ebd., S. 95 f.
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Wegrennen etc. beschreibt auch sie als männliche Domäne.83 Macdonald stellt dar, wie Writing als »masculine performance« hoch angerechnet wird und die Writer für das illegale Malen auf Zügen oder für ein besonders gutes Piece Respekt von ihrer männlichen Peergroup erhalten. Graffiti ist somit ein Weg für junge Männer, ihre Männlichkeit zu beweisen ohne physische Gewalt oder besondere Kraft anwenden zu müssen. Wenn nun Frauen sich in dieser Welt durchsetzen würden, könnten die Männer keinen maskulinen Erfolg mehr feiern.84 Weiterhin zieht Macdonald den maskulin konnotierten, militärischen Aspekt des Writings hinzu. Sie beschreibt das Verhältnis von Writern zu den polizeilichen Spezialeinheiten wie einen Kampf. Viele Writer sehen es auch wie das Spiel »Räuber und Gendarm«. So gibt es viele Writer, die, nach Macdonalds Untersuchungen, nicht sprayen würden, wenn es nicht illegal wäre, da sie nur dadurch beim Writing einen Adrenalinstoß bekommen.85 So wie für viele der Kampf gegen den Feind motivierend wirkt, ist ein gemeinsamer Feind auch immer etwas, das eine Gemeinschaft enger zusammenschweißt. Hinzu kommt, dass das Agieren jenseits der Gesetze der Außenwelt die Graffitisubkultur klein hält und auf diejenigen beschränkt, die das Opfer der Illegalität aufbringen, um Teil von der Welt zu sein, in der ihnen durch eine virtuelle Identität neue Türen geöffnet werden.
83 Macdonald 2001, S. 99 f. 84 Ebd., S. 97-107 85 Ebd., S. 108-127
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7 ! 7 ! ? 9 : - 7 7 7 7
Street-Art hat sich aus der Graffitibewegung heraus entwickelt. Im vorhergehenden Teil wurde zunächst die Graffitibewegung allgemein und in Teil 3.8. der Übergang zur Street-Art beschrieben. Es folgt eine Einführung in die Street-Art-Bewegung anhand der Portraits einiger Akteure. Im Gegensatz zu Graffiti, in dem die verwendeten Mittel sich auf Spraydose und Marker beschränken und das Ziel darin besteht, den Namen bekannt zu machen, tritt Street-Art als eine facettenreiche Bewegung auf. Von konzeptionellen Arbeiten, die nur geringe Spuren im öffentlichen Raum nach sich ziehen, bis hin zum Verkleben von Aufklebern oder großformatigen Postern sind in der Street-Art keine Grenzen gesetzt. Weniger die Quantität, sondern Innovation, Kreativität und qualitative Umsetzung werden den Akteuren hoch angerechnet. Die Street-Art-Akteure selbst unterscheiden sich in Alter und ihren Motivationen ebenfalls stark von den in der Regel jüngeren Graffitisprühern.
Abbildung 6: Xavier Prou alias Blek Le Rat. Paris 1986
&7 ; @ + ( Der 1951 in Paris geborene Xavier Prou hat 1981 erstmalig unter dem Pseudonym Blek le Rat Schablonengraffiti in den Straßen von Paris angebracht. Er ist somit der Pionier der Schablonen-Street-Art. Zwischen 1981 und 1983 verbarg sich neben Prou auch sein Freund Gerard Dumas hinter dem Pseudonym, das an den Comic Blek Le Rock angelehnt ist. Seit dem Ausstieg von Dumas im Frühling 1983 arbeitet Prou alleine als Blek Le Rat weiter. Prou engagierte sich neben seinem Architekturstudium als Volontär auf dem Abenteuerspielplatz, bei dem Dumas fest angestellt war. Die Kinder dort bemalten täglich das Gerätelagerhaus mit Farben und Pinseln, die sie im Supermarkt um die Ecke gestohlen hatten. Und so kam Prou und Dumas im Oktober 1981 die Idee, die Häuserwände von Paris anzumalen. Prou war von den zahlreichen Graffitis fasziniert, die er auf einer Reise 1971 in New York sah. Deshalb versuchten Prou und Dumas sich zunächst darin, ein amerikanisches Graffiti-Piece zu malen. Als dieser erste Versuch misslang und sich die Beiden einig waren, dass amerikanisches Graffiti nicht an die Pariser Wände passt, stiegen sie schnell auf die Schablonentechnik um.1 Die Schablonentechnik kannte Prou von einer Italienreise mit seinen Eltern in den frühen 60ern. Er entdeckte im Straßenraum ein Porträt von Mussolini, das im Zweiten Weltkrieg mit der Schablonentechnik angebracht worden war. Während seines Architekturstudiums an der Pariser École des Beaux Arts erlernte Prou die Siebdrucktechnik, die dem Arbeiten mit Schablonen sehr ähnelt. Dieses technische Wissen und das Interesse an der Architektur der Stadt führten Prou zu dem Ergebnis, das bis heute als Pochoir2 bekannt ist.3 Das Künstlerduo Blek Le Rat arbeitete in Paris zu Beginn in dem so genannten Intellektuellenviertel Montparnasse, in dem auch Man Ray sein Atelier hatte.4 Über Nacht angebracht, lauerten am nächsten Tag lebensgroße Ratten an den Häuserecken, und auch Bananen und Rennläufer zogen die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich. Die letzte große Aktion der Beiden vor ihrer künstlerischen Trennung war das Sprühen von zahlreichen Schablonen in der Silvesternacht zum 01.01.1983 rund um das Centre Georges Pompidou. Nach Prous Aussage überzeugten sie den Wachmann zur Dul-
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E-Mail-Interview mit Xavier Prou alias Blek Le Rat am 25.03.2006 In Frankreich werden Schablonenbilder Pochoir genannt. Metze-Prou 2000, S. 68 ff. Ebd., S. 119
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dung nur dadurch, dass sie ihm ihr Tun als Kunst glaubhaft machen konnten.5 Mittlerweile allein unter dem Namen Blek Le Rat weiter arbeitend, stellte Xavier Prou im März 1984 die erste Schablone eines lebensgroßen Mannes her. Die Inspiration für diese Figur lieferte zum einen Richard Hambleton. Der amerikanische Künstler malte Anfang der 80er Jahre lebensgroße Männer in schwarzer Farbe in die Straßen von Paris. Zum anderen inspirierte der Film »The bigger splash« von David Hockney das Schaffen von Blek Le Rat. In diesem Film malt Hockney einen lebensgroßen Mann an eine Wohnungswand.6 Nachdem Blek Le Rat in den letzten Jahren mit den Ratten, Panzern, Portraits und anderen Schablonen, die in unterschiedlichen Städten auftauchten, bereits die Neugierde der französischen Bevölkerung geweckt hatte, gelang Prou mit dem riesigen Schablonenbild des Mannes der Durchbruch. Das Pochoir war im Gespräch: Der alte nordirische Mann kursierte unter den Namen Buster Keaton, Charlie Chaplin und schlicht »der Alte«. Mit seiner sich stetig perfektionierenden Technik stellte Prou daraufhin Tom Waits, einen kleinen Jungen in kurzer Hose, Andy Warhol, Marcel Dessault, eine Frau mit Kind, einen russischen Soldaten, Mitterand, Joseph Beuys, Christus und etwa vierzig andere Gestalten her.
