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German Pages 280 [281] Year 2019
Studien zum Seevölkerrecht und zur maritimen Sicherheit Studies on the Law of the Sea and Maritime Security Band / Volume 3
Sicherheitsvorschriften für „Traditionsschiffe“ auf See Zugleich ein Beitrag zum Anwendungsbereich internationaler Schiffssicherheitsregelungen und deren Umsetzung ins innerstaatliche Recht
Von
Tina Ines Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
TINA INES SCHMIDT
Sicherheitsvorschriften für „Traditionsschiffe“ auf See
Studien zum Seevölkerrecht und zur maritimen Sicherheit Studies on the Law of the Sea and Maritime Security Herausgegeben von / Edited by Wolff Heintschel von Heinegg / Stefan Talmon
Band / Volume 3
Sicherheitsvorschriften für „Traditionsschiffe“ auf See Zugleich ein Beitrag zum Anwendungsbereich internationaler Schiffssicherheitsregelungen und deren Umsetzung ins innerstaatliche Recht
Von
Tina Ines Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) hat diese Arbeit im Wintersemester 2018/2019 als Dissertation angenommen.
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© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2512-1219 ISBN 978-3-428-15733-4 (Print) ISBN 978-3-428-55733-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-85733-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2018/2019 nach Begutachtung durch Prof. Wolff Heintschel von Heinegg und Prof. Peter Ehlers als externen Berichterstatter von der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden bis Januar 2019 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt Prof. Peter Ehlers für seine kompetente Unterstützung und sein enormes persönliches Engagement bei der Betreuung dieser Arbeit. Durch seine Anregungen und Hinweise sowie nicht zuletzt seine jederzeitige Bereitschaft zu konstruktiver Diskussion hat er entscheidend zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Herrn Prof. Wolff Heintschel von Heinegg danke ich herzlich für die Übernahme der Promotionsbetreuung und die zügige Erstellung seines Gutachtens. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei Prof. Kaspar Frey für sein Mitwirken in der Prüfungskommission bei der Disputation der Arbeit. Mein Dank von Herzen gebührt weiterhin all jenen, die mir während der Erstellung der Arbeit eine unverzichtbare Stütze waren. Berlin, im Mai 2019
Tina Ines Schmidt
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. „Traditionsschiffe“ – Die „,Oldtimer‘ der Seefahrt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Problemaufriss und übergeordnete Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Historische Schiffe und modernes Schiffssicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 C. Struktur und Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erster Schritt: Regulierungsrahmen aus Völker- und Unionsrecht für historische Schiffe aller Flaggen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zweiter Schritt: Regelungen im deutschen Rechtsraum (vorwiegend) für Schiffe unter der Bundesflagge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Dritter Schritt: Abschließendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Grundlagen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Untersuchungsgegenstand „Traditionsschiff“ für die vorliegende Arbeit . . . . . . II. Eingrenzung des Untersuchungsbereichs: Traditionsschiffe „auf See“ . . . . . . . . III. Zu untersuchender völker- und unionsrechtlicher Regulierungsrahmen . . . . . . .
31 31 32 33 33 33 34 35
1. Teil Regelungen für Traditionsschiffe weltweit A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . I. Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand von SOLAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendbarkeit der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS auf Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand von LLC, MARPOL und STCW . . IV. Zwischenergebnis: Geltung und Anwendbarkeit von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW auf Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auswertung der maritimen Übereinkommen: Spielräume innerhalb der Umsetzungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Richtlinie 2009/45/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie . . . III. Anwendbare Anforderungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie auf Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auswertung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie: Umsetzungsverpflichtung und Spielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36 36 36 97 114 120 123 133 134 134 143 144 145 146
8
Inhaltsübersicht 2. Teil Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
A. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in internationaler Fahrt . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umsetzung der materiell-rechtlichen Standards der maritimen Übereinkommen in Deutschland: ausgewählte Rechtsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durchsetzung der maritimen Übereinkommen in Deutschland: ausgewählte Rechtsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswertung: Realisierung vorhandener Spielräume bei der Umsetzung der maritimen Übereinkommen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Deutschland als Hafenstaat gegenüber Traditionsschiffen unter fremden Flaggen . . . I. Hafenstaatliche Aufgaben zur Durchsetzung der maritimen Übereinkommen . . II. Deutschland als Hafenstaat gegenüber (Traditions-)Schiffen unter fremder Flagge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Traditionsschiffe in der Hafenstaatkontrolle im nordeuropäischen Raum . . . . . .
147 147 148 188 197 208 208 209 212
C. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in nationaler Fahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I. Umsetzung der Anforderungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie in Deutschland 218 II. Traditionsschiffe im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Teil Fazit und Ausblick
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. „Traditionsschiffe“ – Die „,Oldtimer‘ der Seefahrt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Problemaufriss und übergeordnete Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Historische Schiffe und modernes Schiffssicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Besonderheiten historischer Schiffe als Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . 26 a) Heterogenität des Bestands historischer Schiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Abweichende Bauart, Ausrüstung und Fahrverhalten historischer Schiffe 28 2. Aus den Besonderheiten resultierende Fragestellungen im Einzelnen . . . . . . . . 30 C. Struktur und Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Erster Schritt: Regulierungsrahmen aus Völker- und Unionsrecht für historische Schiffe aller Flaggen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Zweiter Schritt: Regelungen im deutschen Rechtsraum (vorwiegend) für Schiffe unter der Bundesflagge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Dritter Schritt: Abschließendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 D. Grundlagen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Untersuchungsgegenstand „Traditionsschiff“ für die vorliegende Arbeit . . . . . . . 33 II. Eingrenzung des Untersuchungsbereichs: Traditionsschiffe „auf See“ . . . . . . . . . 34 III. Zu untersuchender völker- und unionsrechtlicher Regulierungsrahmen . . . . . . . . 35
1. Teil Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
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A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand von SOLAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Das SOLAS-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Grundsatz und Einschränkungen der Geltung von SOLAS (Überblick) . . . . . . 38 a) Nur Schiffe im Fahrtbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Keine Kriegs- bzw. Staatsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Einschränkungen nach Größe und Kapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d) Kapitel V SOLAS für „alle Schiffe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
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Inhaltsverzeichnis 3. Einschränkung auf „Schiffe in der Auslandfahrt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4. Einschränkung durch Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ . . . . . . . . . . 44 (1) Mehr als 12 Mitfahrer auf Traditionsschiffen: „Fahrgäste“ oder „an Bord beschäftigte Personen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (a) Besonderheiten von Gästefahrten auf Traditionsschiffen . . . . . . . . . . 45 (b) „angestellt“ und „beschäftigt“ an Bord eines Schiffes . . . . . . . . . . . . 46 (aa) Gewöhnliche Wortbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (bb) Fachspezifische Wortbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (cc) Wortlautbedeutung im weiteren Vertragszusammenhang und nach dem Telos von SOLAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (c) Positionen der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (d) „Spezialpersonal“ im Sinne des MSC: Das Begriffsverständnis der Staaten hinter dem SPS-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (aa) Kriterien für die Abgrenzung von „Spezialpersonal“ gegenüber einem „Fahrgast“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (a) Besonderer Zweck des Schiffes oder Sonderaufgaben an Bord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (b) Für den Zweck notwendig an Bord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (c) Kenntnisse und Erfahrungen in Sicherheitsfragen . . . . . . . . . 55 (d) Zusammenfassung und Einordnung gegenüber der bisherigen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (bb) Rechtliche Bedeutung des Begriffsverständnisses des MSC . . . 57 (a) Das Begriffsverständnis als autoritative Auslegung? . . . . . . . 57 (b) Das Begriffsverständnis als authentische Auslegung? . . . . . . 58 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (e) Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (2) Ergebnis: von der Ausnahme erfasste Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . 65 b) „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (1) Traditionssegelschiffe mit (Hilfs-)Motor: „ohne mechanischen Antrieb“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (a) Positionen der EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (aa) Bedeutung eines aus der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie hervorgehenden Begriffsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (bb) „Schiff ohne mechanischen Antrieb“ in der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (b) „Schiff ohne mechanischen Antrieb“ im SPS-Code . . . . . . . . . . . . . 68 (c) Historische Umstände für die Entstehung des Textes von SOLAS 69 (aa) Der Freibordvertrag London 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (bb) Begriff des „Dampfschiffes“ und des „Segelschiffes“ im Freibordvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Inhaltsverzeichnis
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(d) Abgrenzung eines „mechanischen (Haupt-)Antriebs“ von einem Segelschiff mit „Hilfsantrieb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (e) Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (2) Ergebnis: von der Ausnahme erfasste Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . 73 c) „Holzschiffe einfacher Bauart“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (1) „Einfachheit“ der Bauart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (a) Wortlautbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (b) Positionen der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (c) Historie des Vertragstextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (2) Beschränkung der Schiffsgröße? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (3) Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (4) Ergebnis: von der Ausnahme erfasste Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . 79 d) „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ . . . . . . . . . . . 79 (1) „Vergnügungsjacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (a) „Vergnügen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (b) „Jacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (2) „(nicht) dem Handelsverkehr dienend“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (a) Mitnahme von Personen an Bord als „Handelsverkehr“? . . . . . . . . . 84 (b) „Handelsverkehr“: Form der Entgeltlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (aa) Begriff des „Kauffahrteischiffes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (bb) Vorliegen einer Nutzung zum „Erwerb durch Seefahrt“ . . . . . . 86 (cc) Praktische Kriterien zur Beurteilung eines (Traditions-)Schiffsbetriebes als „gewerblich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (3) Rechtliche Einordnung des Bereichs zwischen rein privater Freizeitnutzung und gewerblicher Nutzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (a) Besonderheiten bezahlter Fahrten auf Traditionsschiffen . . . . . . . . . 90 (b) Einschränkende Auslegung durch das Merkmal „Vergnügungsjacht“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (aa) Systematisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (bb) Positionen der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (a) Die Philippinen und Malaysia: „(no) activity with pecuniary benefits“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (b) Dänemark: „(no) payment by other interested parties – whichever the form –“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (c) Karibikstaaten: „no money for or in connection with operating the vessel or carrying any person“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (d) Großbritannien: „no money other than as a contribution to the direct expenses of the operation of the vessel“ . . . . . . . . . . . 93 (e) Gemeinsamkeiten in den Begriffsverständnissen . . . . . . . . . . 95
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Inhaltsverzeichnis (cc) Ratio der Ausnahmeregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (dd) Zwischenergebnis zur eingrenzenden Auslegung der Ausnahmeregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (c) Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (4) Ergebnis: von der Ausnahme erfasste Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . 97 II. Anwendbarkeit der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS auf Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Aufteilung der Schiffe nach Stichtagsregelungen: „neue Schiffe“ und Bestandsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Auf Traditionsschiffe anzuwendende materiell-rechtliche Standards . . . . . . . . 100 a) Anwendung der Standards für „alle Schiffe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Anwendung der Standards für „neue Schiffe“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Grundsatz: keine Anwendung der Standards für „neue Schiffe“ . . . . . . . 101 (2) Anwendung der Standards für „neue Schiffe“ nach umfangreichen Umbauten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (a) Besonderheiten von Traditionsschiffen: typische Umbauprozesse . . 102 (aa) „instandgesetzte Schiffe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (bb) „zurückgebaute Schiffe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (cc) „umgerüstete Schiffe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (b) Umbauprozesse als „Bau“ der Schiffe i.S.d. Stichtagsregelungen? 103 (aa) Grundsatz: Auslegung unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (bb) Sonderregeln für Umbauten vom Fracht- zum Fahrgastschiff
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(a) Veränderung der definitorischen Einordnung der Umbauprozesse als „Bau“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (b) Rechtsfolge der Sonderregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (cc) Sonderregeln für „Umbauten größerer Art“ . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (a) Veränderung der definitorischen Einordnung der Umbauprozesse als „Bau“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (b) Rechtsfolge der Sonderregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (3) Anwendung der Standards für „neue Schiffe“ auf Nachbauten? . . . . . . . 110 (a) Grundsatz: Stichtag zum Zeitpunkt der Errichtung des Nachbaus . . 111 (b) Abstellen auf den ursprünglichen Bau-Zeitpunkt? . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Auf Bestandsschiffe anzuwendende Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (1) Anwendung einzelner aktueller Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (2) i.Ü. Anwendung historischer Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 III. Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand von LLC, MARPOL und STCW . . . . 114 1. Die Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) LLC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Inhaltsverzeichnis
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b) MARPOL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) STCW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Geltung und Anwendbarkeit von LLC, MARPOL und STCW . . . . . . . . . . . . . 117 a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) (Teilweise) Einschränkung in LLC und MARPOL: „Schiffe in der Auslandfahrt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Einschränkung durch Ausnahmeregelungen in LLC, MARPOL und STCW 118 d) Anwendbarkeit der materiell-rechtlichen Standards von LLC, MARPOL (und STCW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 IV. Zwischenergebnis: Geltung und Anwendbarkeit von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW auf Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 V. Auswertung der maritimen Übereinkommen: Spielräume innerhalb der Umsetzungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Begriff der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Spielräume in Bezug auf die umzusetzenden materiell-rechtlichen Standards 125 a) Umsetzung zwingender Standards der Übereinkommen und Spielräume . . . 125 (1) Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (2) Befreiungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (3) Möglichkeit zur Zulassung von „gleichwertigem Ersatz“ . . . . . . . . . . . . 128 b) Spielräume durch (teilweise) fakultative Standards der Übereinkommen . . . 128 (1) Eingeschränkte Anwendung neuerer materiell-rechtlicher Standards auf Bestandsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (2) Bestimmte Standards nur, soweit „zweckmäßig“ und „durchführbar“ . . 129 3. Spielräume im Rahmen der Durchsetzungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Die Richtlinie 2009/45/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie . . . . 134 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Einschränkung durch Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Ausnahme für „Traditionsschiffe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) Ursprüngliche Fahrgastschiffeigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (2) Originale und Nachbauten, Originalwerkstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (3) Entwurf vor 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (4) Kulturdenkmal und Betrieb nach traditionellen Grundsätzen . . . . . . . . . 138 (5) Fazit über die Ausnahmeregelung für „Traditionsschiffe“ . . . . . . . . . . . . 139 (6) Annex: Abweichung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie von SOLAS und LLC durch gesonderten Ausnahmetatbestand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Weitere Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (1) „Schiffe einfacher Bauart aus Holz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
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Inhaltsverzeichnis (2) „Segelschiffe“ und „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ . . . . . . . . . . . . . . . 141 (3) „Sportboote“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 III. Anwendbare Anforderungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie auf Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 V. Auswertung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie: Umsetzungsverpflichtung und Spielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 VI. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
2. Teil Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
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A. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in internationaler Fahrt . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Umsetzung der materiell-rechtlichen Standards der maritimen Übereinkommen in Deutschland: ausgewählte Rechtsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Nationales Schiffssicherheitsrecht – Zuständigkeit und nationale Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Gesetzgebungskompetenz im Seerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Verwaltungskompetenz im Seerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Maßgebliche nationale Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Die einzelnen Schritte der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Innerstaatliche Geltung der Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (1) Zustimmungsgesetze zu MARPOL, LLC und STCW . . . . . . . . . . . . . . . 153 (2) Zustimmungsgesetz zu SOLAS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (a) Erforderlichkeit der Zustimmung in der Form eines Bundesgesetzes? 154 (b) Möglichkeit zur Inkraftsetzung mittels Rechtsverordnung . . . . . . . . 154 (aa) Anforderungen an die Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (bb) Die Verordnung zur Inkraftsetzung von SOLAS . . . . . . . . . . . . 156 (cc) Rechtsfolge: SOLAS innerstaatlich mit Rang einer Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (4) Annex: Der geltende Text der Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Innerstaatliche Anwendung der Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (1) Die Funktion des Seearbeitsgesetzes und weiterer Rechtsverordnungen 162 (a) Überführung materiell-rechtlicher Standards von STCW in Bezug auf die Schiffsbesatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (aa) SeeArbG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (bb) See-BV, See-BAV und MariMedV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (cc) SchBesV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
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(b) Nationaler Anwendungsbereich: „Kauffahrteischiffe“ . . . . . . . . . . . . 163 (2) Bestehen eines innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls für SOLAS, LLC und MARPOL (sowie STCW im Übrigen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (a) Rechtsanwendungsbefehl im SchSG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (b) Rechtsanwendungsbefehl in § 5 SchSV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (c) Zweifel an der Rechtmäßigkeit von § 5 SchSV . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (aa) Anforderungen aus dem Rechtsstaatsprinzip und anderen Verfassungsgrundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (bb) Beurteilung von § 5 Abs. 1 SchSV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (3) Eignung der maritimen Übereinkommen zur unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (a) Maßstab für die unmittelbare Anwendbarkeit von Völkerrechtsnormen nach der Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (b) Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (c) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (aa) Wortlaut der einzelnen Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (bb) Wortlaut der Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (d) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (e) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (4) Anwendung der Übereinkommen als „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ nach Art. 25 Satz 1 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (5) Zwischenergebnis zur innerstaatlichen Anwendbarkeit der maritimen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 II. Durchsetzung der maritimen Übereinkommen in Deutschland: ausgewählte Rechtsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Flaggenstaatliche Aufgaben zur Durchsetzung der maritimen Übereinkommen 188 2. Durchsetzung durch Deutschland als Flaggenstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Besichtigung und Zeugniserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Zuständige Stellen der deutschen Schifffahrtsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . 193 (1) Besichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (2) Zeugniserteilung und Festlegung des Freibords . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Adressaten der materiell-rechtlichen Standards der maritimen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 d) Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 e) Ordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
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Inhaltsverzeichnis III. Auswertung: Realisierung vorhandener Spielräume bei der Umsetzung der maritimen Übereinkommen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Realisierung von Spielräumen in Bezug auf die materiell-rechtlichen Standards? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Ausnahmen und Befreiungen: Verwirklichung durch § 7 Abs. 1 SchSV? . . 198 (1) Bezugnahme auf die maritimen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (2) Abweichen von den maritimen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (a) Behördliche Zulassungsentscheidung über „Ausnahmen“ . . . . . . . . . 199 (b) Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (aa) Problematik: teilweise Widerspruch zu den maritimen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (bb) Anwendung von § 7 Abs. 1 SchSV im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (c) Unklarer Anwendungsbereich der „Befreiung“ im Übrigen . . . . . . . 203 (d) Fehlende Bestimmung „subsidiär“ zu beachtender Sicherheitsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Standards für Bestandsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Realisierung von Spielräumen in Bezug auf die Durchsetzungsvorgaben? . . . . 205 a) Möglichkeit zur Heranziehung externen Sachverstandes bei der Überprüfung von Traditionsschiffen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Problematik: persönliche Verpflichtung ehrenamtlich tätiger Betreiber von Traditionsschiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
B. Deutschland als Hafenstaat gegenüber Traditionsschiffen unter fremden Flaggen . . . 208 I. Hafenstaatliche Aufgaben zur Durchsetzung der maritimen Übereinkommen . . . 208 II. Deutschland als Hafenstaat gegenüber (Traditions-)Schiffen unter fremder Flagge 209 1. Zu erfüllende materiell-rechtliche Standards durch Traditionsschiffe unter fremder Flagge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Durchsetzungsbefugnisse für Deutschland als Hafenstaat im Einzelnen: Überprüfung, Festhalteverfügungen und Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 III. Traditionsschiffe in der Hafenstaatkontrolle im nordeuropäischen Raum . . . . . . . 212 1. Problematik: Fehlende zwischenstaatliche Anerkennung der rechtlichen Einordnung von Traditionsschiffen durch den jeweiligen Flaggenstaat . . . . . . . . . 212 2. Lösungsansatz: Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Zeugnissen nach den Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Lösungsansatz: Das London MoU 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Bilaterale Lösungsansätze: „Flensburg Fjord Agreement“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 C. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in nationaler Fahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I. Umsetzung der Anforderungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie in Deutschland 218
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II. Traditionsschiffe im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Definition des Begriffes „Traditionsschiff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Begriffliche Anlehnung an das Denkmalschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Kriterien zur Bestimmung eines „Denkmals“ nach Denkmalschutzrecht . . . 222 c) Die „Traditionsschiff“-Definition im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (1) Erhaltungswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (2) Originalwerkstoffe und Originalzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (3) Öffentliches Interesse an Präsentation in Fahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 d) Bewertung der nationalen Definition des „Traditionsschiffes“ und eigener Definitionsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. (Neugefasste) Innerstaatliche Regelungen für Traditionsschiffe i.S.d. nationalen Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Abgrenzung des Anwendungsbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (1) Abgrenzung gegenüber den maritimen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . 229 (2) Abgrenzung gegenüber der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie . . . . . . . . . . . . 230 (3) Abgrenzung gegenüber anderen nationalen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . 232 (a) Traditionsschiffe mit einer Länge über 55 Meter . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (b) Kleinere historische Schiffe als Sportboote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Ausgewählte Rechtsaspekte der neugefassten innerstaatlichen Traditionsschiffregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (1) Bauliche und betriebliche Sicherheitsanforderungen und Meeresumweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (a) Neufassung der nationalen Anforderungen nach dem Vorbild von SOLAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (b) Möglichkeit zur Zulassung von Erleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (aa) Berücksichtigung der historischen Bauweise der Schiffe in Einzelfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (bb) Möglichkeit zur Zulassung von Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 238 (cc) „Gleichwertige Einrichtungen, Hilfsmittel und Maßnahmen“ 238 (2) Besichtigung, Zeugniserteilung und die „Dienststelle Schiffssicherheit“ bei der BG Verkehr als verantwortliche Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (a) Besichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (b) Zeugniserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (c) Verantwortliche Stelle: Die „Dienststelle Schiffssicherheit“ bei der BG Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (aa) Die „Dienststelle Schiffssicherheit“ bei der BG Verkehr . . . . . . 241 (bb) Aufgabenzuweisung an die „Dienststelle Schiffssicherheit“ bei der BG Verkehr und Fachaufsicht des BMVI . . . . . . . . . . . . . . 242 (cc) Problematik: Verstoß der Aufgabenwahrnehmung durch die Dienststelle Schiffssicherheit gegen Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG? 243 (a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (b) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
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Inhaltsverzeichnis (c) Eigene Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (3) Besetzung und Befähigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (a) Anforderungen an die nautische und technische Besetzung . . . . . . . 251 (b) Stellen zur Ausstellung der Befähigungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . 252 (c) Seediensttauglichkeit und medizinische Grundausbildung . . . . . . . . 253 (d) Anforderungen an Funkpersonal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (e) Verantwortlichkeit für die Besetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (f) Erforderlichkeit eines Schiffsbesatzungszeugnisses an Bord . . . . . . . 254 (4) Betriebsvorschriften: Betrieb zu „ideellen Zwecken“ und wirtschaftliche Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (a) Betrieb zu „ideellen Zwecken“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (b) Vorgaben für die Einnahme und Verwendung wirtschaftlicher Mittel 256 (c) Nachweis des Betriebs zu ideellen Zwecken und der Mittelverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (aa) Nutzungskonzept und Prüfbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (bb) Prüfbericht auch bei Betrieb eines Traditionsschiffes durch einen gemeinnützigen Verein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (d) Kritik: Notwendigkeit der Betriebsvorschriften zur Abgrenzung gegenüber der Fahrgastschifffahrt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (aa) Erhaltungswert im Sinne des Denkmalschutzrechtes . . . . . . . . . 261 (bb) Äußerliche Erkennbarkeit des Schiffsalters . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (cc) Eingeschränkte erwerbswirtschaftliche Nutzung . . . . . . . . . . . . 262 (dd) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (a) Betriebsvorschriften als (weiterer) Sachgrund für Differenzierung nicht erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (b) Vergleich mit Definition eines Kfz-Oldtimers . . . . . . . . . . . . 263 (c) Sachfremdheit des Kriteriums der erwerbswirtschaftlichen Nutzung als Differenzierungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3. Resümee: Rechtspolitische Bewertung der neugefassten innerstaatlichen Regelungen für Traditionsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
3. Teil Fazit und Ausblick
269
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Abkürzungsverzeichnis 10. ProdSV AO AWZ BG Verkehr BGBl. BGVGebV
BMAS BMVI BR-Drucks. BRZ BSH BSU BT-Drucks. CCSS EStG
FlaggRG FlRV FZV GDWS GGO
Zehnte Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz – Verordnung über Sportboote und Wassermotorräder vom 29. November 2016 (BGBl. I, S. 2668) Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I, S. 3866; 2003 I, S. 61), die zuletzt durch Artikel 15 des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 (BGBl. I, S. 2639) geändert worden ist Ausschließliche Wirtschaftszone Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation Bundesgesetzblatt (zitiert nach (Jahr), Teil und Seite) Gebührenverordnung der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft PostLogistik Telekommunikation vom 18. Juli 2013 (BGBl. I, S. 2713), die zuletzt durch Artikel 3 der Verordnung vom 7. März 2018 (BGBl. I, S. 237) geändert worden ist Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Bundesratsdrucksache (zitiert nach fortlaufender Nr./Jahr) Bruttoraumzahl Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung Bundestagsdrucksache (zitiert nach Legislaturperiode/fortlaufender Nr.) Code für die Sicherheit von Frachtschiffen in der Karibik (Code of Safety for Cargo Ships operating in the Caribbean) von 1996, in der Fassung von April 2002 (zitiert nach Kapitel/Regel) Einkommensteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009 (BGBl. I, S. 3366, 3862), das zuletzt durch Artikel 6 Abs. 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2018 (BGBl. I, S. 2672) geändert worden ist Flaggenrechtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Oktober 1994 (BGBl. I, S. 3140), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 134 des Gesetzes vom 18. Juli 2016 (BGBl. I, S. 1666) geändert worden ist Flaggenrechtsverordnung vom 4. Juli 1990 (BGBl. I, S. 1389), die zuletzt durch Artikel 178 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I, S. 626) geändert worden ist Fahrzeug-Zulassungsverordnung vom 3. Februar 2011 (BGBl. I, S. 139), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 31. Juli 2017 (BGBl. I, S. 3090) geändert worden ist Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juli 2000 (GMBl. 2000, S. 526), zuletzt geändert durch Beschluss vom 1. September 2011 (GMBl. 2011, S. 576)
20 GOBT
Abkürzungsverzeichnis
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1980 (BGBl. I, S. 1237), zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 12. Juni 2017 (BGBl. I, S. 1877) GSHW e.V. Gemeinsame Kommission für historische Wasserfahrzeuge e.V. GYIL German Yearbook of International Law IMO Internationale Seeschifffahrts-Organisation (International Maritime Organization) IMO-Übereinkommen Übereinkommen über die Internationale Seeschifffahrts-Organisation vom 6. März 1948 (BGBl. 1965 II, S. 320) in der Fassung von 1986 (BGBl. 1986 II, S. 423) LLC Internationales Freibord-Übereinkommen von 1966 vom 5. April 1966 (BGBl. 1969 II, S. 249), geändert durch das Protokoll von 1988 (BGBl. 1994 II, S. 2457 i.V.m. dem Anlagenband BGBl. II, Nr. 44, vom 27. September 1994, S. 1) (Regeln der Anlagen zitiert nach Kapitel/ Regel, ggf. Absatz) LSA-Code Internationaler Rettungsmittel-Code vom 4. Juni 1996 (Entschließung MSC.48(66)) (BAnz. 1998 Nr. 118a vom 1. Juli 1998). MariMedV Maritime-Medizin-Verordnung vom 14. August 2014 (BGBl. I, S. 1383), die durch Artikel 13 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I, S. 2581) geändert worden ist MARPOL Internationales Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe vom 2. November 1973 (BGBl. 1982 II, S. 4), geändert durch das Protokoll von 1978 (BGBl. 1984 II, S. 230; BGBl. 1985 II, S. 868; BGBl. 1993 II, S. 2410) (Regeln der Anlagen zitiert nach Anlage/Regel, ggf. Absatz) MoU Memorandum of Understanding MSC Schiffssicherheitsausschusses der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (Maritime Safety Committee) OSV-Code Vorläufige Empfehlungen für die sichere Beförderung von mehr als 12 Personen Offshore-Servicepersonal an Bord von Schiffen in der internationalen Fahrt vom 25. November 2016 (Entschließung MSC.418(97)) (VkBl. 2017, S. 208) RGBl. Reichsgesetzblatt (zitiert nach Jahr, Teil und Seite) Richtlinie 2009/16/EG Richtlinie 2009/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Hafenstaatkontrolle (ABl. L 131 vom 28. 05. 2009, S. 57) Richtlinie 2009/45/EG Richtlinie 2009/45/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe (Neufassung) (ABl. L 163 vom 25. 06. 2009, S. 1). SchBesV Schiffsbesetzungsverordnung vom 18. Juli 2013 (BGBl. I, S. 2575), die zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I, S. 2581) geändert worden ist SchRegO Schiffsregisterordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Mai 1994 (BGBl. I, S. 1133), die zuletzt durch Artikel 29 des Gesetzes vom 5. Juli 2017 (BGBl. I, S. 2208) geändert worden ist SchSG Schiffssicherheitsgesetz vom 9. September 1998 (BGBl. I, S. 2860), das zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 19. Dezember 2018 (BGBl. I, S. 2701) geändert worden ist
Abkürzungsverzeichnis SchSV SeeArbG SeeAufgG SeeAufgG 1977 See-BAV See-BG See-BV SeeSchStrO
SeeSpBootV SeeUmwVerhV SGB VII
SiRi
SOLAS
SportSeeSchV SPS-Code
21
Schiffssicherheitsverordnung vom 18. September 1998 (BGBl. I, S. 3013, 3023), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 19. Dezember 2018 (BGBl. I, S. 2701) geändert worden ist Seearbeitsgesetz vom 20. April 2013 (BGBl. I, S. 868), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 27. November 2018 (BGBl. I, S. 2012) geändert worden ist Seeaufgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Juni 2016 (BGBl. I, S. 1489), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I, S. 2190) geändert worden ist Seeaufgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Juni 1977 (BGBl. I, S. 1314) See-Berufsausbildungsverordnung vom 10. September 2013 (BGBl. I, S. 3565), die durch Artikel 560 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I, S. 1474) geändert worden ist See-Berufsgenossenschaft Seeleute-Befähigungsverordnung vom 8. Mai 2014 (BGBl. I, S. 460), die durch Artikel 66 der Verordnung vom 2. Juni 2016 (BGBl. I, S. 1257) geändert worden ist Seeschiffahrtsstraßen-Ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 1998 (BGBl. I, S. 3209; 1999 I, S. 193), die zuletzt durch Artikel 2 § 12 der Verordnung vom 21. September 2018 (BGBl. I, S. 1398) geändert worden ist See-Sportbootverordnung vom 29. August 2002 (BGBl. I, S. 3457), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 7. März 2018 (BGBl. I, S. 237) geändert worden ist See-Umweltverhaltensverordnung vom 13. August 2014 (BGBl. I, S. 1371), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 20. Februar 2018 (BGBl. I, S. 210) geändert worden ist Das Siebte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I, S. 1254), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 11. Dezember 2018 (BGBl. I, S. 2387) geändert worden ist Sicherheitsrichtlinie für Traditionsschiffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 2000 (VkBl. 2000, S. 57; Dok Nr. B 8135 [Sonderdruck]), zuletzt geändert am 12. März 2003 (VkBl. 2003, S. 205) in der bis zum 14. März 2018 geltenden Fassung. Internationales Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See vom 1. November 1974 (BGBl. 1979 II, S. 143), geändert durch das Protokoll von 1988 (BGBl. 1994 II, S. 2458 i.V.m. dem Anlagenband zum BGBl. II, Nr. 44, vom 27. September 1994, S. 43) (Regeln der Anlage zitiert nach Kapitel/Regel, ggf. Absatz) Sportseeschifferscheinverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. März 1998 (BGBl. I, S. 394), die zuletzt durch Artikel 7 der Verordnung vom 3. Mai 2017 (BGBl. I, S. 1016) geändert worden ist Code über die Sicherheit von Spezialschiffen (Entschließung MSC.266(84)), angenommen am 13. Mai 2008 (VkBl. 2009, S. 84), zuletzt geändert durch Rundschreiben MSC.183(79) (VkBl. 2009, S. 272)
22 SRÜ STCW
STCW-Code
StVZO StVZO (alt)
SUG
VkBl. WaStrG
WSV WVRK YBILC
Abkürzungsverzeichnis Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II, S. 1798) Internationales Übereinkommen von 1978 über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten vom 7. Juli 1978 (BGBl. 1982 II, S. 298), geändert durch die Entschließung 1 vom 25. Juni 2010 (sog. Änderungen von Manila; BGBl. 2013 II, S. 935) (Regeln der Anlage zitiert nach Kapitel/Regel, ggf. Absatz) Code für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten vom 7. Juli 1995 (Entschließung 2 zum Schlussakt der Vertragsstaatenkonferenz zum STCW-Übereinkommen von 1995; Anlagenband BGBl. II, Nr. 26, vom 25. Juni 1997), in der Fassung der Entschließung 2 vom 25. Juni 2010 (sog. Änderungen von Manila; Anlagenband BGBl. II, Nr. 18, vom 4. Juli 2013, S. 753) Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 26. April 2012 (BGBl. I, S. 679), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 20. Oktober 2017 (BGBl. I, S. 3723) geändert worden ist Straßenverkehrs-Zulassungs-Verordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. September 1988 (BGBl. I, S. 1793), geändert durch die 25. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorgaben vom 22. Juli 1997 (BGBl. I, S. 1889) Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 2012 (BGBl. I, S. 390), das zuletzt durch Artikel 5 Absatz 8 des Gesetzes vom 10. März 2017 (BGBl. I, S. 410) geändert worden ist Verkehrsblatt (Amtsblatt des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur) Bundeswasserstraßengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Mai 2007 (BGBl. I, S. 962; 2008 I, S. 1980), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 29. November 2018 (BGBl. I, S. 2237) geändert worden ist Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. 1985 II, S. 926 und BGBl. 1987 II, S. 757) Yearbook of the International Law Commission
Einleitung A. „Traditionsschiffe“ – Die „,Oldtimer‘ der Seefahrt“1 Seit etwa fünf Jahrzehnten gibt es ein größer werdendes Interesse an der Erhaltung historischer Schiffe. Mit der immer schneller voranschreitenden technischen Entwicklung werden mehr und mehr ältere Fahrzeuge der Berufsschifffahrt2 außer Dienst gestellt. Da Schiffe nach einer Außerdienststellung in aller Regel schnell abgewrackt werden, verschwinden zum Teil ganze Dienstreihen innerhalb kürzester Zeit. Neue Schiffe – auch privat genutzte Schiffe – werden jedoch in anderer Form gebaut, sodass die Bauart, Ausstattung und auch das Erscheinungsbild älterer Schiffe unwiederbringlich verloren gehen. Ein anschauliches Beispiel für dieses Phänomen stellen historische Großsegler da, von denen es heute nur noch einzelne Exemplare gibt, wie die „Alexander von Humboldt“, die „Gorch Fock“ oder die „Passat“. Dem Verschwinden historischer Schiffe traten und treten bis heute Liebhaber der Schiffe entgegen, indem sie diese erwerben und erhalten. Oftmals werden die historischen Schiffe dabei nicht (nur) für private Zwecke genutzt, sondern nach der Art von Museumsstücken, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen sollen. Die Schiffe sollen als „lebende Exponate“ Zeugnis ablegen über die Aspekte der Seeschifffahrts-, Kultur-, Handels-, Handwerks- und Technikgeschichte, die sie verkörpern. Zu diesem Zweck geht es den Bewahrern der Schiffe – ähnlich den Besitzern von Kraftfahrzeug-Oldtimern – besonders darum, die Schiffe, ggf. nach einer umfangreichen Renovierung oder sogar einem Umbau, soweit als möglich in Fahrt zu halten bzw. wieder neu in Fahrt zu bringen. Der Leitsatz von der „Erhaltung maritimen Erbes durch die Präsentation der Schiffe in Fahrt“3 ist inzwischen fest etabliert. Da es Aufgabe und Anspruch der historischen Schiffe ist, ihr maritimes Erbe wie eine Tradition zu bewahren und weiterzugeben, hat sich für sie der Begriff „Traditionsschiff“ eingebürgert.4 1
Der Titel ist dem Aufsatz „Gefahren durch ,Oldtimer‘ der Seefahrt“ entnommen. Lau, VersR 1987, 1065 (1065). 2 Der „Berufsschifffahrt“ werden in der Regel die Fahrzeuge der Handelsschifffahrt, d. h. v. a. Frachtschiffe, gewerblich betriebene Fahrgastschiffe, die Fischereischifffahrt sowie sonstige Arbeitsschiffe, etwa Lotsenschiffe oder Schlepper, zugeordnet. 3 Vgl. etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 1 Bs 174/09 –, Rn. 8, zitiert nach juris. 4 Eine allgemeingültige Definition des Begriffes „Traditionsschiff“ existiert nicht. Dem Begriff werden faktisch ganz unterschiedliche Schiffsgruppen zugeordnet, die lediglich das
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Einleitung
Die historischen Schiffe sind heute ein fester Bestandteil vieler sog. maritimer Großereignisse und aus den deutschen und auch europäischen Häfen kaum mehr wegzudenken.5 In vielen Häfen gibt es spezielle sog. Museumshäfen, die den historischen Schiffen einen passenden Liegeplatz und die notwendige Ausstattung und Handwerkseinrichtungen bieten. Allein in deutschen Museumshäfen sollen nach Darstellung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Museumshäfen e.V. (AGDM) heute rund 300 historische Schiffe liegen.6 Die European Maritime Heritage (EMH), eine Nichtregierungsorganisation für private Eigentümer historischer Schiffe und maritime Museen, die als Dachverband der europäischen Flotte von Traditionsschiffen fungiert, schätzt, dass in europäischen Gewässern etwa 5.000 solcher Schiffe in Fahrt sind.7 Mit der über die vergangenen Jahrzehnte angewachsenen Zahl noch bzw. wieder in Fahrt befindlicher historischer Schiffe stellte sich mit der Zeit zwangsläufig die Problematik der Betriebssicherheit dieser Schiffe, u. a. auch, da es Seeunfälle mit ihnen gab.8 Aus dieser Problematik resultierte die Frage, ob und ggf. welchen Schiffssicherheitsvorschriften die historischen Schiffe unterliegen. Auch im deutschen Rechtsraum wurde gegen Ende der 1980er Jahre für die damals bereits unter dem Namen „Traditionsschiffe“ bekannten historischen Schiffe Regulierungsbedarf für (nationale) Sicherheitsvorschriften gesehen.9 Schnell zeichnete sich dabei die übergeordnete Merkmal der „Historizität“ im weitesten Sinne verbindet. Die Bezeichnung „Traditionsschiff“ ist dabei ein Begriff aus der deutschen Rechtsordnung (in englischsprachigen Rechtskreisen existiert teilweise der korrespondierende Begriff „traditional ships“ oder „traditional [sea] vessels“, wobei allerdings nicht alle Rechtskreise für historische Schiffe einen eigenen Begriff verwenden). Die deutsche Rechtsordnung verlangt für die Zuordnung eines Schiffes unter den Begriff „Traditionsschiff“ die Erfüllung bestimmter Anforderungen (dazu ausführlich im 2. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt C. II. 1.). Da diese Definition den Untersuchungsbereich der vorliegenden Arbeit von Beginn an stark einschränken würde, wird nachfolgend unter D. I. der Begriff des „Traditionsschiffes“ für diese Arbeit gesondert definiert. Bis dahin werden die Schiffe als „historische Schiffe“ bezeichnet. 5 Auch einige Staaten weltweit führen kleinere oder größere Flotten von historischen Schiffen unter ihren Flaggen, namentlich etwa Kanada oder Australien. 6 Die AGDM verweist hinsichtlich dieser Zahl auf ein – freilich informell geführtes – Schiffsregister des Schiffshistorischen Archives Flensburg, abrufbar auf dem Internetauftritt des Archives unter www.schiffshistorisches-archiv.de/schiffsdatenbank. 7 So die Darstellung auf einem Internetauftritt der EMH, abrufbar unter european-maritimeheritage.org/docs/sc/NewMOUSouthAnnex_II.pdf, S. 2: „ … In Europe as a whole it is estimated that more than 5000 vessels of historic interest and regional character ply their home waters today …“. 8 Sehr instruktiv zur Problematik insgesamt mit Blickwinkel aus dem Jahr 1987 siehe den Aufsatz „Gefahren durch ,Oldtimer‘ der Seefahrt“ von Lau, VersR 1987, 1065 (1065 ff.). 9 Nach Darstellung der Gemeinsamen Kommission für Historische Wasserfahrzeuge e.V. (GSHW e.V.), dem (nach eigener Darstellung) Dachverband für deutsche „Traditionssschiffe“ in Fahrt, war die Kollision des außer Dienst gestellten Feuerschiffes Elbe 3 mit einem russischen Tankschiff vor der Schleuseneinfahrt Kiel Holtenau im Jahr 1989 schlussendlich der Auslöser dafür, dass auf Seite der zuständigen staatlichen Stellen die Notwendigkeit zum Erlass eigener Schiffssicherheitsvorschriften für historische Schiffe als gegeben gesehen wurde. Die
B. Gegenstand der Untersuchung
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Fragestellung ab, ob und in welcher Form historische Schiffe unter bestehende Sicherheitsvorschriften einzuordnen sind bzw. inwieweit für sie Sonderregelungen geschaffen werden.
B. Gegenstand der Untersuchung I. Problemaufriss und übergeordnete Fragestellung Soweit historische Schiffe bei Fahrten Gäste an Bord nehmen, ist es notwendig, dass sie einen entsprechenden Sicherheitsstandard aufweisen, um Gefahren für Leib und Leben so weit als möglich auszuschließen. Die Notwendigkeit eines Sicherheitsstandards spricht ganz wesentlich dafür, dass historische Schiffe wie jedes andere Schiff bestehende internationale, unionsrechtliche sowie nationale Sicherheitsvorschriften einhalten müssen. Dies bringt allerdings den Konflikt mit sich, dass von den historischen Schiffen die Erfüllung moderner Sicherheitsstandards gefordert wäre. Doch historische Schiffe sind nicht nach zeitgemäßen technischen Standards gebaut, etwa mit einer Unterteilung durch wasserdichte Schotten oder mit automatisch auslösbaren Aussetzvorrichtungen für Rettungsboote. Zudem verfügen sie nicht oder nicht in vergleichbarem Maß über moderne Technik und Ausstattung, wie Bugstrahlruder oder Navigationsausrüstung heutigen Standards. Oftmals kann die Einhaltung moderner technischer Standards auf historischen Schiffen dabei auch nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang nachträglich hergestellt werden. Entweder ermöglicht die Bauart des Schiffes einen Umbau oder eine Nachrüstung bereits rein faktisch nicht, oder durch einen entsprechenden Umbau oder eine Ergänzung würde der historische Charakter des Schiffes zerstört. Nicht selten würde ein Umbau oder eine Nachrüstung auch wirtschaftlich in keinem maßvollen Verhältnis stehen oder wäre zumindest für die Betreiber der historischen Schiffe nicht finanzierbar. Sind die Ziele der Schiffssicherheit – auf der einen Seite – und der Erhaltung maritimen Erbes durch die Präsentation historischer Schiffe in Fahrt – auf der anderen Seite – dennoch miteinander vereinbar? Dieser (übergeordneten) Fragestellung wird sich die vorliegende Arbeit schrittweise nähern.
II. Historische Schiffe und modernes Schiffssicherheitsrecht Bereits die sich vorab stellende Frage, welche Sicherheitsvorschriften überhaupt für historische Schiffe maßgeblich sind, ist nicht ohne weiteres zu beantworten. Die Initiative zur Schaffung gesonderter Sicherheitsvorschriften ging dabei auch von den Betreibern der Schiffe selbst aus, die auf die Besonderheiten ihrer Schiffe und den daraus resultierenden Bedarf nach entsprechenden Sonderregelungen verwiesen. Ausführlich zur „Chronologie der Sonderregelungen für Traditionsschiffe in Deutschland 1989 bis 2009“ auf dem Internetauftritt der GSHW e.V. unter www.gshw.de/de/Historie.html.
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Einleitung
ursprünglich für die Fahrzeuge der Berufsschifffahrt geltenden Vorschriften finden nach der Außerdienststellung der Schiffe keine Anwendung mehr. Heute geltende Sicherheitsvorschriften unterscheiden für ihren Anwendungsbereich bestimmte Schiffsgruppen pauschaliert nach Nutzung. Oft werden Fahrzeuge der Berufsschifffahrt in Fahrgastschiffe, Frachtschiffe und bspw. Fischereifahrzeuge unterschieden und dabei von privat genutzten Schiffen abgegrenzt. 1. Besonderheiten historischer Schiffe als Regelungsgegenstand Historische Schiffe in ihrer heutigen Nutzung lassen sich ihrer Besonderheiten wegen nicht ohne weiteres einer der festgelegten Schiffsgruppen zuordnen.10 Zum einen ist ihr Gesamtbestand sehr vielfältig, da das die Schiffe übergeordnet verbindende Merkmal allein ihr historischer Charakter ist. Damit bilden die Schiffe einen insgesamt sehr heterogenen Regelungsgegenstand (im Einzelnen dazu nachfolgend a.). Zum anderen weisen die Schiffe aufgrund ihrer historischen Bauweise und ihrer Betriebsform einige Besonderheiten auf, die sie bspw. von einem „normalen“ Fracht- oder Fahrgastschiff zum Teil stark unterscheiden (nachfolgend b.). a) Heterogenität des Bestands historischer Schiffe Der Bestand an historischen Schiffen ist sehr vielfältig. Die Schiffe unterscheiden sich nach zahlreichen Kriterien, etwa nach Alter, Größe, Baumaterial, Antriebsart, (früherer sowie jetziger) Betriebsform, Fahrtgebiet sowie nicht zuletzt danach, wie originalgetreu sie erhalten sind. Verschiedenheiten gibt es zum einen in Bezug auf die ursprüngliche Nutzung der Schiffe. Den überwiegenden Anteil machen außer Dienst gestellte Fahrzeuge der Berufsschifffahrt aus. Die Spannbreite des früheren Gebrauchs der Schiffe ist dabei groß. Es gibt ehemalige Fischereischiffe und Schiffe der Passagier- und Küstenschifffahrt, aber auch Eisbrecher, Frachter, Schlepper oder Feuerschiffe. Je nach früherer Verwendung weisen die Schiffe eher regional geprägte Merkmale auf11 oder stehen für den technischen Stand einer bestimmten, weltweit eingesetzten Dienst-
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Bis zum Erlass der ersten „eigenen“ Sicherheitsvorschriften für sog. Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum (in Form der Richtlinie zur Verbesserung der Sicherheit von Traditionsschiffen vom 14. September 1991, VkBl. 1991, S. 646 und 648) wurden die Schiffe in der nationalen Fahrt nach der Schiffssicherheitsverordnung vom 8. Dezember 1986 (BGBl. 1986 I, 2361) in der Regel als Fahrgastschiffe i.S.v. § 2 Abs. 4 Nr. 1 oder als sog. Sonderfahrzeuge nach § 2 Abs. 4 Nr. 4 eingeordnet. 11 Als Beispiel seien die „Zeesboote“ genannt, die etwa ab dem 15. Jahrhundert als Fischereifahrzeuge (nur) in den Gewässern des Pommerschen Boddens und des Stettiner Haffs eingesetzt wurden. Auch heute noch gibt es einen Bestand von über 100 original erhaltenen oder nachgebauten Zeesbooten, die zum großen Teil noch in den gleichen Gewässern gesegelt werden. Vgl. den Internetauftritt www.braune-segel.de.
B. Gegenstand der Untersuchung
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reihe von Fahrzeugen der Berufsschifffahrt12. Darüber hinaus finden sich unter den „Oldtimern“ auch ehemalige sog. Freizeitschiffe, wie kleinere Privatyachten. Auch hinsichtlich der Antriebsart, dem Material, der Größe sowie des Fahrtgebiets unterscheiden sich die Schiffe. Ein großer Teil der historischen Schiffe sind Segler; es gibt jedoch auch maschinenbetriebene Schiffe. Unter Letzteren finden sich auch diverse Schiffe mit Dampfantrieb. Die historischen Schiffe können vollständig aus Holz gebaut sein (in aller Regel Segler), oder bspw. aus genietetem Stahl (überwiegend Schiffe mit Maschinenantrieb). Die Größe der Schiffe liegt überwiegend im Bereich bis 100 BRZ; einzelne Schiffe gehen aber auch über den Bereich von 300 BRZ oder sogar 500 BRZ hinaus. Die Größe hat in der Regel Einfluss auf das Fahrtgebiet eines Schiffes. Einige (kleinere) historische Schiffe halten sich grundsätzlich in bestimmten, abgegrenzten Fahrtbereichen, wie der Ostsee oder dem Mittelmeer, auf, während andere (eher größere) Schiffe weltweit eingesetzt sind, z. B. im Winter regelmäßig in die Karibik überführt werden. Weiter gibt es Unterschiede dahingehend, in welcher Form und von welchem Träger die Schiffe betrieben werden. Kleinere Schiffe werden oft nur privat genutzt, während größere in der Regel gegen Entgelt auch der Öffentlichkeit für Fahrten angeboten werden. In letzterem Fall werden neben Tagesfahrten oder kleineren Rundfahrten bei maritimen Großereignissen regelmäßig auch längere Törns über mehrere Tage oder Wochen angeboten. Schiffe, die gegen Entgelt von der Öffentlichkeit für Fahrten genutzt werden können, werden meist von Unternehmen oder von Vereinen betrieben. Die Betreiber von historischen Schiffen unter deutscher Flagge sind dabei überwiegend Vereine, die als gemeinnützig13 anerkannt sind.14 Daneben gibt es (international) auch Schiffe, die von (staatlichen) Museen betrieben werden.15 Das Alter und der Umfang, in dem die Schiffe noch originalgetreu erhalten sind, variieren ebenfalls stark. Einzelne Fahrzeuge sind mehr als 100 Jahre alt, andere nur wenige Jahrzehnte16. Während manche Schiffe, abgesehen von notwendigen Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten, noch vollständig im Original erhalten sind, d. h. einschließlich ihrer Antriebsart, ihrer Materialien, Ausstattung und ggf. sogar 12 So finden sich unter den in Deutschland als „Traditionsschiff“ geführten Schiffen bspw. mehrere ehemalige Feuerschiffe oder Fahrgastdampfer aus dem Liniendienst. 13 Typischer Weise verfolgen die als gemeinnützig anerkannten Vereine satzungsmäßig den Zweck, traditionelle historische Seemannschaft durch den Erhalt und Betrieb maritimer Brauchtümer und Handwerke zu bewahren und diese Kenntnisse weiterzuvermitteln. 14 Das ist freilich weniger ein „typischer“ Befund des Betriebs von „Traditionsschiffen“, sondern schlicht Folge der Betriebsvorgaben in den deutschen Vorschriften. Dazu in der Sache im 2. Teil dieser Arbeit unter Punkt C. II. 2. b) (4). 15 Bekanntere Beispiele sind die Replik „HMB Endeavour“, der Großsegler „James Craig“ aus dem Jahr 1874 und die Jacht „Akarana“ aus dem 19. Jahrhundert, die das nationale Maritime Museum Australiens betreibt. 16 Das kann z. B. Schiffe aus Baureihen der ehemaligen DDR betreffen, die seit 1990 nicht mehr gebaut werden und deren Bestandsflotte abgewrackt wurde.
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Einleitung
Nutzungsform, stellen andere Schiffe reine Nachbauten historischer Vorbilder dar. Eine nicht selten zu findende Situation ist zudem die des Rückbaus eines im Laufe seiner Dienstzeit mehrfach veränderten Fahrzeuges der Berufsschifffahrt zu seiner Ursprungsform. Inwieweit diese rückgebauten Schiffe im Ergebnis einem originalen Vorbild entsprechen, hängt oft auch von der verfügbaren Dokumentation des Ursprungszustandes eines Schiffes ab. Vielen historischen Schiffen, die früher Fahrzeuge der Berufsschifffahrt waren – insbesondere jenen, die ursprünglich nicht für Fahrten mit Passagieren genutzt wurden – ist demgegenüber gemeinsam, dass die Schiffe vor ihrer neuerlichen Nutzungsaufnahme mehr oder weniger weitgehend umgebaut wurden. Erhebliche Unterschiede gibt es dabei in Bezug auf das Ausmaß des Umbaus. Die Spannweite reicht von einzelnen Instandsetzungsarbeiten über ein umfangreiches „Refit“ eines Schiffes bis hin zur fast vollständigen Neuerrichtung, bei der lediglich einzelne Komponenten des ursprünglichen Schiffes weiterverwendet werden. Die überwiegende Zahl der historischen Schiffe wird auch im Inneren umgebaut. Ehemalige Fracht- oder Fischräume und Ähnliches werden häufig zur Messe und zu Kabinen umgebaut, Aufbauten werden verändert, neue Niedergänge angebracht oder bestehende erweitert. Durch die Umbauten wird die Heterogenität des Bestands historischer Schiffe noch weiter verstärkt. b) Abweichende Bauart, Ausrüstung und Fahrverhalten historischer Schiffe Zusätzlich zu ihrer Heterogenität untereinander weisen historische Schiffe in Bauart, Ausrüstung und Fahrverhalten erhebliche Unterschiede gegenüber modernen Schiffen auf, die vielfach nicht nur der Anwendung moderner Standards auf die Schiffe entgegenstehen, sondern auch bei der Sicherheitsüberprüfung der Schiffe Herausforderungen mit sich bringen. Bereits die für den Schiffskörper verwendeten Materialien – wie Holz oder genieteter Stahl – sind heute im Schiffsbau kaum noch üblich. Die Bauart der Schiffe weist oft nur in eingeschränktem Maß eine wasserdichte Unterteilung auf, die verhindert, dass das Schiff bei einer Leckage unter Wasser vollläuft. Nicht alle Schiffe verfügen über ausreichend Bilgenpumpen. Niedergänge und Luken sind teilweise nicht vollständig wasserdicht. Schiffe mit Maschinenantrieb verwenden zudem andere Brennstoffe als heutige Schiffe; die Maschinen und Maschinensysteme sind technisch anders konstruiert. Hinzu kommt, dass die Erhaltung eines Traditionsschiffes es in aller Regel erfordert, das Schiff nach historischen Standards um- bzw. zurückzubauen und Maßnahmen zur Instandhaltung auf traditionelle Art und Weise, d. h. nach in heutiger Zeit nicht mehr standardisierten Techniken, auszuführen, wie z. B. über das sog.
B. Gegenstand der Untersuchung
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Kalfatern.17 Oftmals werden diese Arbeiten durch ehrenamtlich Tätige – nicht selten Laien – ausgeführt. Ganz überwiegend werden Traditionsschiffe dabei auch nicht (mehr) nach den Richtlinien einer Klassifikationsgesellschaft umgebaut, gewartet und erhalten. An Ausstattung ist auf historischen Schiffen nicht selten nur Grundlegendes vorhanden. Das betrifft v. a. die Navigationsausrüstung. Einige (kleinere) Schiffe sind insoweit lediglich mit einem Magnetkompass, Karten und einem GPS-Gerät ausgestattet. Radargeräte oder Technik der modernen Schiffsführung, wie AISBordsysteme18 oder ECDIS19, sind eher selten vorhanden. Die Brücke historischer Schiffe ist zudem regelmäßig sehr stark Wettereinflüssen ausgesetzt. Viele historische Segelschiffe verfügen nicht einmal über eine Brücke, sondern lediglich über einen Fahrstand im Freien auf Deck. Regen und Wellen beeinträchtigen die Möglichkeit zur Schiffsführung in diesem Fall in besonderem Maße. Segelschiffe sind von den Abweichungen in Bauart und Fahrverhalten unter den historischen Schiffen insgesamt am stärksten betroffen. Die Abweichungen beginnen insoweit bereits an der Feststellung, dass größere Segelschiffe, wie etwa Rahsegler, heute praktisch gar nicht mehr gebaut werden. Dementsprechend hat ab einem bestimmten Zeitpunkt auch keine Weiterentwicklung der technischen Standards für den Bau dieser Schiffe mehr stattgefunden. In der Fahrt unterscheiden sich historische Segler in ihrer Stabilität und ihrer Manövrierfähigkeit in besonderem Maße von modernen Schiffen, da insoweit der Faktor „Wind“ dazu tritt. Hinzu kommt, dass durch die bereits erwähnten Umbauten vor der Wiederaufnahme der Nutzung zum Teil Veränderungen am Schiff geschaffen werden. Wird z. B. bei einem früheren Frachtsegler der Frachtraum nachträglich in einen Salon umgebaut, kann sich dadurch der Gewichtsschwerpunkt des Schiffes negativ verändern und damit die Stabilität beeinträchtigt werden, ggf. ohne dass sich der Schiffseigentümer dessen bewusst ist.20 Demgegenüber kann der Betrieb eines historischen Segelschiffes besondere Kenntnisse und eine viel größere Besatzungsstärke erfordern, etwa um die Segel – v. a. Rahsegel21 – zu setzen und wieder einzuholen.
17 Abdichten von Fugen zwischen hölzernen Schiffsplanken in der Außenhaut oder auf Deck eines Schiffes mit Werg, Baumwolle, Holzteer, Pech oder Gummi. 18 „AIS“ steht für „Automatisches Schiffsidentifikationssystem“ („Universal Shipborne Automatic Identification System“). 19 Die Bezeichnung „ECDIS“ steht für „Elektronisches Seekarteninformationssystem“ („Electronic Chart Display and Information System“). 20 Beuse, Ausbildung auf Traditionsschiffen, S. 6 ff. 21 Ein Rahsegel ist ein rechteckiges Segel, das für den Vortrieb eines Schiffes verantwortlich ist und an einem waagerechten Rundholz am Mast (dem sog. Rah) geführt wird. Zur Besegelung von Schiffen und den entsprechenden Begriffen siehe Dudszus, Das große Buch der Schiffstypen. Band 1, S. 16 ff.
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Einleitung
2. Aus den Besonderheiten resultierende Fragestellungen im Einzelnen Aus den im vorhergehenden Abschnitt dargelegten Besonderheiten resultieren zum einen Fragestellungen vom Blickwinkel der notwendigen Schiffssicherheit. Historische Schiffe lassen sich nicht ohne weiteres unter bestehende rechtliche Regelwerke fassen, die Sicherheitsstandards normieren.22 Die bestehenden Regelwerke – insbesondere des Völker- und Unionsrechts – sind nicht mit Blick auf die Erfassung historischer Schiffe erstellt worden, woraus begriffliche und systematische Einordnungsschwierigkeiten resultieren. Erfassen bestehende rechtliche Regelwerke historische Schiffe überhaupt, und falls ja, inwieweit? Hinzu kommt die dargelegte Heterogenität des Gesamtbestandes historischer Schiffe. Ist also auf die Frage nach den für historische Schiffe maßgeblichen rechtlichen Standards eine Antwort möglich, die für alle historischen Schiffe gleichermaßen gilt? Zum anderen ist die originalgetreue Erhaltung historischer Schiffssubstanz und ihre Präsentation in Fahrt, (auch) durch Gästefahrten, ein zu berücksichtigender Belang. Steht die originalgetreue Erhaltung jedoch der Erfüllung moderner Sicherheitsstandards entgegen, so gibt dies Anlass zu weiteren Fragen. Es ist dann zu untersuchen, ob, inwieweit und in welcher Form die entsprechenden rechtlichen Regelwerke ggf. eine gesonderte Behandlung historischer Schiffe vorsehen oder zumindest ermöglichen, etwa indem sie Erleichterungen oder alternative Sicherheitsstandards zulassen. Sind also Sicherheitsstandards rechtlicher Regelwerke, die historische Schiffe erfassen, für alle Schiffe gleichermaßen verbindlich oder gibt es bspw. auch fakultative Standards? Eröffnen die maßgeblichen Regelwerke in sonstiger Weise Spielräume, innerhalb derer den Besonderheiten historischer Schiffe Rechnung getragen werden kann? Falls ja, inwieweit und in welcher Form? Sollten Spielräume bestehen, so wäre auch zu untersuchen, auf Grundlage welcher Erwägungen die Spielräume in den Regelwerken ermöglicht werden. Spielt bei ggf. vorhandenen Spielräumen der rechtlichen Regelwerke zur Schiffssicherheit der historische Charakter eines Schiffes die ausschlaggebende Rolle? Um im Ergebnis der vorliegenden Arbeit zur Beantwortung der übergeordneten Fragestellung (Sind die Ziele der Schiffssicherheit – auf der einen Seite – und der Erhaltung maritimen Erbes durch die Präsentation historischer Schiffe in Fahrt – auf der anderen Seite – miteinander vereinbar?23) zu gelangen, ist demnach – zusammengefasst – zu klären: Was gilt für historische Schiffe und welche Spielräume sind dabei eröffnet?
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Zur Eingrenzung des Untersuchungsbereichs der vorliegenden Arbeit auf bestimmte rechtliche Regelwerke siehe im nachfolgenden Abschnitt „Grundlagen der Untersuchung“ unter Punkt D. II. 2. 23 Dazu zuvor unter B. I.
C. Struktur und Methodik der Untersuchung
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C. Struktur und Methodik der Untersuchung Da zu den maßgeblichen Sicherheitsvorgaben für historische Schiffe nicht auf wissenschaftliche Vorarbeiten zurückgegriffen werden kann, ist es zunächst notwendig zu untersuchen, welche rechtlichen Vorgaben für historische Schiffe verbindlich sind. Diese Untersuchung wird einen erheblichen Teil der vorliegenden Arbeit ausmachen und neben der Erkenntnis über die geltenden Regelungen für historische Schiffe hinaus auch einen allgemeinen Beitrag zum Stand der Wissenschaft im Bereich des See-(Völker-)rechts leisten. Die Untersuchung erfolgt aus Gründen der Systematik in zwei Schritten. Im ersten Schritt ist sie dem maßgeblichen Rechtsrahmen aus Völker- und Unionsrecht gewidmet (ausführlicher dazu nachfolgend I.). Im zweiten Schritt ist Gegenstand der Untersuchung, wie der völker- und unionsrechtliche Rahmen für historische Schiffe speziell im deutschen Rechtsraum umgesetzt und ausgefüllt ist (dazu nachfolgend II.).
I. Erster Schritt: Regulierungsrahmen aus Völker- und Unionsrecht für historische Schiffe aller Flaggen Im ersten Schritt wird die Untersuchung diejenigen Regelungen in den Blick nehmen, die sich aus Völker- und Unionsrecht ergeben. Diese Regelungen beziehen sich – bei den Regelungen des Unionsrechts freilich nur eingeschränkt – auf historische Schiffe weltweit, ohne Unterscheidung nach deren Flagge. Dieser Schritt erfolgt im nachfolgenden 1. Teil der vorliegenden Arbeit. Gegenstand der Prüfung ist zuerst, inwieweit historische Schiffe von den sog. maritimen Übereinkommen, i. e. von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW, als Regelungsgegenstand erfasst sind (1. Teil A. I. und III.). Im Rahmen dieser Prüfung werden v. a. Einschränkungen des Regelungsbereichs der Übereinkommen analysiert, die speziell für historische Schiffe von Relevanz sein können. In Bezug auf diejenigen historischen Schiffe, die erfasst sind, ist sodann weiter zu untersuchen, welche bau- und ausrüstungsbezogenen, betrieblichen sowie befähigungsbezogenen Sicherheitsanforderungen – d. h. materiell-rechtliche Standards – der Regelwerke Anwendung finden (1. Teil A. II. und III.).24 Wegen der herausgehobenen Bedeutung des SOLAS-Übereinkommens als „weltweit geltende[r] Ausgangspunkt der internationalen Schiffssicherheitsvor24 Auch wenn ein Übereinkommen für ein historisches Schiff „gilt“, d. h. das Schiff als Regelungsgegenstand erfasst, ist es möglich, dass das Schiff nur in eingeschränktem Umfang die materiell-rechtlichen Standards des Übereinkommens erfüllen muss, etwa weil es noch vor dem Inkrafttreten einer bestimmten Anforderung gebaut wurde.
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Einleitung
schriften“25 gegenüber den anderen maritimen Übereinkommen wird sich die Darstellung der Untersuchung im 1. Teil ganz überwiegend an SOLAS orientieren (A. I. und II.). Die anschließende Untersuchung von LLC, MARPOL und STCW (A. III.) wird deutlich kürzer gefasst, da die genannten drei Übereinkommen weitgehend die gleichen Anwendungskriterien verwenden, wie SOLAS. Methodisch wird die Untersuchung durch die Auslegung bestimmter Rechtsbegriffe in den Eingangsbestimmungen der maritimen Übereinkommen sowie durch eine systematische Aufarbeitung der materiell-rechtlichen Standards bestimmt werden. Für die Auslegung der Rechtsbegriffe werden u. a. die Ergebnisse einer für die vorliegende Arbeit durchgeführten Umfrage unter verschiedenen Unterzeichnerstaaten26 des SOLAS-Übereinkommens ausgewertet und in die Untersuchung einbezogen.27 Nach den maritimen Übereinkommen ist weiter zu prüfen, inwieweit historische Schiffe von der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie als Regelungsgegenstand erfasst und welche materiell-rechtlichen Standards der Richtlinie auf sie anzuwenden sind (1. Teil B.). Neben der Erkenntnis über die nach Völker- und Unionsrecht für historische Schiffe verbindlichen Sicherheitsvorgaben wird die Prüfung im 1. Teil sowohl für die maritimen Übereinkommen, als auch für die EU-Fahrgastschiffs-Richtlinie gesondert auswerten, welche Spielräume für die Berücksichtigung der Besonderheiten von historischen Schiffen innerhalb der aus den Regelwerken für die Staaten resultierenden Umsetzungsverpflichtungen eröffnet sind (A. V. und B. IV.).
II. Zweiter Schritt: Regelungen im deutschen Rechtsraum (vorwiegend) für Schiffe unter der Bundesflagge Im zweiten Schritt – im sich anschließenden 2. Teil der vorliegenden Arbeit – bezieht sich die Untersuchung auf Sicherheitsvorgaben für historische Schiffe speziell im deutschen Rechtsraum, die aus drei verschiedenen Blickwinkeln analysiert werden. Zum ersten ist zu untersuchen, welche Regelungen für Schiffe unter der Bundesflagge gelten, die in der internationalen Fahrt eingesetzt sind (2. Teil A.). Dafür wird überprüft, ob die nach dem Ergebnis des 1. Teils der vorliegenden Arbeit 25
Ramming, Seehandelsrecht, Einl. C. Rn. 11. Der Begriff „Unterzeichnerstaat“ wird in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die maritimen Übereinkommen gleichbedeutend für den Begriff „Vertragspartei“ i.S.v. Art. 31 WVRK verwendet. 27 Im Rahmen der Umfrage wurden die Staaten mit Blick auf die Geltung von SOLAS für sog. Traditionsschiffe zu ihrer Auslegung und Anwendungspraxis verschiedener, den Anwendungsbereich von SOLAS bestimmender Rechtsbegriffe befragt. 26
C. Struktur und Methodik der Untersuchung
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völkerrechtlich verbindlichen Anforderungen wirksam in deutsches Recht umgesetzt, d. h. auch für den einzelnen (deutschen) Rechtsunterworfenen zu Verbindlichkeit geführt worden sind (A. I.), und durch Deutschland als Flaggenstaat durchgesetzt werden (A. II.). Auf Grundlage des Ergebnisses dieser Untersuchung wird ausgewertet, ob der deutsche Gesetzgeber nach dem Ergebnis des 1. Teils der vorliegenden Arbeit ggf. bestehende Umsetzungsspielräume zur Berücksichtigung der Besonderheiten historischer Schiffe bei der Umsetzung in das deutsche Recht nutzt (A. III.). Zum zweiten erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Frage, welche Anforderungen im deutschen Rechtsraum an historische Schiffe gestellt werden, die unter einer anderen als der Bundesflagge eingesetzt sind (2. Teil B.). Innerhalb dieser Auseinandersetzung spielt vorrangig die Prüfung eine Rolle, wie Deutschland die Einhaltung der verbindlichen materiell-rechtlichen Standards der maritimen Übereinkommen gegenüber Schiffen unter fremder Flagge als Hafenstaat durchsetzt. Zum dritten nimmt die vorliegende Arbeit historische Schiffe unter der Bundesflagge in den Blick, die nicht in der internationalen, sondern in der nationalen Fahrt eingesetzt sind (2. Teil C.). Dafür wird zum einen die nationale Umsetzung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie untersucht (C. I.). Zum anderen ist zu prüfen, welche nationalen Regelungen für Schiffe bestehen, die nicht von der Fahrgastschiffsrichtlinie erfasst sind (C. II.). An dieser Stelle erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Begriffsdefinition eines „Traditionsschiffes“ im deutschen Recht (II. 1.). Eine im März 2018 in Kraft getretene, umfangreiche Änderung der nationalen Vorschriften speziell für „Traditionsschiffe“ (i.S.d. nationalen Begriffsdefinition) gibt zudem Anlass dazu, die Vorschriften unter bestimmten Rechtsaspekten eingehender zu analysieren (II. 2.) und auch rechtspolitisch zu bewerten (II. 3.).
III. Dritter Schritt: Abschließendes Fazit Im 3. Teil der vorliegenden Arbeit werden die Ergebnisse des 1. und 2. Teils mit Blick auf die übergeordnete Fragestellung – Sind die Ziele der Schiffssicherheit und der Erhaltung maritimen Erbes durch die Präsentation historischer Schiffe in Fahrt miteinander vereinbar? – einem abschließenden Fazit zugrunde gelegt.
D. Grundlagen der Untersuchung I. Untersuchungsgegenstand „Traditionsschiff“ für die vorliegende Arbeit Sowohl die deutsche Rechtsordnung, als auch das Unionsrecht enthalten Definitionen des Begriffs „Traditionsschiff“, welche die Zuordnung von Schiffen jedoch
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mit der Erfüllung bestimmter Anforderungen verbinden.28 Um den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit jedoch nicht von vornherein einzuschränken, wird der Arbeit keine dieser Begriffsdefinitionen zugrunde gelegt. Vielmehr soll der Untersuchung ein Begriff des „Traditionsschiffes“ zugrunde gelegt werden, der zunächst keinerlei eigene Wertung in Bezug auf die erfassten Schiffe vornimmt. Dementsprechend bezieht sich die vorliegende Arbeit als Untersuchungsgegenstand auf alle historischen Schiffe, die gegenwärtig unter der Bezeichnung „Traditionsschiff“ (o. ä.) betrieben werden (ab hier genannt „Traditionsschiffe“).
II. Eingrenzung des Untersuchungsbereichs: Traditionsschiffe „auf See“ Gegenstand der Arbeit sind ausschließlich Traditionsschiffe im vorgenannten Sinne, die „Seeschiffe“ darstellen. Als Seeschiffe gelten Schiffe, welche nach ihrer Bauart und Zweckbestimmung für den Einsatz (auch) außerhalb von Binnengewässern geeignet und bestimmt sind.29 Dabei ist nicht erforderlich, dass ein Schiff stets oder überwiegend auf See eingesetzt wird, also seegehend30 ist. Ausschlaggebend ist, dass ein Schiff nach seiner gegenwärtigen Verwendung zur See eingesetzt werden soll, ohne dass es auf seine ursprüngliche Bestimmung ankäme.31 Ob ein Schiff für das Fahrtgebiet der See tauglich ist, ist dabei keine definitorische Frage zur Bezeichnung eines Schiffes als „Seeschiff“, sondern eine Frage des Sicherheitsstandards des Schiffes.
28 Eine Auseinandersetzung mit der Begriffsdefinition „Traditionsschiff“ nach der deutschen Rechtsordnung erfolgt im 2. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt C. II. 1. 29 Vgl. auch die Legaldefinition eines „Seeschiffes“ in § 1 Abs. 1 FlRG. 30 Seegehend ist ein Schiff, wenn es regelmäßig in den der See – in Abgrenzung zu den Binnengewässern – zuzuordnenden Gewässerteilen in Fahrt ist. Den räumlichen Geltungsbereich der „See“ definiert im deutschen Rechtsraum § 1 FlRV. Danach wird die „See“ zum Landesinneren hin u. a. begrenzt durch die Festland- und Inselküste bei mittlerem Hochwasser sowie die seewärtige Grenze der Binnenwasserstraßen (Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 1 FlRG, Rn. 3.). Die seewärtige Grenze der Binnenwasserstraßen wird in Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 und § 2 Abs. 2 WaStrG festgelegt (Teile der danach als Binnengewässer definierten Schifffahrtsstraßen zählen hingegen nach der SeeSchStrO verkehrsrechtlich als „Seeschifffahrtsstraßen“, da sie überwiegend von Seeschiffen befahren werden, welche die deutschen Seehäfen anlaufen). Völkerrechtlich gehören zu den Seegewässern die Hohe See (Art. 86 SRÜ), die AWZ (Art. 57 SRÜ), die Anschlusszone (Art. 33 Abs. 2 SRÜ), das Küstenmeer (Art. 3 bis 16 SRÜ) sowie die sog. inneren Gewässer (Das bezeichnet nach Völkerrecht die Gewässer unmittelbar vor der Festlandküste, welche von der sogenannten Basislinie (Art. 5 bis 9 SRÜ) von den weiteren Meeresteilen abgegrenzt werden (Art. 8 Abs. 1 SRÜ)). 31 Vgl. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht, Teil 1, S. 231.
C. Struktur und Methodik der Untersuchung
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III. Zu untersuchender völker- und unionsrechtlicher Regulierungsrahmen Die vorliegende Arbeit befasst sich ausschließlich mit Vorschriften des öffentlichen Schiffssicherheitsrechts. Privatrechtliche Vorschriften, wie Schiffsversicherungs- oder Frachtrecht, sind nicht Gegenstand. Das öffentliche Rechtsgebiet Schiffssicherheit umfasst dabei alle Normen, „die sich mit der Seetüchtigkeit des Schiffes, seiner Einrichtung und Ausrüstung, Bemannung und Beladung“32 befassen. Während der übergeordnete Zweck dieser Normen seit jeher im Schutz des Schiffes selbst mit seiner Besatzung und Ladung besteht, tritt seit einigen Jahrzehnten immer mehr der Aspekt des Schutzes der Meeres- und sonstigen Umwelt hinzu.33 Die Aspekte der Schiffssicherheit beziehen sich auf die Bauart eines Schiffes, wozu die Bereiche der Unterteilung, Stabilität, der elektrischen und technischen Anlagen, des Brandschutzes und der Feuerlöschung zählen, auf die Bestimmung des Freibords, auf die Ausrüstung des Schiffes mit nautischem Gerät, Funkanlagen und Rettungsmitteln, auf die Beladung einschließlich der Ladungssicherung sowie auf die Qualifikation und Anzahl der Besatzungsmitglieder an Bord.34 Nicht alle zur Schiffssicherheit existierenden Regelungen sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit, da dies den Umfang der Untersuchung sprengen würde.35 Untersucht werden die sog. maritimen Übereinkommen SOLAS, LLC, MARPOL und STCW sowie die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie. SOLAS enthält Anforderungen an die bauliche, ausstattungsbezogene und betriebliche Sicherheit von Schiffen. LLC bestimmt den im Mindestmaß durch ein Schiff einzuhaltenden Freibord, d. h. den Abstand des obersten wasserdichten Decks des Schiffes von dessen Schwimmlinie, gemessen auf der Mitte der Schiffslänge. MARPOL enthält Anforderungen (auch) baulicher Art an Schiffe zum Schutz der Meeresumwelt. STCW schließlich enthält Vorgaben für die personelle Schiffssicherheit. Im Unionsrecht knüpft die EUFahrgastschiffsrichtlinie an die Regelungsbereiche von SOLAS und LLC an, indem sie Sicherheitsanforderungen normiert für Fahrgastschiffe, die innerhalb der EU keine Häfen eines anderen Mitgliedstaates anlaufen und damit von SOLAS und LLC nicht erfasst sind.
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Sturm, Deutsche Schiffssicherheits-Vorschriften, S. V. Vgl. dazu Ehlers, Recht des Seeverkehrs, Einl. SchSG, Rn. 1. 34 Vgl. Lindemann, Untersuchung, Festhalten und sofortige Freigabe ausländischer Seehandelsschiffe, S. 115. Vgl. auch Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 472 ff. 35 Ausgewählt wurden die Regelwerke danach, inwieweit ihre Anwendung auf Traditionsschiffe deren Besonderheiten wegen Probleme aufwirft, etwa weil die Regelwerke vorrangig Anforderungen stellen, welche die Bauart und Ausrüstung eines Schiffes betreffen. Regelwerke, die vorrangig Verhaltensanforderungen aufstellen, wie etwa die „Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See“, sind dementsprechend von geringerem Interesse. 33
1. Teil
Regelungen für Traditionsschiffe weltweit Die Untersuchung im ersten Teil der Arbeit befasst sich mit der Frage, inwieweit Traditionsschiffe weltweit von den maritimen Übereinkommen (nachfolgend A.) sowie der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie (nachfolgend B.) reguliert werden.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe Untersucht wird zum ersten die Frage, inwieweit Traditionsschiffe in internationaler Fahrt von den maritimen Übereinkommen als Regelungsgegenstand erfasst sind und welche materiell-rechtlichen Anforderungen danach im Einzelnen auf erfasste Traditionsschiffe Anwendung finden. Die beiden Fragestellungen werden zunächst umfassend für das SOLAS-Übereinkommen geprüft (nachfolgend A. I. und A. II.). Im Anschluss an die Prüfung von SOLAS erfolgt die entsprechende Untersuchung von LLC, MARPOL und STCW (nachfolgend A. III.). Diese Untersuchung wird deutlich kürzer gefasst, da die genannten drei Übereinkommen weitgehend die gleichen Anwendungskriterien verwenden, wie SOLAS. Die Ergebnisse werden in einem Zwischenergebnis (unter A. IV.) zusammengefasst und anschließend ausgewertet mit Blick auf die Frage, inwieweit innerhalb der Umsetzungsverpflichtungen aus den maritimen Übereinkommen Spielräume bestehen, um die Besonderheiten von Traditionsschiffen zu berücksichtigen (nachfolgend A. V.).
I. Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand von SOLAS 1. Das SOLAS-Übereinkommen Anforderungen an die bauliche und betriebliche Sicherheit von Schiffen stellt vorrangig das Internationale Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See International Convention for the Safety of Life at Sea, SOLAS. SOLAS ist das älteste maritime Übereinkommen im Bereich der Schiffssicherheit, da es auf ein Vorgängerübereinkommen aus dem Jahr 1914 zurückgeht. Weitere Vorgängerübereinkommen datieren aus den Jahren 1929, 1948 und 1960. Die heute geltende 5. Fassung des Übereinkommens wurde am 1. November 1974 durch die
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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Unterzeichnerstaaten angenommen und trat am 25. Mai 1980 nach bis dahin erfolgter Ratifikation durch 25 Staaten1 – die zugleich für über 50 % der Welthandelsflotte standen2 – völkerrechtlich in Kraft. Bis heute haben 162 Staaten das Übereinkommen ratifiziert.3 SOLAS repräsentiert damit faktisch alle in der Seeschifffahrt engagierten Staaten weltweit. SOLAS in der Fassung von 1974 wird ergänzt durch zwei Zusatzprotokolle von 19784 und 19885.6 SOLAS besteht aus 13 Artikeln und einer Anlage mit 14 Kapiteln, welche die materiell-rechtlichen Schiffssicherheitsstandards enthalten.7 Davon sind vorrangig die Kapitel I bis V sowie grundsätzlich auch die Kapitel IX, XI-1 und XI-2 Gegenstand der vorliegenden Arbeit.8 Soweit in der Arbeit auf „Anforderungen von SOLAS“ oder auf die „materiell-rechtlichen Standards von SOLAS“ Bezug ge-
1 Die Bundesrepublik Deutschland hat SOLAS am 18. Februar 1975 in London unterzeichnet. 2 Vgl. Art. X a) SOLAS. 3 Vgl. im Einzelnen Fundstellennachweis B zum Bundesgesetzbuch Teil II. 4 „Protokoll von 1978 zu dem Internationalen Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See“, abgeschlossen in London am 17. Februar 1978, in Kraft getreten am 1. Mai 1981 (BGBl. 1980 II, S. 525). 5 „Protokoll von 1988 zu dem Internationalen Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See“, abgeschlossen in London am 11. November 1988, in Kraft getreten am 3. Februar 2000 (BGBl. 1994 II, S. 2458 i.V.m. dem Anlagenband zum BGBl. II, Nr. 44, vom 27. September 1994, S. 43). 6 Die Staaten, die SOLAS in der Fassung von 1974 ratifiziert haben, haben nicht alle zugleich auch die beiden Protokolle ratifiziert. Die Ergänzungen (Amendements) beziehen sich jedoch stets auf SOLAS in der Fassung von 1974, sodass sich die unterschiedlichen Ratifizierungsstatus der Vertragsstaaten nur in den Punkten auswirken, die durch die beiden Protokolle ergänzt wurden. 7 Einen guten Überblick über die Regeln der SOLAS-Anlage im Einzelnen geben Beckert/ Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 483 bis 496. 8 Die überwiegende Zahl der für Traditionsschiffe relevanten Anwendungsprobleme weisen die Kapitel I bis III sowie V der Anlage zu SOLAS auf, die deshalb innerhalb der in der vorliegenden Arbeit vorzunehmenden Untersuchungen im Vordergrund stehen. Die Anforderungen der Kapitel II-1, II-2, III und V betreffen in besonderem Maße die bauliche Beschaffenheit oder die Ausrüstung von Schiffen und werfen dementsprechend in der Anwendung auf Traditionsschiffe Schwierigkeiten auf. Die Kapitel IV, IX, XI-1 und XI-2 enthalten hingegen Standards, die weitgehend unterschiedslos sowohl auf historische Schiffe, als auch auf moderne Schiffe angewendet werden können, etwa weil sie überwiegend Verhaltenspflichten normieren. Die Kapitel VI, VII, VIII, X sowie XII bis XIV der Anlage zu SOLAS sind demgegenüber nicht Gegenstand der Betrachtungen in der vorliegenden Arbeit. Das Kapitel VI enthält Anforderungen an die Beförderung von Ladung und flüssigen Brennstoffen, das Kapitel VII an die Beförderung gefährlicher Güter und das Kapitel VIII enthält Vorschriften für Reaktorschiffe. Diese Kapitel betreffen Traditionsschiffe nicht. Gleiches gilt für die Anforderungen der Kapitel X, XII und XIV, die sich an Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge, Massengutschiffe und in Polargewässern verkehrende Schiffe richten. Das Kapitel XIII richtet sich an die Staaten (Pflicht zur Einrichtung eines Audit-Systems nach Richtlinien der IMO) und stellt damit keine materiell-rechtlichen Anforderungen an die Schiffe selbst.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
nommen wird, bezieht sich dies dementsprechend auf die Regeln der genannten Kapitel der Anlage zu SOLAS. 2. Grundsatz und Einschränkungen der Geltung von SOLAS (Überblick) SOLAS erfasst nach Art. II im Grundsatz alle (Traditions-)Schiffe9, die berechtigt sind, die Flagge eines Staates zu führen, der Unterzeichner des Übereinkommens ist. a) Nur Schiffe im Fahrtbetrieb Voraussetzung für die Geltung von SOLAS ist zudem, dass die Schiffe im Fahrtbetrieb sind. Nicht erfasst sind etwa an einer Pier fest vertäute Traditionsschiffe, die ggf. auch nicht mehr seetüchtig sind.10 Gleiches gilt für Schiffe, die in Trockendocks oder an Land, etwa in einem maritimen Museum, aufgestellt wurden.11 b) Keine Kriegs- bzw. Staatsschiffe Darüber hinaus gilt SOLAS gemäß einer Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. i) ausdrücklich nicht für „Kriegsschiffe und Truppentransportschiffe“.12 Staatsschiffe werden in SOLAS nur in Teilen der Anlage (in Regeln jüngeren Wortlauts13) aus9
„Schiffe“ im völkerrechtlichen Sinn sind „Wasserfahrzeuge jeder Art einschließlich Luftkissenfahrzeugen und schwimmenden Geräten mit oder ohne Eigenantrieb“ (Vgl. Art. 3 Nr. 2 des Übereinkommens über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972. BGBl. 1977 II, 180). Zu den verschiedenen „Schiffs“-Begriffen im Völkerrecht Delbrück u. a., Völkerrecht. Band I/2: Der Staat und andere Völkerrechtssubjekte; Räume unter internationaler Verwaltung, S. 352. MARPOL enthält demgegenüber einen eigenen, sehr weit gefassten Begriff des „Schiff[es]“ in Art. 2 Nr. 4. Darin ist ein „Schiff“ definiert als „ein Fahrzeug jeder Art, das in der Meeresumwelt betrieben wird“ und auch „Tragflächenboote, Luftkissenfahrzeuge, Unterwassergerät, schwimmendes Gerät und feste oder schwimmende Plattformen“ umfasst. 10 Bekannt sind etwa die „Gorch Fock I“, die im Stralsunder Hafen liegt, oder die „Passat“ im Hafen von Travemünde. 11 Ein Beispiel ist der neben dem Yachthafen Damp an der Ostsee in einem Sandbett aufgestellte ehemalige Passagier- und Frachtdampfer „Albatros“, der schon verschiedenen Museen als Ausstellungsort diente. Auch das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven verfügt über vier an Land zur Besichtigung aufgestellte Schiffe. Die Schiffe werden in Deutschland zur Abgrenzung von noch seegehenden Schiffen oft als „Museumsschiffe“ bezeichnet. 12 Diese Ausnahme betrifft unter Bundesflagge die von der Bundesmarine als Segelschulschiff eingesetzte „Gorch Fock II“ (die freilich nicht als „Traditionsschiff“ betrieben wird). 13 In dem jüngeren MARPOL-Übereinkommen ist die Regel I/3 a) lit. i) SOLAS vergleichbare Ausnahme insgesamt weiter gefasst worden und umfasst ausdrücklich auch Staatsschiffe. Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 MARPOL findet das Übereinkommen keine Anwendung auf „Kriegsschiffe, Flottenhilfsschiffe oder sonstige einem Staat gehörende oder von
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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drücklich vom Anwendungsbereich ausgenommen, etwa in Regel V/1 Abs. 1.114. In der Praxis wird jedoch auch SOLAS insgesamt nicht auf Staatsschiffe angewandt.15 c) Einschränkungen nach Größe und Kapazität Der Grundsatz der Geltung für „alle Schiffe“ wird ferner modifiziert durch zahlreiche in SOLAS normierte Einschränkungen des Anwendungsbereiches. Die Einschränkungen haben jeweils eine unterschiedliche Reichweite, indem sie entweder das gesamte Übereinkommen, nur einzelne Kapitel der Anlage, oder lediglich einzelne Regeln innerhalb der Kapitel betreffen.16 Am häufigsten anzutreffen sind Einschränkungen, die sich auf die Größe oder die Kapazität eines Schiffes beziehen. Dabei wird meist auf die BRZ eines Schiffes abgestellt; zum Teil finden sich auch Längenbegrenzungen oder Begrenzungen danach, wie viele Fahrgäste ein Schiff an Bord nehmen kann. Die Einschränkungen nach der Größe und Kapazität eines Schiffes finden sich durch das gesamte Übereinkommen hinweg und variieren stark von Regel zu Regel. Die unspezifischen Einschränkungen nach Größe und Kapazität modifizieren die Geltung der maritimen Übereinkommen entsprechend für Traditionsschiffe ebenso, wie für alle anderen Schiffe. d) Kapitel V SOLAS für „alle Schiffe“ Im Kapitel I der Anlage zu SOLAS sind Einschränkungen normiert, die – im Grundsatz – die Geltung des gesamten Übereinkommens betreffen und damit alle materiell-rechtlichen Anforderungen.17 Die Einschränkungen des Kapitels I besteihm betriebene Schiffe, die derzeit im Staatsdienst stehen und ausschließlich anderen als Handelszwecken dienen“. 14 Ausgenommen von der Anwendung des Kapitels V sind danach „Kriegsschiffe, Flottenhilfsschiffe und sonstige einer Vertragsregierung gehörende oder von ihr betriebene Schiffe, die im Staatsdienst stehen und ausschließlich anderen als Handelszwecken dienen“. 15 Vgl. dazu Lindemann, Untersuchung, Festhalten und sofortige Freigabe ausländischer Seehandelsschiffe, S. 141, Fn. 627, der ausführt, dass Staatsschiffe, soweit sie in SOLAS nicht speziell von der Anwendung ausgenommen seien, jedenfalls nicht entsprechenden Kontrollen anderer Vertragsstaaten unterlägen, da sie Immunität genießen würden. 16 Eine vollständige und umfassende Darstellung aller Einschränkungen, welche SOLAS enthält, einschließlich der Rückausnahmen, ist aufgrund der Vielzahl, Vielfältigkeit und komplizierten Systematik der Einschränkungen an dieser Stelle nicht möglich. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich darauf, so weit als möglich diejenigen Einschränkungen darzustellen, welche für Traditionsschiffe von besonderer Relevanz sind. 17 Die Regeln von Kapitel I der Anlage zu SOLAS, insbesondere der Teil A, wurden als allgemeine Bestimmungen, die für alle restlichen Kapitel der SOLAS-Anlage Geltung beanspruchen, „vor die Klammer gezogen“ (So auch Lindemann, Untersuchung, Festhalten und sofortige Freigabe ausländischer Seehandelsschiffe, S. 141 f.). Das ergibt sich aus der Überschrift des Kapitels I „Allgemeine Bestimmungen“ sowie aus der Gesamtschau der Vorschriften der SOLAS-Anlage.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
hen zum einen darin, dass SOLAS gemäß Regel I/1 a) nur für in der Auslandfahrt eingesetzte Schiffe gilt (dazu sogleich nachfolgend unter 3.). Zum anderen ergeben sich speziell für Traditionsschiffe relevante Einschränkungen aus verschiedenen Ausnahmeregelungen, die in Regel I/3 a) SOLAS normiert sind (ausführlich dazu nachfolgend unter 4.).18 Zum Teil werden die in Kapitel I normierten Einschränkungen in der Anlage zu SOLAS jedoch wieder aufgehoben, sodass es bei der ursprünglichen Geltung für „alle Schiffe“ bleibt.19 Für diese Regelungen enthalten die Einschränkungen in Kapitel I den Zusatz „soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist“.20 Derartige „ausdrücklich andere Bestimmungen“ enthält v. a. das Kapitel V der Anlage zu SOLAS, das Regelungen über die „Sicherung der Seefahrt“21 aufstellt. So findet das Kapitel V nach Regel V/1 Abs. 1, 1. HS „… auf sämtliche Schiffe auf allen Reisen Anwendung“22, 23, 24 Folglich erfassen die Regeln des Kapitels V (im Grundsatz25) alle Traditionsschiffe, auch in der nationalen Fahrt. 18 Die Ausnahmeregelungen sind: „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ (Regel I/3 a) lit. ii), „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ (Regel I/3 a) lit. iii), „Holzschiffe einfacher Bauart“ (Regel I/3 a) lit. iv) und „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ (Regel I/3 a) lit. v). 19 Systematisch muss der Rechtsanwender dabei allerdings beachten, dass der Terminus „alle Schiffe“ in jedem Kapitel der Anlage zu SOLAS eine andere Bedeutung hat und in der Regel nur diejenigen Einschränkungen außer Kraft setzt, die zu Beginn des jeweiligen Kapitels für das jeweilige Kapitel normiert wurden. Einzelne Regelungen in den Kapiteln, die auf „alle Schiffe“ anwendbar sein sollen, setzen mithin nicht etwa stets die in Teil A von Kapitel I festgelegten Einschränkungen außer Kraft. 20 Regel I/1 a) SOLAS lautet z. B.: „Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, finden diese Regeln nur für Schiffe Anwendung, die in der Auslandfahrt eingesetzt sind.“ Regel I/3 a) SOLAS lautet. „Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, gelten diese Regeln nicht für … [Auflistung der Ausnahmeregelungen in lit. i) bis vi)]“. 21 So die Überschrift des Kapitels. 22 Hervorhebung durch Verf. 23 Der Terminus „alle Schiffe“ ist für das Kapitel V in Regel V/2.3 definiert als „jedes Schiff, Boot oder sonstige Wasserfahrzeug, unabhängig von Art und Verwendungszweck“. 24 Regel V/1.1 setzt damit sowohl die Einschränkung nach Regel I/1 a) außer Kraft, wonach SOLAS nur auf in der Auslandfahrt eingesetzte Schiffe Anwendung findet („Schiffe auf allen Reisen“), als auch die Ausnahmeregelungen nach Regel I/3 a) („sämtliche Schiffe“). 25 Das betrifft praktisch freilich nur diejenigen Regeln des Kapitels V, die tatsächlich materiell-rechtliche Standards direkt für Schiffe aufstellen, i. e. die Regeln 15 bis 35. Die Regeln 4 bis 14 des KapitelsV wendet sich hingegen an die Unterzeichnerstaaten selbst und verpflichten diese zur Einrichtung bestimmter Institutionen und Systemen, wie Meteorologischer Dienste, Such- und Rettungsdienste für Notfälle oder Systeme zur Schiffswegeführung; jeweils einschließlich der notwendigen Maßnahmen zur Bereitstellung eines entsprechenden Funkverkehres mit den Schiffen. In den Regeln 15 bis 35 werden den Schiffen v. a. Pflichten über die Anschaffung und den Gebrauch von bestimmter elektronischer Navigationsausrüstung auferlegt. Daneben finden sich Vorgaben zu regelmäßig durchzuführenden Erprobungen und Übungen oder zur Sicht von der Kommandobrücke sowie die an den Kapitän eines jeden Schiffes gerichtete Pflicht zur Meldung von Gefahren für die Schifffahrt. Insgesamt statuiert Kapitel V der SOLAS-Anlage damit überwiegend Verpflichtungen, die entweder unabhängig von der Bauart des Schiffes sind oder aber durch schlichte Nachrüstung einzelner Ausrüstungsgegenstände erfüllt werden können. Darüber hinaus enthalten auch die einzelnen Stan-
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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3. Einschränkung auf „Schiffe in der Auslandfahrt“ SOLAS erfasst gemäß Regel I/1 a) grundsätzlich nur Schiffe, die „in der Auslandfahrt eingesetzt“ sind. Der Begriff der „Auslandfahrt“ ist definiert als „eine [See-, d. Verf.] Reise von einem Staat, auf den dieses Übereinkommen Anwendung findet, nach einem Hafen außerhalb dieses Staates oder umgekehrt“.26
Unter der Formulierung „Reise von einem Staat …“ ist das Verlassen der Hoheitsgewässer27 desjenigen Staates zu verstehen, dessen Hafen unmittelbar zuvor angelaufen wurde, und die Einfahrt in die Hoheitsgewässer eines anderen Staates mit dem Ziel des Anlaufens eines Hafens dieses oder eines anderen, vom Staat des vorherigen Hafens verschiedenen Staates, oder umgekehrt. Der Rechtsauffassung, wonach es für das Vorliegen des Merkmals „Einsatz in der Auslandfahrt“ (soweit dieses Merkmal abseits von SOLAS auch Voraussetzung für die Geltung von LLC und MARPOL ist) nicht nur darauf ankomme, ob das Schiff tatsächlich ausländische Häfen anlaufe, sondern darauf, ob das Schiff dazu (durch den Besitz eines SOLAS-Zeugnisses28) „auch berechtigt sei“, ist das Verwaltungsgericht Hamburg in einem Urteil vom 9. Februar 2017 zu Recht entgegengetreten29. dards in den Regeln V/15 bis V/35 wiederum zahlreiche Einschränkungen, etwa bezüglich der BRZ. 26 Regel I/2 d) SOLAS. 27 Als „Hoheitsgewässer“ wird ein Gebiet der See bezeichnet, in dem eine Staatsgewalt unbeschränkt Hoheitsgewalt (i.S.v. Territorialgewalt) ausübt. Nach heutiger Auffassung erstreckt sich das Hoheitsgewässer eines Staates bis zu einer Entfernung von 12 Seemeilen ab der Basislinie (vgl. Art. 3 SRÜ). (Doehring, Völkerrecht, Rn. 101 und 106. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 40 Rn. 1 und § 41 Rn. 1. Dazu auch Vitzthum/Proelss, Völkerrecht, 5. Abschnitt, Rn. 36. Ausführlich dazu Vitzthum, in: Vitzthum/Hafner, Handbuch des Seerechts, Kapitel 2, III., Rn. 42 ff. und Rn. 110 ff., der allerdings den Rechtsstatus des Küstenmeeres von dem der inneren Gewässer abgrenzt und die Befugnisse über das Küstenmeer als „aquitoriale Souveränität“ bezeichnet.) 28 Zur (nationalen) Durchsetzung der Einhaltung der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW durch die Pflicht zur Beantragung eines entsprechenden Zeugnisses bei dem jeweiligen Flaggenstaat siehe im 2. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. II. 1. und 2. a. 29 Az. 5 K 2846/14 (rechtskräftig; nicht veröffentlicht). Die BG Verkehr hatte die von einem als Traditionsschiff eingesetzten Schiff unter der Bundesflagge beantragte Erteilung eines Internationalen Freibord-Zeugnisses nach LLC sowie eines Zeugnisses nach MARPOL abgelehnt. Zur Begründung hatte sie angeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der beiden Zeugnisse nicht vorlägen, da die Zeugnisse nur für Schiffe erteilt werden könnten, die „in der Auslandsfahrt eingesetzt“ werden. Zur Erfüllung dieses Merkmals komme es nicht nur darauf an, ob das Schiff tatsächlich ausländische Häfen anlaufe, sondern zusätzlich darauf, ob das Schiff dazu auch berechtigt sei. Dies sei bei dem Schiff nicht der Fall, da es nur über ein nationales Sicherheitszeugnis verfüge, dessen Erlaubniswirkung auf Inlandsfahrten beschränkt sei (für alles: S. 3). Das Schiff verfüge nicht über ein international gültiges Sicherheitszeugnis, das auch zur Auslandsfahrt berechtige. Insbesondere verfüge das Schiff nicht über ein SOLASZeugnis. Damit sei das Schiff „nicht generell für die Auslandsfahrt zugelassen“ (S. 4). Das Verwaltungsgericht Hamburg hat der gegen diese Rechtsauffassung gerichteten der Klage des
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Keine „Auslandfahrten“ sind nach der Definition in Regel I/2 d) SOLAS Fahrten, während derer fremde Hoheitsgewässer zwar befahren werden, das Schiff zum Ende der Fahrt – ggf. auch erst nach mehreren Tagen auf See – aber zu einem deutschen Hafen zurückkehrt, ohne zwischenzeitlich in einem fremden Hafen angelegt zu haben.30 Obgleich derartige Fahrten für Fahrzeuge der Berufsschifffahrt untypisch sind, sind sie im Törnplan von Traditionsschiffen häufiger anzutreffen. Kleinere, saisonal betriebene Traditionsschiffe – Segler z. B. – unternehmen teilweise während des Sommers nur eine einzelne Auslandfahrt und sind im Übrigen ausschließlich in nationalen Gewässern unterwegs, etwa für Tagesfahrten oder für mehrtägige Fahrten entlang der Küste. Diese Besonderheit der Traditionsschiffe vermittelt der Überlegung Relevanz, ob mit der Formulierung „eingesetzt“ in der Auslandfahrt i.S.v. Regel I/1 a) SOLAS zu verbinden sein könnte, dass ein Schiff Auslandfahrten mit einer gewissen Regelmäßigkeit unternimmt. In diesem Fall wären saisonal betriebene Traditionsschiffe, welche z. B. nur einmal jährlich einen ausländischen Hafen anlaufen (bspw. im Fahrtgebiet Ostsee eine einzelne Fahrt im Sommer zu einem dänischen Hafen), u. U. nicht „in der Auslandfahrt eingesetzt[e]“ Schiffe. Die Formulierung „eingesetzt in der Auslandfahrt“ könnte adjektivisch zu verstehen sein, d. h. dahin, dass ein Schiff Auslandfahrten mit einer bestimmten Regelmäßigkeit unternehmen muss, sodass dieser Fahrtbetrieb dem Schiff gleichsam charakteristisch anhängt. Ob eine solche Interpretation geboten ist, ist im Wege der Auslegung der Formulierung „eingesetzt in der Auslandfahrt“ zu bestimmen. Die Regeln der maritimen Übereinkommen sind, wie jeder andere völkerrechtliche Vertrag, nach den Vorgaben der Art. 31 bis 33 WVRK auszulegen. Nach Art. 31 Abs. 1 und Abs. 2 WVRK steht zunächst der Wortlaut einer Bestimmung im Vordergrund, d. h. die gewöhnliche Bedeutung eines Ausdruckes sowie seine Bedeutung im Zusammenhang des gesamten Vertrages.31 Danach ist eine adjektivische InterSchiffsbetreibers auf Verpflichtung der BG Verkehr zur Erteilung eines Zeugnisses nach LLC und nach MARPOL mit überzeugender Begründung stattgegeben. Weder der Erteilung eines Zeugnisses nach LLC, noch nach MARPOL stehe es, so das Verwaltungsgericht Hamburg richtiger Weise, entgegen, dass das Schiff nicht im Besitz eines SOLAS-Zeugnisses sei (S. 9 ff.). SOLAS formuliere grundsätzlich ein unbeschränktes Nebeneinander zu anderen Rechtsquellen. Weder aus den Regelungen von LLC, noch von MARPOL, noch von SOLAS folge eine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass eine fehlende Zulassung nach SOLAS etwa eine Sperrwirkung im Hinblick auf die Erteilung anderer internationaler Zeugnisse begründen könne. 30 Umgekehrt unterfallen Schiffe, die zwischen den Häfen verschiedener Pazifik-Inseln verkehren, die zum gleichen Staat gehören, nicht den SOLAS-Anforderungen (mit Ausnahme von Kapitel V), obwohl die Fahrten – wenn auch „inländisch“ – teilweise mehrere Tage auf Hochseegewässern umfassen. Dies führt zu der Problematik, dass auf diesen Strecken zum Teil sog. sub-Standard Schiffe eingesetzt sind. Vgl. zu dieser Problematik eingehend Bevan Marten, SOLAS Article VII and Pacific Island Passenger Service, in: Basedow u. a., The Hamburg lectures on Maritime Affairs, 2011 – 2013, S. 241 ff. 31 Vgl. die Erläuterungen der Völkerrechtskommission, YBILC 1966, Bd. II, S. 220. Vgl. auch Gardiner, Treaty interpretation, S. 184 ff. m.w.N. Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, Vienna convention on the law of treaties, Art. 31 Rn. 41.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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pretation, die verlangt, dass ein Schiff Auslandfahrten mit einer gewissen Regelmäßigkeit unternehmen muss, um in der Auslandfahrt „eingesetzt“ zu sein, abzulehnen. Die Formulierung des „Einsatzes in der Auslandfahrt“ ist vielmehr weit zu verstehen. Unabhängig davon, ob der Formulierung für sich genommen die beschriebene adjektivische Bedeutung zugemessen werden kann, ist jedenfalls gemäß Art. 31 Abs. 1 WVRK nicht am reinen Wortsinn der Formulierung zu haften. Die Formulierung ist vielmehr „in ihrem Zusammenhang“ und „im Lichte“ des „Zieles und Zweckes“ des Vertrages zu sehen. Regel I/1 a) SOLAS steht im Zusammenhang mit Regel I/4 a) SOLAS. Nach letzterer Regel kann ein Schiff, welches „für gewöhnlich nicht in der Auslandfahrt eingesetzt ist, [aber, d. Verf.] aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine einzelne Auslandfahrt unternehmen [muss, d. Verf.]“,
u. U. von den Anforderungen von SOLAS „befreit werden“. Im Umkehrschluss lässt sich dieser Regel entnehmen, dass ein Schiff bereits dann der Geltung von SOLAS unterliegt, wenn es nur eine einzelne Auslandfahrt unternimmt. Denn gälte SOLAS in diesem Fall bereits nach Regel I/1 a) nicht, so wäre keine Befreiung von seinen Anforderungen notwendig; Regel I/4 a) SOLAS wäre überflüssig. Zudem entspricht es dem Sinn und Zweck von SOLAS, jedes Anlaufen eines ausländischen Hafens genügen zu lassen. Regel I/1 a) SOLAS zielt darauf ab, allein Schiffe von der Geltung auszuschließen, die ausschließlich in der nationalen Fahrt unterwegs sind. Denn nur in diesem Fall sind keine internationalen Regelungen erforderlich, da die Interessen anderer Staaten nicht berührt sind. Somit erfasst SOLAS – weitgehend mit Ausnahme des Kapitels V – als Regelungsgegenstand alle Traditionsschiffe, welche sich nicht ausschließlich in der nationalen Fahrt bewegen. Das dürfte die meisten etwas größeren Traditionsschiffe betreffen, die Gäste an Bord nehmen und bei ihren (meist mehrtägigen) Fahrten auch ausländische Häfen anlaufen. 4. Einschränkung durch Ausnahmeregelungen Die weitgehendste Einschränkung erfährt der Anwendungsbereich von SOLAS („alle Schiffe“) mit Bezug auf Traditionsschiffe durch verschiedene Ausnahmeregelungen, die in Regel I/3 a) lit. i) bis vi) SOLAS normiert sind. Die für Traditionsschiffe relevanten Ausnahmeregelungen – i. e. „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ (nachfolgend a.), „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ (b.), „Holzschiffe einfacher Bauart“ (c.) und „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ (d.) – werden im Folgenden daraufhin untersucht, inwieweit sie Traditionsschiffe erfassen.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
a) „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ Nach Regel I/3 a) lit. ii) SOLAS gelten die Regeln des Übereinkommens nicht für „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“. Die ganz überwiegende Zahl der Traditionsschiffe verfügt über eine BRZ von weniger als 500. In aller Regel nehmen Traditionsschiffe jedoch bei Fahrten Gäste an Bord, um diesen das Schiff und den Betrieb desselben zu demonstrieren. Dies lässt zunächst vermuten, dass diese Traditionsschiffe stets als „Fahrgastschiff“ i.S.v. SOLAS anzusehen sein müssten, und nicht als „Frachtschiff“, sodass die Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. ii) SOLAS für sie grundsätzlich ohne Relevanz wäre. Ein Blick auf die in SOLAS (Kapitel I der Anlage) enthaltenen Definitionen der Begriffe „Fahrgast-“ und „Frachtschiff“ ergibt eine differenziertere Rechtslage. Ein Frachtschiff ist nach der Definition in Regel I/2 g) SOLAS „ein Schiff, das kein Fahrgastschiff ist“.32 Ein „Fahrgastschiff“ ist nach der Definition in Regel I/2 f) SOLAS „ein Schiff, das mehr als zwölf Fahrgäste befördert“, wobei der Begriff des „Fahrgastes“ in Regel I/2 e) SOLAS definiert ist als „jede Person mit Ausnahme i) des Kapitäns und der Mitglieder der Schiffsbesatzung oder anderer Personen, die in irgendeiner Eigenschaft an Bord eines Schiffes für dessen Belange angestellt oder beschäftigt sind, und ii) der Kinder unter einem Jahr“.