Abbildung 7: Blek Le Rat Pochoir: Old Irish Man Screaming. Paris 1983 Abbildung 8: Blek Le Rat Pochoir: Tom Waits. Paris 1984 Abbildung 9: Blek Le Rat Pochoir: Old Irish Man. Paris 1983 5 6
Blek in Metze-Prou 2000, S. 72 Blek in C100 2006, S. 54
Im Gegensatz zu der rebellischen Nachricht, die viele Graffitiakteure durch Tags an die Öffentlichkeit richten, verfolgt Prou eine didaktische Nachricht. »I am more interested in showing the world that urban art is more than just art of rebellion, but an artform that speaks about poetry and everyday life and is a reflection of our society.«7 Prou richtet sich mit seinen Arbeiten nach der Umgebung. In Marokko malte er deshalb die Silhouetten von Straßenhändlern, während er in Paris mythologische oder klassische Figuren mit lokalen Assoziationen malte. An den Berliner Checkpoint Charlie platzierte Prou einen Wachmann und an einem Bus-Bahnhof in Buenos Aires einen Mann, der einen Koffer in der Hand hält. Es besteht eine enge Beziehung zwischen Prou und seinen Schablonencharakteren; so sagt er selbst, dass sie ihm alle irgendwie ähneln. Sie repräsentieren ihn in der Straße und machen ihn mit den Orten und Passanten bekannt.8 Prous Schablonenbilder stießen auf Resonanz. 1984 zeigten immer mehr andere Pochoiristen im Pariser Stadtbild Präsenz. Die Bewegung wurde 1986 als Titelgeschichte in Le Monde, dem »Sprachorgan Frankreichs«9, beschrieben, die Überschrift lautete: »L’école de Blek le Rat«. Zu den Schülern von Blek Le Rat gehörten damals: Marie Rouffet, Surface Active, Epsilon, Thierry Gauthé, Miss Tic. und Etherno. Prou schreibt, dass er »den Dialog« mit den Bildern der anderen Pochoiristen genoss und ihn »diese neue Kunst der Sprache«, die zu der bereits existierenden Kunst der Zeichen hinzu kam, »zum Träumen brachte«.10 Zur gleichen Zeit der Berichterstattung in Le Monde, als sich die Bewegung auf ihrem Zenit befand, präsentierte die Modedesignerin Agnès B unter dem Titel »Vite fait – bien fait«11 die wichtigsten aktuellen Pochoiristen in ihrer Pariser Galerie. Viele Akteure stellten auch in weiteren Galerien und Gemeinschaftsausstellungen aus.12 Mit der zunehmenden Anzahl von Pochoirs und Graffiti-Tags in den Straßen von Frankreich, verstärkte sich auch die Aufmerksamkeit der Polizei, die immer radikaler gegen die Pochoiristen vorging. Nachdem Prou im Oktober 1991 wegen Beschädigung fremden Eigentums zum zweiten Mal vor Gericht stand, verringerte er seine Aktivität in der Strasse. Zu dieser Zeit änderten sich auch eine Menge privater Dinge in Prous Leben. Er war frisch verheiratet und erwartete ein Kind. Nach zehn effizienten Jahren begann für Xavier Prou alias Blek Le Rat 1991 eine ruhigere Phase, in der er seine Aktivität im öffentlichen Raum auf ein bis zwei Arbeiten pro Jahr beschränkte. 7 8 9 10 11 12
Blek in C100 2006, S. 54 Vgl. Metze-Prou 2000, S. 73 Metze-Prou 2000, S. 59 Blek in Metze-Prou 2000, S. 68 ff. Auf Deutsch: »Schnell gemacht – gut gemacht«. Metze-Prou 2000, S. 96 f.
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Der Moment des Umschwungs stellte seine Reise 1999 nach Marokko dar. Seit dieser Zeit ist er wieder sehr aktiv.13 Das Risiko der Festnahme minimiert Prou jetzt, in dem er das Schablonenbild oft zu Hause auf Papier sprüht und dann nur noch das vorbereitete Bild in der Straße mit Kleister anbringt. Seit den 90er Jahren vervielfältigt Prou auch von Zeit zu Zeit Bilder mit dem Fotokopierer, so dass er schnell viele Bilder produzieren kann. Obwohl die damalige Pochoir-Bewegung von der aktuellen Street-ArtBewegung getrennt anzusehen ist, kann man Blek Le Rat auf Grund seines Comebacks mittlerweile als einen der seit längster Zeit aktiven Street-ArtAkteure anerkennen. Er stellt gemeinsam mit der neuen Generation von Street-Art-Akteuren in Galerien und Museen und in der Strasse aus. Auf der »Backjumps – The Live Issue«-Ausstellung 2003 in Berlin standen beispielsweise Bleks Leinwände mit dem Buster Keaton-Motiv neben Swoons Cut-outs zum Kauf. Die alte Pochoir-Bewegung vermischt sich somit durch Blek Le Rat mittlerweile mit der Street-Art-Bewegung dieses Jahrtausends.
13 E-Mail-Interview mit Blek Le Rat am 25.03.2006
Abbildung 10: Blek Le Rat Pochoir. Volulibis (Marokko) 2001
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& ( A / B - C 6 * B $ D ! 2 4 A
Der US-Amerikaner Shepard Fairey begann 1989 mit der bis heute weltweit größten Propagandakampagne, hinter der sich kein Produkt verbirgt, sondern das Graffitiziel des Getting-up. Rund um die Welt findet man mittlerweile seine Obey Giant14-Aufkleber, -Poster und -Schablonenbilder. Die Andre the Giant-Ikone taucht an ausgesuchten Orten im öffentlichen Raum, aber auch in Kunstausstellungen, auf Skateboarddecks, T-Shirts und anderen Produkten auf. Faireys Antrieb ist ein gutes Stück Besessenheit und die Neugierde zu sehen, wie stark ein bedeutungsloses Motiv weltweit bekannt gemacht werden kann. Fairey beschreibt seine »Obey Giant«-Kampagne als ein »Experiment der Phänomenologie«15, bei dem es darum geht, die Menschen dazu zu bringen, die Existenz des Aufklebers zu hinterfragen. Die Aufkleber an sich sind nach Fairey bedeutungslos und bekommen ihre Kraft erst in der Reaktion der Menschen auf diese leeren Signifikanten. Die Motive der Aufkleber, Poster und Schablonen, die sich zum Großteil um die Figur Andre the Giant drehen, sind ikonografisch und der kurze Slogan oder das Schlagwort eingängig, so dass sie einer Werbekampagne gleichen.16 Weiterhin verwendet Fairey in vielen seiner Arbeiten im öffentlichen Raum die These des Medienwissenschaftlers Marshall McLuhan: »The medium is the message.« McLuhan bezieht sich mit dem Satz darauf, dass die verwendeten Kommunikationssysteme Einfluss auf die Kommunikation der Menschen ausüben. Während McLuhan feststellt, dass Fernsehen und Telefon durch ihre medienspezifischen Grenzen beginnen, den übermittelten Inhalt zu beeinflussen, ist Faireys Standpunkt, dass das Medium Straße große Freiheit mit sich bringt. Street-Art ist somit nach Fairey ein gutes Beispiel
14 Das englische Wort obey heißt auf Deutsch: jemandem gehorchen oder einem Befehl Folge leisten. 15 Der von Fairey verwendete Phänomenologiebegriff lehnt sich an den von Heidegger (1927) und Husserl (1901) an. 16 »The Obey campaign can be explained as an experiment in Phenomenology. The first aim of Phenomenology is to reawaken a sense of wonder about one's environment. The Obey campaign attempts to stimulate curiosity and bring people to question both the campaign and their relationship with their surroundings. Because people are not used to seeing advertisements or propaganda for which the motive is not obvious, frequent and novel encounters with Obey propaganda provoke thought and possible frustration, nevertheless revitalizing the viewer's perception and attention to detail. The medium is the message.« Faireys Manifesto. Fairey in: Fairey 2006, S. 5
für relative Redefreiheit.17 Ohne Gatekeeper (Informationsregulator) oder Zensur genießt Fairey in dem Medium Straße während seiner Street-ArtAktivität Ausdrucksfreiheit und kann anbringen, was immer er möchte.18 Der englische Street-Art-Akteur D*Face beschreibt die »Obey Giant«Kampagne folgendermaßen: »It looked like for what he was doing was an advertising campaign. Maybe it was subliminal and you are kind of waiting for the product to come with it. But the product was never turning up and it seemed fascinating that you can have this graphic image without a brand – as a brand but without a product. That truly was a brand without a product.«19 Frank Shepard Fairey ist 1970 in South Carolina geboren. Im Gegensatz zu vielen Anderen ist sein größter Einfluss nicht Graffiti, sondern vielmehr Skateboardfahren und vor allem Punkrockmusik. In seiner Monographie schreibt Fairey, dass die Bands The Sex Pistols, Public Enemy, The Clash und Black Flag den größten Einfluss auf sein Schaffen haben. Punkbands sind sein Vorbild, da laut Fairey Musik einen viel größeren emotionalen Einfluss auf Menschen hat als visuelle Kunst: »I’ve never been to an art show and felt like the art had a hold over every person in the room, much less looked over my shoulder to see 50.000 lighters held up in a show of solidarity for Ozzy’s cause. […] Art shows don’t seem to elicit that level of enthusiasm.«20 In South Carolina gab es in den frühen 80ern kein Graffiti an den Wänden. Fairey litt allerdings viel mehr darunter, dass es auch keine Fanartikel von seinen Lieblingsbands gab. Der schon immer viel zeichnende Fairey begann deshalb 1984 mit Schablonen und später per Siebdruck Band-T-Shirts und Aufkleber selbst herzustellen. Das war der Grundstein für die »Obey Giant«-Kampagne. Eigentlich wollte Fairey professioneller Skateboardfahrer werden, doch da sein Können nicht ausreichte, studierte er seit 1988 an der Rhode Island School of Design in Providence. Dort angekommen, tat er sich sofort mit den anderen Skatern und Punkrockern zusammen. Es war seine erste bewusste Lieblingsband The Sex Pistols, die ihm zum ersten Mal das Gefühl gab, Teil einer Subkultur zu sein. Er mochte nicht nur ihre Musik sondern auch die Art, wie die Band, von Malcolm McLaren lanciert, in Mode, Kunst und anderen Geschäftsbereichen involviert war. Weiterhin verwendete McLaren die Presse ganz bewusst als Instrument dafür, die Sex Pistols bekannt zu machen und deren Image zu kontrollieren. Später bezieht sich Fai17 Fairey sagt, dass wirkliche Redefreiheit mehr eine Idee als ein Fakt ist. Er selbst wurde von 1989 bis 2006 dreizehn Mal verhaftet. Fairey 2006, S. 201 18 Fairey 2006, S. 184 – 201 19 D*Face-Interview 2004, S. 6 20 Fairey in Fairey 2006, S. 253
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rey auf diesen Ansatz und sagt, dass McLarens Konzept ihm als Vorbild dafür diente, außerhalb seiner Kunst in verschiedenen Bereichen tätig zu sein. »I used that as a template for what I tried to do: Make solid art, but also manipulate the media and cover every variable in pop culture; work all the angles.«21
Abbildung 11: Shepard Fairey in seinem Atelier mit dem Bild »Revolution Woman«. Los Angeles (USA) 2006 Graffiti begegnete dem jungen Fairey zum ersten Mal in großer Anzahl bei einem Ausflug in die nahe gelegene New York City. Ihm imponierte die unprätentiöse und passionierte Art der Bewegung und er war davon beeindruckt, dass die Writer so viel Risiko und Mühe nur für den Ruhm auf sich nehmen, der noch dazu nur innerhalb der kleinen, abgeschlossenen Subkultur wirkt, während sie außerhalb der Gruppe anonym bleiben.22
21 Fairey in Fairey 2006, S. 279 22 Art Prostitute Magazine-Interview am 22.04.2004 auf www.obeygiant.com
In Providence gab es neben einer Vielzahl von Band- und Firmenaufklebern und denen mit politischen Botschaften auch jene, die Fairey am meisten interessierten. Die Writer verwendeten mit ihrem Namen versehene »Hello, my name is ...«23-Aufkleber wie ein Tag, und die Kunsthochschulstudenten verbreiteten Aufkleber als künstlerisches Ausdrucksmittel. Da er sich bei den Kunstaufklebern fragte, was sie bedeuten sollen und bei den Tag-Aufklebern, wer dahinter steckt, bemerkte er, dass Aufkleber als Ausdrucksmittel einer Person und nicht nur einer Firma oder Band eine starke Wirkung haben können.24 In dem Nebenjob im Skateboardladen verdiente er mittlerweile zusätzliches Geld mit dem Verkauf seiner handbedruckten, teilweise selbst designten T-Shirts. In Verbindung mit diesem Job entstand 1989 die nachhaltige Idee für seinen eigenen Aufkleber. Er wählte zum Üben für einen Freund, der das Herstellen von Schablonen lernen wollte, ein Zeitungsbild des Profiwrestlers25 André René Roussimoff, auch »Andre the Giant« genannt, aus. Der Freund gab das Ausschneiden bald auf, so dass Fairey die Schablone beendete und damit ein T-Shirt für sein Skateteam herstellte. Auf der einen Seite trug es den Schablonenaufdruck des Kopfes, verbunden mit dem Schriftzug »Andre the Giant has a posse«26 und auf der Rückseite dessen überdurchschnittlich großen Maße und Körpergewicht »7’4” 520 lbs« (das entspricht 2,23 Meter und 235 Kilogramm). Dann fotokopierte er zum ersten Mal Andre the Giant-Aufkleber und verteilte sie unter seinen Skatekollegen. Die klebten die Aufkleber an Skateboardläden, Nachtclubs und Verkehrsschilder. 27 Heute sagt er, dass er zu Beginn der Kampagne niemals gedacht hätte, dass sich jemand außer den Skatern für seine Aufkleber interessieren könnte. Natürlich hat er damals niemals die Dimension erwartet, die dieses Projekt, das als Spaß unter Freunden begann, heute erlangt hat. 1989 belauschte er ein Gespräch fremder Leute. Er hörte wie sie darüber debattierten, ob hinter seinen Aufklebern nun eine Band oder ein Kult stehe. So wurde Fairey zum ersten Mal bewusst, über was für eine Macht er mit diesen Aufklebern verfügt. Seine anfängliche Motivation beschreibt er folgendermaßen: »The more people reacted to it, the more I wanted to put it out there. The initial image was so crude that I made no attempt to attach it to what I considered my art at all, it was just mischief. Then I got addicted to the idea that the more you put 23 Diese Aufkleber haben ihre ursprüngliche Bedeutung als Namensschild für Partys, Kongresse etc. 24 Fairey in Graphotism Nr. 28, Mai 2003, S. 81 25 Wrestling ist ein inszenierter Showringkampf. 26 Das Wort »posse« bezog sich auf das Skateteam. 27 Art Prostitude Magazine-Interview