Ein „Frachtschiff“ i.S.v. Regel I/2 g) SOLAS ist mithin jedes Schiff, dass bis zu 12 Fahrgäste befördert. Folglich erfasst die Ausnahme in Regel I/3 a) lit. ii) SOLAS in jedem Fall Traditionsschiffe mit einer BRZ von weniger als 500, die (keine oder) nur bis zu 12 Gäste an Bord nehmen. (1) Mehr als 12 Mitfahrer auf Traditionsschiffen: „Fahrgäste“ oder „an Bord beschäftigte Personen“? Fraglich ist, ob alle Gäste, die bei Traditionsschiffen an Bord gehen, um den Betrieb des Schiffes unmittelbar erleben zu können, stets „Fahrgäste“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS darstellen. Mit an Bord gehende Personen, die zu Demonstrationszwecken aktiv in den Betrieb des Schiffes eingebunden werden und dafür an Bord dem Schiffsbetrieb zuzuordnende Tätigkeiten ausüben, könnten u. U. nicht als „Fahrgäste“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS zu qualifizieren sein, sondern als „andere Personen, die in irgendeiner Eigenschaft an Bord des Schiffes für dessen Belange beschäftigt 32 Neben den Schiffstypen, die in weiteren Ausnahmeregelungen in Regel I/3 a) SOLAS genannt sind, wie Fischereifahrzeuge (Regel I/3 a) lit. vi) SOLAS), wird in SOLAS allein zwischen den beiden Schiffstypen „Fahrgastschiff“ und „Frachtschiff“ unterschieden. Vgl. zur Einordnung von Schiffen in Kategorien entsprechend ihrem Verwendungszweck nach SOLAS bei Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 423 ff., die Anlehnung an der – inzwischen freilich als historisch überholt zu bezeichnenden – Einordnung bei Schaps/Abraham von 1959 nehmen (Vgl. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht, Teil 1, S. 234 ff.).
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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sind“ (Regel I/2 e) lit. i) SOLAS) und mithin faktisch als Teile der Besatzung (im weitesten Sinne33).34 In diesem Fall wären die Traditionsschiffe – ganz überwiegend Segler –, sofern ihre BRZ weniger als 500 beträgt, auch wenn sie mehr als 12 Personen an Bord nehmen, rechtlich ein „Frachtschiff“ i.S.v. Regel I/2 g) SOLAS und unterfielen der Ausnahme in Regel I/3 a) lit. ii) SOLAS. Die Folge wäre, dass die Erfüllung der materiell-rechtlichen Anforderungen von SOLAS von diesen Schiffen – mit Ausnahme des Kapitels V – nicht zwingend gefordert wäre. (a) Besonderheiten von Gästefahrten auf Traditionsschiffen Praktisch lassen sich in vielen Fällen Unterschiede zwischen Gästefahrten auf Traditionsschiffen und auf „klassischen“ Kreuzfahrt- oder Fährschiffen feststellen. Die Unterschiede werden deutlich, wenn Mitfahrer auf Traditionsschiffen aktiv in den Schiffsbetrieb eingebunden werden. Teil ihres Erlebnisses an Bord besteht in diesem Fall darin, in die täglichen Abläufe eingebunden zu werden, d. h. neben Hilfsarbeiten an Deck etwa in das Setzen und Bergen von Segeln oder das Aufschießen von Leinen oder Spleißen. Demgegenüber geht der Fahrgast eines Kreuzfahrt- oder Fährschiffes in aller Regel allein zur Entgegennahme der Beförderungsleistung bzw. zur Erholung an Bord des Schiffes. Unterschiede gibt es mithin in den Beweggründen für das An-Bord-Gehen und entsprechend auch in den Erwartungshaltungen der Gäste.
33 Wie die in Regel I/2 e) SOLAS enthaltenen Definition des „Fahrgastes“ verdeutlicht, wird in SOLAS in Bezug auf an Bord gehende Personen (abseits von Kindern unter einem Jahr) allein zwischen „Fahrgästen“ und „Besatzungsmitgliedern“ unterschieden, wobei der Kapitän und die „Personen, die in irgendeiner Eigenschaft an Bord eines Schiffes für dessen Belange angestellt oder beschäftigt sind“ im weitesten Sinne ebenfalls der Besatzung zugerechnet werden (Vgl. Wegelein, Marine scientific research, S. 128.). Jede Person an Bord, die nicht Teil dieser Besatzung im weitesten Sinne ist, ist nach SOLAS automatisch ein „Fahrgast“. 34 Vertreter der Traditionsschifffahrt stellen sich auf diesen Standpunkt, wenn die Personen an Bord aktiv in den Schiffsbetrieb eingebunden werden. So legt ein unter deutscher Flagge fahrendes Traditionsschiff auf seinem Internetauftritt dar: „… Zentral ist […] die Frage, ob Mitreisende auf Traditionsschiffen durch ihre aktive Einbeziehung in den Schiffsbetrieb zur Crew zählen oder wegen ihres finanziellen Beitrags zum Schiffsunterhalt als klassische Fahrgäste gewertet werden sollen“ (abrufbar unter lovis.de/lovis-bleibt/). Auch die GSHW e.V. vertritt diese Position auf ihrem Internetauftritt: „… Auch handelt es sich bei den Gastbesatzungen nicht um Passagiere im herkömmlichen Sinne, da es bei Fahrten auf Traditionsschiffen nicht um den Personentransport, sondern um die Teilnahme am Schiffsbetrieb oder um dessen Demonstration geht. …“ (abrufbar unter www.gshw.de/de/Daenemark.html). Beuse unterteilt Personen, die an Fahrten auf Traditionsschiffen teilnehmen, in „Mitsegler“ und „Trainees“. „Mitsegler“ definiert sie als „Personen, die entgeltlich an Fahrten auf Traditionsschiffen teilnehmen, ohne dabei Aufgaben an Bord zu übernehmen“. „Trainees“ seien demgegenüber „Personen, die gegen Entrichten eines Törnbeitrages oder eines Tagessatzes an Fahrten auf Traditionsschiffen und auf diesen Fahrten entsprechend ihrer Eignung und Vorkenntnisse nach Einweisung und unter Aufsicht der Stammcrew bestimmte Aufgaben übernehmen“. „Trainees“ seien Mitglieder der „Crew“ an Bord, „Mitsegler“ hingegen nicht. (Beuse, Ausbildung auf Traditionsschiffen, S. XI.)
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Fahrten auf Traditionsschiffen, bei denen es um die Demonstration des Schiffes geht, oft keinem festen Fahrplan folgen und damit keine Verkehrsfunktion ausüben. Häufig werden, besonders bei Seglern, bspw. nur ein zeitlicher Rahmen und eine ungefähre Route für die Fahrt vorgegeben. Der genaue Ablauf der Fahrt wird indes erst bei deren Beginn mit den Mitfahrern je nach den dann aktuellen Gegebenheiten etwa zu Wind und Wellengang festgelegt. Ferner kann die Fahrt mit einem Traditionsschiff, insbesondere bei widrigen Wetterverhältnissen, auch deutlich weniger Annehmlichkeiten bieten, als Fahrgäste dies etwa bei einer Erholungsfahrt erwarten. Andererseits sind die Mitfahrer auf Traditionsschiffen auch einem „klassischen“ Mannschaftsmitglied insoweit nicht vergleichbar, als sie überwiegend keine fachlichen Kenntnisse, keine Erfahrungen im Umgang mit Schiffen und See, keine Erfahrungen, wie „seefest“ sie physisch und psychisch sind sowie keine Erfahrungen im Umgang mit Notsituationen auf See haben. Die Handlungsabläufe an Bord werden Mitfahrern in aller Regel nicht vertraut sein. Die maßgebliche Frage ist vor diesem Hintergrund, ob sich aktiv in den Schiffsbetrieb eingebundene Mitfahrer auf Traditionsschiffen so signifikant von einem „klassischen“ Fahrgast unterscheiden, dass der Unterschied es rechtfertigt, sie nicht als „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS anzusehen. Zur Beantwortung dieser Frage ist der Begriff des „Fahrgastes“, soweit er „andere[r] Personen, die in irgendeiner Eigenschaft an Bord eines Schiffes für dessen Belange angestellt oder beschäftigt sind“,
von der Fahrgast-Eigenschaft ausnimmt, im Wege der Auslegung daraufhin zu untersuchen, wie weit oder restriktiv er zu verstehen ist und anhand welcher Kriterien er eine Trennung des „Fahrgastes“ von „an Bord des Schiffes für dessen Belange angestellten oder beschäftigten Personen“ vollzieht. (b) „angestellt“ und „beschäftigt“ an Bord eines Schiffes Aufschluss kann insoweit geben, welche Bedeutung den Bestimmungen einer an Bord eines Schiffes „angestellten“ und an Bord eines Schiffes „beschäftigten“ Person gemäß Regel I/2 e) lit. i) SOLAS zukommt. Die Verwendung der beiden unterschiedlichen Verben „angestellt“ und „beschäftigt“ (im engl. bzw. frz. Text von SOLAS „employed“/„employé“ und „engaged“/„occupé“35) impliziert, dass zwei unterschiedliche Tätigkeitsverhältnisse gemeint sind, da es andernfalls genügt hätte, ein einheitliches Verb zu verwenden. Das Verb „beschäftigt“ könnte dabei weiter zu 35 In der englischen Fassung von SOLAS lautet die Definition des Fahrgastes: „A passenger is every person other than: the master and the members of the crew or other persons employed or engaged in any capacity on board a ship on the business of that ship […]“ (Hervorhebung d. Verf.). Die Definition des Fahrgastes in der französischen Fassung lautet: „un passager s’entend de toute personne autre que: le capitaine et les membres de l’équipage ou autres personnes employées ou occupées en quelque qualité que ce soit a bord d’un navire pour les besoins de ce navire […]“ (Hervorhebung d. Verf.).
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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verstehen sein, als das Verb „angestellt“, und infolgedessen möglicher Weise Personen an Bord eines Traditionsschiffes erfassen. Es ist demnach mittels Auslegung zu untersuchen, was eine „an Bord eines Schiffes für dessen Belange beschäftigt[e]“ Person von einer dort „angestellt[en]“ Person abgrenzt. (aa) Gewöhnliche Wortbedeutung Den Ausgangspunkt einer solchen Auslegung bildet nach Art. 31 Abs. 1 WVRK zunächst der Wortlaut einer Bestimmung im Sinne von deren gewöhnlicher Wortbedeutung.36 Das Verb „beschäftigt“ („engaged“ bzw. „occupé“), zunächst nur für sich betrachtet, ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch vorrangig gebräuchlich mit dem Sinn von „beruflich beschäftigt sein“, für etwas „angestellt“ sein oder sich (verbindlich) zu etwas „verpflichtet“ haben; auch „in Dienst getreten“ zu sein oder „angeheuert“ zu haben.37 Dies lässt zunächst keinen substantiellen Unterschied zu dem Verb „angestellt“ erkennen. Insoweit ist die Auslegung nach der gewöhnlichen Wortbedeutung mithin unergiebig. (bb) Fachspezifische Wortbedeutung Die bezeichneten Verben müssen weiter gemäß Art. 31 Abs. 1 WVRK nach der ihnen „in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung“ ausgelegt werden. Neben der gewöhnlichen Wortbedeutung ist damit auf den fachspezifischen Sprachgebrauch einer Bestimmung abzustellen, sofern sich ein solcher identifizieren lässt.38 Folglich ist danach zu fragen, welche Bedeutung dem Verb „beschäftigt“– nicht nur im allgemeinen, sondern ggf. auch im juristischen Sprachgebrauch – im Zusammenhang mit „an Bord eines Schiffes“ zukommt. In diesem Zusammenhang wird das Verb, zumindest im europäischen Rechtsraum, mit an Bord eines Schiffes „verpflichtet“39 oder „angeheuert“40, auch „angemustert“41 gebraucht. Diese Verben 36 Vgl. die Erläuterungen der Völkerrechtskommission, YBILC 1966, Bd. II, S. 220. Vgl. auch Gardiner, Treaty interpretation, S. 184 ff. m.w.N. Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, Vienna convention on the law of treaties, Art. 31 Rn. 41. 37 Springer u. a., Langenscheidts enzyklopädisches Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache; Weis u. a., Langenscheidts Großwörterbuch Französisch. 38 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 6. 39 So in Abänderung 21, Artikel 6 Absatz 1 des Änderungsvorschlages zur Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über die zivilrechtliche Haftung und die Sicherheitsleistungen von Schiffseignern auf KOM(2007) 674 endg., S. 3, wo es heißt: „… zum Schutz der an Bord dieses Schiffes beschäftigten oder verpflichteten Seeleute … “ („… to protect the seafarers employed or engaged on board the ship …“) (Hervorhebungen durch Verf.). 40 So im Anhang in Paragraph (sic) 2 c) zur Richtlinie 1999/63/EG des Rates zu der vom Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (…) und dem Verband der Verkehrsgewerkschaften in der Europäischen Union (…) getroffenen Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten, wo es heißt: „ … bedeutet der Ausdruck ,Seeleute‘ alle Personen, die in irgendeiner Eigenschaft an Bord eines Seeschiffes (…) beschäftigt oder angeheuert sind …“ („ … the term ,seafare‘ means any person who is employed or engaged in any capacity on board a seagoing ship …“) (Hervorhebungen durch Verf.).
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
beziehen sich alle auf ein berufliches Verhältnis zur Seefahrt. Dies lässt es möglich erscheinen, dass sowohl das Verb „angestellt“, als auch „beschäftigt“ ausschließlich auf Seeleute (im Sinne des Berufes) abstellt, und mit der Verwendung zweier verschiedener Verben lediglich den potentiell unterschiedlichen Ausgestaltungen von Heuerverträgen42 Rechnung getragen wird. Eine mögliche Unterscheidung könnte sein, ob die Seeleute dauerhaft (dann „angestellt“) oder nur vorübergehend (dann „beschäftigt“) zum Dienst gegen Lohn auf dem Schiff verpflichtet sind.43 In diesem Fall wäre der Begriffsbestandteil der „andere[n] Personen, die in irgendeiner Eigenschaft an Bord eines Schiffes für dessen Belange angestellt oder beschäftigt sind“, insgesamt eher restriktiv auszulegen und anhand der beruflichen Stellung von „Fahrgästen“ zu unterschieden. (cc) Wortlautbedeutung im weiteren Vertragszusammenhang und nach dem Telos von SOLAS Neben der gewöhnlichen und der fachspezifischen Wortlaubedeutung einer Bestimmung ist gemäß Art. 31 Abs. 1 WVRK weiter deren Bedeutung im Zusammenhang des gesamten Vertrages in die Auslegung einzubeziehen.44 Zudem hat sich die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags nach Art. 31 Abs. 1 WVRK an dessen Ziel und Zweck zu orientieren, dem sog. Telos, wodurch dem Vertrag die größtmögliche Effektivität verschafft werden soll (teleologische Auslegungsmethode).45 SOLAS zielt auf den Schutz menschlichen Lebens auf See.46 Dazu unterteilt das Übereinkommen die Schiffe, die es erfasst, in zwei grundlegende Kategorien, in „Fahrgastschiffe“ und in „Frachtschiffe“. Ganz ursprünglich war SOLAS allein für Fahrgastschiffe konzipiert.47 Um die Geltung für „Frachtschiffe“ wurde das Über41
Schreiber/Rinke, Wörterbuch der Seeschifffahrt. Der Begriff „Heuerverhältnis“ bezeichnet allgemein das Arbeitsverhältnis von Besatzungsmitgliedern auf Schiffen. Vgl. dazu Lindemann, Seearbeitsgesetz und Manteltarifvertrag für die deutsche Seeschifffahrt, § 3 Beschäftigungsbedingungen, Vorbemerkungen, Rn. 1 ff. 43 Bis in die Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts war es üblich, Seeleute stets nur für eine bestimmte Reise anzuheuern. Später setzte sich auch mehr und mehr die „Anheuerung auf Zeit“ durch (Haerle, Der Heuervertrag der Schiffsmannschaft und der Schiffsoffiziere nach seiner privatrechtlichen Seite, S. 6). Nach heutigem Rechtsgebrauch würde wohl danach unterschieden werden, ob die Seeleute mit festen Anstellungsverträgen (Heuerverträgen, vgl. § 28 SeeArbG) oder etwa auf Grundlage von Werkverträgen an Bord beschäftigt sind. 44 Vgl. die Erläuterungen der Völkerrechtskommission, YBILC 1966, Bd. II, S. 220. Vgl. auch Gardiner, Treaty interpretation, S. 184 ff. m.w.N. Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, Vienna convention on the law of treaties, Art. 31 Rn. 41. 45 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 10. 46 Vgl. Satz 1 der Präambel von SOLAS: „ … IN DEM WUNSCH […] das menschliche Leben auf See zu schützen …“ 47 Vgl. Art. 2 Abs. 1 der SOLAS-Fassung von 1914: „ … the merchant ships of any of the states of the High Contracting Parties […] which carry more than twelve passengers […] are subject to the provisions of this Convention“. 42
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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einkommen erst mit der Fassung von 1929 erweitert.48 An beide Schiffstypen werden in den materiell-rechtlichen Standards unterschiedliche Sicherheitsanforderungen gestellt. Dem Begriff „Frachtschiff“ kommt dabei eine Auffangfunktion zu insoweit, als er alle Schiffe erfasst, die keine Fahrgastschiffe sind und die unter keine der Ausnahmeregelungen der Regel I/3 a) der Anlage fallen. Hintergrund der getroffenen Unterteilung ist, dass („klassische“) Fahrgäste ein anderes Verhältnis zu dem Schiff haben, als die Mitglieder der Besatzung. Fahrgäste können bspw. die an Bord gebotene Sicherheit nur schwer beurteilen, da sie mit den entsprechenden Anforderungen und Abläufen nicht vertraut sind, während Besatzungsmitglieder in Sicherheitsabläufen geschult werden. Ein Besatzungsmitglied hat dadurch auf seine Sicherheit an Bord zumindest teilweise selbst Einfluss und ist sich dessen auch bewusst. Ein Fahrgast hingegen vertraut sich dem Schiff und seiner Besatzung an. Ein Fahrgast wird zudem eine andere Erwartungshaltung haben, da er in der Regel für seine Mitnahme an Bord ein Entgelt zahlt und es dementsprechend als selbstverständlich ansehen wird, dass bei der dem Entgelt gegenüberstehenden Leistung die Gewährleistung seiner Sicherheit mit „enthalten“ ist. Mit dieser Erwartungshaltung wird etwa auch verbunden sein, dass ein Fahrgast sich vorstellt, so wenig wie möglich selbst zu Sicherheitszwecken aktiv werden zu müssen. Ein Fahrgast möchte sich darauf verlassen, dass für seine Sicherheit bereits alles Nötige an Bord veranlasst und vorhanden ist. Diesen Unterschieden ist durch die verschiedenartige Ausgestaltung der materiell-rechtlichen Anforderungen von SOLAS an Fahrgast- und Frachtschiffe Rechnung getragen. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Unterscheidung verlangt der Telos von SOLAS (Schutz menschlichen Lebens auf See), dass die Systematik der für Fahrgastund Frachtschiffe unterschiedlich zugeschnittenen Anforderungen nicht umgangen wird. Dieser Intention und der hohen Bedeutung des zu schützenden Rechtsgutes würde es zuwiderlaufen, wenn die Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. ii) SOLAS („Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“) weit ausgelegt würde und an Bord mitfahrende Personen allein durch eine (auch aktive) Einbeziehung in den Schiffsbetrieb zu einer „an Bord beschäftigten“ Person würden, ohne indes gleichwertig in Sicherheitsvorkehrungen unterwiesen und geschult zu sein. Denn die Geltung der entweder auf Fahrgäste oder auf Berufsseeleute ausgerichteten materiell-rechtlichen Anforderungen von SOLAS wäre sonst schon durch die Einbeziehung der Mitfahrer in Arbeiten an Bord in geringstem Umfang steuerbar. Zudem ist es praktisch kaum nachprüfbar, ob mit an Bord genommene Personen tatsächlich umfassend aktiv in den Schiffsbetrieb eingebunden werden und ob und inwieweit sie vorab eine Sicherheitseinweisung sowie ggf. auch Training erhalten. 48 Vgl. Art. 2 Abs. 1 der SOLAS-Fassung von 1929: „The provisions of the present convention shall apply to ships […] as follows: […] Chapter IV. – (Radiotelegraphy) To all ships engaged on international voyages except cargo ships of less than 1,600 tonns gross tonnage. Chapter V. – (Safety of Navigation) To all ships on all voyages.“ Definiert wurde der Begriff des Frachtschiffes jedoch erst in der SOLAS-Fassung von 1948, vgl. Regel I/2 g): „A cargo ship is any ship which is not a passenger ship“.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Eine Auslegung, die solche Mitfahrer gleichwohl vom Begriff des „Fahrgastes“ als „an Bord eines Schiffes für dessen Belange beschäftigte“ Personen ausnehmen würde, würde mithin Umgehungsmöglichkeiten eröffnen, die von den Staaten nur schwerlich beabsichtigt gewesen sein können. Nach alldem sprechen der Telos und die Gesamtsystematik von SOLAS überwiegend dafür, dass Personen, die sich dem Schiff anvertrauen und sich darauf verlassen, dass ihre Sicherheit auch ohne ihr weiteres Zutun gewährleistet wird, stets als Fahrgäste angesehen werden müssen, unabhängig davon, ob und wie aktiv sie mit Arbeiten an Bord tätig sind. Der Telos und die Systematik des Übereinkommenstextes insgesamt deuten mithin ebenso, wie bereits die gewöhnliche und die fachspezifische Wortlautbedeutung der Verben „angestellt“ und „beschäftigt“, auf eine restriktive Auslegung der Formulierung „andere Personen, die in irgendeiner Eigenschaft an Bord eines Schiffes für dessen Belange angestellt oder beschäftigt sind“ hin sowie auf eine Abgrenzung danach, ob sich die mitfahrende Person dem Schiff anvertraut und die Gewährleistung ihrer Sicherheit weitgehend ohne eigenes Zutun erwartet. (c) Positionen der Staaten Gemäß Art. 31 Abs. 3 b) WVRK ist für eine Auslegung ferner (u. a.) jede spätere „Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht“, heranzuziehen. Diese Regelung ist ein Ausdruck des Grundsatzes, dass die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages in erster Linie den Vertragsparteien selbst zusteht.49 Die spätere Übung spiegelt dabei wider, welche Bedeutung die Vertragsparteien einem Rechtsbegriff beimessen.50 Die im einleitenden Teil der vorliegenden Arbeit erwähnte Umfrage unter verschiedenen Unterzeichnerstaaten des SOLAS-Übereinkommens51 wurde durchgeführt, um zu ermitteln, ob es unter den befragten Staaten in Bezug auf bestimmte Begriffe – wie etwa den des „Fahrgastes“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS – Gemeinsamkeiten in den Begriffsverständnissen gibt. Derartige Gemeinsamkeiten könnten für das Bestehen einer Übung i.S.v. Art. 31 Abs. 3 b) WVRK ein Indiz52 geben. Vorliegend hat die bezeichnete Umfrage indes ergeben, dass es in Bezug auf das Verständnis des Begriffes „Fahrgast“ und die Einordnung von aktiv in den Schiffsbetrieb eingebundenen Personen an Bord eines Traditionsschiffes unter den Staaten keine Gemeinsamkeiten zu geben scheint. Befragt danach, ob Schiffe, die ihre Mitfahrer an Bord in den Schiffsbetrieb einbinden, nach der Rechtsauffassung und der gelebten Verwaltungspraxis „Fahrgastschiffe“ i.S.v. Regel I/2 f) SOLAS darstellen, wenn mehr als 12 Personen mit an Bord genommen werden, und welche 49
Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 1. Corten/Klein, The Vienna Conventions on the Law of Treaties, S. 826. 51 Dazu in der Einleitung unter Punkt C. I. 52 „Indiz“ meint an dieser Stelle eine Art „objective evidence“ für eine Übung (Erläuterungen der Völkerrechtskommission, YBILC 1966, Bd. II, S. 221). 50
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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Bedeutung bei dieser Frage dem SPS-Code zukomme53, hat die niederländische Schifffahrtsverwaltung54 zu verstehen gegeben, dass sie die Schiffe u. U. nicht als „Fahrgastschiffe“ i.S.v. Regel I/2 f) SOLAS ansieht.55 Die dänische Schifffahrtsverwaltung56 hat demgegenüber vermittelt, dass sie die Schiffe ausnahmslos als Fahrgastschiffe ansieht.57 Es sei irrelevant, ob sich die Fahrgäste als Teil der Erfahrung, für welche sie bezahlen, teilweise oder vollständig am Schiffsbetrieb beteiligten.58 Die Schifffahrtsbehörde Australiens59 hat erklärt: „When these vessels are on an international voyage, often times the Administration and Australia come to an agreement regarding the definition of a passenger, when these passengers are engaged in a capacity onboard.“ Diese Antwort legt keinen eigenen Standpunkt zum Verständnis des Begriffes „Fahrgast“ dar. Vielmehr verdeutlicht sie noch einmal, dass in Bezug auf den Begriff des „Fahrgastes“ und die in den Schiffsbetrieb eingebundenen Mitfahrer auf Traditionsschiffe unter den Staaten keine Hinweise auf einen einheitlichen Standpunkt erkennbar sind. Somit bleibt es (an dieser Stelle) bei der restriktiven Auslegung des Fahrgastbegriffes, wie sie sich aus der Wortlautbedeutung der Begriffe „angestellt“ und „beschäftigt“ und aus dem Telos von SOLAS ergeben hat60. (d) „Spezialpersonal“ im Sinne des MSC: Das Begriffsverständnis der Staaten hinter dem SPS-Code Die Frage nach der Unterscheidung der auf Traditionsschiffen mitfahrenden Personen von „klassischen“ Fahrgästen, etwa eines Kreuzfahrtschiffes oder einer Fähre, gibt Anlass dazu, ein weiteres Auslegungsmittel in Form eines Begriffsverständnisses des MSC zum Fahrgastbegriff heranzuziehen. Dieses Begriffsverständnis findet in der Entschließung über den SPS-Code Ausdruck. Der Schaffung des SPS-Codes ging die Erwägung der Staaten voraus, dass sich bestimmte Schiffe von den beiden, in SOLAS relativ pauschal unterschiedenen 53
Zur Bedeutung eines im SPS-Code zum Ausdruck kommenden Verständnisses des Begriffes „Fahrgast“ als Auslegungsinstrument sogleich nachfolgend unter Punkt (d). 54 Inspectie Leefomgeving en Transport. 55 Die Schifffahrtsverwaltung der Niederlande hat wörtlich erklärt: „Existing ships may be certified in accordance with the SPS Code …“. Schiffe, die von dem SPS-Code erfasst sind und danach zertifiziert werden (sog. Spezialschiffe), werden nach Nummer 4 der Präambel des SPSCodes nicht als Fahrgastschiffe i.S.v. Regel I/2 f) SOLAS angesehen und behandelt. Dazu ausführlich unmittelbar nachfolgend unter Punkt (d). 56 Søfartsstyrelsen. 57 Wörtlich hat die Schifffahrtsverwaltung Dänemarks ausgeführt: „We do not use the term ,traditional ships‘. In our opinion any ship sailing commercially would constitute either a cargo ship or if carrying more than 12 passengers a passenger ship.“ 58 „… it is irrelevant if the passengers – as part of the experience they are paying for – partly or fully participates in the operation of the ship.“ 59 Australian Maritime Safety Authority. 60 Dazu zuvor unter Punkt (b) (aa) bis (cc).
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Typen des Fahrgast- und des Frachtschiffes so signifikant abgrenzen, dass sie sich keinem der beiden Schiffstypen eindeutig zuordnen lassen.61 Diese Erwägung betraf Schiffe, die (notwendig) als Plattform für die Ausübung bestimmter Arbeiten auf See dienen, wie Forschungs- oder Kabellegungsschiffe (sog. Spezialschiffe). In der Konsequenz stellten die Staaten auch fest, dass es sich bei den an Bord eines solchen Spezialschiffes – nicht für den unmittelbaren Betrieb des Schiffes selbst – arbeitenden Personen nicht um Teile der Besatzung62 handelt. Diese Überlegung betraf etwa das wissenschaftliche Personal auf Forschungsschiffe, Fischereiverarbeitungspersonal auf Fischereischiffen oder Bergungspersonal auf Bergungsschiffen. Da die eingesetzten Personen gleichwohl an Bord arbeiten und davon ausgegangen wird, dass sie „sich in einer guten Verfassung befinden und über hinreichende Kenntnisse über das Schiff verfügen und in Bezug auf die Sicherheitsverfahren und die Bedienung der Sicherheitsausrüstung des Schiffes ausgebildet wurden“63, handelte es sich bei den Personen nach Ansicht der Staaten auch nicht um „Fahrgäste“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS. Die Personen werden im SPS-Code stattdessen als „Spezialpersonal“ bezeichnet.64 Folglich handelte sich es auch bei den Schiffen nach Ansicht der Staaten nicht um Fahrgastschiffe i.S.v. Regel I/2 f) SOLAS.65 Gleichwohl waren die Anforderungen von SOLAS an Frachtschiffe für die Personen an Bord nach Ansicht der Staaten ungenügend.66 Aus diesem Grund stellten die Staaten mit dem SPS-Code Sicherheitsanforderungen auf, die sich zwischen den Anforderungen von SOLAS an Fahrgastschiffe und denen an Frachtschiffe bewegen und die
61 In den Erwägungsgründen zu der Entschließung über den SPS-Code werden diese Schiffe wie folgt beschrieben: „… besondere Arten von Schiffen mit ungewöhnlichen Entwurfs- und Betriebsmerkmalen [, die, d. Verf.] sich von denen herkömmlicher Handelsschiffe gemäß dem Internationalen Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (…) unterscheiden können …“. 62 Der Begriff „Besatzung“ ist in Regel 1.3.3 SPS-Code gesondert definiert als „alle Personen, die an Bord des Schiffes befördert werden und zuständig sind für die Navigation und Wartung des Schiffes, seiner Maschinenanlagen, Systeme und Anordnungen, die notwendig für den Antrieb und das sichere Navigieren sind, oder die Dienstleistungen für andere Personen an Bord erbringen“. Damit ist zugleich umrissen, welche Tätigkeiten an Bord dem „eigentlichen“ Schiffsbetrieb zuzuordnen sind. 63 So in Nummer 4 der Präambel des SPS-Codes. 64 Diese Einordnung kommt in einem Erwägungsgrund zu der Entschließung über den SPSCode zum Ausdruck, soweit es darin heißt: „… Ebenso unter Hinweis darauf, dass auf Grund der besonderen Art der von diesen Schiffen durchgeführten Arbeiten Spezialpersonal befördert wird, wobei es sich im Sinne des SOLAS-Übereinkommens von 1974 weder um Besatzungsmitglieder noch um Fahrgäste handelt.“ 65 So auch in Nummer 4 der Präambel des SPS-Codes. 66 Darauf weist ein weiterer Erwägungsgrund zum SPS-Code hin: „… In der Erkenntnis, dass für Spezialschiffe bestimmte Sicherheitsstandards in Ergänzung zu den im SOLASÜbereinkommen von 1974 enthaltenen erforderlich sein können … “. Ausgegangen wird hierbei davon, dass auf Spezialschiffe (nur) die an Frachtschiffe gestellten Anforderungen anzuwenden wären, da es sich bei den Schiffen nicht um Fahrgastschiffe handelt.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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nach Ansicht der Staaten dem Sondercharakter der „Spezialschiffe“ Rechnung tragen.67 Die im SPS-Code gefundene Einordung von Personen als „Spezialpersonal“ – und damit nicht als „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 f) SOLAS – ist für die vorliegend untersuchte Frage nach der Einordnung der Mitfahrer auf Traditionsschiffen von Bedeutung, da sie ursprünglich von vergleichbaren Erwägungen ausgeht. Der Zweck, zu dem sich Mitfahrer eines Traditionsschiffes auf das Schiff begeben, besteht vor allem anderen darin, das Schiff selbst in Fahrt zu erleben. Es geht darum, die Funktionsweise der Antriebstechniken unter verschiedenen Bedingungen zu erleben, die an Bord auszurichtenden Arbeiten zu erfahren und ggf. ausprobieren zu können, die Verwendung der historischen Materialien und Einrichtungen – wie Navigationseinrichtungen – nachzuvollziehen, oder auch das Ausgesetztsein gegen Wind und Wetter zu erleben. Die Einbindung in die betrieblichen Arbeiten an Bord ist dabei maßgeblich dafür, dass die mitfahrenden Personen die beschriebenen Erfahrungen machen können. Durch die Notwendigkeit des „Anbordseins“ auf dem fahrenden Schiff ist das Schiff (selbst) eine Art „Erlebnisplattform“ für die Mitfahrer, kein reines Verkehrsmittel. Anders auch als etwa bei einem Kreuzfahrtschiff, dessen Freizeitangebot überwiegend an Land in der gleichen Form, wie an Bord vermittelt werden könnte, können die Gäste eines Traditionsschiffes die beschriebenen Erfahrungen notwendiger Weise nur auf dem in Fahrt befindlichen Schiff machen. Für die rechtliche Einordung von Mitfahrern auf Traditionsschiffen wird es mithin Aufschluss geben, im Einzelnen zu untersuchen, welche Auslegung des „Fahrgast“Begriffes in den Erwägungen aus der Entschließung über den SPS-Code zum Ausdruck kommt, und v. a. anhand welcher Kriterien das „Spezialpersonal“ von einem „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS abgegrenzt wird (dazu nachfolgend unter (aa)). Im Anschluss an diese zunächst inhaltsbezogene Untersuchung ist sodann weiter zu prüfen, welche rechtliche Bedeutung den Erwägungen hinter dem SPS-Code für die Auslegung des Begriffes „Fahrgast“ bzw. „an Bord eines Schiffes für dessen Belange beschäftigte Person“ nach SOLAS zukommt. Der Anlass für die gesonderte Prüfung der rechtlichen Bedeutung ergibt sich daraus, dass der SPS-Code vom MSC und damit von einem Gremium der IMO stammt, weshalb der Auslegung besondere Bedeutung – etwa die einer autoritativen oder authentischen Begriffsauslegung – zukommen könnte (nachfolgend unter (bb)).
67 Der SPS-Code sieht für „Spezialschiffe“, die seinen Anforderungen entsprechen, die Ausstellung eines speziellen Zeugnisses – das „Sicherheitszeugnis für Spezialschiffe“ – vor. Wenn ein Spezialschiff normalerweise in der Auslandfahrt i.S.v. SOLAS eingesetzt ist, muss es zusätzlich entsprechend Ziffer 7 der Präambel des SPS-Codes ein SOLAS-Ausnahmezeugnis mitführen (Dazu Wegelein, Marine scientific research, S. 126 Fn. 26: „The Code of Safety provides for an exemption from the SOLAS Convention but only for the special purpose; …“.).
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(aa) Kriterien für die Abgrenzung von „Spezialpersonal“ gegenüber einem „Fahrgast“ (a) Besonderer Zweck des Schiffes oder Sonderaufgaben an Bord Bei „Spezialpersonal“ handelt es sich nach Ansicht der Staaten nicht um „Fahrgäste“ i.S.v. SOLAS, da das „Spezialpersonal“ aufgrund der „besonderen Art der von diesen Schiffen durchgeführten Arbeiten“68 an Bord ist. Diese Erwägung findet sich in der Definition des „Spezialpersonals“ in Regel 1.3.11 SPS-Code wieder, nach welcher der Begriff „,Spezialpersonal‘ […] alle Personen [bezeichnet, d. Verf.], bei denen es sich nicht um Fahrgäste, Besatzungsmitglieder oder Kinder mit einem Alter unter einem Jahr handelt, die in Verbindung mit dem besonderen Zweck dieses Schiffes oder aufgrund von an Bord des Schiffes durchzuführenden Sonderaufgaben mit dem Schiff befördert werden.“69
Als erstes Merkmal zur Abgrenzung gegenüber einem Fahrgastschiff ist dem SPSCode somit zu entnehmen, dass das Schiff nicht allein deshalb zur Fahrt eingesetzt sein darf, um am Verkehr teilzunehmen.70 Vielmehr müssen auf dem Schiff „Arbeiten besonderer Art“ durchgeführt werden, i. e. Arbeiten, die über den reinen Betrieb des Schiffes hinausgehen, oder das Schiff muss einen „besonderen Zweck“ verfolgen. Als „besonderer“ Zweck lässt sich dabei jeder anerkennenswerte Zweck bezeichnen, der sich notwendig nur auf oder mit einem Schiff verfolgen lässt. Dies ergibt sich aus den Einzelbeispielen, die in Regel 1.3.11.1 bis 1.3.11.4 SPS-Code für „Spezialpersonal“ genannt werden. Nach diesen Beispielen handelt es sich bei Forschungsschiffen, Segelschulschiffen, Fabrikschiffen aus dem Bereich der Fischverarbeitung, Tauchhilfsschiffen und bei Bergungsschiffen, Kabel- oder Rohrverlegungsschiffen oder Schwimmkränen um „Schiffe besonderer Art“. (b) Für den Zweck notwendig an Bord Das zweite Kriterium für die Abgrenzung enthält Nummer 3 der Präambel des SPS-Codes, die den Terminus des „Spezialschiffes“ wie folgt definiert: „Im Sinne dieses Codes ist ein Spezialschiff ein Schiff mit einer Bruttoraumzahl von mindestens 500, das mehr als 12 Personen Spezialpersonal befördert, d. h. Personen, die eigens für die besonderen betrieblichen Einsätze des Schiffes erforderlich sind und zusätzlich zu den Personen befördert werden, die für den üblichen Schiffsbetrieb, die technischen Aufgaben an Bord und die Wartung des Schiffs notwendig sind, oder die für bestimmte Dienstleistungen gegenüber Personen, die an Bord befördert werden, beschäftigt sind.“71 68
Erwägungsgrund zu der Entschließung über den SPS-Code. Hervorhebung durch Verf. 70 Vgl. Wegelein, Marine scientific research, S. 126: „… if a ,research vessel‘ is engaged in navigation only, it cannot be considered as conducting the function ,research‘; it must be regarded like any other ship.“ 71 Hervorhebung durch Verf. 69
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Danach unterscheidet „Spezialpersonen“ vom Begriff des „Fahrgastes“, dass sie nicht für den Betrieb des Schiffes erforderlich, insoweit also „zusätzlich“ an Bord sind, jedoch eine vom Betrieb des Schiffes verschiedene Arbeit an Bord ausführen, die notwendig nur auf einem Schiff ausgeführt werden kann. Das beschreibt die Ausrichtung des SPS-Codes auf Schiffe mit Personen, für welche das Schiff eine „Arbeitsplattform“ ist. Dieser Gedanke findet sich auch noch einmal in Regel 1.2.3 SPS-Code, nach welcher der Code „nicht für Schiffe vorgesehen [ist, d. Verf.], die für den Transport und die Unterbringung von Industrie-Personal – das nicht an Bord arbeitet – eingesetzt werden“.72, 73
(c) Kenntnisse und Erfahrungen in Sicherheitsfragen Eine weitere Erwägung zur Abgrenzung von „Spezialpersonal“ gegenüber „Fahrgästen“ schließlich gibt Nummer 4 der Präambel des SPS-Codes wieder, in der es heißt: „Da bei den Mitgliedern des Spezialpersonals vorausgesetzt wird, dass sie sich in einer guten Verfassung befinden und über hinreichende Kenntnisse über das Schiff verfügen und in Bezug auf die Sicherheitsverfahren und die Bedienung der Sicherheitsausrüstung des Schiffes ausgebildet wurden, gilt, dass Spezialschiffe, auf denen sie befördert werden, nicht als Fahrgastschiffe angesehen oder behandelt werden.“74, 75 72
Hervorhebung durch Verf. Vgl. indes dazu die jüngere Diskussion um die Einordnung von sog. Offshore-Servicepersonal, als deren Ergebnis der MSC mit der am 25. November 2016 angenommenen Entschließung MSC.418(97) (sog. OSV-Code; für den deutschen Rechtsraum bekanntgemacht im VkBl. 2017, S. 208) eine vorläufige Empfehlung ausgesprochen hat („Vorläufige Empfehlungen für die sichere Beförderung von mehr als 12 Personen Offshore-Servicepersonal an Bord von Schiffen in der internationalen Fahrt“). Bei Offshore-Servicepersonal handelt es sich um Personen, die Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten auf Offshore-Einheiten durchführen. Durch den immer stärkeren Zubau solcher Offshore-Einheiten in immer größerer Entfernung zum Festland steigt seit Jahren das Bedürfnis, Service-Personal schnell von und zu den Einheiten befördern zu können. In der Empfehlung des MSC werden die Staaten aufgefordert zu beachten, „dass Offshore-Servicepersonal nicht als Fahrgäste gemäß SOLAS Regel I/2(e) zu betrachten oder zu behandeln“ sei (Ziff. 2.1 OSV-Code). Damit weicht der MSC erstmals von dem Grundsatz ab, dass vom Begriff des „Fahrgastes“ nach Regel I/2 e) SOLAS nur solche Personen ausgenommen sein können, die an Bord des Schiffes Arbeiten nachgehen (vgl. noch Regel 1.2.3 SPS-Code: „Der Code ist nicht für Schiffe vorgesehen, die für den Transport und die Unterbringung von Industrie-Personal – das nicht an Bord arbeitet – eingesetzt werden …“). Denn Offshore-Servicepersonal geht an Bord der jeweiligen Schiffe gerade nicht immer Tätigkeiten nach, sondern wird zum Teil „schlicht befördert“. Irland hat sich auf EU-Ebene im Rahmen des Änderungsverfahrens der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie noch ausdrücklich gegen eine Auslegung des Fahrgast-Begriffes gewandt, die Offshore-Servicepersonal von dem Begriff ausklammert (vgl. Dok. 13785/16 ADD 1). 74 Hervorhebung durch Verf. 75 So auch noch einmal in der Definition des „Spezialpersonals“ in Regel 1.3.11 Satz 2 des Codes. 73
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Folglich ist für eine Abgrenzung relevant, ob die Personen an Bord ähnlich Besatzungsmitgliedern in Sicherheitsfragen des Schiffes unterrichtet und geschult sind. (d) Zusammenfassung und Einordnung gegenüber der bisherigen Auslegung Nach dem im SPS-Code zum Ausdruck kommenden Begriffsverständnis der Staaten handelt es sich mithin bei Personen dann nicht um „Fahrgäste“ i.S.v. Regel I/ 2 e) SOLAS, wenn diese, ohne Teil der Besatzung zu sein, an Bord eines Schiffes sind, das einen besonderen Zweck verfolgt oder auf dem besondere Arbeiten durchgeführt werden, und sofern die Anwesenheit der Personen an Bord des Schiffes für die Erfüllung des besonderen Zwecks oder die Durchführung der besonderen Arbeit notwendig ist und die Personen in Sicherheitsfragen des Schiffes unterrichtet und geschult sind. Dieses Begriffsverständnis fasst den Begriff der „an Bord eines Schiffes für dessen Belange beschäftigten Person“ (Regel I/2 e) SOLAS) zum Teil etwas weiter, als er bislang nach der Wortlautbedeutung und dem Telos von SOLAS zu verstehen gewesen wäre. Dies gilt insoweit, als das Begriffsverständnis nach dem SPS-Code, anders als die Auslegung nach der fachspezifischen Wortbedeutung („an Bord … beschäftigt“), nicht allein auf (berufsmäßige) Seeleute abstellt.76 Auch Laien, d. h. beruflich nicht mit der Seefahrt befasste Personen ohne eine entsprechende Ausbildung, könnten demnach an Bord eines Traditionsschiffes grundsätzlich von der rechtlichen Einordnung als „Fahrgast“ ausgenommen werden. An anderer Stelle steht das in der Entschließung über den SPS-Code zum Ausdruck kommende Begriffsverständnis hingegen in Übereinstimmung mit der bisherigen Auslegung. Soweit das Begriffsverständnis nur diejenigen Personen als „Spezialpersonal“ einordnet, die in Sicherheitsfragen des Schiffes unterrichtet und geschult sind, entspricht dies im Wesentlichen der Auslegung nach dem Wortlaut des Begriffes „Fahrgast“ im weiteren Vertragszusammenhang und nach dem Telos von SOLAS. Danach ist eine Person, auch bei aktiver Einbindung in den Schiffsbetrieb, immer dann als „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS anzusehen, wenn sie sich dem Schiff anvertraut und sich auf die Gewährleistung ihrer Sicherheit auch ohne eigenes Zutun verlässt.
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Unabhängig von der Einordnung von Mitfahrern auf Traditionsschiffen erweitert das Begriffsverständnis im SPS-Code den Begriff der „Belange“ i.S.v. Regel I/2 e) lit. i) SOLAS, für die eine Person an Bord des Schiffes „angestellt“ oder „beschäftigt“ sein muss. Gemäß Regel I/2 e) lit. i) SOLAS sind „Fahrgäste“ alle Personen an Bord, es sei denn, dass sie – ohne der Kapitän, Teil der (eigentlichen) Besatzung oder ein Kind von unter einem Jahr zu sein – andere Personen darstellen, die „in irgendeiner Eigenschaft an Bord eines Schiffes für dessen Belange angestellt oder beschäftigt sind“ (Hervorhebung durch Verf.). Nach dem Verständnis des SPS-Codes können diese „Belange“ auch mit dem Schiff verfolgte besondere Zwecke oder auf bzw. mit dem Schiff durchgeführte besondere Arbeiten sein. Die „Belange des Schiffes“ sind nicht (mehr) nur all jene Tätigkeiten, die der eigentliche Betrieb des Schiffes mit sich bringt.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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(bb) Rechtliche Bedeutung des Begriffsverständnisses des MSC Da das im SPS-Code zum Ausdruck kommende Begriffsverständnis des „Fahrgastes“ und von „an Bord eines Schiffes für dessen Belange beschäftigten Personen“ zum Teil etwas weiter ist, als das zunächst durch die Wortlautbedeutung und den Telos von SOLAS vermittelte Verständnis, ist nachfolgend zu untersuchen, welche rechtliche Bedeutung dem Begriffsverständnis des MSC aus dem SPS-Code zukommt. (a) Das Begriffsverständnis als autoritative Auslegung? Zum ersten könnte es sich bei dem im SPS-Code zum Ausdruck kommenden Begriffsverständnis des MSC um eine sog. autoritative Auslegung handeln, d. h. um eine verbindliche Auslegungsregel, die den Unterzeichnerstaaten77 eine bestimmte Auslegung vorschreibt. Diese Erwägung ergibt sich aus Nummer 4 der Präambel des SPS-Codes, die wie folgt lautet: „[…] bei den Mitgliedern des Spezialpersonals […], gilt, dass Spezialschiffe, auf denen sie befördert werden, nicht als Fahrgastschiffe angesehen oder behandelt werden.“78
Diese Äußerung in der Präambel könnte sich ggf. so verstehen lassen, dass die Unterzeichnerstaaten, bevor ihnen mithilfe der Kapitel 2 bis 11 des SPS-Codes empfohlen wird, welchen Sicherheitsanforderungen sie „Spezialschiffe“ i.S.d. Codes – etwa anstelle rein nationaler Vorschriften – unterstellen können, verpflichtet werden, diese Schiffe jedenfalls nicht als „Fahrgastschiff“ i.S.v. Regel I/2 f) SOLAS zu behandeln. Derartige Interpretationen sind für die Unterzeichnerstaaten eines Übereinkommens jedenfalls aber nur dann verbindlich, wenn dem internationalen Organ, das den maßgeblichen Text verfasst hat – hier dem MSC –, auch eine entsprechende Befugnis eingeräumt ist.79 Die Befugnisse des MSC ergeben sich aus Art. 28 und 29 IMOÜbereinkommen. Art. 28 Abs. 1 IMO-Übereinkommen definiert die Aufgaben des MSC wie folgt: „Der Schiffssicherheitsausschuss prüft alle in den Zuständigkeitsbereich der Organisation fallenden Fragen, wie zum Beispiel die Navigationshilfen, Bau und Ausrüstung von Schiffen, Bemannung der Schiffe unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit, Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen, Handhabung gefährlicher Güter, Verfahren und Erfordernisse für die Sicherung der Seefahrt, hydrographische Informationen, Schiffstagebücher und Navigationsaufzeichnungen, Untersuchungen von Seeunfällen, Bergungs- und Rettungswesen, sowie alle sonstigen die Sicherheit der Seefahrt unmittelbar betreffenden Fragen.“ 77 Der Begriff „Unterzeichnerstaat“ wird in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die maritimen Übereinkommen gleichbedeutend für den Begriff „Vertragspartei“ i.S.v. Art. 31 WVRK verwendet (dazu bereits Fn. 26). 78 Hervorhebung durch Verf. 79 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 3. Orakhelashvili, The interpretation of acts and rules in public international law, S. 515.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Durch die Verwendung des Verbs „prüft“ in Art. 28 Abs. 1 IMO-Übereinkommen wird deutlich, dass dem MSC gerade keine Befugnis zum Erlass verbindlicher Vorgaben zustehen soll. Gleiches verdeutlichen auch Art. 29 a) und b) IMO-Übereinkommen, wonach der MSC im Rahmen der ihm durch Art. 28 zugewiesenen Bereiche dem Rat u. a. „von ihm ausgearbeitete Vorschläge betreffend Sicherheitsvorschriften oder die Änderungen von Sicherheitsvorschriften“ oder „von ihm ausgearbeitete Empfehlungen und Richtlinien“ unterbreiten soll. Steht dem MSC damit keine Befugnis zum Erlass verbindlicher Vorgaben zu80, erübrigt sich die weitere Prüfung, ob der SPS-Code überhaupt als verbindliche Auslegungsregel oder Auslegungsbeschluss über die Definition des „Fahrgastes“ und des „Fahrgastschiffes“ konzipiert ist. (b) Das Begriffsverständnis als authentische Auslegung? Weiter könnte das im SPS-Code zum Ausdruck kommende Begriffsverständnis des MSC zu dem Begriff des „Spezialpersonals“ eine authentische Auslegung über die Definition des „Fahrgastes“ nach Regel I/2 e) SOLAS darstellen. Als eine authentische Auslegung wird diejenige Auslegung verstanden, die ein gemeinsames 80
Unabhängig von den Regelungen im Gründungsstatut der IMO, dem IMO-Übereinkommen, kommen dem MSC nach Art. VIII b) SOLAS Befugnisse im Rahmen des Änderungsverfahrens von SOLAS zu. Da sich autoritative Auslegungen eines internationalen Übereinkommens oftmals kaum von einer Vertragsänderung unterscheiden lassen (Dazu Karl, Vertragsauslegung – Vertragsänderung, in: Schreuer, Autorität und internationale Ordnung, S. 15 ff., 23 f. Eingehend auch Peters, Praxis Internationaler Organisationen – Vertragswandel und völkerrechtlicher Ordnungsrahmen, S. 72 ff.), könnte zu überlegen sein, ob den MSC die Befugnisse innerhalb des Verfahrens zur Änderung der Anlage zu SOLAS „erst recht“ zu einer autoritativen Interpretation von SOLAS berechtigen, sofern man eine autoritative Interpretation etwa als „Minus“ zu einer Vertragsänderung ansehen würde. Unabhängig von der Plausibilität dieser Überlegungen fehlt es dafür vorliegend im Ergebnis jedoch an einer hinreichenden, von der Zustimmung der Staaten entkoppelten Ermächtigung des MSC durch Art. VIII b) lit. vi) SOLAS, soweit – wie mit dem Begriff des „Fahrgastes“ – eine Änderung des Kapitels I der Anlage zu SOLAS betroffen ist. Änderungsvorschläge betreffend das Kapitel I werden nach Art. VIII b) lit. ii) SOLAS dem MSC zur Prüfung vorgelegt. An den Beratungen des MSC zur Prüfung des Änderungsvorschlages und zur Beschlussfassung darüber können nach Art. VIII b) lit. iii) alle SOLAS-Staaten teilnehmen, wobei die Änderungen nach lit. iv) mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Vertragsregierungen beschlossen werden, sofern bei der Abstimmung mindestens ein Drittel der Vertragsregierungen anwesend ist. Ist nach diesem Prozedere ein Beschluss über eine Änderung gefasst, werden die Änderungen allen Vertragsregierungen zur Annahme übersandt (Art. VIII b) lit. v)). Während anschließend nach den Verfahrensvorschriften in Art. VIII b) lit. vi) Änderungen der Anlage, welche die Kapitel II bis XII betreffen, über die sog. tacit acceptance procedure auch durch bloßes Schweigen der Staaten in Kraft treten können, wird für das Inkrafttreten einer Änderung, die das Kapitel I der Anlage zu SOLAS betrifft, verlangt, dass die Änderung von zwei Dritteln der Vertragsregierungen (durch aktiv ausgeübte Zustimmung) angenommen wird. Zudem tritt eine solche Änderung des Kapitels I nach Ablauf einer bestimmten Frist nur für diejenigen Vertragsstaaten in Kraft, welche sie zuvor angenommen haben (Art. VIII b) lit. vii) 1.). Nach diesen Verfahrensregelungen wird dem MSC gerade keine von der rückkoppelnden Zustimmung der Staaten losgelöste Befugnis zur Änderung des Kapitels I der Anlage zu SOLAS eingeräumt.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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Begriffsverständnis aller Unterzeichnerstaaten widerspiegelt.81 Die besondere Wirkung einer authentischen Auslegung besteht darin, dass mit ihrer Hilfe eine Interpretation gefunden wird, die von den Vertragsparteien als „Herren“ der Verträge selbst stammt.82 Eine authentische Auslegung kann grundsätzlich in jeder Form gefasst sein, sofern sich in ihr nur die Übereinstimmung83 aller Staaten über eine bestimmte Auslegung widerspiegelt.84 Nach der herrschenden Meinung kommt der authentischen Auslegung einer Bestimmung die gleiche Verbindlichkeit zu, wie der ausgelegten Bestimmung selbst.85 Vorliegend ist somit zu klären, ob in dem im SPSCode enthaltenen Begriffsverständnis des MSC eine übereinstimmende Haltung der Staaten zur Interpretation der Begriffe „Fahrgast“ und der „an Bord eines Schiffes für dessen Belange beschäftigten Personen“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS Ausdruck findet. Dazu stellt sich zunächst die – freilich eher formalere – Frage, ob der MSC alle Unterzeichnerstaaten von SOLAS repräsentiert, sodass das im SPS-Code zum Ausdruck kommende Begriffsverständnis dem völkerrechtlichen Konsensprinzip genügt. Nach Art. 27 IMO-Übereinkommen besteht der MSC aus allen IMO-Mitgliedern. Faktisch sind alle Unterzeichnerstaaten von SOLAS zugleich Mitglied der IMO. Zudem kommt der IMO bei der Entstehung und Anwendung maritimer Übereinkommen wie SOLAS eine „Forumsrolle“ zu86 ; i. e. die IMO mit ihren Ausschüssen bildet ein Forum für die Zusammenarbeit der Staaten durch ihre vorbereitende und unterstützende, faktisch verwaltende Beteiligung87, während die bestimmenden „Herren der Verträge“ weiterhin die Staaten selbst bleiben.88 Gemäß seiner Verfahrensordnung richtet der MSC Maßnahmen (Entschließungen, Rundschreiben, Informationen etc.) nur dann an die Staaten, wenn er diesen zuvor mit den 81
Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 2. Vgl. Peters, Praxis Internationaler Organisationen – Vertragswandel und völkerrechtlicher Ordnungsrahmen, S. 75. 83 Zur authentischen Auslegung als „typisches Beispiel des das Völkerrecht insgesamt prägenden Konsensprinzips“ Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 2. 84 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 2. Vgl. auch Dahm u. a., Völkerrecht. Band I/3: Die Formen des völkerrechtlichen Handelns. Die inhaltliche Ordnung der internationalen Gemeinschaft, S. 635 und Fn. 6 m.w.N. 85 Vgl. Bernhardt, Encyclopedia of Public International Law, Band 2 E-I, Bd. 2, S. 1423. Wolfram Karl, Vertragsauslegung – Vertragsänderung, in: Schreuer, Autorität und internationale Ordnung, S. 9, 11. Ders., Vertrag und spätere Praxis im Völkerrecht, S. 40. Orakhelashvili, The interpretation of acts and rules in public international law, S. 514. 86 Zum Ausdruck kommt die „Forumsrolle“ des MSC in Bezug auf SOLAS etwa in der Beschlussfassungsregelung für Änderungen des Übereinkommens SOLAS in Art. VIII b) lit. iii) SOLAS. Danach sind „Alle Vertragsregierungen, gleichviel ob ihre Staaten Mitglieder der Organisation [der IMO, d. Verf.] sind oder nicht, […] berechtigt, an den Beratungen des Schiffssicherheitsausschusses zur Prüfung von Änderungen und zur Beschlußfassung darüber teilzunehmen“. 87 Douvier spricht in diesen Zusammenhang von „Aufgaben der IMO administrativer Art“. Douvier, MARPOL, S. 117. 88 Ilg, Die Rechtsetzungstätigkeit der International Maritime Organization, S. 27 f. 82
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Stimmen seiner Mitglieder zugestimmt hat („approval“).89 Zum Verfahren der Zustimmung enthält Art. 62 IMO-Übereinkommen zwar Abstimmungsregeln, wobei unter Buchstabe b) auch Mehrheitsentscheidungen vorgesehen sind (Mehrheitsvotum, Zweidrittelmehrheit). In der Praxis der Arbeit der IMO und des MSC kommen Mehrheitsentscheidungen (sog. show of cards), ggf. sogar Mehrheitsentscheidungen gegen ausdrücklichen Staatenprotest, jedoch nicht vor. Praktisch werden die Beschlüsse vielmehr im sog. consensus-Verfahren gefasst; d. h. die Vorschläge werden solange verhandelt, bis sie faktisch einstimmig sind – im Zweifel verbunden mit entsprechenden Zugeständnissen bei der Formulierung des Wortlautes der Maßnahmen.90 Mithin hätten Meinungsäußerungen des MSC ohne bestehendes Einvernehmen zwischen (faktisch) allen Staaten zumindest nicht den Abstimmungsprozess innerhalb des MSC überwunden und wären auch nicht an die Staaten gerichtet worden. Damit genügt das im SPS-Code zum Ausdruck kommende Begriffsverständnis des MSC grundsätzlich dem völkerrechtlichen Konsensprinzip, das Voraussetzung für eine authentische Auslegung ist. Fraglich ist darüber hinaus jedoch, inwieweit der SPS-Code tatsächlich einen Konsens unter den Staaten über die Interpretation des Begriffes „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS widerspiegelt. Ohne weiteres lässt sich ein Konsens für das in den Regeln 1.3.11.1 bis 1.3.11.4 SPS-Code aufgeführte Personal annehmen, da dieses jeweils ausdrücklich als Einzelbeispiel für „Spezialpersonal“ genannt ist.91 Die dem Text abseits der Einzelbeispiele zu entnehmenden Kriterien, die „Spezialpersonal“ definieren92, überlassen dem Rechtsanwender indes einigen Spielraum. Daneben gibt es in Regel 1.3.11.5 SPS-Code einen Auffangtatbestand, nach welchem „sonstiges Personal, ähnlich dem unter 1. bis 4. genannten [die Einzelbeispiele, d. Verf.], welches nach Ansicht der Verwaltung dieser Gruppe zugeordnet werden kann“, 89
Vgl. dazu die „Guidlines on the Organization and Method of Work of the Maritime Safety Committee and the Marine Environment Protection Comittee and their Subsidiary Bodies“, MSC-MEPC.1/Circ.4/Rev.4 vom 10. Juni 2015. 90 Vgl. zum sog. consensus-Verfahren Vitzthum/Proelss, Völkerrecht, 4. Abschnitt, Rn. 135. Dazu auch Serdy, in: Baatz, Maritime law, S. 342 f. 91 Die Einzelbeispiele des SPS-Codes zum „Spezialpersonal“ sind: Regel 1.3.11.1: „Wissenschaftler, Techniker und Expeditionsteilnehmer auf Schiffen, die in der Forschung, in nicht-gewerblichen Expeditionen und Erkundungen eingesetzt sind“. Regel 1.3.11.2: „Personal, das sich an der theoretischen und praktischen Ausbildung im Schiffsbetrieb beteiligt, um Fertigkeiten in der Seefahrt zu entwickeln, die für eine berufliche Laufbahn auf See geeignet sind (…)“. Regel 1.3.11.3: „Fischereiverarbeitungspersonal, das gefangenen Fisch, Wale oder andere lebende Ressourcen aus dem Meer auf Fabrikschiffen verarbeitet, die nicht an den Fangtätigkeiten beteiligt sind“. Regel 1.3.11.4: „Bergungspersonal auf Bergungsschiffen, Kabellegungspersonal auf Kabellegern, seismisches Personal auf seismischen Forschungsschiffen, Tauchpersonal auf Tauchhilfsschiffen, Rohrverlegungspersonal auf Rohrverlegungsschiffen und Kranführungspersonal auf Schwimmkränen“. 92 Vgl. dazu unmittelbar zuvor unter Punkt (aa).
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„Spezialpersonal“ i.S.d. SPS-Codes und mithin keinen „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS darstellt. Mit dieser Regel wird gerade keine bestimmte Personengruppe von dem Begriff des „Fahrgastes“ ausgenommen. Vielmehr wird den Staaten dadurch, dass die Entscheidung über die Zuordnung einer Person zur Gruppe des „Spezialpersonals“ der „Ansicht der Verwaltung“93 unterstellt wird, für den Begriff einer „an Bord des Schiffes für dessen Belange beschäftigten Person“ und damit auch für den Begriff des „Fahrgastes“ ausdrücklich ein sog. interpretative range94 eröffnet. Abseits der konkreten Einzelbeispiele wird damit nationalstaatliche Interpretation erforderlich für die Einordung einer Person als „Spezialpersonal“ oder „Fahrgast“, wobei innerhalb dieser Interpretation etwa auch politische Erwägungen eine Rolle spielen können.95 Zudem wird durch den Auffangtatbestand in Regel 1.3.11.5 SPS-Code die Möglichkeit divergierender nationaler Anwendungen eröffnet.96 93 I.e. der Ansicht der Regierung des jeweiligen Flaggenstaates, Regel 1.3.1 Satz 2 SPSCode i.V.m. Regel I/2 b) SOLAS. 94 Auch „interpretative radius“. Der Terminus bezeichnet in der völkerrechtlichen Literatur und Rechtsprechung originär den Befund, dass einem normativen Begriff im Wege der Auslegung mehrere Bedeutungen zugeschrieben werden können, wobei die Bedeutungen alle zulässig von dem auszulegenden normativen Begriff erfasst werden. Die verschiedenen Bedeutungen dürfen sich jedoch nicht untereinander widersprechen und den Rahmen der dem normativen Begriff legitim entnehmbaren Auslegungen nicht verlassen. (Vgl. dazu Hexner: „Any normative text is – according to experience – open to more than one interpretation. It belongs, however, to the essence of a normative text that its interpretative radius, the range of the possible meanings attributable to it, be limited. […] Thus even the widest interpretative range must permit a determination whether a specific meaning may or may not be covered by that text and context. The authority of an organ to interpret the text of a constituent instrument extends to the selection of one (authentic) alternative meaning among a number of possible alternatives within the interpretative range. […] The authority of an organ to interpret […] does not include the authority to exceed the interpretative radius and to select an ,interpretative alternative‘ which is outside the range of admissible meanings“. Hexner, Teleological Interpretation of Basic Instruments of International Organizations, in: Engel/Métall, Law, state, and international legal order, S. 119, 123 f. Peters übersetzt den Begriff des „interpretative range“ ins Deutsche mit „Auslegungsspielraum“ oder „Auslegungsbereich“. Peters, Praxis Internationaler Organisationen – Vertragswandel und völkerrechtlicher Ordnungsrahmen, S. 86. Vgl. zum „interpretative range“ auch Tzanakopoulos, Disobeying the Security Council, S. 62 Fn. 76. Vgl. ebenso Kelsen, The Law of the United Nations, S. xiiiff., der den Begriff des „interpretative range“ noch nicht verwendete. Kritisch Cannizzaro/Arsanjani, The law of treaties beyond the Vienna Convention, S. 175 ff.). 95 Zur politischen Dimension der Interpretation von Normen völkerrechtlicher Übereinkommen vgl. Kelsen, The Law of the United Nations, S. xvi: „… leaving it to the competent legal authorities to choose from among the various possible interpretations the one which they, for political reasons, consider to be preferable …“ 96 Die Schaffung des „interpretative range“ ist dabei eine typische Folge des oben beschriebenen Mechanismus, nach dem Beschlüsse innerhalb des MSC im Wege des sog. consensus-Verfahrens getroffen werden. Entschließungen im Rahmen internationaler Organisationen, die im Wege dieses Verfahrens zustande kommen, müssen sich oftmals darauf beschränken, nur den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der Vertragsparteien widerzuspiegeln (Vgl. dazu Vitzthum/Proelss, Völkerrecht, 4. Abschnitt, Rn. 135.). Dies hat oft zur Folge, dass
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Abseits der Einzelbeispiele (Regeln 1.3.11.1 bis 1.3.11.4 SPS-Code) fehlt es mithin trotz des einheitlichen Beschlusses innerhalb des MSC im consensus-Verfahren am Ausdruck einer konsensualen Haltung der Staaten.97 Folglich stellt das Verständnis des Begriffes „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS, wie es im SPS-Code zum Ausdruck kommt, über die konkreten, in Regel 1.3.11.1 bis 1.3.11.4 SPS-Code genannten Einzelbeispiele hinaus keine authentische Auslegung dar. (c) Zwischenergebnis Im Ergebnis stellt sich das in der Entschließung über den SPS-Code zum Ausdruck kommenden Begriffsverständnis der Staaten über den Begriff des „Fahrgastes“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS mithin weder als authentisches, noch als autoritatives Auslegungsinstrument dar. Gleichwohl kommt dem Begriffsverständnis für die Auslegung des Begriffes „Fahrgast“ eine wichtige Funktion zu. Diese ergibt sich aus der besonderen Interpretationskompetenz98 und -autorität99, die dem MSC aufgrund seiner in der Sache umfassenden Ermächtigung im Bereich des Schiffssicherheitsrechts nach Art. 28 Abs. 1 IMO-Übereinkommen zuzusprechen ist.100 Demgemäß kommt auch den von ihm erarbeiteten Instrumenten, soweit sich in ihnen ein bestimmtes Verständnis eines Begriffes widerspiegelt, als Auslegungsinstrument Bedeutung zu in dem Sinne, dass dieser Auslegung ein höheres Gewicht beizumessen ist, als Auslegungsergebnissen nach anderen Methoden oder von anderen Akteuren.101 die eigentliche Entscheidung – wie bspw. über die Definition eines Begriffs – auf die Phase der praktischen Umsetzung durch die Vertragsstaaten verlagert wird. 97 Vgl. in Bezug auf die rechtlich unverbindlichen Resolutionen der UN-Generalversammlung, die ebenfalls überwiegend im consensus-Verfahren beschlossen werden Vitzthum/ Proelss, Völkerrecht, 4. Abschnitt, Rn. 138: „Auch das Stimmverhalten der Mitglieder kann automatisch weder als Staatenpraxis, noch als Ausdruck der Rechtsüberzeugung verstanden werden […] Allenfalls lässt sich sagen, dass in Einzelfällen bei einstimmig (dh auch unter Beteiligung der besonders betroffenen Staaten) gefassten Entschließungen ein formloser zwischenstaatlicher Konsens entsteht, der freilich noch durch das nachfolgende Verhalten der Staaten zu bestätigen wäre […].“ 98 Vgl. dazu Vitzthum/Proelss, Völkerrecht, 4. Abschnitt, Rn. 41 f. 99 Vgl. Peters, Praxis Internationaler Organisationen – Vertragswandel und völkerrechtlicher Ordnungsrahmen, S. 73 und 75, der eine Auslegung durch ein mit besonderer Autorität ausgestattetes Organ einer Internationalen Organisation als „unechte autoritative Auslegung“ bezeichnet. Vgl. zur besonderen Autorität von Auslegungsakten bestimmter internationaler Organe auch Wolfram Karl, Vertragsauslegung – Vertragsänderung, in: Schreuer, Autorität und internationale Ordnung, S. 9, 28 f. Vgl. ausführlich dazu auch, insbesondere zur Autorität einer Auslegung aufgrund der Stellung, die ein Organ im Gesamtaufbau einer internationalen Institution einnimmt, Herbert Miehsler, Autorität von Beschlüssen internationaler Institutionen, in: Schreuer, Autorität und internationale Ordnung, S. 35, 38 ff., 47 f. 100 Vergleichbar spricht etwa Heintschel von Heinegg dem IGH über die Bindungswirkung seiner Urteile inter partes hinaus eine „hohe[n] Autorität“ bei der Feststellung völkerrechtlicher Normen zu. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 22 Rn. 2 f. 101 Peters, Praxis Internationaler Organisationen – Vertragswandel und völkerrechtlicher Ordnungsrahmen, S. 73.
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(e) Auslegungsergebnis Maßgeblich ist mithin eine Auslegung des „Fahrgast“-Begriffes gemäß Regel I/ 2 e) SOLAS, die zunächst im Grundsatz jede Person an Bord eines Schiffes, die nicht Teil der Besatzung ist, als „Fahrgast“ einordnet. Ausgenommen können Personen sein, die an Bord eines Schiffes sind, das einen besonderen im Sinne eines über die bloße Teilnahme am Verkehr hinausgehenden Zweck verfolgt. Voraussetzung hierfür ist, dass die Personen für den besonderen Zweck an Bord erforderlich und dass sie in Sicherheitsfragen des Schiffes unterrichtet und geschult sind. Trotz Vorliegens dieser Voraussetzungen sind Personen im Einzelfall gleichwohl als „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS einzuordnen, wenn sie sich dem Schiff und seiner Besatzung anvertrauen und davon ausgehen, dass für ihre Sicherheit an Bord auch ohne ihr Zutun gesorgt ist. Vor dem Hintergrund dieser Auslegung sprechen überwiegende Erwägungen dafür, dass in den Schiffsbetrieb aktiv eingebundene Mitfahrer auf Traditionsschiffen ganz mehrheitlich als „Fahrgäste“ und die Traditionsschiffe mithin als „Fahrgastschiffe“ anzusehen sind.102 102 Korrespondierend ergibt sich aus diesem Auslegungsergebnis, dass Traditionsschiffe mehrheitlich nicht als „Spezialschiffe“ i.S.d. SPS-Codes einzuordnen sind. Dementsprechend werden sie mehrheitlich nicht vom SPS-Code, der neben SOLAS ein eigenständiges völkerrechtliches Regelwerk – soweit ersichtlich, unbestritten völkerrechtliches „soft law“ mit rein empfehlendem Charakter – darstellt, als Regelungsgegenstand erfasst. Nach Regel 1.2.1 Satz 1 gilt der SPS-Code für jedes sog. Spezialschiff mit einer Bruttoraumzahl von mindestens 500, das am oder nach dem 13. Mai 2008 zugelassen wurde. Gemäß Regel 1.2.1 Satz 2 können Staaten die Vorschriften des SPS-Codes auch auf Spezialschiffe anwenden, deren Bruttoraumzahl weniger als 500 beträgt und die vor dem 13. Mai 2008 gebaut wurden, „soweit dies angebracht und durchführbar ist“. Grundvoraussetzung für eine mögliche Anwendung des SPS-Codes wäre folglich stets, dass es sich bei einem Traditionsschiff um ein „Spezialschiff“ i.S.d. Codes handelt. Ein „Spezialschiff“ ist nach Regel 1.3.12 SPS-Code ein Schiff mit mechanischem Eigenantrieb, das aufgrund seiner Funktion mehr als 12 Personen sog. Spezialpersonal an Bord befördert. Für den Begriff des „Spezialpersonals“ enthält der SPS-Code – abseits der ausdrücklich genannten Einzelbeispiele, die für Traditionsschiffe an sich überwiegend nicht in Betracht kommen – in Regel 1.3.11.5 eine Art Auffangtatbestand. Nach dieser Regel umfasst „Spezialpersonal“ auch „sonstiges Personal, ähnlich dem unter 1. bis 4. genannten, welches nach Ansicht der Verwaltung dieser Gruppe zugeordnet werden kann“. Als „Spezialpersonal“ kommen jedoch nur Personen in Betracht, die nicht dem Begriff des „Fahrgastes“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS – freilich in der Auslegung, die diesem wiederum durch die im SPS-Code dazu zum Ausdruck kommenden Erwägungen der Staaten zukommt – unterfallen. Nach der in der vorliegenden Arbeit vertretenen Auffassung sind in den Schiffsbetrieb aktiv eingebundene Mitfahrer auf Traditionsschiffen jedoch mehrheitlich als „Fahrgäste“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS einzuordnen, sodass sie kein „Spezialpersonal“ i.S.d. SPS-Codes darstellen. Demgegenüber zertifizieren einige Staaten Traditionsschiffe (Segelschiffe) unter ihrer Flagge nach den Vorschriften des SPS-Codes, wenn diese Schiffe mehr als 12 Personen an Bord nehmen. Dies betrifft namentlich die Niederlande. Allerdings ordnen die Niederlande Traditionsschiffe in aller Regel nicht als „Spezialschiffe“ i.S.d. Auffangtatbestandes nach Regel 1.3.11.5 SPS-Code ein, sondern subsumieren sie unter Regel 1.3.11.2 SPS-Code. Danach umfasst der Begriff „Spezialpersonal“ u. a. folgende Personen: „Personal, das sich an der theoretischen und praktischen Ausbildung im Schiffsbetrieb beteiligt, um Fertigkeiten in der Seefahrt zu entwickeln, die für eine berufliche Laufbahn auf See geeignet sind, sofern die
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Zwar überzeugt es, dass Traditionsschiffe, die ihre Mitfahrer aktiv in die Arbeiten an Bord einbeziehen, um ihnen den Betrieb des Schiffes zu verdeutlichen und erfahren zu lassen, einen besonderen Zweck i.S.d. SPS-Codes verfolgen. Ähnlich einem Museum bewahren sie Kenntnisse und Erfahrungen, welche andernfalls verloren gingen, und geben diese weiter. Dieser Zweck ist sozial und gesamtgesellschaftlich anerkennenswert. Die Unterschiede, welche die Verfolgung dieses Zwecks im praktischen Betrieb gegenüber „klassischen“ Kreuzfahrt- oder Fährschiffen zur Folge hat103, rechtfertigen die Bewertung der Schiffe als einen besonderen Zweck verfolgende Schiffe i.S.d. SPS-Codes. Auch sind die Mitfahrer auf Traditionsschiffen für den besonderen Zweck des Schiffes an Bord erforderlich, da die angestrebten Erfahrungen praktisch nur auf einem auf See in Fahrt gesetzten Schiff vermittelt werden können. Der Erfahrungswert ist auf einem festliegenden oder einem an Land aufgedockten Schiff nicht in gleicher Weise zu erreichen. Damit sind die Mitfahrer auch für den besonderen Zweck des Schiffes notwendig an Bord, wie es das Begriffsverständnis nach dem SPS-Code verlangt. Demgegenüber wird es in der Praxis kaum möglich sein sicherzustellen oder zu kontrollieren, dass Mitfahrer auf Traditionsschiffen vor Fahrtantritt vergleichbar wie Besatzungsmitglieder in Sicherheitsfragen des Schiffes unterrichtet und geschult werden. Ohne derartige Kenntnisse und Fähigkeiten wird es sich aber jedenfalls mit dem Telos von SOLAS nicht vereinbaren lassen, Traditionsschiffe mit mehr als 12 Personen an Bord als „Frachtschiffe“ i.S.v. Regel I/2 g) SOLAS einzuordnen. Eine einfache Sicherheitsunterweisung vor Fahrtantritt, ggf. auch verbunden mit einer kurzen Übung, genügt dabei als Sicherheitsunterrichtung nicht. Das Genügenlassen einer solchen einfachen Einweisung oder ähnlicher Vorgehensweisen würde auch verkennen, dass nach den Erwägungen, die zur Schaffung des SPS-Codes geführt haben, nur solche Personen als „Spezialpersonal“ angesehen werden, denen das Schiff eine Plattform zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit bietet, nicht für bloße Freizeitaktivitäten. Anders als beruflich tätige Personen an Bord begeben sich Mitfahrer auf Traditionsschiffen jedoch in aller Regel in die Hand der Besatzung, auf deren Fähigkeiten und Kenntnisse sie vertrauen. Vor diesem Hintergrund liefe eine Auslegung, die zur Folge hätte, dass Traditionsschiffe auch mit mehr als 12 aktiv in den Betrieb eingebundenen Mitfahrern unter die Ausnahmeregelung für „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“, Regel I/3 a) lit. ii) der Anlage Ausbildung im Einklang mit einem von dem jeweiligen Flaggenstaat zugelassen Ausbildungsprogramm erfolgt“ (sog. Trainees). Vgl. dazu das von den Niederlanden an den MSC übermittelte Dokument MSC 84/11/7 vom 18. März 2008, S. 2: „In the Netherlands there is a relatively large active fleet of traditional sailing vessels. This fleet consists of approximately 70 vessels and operates mainly in Europe but also in other parts of the world. The majority of these vessels have been certified as ,special purpose ship‘. The persons on board are regarded as ,special personnel‘ because they are involved in a training programme. Therefore, they are familiar with the operations of the ship, including emergency procedures“ (Hervorhebung durch Verf.). 103 Die Unterschiede werden eingangs des vorliegenden Abschnitt a) des 1. Teils der Arbeit unter Punkt (2) (a) ausführlicher beschrieben.
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zu SOLAS fielen, der hohen Bedeutung des nach dem Telos von SOLAS zu schützenden Rechtsgutes – menschliches Leben auf See – im Zweifel zuwider. (2) Ergebnis: von der Ausnahme erfasste Traditionsschiffe Für die abschließende Darstellung, welche Traditionsschiffe von der Ausnahme für „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ nach Regel I/3 a) lit. ii) SOLAS erfasst sein können, sind die Traditionsschiffe zur besseren Übersicht nach ihrer BRZ und der Anzahl der von ihnen an Bord genommenen Personen zu unterscheiden: a) Schiffe, deren BRZ unter 500 liegt und die nicht mehr als 12 Personen – gleich in welcher Form – an Bord nehmen, sind von der Ausnahmeregelung erfasst. Dies gilt unabhängig von einer potentiellen Einbindung der Personen an Bord in den Fahrtbetrieb. Das bedeutet, dass die materiell-rechtlichen Anforderungen von SOLAS – mit Ausnahme des Kapitels V der Anlage – von diesen Schiffen nicht gefordert werden müssen. b) Schiffe mit mehr als 12 Personen an Bord, oder mit einer BRZ von mehr als 500, oder beidem, sind, auch wenn die an Bord genommenen Personen aktiv in den Betrieb des Schiffes einbezogen werden, in aller Regel Fahrgastschiffe i.S.v. Regel I/2 f) SOLAS, sodass die Einhaltung der anwendbaren materiell-rechtlichen Standards von ihnen zu fordern ist. c) Etwas anderes kann, je nach den tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelfall, bei Schiffen mit einer BRZ unter 500 gelten, wenn nachweisbar sichergestellt ist, dass die Personen (mehr als 12) an Bord vergleichbar Besatzungsmitgliedern in Sicherheitsfragen des Schiffes unterrichtet und geschult sind. Das kann bspw. der Fall sein, wenn es sich bei den Mitfahrern an Bord, die über die 12. Person hinausgehen, um Personen mit entsprechenden Befähigungszeugnissen handelt. b) „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ Eine weitere Ausnahmeregelung ist in Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS für „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ vorgesehen. Allgemein fallen unter die Ausnahmeregelung durch Muskelkraft bewegte Sportboote, bspw. Ruderboote oder solche Wasserfahrzeuge, die nur mit Hilfe anderer Wasserfahrzeuge bewegt werden können, wie Leichter. Auch erfasst sind Segelschiffe ohne jeden Maschinenantrieb. Damit gilt die Ausnahme jedenfalls für Traditions-(segel-)schiffe, die über keinerlei maschinellen Antrieb verfügen.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
(1) Traditionssegelschiffe mit (Hilfs-)Motor: „ohne mechanischen Antrieb“? Fraglich ist, ob die Ausnahmeregelung abseits davon Traditionsschiffe erfasst, die mit Segeln und mit einem Motor ausgestattet sind, bzw. die neben den Segeln, die als Hauptantrieb genutzt werden, zusätzlich über mechanische Hilfs- bzw. Notfallantriebe – wie Bugstrahlruder oder sonstige maschinelle Unterstützung – verfügen. Weder der Wortlaut der Ausnahmeregelung, noch die Systematik innerhalb des weiteren Textes von SOLAS vermitteln zu dieser Frage Aussagen. (a) Positionen der EU-Mitgliedstaaten (aa) Bedeutung eines aus der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie hervorgehenden Begriffsverständnisses Für die Auslegung eines Rechtsbegriffes nach Art. 31 Abs. 3 b) WVRK ist jede spätere „Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht“ heranzuziehen. Aufschluss über das eventuelle Bestehen einer solchen Übung gibt in Bezug auf die in SOLAS verwendeten Begrifflichkeiten nicht allein die für die vorliegende Arbeit durchgeführte Umfrage unter Staaten. Ob es übereinstimmende Übungen oder zumindest Gemeinsamkeiten in der Interpretation der Begriffe gibt, lässt sich bei den maritimen Übereinkommen vielfach auch anhand von rechtlichen Regelwerken nachvollziehen, die durch Staaten in Ergänzung zu den Übereinkommen erlassen wurden. Das betrifft etwa nationale, bi- oder multilaterale Regelwerke, mit denen Staaten die in SOLAS festgelegten materiell-rechtlichen Standards auf Schiffe in der nationalen Fahrt übertragen, wobei sie den Anwendungsbereich dieser Regelwerke mit denselben Begrifflichkeiten definieren, wie sie auch in SOLAS verwendet werden. Dabei bieten Definitionen von aus SOLAS übernommenen Begriffen, die sich in den ergänzenden Regelwerken finden, substantielle Hinweise104 dafür, wie die Staaten die Begrifflichkeiten aus SOLAS verstehen und anwenden. Innerhalb der EU ist in diesem Zusammenhang die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie von Bedeutung, die, in Ergänzung zu SOLAS, Sicherheitsanforderungen an Schiffe in der Inlandfahrt105 stellt. Neben ihrer Relevanz als eigenes Untersuchungsobjekt106 kommt der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für die vorliegende Arbeit als Auslegungsmittel Bedeutung zu, da alle EU-Mitgliedstaaten zugleich Unterzeichnerstaaten von SOLAS sind und da für den Text der Richtlinie Begrifflichkeiten aus SOLAS – wie der des „Schiffes ohne mechanischen Antrieb“ – übernommen wurden mit dem erklärten Ziel, eine Harmonisierung der Sicherheitsnormen für Schiffe in der 104 „objective evidence“ (Erläuterungen der Völkerrechtskommission, YBILC 1966, Bd. II, S. 221.). 105 Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2009/45/EG. 106 Dazu nachfolgend im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt B.
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Ausland- und der Inlandfahrt zu erreichen.107 Das Harmonisierungsziel legt es nahe, dass die Staaten aus SOLAS in die Richtlinie übernommenen Begriffen dasjenige Begriffsverständnis zuschreiben, dass sie ihm auch bei der Anwendung von SOLAS beimessen. (bb) „Schiff ohne mechanischen Antrieb“ in der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie Nach Art. 3 Abs. 2 a) lit. iii) Richtlinie 2009/45/EG gilt diese nicht für „Schiffe ohne Maschinenantrieb“. Diese Ausnahme entspricht begrifflich der Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS. Eine Definition dieser Ausnahmeregelung enthält die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie nicht. Im Zuge eines jüngeren Verfahrens zur Änderung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie108 wurde diese allerdings um eine Ausnahmeregelung für „Segelschiffe“ erweitert (Art. 3 Abs. 2 a) lit. ii) Richtlinie 2009/45/EG). Der Begriff des „Segelschiffes“ ist in Art. 2 z) Richtlinie 2009/45/ EG definiert als „ein Schiff, das hauptsächlich durch Segel angetrieben wird, auch wenn es mit einem mechanischem Antrieb als Hilfsantrieb und für Notfälle ausgestattet ist“.109
Fraglich ist, ob dieser Definition des Begriffes „Segelschiff“ auch Bedeutung für die Auslegung der Ausnahmeregelung für „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ (innerhalb der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie) zugesprochen werden kann. Dafür ist zu berücksichtigen, dass der Begriff des „Segelschiffes“ innerhalb der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie ursprünglich keine eigenständige Ausnahme darstellen sollte. Die beiden Ausnahmeregelungen sollten anfänglich in einer Ausnahme („Segelschiffe und Schiffe ohne Maschinenantrieb“) zusammengefasst werden.110 Als Grund für diese Erweiterung der Ausnahmeregelung „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ um den Begriff „Segelschiff“ sowie die entsprechende Definition (Art. 2 z) Richtlinie 2009/45/EG) war in der Begründung des Änderungsentwurfs angegeben, dass trotz der bereits bisher in der Richtlinie enthaltenen Ausnahmeregelung für 107
Vgl. dazu die Begründung des von der Kommission beschlossenen Änderungsentwurfs der Richtlinie auf COM(2016) 369 final, S. 2 („In diese Richtlinie wurden auf EU-Ebene für Inlandfahrten die Bestimmungen des SOLAS-Übereinkommens aufgenommen …“), S. 4 („Zwar wurden mit internationalen Sicherheitsvorschriften wie dem SOLAS-Übereinkommen gemeinsame Sicherheitsnormen für in der Auslandfahrt eingesetzte Schiffe festgelegt, doch gelten diese nicht für Fahrgastschiffe, die in der Inlandfahrt eingesetzt werden …“) und Erwägungsgrund (3) des Änderungsentwurfstextes auf S. 12 („Zur Verbesserung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sollten einige Definitionen und Verweise aktualisiert und weiter an die entsprechenden internationalen Regelungen oder Regelungen der Union angeglichen werden. …“). Vgl. zum Ziel der Harmonisierung der Richtlinie 2009/45/EG (auch) mit internationalen Regelwerken Vitzthum, ZaöRV 2002, 163 (174 ff.). 108 Zum 20. Dezember 2017 ist eine durch die Änderungsrichtlinie 2017/2108 geänderte Fassung der Richtlinie 2009/45/EG in Kraft getreten (Verfahren 2016/0170/COD). 109 Hervorhebung durch Verf. 110 Vgl. den durch die Europäische Kommission am 6. Juni 2016 zunächst angenommenen Entwurf zur Änderung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie (COM(2016) 369 final).
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„Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ in einigen EU-Mitgliedstaaten Segelschiffe nicht als von der Ausnahmeregelung erfasst angesehen wurden, soweit sie über „Hilfsmotoren“ verfügten.111 Das entsprechende Begriffsverständnis, i. e., dass ein Schiff nur dann „ohne mechanischen Antrieb“ ist, wenn es nicht über Hilfs- oder Notfallantriebe, mithin über keinerlei maschinelle Unterstützung, verfügt, haben namentlich Irland und Deutschland vertreten.112 Demgegenüber hatte die überwiegende Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten keine Einwände gegen ein Begriffsverständnis der Ausnahme für „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ erhoben, nach dem dieses auch (Segel-)Schiffe erfasst, die mit „mechanischem Antrieb als Hilfsantrieb und für Notfälle“113 ausgestattet sind. Dadurch, dass der Begriff des „Segelschiffes“ in der Fassung der Richtlinie 2009/ 45/EG, die zum 20. Dezember 2017 geändert in Kraft getreten ist, indes doch als gesonderte Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 2 a) lit. ii) aufgenommen wurde, wird deutlich, dass unter den EU-Mitgliedstaaten augenscheinlich keine Einigung über die Auslegung des Begriffes „Schiff ohne Maschinenantrieb“ gefunden werden konnte.114 Damit gibt es im Ergebnis unter den EU-Mitgliedstaaten, die zugleich Unterzeichnerstaaten von SOLAS sind, (lediglich) eine Tendenz dahin, Schiffe, die hauptsächlich durch Segel angetrieben werden, auch wenn sie mit einem mechanischen Antrieb „als Hilfsantrieb und für Notfälle“ ausgestattet sind, als „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ (auch i.S.v. Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS) anzusehen. Ein Indiz für eine gemeinsame „Übung“ i.S.v. Art. 31 Abs. 3 b) WVRK ist der EUFahrgastschiffsrichtlinie hingegen nicht zu entnehmen. (b) „Schiff ohne mechanischen Antrieb“ im SPS-Code Die Definition des „Spezialschiffes“ im SPS-Code vermittelt weitere Anhaltspunkte für die Auslegung der Ausnahmeregelung „Schiff ohne mechanischen Antrieb“. Ein „Spezialschiff“ ist im SPS-Code definiert als ein „Schiff mit mechanischem
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Vgl. SWD(2016) 190 final, S. 12. Irland und Deutschland haben im Rahmen der Erörterung des Änderungsentwurfs im Rat eine Erklärung abgegeben (Dokument ST 13785 2016 ADD 2), in der sie dafür votieren, den Begriff des Segelschiffes wieder aus der Ausnahme zu streichen. In dieser Erklärung legen Irland und Deutschland dar: „… Es sei auch darauf hingewiesen, dass solche mit einem Motor ausgestattete Segelschiffe in den Geltungsbereich des SOLAS-Übereinkommens der IMO fallen …“ (S. 3). Dänemark, dass im Konsultationsverfahren zuvor ebenfalls Vorbehalte gegen die Definition des „Segelschiffes“ geltend gemacht hatte (vgl. SWD(2016) 190 final, S. 12), hat sich dieser Erklärung Deutschlands und Irlands nicht angeschlossen. 113 Art. 2 z) Richtlinie 2009/45/EG. 114 Letztendlich wird es in Bezug auf diejenigen EU-Mitgliedsstaaten mit abweichenden Rechtsauffassungen darauf ankommen, ob sie auch in Zukunft an ihrer nationalen Auslegung des Begriffes „Schiff ohne mechanischen Antrieb“ in Umsetzung von SOLAS festhalten, oder ob sie ihre entgegenstehende Haltung aufgeben. 112
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Eigenantrieb …“115. Diese Definition ist das Gegenstück zur Ausnahmeregelung des „Schiffes ohne mechanischen Antrieb“ in SOLAS. Es fällt auf, dass in der Definition des SPS-Codes, anders als in SOLAS, auf einen „mechanischen Eigenantrieb“ abgestellt ist. Die begriffliche Abweichung des SPS-Codes zu SOLAS ist in einer Fußnote zur Definition des „Spezialschiffes“ im SPS-Code wie folgt begründet: „Some sail training ships may be classified by the Administration as ,not propelled by mechanical means‘ if fitted with mechanical propulsion for auxiliary and emergency purposes“116.
Damit bezieht sich der MSC auf die durch einige Staaten gelebte Praxis, die Ausnahmeregelung „Schiff ohne mechanischen Antrieb“ dahin auszulegen, dass dieser Schiffe mit mechanischen Hilfs-Antriebseinrichtungen oder mechanischen Antriebsmitteln (nur) für Notfallsituationen neben Segeln erfasst.117 Auch insoweit stellt sich wiederum die Frage, welche Bedeutung dem für die Auslegung der Ausnahmeregelung „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ in Regel I/ 3 a) lit. iii) SOLAS zukommt. Zu berücksichtigen ist, dass der MSC durch die Fußnote zur Definition des Begriffes „Spezialschiff“ im SPS-Code zumindest verdeutlicht hat, dass es nicht seine Absicht ist, diese Auslegung als mit Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS unvereinbar auszuschließen. Vielmehr spricht einiges dafür, dass der MSC die Auslegung, nach der Schiffe mit mechanischen Hilfs-Antriebseinrichtungen oder mechanischen Antriebsmitteln (nur) für Notfallsituationen Schiffe „ohne mechanischen Antrieb“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS darstellen, durch die Aufnahme des Begriffes „Eigenantrieb“ in den SPS-Code eher bestätigt hat. Die Haltung der Staaten, wie sie aus dem SPS-Code abgeleitet werden kann, bestätigt somit inhaltlich die Tendenz, wie sie (neuerlich) auch im Rahmen des Änderungsverfahrens der EU-Fahrgastschiffslinie unter den EU-Mitgliedstaaten mehrheitlich zum Ausdruck gekommen ist. Damit spricht viel dafür, dass es sich bei einem Schiff auch dann um eines „ohne mechanischen Antrieb“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS handelt, wenn neben Segeln ein mechanischer Hilfsantrieb und/oder ein Maschinenantrieb für Notfälle vorhanden sind. (c) Historische Umstände für die Entstehung des Textes von SOLAS (aa) Der Freibordvertrag London 1930 Für die Auslegung ist als ergänzendes Auslegungsmittel gemäß Art. 32 WVRK118 die historische Bestimmung des Begriffes „Segelschiff“ aus dem Freibordvertrag 115
Regel 1.3.12. SPS-Code. (Hervorhebung durch Verf.) Der Text der Fußnote ist in der amtlichen deutschen Übersetzung des SPS-Codes nicht enthalten. 117 Vgl. MSC 84/11/7 (2008). Vgl. auch IMO-Doc. DE 49/12 (2005). 118 Die historischen Umstände des Vertragsabschlusses sind nach Art. 32 WVRK als ergänzendes Auslegungsmittel heranzuziehen. Derartige ergänzende Auslegungsmittel können nach Art. 32 WVRK für die Auslegung herangezogen werden, um die sich unter Anwendung 116
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London 1930119 (nachfolgend Freibordvertrag), dem Vorgängerübereinkommen von LLC, heranzuziehen. Die Bedeutung des Freibordvertrages für die Interpretation des SOLAS-Textes ergibt sich daraus, dass der Freibordvertrag und die SOLAS-Fassung von 1929 im gleichen Zeitraum beschlossen wurden. Der Text des Freibordvertrages geht auf eine internationale Konferenz im Sommer 1930 zurück, deren Vorbereitungen sich unmittelbar an den Abschluss der SOLAS-Fassung von 1929 anschlossen.120 Bei der Fassung beider Texte standen die jeweiligen Staaten mithin unter den Eindrücken derselben tatsächlichen Gegebenheiten und derselben Überlegungen. Zudem verwendet der Freibordvertrag, wie auch sein Nachfolgeübereinkommen LLC, zahlreiche zu SOLAS identische Begriffe. Es spricht aufgrund der zeitlichen Nähe des Abschlusses beider Übereinkommen sehr viel dafür, dass die Staaten den Texten beider Übereinkommen und den darin enthaltenen Begrifflichkeiten jeweils das gleiche Verständnis zugrunde gelegt haben. (bb) Begriff des „Dampfschiffes“ und des „Segelschiffes“ im Freibordvertrag Der Freibordvertrag unterscheidet hinsichtlich seines Anwendungsbereiches zwischen „Dampfschiffen“ und „Segelschiffen“. Der Begriff „Dampfschiff“ ist zum einen in Art. 3 f) Freibordvertrag definiert als „alle Schiffe, die durch Maschinenkraft bewegt werden“. Zum anderen findet sich in Regel 1 des Anhangs I zum Freibordvertrag eine konkretere Definition des Begriffes. Der Ausdruck „Dampfer“ umfasst danach „alle Schiffe mit ausreichender Maschinenkraft mit Ausnahme solcher, deren Besegelung für Fahrten unter Segel allein genügt“.
Der Ausdruck „Segelschiff“ ist in der gleichen Regel (1 des Anhangs I zum Freibordvertrag) definiert. Er umfasst nach der Definition „alle Schiffe mit einer Segelfläche, die für Fahrten unter Segel allein genügt, gleichviel ob sie außerdem Maschinenkraft haben oder nicht.“
Dementsprechend ist für die Abgrenzung eines maschinenbetriebenen Schiffes („Dampfschiff“) von einem Segelschiff nach den Bestimmungen des Freibordvertrages ausschlaggebend, welcher Antriebsart geeignet ist, das Schiff ohne Zuhilfenahme der anderen Antriebsart zu dem angesteuerten Hafen zu bringen. In dem Fall, in dem sowohl der Segel- als auch der Maschinenantrieb für die Fahrt allein genügen
der vorrangigen Auslegungsmittel (Wortlaut, Telos oder etwa eine gemeinsame Übung der Staaten, Art. 31 WVRK) ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Artikel 31 WVRK die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt. 119 Das „Internationale Übereinkommen über den Freibord der Kauffahrteischiffe“ vom 5. Juli 1930 (RGBl. 1933 II, S. 707). Ins nationale Recht umgesetzt durch die „Verordnung über den Freibord der Kauffahrteischiffe“ vom 25. November 1932 (RGBl. 1932 II, S. 243.) 120 Vgl. Elsner, Das internationale Übereinkommen über den Freibord der Kauffahrteischiffe, S. 15.
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würden, wäre das Schiff nach den Definitionen des Freibordvertrages als „Segelschiff“ einzustufen. Die Definitionen des Freibordvertrages entsprechen dabei den tatsächlichen Gegebenheiten der damaligen Zeit. Es war im Jahr 1930 üblich, dass maschinenbetriebene Schiffe zur Unterstützung zusätzlich mit einem oder mehreren Segeln ausgerüstet waren, und umgekehrt.121 Bezugnehmend auf die Definitionen des Freibordvertrages unterteilen bspw. Herner/Verhovsek Segelschiffe in „Vollsegler (Segelschiffe ohne Motor)“ und „Segelschiffe mit Motor“.122 Nach den Definitionen des Freibordvertrages wären mit einem zusätzlichen Motor ausgestattete Segelschiffe begrifflich solange weiterhin „Segelschiffe“ – und mithin, innerhalb des Begrifflichkeiten von SOLAS, ein „Schiff ohne Maschinenantrieb“ –, als die Segel ohne Zuhilfenahme der Maschine[n] – auch unter widrigen Windverhältnissen bspw. – hinreichend Vortrieb für den Fahrtbetrieb des Schiffes erzeugen, d. h. den „originären Eigenantrieb“ des Schiffes darstellen. Dieses Begriffsverständnis entspricht der zuvor herausgearbeiteten heutigen Position der überwiegenden Anzahl der Staaten, wie sie aus der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie („Segelschiff“) und dem SPS-Code („Eigenantrieb“) hervorgehen. Damit sprechen im Ergebnis ganz überwiegende Gesichtspunkte dafür, dass das bezeichnete Begriffsverständnis der Ausnahmeregelung für „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ in Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS zugrunde zu legen ist. (d) Abgrenzung eines „mechanischen (Haupt-)Antriebs“ von einem Segelschiff mit „Hilfsantrieb“ Zu klären bleibt demnach, nach welchen Kriterien genau ein Segelschiff, dass „hauptsächlich durch Segel angetrieben“ und nur mit einem „mechanischen Antrieb als Hilfsantrieb und für Notfälle“ ausgestattet ist123, von einem Schiff abzugrenzen ist, dass über einen mechanischen „Eigenantrieb“124 verfügt. Die gewöhnliche Wortlautbedeutung der Formulierung „hauptsächlich durch Segel“ angetrieben und des dieser gegenüberstehenden Begriffes „Eigenantrieb“ weisen darauf hin, dass zum einen maßgeblich ist, dass der Segelantrieb prinzipiell allein genügt, um das Schiff seiner Bestimmung entsprechend zu nutzen. Ein neben Segeln vorhandener mechanischer Antrieb dürfte demgegenüber, um nicht die Qualität eines „Eigenantriebs“ aufzuweisen, nicht geeignet sein, dass Segelschiff ohne Zuhilfenahme der Segel seiner bestimmungsgemäßen Nutzung zuzuführen. Die Eigenschaft als „Hilfsantrieb“ bzw. Antrieb „für Notfälle“ könnte es ausmachen, dass der Maschinenantrieb die Segel lediglich unterstützt, etwa in schwierigen 121
S. 3 ff. 122 123 124
Vgl. Heinrich Herner/Rudolf Verhovsek, Entwurf und Einrichtung von Handelsschiffen, Ebenda, Fn. 1. Vgl. die Definition des Begriffes „Segelschiff“ in Art. 2 z) Richtlinie 2009/45/EG. Vgl. die Definition des Begriffes „Spezialschiff“ in Regel 1.3.12. SPS-Code.
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Fahrgewässern (Hafen) oder bei widrigen Wetterverhältnissen oder auch um die Manövrierfähigkeit des Schiffes zu verbessern oder aufrecht zu erhalten. Das Amtsgericht Hamburg hat die vorzunehmende Abgrenzung in einem Urteil aus dem Jahr 2010125 sehr präzise bestimmt und folgende Kriterien aufgestellt: maßgeblich sei, ob ein Schiff, das Fahrgäste befördert, seinen mechanischen Antrieb neben den Segeln nutzen könne, um auch bei widrigen Windverhältnissen („gegenan oder Flaute“) einen bestimmten Hafen „für einen Fahrgastwechsel termingerecht“ zu erreichen. In diesem Fall handele es sich nicht um ein „Schiff ohne mechanischen Antrieb“, da der maschinelle Antrieb neben den Segeln ein „vollwertiger Maschinenantrieb“ sei. Als Gegenbeispiel stellt das Amtsgericht Hamburg Schiffe dar, die neben Segeln lediglich über Bugstrahlruder oder Hilfsmaschinen zur Manövrierunterstützung im Hafen verfügen; bei denen die Leistung des Maschinenantriebs126 aber so schwach sei, dass sie „bei ungünstigen Verhältnissen auch mal mit erheblicher Verspätung“ den anvisierten Hafen erreichen. In letzterem Fall handele es sich um ein „Schiff ohne mechanischen Antrieb“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS. Diese Auslegung durch das Amtsgericht Hamburg steht inhaltlich mit der Wortlautbedeutung der Formulierung „hauptsächlich durch Segel“ angetrieben und des dieser gegenüberstehenden Begriffes „Eigenantrieb“ ebenso in Einklang, wie mit den Definitionen des Freibordvertrages („Dampfschiff“/„Segelschiff“). Sie ist somit maßgebend. (e) Auslegungsergebnis Bei einem Traditions-(Segel-)schiff handelt es sich mithin auch dann um ein „Schiff ohne mechanischen Antrieb“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS, wenn neben den Segeln ein mechanischer Antrieb vorhanden ist, der jedoch die Qualität eines „Eigenantriebes“ nicht aufweist; d. h. wenn es sich um einen lediglich unter bestimmten Umständen die Manövrierfähigkeit des Schiffes erhöhenden oder dessen Fahrt anderweitig unterstützenden Hilfs- oder Notfallantrieb handelt. Ein mechanischer „Eigenantrieb“ wäre demgegenüber jeder Antrieb, der es dem Schiff er125 Urteil vom 22. Dezember 2010, Geschäfts-Nr. 218 OWi 20/10, 7402 Js-OWi 119/10; nicht veröffentlicht. 126 Italien, Portugal sowie ein weitere EU-Mitgliedstaat hatten im Rahmen des Änderungsverfahrens der EU-Fahrgastschiffrichtlinie vorgeschlagen, in die Definition des „Segelschiffes“ in der Richtlinie eine maximale Antriebsleistung der Maschine als Abgrenzungskriterium aufzunehmen. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt mit der Begründung, dass die Aufnahme eines solchen zusätzlichen Kriteriums nicht notwendig und das Kriterium im Übrigen mehr oder weniger willkürlich sei (SWD(2016) 190 final, S. 12). In der Tat dürfte es schwierig sein, eine zur Abgrenzung geeignete Leistung des mechanischen Antriebs als absolute Zahl festzulegen; da es mehr auf einen relativen Vergleich zur Vortriebsleistung unter Segeln ankommen dürfte. Das AG Hamburg hat den Maschinenantrieb des in dem Fall betroffenen Schiffes als vollwertigen mechanischen (Haupt-)Antrieb eingestuft, (u. a.) da das Schiff mit dem Maschinenantrieb mit einer Geschwindigkeit von bis zu 8 Knoten in Fahrt gebracht werden konnte gegenüber einer unter Segeln maximal erreichbaren Geschwindigkeit von 9 Knoten.
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möglicht, unabhängig von äußeren, für die Fahrt unter Segeln ausschlaggebenden Faktoren wie Windverhältnissen und Wellengang seinen Fahrtbetrieb nach einem festen Fahrplan auszurichten. Andererseits müssen die Segel des Traditionsschiffes unter allen Bedingungen ohne Zuhilfenahme maschineller Unterstützung hinreichend Vortrieb erzeugen können, um das Schiff manövrierfähig in Fahrt zu setzen. (2) Ergebnis: von der Ausnahme erfasste Traditionsschiffe Entsprechend der Subsumtion eines Traditions-(Segel-)schiffes unter die vorgenannten Maßstäbe sind Schiffe – neben Traditionssegelschiffen, die über keinerlei maschinellen Antrieb verfügen – von der Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS ggf. erfasst. c) „Holzschiffe einfacher Bauart“ Weiter ist in Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS eine Ausnahmeregelung für „Holzschiffe einfacher Bauart“ vorgesehen. Diese Ausnahme kann Traditionsschiffe erfassen, die aus Holz gebaut sind127. Fraglich ist dabei, welche Merkmale ein Schiff erfüllen muss, um von „einfacher“ Bauart i.S.v. Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS zu sein. Die übliche Wortlautbedeutung des Begriffes „einfach“ legt zunächst nahe, dass technisch-konstruktive Aspekte der Bauart eines Schiffes ausschlaggebend sein dürften; etwa im Sinne einer unentwickelten, schlichten Ausführung, deren Realisierung ohne ein komplexes Verfahren und ohne tiefere Kenntnisse auskommt128. Fraglich ist jedoch, ob daneben nicht auch die Größe eines Holzschiffes, definiert etwa über eine bestimmte Rumpflänge oder BRZ, oder dessen Alter eine Rolle spielen. Der Begriff der „einfachen Bauart“ ist zur Beantwortung dieser Fragen wiederum im Wege der Auslegung auf seine Bedeutung hin zu erschließen. (1) „Einfachheit“ der Bauart (a) Wortlautbedeutung Der (deutsche) Wortlaut „einfache“ Bauart gibt zu den genannten Deutungsmöglichkeiten – schlichte Bauausführung des Schiffes, Größe, Alter – ohne weiteres nichts her. 127
Die Abgrenzung danach, ob ein Schiff ein „Holzschiff“ i.S.d. Ausnahmeregelung darstellt, hat in der Praxis bislang keine Probleme aufgeworfen. Maßgeblich dafür dürfte sein, dass das Schiff in seinen wesentlichen, tragenden Konstruktionselementen überwiegend aus Holz besteht. Dazu wird eine Gewichtung nach Anteil und Bedeutung der Baumaterialien am bzw. für das Schiff ausschlaggebend sein. Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 5. März 2013-15 K 3594/09 –, Rn. 29 f., zitiert nach juris). Zur historischen Entwicklung und Formen der Holzbauweise von Schiffen siehe Dudszus, Das grosse Buch der Schiffstypen. Band 1, S. 14 f. und 26 ff. 128 Diese Bedeutung könnte im Englischen mit dem Adjektiv „non-complex“ umschrieben werden, für das es in der deutschen Sprache keine prägnante Übersetzung in einem Wort gibt.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Für den Prozess der Auslegung können die Bedeutungen, die dem entsprechenden Begriff in dem englischen und dem französischen Vertragstext von SOLAS – „primitive“ (engl. und frz.) – in Wörterbüchern zugeschrieben werden, einen ersten Eindruck seiner gewöhnlichen Bedeutung vermitteln.129 Das Adjektiv „primitive“ (engl.) bedeutet vorrangig, v. a. im funktionellen Zusammenhang mit „build“, etwa „anfänglich“ im Sinne von „frühgeschichtlich“, „urtümlich“ oder „altmodisch“.130 Daran fällt auf, dass die Bedeutungen einen historischen Bezug aufweisen. Die Übersetzung von „primitive“ (engl.) als „einfach“, auch im Sinne von „behelfsmäßig“ oder „primitiv“, ist demgegenüber nur eine von verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten, die jedoch weit weniger häufig genutzt wird.131 Das französische Adjektiv „primitif“ wird ebenfalls vorrangig mit „ursprünglich“ oder „Ur-…“ übersetzt.132 Auch innerhalb des französischen Wortlautes findet sich mithin ein historischer Bezug. Der Begriff „einfach“ aus dem deutschen Vertragstext von SOLAS ist demnach mit den Wortbedeutungen von „primitive“ in der englischen und französischen Sprache nicht ohne weiteres identisch. Folglich ist zu klären, ob dem englischen, französischen und dem deutschen Vertragstext von SOLAS völkerrechtlich die gleiche Verbindlichkeit zukommt. Der englische und der französische Text stellen authentische Texte von SOLAS dar, die nach Art. XIII Satz 1 SOLAS verbindlich sind. Das entspricht Art. 33 Abs. 1 WVRK, wonach, wenn ein Vertrag in zwei oder mehr Sprachen als authentisch festgelegt worden ist, der Text in jeder authentischen Sprache in gleicher Weise maßgebend sein soll, sofern der Vertrag nichts Abweichendes vorsieht oder die Vertragsparteien nichts Abweichendes vereinbart haben. Demgegenüber ist der deutsche Text kein authentischer, sondern eine amtliche Übersetzung.133 Amtlichen Übersetzungen kommt völkerrechtlich keine Verbindlichkeit zu.134 Für die Auslegung des Begriffes „Holzschiff einfacher Bauart“ ist folglich der Wortlaut des englischen und des französischen Textes maßgeblich. Damit vermittelt die gewöhnliche Bedeutung des Begriffes „primitive“ in den authentischen Texten von SOLAS als ersten Anhaltspunkt für die Auslegung, dass
129
Gardiner, Treaty interpretation, S. 186 m.w.N. Springer u. a., Langenscheidts enzyklopädisches Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache. Im Concise Oxford English Dictionary wird der Term „primitive“ wie folgt definiert: „relating to or denoting the earliest times in history or stages in evolution or development“. 131 Springer u. a., Langenscheidts enzyklopädisches Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache. In Lexika der englischen Sprache, wie dem The Oxford English Dictionary, findet sich keine Beschreibung des Terms „primitive“, die dem Bedeutungsgehalt der deutschen Begriffe „primitiv“ oder „behelfsmäßig“ entsprechen würde. 132 Weis u. a., Langenscheidts Großwörterbuch Französisch. Pons-Großwörterbuch Französisch-Deutsch. Hauptband. 133 Art. XIII Satz 2 SOLAS. 134 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, S. 415. 130
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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mit „einfach“ vorrangig eher eine „ursprüngliche“ oder „altmodische“, d. h. eine alte, historisch überlieferte Bauart eines Schiffes gemeint sein könnte. (b) Positionen der Staaten Die für die vorliegende Arbeit vorgenommene Umfrage hinsichtlich der durch verschiedene Staaten gelebten Interpretationen der Ausnahmeregelungen hat ergeben, dass es in Bezug auf den Begriff der „einfachen Bauart“ zwischen einigen Staaten Gemeinsamkeiten in den Begriffsverständnissen gibt. Die Gemeinsamkeiten geben ein Indiz für eine Übung der Staaten i.S.v. Art. 31 Abs. 3 b) WVRK bei der Anwendung von SOLAS und vermitteln damit einen weiteren Anhaltspunkt für die Auslegung des Begriffes „Holzschiff einfacher Bauart“. Die dänische Schifffahrtsverwaltung hat in der Umfrage erklärt, unter einem „Holzschiff einfacher Bauart“ Schiffe zu verstehen, die „nach alten Überlieferungen und Techniken gebaut werden“135. Als Beispiele hat sie „Wikingerschiffe“136 und „alte Schoner“137 genannt. Die niederländische Schifffahrtsverwaltung hat hinsichtlich ihres Begriffsverständnisses auf eine Definition des „Holzschiffes einfacher Bauart“ in Regel 1/1.1.25 CCSS-Code verwiesen. Danach ist ein „Holzschiff einfacher Bauart“ ein „Holzschiff traditioneller Bauart […]“138.139 Nach der Erklärung der australischen Schifffahrtsverwaltung schließt es das Vorliegen einer „einfachen Bauart“ eines Schiffes aus, „wenn zeitgemäße Baustoffe verwendet werden, wie Glasfasern“140. Ferner hat die australische Schifffahrtsverwaltung auf die Frage, wann ein Holzschiff von „einfacher Bauart“ ist, dargelegt: „Dies hängt nicht nur von den verwendeten Baustoffen ab, sondern auch von der Art, nach der das Schiff gebaut ist.“141. Die Gemeinsamkeit der untersuchten Begriffsverständnisse liegt folglich darin, dass die Bauart eines Schiffes, bezogen auf die verwendeten Materialien und die Art der Konstruktion, eine traditionelle im Sinne einer historisch überlieferten darstellen muss.142 Das Begriffsverständnis, für welches bereits die gewöhnliche Wortbedeu135
Wörtlich: „ships build in accordance with old traditions and techniques“. „viking-ships“. 137 „old scooners“. 138 „wooden ship of traditional built not primarily propelled by mechanical means“. 139 Die gleiche Definition verwendet auch die malaysische Schifffahrtsverwaltung (Jabatan Laut Malaysia) in Regel I/2 ihrer Anforderungen und technischen Standards für Frachtschiffe, die nicht SOLAS unterfallen („requirement and technical standard for non convention cargo ship“, Text abrufbar auf dem Internetauftritt der malaysischen Schifffahrtsverwaltung unter www.marine.gov.my). 140 „If the materials used are modern, such as fibreglass this would not be primitive build.“ 141 „It would rely not only on the build materials but the way it is constructed also.“ 142 Es liegt vor dem Hintergrund der Gemeinsamkeiten in den Begriffsverständnissen der Staaten nahe, dass hinter der Ausnahmeregelung für „Holzschiffe einfacher Bauart“ die Intention der Staaten steht, Schiffe, denen die Einhaltung der SOLAS-Standards ihres historischen Charakters wegen nicht möglich ist, von den Anforderungen auszunehmen. Ziel der 136
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
tung in den authentischen Vertragstexten von SOLAS gesprochen hat, wird dadurch bestätigt. (c) Historie des Vertragstextes Es spricht ferner einiges dafür, dass ergänzend i.S.v. Art. 32 WVRK auch die Historie des Vertragstextes von SOLAS die bislang gefundene Auslegung bestätigt. In den SOLAS-Fassungen von 1948 und von 1960 befand sich hinter der Ausnahmeregelung für „Holzschiffe einfacher Bauart“ die beispielhafte Aufzählung „so wie Dschunken und Dhaus etc.“ („…, such as dhows, junks, &c.“). Diese Aufzählung wurde in der Fassung von SOLAS aus dem Jahr 1974 gestrichen143, ohne dass die historischen Materialien die Beweggründe der Staaten dafür erkennen lassen. Damit bleibt zwar ungeklärt, ob die Streichung der beiden Beispiele im Jahr 1974 absichtlich erfolgte, sodass ihr eine Bedeutung beizumessen wäre. Denkbar wäre mithin, dass Dschunken und Dhaus gerade nicht mehr als Beispiele für ein „Holzschiff einfacher Bauart“ i.S.d. Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS gelten sollten. Die australische Schifffahrtsverwaltung definiert ein „Holzschiff einfacher Bauart“ indes auch heute als „ein Schiff wie eine Dhau oder Dschunke“144. Dies spricht dafür, dass Dschunken145 und Dhaus146 auch heute noch beispielhaft für den Begriff des „Holzschiffes einfacher Bauart“ stehen. Dabei ist Dschunken und Dhaus wiederum gemeinsam, dass es sich um Schiffstypen handelt, die auf eine historisch überlieferte, bis zu zweitausendjährige Bautradition zurückgehen.
Ausnahmeregelung wäre damit, die Fortführung einer bestimmten Schiffbau-Tradition nicht dadurch zu unterbinden, dass die Einhaltung neuerer baulicher Standards gefordert wird, die sich mit der historischen Bauart nicht vereinbaren lassen. 143 Vgl. SOLAS/CONF/D/3 (Entwurf) und SOLAS/CONF/10 (Annahme), abrufbar auf dem Internetauftritt der IMO. 144 Befragt nach ihrem Verständnis der Ausnahmeregelung „Holzschiff einfacher Bauart“: „A vessel such as a Dhow or Junk“. 145 Die „Dschunke“ ist die europäische Bezeichnung für ein- bis dreimastige Segel-Lastschiffe aus dem ostasiatischen Raum. Die Grundmerkmale dieses Schiffstypes entstanden bereits vor Jahrtausenden. Dschunken sind durch bestimmte einheitliche Merkmale gekennzeichnet, wie einem stumpfen, löffelförmigen Bug, einem flachen, breiten Schiffsboden mit hochgezogenen Enden und fast senkrecht aufgesetzten Seitenwänden, einer bestimmten Mastanordnung und Segelart. In ostasiatischen Seegebieten sind Dschunken bis heute anzutreffen. Für alles Vorstehende: Dudszus, Das grosse Buch der Schiffstypen. Band 1, S. 91 f. 146 Eine „Dhau“ (auch „Dau“ oder „Dhow“) ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene arabische und indische Segelschiffstypen mit bestimmten baulichen Charakteristika, die typischer Weise entlang der Ostküste Afrikas bis zum Roten Meer und dem Arabischen Golf sowie entlang des westindischen Küste in Fahrt sind. Die Anfänge dieser arabischen Schiffstypen reichen bis in die ersten Jahrhunderte n.C. zurück. Dhaus werden bis in die Gegenwart in Sansibar, Daressalam, Mombasa und an den Küsten Kenias sowie in anderen, arabischen Ländern nach althergebrachter Schiffbaukunst gebaut. Für alles Vorstehende: Dudszus, Das grosse Buch der Schiffstypen. Band 1, S. 84.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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(d) Zwischenergebnis Als Ergebnis der Auslegung nach dem Wortlaut, nach Gemeinsamkeiten in den Begriffsverständnissen zwischen Staaten und nach der Historie des Vertragstextes von SOLAS ist der Begriff der „Einfachheit“ der Bauart eines Holzschiffes für die Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS dahin auszulegen, dass die Ausführung des Schiffes in Materialien und Konstruktion nach einer historisch überlieferten Bauart maßgeblich ist.147/148 Um in diesem Sinne „historisch überliefert“ zu sein, wird eine Bauart, wie sich aus der Wortlautbedeutung der Formulierung und dem Vergleich mit den beispielhaft genannten „Dschunken“ und „Dhaus“ ergibt, auf eine sehr alte Tradition zurückgehen müssen. Nicht ausreichend wird es demnach für eine „historische Überlieferung“ in aller Regel sein, wenn eine bestimmte Bauart etwa nur zwischen 50 und 100 Jahren alt ist. Vielmehr wird eine Bauart zu fordern sein, die auf eine Tradition von deutlich mehr als 100 Jahren zurückgeht. (2) Beschränkung der Schiffsgröße? Ungeklärt bleibt durch das bisherige Auslegungsergebnis, ob die Ausnahmeregelung evtl. eine Beschränkung der Größe der Schiffe bzw. der Anzahl der an Bord genommenen Fahrgäste verlangt. Befragt nach ihrer Verwaltungspraxis bei der Anwendung der Ausnahmeregelung „Holzschiff einfacher Bauart“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS haben verschiedene Staaten darauf hingewiesen, dass sie die Ausnahme, unabhängig von der originären Definition der „einfachen Bauart“, in der Praxis nur mit Einschränkungen anwenden. So hat die dänische Schifffahrtsverwaltung erklärt: „Wenn sie [Holzschiffe einfacher Bauart, d. Verf.] mehr als 12 Fahrgäste an Bord nehmen würden wir sie gleichwohl 147 Freilich wird eine historisch überlieferte Bauart eines Schiffes in aller Regel faktisch auch damit einhergehen, dass das Schiff in einer eher unentwickelten, schlichten technischen Ausführung realisiert ist. Die im Ergebnis ermittelte Auslegung verdrängt damit nicht etwa den (ursprünglichen) Anknüpfungspunkt, nach dem ein Schiff von „einfacher“ Bauart i.S.v. Regel I/ 3 a) lit. iv) SOLAS sein kann, wenn es von unentwickelter Ausführung ist. Allerdings wird zu berücksichtigen sein, dass nicht jedes Holzschiff einer unentwickelten technischen Bauart ohne weiteres ein „Holzschiff einfacher Bauart“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS darstellt. Dies ist nach dem vorliegenden Auslegungsergebnis nur dann der Fall, wenn die Bauart deshalb unentwickelt ist, eben weil sie auf eine historische Überlieferung zurückgeht. 148 Die Übersetzung im deutschen Text von SOLAS mit „einfache Bauart“ stellt demnach eine ungenaue Übersetzung dar, da die Ausnahmeregelung vielmehr auf „Holzschiffe ursprünglicher, historisch überlieferter Bauart“ lauten sollte. Der Übersetzungsfehler könnte wie folgt zu erklären sein: In der deutschen Übersetzung der SOLAS-Fassung von 1948 (dort Regel I/3 (a) lit. iv]; deutsche Übersetzung abgedruckt bei Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht, Teil 1, S. 598.) wurde die Ausnahmeregelung noch – vermutlich in enger Anlehnung an den englischen und französischen authentischen Wortlaut – mit „Holzschiffe primitiver Bauart …“ übersetzt. Das Adjektiv „primitiv“ könnte bei einer späteren Neuübersetzung durch „einfach“ ersetzt worden sein, wobei verloren ging, dass dem ursprünglich verwendeten Adjektiv „primitiv“ die Bedeutung als „altertümlich“ oder „ursprünglich“ hätte beigemessen werden müssen.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
immer als ein Fahrgastschiff i.S.v. SOLAS einordnen“.149 Die dänische Schifffahrtsverwaltung nimmt demnach eine Beschränkung nach der Fahrgastzahl vor und orientiert sich dabei an der Definition eines Fahrgastschiffes in SOLAS. Nach der Definition in Regel 1/1.1.24 CCSS-Code handelt es sich bei einem „Holzschiff einfacher Bauart“ um ein „Holzschiff traditioneller Bauart ohne maschinellen Hauptantrieb“150. Die Niederländer und einige Karibik-Staaten, die bei ihrer Verwaltungspraxis auf die Definition aus dem CCSS-Code rekurrieren, beschränken die Anwendung der Ausnahmeregelung folglich nach der Antriebsart eines Schiffes.151 Demgegenüber hat die australische Schifffahrtsbehörde, befragt nach ihrer Verwaltungspraxis bei der Anwendung der Ausnahmeregelung, erklärt, dass es auf die Größe des Schiffes oder die Fahrgastanzahl nicht ankomme.152 Allerdings hat Australien auch selbst darauf hingewiesen, kaum über Schiffe zu verfügen, welche der Ausnahmeregelung zugeordnet werden könnten153, sodass der Aussage Australiens – mangels tatsächlicher Verwaltungspraxis zur Anwendung der Ausnahmeregelung – in diesem Zusammenhang kein maßgebliches Gewicht zuzusprechen ist. Die festgestellte Gemeinsamkeit zwischen einigen Staaten vermittelt folglich einen Anhaltspunkt dafür, dass die Ausnahmeregelung teilweise restriktiv angewendet wird. Dem steht gegenüber, dass der Wortlaut der Ausnahmeregelung „Holzschiff einfacher Bauart“ eine Beschränkung der Größe oder Kapazität der Schiffe zur Aufnahme von Fahrgästen nicht vorsieht – wiewohl er sie auch nicht zwingend ausschließt. Mit dem Vertragszweck von SOLAS stände eine restriktive Anwendung der Ausnahmeregelung für „Holzschiffe einfacher Bauart“ in Einklang. Der Schutz des menschlichen Lebens auf See würde nicht größtmöglich verwirklicht, wenn Schiffe einer bestimmten Bauart von allen materiellen Anforderungen von SOLAS ausgenommen würden, unabhängig davon, wie viele Menschenleben in der Praxis von der Seetüchtigkeit des Schiffes abhängen. Wenn eine Auslegung jedoch im Ergebnis mit dem Zweck eines Vertrages nicht vereinbar ist, so kann sie gemäß Art. 31 Abs. 1 WVRK, soweit darin die Auslegung eines Vertrages „im Lichte seines Zieles und 149
Wörtlich: „If they are to transport more than 12 passengers we would however always regard them as a SOLAS passenger ship“. 150 „Wooden ship of traditional built not primarily propelled by mechanical means“. 151 Dahinter dürfte freilich bei den Staaten der Karibik – mit Blick auf die geografischen Gegebenheiten der diesen Staaten zuzuordnenden Inseln – die Erwägung stehen, Schiffen nicht über die Ausnahme für „Holzschiffe einfacher Bauart“ mit Fahrgästen an Bord den Liniendienst zwischen den Inseln zu ermöglichen, ohne dass die Schiffe die Anforderungen von SOLAS erfüllen müssen. 152 Wörtlich: „size or passengers would not matter“. 153 Australien hat lediglich angegeben, dass J-Class Jachten je nach Baudatum vertretbar unter die Ausnahmeregelung gefasst werden könnten. (Wörtlich: „Australia does not have many vessels, a J Class yacht would arguably fit this depending upon the build date“)
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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Zweckes“ gefordert wird, gleichwohl korrigiert werden.154 Eine solche Korrektur kann in der insoweit übereinstimmenden Anwendungspraxis einiger Staaten gesehen werden. Es ist vor diesem Hintergrund zumindest vertretbar, die Ausnahmeregelung für „Holzschiffe einfacher Bauart“ in Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS restriktiv anzuwenden in dem Sinne, dass Schiffe von der Anwendung der Ausnahmeregelung ausgeschlossen sind, wenn sie eine Vielzahl von Fahrgästen (mindestens mehr als 12) an Bord nehmen. (3) Auslegungsergebnis Nach alledem ist unter einem „Holzschiff einfacher Bauart“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS ein aus Holz und nach einer historisch überlieferten Bauart gebautes Schiff zu verstehen, wobei die Anwendungspraxis einiger Saaten restriktiv ist, indem sie dahin geht, von Schiffen ab einer bestimmten Größe oder mit einer Kapazität zur Aufnahme von mehr als 12 Fahrgästen gleichwohl die Einhaltung der SOLASAnforderungen zu verlangen. (4) Ergebnis: von der Ausnahme erfasste Traditionsschiffe Traditionsschiffe sind nach alledem (jedenfalls) von der Ausnahme für „Holzschiffe einfacher Bauart“ nach Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS erfasst, wenn sie aus Holz gebaut sind und mit ihrer Historizität eine historisch überlieferte Bauart verkörpern sowie nicht dafür genutzt werden, eine Vielzahl von Fahrgästen zu befördern. In aller Regel wird die Bauart eines Traditionsschiffes allerdings nicht alt genug sein, um „historisch überliefert“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS zu sein. d) „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ Eine weitere Ausnahme ist in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS normiert für „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“. In der Anwendung auf kleinere Traditionsschiffe, die ausschließlich im privaten Rahmen zu Freizeitfahrten genutzt werden, wirft diese Ausnahmeregelung keine nennenswerten Schwierigkeiten auf. Fraglich ist jedoch, ob und inwieweit die Ausnahme auch Traditionsschiffe erfasst, mit denen der Öffentlichkeit entgeltliche Fahrten angeboten werden. Die Ausnahmeregelung besteht aus den einzelnen tatbestandlichen Elementen „Vergnügungs-“, „Jacht“ und „nicht dem Handelsverkehr dienend“, die zur Beantwortung dieser Frage nachfolgend im Einzelnen auf ihren jeweiligen Bedeutungsgehalt hin untersucht werden.
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Vgl. Aust, Modern treaty law and practice, S. 209 m.w.N.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
(1) „Vergnügungsjacht“ Das Tatbestandsmerkmal „Vergnügungsjacht“ besteht aus den beiden Wortbestandteilen „Vergnügen“ und „Jacht“, woraus sich die Frage ergibt, inwieweit den beiden Wortbestandteilen jeweils eigenständige Bedeutung zukommt. (a) „Vergnügen“ Unter den Begriff „Vergnügungsjachten“ werden in den nationalen Rechtsordnungen der Staaten, abgeleitet aus dem Begriffsverständnis des Wortes „Vergnügen“, in aller Regel Schiffe subsumiert, die für Sport- und Freizeitzwecke bestimmt sind und genutzt werden.155 Das erfasst etwa Schiffe für Regatten, Sportfischerei oder für „Lustfahrten“, also für Fahrten zu Erholungs- und Zerstreuungszwecken oder für private Reisen.156 Die dahingehend intendierte Nutzung muss dem Schiff im Zeitpunkt der rechtlichen Einordnung i.S. einer subjektiven Zweckbestimmung anhaften, d. h. sie muss sich aus der Nutzungsabsicht des jeweiligen Eigners bzw. Schiffsführers ergeben, die sich u. U. freilich nach äußeren, allgemeingültigen Merkmalen wird bestimmen lassen müssen. Damit ergibt sich die Frage, ob die Nutzung eines Schiffes als Traditionsschiff – zunächst ungeachtet der Unterscheidung, welchem Personenkreis Fahrten mit dem Schiff angeboten werden und ob bzw. in welcher Höhe für die Fahrt Entgelt genommen wird157 – eine Nutzung zum „Vergnügen“ i.S.d. Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS ist. Traditionsschiffe werden überwiegend in Fahrt gesetzt, um den Gästen an Bord die historischen Aussagen des Schiffes zu vermitteln. Die Gäste sollen erfahren und erleben, wie ein Schiff mit seinen historischen baulichen und technischen Merkmalen und nach traditioneller Seemannschaft in frü155
So etwa nach den „The Merchant Shipping (Vessels in Commercial Use for Sport or Pleasure) Regulations 1998“ Großbritanniens. Ebenfalls so nach den Regeln der Schifffahrtsverwaltung von Mauritius über die Ausstellung einer „Pleasure Craft Licence“: „A Pleasure Craft Licence (PCL) is issued to a vessel used for fishing as a sport, for water sports, or pleasure purposes and includes a recreational platform.“ Vgl. etwa auch die Definition eines „pleasure craft“ nach dem „small craft compliance guide“ der Schifffahrtsverwaltung von Antigua und Barbuda: „Pleasure craft means any craft used for sport or pleasure by the owner …“. 156 Dieses von den Staaten gelebte Begriffsverständnis prägt auch die heutige Wortbedeutung des Terms „Jacht“, für die beispielhaft die Beschreibung des Terms „yacht“ aus dem The Oxford English Dictionary genannt sein soll: „… a vessel usually light and comparatively small, propelled by motive power other than oars, and used for pleasure excursions, cruising etc., and now esp. one built and rigged for racing“. Der Begriff „Jacht“ (von der holländischen Bezeichnung „Jagt“ bzw. „Jaghd“) war ursprünglich – seit etwa der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – eine Bezeichnung für spezielle „Schnellsegler“, die in den Niederlanden bspw. im Zolldienst zur Verfolgung von Schmugglerfahrzeugen, später in England auch für Wettfahrten verwendet wurden. (Dudszus, Das grosse Buch der Schiffstypen. Band 1, S. 140 und 264. Ausführlich zum Begriff „yacht“ auch in Jeans, Peter D., Ship to Shore, A dictionary of everyday words and phrases derived from the sea). 157 Dazu eingehend nachfolgend unter (3).
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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heren Zeiten gesteuert und gefahren wurde und wie es aufgrund seiner Eigenschaften eingesetzt wurde. Personen, die für solche Zwecke an Bord eines Traditionsschiffes gehen, entscheiden sich dafür aus privatem Interesse in ihrer Freizeit, vergleichbar etwa einem Museumsbesuch oder einer Erholungsfahrt. Mit Blick auf die Betreiber stellt die Nutzung des Traditionsschiffes einen „Freizeitzweck“ dar, soweit der Aspekt der „Liebhaberei“158 im Vordergrund steht, d. h. das persönliche Interesse daran, das Schiff in Fahrt zu erhalten und zum Erleben zugänglich zu machen, und soweit die Schiffe dementsprechend von Berufstätigen (überwiegend) in ihrer Freizeit oder von Ruheständlern betrieben werden. Insoweit lässt sich die Nutzung eines Schiffes als Traditionsschiff als Bestimmung für Freizeitzwecke und mithin als „Vergnügen“ i.S.d Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS einordnen, sodass Traditionsschiffe entsprechend von diesem Tatbestandsmerkmal erfasst sind. (b) „Jacht“ Fraglich ist, ob das Tatbestandsmerkmal der „Jacht“ über die subjektive Zweckbestimmung hinsichtlich der gegenwärtigen Nutzung des Schiffes, die nach dem Vorgesagten durch den Wortbestandteil „Vergnügungs-“ abgedeckt ist, hinaus evtl. die Erfüllung bestimmter baulicher Merkmale verlangt. Maßgeblich könnte etwa sein, dass das Schiff objektive bauliche Merkmale aufweist, die das Schiff (im Sinne einer objektiven Zweckbestimmung) als für Sport- und Freizeitzwecke gebaut erscheinen lassen.159 Zudem könnte das Tatbestandsmerkmal „Jacht“ evtl. Schiffe ab einer bestimmten Größe von der Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS ausschließen. Die Verwendung des gesonderten Wortbestandteiles „Jacht“ innerhalb der Ausnahmeregelung legt es einerseits nahe, dass bauliche Merkmale eines Schiffes ausschlaggebend sein sollten. Andernfalls hätte für den Tatbestand auch der Begriff „Vergnügungsschiff“ oder „Vergnügungsfahrzeug“ gewählt werden können. Andererseits geht der Wortlaut der Ausnahmeregelung, der den Begriff „Jacht“ enthält, noch auf die SOLAS-Fassung aus dem Jahr 1948 zurück.160 Zur Zeit der SOLASFassung von 1948 gab es abseits von „Jachten“ keine anderen Schiffe, die zu Ver-
158 Der (rechtliche Fach-)Begriff der „Liebhaberei“ entstammt in der deutschen Rechtsordnung dem Einkommenssteuerrecht und bezeichnet dort das Gegenstück zu einem Gewerbebetrieb, der mit Gewinnerzielungsabsicht geführt wird. Der Bereich der „Liebhaberei“ umfasst den privaten Bereich der Lebensführung, in dem Tätigkeiten aus privater Neigung ausgeübt werden (Golombek, in: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Stand 01. 01. 2017, „Liebhaberei“, Rn. 1). 159 Eine solche Auslegung würde diejenigen Traditionsschiffe, die ursprünglich als Fahrzeuge der Berufsschifffahrt gebaut wurden, etwa als Fischereifahrzeug oder als Eisbrecher, ggf. von der Ausnahmeregelung ausschließen, sofern sich die ursprüngliche Nutzungsintention in baulichen Merkmalen niederschlägt. 160 Regel I/3 a) lit. v) der SOLAS-Fassung von 1948.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
gnügungszwecken auf See in Fahrt waren.161 Somit könnte der Begriff „Jacht“ auch durch diese schlichte Realität Eingang in die Formulierung gefunden haben. In völkerrechtlichen oder nationalen Regelwerken jüngeren Datums wird der (vergleichbare) Begriff neutraler bezeichnet als „pleasure craft“ oder als „pleasure vessel“ (Vergnügungsschiff oder Vergnügungsfahrzeug).162 Der Begriff „Jacht“ wird an dieser Stelle nicht mehr verwendet. Auch die Definitionen des Begriffes „pleasure craft“ (o. ä.) in den nationalen Rechtsordnungen der Staaten163 stellen nicht auf bauliche Merkmale eines Schiffes ab. Diese Aspekte sprechen für ein (heutiges164) Verständnis der Staaten dahin, dass für den Begriff „Vergnügungsjacht“ lediglich auf die subjektive Zweckbestimmung zum Zeitpunkt der gegenwärtigen Nutzung und nicht auf bauliche Merkmale abzustellen ist. Neben der bloßen Formulierung innerhalb der Ausnahmeregelung lassen sich SOLAS systematisch keine weiteren Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass dem Begriff „Jacht“ eine besondere Bedeutung im Sinne eines echten Tatbestandsmerkmals zuzuschreiben wäre, das die Erfüllung baulicher Anforderungen verlangt. Vielmehr bezieht sich das weitere Tatbestandsmerkmal der Ausnahme – „nicht dem Handelsverkehr dienen(d)“ – ausweislich seines Wortlautes ebenfalls auf die gegenwärtige Nutzung eines Schiffes. Auch bei der Unterscheidung zwischen Fahrgast- und Frachtschiffen wird in SOLAS nach der (gegenwärtigen) Nutzung des Schiffes zur Beförderung von mehr als 12 Fahrgästen differenziert.165 Mit diesen Gesichtspunkten spricht ebenfalls einiges dafür, dass auch der Wortbestandteil
161 Im Jahr 1931 etwa wurde der Begriff „Jacht“ lexikalisch als „Sammelname für Lustfahrzeuge, … [die, d. Verf.] Sport- oder Vergnügungszwecken dienen“ geführt. (So zum Begriff „Jacht“ in Der große Brockhaus von 1931.) 162 So etwa das Helsinki-Übereinkommen von 1992 in Art. 9 („Zusätzlich zu der Durchführung derjenigen Bestimmungen dieses Übereinkommens, die für eine Anwendung auf Vergnügungsschiffe geeignet sind, treffen die Vertragsparteien Sondermaßnahmen zur Bekämpfung schädlicher Auswirkungen auf die Meeresumwelt des Ostseegebiets, die durch den Betrieb von Vergnügungsschiffen verursacht werden.“ (Hervorhebung durch Verf.). Zu zahlreichen weiteren Beispielen aus nationalen Regelwerken vgl. im nachfolgenden Punkt (3) (b) (bb). 163 Siehe dazu in Fn. 190. 164 Für eine Auslegung, die, in Anknüpfung an den sog. objektiven Auslegungsansatz, auch im zeitlichen Fortgang entstehende Begriffswandlungen berücksichtigt, wird in der Literatur zum Teil der Begriff der „dynamischen Interpretation“ gebraucht. Vgl. dazu Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 21. Dahm u. a., Völkerrecht. Band I/3: Die Formen des völkerrechtlichen Handelns. Die inhaltliche Ordnung der internationalen Gemeinschaft, S. 640 f. und 648 ff. Doehring, Völkerrecht, Rn. 394 f. Crawford/Brownlie, Brownlie‘s principles of public international law, S. 687 ff. Bernhardt verwendet anstelle der Bezeichnung „dynamische Interpretation“ den Begriff der „evolutive interpretation“ und begründet dies wie folgt: „The word ,evolutive‘ is preferable since it better indicates that the interpretation can or should follow evolving tendencies in State and society“. Bernhardt, GYIL 1999, S. 11 (12 und Fn. 3). 165 Regel I/2 f) und g) SOLAS.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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„Jacht“ innerhalb der Ausnahmeregelung (nur) mit Blick auf die gegenwärtige Zweckbestimmung eines Schiffes zu verstehen ist. Nicht zuletzt ließe sich auch kaum hinreichend bestimmt eingrenzen, anhand welcher baulichen Merkmale ein Schiff als „Jacht“ bestimmt werden sollte. Zwar weisen Jachten rein faktisch oft bestimmte gemeinsame bauliche Merkmale auf, wie eine Länge unter 8 Metern, die typische Form des Yachthecks oder Kiel- bzw. Seitenschwerter.166 Gleichwohl gibt es keine klassische, einheitliche oder gar festgelegte Bauweise einer Jacht.167 Im Ergebnis sprechen mithin überwiegende Aspekte dafür, dass das Tatbestandsmerkmal der (Vergnügungs-) „Jacht“ über die subjektive Zweckbestimmung im Hinblick auf die gegenwärtige Nutzung des Schiffes hinaus nicht zwingend die Erfüllung bestimmter baulicher Merkmale oder die Einhaltung einer bestimmten Größe verlangt. Folglich bleibt es bei der Erfassung von Traditionsschiffen durch das Tatbestandsmerkmal „Vergnügungsjacht“ wie zuvor unter (a) festgestellt. Danach stellt die Nutzung eines Schiffes als Traditionsschiff insoweit168 in aller Regel eine „Vergnügungsjacht“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. v) SOLAS dar. (2) „(nicht) dem Handelsverkehr dienend“ Sodann ist das Tatbestandsmerkmal „nicht dem Handelsverkehr dienend“ der Ausnahme zu untersuchen, wobei sich v. a. die Frage stellt, welcher Bedeutungsgehalt diesem Tatbestandsmerkmal gegenüber dem Merkmal „Vergnügungsjacht“ (noch) zukommt. Dafür gibt vorrangig Aufschluss, wann ein Schiff „dem Handelsverkehr dient“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. v) SOLAS. Besonderes Augenmerk gilt dabei – mit Blick auf die mögliche Erfassung von Traditionsschiffen – den Fragen, ob „Handelsverkehr“ überhaupt auch aus der Mitnahme von Personen an Bord (gegen Entgelt) bestehen kann und ob und in welcher Höhe der Begriff des „Handelsverkehrs“ verlangt, dass der Betrieb eines Schiffes der Erwirtschaftung von Einnahmen dient.
166 Diese Gemeinsamkeiten dürften eher eine Folge der (intendierten) Nutzung der Schiffe zu Vergnügungsfahrzeugen sein und eignen sich damit nicht als originäres Definitionsmerkmal. Denkbar ist zwar, dass eine ganz erhebliche Abweichung der baulichen Merkmale eines Schiffes von eher „typischen“ Merkmalen einer Jacht – wie etwa eine enorme Größe – als Indiz dafür herangezogen werden kann, dass ein Schiff keine „Vergnügungsjacht“ darstellt. Praktisch wird sich ein Schiff in diesem Fall allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht unter die übrigen Tatbestandsmerkmale der Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS subsumieren lassen. 167 Zu verschiedenen Bauweisen einer „Yacht“ vgl. Dudszus, Das grosse Buch der Schiffstypen. Band 1, S. 266 f. 168 D. h. zunächst noch ungeachtet der Frage, welchen Einfluss es hat, ob und in welcher Form mit dem Traditionsschiff der Öffentlichkeit Fahrten gegen Entgelt angeboten werden. Dazu nachfolgend unter (3).
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(a) Mitnahme von Personen an Bord als „Handelsverkehr“? Zu klären ist zum ersten, ob „Handelsverkehr“ i.S.v. I/3 a) lit. v) SOLAS auch aus der (entgeltlichen) Anbordnahme von Personen bestehen kann, oder ob etwa stets die Beförderung von Fracht notwendig ist. Die gewöhnliche Wortlautbedeutung des Begriffes „Handel“ vermittelt, dass allein die Beförderung von Waren („Güterverkehr“169) erfasst sein könnte. Soweit Art. 31 Abs. 1 WVRK verlangt, die Bestimmungen eines völkerrechtlichen Regelwerkes nach der Bedeutung auszulegen, die ihnen „in ihrem Zusammenhang“ zukommt, ist zu berücksichtigen, dass die Ausnahme von „nicht dem Handelsverkehr dienenden Vergnügungsjachten“ den beiden, von SOLAS erfassten Grundkategorien des „Fahrgastschiffes“ und des „Frachtschiffes“ gegenübersteht.170 Nach der Systematik von SOLAS sind alle Schiffe, die weniger als 12 Fahrgäste an Bord nehmen und keiner der sonstigen Ausnahmen unterfallen, definitorisch ein „Frachtschiff“. Dieser Aspekt ist wiederum in dem Zusammenhang zu sehen, dass SOLAS, historisch betrachtet, nach dem Willen der Staaten grundsätzlich nur auf „merchant ships“ anwendbar sein soll, d. h. auf „Handelsschiffe“.171 In diesem Zusammenhang entstand zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Anwendung von SOLAS die Notwendigkeit klarzustellen, dass diejenigen Schiffe, die – ohne „Fahrgastschiff“ oder einer der sonstigen als Ausnahme genannten Schiffstypen (wie v. a. Fischerei- und Staatsfahrzeuge) zu sein – zugleich auch kein „Frachtschiff“ sind, nicht der Geltung von SOLAS unterliegen sollen. Diese Klarstellung erfolgte, als mit der SOLAS-Fassung von 1948 die Ausnahmeregelung der „nicht dem Handel dienenden Vergnügungsjacht“ eingefügt wurde172. Bereits diese Systematik spricht dafür, dass die „nicht dem Handelsverkehr dienende Vergnügungsjacht“ nach der Vorstellung der Staaten das Gegenstück zur Nutzung eines Schiffes als „Fracht-“ oder als „Fahrgastschiff“ darstellen soll. Die Fassung der Ausnahmeregelung, wie sie im Jahr 1948 in SOLAS Eingang fand, dürfte auf zwei Ausnahmeregelungen aus dem bereits erwähnten173 Vorgängerübereinkommen zu LLC, dem Freibordvertrag London 1930 (nachfolgend Freibordvertrag), zurückgehen. Im Freibordvertrag waren „Vergnügungsjachten“ („pleasure yachts“) und „Schiffe, die weder Ladung noch Fahrgäste befördern“ („ships not carrying cargo or passengers“174) vom Anwendungsbereich ausgenommen.175 Diese beiden Ausnahmeregelungen aus dem Freibordvertrag dürften in der 169 Vgl. zum Begriff „Handel“ etwa in Bertelsmann-Universal-Lexikon: „die gewerbsmäßig betriebene Anschaffung und Weiterveräußerung von Gütern …“ 170 Siehe dazu bereits in Fn. 67. 171 So bestimmte es bereits Kapitel II Art. 2 des engl. Textes der SOLAS-Fassung von 1914. 172 Vgl. Regel I/3 a) lit. v) der SOLAS-Fassung von 1948. 173 Siehe zum Freibordvertrag London 1930 bereits unter Punkt A. I. 3. b) (c) (aa) des 1. Teils der vorliegenden Arbeit. 174 Hervorhebung durch Verf. 175 Art. 2 Abs. 1 a) Freibordvertrag.
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SOLAS-Fassung von 1948 zu einer Ausnahmeregelung zusammengeführt worden sein, wobei sie innerhalb der Ausnahme als zwei getrennte Tatbestandselemente erhalten blieben. Dieser Zusammenhang spricht ebenfalls dafür, dass das Tatbestandselement „nicht dem Handelsverkehr dienend“ aus der heutigen Fassung der Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS die Entsprechung darstellt zu Schiffen, die („handelsmäßig“) „weder Ladung noch Fahrgäste befördern“. „Handelsverkehr“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. v) SOLAS erfasst nach alledem sowohl die Beförderung von Fracht, als auch die („handelsmäßige“ i.S.v. gewerbsmäßige176) Mitnahme von Personen an Bord. Damit sind Traditionsschiffe, die Personen an Bord nehmen, nicht bereits dadurch von dem Tatbestandselement „nicht dem Handelsverkehr dienend“ der Ausnahme erfasst, dass sie keine Waren befördern. (b) „Handelsverkehr“: Form der Entgeltlichkeit? Sodann ist zu untersuchen, welche Form von Entgeltlichkeit das Tatbestandselement „Handelsverkehr“ verlangt; i. e. in welcher Höhe oder Form ein Schiff Einnahmen erwirtschaften muss, um „Handelsverkehr“ Regel I/3 a) lit. v) SOLAS zu betreiben. Nach den vorgehenden Ausführungen sind „nicht dem Handelsverkehr dienende Schiffe“ das Gegenstück zum „merchant ship“177, also zum „Handelsschiff“. Für ein „Handelsschiff“ hat sich im deutschen Rechtsraum der Begriff des „Kauffahrteischiffes“ eingebürgert.178 Von dem Tatbestandsmerkmal „nicht dem Handelsverkehr dienend“ sind mithin alle Traditionsschiffe erfasst, die keine „Kauffahrteischiffe“ darstellen. (aa) Begriff des „Kauffahrteischiffes“ Der Begriff des „Kauffahrteischiffes“ entstammt der älteren Rechtssprache des See- und Seehandelsrechtes.179 Als „Kauffahrteischiff“ wird ein Seeschiff bezeichnet, das zu unmittelbarem oder mittelbarem Erwerb durch Seefahrt bestimmt ist.180 Unter den „Erwerb durch Seefahrt“ fällt typischer Weise etwa der entgeltliche
176
Zur genaueren Untersuchung der Voraussetzung der Entgeltlichkeit sogleich nachfolgend unter (b). 177 So Kapitel II Art. 2 des engl. Textes der SOLAS-Fassung von 1914. 178 Bspw. BVerfG, Urteil vom 10. Januar 1995 – 1 BvF 1/90, 1 BvR 342/90 und 1 BvR 348/ 90 –, Rn. 50 ff., zitiert nach juris. Nach Art. 27 GG bilden „alle deutschen Kauffahrteischiffe“ eine „einheitliche Handelsflotte“. Vgl. auch Ehlers, Recht des Seeverkehrs, Einl. FlRG, Rn. 6. 179 OVG Hamburg, Beschluss vom 1. Oktober 2009-1 Bs 129/09 –, Rn. 16, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2009-1 Bs 174/09 –, Rn. 14, zitiert nach juris. Zum Begriff des „Kauffahrteischiffes“ ausführlich Ehlers, Recht des Seeverkehrs, Einl. FlRG, Rn. 6. 180 OVG Hamburg, Beschluss vom 1. Oktober 2009-1 Bs 129/09 –, Rn. 16, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2009-1 Bs 174/09 –, Rn. 14, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010-1 Bs 181/10 –, Rn. 16, zitiert nach juris.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Transport von Personen oder Gütern über See oder die entgeltliche Erbringung von kommerziellen Dienstleistungen mit dem Schiff.181, 182 (bb) Vorliegen einer Nutzung zum „Erwerb durch Seefahrt“ Unklar bleibt durch die Begriffsbestimmung weiterhin, in welcher Höhe der Betrieb eines Schiffes der Erwirtschaftung von Einnahmen dienen muss, um ein „Kauffahrteischiff“ darzustellen, i. e. ein Schiff, dass dem „Erwerb durch Seefahrt“ dient. Für diese Frage gibt es näheren Aufschluss, dass der Begriff des „Kauffahrteischiffes“ in der Rechtsprechung regelmäßig synonym für eine gewerbliche Schiffsnutzung verwendet wird.183 Mithin ist zu klären, welche Einnahmesituation die Gewerblichkeit einer Schiffsnutzung ausmacht. Der Begriff „gewerblich“ ist in der deutschen Rechtsordnung in Bezug auf Schiffe nicht allgemeingültig definiert. Ein „allgemeiner“, für alle an das Merkmal anknüpfenden Rechtsgebiete gleichermaßen geltender Begriff des „Gewerbes“ besteht ebenfalls nicht. Vielmehr findet der Begriff im juristischen Sprachgebrauch unter181 Ausführlicher zu den Formen des „unmittelbaren“ und „mittelbaren“ Erwerbs durch Seefahrt Murphy, Das Recht der Schiffsbesetzung für Kauffahrteischiffe (Handelsschiffe) unter deutscher Flagge, S. 35 f. Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 423 f. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht, Teil 1, S. 235. Dazu auch BFH, Urteil vom 13. Februar 1992 – V R 140/ 90 –, Rn. 27, zitiert nach juris. 182 Gleichbedeutend zum „gewerblichen“ Betrieb eines Schiffes verwendet die Rechtsprechung regelmäßig den Begriff des „kommerziellen Betriebs“ (Vgl. etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Oktober 2009-1 Bs 174/09 –, Rn. 9, zitiert nach juris. FG Hamburg, Urteil vom 9. Juni 2009-4 K 119/07 –, Rn. 23 und 25, zitiert nach juris. FG Hamburg, Urteil vom 26. März 2014-4 K 74/13 –, Rn. 29 und 32, zitiert nach juris.), obgleich der Begriff des „kommerziellen“ sowohl in der Rechts- als auch der Wirtschaftssprache verschiedene Bedeutungen hat. Im Übrigen ist als synonymisch zum gewerblichen Betrieb eines Schiffes bzw. zu einem Betrieb als „Kauffahrteischiff“ der – eher handels- bzw. betriebswirtschaftliche – Begriff der „erwerbwirtschaftlichen Betätigung“ verbreitet. Eine Betätigung zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken liegt vor, wenn die Betätigung zum Zweck dauerhafter Gewinnerzielung ausgeübt wird (Schäfer, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 1 GmbHG Rn. 10. Begriff des „erwerbswirtschaftlichen Prinzips“, in: Gabler Wirtschaftslexikon.). Von der Definition des „gewerblichen Betriebs“ unterscheidet sich die „erwerbswirtschaftliche Betätigung“ mithin lediglich darin, dass die Betätigung dauerhaft auf die Erzielung von Gewinn ausgerichtet sein muss, wohingegen es freilich auch zum Begriff des „Gewerbes“ gehört, dass die Tätigkeit (selbst) dauerhaft ausgeübt werden muss. Der Terminus der „erwerbswirtschaftlichen Betätigung“ steht bereits sprachlich in einer Verbindung zum Begriff des „Kauffahrteischiffes“, der sich durch die Ausrichtung auf den „Erwerb durch Seefahrt“ auszeichnet. 183 Vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010-1 Bs 181/10 –, Rn. 13, zitiert nach juris. So auch Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 423. Allerdings gibt es im Detail ein Unterscheidungskriterium. Nach der Rechtsprechung muss ein gewerblich genutztes Schiff, um zugleich ein „Kauffahrteischiff“ zu sein, mit gewisser Regelmäßigkeit und nicht nur „im marginalen Anteil“ gewerblich genutzt werden (OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010 aaO., Rn. 16 f., zitiert nach juris unter Verweis auf die Gesetzesbegründung zum Entwurfs des Zweiten Gesetzes zur Anpassung bestimmter Bedingungen in der Seeschifffahrt an den internationalen Standard auf BR-Drucks. 248/01, S. 67). Allerdings wird praktisch der Fall nur sehr selten anzutreffen sein, dass ein Schiff gewerblich fährt, dies aber nur in einem „marginalen Anteil“ gegenüber seiner sonstigen Nutzung.
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schiedliche Verwendung. Daraus ergibt sich die Frage, welcher Gewerbebegriff die Schifffahrt bestimmt. § 2 Abs. 1 Nr. 6 SeeSpbootV enthält eine Legaldefinition der gewerbsmäßigen Nutzung eines Sportbootes. Darunter ist der Einsatz eines Sportbootes für die Ausbildung zum Führen von Sportfahrzeugen oder für ähnliche Sport- und Freizeitzwecke zu verstehen, der „auf Gewinnerzielung gerichtet“ ist. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb der Begriff der Gewerbsmäßigkeit bei anderen Schiffen als Sportbooten abweichend definiert werden und es somit nicht auf das Merkmal der Gewinnerzielungsabsicht ankommen sollte. Die Definition der gewerbsmäßigen Nutzung eines Sportbootes steht zudem im Einklang mit den Begriffen des „Gewerbes“ im Gewerbe- und im Steuerrecht. Der Begriff des „Gewerbes“ nach der Gewerbeordnung verlangt eine mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübte Tätigkeit.184 Gewinnerzielungsabsicht liegt vor, wenn die Tätigkeit subjektiv auf die Erwirtschaftung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen Vorteils abzielt, der zu einem Überschuss über die eigenen Ausgaben für die Tätigkeit führt185 und mithin einen Beitrag für den eigenen Lebensunterhalt leistet. Dient die Tätigkeit hingegen vorrangig einem anderen Zweck, als der Gewinnerzielung, wie bei Traditionsschiffen etwa der Erhaltung des Schiffes und der Pflege maritimen Erbes, so wird Gewerbsmäßigkeit nur bejaht, wenn die Gewinnerzielung zumindest als wirtschaftlicher Nebenzweck hinzutritt.186 Dementsprechend liegt Gewinnerzielungsabsicht regelmäßig nicht vor, wenn die Tätigkeit zur primären Verfolgung eines gesonderten Zweckes lediglich auf Kostendeckung oder auf Kostenminderung abzielt.187 Fehlt es der Tätigkeit objektiv gesehen bereits von vornherein an der Eignung zur Gewinnerzielung und ist sie nach dem Gesamtbild und aus ideellen Gründen auf einen defizitären Betrieb angelegt, liegt demnach keine Gewinnerzielungsabsicht vor.188 Im Steuerrecht wird der Begriff des „Gewerbes“ durch die Legaldefinition des „Gewerbebetriebs“ in § 15 Abs. 2 EStG definiert. Danach liegt ein Gewerbebetrieb vor bei einer selbständigen nachhaltigen Betätigung, die „mit der Absicht unternommen wird, Gewinn zu erzielen“, und die sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt (Satz 1). An der Gewinnerzielungsabsicht fehlt es, wenn die zu erzielenden Einnahmen lediglich die Selbstkosten des Betriebs einschließlich der Verzinsung des Fremdkapitals und der erforderlichen Abschreibun184 Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, § 14 Rn. 13 m.w.N. 185 Pielow, Gewerbeordnung: GewO, § 1 GewO Rn. 147. Ennuschat, in: Tettinger u. a., Gewerbeordnung, § 1 Rn. 13. 186 Str.; so die h.M. Vgl. Ennuschat, in: Tettinger u. a., Gewerbeordnung, § 1 Rn. 18 ff. und Pielow, Gewerbeordnung: GewO, § 1 Rn. 152 m.w.N. zum Streitstand. 187 Ennuschat aaO., § 1 Rn. 13. 188 AG Radolfzell, Urteil vom 22. September 1997 – 1 OWi 127/97 –, Entscheidungsgründe, zitiert nach juris.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
gen für die Entwertung der Betriebsanlagen decken sollen.189 Im Übrigen liegt ein Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 2 Satz 3 EStG auch dann vor, wenn die Gewinnerzielungsabsicht nur ein Nebenzweck ist. Mit den zusätzlichen Übereinstimmungen unter den Begriffsbestimmungen aus der SeeSpBootV mit dem Gewerbe- und Steuerrecht spricht sehr viel dafür, dass es auch bei der Definition eines „Kauffahrteischiffes“ als einem „dem Erwerb durch Seefahrt“ zu dienen bestimmten Schiff – und mithin einem „dem Handelsverkehr dienenden“ Schiff i.S.v. Regel I/3 a) lit. v) SOLAS – auf das Vorliegen von Gewinnerzielungsabsicht bei dem Betreiber nach den vorgenannten Maßstäben ankommt, die zumindest als Nebenzweck bestehen muss. (cc) Praktische Kriterien zur Beurteilung eines (Traditions-)Schiffsbetriebes als „gewerblich“ Praktisch beurteilt die Rechtsprechung die gewerbliche Nutzung von Schiffen, d. h. v.a. das Vorliegen des subjektiven Kriteriums der Gewinnerzielungsabsicht, nach äußerlich erkennbaren Merkmalen, die nach technischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten auf eine bestimmte Nutzung schließen lassen.190 Als solche Merkmale sind der nach dem äußeren Erscheinungsbild erkennbare Zweck der Fahrten (Erholung, Angeln, Tauchgänge, touristische Aktivitäten etc.)191 sowie die Art und Weise, in der für Fahrten auf dem Schiff geworben wurde192, gewertet worden. Unterscheiden sich beide Merkmale nicht maßgeblich von dem Erscheinungsbild eines typischen kommerziellen Ausflugsschiffes („… ein Hauch von Luxus“ – „… erstklassige[r] Service an Bord“), spricht dies für einen gewerblichen Betrieb eines (Traditions-)Schiffes.193 Maßgeblich ist auch, ob sich das Angebot zur Teilnahme an Fahrten auf dem Schiff an einen unbeschränkten Personenkreis richtet, was nach der Rechtsprechung auf Gewerblichkeit hindeuten soll.194 Ebenso spricht nach Ansicht der Rechtsprechung für Gewerbsmäßigkeit einer Schiffsnutzung, wenn andere Personen für Tätigkeiten zugunsten des Schiffes 189
Bode, in: Blümich/Ebling, EStG, KStG, GewStG, § 15 EStG Rn. 37. OVG Hamburg, Beschluss vom 1. Oktober 2009-1 Bs 129/09 –, Rn. 16, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2009-1 Bs 174/09 –, Rn. 14, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010-1 Bs 181/10 –, Rn. 16, zitiert nach juris. 191 OVG Hamburg, Urteil vom 29. Mai 1995 – Bs VI 26/95 –, Grund 1, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Urteil vom 25. Oktober 2004-1 Bs 385/04 –, Rn. 14, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 1. Oktober 2009-1 Bs 129/09 –, Rn. 16, zitiert nach juris. 192 OVG Hamburg, Urteil vom 25. Oktober 2004-1 Bs 385/04 –, Rn. 14, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2009-1 Bs 174/09 –, Rn. 15, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010-1 Bs 181/10 –, Rn. 8, zitiert nach juris. 193 OVG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2009-1 Bs 174/09 –, Rn. 15, zitiert nach juris. 194 OVG Hamburg, Urteil vom 21. April 2005-1 Bf 74/04 –, Rn. 45, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010-1 Bs 181/10 –, Rn. 8, zitiert nach juris. 190
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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Rechnungen stellen konnten195 oder das Schiff selbst für Fahrtentgelte Quittungen ausgestellt hat.196 Ferner kommt es in der Regel maßgeblich darauf an, ob und ggf. inwieweit die für die Fahrten verlangten Entgelte in der Höhe über die Unkosten der jeweiligen Fahrt bzw. des Betriebs und Unterhalts des Schiffes insgesamt hinausgehen.197 Eine Indizwirkung für bzw. gegen einen gewerblichen Schiffsbetrieb hat die Rechtsprechung überdies der Frage zuerkannt, ob das Schiff von einem als gemeinnützig anerkannten Idealverein betrieben wird198 und der Verein infolge des Gemeinnützigkeitsprivilegs den Schiffsbetrieb neben Einnahmen aus Fahrten auch aus eingeworbenen Spenden finanziert199. Zudem kann es darauf ankommen, ob die Besatzung und die Betreiber des Schiffes ehrenamtlich tätig sind.200 Erzielen die Betreiber eines Traditionsschiffes mit den entgeltlichen Fahrten Überschüsse, kann Gewerblichkeit nach einem Urteil des Finanzgerichtes Hamburg gleichwohl ausgeschlossen sein, wenn die Erzielung der Überschüsse allein darauf zurückzuführen ist, dass den Betreibern durch das ehrenamtliche Engagement der Besatzung die entsprechenden Personalkosten erspart bleiben.201 (c) Zwischenergebnis Das Anbordnehmen von Personen gegen Entgelt qualifiziert ein Traditionsschiff nach alledem als ein „Kauffahrteischiff“ und damit als ein „dem Handelsverkehr dienendes Schiff“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. v) SOLAS, wenn das Schiff dabei gewerblich, d. h. zumindest als Nebenzweck (auch) mit dem Zweck der Erzielung von Überschüssen über die eigenen Ausgaben, betrieben wird. Das Vorliegen des subjektiven Merkmals der Gewinnerzielungsabsicht wird dabei nach einer Gesamtschau objektiver Kriterien bestimmt. Ist ein Traditionsschiff danach als „Kauffahrteischiff“ einzustufen, so wird es von der Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS („Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“) jedenfalls nicht erfasst ist.
195
OVG Hamburg, Beschluss vom 1. Oktober 2009-1 Bs 129/09 –, Rn. 17, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2009-1 Bs 174/09 –, Rn. 15, zitiert nach juris. 196 OVG Hamburg, Beschluss vom 1. Oktober 2009-1 Bs 129/09 –, Rn. 17, zitiert nach juris. 197 OVG Hamburg, Urteil vom 29. Mai 1995 – Bs VI 26/95 –, Grund 1, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Urteil vom 21. April 2005-1 Bf 74/04 –, Rn. 45, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010-1 Bs 174/09 –, Rn. 8, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 1. Oktober 2009-1 Bs 129/09 –, Rn. 17, zitiert nach juris. 198 OVG Hamburg, Urteil vom 29. Mai 1995 – Bs VI 26/95 –, Grund 1, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2009 – 1 Bs 174/09 –, Rn. 15, zitiert nach juris. 199 FG Hamburg, Urteil vom 26. März 2014-4 K 74/13 –, Rn. 30, zitiert nach juris. 200 FG Hamburg, Urteil vom 9. Juni 2009-4 K 119/07 –, Rn. 26, zitiert nach juris. 201 FG Hamburg aaO., Rn. 26, zitiert nach juris.
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(3) Rechtliche Einordnung des Bereichs zwischen rein privater Freizeitnutzung und gewerblicher Nutzung? Offen hat die bisherige Auslegung der Ausnahme für „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS gelassen, ob die Ausnahme Traditionsschiffe erfasst, die nicht gewerblich genutzt werden, gleichwohl aber einem unbestimmten Personenkreis Fahrten anbieten und dafür Entgelte – unterhalb der Schwelle der Gewerblichkeit – erheben, um die Aufwendungen der einzelnen Fahrt bzw. des Schiffsbetriebs insgesamt zu decken. (a) Besonderheiten bezahlter Fahrten auf Traditionsschiffen Den meisten Traditionsschiffen ist gemeinsam, dass sie von Personen, die sie für Fahrten an Bord nehmen, ein Entgelt erheben. Gleichwohl werden die Schiffe, anders als etwa in der Fahrgastschifffahrt üblich, oftmals nicht gewerblich betrieben, da die Betreiber der Schiffe diese nicht zur Erwirtschaftung des eigenen Lebensunterhalts und damit nicht „gewerblich“ im maßgeblichen Sinn202 nutzen. In welcher Form und Höhe für Fahrten mit Traditionsschiffen Entgelte unterhalb der Schwelle der Gewerblichkeit erhoben werden, variiert zwischen den einzelnen Schiffen. Die Entgelte können einerseits lediglich zur Deckung der unmittelbaren Aufwendungen der einzelnen Fahrt Verwendung finden, i. e. für die notwendigen Aufwendungen für Schiffsdiesel, Hafenliegegebühren und Verpflegungskosten bspw. In diesem Fall müssen die weitergehenden Anschaffungs-, Unterhaltungs- und Betriebskosten für das Schiff von den Schiffsbetreibern aus eigenen Mitteln, zusätzlich eingeworbenen Spenden oder etwaigen öffentlichen Fördermitteln sowie, sollte das Schiff etwa von einem Verein betrieben werden, aus den Mitgliedsbeiträgen aufgebracht werden. Alternativ können die Fahrtentgelte in der Höhe über die Aufwendungen der einzelnen Fahrt auch hinausgehen und auch Teile oder die Gesamtheit der Anschaffungs-, Unterhaltungs- und Betriebskosten des Schiffes abdecken. Teils werden die Entgelte dabei als solche entrichtet, d. h. unmittelbar für die jeweilige Fahrt. Teils werden die Entgelte jedoch auch „mittelbar“ entrichtet, etwa in Form eines Vereinsbeitrages oder eines „Spendenbeitrages“. (b) Einschränkende Auslegung durch das Merkmal „Vergnügungsjacht“? Wird ein Traditionsschiff in der vorstehend beschriebenen Form genutzt, d. h. allein zur Deckung der durch den Schiffsbetrieb bedingten Aufwendungen, so stellt es ein Schiff dar, das „nicht dem Handelsverkehr dient“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. v) SOLAS, da es an der Gewinnerzielungsabsicht fehlt. Fraglich ist jedoch, ob ein derart genutztes Traditionsschiff eine „Vergnügungsjacht“ darstellt. Dafür ist maßgeblich, ob und ggf. inwieweit das Tatbestandsmerkmal der „Vergnügungsjacht“ – über den 202
Dazu ausführlich unmittelbar zuvor unter Punkt (2) (b).
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bereits herausgearbeiteten Bedeutungsgehalt, nach dem es auf die subjektive Zweckbestimmung eines Schiffes für „Sport und Freizeit“ ankommt203, hinaus – eine (einschränkende) tatbestandliche Vorgabe zur Möglichkeit einer entgeltlichen Nutzung eines Schiffes (auch unterhalb der Schwelle der Gewerblichkeit) enthält. Es kommt darauf an, ob das Tatbestandsmerkmal „Vergnügungsjacht“ das Angebot entgeltlicher Fahrten gegenüber einem unbestimmten Personenkreis insgesamt ausschließt. (aa) Systematisches Argument Dafür, dass dem Tatbestandsmerkmal der „Vergnügungsjacht“ zu der Frage, inwieweit ein Schiff unterhalb der Schwelle der Gewerblichkeit entgeltlich genutzt wird, ein Bedeutungsgehalt zukommt, spricht zunächst, dass das Merkmal innerhalb der Ausnahmeregelung selbstständig gegenüber dem „nicht dem Handelsverkehr dienen“ genannt wird. Dies gilt umso mehr, als die Formulierung der Ausnahmeregelung – wie bereits zuvor dargelegt – auf zwei ursprünglich getrennte Ausnahmeregelungen in Art. 2 Abs. 1 a) des Freibordvertrages London 1930 zurückgeht. Bei der Zusammenführung der beiden Ausnahmen aus dem Freibordvertrag in eine Ausnahme in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS wurden beide Tatbestandsmerkmale beibehalten. (bb) Positionen der Staaten Verschiedene Staaten verfügen über nationale Regelwerke, die an SOLAS materiell-rechtlich angelehnte Sicherheitsstandards für Schiffe normieren, für die SOLAS nicht gilt, wie etwa Schiffe in der nationalen Fahrt. Oft verwenden die Staaten in diesen Regelwerken in Anlehnung an SOLAS ebenfalls die Ausnahmeregelung der „nicht dem Handelsverkehr dienenden Vergnügungsjacht“ – ggf. in etwas anderer sprachlicher Umschreibung – und definieren die Ausnahme dazu gesondert. Es spricht einiges dafür, dass die Staaten bei der Fassung der nationalen Definition dasjenige Begriffsverständnis widergeben, das sie dem Begriff auch innerhalb von SOLAS beimessen.204 Zudem wurden die Staaten in der bereits mehrfach erwähnten Umfrage hinsichtlich der durch die nationalen Schifffahrtsverwaltungen gelebten Interpretation der SOLAS-Ausnahmeregelungen nach dem Verständnis der Ausnahme „Vergnügungsjacht, die nicht dem Handelsverkehr dient“ befragt sowie danach, inwieweit das Tatbestandsmerkmal der „Vergnügungsjacht“ nach ihrem Verständnis gegenüber
203
Dazu zuvor unter (1). Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Definitionen der SOLAS-Begrifflichkeiten, die sich ggf. in nationalen Regelwerken finden, substantielle Hinweise („objective evidence“, Erläuterungen der Völkerrechtskommission, YBILC 1966, Bd. II, S. 221.) darauf enthalten, wie die Staaten auch die Begrifflichkeiten aus SOLAS verstehen und anwenden. 204
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
dem Tatbestandsmerkmal „nicht dem Handelsverkehr dienend“ eine eigenständige Bedeutung hat. Die Definitionen der „nicht dem Handelsverkehr dienenden Vergnügungsjacht“ in den nationalen Regelwerken der Staaten geben zum einen als fachspezifischer Wortgebrauch gemäß Art. 31 Abs. 1 WVRK einen weiteren Anhaltspunkt für die Auslegung des Begriffs nach SOLAS. Zum anderen vermitteln die Definitionen sowie die Ergebnisse der Staatenumfrage, soweit sich in den Begriffsverständnissen Gemeinsamkeiten ergeben, wiederum auch ein Indiz für eine Übung der Staaten, das in die Auslegung nach Art. 31 Abs. 3 b) WVRK Eingang finden muss. (a) Die Philippinen und Malaysia: „(no) activity with pecuniary benefits“ Die Regel I/3.6.3 der „Regeln und Bestimmungen für die ,Handelsmarine‘ der Philippinen“205 bestimmen, dass die Vorschriften nicht für „pleasure crafts not engaged in any activity with pecuniary benefits“ gelten. Die gleiche Wortbestimmung verwendet auch die Schifffahrtsverwaltung von Malaysia in ihren „Anforderungen und technischen Standards für Frachtschiffe, die nicht SOLAS unterfallen“206, in Regel I/1.2 c). Die Philippinen und Malaysia verstehen unter einer „Vergnügungsjacht“ folglich ein Schiff, dass nicht für Tätigkeiten eingesetzt ist, die dem Eigner oder Betreiber „finanzielle Vorteile“ („pecuniary benefit“) bringen. Dem lässt sich jedoch nicht eindeutig entnehmen, ob ein „finanzieller Vorteil“ bereits in jeder Form von Einnahme besteht oder aber nur solche Einnahmen erfasst, die nach Abzug der entsprechenden Aufwendungen einen Überschuss (Gewinn) aufweisen. Die Begriffsverständnisse der Schifffahrtsverwaltungen der Philippinen und von Malaysia sind mithin insoweit unergiebig. (b) Dänemark: „(no) payment by other interested parties – whichever the form –“ Die dänische Schifffahrtsverwaltung hat in der bezeichneten Staatenumfrage zu „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ erklärt: „If they were to trade commercially i. e. through payment by (other) interested parties – whichever the form – we would regard them being in ,trade‘“.
Demnach betrachtet die dänische Schifffahrtsverwaltung als Vergnügungsfahrzeuge „Schiffe, die nicht geschäftlich genutzt werden, bspw. indem ihre Nutzung bezahlt wird, egal in welcher Form“. Auch diese Formulierung ist nicht ganz eindeutig; der Zusatz „whichever the form“ („egal in welcher Form“), bezogen auf eine Bezahlung, deutet jedoch mit Blick auf die vorliegend untersuchte Auslegungsfrage mehr darauf hin, dass nach Ansicht der dänischen Schifffahrtsverwaltung das Tat-
205
„Philippine merchant marine rules and regulations 1997“. Abrufbar auf dem Internetauftritt der Schifffahrtsverwaltung der Philippinen unter www.marina.gov.ph. 206 „Requirement and technical standard for non-convention cargo ship“. Abrufbar auf dem Internetauftritt der Schifffahrtsverwaltung von Malaysia unter www.marine.gov.my.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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bestandsmerkmal „Vergnügungsjacht“ jede Form entgeltlichen Schiffsbetriebs – unabhängig von der Höhe der Einnahmen – ausschließt. (c) Karibikstaaten: „no money for or in connection with operating the vessel or carrying any person“ Eine noch detailliertere Definition enthält Regel I/2.42 des „Codes für die Sicherheit kleiner Handelsschiffe in der Karibik“207 (nachfolgend SCV-Code). Dieser Definition kommt für die Auslegung v. a. deshalb Bedeutung zu, da der SCV-Code in Zusammenarbeit mit der IMO erstellt wurde.208 Der Begriff des „Vergnügungsfahrzeuges“ („pleasure vessel“) lautet in Regel I/ 2.42 SCV-Code wie folgt: „Pleasure vessel means: 1. any vessel which at the time it is being used is: 1. in the case of a vessel wholly owned by an individual or individuals, used only for the sport or pleasure of the owner or the immediate family or friends of the owner; or 2. in the case of a vessel owned by a body corporate, one on which the persons are employees, officers or shareholders of the body corporate, or their immediate family or friends; and 2. on a voyage or excursion which is one for which the owner does not receive money for or in connection with operating the vessel or carrying any person.“
Diese Definition lässt erkennen, dass nach dem SCV-Code ein Schiff nur dann ein „Vergnügungsfahrzeug“ darstellt, wenn es rein privat, i. e. im Kreis der Familie oder von Freunden bzw. beim Eigentum einer juristischen Person etwa durch Angestellte oder Anteilseigner genutzt wird, und wenn für die Nutzung kein Entgelt (jeglicher Form) gezahlt wird („does not receive money“). Nach diesem Begriffsverständnis wäre ein Traditionsschiff, das einem unbestimmten Personenkreis gegen Entgelt (auch unterhalb der GewerblichkeitsSchwelle) Fahrten anbietet, keine „Vergnügungsjacht“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. v) SOLAS. (d) Großbritannien: „no money other than as a contribution to the direct expenses of the operation of the vessel“ In der Konkretisierung noch über den SCV-Code hinaus geht die Definition des „Vergnügungsfahrzeuges“ („pleasure vessel“) in Regel 2 der „Britischen Vor207 „Code of Safety for small commercial vessels operating in the Caribbean“ mit Stand von Juli 2014. Abrufbar auf dem Internetauftritt der Schifffahrtsverwaltung der Niederlande unter www.ilent.nl. 208 Da nicht im Einzelnen ersichtlich ist, in welcher Form der Zusammenarbeit mit der IMO der SCV-Code erarbeitet wurde, kann die Frage, ob der Code insoweit etwa ein Mittel der authentischen Auslegung oder ein in sonstiger Form rechtlich maßgebliches Auslegungsinstrument darstellt, an dieser Stelle nicht untersucht werden.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
schriften über Handelsschiffe“ (i.S.v. Schiffen, die gewerblich für Sport- oder Vergnügungszwecke genutzt werden)209. Danach ist ein „Vergnügungsfahrzeug“: „(a) any vessel which at the time it is being used is: (i) (aa) in the case of a vessel wholly owned by an individual or individuals, used only for the sport or pleasure of the owner or the immediate family or friends of the owner; or (bb) in the case of a vessel owned by a body corporate, used only for sport or pleasure and on which the persons on board are employees or officers of the body corporate, or their immediate family or friends; and (ii) on a voyage or excursion which is one for which the owner does not receive money for or in connection with operating the vessel or carrying any person, other than as a contribution to the direct expenses of the operation of the vessel incurred during the voyage or excursion; or (b) any vessel wholly owned by or on behalf of a members’ club formed for the purpose of sport or pleasure which, at the time it is being used, is used only for the sport or pleasure of members of that club or their immediate family, and for the use of which any charges levied are paid into club funds and applied for the general use of the club; and (c) in the case of any vessel referred to in paragraphs (a) or (b) above no other payments are made by or on behalf of users of the vessel, other than by the owner. In this definition ,immediate family‘ means– in relation to an individual, the husband or wife of the individual, and a relative of the individual or the individual’s husband or wife; and “relative” means brother, sister, ancestor or lineal descendant …“
Auch nach dieser Definition ist mithin, wie schon nach dem SCV-Code, Voraussetzung für die Einstufung eines Schiffes als „Vergnügungsjacht“, dass das Schiff nur im privaten Kreis genutzt und für die Nutzung kein Entgelt gezahlt wird. Der „private Kreis“ in diesem Sinne wird für ein Schiff im Privatbesitz eingegrenzt auf enge Familienangehörige und Freunde des Eigentümers und für ein Schiff im Besitz einer juristischen Person auf Gesellschafter und Angestellte der juristischen Person sowie deren enge Angehörige und Freunde. Anders als nach dem SCV-Code wird die Zahlung von Entgelt für eine Fahrt in einem sehr engen Rahmen zugelassen, i. e. soweit das Entgelt lediglich einen Beitrag für die unmittelbar durch die jeweilige Fahrt veranlassten Aufwendungen leistet („contribution to the direct expenses of the operation of the vessel incurred during the voyage or excursion“). Zudem enthält Regel 2 der britischen Vorschriften eine gesonderte Bestimmung für Schiffe, die einem Verein gehören (Regel 2 (c)). Das Schiff darf nur durch Vereinsmitglieder sowie deren unmittelbare Familienangehörige für Sport- und Freizeitzwecke genutzt werden; die erhobenen Vereinsbeiträge müssen in das Vereinsvermögen gezahlt und für den Vereinszweck verwendet werden.
209 „Regulation 2“ des „The Merchant Shipping (Vessels in Commercial Use for Sport or Pleasure) Regulations 1998“ Großbritanniens. Abrufbar auf dem Internetauftritt der britischen Schifffahrtsverwaltung, der Maritime & Coastguard Agency, unter www.legislation.gov.uk.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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Auch nach dieser Definition stellt ein Traditionsschiff folglich keine „Vergnügungsjacht“ dar, wenn es einem unbeschränkten Personenkreis für entgeltliche Fahrten angeboten wird. (e) Gemeinsamkeiten in den Begriffsverständnissen Als Gemeinsamkeit zwischen den Begriffsverständnissen der Staaten sind nach alledem zwei übergeordnete Kriterien festzustellen. Damit ein Schiff eine „Vergnügungsjacht“ i.S.v. Regel I/3 a) lit. v) SOLAS darstellt, darf es zum einen nur privat genutzt werden in dem Sinne, dass es nur einem begrenzten Personenkreis für Fahrten angeboten wird. Fahrten mit dem Schiff dürfen nicht der Öffentlichkeit, d. h. einem von vornherein unbeschränkten Personenkreis,210 zur Verfügung stehen. Eine „Vergnügungsjacht“ wird vielmehr ausschließlich vom Eigentümer selbst sowie gleichsam aus Gefälligkeit von ihm nahestehenden bzw. mit ihm – privat bzw. familiär (bei natürlichen Personen) oder in Form eines Arbeitsverhältnisses oder einer Anteilseignerschaft bzw. Vereinsmitgliedschaft (bei juristischen Personen) – verbundenen Personen genutzt. Zum anderen dürfen Entgelte für die Fahrt gar nicht bzw. höchstens in Höhe der unmittelbar durch die Fahrt selbst verursachten Aufwendungen211 gezahlt werden. Da diese Aufwendungen an den Gesamtaufwendungen zur Erhaltung und zum Betrieb eines Traditionsschiffes lediglich einen ganz untergeordneten Anteil ausmachen, dürfen nach der insoweit übereinstimmenden Tendenz innerhalb der Positionen der Staaten mit dem Schiffsbetrieb im wesentlichen keine Einnahmen erwirtschaftet werden. (cc) Ratio der Ausnahmeregelung Aufschluss über die Auslegung gibt ferner, mit welcher ratio „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handel dienen“ von den Anforderungen von SOLAS (mit Ausnahme des Kapitels V) ausgenommen sind. Auch dies erschließt sich v. a. durch das von den Staaten gelebte Begriffsverständnis. Offenbar wird die Ausnahme von der Pflicht zur Einhaltung der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS wesentlich darüber gerechtfertigt, dass die Fahrten mit „Vergnügungsjachten … “ nur Personen angeboten werden, die zu dem Schiffseigentümer eine persönliche Verbindung – familiärer, freundschaftlicher oder beruflicher Form – haben. Personen, die sich aufgrund einer privaten oder beruflichen Verbindung zu einer anderen Person dafür entscheiden, sich dieser Person und dem durch sie betriebenen Schiff anzuvertrauen, haben auf Grundlage der Bekanntschaft mit der Person eine gewisse Informationsgrundlage, auf der sie ihre Entscheidung für die Fahrt treffen können. Bei einer Fahrt mit einem Fahrzeug der Berufsschifffahrt verhält sich dies anders. Dabei vertraut sich der Fahrgast einer ihm völlig fremden Person an. Die in diesem Fall 210 Vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 21. April 2005-1 Bf 74/04 –, Rn. 26 und 45, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010-1 Bs 181/10 –, Rn. 8, zitiert nach juris. 211 Dies dürfte lediglich etwa Aufwendungen für Schiffsdiesel, Hafenliege- und andere Gebühren oder Verpflegungskosten der jeweiligen Fahrt umfassen, nicht aber anteilige Aufwendungen zur Behebung von Verschleißerscheinungen o. ä.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
bestehende Informationsasymmetrie wird zum Schutz der Fahrgäste ausgeglichen dadurch, dass hoheitlich zur Einhaltung von Sicherheitsanforderungen verpflichtet wird. Ferner wird es in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, wenn Fahrten als Gefälligkeit angeboten werden und die Gäste kein oder nur ein sehr geringes Entgelt für die Fahrt entrichten. Wer ein Entgelt zahlt, wird damit in aller Regel eine höhere Erwartungshaltung an die Gegenleistung verbinden, etwa auch in Sicherheitsfragen. Schließlich ist von jemandem, der mit dem Betrieb eines Schiffes Gewinn erzielt, vielmehr zu verlangen, dass er entsprechende, auch mit wirtschaftlichem Aufwand verbundene Sicherheitsanforderungen erfüllt, als von jemandem, der das Schiff ehrenamtlich betreibt. Die sich aus den vorgenannten Überlegungen ableitende ratio der Ausnahmeregelung für „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ nach Regel I/3 a) lit. v) SOLAS wird insbesondere in Grenzfällen für die Entscheidung, ob ein bestimmtes (Traditions-)Schiff der Ausnahmeregelung unterfällt, oder nicht, ausschlaggebend sein.212 (dd) Zwischenergebnis zur eingrenzenden Auslegung der Ausnahmeregelung Als Ergebnis der Auslegung ist mithin festzuhalten, dass das Tatbestandsmerkmal der „Vergnügungsjacht“ innerhalb der Ausnahme in Regel I/3 a) lit. v) SOLAS den Tatbestand gegenüber dem Tatbestandsmerkmal „nicht dem Handel dienend“ tatsächlich erheblich einengt, indem es das Angebot entgeltlicher Fahrten mit einem Traditionsschiff – auch unterhalb einer gewerblichen i.S.v. einer mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübten Tätigkeit – gegenüber einem unbestimmten Personenkreis insgesamt weitgehend ausschließt. 212 Erheblichen Bedenken begegnet vor dem Hintergrund der ratio der Ausnahmeregelung etwa die Betriebsform eines Schiffes durch einen Verein, der (internationale) Fahrten ausschließlich mit Vereinsmitgliedern durchführt, jedoch faktisch durch seine Vereins- und Vertragsbestimmungen jeden Interessenten an einer Fahrt zwingt, für den Zweck der (ggf. einmaligen) Fahrt Mitglied des Vereins zu werden (etwa in Form einer zeitlich – z. B. auf ein Jahr – beschränkten Mitgliedschaft). Derartige Modelle werden zum Teil von sog. Vereinsschiffen gelebt. Zwar wären Fahrten nur mit Vereinsmitgliedern formal gesehen keine Fahrten, die der Öffentlichkeit angeboten werden, da über die Beschränkung des Angebots an Vereinsmitglieder gerade kein Angebot an einen von vornherein unbeschränkten Personenkreis erfolgt. Gleichwohl wäre die ratio der Ausnahme nicht erfüllt. Sollte das Modell zudem zielgerichtet genutzt werden, um damit über die Ausnahme der „Vergnügungsjacht, die nicht dem Handelsverkehr dient“ die SOLAS-Anforderungen in der internationalen Fahrt nicht erfüllen zu müssen, wäre die Gestaltung zudem rechtsmissbräuchlich. Sollte der Verein infolge der Vertragsgestaltung über einen kontinuierlich und weitreichend wechselnden Bestand an Mitgliedern verfügen, würden die Fahrten nach der ratio der Ausnahmeregelung eben doch der Öffentlichkeit angeboten. Denn es stände dann in Frage, ob zwischen den Vereinsmitgliedern über ihre bloße Mitgliedschaft im Verein hinaus eine hinreichende engere Bindung zum Anbieter der Schiffsnutzung und zur Besatzung des Schiffes besteht (Vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1955 – I ZR 178/53 –, Rn. 16 f., zitiert nach juris). Vereinsbeiträge wären in diesem Fall lediglich mittelbare Entgelte, die für die Fahrt gezahlt werden. Sofern die Schiffe keiner sonstigen Ausnahme von SOLAS unterfallen, wäre von diesen Schiffen folglich die Einhaltung der anwendbaren SOLAS-Standards zu fordern.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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(c) Auslegungsergebnis Eine „Vergnügungsjacht, die nicht dem Handelsverkehr dient“ gemäß Regel I/3 a) lit. v) SOLAS ist mithin jedes (Traditions-)Schiff, das nach seiner subjektiven Zweckbestimmung gegenwärtig zu Sport- und/oder Freizeitzwecken eingesetzt ist und mit dem keine Einnahmen erwirtschaftet werden, die in der Höhe über die unmittelbar durch eine konkrete Fahrt verursachten Aufwendungen hinausgehen. (4) Ergebnis: von der Ausnahme erfasste Traditionsschiffe Von der Ausnahmeregelung der „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ nach Regel I/3 a) lit. v) SOLAS sind nach alledem solche Traditionsschiffe erfasst, die nur privat genutzt werden, d. h. die nicht der Öffentlichkeit für entgeltliche Fahrten angeboten werden. Die Nutzung eines Traditionsschiffes ausschließlich durch die Mitglieder eines das Schiff (bspw.) betreibenden Vereins ist dabei als private Nutzung zu qualifizieren, sofern der Bestand der Vereinsmitglieder nicht auf kontinuierlichen Wechsel angelegt ist. Traditionsschiffe, die der Öffentlichkeit im Sinne eines von vornherein unbeschränkten Personenkreises zur Verfügung stehen und mit deren Betrieb Einnahmen – auch unterhalb der Schwelle der Gewerblichkeit – erzielt werden, unterfallen der Ausnahmeregelung hingegen nicht.