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something out there, the more power it gains just from people’s curiosity, it’s self fulfilling. It goes back to the whole graffiti thing. The idea that most people didn’t know it was me, but I could hear them talking about it. This thing that what I’m doing has power but I really don’t have to answer to it.«28
Fairey bemerkte, mit wie wenig Aufwand er die »Obey Giant«-Kampagne zu einem Gesprächsthema machen konnte. Er wurde so, wie er sagt, regelrecht abhängig von der Idee, dass das Motiv immer mehr Macht akkumulierte, je öfter er es im öffentlichen Raum anbrachte. Dem schüchternen Shepard Fairey kam es zu Gute, dass er anonym blieb und keine Erklärung abgeben musste. So war das, dem Graffiti ähnelnde, heimliche Anbringen von Aufklebern ein Weg, mit dem er anonym »seinen Beitrag zu der Welt« leistete.29 Er reiste in das nahe gelegene New York, nach Boston und nach South Carolina und verklebte seine Sticker an den relevanten Stellen, so dass schnell Gerüchte kursierten, die Aufkleber seien im ganzen Land vertreten. Als seine Freunde herausfanden, dass er dahinter steckte, waren sie begeistert und wollten an dem Projekt teilnehmen. Die Nachfrage war so groß, dass die Aufkleber ständig ausgingen. Abhilfe schaffte Fairey mit dem Verteilen von Kopiervorlagen, mit denen jeder sich ohne Limit seine eigenen Obey-Aufkleber herstellen konnte. Auch heute kann man sich noch Vorlagen für die eigene Produktion von Obey-Ikonenpostern, -Aufklebern und -Schablonen kostenfrei von seiner Internetseite herunter laden. Diese Technik unterscheidet die »Obey Giant«Kampagne von den meisten anderen Aufkleber-, Poster- und Schablonenaktivisten, die es dabei belassen wollen, dass die Arbeiten wie ihre Fußspuren fungieren. Auf diese Weise kann jeder sehen, dass der Klebende an diesem Ort war. Er hat dabei selbst die Freiheit darüber zu entscheiden, wo und wie er seinen Aufkleber etc. hinklebt und mit welchen anderen Akteuren er dabei kommunizieren will.30 Nicht so Fairey; er hatte sich zum Ziel gesetzt, mit seinen Aufklebern die Welt zu beherrschen, und dabei war ihm die Unterstützung von jedem freiwilligen Helfer recht.31 Er tat dies in mehreren Schritten. Nachdem er zunächst nur Aufkleber und T-Shirts als Medien verwendete, kam wenig später das direkte auf die Wand Sprühen der Schablonenbilder hinzu. Seit 1993 arbeitet er mit den be-
28 Fairey im Art Prostitute Magazine-Interview auf www.obeygiant.com am 22.04.2004 29 Ebd. 30 Siehe Kapitel 6.1.1 31 Graphotism a.a.O., S. 81
kannten Andre-Postern32. Zwischen 1989 und 1996 schnitt er bei sich zu Hause über eine Million handgedruckte Aufkleber aus Vinyl und Papier aus. Heute lässt er sie drucken, um, wie er sagt, nicht alle Gehirnzellen durch die giftigen Vinylstoffe zu verlieren.33 Was er nicht selbst verklebte, verschickte er an Interessierte, die sich auf Anzeigen in Skate- und Punkzeitschriften meldeten und zum Selbstkostenpreis Aufkleber bestellten. Da es bereits im ersten Sommer viele Nachahmungen von seinem Original mit »Andre the Giant has a posse«-Bild und -Gewichtangabe bedruckten Aufkleber gab, variierte er die Andre-Motive. Zuerst beschränkte er sich auf den Kopf, dann wandelte er auch diesen erfolgreich ab, in dem er ihm beispielsweise eine Jimmy Hendrix-Frisur verpasste, oder ihn in Neal Armstrongs Helm einsetzte. Als Begründung, warum das Bild, mit und ohne Variation, so erfolgreich ist, nennt Fairey: »The image has a good balance between goofy and creepy. The idea of making people scratch their heads in wonder is something that I think people are into. I’ve tried to keep that spirit to it always, where it’s humorous but also a little bit disturbing at the same time. I always thought it was more humorous than disturbing, but other people think it’s the other way around.«34
Abbildung 12: Shepard Fairey Poster: »Retro Series – Obey ’89«. Das Motiv des ersten Andre the Giant-Aufklebers. Berlin 2006 Abbildung 13: »Obey Giant«-Ikonenmotiv, das Fairey seit 1995 verwendet. 32 Die Poster sind das teuerste Medium, so dass vor allem in den frühen Jahren die Anzahl, verglichen mit Sticker und Schablonen, niedrig ist. 33 Fairey im Art Prostitute Magazine-Interview auf www.obeygiant.com am 22.04.2004 34 Ebd.
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Die Wrestlingfirma Titan Sports Inc. drohte Fairey 1993 mit einer Gerichtsverhandlung, wenn dieser es nicht ab sofort unterlasse, das Gesicht ihrer Wrestlerfigur als Motiv zu verwenden. Doch Fairey verwendet es bis heute noch. Der Wrestler André René Roussimoff verstarb 1993, vier Jahre nach Beginn von Faireys Kampagne, er erlangte durch Faireys Schaffen Kultstatus. Ende 1995 vereinfachte Fairey das Motiv, so dass das Gesicht noch ikonografischer wirkt. Fairey sagt, dass das Gesicht mehr Inhalt bekommt, da es wie Orwells »Big Brother« aussieht, der die Menschen überall beobachtet.35 Komplett war Faireys Grundmotiv, als er damit begann das Wort Obey als Mitteilung unter das Bild zu schreiben. Fairey beschreibt das Konzept, das hinter dem Wort Obey (auf Deutsch: gehorchen, Folge leisten) liegt, folgendermaßen: »The concept behind ›Obey‹ is to provoke people who typically complain about life’s circumstances but follow the path of least resistance, to have to confront their own obedience. ›Obey‹ is very sarcastic, a form of reverse psychology.«36 Den dynamischen Stil des Schriftzuges wählte er, um den Leuten das Gefühl zu geben, dass OBEY und GIANT wichtige Mitteilungen sind, hinter denen sich etwas verbirgt. Faireys Ironie war dabei, dass die Bedeutung in der Bedeutungslosigkeit der Worte und der Andre-Ikone lag. Faireys Idee ist, dass man Menschen mit einer stilistischen Methode, bei der Stil über den Inhalt bestimmt, manipulieren kann.37 Einfluss auf Faireys Schaffen hatten, neben Punkrockmusik, auch der Aktivist und Designer Jamie Reid, die KünstlerInnen Barbara Kruger und Andy Warhol, sowjetische Propaganda, Werbung und die Graffiti-Writer Cost und Revs. Jamie Reid leistete seinen Anteil an der Punkbewegung, in dem er mit Sex Pistols-Covern, die zum Beispiel die Queen mit einer Sicherheitsnadel durch die Lippe abbildeten, für Skandale in der Öffentlichkeit sorgte. Seine, seit der 68er-Bewegung stattfindende, Verwendung von zerrissenen Werbungen und Firmenlogos für das Design seiner Anti-Firmen-Poster wurde Subvertisement genannt. 1988, zu Beginn von Faireys Designstudium, war es Reid und die mit geringen Ressourcen auskommende Punk DIYBewegung, die Fairey dazu motivierten, mit selbst gefertigten Schablonen zu Hause T-Shirts und Aufkleber herzustellen.38
35 Fairey im Art Prostitute Magazine Interview auf www.obeygiant.com am 22.04.2004 36 Fairey 2006, S. 33 37 »people can be manipulated just by stylistic approach – style over substance« Fairey 2006, S. 32 38 Ebd., S. 280