II. Anwendbarkeit der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS auf Traditionsschiffe Ist mit dem vorgehenden Abschnitt I geklärt, inwieweit Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand von SOLAS erfasst sind, ist angesichts des unterschiedlichen Alters der Traditionsschiffe weiter zu untersuchen, welcher der verschiedenen Fassungen des Übereinkommens die anzuwendenden materiell-rechtlichen Standards zu entnehmen sind. SOLAS ist heute in der 5. Fassung von 1974 in Kraft, wobei Vorgängerfassungen von SOLAS aus den Jahren 1960, 1948 und 1929 (sowie 1914) existieren. Vor allem aber gibt es in der Anlage zu SOLAS (in der 5. Fassung), welche die einzuhaltenden materiell-rechtlichen Standards in den Kapiteln II bis XII enthält, keinen einheitlichen Standard, der gleichsam auf Schiffe jeden Alters anzuwenden wäre. Die materiell-rechtlichen Standards werden kontinuierlich fortentwickelt und aktualisiert, dabei jedoch in aller Regel nicht rückwirkend für anwendbar erklärt. Aus diesem Grund verlangt der überwiegende Teil der materiell-rechtlichen Standards für die Frage der Anwendbarkeit eine Differenzierung nach dem Alter eines Schiffes. Dieses wird über dessen Baudatum bestimmt.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
1. Aufteilung der Schiffe nach Stichtagsregelungen: „neue Schiffe“ und Bestandsschiffe Die materiell-rechtlichen Standards der Anlage zu SOLAS werden für das Ziel des größtmöglichen Schutzes menschlichen Lebens auf See fortlaufend an die jeweils neuesten verfügbaren technischen Entwicklungen angepasst. Die Staaten gehen dabei unter Verhältnismäßigkeitserwägungen davon aus, dass die Anwendung der kontinuierlich fortentwickelten materiell-rechtlichen Standards ausnahmslos auch auf bereits gebaute Schiffe, i. e. rückwirkend, technisch kaum machbar213 sowie v. a. auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten214 nicht tragbar wäre. Eine solche Anwendung würde ggf. erfordern, dass die Schiffe in kurzen Zeitabständen immer wieder aufwendig baulich angepasst werden müssten, um der neuesten technischen Entwicklung nachzukommen. Die Verhältnismäßigkeitserwägungen finden (neben anderem) darin Ausdruck, dass große Teile der materiell-rechtlichen Standards aus SOLAS in ihrer aktuellen Fassung nur auf Schiffe anzuwenden sind, die an oder nach einem bestimmten Stichtag gebaut werden215, während es bei älteren Schiffen (im Grundsatz) bei der Anwendung von Standards der früheren Fassungen bleibt216. Die jeweils maßgeblichen Stichtage werden nach jeder relevanten Änderung bzw. Ergänzung eines Standards angepasst. Die Einschränkungen durch die Stichtagsregelungen betreffen vorrangig die Kapitel II-1, II-2 sowie III der Anlage zu SOLAS.217 Die genannten Kapitel enthalten entsprechende Regelungen, die, gleich eingangs in der jeweils ersten Regel des Kapitels normiert, in etwa wie folgt lauten:
213 Vgl. zu einer Stichtagsregelung im Freibordvertrag London 1930, dem Vorgängerübereinkommen zu LLC, Elsner: „Bei vorhandenen Schiffen ist dem Umstand Rechnung getragen, daß die Umstellung sowohl in technischer Hinsicht als auch hinsichtlich der verwaltungstechnischen Durchführung nicht von heute auf morgen erfolgen kann, wenn nicht der Schiffahrt erhebliche wirtschaftliche Nachteile erwachsen sollen“. Elsner, Das internationale Übereinkommen über den Freibord der Kauffahrteischiffe, S. 16 f. 214 Wirtschaftliche Interessen traten bei der Beratung internationaler Schiffssicherheitsstandards in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer stärker in den Vordergrund. Vgl. dazu Anneliese Jost, Schiffssicherheit im Wandel der Zeiten, in: 100 Jahre Schiffbautechnische Gesellschaft, S. 72. 215 So gilt etwa gemäß Art. VIII e) SOLAS grundsätzlich jede Änderung des Übereinkommens nach dem Prozedere von Art. VIII, die sich auf die Bauart des Schiffes bezieht, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist nur für Schiffe, deren Kiel an oder nach dem Tag des Inkrafttretens der Änderung gelegt wird oder die sich zu dieser Zeit in einem entsprechenden Bauzustand befindet. 216 Die Regelungen der maritimen Übereinkommen, welche die einzuhaltenden materiellrechtlichen Standards aus Verhältnismäßigkeitserwägungen nach dem Baujahr des Schiffes gliedern, werden als „grandfather-clauses“ bezeichnet. Vgl. Douvier, MARPOL, S. 84. 217 Daneben finden sich Einschränkungen der Anwendbarkeit nach bestimmten Stichtagen v. a. im Kapitel V der Anlage zu SOLAS; dort jedoch, anders als in den Kapiteln II-1 bis III, innerhalb der einzelnen Regeln.
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„Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, findet dieses Kapitel218 auf Schiffe Anwendung, die an oder nach dem [Stichtag] gebaut wurden.“219
Die in den Kapiteln II-1, II-2 sowie III der Anlage zu SOLAS normierten materiell-rechtlichen Standards betreffen sehr weitreichend die bauliche Beschaffenheit von Schiffen220, weshalb die Verhältnismäßigkeitserwägungen bei diesen Kapiteln besonders relevant sind. Terminologisch unterteilen die auf das Baudatum bezogenen Stichtagsregelungen die Schiffe in „neue Schiffe“, i. e. Schiffe, die an oder nach dem jeweils maßgeblichen Stichtag gebaut werden221, und „vorhandene Schiffe“ (nachfolgend Bestandsschiffe), d. h. vor dem Stichtag gebaute Schiffe. Der für das Kapitel geltende Stichtag trennt jeweils die Bestands- von den neuen Schiffen. Demgegenüber steht der Begriff „alle Schiffe“, der sowohl Bestands- als auch neue Schiffe umfasst. Neben dieser grundsätzlichen Unterteilung sind teilweise Rückausnahmen222 von den Stichtagsregelungen für sog. Umbauten größerer Art vorgesehen, bei denen ein Schiff wesentlich baulich verändert wird. Dahinter steht die Überlegung der Staaten, dass die Verhältnismäßigkeitserwägungen bei weitgehenden Umbauten wegfallen, da die Anpassung des Schiffes an aktuellere Standards im Zuge eines Umbaus technisch und wirtschaftlich eher machbar ist. In diesen Fällen überwiegt das Sicherheitsbedürfnis die Wirtschaftlichkeits- und Machbarkeitserwägungen. Unterfällt ein Bestandsschiff durch seinen Umbau einer solchen Rückausnahme, können auf das Schiff trotz seines älteren Baudatums die für „neue Schiffe“ geltenden Standards anzuwenden sein.
218
Das bedeutet: Das Kapitel in seiner aktuellen Fassung. Regel II-1/1 Abs. 1.1 SOLAS, Regel II-2/1 Abs. 1.1 SOLAS sowie Regel III/1 Abs. 1 SOLAS. 220 Die Kapitel enthalten Standards für die Bauweise in Bezug auf die Unterteilung, Stabilität sowie an Maschinen und elektrische Anlagen (Kapitel II-1), an die Bauweise in Bezug auf den Brandschutz (Kapitel II-2) sowie an Rettungsmittel und -vorrichtungen (Kapitel III). Besonders deutlich wird die zu den Verhältnismäßigkeitserwägungen führende Problematik etwa bei den Vorschriften des Kapitels II-1 über die Unterteilung, d. h. über den Einbau von Quer- und Längsschotten sowie des Schottendecks. 221 Für SOLAS insgesamt ist der Begriff des „neuen Schiffes“ in Regel I/2 k) SOLAS definiert als „ein Schiff, dessen Kiel am oder nach dem Tag des Inkrafttretens dieses Übereinkommens gelegt wird oder das sich zu diesem Zeitpunkt in einem entsprechenden Bauzustand befindet“. 222 Durch Rückausnahmen wird die beschriebene Systematik der Anlage zu SOLAS, nach der von einem Bestandsschiff nicht rückwirkend die Erfüllung neuerer, d. h. erst später in Kraft getretener Standards gefordert wird, durchbrochen. Unter bestimmten Voraussetzungen sind durch ein Bestandsschiff bzw. durch einzelne Komponenten davon doch nachträglich aktuellere Standards zu erfüllen. 219
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
2. Auf Traditionsschiffe anzuwendende materiell-rechtliche Standards Die Unterteilung von Schiffen in „neue Schiffe“ und in Bestandsschiffe gibt Anlass zu der Frage, ob auf Traditionsschiffe, die in der Regel hohen Alters sind, neben den für „alle Schiffe“ geltenden Vorschriften (dazu nachfolgend a.) die für Bestandsschiffe bestehenden Standards oder u. U. doch die materiell-rechtlichen Standards für „neue Schiffe“ anzuwenden sind (nachfolgend b.). Diese Fragestellung ergibt sich immer dann, wenn Schiffe nach ihrer Außerdienststellung von der Nutzung, für welche sie zuletzt eingesetzt waren, für ihre heutige Nutzung als „Traditionsschiff“ umfangreich umgebaut wurden.223 Daneben ist zu prüfen, ob für Traditionsschiffe, die in neuerer Zeit als Nachbauten historischer Vorbilder gebaut wurden, stets die auf „neue Schiffe“ anzuwendenden Standards maßgeblich sind. Schließlich ist gesondert herauszuarbeiten, welche materiell-rechtlichen Standards auf Traditionsschiffe als Bestandsschiffe anzuwenden sind (nachfolgend c.), da auch diese Bestimmung selbst einige Schwierigkeiten bereitet. a) Anwendung der Standards für „alle Schiffe“ Teile der materiell-rechtlichen Standards aus den Kapiteln II-1 bis III der SOLASAnlage sind auf „alle Schiffe“ anzuwenden. Das betrifft solche Vorgaben, die nach Ansicht der Staaten einen, auch als Ergebnis einer an der Verhältnismäßigkeit orientierten Abwägung, durch Schiffe jeden Alters nicht zu unterschreitenden Mindeststandard an Sicherheit gewährleisten sollen. Überwiegend handelt es sich dabei um Vorgaben, die ohne weitgehende Umbauten eingehalten werden können, etwa durch das bloße Nachrüsten von Ausstattung oder durch Verhaltensweisen, oder um Vorgaben, die einen großen Spielraum hinsichtlich der Art und Weise der Erfüllung lassen.224 Der Begriff „alle Schiffe“ ist in SOLAS in den Kapitel II-1 bis III der Anlage je gesondert definiert als „vor, am oder nach dem [Stichtag des jeweiligen Kapitels]
223 Freilich sind viele Schiffe nicht nur vor ihrer neuerlichen Indienststellung als Traditionsschiff umgebaut worden, sondern oftmals auch schon im Laufe ihrer vorherigen Nutzung[en]. Zwischenzeitliche Nutzungen können von der Nutzung, für welche ein Schiff ursprünglich einmal konzipiert war, erheblich abweichen und durchaus mehrfache erhebliche Umbauten notwendig machen. In der vorliegenden Arbeit werden indes nur diejenigen Umbauten berücksichtigt, die speziell Traditionsschiffe betreffen resp. die der (heutigen) Nutzung der Schiffe als solches vorausgingen. 224 Nach Regel II-1/3-8 Abs. 2 SOLAS etwa müssen alle Schiffe „mit Vorrichtungen, Ausrüstung und Zubehörteilen von ausreichender Zugfestigkeit ausgestattet sein, um die sichere Durchführung sämtlicher dem normalen Schiffsbetrieb zuzuordnender Schlepp- und Festmacharbeiten zu ermöglichen“. Regel II-2/10 Abs. 2.1 SOLAS verlangt, dass alle Schiffe „mindestens zwei Brandschutzausrüstungen mitführen“ müssen, wobei die Brandschutzausrüstungen nach Regel II-2/10 Abs. 1 SOLAS den Anforderungen des Codes für Brandsicherheitssysteme genügen müssen. Nach Regel III/8 Abs. 2 SOLAS müssen für jede Person an Bord „klar verständliche Anweisungen […], die in einem Notfall zu befolgen sind“, vorgesehen sein.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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gebaute Schiffe“.225 Die Regelungen, die sich auf „alle Schiffe“ beziehen, sind somit auf alle Traditionsschiffe anzuwenden, unabhängig von deren Alter oder von eventuellen Umbauten. b) Anwendung der Standards für „neue Schiffe“? Auf „neue Schiffe“, d. h. Schiffe, die an oder nach dem für das Kapitel geltenden Stichtag „gebaut“ wurden, sind die materiell-rechtlichen Standards des Kapitels jeweils in der aktuellen Fassung anzuwenden. (1) Grundsatz: keine Anwendung der Standards für „neue Schiffe“ Das ursprüngliche (erstmalige) Baudatum von heute als „Traditionsschiff“ genutzten Schiffen liegt in der Regel weit zurück, jedenfalls aber vor den maßgeblichen aktuellen Stichtagen der Kapitel II-1 bis III der SOLAS-Anlage. Danach sind auf Traditionsschiffe im Grundsatz die für Bestandsschiffe maßgeblichen Standards anzuwenden. (2) Anwendung der Standards für „neue Schiffe“ nach umfangreichen Umbauten? Fraglich ist jedoch, ob es sich bei Traditionsschiffen u. U. auch um „neue Schiffe“ handeln kann. Das könnte der Fall sein, wenn die Traditionsschiffe zeitlich nach einem der Stichtage der Kapitel II-1 bis III für ihre Indienststellung als „Traditionsschiff“ umfangreich umgebaut wurden und sie infolgedessen rechtlich als im Zeitpunkt ihres Umbaus neu „gebaut“ (im definitorischen Sinne) anzusehen wären, d. h. wenn sich die vorgenommenen Umbauten unter den Begriff des „Baus“ i.S.d. 225
Vgl. Regel II-1/1 Abs. 1.3.2 SOLAS, Regel II-2/1 Abs. 1.2.2 SOLAS und Regel III/1 Abs. 3.2 SOLAS. Die Regeln, die sich an „alle Schiffe“ richten, stellen damit die „ausdrücklich etwas anderes bestimmende Vorschriften“ i.S.d. Stichtagsregelungen der Kapitel II-1 bis III SOLAS dar. (Abgesehen von den Regeln, die sich expressis verbis auf „alle Schiffe“ beziehen, wird innerhalb der Kapitel II-1 und III von SOLAS an vielen Stellen systematisch nicht hinreichend deutlich, wann eine „etwas anderes“ bestimmende Vorschrift i.S.d. Stichtagsregelungen vorliegt. Viele Regeln definieren noch einmal im Einzelnen, dass sie insgesamt oder in Teilen ab einem von dem Stichtag in Regel 1.1 verschiedenen Stichtag des Baus gelten. In diesem Fall ersetzt der innerhalb der einzelnen Regel bestimmte Stichtag, gemäß der Lesart „vom Allgemeinen ins Besondere“, den Stichtag aus Regel 1.1 des Kapitels. Schwieriger sind Regeln anzuwenden, die zwar einzelne Anwendbarkeitskriterien bestimmen, welche aber keine Stichtagsregelungen sind; wie das Erreichen einer bestimmten BRZ, die Eigenschaft als Fahrgast- oder Frachtschiff oder eine bestimmte Länge des Schiffes. In diesen Fällen lässt sich nicht ohne weiteres nachvollziehen, ob die in den Regeln enthaltenen materiell-rechtlichen Standards auch auf ältere Schiffe anzuwenden sind. Nach Auswertung des Wortlautes, der Systematik und des Telos der einzelnen Kapitel der Anlage zu SOLAS spricht vieles dafür, dass eine „ausdrücklich andere Bestimmung“ i.S.d. Stichtagsregelungen nur gegeben ist, wenn innerhalb der einzelnen Regel ein abweichender Stichtag bestimmt wird. Andere Anwendungskriterien, wie Größenmerkmale, dürften hingegen die Stichtagsbestimmungen überwiegend nicht aufheben.)
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Stichtagsregelungen der Anlage zu SOLAS subsumieren ließen. Zu berücksichtigen ist zudem, ob Umbauten an Traditionsschiffen Sonderregelungen oder Rückausnahmeregelungen von den Stichtagsregelungen unterfallen können, welche in den Kapiteln II-1 bis III der SOLAS-Anlage enthalten sind. (a) Besonderheiten von Traditionsschiffen: typische Umbauprozesse Vielen Traditionsschiffen, die früher Fahrzeuge der Berufsschifffahrt waren – insbesondere jenen, die ursprünglich nicht für Fahrten mit Fahrgästen genutzt wurden – ist gemeinsam, dass sie vor ihrer neuerlichen Nutzungsaufnahme als Traditionsschiffe mehr oder weniger weitgehend umgebaut wurden. Art und Ausmaß der Umbauten variieren dabei stark von Schiff zu Schiff. Als rechtstatsächliche Grundlage für die nachfolgende Untersuchung werden für die vorliegende Arbeit nachfolgend (pauschaliert) drei typische Umbauprozesse an Traditionsschiffen unterschieden und jeweils einem Oberbegriff zugeordnet. (aa) „instandgesetzte Schiffe“ Zum einen gibt es Schiffe, die vor ihrer heutigen Nutzung als Traditionsschiffe umfangreich instandgesetzt bzw. renoviert und dabei ggf. auch teilweise umgebaut wurden, jedoch ohne dass diese Arbeiten den Schiffstyp grundlegend verändert hätten. Ein häufig anzutreffendes Merkmal dieser Schiffe ist, dass sie auch vor ihrer Nutzung als Traditionsschiff bereits zur Personenbeförderung genutzt wurden. Diese Schiffe werden nachfolgend als „instandgesetzte Schiffe“ bezeichnet.226 (bb) „zurückgebaute Schiffe“ Der Kategorie der „instandgesetzten Schiffe“ nahe stehen diejenigen Schiffe, die bereits während ihrer früheren Nutzung(en), ggf. mehrfach, maßgeblich verändert wurden und bei denen sich die Instandsetzung bzw. auch der Umbau vor der erneuten Indienststellung als Traditionsschiff darauf richtete, (eher) im Sinne einer Restau-
226 Für die Fallgruppe der „instandgesetzten Schiffe“ kann der „Salondampfer Alexandra“ als Beispiel genannt werden. Dieser lief ausweislich der auf dem entsprechenden Internetauftritt (unter www.dampfer-alexandra.de/geschichte/index.php) verfügbaren Informationen im Jahr 1905 vom Stapel und wurde bis zum Jahr 1975 fast durchgängig im Liniendienst auf der Flensburger Förde eingesetzt. Ab Beginn der 1980er bis ca. Mitte der 1990er Jahre wurde die „Alexandra“ schrittweise wieder instandgesetzt und renoviert, ohne dass das Schiff in prägenden Teilen verändert worden wäre. So wurden zunächst der Rumpf wieder instandgesetzt und sodann zahlreiche Sanierungsarbeiten an der Maschine, den Aufbauten und der Inneneinrichtung vorgenommen; zusätzlich wurde bspw. Elektronik nachgerüstet. Seitdem wird die „Alexandra“ für Rund- und Sonderfahrten in der Flensburger Förde eingesetzt. Das Schiff, das unter deutscher Flagge fährt, verfügt nach Darstellung des Betreibers „Förderverein Salondampfer Alexandra e.V.“ seit 2002 über ein Sicherheitszeugnis für Traditionsschiffe und ist seit 1990 in das Denkmalbuch des Landes Schleswig-Holstein eingetragen.
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rierung den ursprünglichen Zustand des Schiffes wiederherzustellen. Diese Schiffe werden nachfolgend als „zurückgebaute Schiffe“ bezeichnet.227 (cc) „umgerüstete Schiffe“ Andere Schiffe sind nach der Beendigung ihrer früheren Nutzung so weitgehend umgebaut worden, dass das Schiff seit dem Umbau einen gänzlich anderen Schiffstyp darstellt. Das betrifft oftmals früher als Fischereifahrzeuge, Eisbrecher oder Feuerschiffe genutzte Schiffe. Viele dieser Schiffe wurden ursprünglich als Motorschiff gebaut und für die Nutzung als „Traditionsschiffe“ zu einem Segelschiff umgebaut. Diese Schiffe werden nachfolgend als „umgerüstete Schiffe“ bezeichnet.228 (b) Umbauprozesse als „Bau“ der Schiffe i.S.d. Stichtagsregelungen? Fraglich ist zum ersten, ob Traditionsschiffe als im Zeitpunkt ihres Umbaus (definitorisch) neu „gebaut“ i.S.d. Stichtagsregelungen der Anlage zu SOLAS anzusehen sind229, sodass hinsichtlich ihres für den jeweiligen Stichtag maßgeblichen Baudatums nicht auf den ursprünglichen Bau, sondern auf den Umbau abzustellen wäre. Nach den Regeln der Kapitel II-1 bis III SOLAS ist ein Schiff an oder nach dem maßgeblichen Stichtag „gebaut“, wenn am Stichtag entweder sein Kiel gelegt ist oder
227 Ein Beispiel für ein „zurückgebautes Schiff“ stellt die „RIGMOR von Glückstadt“ dar. Das Schiff wurde ursprünglich im Jahr 1853 gebaut und sodann für verschiedene Nutzungen eingesetzt, bis es nach dem Jahr 1992 als Traditionsschiff genutzt wurde (vgl. dazu auf dem Internetauftritt der Rigmor unter www.rigmor.de/schiff.htm). Für ihre Nutzung als Traditionsschiff wurde die Rigmor, die im Jahr 1853 als Kutter gebaut und während ihrer Nutzungszeit u. a. zu einem Frachtsegler umgebaut wurde, wieder zu ihrem Anfangszustand als „Zollkreuzer No.5“ zurückgebaut. 228 Ein klassischer Vertreter eines „umgerüsteten Schiffes“ ist das unter britischer Flagge fahrende Traditionsschiff „Santa Barbara Anna“ (www.santa-barbara-anna.de/index.php/ge schichte). Das Schiff wurde ursprünglich im Jahr 1951, damals unter dem Namen „Vanessa Ann“, aus Stahl als Hochseetrawler für den Fischfang gebaut. Typische Merkmale der „Vanessa Ann“ waren eine hohe Back, eine bestimmte, schnittige Bugform, die das „weiche“ Eintauchen des Schiffes in Wellenberge ermöglichen sollte, und mitschiffs das erhöhte Ruderhaus sowie zwei Arbeitsmasten und Vorrichtungen für das Fanggeschirr. Von 1984 bis 1985 wurde das Schiff zu einem Dreimast-Toppsegelschoner umgebaut. Dazu wurden die Back und der Brückenaufbau entfernt und das Deckshaus mit einem bis zu den Bordwänden gezogenen Sonnendeck überbaut. Der ehemalige Fischraum wurde zu einer großen klimatisierten Disco und Bar umgebaut. Das Schonerrigg wurde unter Ausnutzung der Fundamente des Fischereigeschirrs aufgesetzt, ein Klüverbaum wurde hinzugefügt. In den Jahren 2005 und 2006 wurden für das Schiff ein ca. 4 Tonnen schwerer Holzkiel gefertigt und montiert sowie eine zusätzliche Breitfock installiert. 229 Die Stichtagsregelungen lauten: „Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, findet dieses Kapitel auf Schiffe Anwendung, die an oder nach dem [Stichtag] gebaut wurden.“ (Hervorhebung durch Verf.).
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
es sich in einem der Kiellegung „entsprechenden Bauzustand“ befindet.230 Ein „entsprechender Bauzustand“ soll nach den in den Kapiteln vorgesehenen Definitionen vorliegen, wenn der Bauzustand „den Baubeginn eines bestimmten Schiffes erkennen lässt“ und „die Montage von mindestens 50 t oder 1 v.H. des geschätzten Gesamtbedarfs an Baumaterial begonnen hat, je nachdem, welcher Wert kleiner ist.“231 Für die Markierung eines „Baus“ i.S.d. Stichtagsregelungen sind somit zwei Tatbestandsalternativen normiert: entweder die Kiellegung oder ein Bauzustand mit einem in der Höhe bestimmten Materialverbau, der bereits den zukünftigen Schiffscharakter erkennen lässt. Ob Umbauten an Traditionsschiffen danach ein neues Baudatum i.S.d. Stichtagsregelungen auslösen, kann freilich anhand der im vorherigen Abschnitt dargestellten typischen Umbauprozesse nicht allgemeingültig beantwortet werden. Vielmehr muss dies eine Tatsachenfrage des Einzelfalls bleiben, die sich einer pauschalen rechtlichen Klärung entzieht. Gleichwohl lassen sich für die Subsumtion im Einzelfall zu beachtende rechtliche Leitlinien herausarbeiten, die nachfolgend erläutert werden und aus denen zumindest Tendenzen abgeleitet werden können, ob und inwieweit der Umbau eines Traditionsschiffes einen „Bau“ i.S.d. Stichtagsregelungen darstellen kann. (aa) Grundsatz: Auslegung unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeitserwägungen Unmittelbar lässt sich die in SOLAS getroffene Definition des „Baus“ auf einen Umbauprozess nicht übertragen, da ein Umbau – anders als die erstmalige Herstellung eines Schiffes – bereits von einem Bestand ausgeht. Damit ist die Subsumtion eines Umbauprozesses unter den Begriff des „Schiffbaus“ nur möglich, wenn nicht ausschließlich auf den Wortlaut der Definition eines „gebauten Schiffes“ abgestellt wird.232 Der Begriff ist stattdessen maßgeblich in Orientierung an seinem Sinn und Zweck vor dem Hintergrund der dargestellten Verhältnismäßigkeitserwägungen anzuwenden.
230 Regel II-1/1 Abs. 1 SOLAS i.V.m. Regel II-1/1 Abs. 2.1 SOLAS, Regel II-2/1 Abs. 1 bis 1.3 SOLAS und Regel III/1 Abs. 1 SOLAS sowie zahlreiche einzelne Regeln innerhalb des Kapitels V der Anlage zu SOLAS. 231 Regel II-1/1 Abs. 2 SOLAS, Regel II-2/1 Abs. 3 SOLAS und Regel III/1 Abs. 2 SOLAS. 232 Davon, dass Umbauten überhaupt einen „Bau“ eines Schiffes i.S.d. Stichtagsregelungen darstellen können, gehen die Staaten gleichwohl aus. Dies ergibt sich etwa aus einer in MARPOL – das SOLAS vergleichbare Stichtagsregelungen enthält – normierten Regel. Nach Regel VI/5 Abs. 4.3 MARPOL kann die Verwaltung „In Fällen, in denen der größere Umbau eines neuen oder vorhandenen Schiffes so umfangreich ist, dass das Schiff von der Verwaltung als ein neu gebautes Schiff angesehen wird“ darüber entscheiden, ob das Schiff zur Überprüfung der Einhaltung der in dem Kapitel geregelten Standards „erstmals“ besichtigt wird. In dieser Regel kommt zum Ausdruck, dass Schiffe nach größeren Umbauten als „neue Schiffe“ angesehen werden können.
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Mit dem Abstellen auf das Baudatum eines Schiffes haben sich die Staaten dafür entschieden, diesen Zeitpunkt als denjenigen zu bestimmen, von dem an Erwägungen zur technischen Machbarkeit und wirtschaftlichen Vertretbarkeit hinter den Sicherheitsinteressen durch die Anpassung an aktuellere Standards zurücktreten. Bis zum Zeitpunkt der Kiellegung oder einem dieser entsprechenden Bauzustand kann nach Auffassung der Staaten die Anpassung des Schiffes an aktualisierte Standards noch unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit verlangt werden. Die Entscheidung für das Abstellen auf das Baudatum eines Schiffes zeichnet mithin das Ergebnis eines Abwägungsprozesses nach und ist folglich auch als solches maßgeblich. Für die Entscheidung darüber, ob ein Umbauprozess ein neues Baudatum i.S.d. Stichtagsregelungen auslöst, kommt es mithin darauf an, ob die definitorische Einordnung eines Umbaus als „Bau“ als Ergebnis eines vergleichbaren Abwägungsprozesses die Verhältnismäßigkeit wahren würde. Ausgehend von diesen Maßstäben wird bei „instandgesetzten Schiffen“233 regelmäßig viel dafür sprechen, dass kein für die Stichtagsregelungen relevanter „Bau“ des Traditionsschiffes vorliegt, da Erwägungen zur technische Machbarkeit und zur Wirtschaftlichkeit in der Regel überwiegen werden. Denn es ist kaum vorstellbar, dass ein Schiff bei der Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen ohne unverhältnismäßigen Aufwand an aktuelle SOLAS-Standards angepasst werden könnte. Auch bei „zurückgebauten Schiffen“234 wird in der Regel nicht von einem „Bau“ des Schiffes auszugehen sein, zumal bei dieser Kategorie im Rahmen der Abwägung ergänzend das Anliegen zu berücksichtigen ist, dass das Schiff gerade in einen ursprünglichen, originalgetreueren Zustand zurückversetzt werden soll. Anders wird die Sachlage vereinzelt bei sehr weitgehend „umgerüsteten Schiffen“235 zu beurteilen sein, etwa in den Fällen, in denen ein Schiff zu einem gänzlich anderen Typ umgebaut wird – bspw. von einem Motor- zu einem Segelschiff, oder umgekehrt, und dabei z. B. fast vollständig entkernt wird. In der überwiegenden Zahl der Fälle werden jedoch auch Umbauten von Traditionsschiffen keinen „Bau“ des Schiffes i.S.d. der Stichtagsregelungen der Anlage zu SOLAS darstellen. Damit sind auf Traditionsschiffe in der Regel nicht die für „neue Schiffe“ maßgeblichen Standards, sondern, je nach dem ursprünglichen Baudatum des Schiffes, die dementsprechenden materiell-rechtlichen Standards für Bestandsschiffe anzuwenden.236 (bb) Sonderregeln für Umbauten vom Fracht- zum Fahrgastschiff Bei fast allen Traditionsschiffen dienen die Umbauten (auch) dem Zweck, die Mitnahme von Fahrgästen zu ermöglichen, um diesen den Betrieb des Schiffes zu 233
Im vorgehend unter (aa) dargestellten Sinne. Im vorgehend unter (bb) dargestellten Sinne. 235 Im vorgehend unter (cc) dargestellten Sinne. 236 Zu den maßgeblichen Standards für Bestandsschiffe vgl. im nachfolgenden Abschnitt unter Punkt c. 234
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demonstrieren und die Fahrgäste einzubinden. Bei manchen Traditionsschiffen ist die Mitnahme von Fahrgästen nach dem Umbau erstmals möglich, bei anderen dient der Umbau dazu, mehr Fahrgäste als ursprünglich an Bord nehmen zu können. (a) Veränderung der definitorischen Einordnung der Umbauprozesse als „Bau“? Die vorgenannten Aspekte geben Anlass zu der weiteren Fragestellung, ob SOLAS es zulässt oder gar verlangt, dass in der Verhältnismäßigkeitsabwägung gesonderte Berücksichtigung findet, ob die Instandsetzung oder der Umbau dazu dienen, mit dem Schiff (mehr) Fahrgäste an Bord nehmen zu können. Diese Erwägung könnte innerhalb der Abwägung zu einer höheren Gewichtung der Sicherheitsinteressen gegenüber den Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsbelangen führen mit der Folge, dass der Umbauzeitpunkt definitorisch als „Bau“-Zeitpunkt des Schiffes anzusehen wäre. Der Zweck von SOLAS, der in dem Schutz menschlichen Lebens auf See besteht, spricht einerseits für die vorgenannte Überlegung. Andererseits sind jedoch in SOLAS bestehende Sonderregelungen für den Umbau eines Fracht- zu einem Fahrgastschiff zu berücksichtigen. Nach diesen Sonderregeln, die innerhalb der Kapitel II-1, II-2 und III der SOLAS-Anlage normiert sind237, wird „ungeachtet des Baudatums ein Frachtschiff, das zu einem Fahrgastschiff umgebaut wird, als an dem Tag gebautes Fahrgastschiff angesehen, an dem der Umbau beginnt“.
Diese Regeln sind in allen drei Kapiteln II-1 bis III in unmittelbarer Nähe zur Definition des „gebauten“ Schiffes normiert (direkt im folgenden oder im übernächsten Absatz), was dafürspricht, dass zwischen ihnen und der „Bau“-Definition ein systematischer Zusammenhang besteht. Infolgedessen lässt sich den Sonderregeln im Umkehrschluss entnehmen, dass der Umbau eines Schiffes mit dem Zweck, erstmals oder mehr als zuvor Fahrgäste an Bord zu nehmen, nicht zwingend zu einem Überwiegen der Sicherheitsinteressen führt mit der Folge, dass der Umbau definitorisch einem „Bau“ i.S.d. Stichtagsregelungen entspräche.238 Anderenfalls würde die gesonderte Regelung der Umbau-Konstellation vom Fracht- zu Fahrgastschiff 237
Regeln II-1/1 Abs. 1.3.3 SOLAS, II-2/1 Abs. 1.2.3 SOLAS und III/1 Abs. 3.3 SOLAS. Trotz dieser Sonderregelungen, die im Ergebnis oftmals ohnehin die Anwendung der materiell-rechtlichen Standards für „neue Schiffe“ auf vom Fracht- zum Fahrgastschiff umgebaute Traditionsschiffe verlangen, ist weiter relevant, ob Umbauten zum Zweck der Erweiterung der Fahrgastkapazität auch abstrakt dazu führen, dass der Umbauzeitpunkt als Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsabwägung den „Bau“ des Schiffes i.S.d. Stichtagsregelungen darstellt. Zum einen enthalten nicht alle Regelungen innerhalb der Anlage zu SOLAS, die Stichtagsregelungen enthalten, zugleich Sonderregelungen für den Umbau vom Fracht- zum Fahrgastschiff, wie die Kapitel II-1 bis III. Im Kapitel V etwa, das in den einzelnen Regeln ebenfalls Stichtagsregelungen enthält, fehlt eine vergleichbare Sonderregelung. Zum anderen stellen nicht alle Umbauten eines Schiffes mit dem Zweck, mehr Passagiere an Bord nehmen zu können, einen Umbau von einem Fracht- zu einem Fahrgastschiff dar. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn das Schiff zuvor gar keine oder weniger als 12 Fahrgäste i.S.v. SOLAS mit an Bord genommen hat. 238
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den überwiegenden Teil ihres Anwendungsbereiches verlieren. Zudem ist der Wortlaut der Sonderregelungen dahin gewählt, dass der Umbauzeitpunkt als das Baudatum „angesehen“ wird (engl. „shall be treated as“). Diese Wortwahl impliziert, dass der Umbauzeitpunkt im Fall des Umbaus vom Fracht- zum Fahrgastschiff dem Baudatum nur gleichgestellt werden soll, ohne gleich zu sein. Ferner beginnen die Sonderregelungen mit der Formulierung „ungeachtet des Baudatums“, was zusätzlich für die Gebotenheit der dargestellten Auslegung spricht. Damit sprechen überzeugende Erwägungen dafür, dass die mit einem Umbau beabsichtigte Herstellung oder Erhöhung des Passagierkontingents die Verhältnismäßigkeitsabwägung nicht pauschal zugunsten eines Überwiegens der Sicherheitsinteressen beeinflusst. (b) Rechtsfolge der Sonderregeln Ungeachtet dieser Aussagen, die sich den Sonderregelungen für die Auslegung der Definition des „Baus“ eines Schiffes i.S.d. Stichtagsregelungen entnehmen lassen, ist als originäre Rechtsfolge der Sonderregelungen zu beachten, dass bei Traditionsschiffen, die nach ihrer ursprünglichen Nutzung ein „Frachtschiff“ i.S.v. SOLAS darstellten und nach dem Umbau als „Fahrgastschiff“ anzusehen sind, der Zeitpunkt des Umbaubeginns den Zeitpunkt darstellen soll, in dem das Traditionsschiff „gebaut“ ist i.S.d. Stichtagsregelungen. Liegt folglich der Umbauzeitpunkt auf oder nach dem jeweils maßgeblichen Stichtag innerhalb der Kapitel II-1 bis III der SOLAS-Anlage, so sind auf das Traditionsschiff die entsprechenden materiellrechtlichen Anforderungen für „neue Schiffe“ anzuwenden. (cc) Sonderregeln für „Umbauten größerer Art“ Ferner stellt sich die Frage, wie in der Verhältnismäßigkeitsabwägung zur (definitorischen) Bestimmung des „Bau“-Zeitpunktes eines Schiffes die Konstellation zu bewerten ist, in der ein Schiff nicht insgesamt in erheblichem Umfang umgebaut wird, aber im Rahmen des Umbaus gerade diejenigen Einrichtungen oder Bauteile verändert werden, an welche das jeweilige Kapitel oder die einzelne Regel Anforderungen stellt. Die Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsbelange könnten in diesem Fall gegenüber den Sicherheitsinteressen nachrangig zu berücksichtigen sein, ebenfalls mit der Folge, dass der Umbauzeitpunkt als „Bau“-Zeitpunkt des Schiffes anzusehen wäre. Auch insoweit sind gesonderte Regeln in SOLAS in die Betrachtung einzubeziehen („Rückausnahmen“).239 Die Sonderregeln ermöglichen die Durchbrechung der Stichtagsregelungen bei sog. Reparaturen, Änderungen und Veränderungen größerer Art (nachfolgend „größere Umbauten“). Umbauten sind – zusammengefasst – dann „größer“ i.S.d. Sonderregeln, wenn sie diejenigen Elemente der baulichen Beschaffenheit des Schiffes oder diejenigen Einrichtungen betreffen, die von 239 Regel II-1/1 Abs. 1.3.4 i.V.m. Regel 1 Abs. 1.3.3 Satz 3 SOLAS, Regel II-2/1 Abs. 3.2 SOLAS und Regel III/1 Abs. 4.2 SOLAS.
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den materiell-rechtlichen Anforderungen des jeweiligen Kapitels betroffen sind.240 Diese Definition der „größeren Umbauten“ lässt die dahinterstehende Regelungsintention erkennen, die aus denselben Verhältnismäßigkeitserwägungen besteht, die auch bei der Definition des „Bau“-Datums eines Schiffes maßgeblich sind. Die Anpassung an aktuelle materiell-rechtliche Standards wird mit Blick auf das Sicherheitsinteresse als verhältnismäßig angesehen, weil der (aus anderen Gründen ohnehin erfolgende) Umbau des betroffenen Elements der baulichen Beschaffenheit oder der betroffenen Einrichtung die Anpassung als machbarer und/oder wirtschaftlich vertretbarer erscheinen lässt. (a) Veränderung der definitorischen Einordnung der Umbauprozesse als „Bau“? Für die Auslegung des Begriffes des an einem bestimmten Stichtag „gebauten Schiffes“ lässt sich den Sonderregeln für „größere Umbauten“ in gleicher Weise, wie den Sonderregelungen für den Umbau von einem Fracht- zu einem Fahrgastschiff, entnehmen, dass die Vornahme der Umbauten trotz einer ggf. besseren technischen Machbarkeit der Anpassung nicht ohne weiteres dazu führt, dass der Umbau definitorisch dem „Bau“ des Schiffes gleichzusetzen wäre. (b) Rechtsfolge der Sonderregeln Ob und inwieweit unabhängig davon die an Traditionsschiffen vorgenommenen Umbauten i.S.d. Kapitel II-1, II-2 und III der SOLAS-Anlage „Umbauten größerer Art“ darstellen, muss an dieser Stelle wiederum eine Tatsachenfrage des Einzelfalls bleiben. Dabei gelten jedoch die gleichen rechtlichen Leitlinien, wie sie auch bei der Interpretation des „Baus“ der Schiffe zu beachten sind. Die Subsumtion ist abseits des Wortlauts vorrangig daran zu orientieren, ob der Umbau unter Berücksichtigung des technischen Aufwandes und v. a. wirtschaftlicher Erwägungen in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Aktualisierung der materiell-rechtlichen Standards verfolgten Sicherheitsinteressen steht.241 Ein Umbau kann dabei auch nur 240
Im Kapitel II-1 der Anlage zu SOLAS, das Anforderungen an die Bauart und Bauweise insbesondere hinsichtlich der Unterteilung und Stabilität eines Schiffes stellt, ist der „Umbau größerer Art“ definiert als „jegliche Veränderung in der Bauart, die das Ausmaß der Unterteilung des Schiffes berührt“ (Regel II-1/1 Abs. 1.3.4 SOLAS). Das Kapitel II-2 stellt Anforderungen an die Bauart des Schiffes hinsichtlich des Brandschutzes und definiert dazu einen Umbau als „größer“, wenn die Veränderungen „die Abmessungen eines Schiffes oder die Unterkunftsräume für Fahrgäste wesentlich verändern oder welche die Lebensdauer eines Schiffes wesentlich verlängern“ (Regel II-2/1 Abs. 3.2 SOLAS). Im Kapitel III, das Anforderungen an Rettungsmittel und -vorrichtungen auf einem Schiff stellt, ist ein Umbau dann „größerer Art“, wenn „Rettungsmittel oder -vorrichtungen […] ersetzt werden oder an diesen Schiffen Reparaturen, Änderungen oder Umbauten größerer Art vorgenommen werden, in deren Verlauf ihre bisherigen Rettungsmittel oder -vorrichtungen ersetzt oder ergänzt werden“ (Regel III/1 Abs. 4.2 SOLAS). 241 Die Verhältnismäßigkeitserwägungen werden v. a. an den Stellen Eingang finden, an denen die jeweiligen Definitionen vage bleiben, etwa bei der Bestimmung, wann eine Veränderung das Ausmaß der Unterteilung eines Schiffes „berührt“ (Regel II-1/1 Abs. 1.3.4 SOLAS)
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i.S. eines einzelnen Kapitels „größerer Art“ sein, die Anforderungen eines anderen Kapitels hingegen nicht betreffen. Regelmäßig werden die Sonderregeln bei „umgerüsteten Schiffen“ häufiger einschlägig sein, als bei „instandgesetzten Schiffen“ oder bei „zurückgebauten Schiffen“. Als Rechtsfolge sehen die Sonderregeln für „Umbauten größerer Art“, anders als die Sonderregelungen für den Umbau vom Fracht- zum Fahrgastschiff, nicht vor, dass auf die erfassten Schiffe ipso iure die maßgeblichen Anforderungen für „neue Schiffe“ anzuwenden wären. Vielmehr wird die Entscheidung über die Anwendung den Staaten übertragen. Nach den entsprechenden Regeln242 müssen diejenigen baulichen Elemente oder Einrichtungen, die Gegenstand des Umbaus waren, den für „neue Schiffe“ maßgeblichen Anforderungen des jeweiligen Kapitels genügen, sofern die Verwaltung des jeweiligen Flaggenstaates dies für „zweckmäßig“ und „durchführbar“ hält. Während es dabei für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit darauf ankommen wird, ob die Anpassung im Hinblick auf den angestrebten Sicherheitsgewinn zielführend ist, werden hinsichtlich der Durchführbarkeit die Erwägungen über die technische Machbarkeit und die Wirtschaftlichkeit ins Verhältnis zu setzen sein. Die Anpassung an aktuellere materiell-rechtliche Standards darf, um „zweckmäßig und durchführbar“ zu sein, machbarkeitstechnisch und gemessen an den notwendigen wirtschaftlichen Aufwendungen nicht völlig außer Verhältnis zum erreichbaren Sicherheitsgewinn stehen. Zu beachten ist allerdings, dass die Sonderregeln für „Umbauten größerer Art“ erst im Laufe der Zeit in SOLAS eingefügt worden sind. So enthielt SOLAS in der ursprünglichen Fassung von 1974 zwar in den Kapiteln II-1 und II-2 den heutigen Vorschriften vergleichbare Regelungen für „größere Umbauten“.243 In Kapitel III von SOLAS der Fassung von 1974 fehlt jedoch eine entsprechende Regelung, sie wurde erst im Jahr 1986 eingeführt244. SOLAS in der Fassung von 1960 enthielt gar keine Vorschriften über „Umbauten größerer Art“. Infolgedessen gilt die zuvor beschriebene Rechtsfolge nur für jene Schiffe, die nach dem Inkrafttreten der Sonderregelungen für ihre Nutzung als Traditionsschiff umgebaut wurden. Denn die Systematik innerhalb der Regeln verdeutlicht, dass die Regelungen über größere Umbauten nicht für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelungen bereits ab-
oder wann Unterkunftsräume von Fahrgästen „wesentlich“ verändert werden (Regel II-2/1 Abs. 3.2 SOLAS). 242 Regel II-1/1 Abs. 3 Satz 3 SOLAS, Regel II-2/1 Abs. 3.2 SOLAS sowie Regel III/1 Abs. 4.2 Satz 1 SOLAS. 243 Vgl. Regel II-1/1 a) lit. (iii) Satz 3 SOLAS und Regel II-2/1 a) lit. (iii) Satz 3 SOLAS: „Repairs, alterations and modifications of a major character and outfitting related thereto should meet the requirements for a new ship in so far as the Administration deems reasonable and practicable“. 244 Die Vorschrift für „Umbauten größerer Art“, wie wir sie (ähnlich) heute aus Regel III/1 Abs. 4.2 SOLAS kennen, wurde mit der am 1. Juli 1986 international in Kraft getretenen MSCÄnderungsentschließung MSC.6(48) eingeführt.
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geschlossene Umbauten, d. h. rückwirkend, gelten.245 Für Traditionsschiffe, die bereits vor 1974 bzw. 1986 für ihre neue Indienststellung umgebaut wurden, kommt dementsprechend eine nachträgliche Anwendbarerklärung aktuellerer materiellrechtlicher Standards nach Einschätzung eines Flaggenstaates über die Begriffe „zweckmäßig“ und „durchführbar“ nicht in Betracht. (c) Zwischenergebnis Bei Traditionsschiffen, die ursprünglich vor den Stichtagen der Kapitel II-1 bis III der Anlage zu SOLAS gebaut wurden, bleibt es somit bei dem Grundsatz, dass auf sie in der Regel die für Bestandsschiffe maßgeblichen materiell-rechtlichen Anforderungen von SOLAS anzuwenden sind, nicht die Anforderungen der jeweils aktuellen Fassung von SOLAS für „neue Schiffe“. Von außergewöhnlich weitgehenden Umbauten abgesehen gilt dies prinzipiell auch dann, wenn die Traditionsschiffe vor ihrer Nutzung als solche instandgesetzt, zurückgebaut oder umgerüstet wurden. Ist durch den Umbau des Traditionsschiffes indes aus einem „Frachtschiff“ ein „Fahrgastschiff“ (definitorisch i.S.v. SOLAS) geworden, so sind auf das Schiff die an „neue Schiffe“ gestellten Anforderungen anzuwenden, sofern der Umbau nach dem maßgeblichen Stichtag erfolgt ist. Betreffen Umbauprozesse an einem Traditionsschiff Elemente der baulichen Beschaffenheit oder Einrichtungen am Schiff, die Gegenstand eines aktualisierten materiell-rechtlichen Standards sind, so muss nach dem Umbau ggf. der aktualisierte Standard erfüllt werden, sofern SOLAS für den entsprechenden Standard zum Zeitpunkt des Umbaus eine die Stichtagsregelungen durchbrechende Sonderregel vorsieht (bzw. vorgesehen hat) und sofern die Verwaltung des zuständigen Flaggenstaates das Erfüllen des aktualisierten Standards nach dem Umbau für „zweckmäßig“ und „durchführbar“ erachtet. (3) Anwendung der Standards für „neue Schiffe“ auf Nachbauten? Neben der überwiegenden Zahl an Traditionsschiffen, die ein instandgesetztes oder umgebautes historisches Schiff darstellen, gibt es Nachbauten historischer Schiffe246, die ebenfalls als „Traditionsschiffe“ genutzt werden.
245
Vgl. dazu Artikel VIII e) SOLAS. Danach gilt jede Änderung des Übereinkommens, die sich auf die Bauart des Schiffes bezieht, nur für Schiffe, deren Kiel an oder nach dem Tag des Inkrafttretens der Änderung gelegt wird oder die sich zu dieser Zeit in einem entsprechenden Bauzustand befinden. 246 Ein Beispiel eines Nachbaus in diesem Sinne stellt die unter spanischer Flagge segelnde „Nao Victoria“ dar, ein aus dem Jahr 1992 stammender originalgetreuer Nachbau des Dreimasters, mit dem Ferdinand Magellan im 16. Jahrhundert zur ersten Weltumseglung aufbrach (siehe dazu den Internetauftritt der Nao Victoria unter www.fundacionnaovictoria.org/de/naovictoria/).
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(a) Grundsatz: Stichtag zum Zeitpunkt der Errichtung des Nachbaus Bei Nachbauten richtet sich die Frage, ob auf die Schiffe die materiell-rechtlichen Standards von SOLAS für Bestands- oder für „neue Schiffe“ anzuwenden sind, grundsätzlich danach, ob das Schiff vor, an oder nach dem maßgeblichen Stichtag gebaut wurde; d. h. der Zeitpunkt der Errichtung des Nachbaus ist maßgeblich. (b) Abstellen auf den ursprünglichen Bau-Zeitpunkt? Fraglich ist jedoch, ob u. U. auch der Zeitpunkt der Errichtung des originalen Schiffes, d. h. des Vorbildes für den Nachbau, maßgeblich sein kann. In der Folge wären freilich realiter auf das Schiff keinerlei materiell-rechtlichen Standards aus SOLAS anzuwenden, sofern das originale Schiff vor dem Inkrafttreten auch älterer Fassungen der Übereinkommen gebaut wurde. Vielmehr wären – sofern vorhanden – nationale Standards des jeweiligen Flaggenstaates anzuwenden. Der Wortlaut der Stichtagsregelungen bietet jedoch, auch unter Berücksichtigung bestehender Sonderregelungen und von Rückausnahmen, für die Heranziehung des ursprünglichen Baudatums keinen Anknüpfungspunkt. Es stellt sich die Frage, ob der Zweck des Nachbaus historischer Schiffe ein anderes Ergebnis gebietet. Der Zweck des Nachbaus historischer Schiffe besteht darin, aufgrund des geschichtlichen Erhaltungswertes des Originales dieses weiter in Fahrt präsentieren zu können und erlebbar zu machen. Fraglich ist, ob dieser Zweck in den Begriff des „Baus“ eines Schiffes darüber Eingang finden kann, dass der Begriff vor dem Hintergrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen anzuwenden ist. Dafür müsste das Interesse am Erhalt historischer Schiffe eine Erwägung sein, die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung nach dem Willen der Staaten zu berücksichtigen ist. Auch dafür lässt sich indes nichts heranziehen. Als Verhältnismäßigkeitserwägungen finden allein Erwägungen zur technischen Machbarkeit und zur Wirtschaftlichkeit Berücksichtigung. Zur Zeit der Schaffung der älteren Fassungen von SOLAS, i. e. ab den Jahren 1914 bzw. 1929, spielten Nachbauten historischer Schiffe keine Rolle. Es ist ebenso nicht erkennbar, dass der Erhalt historischer Schiffe in den Beratungen der IMO in neueren Zeiten eine Rolle gespielt hätte. Somit bleibt es dabei, dass zur Bestimmung des maßgeblichen „Bau“-Stichtages bei Nachbauten historischer Schiffe auf den Zeitpunkt der Errichtung des Nachbaus abzustellen ist.247 247
Freilich bleibt es in dem Fall, dass ein Schiffsnachbau gerade der Überlieferung historischer Fakten zu dienen bestimmt ist, wie bspw. der Hansekogge-Nachbau „Lisa von Lübeck“, möglich, dass das Schiff Ausnahmeregelungen oder anderen Spielräumen der maritimen Übereinkommen unterfällt. So wird für Nachbauten oftmals die Ausnahmeregelung für „Holzschiffe einfacher Bauart“ nach Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS relevant sein (dazu zuvor im 1. Teil unter Punkt A. I. 4. c.). Ist ein Traditionsschiff von einer Ausnahmeregelung erfasst, so gelten die Regeln der Anlage zu SOLAS – mit Ausnahme des Kapitels V – für das Schiff ohnehin nicht, sodass sich die Frage nach den anzuwendenden materiell-rechtlichen Standards
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c) Auf Bestandsschiffe anzuwendende Standards Auf die überwiegende Zahl der Traditionsschiffe sind nach alledem die materiellrechtlichen Standards für Bestandsschiffe anzuwenden. Ein Bestandsschiff („vorhandenes Schiff“) ist ein „Schiff, das kein neues Schiff ist“248. Auch für Bestandsschiffe gibt es jedoch keinen einheitlichen Standard, der auf alle Schiffe gleichermaßen anzuwenden wäre. Da der Text von SOLAS jeweils (nur) die aktuelle Fassung der Standards wiedergibt, wird in den Kapiteln II-1 bis III der Anlage zu SOLAS durch gesonderte Verweise geregelt, welche Standards auf Bestandsschiffe anzuwenden sind. (1) Anwendung einzelner aktueller Standards Zum einen sind auf Bestandsschiffe einzelne Anforderungen der Standards nach der aktuellen Fassung des Übereinkommens anzuwenden.249 Diese Anforderungen sind dementsprechend auch für Traditionsschiffe maßgeblich. Dabei handelt es sich um Standards, die, ähnlich der auf „alle Schiffe“ anzuwendenden Anforderungen250, nach Ansicht der Staaten einen auch unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeitserwägungen nicht zu unterschreitenden Mindeststandard darstellen. (2) i.Ü. Anwendung historischer Standards Hinsichtlich der übrigen Anforderungen soll „die Verwaltung“, i. e. die Regierung des jeweiligen Flaggenstaates251, nach gesonderten Regeln sicherstellen, dass Bestandsschiffe diejenigen Standards erfüllen, die aus dem entsprechenden Kapitel nach SOLAS von 1974 in der Fassung von Änderungen (der materiell-rechtlichen Standards) mit Stand zu einem bestimmten Datum auf sie „anwendbar“ sind.252 Durch die Formulierung, nach der die „anwendbaren“ Standards erfüllt werden sollen, wird deutlich, dass es sich bei den Regeln nicht um Verweisungen nach der Art einer Rechtsfolgenverweisung handelt. Auf Bestandsschiffe sind damit nicht autonicht stellt. Eine andere Möglichkeit ist der Betrieb eines solchen Schiffes durch den Staat selbst. Auf Staatsschiffe wird SOLAS praktisch nicht angewandt (vg. dazu zuvor unter Punkt A. I. 2. b) und in Fn. 50). 248 Regel I/2 l) SOLAS. 249 So müssen von SOLAS erfasste (vorhandene) Traditionsschiffe bspw. nach Regel III/1 Abs. 5 SOLAS spätestens bei der ersten vorgeplanten Dockung nach dem 1. Juli 2014, jedoch spätestens bis zum 1. Juli 2019, mit unter Last auszulösenden Aussetzmechanismen für Rettungsboote ausgestattet sein, die dem LSA-Code entsprechen. Weitere für Bestandsschiffe maßgebliche aktuelle Anforderungen enthält etwa Regel II-2/1 Abs. 2.2 und II-2/1 Abs. 2.3 SOLAS. 250 Vgl. zu den Anforderungen für „alle Schiffe“ zuvor unter Punkt 2. a. 251 Regel I/2 b) SOLAS. 252 Regel II-1/1 Abs. 2 SOLAS, Regel II-2/1 Abs. 2.1 SOLAS sowie Regel III/1 Abs. 4.1 SOLAS.
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matisch die Standards derjenigen SOLAS-Fassungen, auf die verwiesen wird, anzuwenden. Die Verweise sind vielmehr nach der Art einer Rechtsgrundverweisung zu verstehen. Da auch frühere Fassungen von SOLAS in Bezug auf die Anwendbarkeit ihrer materiell-rechtlichen Standards zwischen „neuen“ und „vorhandenen“ Schiffen unterscheiden, ist jeweils zu prüfen, welche Standards nach der Fassung, auf die verwiesen wird, tatsächlich anzuwenden sind. Traditionsschiffe werden dabei ihres weit zurückliegenden Baudatums wegen überwiegend auch i.S. der älteren SOLAS-Fassungen „vorhandene Schiffe“ sein. Da die älteren SOLAS-Fassungen der heutigen Fassung vergleichbare Regelungen für Bestandsschiffe enthalten – nämlich Regelungen, die wiederum auf noch ältere SOLAS-Fassungen verweisen253 – gelangt der Rechtsanwender bei Schiffen mit einem weit zurückliegenden Baudatum letztendlich in eine über mehrere SOLASFassungen hinweg bestehende Rückverweisungskette.254 Die Rückverweisungskette „endet“ schließlich bei der SOLAS-Fassung von 1948. Nach den dortigen Regeln für „vorhandene Schiffe“ entscheidet „die Verwaltung“ über die durch ein Bestandsschiff zu erfüllenden Anforderungen.255 (3) Zwischenergebnis Damit lässt sich als Grundsatz zusammenfassen, dass, soweit Traditionsschiffe ihres Baudatums wegen die für Bestandsschiffe maßgeblichen Anforderungen zu erfüllen haben, ipso iure diejenigen Standards anzuwenden sind, die nach der jeweiligen SOLAS-Fassung zu erfüllen waren, die zum Zeitpunkt des Baus des Schiffes in Kraft war. Bestanden nach dieser SOLAS-Fassung keine entsprechenden Anforderungen, so ist es der jeweiligen Flaggenstaatsverwaltung überlassen, die zu erfüllenden Standards festzulegen. 253 So die Regeln II-1/1 (a) lit. (ii), Regel II-2/1 (c) lit. (ii) und Regel III/1 (b) von SOLAS in der Fassung von 1974, die, je nach dem Baudatum eines Schiffes (vor oder nach 1960/zwischen 1948 und 1960/vor 1948), auf die anwendbaren Standards der SOLAS-Fassungen von 1960 oder von 1948 verweisen. Die Regel II/1 (a) lit. (ii) der SOLAS-Fassung von 1960 lautet sodann sinngemäß: Für vorhandene Schiffe, deren Kiel an oder nach dem Datum des Inkrafttretens der SOLAS-Fassung von 1948 gelegt wurden, stellt die Verwaltung sicher, dass die Vorschriften erfüllt werden, die nach dieser Fassung anwendbar waren. 254 Die Verweise auf die anwendbaren materiell-rechtlichen Standards früherer SOLASFassungen sind notwendig, da frühere Übereinkommen nicht fortgelten. Nach Art. VI a) SOLAS von 1974 wird das SOLAS-Übereinkommen von 1960 mit dem Inkrafttreten des Übereinkommens von 1974 zwischen den Staaten „abgelöst und aufgehoben“. Eine vergleichbare Regelung enthält SOLAS von 1960 in Art. VII (a) für die SOLAS-Fassung von 1948, und Letzteres ebenfalls in Art. VII (a) für die SOLAS-Fassung von 1929. 255 Regel II/1 (a) lit. (ii) SOLAS in der Fassung von 1948 lautet bspw.: „In the case of existing passenger ships and cargo ships which do not already comply with the provisions of this chapter relating to new ships, the arrangements on each ships shall be considered by the Administration, with a view to improvements being made to provide increased safety where practicable and reasonable“.
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III. Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand von LLC, MARPOL und STCW Im Anschluss an die Untersuchung, inwieweit Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand von SOLAS erfasst sind und welche materiell-rechtlichen Anforderungen von SOLAS danach auf die anzuwenden sind, ist nunmehr weiter zu prüfen, inwieweit Traditionsschiffe von LLC, MARPOL und STCW erfasst sind und welche Anforderungen dieser Übereinkommen sie erfüllen müssen. 1. Die Übereinkommen a) LLC Soweit SOLAS Regeln für die an Schiffe zu stellende Stabilität und Festigkeit enthält256, steht es im direkten Zusammenhang mit dem Internationalen FreibordÜbereinkommen von 1966 Load Line Convention, LLC.257 Der Freibord, dessen Maß sich nach dem Abstand des obersten wasserdichten Decks von der Schwimmlinie, gemessen auf der Mitte der Schiffslänge, bemisst, gibt Aufschluss über die Reserveschwimmfähigkeit eines Schiffes.258 LLC enthält Anforderungen an den im Mindestmaß durch ein Schiff einzuhaltenden Freibord. Zusätzlich sind in LLC u. a. Vorgaben über die Dichtigkeit von Öffnungen im Schiff und die Möglichkeit zur Herstellung des Verschlusszustandes normiert.259 LLC ist völkerrechtlich am 21. Juli 1968 und für Deutschland am 9. Juli 1969 in Kraft getreten. Es wird, wie SOLAS, ergänzt durch ein Änderungsprotokoll von 1988260 und besteht aus 34 Artikeln und drei Anlagen. Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die Artikel und die erste der drei Anlagen, deren Kapitel II und III die wesentlichen Regeln über die Erteilung des Freibords enthalten.261 256
In Kapitel II-1 Teil B von SOLAS. Des engen Zusammenhangs zwischen den beiden Übereinkommen wegen gibt es innerhalb der IMO immer wieder Überlegungen, diese zu einem Übereinkommen zu vereinigen. Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 473 und 512. 258 Herner/Verhovsek, Entwurf und Einrichtung von Handelsschiffen, S. 18. 259 Gerade die Erfüllung der letztgenannten Anforderung bereitet vielen Traditionsschiffen, etwa in Bezug auf die Aufbauten an Deck, in der Praxis Schwierigkeiten. Zudem ist nicht für alle Traditionsschiffe ein Mindestfreibord bestimmt. 260 „Protokoll von 1988 zu dem Internationalen Freibord-Übereinkommen von 1966“, abgeschlossen in London am 11. November 1988, in Kraft getreten am 3. Februar 2000 (BGBl. 1994 II, S. 2458 i.V.m. dem Anlagenband zum BGBl. II, Nr. 44, vom 27. September 1994, S. 43). 261 Die Anlage II zu LLC regelt die Einteilung der Gewässer in Zonen, Gebiete und Jahreszeiten, die für die Bestimmung des einzuhaltenden Freibords eines Schiffes je nach dessen Fahrtgebiet maßgeblich sind. Die Anlage III enthält Muster für die auszustellenden FreibordZeugnisse. Beide Anlagen weisen somit keine Anwendungsschwierigkeiten in Bezug auf Traditionsschiffe auf. 257
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b) MARPOL Zum Schutz der Meeresumwelt stellt das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (International Convention for the Prevention of Marine Pollution from Ships, MARPOL) vom 2. November 1973 Anforderungen an Schiffe.262 MARPOL dient dem Ziel des marinen Umweltschutzes durch Vorgaben an die bauliche Beschaffenheit von Schiffen, Ausrüstungsverpflichtungen sowie v. a. Betriebsvorschriften.263 Gleichwohl verfolgt MARPOL einen anderen Regelungsansatz, als etwa SOLAS oder LLC. MARPOL verlangt die Einhaltung bestimmter baulicher oder ausrüstungsbezogener Anforderungen durch die Schiffe (selbst) nicht per se, sondern bezieht sich auf bestimmte umweltschädigende Stoffe, deren Einleitung, Einbringung oder Emission es verbietet. Bauliche, technische und ausrüstungsbezogene durch Schiffe zu erfüllende Anforderungen sind dabei lediglich das Mittel zur Sicherstellung der von MARPOL in den einzelnen Anlagen normierten Umweltanforderungen.264 MARPOL besteht aus 20 Artikeln sowie sechs Anlagen, wobei sich die Anlagen jeweils auf einen bestimmten umweltrelevanten Stoff und dessen mögliche Einleitung oder Einbringung in die Gewässer beziehen.265 Die Anlagen II und III MARPOL sind dabei nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die beiden Anlagen beziehen sich auf Schiffe, die bestimmte schädliche Stoffe als Fracht befördern, was für Traditionsschiffe nicht von Belang ist.
262
Völkerrechtlich und zugleich für Deutschland (mit Anlage I) ist MARPOL am 2. Oktober 1983 in Kraft getreten. Die Anlagen zu MARPOL sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft getreten (vgl. Art 15 Abs. 2 MARPOL: Anlage I eben am 2. Oktober 1983, Anlage II am 6. April 1984, Anlage III am 1. Juli 1992, Anlage IV am 27. September 2003, Anlage V am 31. Dezember 1988 und Anlage VI am 19. Mai 2005. 263 Vgl. Douvier, MARPOL, S. 14. 264 Soweit MARPOL damit (auch) Anforderungen baulicher Art an Schiffe enthält – etwa die Pflicht zum Einbau von Tanks für Ölrückstände (Regel I/12 MARPOL) oder zur Ausrüstung des Schiffes mit einer Ölfilteranlage (Regel I/14 MARPOL) –, bereitet deren Einhaltung Traditionsschiffen prinzipiell ähnliche Schwierigkeiten, wie die Erfüllung von materiellrechtlichen Standards aus SOLAS. 265 Die Anlage I MARPOL bezieht sich auf die Verhütung der Verschmutzung durch Öl; Anlage II auf die Überwachung der Verschmutzung durch als Massengut beförderte schädliche Stoffe; Anlage III stellt Regeln zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch in verpackter Form auf See beförderte Schadstoffe auf; Anlagen IVund V befassen sich mit der Verhütung der Verschmutzung durch Schiffabwasser und Schiffsmüll; Anlage VI reguliert die Verhütung der Luftverunreinigung durch Schiffe. Einen guten Überblick über die Regeln der Anlagen zu MARPOL (mit Ausnahme von Anlage VI) geben Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 1600 bis 1617. Dazu auch Ramming, Seehandelsrecht, Einl. C. Rn. 29 ff.
116
1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Ergänzt wird MARPOL durch ein Protokoll vom 17. Februar 1978266 sowie ein Protokoll vom 26. September 1997267, welches das Übereinkommen um die Anlage VI erweiterte. c) STCW Das Übereinkommen über die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (International Convention on Standards of Training, Certification and Watchkeeping for Seafarers, STCW) vom 7. Juli 1978 enthält (in Verbindung mit dem STCW-Code) Vorgaben für die personelle Schiffssicherheit. Keine konkreten Vorgaben enthält STCW dabei allerdings über die Besatzung eines Schiffes selbst.268, 269 STCW ist völkerrechtlich am 30. November 1983 (für die Bundesrepublik Deutschland am 28. April 1984) in Kraft getreten und enthält 17 Artikel sowie eine umfangreiche Anlage mit acht Kapiteln.270 Eine wichtige Bedeutung kommt neben dem STCW-Übereinkommen heute maßgeblich dem STCW-Code (Seafarers’ Training, Certification and Watchkeeping Code) vom 7. Juli 1995 zu. Der Code ergänzt das Übereinkommen, indem er die 266 „Protokoll von 1978 zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe“, in Kraft getreten am 2. Oktober 1983, BGBl. 1984 II, S. 230; BGBl. 1985 II, S. 868; BGBl. 1993 II, S. 2410. 267 „ Protokoll vom 26. September 1997 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe, 1973, in der Fassung des Protokolls zu diesem Übereinkommen 1978“, in Kraft getreten am 19. Mai 2005, BGBl. 2003 II, S. 130. 268 Vorgaben über die Besatzung an Bord eines (Traditions-)Schiffes sind im Wesentlichen den Flaggenstaaten überlassen. Regel V/14 Abs. 1 SOLAS schreibt lediglich vor, dass alle Schiffe „ausreichend und sachgemäß besetzt“ sein müssen. Gemäß Regel IV/16 Abs. 1 SOLAS muss jedes Schiff entsprechend den nationalen Anforderungen des jeweiligen Staates qualifiziertes Personal für die Abwicklung des Not- und Sicherheitsfunkverkehrs an Bord haben. Nach Regel I/14 Abs. 1.2 STCW müssen alle Schiffe in Übereinstimmung mit den „einschlägigen Anforderungen des Flaggenstaates“ hinsichtlich der Besatzung für einen sicheren Schiffsbetrieb besetzt sein. 269 Die Anforderungen von STCW wären durch Traditionsschiffe (vorausgesetzt, dass durch den jeweiligen Flaggenstaat eine Besatzung mit Seeleuten i.S.v. STCW vorgeschrieben ist) rein tatsächlich ohne weiteres zu erfüllen in dem Sinne, dass die Bauart oder Ausstattung des Traditionsschiffes der Erfüllung nicht entgegenstände. In aller Regel würden die Anforderungen von STCW den Betreibern von Traditionsschiffen jedoch insoweit (v. a. wirtschaftliche) Schwierigkeiten bereiten, als die Schiffe rein faktisch durch Ehrenamtliche betrieben werden, i. e. nicht durch Berufsseeleute. 270 Von den acht Kapiteln der Anlage zu STCW widmen sich die Kapitel II bis V den Befähigungsanforderungen und den Anforderungen an die Ausbildung für Seeleute auf den Dienstbereichen Deck, Technik und Funk sowie an Bord von bestimmten Schiffstypen (Öl- und Chemikalientanker). Das Kapitel VI reguliert Dienstfunktionen vornehmlich im Fall von Notfällen, für die Gefahrenabwehr und für die Fürsorge an Bord, während das Kapitel VII Vorschriften über die Organisation des Wachdienstes enthält.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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Mindestbefähigungsstandards für diejenigen Dienstbereiche konkretisiert, an welche in den Kapiteln II bis V des STCW-Übereinkommens lediglich allgemeiner gehaltene Anforderungen gestellt werden. Der STCW-Code ist dabei in einen Teil A mit verbindlichen und einen Teil B mit empfohlenen Befähigungsstandards aufgeteilt. Der Teil A nimmt dadurch, dass an den entsprechenden Stellen der Anlage zum STCW-Übereinkommen auf ihn verwiesen wird, er also in das Übereinkommen inkorporiert ist, an der Bindungswirkung des Übereinkommens für seine Unterzeichnerstaaten teil. Sowohl das Übereinkommen als auch der Code wurden in einer Konferenz der Unterzeichnerstaaten im Juni 2010 in Manila (sog. Manila-Konferenz) maßgeblich geändert.271 2. Geltung und Anwendbarkeit von LLC, MARPOL und STCW LLC, MARPOL und STCW enthalten zu einem großen Teil die gleichen Geltungs- und Anwendbarkeitskriterien, wie SOLAS, die in den vorhergehenden Abschnitten I. und II. der vorliegenden Arbeit eingehend untersucht wurden. a) Grundsatz LLC, MARPOL und STCW erfassen, wie SOLAS, im Grundsatz alle Schiffe, die berechtigt sind, die Flagge eines Staates zu führen, der Unterzeichner des Übereinkommens ist.272 MARPOL erfasst zusätzlich Schiffe, die „unter der Hoheitsgewalt einer Vertragspartei“ betrieben werden.273 Diese Regelung ist eine Folge dessen, dass auch der Begriff des „Schiffes“ in MARPOL mit Blick auf das Ziel des marinen Umweltschutzes weiter gefasst ist, als in den anderen Übereinkommen; unter den Begriff „Schiff“ i.S.v. MARPOL fallen etwa auch schwimmende Plattformen oder Unterwassergerät.274
271
Vgl. die Achte Verordnung über Änderungen der Anlage des Internationalen Übereinkommens von 1978 über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten vom 28. Juni 2013. BGBl. 2013 II, S. 934. Die Änderungen sind mit Wirkung zum 1. Januar 2012 völkerrechtlich in Kraft getreten. 272 Art. 4 Abs. 1 LLC, Art. 3 Abs. 1 (a) MARPOL sowie Art. III STCW. 273 Art. 3 Abs. 1 (b) MARPOL. 274 Vgl. Art. 2 Nr. 4 MARPOL: „… Fahrzeug jeder Art, das in der Meeresumwelt betrieben wird; […] umfaßt Tragflächenboote, Luftkissenfahrzeuge, Unterwassergerät, schwimmendes Gerät und feste oder schwimmende Plattformen“.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
b) (Teilweise) Einschränkung in LLC und MARPOL: „Schiffe in der Auslandfahrt“ Wie SOLAS bezieht sich LLC nur auf Schiffe, die „in der Auslandfahrt eingesetzt“ sind.275 Bei MARPOL gilt nur die Anlage IV für Schiffe „auf Auslandfahrt“.276 Im Übrigen ist in MARPOL keine Begrenzung auf Schiffe in der Auslandfahrt vorgesehen, da dies dem Ziel des Übereinkommens nicht entspräche. Verschmutzungsursachen für die See sind nicht auf Schiffe beschränkt, welche in der Auslandfahrt eingesetzt sind. Ebenso begrenzen sich die Auswirkungen einer Verschmutzung, die durch ein Schiff in der nationalen Fahrt verursacht werden, nicht auf nationale Gewässer. c) Einschränkung durch Ausnahmeregelungen in LLC, MARPOL und STCW LLC und STCW nehmen, wie SOLAS, „nicht dem Handelsverkehr dienende Vergnügungsjachten“ über eine Ausnahmeregelung von ihrem Anwendungsbereich aus.277 STCW enthält zudem, wie SOLAS, eine Ausnahmeregelung für „Holzschiffe einfacher Bauart“.278 Anders als SOLAS grenzen LLC, MARPOL und STCW „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ nicht pauschal von ihrer Anwendung aus. Jedoch enthalten die Übereinkommen sehr viel häufiger als SOLAS innerhalb einzelner Regeln Einschränkungen auf Schiffe ab einer bestimmten Bruttoraumzahl. V. a. in MARPOL betrifft die Einschränkung der Geltung auf Schiffe erst ab dem Erreichen einer bestimmten Bruttoraumzahl weite Bereiche des Übereinkommens. Für diese Einschränkungen ist in MARPOL überwiegend eine Bruttoraumzahl von (mehr als) 400 maßgeblich, zum Teil auch eine Bruttoraumzahl von (mehr als) 150.
275
Art. 4 Abs. 2 LLC. Regel IV/2 Abs. 1 i.V.m. Regel IV/1 Abs. 6 MARPOL. Unglücklicher Weise verwendet die amtliche deutsche Fassung von MARPOL für die – in SOLAS wie in MARPOL im authentischen englischen Text verwendete – Formulierung „ships engaged in international voyages“ die Übersetzung „Schiffe in der Auslandfahrt“, während die (gleiche) Formulierung in SOLAS mit „in der Auslandfahrt eingesetzte Schiffe“ übersetzt ist. 277 Art. 5 Abs. 1 d) LLC und Art. III c) STCW. Auch hier verwenden die jeweiligen amtlichen deutschen Fassungen der Übereinkommen divergierende Übersetzungen für die Ausnahmeregelung. So wird die Ausnahme in der deutschen Fassung von SOLAS und STCW bezeichnet als „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“, in der deutschen Fassung von LLC hingegen als „nicht gewerblichen Zwecken dienende Vergnügungsfahrzeuge“. 278 Art. III d) STCW. 276
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
119
LLC enthält darüber hinaus eigene Ausnahmeregelungen für „neue Schiffe von weniger als 24 Metern Länge“ und für „vorhandene Schiffe von weniger als 150 Bruttoregistertonnen“.279 Ferner finden sich in MARPOL weitere Ausnahmeregelungen, die sich jedoch nicht auf bestimmte Merkmale eines Schiffes beziehen, sondern auf bestimmte Umstände des Verstoßes gegen die normierten Umweltstandards280, d. h. gegen die Einleit-, Einbringungs- oder Emissionsverbote. d) Anwendbarkeit der materiell-rechtlichen Standards von LLC, MARPOL (und STCW) Schließlich finden die jeweils aktuellen materiell-rechtlichen Anforderungen von LLC und MARPOL, wie bei SOLAS, gänzlich (LLC) oder in Teilen (MARPOL) nur auf „neue Schiffe“ Anwendung.281 In diesem Zusammenhang ist der Begriff „neue Schiffe“ im Grundsatz wiederum definiert als Schiffe, deren Kiel am oder nach dem Tag des Inkrafttretens des Übereinkommens gelegt wurde oder die sich zu diesem Zeitpunkt in einem entsprechenden Bauzustand befanden.282 Bei „vorhandenen Schiffen“ sind in LLC die Anforderungen zu erfüllen, die vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens durch den jeweiligen Flaggenstaat angewendet wurden (nationale Anforderungen.)283 Welche Anforderungen nach MARPOL auf „vorhandene Schiffe“ anzuwenden sind, variiert stark je nach der einzelnen Regel.284
279
Art. 5 Abs. 1 b) und c) LLC. So dürfen die Standards von MARPOL unterschritten werden, wenn dies „aus Gründen der Schiffssicherheit oder zur Rettung von Menschenleben auf See erforderlich“ ist. Vgl. Regel I/4 Abs. 1.1, Regel II/3 Abs. 1.1, Regel IV/3 Abs. 1.1, Regel V/7 Abs. 1.1 und Regel VI/3 Abs. 1.1 MARPOL. 281 Art. 4 Abs. 3 LLC sowie bspw. Regel I/16 Abs. 3, Regel I/26 Abs. 1, Regel II/4 Abs. 2 und Abs. 3, Regel IV/2 Abs. 2 und Regel VI/19 Abs. 5 MARPOL (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). In MARPOL wird die Unterscheidung zwischen „neuen“ und „vorhandenen“ Schiffen dabei in der Regel nur getroffen, wenn die Einhaltung materiell-rechtlicher Standards gefordert wird, die sich auf die bauliche Beschaffenheit eines Schiffes beziehen. 282 Art. 2 Nr. 6 LLC und z. B. Abschnitt 5 des Anhangs 4 zur Anlage II zu MARPOL. Im Übrigen wird der Begriff „neues Schiff“ in MARPOL überwiegend innerhalb der Anlage IV und VI verwendet, wobei in den dortigen Definitionen neben der Kiellegung oder dem „entsprechenden Bauzustand“ auch auf den Abschluss des Bauvertrages bzw. die Erteilung des Bauauftrages oder auf das Datum der Ablieferung des Schiffes abgestellt wird (vgl. Regel IV/ Abs. 1.1 und 1.2 sowie Regel IV/1 Abs. 7ter oder Regel VI/2 Abs. 23 MARPOL). 283 Art. 4 Abs. 4 LLC. 284 Zum Teil sind die Anforderungen der aktuellen Fassung durch vorhandene Schiffe etwa ab einem bestimmten Stichtag zu erfüllen (z. B. Regel IV/2 Abs. 1.3 und Abs. 1.4 MARPOL), zum Teil gelten ältere Fassungen oder nur Teile der Anforderungen (bspw. Regel VI/13 Abs. 2.3.1 MARPOL). 280
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Zudem enthält MARPOL an den Stellen, an denen die materiell-rechtlichen Anforderungen sich auf Elemente der baulichen Beschaffenheit des Schiffes beziehen, gesonderte Regelungen für „Umbauten größerer Art“, die, wie bei SOLAS, u. U. zur Einhaltung aktuellerer Standards führen.285 Auch nach Art. 10 Abs. 2 LLC sollen „größere Reparaturen, Änderungen und Umbauten sowie damit zusammenhängende Ausstattungsarbeiten“ den durch ein „neues Schiff“ zu erfüllenden Standards insoweit entsprechen, „wie es die Verwaltung für zumutbar und durchführbar hält“. In STCW ist, anders als in SOLAS, LLC und MARPOL, in Bezug auf die anzuwendenden Standards keine Unterscheidung zwischen „neuen“ und „vorhandenen“ Schiffen vorgesehen, da STCW ohnehin keine unmittelbar ein Schiff selbst betreffenden Anforderungen normiert.
IV. Zwischenergebnis: Geltung und Anwendbarkeit von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW auf Traditionsschiffe SOLAS, LLC, MARPOL und STCWerfassen im Ergebnis zunächst im Grundsatz alle seegehenden Traditionsschiffe unter der Flagge eines Unterzeichnerstaates als Regelungsgegenstand. Der Geltungsbereich von SOLAS und LLC ist (mit Ausnahme des Kapitels V der Anlage zu SOLAS) beschränkt auf Schiffe, die in der Auslandfahrt eingesetzt sind, d. h. in der Fahrt zwischen Häfen verschiedener Staaten. Das Kapitel V der Anlage zu SOLAS gilt hingegen auch für in der Inlandfahrt eingesetzte Traditionsschiffe. MARPOL erfasst grundsätzlich ebenfalls in der Inlandfahrt eingesetzte Traditionsschiffe und beschränkt lediglich die Geltung der Anlage IV auf Schiffe in der Auslandfahrt. STCW gilt für Traditionsschiffe in der Inland- und Auslandfahrt gleichermaßen. Neben zahlreichen Einschränkungen der Geltung einzelner Regeln der Übereinkommen durch das Abstellen (bspw.) auf eine bestimmte Schiffsgröße (Bruttoraumzahl, Länge o. ä.) oder Fahrgastkapazität wird der Geltungsbereich der Übereinkommen v. a. durch Ausnahmeregelungen begrenzt: – Traditionsschiffe mit einer BRZ von weniger als 500, die keine oder weniger als 12 Personen (Fahrgäste) zusätzlich zu ihrer Besatzung mit an Bord nehmen, sind von der Geltung von SOLAS (mit Ausnahme des Kapitels V der Anlage) ausgenommen, da sie der Ausnahmeregelung für „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ unterfallen. – Gleiches gilt für Traditionsschiffe mit einer BRZ von weniger als 500, die (auch mehr als 12 zusätzlich) an Bord genommenen Personen aktiv in den Schiffsbetrieb 285
Vgl. etwa Regel I/1 Abs. 9 und Abs. 28.1.4 oder Regel VI/2 Abs. 24 MARPOL.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
121
einbinden, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, die historischen Werte und Funktionen des Schiffes kennenzulernen und zu erleben. Dies gilt jedoch nur dann, wenn nachweisbar sichergestellt ist, dass die Personen an Bord, die über die 12. Person hinausgehen, vergleichbar Besatzungsmitgliedern in Sicherheitsfragen des Schiffes unterrichtet und geschult sind. Dies wird praktisch nur selten der Fall sein. – Zudem gilt SOLAS (mit Ausnahme des Kapitels V) nicht für Traditions-(Segel-) schiffe, die über keinen zusätzlichen maschinellen Antrieb verfügen oder bei denen ein neben Segeln vorhandener mechanischer Antrieb nicht die Qualität eines „Eigenantriebes“ aufweist. Die Qualität eines „Eigenantriebes“ fehlt, wenn es sich um (einen oder mehrere) lediglich die Manövrierfähigkeit erhöhende[n] Hilfsoder Notfallantrieb[e] handelt, der oder die als alleiniges Antriebsmittel nicht in der Lage wäre[n], den Fahrtbetrieb des Schiffes unabhängig von weiteren Faktoren, wie Windverhältnissen oder Wellengang, nach einem festen Fahrplan auszurichten. Traditions-(Segel-)schiffe ohne einen zusätzlichen mechanischen „Eigenantrieb“ unterfallen der Ausnahmeregelung für „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“. – Aus Holz und nach einer historisch überlieferten Bauart gebaute Traditionsschiffe sind von der Geltung von SOLAS (mit Ausnahme des Kapitels V) und STCW ausgenommen, da sie von der Ausnahmeregelung „Holzschiff einfacher Bauart“ erfasst sind. Diese Ausnahme wird von einigen Staaten allerdings restriktiv angewendet dahin, dass (Traditions-)Schiffe die materiell-rechtlichen Standards von SOLAS für Fahrgastschiffe dennoch erfüllen müssen, sofern sie eine Vielzahl von Personen (etwa 12 oder mehr) an Bord nehmen. – SOLAS (mit Ausnahme des Kapitels V), LLC und STCW gelten ferner nicht für Traditionsschiffe, die ausschließlich für private, nicht der Öffentlichkeit angebotene Freizeitfahrten genutzt werden, sofern dabei für die Fahrten kein Entgelt gezahlt wird, dass in der Höhe mehr als die unmittelbar durch die jeweilige Fahrt verursachten Aufwendungen abdeckt. Die Schiffe fallen unter die Ausnahmeregelung für „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“. – LLC gilt zudem nicht für Traditionsschiffe von weniger als 150 Bruttoregistertonnen. – Zahlreiche (auf die Bauart eines Schiffes bezogene) Anforderungen von MARPOL sind darüber hinaus nur auf Traditionsschiffe anzuwenden, die eine Bruttoraumzahl von (mehr als) 400 bzw. eine Bruttoraumzahl von (mehr als) 150 aufweisen. Auf als Regelungsgegenstand erfasste Traditionsschiffe sind zum einen die (wenigen) nach den Übereinkommen jeweils für „alle Schiffe“ maßgeblichen materiell-rechtlichen Standards anzuwenden. Abseits davon sind auf Traditionsschiffe – nach den Übereinkommen SOLAS, LLC sowie in Teilen nach MARPOL – im Grundsatz ganz überwiegend die dem Baudatum entsprechenden materiell-rechtlichen Standards für sog. Bestandsschiffe
122
1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
anzuwenden. Das sind in SOLAS einige Regeln aus den aktuellen Fassungen der materiell-rechtlichen Standards; überwiegend hingegen die materiell-rechtlichen Standards aus derjenigen früheren Fassung von SOLAS, die in Kraft war, als das Schiff gebaut wurde. Etwas anderes, d. h. die Anwendung der für „neue Schiffe“ maßgeblichen Standards, gilt in SOLAS dann, wenn Traditionsschiffe vor dem Beginn ihrer Nutzung als solches nach einem maßgeblichen Stichtag von einem Frachtschiff zu einem Fahrgastschiff (jeweils i.S.v. SOLAS) umgebaut wurden. Zudem müssen bauliche Elemente oder Einrichtungen des Traditionsschiffes, die nach einem bestimmten Stichtag in „größerer Art“ (im Rechtssinne) umgebaut wurden, den für „neue Schiffe“ maßgeblichen Anforderungen des jeweiligen Kapitels von SOLAS genügen, sofern die Verwaltung des jeweiligen Flaggenstaates dies für zweckmäßig und durchführbar hält. In LLC sind durch Traditionsschiffe, die als Bestandsschiffe gelten, die Anforderungen zu erfüllen, die vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens durch den jeweiligen Flaggenstaat angewendet wurden. Das MARPOL-Übereinkommen enthält unterschiedliche Regelungen für Bestandsschiffe. Wie SOLAS enthalten LLC und MARPOL zum Teil gesonderte Regelungen für umgebaute Traditionsschiffe. Die Anforderungen von STCW sind durch Traditionsschiffe ungeachtet ihres Alters zu erfüllen. In Bezug auf die Frage, inwieweit Traditionsschiffe also rein tatsächlich die materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW erfüllen müssen, ergibt sich auf Grundlage der vorgenannten Ergebnisse ein inhomogenes Fazit. Weitgehend nicht von der Pflicht zur Erfüllung der Anforderungen aller Übereinkommen betroffen sind jedenfalls Traditionsschiffe, die nur in der Inlandfahrt genutzt werden. Diese müssen lediglich den Anforderungen von Kapitel V der Anlage zu SOLAS genügen, was keine großen Schwierigkeiten aufwirft, sowie den Anforderungen von Teilen von MARPOL und von STCW. Letzteres gilt allerdings (sowohl für in der Inland-, als auch für in der Auslandfahrt eingesetzte Traditionsschiffe) faktisch nur insoweit, als die Besetzung eines Traditionsschiffes mit Seeleuten, an deren Ausbildung und Einsatz STCW Anforderungen stellt, durch den jeweiligen Flaggenstaat überhaupt vorgeschrieben ist.286 SOLAS spielt vorrangig eine Rolle für größere Traditionsschiffe (mehr als 12 Fahrgäste an Bord) sowie für Traditionsschiffe, die keine Segelschiffe sind, da diese nicht von den Ausnahmeregelungen für „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ und für „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ erfasst sind. Traditionsschiffe, die von SOLAS erfasst sind, werden überwiegend die auf Bestandsschiffe anzuwendenden materiell-rechtlichen Standards zu erfüllen haben. Innerhalb von LLC hat v. a. die Ausnahme für „vorhandene Schiffe von weniger als 150 Bruttoregistertonnen“ eine Bedeutung, da sie eine erhebliche Zahl von 286 Der Erlass von Vorgaben an die Besatzung ist durch die maritimen Übereinkommen weitgehend den Flaggenstaaten überlassen. Siehe dazu in Fn. 303.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
123
Traditionsschiffen von den Anforderungen von LLC ausnimmt. Auch bei LLC sind zudem durch erfasste Traditionsschiffe eher die Standards für Bestandsschiffe zu erfüllen. MARPOL schließlich erfasst Traditionsschiffe zwar im Grundsatz weitgehend, ist aber dennoch praktisch kaum von wirklicher Bedeutung, da viele Anforderungen nur durch Schiffe mit einer Bruttoraumzahl von mehr als 150 oder von mehr als 400 erfüllt werden müssen. Dies erfasst viele Traditionsschiffe nicht. Zudem stellt MARPOL in nicht unerheblichem Ausmaß Anforderungen (nur) an Tankschiffe oder Schiffe, die umweltschädliche Stoffe transportieren, was Traditionsschiffe ebenfalls nicht betrifft. Damit lässt sich zusammenfassen, dass von den maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffen SOLAS die größte Relevanz hat, wobei die Übereinkommen insgesamt eher für größere Traditionsschiffe eine Rolle spielen, kaum jedoch für kleinere.
V. Auswertung der maritimen Übereinkommen: Spielräume innerhalb der Umsetzungsverpflichtungen Eine Fragestellung der vorliegenden Arbeit lautet dahin, ob die für Traditionsschiffe –an dieser Stelle zunächst nach Völkerrecht – maßgeblichen Sicherheitsvorgaben für alle Schiffe gleichermaßen verbindlich sind oder inwieweit sie ggf. Spielräume eröffnen, innerhalb derer den Besonderheiten von Traditionsschiffen Rechnung getragen werden kann. Zur Beantwortung der Frage wird an dieser Stelle – sowohl auf Grundlage der bisherigen Ergebnisse, als auch darüber hinaus – ausgewertet, welche Mechanismen SOLAS, LLC, MARPOL und STCW enthalten, die eine flexible Anwendung auf Traditionsschiffe ermöglichen. Ihres völkerrechtlichen Charakters wegen sind die Anforderungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe als Normadressaten ohnehin nicht ohne weiteres unmittelbar verpflichtend. Soweit ein Übereinkommen ein Traditionsschiff als Regelungsgegenstand erfasst, begründet dies zunächst (grundsätzlich) nur rechtliche Verpflichtungen für den jeweiligen Flaggenstaat des Schiffes. Die darüber hinausgehende Rechtsverbindlichkeit auch für die einzelnen Schiffe erfordert ggf. zunächst eine wirksame Umsetzung der Anforderungen in das innerstaatliche Recht des Flaggenstaates.287 Somit sind innerhalb von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW bestehende Spielräume für die Schiffe nicht unmittelbar relevant, sondern wirken sich nur auf die Umsetzungsverpflichtungen für die Staaten aus. Die Spielräume sind ausschlaggebend für die Frage, inwieweit Staaten von als Regelungsgegenstand erfassten Traditionsschiffen unter ihrer Flagge zwingend die Einhaltung materiellrechtlicher Standards verlangen müssen oder inwieweit sie stattdessen auch Son287 Dazu für Traditionsschiffe unter der Bundesflagge im Einzelnen im 2. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. I. 2.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
derregelungen schaffen oder alternative Ausführungen oder Erleichterungen von anzuwendenden Standards zulassen können. 1. Begriff der Umsetzung Der Begriff der „Umsetzung“ erfasst verallgemeinert jede Realisierung von Vorgaben, die sich aus einem bestimmten Regelwerk ergeben.288 Welche Vorgaben eines Regelwerkes dabei konkret in welcher Form der Realisierung bedürfen, ist dem Text des entsprechenden Regelwerkes selbst zu entnehmen. Die maritimen Übereinkommen enthalten jeweils in Art. 1 ausdrückliche Umsetzungsverpflichtungen: „Die Vertragsregierungen verpflichten sich, diesem Übereinkommen und seiner Anlage, die Bestandteil des Übereinkommens ist, Wirksamkeit zu verleihen. […] Die Vertragsregierungen verpflichten sich, alle Gesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen und sonstigen Vorschriften zu erlassen und alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um diesem Übereinkommen volle Wirksamkeit zur verleihen und dadurch zu gewährleisten, dass sich im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens ein Schiff für seinen Verwendungszweck eignet.“289, 290
Die Pflicht zur Verleihung „voller Wirksamkeit“ bezieht sich dabei sowohl auf die materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen sowie auf deren Durchsetzung, als auch auf alle sonstigen, mittelbar oder unmittelbar der Realisierung der Standards und dem übergeordneten Ziel des jeweiligen Übereinkommens dienende Vorgaben291.