Die Idee für die Farbgebung des Obey-Schriftzuges hat Fairey von Barbara Kruger. Diese verwendet in ihren Arbeiten häufig einen auf einen roten Balken gedruckten weißen Schriftzug, der sich über eine schwarzweiße Fotokollage zieht. Ihre Vergangenheit als Chefgrafikdesignerin in einer Frauenzeitschrift stellt eine wichtige Grundlage für ihre späteren Arbeiten im Kunstfeld dar. Sie nimmt immer wieder Bezug auf Werbung, Feminismus und Konsum. Die bekanntesten Slogans der 1945 geborenen Barbara Kruger lauten: »I shop therefore I am« und »Your body is a battleground«. Der ursprünglich als Werbeillustrator arbeitende Andy Warhol wendete auch als Künstler weiterhin das Prinzip der Werbung an. Ihm gelang es, mit Hilfe seiner plakativen, leicht kodierten Bilder so genannte »hohe« Kunst dem breiten Volk zugänglich zu machen. Die Porträts, die Warhol in den 70er Jahren von bekannten Persönlichkeiten wie Marilyn Monroe und Liz Taylor erstellte, beziehungsweise in seiner Factory erstellen ließ, zogen auf Grund der Vereinfachung und der Wiederholung eine ikonische Wirkung nach sich. Das ikonisierte Andre-Motiv funktioniert ähnlich wie Warhols Arbeiten. Der Stil der sowjetischen Propaganda zieht sich durch sämtliche Posterserien von Fairey, wie zum Beispiel die Peace-Serie oder jene Poster, die Kommunistenführer wie Lenin, Stalin, Mao oder Fidel Castro darstellen. Fairey übernimmt stilistische Besonderheiten wie die sowjetische Typographie, Bildaufteilung, klare Formen, reduzierte Farbgebung und heroische Darstellung von Personen.39 Werbung und Shepard Faireys »Obey Giant«-Kampagne haben viele Gemeinsamkeiten. Beide funktionieren nach dem Prinzip der Wiederholung und beide übermitteln eine Botschaft durch eine klare Bildsprache und einen eindeutigen Slogan. Der Unterschied ist, dass Faireys Kampagne ein leerer Signifikant40 ist. Cost und Revs überzogen von 1991 bis 1995 New York mit so vielen Aufklebern und Postern, dass daraufhin die Reinigungspolitik der Stadt geändert wurde. Eine solche Poster- und Aufkleberinvasion sollte ab dann verhindert werden. Die Beiden kamen zwar vom Graffiti, verwendeten jedoch gut lesbare Blockbuchstaben, die eher einer Werbung als den ineinander verwobenen, schwer lesbaren Graffitibuchstaben ähnelten, so dass sie heutzutage die einzigen Writer sind, deren Namen außerhalb der Graffitisubkultur in New York bekannt sind. Fairey lernte von Cost und Revs, dass Allgegenwart und Simplizität effektive Mittel sind, durch den visuellen Großstadtlärm hindurch zu klingen. Er erweiterte deren Prinzip noch durch kon39 www.internationalposter.com am 25.05.2006 40 Signifikant ist das Bezeichnende, der Ausdruck – also z.B. das Wort Blume. Das Signifikat ist das Bezeichnete – in diesem Fall eine echte Blume mit Blüte und Stängel.
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sequente Farbgebung41, Ikonen und durch seine Diversität an AndreMotiven.42 Der Verkauf der handgedruckten T-Shirts reichte nicht aus, um die »Obey Giant«-Kampagne und Faireys Leben zu finanzieren. So zog er 1996 nach San Diego, wo er, zusammen mit Dave Kinsey und dem ehemaligen professionellen Skater Andy Howell, die Grafikfirma First Bureau of Imagery (FBI) gründete. Nach dem Austritt Howells nannten Kinsey und Fairey die Firma BLK MRKT. Sie ist spezialisiert auf das Design von Anzeigen, CD-Cover etc., die mit Skaten und Straßenkultur zusammenhängen. Die kleine Firma war erfolgreich, und so konnte Fairey sich zum ersten Mal seinen Lebensunterhalt durch Designaufträge verdienen. Das Geschäft mit den T-Shirts lief auf Grund der niedrigen Preise zu dieser Zeit sehr schleppend. Die Poster und T-Shirts verkaufte er erst in größerer Anzahl, nachdem ein Artikel über ihn in der Zeitschrift Juxtapoz erschien, und seit 1997 seine Homepage www.obeygiant.com online ist, über die er Produkte verkauft. Von San Diego zogen Kinsey und er nach Los Angeles, wo zum einen viele der Kunden lokalisiert waren und Fairey zum anderen, ganz nach seinem Prinzip, mit weniger Aufwand mehr Leute mit der »Obey Giant«Kampagne erreichen konnte. Dort führt er mit Kinsey heute noch eine Galerie, die dazu beitragen soll, die Grenze zwischen Design und bildender Kunst aufzulockern: »One of the reasons we started the gallery was because we wanted to mostly show people that did fine art and design. For so long they have been two separate worlds. I feel like there are a lot of people in fine art that have great design sense«43. Mittlerweile ist das anfängliche T-Shirt-Bedrucken im Wohnzimmer zu der von Fairey lizenzierten Bekleidungsfirma Obey Giant Clothing expandiert. Der Designer Mike Ternosky entwirft mit Designerin Erin Wignall jetzt Pullover, Hosen und andere Kleidung für junge Männer und Frauen. Schon lange druckt hier keiner mehr per Hand: Fairey lässt in großen Mengen in China produzieren und die Ware dann von seinem Vertrieb an Skateund andere urbane Lifestylebekleidungsläden verkaufen. Das einzige, was Fairey noch per Hand macht, ist die Nummerierung und die Signierung seiner Siebdruck- und Offsetdruckposter, die für ca. US$ 30 in seinem Webshop erworben werden können. Die ständig wechselnden Postermotive erscheinen in der Regel mit einer Auflage von 300 Stück. Faireys größte Befürchtung hat sich bewahrheitet: Viele Leute verstehen die parallele Existenz von Kleidung und Postern falsch. Für sie ist die Obeyund Andre the Giant Street-Art-Aktion von Fairey kein leerer Signifikant 41 Auf Grund der Siebdrucktechnik, in der pro Druckgang eine Farbe aufgetragen wird, beschränkte er sich vor allem auf Rot und Schwarz. 42 Fairey in Graphotism, a.a.O., S. 89 43 Art Prostitute Magazine-Interview, a.a.O.
mehr. Sie fassen die Poster und Aufkleber als Werbung für die Modemarke auf. Ganz im Gegenteil dazu betont Fairey immer wieder, dass für ihn die getragenen T-Shirts eine weitere Form der Propaganda für seine Straßenkampagne sind, die nur dadurch lebt, dass die Menschen sich fragen für was sie steht. So leistet also nach Faireys Verständnis die Bekleidungsfirma ihren Teil zu der Verfolgung des anfänglichen Ziels: Mit der »Obey Giant«Kampagne herauszufinden, welche weltweite Verbreitung und Einverleibung von Bedeutung ein bedeutungsloser Schriftzug und eine erschaffene Ikone erlangen können.44
Abbildung 14: Links oben: Shepard Fairey Cut-out. Paris 2004
44 Einen Teil des mit der »Obey Giant«-Kampagne eingenommenen Geldes gibt Fairey für die Materialkosten und für Reisen aus, in denen er die Poster etc. in der ganzen Welt verbreitet. So bringt Fairey fast immer nachts illegale Poster in den Städten an, in denen eine seiner Kunstausstellungen läuft. Alleine 2006 eröffneten zwischen April und Oktober elf Ausstellungen in bekannten Museen und Galerien wie der Magda Danysz- Galerie in Paris, V1 in Kopenhagen und dem New Art Center in Newtonville.