288
Funke, Umsetzungsrecht, S. 17. Hervorhebung durch Verf. 290 So die Regelung in Art. I a) Satz 1, b) SOLAS. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 LLC enthält eine vergleichbare Regelung, wobei es in Abs. 2 knapper als bei SOLAS heißt: „Die Vertragsregierungen verpflichten sich, alle etwa erforderlichen Maßnahmen zur Durchführung dieses Übereinkommens zu treffen“. MARPOL enthält in Art. 1 Abs. 1 eine zu Art. I a) Satz 1 SOLAS vergleichbare Regelung; ebenso STCW in Art. I. 291 Solche Vorgaben umfassen v. a. die Pflicht der Staaten zur Wahrnehmung ihrer zahlreichen hoheitlichen flaggen- und hafenstaatlichen Befugnisse, um die Einhaltung der materiell-rechtlichen Standards zu überwachen, aber auch darüber hinausgehende Aufgaben, wie etwa Berichtspflichten gegenüber der IMO oder Pflichten zur Schaffung und Vorhaltung bestimmter Anlagen und Einrichtungen. So sind die Staaten bspw. nach Regel I/5 b) SOLAS verpflichtet, der IMO einen Bericht über die Erprobung der gleichen Wirksamkeit vorzulegen, wenn sie statt der Erfüllung eines materiell-rechtlichen Standards einen sog. gleichwertigen Ersatz zulassen. Nach Regel I/38, II/18, IV/12 und V/8 MARPOL bspw. sind die Staaten verpflichtet, in Häfen ausreichende Auffanganlagen bereit zu stellen. Vgl. beispielhaft zu den verschiedenen Verpflichtungen und Aufgaben, die für Staaten nach MARPOL bestehen, Douvier, MARPOL, S. 120 ff. 289
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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2. Spielräume in Bezug auf die umzusetzenden materiell-rechtlichen Standards In Bezug auf die materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen verlangt die Pflicht zur Verleihung „voller Wirksamkeit“ von den Staaten, die Standards innerstaatlich zu Rechtsverbindlichkeit für den jeweils verpflichteten Normadressaten zu führen. Die umzusetzenden materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen lassen sich dabei unterscheiden in zwingende (verbindliche) Standards, die unbedingt formuliert und unmittelbar an den einzelnen Rechtsunterworfenen (i. d. R. Schiffe) adressiert sind, und in fakultative Standards. Die bestehenden Spielräume innerhalb der Umsetzungsverpflichtungen der maritimen Übereinkommen betreffen beide Formen von Standards. a) Umsetzung zwingender Standards der Übereinkommen und Spielräume Die verbindlichen Anforderungen der maritimen Übereinkommen stellen nicht zu unterschreitende Mindeststandards dar.292 Diese Standards sind mithin durch die Staaten zwingend innerstaatlich zu wirksamer rechtlicher Verbindlichkeit für den einzelnen Rechtsunterworfenen – vorliegend die als Regelungsgegenstand erfassten Traditionsschiffe – zu führen. Das bedeutet, dass die Staaten insoweit grundsätzlich keine innerstaatlichen Vorschriften erlassen dürfen, die unterhalb des Niveaus der von den Übereinkommen festgelegten Standards liegen. Folglich ist jeder Unterzeichnerstaat im Grundsatz verpflichtet, alle für Traditionsschiffe nach SOLAS, LLC, MARPOL und STCW zwingend anzuwendenden Standards von den Schiffen unter seiner Flagge zu fordern, ohne eigenmächtig Erleichterungen oder alternative Ausführungen gewähren zu können. Gleichwohl sind Sonderregelungen, Erleichterungen und alternative Standards für Traditionsschiffe freilich zulässig in dem Umfang, den die Übereinkommen selbst eröffnen. Dazu lässt sich den Übereinkommen eine Anzahl von Möglichkeiten für eine flexible Handhabung entnehmen. Neben den in der vorliegenden Arbeit zuvor eingehend untersuchten Ausnahmeregelungen sind dafür in den Übereinkommen noch weitere Mechanismen enthalten. Zum Teil erfordern diese Mechanismen einen konstitutiven (Freistellungs-)Akt des jeweiligen Staates bei der innerstaatlichen Anwendung der Übereinkommen. (1) Ausnahmeregelungen Spielräume im weitesten Sinne eröffnen zum einen freilich die Ausnahmeregelungen der maritimen Übereinkommen, soweit sie Traditionsschiffe erfassen. Eine unmittelbar auf Traditionsschiffe zugeschnittene Ausnahmeregelung enthalten SOLAS, LLC, MARPOL und STCW zwar nicht. Gleichwohl ist die Einschlägigkeit einer Ausnahmeregelung für jedes Schiff sorgfältig unter Zugrundelegung der in der 292
Vgl. Kraska/Pedrozo, International Maritime Security Law, S. 368 f., 372, 374.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
vorliegenden Arbeit herausgearbeiteten völkerrechtlich gebotenen Auslegung zu prüfen. Dies betrifft insbesondere kleinere Traditionsschiffe, für welche die Ausnahme für „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ relevant sein kann, sowie Traditionssegelschiffe, die der Ausnahme für „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ unterfallen können. Unterfällt ein Traditionsschiff einer Ausnahmeregelung, so muss die Erfüllung der (verbindlichen) materiell-rechtlichen Anforderungen – mit Ausnahme von Kapitel V der Anlage zu SOLAS – von diesem Schiff durch den Flaggenstaat nach Völkerrecht nicht zwingend gefordert werden.293 Insoweit besteht folglich die Möglichkeit zum Erlass von Sonderregelungen für Traditionsschiffe durch den jeweiligen Flaggenstaat. (2) Befreiungsmöglichkeiten Weiter enthalten SOLAS, LLC, MARPOL und STCW Möglichkeiten zur Erteilung einer Befreiung von (auch verbindlichen) materiell-rechtlichen Standards unter bestimmten Umständen. Die einzelnen Möglichkeiten zur Erteilung einer Befreiung sind dabei sehr vielfältig. Eine Befreiung kann sich auf ein ganzes Kapitel eines Übereinkommens, einen Teil eines Kapitels oder nur auf die Standards einer einzelnen Regel beziehen. Nachfolgend wird auf einige ausgewählte Befreiungsmöglichkeiten eingegangen, die gerade für Traditionsschiffe von Bedeutung sind. Den breitesten Anwendungsbereich haben Regel I/4 a) SOLAS und Art. 6 Abs. 4 LLC. Diese Regeln sehen vor, dass Staaten ein Schiff, das für gewöhnlich nicht in der Auslandfahrt eingesetzt ist, aufgrund außergewöhnlicher Umstände aber eine einzelne Auslandfahrt unternimmt, von Standards der SOLAS-Anlage und von LLC befreien können, sofern das Schiff „den Sicherheitsvorschriften entspricht, welche die Verwaltung im Hinblick auf die von dem Schiff auszuführende Reise für angemessen hält“. Die Bedeutung dieser Befreiungsregel liegt darin, dass sie nicht auf die Befreiung von bestimmten Anforderungen nur eines Teils der beiden Übereinkommen beschränkt ist, sondern sich auf die Übereinkommen insgesamt bezieht. Zudem lässt 293 Der Verwendung des Terminus „Ausnahme“ („exception“ (engl.)/„exception“ (frz.)) in Regel I/3 a) SOLAS und dem (sinngemäßen) Wortlaut der Ausnahmeregelungen „Diese Regeln gelten nicht für …“ lässt sich entnehmen, dass für die von einer Ausnahme erfassten Schiffe die materiell-rechtlichen Anforderungen der Anlage, auf die sich die Ausnahme bezieht, (völkerrechtlich) ipso iure nicht gelten. Dieses Verständnis wird bestätigt durch den systematischen Vergleich mit der nachfolgenden Vorschrift, Regel I/4 SOLAS. Diese ist mit dem Begriff „Befreiung“ („exemption“ (engl.)/„exemption“ (frz.)) überschrieben und lautet „Muß ein Schiff …, so kann es [das Schiff, d. Verf.] die Verwaltung von jeder Bestimmung dieser Regeln befreien, …“ (Regel I/4 a) SOLAS). Im Gegensatz zur Ausnahme ist der Nicht-Anwendung der materiellrechtlichen Standards bei einer Befreiung mithin zwingend ein konstitutiver staatlicher Akt zwischengeschaltet.
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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sich dem Wortlaut, der dahin lautet, dass der Staat ein Schiff „von jeder Bestimmung dieser Regeln befreien“ kann, keine etwaige Beschränkung in Bezug auf die Anzahl der Regeln entnehmen, von denen befreit werden kann. Für die Bestimmung, wann eine einzelne Auslandfahrt aufgrund „außergewöhnlicher Umstände“ vorliegt, ist den Staaten Auslegungsspielraum eingeräumt. Denkbar ist etwa eine gesonderte Fahrt eines Traditionsschiffes zu einem bestimmten maritimen Großereignis, etwa einem Hafengeburtstag, zu dem das Schiff eine besondere Beziehung hat, bspw. weil der Hafen bei der früheren Nutzung des Schiffes dessen Heimathafen war. Weitere Befreiungsmöglichkeiten in den Übereinkommen orientieren sich an Fahrten von Schiffe, die mit geringeren Gefahren verbunden sind, weil sich das Schiff während der Fahrt nur in geschützten Seegewässern bewegt oder stets in einem geringen Abstand zum nächstgelegenen Land bleibt. So sind in den Kapiteln II-1 bis III der Anlage zu SOLAS Befreiungsmöglichkeiten für „beschränkte Auslandfahrten“294 sowie für Auslandfahrten nach der sog. 20-Meilen Regelung295 vorgesehen. Diese Befreiungsregeln können aufgrund der geografischen Gegebenheiten insbesondere für in der Ostsee eingesetzte Traditionsschiffe in Betracht kommen. Nach Regel V/1 Abs. 4 SOLAS steht es den Staaten ferner frei, die (Nicht-) Geltung einzelner Regeln des Kapitels V296 für Schiffe mit einer Bruttoraumzahl unter 150 in der In- und Auslandfahrt und für Schiffe mit einer Bruttoraumzahl unter 500 in der Auslandfahrt „festzulegen“. Diese Festlegungsmöglichkeit kann insbesondere Traditionsschiffen mit einer entsprechenden Bruttoraumzahl die Auslandfahrt ermöglichen, die von einer Ausnahmeregelung erfasst sind, zugleich aber die – dennoch anwendbaren – Anforderungen von Kapitel V der Anlage zu SOLAS ggf. nicht in vollem Umfang erfüllen können. Auch in MARPOL sind Befreiungsregeln vorgesehen. So können nach Regel I/3 Abs. 1 MARPOL Schiffe, „deren Baumerkmale die Anwendung von Bestimmungen 294 So etwa in Regel II-1/9 Abs. 5 SOLAS, Regel III/19 Abs. 3.3.5 SOLAS oder Regel III/ 21 Abs. 2.1 und 21.3.2 SOLAS. Der Begriff der „beschränkten Auslandfahrt“ ist in Regel III/3 Abs. 22 SOLAS definiert und bezeichnet – zusammengefasst – eine Fahrt, in deren Verlauf sich ein Schiff nicht weiter als 200 Seemeilen von einem Hafen oder Ort entfernt, zu dem Fahrgäste oder Besatzung im Notfall in Sicherheit gebracht werden können. 295 Nach den sog. 20-Meilen-Regelungen, die in den Regeln II-1/1 Abs. 4 SOLAS, II-2/1 Abs. 4.1 SOLAS sowie III/2 Abs. 1 SOLAS normiert sind, kann die Verwaltung eines Flaggenstaates ein Schiff von der Anwendung bestimmter Vorschriften der jeweiligen Kapitel befreien, wenn sich das Schiff im Verlauf seiner Fahrt nicht weiter als 20 Seemeilen vom nächstgelegenen Land entfernt und wenn die Verwaltung in Anbetracht der geringen Gefahr und der besonderen Bedingungen der Reise die Anwendung der Vorschriften für unzweckmäßig oder unnötig erachtet. 296 Das umfasst die Regeln V/15 bis V/28 SOLAS. Diese Regeln enthalten Vorgaben an die Anordnung und den Gebrauch von Navigationssystemen und -ausrüstung auf einem Schiff. Die abseits dieser Regeln verbleibenden materiell-rechtlichen Standards des Kapitels V der Anlage zu SOLAS enthalten ganz überwiegend betriebliche Anforderungen, die von Traditionsschiffen – anders als bauliche oder ausrüstungsbezogene Anforderungen – ohne größere Schwierigkeiten zu bewältigen sein dürften.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
der Kapitel 3 und 4 über Bau und Ausrüstung unzumutbar oder undurchführbar“ machen, von den Anforderungen befreit werden, „sofern der Bau und die Ausrüstung des Schiffes im Hinblick auf den vorgesehenen Verwendungszweck einen gleichwertigen Schutz gegen die Ölverschmutzung“ bieten. (3) Möglichkeit zur Zulassung von „gleichwertigem Ersatz“ Ferner ist in den Übereinkommen vorgesehen, dass die Staaten anstelle einer bestimmten (zwingenden) technischen Vorgabe eines materiell-rechtlichen Standards einen sog. „gleichwertigen Ersatz“ zulassen können. Diese Möglichkeit eröffnen etwa Regel I/5 a) SOLAS sowie Art. 8 Abs. 1 LLC, die sich auf die gesamte SOLAS-Anlage sowie auf LLC und damit auf alle materiellrechtlichen Standards der beiden Übereinkommen beziehen.297 Danach kann die Verwaltung eines Flaggenstaates anstelle der Erfüllung einer bestimmten Anforderung der Übereinkommen den Einbau oder die Mitführung anderer „Einrichtungen, Werkstoffe, Vorrichtungen oder Geräte“ oder eine „sonstige Vorkehrung“ zulassen, wenn durch Erprobungen oder auf andere Weise festgestellt wurde, dass der Ersatz „mindestens ebenso wirksam“ wie die eigentliche Anforderung ist.298 Vorgesehen ist die Möglichkeit der Zulassung gleichwertigen Ersatzes unter erweiterten Voraussetzungen z. B. auch in Regel V/3 Abs. 2 SOLAS für die Anforderungen des Kapitels V der Anlage zu SOLAS. Zum Teil finden sich ferner der Zulassung „gleichwertigen Ersatzes“ ähnliche Regelungen, die auf andere Art und Weise formuliert sind.299 b) Spielräume durch (teilweise) fakultative Standards der Übereinkommen Darüber hinaus gibt es innerhalb der maritimen Übereinkommen Standards, deren Anwendung ohnehin fakultativ ist. Das betrifft zum Teil etwa die auf ältere Bestandsschiffe anzuwendenden Standards. Daneben enthalten sowohl die durch Bestandsschiffe zu erfüllenden Anforderungen, als auch bestimmte Anforderungen unabhängig vom Alter des Schiffes Bestimmungen, nach denen ein materiellrechtlicher Standard (nur dann) einzuhalten ist, wenn der jeweilige Staat die Einhaltung der Anforderungen für „zweckmäßig und durchführbar“ (o. ä.) hält. Derartige Bestimmungen begründen des weiten Auslegungsspielraums wegen keine 297 In der Praxis – nicht nur bei der Erteilung von Zeugnissen für Traditionsschiffe – haben diese Regelungen über die Möglichkeit der Zulassung von „gleichwertigem Ersatz“ mit Abstand die größte Relevanz. 298 Ähnlich lauten Regel I/5 Abs. 1, Regel II/5 Abs. 1 und Regel VI/4 Abs. 1 MARPOL. 299 So ist innerhalb der Leckstabilitätsvorschriften in Teil B von Kapitel II-1 der Anlage zu SOLAS in Regel II-1/4 Abs. 2 Satz 1 SOLAS geregelt, dass ein Staat „für einzelne Schiffe oder Gruppen von Schiffen alternative Verfahren akzeptieren [kann, d. Verf.], sofern sie davon überzeugt ist, dass mindestens derselbe Sicherheitsgrad wie durch diese Regeln erreicht wird.“
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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Umsetzungsverpflichtungen, sondern stellen lediglich einen Appell an die Staaten zur freiwilligen Einhaltung der Vorschriften dar.300 (1) Eingeschränkte Anwendung neuerer materiell-rechtlicher Standards auf Bestandsschiffe Ein für Traditionsschiffe ihres überwiegend sehr hohen Alters wegen wichtiger Spielraum ist darin zu sehen, dass die maritimen Übereinkommen – insbesondere SOLAS – sehr differenziert ausgestaltet sind hinsichtlich der unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gestellten Frage, inwieweit neuere Standards auch durch Bestandsschiffen einzuhalten sind. Spielräume bestehen für die Staaten an der Stelle zum einen insoweit, als die Anwendung neuerer Standards vielfach unter der Bedingung steht, dass diese nach Ansicht des jeweiligen Staates „zweckmäßig und durchführbar“ sein müssen. Insbesondere soweit die Übereinkommen von den Staaten in diesem Zusammenhang eine Entscheidung über die „Durchführbarkeit“ verlangen, haben die Staaten Raum für Erwägungen, ob die Erfüllung eines neueren Standards durch ein Traditionsschiff technisch und wirtschaftlich machbar ist und in einem sinnvollen Verhältnis zum erwarteten Sicherheitsgewinn steht. Zum anderen legen die Staaten selbst fest, welche materiell-rechtlichen Anforderungen Schiffe zu erfüllen haben, die vor 1948 gebaut wurden. Darüber hinaus steht den Staaten – freilich nur innerhalb des durch die Übereinkommen als rechtlich zulässig vorgegebenen Rahmens – die Auslegungskompetenz über die Frage zu, welche Umbauten an einem Traditionsschiff als sog. Umbauten größerer Art i.S.v. SOLAS anzusehen sind mit der Folge, dass auf die durch den Umbau betroffenen baulichen Elemente oder Einrichtungen neuere Standards anzuwenden sind. (2) Bestimmte Standards nur, soweit „zweckmäßig“ und „durchführbar“ Auch außerhalb der Entscheidung, ob ein Bestandsschiff neuere Standards erfüllen muss, gibt es einige materiell-rechtliche Anforderungen, v. a. in der Anlage zu SOLAS und in MARPOL, deren Anwendung unter dem Vorbehalt steht, dass ihre Erfüllung nach Ansicht der Staaten „zweckmäßig und durchführbar“ oder auch nur „zweckmäßig“ oder nur „durchführbar“ sein muss. Dies betrifft – ebenfalls als Ausdruck von Verhältnismäßigkeitserwägungen – überwiegend Standards, welche die bauliche Beschaffenheit von Schiffen betreffen.301 300
Vgl. Douvier, MARPOL, S. 34. So lautet bspw. Regel II-1/9 Abs. 1 SOLAS: „Zwischen Kollisionsschott und Hinterpiekschott muss, soweit durchführbar und mit der Bauart und dem ordnungsgemäßen Betrieb des Schiffes vereinbar, ein Doppelboden eingebaut sein.“ 301
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
3. Spielräume im Rahmen der Durchsetzungsvorgaben Die Vielzahl der im Rahmen der Umsetzungsverpflichtungen in Bezug auf die materiell-rechtlichen Standards bestehenden Spielräume, insbesondere, soweit es darum geht, die baulichen Besonderheiten von Traditionsschiffen zu berücksichtigen, werfen zusätzlich die Frage auf, welche Möglichkeiten für die Staaten im Rahmen der Durchsetzungsvorgaben von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW bestehen, um sich ggf. durch externen Sachverstand unterstützen zu lassen. Mit der Durchsetzung der Übereinkommen gegenüber den einzelnen Rechtsunterworfenen302, d. h. gegenüber Schiffen und Seeleuten, sind die Staaten selbst betraut.303 Vorrangig richtet sich die Pflicht zur Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards an den jeweiligen Flaggenstaat eines Schiffes; ergänzend werden die Hafenstaaten herangezogen.304 Inhaltlich machen SOLAS, LLC, MARPOL und STCW zusammen mit dem SRÜ den Staaten dabei hinsichtlich der Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards nur wenige Vorgaben.305 In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob es den Staaten für die Überprüfung der einzuhaltenden Standards oder bspw. für eine Entscheidung darüber, ob eine bestimmte Einrichtung oder Maßnahme auf einem Traditionsschiff – etwa in historischer Ausführung – als sog. gleichwertiger Ersatz anerkannt werden kann, möglich ist, auf externen Sachverstand zurückzugreifen, um diesen nicht (für ggf. nur sehr wenige Anwendungsfälle) selbst vorhalten zu müssen. Bei der Überprüfung eines Traditionsschiffes wird bspw. nicht selten zu beurteilen sein, ob ein 302
Die Einhaltung und Durchführung derjenigen Verpflichtungen der Übereinkommen, die an die Staaten gerichtet sind, wird von der IMO mangels entsprechender Ausstattung mit Exekutivkraft nicht überwacht oder etwa sanktioniert (vgl. Douvier, MARPOL, S. 118 f.). Als völkerrechtliche Verfahren, mit deren Hilfe insoweit das vertragskonforme Verhalten der Staaten überprüft wird, stehen lediglich die verschiedenen, in SOLAS, LLC, MARPOL und STCW vorgesehenen Informations- und Berichtspflichten zur Verfügung (Vgl. dazu etwa Art. III, Regel I/5 b) oder Regel I/21 b) SOLAS, Art. III, Art. 3 Abs. 6 oder Art. 23 Abs. 2 LLC, Art. 11 oder Regel II/4 Abs. 1.2 MARPOL sowie Art. IV Abs. 1 a) STCW). Vgl. zum Berichtssystem als Verfahren des Völkerrechtes zur Evaluierung der Vertragserfüllung Dahm u. a., Völkerrecht. Band I/3: Die Formen des völkerrechtlichen Handelns. Die inhaltliche Ordnung der internationalen Gemeinschaft, S. 658. 303 Seit 1992 gibt es dafür innerhalb der IMO einen Unterausschuss für die Umsetzung von Verpflichtungen als Flaggenstaat („Flag State Implementation“). Dieser wurde 2013 in „SubCommittee on Implementation of IMO Instruments“ (III) umbenannt. Aufgabe des Unterausschusses ist es u. a., die weltweite Umsetzung und Durchsetzung von Instrumenten der IMO – insbesondere in Bezug auf die enthaltenen materiell-rechtlichen Standards – mit Blick auf Effektivität und Einheitlichkeit zu begleiten, zu evaluieren und in diesem Bereich zu beraten. 304 Ausführlich zu den Durchsetzungsverpflichtungen der Flaggen- und Hafenstaaten siehe im 2. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. II. 1. sowie unter Punkt B. I. 305 Nach dem sog. Grundsatz der Effektivität des Völkerrechts ist den materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen durch die Staaten „regelmäßige Wirksamkeit“ bzw. „soviel Wirksamkeit wie möglich“ zu verschaffen. (Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 51 ff. Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht., S. 81 m.w.N. Zur Effektivität des Völkerrechts auch Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 3 Rn. 10 ff.)
A. Regelungen der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe
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historischer Standard in seiner konkreten Ausführung gleichwertige Sicherheit zu einem bestimmten, nach einem Übereinkommen vorgegebenen materiell-rechtlichen Standard gewährleistet. Bei einer solchen Beurteilung kann es auch darauf ankommen, einschätzen zu können, ob traditionelle Arbeiten am Schiff fachmännisch ausgeführt wurden. Die mit der Überprüfung von Traditionsschiffen Beauftragten müssen dementsprechend über hinreichende spezielle Kenntnisse und Erfahrungen verfügen. Vor diesem Hintergrund wäre es für die Aufgabe der Überprüfung ggf. eine sinnvolle Unterstützung, externen Sachverstand hinzuziehen zu können. Derartiger externer Sachverstand könnte z. B. durch einen Sachverständigen ausgemacht werden, der über spezifische Kenntnisse und Erfahrungen zu Sicherheitseinrichtungen auf historischen Schiffen verfügt. Die Möglichkeit, bei der Überprüfung eines (Traditions-)Schiffes ggf. auf externen Sachverstand zurückzugreifen, stellen die Übereinkommen den Staaten tatsächlich zur Verfügung. Die Besichtigung von Schiffen, die zum Zweck der Überprüfung der Einhaltung aller anzuwendenden materiell-rechtlichen Standards erfolgt, kann nach den Übereinkommen auf „ernannte Besichtiger“ übertragen werden.306 An die Qualifikation der „ernannten Besichtiger“ stellen die Übereinkommen keine weiteren Anforderungen, wiewohl der jeweilige Flaggenstaat bei einer derartigen Übertragung der Besichtigung weiter „die volle Gewähr für die Vollständigkeit und Gründlichkeit“ der Überprüfung und Besichtigung übernimmt.307 Als „ernannter Besichtiger“ zur Überprüfung eines Schiffes könnte mithin auch ein beauftragter Sachverständiger tätig werden. 4. Resümee Im Ergebnis lässt sich nach alledem zusammenfassen, dass Traditionsschiffe jedenfalls nicht pauschal aufgrund ihres historischen Charakters von SOLAS, LLC, MARPOL oder STCWausgeschlossen wären.308 V. a. (größere) Traditionsschiffe, die nicht von einer Ausnahmeregelung erfasst sind, werden von den Übereinkommen im Grundsatz, genau wie jedes andere erfasste Schiff, weitgehend reguliert. Dabei lässt sich der Regelungsanspruch der Übereinkommen sowohl hinsichtlich der erfassten Sachgebiete, als auch in Bezug auf den Detailgrad der Regelungen als umfassend bezeichnen. Für den Bereich der baulichen, ausstattungsbezogenen, betrieblichen 306
Regel I/6 a) SOLAS, Art. 13 Sätze 1 und 2 LLC und Regeln I/6 Abs. 3.1 Sätze 1 und 2, II/ 8 Abs. 2.1, IV/4 Abs. 3 sowie VI/5 Abs. 3.1 MARPOL. 307 Regel I/6 d) SOLAS, Art. 13 Satz 3 LLC, u. a. Regel I/6 Abs. 3.1 MARPOL. 308 Der einzige Punkt, an dem innerhalb eines Übereinkommens die Historizität eines Schiffes überhaupt unmittelbar eine Rolle spielt, ist die Ausnahmeregelung für „Holzschiffe einfacher Bauart“ in Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS und in Art. III d) STCW. Um von „einfacher“ Bauart i.S.d. Ausnahmeregelungen zu sein, ist jedoch erforderlich, dass die Bauart „historisch überliefert“ ist. Dies wird erfordern, dass sie Bauart auf eine deutlich mehr als 100-jährige Tradition zurückgeht (vgl. zuvor unter Punkt A. I. 4. c) (1) des 1. Teils), was bei den allermeisten Traditionsschiffen nicht der Fall sein wird.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
und befähigungsbezogenen Schiffssicherheit bestehen damit insoweit keine Spielräume zur Berücksichtigung der Besonderheiten von Traditionsschiffen, als man darauf abstellt, dass die Übereinkommen kaum einen Bereich unreguliert lassen. Angesichts der Vielzahl einzelner Mechanismen, die innerhalb der Übereinkommen eine differenzierte Anwendung ermöglichen, wird gleichwohl deutlich, wie flexibel die maritimen Übereinkommen trotz ihrer hohen Regelungsdichte und -breite sind. So weist Bevan Marten ganz zu Recht darauf hin, dass SOLAS kein „one size fits it all“ darstellt.309 Abseits der oftmals sehr detailliert geregelten materiellrechtlichen Standards lässt sich den Übereinkommen die übergeordnete Bestrebung entnehmen, ein für die Sicherheit auf See angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten, aber gleichwohl in der Vorgabe zu erfüllender Anforderungen verhältnismäßig zu bleiben. Für diese Verhältnismäßigkeit stellen die Vorgaben der Übereinkommen zum einen das jeweilig zu erfüllende Maß an Sicherheit in Abhängigkeit von bestimmten Parametern; allem voran von der Anzahl und Funktion der an Bord befindlichen Personen310 und der Eintrittswahrscheinlichkeit311 sowie dem voraussichtlichen Umfang312 eines Schadensereignisses. Demgegenüber findet in Bezug auf die Schiffe (neben anderem313) Berücksichtigung, ob die Erfüllung eines be-
309 Bevan Marten, SOLAS Article VII and Pacific Island Passenger Service, in: Basedow u. a., The Hamburg lectures on Maritime Affairs, 2011 – 2013, S. 241, 245. 310 Dies zeigt sich etwa in den für Fahrgast- und für Frachtschiffe unterschiedlichen Sicherheitsstandards in SOLAS. Zudem finden Standards in SOLAS und MARPOL nur oder in Abstufung auf Schiffe Anwendung, die eine bestimmte Anzahl Personen an Bord nehmen. So enthält bspw. Regel II-1/8 SOLAS Vorschriften zur Stabilität von Fahrgastschiffen in Abhängig von der Anzahl der an Bord beförderten Personen (mehr oder weniger als 36 oder 400). Nach Regel V/10 Abs. 2 MARPOL muss jedes Schiff mit einer Bruttoraumzahl von 100 und mehr und jedes Schiff mit der Erlaubnis zur Beförderung von 15 oder mehr Personen einen Müllbehandlungsplan vorsehen. 311 Die (geringere) Höhe der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Schadensereignis eintritt, spielt z. B. bei den Befreiungsmöglichkeiten für „beschränkte Auslandfahrten“ sowie für Auslandfahrten nach der sog. 20-Meilen Regelung (u. a.) in Kapitel II-1 bis III SOLAS eine Rolle. 312 Soweit nach MARPOL etwa bestimmte Anforderungen nur von Schiffen ab einer bestimmten Größe verlangt sind (oftmals bemessen nach der BRZ des Schiffes), dürfte dies (neben anderem) auf der Erwägung beruhen, dass die Umweltauswirkungen eines Seeunfalles auf einem Schiff umso größer sind, je größer das Schiff ist und je mehr umweltschädliche Stoffe sich dementsprechend auf dem Schiff befinden. 313 Die in den maritimen Übereinkommen vorgesehenen Ausnahmeregelungen dürften überwiegend auf andere, zum Teil sehr spezifische Erwägungen zurückgehen. Auch die Befreiungsmöglichkeiten in Regel I/4 a) SOLAS und Art. 6 Abs. 4 LLC, nach der Schiffe von der Anwendung der Standards von SOLAS und LLC befreit werden können, wenn sie aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine einzelne Auslandfahrt unternehmen, geht auf andere Erwägungen zurück. Hinter diesen Befreiungsmöglichkeiten dürfte sich der Gedanke befinden, dass die Erfüllung der SOLAS- und LLC-Standards nicht zwingend geboten ist, wenn – anders als bei Schiffen, die permanent in der Auslandfahrt eingesetzt sind – mit der Fahrt des Schiffes die Interessen anderer Staaten nicht in einem relevanten Maß berührt sind.
B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe
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stimmten Standards für das Schiff baulich und technisch machbar, aber auch wirtschaftlich erfüllbar ist.314 Soweit in den maritimen Übereinkommen die Erfüllung materiell-rechtlicher Standards zwingend verlangt ist, ist der Ausgleich zwischen den genannten Aspekten bereits erfolgt und kann bei der Einzelfallanwendung keine gesonderte Berücksichtigung mehr finden. Soweit die Übereinkommen hingegen Spielräume eröffnen, sind die jeweiligen Aspekte im Wege der Abwägung in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu setzen. Auch wenn in SOLAS, LLC, MARPOL oder STCW keine Erleichterungen oder alternative Ausführungen von Standards spezifisch für Traditionsschiffe vorgesehen sind, gibt es faktisch eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die auf ein solches Schiff angewendet werden können. Diese Möglichkeiten ergeben sich als eine Art „Nebeneffekt“ aus den in die Übereinkommen eingegangenen Verhältnismäßigkeitserwägungen, die freilich (überwiegend) mit Blick auf die Fahrzeuge der Berufsschifffahrt angestellt wurden. Dieser Aspekt hat einerseits zur Folge, dass die Anwendung der Möglichkeiten auf Traditionsschiffe sowohl den Schiffsbetreibern, als auch den zuständigen Stellen der Schifffahrtsverwaltung in einem gewissen Maße „Übertragungsleistung“ abverlangt. Andererseits wird deutlich, dass sich die Möglichkeit zum Einsatz in der Auslandfahrt für die überwiegende Zahl der Traditionsschiffe nicht daraus ergeben wird, dass sie von der Pflicht zur Erfüllung der materiell-rechtlichen Standards gänzlich entbunden wären. Ausschlaggebend wird vorrangig vielmehr sein, dass ein Schiff das angemessene Maß an Sicherheit über eine alternative Ausführung gegenüber dem originär vorgegebenen Standard erreicht und/oder dass ein Schiff etwa die zu befahrenden Gewässer oder die Anzahl der an Bord befindlichen Personen an das Maß der Seetauglichkeit anpasst, die es sicher erreichen kann.
B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe Im Unionsrecht knüpft die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie (Richtlinie 2009/45/ EG315) an die Regelungsbereiche von SOLAS und LLC an. 314
Diese Aspekte finden sich etwa bei den Anforderungen wieder, deren Anwendung unter dem Vorbehalt steht, dass ihre Erfüllung „zweckmäßig und durchführbar“ ist, oder an deren Stelle die Verwendung eines „gleichwertigen Ersatzes“ zulässig ist. Auch die ggf. abgestufte Erfüllung von neueren Standards durch Bestandsschiffe steht in der Regel unter dem Vorbehalt, dass sich der neuere Standard mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand auf dem Schiff realisieren lässt, was ebenfalls in der (vielfach vorbehaltenen) Erfüllung eines neueren Standards soweit „zweckmäßig und durchführbar“ wiederspiegelt. 315 ABl. 2009 L 163/1. Zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) 2017/2108 vom 15. November 2017 (ABl. 2017 L 315/40).
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
I. Die Richtlinie 2009/45/EG Die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie normiert Sicherheitsanforderungen für „Fahrgastschiffe“316, die innerhalb der EU in der Inlandfahrt eingesetzt und damit von SOLAS und LLC nicht erfasst sind317. Übergeordnetes Ziel der Richtlinie ist, innerhalb der EU einen einheitlich hohen Sicherheitsstandard zum Schutz von Leben und Eigentum auf eingesetzten Fahrgastschiffen sicherzustellen.318 Um die Harmonisierung319 der Sicherheitsbestimmungen für Fahrgastschiffe in der Inlandfahrt mit denjenigen Fahrgastschiffen zu erreichen, die den maritimen Übereinkommen – insbesondere SOLAS – unterliegen, verwendet die Fahrgastschiffsrichtlinie zur Bestimmung ihres Geltungsbereiches weitgehend dieselben Begrifflichkeiten, wie SOLAS. Außerdem stellt die Richtlinie keine eigenen Sicherheitsbestimmungen auf, sondern bezieht sich, in unterschiedlichem Umfang, auf die in der Anlage zu SOLAS enthaltenen materiellrechtlichen Sicherheitsbestimmungen. Ferner verweist die Richtlinie auf die Regelungen zur Bestimmung des Freibordes nach LLC.
II. Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie Für Traditionsschiffe im europäischen Raum sind die Regelungen der EUFahrgastschiffsrichtlinie neben den maritimen Übereinkommen von maßgeblicher Bedeutung, soweit Traditionsschiffe (teils) auch in der Inlandfahrt eingesetzt sind. Nachfolgend ist somit zu untersuchen, inwieweit seegehende Traditionsschiffe von den Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie erfasst sind, wobei besonderes Augenmerk auf einer in der Richtlinie enthaltenen Ausnahmeregelung speziell für „Traditionsschiffe“ liegt.
316
Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2009/45/EG. Der Begriff „Inlandfahrt“ bezeichnet nach Art. 2 p) Richtlinie 2009/45/EG „eine Fahrt in Seegebieten von einem Hafen eines Mitgliedstaats zu demselben oder einem anderen Hafen innerhalb desselben Mitgliedstaats“ und stellt damit das Gegenstück zur „Auslandfahrt“ i.S.v. Regel I/1 a) SOLAS dar (dazu unter Punkt A. I. 3.). 318 Vgl. Art. 1 Richtlinie 2009/45/EG. 319 Vgl. dazu Vitzthum, ZaöRV 2002, 163 (174 ff.). 317
B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe
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1. Grundsatz Die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie erfasst nach Art. 3 Abs. 1 „Fahrgastschiffe und -fahrzeuge“320 ab einer Länge von 24 Metern, die in der Inlandfahrt eingesetzt sind, unabhängig von ihrer Flagge. Der Begriff des „Fahrgastschiffes ist identisch zu SOLAS. Es handelt sich i.S. der Richtlinie 2009/45/EG um ein „Fahrgastschiff“ bei einem Schiff, das mehr als 12 Fahrgäste befördert, d. h. mehr als 12 Personen mit Ausnahme des Kapitäns, der Mitglieder der Schiffsbesatzung oder anderer Personen, die in irgendeiner Eigenschaft an Bord des Schiffes für dessen Belange angestellt oder beschäftigt sind.321 Insoweit gilt die Fahrgastschiffsrichtlinie im Grundsatz für diejenigen Traditionsschiffe, die i.S. der Bestimmungen von SOLAS als „Fahrgastschiff“ anzusehen sind.322 Zudem müssen Schiffe für den Geltungsbereich der Fahrgastschiffsrichtlinie „in der Inlandfahrt eingesetzt“ sein. Der Begriff der „Inlandfahrt“ ist definiert als „eine Fahrt in Seegebieten von einem Hafen eines Mitgliedstaates zu demselben oder einem anderen Hafen innerhalb desselben Mitgliedstaates“.323 Durch die Beschränkung des Anwendungsbereiches der Richtlinie 2009/45/EG auf „in der Inlandfahrt eingesetzte Fahrgastschiffe“ erfasst die Richtlinie mithin (nur) solche Traditionsschiffe, die während ihrer Fahrten keine Häfen eines anderen EU-Mitgliedsstaates anlaufen (in der Praxis sog. Nicht-SOLAS-Schiffe324). 2. Einschränkung durch Ausnahmeregelungen Wie die maritimen Übereinkommen enthält auch die Fahrgastschiffsrichtlinie Ausnahmeregelungen, die erfasste Schiffe von allen Anforderungen der Richtlinie freistellen. Darunter befindet sich – anders als in den maritimen Übereinkommen – auch eine gesonderte Ausnahmeregelung für Traditionsschiffe. 320
Die Erweiterung auf „Fahrgastfahrzeuge“ ist der Tatsache geschuldet, dass die Richtlinie auch „Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge“ i.S.v. Regel X/1 SOLAS erfasst, vgl. die Definition in Art. 2 g) Richtlinie 2009/45/EG. 321 Art. 2 e) und k) Richtlinie 2009/45/EG. 322 Vgl. dazu ausführlich unter Punkt A. I. 4. a) des 1. Teils der vorliegenden Arbeit. 323 Art. 2 p) Richtlinie 2009/45/EG. 324 Freilich enthält die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie gleichwohl Anforderungen für Schiffe, auf die zugleich auch Teile der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS Anwendung finden – i. e. die Anforderungen des Kapitels V der Anlage zu SOLAS. Ein potentieller Konflikt wird insoweit durch Art. 6 Abs. 1 b) Richtlinie 2009/45/EG vermieden. Nach dieser Regelung gelten für neue und vorhandene Fahrgastschiffe die Bestimmungen der Kapitel IV, V und VI des SOLAS-Übereinkommens in seiner geänderten Fassung. Damit stellt die Richtlinie für die EUMitgliedstaaten, die zugleich SOLAS verpflichtet sind, über Art. 288 UA 3 AEUV im Wesentlichen lediglich dieselben rechtlichen Verpflichtungen her, wie sie bereits nach Art. I SOLAS bestehen, was keinen Konflikt begründet.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
a) Ausnahme für „Traditionsschiffe“ Gemäß Art. 3 Abs. 2 a) lit. vi) Richtlinie 2009/45/EG gilt die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie nicht für „Traditionsschiffe“, wobei der Begriff „Traditionsschiff“ in Art. 2 zc) Richtlinie 2009/45/EG definiert ist als „alle Arten von vor 1965 entworfenen und hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebauten historischen Fahrgastschiffen und ihre Nachbildungen, einschließlich jener, mit denen traditionelle Fertigkeiten und Seemannschaft unterstützt und gefördert werden sollen, die insgesamt lebende Kulturdenkmale bilden und die nach traditionellen Grundsätzen der Seemannschaft und Technik betrieben werden.“
Mit dieser Definition wurde die schon zuvor in der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie enthaltene Ausnahmeregelung für historische Schiffe325 angepasst, um der Definition des Begriffes „Traditionsschiff“ aus der Richtlinie 2002/59/EG326 Rechnung zu tragen.327 Die nunmehr geltende Traditionsschiff-Definition enthält eine Vielzahl von Tatbestandsmerkmalen. (1) Ursprüngliche Fahrgastschiffeigenschaft Die Ausnahmeregelung verlangt ausweislich ihres Wortlautes („alle Arten von (…) historischen Fahrgastschiffen“) zum ersten, dass das Schiff schon ursprünglich – vor 1965 – als Fahrgastschiff gebaut und genutzt worden sein muss, diese Eigenschaft also nicht erst nach 1965 durch Umbau bzw. Umnutzung erhalten haben darf.328 Damit ist eine große Zahl der Traditionsschiffe innerhalb der EU, insbesondere unter der Bundesflagge, gegenwärtig von der Ausnahmeregelung nicht erfasst, da die Schiffe vor 1965 nicht als Fahrgastschiffe genutzt wurden, sondern als Fahrzeuge der Berufsschifffahrt.
325 Bis zur Änderung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie durch die Richtlinie (EU) 2017/2108 vom 15. November 2017 lautete die Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 2 a) lit. v): „vor 1965 entworfene und hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebaute historische Fahrgastschiffe im Original oder als Einzelnachbildung“. 326 Die Richtlinie 2002/59/EG vom 27. Juni 2002 über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr enthält in Art. 3 q) eine Definition des Begriffes „Traditionsschiff“, die wie folgt lautet: „alle Arten von historischen Schiffen und ihre Nachbauten einschließlich jener, mit denen traditionelle Fertigkeiten und Seemannschaft unterstützt und gefördert werden sollen, die insgesamt lebende Kulturdenkmale bilden und die nach traditionellen Grundsätzen der Seemannschaft und Technik betrieben werden“. 327 So die Begründung zum Änderungsentwurf der Richtlinie 2009/45/EG auf COM/2016/ 369/final, S. 6 und 8 f. 328 So auch VG Hamburg, Urteil vom 12. April 2013 – 15 K 1287/12 –, S. 16 (nicht veröffentlicht). Bestätigt durch OVG Hamburg, Beschluss vom 14. Februar 2014 – 3 Bf 126/13.Z – (nicht veröffentlicht). Offengelassen noch durch OVG Hamburg im Beschluss vom 8. Oktober 2009-1 Bs 174/09 –, Rn. 12, zitiert nach juris).
B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe
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(2) Originale und Nachbauten, Originalwerkstoff Erfasst sind zudem als „alle Arten historischer Fahrgastschiffe“ sowohl Originale, als auch Nachbauten („und ihre Nachbildungen), die „hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen“ gebaut sein müssen. Unter dem Erfordernis des „Originalwerkstoffes“ ist in Bezug auf im Original erhaltene Traditionsschiffe zu verstehen, dass die bei dem ursprünglichen Bau des Schiffes verwendeten Materialien erhalten sein müssen bzw. im Rahmen von Renovierungen oder Instandsetzungen nur durch gleichartige (neue) Materialien ersetzt werden dürfen. Bei Nachbildungen kommt es für das Verwenden eines „Originalwerkstoffes“ darauf an, dass gleiche Materialien in einer vergleichbaren Art und Weise verbaut werden, wie bereits bei dem ursprünglichen Bau des Schiffes. Nicht mehr „hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebaut“ ist ein Nachbau etwa dann, wenn bei Verwendung anderer Materialien nur das äußere Erscheinungsbild des Originalschiffes nachempfunden wird. Für die Frage, ob ein Schiff „hauptsächlich“ mit Originalwerkstoffen gebaut ist, kommt es, anders als bei den Ausnahmeregelungen für „Schiffe aus anderem Baumaterial als Stahl …“329 und für „Schiffe einfacher Bauart aus Holz“330 (zumindest) nicht (nur) auf ein rein quantitatives und an der funktionellen Bedeutung gemessenes Überwiegen des Originalwerkstoffes an in dem Sinne, dass das Schiff in seinen wesentlichen Konstruktionselementen aus dem Originalwerkstoff bestehen muss331. Vielmehr ist die Verwendung von Originalwerkstoffen nach dem Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung „hauptsächlich“, wenn sie im Ergebnis dazu führt, dass das historische Erscheinungsbild des Schiffes bewahrt bleibt.332 (3) Entwurf vor 1965 Ferner sind Traditionsschiffe nur dann von der Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 2 a) lit. vi) Richtlinie 2009/45/EG erfasst, wenn sie vor 1965 (als Fahrgastschiff) „entworfen“ worden sind.333 Fraglich ist dabei, was im Sinne der Richtlinie 2009/45/EG den Zeitpunkt des „Entwurfs“ eines Schiffes ausmacht. 329
Art. 3 Abs. 2 a) lit. iv) Richtlinie 2009/45/EG. Art. 3 Abs. 2 a) lit. v) Richtlinie 2009/45/EG. 331 So für die Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 2 a) lit. iv) Richtlinie 2009/45/EG („Schiffe aus anderem Baumaterial als Stahl oder einem gleichwertigen Werkstoff …“) das VG Hamburg, Urteil vom 5. März 2013 – 15 K 3594/09 –, Rn. 30, zitiert nach juris. Bestätigt (zu dem Klageverfahren 15 K 3594/09 vorausgegangenen Eilverfahren vor dem VG Hamburg) durch OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Januar 2013-3 Bs 263/12 –, Rn. 14 ff., zitiert nach juris. 332 Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 5. März 2013-15 K 3594/09 –, Rn. 41, zitiert nach juris. 333 Dieses Tatbestandsmerkmal – insbesondere die starre zeitliche Grenze nach dem Jahr 1965 – war im Verfahren zur Änderung der Richtlinie (2016/0170/COD) umstritten, wobei sich eine Mehrheit von acht Mitgliedstaaten für eine Beibehaltung des Jahres 1965 ausgesprochen hat. Sieben Mitgliedstaaten waren gegenteiliger Auffassung, hätten das maßgebliche 330
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Im schiffbautechnischen Sinne bezeichnet der Entwurf eines Schiffes im Grundsatz den Arbeitsschritt, in dem die geometrische Form des Rumpfes entwickelt und in einem Linienriss dokumentiert wird.334 Von diesem Zeitpunkt wird folglich für die Wortlautauslegung des Begriffs auszugehen sein. Um für die Auslegung zugleich die innere Systematik der Traditionsschiff-Definition in Art. 2 zc) Richtlinie 2009/45/EG zu berücksichtigen wird der Zeitpunkt des technischen Entwurfs indes nicht starr heranzuziehen sein. Daneben dürfte es auch auf den Zeitpunkt ankommen, in dem das Äußere des Schiffes auf diejenigen prägenden baulichen Merkmale festgelegt wurde, die seine Eigenschaft als „lebendes Kulturdenkmal“ i.S.v. Art. 2 zc) Richtlinie 2009/45/EG335, d. h. seinen Gestaltswert, ausmachen. In aller Regel wird dieser Zeitpunkt freilich mit dem technischen Entwurf des Schiffes übereinstimmen. (4) Kulturdenkmal und Betrieb nach traditionellen Grundsätzen Schließlich ist erforderlich, dass Traditionsschiffe „insgesamt lebende Kulturdenkmale bilden und […] nach traditionellen Grundsätzen der Seemannschaft und Technik betrieben werden“. Der Begriff des „Kulturdenkmales“ ist dem Denkmalschutzrecht entlehnt. Ein Kulturdenkmal ist jede Anlage, die ein gegenständliches Zeugnis menschlichen Lebens aus vergangener Zeit darstellt, an deren Erhaltung ein öffentliches Interesse besteht (sog. Erhaltungswert).336 Mithin kommt es darauf an, ob einem Traditionsschiff ein kulturhistorischer Erhaltungswert zugesprochen werden kann. Ob dies bei einem bestimmten Traditionsschiff gegeben ist, ist als Tatsachenfrage im Einzelfall zu prüfen.337 Zum „lebenden“ Kulturdenkmal i.S.v. Art. 3 Abs. 2 a) lit. vi) Richtlinie 2009/45/EG wird ein Traditionsschiff dadurch, dass es – entsprechend seinen betrieblichen Anforderungen – noch aktiv genutzt wird. Zum anderen wird mit dem Erfordernis des „Betriebs nach traditionellen Grundsätzen der Seemannschaft und Technik“ eine historische Betriebsform für die Eigenschaft als „Traditionsschiff“ i.S.d. Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 2 a) lit. vi) Richtlinie 2009/45/EG verlangt. Diese Anforderung an die Betriebsform nimmt, über den reinen Gestaltwert eines Schiffes hinaus – der sich auch vermitteln ließe, ohne dass das Schiff noch aktiv in Fahrt ist –, Bezug auf die Demonstration der historischen Technik und Funktionsweise des Schiffes. Entwurfsjahr 1965 also nicht übernommen. Darüber hinaus haben sich zwei Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, in Bezug auf die Beibehaltung des Tatbestandsmerkmals „vor 1965 entworfen“ der Meinung enthalten. Vgl. SWD (2016) 190 final, S. 61. 334 Vgl. dazu Henschke, Schiffbautechnisches Handbuch. Band 2, S. 10 ff. 335 Dazu sogleich nachfolgend unter (4). 336 OVG Magdeburg, Urteil vom 12. Oktober 2017-2 L 166/15 –, Rn. 49, zitiert nach juris. 337 Ausführlicher dazu im 2. Teil bei der Bewertung der nationalen Definition eines „Traditionsschiffes“ unter Punkt C. II. 1.
B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe
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(5) Fazit über die Ausnahmeregelung für „Traditionsschiffe“ Die Ausnahmeregelung speziell für Traditionsschiffe in der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie hat aus zweierlei Gründen besondere Bedeutung. Zum einen gibt die Definition des „Traditionsschiffes“ relevante Anhaltspunkte dafür, welche Kriterien für die EU-Mitgliedstaaten ausschlaggebend sind, um einem Schiff über die schlichte „Historizität“ hinaus den Charakter als „Traditions“-Schiff zuzusprechen. Die Richtlinie zieht dafür die Kriterien des Alters (Entwurf vor 1965) sowie der Originalität (historisches Fahrgastschiff, „lebendes Kulturdenkmal“, „Betrieb nach traditionellen Grundsätzen“) und Integrität („hauptsächlich den Originalwerkstoffen gebaut“) heran. Damit nimmt die Richtlinie auf typische Kriterien zur Beschreibung des Erhaltungswertes einer Sache Bezug, die deren Denkmaleigenschaft begründet.338 Als „Traditionsschiffe“ beschreibt die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie zusammengefasst mithin historische Schiffe, denen Denkmalwert zukommt. Zum anderen findet damit der Erhaltungswert eines historischen Schiffes in der Fahrgastschiffsrichtlinie – anders als in den maritimen Übereinkommen – Anerkennung insoweit, als er gesondert berücksichtigt wird, um eine eigene Ausnahmeregelung zu begründen. Abgesehen eventuell von der Ausnahme für „Holzschiffe einfacher Bauart“ spielt der historische Erhaltungswert eines Schiffes in den maritimen Übereinkommen keine Rolle und wird auch nicht in die Abwägung gegenüber den Sicherheitsinteressen einbezogen, als deren Ergebnis den Staaten innerhalb der Übereinkommen Spielräume zugestanden sind.339 Freilich gilt die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie nur für Schiffe in der Inlandfahrt, während die maritimen Übereinkommen (überwiegend) für in der Auslandfahrt eingesetzte Schiffe maßgeblich sind. In der Inlandfahrt sind die Interessen anderer Staaten nicht oder nur in deutlich geringerem Maße berührt, sodass der Harmonisierungsdruck geringer und es damit einfacher ist, das Gewicht bestimmter Interessen nach der nationalen Politik zu bestimmen. Damit eröffnet die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie einerseits die Perspektive, dass eigene Regelwerke für Traditionsschiffe denkbar sind, und konkretisiert zugleich, auf Grundlage welcher Kriterien eine Begriffsdefinition des „Traditionsschiffes“ zweckmäßig erfolgen könnte. Ungeklärt lässt die Richtlinie andererseits noch, in welcher Form bzw. auf Grundlage welcher Regeln die hinreichende Sicherheit eines Traditionsschiffes etwa in Alternative zu den Regeln für die Fahrzeuge der Berufsschifffahrt bemessen werden könnte.
338 339
Dazu im 2. Teil unter Punkt C. II. 1. a. Siehe dazu zuvor im 1. Teil unter Punkt A. V. 3.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
(6) Annex: Abweichung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie von SOLAS und LLC durch gesonderten Ausnahmetatbestand? Die Tatsache, dass die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie eine gesonderte Ausnahmeregelung für Traditionsschiffe enthält, die so unmittelbar in SOLAS und LLC nicht vorgesehen ist, gibt indes auch Anlass zu der Frage, ob die Fahrgastschiffsrichtlinie insoweit nicht von den durch SOLAS und LLC geforderten Standards abweicht. Da SOLAS und LLC (überwiegend) nur für in der Auslandfahrt eingesetzte Schiffe gelten, während die Fahrgastschiffsrichtlinie in der Inlandfahrt eingesetzte Schiffe erfasst, stehen die einerseits durch die maritimen Übereinkommen und andererseits durch die Fahrgastschiffsrichtlinie erfassten Regelungsbereiche insoweit nebeneinander. Dabei verpflichtet die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie die EU-Mitgliedstaaten in ihrer Eigenschaft als Unterzeichnerstaaten nicht etwa, die in der Richtlinie enthaltene Ausnahmeregelung für Traditionsschiffe auch bei der Anwendung der SOLAS- und LLC-Regeln zu beachten. Gleiches gilt, soweit sich der Anwendungsbereich des Kapitels V der Anlage zu SOLAS, das auch für Schiffe in der Inlandfahrt gilt, mit dem Anwendungsbereich der Fahrgastschiffsrichtlinie, die allgemein für in der Inlandfahrt eingesetzte Schiffe gilt, überschneidet (siehe dazu in Fn. 359). Auch wenn die Mitgliedstaaten durch die Richtlinie gemäß Art. 288 UA 3 AEUV nicht verpflichtet werden, die nach Art. 6 Abs. 1 b) Richtlinie 2009/45/EG für anwendbar erklärten Bestimmungen des Kapitels V SOLAS auf von der Ausnahmeregelung erfasste Traditionsschiffe anzuwenden, bleibt die identische Verpflichtung aus Art. I SOLAS i.V.m. Kapitel V der Anlage zu SOLAS für Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens uneingeschränkt bestehen. Die Richtlinie hebt die insoweit inhaltsidentische Verpflichtung aus dem maritimen Übereinkommen nicht auf, denn die Ausnahmeregelung der Richtlinie gilt nur für diejenigen Verpflichtungen, welche die Richtlinie selbst begründet. Folglich weicht die Richtlinie trotz der gesonderten Ausnahmeregelung für Traditionsschiffe nicht von den Standards von SOLAS und LLC ab. b) Weitere Ausnahmeregelungen Über die Ausnahmeregelung für Traditionsschiffe hinaus enthält die Fahrgastschiffsrichtlinie in Art. 3 Abs. 2 a) drei weitere Ausnahmeregelungen, die für Traditionsschiffe relevant sein können. (1) „Schiffe einfacher Bauart aus Holz“ Ebenso wie SOLAS und LLC gilt die Richtlinie 2009/45/EG nicht für „Schiffe einfacher Bauart aus Holz“340. Diese Ausnahmeregelung ist in der Richtlinie nicht gesondert definiert und in Bezug auf das Merkmal „einfacher Bauart“ so zu ver340
Art. 3 Abs. 2 a) lit. v) Richtlinie 2009/45/EG.
B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe
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stehen, wie die gleichlautende Ausnahme nach SOLAS auszulegen ist341. Dementsprechend ist eine Bauart „einfach“ i.S.v. Art. 3 Abs. 2 a) lit. v) Richtlinie 2009/45/ EG, wenn sie historisch überliefert ist. Um „aus Holz“ im Sinne der Richtlinie zu sein wird es darauf ankommen, dass das Schiff in seinen wesentlichen, tragenden Konstruktionselementen überwiegend aus Holz besteht, wobei eine Gewichtung nach Anteil und Bedeutung der Baumaterialien am bzw. für das Schiff ausschlaggebend sein dürfte.342 (2) „Segelschiffe“ und „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ Die Ausnahmen für „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ und „Segelschiffe“ sind in die geänderte Fassung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie, die am 20. Dezember 2017 in Kraft getreten ist, als zwei getrennte Ausnahmeregelungen aufgenommen worden (Art. 3 Abs. 2 a) lit. ii) und lit. iii) Richtlinie 2009/45/EG). Nach dem Entwurf der Änderungsrichtlinie waren sie zunächst als eine einheitliche Ausnahmeregelung für „Segelschiffe und Schiffe ohne Maschinenantrieb“ vorgesehen.343 „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ waren schon nach der noch bis Dezember 2017 geltenden Fassung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie von dieser ausgenommen.344 Der Begriff „Segelschiff“ ist folglich durch die Änderung hinzugekommen (als Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 2 a) lit. ii) Richtlinie 2009/45/EG) und seitdem definiert als „ein Schiff, das hauptsächlich durch Segel angetrieben wird, auch wenn es mit einem mechanischem Antrieb als Hilfsantrieb und für Notfälle ausgestattet ist“345.
Hintergrund für die Erwägungen, im Rahmen des Änderungsverfahrens den Begriff des „Segelschiffes“ zusätzlich in die Richtlinie aufzunehmen, waren unterschiedliche Rechtsauffassungen der EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf die Auslegung der bestehenden Ausnahmeregelung für „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ nach der Fassung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie bis Dezember 2017 und nach SOLAS.346 Die gesonderte Nennung des „Segelschiffes“ als Ausnahmeregelung in der Richtlinie 2009/45/EG in der seit Dezember 2017 geltenden Fassung, zusammen mit der Definition in Art. 2 z), dient der Klarstellung, dass sowohl Schiffe gänzlich ohne Maschinenantriebssysteme, als auch solche, die neben Segeln noch mit einem 341
Vgl. dazu zuvor unter Punkt A. I. 4. c. Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 5. März 2013-15 K 3594/09 –, Rn. 29 f., zitiert nach juris. 343 So Art. 1 Abs. 2 des Entwurfs der (Änderungs-)Richtlinie (EU) 2017/2108 auf COM/ 2016/369/final. 344 Art. 3 Abs. 2 a) lit. ii) Richtlinie 2009/45/EG in der bis zum 20. Dezember 2017 geltenden Fassung. 345 Art. 2 z) Richtlinie 2009/45/EG. 346 Zu den unterschiedlichen Ansichten der Staaten zur Auslegung der Ausnahmeregelung für „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ nach Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS bereits ausführlich zuvor unter Punkt A. I. 4. b) (1) (a). 342
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
„mechanischen Hilfsantrieb“ oder einem Maschinenantrieb „für Notfälle“ ausgerüstet sind, von der Richtlinie nicht erfasst sein sollen.347 Inhaltlich ist damit durch die gesonderte Aufnahme von „Segelschiffen“ in Art. 3 Abs. 2 a) lit. ii) Richtlinie 2009/45/EG als Ausnahmeregelung faktisch keine neue Ausnahme in die EUFahrgastschiffsrichtlinie aufgenommen worden. Infolgedessen sind von der neben „Segelschiffen“ verbliebenen Ausnahmeregelung für „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ i.S.d. EU-Fahrgastschiffsrichtlinie (Art. 3 Abs. 2 a) lit. iii) Richtlinie 2009/45/EG) seit der am 20. Dezember 2017 in Kraft getretenen Änderung definitorisch nur solche Schiffe erfasst, die über keinerlei (zusätzlichen) Maschinenantrieb (neben Segeln) verfügen. (3) „Sportboote“ Ferner sind – so der Wortlaut des amtlichen deutschen Textes der Richtlinie – nach Art. 3 Abs. 2 a) lit. vii) Richtlinie 2009/45/EG „Sportboote“ von der Anwendung der Richtlinie ausgenommen. Im englischen Text der Richtlinie lautet die entsprechende Ausnahmeregelung „pleasure yachts“. Der Begriff „Sportboot“ ist in Art. 2 zd) definiert als „ein nicht für den Handel eingesetztes Schiff, unabhängig von der Antriebsart“.
Im englischen Text der Richtlinie lautet diese Definition „a vessel not engaged in trade …“.
Anhand des (insbesondere englischen) Wortlautes der Ausnahmeregelung und der entsprechenden Definition wird deutlich, dass die Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 2 a) lit. vii) Richtlinie 2009/45/EG der gleichlautenden Ausnahme in SOLAS, LLC und STCWentspricht („pleasure yachts not engaged in trade“). Die Herstellung dieser Harmonisierung (insbesondere) zu SOLAS war im Rahmen des Änderungsverfahrens der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie ausdrücklich beabsichtigt.348 Die Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 2 a) lit. vii) Richtlinie 2009/45/EG ist mithin entsprechend der gleichlautenden Ausnahme in SOLAS auszulegen.349, 350 347 Die Kommission soll bis zum Jahr 2020 prüfen, ob für Segelschiffe einheitliche europäische Anforderungen erforderlich sind (Dokument ST 9965 2016 ADD 3, S. 3). 348 Vgl. dazu Dokument PE 34 2017 INIT, S. 4 Abs. 7: „Zur Verbesserung von rechtlicher Klarheit und Kohärenz und somit auch zur Erhöhung des Sicherheitsniveaus sollten einige Begriffsbestimmungen und Bezugnahmen aktualisiert und weiter an die entsprechenden internationalen Regelungen oder Regelungen der Union angeglichen werden. (…) Die Begriffsbestimmung von ,Sportboot und Sportfahrzeug‘ sollte besser an das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See von 1974 (SOLAS-Übereinkommen von 1974) angepasst werden.“ 349 Zu dieser Auslegung ausführlich zuvor unter Punkt A. I. 4. d) des 1. Teils der vorliegenden Arbeit. 350 Die definitorische Fassung der Ausnahmeregelung in Richtlinie 2009/45/EG ist insoweit etwas unglücklich, als die Definition des Begriffes „Sportboot“ als „nicht für den Handel
B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe
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III. Anwendbare Anforderungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie auf Traditionsschiffe Wie SOLAS und LLC unterscheidet die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie in Bezug auf die zu erfüllenden materiell-rechtlichen Standards zwischen „neuen“ und „vorhandenen“ Fahrgastschiffen.351 Die Unterscheidung ist – vergleichbar den entsprechenden Regeln in den maritimen Übereinkommen352 – daran orientiert, ob der Kiel der Schiffe an oder nach dem 1. Juli 1998 gelegt wurde oder sich das Schiff zu diesem Zeitpunkt in einem vergleichbaren Bauzustand befand.353 „Neue“ Fahrgastschiffe, die sich bei ihren Fahrten weiter als 20 Seemeilen bei mittlerem Hochwasser von der Küstenlinie entfernen, wo Schiffbrüchige anlanden können, müssen vollständig den Anforderungen von SOLAS in seiner jeweils geänderten Fassung entsprechen.354 Auf sonstige „neue“ Fahrgastschiffe finden die Anforderungen der Fahrgastschiffsrichtlinie Anwendung.355 Zudem müssen „neue“ Fahrgastschiffe ab einer Länge von 24 Metern LLC entsprechen, wobei Fahrgastschiffe, die während ihrer Fahrt nur eine bestimmte maximale Entfernung zur Küste erreichen, von der Anforderung einer Mindestbughöhe nach LLC356 befreit sind.357 „Vorhandene“ Schiffe müssen, je nach Fahrtgebiet, die nach SOLAS für vorhandene Schiffe anzuwendenden Anforderungen358 oder die Anforderungen der Richtlinie sowie ggf. ergänzend auch bestimmte Anforderungen des jeweiligen
eingesetztes Schiff …“ die Einordnung von Schiffen, die unterhalb der Schwelle der Gewerblichkeit für Fahrten mit Personen an Bord Entgelt nehmen, nicht klarstellt (zu dieser Problematik ausführlich unter Punkt A. I. 4. d) (3)). Im Rahmen des Änderungsverfahrens der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie war neben anderem auch erwogen worden, die Ausnahmeregelung als „sports craft“ zu bezeichnen oder ihn zumindest als „intended for sports and leisure purposes“ zu definieren (Dokument ST 9965 2016 ADD 3, S. 12). Dieser Überlegung wurde jedoch nicht gefolgt (Dokument ST 9965 2016 ADD 3, S. 12 f.: „… during the consultation IT raised concerns about the unintended consequences of defining the purpose for which these vessels are used. This was accepted.“). 351 Vgl. u. a. Art. 3 Abs. 1 a) sowie Art. 6 Abs. 2 und 3 Richtlinie 2009/45/EG, die jeweils zwischen „neuen und vorhandenen Fahrgastschiffen“ unterscheiden. Wie in SOLAS basiert diese Unterscheidung auf Verhältnismäßigkeitserwägungen, die in Erwägungsgrund 12 der Richtlinie zum Ausdruck kommen: „…Bei den zu erfüllenden Sicherheitsanforderungen sollte unterschieden werden zwischen neuen und vorhandenen Schiffen, da die Ausdehnung der Vorschriften für neue Schiffe auf vorhandene Schiffe so umfangreiche Änderungen struktureller Art nach sich ziehen würde, dass diese Schiffe betriebswirtschaftlich nicht mehr rentabel wären.“ 352 Siehe dazu insgesamt unter Punkt A. II. des 1. Teils der vorliegenden Arbeit. 353 Art. 2 h) und i) Richtlinie 2009/45/EG. 354 Art. 6 Abs. 2 a) lit. i) Richtlinie 2009/45/EG. 355 Art. 6 Abs. 2 a) lit. ii) Richtlinie 2009/45/EG. 356 Regel I/39 LLC. 357 Art. 6 Abs. 2 b) lit. i) und iii) Richtlinie 2009/45/EG. 358 Art. 6 Abs. 3 a) Richtlinie 2009/45/EG.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
Flaggenstaates erfüllen.359 Wie SOLAS und LLC verweist die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie in Art. 6 Abs. 5, 1. HS zudem darauf, dass sog. Umbauten größerer Art den jeweiligen Vorschriften für „neue“ Fahrgastschiffe entsprechen müssen.360 Die (eigentlichen) materiell-rechtlichen Sicherheitsanforderungen der EUFahrgastschiffsrichtlinie an „neue“ und „vorhandene“, in der Inlandfahrt eingesetzte Fahrgastschiffe enthält der Anhang I zur Richtlinie 2009/45/EG. Die Sicherheitsanforderungen sind in Inhalt, Struktur und Aufbau an SOLAS angelehnt. Dabei sind einzelne materiell-rechtliche Standards von SOLAS im Anhang I zur EU-Fahrgastschiffsrichtlinie interpretiert und ausgelegt. Sind nach den im vorherigen Abschnitt genannten Regeln der Richtlinie 2009/45/EG auf Fahrgastschiffe in der Inlandfahrt SOLAS-Standards anzuwenden, so ist, soweit eine SOLAS-Regel die Auslegung eines Standards dem jeweiligen Staat überlässt, für die Auslegung der Anhang I zur Fahrgastschiffsrichtlinie heranzuziehen.361 Nach alledem sind auf von der Richtlinie erfasste Traditionsschiffe, sofern es sich um vor dem 1. Juli 1998 gebaute Schiffe handelt, die materiell-rechtlichen Standards für „vorhandene“ Fahrgastschiffe anzuwenden. Nachbauten müssen ggf. den Anforderungen an „neue“ Fahrgastschiffe entsprechen. „Umbauten größerer Art“ führen, wie bei den Traditionsschiffen in der Auslandfahrt nach SOLAS und LLC, dazu, dass diejenigen baulichen Elemente oder Einrichtungen, die Gegenstand des Umbaus waren, den für „neue Schiffe“ maßgeblichen Anforderungen genügen müssen.
IV. Zwischenergebnis Nach alledem erfasst die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie solche Traditionsschiffe, die Fahrgastschiffe i.S.v. SOLAS darstellen, länger als 24 Meter sowie innerhalb der EU in der Inlandfahrt eingesetzt sind, es sei denn, es handelt sich bei dem Traditionsschiff um ein vor 1965 entworfenes historisches Schiff mit kulturhistorischem Erhaltungswert oder um einen Nachbau eines solchen Schiffes, das hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebaut ist und nach traditionellen Grundsätzen der Seemannschaft und Technik betrieben wird. Ebenfalls von der Geltung der EU-Fahr359
Art. 6 Abs. 3 b) und c) Richtlinie 2009/45/EG. Die Begriffe „Reparaturen, Umbauten und Änderungen größerer Art“ sind in Art. 2 zh) Richtlinie 2009/45/EG definiert als „alle Maßnahmen, die zu wesentlichen Änderungen der Abmessungen eines Schiffes führen, bspw. Verlängerung durch Hinzufügung eines neuen Mittelschiffs“, „alle Maßnahmen, die zu einer wesentlichen Änderung der Fahrgastkapazität führen, bspw. Umbau eines Fahrzeugdecks zu Fahrgasträumen“, „alle Maßnahmen, die die Lebensdauer eines Schiffes wesentlich verlängern, bspw. Renovierung aller Fahrgasträume auf einem Deck“ sowie „jeder Umbau von Schiffen jeder Art zu einem Fahrgastschiff“. Art. 6 Abs. 5, 2. HS Richtlinie 2009/45/EG bestimmt zudem, dass Umbauten, die „nur der größeren Überstehensfähigkeit dienen“, nicht als „Änderungen größerer Art“ betrachtet werden. 361 Art. 6 Abs. 2 a) lit. i), 2. HS, und Abs. 3 a), 2. HS Richtlinie 2009/45/EG. 360
B. Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe
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gastschiffsrichtlinie ausgeschlossen sind Traditionsschiffe, die ein „Holzschiff einfacher Bauart“, ein „Schiff ohne mechanischen Antrieb“ oder eine „nicht dem Handel dienende Vergnügungsjacht“ i.S.d. entsprechenden SOLAS-Ausnahmeregelungen darstellen. Gilt die Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe, so entscheiden das Baudatum vor oder nach dem 1. Juli 1998 oder ein Umbau des Schiffes darüber, ob und ggf. inwieweit die materiell-rechtlichen Standards für „vorhandene“ oder für „neue“ Fahrgastschiffe anzuwenden sind.
V. Auswertung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie: Umsetzungsverpflichtung und Spielräume Die Pflicht zur Umsetzung ergibt sich bei der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie aus ihrem Rechtscharakter als EU-Richtlinie. Nach Art. 4 Abs. 3 UA 2 EUV i.V.m. Art. 288 UA 3 AEUV ist jeder EU-Mitgliedstaat verpflichtet, Richtlinien in nationales Recht umzusetzen. In der Sache bedeutet dies, dass die EU-Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnungen alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen haben, um die vollständige Wirksamkeit einer Richtlinie entsprechend ihrer für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Zielsetzung362 zu gewährleisten.363 Dabei muss jede Umsetzung den Erfordernissen der „Publizität, Klarheit und Bestimmtheit“ genügen364, wofür die tatsächliche vollständige Anwendung der Richtlinie durch nationale Behörden sowie, bei individualbegünstigenden Vorschriften, die Erkennbarkeit und Durchsetzbarkeit von Rechten Einzelner erreicht werden muss. An diesen Maßstäben gemessen ist für eine Umsetzung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie – ähnlich der sich aus den maritimen Übereinkommen ergebenden Umsetzungsverpflichtungen365 – erforderlich, dass alle von der Richtlinie erfassten Schiffe nach nationalem Recht wirksam rechtlich verpflichtet werden, die auf sie anzuwendenden materiell-rechtlichen Standards zu erfüllen. Zudem muss die Durchführung und Überwachung der Einhaltung der Standards sichergestellt sein. Gleichwohl ist, ebenfalls wie bei den maritimen Übereinkommen, die Zulassung von Erleichterungen und alternativen Standards für Traditionsschiffe auch im Rahmen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie möglich in dem Umfang, den die Richtlinie selbst eröffnet. Neben den zuvor untersuchten Ausnahmeregelungen – insbe362 Da eine Richtlinie gemäß Art. 288 UA 3 AEUV normativ für die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich ihres Ziels bzw. ihres Ergebnisses verbindlich ist, verbleibt den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Wahl der Form und Mittel zur Umsetzung (Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 288 AEUV, Rn. 23 und 26.). Angesichts der hohen normativen Dichte der Fahrgastschiffsrichtlinie haben die umsetzenden Mitgliedstaaten de facto freilich im Einzelnen kaum noch Umsetzungsspielraum. Vgl. dazu BT-Drucks. 13/9722, S. 18. 363 von Danwitz, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kap. B.II., Rn. 43 m.w.N. 364 EuGH, Urteil vom 20. März 1997 – C-96/95 –, Rn. 39, zitiert nach juris. 365 Dazu zuvor unter Punkt A. V. 1. des 1. Teils der vorliegenden Arbeit.
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1. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe weltweit
sondere freilich der Ausnahmeregelung für „Traditionsschiffe“ – ist insoweit von Bedeutung, dass auch die Fahrgastschiffsrichtlinie Befreiungsmöglichkeiten und Regelungen über die Gestattung von sog. gleichwertigem Ersatz enthält. So kann ein EU-Mitgliedstaat nach Art. 9 Abs. 3 Richtlinie 2009/45/EG, „Sofern der Sicherheitsstandard nicht gesenkt (…) wird“, „Regelungen erlassen, um Schiffe auf Inlandfahrten, die in diesem Staat einschließlich seiner Archipelgewässer, in denen nicht die Verhältnisse der offenen See herrschen, unter bestimmten Fahrbedingungen – wie etwa Beschränkung auf Fahrten bei geringer signifikanter Wellenhöhe, auf einen bestimmten Zeitraum im Jahr, auf Fahrten bei Tageslicht oder bei annehmbaren Witterungs- und Wetterverhältnissen oder auf Fahrten von begrenzter Dauer oder auf Fahrten, bei denen Rettungsdienste in der Nähe zur Verfügung stehen – durchgeführt werden, von bestimmten spezifischen Anforderungen dieser Richtlinie zu befreien“.
Gemäß Art. 9 Abs. 2 Richtlinie 2009/45/EG kann ein EU-Mitgliedstaat „… Regelungen erlassen, die für bestimmte besondere Anforderungen dieser Richtlinie gleichwertigen Ersatz gestatten, sofern dieser Ersatz mindestens ebenso wirksam ist wie diese Anforderungen“.
Anders als in den vergleichbaren Regeln der maritimen Übereinkommen ist damit in Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie nicht vorgesehen, dass die Staaten bestimmte Schiffe im Einzelfall befreien oder für sie einen gleichwertigen Ersatz zulassen können. Vielmehr können die Mitgliedstaaten für bestimmte Konstellationen „Regelungen“ erlassen, um Schiffe zu befreien oder gleichwertigen Ersatz zuzulassen. Es bedarf damit nach der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie zwingend eines ausführenden nationalen Rechtsaktes, wenn von den Möglichkeiten innerstaatlich Gebrauch gemacht werden soll, für den in Art. 9 Abs. 4 Richtlinie 2009/45/ EG ein gesondertes Notifizierungsverfahren vorgesehen ist. Durch die Formulierung, nach der die EU-Mitgliedstaaten entsprechende Regelungen erlassen können, bietet die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie den Staaten die Möglichkeit, von dieser Ermächtigung im nationalen Recht Gebrauch zu machen, ohne insoweit eine Umsetzungsverpflichtung zu begründen.
VI. Resümee Auch die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie bietet nach alledem über die Ausnahmeregelungen – speziell die gesonderte Ausnahmeregelung für „Traditionsschiffe“ –, über die je nach Alter eines Schiffes differenzierten materiell-rechtlichen Standards sowie über die vorgesehenen Befreiungsmöglichkeiten und Regelungen über die Gestattung von sog. gleichwertigem Ersatz ein Maß an Flexibilität, um den Besonderheiten von Traditionsschiffen in einem bestimmten Rahmen Rechnung zu tragen.
2. Teil
Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit befasst sich mit der Fragestellung, welche Sicherheitsvorgaben für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum gelten. Diese Untersuchung erfolgt zum einen für in der internationalen Fahrt1 eingesetzte Traditionsschiffe, getrennt nach Schiffen unter der Bundesflagge (nachfolgend A.) und nach Schiffen unter einer anderen als der Bundesflagge (nachfolgend B.), und zum anderen für Traditionsschiffe, die in der nationalen Fahrt2 eingesetzt sind (nachfolgend C.).3
A. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in internationaler Fahrt Der nachfolgende Abschnitt ist der Frage gewidmet, welche Regelungen im deutschen Rechtsraum für Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in internationaler Fahrt gelten. Zur Beantwortung dieser Frage ist zu untersuchen, ob die nach dem Ergebnis des 1. Teils der vorliegenden Arbeit für Traditionsschiffe relevanten völkerrechtlichen Standards im deutschen Rechtsraum für in der Auslandfahrt eingesetzte Traditionsschiffe unter der Bundesflagge gelten, d. h. ob sie wirksam in innerstaatliches Recht umgesetzt sind. Durch die im 1. Teil erfolgte Untersuchung ist zunächst (nur) die sich aus dem Völkerrecht bzw. dem Unionsrecht selbst ergebende Verbindlichkeit herausgearbeitet. Erfasst etwa ein maritimes Übereinkommen ein Traditionsschiff als Rege1 Die Bezeichnung „internationale Fahrt“ bezieht sich an dieser Stelle auf Schiffe, die in der Auslandfahrt i.S.v. Regel I/1 a) SOLAS eingesetzt sind. Siehe dazu im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. I. 3. 2 Die Bezeichnung „nationale Fahrt“ bezieht sich auf Schiffe, die in der Inlandfahrt i.S.v. Art. 2 p) Richtlinie 2009/45/EG und damit nicht in der Auslandfahrt nach Regel I/1 a) SOLAS eingesetzt sind. Dies schließt Schiffe ein, die sich ausschließlich in deutschen Hoheitsgewässern bewegen. 3 Die nachfolgenden Abschnitte A und B beziehen sich mithin auf Schiffe (unter der Bundesflagge und unter anderen Flaggen), die den im 1. Teil untersuchten maritimen Übereinkommen unterliegen, während sich der sich anschließende Abschnitt C auf Schiffe bezieht, die den völkerrechtlichen Regelwerken nicht unterliegen.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
lungsgegenstand, so begründet dies zunächst (nur) rechtliche Verpflichtungen für den jeweiligen Flaggenstaat des Schiffes, i. e. für die Bundesrepublik Deutschland. Um darüber hinaus die unmittelbare Rechtsverbindlichkeit für die einzelnen Rechtsunterworfenen, i. e. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge, festzustellen, ist es in einem weiteren Schritt erforderlich zu prüfen, ob alle nach dem Ergebnis des 1. Teils der vorliegenden Arbeit relevanten Regelungen wirksam in das deutsche Recht umgesetzt worden sind. Dabei erhebt die Arbeit nicht den Anspruch, die innerstaatliche Umsetzung der maritimen Übereinkommen in Vollständigkeit zu überprüfen. Die Untersuchung der Umsetzung ist an dieser Stelle kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um die als übergeordnetes Ziel der vorliegenden Arbeit angestrebte Beurteilung vornehmen zu können, ob es möglich ist, die baulichen und betrieblichen Besonderheiten von Traditionsschiffen bei der Schaffung von Sicherheitsanforderungen zu berücksichtigen. Aus diesem Grund bezieht sich die nachfolgende Prüfung der Umsetzung lediglich auf ausgewählte Rechtsaspekte. Beantwortet werden sollen die beiden Fragen, ob die materiell-rechtlichen Standards der maritimen Übereinkommen umgesetzt sind in dem Sinne, dass sie zu wirksamer innerstaatlicher Verbindlichkeit für einzelne Rechtsunterworfene geführt worden sind (nachfolgend I.), und ob die Einhaltung der materiell-rechtlichen Standards durch Deutschland als Flaggenstaat wirksam durchgesetzt wird (nachfolgend II.). Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchung wird sodann ausgewertet, ob der deutsche Gesetz- bzw. Verordnungsgeber die nach dem Ergebnis des 1. Teils der vorliegenden Arbeit bestehenden Umsetzungsspielräume zur Berücksichtigung der Besonderheiten von Traditionsschiffen bei der Umsetzung in das deutsche Recht ausschöpft (nachfolgend III.).
I. Umsetzung der materiell-rechtlichen Standards der maritimen Übereinkommen in Deutschland: ausgewählte Rechtsaspekte Die maritimen Übereinkommen etablieren nicht (nur) Verpflichtungen der Staaten im Außenverhältnis, sondern sind vorrangig auf die Erfüllung und Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards im nationalen Bereich gerichtet. Die völkerrechtlich verbindlichen materiell-rechtlichen Standards sind dazu in nationales Recht zu überführen (sog. Inkorporation), wobei eine Vielzahl von Transformationen möglich ist.4 Denkbar sind etwa eine (bloße) Bezugnahme auf die materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen im „Einkleid“ des nationalen Rechts, oder aber eine Wiederholung der Standards im nationalen Recht, d. h. deren textliche Einarbeitung in das nationale Recht im Bereich zwischen der (lediglich) inhaltlichen Entsprechung bis hin zur unmittelbaren Abbildung Wort für Wort.5 4 5
Vgl. dazu allgemein Kadelbach, GYIL 1999, S. 66. Vgl. Seibert-Fohr, ZaöRV 2002, 391 (403 und 411 f.).
A. Traditionsschiffe in internationaler Fahrt
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1. Nationales Schiffssicherheitsrecht – Zuständigkeit und nationale Rechtsgrundlagen Da es für die Umsetzung der maritimen Übereinkommen nunmehr auf das nationale Recht ankommt, sind vorab in der gebotenen Kürze die insoweit maßgeblichen (Gesetzgebungs- und Verwaltungs-)Kompetenzen sowie der Rechtsrahmen in Deutschland zu klären. a) Gesetzgebungskompetenz im Seerecht Da die See in Deutschland an mehrere Bundesländer angrenzt und damit (auch) deren Interessen berührt, stellt sich zunächst die Frage, ob die Gesetzgebungskompetenz zur Umsetzung der maritimen Übereinkommen den Ländern oder dem Bund zusteht. Im deutschen Rechtsraum werden die Gesetzgebungskompetenzen durch Art. 32 und 70 ff. GG bestimmt. Die Kompetenz zur innerstaatlichen Umsetzung völkerrechtlicher Verträge richtet sich gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nach der Sachkompetenz entsprechend dem Inhalt des jeweiligen Völkerrechtsvertrages („… der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften …“) und ist ebenfalls nach den allgemeinen Vorschriften (Art. 32, 70 ff. GG) zu ermitteln. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 und Nr. 21 GG weisen dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz über das Arbeitsrecht einschließlich des Arbeitsschutzes, über die Hochsee- und Küstenschifffahrt sowie die Seewasserstraßen zu. Der Kompetenztitel für die „Seeschifffahrt“ ermächtigt zum Erlass von Vorschriften hinsichtlich der technischen Beschaffenheit und Ausrüstung von Schiffen, der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie den quantitativen wie qualitativen Anforderungen an die Besatzung.6 Das umfasst die Regelungsinhalte von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW. Die Unterteilung der Seeschifffahrt in Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG in „Hochsee- und Küstenschifffahrt“ ist dabei inhaltlich nicht erforderlich.7 Sie stellt aber klar, dass sich die Kompetenz des Bundes in diesem Bereich nicht auf sein Hoheits-(see-)gebiet beschränkt8, sondern sich im durch das Völkerrecht gezogenen Rahmen räumlich auch auf internationale Gewässer erstreckt.9 6
Wittreck in Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 74 Rn. 103. Der Terminus „Hochseeschifffahrt“ umfasst den Verkehr jenseits der Territorial- und Hoheitsgewässer; diese werden ihrerseits durch den Terminus „Küstenschifffahrt“ umfasst. Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 74 Rn. 58. 8 Auch innerhalb des eigenen Hoheitsgebietes wird die dem Bund durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG eröffnete Kompetenz allerdings durch das Völkerrecht wieder eingeschränkt; bspw. durch das Recht von Schiffen unter fremden Flaggen auf friedliche Durchfahrt durch das Küstenmeer (Art. 17 ff. SRÜ). 9 Vgl. Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 1 SeeAufgG, Rn. 1. Wittreck spricht von einem generellen „Außenbezug“ des Kompetenztitels aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG, der intensiv auf internationales Recht verwiesen sei. Wittreck in Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 74 Rn. 106. 7
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Mit Blick auf die Umsetzung der maritimen Übereinkommen weist das Grundgesetz damit die Kompetenz zum Erlass von Vorschriften für Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in allen Fahrtgebieten dem Bund zu. b) Verwaltungskompetenz im Seerecht Soweit der Bund zum innerstaatlichen Vollzug der maritimen Übereinkommen administrativ tätig werden muss, sind ihm die notwendigen Verwaltungskompetenzen enumerativ durch § 1 SeeAufgG zugewiesen.10 Diese einfachgesetzliche Zuweisung ist notwendig, da der Bund nach Art. 89 Abs. 2 Satz 2 GG die staatlichen Aufgaben der Seeschifffahrt11 wahrnimmt, die ihm durch Gesetz übertragen werden. Dass der § 1 SeeAufgG den Bund dabei auf Aufgaben der „Seeschifffahrt“ beschränkt, ist hinsichtlich der Traditionsschifffahrt kein Hindernis, denn der Begriff schließt Traditionsschiffe ein, sofern sie seegehend sind.12 Die §§ 3 ff. SeeAufgG legen darüber hinaus die Organkompetenzen fest, d. h. die Zuständigkeit der jeweiligen Behörden und sonstigen Stellen zur Wahrnehmung der dem Bund in § 1 SeeAufgG zugewiesenen Verwaltungsaufgaben. Auch der Vollzug des für Traditionsschiffe maßgeblichen Schiffssicherheitsrechtes ist somit (überwiegend) dem Bund in Form der Bundes-Schifffahrtsverwaltung zugewiesen. c) Maßgebliche nationale Regelwerke Neben dem Seeaufgabengesetz, das überwiegend Kompetenzen und Aufgaben zuweist13, sind die für Traditionsschiffe unter der Bundesflagge inhaltlich relevantesten nationalen Gesetze das Schiffssicherheitsgesetz und das Seearbeitsgesetz. Das Schiffssicherheitsgesetz bestimmt vorwiegend allgemeine materiell-rechtliche Grundsätze zur Schiffssicherheit. Das Seearbeitsgesetz befasst sich mit den Arbeitsund Lebensbedingungen von Seeleuten an Bord von Schiffen unter der Bundesflagge.
10 Der Katalog der enumerativen Kompetenztitel ist dabei in sich nicht stringent systematisch, was durch die historisch nach und nach erfolgte Aufnahme weiterer Titel entstanden ist. Aus diesem Grund ist nicht immer eindeutig, welche Aufgabe welchem Kompetenztitel zuzuordnen ist; teilweise können Aufgaben auch mehreren Titeln zugeordnet werden. Eingehender dazu sowie zu den einzelnen von den Kompetenztiteln erfassten Aufgaben Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 1 SeeAufgG, Rn. 5 ff. 11 Das betrifft nach Art. 89 Abs. 2 Satz 2 GG nur diejenigen staatlichen Aufgaben, die „über den Bereich eines Landes hinausgehen […]“. 12 Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 1 SeeAufgG, Rn. 2. 13 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 SeeAufgG enthält bspw. Ermächtigungen zum Erlass seeverkehrsrechtlicher Rechtsverordnungen an das BMVI, zum Teil zusammen mit dem BMUB oder anderen verantwortlichen Stellen.
A. Traditionsschiffe in internationaler Fahrt
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Der ganz überwiegende Teil des materiell-rechtlichen Schiffssicherheitsrechtes, das für Traditionsschiffe relevant ist, befindet sich darüber hinaus in auf Grundlage von §§ 9 und 9c SeeAufgG erlassenen Rechtsverordnungen14, von denen als mit Abstand wichtigste die Schiffssicherheitsverordnung zu nennen ist. Diese ergänzt und konkretisiert das Schiffssicherheitsgesetz und steht damit überwiegend im Bezug zu den Anforderungen von SOLAS und LLC. Die See-Umweltverhaltensverordnung enthält in Abschnitt 2 (§§ 4 bis 17) konkretisierende, ergänzende und ausführende Vorschriften zu Betriebspflichten, die in den Anlagen des MARPOLÜbereinkommens geregelt sind. Als weitere Rechtsverordnungen (neben anderen), die vor allem den Bereich der personellen Schiffssicherheit und damit die materiellrechtlichen Standards von STCW betreffen, sind die Seeleute-Befähigungsverordnung, die See-Berufsausbildungsverordnung sowie die Schiffsbesetzungsverordnung zu nennen. 2. Die einzelnen Schritte der Umsetzung Nach der Klärung des maßgeblichen Rechtsrahmens in Deutschland ist nunmehr zu untersuchen, ob die materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, MARPOL, LLC und STCW umgesetzt sind in dem Sinne, dass sie zu wirksamer innerstaatlicher Verbindlichkeit für (Traditions-)Schiffe unter der Bundesflagge geführt worden sind. Mit der herrschenden Ansicht im deutschen Recht ist die wirksame Umsetzung völkerrechtlicher Normen zweistufig zu prüfen, da zwischen der innerstaatlichen Geltung und der innerstaatlichen Anwendbarkeit der Normen zu unterscheiden ist.15 Innerstaatliche Geltung erlangt eine Norm durch ihre Inkraftsetzung mittels eines
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Grund für die fast vollständige Übertragung des materiellen Schiffssicherheitsrechtes auf Rechtsverordnungen ist zum einen, dass es sich oft um Vorschriften mit einem hohen technischen Detailcharakter handelt (BT-Drucks. 12/6153, S. 13 f. BT-Drucks. 518/93, S. 29). Zum anderen will der Gesetzgeber sicherstellen, den „Bedürfnissen der Praxis entsprechend schnell Vorschriften erlassen zu können“ (BT-Drucks. IV/2549, S. 7). Letzteres gilt auch insoweit, als die in den maritimen Übereinkommen enthaltenen materiell-rechtlichen Standards durch die seit 1974 vorgesehene sog. tacit acceptance procedure, d. h. das Inkrafttreten von Änderungen allein durch „stillschweigende Zustimmung“ der Staaten, vereinfacht und damit schneller geändert werden können, was eine auch entsprechend schnellere nationale Umsetzung erforderlich macht (Vgl. BT-Drucks. 518/93, S. 21 f.). 15 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2016-2 BvR 637/09 –, Rn. 12, zitiert nach juris. Heintschel von Heinegg, in: Epping u. a., Grundgesetz, Art. 25 Rn. 17. Vöneky, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 236 Rn. 4. Streinz, in: Sachs u. a., Grundgesetz, Art. 59 Rn. 67. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 34 I.1. und § 36 II.3. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 552. Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, S. 59 ff. Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 63 f. a.A. Schweitzer, in: Schweitzer/Dederer, Staatsrecht III: Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Rn. 438 f. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 173 f.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Zustimmungsgesetzes16, durch das sie Teil der innerstaatlichen verfassungsmäßigen Rechtsordnung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG wird.17 Eine Völkerrechtsnorm, die durch den Inkraftsetzungsakt innerstaatliche Geltung erlangt hat, ist jedoch noch nicht automatisch auch innerstaatlich anwendbar, d. h. von den Staatsgewalten zu beachten.18 Die Frage der innerstaatlichen Anwendbarkeit ist erst in einem zweiten Schritt zu beurteilen, isoliert von der Frage der Geltung. Somit ist auch bei Untersuchung der innerstaatlichen Umsetzung von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW zwischen dem Herbeiführen innerstaatlicher Geltung der Übereinkommen (nachfolgend a.) und deren innerstaatlicher Anwendung (nachfolgend b.) zu unterscheiden. a) Innerstaatliche Geltung der Übereinkommen Der erste Schritt der Umsetzung besteht darin, den Übereinkommen im nationalen Recht mittels eines Inkraftsetzungsaktes Geltung zu verleihen. Die innerstaatliche Geltung ist Voraussetzung dafür, dass eine Völkerrechtsnorm gemäß Art. 20 Abs. 3 GG Exekutive und Judikative als geltendes Recht bindet.19 Die erforderlichen (potentiellen) Inkraftsetzungsanordnungen enthalten Art. 25 GG und Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wobei vorliegend zunächst von der Umsetzung der maritimen Übereinkommen als Völkervertragsrecht und mithin auf der Grundlage von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ausgegangen wird. Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes, dem sog. Zustimmungsgesetz20.
16 BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976-1 BvL 19/75 –, Rn. 96, zitiert nach juris. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 236, Rn. 7. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 34 I.1. 17 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1994-1 BvR 1279/94 –, Rn. 19 ff., zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1998-2 BvR 1206/98 –, Rn. 1 ff., zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014-2 BvR 450/11 –, Rn. 35, zitiert nach juris. 18 BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976-1 BvL 19/75 –, Rn. 96, zitiert nach juris. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 236, Rn. 5 und Fn. 22. Zuleeg, JA 1983, 1 (6). 19 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1994 – 1 BvR 1279/94 –, Rn. 19 ff., zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1998-2 BvR 1206/98 –, Rn. 1 ff., zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014-2 BvR 450/11 –, Rn. 35, zitiert nach juris. 20 Oft auch „Vertragsgesetz“ genannt. Vgl. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 236, Rn. 7.