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Abbildung 15: Schablonengraffiti von Banksy. London (Shoreditch) 2003
&%B# +( +(* Laut eines Zeitungsartikels im englischen Guardian, schafft Banksy den Spagat zwischen der kommerziellen-, der künstlerischen- und der Straßenwelt.45 Zur gleichen Zeit ist er der bekannteste Graffitisprayer Englands. Für € 150.000 versteigerte im Februar 2007 das renommierte Auktionshaus Sotheby’s sein Werk »Bombing Middle England«. Mit Schablonentechnik sprühte Banksy auf diesem Bild Rentner, die mit Bomben Boule spielen. Der weißpastellgrün gestreifte Hintergrund ist schlicht. Sprayfarbe und Acryl auf Leinwand. Wenn das Werk von Banksy angeboten wird, bezahlen Prominente wie die Schauspielerin Angelina Jolie und das Model Kate Moss gerne so viel. Bekannt wurde Banksy durch seine subversiven und dabei humorvollen schwarzweißen Schablonen, die er vor allem an die Fassaden Londons sprayt. Banksy ist 1974 in Bristol (England) geboren. Zeitungsartikeln zufolge könnte er Robin oder Robert Banks heißen. Auf Grund der Illegalität seiner 45 »He is somehow managing to straddle the commercial, artistic and street worlds.« Hattenstone, Simon: Something to spray, in: The Guardian am 17.07.03, am 28.04.04 unter http://www.guardian.co.uk/arts/features/story/ 0,11710,999712,00.html
Kunst bleibt Banksy jedoch anonym. Mit 14 Jahren, zur Zeit des WritingBooms der späten 80er, begann Banksy mit Graffiti. Er machte gerade eine Ausbildung zum Metzger. Über den Fotokopierladen seines Vaters bekam er durch die aushilfsweise Gestaltung von Flyern den ersten Kontakt zu Druck und Design.46 Schlecht in dem freihändigen Umgang mit Dosen und Vorteile in Schablonen sehend, stieg Banksy bald um. In Schablonen fand Banksy sein perfektes Medium, »recognizing in them the potential for strong images and a quality of line with the strength to captivate an audience and twist their perceptions«47. Ihm gefällt darüber hinaus vor allem die politische Wirkung der Schablonen. Laut Banksy wurden Schablonen in der Geschichte dazu verwendet, Revolutionen zu beginnen und Kriege zu beenden.48 So sprühte er bereits die Queen mit einem Affengesicht, einen Blumen werfenden Demonstranten, schwer bewaffnete Polizisten, deren Gesichter er mit Smileys austauschte, einen Fernseher, der aus einem mit Schablonen gesprühten Fenster geworfen wird, eine Ratte mit tropfendem Pinsel, riesengroße Kampfhubschrauber über einer der Ausgehstraßen Londons und einen Affen, der ein Schild umhängen hat mit dem Aufdruck: »Laugh now, but one day we’ll be in charge.« Neben solchen Schablonen, die er oft mit seiner Schablonenunterschrift versieht, verwendet er große Blockbuchstaben, beispielsweise um einen pittoresken Landstrich mit dem Spruch »this is not a photo opportunity« zu versehen, oder um mit gefälschtem Wappen und anderen, offiziell wirkenden Grafiken, eine »Designated Graffiti Area« an gut gelegenen Wänden der Stadt auszurufen. Auf der Shoreditch-Brücke prangte im Mai 2006 der Schriftzug: »Abandon Hope (9am – 5pm)«, mit dem er sich an die Büroangestellten richtete. In den Zoo von Bristol stieg er Jahre vorher heimlich in das Elefantengehege ein, um an die Wand die vermeintlichen Gedanken der Elefanten zu schreiben: »I want out. This place is too cold. Keeper smells. Boring, boring, boring.« In den Londoner Regents Park Zoo schrieb er des Nachts in das Pinguingehege: »I’m bored with fish.« Alle Schablonenbilder von Banksy sind politisch. Er spaltete die Gemüter verstärkt, als er 2005 im Gazastreifen die von Israel errichteten Sperranlagen von palästinensischer Seite mit neun künstlerischen Arbeiten kommentierte. Er benutzte an dieser Mauer eine Mischtechnik, in der er mit Schablonen, freier Malerei und Landschaftstapete arbeitete. Ein Motiv zeigt ein Durchbruchsloch, durch das blauer Himmel strahlt, als käme er von der Rückseite der Wand. Daneben steht ein mit Schablone gesprühter Junge, der Pinsel und Farbeimer in der Hand hält, als ob er das Loch gemalt hätte. An einer anderen Stelle malte Banksy eine weiße Leiter, die bis hoch an den Mauerrand führt. Am Fuß der Mauer malte Banksy erneut den Jungen. Diese 46 Manco 2002, S. 76 47 Ebd. 48 Ebd.
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kontroverse Aktion in Palästina bescherte Banksy nicht nur Freunde. Während er malte und sprühte, richteten bereits mehrere israelische Soldaten ihre Waffen auf ihn. Nach der Publikation auf seiner Internetseite erreichte ihn eine regelrechte Hass-E-Mail, in der ihm der Autor rät, sich aus Politik heraus zu halten.
Abbildung 16 & 17: Banksy Bilder (Fototapete, Farbe, Schablone). Palästina (Gaza Streifen) 2006 Mit Hilfe seiner skandalösen Aktionen gelingt es Banksy immer wieder in die Schlagzeilen der internationalen Presse zu gelangen. Seine erste Einzelausstellung im Juli 2003 in einer Fabrikhalle Londons war nicht von langer Dauer. Greenpeaceaktivisten setzten nach wenigen Tagen die Schließung durch. Die ausgestellten lebenden von Banksy besprühten Schafe und Kühe empfanden sie als Tierquälerei. Szenegerüchten zufolge sollen wichtige Vertreter des Kunstfeldes anwesend gewesen sein, unter ihnen der mit Banksy befreundete Künstler Damien Hirst. Diese Ausstellung bekam einen sechsseitigen Bericht in einer der größten Sonntagszeitungen Englands. Eine im April 2004 umgesetzte Aktion war die Platzierung einer riesigen Bronzeskulptur »The Drinker«, ein Nachbau von Rodins »Thinker«, in einem Park. Banksy erweiterte sie mit einem Straßenabsperrungshütchen als Kopfbedeckung. In die Schlagzeilen geriet diese Skulptur, nachdem sie wenige Tage nach der Veröffentlichung entführt wurde. Statt den verlangten 5.000 Pfund bot Banksy den Entführern lediglich zwei Pfund für Petroleum – zum Verbrennen seiner Skulptur. Die 8.000 Pfund teure Herstellung der Bronzeskulptur finanzierte Banksy, laut eigener Aussage, mit den Erträgen des Coverdesigns von dem Album Think Tank, das die britische Band Blur 2003 heraus brachte.