A. Traditionsschiffe in internationaler Fahrt
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(1) Zustimmungsgesetze zu MARPOL, LLC und STCW MARPOL, LLC und STCW sind jeweils durch ein Zustimmungsgesetz in Kraft gesetzt worden.21 Die Gesetze enthalten je in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu den Übereinkommen. Darin ist zum einen die Ermächtigung des Bundespräsidenten enthalten, die Übereinkommen zu ratifizieren.22 Diese stellt freilich keinen Umsetzungsakt dar, sondern gehört noch zum Verfahren des völkerrechtlichen Vertragsschlusses.23 Zum anderen kommt dem Zustimmungsgesetz die Funktion zu, den Inhalt der Übereinkommen in die nationale Rechtsordnung zu übernehmen und innerstaatlich in Vollzug zu setzen (Inkraftsetzung).24 Mit dem Zustimmungsgesetz ist den Inhalten von LLC, MARPOL und STCW zudem innerstaatlich der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zugewiesen.25 (2) Zustimmungsgesetz zu SOLAS? Zu SOLAS gibt es hingegen kein Zustimmungsgesetz in der Form, wie zu den übrigen maritimen Übereinkommen. Anders als MARPOL, LLC und STCW sowie auch anders als die SOLAS-Fassungen von 1929, 1948 und 196026 ist SOLAS in der Fassung von 1974 nicht durch ein Gesetz, sondern durch eine Verordnung27 in Kraft gesetzt worden. Dies wirft die Frage auf, ob SOLAS gleichwohl wirksam innerstaatliche Geltung erlangt hat. 21 MARPOL durch das „Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und zu dem Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen“ vom 23. 12. 1981, BGBl. 1982 II S. 2. LLC durch das „Gesetz zu dem Internationalen Freibord-Übereinkommen von 1966 vom 05. 04. 1966“ vom 20. Februar 1969, BGBl. 1969 II S. 249. STCW durch das „Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen vom 7. Juli 1978 über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten“ vom 25. 03. 1982, BGBl. 1982 II S. 297. 22 Stern, Staatsrecht, Band I, S. 505. 23 Vgl. Ehlers, Die nationale Umsetzung von Übereinkommen und Beschlüssen der Internationalen Seeschiffahrts-Organisation (IMO), in: Ehlers/Erbguth, 50 Jahre Vereinte Nationen, S. 58. 24 Nettesheim, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 59, Rn. 93 und 96. 25 Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 236 Rn. 26. Nettesheim, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 59, Rn. 96. 26 Die SOLAS-Fassungen von 1929, 1948 und 1960 sind jeweils durch ein Zustimmungsgesetz in Kraft gesetzt worden: SOLAS in der Fassung von 1929 durch das „Gesetz über das Internationale Übereinkommen zum Schutze des menschlichen Lebens auf See“ vom 10. 04. 1931, RGBl. 1931 II S. 235; SOLAS in der Fassung von 1948 durch das „Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Internationalen Schiffssicherheitsvertrag London 1948“ vom 22. Dezember 1953, BGBl. 1953 II S. 603 und SOLAS in der Fassung von 1960 durch das „Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik zum internationalen Schiffssicherheitsvertrag vom 17. 6. 1960“ vom 06. 05. 1965, BGBl. 1965 II S. 465. 27 Verordnung über die Inkraftsetzung des Internationalen Übereinkommens von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See vom 11. 01. 1979. BGBl. 1979 II S. 141.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
(a) Erforderlichkeit der Zustimmung in der Form eines Bundesgesetzes? SOLAS bezieht sich, ebenso wie MARPOL, LLC und STCW, auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung i.S.v. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Denn der Bund hat mit SOLAS Verpflichtungen übernommen, deren Erfüllung (u. a.) nach der Wesentlichkeitstheorie allein durch den Erlass eines Bundesgesetzes möglich sind.28 Somit bedarf SOLAS nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 2. Var. GG grundsätzlich ebenso der Zustimmung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften „in der Form eines Bundesgesetzes“, wie die anderen maritimen Übereinkommen. (b) Möglichkeit zur Inkraftsetzung mittels Rechtsverordnung Ein Vertragsgesetz ist indes nach ganz herrschender Meinung zur Inkraftsetzung eines völkerrechtlichen Vertrages nicht erforderlich, wenn der Vertrag auf der Grundlage einer Verordnungsermächtigung nach Art. 80 Abs. 1 GG innerstaatlich in Kraft gesetzt werden kann.29 Die Inkraftsetzung erfolgt in diesem Fall durch eine Rechtsverordnung, die den Inhalt hat, ein bestimmtes Übereinkommen in Kraft zu setzen und die in der Regel als Anhang eine deutsche Fassung oder amtliche Übersetzung des Übereinkommens enthält. Voraussetzung für die innerstaatliche Inkraftsetzung mittels einer Rechtsverordnung ist allerdings, dass die Rechtsverordnung bestimmte Voraussetzungen erfüllt. (aa) Anforderungen an die Rechtsverordnung Die Rechtsverordnung muss zum einen auf einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen. In dieser gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage soll zugleich die Zustimmung des Gesetzgebers enthalten sein, die Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG verlangt.30 Zur Begründung für die Zulässigkeit dieser rechtlichen 28 Ein völkerrechtlicher Vertrag bezieht sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung i.S.v. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wenn der Bund mit dem Abschluss des Vertrages Verpflichtungen übernimmt, die er lediglich durch den Erlass eines Vollzugsaktes unter Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften – i. d. R. eines Bundesgesetzes – erfüllen kann (BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1952-2 BvE 2/51 –, Rn. 70 f., zitiert nach juris). 29 BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1952-2 BvE 2/51 –, Rn. 100, zitiert nach juris. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 59 Rn. 14. Nettesheim, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 59 Rn. 141. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 31 I.2.c]. Schmahl, in: Sodan/Haratsch, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 17. Rojahn, in: von Münch/ Kunig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 61. Kempen, in: von Mangoldt u. a., Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 68. Wohl auch Calliess, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 83 Rn. 26 und Fn. 69. Ausführlich zu dieser Problemstellung Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen. 30 So im Ergebnis: Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 31 I.2.c]. Schmahl, in: Sodan/ Haratsch, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 17. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 59 Rn. 14. Treviranus, NJW 1983, 1948 (1950). Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die sich auf
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Konstruktion wird von einigen Stimmen in der Literatur angeführt, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich der Inkraftsetzung des völkerrechtlichen Vertrages durch die Verordnungsermächtigung selbst der unmittelbaren Kontrolle der Exekutive begeben habe.31 Nach der Ansicht anderer wird Art. 59 Abs. 2 GG dadurch Rechnung getragen, dass in der Verordnungsermächtigung die antizipierte Zustimmung des Gesetzgebers zur Inkraftsetzung des völkerrechtlichen Vertrages enthalten sei.32 Darüber hinaus muss die Verordnungsermächtigung nach der herrschenden Meinung hinreichend konkret und auslandsbezogen sein, d. h., sie muss für die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge geeignet und auf den auswärtigen Verkehr zugeschnitten sein.33 Diese Anforderungen sollen verhindern, dass das Kontrollrecht des Gesetzgebers ausgehöhlt wird. Durch die Konkretisierung und den Auslandsbezug der Verordnungsermächtigung wird zugleich die antizipierte bzw. übertragene Zustimmung des Gesetzgebers konkretisiert, wodurch dieser gleichsam seine Kontrolle i.S.d. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ausübt.34 Ein expliziter Auslandsbezug der Verordnungsermächtigung ist dabei nicht zwingend erforderlich, der Bezug muss aber zumindest implizit hinreichend deutlich werden.35 Ein hinreichender impliziter Auslandsbezug soll vorliegen, wenn in der Ermächtigung zum Ausdruck kommt, dass sie – zumindest auch – der Durchführung international vereinbarter Regeln dient.36 Denn im Zeitpunkt der Erteilung der antizipierten Zustimmung durch den Gesetzgeber muss für diesen absehbar sein, zu welchen Regelungen er seine Zustimmung geben wird.37 Aus dem Inhalt der Verordnungsermächtigung muss folglich erkennbar sein, dass der Gesetzgeber den Abschluss eines völkerrechtlichen Ver-
Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, S. 71 ff. Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 61. 31 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 31 I.2.c]. Schmahl, in: Sodan/Haratsch, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 17. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 59 Rn. 14. 32 Treviranus, NJW 1983, 1948 (1950). Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 61. Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, S. 71 ff. Dregger gelangt zu dem Ergebnis, dass die Inkraftsetzung eines völkerrechtlichen Vertrages auf Grundlage einer Rechtsverordnungsermächtigung zulässig ist, sofern die Ermächtigung der Bundesregierung in entsprechender Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG durch Angabe von Inhalt, Zweck und Ausmaß einen inhaltlichen Rahmen setzt (S. 96 ff.). 33 Treviranus, NJW 1983, 1948 (1949). Nettesheim, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 59 Rn. 141. 34 Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, S. 74. 35 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 59 Rn. 14. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 31 I.2.c]. 36 Schmahl, in: Sodan/Haratsch, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 17. 37 Vgl. Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, S. 73.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
trages mit in seinen Willen aufgenommen hat.38 Ob dies der Fall ist, ist aus dem Wortlaut der Verordnungsermächtigung und sodann im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung etwa der Praxis bei der Regelung des Rechtsbereiches durch völkerrechtliche Verträge zu ermitteln.39 Es kommt auch darauf an, ob eine sachgerechte Regelung der Materie einer internationalen Übereinkunft bedarf oder eine solche jedenfalls nahelegt.40 (bb) Die Verordnung zur Inkraftsetzung von SOLAS Die Verordnung über die Inkraftsetzung von SOLAS ist (u. a.) auf Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 4 und 6 SeeAufgG in der Fassung von 1977 (nachfolgend SeeAufgG 1977) erlassen worden.41 Die Ermächtigungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 4 und 6 SeeAufgG 1977 müssten also konkret und hinreichend deutlich auslandsbezogen sein. Da ein expliziter Auslandsbezug der Ermächtigungen fehlt42, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die Ermächtigungsgrundlagen einen impliziten Auslandsbezug aufweisen, d. h. ob sie nach dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers auf einen völkerrechtlichen Vertrag ausgerichtet waren. Für einen impliziten Auslandsbezug der Ermächtigungsgrundlagen spricht, dass die in den Ermächtigungsgrundlagen aufgelisteten Regelungsgegenstände (etwa „Anforderungen an den Bau, die Einrichtung, die Ausrüstung, die Kennzeichnung, die Benutzung und den Freibord der seegängigen Wasserfahrzeuge … “ (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SeeAufgG 1977)) auch schon vor der SOLAS-Fassung von 1974 überwiegend durch völkerrechtliche Übereinkommen reguliert wurden.43 Der Ge-
38 Kempen, in: von Mangoldt u. a., Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 68. Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 61. 39 Treviranus, NJW 1983, 1948 (1949). Kempen, in: von Mangoldt u. a., Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 68. 40 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 31 I.2.c]. 41 Der § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SeeAufgG 1977 ermächtigte (verkürzt) zum Erlass von Rechtsverordnungen über das Verhalten von Schiffen in den inneren Gewässern und, hinsichtlich der Schiffe, welche die Bundesflagge führen, auch auf der Hohen See. Auf Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SeeAufgG 1977 konnten Vorschriften erlassen werden über die Anforderungen an den Bau, die Einrichtung, die Ausrüstung, die Kennzeichnung, die Benutzung und den Freibord der seegängigen Wasserfahrzeuge, die erforderlichen Prüfungen, Abnahmen, Erlaubnisse und Bescheinigungen sowie die Sicherheitsmaßnahmen während der Schiffsreise. Der § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SeeAufgG 1977 ermächtigte zum Erlass von Rechtsverordnungen über die von den Schiffsführern zu erstattenden Meldungen. Nach § 9 Abs. 4 SeeAufgG 1977 mussten Rechtsverordnungen auf Grundlage von Abs. 1 über die Funkausrüstung, den Funkwachdienst, die Funknavigationseinrichtungen sowie die Führung der Funktagebücher vom Bundesminister für Verkehr gemeinsam mit dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen erlassen werden. 42 Die ihrem Wortlaut nach explizit auslandsbezogenen Verordnungsermächtigungen des § 9 Abs. 1 Nr. 7 und des § 9c SeeAufgG sind erst später in das Gesetz eingefügt worden. 43 So auch Ehlers, Die nationale Umsetzung von Übereinkommen und Beschlüssen der Internationalen Seeschiffahrts-Organisation (IMO), in: Ehlers/Erbguth, 50 Jahre Vereinte
A. Traditionsschiffe in internationaler Fahrt
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setzgeber konnte deshalb bei der Neufassung des SeeAufgG im Jahr 1977 kaum die Augen davor verschließen, dass er sich mit den Verordnungsermächtigungen maßgeblich auf Regelungsbereiche völkerrechtlicher Übereinkommen bezieht. Dies ergibt sich auch aus dem Eingangstext zur Bekanntmachung der Neufassung des SeeAufgG 197744, der auf die Berücksichtigung der Gesetze zu drei völkerrechtlichen Übereinkommen45 hinweist. Zudem betreffen die Ermächtigungsgrundlagen Regelungsbereiche, deren Regulierung auf internationaler Ebene sich aufdrängt, da sie einen starken internationalen Bezug haben. Es liegt im Wesen von Seeschiffen, dass sie in der Fahrt Staatsgrenzen überschreiten. Rein nationale Regelungen ergäben deshalb für den großen Teil der Seeschiffe keinen Sinn. Auch dies spricht für einen impliziten Auslandsbezug der die Anforderungen an Seeschiffe regulierenden Ermächtigungsgrundlagen. Die vorgenannten Erwägungen sprechen für einen hinreichenden impliziten Auslandsbezug der Ermächtigungsgrundlagen in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 4 und 6 SeeAufgG 1977.46 Gegen eine hinreichende Konkretisierung der ErmächtigungsNationen, S. 58 f., der formuliert, die Regelungsbereiche seien wesentlich durch internationale Normen geprägt. 44 BGBl. 1977 I, S. 1314. 45 Namentlich zu dem Internationalen Schiffsvermessungs-Übereinkommen vom 23. Juni 1969, zu dem Internationalen Übereinkommen vom 29. November 1969 über Maßnahmen auf Hoher See bei Ölverschmutzungsunfällen und zu dem Übereinkommen vom 20. Oktober 1972 über die Internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf See. 46 In Bezug auf die Sicherheitsvorgaben für Traditionsschiffe sind von den Ermächtigungsgrundlagen des § 9 Abs. 1 SeeAufgG in der heutigen Fassung vorrangig Nr. 3 bis 3c und 4 relevant. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SeeAufgG ermächtigt zum Erlass von Rechtverordnungen über „die Anforderungen an die Besetzung von Seeschiffen einschließlich Traditionsschiffen […], die die Bundesflagge führen, die Verpflichtungen des Reeders und des Kapitäns für die Durchsetzung einer sicheren Schiffsbesetzung, die Erteilung und die Gültigkeit von Schiffsbesatzungszeugnissen für Kauffahrteischiffe sowie die Überwachung der Einhaltung der Schiffsbesetzungsvorschriften durch die zuständige Stelle“. Auf Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a SeeAufgG können Rechtsverordnungen erlassen werden über „die Anforderungen an die Befähigung sowie die fachliche und persönliche Eignung der Besatzungsmitglieder der in Nummer 3 genannten Fahrzeuge einschließlich des Mindestalters der Bewerber, die Voraussetzungen für die Erteilung der Nachweise über Befähigungen im Schiffsdienst und der Fahrerlaubnisse für das Führen von Traditionsschiffen …“. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3b SeeAufgG ermächtigt zum Erlass von Rechtsverordnungen über die „Art und Weise der Überprüfung der Befähigung und Eignung, insbesondere durch die Abnahme von Prüfungen, sowie das Verfahren“. Auf Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 1Nr. 3c SeeAufgG können Rechtsverordnungen erlassen werden über „die Voraussetzungen und das Verfahren, nach denen[…] Nachweise über Befähigungen im Schiffsdienst und Fahrerlaubnisse für das Führen von Traditionsschiffen […] erteilt, entzogen oder deren Ruhen angeordnet […] werden …“. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SeeAufgG schließlich ermächtigt zum Erlass von Rechtsverordnungen über „die Zulassung, Überwachung, die Anforderungen, Bewilligungen, Prüfungen, Abnahmen, Regulierungen, Kompensierungen, Festlegungen, Erlaubnisse, Zeugnisse und Bescheinigungen im Sinne des § 1 Nummer 4 einschließlich der betrieblichen Abläufe und organisatorischen Vorkehrungen an Bord und an Land zur Gewährleistung eines sicheren Schiffsbetriebs.“ Zusätzlich zu den in der
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
grundlagen bestehen darüber hinaus keine Bedenken. Folglich ist SOLAS trotz des Fehlens eines Vertragsgesetzes durch die Rechtsverordnung wirksam in Kraft gesetzt worden und beansprucht damit Geltung im innerstaatlichen Rechtsraum. (cc) Rechtsfolge: SOLAS innerstaatlich mit Rang einer Rechtsverordnung Anders als MARPOL, LLC und STCW hat SOLAS allerdings dadurch, dass es durch eine Rechtsverordnung in Kraft gesetzt wurde, innerstaatlich nicht des Rang eines Bundesgesetzes, sondern den Rang einer Rechtsverordnung.47 Das gibt Anlass zu der Frage, ob dies eine Diskrepanz zur Umsetzungsverpflichtung aus SOLAS darstellt. Eine solche Diskrepanz bestände, wenn SOLAS die Umsetzung seiner Standards innerstaatlich mit dem Rang eines Gesetzes verlangte. Generell ist es möglich, dass ein Völkerrechtsübereinkommen seine Unterzeichnerstaaten48 dazu verpflichtet, das Übereinkommen auf eine bestimmte Art und Weise umzusetzen und ihm innerhalb der nationalen Normenhierarchie einen bestimmten Rang zuzuweisen.49 Insbesondere bei Menschenrechtskonventionen finden
Sache bereits seit 1965 bestehenden Ermächtigungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 SeeAufgG ist im Jahr 1994 (mit Gesetz vom 15. Juni 1994; BGBl. 1994 I, S. 1554) die Nr. 7 eingefügt worden. Diese Ermächtigungsgrundlage berechtigt zur „innerstaatliche[n] Inkraftsetzung und Ausführung sonstiger Regelungen“ durch die fortlaufend ergehenden MSC-Änderungsentschließungen zu SOLAS. Anlass für die Einführung von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SeeAufgG war, dass bis dato Änderungen von SOLAS nur dann in innerstaatliches Recht umgesetzt werden konnten, wenn der Regelungsgegenstand materiell-rechtlich unter eine der Ermächtigungen in Nr. 1 bis 6 des Abs. 1 Satz 1 von § 9 SeeAufgG subsumiert werden konnte. Der Grund dafür, dass allein für die innerstaatliche Inkraftsetzung von SOLAS-Änderungen eine eigenständige Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SeeAufgG geschaffen wurde, liegt darin, dass die korrespondierenden gesetzlichen Ermächtigungen für LLC, MARPOL und STCW bereits in die jeweiligen Zustimmungsgesetze zu diesen Übereinkommen aufgenommen wurden (BT-Drucks. 12/6153, S. 14). Ferner ermächtigt der 1980 (mit dem Gesetz zum Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976 über Mindestnormen auf Handelsschiffen, vom 28. April 1980; BGBl. 1980 II, S. 606) eingefügte (heutige) § 9c SeeAufgG allgemein zum Erlass von Rechtsverordnungen u. a. nach § 9 SeeAufgG zur Durchführung oder Umsetzung von „Verpflichtungen aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen“. Neben dem Zweck, die Umsetzung des Übereinkommens Nr. 147 zu ermöglichen, wurde § 9c SeeAufgG zugleich eingeführt, um die – um Zeitpunkt der Schaffung des Gesetzes absehbare – baldige Umsetzung des STCW-Übereinkommens zu ermöglichen (BT-Drucks 8/2898, S. 7 und 9). Soweit demnach die Umsetzung von Übereinkommen nicht bereits auf § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 SeeAufgG gestützt werden kann, kann sie folglich – innerhalb der inhaltlich durch die Auflistung der Rechtsbereiche in § 9 Abs. 1 Satz 1 SeeAufgG gesetzten Grenzen – heute jedenfalls auf Grundlage von § 9c SeeAufgG erfolgen. 47 Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, S. 212. Vgl. auch Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 198, 223. 48 Der Begriff „Unterzeichnerstaat“ wird in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die maritimen Übereinkommen gleichbedeutend für den Begriff „Vertragspartei“ i.S.v. Art. 31 WVRK verwendet (dazu bereits in Fn. 26 und 112). 49 Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWGVertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 61.
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sich derartige Verpflichtungen.50 Bei SOLAS ist für eine solche Verpflichtung hingegen nichts ersichtlich. Insbesondere lässt sich eine solche Verpflichtung nicht ohne weiteres daraus herleiten, dass SOLAS die „volle Wirksamkeit“51 seiner Normen verlangt. Somit stellt die Umsetzung von SOLAS auf der Ebene einer Rechtsverordnung grundsätzlich kein Umsetzungsdefizit dar. Probleme können lediglich entstehen, sofern eine innerstaatliche Vorschrift mit Gesetzesrang in Widerspruch zu einem Standard von SOLAS stände.52 Einem Umsetzungsdefizit könnte in diesem Fall jedoch durch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung53 des entsprechenden Gesetzes begegnet werden. (3) Zwischenergebnis Damit sind sowohl LLC, MARPOL und STCW, als auch SOLAS innerstaatliche wirksam in Kraft gesetzt und beanspruchen im deutschen Rechtsraum mit Gesetzesbzw. Verordnungsrang Geltung (Art. 20 Abs. 3 GG). (4) Annex: Der geltende Text der Übereinkommen Im 1. Teil der vorliegenden Arbeit wurde festgestellt, dass der Inhalt der authentischen Texte der maritimen Übereinkommen in dem Wortlaut der amtlichen deutschen Übersetzungen zum Teil nur ungenügend zum Ausdruck kommt. Dies betrifft etwa die Ausnahmeregelung in Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS und Art. III d) STCW, die in den deutschen Übersetzungen lautet „Holzschiffe einfacher Bauart“, korrekter Weise aber „Holzschiffe ursprünglicher, historisch überlieferter Bauart“ lauten sollte.54 Diese Feststellung wirft im Rahmen der Umsetzung der maritimen Übereinkommen die Frage auf, welcher Text der Übereinkommen mit welchem Bedeutungsgehalt im deutschen Rechtsraum gilt. Nach der Rechtsprechung ist im deutschen Recht grundsätzlich die amtliche deutsche Übersetzung eines Vertragstextes heranzuziehen, da der Gesetzgeber dem
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Ebenda. Art. I a) Satz 1, b) SOLAS. 52 Zur Kollision von Normen völkerrechtlicher Verträge mit höherrangigem innerstaatlichen Recht vgl. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 236 Rn. 26. 53 Das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung verlangt unter mehreren, nach der Auslegung einer Vorschrift möglichen Deutungen diejenige zu wählen, welche den Anforderungen des Völkerrechts am ehesten gerecht wird. Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 24, Rn. 3. 54 Siehe dazu im 1. Teil der Arbeit unter Punkt A. I. 4. c) (1) und zur ungenauen Übersetzung im deutschen Vertragstext von SOLAS insbesondere in Fn. 183. 51
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Zustimmungsgesetz den Inhalt des Vertrages zugrunde gelegt habe, der dieser deutschen Übersetzung zu entnehmen ist.55 Damit ist indes noch keine abschließende Aussage darüber getroffen, welcher Bedeutungsgehalt maßgeblich ist. Völkerrechtlich sind gemäß Art. 33 Abs. 1 WVRK die Inhalte maßgeblich, wie sie sich aus den authentischen Vertragstexten ergeben.56 Da aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich die Vermutung besteht, dass der Gesetzgeber sich nicht in Widerspruch zu völkerrechtlichen Vorgaben setzen will57, wird die amtliche deutsche Übersetzung eines Vertragstextes in Fällen, in denen sie den Bedeutungsgehalt eines authentischen Vertragstextes ungenau zum Ausdruck bringt, im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung58 anzuwenden sein. Das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung verlangt unter mehreren, nach der Auslegung einer innerstaatlichen Vorschrift möglichen Deutungen diejenige zu wählen, die den Anforderungen des Völkerrechts am ehesten gerecht wird.59 Dementsprechend ist die deutsche Übersetzung in Bezug auf ihren maßgeblichen Bedeutungsgehalt im Lichte des authentischen Vertragstextes auszulegen. Es gilt mithin im deutschen Rechtsraum durch das Zustimmungsgesetz formal der Text der amtlichen deutschen Übersetzungen der maritimen Übereinkommen, die jedoch ggf. – etwa in Bezug auf die Ausnahmeregelungen in Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS und Art. III d) STCW – im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung und demgemäß mit dem den authentischen Vertragstexten zu entnehmenden Bedeutungsgehalten anzuwenden sind. b) Innerstaatliche Anwendung der Übereinkommen Sind SOLAS, LLC, MARPOL und STCW damit Bestandteil der innerdeutschen Rechtsordnung, ist weiter zu prüfen, ob sie von der deutschen Schifffahrtsverwaltung 55 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2. Dezember 2010-2 UF 172/10 –, Rn. 21, zitiert nach juris. OVG Münster, Urteil vom 9. Oktober 2007-15 A 1596/07 –, Rn. 42, zitiert nach juris. Heintschel von Heinegg spricht insoweit von der „Einbeziehungsfunktion“ des Zustimmungsgesetzes: „… den amtlichen Übersetzungen [kann, d. Verf.] innerstaatlich aufgrund der Einbeziehungsfunktion des Zustimmungsgesetzes rechtliche Bedeutung zukommen.“ (Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 23.). Geiger sieht die amtliche deutsche Übersetzung, sofern der deutsche Text nicht zugleich ein authentischer Vertragstext ist, als „Ausgangspunkt zur Ermittlung des Wortsinns des betreffenden Vertrags“ (Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 36 V.2.). 56 Siehe dazu im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. I. 4. c) (1) (a). 57 BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987-2 BvR 589/79 –, Rn. 35, zitiert nach juris. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 236 Rn. 26. 58 Siehe dazu auch zuvor in Fn. 453. 59 Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 226 Rn. 36. Koenig/König, in: von Mangoldt u. a., Kommentar zum Grundgesetz, Art. 25 Rn. 12. Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 24, Rn. 3. Anschaulich die Beispiele bei Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 36 V.2.
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und den deutschen Gerichten auch wie originäres nationales Recht anzuwenden sind.60 Bleibt es bei der innerstaatlichen Geltung einer Völkerrechtsnorm, so wirkt die Norm lediglich als ein Auftrag an den nationalen Gesetzgeber, die innerstaatliche Rechtslage an das Völkerrecht anzupassen.61 Um auch die innerstaatliche Anwendung der Norm herbeizuführen, d. h. ihre Beachtung von den Staatsgewalten und den einzelnen Normadressaten, muss ein entsprechender Rechtsanwendungsbefehl durch das Bundesrecht dazutreten.62 Somit ist zu prüfen, ob für die maritimen Übereinkommen im deutschen Recht ein Rechtsanwendungsbefehl besteht. Sofern der Inhalt einer Völkerrechtsnorm in eine Norm des nationalen Rechts übernommen wird – sei es durch eine Form der textlichen Einarbeitung in das nationale Recht oder durch entsprechend angepasste Verweise auf die Völkerrechtsnorm –, wird er damit in das nationale Recht überführt und ist infolgedessen innerstaatlich anwendbar.63 Ist eine Übernahme in dieser Form nicht erfolgt, so wirkt eine Völkerrechtsnorm zum einen dann im innerstaatlichen Rechtsraum, wenn sie unmittelbar anwendbar („self-executing“) ist, d. h. wenn sie von sich aus hinreichend klar und bestimmt ist, sodass sie zur Anwendung keiner konkretisierenden Ausführungsbestimmungen bedarf.64 In diesem Fall genügt die innerstaatliche Geltung für eine vollständige Umsetzung, da die Norm bereits von sich aus dazu geeignet ist, unmittelbar im nationalen Rechtsraum zu wirken. Der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl ergibt sich für unmittelbar anwendbare Normen des Völkerrechts direkt aus dem Zustimmungsgesetz65, freilich ohne, dass dies im Wortlaut des jeweiligen Zustimmungsgesetzes besonders ausgedrückt würde.66 Nachfolgend wird, ausgehend von dieser Grundlage, an erster Stelle geprüft, ob und ggf. inwieweit SOLAS, LLC, MARPOL und STCW ausdrücklich in das nationale Recht überführt worden sind. Falls bzw. soweit dies nicht der Fall ist, wird weiter zu untersuchen sein, ob und inwieweit die Normen der Übereinkommen ggf. self-executing sind. 60
Bei genauer Betrachtung ist die Frage, ob eine Völkerrechtsnorm von den Staatsgewalten zu beachten ist (d. h. ob sie „anwendbar“ ist), zu trennen von der Frage, ob sich der Einzelne auch auf die Norm berufen kann bzw. sie durch den Einzelnen zu befolgen ist (siehe dazu auch nachfolgend unter Punkt (3) (a)). Für Letzteres ist neben der Eignung der Norm zur unmittelbaren Anwendung zusätzlich Voraussetzung, dass die Auslegung der Norm den Schluss auf ihre Drittgerichtetheit rechtfertigt oder dass der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl für die Norm eine entsprechende Bestimmung enthält (Heintschel von Heinegg, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 25 Rn. 17.). 61 BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 1987-1 A 94/86 –, Rn. 10, zitiert nach juris. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 34 I.1. Vgl. auch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 550 f. 62 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 29 II.2. und 3. 63 Vgl. Seibert-Fohr, ZaöRV 2002, 391 (403 und 411 f.). 64 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 34 I.1. 65 BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014-2 BvR 450/11 –, Rn. 35, zitiert nach juris. 66 Menzel/Rauschning, in: Waldhoff u. a., Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59, Rn. 115 m.w.N.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
(1) Die Funktion des Seearbeitsgesetzes und weiterer Rechtsverordnungen Materiell-rechtliche Anforderungen an die Ausbildung und Befähigung von Seeleuten, die vorrangig in Bezug zu den Standards von STCW stehen, enthalten im deutschen Recht v. a. die Seeleute-Befähigungsverordnung und einzelne Vorschriften des Seearbeitsgesetzes sowie inhaltlich ergänzend die See-Berufsausbildungsverordnung und die Maritime-Medizin-Verordnung. Ferner enthält die Schiffsbesetzungsverordnung Vorgaben über die notwendige Besetzung von Schiffen. (a) Überführung materiell-rechtlicher Standards von STCW in Bezug auf die Schiffsbesatzung (aa) SeeArbG Bestimmte Vorschriften des Seearbeitsgesetzes regeln Grundsätze der Befähigungsanforderungen an Seeleute. So darf nach § 23 Satz 1 SeeArbG als Besatzungsmitglied nur tätig sein, wer Inhaber der – (u. a.) nach STCW – erforderlichen Befähigungszeugnisse, Befähigungsnachweise und sonstigen Qualifikationsbescheinigungen ist. Konkret ist bspw. in § 5 Abs. 2 SeeArbG vorgeschrieben, dass der Kapitän eines Schiffes Inhaber eines staatlichen Befähigungszeugnisses sein muss, das ihn zur Schiffsführung berechtigt. Mit dieser Regelung werden bspw. die Anforderungen von Art. VI Abs. 1 i.V.m. Regel II/2 Abs. 1 STCW im nationalen Recht vollzogen, die (summarisch) vorgeben, dass dem Kapitän eines Schiffes nur dann ein Befähigungszeugnis ausgestellt werden darf, wenn dieser die entsprechenden Anforderungen aus STCW erfüllt. § 43 SeeArbG normiert die Arbeitszeiten von zum Wachdienst bestimmten Besatzungsmitgliedern und führt damit Anforderungen v. a. aus Kapitel VIII STCW, etwa aus Regel VIII/1 STCW, aus, nach denen die Staaten Ruhepausen für zum Wachdienst eingeteiltes Personal vorsehen und durchsetzen müssen. (bb) See-BV, See-BAV und MariMedV Die Seeleute-Befähigungsverordnung überführt v. a. die für das Erlangen eines Befähigungsnachweises zu erfüllenden Mindestkompetenzstandards aus Teil A des STCW-Codes in nationales Recht. So regeln etwa §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 30 Abs. 1 SeeBV die Voraussetzungen für den Erwerb des Befähigungszeugnisses zum Nautischen Wachoffizier (u. a.) mit Verweis auf die Anforderungen der Abschnitte A-II/1, A-II/2, A-IV/2 und A-VI/4 STCW-Code. Die §§ 35, 36 See-BV normieren bspw. die Voraussetzungen für den Erwerb von Zeugnissen über die Befähigung zum GMDSSFunker unter Verweis auf den Abschnitt A-IV/2 STCW-Code.67 Ergänzend enthält die See-Berufsausbildungsverordnung Vorschriften über die berufspraktische Ausbildung sowie die Organisation und Abnahme von Prüfungen, 67 Eine genaue Übersicht, welche nach STCW vorgesehenen Befähigungsdokumente durch welche Vorschriften der See-BV geregelt werden, gibt Jörgens, in: Bubenzer/Jörgens, Praxishandbuch Seearbeitsrecht, S. 61 ff.
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womit etwa die Anforderungen der Abschnitte A-I/6 und A-I/8 STCW-Code im innerstaatlichen Recht vollzogen werden. Weitere Regelungen enthält die Maritime-Medizin-Verordnung, die etwa in Ausführung von Regel I/9 STCW – wonach jeder Staat Maßstäbe für die gesundheitliche Tauglichkeit der Seeleute zu normieren hat – in § 3 i.V.m. Anlage 1 (nationale) Anforderungen an die Seediensttauglichkeit aufstellt. (cc) SchBesV Die Schiffsbesetzungsverordnung regelt darüber hinaus in den §§ 5 bis 8, in Konkretisierung der insoweit allgemein gehaltenen Anforderung des § 21 Satz 1 SeeArbG68, die notwendige Anzahl, Befähigung und Eignung der auf einem Schiff zu gewährleistenden Besatzung sowie die Ausstellung des Schiffsbesatzungszeugnisses. Damit vollzieht sie innerstaatlich die Regeln V/14 Abs. 1, Abs. 2 und IV/16 Abs. 1 SOLAS69 sowie Regel I/14 Abs. 1.2 STCW, nach der alle Schiffe in Übereinstimmung mit den einschlägigen Anforderungen des Flaggenstaats hinsichtlich der Besatzung für einen sicheren Schiffsbetrieb besetzt sein und an Bord über ein Schiffsbesatzungszeugnis oder ein vergleichbares Dokument als Nachweis für die Mindestbesatzungsstärke verfügen müssen. (dd) Zwischenergebnis Nach alledem überführen die Seeleute-Befähigungsverordnung und einzelne Vorschriften des Seearbeitsgesetzes sowie der weiteren genannten Rechtsverordnungen die materiell-rechtlichen Inhalte von STCW sowie einzelne Regeln von SOLAS innerhalb ihres Anwendungsbereiches in das innerstaatliche Recht. Insoweit sind die entsprechenden materiell-rechtlichen Standards für von den Übereinkommen erfasste Traditionsschiffe unter der Bundesflagge auch innerstaatlich anzuwenden, i. e. verbindlich. (b) Nationaler Anwendungsbereich: „Kauffahrteischiffe“ Allerdings ist der Anwendungsbereich des Seearbeitsgesetzes sowie der im vorherigen Abschnitt benannten Rechtsverordnungen im Grundsatz auf den Dienst auf Kauffahrteischiffen70 begrenzt.71 Daraus folgt, dass das Seearbeitsgesetz und die 68 § 21 Satz 1 SeeArbG: „Der Reeder und der Kapitän haben unbeschadet der Vorschriften des Schiffssicherheitsgesetzes für eine nach Anzahl, Qualifikation und Eignung ausreichende Schiffsbesatzung zu sorgen, um unter allen Betriebszuständen einen sicheren, effizienten und gefahrlosen Schiffsbetrieb zu gewährleisten.“ 69 Nach Regel V/14 Abs. 1 SOLAS müssen alle Schiffe „ausreichend und sachgemäß besetzt“ sein. Gemäß Regel IV/16 Abs. 1 SOLAS muss jedes Schiff entsprechend den nationalen Anforderungen des jeweiligen Staates qualifiziertes Personal für die Abwicklung des Not- und Sicherheitsfunkverkehrs an Bord haben. 70 Als „Kauffahrteischiff“ wird ein Seeschiff bezeichnet, das zu unmittelbarem oder mittelbarem Erwerb durch Seefahrt bestimmt ist. Dazu im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. I. 4. d) (2) (b) (aa).
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
weiteren genannten Rechtsverordnungen die materiell-rechtlichen Standards von STCW für Kauffahrteischiffe ins innerstaatliche Recht überführen und damit in Bezug auf Traditionsschiffe nur insoweit, als diese von dem Begriff des „Kauffahrteischiffes“ erfasst sind. Das betrifft Traditionsschiffe, mit deren Betrieb in Form der Anbordnahme von Personen finanzielle Überschüsse (Gewinn) erwirtschaftet werden, die zur Finanzierung des Lebensunterhaltes des Schiffsbetreibers oder anderer Personen verwendet werden; d. h. die gewerblich betrieben werden.72 In Bezug auf Traditionsschiffe, die keine Kauffahrteischiffe i.S.d. der genannten nationalen Regelwerke darstellen, gleichwohl aber von STCW als Regelungsgegenstand erfasst sind – das betrifft Traditionsschiffe, mit deren Betrieb (Anbordnahme von Personen) Einnahmen erwirtschaftet werden, die zwar unterhalb der Schwelle der Gewerblichkeit liegen, aber dennoch in der Höhe mehr als die durch die jeweilige Fahrt verursachten Aufwendungen abdecken73 – werden die materiellrechtlichen Standards von STCW mithin nicht durch das Seearbeitsgesetz und die dieses inhaltlich ergänzenden Rechtsverordnungen in das innerstaatliche Recht überführt.74 (2) Bestehen eines innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls für SOLAS, LLC und MARPOL (sowie STCW im Übrigen) Weiter ist zu prüfen, ob das deutsche Recht auch die materiell-rechtlichen Inhalte von SOLAS, LLC und MARPOL (sowie STCW über die durch das SeeArbG und die ergänzenden Rechtsverordnungen ins nationale Recht überführten Anforderungen 71 Ausdrücklich § 1 Abs. 1 Satz 1 SeeArbG und § 1 Abs. 1 SchBesV. Die SeeBV regelt nach § 1 Nr. 1 die Befähigung der Seeleute für den Dienst auf Kauffahrteischiffen, wobei sie inhaltlich durch die Anforderungen an die jeweiligen Berufsausbildungen, wie sie in der SeeBAV geregelt sind, ergänzt wird. Die MariMedV regelt (neben anderem) die Anforderungen zur Ausstellung des nach § 12 Abs. 1 SeeArbG erforderlichen Seediensttauglichkeitszeugnisses. 72 Dazu im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. I. 4. d) (2) (b) (bb) und (cc). 73 Traditionsschiffe, die mit Fahrten, bei denen sie gegen Entgelt Personen an Bord nehmen, Einnahmen erwirtschaften, die in der Höhe über die unmittelbar durch die jeweilige Fahrt verursachten Aufwendungen hinausgehen, stellen keine „Vergnügungsjacht“ i.S.d. maritimen Übereinkommen dar und werden somit nicht von der Ausnahmeregelung für „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ in Art. III c) STCW erfasst. Siehe dazu ausführlich im 1. Teil unter Punkt A. I. 4. d) (3) sowie unter Punkt A. III. 2. c. 74 Abseits des SeeArbG und v. a. der SchBesV sind Besetzungsvorgaben für Traditionsschiffe (im Sinne der Definition im deutschen Recht) allerdings in Kapitel 1 Regel 12.1 Satz 1 von Teil 3 der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV i.V.m. § 11 SportSeeSchV normiert. Dazu inhaltlich noch nachfolgend unter Punkt C. II. 2. b) (3). Im Grundsatz erfolgt durch diese Vorschriften die Umsetzung von STCW auch für Traditionsschiffe (im Sinne der Definition im deutschen Recht), die nicht als Kauffahrteischiff einzuordnen sind. Ob jedoch die Besetzungsvorgaben nach § 11 SportSeeSchV die entsprechenden materiell-rechtlichen Anforderungen von STCW tatsächlich hinreichend im nationalen Recht realisieren oder aber in der Sache hinter diesen zurückbleiben, wird von Beuse kritisch beurteilt (Beuse, Ausbildung auf Traditionsschiffen, S. 29 und S. 58 ff.).
A. Traditionsschiffe in internationaler Fahrt
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hinaus) ins innerstaatliche Recht überführt bzw. ob insoweit ein hinreichender Rechtsanwendungsbefehl besteht. (a) Rechtsanwendungsbefehl im SchSG? Ein Anwendungsbefehl könnte sich aus dem Schiffssicherheitsgesetz als dem maßgeblichen innerstaatlichen Regelwerk zur Schiffssicherheit ergeben. Völkerrechtliche Normen werden an erster Stelle in § 1 Abs. 1 SchSG erwähnt. Dieser bestimmt, dass „bei der Durchführung der jeweils geltenden internationalen Regelungen zur Schiffssicherheit und zum Umweltschutz auf See“
die Maßnahmen75 des SchSG zu beachten sind. Um welche Vorschriften es sich bei den „geltenden internationalen Regelungen …“ handelt, bestimmt der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 Satz 1 SchSG, der auf die Anlage zum SchSG verweist. SOLAS, MARPOL, LLC und STCW sind im Abschnitt A. dieser Anlage zum SchSG genannt.76 Das gibt Anlass zu der Frage, ob die Nennung der maritimen Übereinkommen in der Anlage zum SchSG – ggf. im Zusammenhang mit dem Verweis in § 1 Abs. 1 SchSG – möglicher Weise als Rechtsanwendungsbefehl für die Übereinkommen fungiert. Nach der Konzeption des Gesetzgebers besteht der Sinn der Auflistung der verschiedenen Übereinkommen und sonstigen völkerrechtlichen Rechtstexte in der Anlage zum SchSG (lediglich) darin, dem Rechtsanwender Überblick und Orientierungshilfe zu geben.77 Nach einem Beschluss der Bundesregierung sollen „alle für Schiffsbetreiber in Deutschland gültigen internationalen Vorschriften an einer Stelle zusammengefaßt und an dieser Stelle fortgeschrieben werden, damit Reeder und Behörden jederzeit einen Überblick über das gültige Regelwerk haben“.78
Die Wortwahl, nach der alle „gültigen internationalen Vorschriften“79 zusammengefasst werden sollen, lässt erkennen, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Rechtsanwendungsbefehl für die Vorschriften bereits erteilt ist.80 Damit enthält
75 Der Begriff „Maßnahmen“ ist weiter, als „Regelungen“ oder „Vorschriften“. Er erfasst neben Handlungen auch Unterlassungen, Legislativakte und Präventivmaßnahmen. Vgl. dazu von Gerlach, Die Seesicherheitsuntersuchung, S. 35 f. und Fn. 174 m.w.N. 76 SOLAS wird genannt in Ziff. I., MARPOL in Ziff. II, das Freibord-Übereinkommen in Ziff. III und STCW in Ziff. VI des Abschnittes A. der Anlage zum SchSG. 77 So ausdrücklich in der Begründung zum Gesetzesentwurf des SchSG auf BR-Drs. 873/ 97, S. 22 f. und 31; auf S. 36 ist von einer „deklaratorischen Anknüpfung“ an die völkerrechtlichen Übereinkommen die Rede. 78 BT-Drucks. 13/8298, in Abschnitt III Nr. 3 unten (Seitenzahlen nicht vorhanden). 79 Hervorhebung durch Verf. 80 Auch Ehlers vertritt, dass „die Auflistung völkerrechtlicher Vorschriften und Normen (Abschnitte A und B der Anlage [zum SchSG, d. Verf.]) deren innerstaatliche Geltung vor-
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die Anlage zum SchSG keinen konstitutiven Rechtsanwendungsbefehl für die innerstaatliche Anwendung von SOLAS, MARPOL, LLC und STCW. In Betracht kommt weiter § 4 Satz 2 SchSG. Nach dieser Vorschrift sind bei der Erfüllung der Pflichten, die sich aus den die internationalen Regelungen umsetzenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften ergeben, „die in Abschnitt C der Anlage genannten Bestimmungen zugrunde zu legen“. Die Formulierung „zugrunde legen“ lässt dabei zwar an eine Anwendungsanordnung denken. Jedoch nennt die Anlage C zum SchSG lediglich von der IMO beschlossene Standards abseits der maritimen Übereinkommen. Auch § 4 Satz 2 SchSG enthält mithin keinen Rechtsanwendungsbefehl. Auch in den weiteren Vorschriften des SchSG findet sich keine Norm, die sich als Rechtsanwendungsbefehl für SOLAS, LLC, MARPOL und STCW heranziehen ließe.81 (b) Rechtsanwendungsbefehl in § 5 SchSV? Somit ist weiter zu prüfen, ob sich möglicher Weise ein Rechtsanwendungsbefehl aus der Schiffssicherheitsverordnung ergibt.82 Als Rechtsanwendungsbefehl kommt § 5 Abs. 1 SchSV in Betracht.83 Die Vorschrift bezieht sich auf den „Internationale[r][n] schiffsbezogene[r][n] Sicherheitsstandard“ und bestimmt: „Soweit internationale Regelungen, die in den Abschnitten A und C der Anlage zum Schiffssicherheitsgesetz aufgeführt sind, auf ein Schiff, das die Bundesflagge führt, anzuwenden sind, sind für dieses Schiff die jeweils einschlägigen Vorschriften dieser Regelungen und die in Abschnitt C der Anlage 1 enthaltenen Vorschriften einzuhalten.“
Indem sich § 5 Abs. 1 SchSV auf internationale Regelungen bezieht, die „in den Abschnitten A und C der Anlage zum Schiffssicherheitsgesetz aufgeführt sind“,
aussetzt und daher nur deklaratorischer Natur ist“. Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 1 SchSG, Rn. 10. 81 Jacobshagen geht demgegenüber davon aus, dass die internationalen Regelungen, die in der Anlage zum SchSG genannt sind, „durch das SchSG“ anwendbar werden (Jacobshagen, Seeschifffahrtsrecht und Öffentliches Seerecht, S. 209. Auch Jacobshagen/Solterbeck, Das neue Hafensicherheitsrecht, S. 29.). Unklar bleibt, welche Norm(en) des SchSG Jacobshagen dafür heranziehen möchte. 82 Anders als die Inkraftsetzungsanordung, welche die Geltung einer Völkerrechtsnorm herbeiführt und den Anforderungen von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG genügen muss (dazu unmittelbar zuvor unter Punkt 2. a.), kann die Anordnung zur innerstaatlichen Anwendung völkerrechtlicher Normen auch durch eine Rechtsverordnung gegeben werden. 83 § 5 SchSV ist durch eine Änderungsverordnung vom 7. März 2018 (BGBl. 2018 I, S. 237) umfassend überarbeitet worden. Der Absatz 1 von § 5 SchSV ist durch die Änderungsverordnung neu eingefügt worden.
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nimmt die Vorschrift SOLAS, LLC, MARPOL und (teilweise84) STCW in Bezug. Dabei bezieht sich die Vorschrift nach ihrem Wortlaut auf diejenigen Vorschriften, die „auf ein Schiff, das die Bundesflagge führt, anzuwenden sind“85. Damit dürften diejenigen Regelungen der Übereinkommen in Bezug genommen sein, die das jeweilige Schiff als Regelungsgegenstand erfassen und für das Schiff zwingend sind. Ist ein Schiff bspw. von einer Ausnahmeregelung eines Übereinkommens erfasst, so sind die Bestimmungen des Übereinkommens für das Schiff wohl keine Regelungen, die „anzuwenden sind“ i.S.v. § 5 Abs. 1 SchSV. Von den anzuwendenden Regelungen sind nach dem weiteren Wortlaut von § 5 Abs. 1 SchSV sodann die „jeweils einschlägigen Vorschriften“86 einzuhalten. Damit dürfte sich § 5 Abs. 1 SchSV auf die im Einzelfall anzuwendenden materiell-rechtlichen Standards eines Übereinkommens beziehen. Als Rechtsfolge bestimmt § 5 Abs. 1 SchSV, dass die „… Vorschriften dieser Regelungen … einzuhalten sind“87. Diese Anordnung enthält ohne Zweifel einen Rechtsanwendungsbefehl.88 Der Verordnungsgeber hat dies bestätigt: „… § 5 [ist, d. Verf.] die Grundregel für Schiffe […], die die Vorgaben der internationalen Verträge einhalten müssen […]. § 5 nimmt nicht mehr nur Bezug auf zusätzliche einzuhaltende innerstaatliche Regeln, sondern begründet zuerst die Verpflichtung, alle anwendbaren internationalen Normen einzuhalten.“89, 90
Somit besteht für SOLAS, LLC, MARPOL und STCW mit § 5 Abs. 1 SchSV grundsätzlich ein innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl. (c) Zweifel an der Rechtmäßigkeit von § 5 SchSV Fraglich ist jedoch, ob § 5 SchSV als Rechtsanwendungsbefehl für die deutsche Rechtsordnung mit seinem Inhalt genügt.
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Da unter A.VI. in der Anlage zum SchSG nur „Regel I/2 Absatz 11, I/4 und I/14 sowie (…) die Kapitel II bis VIII in Verbindung mit Regel I/1 der Anlage“ zum STCW-Übereinkommen aufgeführt sind, nimmt § 5 Abs. 1 SchSV STCW auch nur insoweit in Bezug. Zu Kapitel VIII der Anlage zum STCW-Übereinkommen ist unter A. VI.1 der Anlage zum SchSG zusätzlich Teil A Kapitel VIII STCW-Codes aufgeführt. Dazu Ehlers, Recht des Seeverkehrs, Anlage zum SchSG, Rn. 9. 85 Hervorhebung durch Verf. 86 Hervorhebung durch Verf. 87 Hervorhebung durch Verf. 88 Zum Ausdruck einer Verweisung in der Gesetzessprache vgl. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 33 ff. 89 Hervorhebung durch Verf. 90 Die zitierte Äußerung entstammt der Begründung des Verordnungsgebers in einem Entwurf (Fassung vom 16. August 2016) der späteren „Verordnung zur Änderung der schiffssicherheitsrechtlichen Vorschriften über Bau und Ausrüstung von Traditionsschiffen und anderen Schiffen, die nicht internationalen Schiffssicherheitsregeln unterliegen“ vom 7. März 2018, der nicht amtlich veröffentlicht worden ist.
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§ 5 Abs. 1 SchSV bezieht sich pauschal auf die „einschlägigen“ Vorschriften der „anzuwendenden“ internationalen Regelungen. Damit ist nicht auf einzelne Regelungen der Übereinkommen in ihrer Fassung zu einem bestimmten Zeitpunkt Bezug genommen. Vielmehr wurde eine dynamische Verweisung geschaffen, die sich auf die Regeln der Übereinkommen in ihrer (völkerrechtlich) jeweils geltenden Fassung und mit dem jeweiligen Begriffsverständnis der IMO bezieht.91 Diese Form der Verweisung bietet den Vorteil, dass sie nicht bei jeder Änderung der völkerrechtlichen Regeln angepasst werden muss, womit für den nationalen Verordnungsgeber erheblicher Novellierungsbedarf vermieden wird. Realiter ist mit der pauschalen Anwendungsanordnung jedoch inhaltlich nicht mehr geregelt, als es bei self-executing Vorschriften über den Anwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes der Fall wäre. Insbesondere für den einzelnen Rechtsanwender lässt § 5 Abs. 1 SchSV unbestimmt, welche internationalen Regelungen konkret „anzuwenden“ und welche Vorschriften „einschlägig“ sind. Die Verweisung begegnet infolgedessen Bedenken, soweit § 5 SchSV – wie jede Norm des innerstaatlichen Rechts – an innerstaatlichen Rechtmäßigkeitsmaßstäben zu messen ist. (aa) Anforderungen aus dem Rechtsstaatsprinzip und anderen Verfassungsgrundsätzen Konkret ergibt sich die Frage, ob § 5 Abs. 1 SchSV dadurch, dass er vom Rechtsanwender nicht nur die Befassung mit der nationalen Norm, sondern durch die Pauschalität des Verweises auch die Befassung mit dem gesamten Text der Übereinkommen – in ihrer jeweiligen Fassung – verlangt, mit dem innerstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz sowie dem daraus abzuleitenden Gebot der Rechtsklarheit und dem Vertrauensgrundsatz in Einklang steht.92 Der Vertrauensgrundsatz als Ausfluss der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Rechtssicherheitsmaxime ist ein allgemeines rechtsstaatliches Gebot bei jedem Eingriff in Grundrechte.93 Soweit er sich aus dem Bestimmtheitsgrundsatz i.S.d. Gebots der Normenklarheit ableitet, fordert er, dass Normen so gefasst sein müssen, dass der Normadressat den Inhalt der ihn betreffenden rechtlichen Regelungen mit hinreichender Sicherheit aus der Norm selbst heraus feststellen kann.94 Gesetze 91 Zur Definition und Unterscheidung einer dynamischen Verweisung von einer starren Verweisung vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 – 1 BvR 786/70 –, Rn. 61, zitiert nach juris. 92 Zum Gebot der Klarheit und Bestimmtheit als Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips an das Gesetz siehe Stern, Staatsrecht, Band I, S. 829 ff. 93 BVerfG, Beschluss vom 15. November 1967 – 2 BvL 7/64 –, Rn. 65, zitiert nach juris. Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 2 BvR 1631/90 –, Rn. 45, zitiert nach juris. 94 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20, VII. Rn. 53. Vgl. auch BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 – 1 BvL 19/75 –, Rn. 99, zitiert nach juris, für die Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereichs einer Rechtsvorschrift.
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müssen daher inhaltlich hinreichend klar und verständlich sein, damit rechtliche Entscheidungen für den Bürger vorhersehbar sind.95 Dabei nimmt es gesetzlichen Vorschriften noch nicht die geforderte Bestimmtheit i.S.d. erforderlichen Normklarheit und Justiziabilität, wenn der Gesetz- oder Verordnungsgeber der Auslegung fähige und der Konkretisierung bedürftige Ausdrücke verwendet.96 Normen müssen jedoch in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so bestimmt formuliert sein, dass der Normadressat die Rechtslage erkennen und sein Verhalten danach ausrichten kann.97 Zudem müssen auch der Verwaltung angemessen klare Handlungsmaßstäbe vorgeben werden und eine hinreichende gerichtliche Kontrolle der Norm möglich sein.98 Die Anforderung, nach welcher der Normadressat aus der Norm selbst heraus die Möglichkeit haben muss, die Rechtslage zu erkennen, bedeutet indes nicht, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber zur Bestimmung gesetzlicher Tatbestände nicht – auch dynamisch – auf vorhandene Vorschriften zurückgreifen und auf diese verweisen dürfte.99 Verweisungen sind als vielfach übliche und notwendige gesetzestechnische Methode in der Rechtsprechung anerkannt.100 Dabei steht es dem zuständigen Gesetzgeber grundsätzlich auch frei, auf fremdes, nicht von ihm formuliertes und in Kraft gesetztes Recht eines anderen Kompetenzbereiches bzw. Normgebers zu verweisen (sog. Außenverweisung101), da eine solche Verweisung rechtlich lediglich den Verzicht bedeutet, den Text der in Bezug genommenen Vorschriften in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufzunehmen.102, 103 95
Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20, VII. Rn. 53. BVerfG, Beschluss vom 4. April 1967 – 1 BvR 126/65 –, Rn. 51, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 1973 – 1 BvR 153/69 –, Rn. 27, zitiert nach juris. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 – 1 BvL 19/75 –, Rn. 103, zitiert nach juris. 97 BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1967 – 1 BvR 169/63 –, Rn. 17, zitiert nach juris. Stern, Staatsrecht, Band I, S. 830. 98 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20, VII. Rn. 58. 99 BVerfG, Beschluss vom 15. November 1967 – 2 BvL 7/64 –, Rn. 69, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 – 1 BvR 786/70 –, Rn. 60, zitiert nach juris. Karpen hingegen lehnt dynamische Verweisungen „aus Gründen mangelnder Gesetzesbestimmtheit“ grundlegend als verfassungswidrig ab: Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 161 f. 100 BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1969 – 2 BvF 1/64 –, Rn. 105 und 109, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 – 1 BvR 786/70 –, Rn. 60, zitiert nach juris. 101 Zum Begriff der „Außenverweisung“ und anderen Begriffen im Zusammenhang mit Gesetzesverweisungen siehe LG Frankfurt, Beschluss vom 31. Oktober 2016 – 5/12 KLs 9/ 16 –, Rn. 8 m.w.N., zitiert nach juris. 102 BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1969 – 2 BvF 1/64 –, Rn. 110, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 – 1 BvR 786/70 –, Rn. 60, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1988 – 2 BvL 26/84 –, Rn. 16, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 1 BvL 8/10 –, Rn. 75, zitiert nach juris. 103 Kritisch wird es hingegen beurteilt, wenn sich eine Verweisung dynamisch auf Normen eines fremden Normgebers bezieht. Im Schrifttum wurden für diesen Fall früh erhebliche Bedenken geäußert mit der Begründung, dass eine dynamische Verweisung bei fehlender 96
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Gleichwohl müssen der durch die Verweisung auf eine Bezugsnorm geschaffenen Zusammenhang und der dadurch entstandene Regelungsinhalt dem Gebot der Rechtsklarheit entsprechen.104 Dafür muss die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lassen, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen, und die in Bezug genommenen Vorschriften müssen dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung in deutscher Sprache zugänglich sein.105 Für die hinreichende Bestimmtheit muss die Verweisungsnorm verdeutlichen, welche Vorschriften der Bezugsnormen im Einzelnen maßgebend sein sollen, wofür die Vorschriften – zumindest dem Gegenstand nach – präzise bezeichnet sein müssen.106 Besonders kritisch stellen sich vor diesem Hintergrund Verweisungen auf im Einzelnen nicht näher bezeichnete Gesamtheiten von Vorschriften dar, insbesondere, wenn diese in hohem Maße unübersichtlich sind. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa die hinreichende Bestimmtheit einer Bundesnorm verneint, welche pauschal das in den Bundesländern zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Sachmaterie geltende Recht in Bezug genommen hatte.107 Das Recht, auf das verwiesen wurde, gehörte dabei, so das Bundesverfassungsgericht, „zu den unübersichtlichsten Rechtsmaterien“ und beruhe „auf einer Vielzahl einzelner Vorschriften“.108 Zwar fordert der Bestimmtheitsgrundsatz nicht, dass der Inhalt gesetzlicher Vorschriften dem Bürger grundsätzlich ohne jegliche Zuhilfenahme Identität der Normgeber zur versteckten Verlagerung von Kompetenzen führe und deshalb unter bundesstaatlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten unzulässig sei (Zuerst namentlich Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (404 ff.). Zum Meinungsstand heute vgl. Sachs, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 123a m.w.N. und Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20, VII. Rn. 55.). Die Rechtsprechung hat sich den Bedenken angeschlossen (Offengelassen noch in BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 – 1 BvR 786/70 –, Rn. 62, zitiert nach juris.). Wenn ein Gesetzgeber sich einer dynamischen Verweisung bediene, könne dies dazu führen, dass er den Inhalt seiner Vorschriften nicht mehr in eigener Verantwortung bestimme und damit der Entscheidung Dritter überlasse. Der Gesetzgeber dürfe jedoch nicht in unzulässiger Weise auf seine Rechtssetzungsbefugnis verzichten. Damit seien dynamische (Außen-) Verweisungen zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber nur in dem Rahmen zulässig, den die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit zögen, wobei grundrechtliche Gesetzesvorbehalte diesen Rahmen zusätzlich einengen könnten. (Für alles Vorstehende: BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1988 – 2 BvL 26/84 –, Rn. 16, zitiert nach juris. Bestätigt durch BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 1 BvL 8/10 –, Rn. 75, zitiert nach juris.). 104 BVerfG, Urteil vom 30. Mai 1956 – 1 BvF 3/53 –, Rn. 16, zitiert nach juris. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20, VII. Rn. 55. 105 BVerfG, Urteil vom 30. Mai 1956 – 1 BvF 3/53 –, Rn. 16, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 15. November 1967 – 2 BvL 7/64 –, Rn. 69, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1969 – 2 BvF 1/64 –, Rn. 111, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 – 1 B. vR 786/70 –, Rn. 60, zitiert nach juris. 106 BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1969 – 2 BvF 1/64 –, Rn. 111, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1988 – 2 BvL 26/84 –, Rn. 16, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 1 BvL 8/10 –, Rn. 75, zitiert nach juris. 107 BVerfG, Urteil vom 30. Mai 1956 – 1 BvF 3/53 –, Rn. 16, zitiert nach juris. 108 BVerfG, Urteil vom 30. Mai 1956 – 1 BvF 3/53 –, Rn. 18, zitiert nach juris.
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juristischer Fachkunde erkennbar sein muss.109 Wenn aber dem Normadressaten ohne Zuhilfenahme ganz spezieller Kenntnisse, die ggf. bei den mit der entsprechenden Sache befassten Verwaltungsbehörden und Gerichten, nicht aber beim Normadressaten vorausgesetzt werden können, die Ermittlung dessen, was er beachten soll, nicht möglich ist, so genügt die Verweisungsnorm den Anforderungen der Rechtssicherheit nicht.110 (bb) Beurteilung von § 5 Abs. 1 SchSV § 5 Abs. 1 SchSV verweist dynamisch auf Normen der IMO und damit als sog. Außenverweisung auf Normen eines vom deutschen Gesetzgeber verschiedenen Normgebers. Jenseits der Problematik, ob § 5 Abs. 1 SchSV der damit verbundenen Verlagerung von Rechtssetzungsbefugnissen wegen unter bundesstaatlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten verfassungsrechtlich zulässig ist111, stellt sich die Frage, ob die Verweisung dem innerstaatlichen Gebot der Rechtsklarheit und dem Vertrauensgrundsatz genügt. Der Verweis bezieht sich pauschal auf alle „einschlägigen Vorschriften“ der „anzuwendenden internationalen Regelungen“. Damit ist die Gesamtheit der Normen aus SOLAS, LLC, MARPOL und STCW in Bezug genommen, womit es dem Rechtsunterworfenen selbst überlassen bleibt zu bestimmen, welche internationalen Regelungen auf ihn „anzuwenden“ sind und welche Vorschriften danach für ihn konkret „einschlägig“ sind. Zwar sind die Texte von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW ordnungsgemäß in deutscher Sprache allgemein zugänglich veröffentlich worden. Die jeweilige amtliche deutsche Übersetzung der Übereinkommen ist dem Zustimmungsgesetz bzw. bei SOLAS der Zustimmungsverordnung als Anlage beigefügt und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Die entsprechenden Fundstellen der amtlichen deutschen Übersetzung können der Auflistung der Übereinkommen im Abschnitt A der Anlage zum SchSG entnommen werden und sind damit für den Rechtsanwender jederzeit ohne weiteres zugänglich. Allein angesichts des schieren Umfangs der maritimen Übereinkommen erscheint es jedoch fraglich, ob der Rechtsanwender ohne Zuhilfenahme spezieller Kenntnisse in der Lage sein kann zu bestimmen, welche Vorschriften der Bezugsnormen im Einzelnen für ihn maßgebend sein sollen. Schon die materiell-rechtlichen Anforderungen von SOLAS etwa sind in einer Anlage mit einem Umfang von über 300 Seiten enthalten. Zusätzlich werden die Übereinkommen durch eine immer größer werdende Anzahl von sog. soft-law Regelwerken mit unterschiedlicher Verbindlichkeit ergänzt und konkretisiert. Zusätzlich zu den Texten der Übereinkommen obliegt es dem Rechtsunterworfenen damit, sich mit den Texten der softlaw Regelwerke zu befassen. 109 110 111
BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 – 2 BvL 9/08 –, Rn. 102, zitiert nach juris. BVerfG, Urteil vom 30. Mai 1956 – 1 BvF 3/53 –, Rn. 23, zitiert nach juris. Siehe zu dieser Problematik die Hinweise in Fn. 503.
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Hinzu kommt – wenn auch in unterschiedlichem Maß – die Unübersichtlichkeit der maritimen Übereinkommen. Um die Übereinkommen soweit als möglich fortlaufend an die sich verändernden realen Gegebenheiten anzupassen, werden insbesondere die materiell-rechtlichen Anforderungen von SOLAS, aber etwa auch von MARPOL, kontinuierlich geändert und aktualisiert. Da nicht alle Änderungen rückwirkend, d. h. auch auf Bestandsschiffe, Anwendung finden sollen, werden für neue oder veränderte Anforderungen oftmals Stichtagsregelungen oder andere Übergangsbestimmungen vorgesehen. Durch die über viele Jahrzehnte angewachsenen Veränderungen mit inzwischen zahlreichen, unterschiedlichsten Übergangsbestimmungen, die teilweise ihrerseits noch einmal mit Rückausnahmen versehen sind, ist (insbesondere) bei SOLAS und teilweise auch bei MARPOL eine zum Teil nur noch schwer überschaubare innere Systematik entstanden.112 Einfluss hat ferner der Charakter von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW als völkervertragliche Regelungen. Zum einen sind Regelungen des Völkervertragsrechtes für ihre Gültigkeit auf den Konsens aller beteiligten Staaten angewiesen. Um diesen Konsens zum Vertragsschluss zu erreichen wird aus politischen Gründen nicht selten in der (bewussten) Formulierung unbestimmter oder mehrdeutiger Begriffe Zuflucht genommen, um verbleibende Uneinigkeiten zu bereinigen.113 Zum anderen kommt ein völkerrechtlicher Vertrag stets unter der Berücksichtigung der Rechtsordnungen einer Vielzahl von Staaten zustande.114 Dafür müssen in den Texten völkerrechtlicher Verträge Begriffe verwendet werden, die offen genug sind, um in unterschiedliche Rechtsordnungen umsetzbar zu sein. Beide Charakteristika völkerrechtlicher Verträge finden sich auch in SOLAS, LLC, MARPOL und STCW. Sie zeigen sich beispielsweise darin, dass einzelne Begriffe zur Bestimmung des Anwendungsbereiches der Übereinkommen so offen sind, dass sie bereits zwischen den Staaten unterschiedlich interpretiert werden.115 Aus Regelungen, die solche unbestimmten Begriffe enthalten, kann der Rechtsunterworfene ihn eventuell betreffende Rechtsfolgen ohne eine innerstaatliche Konkretisierung kaum ableiten. Insgesamt sprechen somit erhebliche Bedenken dagegen, dass § 5 Abs. 1 SchSV für den Rechtsanwender aus sich selbst heraus hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschriften von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW im Einzelnen gelten sollen. Es spricht mithin viel dafür, dass die Norm nicht mit dem innerstaatlichen Gebot der Rechtsklarheit sowie dem daraus abzuleitenden Vertrauensgrundsatz in Einklang steht.
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Vgl. etwa zur Bestimmung der auf Traditionsschiffe anzuwendenden materiell-rechtlichen Standards von SOLAS im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. II. 113 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 481 f. 114 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 553 Fn. 36. 115 So bspw. bei der Ausnahmeregelung für „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ in Regel I/ 3a lit. iii) SOLAS. Dazu unter Punkt A. I. 4. b) im 1. Teil der Arbeit.
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(d) Zwischenergebnis Nach alledem stellt sich § 5 Abs. 1 SchSV als Rechtsanwendungsbefehl für SOLAS, LLC, MARPOL und STCW als problematisch dar, da erhebliche Bedenken bestehen, ob § 5 Abs. 1 SchSV dem innerstaatlichen Rechtmäßigkeitsmaßstab genügt. (3) Eignung der maritimen Übereinkommen zur unmittelbaren Anwendbarkeit Indes käme es auf § 5 Abs. 1 SchSVals innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl für SOLAS, LLC, MARPOL und STCW gar nicht an, wenn die Übereinkommen ggf. von sich aus unmittelbar anwendbar („self-executing“) wären, sodass sich der Anwendungsbefehl bereits aus den Zustimmungsgesetzen bzw. – zu SOLAS – aus der Zustimmungsverordnung ergäbe. Folglich ist weiter zu prüfen, ob die Normen der maritimen Übereinkommen self-executing sind. (a) Maßstab für die unmittelbare Anwendbarkeit von Völkerrechtsnormen nach der Rechtsprechung und Literatur Nach der Rechtsprechung sind völkerrechtliche Normen self-executing, wenn sie „alle Eigenschaften besitzen, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muß, um berechtigen oder verpflichten zu können; die Vertragsbestimmung muß nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie eine innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sein“.116
Mit diesem, in ständiger Rechtsprechung der Obergerichte117 wiederholten Anspruch, dass eine Völkerrechtsnorm nach ihrem Wortlaut, Zweck und Inhalt ohne Ausführungsgesetzgebung geeignet und hinreichend bestimmt sein muss, um wie eine innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen, stellt die Rechtsprechung faktisch darauf ab, ob die Norm bei der Beurteilung eines Falles als
116 BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1970 – 1 BvL 7/66 –, Rn. 42, zitiert nach juris. Mehrfach bestätigt, zuletzt durch BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 BvR 637/09 –, Rn. 13, zitiert nach juris. 117 BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 1994 – 2 BvR 1193/93 –, Rn. 11, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 2001 – 1 BvR 1472/99 –, Rn. 7, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 –, Rn. 54, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2010 – 2 BvR 2485/07 –, Rn. 28, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 5. November 2013 – 2 BvR 1579/11 –, Rn. 12, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11 –, Rn. 35, zitiert nach juris. BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 1987 – 1 A 94/86 –, Rn. 10, zitiert nach juris. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1990 – 1 C 15/88 –, Rn. 9, zitiert nach juris. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1991 – 1 C 42/88 –, Rn. 14, zitiert nach juris.
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Obersatz für die Subsumtion eines Lebenssachverhaltes genutzt werden könnte, i. e. auf die Justiziabilität der Norm.118 Auch in der Literatur wird nach einhelliger Meinung zur Bestimmung des Charakters einer Völkerrechtsnorm als self-executing darauf abgestellt, ob die Norm nach ihrem Wortlaut, Zweck und Inhalt hinreichend klar und bestimmt ist in dem Sinne, dass sie zur innerstaatlichen Anwendung keiner Ausführungsvorschriften bedarf.119 Ausgeschlossen soll die unmittelbare Anwendbarkeit einer Völkerrechtsnorm erkennbar etwa dann sein, wenn die Vertragsparteien zur Verwirklichung der Norm innerstaatlich besondere „,vorgeschaltete‘ Maßnahmen“ treffen müssen.120 Dabei ist die Bestimmung, ob eine Völkerrechtsnorm subjektive Rechte Einzelner begründet oder individualwirksame Pflichten auferlegt, kein Kriterium für den Charakter einer Norm als self-executing, sondern eine grundsätzlich getrennt davon zu beantwortende Frage.121 Freilich setzt die Fähigkeit einer Norm, individuelle Rechte und Pflichten zu begründen, zuallererst voraus, dass die Norm hinreichend klar und bestimmt ist.122 Denn nur, wenn eine Völkerrechtsnorm dafür geeignet ist, unmittelbar innerstaatlich zu wirken, kann sich etwa ein Einzelner vor Gericht auf einen Anspruch auf Grundlage der Norm berufen oder kann von ihm auf Grundlage der Norm die Einhaltung einer Verpflichtung verlangt werden.123 Die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Völkerrechtsnorm ist mithin in einem ersten 118 Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 37. Vgl. auch Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 57 und 71 f. 119 Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWGVertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 44 ff. Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 59, Rn. 180. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 36 II.3.b]aa). Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 68. 120 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 36 II.3.b]aa). Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 68. 121 Heintschel von Heinegg, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 25 Rn. 17. Fastenrath/Groh, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 102. Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 69. Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 41. Kempen, in: von Mangoldt u. a., Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59, Rn. 95 Fn. 217. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 36 II.3.b]aa). Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 280 f. 122 Auch das Bundesverfassungsgericht lehnt in zwei Urteilen die Eignung einer Völkerrechtsnorm als Anspruchsgrundlage für Individualansprüche ab, weil es der Norm „bereits“ an der unmittelbaren Anwendbarkeit fehle: BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 2006 – 2 BvR 1476/03 –, Rn. 21, zitiert nach juris und BVerfG, Beschluss vom 13. August 2013 – 2 BvR 2660/ 06 –, Rn. 46, zitiert nach juris. 123 Instruktiv dazu auch Koller, der ausführt: „… Es lässt sich also kaum sagen, dass selfexecuting nur jene Staatsverträge seien, die keiner Ausführungsgesetzgebung bedürfen und Rechte und Pflichten Einzelner begründen. Praktisch traf dies bei den von den Gerichten beurteilten Fällen freilich durchwegs zu. Das liegt aber im Wesen der Sache. Denn die Gerichte hatten allemal Vorschriften völkerrechtlicher Verträge anzuwenden, auf die sich Einzelne zu ihren Gunsten berufen haben.“ (Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 75.)
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Schritt vor der (weiteren) Frage zu klären, ob die Norm darüber hinaus auch Rechte und Pflichten Einzelner begründet. Ob eine Völkerrechtsnorm den Regelungsanspruch hat, auf Sachverhaltskonstellationen in der innerstaatlichen Sphäre angewandt zu werden, ohne dass es noch zwischengeschalteter Maßnahmen der staatlichen Gewalt bedarf, muss sodann die Auslegung der Vorschrift im Einzelfall ergeben.124 (b) Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit Anhand des vorgenannten Maßstabes ist zu bewerten, ob Normen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW nach ihrem Wortlaut, Zweck und Inhalt ohne Ausführungsgesetzgebung geeignet und hinreichend bestimmt sind, um unmittelbar justiziabel zu sein. (c) Wortlaut (aa) Wortlaut der einzelnen Regeln Bei Auswertung des Wortlautes der Übereinkommen fällt einerseits auf, dass der ganz überwiegende Teil derjenigen Regeln, welche die materiell-rechtlichen Anforderungen regulieren, nicht die Staaten, sondern unmittelbar den jeweiligen Rechtsunterworfenen ansprechen – bei SOLAS, LLC oder MARPOL „Schiffe“, bei STCW (bestimmte) Seeleute. Dabei finden sich in SOLAS, LLC und MARPOL Formulierungen wie „Schiffe müssen … erfüllen“125, „Schiffe müssen mit … ausgerüstet sein“126, „Schiffe müssen … einhalten“127, „Schiffe müssen … entsprechen“128, „Schiffe dürfen nur wenn …“129 usw. Bei STCW findet sich in der Regel eine For124 Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art, 59, Rn. 180. Rojahn, in: von Münch/ Kunig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 37. Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 81. BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 BvR 637/09 -, Rn. 12, zitiert nach juris. 125 So z. B.: „Jedes Tankschiff, Chemikalientankschiff oder Gastankschiff mit einer Bruttoraumzahl von 10 000 und mehr muß … folgende Bedingungen erfüllen: …“ (Regel II-1/29 Abs. 16 SOLAS). Oder: „Um eine Verminderung des Freibords gegenüber dem früher erteilten nutzen zu können, haben vorhandene Schiffe alle Erfordernisse dieses Übereinkommens zu erfüllen.“ (Art. 4 Abs. 4 Satz 2 LLC). 126 Bspw.: „Mit Ausnahme des Absatzes 3 muss jedes Schiff mit einer Bruttoraumzahl von 400 und mehr, jedoch weniger als 10 000, mit einer Ölfilteranlage ausgerüstet sein, die Absatz 6 entspricht.“ (Regel I/14 Abs. 1 Satz 1 MARPOL). 127 Bspw.: „Bis zu diesem Datum müssen Schiffe … die Vorschriften der Regel 4 … einhalten.“ (Regel V/8 Abs. 2.2 Satz 3 MARPOL). 128 So z. B.: „Tankschiffe, die Mineralölerzeugnisse befördern … müssen den in den Regeln 10.2.1.4.4 und 10.10.2.3 vorgesehenen Vorschriften für Frachtschiffe entsprechen; …“ (Regel II-2/1 Abs. 6.4 SOLAS). „Jedes derartige Schiff, das … hat Absatz 2 zu entsprechen.“ (Regel I/ 14 Abs. 1 Satz 2 MARPOL). 129 Etwa: „Ein Schiff, auf das dieses Übereinkommen Anwendung findet, darf nach dessen Inkrafttreten nur dann zu einer Auslandfahrt in See gehen, wenn …“ (Art. 3 Abs. 1 LLC). Vgl.
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mulierung wie „Jeder Seemann muss …“130. Diese Formulierungen suggerieren, dass die jeweiligen Adressaten zur Erfüllung der Pflichten unmittelbar herangezogen werden sollen. Dabei ist der Verpflichtungscharakter der Regeln ausdrücklich und unbedingt formuliert. Zudem sind die Regeln, die sich unmittelbar an einen Rechtsunterworfenen richten, dadurch, dass sich andere Vorschriften der Übereinkommen im Wortlaut ausdrücklich an die Staaten wenden131, eindeutig unterscheidbar. Damit sprechen einige Gesichtspunkte dafür, dass die Regeln aus den maritimen Übereinkommen, die materiell-rechtliche Standards enthalten und sich direkt an Rechtsunterworfene wenden, unmittelbar anwendbar sind.132 Andererseits zielt die direkte Adressierung von „Schiffen“ zwar auf einzelne Rechtsunterworfene, lässt jedoch die konkret angesprochene Person offen. Insoweit ist nach nationalem Recht zu bestimmen, welche Person für die Verpflichtungen des „Schiffes“ einzustehen hat. Damit besteht trotz der Adressierung einzelner Rechtsunterworfener noch nationaler Konkretisierungsbedarf, der gegen die unmittelbare Anwendung der materiell-rechtlichen Standards aus den maritimen Übereinkommen spricht. auch: „Schiffe mit mechanischem Antrieb oder Leichter, Schuten oder sonstige Schiffe ohne eigenen Antrieb erhalten Freiborde nach den Regeln 1 bis 40.“ (Regel I/2 Abs. 1 LLC.) 130 Z.B.: „Jeder Kapitän und Erste Offizier auf einem Seeschiff mit einer Bruttoraumzahl von 3 000 oder mehr muss Inhaber eines entsprechenden Befähigungszeugnisses sein.“ (Regel II/2 Abs. 1 STCW). Oder: „Jeder Bewerber um das Befähigungszeugnis eines Rettungsbootmannes für Überlebensfahrzeuge und Bereitschaftsboote, außer für schnelle Bereitschaftsboote, muss eine zugelassene Seefahrtzeit von mindestens 12 Monaten abgeleistet haben …“ (Regel VI/2 Abs. 1.2 STCW). Oder: „Jeder Bewerber um ein Zeugnis über die Befähigung zum Kapitän oder zum Ersten Offizier auf Schiffen mit einer Bruttoraumzahl von 500 oder mehr muss nachweisen, dass er befähigt ist, die in Spalte 1 von Tabelle A-II/2 aufgeführten Aufgaben, Pflichten und Verantwortung auf der Führungsebene wahrzunehmen.“ (Abschnitt A-II/2 Abs. 1 STCW-Code). 131 So etwa: „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, ihren für die Überwachung des Meeres verantwortlichen Schiffen und Luftfahrzeugen und anderen zuständigen Diensten Weisung zu erteilen, …“ (Art. 8 Abs. 4 Satz 1 MARPOL). „Die Vertragsregierungen gewährleisten, daß …“ (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 LLC). „Jede Verwaltung verpflichtet sich, einen Seeunfall, der einem von diesem Übereinkommen erfaßten Schiff zustößt, für das sie verantwortlich ist, zu untersuchen, wenn …“ (Art. 23 Abs. 1 LLC). „Die Verwaltungen stellen sicher, dass den Kapitänen und Offizieren, die nach Nummer 1 bzw. Nummer 2 befähigt sind, ein entsprechendes Befähigungszeugnis erteilt oder dass ein vorhandenes Befähigungszeugnis ordnungsgemäß mit Vermerken versehen wird.“ (Regel V/1 Abs. 4 Satz 1 STCW). 132 Für diejenigen Normen der Übereinkommen, die sich an die Staaten wenden, kommt eine unmittelbare Anwendung hingegen bereits grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 BvR 637/09 –, Rn. 15, zitiert nach juris). Die Prüfung der unmittelbaren Anwendbarkeit beschränkt sich auf die materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen, die an Rechtsunterworfene (Schiffe oder Seeleute) adressiert sind. Dazu weist Koller richtiger Weise darauf hin, dass bei völkerrechtlichen Verträgen „unmittelbar anwendbar stets nur einzelne Vorschriften, nicht aber ganze Verträge (mit allen Normen) sind.“ (Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 92.)
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(bb) Wortlaut der Artikel Gegenüber den einzelnen Regeln ist der jeweilige Wortlaut der Artikel zu Beginn der Übereinkommen zu berücksichtigen. Art. I a) und b) SOLAS lautet: „Die Vertragsregierungen verpflichten sich, diesem Übereinkommen und seiner Anlage, die Bestandteil des Übereinkommens ist, Wirksamkeit zu verleihen. […] Die Vertragsregierungen verpflichten sich, alle Gesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen und sonstigen Vorschriften zu erlassen und alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um diesem Übereinkommen volle Wirksamkeit zu verleihen und dadurch zu gewährleisten, daß sich im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens ein Schiff für seinen Verwendungszweck eignet.“
Der Wortlaut von Art. I LLC ist Art. I SOLAS vergleichbar; auch der Wortlaut von Art. I STCW ist im Wesentlichen identisch. Ähnlich lautet auch der Wortlaut von Art. I Abs. 1 MARPOL: „Die Vertragsparteien verpflichten sich, diesem Übereinkommen und denjenigen seiner Anlagen, durch die sie gebunden sind, Wirksamkeit zu verleihen, um die Verschmutzung der Meeresumwelt durch das gegen das Übereinkommen verstoßende Einleiten von Schadstoffen oder solche Stoffe enthaltenden Ausflüssen zu verhüten.“
Zudem finden sich in den Übereinkommen Bestimmungen, nach denen die Staaten verpflichtet sind, bei der IMO die Unterlagen zu übermitteln und hinterlegen über „den Wortlaut der Gesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen und sonstigen Vorschriften, die auf den verschiedenen durch das […] [jeweilige Übereinkommen, d. Verf.] betroffenen Gebieten erlassen worden sind“.133
In diesen Formulierungen, in denen sich die Staaten verpflichten, den Übereinkommen durch gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen Wirksamkeit „zu verleihen“, kommt die Vorstellung der Staaten zum Ausdruck, dass die materiellrechtlichen Standards der Übereinkommen durch den Erlass innerstaatlicher Vorschriften und durch innerstaatliche Maßnahmen umzusetzen und damit nicht selfexecuting sind.134 133 So Art. III a) Protokoll von 1988 zu SOLAS, Art. 11 Abs. 1 a) MARPOL, Art. III a) LLC und Art. IV Abs. 1 a) STCW. 134 So BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 BvR 637/09 –, Rn. 15, zu ähnlich lautenden Bestimmungen des Übereinkommens des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität („ … Vielmehr bestimmt Art. 25 Abs. 2 CCC […], dass jede Vertragspartei die ,erforderlichen gesetzgeberischen und anderen Maßnahmen , trifft, d. Verf.], um den in den Artikeln 27 bis 35 bezeichneten Verpflichtungen nachzukommen‘. Die Vertragsparteien gehen mithin nach dem Wortlaut dieser Bestimmung davon aus, dass es einer gesetzgeberischen Umsetzung der vertraglichen Verpflichtungen bedarf und diese nicht selbstvollziehend sind.“). Allerdings finden sich auch andere Interpretationen derartiger Formulierungen („Vertragsparteien erlassen die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen …“) in völkerrechtlichen Verträgen. So wird etwa die Auslegung vertreten, dass mit den zu erlassenden „Gesetzen,
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Fraglich ist jedoch, inwieweit es auf die subjektive Vorstellung der Staaten zur Auslegung der Übereinkommen hinsichtlich ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit überhaupt ankommt. Nach der heute herrschenden Meinung sind die Texte internationaler Übereinkommen ausgehend von ihrer objektiven Wortlautbedeutung auszulegen (sog. objektiver Ansatz).135 Gemäß diesem Ansatz hat sich die Auslegung eines Übereinkommens primär an der gewöhnlichen Wortbedeutung in ihrem Zusammenhang und am Ziel und Zweck des Vertrages zu orientieren. Danach könnte es für die Bewertung als self-executing primär auf die objektive Geeignetheit der Regeln ankommen, hinter die die subjektive Vorstellung der Staaten evtl. zurückzutreten muss. Vorliegend wäre demnach die subjektive Vorstellung der Staaten, wie sie in den jeweiligen Art. I der Übereinkommen zum Ausdruck kommt, nur nachrangig gegenüber der objektiven Eignung der Regeln zur unmittelbaren Anwendung zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung stellt mit den Kriterien, ob eine Völkerrechtsnorm „nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie eine innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet“136 ist, grundsätzlich auf objektive Kriterien ab. Zugleich hat jedoch das Bundesverfassungsgericht die Vorstellung der Staaten darüber, dass ein Völkerrechtsübereinkommen durch gesetzgeberische Maßnahmen umzusetzen ist, im Rahmen der Auslegung als gleichwertiges Kriterium herangezogen.137 Der Rechtsprechung lässt sich damit kein zwingender Vorrang objektiver Eignungskriterien entnehmen.
Verordnungen …“ und den „sonstigen Maßnahmen“ solche innerstaatlichen Rechtsakte gemeint sind, welche die Möglichkeit der unmittelbaren Anwendung der materiell-rechtlichen Standards eröffnen, wie in Deutschland etwa das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG (So in Bezug auf Art. 4 Satz 1 UN-Kinderrechtskonvention Cremer, AnwBl. 2011, 159 (162 f.). So auch Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 281.) Auch könnte die Formulierung in den jeweiligen Artikeln 1 etwa so verstanden werden, dass die Staaten lediglich keine innerstaatlichen Vorschriften vorsehen dürfen, die unterhalb des Niveaus der von den Übereinkommen festgelegten materiell-rechtlichen Mindeststandards liegen (So in der Denkschrift zum STCW-Vertragsgesetz auf BT-Drucks. 9/670, S. 81, zu Artikel I). In solchen Verständnissen wäre eine Aussage über die Form der Umsetzung der materiell-rechtlichen Standards nicht notwendig enthalten. 135 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 5. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 776. Zum früheren Streitstand Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 82 ff.; Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, S. 159 ff. 136 Stdg. Rspr. BVerfG und BVerwG: BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1970 – 1 BvL 7/ 66 -, Rn. 42, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 BvR 637/09 -, Rn. 13, zitiert nach juris. BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 1987 – 1 A 94/86 –, Rn. 10, zitiert nach juris. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1991 – 1 C 42/88 –, Rn. 14, zitiert nach juris. 137 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 BvR 637/09 –, Rn. 15, zitiert nach juris (siehe dazu bereits in Fn. 534).
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In der Literatur wird seit der Durchsetzung des objektiven Ansatzes zur Auslegung völkerrechtlicher Verträge die – früher herangezogene138 – Bedingung, dass die unmittelbare Anwendbarkeit positiv in der Absicht der Vertragsparteien gelegen und dies im Vertragstext auch Ausdruck gefunden haben muss (sog. Vertragswillenstheorie139), überwiegend gegenüber der objektiven Eignung der Völkerrechtsnormen zurückgestellt.140 Vorliegend geht es indes nicht darum, eine positive Äußerung der Staaten zur unmittelbaren Anwendung der Regeln von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW zu beurteilen. Vielmehr ist die in den Übereinkommenstexten zum Ausdruck kommende (negative) subjektive Vorstellung der Staaten dahin, dass die materiellrechtlichen Standards der Übereinkommen durch den Erlass innerstaatlicher Vorschriften und durch innerstaatliche Maßnahmen umzusetzen und damit nicht selfexecuting sind, zu bewerten. Eine solche (negative) Vorstellung wird in der Literatur als Ausschlussgrund141 bzw. zumindest als Indiz142 für das Fehlen der unmittelbaren Anwendbarkeit angesehen. Die subjektive Vorstellung der Staaten vom Fehlen der unmittelbaren Anwendbarkeit ist demnach ungeachtet des objektiven Ansatzes zur Auslegung völkerrechtlicher Übereinkommen sowohl nach der Rechtsprechung, als auch nach der Literatur zu beachten und stellt damit vorliegend ein weiteres Kriterium dar, das gegen den self-executing Charakter der Regeln von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW spricht.
138 Ausdrücklich auf den subjektiven Willen hat noch der Ständige Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten Nr. 15 vom 3. März 1928 „concerning the Jurisdiction of the Courts of Danzig“, abgestellt; S. 17 f.: „… Does the Beamtenabkommen, as it stands, form part of the series of provisions governing the legal relationship between the Polish Railways Administration and the Danzig officials who have passed into, its service (contract of service)? The answer to this question depends upon the intention of the contracting Parties … “. Das Gutachten ist auf dem Internetauftritt des IGH abrufbar. 139 Begriff nach Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 281. 140 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 866. Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 281 f. Öhlinger, Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht, S. 141 f. Kritisch zur „Überbewertung des Parteiwillens“ auch Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 102 ff. Offengelassen durch Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 40 m.w.N. und Fastenrath/Groh, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 102. Ausführlich zum Streitstand Buchs, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vertragsbestimmungen, S. 46 ff. m.w.N. 141 Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 281 f. zumindest für den Fall, dass der Gegenstand der im Völkerrechtsvertrag enthaltenen Gesetzgebungspflicht „nicht hinreichend bestimmt“ ist. 142 Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 68. Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 40.
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(d) Zweck Weiter ist zu untersuchen, ob die Regeln von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW nach ihrem Zweck geeignet und v. a. bestimmt sind, um wie eine innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen. Die Ziele von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW ergeben sich jeweils aus deren Präambeln. Die Übereinkommen verfolgen den Zweck, durch die Aufstellung von nicht zu unterschreitenden Mindeststandards das menschliche Leben auf See, die menschliche sowie die Meeresumwelt sowie auch die Schiffe selbst und die darauf befindlichen Sachwerte zu schützen. Diesem Zweck würde es aus praktischer Sicht mehr dienen, wenn die nicht zu unterschreitenden Mindeststandards für die Schiffe unmittelbar Geltung beanspruchten, als dass sie zunächst mittels eines innerstaatlichen Anwendungsbefehls zum Vollzug geführt werden müssten. Durch die unmittelbare Anwendbarkeit der materiell-rechtlichen Standards würde die Festlegung eines nicht zu unterschreitenden Mindeststandards ggf. effektiver erreicht, da sie nicht vom Erlass innerstaatlicher Umsetzungsvorschriften abhängig wäre. Insoweit spricht der Zweck der Übereinkommen eher für einen self-executing Charakter der materiell-rechtlichen Standards. Demgegenüber ist eine Bestimmung aus von der IMO herausgegebenen Ausführungshinweisen zu MARPOL in der Fassung von 2013 zu beachten: „The regulations that compose Annexes I, II, III, IV, V and VI of MARPOL […] can, to a large extent, be reproduced as national regulations with very minor changes. Some of the regulations are, however, directed to the state itself, and these are not suitable for straightforward reproduction in national regulations.“143, 144
Diesem Ausführungshinweis lässt sich entnehmen, dass die nach den Übereinkommen nicht zu unterschreitenden Mindeststandards nach der Vorstellung der Staaten in weiten Teilen inhaltlich direkt in nationales Recht übernommen werden sollen („reproduction in national regulations“). Die materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen sind demnach nicht etwa deshalb so ausführlich normiert145, um umsetzende innerstaatliche Vorschriften überflüssig zu machen, sondern um den Inhalt innerstaatlicher Umsetzungsvorschriften zur Erfüllung des Zwecks der Übereinkommen weitgehend zu determinieren. Offenbar hielten die Staaten es für praktikabler, die materiell-rechtlichen Mindeststandards der Übereinkommen in ggf. bereits bestehende nationale (Rechts-)Systeme zur Gewährleistung der Schiffssicherheit zu integrieren, etwa um den zuständigen Behörden den Umgang mit Abläufen zu ermöglichen, die ihnen vertraut sind. Da nationale Umsetzungsvorschriften nach dem Ausführungshinweis zur Erreichung des Zwecks der Übereinkommen
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Hervorhebung durch Verf. IMO: MARPOL, How To Do It, part III, chapter 6, subsection nr. 6.5. 145 Zum Inhalt der Regeln, die innerhalb der Übereinkommen die materiell-rechtlichen Standards regulieren, sogleich nachfolgend unter (e). 144
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jedoch gerade nicht entbehrlich sein sollen, spricht dies wiederum gegen den Charakter von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW als self-executing. (e) Inhalt Mit Blick auf ihren Inhalt weisen viele materiell-rechtliche Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW – für sich genommen – einen sehr hohen Detailgrad auf.146 Die Übereinkommen demonstrieren hinsichtlich ihrer Regelungsbreite und -dichte einen umfassenden Geltungsanspruch. In diesem Zusammenhang ist auch die heutige Rolle der IMO zu berücksichtigen. Die IMO hat sich im Laufe der Zeit zum maßgeblichen Rechtsetzungsorgan innerhalb des Bereiches der Schiffssicherheit entwickelt. Die unter dem Dach der IMO geschlossenen Konventionen decken den Bereich der Schiffssicherheit für Schiffe in der internationalen 146 Vgl. folgende Beispiele: Nach Regel II-2/10 Abs. 6.3.1 SOLAS müssen Farbenräume auf Schiffen geschützt sein durch: „.1 ein CO2-Feuerlöschsystem mit einem Löschmittelvorrat für eine Mindestkonzentration des entspannten Gases von 40 %, bezogen auf das Bruttovolumen des geschützten Raumes; .2 ein Trockenpulver-Feuerlöschsystem mit einem Löschmittelvorrat von 0,50 kg/m3 Löschpulver; .3 ein Wassersprüh- oder Berieselungssystem mit einer Wasserabgabe von 5 l/m2 min. Wassersprühsysteme können an die Feuerlöschleitung des Schiffes angeschlossen sein; oder .4 ein System, das nach Festlegung der Verwaltung einen gleichwertigen Schutz bietet. In jedem Fall muss das System von außerhalb des geschützten Raumes aus bedienbar sein.“ Nach Regel I/15 Abs. 1 bis 5 LLC gelten folgende Standards für Lukendeckel: „(1) Jede Auflagefläche für Lukendeckel muss mindestens 65 mm breit sein. (2) Bei Holzdeckeln muss die Dicke bei einer freitragenden Länge von höchstens 1,5 m mindestens 60 mm betragen. (3) Bei Deckeln aus Schiffbaustahl wird die Festigkeit nach den Anforderungen der Regel 16 Absätze 2 bis 4 berechnet; das Produkt aus der auf diese Weise berechneten höchsten Beanspruchung und dem Faktor 1,25 darf nicht größer als die Mindestzugfestigkeit des Werkstoffs an der oberen Streckgrenze sein. Die Deckel sind so zu konstruieren, dass die Durchbiegung bei diesen Belastungen nicht mehr als die freitragende Länge, multipliziert mit 0,0056, betragen kann. (…) (4) Bestehen die losnehmbaren Balken als Auflager für die Lukendeckel aus Schiffbaustahl, so wird die Festigkeit mit angenommenen Belastungen von mindestens 3,5 t/m2 für Luken im Bereich 1 und von mindestens 2,6 t/m2 für Luken im Bereich 2 berechnet; (…). (5) Bei Schiffen von 24 m Länge können die angenommenen Belastungen für Luken im Bereich 1 auf 2 t/m2 herabgesetzt werden; bei Schiffen von 100 m Länge müssen sie jedoch mindestens 3,5 t/ m2 betragen. (…)“ Bei dem STCW-Übereinkommen wird die Regelungsdichte der Regeln aus den Kapiteln II bis VII der Anlage zu STCW wesentlich erhöht dadurch, dass die Regeln auf die verbindlichen und sehr detaillierten Vorschriften des Teils A des STCW-Codes verweisen (vgl. Regel I/1 STCW: „Die Regeln in diesem Anhang werden ergänzt durch die verbindlichen Vorschriften in Teil A des STCW-Codes mit Ausnahme des Kapitels VIII Regel VIII/2“). Beispiel: Nach Regel II/ 2 Abs. 1 STCW muss jeder Kapitän und Erste Offizier auf einem Seeschiff mit einer Bruttoraumzahl von 3 000 oder mehr Inhaber eines entsprechenden Befähigungszeugnisses sein. Gemäß Regel II/2 Abs. 2.2 STCW muss jeder Bewerber um ein Befähigungszeugnis die in Abschnitt A-II/2 des STCW-Codes enthaltenen Befähigungsanforderungen erfüllen. Nach Abschnitt A-II/2 STCW-Code muss jeder Bewerber um ein Zeugnis über die Befähigung zum Kapitän oder zum Ersten Offizier auf bestimmten Schiffen nachweisen, dass er befähigt ist, die in Spalte 1 von Tabelle A-II/2 aufgeführten Aufgaben, Pflichten und Verantwortung auf der Führungsebene wahrzunehmen. Die Tabelle A-II/2 STCW-Code enthält sodann detaillierte Befähigungsanforderungen.
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Fahrt faktisch vollständig ab. Zudem werden die Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW zunehmend durch soft-law Regelwerke ergänzt und konkretisiert. Der hohe Detailgrad der materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen spricht für deren unmittelbare Anwendbarkeit.147 Soweit die Standards an einzelnen Stellen gleichwohl der Auslegung bedürfen hinsichtlich dessen, was sie materiell (technisch) fordern, unterscheiden sie sich darin nicht vom nationalen Recht. Die Notwendigkeit zur Auslegung von Normen ist allgemein Bestandteil der Rechtsordnung148 und geht einher mit der generellen Problematik der unumgänglichen semantischen Unschärfe jeder Norm wegen des Mediums der Sprache149. Aus diesem Grund schließt die bloße Auslegungsbedürftigkeit den Charakter einer völkerrechtlichen Vorschrift als self-executing nicht aus.150 Gegenüber dem hohen Detailgrad der materiell-rechtlichen Standards in den Regeln von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW gibt es innerhalb der Regeln jedoch andere inhaltliche Aspekte, die wiederum gegen ihren Charakter als self-executing sprechen.151 Zum einen eröffnen die Regeln der Übereinkommen den Staaten an zahlreichen Stellen trotz ihres (per se) hohen Detailgrades Spielräume oder verweisen auf innerstaatlich ergänzend zu treffende Maßnahmen.152 Zum Teil kann die Schifffahrtsverwaltung eines Staates etwa unter bestimmten Voraussetzungen auf die Einhaltung eines ganz bestimmten, einzelnen Standards verzichten.153 Die Pflicht zur Einhaltung anderer materiell-rechtlicher Standards ist bspw. eingeschränkt dadurch, 147 Offenbar wegen des hohen Detailgrads der Regeln mit materiell-rechtlichen Standards wird in der Literatur vertreten, dass die Übereinkommen self-executing seien. So etwa Ehlers für die Übereinkommen SOLAS, MARPOL und LLC in Ehlers/Erbguth, 50 Jahre Vereinte Nationen, S. 58. Ebenso Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 9 SeeAufgG, Rn. 16. Für STCW wohl Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 548. 148 Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWGVertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 105. 149 Ausführlich zu dieser Problematik Zippelius, Rechtsphilosophie, § 38. 150 Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWGVertrages im innerstaatlichen Bereich, S. 71. 151 Es greift zu kurz, wie Lindemann darauf abzustellen, dass (nur) die „maßgeblichen technischen Einzelheiten“ innerhalb der Regeln (im bezeichneten Fall von LLC) self-executing seien (Lindemann, Untersuchung, Festhalten und sofortige Freigabe ausländischer Seehandelsschiffe, S. 128.). 152 Zu den durch die maritimen Übereinkommen eröffneten Spielräumen innerhalb der Umsetzungsverpflichtungen insgesamt vgl. im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. V. 2. 153 So z. B. in Regel II-1/9 Abs. 5 SOLAS: „Bei Fahrgastschiffen, auf die Regel 1.5 Anwendung findet und die regelmäßig in der beschränkten Auslandsfahrt im Sinne der Regel III/ 3.22 eingesetzt sind, kann die Verwaltung gestatten, dass auf einen Doppelboden verzichtet wird, wenn sie der Überzeugung ist, dass der Einbau eines Doppelbodens in dem betreffenden Schiffsteil nicht mit der Bauart und dem ordnungsgemäßen Betrieb des Schiffes vereinbar wäre.“
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dass sie nur dann besteht, wenn die jeweilige Schifffahrtsverwaltung dies für „zweckmäßig und durchführbar“ erachtet.154 Zur Erfüllung wieder anderer Anforderungen kann ein Staat z. B. anstelle des konkret vorgeschrieben Standards einen – nach der Ansicht des jeweiligen Staates – gleichwertigen Standard zulassen.155 Weiter gibt es Normen, innerhalb derer bestimmt wird, dass die Verwaltung die Geltung der Standards für bestimmte Schiffe erst festlegt oder festlegen kann.156 Schließlich können die Staaten Schiffe unter bestimmten Voraussetzungen von einzelnen Anforderungen oder von ganzen Gruppen von Anforderungen befreien.157 Ferner wird in einzelnen Standards bspw. auf nationale Zulassungs- oder Prüfungsverfahren verwiesen, etwa von Werkstoffen, Geräten o. ä.158 Allein anhand dieser Beispiele, die sich in verschiedener Form in allen Übereinkommen finden, wird deutlich, wie weitgehend die Staaten trotz des teilweise sehr hohen Detailgrads der materiell-rechtlichen Standards in deren Einzelfallumsetzung eingebunden sind. Zum anderen kann, selbst wenn ein Völkerrechtsübereinkommen – bzw. die materiell-rechtlichen Regelungen seiner Normen – „an sich“ zur unmittelbaren Anwendung geeignet sein mag, die unmittelbare Anwendbarkeit durch die jeweilige innerstaatliche Rechtslage ausgeschlossen sein.159 Dies ist dann der Fall, wenn die 154 So etwa Regel II-1/3 – 9 Abs. 1 SOLAS: „(…) Schiffe müssen mit Mitteln zum An- und Vonbordgehen nach Absatz 2 zur Verwendung in Häfen und bei Betriebsabläufen in Häfen, wie zum Beispiel Landgänge und Fallreepstreppen, ausgestattet sein, es sei denn, die Verwaltung ist der Ansicht, dass die Einhaltung einer bestimmten Vorschrift unzweckmäßig oder undurchführbar ist.“ 155 Gleichwertige Standards sind zum einen innerhalb einzelner Regeln zugelassen; so etwa in Regel IV/10 Abs. 1 MARPOL: „Der Flansch ist so konstruiert, dass er für Rohre bis zu einem Innendurchmesser von 100 mm geeignet ist; er muss aus Stahl oder einem anderen gleichwertigen Werkstoff mit glatter Oberfläche sein.“ Zum anderen enthalten die maritimen Übereinkommen Bestimmungen, die die Zulassung gleichwertigen Ersatzes anstelle eines bestimmen, vorgeschriebenen Standards allgemein ermöglichen; so etwa Art. 8 Abs. 1 LLC: „Die Verwaltung kann gestatten, daß auf einem Schiff andere Einrichtungen, Werkstoffe, Vorrichtungen oder Geräte eingebaut werden oder daß eine andere Vorkehrung getroffen wird, als in diesem Übereinkommen vorgeschrieben, wenn sie durch Erprobungen oder auf andere Weise davon überzeugt ist, daß die betreffenden Einrichtungen, Werkstoffe, Vorrichtungen oder Geräte oder die betreffende Vorkehrung mindestens ebenso wirksam wie die in diesem Übereinkommen vorgeschriebenen sind.“ 156 Dies betrifft etwa die auf Bestandsschiffe anzuwendenden materiell-rechtlichen Standards. Siehe dazu zuvor unter Punkt A. II. 2. c) des 1. Teils. 157 So sieht etwa Regel I/4 a) SOLAS vor, dass die Verwaltung eines Flaggenstaates für ein Schiff, das für gewöhnlich nicht in der Auslandfahrt eingesetzt ist, aufgrund außergewöhnlicher Umstände aber eine einzelne Auslandfahrt unternimmt, die Möglichkeit hat, das Schiff von den Standards der SOLAS-Anlage zu befreien, sofern das Schiff trotz der Befreiung „den Sicherheitsvorschriften entspricht, welche die Verwaltung im Hinblick auf die von dem Schiff auszuführende Reise für angemessen hält“. 158 So z. B. Regel I/14 Abs. 6 Satz 1 MARPOL: „Die in Absatz 1 genannte Ölfilteranlage muss von einem von der Verwaltung zugelassenen Typ sein und muss sicherstellen, dass jedes ölhaltige Gemisch, das ins Meer eingeleitet wird, nachdem es das System durchlaufen hat, einen Ölgehalt von höchstens 15 Anteilen je Million (ppm) aufweist.“ 159 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 36 II.3.b]aa).
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nationale Rechtsordnung, etwa der Gesetzesvorbehalt oder das Bestimmtheitsgebot, eine Konkretisierung der Völkerrechtsnormen verlangen oder Ausführungsgesetze erfordern, bspw. hinsichtlich Bestimmungen über die Zuständigkeit einer Behörde oder das einzuhaltende Verfahren.160 Insoweit wird erneut das Problem der mangelnden Bestimmtheit der Regeln von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW, gemessen am Maßstab der innerstaatlichen Rechtsordnung, relevant, soweit der einzelne Rechtsanwender aus den Übereinkommen bestimmen muss, welchen Maßstäben er im Einzelnen unterliegt.161 Unabhängig davon sind ergänzende nationale Regelungen für die Anwendung der maritimen Übereinkommen im deutschen Rechtsraum ohnehin erforderlich. Das betrifft v. a. die genauere Festlegung des nationalen Anwendungsbereiches und die Regelung von Zuständigkeiten und des Verwaltungsverfahrens zur Erteilung von Schiffs- oder Befähigungszeugnissen, von Ausnahmen oder Befreiungen sowie zur Überwachung und Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards. (f) Zwischenergebnis Nach alledem sprechen im Ergebnis überwiegende Gesichtspunkte gegen eine Eignung der Regeln von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW dafür, nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie innerstaatliche Gesetzesvorschriften rechtliche Wirkungen auszulösen. Zwar kann der nationale Gesetzgeber die unmittelbare Anwendung von Völkerrechtsnormen im innerstaatlichen Rechtsraum auch positiv anordnen162, wobei vorliegend in Betracht kommt, dass der Gesetzgeber eine solche Anordnung mit § 5 Abs. 1 SchSV treffen wollte163. Infolge einer solchen positiven Anordnung durch den nationalen Gesetzgeber würde die der unmittelbaren Anwendbarkeit entgegenstehende subjektive Vorstellung der Staaten164 keinen Ausschluss mehr darstellen165. Sonstige, der unmittelbaren Anwendbarkeit entgegenstehende Gesichtspunkte, wie etwa die fehlende inhaltliche Bestimmtheit der Regeln, „behebt“ eine solche positive Anordnung des nationalen Gesetzgebers indes nicht. Somit bleibt es im Ergebnis dabei, dass dem Charakter der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW als self-executing überwiegende Gesichtspunkte entgegenstehen.
160 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 25 Rn. 4. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 36 II.3.b]aa). Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 68. 161 Siehe dazu bereits ausführlich bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit von § 5 Abs. 1 SchSV zuvor unter Punkt A. I. 2. b) (2) (c). 162 Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 282. 163 Dazu zuvor unter Punkt A. I. 2. b) (2) (c) im 2. Teil der vorliegenden Arbeit. 164 Dazu unmittelbar zuvor unter (bb). 165 Vgl. dazu Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 282.
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(4) Anwendung der Übereinkommen als „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ nach Art. 25 Satz 1 GG? Da sich § 5 Abs. 1 SchSV nach dem Vorgesagten als Rechtsanwendungsbefehl für SOLAS, LLC, MARPOL und STCW als problematisch darstellt und überwiegende Gesichtspunkte auch gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit der materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen sprechen, ist weiter zu untersuchen, ob die Regeln der maritimen Übereinkommen möglicher Weise auf andere Art und Weise für den einzelnen Rechtsanwender wirken, also innerstaatlich anwendbar sind. In diesem Zusammenhang gibt der universelle Charakter der Übereinkommen Anlass zu der Frage, ob diese ggf. bereits nach Art. 25 Satz 2 GG unmittelbar Rechte und Pflichten für die einzelnen Rechtsunterworfenen erzeugen.166 Das wäre der Fall, wenn SOLAS, LLC, MARPOL und STCW „allgemeine Regeln des Völkerrechtes“ i.S.v. Art. 25 Satz 1 GG darstellten. Ein gesonderter Akt der innerstaatlichen Anerkennung ist für die Einbeziehung der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ in den innerstaatlichen Rechtsraum nicht erforderlich167, denn diesen Regeln erteilt Art. 25 Satz 1 GG einen dynamischen „generellen Rechtsanwendungsbefehl“168. „Allgemeine Regeln des Völkerrechtes“ i.S.v. Art. 25 Satz 1 GG stellt u. a. universell geltendes Völkergewohnheitsrecht dar.169 Mithin ist zu prüfen, ob es sich bei SOLAS, LLC, MARPOL und STCW evtl. um Völkergewohnheitsrecht handelt. Völkergewohnheitsrecht entsteht durch die von einer Rechtsüberzeugung, der opinio juris (subjektives Element), getragene allgemeine Übung durch die Rechtssubjekte (objektives Element).170 Von einer Gewohnheitsrecht begründenden Übung ist dabei auszugehen, wenn die Übung von einer gewissen Dauer, Einheitlichkeit und Verbreitung ist.171 Die Übung muss zudem getragen sein von einer korrespondierenden Rechtsüberzeugung der Staaten172, wobei die Allgemeinheit der Übung die Rechtsüberzeugung indizieren kann.173
166 Art. 25 GG lautet: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ 167 Heintschel von Heinegg, in: Epping u. a., Grundgesetz, Art. 25 Rn. 19. 168 BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1977 – 2 BvM 1/76 –, Rn. 52, zitiert nach juris. Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1968 – 2 BvR 544/63 –, Rn. 113, zitiert nach juris. 169 Stdg. Rspr. BVerfG: BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 1962 – 2 BvM 1/60 –, Rn. 37, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1968 – 2 BvR 544/63 –, Rn. 74 und 113, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 1996 – 2 BvL 33/93 –, Rn. 44, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1997 – 2 BvR 1516/96 –, Rn. 59, zitiert nach juris. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2008 – 2 BvR 1475/07 –, Rn. 20, zitiert nach juris. 170 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 2. 171 Ebenda, Rn. 7. 172 Heintschel von Heinegg, in: Epping u. a., Grundgesetz, Art. 25 Rn. 6. 173 Ebenda.
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Möglicherweise widerspricht es der Bewertung von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW als Völkergewohnheitsrecht bereits im Grundsatz, dass es sich bei den Übereinkommen um völkerrechtliche Verträge handelt. So sollen völkerrechtliche Verträge nach einigen Stimmen in der Literatur wegen der Sonderregelung des Art. 59 Abs. 2 GG per se aus dem Kreis der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ i.S.v. Art. 25 Satz 1 GG ausscheiden.174 Dies soll jedoch nur für Verträge des Völkerrechtes „als solche“ gelten.175 Demgegenüber erkennen andere Stimmen in der Literatur an, dass universelle, d. h. fast die gesamte Staatengemeinschaft umfassende Verträge bereits geltendes Gewohnheitsrecht wiederspiegeln, oder, in zeitlich umgekehrter Reihenfolge, infolge ihrer Ratifikation neues Gewohnheitsrecht herausbilden können.176 So soll in völkerrechtlichen Verträgen gebotenes Verhalten gewohnheitsrechtlich Geltung erlangen können, wenn es durch das Hinzutreten einer entsprechenden Rechtsüberzeugung über die Vertragsparteien hinaus allgemeinverbindlich wird.177 Folglich steht es der möglichen Einstufung von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW als Völkergewohnheitsrecht nicht zwingend entgegen, dass es sich bei den Übereinkommen um völkerrechtliche Verträge handelt. Für eine Bewertung der maritimen Übereinkommen als Völkergewohnheitsrecht, zumindest soweit sie unmittelbar (technische) Vorgaben an die Schiffe bzw. Seeleute richten, spricht sodann ganz maßgeblich ihr universeller Charakter. Die Übereinkommen sind von allen weltweit signifikant am Seeverkehr beteiligten Staaten ratifiziert, die zusammen jeweils mehr als 99 % der Welthandelstonnage repräsentieren. Insbesondere SOLAS repräsentiert heute faktisch alle in der Seeschifffahrt engagierten Staaten weltweit. Bereits als SOLAS am 25. Mai 1980 nach bis dahin erfolgter Ratifikation durch (nur) 25 Staaten in Kraft trat, machten diese 25 Unterzeichnerstaaten über 50 % der Bruttoraumzahl der Welthandelsflotte aus (Vgl. Art. X a) SOLAS). Bis heute haben 163 Staaten das Übereinkommen ratifiziert, die für 99,17 % der Welthandelstonnage stehen. Auch die 155 Unterzeichnerstaaten von MARPOL repräsentieren über 99 % der Welthandelstonnage. LLC ist von 161 Staaten unterzeichnet worden, die 99,16 % der Welthandelstonnage ausmachen. Ebenso vereinen die 162 Unterzeichnerstaaten von STCW 99,18 % der Welthandelstonnage auf sich.178 Dieses universellen Charakters wegen werden die Übereinkommen in der Literatur zum Teil als Völkergewohnheitsrecht anerkannt.179 Als 174 Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 25 Rn. 10. Delbrück u. a., Völkerrecht, S. 119. 175 Herdegen, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 25 Rn. 20. 176 Ebenda. Vgl. auch Crawford/Brownlie, Brownlie‘s principles of public international law, S. 33 f. 177 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 22. 178 Informationen abgerufen auf dem Internetauftritt der IMO unter „Status of Convention“. 179 Für SOLAS und MARPOL als Völkergewohnheitsrecht votiert unter Verweis auf die Vielzahl von Vertragsparteien der Übereinkommen („Gewohnheitsrecht aus Verträgen“) Vitzthum, ZaöRV 2002, 163 (168). Für „die Sicherheitsvorschriften der SOLAS-Konvention“ als
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zusätzliches Argument für die Bewertung von SOLAS und MARPOL als Völkergewohnheitsrecht werden deren sog. Nichtbegünstigungsklauseln180 herangezogen.181 Dennoch kann im Ergebnis nicht von einem völkergewohnheitsrechtlichen Status der maritimen Übereinkommen ausgegangen werden. Zwar überzeugt es zur Ablehnung nicht, wenn vereinzelt für den Charakter eines völkerrechtlichen Vertrags als Völkergewohnheitsrecht eine „besondere ,Dignität‘“ der vertraglichen Verpflichtungen gefordert und diese „Dignität“ Verträgen mit technischem Charakter generell abgesprochen wird.182 Der völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW steht jedoch entgegen, dass ihre technischen Inhalte eine ständige Anpassung erforderlich machen. Damit kommt den einzelnen Regeln keine genügend lange Geltungsdauer zu, um eine Völkergewohnheitsrecht begründende Übung von ausreichend langer Dauer entstehen zu lassen.183 Im Ergebnis ist die Einstufung von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW als Völkergewohnheitsrecht damit abzulehnen. Jenseits der Frage, ob Art. 25 GG solche Völkerrechtsnormen, die nicht selfexecuting bzw. die an Staaten und nicht an einzelne Rechtsunterworfene gerichtet sind, überhaupt zu innerstaatlicher Anwendung führen kann184, sind die maritimen Übereinkommen damit bereits nicht von Art. 25 GG erfasst, da sie keine „allgemeinen Regeln des Völkerrechtes“ i.S.v. Art. 25 Satz 1 GG darstellen.
Völkergewohnheitsrecht auch Wolfrum, in: Vitzthum/Hafner, Handbuch des Seerechts, Kapitel 4, V., Rn. 80. 180 Nach diesen Klauseln wenden die Vertragsparteien die Vorschriften des jeweiligen Übereinkommens auch bei Schiffen von Nichtvertragsparteien an, soweit dies notwendig ist, um sicherzustellen, dass diesen Schiffen keine günstigere Behandlung gewährt wird. Vgl. Art. II des SOLAS-Protokolls von 1978 bzw. Art. I Abs. (3) des SOLAS-Protokolls von 1988 sowie Art. 5 Abs. 4 MARPOL. 181 Vitzthum verweist auf die Nichtbegünstigungsklauseln und zieht diese wohl als Argument für die Bewertung von SOLAS und MARPOL als Völkergewohnheitsrecht heran. Vitzthum, ZaöRV 2002, 163 (168 und Fn. 27). 182 So Bleckmann, EuGRZ 1994, 149 (153). 183 So auch Höltmann, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz in der EU nach Erika und Prestige, S. 27 f. und Fn. 77. Höltmann lehnt den Charakter des IMO-Rechts als Völkergewohnheitsrecht zudem ab, da die IMO-Konventionen aufgrund ihrer „hohen Technizität“ keinen „fundamentally norm-creating character“ besäßen, der nach einem Diktum des IGH im sog. Nordseefestlandsockelfall Voraussetzung für die völkergewohnheitsrechtliche Geltung von Normen sei (Höltmann, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz in der EU nach Erika und Prestige, S. 27 und Fn. 76 m.w.N.), ohne jedoch genauer zu erläutern, was unter jenem „fundamentally norm-creating character“ zu verstehen sein und warum das IMO-Recht diesen nicht besitzen soll. 184 Vgl. zu dieser Problematik Heintschel von Heinegg, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 25 Rn. 32 ff.
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(5) Zwischenergebnis zur innerstaatlichen Anwendbarkeit der maritimen Übereinkommen Da SOLAS, LLC, MARPOL und STCW nach alledem weder als Völkergewohnheitsrecht über Art. 25 GG Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden, noch ihre materiell-rechtlichen Standards als self-executing bewertet werden können, sodass sich ihr Rechtsanwendungsbefehl bereits aus dem Zustimmungsgesetz bzw. aus der Zustimmungsverordnung ergäbe, bedarf es zur innerstaatlichen Anwendung der Übereinkommen eines wirksamen Rechtsanwendungsbefehls. Als solcher kommt grundsätzlich § 5 Abs. 1 SchSV in Betracht. Es bestehen allerdings erhebliche Bedenken, ob § 5 Abs. 1 SchSV dem innerstaatlichen Rechtmäßigkeitsmaßstab – namentlich dem Gebot der Rechtsklarheit und dem daraus abzuleitenden Vertrauensgrundsatz – genügt. Damit stellt sich § 5 Abs. 1 SchSV als Rechtsanwendungsbefehl für SOLAS, LLC, MARPOL und STCW als problematisch dar.185 Insoweit sollte durch den zuständigen deutschen Verordnungsgeber möglichst zeitnah eine Prüfung und ggf. entsprechende Klarstellung erfolgen.
II. Durchsetzung der maritimen Übereinkommen in Deutschland: ausgewählte Rechtsaspekte Um die Zielsetzungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW innerstaatlich vollständig zu verwirklichen186 bedarf es neben der Herstellung von Verbindlichkeit der materiell-rechtlichen Standards für den einzelnen nationalen Rechtsanwender auch Maßnahmen zur Durchsetzung dieser Standards. Der Begriff der Durchsetzung umfasst an dieser Stelle die Kontrolle und Überwachung der Einhaltung der verbindlichen materiell-rechtlichen Standards sowie ggf. die Verfolgung und Sanktionierung von Verstößen. 1. Flaggenstaatliche Aufgaben zur Durchsetzung der maritimen Übereinkommen Zur Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW sind nach den Vorgaben des Seerechtsübereinkommens vorrangig die Flaggenstaaten herangezogen. Flaggenstaat ist der Staat, unter dessen Flagge ein Schiff fährt, wobei die Flagge völkerrechtlich die Staatszugehörigkeit von 185 In Bezug auf das STCW-Übereinkommen ist dies freilich nur insoweit relevant, als dessen Standards nicht bereits durch das Seearbeitsgesetz und die ergänzenden Rechtsverordnungen ins innerstaatliche Recht überführt sind. Das betrifft Traditionsschiffe, die von STCW erfasst sind, aber keine Kauffahrteischiffe (i.S.d. nationalen Rechts) darstellen. Siehe dazu zuvor unter Punkt A. I. 2. b) (1) (b) des 2. Teils der vorliegenden Arbeit. 186 Zur Erfüllung der Übereinkommen wird von den Staaten in den jeweiligen Artikeln I gefordert, den Übereinkommen „volle Wirksamkeit“ zu verleihen.
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Schiffen indiziert.187 Gemäß Art. 94 Abs. 3 SRÜ ergreift jeder Staat für die seine Flagge führenden Schiffe die Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Sicherheit auf See erforderlich sind, unter anderem in Bezug auf den Bau, die Ausrüstung und die Seetüchtigkeit der Schiffe; die Bemannung der Schiffe, die Arbeitsbedingungen und die Ausbildung der Besatzungen, unter Berücksichtigung der anwendbaren internationalen Übereinkünfte. In Teil XII des Seerechtsübereinkommens, insbesondere Art. 194, Art. 211 Abs. 2 und Art. 212 Abs. 2 sowie Art. 217 SRÜ, werden die Staaten zudem zum Schutz und zur Bewahrung der Meeresumwelt verpflichtet.188 Diese in den genannten Normen des Seerechtsübereinkommens recht allgemein gehaltenen Um- und Durchsetzungsverpflichtungen der Staaten werden durch SOLAS, LLC, MARPOL und STCW weiter konkretisiert.189 Die wesentlichste Aufgabe der Flaggenstaaten im Zusammenhang mit der Durchsetzung von SOLAS, LLC und MARPOL ist mithin sicherzustellen, dass unter ihrer Verantwortung keine Schiffe in See gehen, die den materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen nicht entsprechen.190 Um dies sicherzustellen muss jedes Schiff vor seiner erstmaligen Indienststellung sowie danach wiederkehrend nach dem Ablauf bestimmter, in den Übereinkommen festgelegter Intervalle vollständig besichtigt werden.191 Bei der Besichtigung wird die Erfüllung der maßgeblichen (v. a. baulichen und ausrüstungsbezogenen) Standards durch das Schiff selbst überprüft.192 Die Besichtigung erfolgt nach den Vorgaben der Übereinkommen
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Wolfrum, in: Vitzthum/Hafner, Handbuch des Seerechts, Kapitel 4 IV. Rn. 30. Vgl. v. a. Art. 217 Abs. 1 SRÜ in Bezug auf MARPOL: „Die Staaten stellen sicher, daß die ihre Flagge führenden oder in ihr Schiffsregister eingetragenen Schiffe die anwendbaren internationalen Regeln und Normen, die im Rahmen der zuständigen internationalen Organisation oder einer allgemeinen diplomatischen Konferenz aufgestellt worden sind, sowie die Gesetze und sonstigen Vorschriften einhalten, die sie in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen erlassen haben, um die Verschmutzung der Meeresumwelt durch Schiffe zu verhüten, zu verringern und zu überwachen; demgemäß erlassen die Staaten Gesetze und sonstige Vorschriften und ergreifen die erforderlichen sonstigen Maßnahmen zu ihrer Durchführung. Die Flaggenstaaten sorgen dafür, daß diese Regeln, Normen, Gesetze und sonstigen Vorschriften wirksam durchgesetzt werden, unabhängig davon, wo ein Verstoß erfolgt.“ Auch Art. 217 Abs. 2 SRÜ: „Die Staaten ergreifen insbesondere geeignete Maßnahmen, um Schiffen, die ihre Flagge führen oder in ihr Schiffsregister eingetragen sind, das Auslaufen so lange zu verbieten, bis sie unter Einhaltung der in Absatz 1 genannten internationalen Regeln und Normen, einschließlich der Bestimmungen über Entwurf, Bau, Ausrüstung und Bemannung der Schiffe, in See gehen können.“ 189 Für alles Vorstehende: Wolfrum, in: Vitzthum/Hafner, Handbuch des Seerechts, Kapitel 4 IV. Rn. 42. 190 Wolfrum, in: Vitzthum/Hafner, Handbuch des Seerechts, Kapitel 4 V. Rn. 90. GadowStephani, Der Zugang zu Nothäfen und sonstigen Notliegeplätzen für Schiffe in Seenot, S. 80 und 92. 191 Vgl. (u. a.) Regel I/6 bis Regel I/10 SOLAS, Art. 13 und 14 LLC sowie Regel IV/4 und Regel VI/5 MARPOL. 192 Vgl. für das MARPOL-Übereinkommen Douvier, MARPOL, S. 149. 188
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„durch Bedienstete der Verwaltung“, kann aber auch auf „ernannte Besichtiger“ oder „anerkannte Stellen“ übertragen werden.193 Entsprechend dem Ergebnis der Besichtigung stellt der jeweilige Flaggenstaat dem Schiff ein befristet gültiges (Sicherheits-)Zeugnis aus.194 Die Ausstellung der Zeugnisse weisen SOLAS, LLC und MARPOL der „Verwaltung“195 oder „einer von dieser ordnungsgemäß ermächtigten Person oder Stelle“196 zu.197 Übereinkommen erfasste Schiffe sind verpflichtet, die vorgeschriebenen Zeugnisse an Bord mitzuführen. Diese Pflicht ergibt sich in Bezug auf Zeugnisse nach MARPOL aus Art. 217 Abs. 3 Satz 1 SRÜ198, dessen innerstaatliche Umsetzung unterstellt, sowie im Übrigen aus SOLAS, LLC und MARPOL (sowie STCW) selbst, die das Vorhandensein der entsprechenden Zeugnisse an Bord des Schiffes voraussetzen199. Neben den (Sicherheits-)Zeugnissen sind ggf. Bescheinigungen und sonstige Nachweise aus-
193 Regel I/6 a) SOLAS, Art. 13 Sätze 1 und 2 LLC und Regeln I/6 Abs. 3.1 Sätze 1 und 2, II/ 8 Abs. 2.1, IV/4 Abs. 3 sowie VI/5 Abs. 3.1 MARPOL. Nach der Systematik der Übereinkommen ist ein „Bediensteter der Verwaltung“ jede Person, die die Schifffahrtverwaltung eines Staates nach ihrem nationalen Recht zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben heranziehen kann und durch deren Heranziehung eine effektive Durchführung der völkervertraglichen Verpflichtungen gewährleistet wird. An die „ernannten Besichtiger“ stellen die Übereinkommen keine weiteren Anforderungen. Diese dürften neben den Verwaltungsbediensteten genannt sein, um klarzustellen, dass – unabhängig davon, ob das jeweilige nationale Recht dies vorsieht oder nicht – auch Personen außerhalb der Schifffahrtsverwaltung eines Flaggenstaates ermächtigt werden können. Bei den „anerkannten Stellen“ handelt es sich praktisch überwiegend um Klassifikationsgesellschaften, wobei die Möglichkeit zur „Anerkennung“, für die Regel XI-1/1 SOLAS Vorgaben aufstellt, nicht auf diese beschränkt ist. Auch bei einer Übertragung der Besichtigung auf ernannte Besichtiger oder anerkannte Stellen übernimmt der jeweilige Flaggenstaat weiter „die volle Gewähr für die Vollständigkeit und Gründlichkeit“ der Überprüfung und Besichtigung (Regel I/6 d) SOLAS, Art. 13 Satz 3 LLC, u. a. Regel I/6 Abs. 3.1 MARPOL). 194 Vgl. (u. a.) Regel I/12, I/14 und I/15 SOLAS, Art. 16, 18 und 19 LLC, Regel IV/5, IV/7 und IV/8 sowie Regel VI/6, VI/8 und VI/9 MARPOL. Zu den Zeugnissen im Einzelnen vgl. nachfolgend in Fn. 606. 195 Nach Regel I/2 b) SOLAS die Regierung des Staates, dessen Flagge das Schiff zu führen berechtigt ist; i. e. faktisch die nationale Schifffahrtsverwaltung. 196 Regel I/12 a) Ziff. viii) SOLAS. 197 Mit der Entschließung A.746(18) vom 4. November 1993 über ein harmonisiertes System der Besichtigung und Zeugniserteilung (VkBl. 1998, S. 829) hat die IMO Leitlinien für das Verfahren der Besichtigung und Zeugniserteilung durch die Staaten aufgestellt. 198 Nach Art. 217 Abs. 3 Satz 1 SRÜ haben die Staaten sicherzustellen, dass die ihre Flagge führenden oder in ihr Schiffsregister eingetragenen Schiffe Zeugnisse an Bord mitführen, die (v. a.) nach MARPOL erforderlich sind und demgemäß ausgestellt wurden. 199 Vgl. Regel I/16 SOLAS; Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Satz 2 LLC; Regel I/11 Abs. 1, IV/13 Abs. 1, V/9 Abs. 1 und VI/10 Abs. 1 MARPOL sowie Art. X Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Regel I/4 Abs. 1.1 STCW.
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zustellen, etwa in Bezug auf die vorgeschriebene Navigations- und Funkausrüstung sowie Rettungsmittel.200 Die Durchsetzung der Standards von STCW erfolgt durch den Flaggenstaat mittels der Ausstellung entsprechender Befähigungsdokumente für Seeleute in Bezug auf bestimmte Dienstränge und Positionen an Bord201, sofern die Seeleute – in der Regel mittels Prüfung und Vorlage von Belegen über das Ableisten bestimmter Seefahrtzeiten – den Nachweis erbracht haben, dass sie über die durch STCW geforderte hinreichende Befähigung verfügen. Befähigungsdokumente für Seeleute nach STCW dürfen (nur) von der „Verwaltung“ ausgestellt werden.202 2. Durchsetzung durch Deutschland als Flaggenstaat Für eine wirksame Durchsetzung von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW durch Deutschland als Flaggenstaat203 ist neben den innerstaatlichen Ermächtigungen zur Besichtigung, Überprüfung, Zeugnis- und Bescheinigungsausstellung sowie ggf. Sanktionierung auch festzulegen, wer die zuständigen Stellen der Schifffahrtsverwaltung sind und welche konkreten Personen für das Schiff zur Erfüllung heranzuziehen sind. Die entsprechenden Regelungen finden sich im deutschen Recht in verschiedenen Gesetzen und Rechtsverordnungen außerhalb der Zustimmungsgesetze (bzw. der Zustimmungsverordnung) zu den Übereinkommen.204 200 So etwa das Ausrüstungs-Sicherheitszeugnis (für Frachtschiffe) nach Regel I/12 a) lit. iii) SOLAS oder das Funk-Sicherheitszeugnis (für Frachtschiffe) nach Regel I/12 a) lit. iv) SOLAS. 201 Vgl. Art. VI und Regel I/2 STCW. Zu den Befähigungsdokumenten im Einzelnen vgl. Jörgens, in: Bubenzer/Jörgens, Praxishandbuch Seearbeitsrecht, S. 61 ff. 202 Art. VI und Regel I/2 STCW. Auch in STCW bezeichnet die „Verwaltung“ die Regierung des jeweiligen Flaggenstaates (Art. II b) STCW.); d. h. faktisch die nationale Schifffahrtsverwaltung. 203 Die deutschen Vorschriften zum Führen der Bundesflagge stellen sich wie folgt dar: Nach § 1 Abs. 1 FlaggRG haben alle Kauffahrteischiffe und alle sonstigen zur Seefahrt bestimmten Schiffe („Seeschiffe“), deren Eigentümer Deutsche sind, die ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des GG haben, die Bundesflagge zu führen. Soweit der Eigentümer eines Traditionsschiffes ein eingetragener Verein ist, ist das Traditionsschiff nach § 1 Abs. 2 b) FlaggRG zum Führen der Bundesflagge verpflichtet, sofern Deutsche im Vereinsvorstand die Mehrheit haben. Denn ein eingetragener Verein ist eine juristische Person (vgl. § 21 BGB) und wird damit nach § 1 Abs. 2 b) FlaggRG einem „Deutschen“ i.S.v. § 1 Abs. 1 FlaggRG gleichgeachtet. Um LLC zu unterfallen kann es bei Traditionsschiffen von weniger als 15 Metern Rumpflänge auf das tatsächliche Führen der Bundesflagge ankommen, da Seeschiffe mit einer Rumpflänge von weniger als 15 Metern nach § 10 Abs. 1 Satz 2 SchRegO nicht zur Eintragung in das Seeschiffsregister verpflichtet sind. 204 Innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die Völkerrechtsverträge ausführen, werden üblicher Weise nicht unmittelbar in das Zustimmungsgesetz aufgenommen, obwohl dies der inhaltlichen Nähe wegen naheläge. Der Grund dafür liegt darin, dass völkerrechtliche Verträge in der parlamentarischen Beratung anders als „normale“ nationale Gesetze behandelt werden. Nach § 78 Abs. 1 GOBT werden völkerrechtliche Verträge anders als Entwürfe innerstaatlicher Gesetze in zwei statt drei Beratungen, nur auf Beschluss des Bundestages in drei Beratungen,
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Nachfolgend werden in Bezug auf die Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW vorrangig diejenigen Aspekte analysiert, die Traditionsschiffe ihrer Besonderheiten in Bauweise und Betrieb wegen ggf. anders betreffen, als sonstige Schiffe. a) Besichtigung und Zeugniserteilung Für die Durchführung der den Flaggenstaaten auferlegen Kontrolle ihrer Schiffe in Bezug auf die materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC und MARPOL ist an erster Stelle erforderlich, dass die für ein (Traditions-)Schiff Verantwortlichen verpflichtet werden, das Schiff zur Besichtigung zur Verfügung zu stellen und ein entsprechendes Zeugnis zu beantragen. Diese Pflicht wird für (Traditions-)Schiffe unter der Bundesflagge innerstaatlich durch § 9 Abs. 4 Nr. 2 SchSV begründet. Danach hat der jeweilige Verantwortliche „unter Antragstellung“ und auf eigene Kosten sicherzustellen, dass ein Schiff, für das ein vorgeschriebenes Zeugnis nach nationalen oder internationalen Regelungen und/oder eine Bescheinigung nicht „gültig ist“205, vor der ersten Inbetriebnahme des Schiffes oder vor der ersten Fahrt nach Ungültigwerden eines solchen Zeugnisses „zur Überprüfung des sicheren Zustands des Schiffes und seiner Ausrüstung“
vorgeführt wird. Besteht nach einem Übereinkommen eine Ausrüstungs- oder Zulassungspflicht für Navigations- oder Funkausrüstung an Bord, so folgt eine Pflicht zur Vorführung des Schiffes „zur Überprüfung dieser Ausrüstung“ aus § 9 Abs. 4 Nr. 1 SchSV. Wird durch die Besichtigung die Übereinstimmung des Schiffes mit allen maßgeblichen Standards von SOLAS, LLC und MARPOL festgestellt, so erteilen die zuständigen Behörden gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 SchSV auf den Antrag des Verantwortlichen hin „die erforderlichen Zeugnisse und Bescheinigungen“206. behandelt. Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 2 GOBT kann im Rahmen der zweiten Beratung über den völkerrechtlichen Vertrag nur im Ganzen abgestimmt werden, nicht wie bei innerstaatlichen Gesetzen auch über Teile. Änderungsanträge zu völkerrechtlichen Verträgen sind nach § 82 Abs. 2 GOBT in der zweiten Beratung nicht zulässig. Zudem findet über völkerrechtliche Verträge gemäß § 86 Abs. 4 GOBT keine besondere Schlussabstimmung statt. Zudem werden völkerrechtliche Verträge anders als innerstaatliche Gesetze im BGBl. II und nicht im BGBl. I veröffentlicht (§ 76 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GGO) sowie getrennt im Bundesrecht dokumentiert. 205 Die Zeugnisse werden nach den maritimen Übereinkommen ungültig, wenn ihre Geltungsdauer abgelaufen ist. Vgl. Regel I/14 SOLAS, Art. 19 LLC sowie Regeln I/10, IV/8 und VI/9 MARPOL. 206 Welches Zeugnis für ein bestimmtes Schiff in diesem Sinne erforderlich ist, bestimmen die Übereinkommen. Für Fahrgastschiffe i.S.v. SOLAS sieht SOLAS ein „Sicherheitszeugnis für Fahrgastschiffe“ vor (Regel I/12 a) i) SOLAS). Sofern ein (Traditions-)Schiff als Frachtschiff i.S.v. SOLAS gilt, hat es die Möglichkeit, entweder nebeneinander ein „Bau-Sicherheitszeugnis“, ein „Ausrüstungs-Sicherheitszeugnis“ und ein „Funk-Sicherheitszeugnis“ zu beantragen (Regel I/12 a) ii) bis iv) SOLAS) oder alternativ ein einheitliches „Sicherheits-
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In Bezug auf die durch STCW vorgeschriebenen Befähigungsdokumente normiert § 23 SeeArbG207, dass als Besatzungsmitglied nur tätig sein darf, wer Inhaber der erforderlichen Befähigungszeugnisse, Befähigungsnachweise und sonstigen Qualifikationsbescheinigungen ist. b) Zuständige Stellen der deutschen Schifffahrtsverwaltung (1) Besichtigung Die Vorführung von (Traditions-)Schiffen „zur Überprüfung des sicheren Zustands des Schiffes und seiner Ausrüstung“ hat gemäß § 9 Abs. 4 Nr. 2 SchSV bei der BG Verkehr (dort „Dienststelle Schiffssicherheit“) zu erfolgen.208 Bei der Überwachung der Anforderungen von SOLAS und MARPOL sowie bei der Festlegung des Freibords nach LLC kann sich die Dienststelle Schiffssicherheit gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 SeeAufgG der Hilfe „anerkannter Organisationen“ nach der Verordnung (EG) Nr. 391/2009 bedienen, d. h. der Hilfe von Klassifikationsgesellschaften.209 Das steht im Einklang mit den Vorgaben von SOLAS, LLC und
zeugnis für Frachtschiffe“ (Regel I/12 a) lit. v) 1. SOLAS). MARPOL verpflichtet (Traditions-) Schiffe mit einer BRZ von 400 und mehr zum Führen eines „Internationalen Zeugnisses über die Verhütung der Ölverschmutzung“ (sog. IOPP-Zeugnis, International Oil Pollution Prevention Certificate) (Regel I/7 MARPOL). Weiter müssen (Traditions-)Schiffe mit einer BRZ von mehr als 400 oder solche, die für die Beförderung von mehr als 15 Personen zugelassen sind, nach Regel IV/5 MARPOL über ein „Internationales Zeugnis über die Verhütung der Verschmutzung durch Abwasser“ verfügen. Schließlich müssen MARPOL unterliegende (Traditions-)Schiffe mit einer BRZ von mehr als 400 nach Regel VI/6 MARPOL ein „Internationales Zeugnis über die Verhütung der Luftverunreinigung durch Schiffe“ (sog. IAPPZeugnis, International Air Pollution Prevention Certificate) sowie ein „Internationales Zeugnis über die Energieeffizienz“ (sog. IEE-Zeugnis, International Energy Efficiency Certificate) führen. Nach Art. 3 Abs. 1, 16 Abs. 1 LLC dürfen (Traditions-)Schiffe erst dann in See gehen, wenn sie ein „Internationales Freibord-Zeugnis“ erhalten haben, für dessen Erhalt nach Art. 16 Abs. 1 LLC der Erhalt einer Freibordmarke Voraussetzung ist. Die Übereinkommen enthalten Muster für die auszustellenden Zeugnisse. Die Anlage 2 zur SchSV enthält eine Übersicht über die Schiffszeugnisse und Bescheinigungen, welche die deutsche Schifffahrtsverwaltung auf Antrag für Schiffe unter der Bundesflagge ausstellt. 207 Zur Überführung des STCW-Übereinkommens ins innerstaatliche Recht durch das Seearbeitsgesetz und ergänzend dazu ergangene Rechtsverordnungen (für „Kauffahrteischiffe“) siehe zuvor unter Punkt A. I. 2. b) (1) im 2. Teil der vorliegenden Arbeit. 208 Zur BG Verkehr, deren Organisationseinheit „Dienststelle Schiffssicherheit“ und die Übertragung der Aufgaben aus dem Bereich der Schiffssicherheit auf diese siehe ausführlich unter dem nachfolgenden Punkt C. II. 2. b) (2) (c). 209 Trotz des Wortlautes des § 6 Abs. 2 Satz 1 SeeAufgG, nach welchem die BG Verkehr sich bei der Erfüllung der ihr zugewiesenen Aufgaben der Hilfe einer anerkannten Organisation „bedient“, ist der BG Verkehr Ermessen zuzuerkennen hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit sie diese Hilfe in Anspruch nimmt. Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 6 SeeAufgG, Rn. 8.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
MARPOL, nach denen sich die Staaten für die Besichtigung „anerkannter Stellen“ bedienen können.210 Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 SeeAufgG steht es der Dienststelle Schiffssicherheit zudem – in Ausübung der Ermächtigungen aus den Übereinkommen, nach denen die Besichtigung auf „ernannte Besichtiger“ übertragen werden kann211 – frei, sich bei der Besichtigung „geeigneter Stellen“ zu bedienen, wobei diese nicht genauer definiert sind. Auch lässt § 6 Abs. 2 Satz 2 SeeAufgG die Rechtsnatur der Beteiligung jener „geeigneten Stellen“ offen, die dementsprechend von einer rein internen Beratung bis hin zu einer Beleihung mit Teilaufgaben reichen kann.212 Allerdings bezieht sich die Möglichkeit zur Heranziehung „geeigneter Stellen“ nicht auf diejenigen Aufgaben, welche die Richtlinie 2009/15/EG erfasst, i. e. nicht auf die eigentlichen Überprüfungsaufgaben.213 Die „geeigneten Stellen“ können demnach von der Dienststelle Schiffssicherheit (nur) etwa zur Festlegung des Freibords nach LLC oder zur Bestimmung der Mindestbesetzung eines Schiffes herangezogen werden. Die Vorführung von Schiffen zur Überprüfung der Navigations- oder Funkausrüstung an Bord erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Nr. 1 SchSV beim BSH. (2) Zeugniserteilung und Festlegung des Freibords Die Erteilung der Zeugnisse erfolgt nach § 9 Abs. 3 Satz 1 SchSV durch die „zuständigen Behörden“. Im Einzelnen werden die Zuständigkeiten durch §§ 5 bis 7 i.V.m. § 1 SeeAufgG geregelt, worauf § 10 Abs. 2 SchSG noch einmal klarstellend verweist214. Die Erteilung der (Sicherheits- und sonstigen) Zeugnisse nach SOLAS, MARPOL und LLC unterfällt sachlich im Wesentlichen der Bundesaufgabe nach § 1 Nr. 4 SeeAufgG. Die Ausstellung des Besatzungszeugnisses ist eine Bundesaufgabe nach § 1 Nr. 6 SeeAufgG. Die Bundesaufgaben nach § 1 Nr. 4 und Nr. 6 SeeAufgG sind gemäß § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 SeeAufgG der BG Verkehr (Dienststelle Schiffssicherheit) übertragen, sodass diese (auch) in Bezug auf Traditionsschiffe für die Erteilung von Zeugnissen nach SOLAS, LLC und MARPOL zuständig ist. Mit der Erteilung des Zeugnisses nach LLC obliegt der Dienststelle Schiffssicherheit zugleich nach den §§ 1 Nr. 4, 6 Abs. 1 Satz 1 SeeAufgG die Festlegung des Freibords. 210 Regel I/6 a) SOLAS, Art. 13 Sätze 1 und 2 LLC und Regeln I/6 Abs. 3.1 Sätze 1 und 2, II/ 8 Abs. 2.1, IV/4 Abs. 3 sowie VI/5 Abs. 3.1 MARPOL. 211 Ebenso: Regel I/6 a) SOLAS, Art. 13 Sätze 1 und 2 LLC und Regeln I/6 Abs. 3.1 Sätze 1 und 2, II/8 Abs. 2.1, IV/4 Abs. 3 sowie VI/5 Abs. 3.1 MARPOL. 212 Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 6 SeeAufgG, Rn. 8. 213 Die Richtlinie 2009/15/EG stellt Vorschriften auf, die von den EU-Mitgliedstaaten bei ihren Beziehungen mit den Organisationen, die mit der Überprüfung, Besichtigung und Zertifizierung von Schiffen hinsichtlich der Einhaltung der internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See und zur Verhütung der Meeresverschmutzung betraut sind, zu befolgen sind (Art. 1 Satz 1 Richtlinie 2009/15/EG). 214 Vgl. Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 10 SchSG, Rn. 2.
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Soweit im Rahmen der Bundesaufgabe nach § 1 Nr. 4 SeeAufgG nautische Systeme, Anlagen, Instrumente und Geräte sowie Funkanlagen überprüft und dafür Bescheinigungen ausgestellt werden, ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SeeAufgG das BSH zuständig. Die Erteilung der Eignungs- und Befähigungszeugnisse nach STCW ist eine Bundesaufgabe nach § 1 Nr. 6a und § 2 Abs. 4 SeeAufgG, die gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SeeAufgG dem BSH zusteht, soweit sie ihm übertragen ist. Die Übertragung ist (für den Dienst auf Kauffahrteischiffen215) durch § 3 i.V.m. § 2 Abs. 3 Nr. 1 und i.V.m. § 1 Nr. 1 See-BV erfolgt. c) Adressaten der materiell-rechtlichen Standards der maritimen Übereinkommen In SOLAS, LLC, MARPOL und STCW sind die materiell-rechtlichen Standards überwiegend direkt an „Schiffe“ bzw., bei STCW, an Seeleute adressiert,216 ohne dass näher bestimmt wird, welche Personen konkret für die Einhaltung im Rahmen der Durchsetzung heranzuziehen sind. Welche Personen durch das deutsche Recht für die Erfüllung herangezogen werden, ist zunächst im Grundsatz durch § 3 SchSG geregelt. Gemäß § 3 Satz 1 SchSG sind für den sicheren Betrieb und den betriebssicheren Zustand eines Schiffes und seines Zubehörs diejenigen verantwortlich, die das Schiff „zur Seefahrt einsetzen“. Das umfasst – neben anderen – v. a. den Eigentümer sowie den Schiffsführer.217 Präzisere Regelungen enthalten die §§ 7 bis 9 SchSG, die gemäß § 4 SchSG zu beachten sind. Soweit Traditionsschiffe zur Erfüllung der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC und MARPOL verpflichtet sind, bestimmt § 7 Nr. 2 und Nr. 3 SchSG vorrangig den Schiffseigentümer als Verantwortlichen. Weitere (auch betriebliche) Pflichten ergeben sich für den Schiffseigentümer zudem (u. a.) aus § 8 Abs. 2 sowie aus § 13 Abs. 1 SchSV; so etwa die Pflicht dafür zu sorgen, dass auf dem Schiff stets ein gültiges Schiffssicherheitszeugnis vorhanden ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 SchSV).218 Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 b) SchSG ist bei der Eigentümerschaft einer juristischen Person an einem Schiff auch das vertretungsberechtigte Organ verantwortlich. Neben dem Schiffseigentümer wird (u. a.) durch § 8 Abs. 1 und Abs. 2 SchSG der Schiffsführer für die Erfüllung von betrieblichen Pflichten während der Fahrt des 215 Zur Begrenzung der Überführung der Standards von STCW ins innerstaatliche Recht durch das Seearbeitsgesetz und die ergänzenden Rechtsverordnungen (nur) für „Kauffahrteischiffe“ siehe bereits zuvor unter Punkt A. I. 2. b) (1) (b) im 2. Teil der vorliegenden Arbeit. 216 Siehe zum Wortlaut der entsprechenden Regeln zuvor unter Punkt A. I. 2. b) (3) (c) (aa) des 2. Teils. 217 Dazu Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 3 SchSG, Rn. 1 bis 4. 218 Zum Inhalt dieser Pflichten vgl. Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 7 SchSG, Rn. 1, und § 8 SchSG, Rn. 3.
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Schiffes herangezogen, etwa in Bezug auf die Organisation des Wachdienstes (i.S.v. STCW), die Durchführung von Notfallübungen (bspw. nach SOLAS), die Müllbeseitigung während des Schiffsbetriebes (gemäß in MARPOL enthaltener Verpflichtungen) oder das Mitführen und Vorlegen von Zeugnissen und Bescheinigungen. Die Verantwortlichkeit für bestimmte, sich aus MARPOL ergebende Betriebspflichten, wie das Führen eines Öltagebuches, wird dem Schiffsführer zudem durch §§ 4 bis 17 SeeUmwVerhV überantwortet, welche zugleich die entsprechenden Vorgaben aus MARPOL innerstaatlich realisieren. d) Ordnungswidrigkeiten Die Pflicht zur Vorführung der Schiffe zur Besichtigung ist für den Verantwortlichen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1a. a) SchSVordnungswidrigkeitenbewehrt. Zudem sind die Pflichten des Schiffseigentümers, für das Vorhandensein eines gültigen Schiffssicherheitszeugnisses an Bord des Schiffes zu sorgen, sowie zahlreiche betriebliche Pflichten des Schiffsführers durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 d), Nr. 2 SchSV ordnungswidrigkeitenbewehrt. Dies gilt etwa für die Pflicht des Schiffsführers nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 SchSV, dafür Sorge zu tragen, dass der amtlich festgelegte Mindestfreibord eines Schiffes nicht unterschritten wird (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 a) SchSV), sowie für die Pflicht, stets dafür zu sorgen, dass entsprechend der Anforderungen von STCW auf dem Schiff ausreichende Vorkehrungen für den Wachdienst getroffen sind (§ 13 Abs. 2 Nr. 9, § 14 Abs. 1 Nr. 2 j) SchSV). Durch § 28 SeeUmwVerhV sind ferner Verstöße gegen Verhaltenspflichten, die sich im Grundsatz aus den Anforderungen von MARPOL ergeben und durch die §§ 4 bis 17 SeeUmwVerhV innerstaatlich realisiert werden, ordnungswidrigkeitenbewehrt. e) Ordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse Die ordnungswidrigkeitenbewehrte Pflicht zur Vorführung des eigenen Schiffes, um es besichtigen zu lassen, und zur Stellung eines Antrages zur Erteilung der notwendigen Zeugnisse und sonstigen Bescheinigungen (§ 9 Abs. 4 Nr. 2 SchSV) ist im deutschen Recht nicht die einzige Maßnahme, um sicherzustellen, dass keine Schiffe unter der Bundesflagge in See gehen, die den materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC und MARPOL nicht entsprechen. § 11 Abs. 1 SchSV enthält zusätzlich die Ermächtigung an die BG Verkehr (Dienststelle Schiffssicherheit), das Auslaufen, die Weiterfahrt oder den Betrieb eines (Traditions-)Schiffes unter der Bundesflagge zu verbieten oder nur unter Bedingungen und Auflagen zu gestatten, durch welche die gebotene Gefahrenabwehr gewährleistet wird für den Fall, dass ein Schiff Anforderungen nach den maritimen Übereinkommen „im wesentlichen“ nicht erfüllt und dies eine „unmittelbare Gefahr“ (u. a.) für Schiffe, die Schifffahrt, Gesundheit oder die Umwelt darstellt (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 SchSV). Ebenso kann die Dienststelle Schiffssicherheit die genannten Verfügungen treffen, wenn ein Schiff nicht die vorgeschriebenen gültigen Zeugnisse über
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die Erfüllung der materiell-rechtlichen Standards nachweist (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SchSV) oder entgegen der Verpflichtung nach § 9 Abs. 4 SchSV nicht zur Besichtigung vorgeführt wird (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 SchSV). Die Entscheidung über die Untersagung des Auslaufens, der Weiterfahrt oder des Betriebs eines Schiffes oder die Gestattung (nur) unter Bedingungen oder Auflagen ist gemäß § 11 Abs. 1 SchSV als gebundene Entscheidung ausgestaltet, sodass der Dienststelle Schiffssicherheit insoweit kein Ermessen zusteht. § 11 Abs. 2 SchSV ermächtigt die Dienststelle Schiffssicherheit darüber hinaus zur Ermessensentscheidung darüber, das Auslaufen oder die Weiterfahrt „für die Dauer der zur Gefahrverhütung erforderlichen Sachverhaltsermittlung“ zu verhindern für den Fall, dass in Bezug auf die Gefahrentatbestände von § 11 Abs. 1 SchSV ein konkreter Verdacht besteht.
III. Auswertung: Realisierung vorhandener Spielräume bei der Umsetzung der maritimen Übereinkommen? Die in den beiden vorhergehenden Abschnitten erfolgte Untersuchung, inwieweit die (nicht nur) für Traditionsschiffe verbindlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW im deutschen Rechtsraum um- und durchgesetzt werden, bildet nun die Grundlage für eine weitere Auswertung, die sich auf die innerstaatliche Realisierung bestehender Spielräume innerhalb der Übereinkommen bezieht. 1. Realisierung von Spielräumen in Bezug auf die materiell-rechtlichen Standards? Jenseits der Problematik, ob die für Traditionsschiffe zwingenden materiellrechtlichen Standards wirksam innerstaatlich zu Verbindlichkeit geführt worden sind, stellt sich an dieser Stelle – in Anknüpfung an die im 1. Teil der vorliegenden Arbeit ermittelten Spielräume der maritimen Übereinkommen innerhalb der Umsetzungsverpflichtungen219 – die Frage, welche Regelungen im deutschen Recht bestehen, welche diese Spielräume innerstaatlich realisieren. Die ermittelten Spielräume umfassen die Möglichkeit zur Berücksichtigung von Ausnahmeregelungen, zur Erteilung von Befreiungen und zur Zulassung eines sog. „gleichwertigen Ersatzes“ anstelle einer bestimmten technischen Vorgaben sowie die jeweilige Entscheidung darüber, welche (ggf. neueren) Standards auf ältere Bestandsschiffe anzuwenden sind und welche Standards, soweit eine Entscheidung dazu vorgesehen ist, für ein Schiff „zweckmäßig und durchführbar“ sind.
219
Dazu im vorhergehenden 2. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. V. 2.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
a) Ausnahmen und Befreiungen: Verwirklichung durch § 7 Abs. 1 SchSV? Für die Berücksichtigung von Ausnahmen und die Erteilung von Befreiungen enthält das nationale Recht eine Regelung in § 7 Abs. 1 Nr. 1, Satz 2 SchSV. Danach können das BSH und die BG Verkehr (Dienststelle Schiffssicherheit) im Rahmen der Überprüfung von Schiffen unter der Bundesflagge (u. a.) „nach Maßgabe der internationalen Regelungen im Sinne des Schiffssicherheitsgesetzes […] auf Antrag Ausnahmen von verbindlichen Pflichten oder Befreiungen zulassen, soweit eine vergleichbare Sicherheit des Schiffes oder die Abwehr von Gefahren und schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Seeaufgabengesetzes auf andere Weise, auch durch geeignete Nebenbestimmungen, gewährleistet ist. Dies kann insbesondere dann erforderlich sein, wenn für ein seegängiges Wasserfahrzeug wegen seiner geringen Größe oder besonderen Bauart die Anforderungen dieser Verordnung nicht oder nur mit wirtschaftlich nicht vertretbaren Kosten erfüllbar sind.“220
§ 7 Abs. 1 Satz 1 SchSV nimmt inhaltlich zum einen auf SOLAS, LLC, MARPOL und STCW Bezug („nach Maßgabe …“); enthält jedoch darüber hinaus weitere Vorgaben („… , soweit …“). (1) Bezugnahme auf die maritimen Übereinkommen § 7 Abs. 1 Satz 1 SchSV nimmt einerseits auf SOLAS, LLC, MARPOL und STCW Bezug. Ausnahmen oder Befreiungen können „nach Maßgabe der internationalen Regelungen“ zugelassen werden, wobei die „internationalen Regelungen im Sinne des Schiffssicherheitsgesetzes“ die maritimen Übereinkommen erfassen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SchSG i.V.m. Abschnitt A Anlage SchSG). Dies stellt zum einen sicher, dass innerstaatlich nur solche Ausnahmen und Befreiungen zugelassen werden, die in den Übereinkommen selbst vorgesehen sind, sodass der Mindeststandard der Übereinkommen nicht unterschritten wird. Damit erfüllt Deutschland seine Umsetzungsverpflichtungen aus dem jeweiligen Artikel 1 der Übereinkommen. Zum anderen werden der jeweiligen Zulassungsentscheidung damit diejenigen Voraussetzungen zugrunde gelegt, welche die entsprechenden Regelungen der Übereinkommen selbst vorsehen. (2) Abweichen von den maritimen Übereinkommen Darüber hinaus enthält die Regelung in § 7 Abs. 1 SchSV weitere Voraussetzungen, die von den Regelungen in SOLAS, LLC, MARPOL und STCW abweichen.
220
Hervorhebungen durch Verf.
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(a) Behördliche Zulassungsentscheidung über „Ausnahmen“ Soweit das BSH oder die Dienststelle Schiffssicherheit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchSV Ausnahmen „zulassen“ können, verschärft dies die Regelungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW formal, sofern sich die „Ausnahmen“ nach § 7 Abs. 1 SchSV auf die Ausnahmeregelungen der Übereinkommen beziehen221. Aus der Systematik der Übereinkommen, insbesondere von SOLAS, ergibt sich, dass für die von einer Ausnahmeregelung (im Sinne der Übereinkommen) erfassten Schiffe die entsprechenden materiell-rechtlichen Anforderungen ipso iure nicht zwingend gefordert werden müssen.222 Die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchSV würde diese ipso iure erfolgende Freistellung aufheben und sie unter den Vorbehalt der behördlichen Zulassung in Abhängigkeit von den normierten Voraussetzungen stellen. Die nach § 7 Abs. 1 SchSV in das Ermessen des BSH oder der Dienststelle Schiffssicherheit gestellte „Zulassung“ von Befreiungen entspricht hingegen der Dogmatik der Übereinkommen, soweit dort im Zusammenhang mit „Befreiungen“ die Formulierung gebraucht wird, dass die Verwaltung das Schiff von Bestimmungen „befreien kann“. (b) Tatbestandliche Voraussetzungen Als Voraussetzung für die Zulassung von Ausnahmen und Befreiungen ist in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchSV normiert, dass „eine vergleichbare Sicherheit des Schiffes oder die Abwehr von Gefahren und schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Seeaufgabengesetzes auf andere Weise, auch durch geeignete Nebenbestimmungen, gewährleistet“ sein muss. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SchSV kann die Zulassung einer Ausnahme oder Befreiung „insbesondere dann erforderlich“ sein, wenn „für ein seegängiges Wasserfahrzeug wegen seiner geringen Größe oder besonderen Bauart die Anforderungen dieser Verordnung nicht oder nur mit wirtschaftlich nicht vertretbaren Kosten erfüllbar sind“. (aa) Problematik: teilweise Widerspruch zu den maritimen Übereinkommen Mit den dargelegten Voraussetzungen steht § 7 Abs. 1 SchSV teilweise in Widerspruch zu den entsprechenden Regelungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW. Die Übereinkommen enthalten ganz verschiedene Ausnahme- und Befreiungsregelungen, deren Voraussetzungen sich in einigen, übergeordneten Punkten ähneln, 221
Dass dies tatsächlich so gemeint ist, lässt sich auf Grundlage des Wortlautes von § 7 Abs. 1 Satz 1 SchSV nur unterstellen, da die Formulierung insoweit nicht ganz eindeutig ist. Fraglich ist, ob und ggf. auf welche Regelungen der maritimen Übereinkommen sich der Begriff der „Ausnahme“ in § 7 Abs. 1 SchSV über die Ausnahmeregelungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW hinaus beziehen sollte. 222 Siehe dazu in Fn. 328.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
im Detail aber oftmals erheblich voneinander abweichen. Auch der Umfang der materiell-rechtlichen Standards, von deren Erfüllung ein Schiff infolge einer Ausnahme oder einer Befreiung freigestellt ist, ist in den Übereinkommen von Regel zu Regel verschieden. Vor diesem Hintergrund erscheint es bereits problematisch, dass das deutsche Recht die Gesamtheit dieser vielfältigen Regelungen in einer einzigen innerstaatlichen Norm verwirklicht. Bei einem Vergleich von § 7 Abs. 1 SchSV und den entsprechenden Regelungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW fällt sodann auf, dass die dargelegten Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 SchSV inhaltlich den Voraussetzungen, welche die Ausnahme- und Befreiungsregeln der Übereinkommen vorsehen, bei formaler Betrachtung vielfach nur zum Teil entsprechen. So kann etwa nach Regel I/4 a) SOLAS und Art. 6 Abs. 4 LLC ein Schiff, das für gewöhnlich nicht in der Auslandfahrt eingesetzt ist, aufgrund außergewöhnlicher Umstände aber eine einzelne Auslandfahrt unternehmen muss, von Anforderungen befreit werden, „sofern es den Sicherheitsvorschriften entspricht, welche die Verwaltung im Hinblick auf die von dem Schiff auszuführende Reise für angemessen hält“. Innerhalb dieser Regelungen besteht der Anlass für die Befreiungsmöglichkeit weder in der geringen Größe, noch in einer besonderen Bauart eines Schiffes, auf die § 7 Abs. 1 Satz 2 SchSV („insbesondere“) abstellt. Zudem verweisen die zitierten Regelungen von SOLAS und LLC auf von dem jeweiligen Staat festzulegende Sicherheitsvorschriften, während § 7 Abs. 1 Satz 1 SchSV (faktisch) darauf abstellt, dass eine „vergleichbare Sicherheit“ gewährleistet ist. Auf Grundlage welcher nationalen Normen die Gewährleistung dieser „vergleichbaren Sicherheit“ beurteilt werden soll, bleibt ungeregelt. Lediglich in § 5a SchSV wird dazu eine Festlegung getroffen für Schiffe, für welche eine Befreiung auf der Grundlage der sog. 20-Seemeilen-Regelung erteilt werden kann.223 Danach müssen die entsprechenden Schiffe anstelle derjenigen Anforderungen, von denen sie befreit werden, „mindestens die Anforderungen“ einhalten, welche die Schiffe insoweit in der Inlandfahrt erfüllen müssten. Auch in Bezug auf die Ausnahmeregelungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW, die sich auf ganz wesentliche Teile der materiell-rechtlichen Anforderungen des jeweiligen Übereinkommens beziehen, wie etwa Regel I/3 a) SOLAS224, bleibt unklar, wie und v. a. auf welcher rechtlichen Grundlage i.S.v. § 7 Abs. 1 SchSV beurteilt werden sollte, ob das Schiff eine „vergleichbare Sicherheit“ bietet.
223 Nach den sog. 20-Meilen-Regelungen, die in den Regeln II-1/1 Abs. 4, II-2/1 Abs. 4.1 sowie III/2 Abs. 1 SOLAS normiert sind, kann die Verwaltung eines Flaggenstaates ein Schiff von der Anwendung bestimmter Vorschriften der jeweiligen Kapitel befreien, wenn sich das Schiff im Verlauf seiner Fahrt nicht weiter als 20 Seemeilen vom nächstgelegenen Land entfernt und wenn die Verwaltung in Anbetracht der geringen Gefahr und der besonderen Bedingungen der Reise die Anwendung der Vorschriften für unzweckmäßig oder unnötig erachtet. 224 Nach Regel I/3 a) SOLAS gelten die Standards der SOLAS-Anlage für von den Ausnahmeregelungen erfasste Schiffe mit Ausnahme des Kapitels V insgesamt nicht.
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(bb) Anwendung von § 7 Abs. 1 SchSV im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung Um die aufgezeigten Widersprüche aufzulösen wird § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SchSV nach dem Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung innerstaatlicher Normen anzuwenden sein. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, der sich aus einer Zusammenschau der verfassungsrechtlichen Vorschriften, die das Verhältnis Deutschlands zur internationalen Staatengemeinschaft zum Gegenstand haben, ergibt, dient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes als Auslegungshilfe (u. a.) für das einfache innerstaatliche Recht.225 Er gebietet, die nationalen Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht.226 Von mehreren möglichen Gesetzesauslegungen, die im Rahmen geltender methodischer Grundsätze ermittelt worden sind, ist demnach grundsätzlich diejenige zu wählen, die völkerrechtsfreundlich ist.227 Es erleichtert die völkerrechtsfreundliche Auslegung von § 7 Abs. 1 SchSV, dass es sich bei § 7 Abs. 1 SchSV um eine Norm finaler Rechtssetzung handelt. Dabei wird der zuständigen Stelle der Schifffahrtsverwaltung zum Erreichen eines rechtlich vorgegebenen Ziels – hier der Gewährleistung „vergleichbarer Sicherheit“ des Schiffes oder die „Abwehr von Gefahren und schädlichen Umwelteinwirkungen auf andere Weise“ – ein Abwägungs- und Gestaltungsspielraum zugewiesen.228 Die Formulierung in § 7 Abs. 1 Satz 2 SchSV, nach der die Zulassung „erforderlich sein kann, wenn …“, nimmt sodann auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip Bezug und macht damit deutlich, dass die Norm verlangt, diejenigen Erwägungen, die für das Schiff eine Befreiung notwendig machen, gegenüber dem Aspekt, ob das Schiff gleichwohl einen hinreichenden Sicherheitsstandard bietet, in Form einer Abwägung ins Verhältnis zu setzen. Dieser methodische Ansatz innerhalb § 7 Abs. 1 SchSV stimmt im Grundsatz mit den entsprechenden Regelungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW überein. Auch in den Übereinkommen sind diejenigen Regelungen, die Spielräume in Bezug auf die Anwendung von materiell-rechtlichen Standards eröffnen, das Ergebnis eines Abwägungsprozesses, der bestimmte Aspekte in ein angemessenes Verhältnis zueinander setzt.229
225 BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 2 BvL 1/12 –, Rn. 65, 67 und 71, zitiert nach juris. 226 Ebenda, Rn. 71. 227 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Dezember 2006 – 2 BvR 1526/04 –, Rn. 30, zitiert nach juris; Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11 –, Rn. 37, zitiert nach juris. 228 Vgl. zur Zuweisung eines Abwägungs- und Gestaltungsspielraums bei Normen finaler Rechtsetzung Stelkens, in: Stelkens u. a., Verwaltungsverfahrensgesetz, EuR Rn. 218. 229 Siehe dazu im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. V. 2.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Sowohl hinsichtlich der Ermittlung derjenigen Aspekte, welche die zuständige Stelle der deutschen Schifffahrtsverwaltung legitim in diese Abwägung einbeziehen kann, als auch hinsichtlich der Gewichtung dieser Aspekte wird § 7 Abs. 1 SchSV sodann im Einzelfall im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung anzuwenden sein, soweit Ausnahmen und Befreiungen „nach Maßgabe der internationalen Regelungen“ zugelassen werden können. Dementsprechend bedingt der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung eine Anwendung von § 7 Abs. 1 SchSV unter vorrangiger Berücksichtigung derjenigen Anforderungen, welche die jeweilige Ermächtigungsnorm aus einem Übereinkommen selbst vorsieht, i. e. etwa das Vorliegen einer einzelnen Auslandfahrt „aufgrund außergewöhnlicher Umstände“230. Einerseits kann die zuständige Stelle der deutschen Schifffahrtsverwaltung von dem Vorliegen dieser Anforderungen nicht eigenmächtig auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 SchSV absehen, um die Mindeststandards der Übereinkommen nicht zu unterschreiten. Andererseits können diejenigen Gesichtspunkte, auf die § 7 Abs. 1 SchSV selbst abstellt, nur dann tatsächlich in der Abwägung berücksichtigt und gewichtet werden, wenn dieser Gesichtspunkt auch in der entsprechenden Ermächtigungsnorm aus dem Übereinkommen vorgesehen ist. So ist der Schifffahrtsverwaltung zwar durch § 7 Abs. 1 Satz 2 SchSV vorgegeben, dass die Zulassung einer Ausnahme oder Befreiung „insbesondere“ dann erforderlich sein kann, wenn einem Schiff die Erfüllung eines bestimmten Standards „seiner geringen Größe“ oder „besonderen Bauart“ wegen nicht möglich ist. Nach dem Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung können diese beiden Aspekte jedoch tatsächlich in die Abwägung nur dann eingehen, wenn auch die entsprechende Ermächtigungsnorm der Übereinkommen, auf der eine Befreiung beruht, erkennbar die gleichen Aspekte einbezogen hat.231 Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass das Abwägungsprogramm zur Zulassung von Ausnahmen und Befreiungen i.S.v. § 7 Abs. 1 SchSV im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung vorrangig durch diejenigen Anforderungen determiniert ist, welche die jeweilige Ermächtigung in den Übereinkommen vorsieht, und nur subsidiär von den Gesichtspunkten bestimmt werden kann, die § 7 Abs. 1 Satz 2 SchSV selbst herausstellt. Der Gestaltungsspielraum eröffnet für die zuständige Stelle der Verwaltung ferner die Möglichkeit zu entscheiden, durch welche Maßnahmen die Erreichung des Ziels von § 7 Abs. 1 SchSV sichergestellt werden kann. Auch insoweit ist im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung vorrangig zu berücksichtigen, ob die entspre230
Regel I/4 a) SOLAS und Art. 6 Abs. 4 LLC. Freilich beruht eine Vielzahl der Spielräume, welche SOLAS, LLC, MARPOL und STCW vorsehen, tatsächlich auf der Berücksichtigung des Aspektes, dass bestimmte Schiffe materiell-rechtliche Standards aus baulichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht ohne weiteres erfüllen können, es aber als unverhältnismäßig angesehen wird, diesen Schiffen die Möglichkeit der Auslandfahrt gänzlich zu versagen, wenn das Schiff gleichwohl einen angemessenen Sicherheitsstandard gewährleistet. Siehe dazu ausführlich im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. V. 2. 231
A. Traditionsschiffe in internationaler Fahrt
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chende Ermächtigung des jeweiligen Übereinkommens selbst bestimmte Maßnahmen vorsieht. Soweit § 7 Abs. 1 SchSV vorsieht, dass gleichwertige Sicherheit auf andere Weise, „auch durch geeignete Nebenbestimmungen“, gewährleistet sein muss, ist hingegen sorgfältig zu prüfen, ob die maßgebliche Ermächtigung des Übereinkommens den Erlass einer bestimmten Nebenbestimmung als Alternative zur Erfüllung des ursprünglich vorgesehenen Standards tatsächlich zulässt. (c) Unklarer Anwendungsbereich der „Befreiung“ im Übrigen § 7 Abs. 1 Satz 1 SchSV erinnert in Wortlaut und Systematik an die Regelungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW, in denen die Zulassung von sog. gleichwertigem Ersatz oder die Möglichkeit zur Entscheidung, ob die Anwendung eines Standards „zweckmäßig und durchführbar“ ist, normiert sind. Nach den Regelungen über „gleichwertigen Ersatz“, etwa Regel I/5 a) SOLAS, kann die Verwaltung die Verwendung des gleichwertigen Ersatzes anstelle einer nach dem Übereinkommen zu erfüllenden Anforderungen „gestatten“. Damit wird eine behördliche Zulassungsentscheidung gefordert, wie sie auch § 7 Abs. 1 SchSV durch die „Zulassung“ vorsieht. Auch soweit in den Übereinkommen formuliert ist, dass die Verwaltungen über die Anwendung bestimmter Standards entscheiden, soweit sie die Anwendung für zweckmäßig und durchführbar „halten“, wird erkennbar eine behördliche Zulassungsentscheidung vorgesehen. Zudem steht die Verwendung eines gleichwertigen Ersatzes in der Regel unter dem Vorbehalt, dass der Ersatz „ebenso wirksam“ ist, wie die eigentlich vorgesehene Anforderung, d. h. dass das mit dem gleichwertigen Ersatz ausgestattete Schiff – im Ergebnis –, wie es auch § 7 Abs. 1 SchSV verlangt, „vergleichbar sicher“ ist. Die vorstehend dargelegten Zusammenhänge sprechen dafür, dass die innerstaatliche Ermächtigung zur Zulassung von „Befreiungen“ nach § 7 Abs. 1 SchSV auch diejenigen Regelungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW erfassen soll, welche die Zulassung eines sog. gleichwertigen Ersatzes oder die Entscheidung darüber, ob die Anwendung eines Standards für ein Schiff „zweckmäßig und durchführbar“ ist, vorsehen. Zwar gibt der Wortlaut von § 7 Abs. 1 SchSV dafür keine Anhaltspunkte. Systematisch spricht jedoch dafür, dass sich in den nationalen Vorschriften zur Schiffssicherheit im Übrigen keine Vorschriften finden, die sich auf die genannten Regelungen der Übereinkommen beziehen. In § 7 Abs. 3 SchSV ist lediglich normiert, dass „die in den internationalen Regelungen enthaltenen Vorschriften über die Zulassung eines gleichwertigen Ersatzes für Einrichtungen, Werkstoffe, Vorrichtungen, Geräte, Ausrüstungen oder sonstige Vorkehrungen […] auf Schiffe, für die die internationalen Regelungen keine Anwendung finden, entsprechend anzuwenden“
sind. Durch § 7 Abs. 3 SchSV ist erkennbar, dass der Verordnungsgeber unterstellt, in Bezug auf die Anwendung der Vorschriften über die Zulassung eines gleichwertigen Ersatzes auf Schiffe, welche den Übereinkommen unterfallen, keine weiteren Regelungen treffen zu müssen.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Soweit § 7 Abs. 1 SchSV die Zulassung von „Befreiungen“ ermöglicht ist mithin davon auszugehen, dass davon nicht nur diejenigen Regelungen von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW erfasst sind, die vorsehen, dass die Verwaltung ein Schiff unter bestimmten Umständen von einer Anforderung „befreien“ kann. Erfasst sind auch Regelungen der Übereinkommen, in denen die Zulassung von sog. gleichwertigem Ersatz oder die Möglichkeit zur Entscheidung, ob die Anwendung eines Standards „zweckmäßig und durchführbar“ ist, normiert sind. Auch insoweit ist § 7 Abs. 1 SchSV im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung anzuwenden. (d) Fehlende Bestimmung „subsidiär“ zu beachtender Sicherheitsvorschriften Nicht zu klären ist hingegen auch im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung von § 7 Abs. 1 SchSV, welche Sicherheitsanforderungen ein Schiff bei einer Freistellung von bestimmten Anforderungen der maritimen Übereinkommen erfüllen muss. Einige Regelungen der Übereinkommen, welche nach dem Vorgesagten von § 7 Abs. 1 SchSV innerstaatlich verwirklicht werden, sehen vor, dass die nationale Schifffahrtsverwaltung bestimmt, welchen Sicherheitsvorschriften das Schiff – anstelle der internationalen Anforderungen – genügen muss.232 Dazu ist lediglich in § 5a SchSV eine Regelung getroffen für Schiffe, die auf Grundlage der sog. 20Seemeilen-Regelung233 von der Erfüllung bestimmter Anforderungen befreit werden können. b) Standards für Bestandsschiffe Soweit Traditionsschiffe als Bestandsschiffe i.S.v. SOLAS, LLC, MARPOL und STCW anzusehen sind, sind neuere Standards auf sie vielfach nur dann anzuwenden, wenn dies nach Ansicht der nationalen Schifffahrtsverwaltung „zweckmäßig und durchführbar“ ist. Zudem ist es der Schifffahrtsverwaltung zugewiesen festzulegen, welche materiell-rechtlichen Anforderungen Schiffe zu erfüllen haben, die vor 1948 gebaut wurden. Auch zu diesen beiden Punkten enthält das deutsche Schiffssicherheitsrecht, soweit ersichtlich, keine Regelungen. 232 Als Beispiel lassen sich erneut die Regel I/4 a) SOLAS und Art. 6 Abs. 4 LLC anführen, die vorsehen, dass Staaten ein Schiff, das für gewöhnlich nicht in der Auslandfahrt eingesetzt ist, aufgrund außergewöhnlicher Umstände aber eine einzelne Auslandfahrt unternimmt, von Standards der SOLAS-Anlage und von LLC befreien können, sofern das Schiff „den Sicherheitsvorschriften entspricht, welche die Verwaltung im Hinblick auf die von dem Schiff auszuführende Reise für angemessen hält“. 233 Nach den sog. 20-Meilen-Regelungen, die in den Regeln II-1/1 Abs. 4, II-2/1 Abs. 4.1 sowie III/2 Abs. 1 SOLAS normiert sind, kann die Verwaltung eines Flaggenstaates ein Schiff von der Anwendung bestimmter Vorschriften der jeweiligen Kapitel befreien, wenn sich das Schiff im Verlauf seiner Fahrt nicht weiter als 20 Seemeilen vom nächstgelegenen Land entfernt und wenn die Verwaltung in Anbetracht der geringen Gefahr und der besonderen Bedingungen der Reise die Anwendung der Vorschriften für unzweckmäßig oder unnötig erachtet.
A. Traditionsschiffe in internationaler Fahrt
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2. Realisierung von Spielräumen in Bezug auf die Durchsetzungsvorgaben? In Bezug auf die Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW unterliegen Traditionsschiffe ausnahmslos den gleichen Regelungen und Verfahren, wie sonstige Schiffe. a) Möglichkeit zur Heranziehung externen Sachverstandes bei der Überprüfung von Traditionsschiffen? Soweit Traditionsschiffe in Bauart und Ausrüstung Unterschiede gegenüber modernen Schiffen aufweisen, birgt dies auch Herausforderungen für die Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen, d. h. für die Überprüfung von Traditionsschiffen. Insofern eröffnen die Übereinkommen durch die Ermächtigung, die Besichtigung von Schiffen auf „ernannte Besichtiger“ zu übertragen, die Möglichkeit, unterstützend externen Sachverstand hinzuzuziehen, z. B. Sachverständige für historische Schiffbauweisen.234 Fraglich ist, ob diese Möglichkeit innerstaatlich realisiert ist. Die Ermächtigung des § 6 Abs. 2 Satz 1 SeeAufgG, nach welcher sich die Dienststelle Schiffssicherheit für die Besichtigung der Hilfe von Klassifikationsgesellschaften bedienen kann, ist insoweit eher für die in aller Regel nach den Richtlinien einer Klassifikationsgesellschaft gebauten Fahrzeuge der Berufsschifffahrt relevant. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 SeeAufgG hingegen kann sich die Dienststelle Schiffssicherheit bei der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben der Hilfe „geeigneter Stellen“ bedienen. Als „geeignete Stelle“ ließen sich ggf. entsprechende Sachverständige für die Bauweise historischer Schiffe heranziehen. Allerdings bezieht sich die Möglichkeit zur Bedienung jener „geeigneter Stellen“ nach § 6 Abs. 2 Satz 2 SeeAufgG nicht auf die eigentlichen Überprüfungsaufgaben – wie die Besichtigung, sondern bspw. (nur) auf die Festlegung des Freibords nach LLC oder die Bestimmung der Mindestbesetzung eines (Traditions-)Schiffes. Damit bleibt die BG Verkehr (Dienststelle Schiffssicherheit) in Bezug auf die Besichtigung und Überprüfung von Traditionsschiffen im Ergebnis weitgehend auf die Vorhaltung geeigneten Fachwissens durch ihre eigenen Besichtiger verwiesen. b) Problematik: persönliche Verpflichtung ehrenamtlich tätiger Betreiber von Traditionsschiffen In Bezug auf die für die Einhaltung der materiell-rechtlichen Standards verpflichteten Adressaten ist zu berücksichtigen, dass Eigentümer eher kleinerer Traditionsschiffe unter der Bundesflagge oftmals eingetragene Vereine sind. Für diese Traditionsschiffe betrifft die Pflicht zur Einhaltung der Anforderungen aus den Übereinkommen faktisch v. a. die durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 b) SchSG mitverpflichteten 234
Vgl. dazu im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. V. 3.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Vereinsvorstände als vertretungsberechtigte Organe des eingetragenen Vereins235. Anders als die Eigentümer von Fahrzeugen der Berufsschifffahrt verdienen die Eigentümer von Traditionschiffen mit dem Einsatz des Schiffes in vielen Fällen (persönlich) kein Geld, da sie ehrenamtlich tätig sind. Auch sind die Eigentümer teilweise nicht (auf andere Art und Weise) beruflich mit der Seefahrt befasst. Die persönliche Verantwortlichkeit für die Erfüllung der materiell-rechtlichen Standards stellt für einen solchen Vereinsvorstand mithin eine erhebliche Verantwortung dar. Dies betrifft in gleichem Maße die auf Traditionsschiffen – ebenfalls oft ehrenamtlich tätigen – Schiffsführer. Aus Sicht der Verantwortlichen wiegt dies umso schwerer, als die Erfüllung bestimmter betrieblicher Pflichten durch § 14 SchSV ordnungswidrigkeitenbewehrt ist. Gesonderte innerstaatliche Regelungen, die diese Verantwortlichkeit unter dem Aspekt des Ehrenamtes abmildern, bestehen nicht, wiewohl eine solche Regelung angesichts insoweit fehlender Vorgaben aus den maritimen Übereinkommen möglich wäre. Zwar können der Schiffseigentümer und der Schiffsführer etwa nach den §§ 3 Satz 2, 9 Abs. 1 Nr. 2 SchSG bestimmte betriebliche Pflichten auf andere Personen übertragen, allerdings ohne dass eine solche Übertragung die eigene Verantwortlichkeit des Schiffseigentümers bzw. Schiffsführers vollständig beseitigen würde.236 Sofern auf den entsprechenden Traditionsschiffen Fahrgäste befördert werden, steht die hohe Verantwortung allerdings auch in Relation zu deren berechtigten Sicherheitsanliegen. Wenn die Ausübung eines Ehrenamtes damit einhergeht, für das Leib und Leben anderer Menschen verantwortlich zu sein, ist es nur folgerichtig, als Verantwortlicher für das Schiff auch eine korrespondierend hohe rechtliche Verantwortung zu tragen. 3. Resümee Soweit SOLAS, LLC, MARPOL und STCW für die innerstaatliche Umsetzung Spielräume eröffnen, innerhalb derer (auch) die Besonderheiten von Traditionsschiffen berücksichtigt werden könnten, werden diese im Ergebnis (v. a.) durch § 7 Abs. 1 SchSV noch nicht bestmöglich realisiert. In Bezug auf die in den Übereinkommen vorgesehenen Ausnahmeregelungen lässt die Regelung in § 7 Abs. 1 SchSV unklar, ob die Erfassung von Schiffen durch einen dieser Ausnahmeregelungen innerstaatlich unter Erlaubnisvorbehalt gestellt ist. Wäre dies der Fall, würde dies formal eine innerstaatliche Verschärfung der Regelungen der Übereinkommen darstellen und die bestehenden Spielräume an dieser Stelle etwas einengen. Im Übrigen sind, soweit ersichtlich, keine deutschen Rechtsvorschriften bekanntgemacht, die Definitionen der in den Ausnahmerege235 236
§ 26 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dazu Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 4 SchSG, Rn. 4, und § 9 SchSG, Rn. 2.
A. Traditionsschiffe in internationaler Fahrt
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lungen verwendeten Begrifflichkeiten enthielten. Angesichts des breiten Auslegungsspielraumes, den diese Begrifflichkeit jedoch teilweise eröffnen237, würden derartige Regelungen – bspw. in Form einer Verwaltungsvorschrift – für die Praxis begrüßenswerte Klarheit schaffen. Die durch die maritimen Übereinkommen vorgesehenen Möglichkeiten zur Befreiung von Standards, zur Zulassung von sog. gleichwertigem Ersatz oder dem Vorbehalt der Einstufung bestimmter Anforderungen als „zweckmäßig und durchführbar“ werden innerstaatlich durch § 7 Abs. 1 SchSV im Grundsatz realisiert. Um (teilweise) einen Widerspruch zu den Regelungen der Übereinkommen zu vermeiden wird § 7 Abs. 1 SchSV insoweit hinsichtlich seines Anwendungsbereiches und v. a. hinsichtlich seiner Voraussetzungen völkerrechtsfreundlich auszulegen sein. Soweit die Übereinkommen die Möglichkeit eröffnen, ein Schiff von der Erfüllung der entsprechenden Anforderungen freizustellen, steht dies oft unter dem Vorbehalt, dass das Schiff – quasi alternativ – von der nationalen Schifffahrtsverwaltung zu bestimmenden Sicherheitsvorschriften entsprechen muss. Auch dazu hat Deutschland mit Ausnahme von § 5a SchSV keine Regelungen bekanntgemacht und überlässt die Bestimmung der zu erfüllenden Sicherheitsvorschriften somit der zuständigen Stelle der deutschen Schifffahrtsverwaltung. An dieser Stelle würde es für mehr Rechtsklarheit sorgen und damit die tatsächliche Realisierung der insoweit bestehenden Spielräume evtl. erleichtern, wenn auch dazu – zumindest in Form einer Verwaltungsvorschrift – klarstellende Regelungen getroffen wären. Gleiches gilt auch, soweit festzustellen ist, dass die deutschen Vorschriften weder bestimmen, welche Standards „zweckmäßig und durchführbar“ auf Bestandsschiffe anzuwenden sind, noch welche Anforderungen von Schiffen zu erfüllen sind, die vor dem Jahr 1948 gebaut wurden. Auch in Bezug etwa auf die Interpretationsfrage, wann ein Umbau an einem Schiff ein „Umbau größerer Art“ im Sinne der maritimen Übereinkommen darstellt, sind, soweit ersichtlich, keine Vorschriften bekanntgemacht. Insoweit gilt gleichfalls, dass durch entsprechende Regelungen mehr Rechtsklarheit geschaffen werden könnte. In Bezug auf die Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW wäre eine Regelung, nach der sich die BG Verkehr (Dienststelle Schiffssicherheit) bei der Besichtigung und Überprüfung von Traditionsschiffen externen Sachverstandes bedienen kann, u. U. eine Erleichterung, um insoweit nicht stets eigenen Sachverstand vorhalten zu müssen.
237 Vgl. nur: „Holzschiff einfacher Bauart“ (Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS), oder „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ (Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS). Dazu im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. I. 4. b) und A. I. 4. c).
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
B. Deutschland als Hafenstaat gegenüber Traditionsschiffen unter fremden Flaggen Ist mit den bisherigen Untersuchungen geklärt, inwieweit die materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW im deutschen Rechtsraum für Traditionsschiffe unter der Bundesflagge verbindlich sind und durchgesetzt werden, stellt sich weiter die Frage, welche Regelungen für Traditionsschiffe unter einer anderen als der Bundesflagge maßgeblich sind, die international in Fahrt sind und dabei auch deutsche Häfen anlaufen. Vorliegend wird dieser Frage nachgegangen aus dem Blickwinkel der Untersuchung, wie Deutschland die maritimen Übereinkommen als Hafenstaat gegenüber Traditionsschiffen unter fremder Flagge durchsetzt.
I. Hafenstaatliche Aufgaben zur Durchsetzung der maritimen Übereinkommen Neben den Flaggenstaaten werden zur Durchsetzung der Einhaltung der materiell-rechtlichen Standards durch das Seerechtsübereinkommen und durch die maritimen Übereinkommen als „Gegengewicht zum Flaggenstaatsprinzip“238 auch die Hafenstaaten herangezogen. Hafenstaaten sind diejenigen Staaten, die ein Schiff im Verlauf seiner Reise anläuft.239 Den Hafenstaaten obliegt im Rahmen der Durchsetzung der Übereinkommen vorrangig die Kontrolle des Zustandes der Schiffe und der notwendigen Befähigungszeugnisse im Hafen240; ggf. auch die Untersuchung und Verfolgung von Verstößen gegen Standards241.242
238 Wolfrum, in: Vitzthum/Hafner, Handbuch des Seerechts, Kapitel 4, IV., Rn. 43. Vgl. zur Ergänzung der Flaggenstaatkontrollmechanismen durch die Hafenstaatkontrolle auch Höltmann, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz in der EU nach Erika und Prestige, S. 73 ff. 239 Wolfrum, in: Vitzthum/Hafner, Handbuch des Seerechts, Kapitel 4, V., Rn. 78. 240 Nach SOLAS, LLC und STCW unterliegt ein Schiff den entsprechenden Befugnissen „im Hafen einer anderen Vertragsregierung“ (Regel I/19 a) SOLAS; vergleichbar Art. 21 Abs. 1 Satz 1 LLC sowie Art. X Abs. 1 Satz 1 STCW.). Nach Art. 5 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 2 MARPOL i.V.m. Art. 218 SRÜ können Schiffe nicht nur in den Häfen, sondern auch „an den der Küste vorgelagerten Umschlagplätzen“ überprüft werden. 241 Vgl. Regel I/19 a) SOLAS, Art. 21 Abs. 1 Satz 1 LLC, Regel I/11 Abs. 1, IV/13 Abs. 1, V/9 Abs. 1 und VI/10 Abs. 1 MARPOL sowie Art. X Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Regel I/4 Abs. 1.1 STCW. Die Untersuchung und Verfolgung von Verstößen betrifft v. a. MARPOL, das den Hafenstaaten insoweit weitergehende Kompetenzen einräumt, als SOLAS, LLC und STCW. Gemäß Art. 6 Abs. 2 MARPOL kann ein Schiff im Rahmen der Hafenstaatkontrolle bspw. auch daraufhin überprüft werden, ob es entgegen den Regeln von MARPOL Schadstoffe in die See eingeleitet hat. Eingehend zur Hafenstaatkontrolle nach MARPOL Lindemann, Untersuchung, Festhalten und sofortige Freigabe ausländischer Seehandelsschiffe, S. 135 ff. 242 Wolfrum, in: Vitzthum/Hafner, Handbuch des Seerechts, Kapitel 4, V., Rn. 91.
B. Deutschland als Hafenstaat gegenüber Traditionsschiffen
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Grundlage der Überprüfung von (Traditions-)Schiffen in Häfen sind die durch den jeweiligen Flaggenstaat für das Schiff ausgestellten Zeugnisse, die nach den Übereinkommen durch den jeweiligen Hafenstaat anzuerkennen sind, sofern nicht „triftige Gründe“ für die Annahme bestehen, dass die tatsächlichen Verhältnisse nicht (mehr) den Angaben im Zeugnis entsprechen243. Der jeweilige Hafenstaat ist also nicht ohne weiteres befugt, den Zustand und die Ausstattung eines Schiffes selbst eingehend zu überprüfen. Dieser eingeschränkte Prüfungsmaßstab im Vergleich zur Überprüfung von Schiffen unter der eigenen Flagge ergibt sich aus den völkerrechtlichen Pflichten des Seerechtsübereinkommens, wie etwa Art. 226 SRÜ.244
II. Deutschland als Hafenstaat gegenüber (Traditions-)Schiffen unter fremder Flagge Die Vorschriften über die hafenstaatlichen Befugnisse Deutschlands finden sich vorrangig im Schiffssicherheitsgesetz, dessen Anwendbarkeit auf Schiffe unter fremder Flagge nach den völkerrechtlichen Maßgaben, v. a. des Seerechtsübereinkommens, beschränkt ist.245 1. Zu erfüllende materiell-rechtliche Standards durch Traditionsschiffe unter fremder Flagge Bevor die einzelnen Befugnisse Deutschlands gegenüber Traditionsschiffen unter einer anderen als der Bundesflagge analysiert werden, ist zunächst zu klären, welche materiell-rechtlichen Anforderungen für Traditionsschiffe unter fremder Flagge in der internationalen Fahrt gelten, deren Einhaltung Deutschland als Hafenstaat durchsetzt. Grundsätzlich sind freilich diejenigen materiell-rechtlichen Standards maßgeblich, welche der jeweilige Flaggenstaat des Schiffes nach seinem innerstaatlichen Recht zu Verbindlichkeit für (Traditions-)Schiffe unter der eigenen Flagge geführt 243 Regel I/19 b) SOLAS, Art. 20 und Art. 21 Abs. 1 Satz 2 LLC, Art. 5 Abs. 2 Satz 2 MARPOL sowie Art. X Abs. 1 Satz 2 STCW. Ausführlich zu den Regelungen der Hafenstaatkontrolle im SRÜ und in den maritimen Übereinkommen auf Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Zeugnisanerkennung Höltmann, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz in der EU nach Erika und Prestige, S. 76 ff. und 79 ff., jeweils m.w.N. 244 Nach Art. 226 Abs. 1 a) S. 1 SRÜ dürfen Hafenstaaten ein fremdes Schiff nicht länger aufhalten, als es für die Zwecke der in den Art. 216, 218 und 220 SRÜ vorgesehenen Untersuchungen unerlässlich ist. Zudem muss sich jede Überprüfung an Bord eines fremden Schiffes nach Art. 226 Abs. 1 a) S. 2 SRÜ grundsätzlich auf die Prüfung der Zeugnisse, Aufzeichnungen und sonstigen Dokumente beschränken, welche die Schiffe mitzuführen haben. Eine weitergehende Überprüfung an Bord des Schiffes darf nur nach einer solchen Prüfung und nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommen werden. 245 Vgl. Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 2 SchSG, Rn. 1.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
hat. Soweit sich Schiffe unter fremder Flagge indes im deutschen Rechtsraum bewegen und in diesem von Deutschland als Hafenstaat kontrolliert werden können, bedarf es darüber hinaus zum einen der normativen Feststellung, dass die einzuhaltenden materiell-rechtlichen Standards der Übereinkommen (auch) nach deutschem Recht auf die fremden Schiffe anwendbar sind.246 Die entsprechende Regelung enthält § 2 Abs. 2 Nr. 1 b) SchSG.247 Zum anderen stellt sich die Frage, ob Deutschland als Hafenstaat über die Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW hinaus für Traditionsschiffe unter fremder Flagge die Erfüllung zusätzlicher – etwa der eigenen nationalen – Anforderungen verlangen kann.248 Einer solchen Kompetenz Deutschlands steht, mit Ausnahme für den Bereich der sog. inneren Gewässer249, die bereits erwähnte Beschränkung der innerstaatlichen Befugnisse eines Hafenstaates durch das Seerechtsübereinkommen entgegen. Nach Art. 21 Abs. 2 SRÜ dürfen sich nationale Regelungen, die fremde Schiffe bei der Durchfahrt durch das Küstenmeer betreffen, „nicht auf den Entwurf, den Bau, die Bemannung oder die Ausrüstung“ – mithin auf wesentliche Inhalte von SOLAS, LLC und MARPOL – erstrecken, sofern sie dabei nicht den maritimen Übereinkommen Wirksamkeit verleihen. In diesen Grenzen dürfen für (Traditions-)Schiffe unter fremder Flagge folglich keine über die Standards der genannten Übereinkommen hinausgehenden nationalen Anforderungen begründet werden.250 Diese Beschränkung berücksichtigt § 2 Abs. 2 Nr. 1 b) SchSG, nach dem „internationale Regelungen hinsichtlich […] der Bauart, Bauausführung, Ausrüstung und Bemannung“ auf Schiffe unter ausländischer Flagge nur anwendbar sind, wenn sie den maritimen Übereinkommen entsprechen, und erweitert sie zu246
BT-Drucks. 13/9722, S. 17. Danach sind die Vorschriften des Schiffssicherheitsgesetzes auf (bestimmte) Schiffe unter ausländischer Flagge „nur im Rahmen einer Durchsetzung, die mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts und mit dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen im Einklang steht, nach den folgenden Grundsätzen anwendbar: In den deutschen Hoheitsgewässern sind internationale Schiffssicherheitsregelungen hinsichtlich (…) der Bauart, Bauausführung, Ausrüstung und Bemannung (…) nur anwendbar, wenn sie in Abschnitt A oder Abschnitt C der Anlage genannt sind.“ SOLAS, LLC, MARPOL und STCW sind in Abschnitt A der Anlage zum SchSG genannt. 248 Diese Frage kann etwa relevant werden, wenn zwischen einem Hafen- und dem Flaggenstaat eines (Traditions-)Schiffes Unstimmigkeiten bestehen darüber, welche materiellrechtlichen Standards der maritimen Übereinkommen das Schiff konkret einzuhalten hat. Aus der Sicht eines Flaggenstaates, der bestimmte materiell-rechtliche Anforderungen der maritimen Übereinkommen für ein Schiff unter seiner Flagge nicht für anwendbar erachtet, stellt das Verlangen eines Hafenstaates nach der Erfüllung ebenjener Anforderungen das Verlangen nach der Erfüllung zusätzlicher Anforderungen dar. Zur Problemstellung der gegenseitigen „Anerkennung“ von Traditionsschiffen im nordeuropäischen Raum sogleich unter III. 249 Die „inneren Gewässer“ umfassen nach Völkerrecht die Gewässer unmittelbar vor der Festlandküste eines Staates, welche von der sogenannten Basislinie (Art. 5 bis 9 SRÜ) von den weiteren Meeresteilen abgegrenzt werden (Art. 8 Abs. 1 SRÜ). Die Hoheitsgewalt eines Küstenstaates erstreckt sich auf seine inneren Gewässer (vgl. Art. 2 Abs. 1 SRÜ). 250 Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 2 SchSG, Rn. 7. 247
B. Deutschland als Hafenstaat gegenüber Traditionsschiffen
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gleich über die Fahrt durch das Küstenmeer hinaus auf den gesamten Bereich der deutschen Hoheitsgewässer, i. e. auch auf die inneren Gewässer.251 2. Durchsetzungsbefugnisse für Deutschland als Hafenstaat im Einzelnen: Überprüfung, Festhalteverfügungen und Zuständigkeiten Die innerstaatliche Ermächtigung für die Überprüfung von (Traditions-)Schiffen unter fremder Flagge enthält, in Umsetzung der entsprechenden völkerrechtlichen Regelungen252, § 14 Abs. 1 SchSG. Danach hat die Überprüfung von Schiffen unter ausländischer Flagge unter Beachtung der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts und der internationalen Regelungen“ zu erfolgen. In den deutschen Häfen erfolgt die Überprüfung von Schiffen unter fremder Flagge gemäß § 14 Abs. 1 SchSG zugleich nach den Vorschriften der sog. EU-Hafenstaatkontrollrichtlinie (Richtlinie 2009/16/ EG253) und von Art. 22 ff. Richtlinie 2008/106/EG254. Die Vorschriften über die Hafenstaatkontrolle werden für Deutschland zudem ergänzt durch das am 26. Januar 1982 in Paris von zunächst 14 (heute insgesamt 29) Staaten255 unterzeichnete „Memorandum of Understanding on Port State Control“ (sog. Paris MoU).256, 257 Werden bei der Überprüfung eines (Traditions-)Schiffes in einem deutschen Hafen Unzulänglichkeiten festgestellt, etwa das Fehlen eines nach den maritimen 251
Ebenda. Insbesondere Art. 218 SRÜ und (u. a.) Regel I/19 SOLAS. Dazu zuvor unter B. I. 253 Richtlinie 2009/16/EG vom 23. April 2009 über die Hafenstaatkontrolle. 254 Richtlinie 2008/106/EG vom 19. November 2008 über Mindestanforderungen für die Ausbildung von Seeleuten. 255 Die Staaten der Europäischen Union und Kanada. 256 Bei dem Paris MoU handelt es sich nach überwiegender Ansicht um völkerrechtlich nicht verbindliches soft-law (Kasoulides, Marine Pollution Bulletin 1989, 255 (261). Molenaar, IJMCL 1996, 241 (244 ff). Höltmann, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz in der EU nach Erika und Prestige, S. 86 m.w.N. A.A. Lindemann, Untersuchung, Festhalten und sofortige Freigabe ausländischer Seehandelsschiffe, S. 162 ff.). Das Paris MoU ist nicht in innerstaatliches Recht inkorporiert worden; seine Inhalte werden jedoch weitgehend durch die Hafenstaatkontrollrichtlinie der EU verwirklicht: Nach Art. 1 c) der Richtlinie 2009/16/EG soll in der Gemeinschaft ein System der Hafenstaatkontrolle durchgeführt werden, das auf den in der Gemeinschaft und der unter die Pariser Vereinbarung fallenden Region durchgeführten Überprüfungen beruht. Ziel des Paris MoU ist die Identifizierung von sog. substandard-Schiffen durch ein harmonisiertes System der Hafenstaatkontrolle in den Unterzeichnerstaaten. Zu diesem Zweck regelt das Paris MoU die Durchführung der Hafenstaatkontrollen nach harmonisierten Vorgaben. So wird für jedes Schiff nach einer bestimmten, in Anlage 7 zum Paris MoU enthaltenen Matrix ein Risikoprofil erstellt – „high, standard or low risk“. Das Risikoprofil eines Schiffes ist nach Anlage 8 zum Paris MoU ausschlaggebend für den Umfang, die Häufigkeit und Priorisierung der Überprüfung eines Schiffes in der Hafenstaatkontrolle. Ausführlich zur EU-Hafenstaatkontrollrichtlinie und dem Paris MoU Höltmann, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz in der EU nach Erika und Prestige, S. 84 ff. 257 Zu anderen regionalen Port State Control-MOUs vgl. Özçayır, Port state control, Abschnitt 5. 252
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Übereinkommen mitzuführenden Zeugnisses, so ermächtigen § 11 Abs. 1 SchSG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 Richtlinie 2009/16/EG und Art. 24 2008/106/EG sowie § 12 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 11 Abs. 3 SchSV unter den Voraussetzungen, welche die Übereinkommen dafür vorsehen258, dazu, das Auslaufen oder die Weiterfahrt eines Schiffes für einen angemessenen Zeitraum zu verhindern (Festhalteverfügungen). Zuständig für die Überprüfung von (Traditions-)Schiffen unter fremder Flagge sowie den potentiellen Erlass von Festhalteverfügungen ist innerstaatlich nach § 12 Abs. 1 S. 1 SchSV die BG Verkehr (Dienststelle Schiffssicherheit). Für den Erlass einstweiliger Festhalteverfügungen sind nach § 12 Abs. 1 S. 2, § 11 Abs. 3 SchSV die Schifffahrtspolizeibehörden (Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, WSV) zuständig.259
III. Traditionsschiffe in der Hafenstaatkontrolle im nordeuropäischen Raum Es wurde herausgearbeitet, dass für Traditionsschiffe unter fremder Flagge, die von Deutschland als Hafenstaat überprüft werden, § 2 Abs. 2 Nr. 1 b) SchSG die normative Feststellung enthält, dass die einzuhaltenden materiell-rechtlichen Standards von SOLAS, LLC, MARPOL und STCW auf die fremden Schiffe anwendbar sind.260 Ungeklärt lässt diese Regelung, welches die „einzuhaltenden“ materiellrechtlichen Standards in diesem Sinne sind, woraus sich in der Praxis Probleme ergeben. 1. Problematik: Fehlende zwischenstaatliche Anerkennung der rechtlichen Einordnung von Traditionsschiffen durch den jeweiligen Flaggenstaat Welche materiell-rechtlichen Standards einzuhalten sind, ergibt sich für Traditionsschiffe zunächst aus der Rechtssetzungsbefugnis des eigenen Flaggenstaates. 258 Gemäß Regel I/19 c) SOLAS kann das Auslaufen eines Schiffes so lange verhindert werden, bis das Schiff ohne Gefahr für sich selbst oder die an Bord befindlichen Personen in See gehen oder den Hafen verlassen kann, um sich zu einer geeigneten Reparaturwerft zu begeben, in dem Fall, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des SOLAS-Zeugnisses nicht vorliegen, oder wenn ein Zeugnis abgelaufen oder ungültig geworden ist. LLC, MARPOL und STCW enthalten inhaltlich vergleichbare Regelungen (Art. 21 Abs. 2 LLC, Art. 5 Abs. 2 S. 3 und 4 MARPOL sowie Art. X Abs. 3). 259 Das entspricht zugleich der Aufgabenzuweisung in § 1 Nr. 2 und Nr. 3 a) SeeAufgG, wonach die Schifffahrtspolizei dem Bund obliegt. Die Schifffahrtspolizei stellen in Deutschland die dem BMVI als Mittelbehörde gleichrangig nachgeordnete Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) und als Unterbehörden die Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern (WSA) dar. Im Bereich seewärts der Begrenzung des Küstenmeers wird die WSV durch die Bundespolizei und die Zollverwaltung unterstützt, die dabei im Auftrag der WSV tätig sind. 260 Dazu unmittelbar zuvor unter B. II. 1.