Abbildung 18: Banksy: Vandalised Oil Painting. Barely Legal Ausstellung. Los Angeles (USA) 2006 Am pressewirksamsten sind jedoch Banksys Museumsschmuggel – heimliche Kunstaufhängaktionen, die er in großen Museen von London und New York durchführte. Ende 2003 schaffte er es zum ersten Mal, als alter Mann verkleidet, ein so genanntes Vandalised Oil Painting zusammen mit einem deskriptiven Schild heimlich in das Londoner Tate Museum zu hängen. Das geschmuggelte Werk wurde erst vom Personal bemerkt, als es lautstark von der Wand fiel. In dem amerikanischen Naturkundemuseum American Museum of Natural History installierte Banksy im April 2004 ungefragt eine ausgestopfte Ratte mit Miniaturspraydose, Sonnenbrille, Mikrophon und Rucksack. Im Hintergrund dieses falschen Exponates mit Titel »Banksus Militus Ratus« stand als Graffitischriftzug »our time will come«. Es folgte im März 2005 ein in Öl gemalter Soldat mit Sprühdose in der Hand, der im Brooklyn Museum entdeckt wurde. Im New Yorker Metropolitan Museum of Art hinterließ er kurz darauf das von ihm mit Gasmaske ergänzte Porträt einer Frau. Die Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art erweiterte Banksy mit einer Persiflage von Andy Warhols Motiv der Campbell Tomatensuppe. Banksys Bild zeigte die Tomatensuppendose der billigen Hausmarke einer großen britischen Supermarktkette. Auf der Internetseite Wooster Collective begründete Banksy seine musealen Arbeiten: »This historic occasion has less to do with finally being embraced by the fine art establishment and is more about the judicious use
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of a fake beard and some high strength glue. […] They’re good enough to be in there, so I don’t see why I should wait.«49 Banksy arbeitet professionell. Der von der Modefotografie kommende Stephen Lazarides dokumentiert mit seinem geschulten Auge Banksys Arbeiten fotografisch. Zudem fungiert Stephen Lazarides als Banksys Manager und seit der Eröffnung dessen Galerie Lazinc im März 2006 auch als Banksys Galerist. Für die professionelle Pressearbeit hat Banksy eine eigene Public-Relations-Angestellte, die für ihn trotz der Verneinung von Interviewanfragen große Zeitungsartikel erarbeitet. Sogar beim illegalen Sprayen in der Straße bekommt er Unterstützung von dem Londoner Aktivisten EINE. Die Arbeit des Teams rund um Banksy zahlt sich aus, denn Banksys käufliche Kunstwerke steigen im Wert. Kosteten 2003 Leinwände noch um die € 15.000, verkauft Lazarides 2006 in seiner Galerie Banksys Leinwände bereits für bis zu € 60.000. Mit dem Clou, der ihm bei Sotheby’s Anfang 2007 gelang, ging Banksy in die Geschichte ein. Noch nie wurde ein Graffiti oder Street-Art Bild für € 150.000 verkauft. Bei solchen Preisen kann Banksy es sich leisten, kommerzielle Anfragen abzuweisen. Auch bei der vierten Anfrage von Nike schlug er 2004 »mad money«, wie er es bezeichnete, aus. In dem Interview, das er dem Guardian 2003 gab, beschreibt er als seinen Antrieb für das illegale Anbringen von Kunst den »Kick«, den er bekommt, wenn er, wie all die anderen Male wieder, nicht erwischt wurde: »The art to it is not getting picked up for it, and that’s the biggest buzz at the end of the day because you could stick all my shit in Tate Modern and have an opening with Tony Blair and Kate Moss on roller blades handing out vol-au-vents and it wouldn’t be as exciting as it is when you go out and you paint something big where you shouldn’t do. The feeling you get when you sit home on the sofa at the end of that, having a fag and thinking there’s no way they’re going to rumble me, it’s amazing... better than sex, better than drugs, the buzz.«50
Die Inhalte der Schablonenbilder zieht er aus persönlichen Erlebnissen, beispielsweise als er mit acht Jahren für eine Tat angeklagt wurde, die er nicht begangen hatte, oder aus Ereignissen des Nationalsozialismus, der Revolution zur Beendigung des Ceausescu-Regimes in Rumänien und dem täglichen politischen- und Alltagsgeschehen, wie die zunehmende Kameraüberwachung und dem Irakkrieg.
49 www.woostercollective.com am 23.03.2005 50 The Guardian a.a.O., ohne Seite
Abbildung 19: D*Face mit Unterstützung von Julia Reinecke in Aktion. Hamburg (Karolinenviertel) 2004
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&&-E/+ * = / 2 A D*Face ist Teil der Finders Keepers Crew (FKC) und einer der bekanntesten, in London aktiven Street-Art-Künstler. Der Name kommt auch von dem englischen Wort deface, was entstellen, verunstalten, beschädigen oder »unleserlich machen« heißt. Seine Charaktere hält er grafisch klar und schlicht in schwarzweiß. Auf riesigen Postern, Aufklebern und Pappschildern begleiten sie die Menschen auf dem Weg durch London und anderen Städten der Welt.51 Der 1973 geborene D*Face interessiert sich bereits seit seinem 12. Lebensjahr für Graffiti und Skateboardfahren. Sensibilisiert für die Designs der Skateboarddecks und Skateaufkleber entdeckte er Mitte der 90er Jahre, während seines Grafikdesignstudiums, die »Obey Giant«-Kampagne von Shepard Fairey. Diese ihn faszinierende neue Form, sich selbst durch Poster und Aufkleber auszudrücken, entsprach genau seiner Vorstellung. Sie wurde zu seinem großen Vorbild. Faireys Kampagne war zu dieser Zeit die einzige ihrer Art, so dass D*Face anfangs Schwierigkeiten hatte, sich von diesem starken Einfluss zu lösen und neue Ideen umzusetzen. Ihn begeisterte die grafische Natur und die Macht von Faireys Motiv. Nachdem die ersten Entwürfe Andre the Giant zu sehr ähnelten, entwickelte er schließlich den bis heute beibehaltenen D*Face-Character52. »I generally thought it would be quite cool to have a character. A kind of character that looked really out of place in his environment, and that was kind of cute and ugly at the same time. That seemed to make sense to me. So I did various transitions and bids and pieces before the character was born.«53 Sein Character ist ein Teil von dem menschlichen D*Face selbst. Er soll den Betrachtern keine schweren Botschaften aufdrücken, sondern lediglich ein Stirnrunzeln oder Lächeln ins Gesicht zaubern. Er soll eine Person darstellen die, wie er, Flausen im Kopf hat, tropfende Farbe und Tags mag und gerne an Orten »abhängt, um ein wenig aufzumischen«. »I don’t really aim to try and empower people by forcing messages down peoples throats, or get them to question like the wording or phrasing behind it. I just like people to check out the character. And to possibly question why it is there. And as I always say, to put a smile or a frown on their face. And that is pretty much it. Keep it really simple. I just like possibly putting smiles on peoples faces day to day.«54 51 Vor allem Barcelona, Berlin, Hamburg, New York, Stockholm & Amsterdam 52 Ein Character ist wie im Graffiti eine im Wesen ausdrucksstarke, gemalte oder gezeichnete Figur. 53 D*Face-Interview 2004, S. 5 54 Ebd.
Je nach gewünschter Aussage, variiert er den gezeichneten D*Face. Ein Mal hält er einen Marker in der Hand und ein anderes Mal trägt er einen camouflagegemusterten Soldatenhelm. Sein zweiter Character ist der »Balloon Dog«, den er »D*Dog« nennt. Ein lustig lechzendes, rundes, fliegendes Gesicht, das so schnell wieder verschwindet, dass teilweise nur noch eine Wolke zu sehen ist. Von Adfunture hergestellt, gibt es seit 2005 den D*Face-D*Dog als Vinylfigur. D*Face hat über 15 Variationen von dieser Figur designt. Die meisten sind nur als Einzelauflage erhältlich. Für € 225 pro Stück gibt es einen über London fliegenden D*Dog, als Mumie eingewickelt, in Camouflagemuster angesprüht, als Ei in der Schale, mit Knochen statt Flügeln und anderen Designs.
Abbildung 20: An Shepard Faireys »Obey« angelehntes D*Face Poster. London 2006 Dem Beispiel von Fairey folgend, arbeitet D*Face mit einer starken Grafik, die sich durch Wiederholung einprägt. Der mit schwarzen Linien auf weißen Untergrund gezeichnete Character ist auf wenige Striche reduziert und durch die bewusste Linienführung klar in der Form. In seiner täglichen Arbeit verklebt er diesen D*Face-Character, den D*Dog und andere Motive anhand industriell hergestellter Aufkleber. Andere Aktionen von ihm beinhalten das Austauschen von Werbeschildern in einem U-Bahnwagen mit
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seinen eigenen D*Face-Schildern oder das Fixieren von Werken mit Kabelbindern hoch oben an Laternenpfählen. Die Highlights seiner im öffentlichen Raum stattfindenden Arbeit sind großformatige, in der Form des Motivs ausgeschnittene Poster, so genannte Cut-outs, die er mit einer speziellen Kleistermischung an gut ausgewählte Häuserwände klebt. (Die Kleistermischung hat ihm Shepard Fairey beim gemeinsamen Plakatieren verraten.) In London findet man die Cut-outs hauptsächlich in den Stadtteilen Shoreditch und Soho, wo sich die meisten der Street-Art-interessierten jungen Leute aufhalten. Ein Jahr vor der Geburt des grafischen D*Face-Characters konzipierte D*Face eine inhaltlich gehaltvolle Kampagne, die er »Instant« nannte. In dieser Werbeparodie setzte er sich damit auseinander, dass die Menschen versuchen, alles käuflich zu erwerben und die Wirkung des Produktes sich sofort einstellen solle. So wird erhofft, mit einem teuren Auto auch Ruhm und Erfolg einzukaufen. D*Face plakatierte seine Bilder wie Werbeposter überall hin. Auf den Postern wurden unverkäufliche Dinge wie Genialität, Macht und Erfolg durch erwerbliche Produkte wie Saft und Tabletten zum Kauf angeboten. Diese »Instant-Kampagne« ähnelt den Arbeiten einer seiner Vorbilder, Barbara Kruger. Sie bezieht sich (wie im Shepard FaireyAbschnitt beschrieben wurde) mit einfachen, klaren Slogans wie »I live to shop« auf Werbung und Konsum. Da D*Face kaum Reaktionen auf diese aufwendige Aktion bekam, wechselte er nach einem Jahr zu dem einfachen, grafisch ausdrucksstarken D*Face-Character. Street-Art-Akteure gehen häufig in kleinen Gruppen plakatieren. D*Face klebt seine großen Cut-outs unter anderem mit Shepard Fairey, freakclüb aus Barcelona, Flying Fortress aus München und mit The London Police.55 Der D*Dog und der D*Face-Character sehen den sogenannten »Lads« von The London Police nicht nur stilistisch ähnlich. Beide arbeiteten 2004 auch viel mit Variationen der bestehenden Motive. Während D*Face seine Motive jedoch nur selten direkt auf die Wand malt, beeindrucken The London Police regelmäßig die Passanten mit ihrer Fähigkeit, perfekte Kreise mit der Hand zeichnen zu können. D*Face ist in London stark in der Szene engagiert und verfügt auch weltweit über ein sehr gutes Netzwerk. MisteriousAl, Dave the Chimp, PMH und er formen die Finders Keepers Crew (FKC), die von 2003 bis Ende 2004 in drei Gruppenausstellungen ausstellte. Für die Gruppenausstellungen einigte sich die Crew jedes Mal auf ein Thema: Ende Oktober 2003 in London wegen Halloween auf Geister, im Sommer 2004 in Hamburg auf Piraten. Die vier malten ihre zu Hause entworfenen Motive direkt auf die Wände. Bei einer anderen Gruppenausstellung in Barcelona hängte die Crew 55 Seit 2005 ist The London Police kein Kollektiv mehr, sondern nur noch der Gründer Chaz alleine.
ihre zum Thema Liebe entstandenen Leinwände in dem Montana-Laden auf. Neben den Gruppenausstellungen organisierte die Crew fünf Finders Keepers-Events in dieser Zeit. In den Finders Keepers-Veranstaltungen ging es ursprünglich darum, die anderen Akteure kennen zu lernen und in einer Street-Art-Schau auszustellen. Die Londoner Veranstaltungen liefen so ab, dass alle verfügbaren Street-Art-Akteure zu einem Treffen eingeladen wurden. Bei einem Glas Bier erklärte die FKC den anderen die Regeln und jeder hatte bis zum Ende der Woche Zeit, transportable Arbeiten auf gefundenem Material herzustellen. Diese Kunstwerke wurden dann in dem von der FKC ausgewählten Ort angebracht und am Ende des Abends an die eingeladenen Freunde der Akteure verschenkt. Der erste Ort war ein leer stehender Laden, der zweite ein Parkplatz. Das fünfte Finders Keepers-Event fand im öffentlichen Raum in Barcelona statt. Die Anzahl der erschienenen Akteure stieg von fünfzehn bei der ersten Veranstaltung auf bis zu fünfundvierzig bei der fünften an. Auch die Anzahl der Gäste nahm von hundert auf ca. dreihundert zu. Die dritte und vierte Veranstaltung wichen vom Grundkonzept ab. Das in dem Ausstellungsraum der Londoner Dragon Bar stattfindende dritte Event gefiel D*Face am wenigsten, da hier für seinen Geschmack zu viele Medienleute anwesend waren, »die noch dazu nur kamen, um freie Kunst abzustauben«, wie er sagt. Die ursprüngliche Motivation, eine Veranstaltung für die anderen Street-Art-Akteure zu machen, war somit zerstört. Für das vierte Finders Keepers-Event entfernten Dave the Chimp und D*Face die Werbeschilder von zwei U-Bahnwagen und gaben je fünf davon an ausgewählte Akteure. Die Gruppe traf sich früh an einem Samstagmorgen, um die bemalten Schilder mit denen in den Zügen auszutauschen. Der große Traum von D*Face, einen Street-Art-Ausstellungsraum zu eröffnen, der nach den Regeln des Street-Art-Feldes funktioniert, wurde 2005 wahr. Er eröffnete mit Outside Institude eine Galerie, die sich zunächst entfernt von den aktuellen Trendgegenden und den damit verbundenen Assoziationen befindet. Seine Idee war es, unabhängig vom Kunstmarkt und von Firmen eine Galerie zu eröffnen, die die Bedürfnisse der Künstler versteht und respektiert und nicht »a shop trying to sell more ›goods‹ on the back of Street-Art being ›the latest trend‹« ist.56 Das erste Gebäude des Outside Institute befand sich in Paddington, im West End von London, also in einer Gegend, die nicht typisch für die trendige Street-Art ist. Die von D*Face und befreundeten Akteuren angemieteten Räumlichkeiten hatten eine Größe von über 600 m2. D*Face eröffnete dort im fast zweimonatigen Rhythmus Ausstellungen. Er zeigte unter anderem: Banksy, Adam Neate, Dave the Chimp, Flying Fortress, Pete Fowler, PMH, Shok 1, Sickboy, Steff Plaetz, Waleska, Will Barraz und Old School 56 D*Face in E-Mail am 18.10.2004
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Graffiti-Writer Seen. Seit dem Winter 2005/2006 war das Outside Institute geschlossen und er mietete gezielt für die Connor Harrington- und die darauf folgende Dave Kinsey-Ausstellung die Dray Walk-Galerie in der Old Truman-Brauerei an. Im Herbst 2006 eröffnete D*Face unter dem Namen StolenSpace gleich hinter der Dray Walk-Galerie erneut seine Pforten. Im Gegensatz zu der abgelegenen Location des Outside Institutes liegt die neue Galerie in Shoreditch, dem Szenezentrum Londons. Zur Finanzierung des Ausstellungsraumes trägt ein kleiner der Galerie angeschlossener Laden bei. Wie es für »Urban Art«57-Ausstellungsräume üblich ist, werden dort Produkte der Künstler wie Poster, T-Shirts und Vinylfiguren verkauft aber auch andere aus der Szene kommende Produkte wie Bücher und Zeitschriften. Stilistisch hat sich die Arbeit von D*Face seit 2002 verändert. Er blieb der Verwendung seines D*Dogs als Hauptfigur treu, hat aber die eingesetzten Medien erweitert. Er sprühte 2006 beispielsweise viele Schablonen direkt auf den Untergrund. Weiterhin sprühte er Seite an Seite mit GraffitiWritern den D*Dog-Character an große legale Graffitiwände. Im Winter 2005/2006 wurde er sogar dazu eingeladen, als erster Street-Art-Künstler Eis als Medium auszuprobieren. Und egal welches Medium er verwendet, das Kernmarkenzeichen bleibt der D*Dog und der eckige D*FaceCharacter.
Abbildung 21: D*Face vor seiner Eis-Skulptur. Schweden 2006 57 Wie D*Face es nennt
Abbildung 22: Jeroen Jongeleen: »Hyperactive citizen – Commitments«. Rotterdam 2005
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