B. Deutschland als Hafenstaat gegenüber Traditionsschiffen
213
Grundsätzlich sind diejenigen materiell-rechtlichen Standards maßgeblich, welche der jeweilige Flaggenstaat des Schiffes nach seinem innerstaatlichen Recht zu Verbindlichkeit für Schiffe unter der eigenen Flagge geführt hat. Dabei legt auch zunächst der Flaggenstaat nach seiner rechtlichen Interpretation der Ausnahme- und Befreiungsregeln der maritimen Übereinkommen fest, welche materiell-rechtlichen Standards zwingend sind, sodass er sie zu Verbindlichkeit führen muss, und in Bezug auf welche Standards ihm Spielräume zustehen.261 So bestimmt – freilich nur im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen – der Flaggenstaat, ob ein Traditionsschiff unter seiner Flagge etwa unter eine der Ausnahmeregelungen von SOLAS, LLC, MARPOL oder STCW zu subsumieren ist, ob er dem Traditionsschiff Befreiungen von einzelnen Standards erteilt oder welche Standards bspw. Bestandsschiffe mit einem weit zurückliegenden Baudatum erfüllen müssen. Schwierigkeiten ergeben sich, wenn ein Traditionsschiff in den Hafen eines Staates einläuft, der bestimmte Begriffe und Anforderungen der maritimen Übereinkommen anders interpretiert, als der Flaggenstaat des Schiffes. Dies betrifft – in Bezug auf Traditionsschiffe – insbesondere unterschiedliche Interpretationen der Ausnahmeregelungen sowie etwa des „Fahrgast“-Begriffes mit dem etwaigen Folgeproblem, ob ein bestimmtes Schiff als Fahrgastschiff i.S.v. SOLAS oder als „Spezialschiff“ nach dem SPS-Code einzuordnen ist.262 Stellt etwa ein bestimmtes Traditionsschiff nach der Ansicht seines Flaggenstaates ein „Spezialschiff“ i.S.d. SPS-Codes dar – mit der Folge, dass ihm die nach dem SPS-Code vorgesehenen Zeugnisse263 ausgestellt werden –, nach Ansicht des Hafenstaates aber ein Fahrgastschiff i.S.v. SOLAS264, so wird der Hafenstaat das Schiff ggf. wegen des Fehlens des notwendigen Zeugnisses festhalten265, während es nach dem Verständnis des
261
Siehe dazu ausführlich im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. V. 2. Siehe zu den benannten Problemstellungen jeweils ausführlich im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. I. 4.; zum „Fahrgast“-Begriff nach SOLAS und der Abgrenzung zum „Spezialpersonal“ i.S.d. SPS-Codes insbesondere unter A. I. 4. a) (1) (d). 263 Im SPS-Code ist nach Nummer 7 der Präambel die Ausstellung eines „Sicherheitszeugnisses für Spezialschiffe“ vorgesehen. Zusätzlich muss das Spezialschiff, wenn es in der „Auslandfahrt“ i.S.v. SOLAS eingesetzt ist, ein „SOLAS-Sicherheitszeugnis“ mitführen, und zwar entweder ein SOLAS-Zeugnis für ein Fahrgastschiff „mit einem SOLAS-Ausnahmezeugnis“ (im engl. Text „SOLAS Exemption Certificate“), oder für ein Frachtschiff „mit einem SOLAS-Ausnahmezeugnis“, „sofern erforderlich, nach Entscheidung der Verwaltung“. 264 Ein „Fahrgastschiff“ i.S.v. Regel I/2 f) SOLAS müsste nach Regel I/12 a) i) SOLAS über ein „Sicherheitszeugnis für Fahrgastschiffe“ verfügen. 265 Wird bei der Überprüfung eines Schiffes unter fremder Flagge durch Deutschland als Hafenstaat das Fehlen eines nach den maritimen Übereinkommen mitzuführenden Zeugnisses festgestellt, so ermächtigen § 11 Abs. 1 SchSG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 Richtlinie 2009/16/EG und Art. 24 2008/106/EG sowie § 12 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 11 Abs. 3 SchSV unter den Voraussetzungen, welche die maritimen Übereinkommen dafür vorsehen (etwa Regel I/19 c) SOLAS: „ … oder wenn ein Zeugnis abgelaufen oder ungültig geworden ist, trifft der die Kontrolle durchführende Bedienstete Maßnahmen, um ein Auslaufen des Schiffes so lange zu verhindern, bis es ohne Gefahr für das Schiff oder die an Bord befindlichen Personen in See gehen oder den 262
214
2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Flaggenstaates mit dem völkerrechtlich vorgeschriebenen Zeugnis ausgestattet ist. Fraglich ist damit, welchem Staat in einem solchen Kollisionsfall die maßgebliche Deutungshoheit über die Auslegung von Begrifflichkeiten oder die Notwendigkeit zur Anwendung bestimmter fakultativer Anforderungen der maritimen Übereinkommen zusteht. Diese Frage ist auf Grundlage der Abgrenzung der Hoheitsbefugnisse zwischen Flaggen- und Hafenstaat zu beantworten. Läuft ein Schiff in den Hafen eines fremden Staates ein, so besteht die Flaggenhoheit zwar grundsätzlich fort; sie tritt jedoch im Kollisionsfall hinter die Gebietshoheit des Hafenstaates zurück.266 Teil der Hoheitsbefugnisse, welche die Gebietshoheit des Hafenstaates umfasst, ist dabei auch die Interpretationskompetenz zur Auslegung von Begrifflichkeiten der maritimen Übereinkommen. Mit anderen Worten „gilt“ in einem Hafen diejenige (freilich notwendig völkerrechtskonforme) Auslegung von Begriffen, die der jeweilige Hafenstaat vertritt. Dies führt in der Praxis u. U. für Schiffe zu Schwierigkeiten, wenn diese sich auf die durch ihren eigenen Flaggenstaat ausgestellten Zeugnisse verlassen, diese sodann beim Einlaufen in einen fremden Hafen von dem jeweiligen Hafenstaat aber nicht anerkannt werden. 2. Lösungsansatz: Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Zeugnissen nach den Übereinkommen Zur Handhabung dieses Problems, das sich in seinen Grundzügen freilich nicht nur für Traditionsschiffe stellt, ist in den maritimen Übereinkommen die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Zeugnissen des Flaggenstaates vorgesehen. Auf Grundlage der Übereinkommen ausgestellte Zeugnisse des Flaggenstaates sind vom Hafenstaat anzuerkennen, sofern nicht „triftige Gründe“ für die Annahme bestehen, dass die tatsächlichen Verhältnisse des Schiffes nicht (mehr) den Angaben im Zeugnis entsprechen267. Nach dieser Regelung dürften sich potentiell unterschiedliche Interpretationen von Begrifflichkeiten aus SOLAS, LLC, MARPOL oder STCW zwischen Flaggen- und Hafenstaat eigentlich nicht auswirken. Allerdings beziehen sich die Pflichten zur gegenseitigen Anerkennung nur auf bestimmte Zeugnisse. Schwierigkeiten bereitet in der Praxis vor allem der Umstand, dass für Traditionsschiffe, die unter eine Ausnahmeregelung der Übereinkommen fallen und auf die infolgedessen der überwiegende Teil der materiell-rechtlichen Anforderungen nicht zwingend anzuwenden ist, kein Zeugnis vorgesehen ist. Zwar ist in der deutschen Fassung von SOLAS in Regel I/12 a) lit. vii) folgendes normiert: Hafen verlassen kann … “), dazu, das Auslaufen oder die Weiterfahrt des Schiffes für einen angemessenen Zeitraum zu verhindern. 266 Serdy, in: Baatz, Maritime law, S. 323. Gadow-Stephani, Der Zugang zu Nothäfen und sonstigen Notliegeplätzen für Schiffe in Seenot, S. 17, 100 f. und 185. 267 Regeln 17 und I/19 b) SOLAS, Art. 20 und Art. 21 Abs. 1 Satz 2 LLC, Art. 5 Abs. 2 Satz 2 MARPOL sowie Art. X Abs. 1 Satz 2 STCW.
B. Deutschland als Hafenstaat gegenüber Traditionsschiffen
215
„… wird einem Schiff nach Maßgabe dieser Regeln eine Ausnahme gewährt, so wird zusätzlich zu den unter diesem Buchstaben vorgeschriebenen Zeugnissen ein als Ausnahmezeugnis bezeichnetes Zeugnis ausgestellt.“268
Gemäß Regel I/19 b) SOLAS ist dieses „Ausnahmezeugnis“ vom Hafenstaat anzuerkennen. Bei dem zitierten deutschen Wortlaut handelt es sich allerdings um eine missverständliche Übersetzung, soweit darin von einem Zeugnis für eine „Ausnahme“ die Rede ist. In der verbindlichen englischen bzw. französischen Fassung von SOLAS bezieht sich Regel I/12 a) lit. vii) SOLAS auf Zeugnisse für „exemptions“ (engl. und frz.). Dieser Terminus wäre in Übereinstimmung mit der Systematik von SOLAS mit „Befreiung“ zu übersetzen.269 Auf der Grundlage von Regel I/12 a) lit. vii) SOLAS können mithin lediglich Zeugnisse für Befreiungen etwa gemäß Regel I/4 SOLAS ausgestellt werden, d. h. für die Zulassung von Abweichungen von einzelnen vorgeschriebenen materiell-rechtlichen Standards, nicht jedoch für die Annahme einer Ausnahmeregelung. Eine Lösung über die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Zeugnissen nach den maritimen Übereinkommen scheitert mithin für Traditionsschiffe, die einer der Ausnahmeregelungen der Übereinkommen unterfallen, am Fehlen der entsprechenden Zeugnisse. 3. Lösungsansatz: Das London MoU 2005 Die beschriebene Problematik der fehlenden gegenseitigen Anerkennung von Traditionsschiffen in der Hafenstaatkontrolle gab im nordeuropäischen Raum den Anstoß zur Ausarbeitung des „Memorandum of Understanding on the mutual recognition of certificates for the safe operation of traditional ships in European waters and of certificates of competency for crews on traditional ships“, welches am 28. November 2005 in London von acht Anrainerstaaten der Nord- und Ostsee270 sowie von Spanien unterzeichnet wurde (sog. London MoU 2005).271 Die Unterzeichnerstaaten umrissen die Problematik wie folgt: 268
Hervorhebung durch Verf. Zur Abgrenzung einer „Ausnahme“ von einer „Befreiung“ nach SOLAS siehe in Fn. 328. 270 Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Großbritannien, Niederlande, Norwegen und Schweden. 271 Der (englische) Text des London MoU ist auf dem Internetauftritt der „European Maritime Heritage” (EMH) veröffentlicht. Das London MoU ist nicht in die deutsche Sprache übersetzt und auch nicht für den deutschen Rechtsraum bekanntgemacht oder in sonstiger Form amtlich veröffentlicht worden. Der Text eines Vorläuferübereinkommens zum London MoU, die „Absprache über die gegenseitige Anerkennung von Zeugnissen für den sicheren Betrieb von Traditionsschiffen in europäischen Gewässern und von Befähigungszeugnissen für Besatzungsmitglieder von Traditionsschiffen“ vom 8. Mai 2002 (sog. Wilhelmshaven MoU), ist hingegen mit einer amtlichen deutschen Übersetzung veröffentlicht worden (BGBl. 2002 II, S. 1563). Viele Regelungen des London MoU, insbesondere die Regelung zur gegenseitigen 269
216
2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
„In several countries in Northern and Western Europe, Governments have adopted standards for traditional ships with different approaches concerning the standards applicable to the construction and equipment as well as the safe operation and the certification of crews for such ships, which causes problems during port state control“.272
Ausgehend von diesem Befund zeigten sich die Unterzeichnerstaaten „convinced of the necessity, for these purposes, of mutual recognition of national certificates for the safe operation of traditional ships in European waters and of certificates of competency of crews on such traditional ships on the basis of a minimum standard adopted by the Common European Maritime Heritage Congress (CEMHC) as well as of national safety certificates for traditional ships concerning construction, equipment and radio requirements“.273
Zentrale Regelung des London MoU 2005 ist Regel 1.2 UA 2 von Abschnitt 1, welche die gegenseitige Anerkennung eines (nationalen274) Zeugnisses für Traditionsschiffe im Rahmen der Hafenstaatkontrolle regelt: „Each Authority is willing to recognize the Document of Compliance for ships classed as Traditional Ships [and, d. Verf.] national certificates of competency of crews of traditional ships under the flag of a state whose Authority is a signatory to this Memorandum, when calling at a port or participating in races, parades and festivals in its waters …“275
Regel 1.2 UA 2 von Abschnitt 1 London MoU ist damit inhaltlich an der Regelung zur gegenseitigen Anerkennung von SOLAS-Zeugnissen (Regel I/17 SOLAS) orientiert. Dem im Rahmen der gegenseitigen Anerkennung nationaler Regelungen für Traditionsschiffe fehlenden einheitlichen Sicherheitsstandard der Schiffe wird in Regel 1.2 UA 2 von Abschnitt 1 London MoU begegnet durch den Vorbehalt der
Anerkennung von Zeugnissen in Regel 1.2 UA 2 von Abschnitt 1 London MoU, sind identisch zu den Regelungen des Wilhelmshafen MoU (dort ebenfalls Regel 1.2 UA 2 von Abschnitt 1). 272 Erwägungsgrund 3 des London MoU 2005. 273 Erwägungsgrund 10 des London MoU 2005. 274 Das „Zeugnis über die Erfüllung der einschlägigen Vorschriften“ („Document of Compliance“), das von den Unterzeichnerstaaten des London MoU anzuerkennen ist, bescheinigt nach Regel 1.2 UA 1 des Abschnitts 1 London MoU, dass das Traditionsschiff den maßgeblichen nationalen Vorschriften entspricht und auch den Leitlinien des London MoU selbst genügt. 275 Insgesamt lautet Regel 1.2 UA 2 von Abschnitt 1 London MoU: „Each Authority is willing to recognize the Document of Compliance for ships classed as Traditional Ships; national certificates of competency of crews of traditional ships under the flag of a state whose Authority is a signatory to this Memorandum, when calling at a port or participating in races, parades and festivals in its waters, provided that the certificates for safety, the safe operation and the competency of crews are issued under the guidelines of the present Memorandum and it‘s annex II thereto as guidance to minimum standards subject to the amendment procedure in section 3.3 and to the generally accepted international conventions, regulations, procedures and practices as well as to national law and, as far as traditional ships flying the flag of a Member State of the European Union are concerned, to binding provisions based on the EC Treaty such as Directive 98/18/EC.“
B. Deutschland als Hafenstaat gegenüber Traditionsschiffen
217
Anerkennung dahingehend, dass die nationalen Zeugnisse gemäß den Leitlinien des London MoU – insbesondere der Anlage II dazu – ausgestellt sein müssen.276 In der Praxis hat das London MoU 2005 gleichwohl keine Bedeutung erlangt, da sich seine Anwendung nicht durchgesetzt hat. Da das London MoU nicht als rechtsverbindlicher völkerrechtlicher Vertrag, sondern als zwischenstaatliches Verwaltungsabkommen abgeschlossen wurde, waren die Unterzeichnerstaaten zu seiner Anwendung nicht verpflichtet.277 Spätestens seit dem Jahr 2008 wird in der Praxis nicht mehr nach dem London MoU verfahren. 4. Bilaterale Lösungsansätze: „Flensburg Fjord Agreement“ Nach dem Scheitern des London MoU von 2005 gab es im nordeuropäischen Raum vereinzelt Bestrebungen nach dem Abschluss bilateraler Vereinbarungen zwischen Nachbarstaaten zur gegenseitigen Anerkennung der den Traditionsschiffen unter eigener Flagge ausgestellten Zeugnisse. Ein Beispiel ist das zwischen Deutschland und Dänemark im Juni 2010 geschlossene sog. Flensburg Fjord Agreement, eine deutsch-dänische Verwaltungsvereinbarung zum Grenzverkehr in der Flensburger Förde.278 Nach der Vereinbarung können Traditionsschiffe, die aufgrund ihres nationalen Zeugnisses mehr als 12 Fahrgäste befördern dürfen, die jeweiligen Häfen Deutschlands und Dänemarks anlaufen, sofern den Betreibern vorher eine entsprechende Erlaubnis ausgestellt worden ist.279 Das „Flensburg Fjord Agreement“ ist indes in der Praxis nie zur Anwendung gelangt. Nach Auskunft der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr hat 276 „… provided that the certificates for safety, the safe operation and the competency of crews are issued under the guidelines of the present Memorandum and it‘s annex II thereto …“. 277 Für den deutschen Rechtsraum wurde dem London MoU ein Vollzugsbefehl in Form einer formlosen innerdienstlichen Bekanntgabe und Weisung an die zuständigen Stellen der nationalen Schifffahrtsverwaltung erteilt. Da ein Verwaltungsabkommen innerstaatlich den Rang seines jeweiligen Umsetzungsaktes teilt (Kempen, in: von Mangoldt u. a., Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 107.), hat das London MoU 2005 im deutschen Rechtsraum den Rang einer verwaltungsinternen Regelung. 278 Der (englische) Text des „German/Danish Agreement for Traditional ships on the Flensburg Fjord“ kann bei der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr erfragt werden. Der Text ist nicht in die deutsche Sprache übersetzt und für den deutschen Rechtsraum auch nicht bekanntgemacht oder in anderer Form amtlich veröffentlicht worden. Dem Flensburg Fjord Agreement wurde, wie dem London MoU 2005, ein Vollzugsbefehl in Form einer formlosen innerdienstlichen Bekanntgabe und Weisung erteilt, womit ihm national der Rang einer verwaltungsinternen Regelung zukommt (vgl. Kempen, in: von Mangoldt u. a., Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 107.). 279 Vgl. § 4 der Vereinbarung: „The agreement shall make it possible to disembark guests taken on board in a German or a Danish port of the neighbouring country within the Flensburg Fjord area. …“ § 6 der Vereinbarung lautet: „Permits to call at the ports of the neighbouring country shall be issued by either the BG Verkehr or the Danish Maritime Authority and shall be granted in each individual case through a separate document to be kept together with the ship‘s national safety certificate …“.
218
2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
kein Traditionsschiff unter der Bundesflagge einen Antrag auf Erteilung eines Zertifikats nach dem Abkommen gestellt. Weitere bilaterale Vereinbarungen zwischen Staaten bestehen nicht bzw. haben sich, soweit bekannt, ebenfalls nicht durchgesetzt. 5. Ergebnis Damit ist die Problematik über die Anerkennung der rechtlichen Einordnung von Traditionsschiffen in der internationalen Fahrt zwischen Flaggen- und Hafenstaaten bislang nicht zufriedenstellend gelöst.
C. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in nationaler Fahrt Abschließend ist zu untersuchen, welche Regelungen im deutschen Rechtsraum für in der Inlandfahrt eingesetzte Traditionsschiffe unter der Bundesflagge maßgeblich sind. Zum einen werden diese Traditionsschiffe, soweit sie von der EUFahrgastschiffsrichtlinie erfasst sind280, durch deren Anforderungen reguliert, sofern diese in nationales Recht umgesetzt sind (dazu nachfolgend I.). Im Übrigen bestehen für „Traditionsschiffe“ im Sinne einer Definition im deutschen Recht gesonderte nationale Regelungen, die zu Beginn des Jahres 2018 neugefasst wurden (dazu nachfolgend II.).
I. Umsetzung der Anforderungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie in Deutschland Die materiell-rechtlichen Standards der Richtlinie 2009/45/EG werden innerstaatlich durch § 5 Abs. 1 SchSG sowie § 5 Abs. 2 SchSV, jeweils i.V.m. Anlage D Nr. 12 SchSG, umgesetzt.281 § 5 Abs. 1 SchSG normiert: „Soweit die in Abschnitt D der Anlage genannten Regelungen der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union durch Verpflichtung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union darauf abzielen, dass in ihnen genannte Personen, Organisationen oder Unternehmen bestimmte Pflichten einzuhalten haben, sind die sich daraus ergebenden
280
Zur Geltung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie für Traditionsschiffe in der Inlandfahrt siehe ausführlich im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter B. 281 Zu § 5 Abs. 1 SchSG OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 1 Bs 174/09 –, Rn. 12, zitiert nach juris.
C. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in nationaler Fahrt
219
Pflichten von den jeweils Genannten zu erfüllen; diese sind insoweit für die Einhaltung der Regelungen verantwortlich.“282
§ 5 Abs. 2 SchSV lautet: „Soweit Vorschriften in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften oder Europäischen Union, die im Abschnitt D der Anlage zum Schiffssicherheitsgesetz aufgeführt sind, auf ein Schiff, das die Bundesflagge führt, anzuwenden sind, sind für dieses Schiff die jeweils einschlägigen Vorschriften dieser Regelungen und die in Abschnitt A der Anlage 1 enthaltenen Vorschriften einzuhalten.“283
In Ziffer 12 der Anlage D zum Schiffssicherheitsgesetz werden Art. 3 bis 8, 11 Absatz 2 und 3, 12, 13, 15 und 17 i.V.m. den Anhängen I bis V sowie mit den Art. 1 und 2 der Richtlinie 2009/45/EG genannt. Das umfasst Art. 3 Richtlinie 2009/45/EG, der i.V.m. den in Art. 2 enthaltenen Begriffsbestimmungen den Geltungsbereich der Richtlinie festlegt, sowie Art. 6 der Richtlinie, der die einzuhaltenden materiellrechtlichen Standards im Einzelnen bestimmt284. Diese Regelungen werden durch den jeweils summarischen Anwendungsbefehl in § 5 Abs. 1 SchSG und § 5 Abs. 2 SchSV285 zu Verbindlichkeit für die durch die Richtlinie als Regelungsgegenstand erfassten (Traditions-)Schiffe geführt.286 Soweit die in Abschnitt D der Anlage zum Schiffssicherheitsgesetz benannten Regelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie die für die Einhaltung der Standards verantwortlichen Adressaten nicht im Einzelnen festlegen, verweist § 5 Abs. 2 SchSG auf die insoweit entsprechende Geltung der §§ 7 bis 9 SchSG.287 Die Durchsetzung der materiell-rechtlichen Standards der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie 282
Hervorhebung durch Verf. Hervorhebung durch Verf. 284 Dazu unter Punkt B. III. des 1. Teils der vorliegenden Arbeit. 285 Zwar begegnet der dynamische Anwendungsbefehl in § 5 Abs. 2 SchSV, der sich auf die Normen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie in ihrer jeweils geltenden Fassung bezieht, im Grundsatz den gleichen Bedenken in Bezug auf seine Vereinbarkeit mit innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen, wie § 5 Abs. 1 SchSV (dazu ausführlich zuvor unter Punkt A. I. 2. b) (2) (c) im 2. Teil). Allerdings kommt es für die innerstaatliche Umsetzung der materiell-rechtlichen Standards der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie auf § 5 Abs. 2 SchSV – anders als auf § 5 Abs. 1 SchSV hinsichtlich der maritimen Übereinkommen – neben der Regelung in § 5 Abs. 1 SchSG nicht maßgeblich an. Zudem enthält die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie im Vergleich mit den maritimen Übereinkommen mehr Begriffsdefinitionen und ist auch sonst deutlich detaillierter gefasst, sodass sich das Problem der Unbestimmtheit des dynamischen Verweises bei weitem nicht in gleichem Maße stellt, wie bei § 5 Abs. 1 SchSV. Vgl. dazu auch Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 5 SchSG, Rn. 1 unter Verweis auf BT-Drucks. 13/9722, S. 18. 286 So zu § 5 Abs. 1 SchSG Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 5 SchSG, Rn. 1. Siehe dort sowie unter Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 11 SchSG, Rn. 1 bis 3, auch zur innerstaatlichen Umsetzung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie über die Verwirklichung der materiell-rechtlichen Standards hinaus. 287 Zur Festlegung der Adressaten, die für die Einhaltung der materiell-rechtlichen Standards als Verantwortliche heranzuziehen sind, durch §§ 7 bis 9 SchSG siehe bereits im Rahmen der Ausführungen zur Durchsetzung der maritimen Übereinkommen im 2. Teil unter Punkt A. II. 2. c). 283
220
2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
erfolgt im Übrigen weitgehend identisch zur Durchsetzung der maritimen Übereinkommen.288 Die für die Durchsetzung der Richtlinie 2009/45/EG notwendigen Ermächtigungen sind in § 11 SchSG normiert.289 Spielräume zur Berücksichtigung der Besonderheiten von Traditionsschiffen eröffnet die Richtlinie 2009/45/EG über die in Art. 3 Abs. 2 a) enthaltenen Ausnahmeregelungen290 hinaus v. a. durch Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3, nach denen die Mitgliedstaaten Regelungen erlassen können, um Schiffe in bestimmten Konstellationen von spezifischen Anforderungen der Richtlinie zu befreien (Abs. 2) oder um für besondere Anforderungen der Richtlinie gleichwertigen Ersatz zu gestatten (Abs. 3). Soweit ersichtlich hat Deutschland derartige Regelungen, die spezifisch für Traditionsschiffe relevant wären, nicht erlassen. Nach alledem gilt die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie (auch) innerstaatlich für diejenigen Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in der Inlandfahrt, die Fahrgastschiffe (i.S.d. SOLAS-Regelungen) darstellen und länger als 24 Meter sind, sofern es sich nicht um ein Traditionsschiff handelt, das von einer der Ausnahmeregelungen in Art. 3 Abs. 2 a) Richtlinie 2009/EG/45 erfasst ist.
II. Traditionsschiffe im nationalen Recht Für diejenigen Traditionsschiffe in der Inlandfahrt, die nach dem Vorgesagten nicht von der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie erfasst sind291, gelten schließlich gesonderte nationale Regelungen, die in der zum 14. März 2018 geänderten Schiffssicherheitsverordnung enthalten sind292 (nachfolgend: „Traditionsschiff-Regelungen“). In gewisser Weise füllen die gesonderten nationalen Regelungen für Traditionsschiffe Spielräume aus, welche die maritimen Übereinkommen und die EUFahrgastschiffsrichtlinie eröffnen. Traditionsschiffe, die von den genannten Regel-
288
Dazu zuvor unter Punkt A. II. des 2. Teils. Vgl. dazu Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 11 SchSG, Rn. 1 bis 3. 290 Das umfasst: „Traditionsschiffe“ (Art. 3 Abs. 2 a) lit. vi) Richtlinie 2009/45/EG), „Schiffe einfacher Bauart aus Holz“ (Art. 3 Abs. 2 a) lit. v) Richtlinie 2009/45/EG), „Segelschiffe“ und „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ (Art. 3 Abs. 2 a) lit. ii) und lit. iii) Richtlinie 2009/45/EG) sowie „Sportboote“ (Art. 3 Abs. 2 a) lit. vii) Richtlinie 2009/45/EG). 291 Das betrifft im Wesentlichen Traditionsschiffe mit einer Länge unter als 24 Metern, „Traditionsschiffe“ i.S.d. Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 2 a) lit. vi) Richtlinie 2009/EG/45 Richtlinie sowie „Segelschiffe“ und „Schiffe ohne Maschinenantrieb“ i.S.d. Ausnahmeregelungen in Art. 3 Abs. 2 a) lit. ii) und lit. iii) Richtlinie 2009/EG/45. 292 Die Regelungen über „Sicherheitsanforderungen an den Bau und die Ausrüstung von Traditionsschiffen“ finden sich in Teil 3 der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV in der durch die Verordnung vom 7. März 2018 (BGBl. 2018 I, S. 237, 250) geänderten Fassung. Die geänderte Fassung der Schiffssicherheitsverordnung ist am 14. März 2018 in Kraft getreten. 289
C. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in nationaler Fahrt
221
werken nicht erfasst sind – etwa weil sie unter eine Ausnahmeregelung fallen –293, werden weitgehend (nur) durch die nationalen Regelungen reguliert. Dabei hat der nationale Gesetzgeber bei der Normierung der Anforderungen, die er an die Schiffe stellt, im Grundsatz mangels zwingender völkerrechtlicher- oder unionsrechtlicher Vorgaben gesetzgeberischen Freiraum. Anforderungen könnten dementsprechend, um die Besonderheiten von Traditionsschiffen zu berücksichtigen, flexibler formuliert werden – etwa stärker durch Zielvorgaben, als durch formale materiellrechtliche Standards. Für den Fall, dass ein Traditionsschiff eine Anforderung nicht erfüllen kann, könnte zudem die Möglichkeit vorgesehen werden, eine alternative Maßnahme zuzulassen, bspw. in Form von beschränkenden Auflagen hinsichtlich der Anzahl der Personen an Bord, der Fahrzeiten, der Wetterverhältnisse, des Fahrtgebietes oder der maximalen Entfernung zur nächstgelegenen Küste, die im Notfall angelaufen werden kann. 1. Definition des Begriffes „Traditionsschiff“ Zur Bestimmung ihres Anwendungsbereiches enthalten die innerstaatlichen Traditionsschiff-Regelungen eine gesonderte Definition des Begriffes „Traditionsschiff“. Diese Definition soll vor der eigentlichen (inhaltlichen) Auseinandersetzung mit den innerstaatlichen Regelungen für Traditionsschiffe separat untersucht werden. Für Traditionsschiffe, die aufgrund der Spielräume, welche die maritimen Übereinkommen und die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie eröffnen, nach nationalem Recht „gesondert“ behandelt werden können, bestimmt diese Definition schlussendlich, ob das Schiff tatsächlich in den „Genuss“ der nationalen Sonderregeln kommt. Da die maritimen Übereinkommen für die in Rede stehende Kategorie „historischer Schiffe“ kein Vorbild geben, ist der nationale Gesetzgeber insoweit frei, welche Kriterien er zur Definition heranzieht.294 Gleichwohl ist der Regelungsgegenstand anspruchsvoll, soweit der sehr heterogene Bestand „historischer Schiffe“295 möglichst umfänglich erfasst werden soll. a) Begriffliche Anlehnung an das Denkmalschutzrecht Der Begriff des „Traditionsschiffes“ im nationalen Sinne ist in Regel 2.1.1 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen definiert als
293 Zur Abgrenzung des Anwendungsbereiches der nationalen Regelungen gegenüber der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie und den maritimen Übereinkommen ausführlich nachfolgend unter Punkt 2. a. 294 Hinsichtlich der sonstigen Schiffstypen, für welche der deutsche Verordnungsgeber in der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV jeweils nationale Regelungen normiert, dienen weitgehend die Schiffskategorien aus den Übereinkommen – insbesondere aus SOLAS – als Vorbild (Fahrgastschiffe, Frachtschiffe, Sportboote). 295 Siehe dazu in der Einleitung unter Punkt B. II. 1. a.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
„ein historisches Wasserfahrzeug, an dessen Präsentation in Fahrt ein öffentliches Interesse besteht“,
wobei ein „historisches Wasserfahrzeug“ nach Regel 2.1.2 „Ein hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebautes Schiff, das aufgrund seiner Bauart, seiner Konstruktion, seinem ehemaligen Nutzungszweck und seiner Seltenheit erhaltenswert ist und das im Wesentlichen dem Originalzustand zum Zeitpunkt seines Baus oder einem späteren für das Schiff während seiner wirtschaftlichen Nutzungsperiode historisch bedeutsamen Bauzustand entspricht“
darstellt.296 Die Tatbestandsmerkmale, auf welche mit dieser Definition abgestellt wird, nehmen ersichtlich Anlehnung an das Denkmalschutzrecht („öffentliches Interesse an Präsentation“, „Originalwerkstoffe“, „erhaltenswert“, „Originalzustand“), wiewohl diese Anlehnung sachlich freilich ohnehin naheliegt. Da die einzelnen Tatbestandsmerkmale der Definition eines „Traditionsschiffes“ mithin vom Blickwinkel des Denkmalschutzrechtes aus zu erschließen sind, wird nachfolgend zunächst in der gebotenen Kürze ermittelt, nach welchen Kriterien sich die Eigenschaft einer Sache als „Denkmal“ bestimmt. b) Kriterien zur Bestimmung eines „Denkmals“ nach Denkmalschutzrecht Die Regelungen des nationalen Denkmalschutzrechtes knüpfen an das Vorliegen eines sog. Kulturdenkmals an.297 Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wertenden Inhalts298 lässt sich in der Zusammenschau der entsprechenden Begriffsbestimmungen in den Denkmalschutzgesetzen der Länder beschreiben als ein Objekt, dessen Erhaltung wegen seiner Bedeutung in einer bestimmten Schutzkategorie im Interesse der Allgemeinheit liegt und dem folglich ein sog. Erhaltungswert („Denkmal296 Bei nächster Gelegenheit sollte die Begriffsbestimmung eines „Traditionsschiffes“ in § 1 Abs. 3 SportSeeSchV zur Harmonisierung an die Definition in Kapitel 1 Regel 2.1.1 und 2.1.2 Traditionsschiff-Regelungen angeglichen werden. Die Sportseeschifferscheinverordnung enthält Normen über den Erwerb von Sportsee- und Sporthochseeschifferscheinen sowie Anforderungen an die Besetzung von Traditionsschiffen. § 1 Abs. 3 SportSeeSchV lautet: „Traditionsschiffe im Sinne dieser Verordnung sind historische Wasserfahrzeuge oder deren Nachbauten bis zu einer Rumpflänge von 55 Metern, an deren Erhaltung und Präsentation in Fahrt ein öffentliches insbesondere kulturelles Interesse besteht und deren Restaurierung und Betrieb entsprechend den Regeln und Fertigkeiten traditioneller Seemannschaft der Pflege des maritimen Erbes dient und denen ein Sicherheitszeugnis auf der Grundlage der Sicherheitsrichtlinie für Traditionsschiffe nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 der Schiffssicherheitsverordnung in der jeweils gültigen Fassung erteilt worden ist.“ 297 Vgl. etwa § 2 Abs. 1 Sächsisches Denkmalschutzgesetz, § 2 Abs. 1 Gesetz zum Schutz der Kulturdenkmale Baden-Württemberg oder § 1 Niedersächsisches Denkmalschutzgesetz. 298 Stdg. Rechtsprechung der Obergerichte. So etwa OVG Bautzen, Urteil vom 28. August 2017 – 1 A 131/16 –, Rn. 37, zitiert nach juris. OVG Weimar, Urteil vom 5. November 2003 – 1 KO 433/00 –, Rn. 42, zitiert nach juris. VGH Mannheim, Urteil vom 27. Mai 1993 – 1 S 2588/92 –, Rn. 21, zitiert nach juris.
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wert“299) zukommt. Nach der einheitlichen Rechtsprechung der Obergerichte setzt die Eigenschaft einer Sache als Kulturdenkmal auf Grundlage der Begriffsbestimmungen in den Denkmalschutzgesetzen der Länder ihre sog. Denkmalfähigkeit und ihre sog. Denkmalwürdigkeit voraus. Denkmalfähig ist eine Sache, wenn einer der in den Landesdenkmalschutzgesetzen genannten Schutzgründe (sog. Denkmalwertkategorien) für ihre Erhaltung spricht; denkmalwürdig ist sie, wenn ein öffentliches Interesse besteht, das die auf einem gesetzlichen Schutzgrund beruhende Erhaltung der Sache rechtfertigt.300 Als Denkmalwertkategorien, welche die Denkmalfähigkeit einer Sache ausmachen, sind – neben geschichtlichen – künstlerische, wissenschaftliche, städtebauliche, produktions- und technikgeschichtliche sowie volkskundliche Gründe anerkannt.301, 302 Für die Entstehung des öffentlichen Erhaltungsinteresses, das über die Denkmalfähigkeit einer Sache hinaus deren Denkmalwürdigkeit und damit letztendlich ihren Denkmalwert (Erhaltungswert) begründet, wird gefordert, dass die Sache geeignet sein muss, als Anschauungsmaterial für eine historische Aussage zu dienen; sie also „dokumentarische[n] und exemplarische[n] Wert“ hat.303 Das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Erhaltungsinteresses hat zudem die Aufgabe, aus dem Kreis denkmalfähiger Sachen eine „eingrenzende Auswahl“ – im Sinne der „Ausgrenzung rein individueller Vorlieben und privater Liebhaberinteressen“ – zu treffen und damit eine „unangemessene Ausweitung des Denkmalbegriffs“ zu verhindern.304 Die Rechtsprechung verlangt zur Begründung der Denkmalwürdigkeit 299 Vgl. etwa OVG Magdeburg, Urteil vom 18. August 2016 – 2 L 65/14 –, Rn. 48, zitiert nach juris. OVG Weimar, Urteil vom 1. September 2010 – 1 KO 832/06 –, Rn. 40 ff., zitiert nach juris. Vgl. auch Davydov, in: Martin/Krautzberger, Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, Teil C. Denkmalbegriff I. Wissenschaftlicher und juristischer Denkmalbegriff, Rn. 16. 300 OVG Bautzen, Urteil vom 28. August 2017 – 1 A 131/16 –, Rn. 38 f., zitiert nach juris. OVG Magdeburg, Urteil vom 18. August 2016 – 2 L 65/14 –, Rn. 38, zitiert nach juris. OVG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2007 – 2 Bf 298/02 –, Rn. 55 ff., zitiert nach juris. OVG Weimar, Urteil vom 5. November 2003 – 1 KO 433/00 –, Rn. 41, zitiert nach juris. 301 Vgl. Davydov, in: Martin/Krautzberger, Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, Teil C. Denkmalbegriff II. Gesetzliche Voraussetzungen, Rn. 27. Moench, NJW 1983, 1998 (1999). 302 Bei den für die vorliegende Arbeit im Fokus stehenden Traditionsschiffen würde sich die Denkmalfähigkeit wohl ganz überwiegend auf Grundlage eines geschichtlichen Schutzgrundes ergeben. Geschichtliche Bedeutung kommt einer Sache zu, wenn sie einen Aussagewert für das menschliche Leben bestimmter Zeitepochen sowie für die politischen, kulturellen und sozialen Verhältnisse und Geschehensabläufe dieser Zeit hat (Davydov, in: Martin/Krautzberger, Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, Teil C. Denkmalbegriff II. Gesetzliche Voraussetzungen, Rn. 31, unter Verweis auf ein nicht veröffentlichtes Urteil des OVG NRW vom 12. Mai 1986 – 7 A 2944/83 –.). 303 OVG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2007 – 2 Bf 298/02 –, Rn. 59 und 81, zitiert nach juris. 304 OVG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2007 – 2 Bf 298/02 –, Rn. 81, zitiert nach juris.
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einer Sache neben dem Kriterium des Alters eine Abwägung über die Integrität und Originalität eines Objekts, wobei die Einzelheiten zur Bewertung dieser Kriterien zum Teil sehr umstritten sind und je nach Einzelfall unterschiedlich bemessen werden können.305 Die Verwaltungspraxis der Landes-Denkmalschutzämter prüft für das Vorliegen des öffentlichen Erhaltungsinteresses u. a. die Singularität einer Sache, ihre Bedeutung für die Kulturlandschaft, ihren wissenschaftlich-dokumentarischen Wert, ihre Vorbildhaftigkeit für eine Tradition, ihre Bedeutung für die Volksbildung, ihre Bedeutung für die Deutung einer Epoche oder eines Ereignisses der Geschichte, ihren Erlebnis- und Erinnerungswert sowie ihren künstlerischen Rang.306, 307 c) Die „Traditionsschiff“-Definition im Detail Die in Regel 2.1.1 i.V.m. Regel 2.1.2 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen normierte innerstaatliche Definition eines „Traditionsschiffes“ legt die im vorhergehenden Abschnitt herausgearbeiteten Kriterien des Denkmalschutzrechtes zugrunde, nimmt jedoch im Detail Modifizierungen vor.308 (1) Erhaltungswert Ausgangspunkt des zentralen Begriffes des „historischen Wasserfahrzeuges“ ist die Anforderung, dass ein Schiff „erhaltenswert“ sein muss. Das entspricht im Grundsatz dem Begriff des „Kulturdenkmals“, der auch Ausgangspunkt des Denkmalschutzrechts ist. Ein Schiff wird demnach als „erhaltenswert“ i.S.v. Regel 2.1.2 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen anzusehen sein, wenn ein öffentliches Interesse an seiner Erhaltung besteht, weil es aufgrund der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen eine historische Aussage vermittelt. Einschränkung – im Vergleich mit dem Denkmalschutzrecht – haben durch Regel 2.1.2 die heranziehbaren Schutzkategorien („Denkmalwertkategorien“) erfahren, die den Erhaltungswert eines Schiffes begründen können: das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Schiffes kann (nur) durch seine „Bauart“, seine 305
Dazu Davydov, in: Martin/Krautzberger, Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, Teil C. Denkmalbegriff II. Gesetzliche Voraussetzungen, Rn. 54 ff. 306 Davydov, in: Martin/Krautzberger, Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, Teil C. Denkmalbegriff II. Gesetzliche Voraussetzungen, Rn. 54. 307 Daran gemessen würde das öffentliche Erhaltungsinteresse an einem Traditionsschiff aus dessen Eignung folgen, mittels seines Erscheinungsbildes und seiner Darbietung in Fahrt Zeugnis abzulegen etwa über seine Bauart und -technik, sein daraus resultierendes früheres Fahrtgebiet sowie seinen früheren Verwendungszweck und v. a. auch dessen geschichtlichen Hintergrund. 308 Nach der Rechtsprechung des OVG Hamburg steht der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr dabei zur Ausfüllung des Merkmals „historisches Wasserfahrzeug“ kein Beurteilungsspielraum zu, sondern die Anwendung des Rechtsbegriffes habe „anhand objektiver Kriterien“ zu erfolgen (Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 1 Bs 174/09 –, Rn. 7, zitiert nach juris).
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„Konstruktion“, seinen „ehemaligen Nutzungszweck“ und seine „Seltenheit“ begründet sein. Da die vier Kriterien durch den Konnektor „und“ miteinander verbunden sind, müssen sie kumulativ vorliegen. Mit der Heranziehung des Kriteriums der „Seltenheit“ unterscheidet sich die Traditionsschiff-Definition zusätzlich vom Denkmalschutzrecht. Der Seltenheit eines Objektes kommt im Denkmalschutzrecht eher eine untergeordnete Rolle gegenüber anderen Kriterien zu, da der Denkmalschutz nicht auf die Erhaltung „letzter Exemplare“309 verwiesen werden soll.310 (2) Originalwerkstoffe und Originalzustand Zudem muss das Schiff nach Regel 2.1.2 von Kapitel 1 der TraditionsschiffRegelungen „hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen“ gebaut sein und „im Wesentlichen dem Originalzustand“ zum Bauzeitpunkt entsprechen. Damit wird auf die im Denkmalschutzrecht von der Rechtsprechung für die Begründung der sog. Denkmalwürdigkeit herangezogenen Aspekte der Originalität („Originalwerkstoffe“) und Integrität („Originalzustand“) abgestellt.311 Soweit das Schiff nach Regel 2.1.2 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen anstelle des Originalzustands zu seinem Bauzeitpunkt auch einem späteren Bauzustand entsprechen kann, sofern dieser „während seiner wirtschaftlichen Nutzungsperiode historisch bedeutsam“ war, trägt dies der Praxis Rechnung, dass viele Traditionsschiffe während ihrer früheren Nutzung als Fahrzeug der Berufsschifffahrt nicht selten mehrfach erheblich umgebaut wurden, wobei gerade ein Bauzustand (erst) nach einem solchen Umbau der aus heutiger Sicht eigentlich erhaltenswerte sein kann. Von den Kriterien der Originalität und Integrität lassen die Regeln 2.1.2.1 und 2.1.2.2 a) von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen Abweichungen zu, soweit unter bestimmten Umständen „Rückbauten“312 als historisches Wasserfahrzeug „anerkannt“ und „Nachbauten“313 im Einzelfall „gleichgestellt“ werden können.314 309
juris.
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Juli 1990 – 1 S 2998/89 –, Rn. 18, zitiert nach
310 Differenzierender dazu OVG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2007 – 2 Bf 298/02 –, Rn. 81, zitiert nach juris: „Neben der Ausgrenzung rein individueller Vorlieben und privater Liebhaberinteressen greift es [das öffentliche Erhaltungsinteresse, d. Verf.] vor allem dann als Korrektiv ein, wenn zahlreiche vergleichbare Objekte noch vorhanden sind. Die Erhaltungswürdigkeit setzt damit zwar keine Einmaligkeit voraus. Das öffentliche Interesse an der Einstufung eines Objekts als Denkmal wird aber umso schwieriger zu begründen sein, je mehr vergleichbare Exemplare es in der Nähe gibt.“ 311 Dazu auch OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 1 Bs 174/09 –, Rn. 8, zitiert nach juris. Das OVG Hamburg hebt hervor, dass es sich nur dann um ein „historisches Wasserfahrzeug“ handeln kann, wenn das Schiff „in der Vergangenheit bereits existiert“ hat (ebenda). 312 Ein „Rückbau“ soll nach Regel 2.1.2.1 des Kapitels 1 der Traditionsschiff-Regelungen ein Schiff darstellen, das aus einer nicht (mehr) originalgetreuen Zusammenstellung von Rumpfform, Antrieb und Aufbauten besteht, gleichwohl aber in seiner Gesamterscheinung einem Vorläufertyp des Schiffes entspricht, den es in dieser Bauweise nachweislich in der Vergangenheit gegeben hat. Auch dieser Tatbestand trägt der Tatsache Rechnung, dass viele alte
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
(3) Öffentliches Interesse an Präsentation in Fahrt An einem Schiff, das nach den vorgenannten Kriterien gemäß Regel 2.1.2 des Kapitels 1 der Traditionsschiff-Regelungen ein „historisches Wasserfahrzeug“ darstellt, muss nach Regel 2.1.1 zusätzlich ein „öffentliche Interesse an der Präsentation in Fahrt“ bestehen, damit es als „Traditionsschiff“ i.S.d. Definition anzusehen ist. Fraglich ist, was Voraussetzung dafür ist, dass ein solches „öffentliches Interesse …“ angenommen werden kann. Darüber geben die Traditionsschiff-Regelungen unmittelbar keinen Aufschluss. Da das Interesse an der Erhaltung des Schiffes selbst, d. h. an den durch das Schiff (allein durch seine optische Wahrnehmbarkeit) vermittelbaren historischen Aussagen, bereits durch den in der Definition des „historischen Wasserfahrzeuges“ enthaltenen Begriff „erhaltenswert“ abgedeckt ist, kann sich das nach Regel 2.1.1 des Kapitels 1 der Traditionsschiff-Regelungen darüber hinausgehende „öffentliche Interesse …“ allein auf die „Präsentation in Fahrt“ beziehen. Demnach kann das Merkmal nur als Korrektiv zu verstehen sein, dass solche Schiffe von dem Begriff des „Traditionsschiffes“ i.S.d. nationalen Definition ausschließen soll, die zur Vermittlung ihrer historischen Aussagen nicht notwendig „in Fahrt“ präsentiert werden müssen. Auf welche Schiffe dies zutreffen soll, lässt sich allerdings nicht ganz ohne Schwierigkeiten erschließen, da die durch ein Traditionsschiff vermittelbaren Aussagen, v. a. über ihre Bauart und -technik, aber auch über ihr daraus resultierendes mögliches Fahrtgebiet oder etwa ihren früheren Verwendungszweck und ggf. dessen heimatgeschichtlichen Hintergrund, in aller Regel nur oder zumindest sehr viel besser durch Fahrt des Schiffes vermittelt werden können. Vorstellbar ist die fehlende Notwendigkeit zur Präsentation „in Fahrt“ (lediglich) etwa bei Traditionsschiffen, von denen in unmittelbarer Nähe noch zahlreiche weitere, weitgehend vergleichbare und ebenso gut erhaltene Exemplare in Fahrt sind.
Schiffe während ihrer – teils mehr als 100-jährigen – Nutzungsperiode mehrfach grundlegend umgebaut und danach in einer gänzlich anderen Nutzung gefahren wurden. 313 Unter einem „Nachbau“ soll nach Regel 2.1.2.2 a) des Kapitels 1 der TraditionsschiffRegelungen die Einzelnachbildung eines dokumentierten, individuellen historischen Vorbildes zu verstehen sein. 314 Insoweit weichen die Traditionsschiff-Regelungen ebenfalls vom Denkmalschutzrecht ab. Rekonstruktionen von Objekten wird im Denkmalschutzrecht auf Grundlage der entsprechenden Ansicht in der Denkmalpflege in der Regel keine Denkmaleigenschaft zugesprochen (Vgl. nur das Urteil des VG München vom 20. Juli 2015 – M 8 K 14.3265 –, Rn. 96 ff., zitiert nach juris). Die entsprechende Ansicht in der Denkmalpflege wird damit begründet, dass Denkmäler nicht reproduzierbare Geschichtszeugnisse seien, weshalb Nachbildungen nicht Denkmal für den historischen Zusammenhang sein könnten, in dem die Bezugsobjekte ihre ursprüngliche Form gefunden hätten (Karnau/Steinmeier, in: Martin/Krautzberger, Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, Teil I Denkmalpflege V. Praktische Denkmalpflege, Rn. 312.).
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d) Bewertung der nationalen Definition des „Traditionsschiffes“ und eigener Definitionsvorschlag Im nationalen Sachverhalt betrachtet315 lässt sich die Definition des „Traditionsschiffes“ in Regel 2.1.1 i.V.m. Regel 2.1.2 von Kapitel 1 der TraditionsschiffRegelungen als zweckmäßig und – v. a. im Vergleich mit der früheren Definition316 – gelungen bewerten, v. a. soweit der Begriff des „historischen Wasserfahrzeuges“ nach Regel 2.1.2 an die Kriterien zur Bestimmung eines Denkmals Anlehnung nimmt. Mit dem Abstellen auf den historischen Erhaltungswert eines Schiffes knüpft die Definition konsequent an das letztlich entscheidende Merkmal der historischen Schiffe an und bestimmt zugleich ein Kriterium, das übergeordnet ist und sich somit auf jedes Schiff des heterogenen Bestands anwenden lässt. Die zusätzliche Einbeziehung von Rück- und Nachbauten in den Regeln 2.1.2.1 und 2.1.2.2 a) von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen ist dabei interessengerecht, um dem tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Die Anlehnung an Kriterien des Denkmalschutzrechtes könnte allerdings innerhalb der Definition noch deutlicher herausgestellt werden, indem der Begriff des „Erhaltungswertes“ mehr hervorgehoben wird. Zudem sollte das Merkmal des Bestehens eines öffentlichen Interesses an der Präsentation des Schiffes in Fahrt nach Regel 2.1.1 des Kapitels 1 der Traditionsschiff-Regelungen daraufhin überprüft werden, ob es in der praktischen Anwendung als Korrektiv wirklich notwendig und gelungen ist. Anstelle dieses Merkmals könnte die im Begriff „Erhaltungswert“ enthaltene Anforderung, nach der das Schiff eine historische Aussage vermitteln muss, auf den Betrieb des Schiffes erstreckt werden. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen könnte eine verbesserte Definition des Begriffes „Traditionsschiff“ wie folgt lauten317: „Ein Traditionsschiff
315 Zum Verhältnis der innerstaatlichen Definition eines „Traditionsschiffes“ zur Ausnahmeregelung gleichen Namens in der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie sogleich nachfolgend unter Punkt 2. a) (2). 316 Die frühere, für das nationale Recht maßgebliche Definition des Begriffes „Traditionsschiff“ war in der sog. Sicherheitsrichtlinie für Traditionsschiffe (SiRi) normiert. Nach Ziffer 1.1 SiRi waren Traditionsschiffe „historische Wasserfahrzeuge, welche die Bundesflagge führen, die hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen im Original oder als Einzelnachbildung gebaut worden sind, deren Rumpflänge 55 Meter nicht übersteigt, deren Betrieb ausschließlich ideellen Zwecken dient und die zur maritimen Traditionspflege, zu sozialen oder vergleichbaren Zwecken, zum Beispiel von der Sail Training Association, als Seeschiffe eingesetzt werden.“ Die Definition bezog zahlreiche sachfremde Kriterien ein (Führen der Bundesflagge, Rumpflänge nicht über 55 Meter) und stellte kaum einen Bezug zu dem letztlich maßgeblichen Kriterium der Erhaltungswürdigkeit eines Schiffes her. 317 Der Definitionsvorschlag nimmt Anlehnung an Kriterien, welche die sog. Charta von Barcelona für die Erhaltung und den Betrieb historischer Wasserfahrzeuge formuliert. Die sog. Charta von Barcelona („Europäische Charta über die Konservierung und Restaurierung von historischen Wasserfahrzeugen in Fahrt“) wurde im Jahr 2001 auf dem IV. European Maritime Heritage Kongress in Barcelona verfasst. Ein deutscher Text der Charta in der Übersetzung
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
ist ein Schiff, dem aufgrund seiner Bauart, seiner Ausstattung, seines Erscheinungsbildes oder seiner technischen Komponenten ein kulturhistorischer Erhaltungswert zukommt, das unter Verwendung traditioneller Materialien und Arbeitstechniken bewahrt wird und das zur Vermittlung der mit ihm verbundenen historischen Aussagen überwiegend in von ihm ursprünglich befahrenen Gewässern nach traditionellen Seemannschaftstechniken eingesetzt werden soll“. 2. (Neugefasste) Innerstaatliche Regelungen für Traditionsschiffe i.S.d. nationalen Definition Seit einer zum 14. März 2018 in Kraft getretenen Änderung der Schiffssicherheitsverordnung gelten für Traditionsschiffe (im Sinne der nationalen Definition) unter der Bundesflagge neugefasste Sicherheitsanforderungen an Bau und Ausrüstung („Traditionsschiff-Regelungen“318), die durch die Integration in eine Anlage zur Schiffssicherheitsverordnung erstmals den Rang einer Rechtsverordnung erhalten haben.319 Die Neufassung gibt – nach einer vorab notwendigen Abgrenzung des Anwendungsbereiches der Traditionsschiff-Regelungen (nachfolgend a)) – den Anlass zu einer eingehenden Untersuchung der Regelungen unter ausgewählten Rechtsaspekten (nachfolgend b)). Neben anderem liegt der Fokus bei dieser Untersuchung auf der Frage, inwieweit die nationalen Sicherheitsanforderungen den gesetzgeberischen Freiraum zur Berücksichtigung der Besonderheiten von Traditionsschiffen nutzen.320 a) Abgrenzung des Anwendungsbereiches Vor einer Untersuchung der Inhalte der neugefassten Traditionsschiff-Regelungen ist zu klären, wie der Anwendungsbereich der Regelungen gegenüber den maritimen Übereinkommen, der EU-Fahrgastschiffsregelung sowie anderen nationalen Vorschriften abgegrenzt ist.321 durch Dr. Ingo Heidbrink ist auf dem Internetauftritt der European Maritime Heritage abrufbar unter european-maritime-heritage.org/docs/Barcelona%20Charter%20DE.pdf. 318 Die Regelungen über „Sicherheitsanforderungen an den Bau und die Ausrüstung von Traditionsschiffen“ finden sich in Teil 3 der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV in der durch die Verordnung vom 7. März 2018 (BGBl. 2018 I, S. 237, 250) geänderten Fassung. Die geänderte Fassung der Schiffssicherheitsverordnung ist am 14. März 2018 in Kraft getreten. 319 Sicherheitsanforderungen an Traditionsschiffe waren bis zum Inkrafttreten der Änderungsfassung der Schiffssicherheitsverordnung am 14. März 2018 in der sog. Sicherheitsrichtlinie für Traditionsschiffe („Richtlinie nach § 6 Abs. 1 der Schiffssicherheitsverordnung über Sicherheitsanforderungen an Bau und Ausrüstung von Traditionsschiffen“, abgekürzt SiRi, VkBl. S. 57; Dok Nr. B 8135 (Sonderdruck)) vom 3. Februar 2000 enthalten. 320 Vgl. zu diesem gesetzgeberischen Freiraum eingangs unter Punkt C. II. im 2. Teil der Arbeit. 321 Ist ein Schiff im Hinblick auf seine Bauart und v. a. seine Nutzung rechtsfehlerhaft in die maßgeblichen Regelungen eingeordnet, etwa als Traditionsschiff statt als Fahrgastschiff oder
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(1) Abgrenzung gegenüber den maritimen Übereinkommen Zu den maritimen Übereinkommen wird der Anwendungsbereich der innerstaatlichen Traditionsschiff-Regelungen durch die §§ 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 SchSV abgegrenzt. Gemäß § 5 Abs. 1 SchSV sind die „einschlägigen“ Vorschriften der maritimen Übereinkommen durch Schiffe einzuhalten, „soweit“ die Regelungen auf die Schiffe unter der Bundesflagge „Anwendung finden“.322 Nach § 6 Abs. 1 SchSV sind durch Traditionsschiffe, die die Bundesflagge führen, die nationalen Traditionsschiff-Regelungen zu erfüllen, „soweit“ nicht die Anforderungen der maritimen Übereinkommen einzuhalten sind. Die Regelungen der maritimen Übereinkommen verdrängen folglich die Anwendung der innerstaatlichen Anforderungen, „soweit“ sie i.S.v. § 6 Abs. 1 SchSV „einzuhalten sind“. Die Reichweite des „soweit“ bestimmt sich in diesem Zusammenhang nach der Geltung der maritimen Übereinkommen für Traditionsschiffe; i. e. die Anforderungen der maritimen Übereinkommen finden „soweit“ auf Traditionsschiffe Anwendung i.S.v. § 6 Abs. 1 SchSV (und § 5 Abs. 1 SchSV), als sie Traditionsschiffe als Regelungsgegenstand erfassen.323 In Bezug auf SOLAS und LLC ist dies der Fall, sofern Traditionsschiffe in der Auslandfahrt eingesetzt sind324 und nicht unter eine der Ausnahmeregelungen der beiden Übereinkommen325 fallen. als Sportboot (im nationalen Sinn) statt als Traditions- oder Fahrgastschiff, so drohen dem Schiff auf der Grundlage von § 11 Abs. 2 SchSV oder § 9 Abs. 2 SchBesV der Erlass einer Festhalteverfügung oder einer anderen beschränkenden Maßnahme sowie dem Eigentümer und Schiffsführer u. U. auch ein Ordnungswidrigkeitsverfahren auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 12 und 13 SchSVoder von § 11 SchBesV. Vgl. etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010 – 1 Bs 181/10 –, Rn. 5 und 15, zitiert nach juris, zu einem gewerbsmäßig genutzten Sportboot, das (lediglich) über ein Bootszeugnis nach § 5 SeeSpBootV verfügte und nicht mit einer Besatzung nach der SchBesV besetzt war. 322 Zu § 5 Abs. 1 SchSV als innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl für die maritimen Übereinkommen ausführlich zuvor unter Punkt A. I. 2. b) (2) (b) und (c) des 2. Teils. 323 Unklar bleibt durch die Formulierung des § 6 Abs. 1 SchSV, ob die nationalen Anforderungen der Traditionsschiff-Regelungen auch in anderen Sachverhalten maßgeblich sein sollen. Denkbar wäre etwa, dass die innerstaatlichen Anforderungen auf Bestandsschiffe angewandt werden sollen, die ihres hohen Alters wegen (bei SOLAS etwa Baujahr vor 1948) keinen Anforderungen von SOLAS und LLC mehr unterliegen (siehe dazu im 1. Teil unter Punkt A. II. 2. c) sowie A. III. 2. d.). Dazu enthält § 6 Abs. 1 SchSV allerdings keine ausdrückliche Bestimmung. Gleiches gilt, soweit es grundsätzlich in Frage kommt, dass die nationalen Anforderungen anstelle derjenigen Anforderungen einzuhalten sein sollen, von denen ein Schiff auf Grundlage der entsprechenden Regeln in den maritimen Übereinkommen befreit werden kann (siehe dazu im 1. Teil unter Punkt A. V. 2. a) (2)). 324 Regel I/1 a) SOLAS und Art. 4 Abs. 2 LLC. 325 SOLAS und LLC enthalten eine Ausnahmeregelung für „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ (Regel I/3 a) lit. v) SOLAS und Art. 5 Abs. 1 d) LLC). SOLAS enthält zudem Ausnahmeregelungen für „Frachtschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 500“ (Regel I/3 a) lit. ii) SOLAS), „Schiffe ohne mechanischen Antrieb“ (Regel I/3 a) lit. iii) SOLAS) und für „Holzschiffe einfacher Bauart“ (Regel I/3 a) lit. iv) SOLAS). LLC nennt zwei weitere Ausnahmeregelungen für „neue Schiffe von weniger als 24 Metern Länge“ (Art. 5
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Die innerstaatlichen Anforderungen der Traditionsschiff-Regelungen sind hinsichtlich des sachlichen Regelungsbereiches von SOLAS und LLC damit für Traditionsschiffe maßgeblich, die in der Inlandfahrt eingesetzt sind326 oder einer Ausnahmeregelung der genannten Übereinkommen unterfallen.327 Hinsichtlich STCW kommt es für die Anwendung der innerstaatlichen Traditionsschiff-Regelungen nach § 6 Abs. 1 SchSV (allein) darauf an, ob ein Traditionsschiff unter eine der in STCW normierten Ausnahmeregelungen328 fällt. MARPOL gilt demgegenüber in der Gänze im Grundsatz für fast alle Traditionsschiffe, sodass für den inhaltlichen Regelungsbereich von MARPOL die innerstaatlichen Traditionsschiff-Regelungen von eher untergeordneter Relevanz sind.329 (2) Abgrenzung gegenüber der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie § 6 Abs. 1 SchSV regelt zugleich i.V.m. § 5 Abs. 2 SchSV die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der nationalen Traditionsschiff-Regelungen zur EU-Fahrgastschiffsrichtlinie330. Danach sind, vergleichbar der Abgrenzung zu den maritimen Übereinkommen, die Anforderungen der innerstaatlichen Traditionsschiff-Regelungen einzuhalten, „soweit“ ein Traditionsschiff nicht als Regelungsgegenstand von der Geltung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie erfasst ist. Die Anforderungen der EUFahrgastschiffsrichtlinie verdrängen damit die nationalen Traditionsschiff-Regelungen, „soweit“ sie i.S.v. § 6 Abs. 1 SchSV „einzuhalten sind“.
Abs. 1 b) LLC) und für „vorhandene Schiffe von weniger als 150 Bruttoregistertonnen“ (Art. 5 Abs. 1 c) LLC). 326 Sofern sie nicht der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie unterfallen. Dazu sogleich nachfolgend unter Punkt (2). 327 Das gilt nicht für die Anforderungen von Kapitel V der Anlage zu SOLAS, da diese im Grundsatz auch durch in der Inlandfahrt eingesetzte Schiffe zu erfüllen sind, die einer Ausnahmeregelung des Kapitels I SOLAS unterfallen. 328 STCW enthält, ähnlich SOLAS, eine Ausnahmeregelung für „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ (Art. III c) STCW) und eine für „Holzschiffe einfacher Bauart“ (Art. III d) STCW). 329 Die Geltung von MARPOL ist – mit Ausnahme der Anlage IV – nicht auf in der Auslandfahrt eingesetzte Schiffe begrenzt, sodass MARPOL auch für Schiffe in der Inlandfahrt maßgeblich ist. Zudem enthält MARPOL keine den Übereinkommen SOLAS, LLC und STCW vergleichbaren Ausnahmeregelungen. Allerdings sind zahlreiche einzelne Regeln von MARPOL nur auf Schiffe anwendbar, die eine bestimmte Bruttoraumzahl (meist 400, auch 150) überschreiten. Sind MARPOL-Anforderungen durch ein Traditionsschiff wegen des Unterschreitens dieser BRZ-Grenzen nicht zu erfüllen, so dürfte wohl gemäß § 6 Abs. 1 SchSV die entsprechende nationale Anforderung der Traditionsschiff-Regelungen greifen. Nach Regel 4 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen sind die Bestimmungen des MARPOL-Übereinkommens und der See-Umweltverhaltensverordnung allerdings für Traditionsschiffe „unmittelbar anzuwenden und im Zweifel vorrangig gegenüber den ergänzenden Bestimmungen des Kapitels 8“. 330 Richtlinie 2009/45/EG (ABl. 2009 L 163/1). Zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) 2017/2108 (ABl. 2017 L 315/40).
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Der Geltungsbereich der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie wird durch Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2009/45/EG bestimmt. Nach Absatz 1 a) gilt die Richtlinie für in der Inlandfahrt eingesetzte Fahrgastschiffe ab einer Länge von 24 Metern. Ausgeschlossen – und folglich von den innerstaatlichen Traditionsschiff-Regelungen erfasst – sind demnach zum einen alle Traditionsschiffe mit einer Länge unter 24 Metern. Auch gilt die Richtlinie 2009/45/EG nach Art. 3 Abs. 1 nicht für (Traditions-)Schiffe, die keine „Fahrgastschiffe“ sind331, insbesondere also nicht für Traditionsschiffe, die neben ihrer Besatzung nicht mehr als 12 Personen als Gäste an Bord nehmen. Weiter sind nach Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 2009/45/EG bestimmte Schiffe über eine Ausnahmeregelung von der Geltung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie ausgenommen. Durch diese Schiffe sind sodann gemäß § 6 Abs. 1 SchSV i.V.m. § 5 Abs. 2 SchSV ebenfalls die innerstaatlichen Anforderungen der Traditionsschiff-Regelungen zu erfüllen. Das betrifft „Segelschiffe“332, „Schiffe ohne Maschinenantrieb“333, „Schiffe einfacher Bauart aus Holz“334 sowie „Traditionsschiffe“335.336 Die nationale Definition des Begriffes „Traditionsschiff“ nach den Regeln 2.1.1 und 2.1.2 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen weicht zum Teil von der Begriffsdefinition aus Art. 2 zc) Richtlinie 2009/45/EG ab.337 Nach beiden Definitionen handelt es sich zwar bei „Traditionsschiffen“ um „historische Schiffe“, deren Merkmale (u. a.) durch das Bestehen eines kulturhistorischen Erhaltungswertes („erhaltenswert“ bzw. „… die insgesamt lebende Kulturdenkmale bilden …“) und durch Originalität („hauptsächlich mit Originalwerkstoffen“) ausgemacht werden. Anders als nach der nationalen Definition muss ein Schiff jedoch nach der EU331
Ein „Fahrgastschiff“ ist nach Art. 2 e) Richtlinie 2009/45/EG – identisch zur entsprechenden Definition in Regel I/2 f) SOLAS – „ein Schiff, das mehr als zwölf Fahrgäste befördert“. 332 Art. 3 Abs. 2 a) lit. ii) Richtlinie 2009/45/EG. 333 Art. 3 Abs. 2 a) lit. iii) Richtlinie 2009/45/EG. 334 Art. 3 Abs. 2 a) lit. v) Richtlinie 2009/45/EG. 335 Art. 3 Abs. 2 a) lit. vi) i.V.m. Art. 2 zc) Richtlinie 2009/45/EG. 336 Zur Auslegung dieser Ausnahmeregelungen mit Blick auf ihre Erfassung von Traditionsschiffen siehe im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt B. II. 2. 337 Ein „Traditionsschiff“ ist nach Regel 2.1.1 des Kapitels 1 der Traditionsschiff-Regelungen ein „historisches Wasserfahrzeug, an dessen Präsentation in Fahrt ein öffentliches Interesse besteht“, wobei ein „historisches Wasserfahrzeug in Regel 2.1.2 definiert ist als „Ein hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebautes Schiff, das aufgrund seiner Bauart, seiner Konstruktion, seinem ehemaligen Nutzungszweck und seiner Seltenheit erhaltenswert ist und das im Wesentlichen dem Originalzustand zum Zeitpunkt seines Baus oder einem späteren für das Schiff während seiner wirtschaftlichen Nutzungsperiode historisch bedeutsamen Bauzustand entspricht“ (dazu zuvor unter Punkt II. 1.). Nach Art. 2 zc) Richtlinie 2009/45/EG sind Traditionsschiffe „alle Arten von vor 1965 entworfenen und hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebauten historischen Fahrgastschiffen und ihre Nachbildungen, einschließlich jener, mit denen traditionelle Fertigkeiten und Seemannschaft unterstützt und gefördert werden sollen, die insgesamt lebende Kulturdenkmale bilden und die nach traditionellen Grundsätzen der Seemannschaft und Technik betrieben werden“.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Fahrgastschiffsrichtlinie vor dem Jahr 1965 als Fahrgastschiff gebaut und genutzt worden sein, um ein „Traditionsschiff“ i.S.d. Richtlinie darzustellen, was nach der nationalen Definition nicht erforderlich ist. Dies hat zur Folge, dass all diejenigen Traditionsschiffe unter der Bundesflagge, die nicht ursprünglich als Fahrgastschiff gebaut und genutzt wurden338, oder deren Erhaltungswert aus einer erst nach dem Jahr 1965 erlangten Bauart resultiert, i.S.d. nationalen Definition zwar als „Traditionsschiff“ anzusehen sind, gleichwohl aber nicht (als „Traditionsschiff“) unter die Ausnahmeregelung der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie fallen und mithin deren Anforderungen erfüllen müssen. Etwas anderes ergibt sich nur, soweit ein „Traditionsschiff“ i.S.d. nationalen Definition quasi beiläufig einer der anderen Ausnahmeregelungen unterfällt oder aus sonstigen Gründen, etwa der Begrenzung auf Schiffe mit einer Länge von mehr als 24 Metern, nicht als Regelungsgegenstand von der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie erfasst ist. Obwohl die EU-Fahrgastschiffsrichtlinie mithin durch die Ausnahmeregelung spezifisch für „Traditionsschiffe“ die Möglichkeit eröffnet, diese Schiffe aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie zu entlassen und nationalen Regelungen zu unterstellen339, ist es der – auch nach dem Änderungsverfahren der Richtlinie und der Neufassung der Schiffssicherheitsverordnung – abweichenden Begriffsdefinitionen wegen in der Konsequenz nicht gelungen, bei der Verzahnung der unionsrechtlichen und der nationalen Regelungen ein systematisch konsequentes Regelungsregime für Traditionsschiffe herzustellen. (3) Abgrenzung gegenüber anderen nationalen Vorschriften Eine vollständige Abgrenzung des Anwendungsbereichs der TraditionsschiffRegelungen verlangt schließlich auch die Prüfung, welche weiteren nationalen Vorschriften für Traditionsschiffe neben den oder anstelle der Traditionsschiff-Regelungen von Bedeutung sein können. (a) Traditionsschiffe mit einer Länge über 55 Meter Zum einen sind Kapitel 1 Regel 1.1 und Regel 1.2 a) und b) der TraditionsschiffRegelungen zu berücksichtigen. Nach Regel 1.1 gelten die Traditionsschiff-Rege338
Das betrifft etwa Schiffe, die ursprünglich als Eisbrecher oder als Fischereifahrzeug eingesetzt waren. 339 Ein Beweggrund für die Erweiterung der Ausnahmeregelungen der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie im Änderungsverfahren (Verfahren 2016/0170/COD) war die Erwägung, dass die Richtlinie nur für diejenigen Fahrgastschiffe und -fahrzeuge gelten soll, für die ihre Sicherheitsnormen entworfen wurden (Dokument ST 14361 2016 INIT, S. 9). In Bezug auf Schiffe mit einer Länge unter 24 Metern galt zudem die Erwägung, die Schiffe nationalen Sicherheitsnormen der Mitgliedstaaten zu unterstellen, die für die Schiffe die örtlichen Beschränkungen der Schifffahrt hinsichtlich der Entfernung von der Küste oder vom Hafen sowie aufgrund der Wetterbedingungen besser beurteilen können (Dokument PE 34 2017 INIT, S. 5). Die genannten Erwägungen lassen sich ohne weiteres auch auf Traditionsschiffe übertragen.
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lungen nur für Traditionsschiffe bis zu einer Länge von 55 Metern. Ausweislich der zu einem Änderungsentwurf der Schiffssicherheitsverordnung enthaltenen Begründung340 wurde die Längenbegrenzung auf 55 Meter, die „historisch gewachsen“ sei, aus den zuvor für Traditionsschiffe maßgeblichen nationalen Regelungen (Sicherheitsrichtlinie für Traditionsschiffe) übernommen und beibehalten aufgrund der Erwägung, dass „Traditionsschiffe mit Sportbootführerschein gefahren werden dürfen“341. Für Traditionsschiffe mit einer Länge von mehr als 55 Metern gelten gemäß Regel 1.2 a) von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen die nationalen Sicherheitsanforderungen für Fahrgastschiffe342, sofern die Schiffe mehr als 12 Fahrgäste befördern. Befördert das Traditionsschiff mit einer Länge von mehr als 55 Metern bis zu 12 Fahrgäste, so sind nach Regel 1.2 b) von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen die nationalen Sicherheitsanforderungen an Frachtschiffe343 maßgeblich. Damit erfolgt bei der Zuordnung von Traditionsschiffen mit einer Länge von mehr als 55 Metern eine Orientierung an den SOLAS-Regeln, in denen die für die Einhaltung der entsprechenden materiell-rechtlichen Standards ausschlaggebende Unterteilung zwischen Fahrgast- und Frachtschiffen ebenfalls nach der Beförderung von mehr oder weniger als 12 Personen getroffen ist.344 (b) Kleinere historische Schiffe als Sportboote Zum anderen ist in Erwägung zu ziehen, dass für kleinere historische Schiffe, die ggf. von der nationalen Definition des Begriffes „Traditionsschiff“ nicht erfasst sind – etwa weil sie infolge häufigen Umbaus nicht mehr den Anforderungen an die Originalität genügen –, die innerstaatlichen Anforderungen an Sportboote maß-
340 Begründung eines Entwurfs der Verordnung zur Änderung schiffssicherheitsrechtlicher Vorschriften mit Stand vom 16. August 2016, S. 25 (nicht veröffentlicht). 341 Zu von Vorgaben an die Besetzung von Traditionsschiffen nach den TraditionsschiffRegelungen nachfolgend unter 2. b) (3). 342 Die Sicherheitsanforderungen an den Bau, die Ausrüstung und den Betrieb von in der Inlandfahrt eingesetzten Fahrgastschiffen, die nicht der Richtlinie 2009/45/EG unterliegen, sind in Teil 1 der Anlage 1a) zu den §§ 6 und 6a SchSV normiert. 343 Teil 6 der Anlage 1a) zu den §§ 6 und 6a SchSVenthält gemäß Regel 1.1 Ziffer 1. und 2. die Sicherheitsanforderungen an Frachtschiff in der Inlandfahrt sowie in der Auslandfahrt, „soweit das SOLAS-Übereinkommen keine Anwendung findet“. Ausgenommen sind nach Regel 1.2 u. a. Fischereifahrzeuge und Sportboote i.S.d. See-Sportbootverordnung sowie sog. Kleinfahrzeuge (nach Regel 2.1 Ziffer 1. „ein Frachtschiff bis zu einer Bruttoraumzahl von 100“), soweit diese „nicht gewerbsmäßig für Sport- und Freizeitzwecke verwendet werden“. 344 Ein „Fahrgastschiff“ ist nach Regel I/2 f) SOLAS definiert als „ein Schiff, das mehr als zwölf Fahrgäste befördert“, während ein „Frachtschiff“ gemäß Regel I/2 g) SOLAS ein „Schiff, das kein Fahrgastschiff ist“ – mithin ein Schiff, das 12 oder weniger Fahrgäste befördert – darstellt.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
geblich sind345, sofern das Schiff als „Sportboot“ i.S.d. nationalen Rechts einzustufen ist. Der Begriff des „Sportbootes“ ist für das nationale Recht in der Seesportbootverordnung definiert. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SeeSpBootV sind „Sportboote“ „Wasserfahrzeuge mit oder ohne Maschinenantrieb, die für Sport- und Freizeitzwecke gebaut worden sind und dafür verwendet werden und die für nicht mehr als zwölf Personen zugelassen sind“.
Ein historisches Schiff stellt demnach ein „Sportboot“ i.S.d. nationalen Definition dar, wenn es, ohne „Fahrgastschiff“ i.S.v. Regel 2.1 von Teil 1 der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV zu sein, i.S. einer subjektiven Zweckbestimmung für Sport- oder Freizeitzwecke gedacht ist346 und auch gegenwärtig dafür verwendet wird. Die subjektive Zweckbestimmung für Sport und Freizeit zum Bauzeitpunkt des Schiffes wird nach objektiven, v. a. nach baulichen Merkmalen des Schiffes zu bestimmen sein, etwa nach dem Vorhandensein einer größeren Aufenthaltsfläche für Personen an Deck mit Sitzgelegenheiten.347 Praktisch wird ein (ursprünglicher) Bau zu Sportund Freizeitzwecken nur bei einigen wenigen historischen Schiffen gegeben sein, etwa bei kleineren Jachten. Die gegenwärtige Nutzung eines Schiffes im Sinne eines Traditionsschiffes, d. h. als lebendiges Anschauungsmaterial für die Gäste an Bord im Hinblick auf eine bestimmte kulturhistorische Aussage, die durch den Betreiber aus „Liebhaberei“ ermöglicht wird, wird sich in der Regel als Nutzung „für Sportund Freizeitzwecke“ verstehen lassen.348 Sportboote dürfen nach § 3 SeeSpBootV grundsätzlich nur mit einer CE-Kennzeichnung in Betrieb genommen werden.349 345 Ist ein (historisches) Schiff nicht unter die Definition des Begriffes „Traditionsschiff“ nach Regel 2.1.1 i.V.m. Regel 2.1.2 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen zu subsumieren, so wird es in der Regel entweder ein „Fahrgastschiff“ nach Regel 2.1 von Teil 1 der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV darstellen, falls es mehr als 12 Fahrgäste befördert, oder ein „Frachtschiff“ gemäß Regel 2.1 Ziffer 1. des Kapitels 1 von Teil 6 der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV, falls es bis zu 12 Fahrgäste befördert. In letzterem Fall wäre zu prüfen, ob es sich bei dem Schiff nicht um ein „Sportboot im Sinne der See-Sportbootverordnung“ handelt, da diese gemäß Regel 1.2 Ziffer 4 des Kapitels 1 von Teil 6 der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV vom Anwendungsbereich der innerstaatlichen Sicherheitsanforderungen an Frachtschiffe ausgeschlossen sind. 346 Vgl. Wuestendoerfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 41. 347 Vgl. zur Festlegung der Zweckbestimmung eines Schiffes nach allgemeingültigen Merkmalen OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010 – 1 Bs 181/10 –, Rn. 16, zitiert nach juris. 348 Siehe dazu im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. I. 4. d) (1) (a). 349 Jedes Sportboot unterliegt – im Grundsatz und vorbehaltlich etwa der Einhaltung bestimmter Längenmaßbegrenzungen – der Verordnung über Sportboote und Wassermotorräder (10. Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz, 10. ProdSV). Die 10. Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz gilt allerdings nicht für „historische Originalwasserfahrzeuge“ und bestimmte Nachbauten (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 e) der 10. ProdSV). Nach § 3 der 10. ProdSV müssen Sportboot i.S.d. 10. ProdSV, die auf dem europäischen Binnenmarkt bereitgestellt oder erstmals
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Wird ein als „Sportboot“ einzustufendes (historisches) Schiff gewerbsmäßig genutzt, etwa durch Vermietung350, so sind gemäß § 14 Satz 2 SeeSpBootV bis zum Inkrafttreten des Teils 4 der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV die Sicherheitsanforderungen nach der „Richtlinie über Sicherheitsvorschriften für gewerbsmäßig zu Ausbildungszwecken genutzte Sportfahrzeuge nach § 52a SchSV“ vom 25. August 1997 (VkBl. 1997 S. 572) zu erfüllen. Das Schiff muss über ein Sicherheitszeugnis oder eine Prüfbescheinigung der BG Verkehr (Dienststelle Schiffssicherheit) gemäß § 14 Satz 1 SeeSpBootV verfügen.351 Wird das Sportboot (nicht i.S. einer gewerbsmäßigen Nutzung) vermietet352, so sind für das Schiff die §§ 5 bis 13 SeeSpBootV maßgeblich. Nach § 7 Nr. 2 SeeSpBootV darf ein Sportboot (u. a.) nur (dann) vermietet werden, wenn für das Schiff auf der Grundlage von § 5 SeeSpBootV ein Bootszeugnis ausgestellt ist. b) Ausgewählte Rechtsaspekte der neugefassten innerstaatlichen Traditionsschiffregelungen Die inhaltliche Neufassung der Traditionsschiff-Regelungen zum 14. März 2018 gibt Anlass dazu, diese Regelungen unter bestimmten Rechtsaspekten eingehender zu untersuchen. Das betrifft neben den neugefassten Anforderungen an die technische Schiffssicherheit und Ausrüstung einschließlich der Möglichkeit zur Zulassung von Ausnahmen und sog. gleichwertigen Ersatzes etwa die Regel, nach der Traditionsschiffe – anders als zuvor – ein Besatzungszeugnis an Bord mitführen müssen sowie die klargestellten Vorgaben dazu, inwieweit Traditionsschiffe wirtschaftlich verwendet werden, bestimmte Anforderungen erfüllen, u. a. gemäß Anhang I der Richtlinie 2013/53/EU. Gemäß § 14 der 10. ProdSV müssen Sportboote mit einer CE-Kennzeichnung versehen sein. 350 Grundlegend zur Frage, wann die Vermietung eines Schiffes „gewerbsmäßig“ erfolgt: OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010 – 1 Bs 181/10 –, Rn. 8, zitiert nach juris. Nach dem OVG Hamburg liegt eine „gewerbsmäßige Nutzung“ i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 SeeSpBootV erst vor, wenn das Schiff mit einer gewissen Regelmäßigkeit (unmittelbar) zur Gewinnerzielung genutzt werde: „Entscheidend ist […], ob der Einsatz des Schiffes mit gewisser Regelmäßigkeit zum Zwecke der Gewinnerzielung erfolgt. Ein gewichtiges Indiz hierfür ist es, wenn Fahrten mit dem Schiff und einem Schiffsführer gegen Entgelt einem unbestimmten Personenkreis mit einer gewissen Regelmäßigkeit angeboten werden. Verstärkt wird dieses Indiz, wenn hierfür öffentlich geworben wird.“ 351 Die gewerbsmäßige Nutzung eines Sportbootes hat zudem erhebliche Auswirkung auf die vorgeschriebene Besetzung, da ein gewerblich genutztes Schiff in vielen Fällen ein „Kauffahrteischiff“ darstellen wird und damit die Anforderungen der SchBesV (anstelle von § 15 SeeSpBootV i.V.m. der SportSeeSchV) einhalten muss. Zur Nutzung eines ursprünglich als Sportboot gebauten Fahrzeuges als Kauffahrteischiff – in Abgrenzung zur „gewerbsmäßigen“ Nutzung –, mit der entsprechenden Folge für die notwendige Besetzung, siehe OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2010 – 1 Bs 181/10 –, Rn. 15 ff., zitiert nach juris. 352 Der Begriff „Vermietung“ umfasst nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SeeSpBootV „die gegen Entgelt erfolgende Überlassung eines Sportbootes oder Wassermotorrades zum Gebrauch an laufend wechselnde Mieter ohne Gestellung eines Bootsführers oder einer Besatzung und ohne dass der Mieter das Sportboot gewerbsmäßig nutzt“.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Einnahmen erzielen dürfen. An der hiesigen Stelle der Arbeit erfolgt zudem eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Betrauung der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr mit den schiffssicherheitstechnischen Überwachungsaufgaben mit den Vorgaben des Grundgesetzes im Einklang steht. Abschließend sollen die neugefassten innerstaatlichen Traditionsschiff-Regelungen rechtspolitisch bewertet werden. (1) Bauliche und betriebliche Sicherheitsanforderungen und Meeresumweltschutz Im Zuge der Änderung der innerstaatlichen Sicherheitsregelungen für Traditionsschiffe sind v. a. die technischen Sicherheitsanforderungen neugefasst worden. (a) Neufassung der nationalen Anforderungen nach dem Vorbild von SOLAS Die Anforderungen sind in Kapitel 2 bis 10 der Traditionsschiff-Regelungen enthalten und stark an die Struktur und den Inhalt der Anlage zu SOLAS angelehnt. In Kapitel 2 der Traditionsschiff-Regelung sind Anforderungen an die Bauweise von Traditionsschiffen normiert, die sich auf die Unterteilung und Stabilität, die Maschinen und die elektrischen Anlagen beziehen. Das Kapitel 3 richtet sich an den Brandschutz, Kapitel 4 an die an Bord mitzuführenden Rettungsmittel. Das Kapitel 5 ist der Funkausrüstung gewidmet, Kapitel 6 der Navigationsausrüstung. Über die Organisation von Sicherheitsmaßnahmen an Bord enthält Kapitel 7 Regelungen und verweist auf einen Leitfaden der BG Verkehr für die Umsetzung von Betriebssicherheitssystemen an Bord von Traditionsschiffen353. Das Kapitel 8 ist mit dem Meeresumweltschutz befasst und ergänzt Kapitel 1 Regel 4, nach dem die Bestimmungen des MARPOL-Übereinkommens und der See-Umweltverhaltensverordnung unmittelbar anzuwenden sind. In Kapitel 9 schließlich sind Anforderungen für die medizinische Versorgung an Bord geregelt. Kapitel 10 enthält die Verpflichtung, vor dem Auslaufen aus einem Hafen die an Bord befindlichen Personen zu zählen und u. U. mit bestimmten Personendaten zu erfassen. Das Kapitel 12 weist darauf hin, dass Muster der nach den Traditionsschiff-Regelungen vorgesehenen Zeugnisse (Sicherheitszeugnis und Schiffsbesatzungszeugnis) im Verkehrsblatt bekanntgemacht werden.354 Insgesamt sind für die neugefassten Anforderungen für Traditionsschiffe hinsichtlich Inhalt und Struktur die Regelungen für die Fahrzeuge der Berufsschifffahrt – insbesondere SOLAS – zum Vorbild genommen und modifiziert worden. So weisen die materiell-rechtlichen Standards der Traditionsschiff-Regelungen in Kapitel 2 bis 6 überwiegend einen geringeren Detailgrad auf, als die SOLAS-Standards. Während bspw. in SOLAS die Anforderungen an die Unterteilung eines Schiffes sowie an dessen Wasser- und Wetterdichtigkeit in 13 einzelnen Regeln normiert sind355, 353 354 355
VkBl. 2016, S. 533. Das Kapitel 11 enthält zusätzliche Anforderungen an Segelschulschiffe. Regeln II-1/9 bis II-1/17 – 1 SOLAS.
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enthalten die Traditionsschiff-Regelungen die (zusammengefasste) Vorgabe, dass „Rumpf einschließlich Deck und Aufbau sowie alle anderen Teile […] eine wasserdichte Einheit bilden [müssen, d. Verf.]“, dass „alle Öffnungen innerhalb dieser Einheit […] sofort verschließbar sein [müssen, d. Verf.]“ und dass „Schwert- und Kielkästen […] nicht nach innen hin offen sein [dürfen, d. Verf.]“ (Kapitel 2, Regel 3 „Verschlusszustand“). Die nachfolgenden Regeln 4 bis 8 von Kapitel 2 enthalten weitere, zum Teil sehr allgemein gehaltene Vorgaben an die Sullhöhen, Rumpfdurchbrüche, Wasserpforten (sofern ein geschlossenes Schanzkleid vorhanden ist), an die Reling bzw. das Schanzkleid sowie an die wasserdichte Unterteilung von Traditionsschiffen. Viele technische Standards sind während des Verfahrens zur Neufassung der Regelungen Gegenstand intensiv geführter Verhandlungen mit den Interessenvertretern der Traditionsschifffahrt gewesen. Zum Teil wurden die Ergebnisse dieser Gespräche berücksichtigt.356 (b) Möglichkeit zur Zulassung von Erleichterungen Wie die maritimen Übereinkommen enthalten auch die nationalen Traditionsschiff-Regelungen Möglichkeiten zur Zulassung von Erleichterungen (im weitesten Sinne). (aa) Berücksichtigung der historischen Bauweise der Schiffe in Einzelfällen An einzelnen Stellen wird in den materiell-rechtlichen Standards der Traditionsschiff-Regelungen berücksichtigt, dass es sich bei den Adressaten der Anforderungen um historische Schiffe handelt, bei denen sich der Erhaltungswert u. U. gerade aus einem bestimmten Aufbau oder einem bestimmten Erscheinungsbild ergibt, sodass die Erfüllung einer technischen Vorgabe diesen Erhaltungswert beeinträchtigen oder gar beseitigen müsste. Schiffsverbände müssen bspw. nach Kapitel 2 Regel 9 in Ausführung und Dimensionierung anerkanntem Schiffbaustandard „unter Berücksichtigung der Historie“ entsprechen. In Kapitel 2 Regel 2.1.1 ist normiert, dass bei der Anwendung der Vorgaben an die Bauausführung des Schiffes aus Brandschutzgründen „die Erhaltung des historischen Charakters des Traditionsschiffes sowie die Bauart und besondere betriebliche Einrichtungen zu berücksichtigen [sind, d. Verf.]“.
356 Im Rahmen der Neufassung der Traditionsschiff-Regelungen war parallel beschlossen worden, ein Verfahren zur Vermittlung im Antragsverfahren auf Erteilung, Erneuerung oder Wiederaufleben eines Sicherheitszeugnisses für Traditionsschiffe zu schaffen. Dafür ist zum 15. August 2018 in Hamburg eine Ombudsstelle eingerichtet worden, die mit den beiden ernannten Ombudsleuten Valerie Wilms und Prof. Peter Ehlers besetzt ist. Eine Verfahrensordnung für das Vermittlungsverfahren vom 6. Juli 2018 ist im VkBl. 2018, S. 630 bis 632 (Heft 15) bekanntgemacht worden.
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(bb) Möglichkeit zur Zulassung von Ausnahmen Nach Kapitel 1 Regel 3.3 Traditionsschiff-Regelungen kann die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr von den technischen Anforderungen der Kapitel 1 bis 6 Ausnahmen zulassen. Diese Möglichkeit besteht für denkmalgeschützte Schiffe und für historische Wasserfahrzeuge i.S.d. Definition der TraditionsschiffRegelungen, nicht also für Rück- oder Nachbauten i.S.d. Regeln 2.1.2.1 und 2.1.2.2 a) von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen. Genauere Voraussetzungen, wann Ausnahmen zugelassen werden können, sind nicht geregelt, sodass insoweit lediglich die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit zu beachten sind. Nahe liegt die Zulassung einer Ausnahme insbesondere in Fällen, in denen ein bestimmter, seit der Neufassung der Traditionsschiff-Regelungen erstmals geforderter technischer Standard auf einem Schiff bislang nicht vorhanden war, ohne dass sich dies in der bisherigen Fahrt ersichtlich negativ ausgewirkt hat, und die Nachrüstung des Standards technisch bzw. baulich gar nicht oder nur unter Zerstörung der Erhaltungsmerkmale des Schiffes möglich ist. Dies kann bspw. die Vorgabe nach Kapitel 2 Regel 8.1 Traditionsschiff-Regelungen betreffen, nach der Traditionsschiffe „grundsätzlich“ durch Schotte unterteilt werden müssen, die bis zum Freiborddeck ausgeführt sind. (cc) „Gleichwertige Einrichtungen, Hilfsmittel und Maßnahmen“ Nach Kapitel 1 Regel 3.2 Traditionsschiff-Regelungen kann die Dienststelle Schiffssicherheit „gleichwertige Einrichtungen, Hilfsmittel und Maßnahmen festlegen“, wenn eine der technischen Anforderungen nach den Kapiteln 1 bis 6 „im Einzelfall“ nicht erfüllt werden kann. Diese Regelung ist ersichtlich an Regel I/5 a) SOLAS angelehnt, nach der anstelle einer bestimmten materiell-rechtlichen Vorgabe „gleichwertiger Ersatz“ gestattet werden kann. Regel I/5 SOLAS ist inhaltlich deutlich detaillierter gefasst, als Regel 3.2 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen.357 Insbesondere gibt Kapitel 1 Regel 3.2 Traditionsschiff-Regelungen keinen Aufschluss darüber, unter welchen Voraussetzungen „Einrichtungen, Hilfsmittel und Maßnahmen“ als „gleichwertig“ anzusehen sind. Letztere Frage stellt sich in besonderem Maße, soweit durch die Aufnahme des Begriffes „Maßnahmen“ in Regel 3.2 klargestellt sein dürfte, dass als gleichwertiger Ersatz u. U. auch die Zulassung einer Verhaltensanforderung möglich ist. Denkbar ist, für die Bewertung der Gleichwertigkeit etwa den Gesichtspunkt heranzuziehen, ob ein Traditionsschiff mit seiner entsprechenden Bauweise und Ausstattung schon aufgrund der vorherigen 357 Regel I/5 a) SOLAS lautet: „Schreiben diese Regeln vor, daß bestimmte Einrichtungen, Werkstoffe, Vorrichtungen oder Geräte oder ein bestimmter Typ derselben auf einem Schiff einzubauen oder mitzuführen sind oder daß eine sonstige Vorkehrung zu treffen ist, so kann die Verwaltung gestatten, daß auf diesem Schiff andere Einrichtungen, Werkstoffe, Vorrichtungen oder Geräte oder ein bestimmter Typ derselben eingebaut oder mitgeführt werden oder daß eine sonstige Vorkehrung getroffen wird, wenn durch Erprobungen oder auf andere Weise festgestellt wurde, daß die betreffenden Einrichtungen, Werkstoffe, Vorrichtungen oder Geräte oder der betreffende Typ oder die betreffende Vorkehrung mindestens ebenso wirksam wie die in diesen Regeln vorgeschriebenen sind.“
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Sicherheitsregeln seit langer Zeit ohne ersichtliche Mängel oder Probleme in Fahrt gewesen ist. In diesem Fall könnte der Nachweis der Gleichwertigkeit – i.S.v. Regel I/5 a) SOLAS – als geführt angesehen werden dadurch, dass „auf andere Weise“ (i. e. im Wege praktischer Erprobung) festgestellt wurde, dass der Ersatz „ebenso wirksam“ wie die korrespondierende technische Vorgabe ist. Auch im Übrigen wird sich, sofern möglich, für die Auslegung der Regel 3.2 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen Rückgriff auf die Anwendung von Regel I/5 a) SOLAS bei den Fahrzeugen der Berufsschifffahrt nehmen lassen. (2) Besichtigung, Zeugniserteilung und die „Dienststelle Schiffssicherheit“ bei der BG Verkehr als verantwortliche Stelle Wie auch bei den in der internationalen Fahrt eingesetzten (Traditions-)Schiffen358 ist die Einhaltung der materiell-rechtlichen Sicherheitsanforderungen durch eine in regelmäßigen Abständen zu wiederholende Besichtigung des Traditionsschiffes sowie durch ein auf der Grundlage dieser Besichtigungen ausgestelltes „Sicherheitszeugnis für Traditionsschiffe“ nachzuweisen. Gemäß § 9 Abs. 4 Nr. 2 SchSV hat der jeweilige Verantwortliche359 „unter Antragstellung“ sicherzustellen, dass ein Traditionsschiff, für das kein Sicherheitszeugnis „gültig“360 ist, vor der ersten Inbetriebnahme oder vor der ersten Fahrt nach Ungültigwerden des Zeugnisses „zur Überprüfung des sicheren Zustands des Schiffes und seiner Ausrüstung“ vorgeführt wird. (a) Besichtigung Die Besichtigung erfolgt auf der Grundlage von Kapitel 1 Regel 8 Traditionsschiff-Regelungen. Anders als nach den Regelungen vor der zum 14. März 2018 in Kraft getretenen Neufassung der Schiffssicherheitsverordnung ist in Regel 8.4 ausdrücklich vorgesehen, dass im Rahmen der Besichtigung (stets) eine Überprüfung der Außenhaut und der Schiffsverbände auf dem Trockenen durchzuführen ist.
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Siehe dazu zuvor unter Punkt A. II. 2. a) im 2. Teil der vorliegenden Arbeit. Der „jeweilige Verantwortliche“ ist gemäß der Definition in § 9 Abs. 4 Satz 7 SchSV derjenige, der nach § 2 SchSV ein Schiff „zur Seefahrt einsetzt“. Das umfasst sowohl den Eigentümer des Schiffes, als auch den jeweiligen Schiffsführer (Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 3 SchSG, Rn. 1.). 360 Ein Sicherheitszeugnis ist nach den nationalen Traditionsschiff-Regelungen für ein Schiff in diesem Sinne „nicht gültig“, wenn kein Zeugnis vorhanden ist oder wenn ein vorhandenes Zeugnis ungültig geworden ist, weil die vorgeschriebenen Besichtigungen nicht innerhalb der vorgegebenen Zeitabschnitte abgeschlossen wurden (Kapitel 1 Regel 9.3 a) Traditionsschiff-Regelungen), oder weil entgegen Kapitel 1 Regel 8.7 Traditionsschiff-Regelungen nach der vorhergehenden Besichtigung des Schiffes am Schiff, seiner Ausrüstung oder an sonstigen Einrichtungen, die Gegenstand der Besichtigung waren, ohne Genehmigung der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr Änderungen vorgenommen wurden (Kapitel 1 Regel 9.3 b) Traditionsschiff-Regelungen). 359
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Gemäß Regel 8.5 sind zudem die Takelage und der Mast zu prüfen, wobei der Mast, sofern er aus Holz ist, herausgezogen werden muss.361 (b) Zeugniserteilung Auf Antrag ist nach Kapitel 1 Regel 6.1 a) bis d) Traditionsschiff-Regelungen ein „Sicherheitszeugnis für Traditionsschiffe“362 zu erteilen unter den Voraussetzungen, dass das Schiff ein „historisches Wasserfahrzeug“ ist, an dessen „Präsentation in Fahrt ein öffentliches Interesse besteht“, dass auf Grundlage eines mit der Antragstellung einzureichenden Nutzungskonzeptes zu erwarten ist, dass der Betrieb des Schiffes entsprechend der Betriebsvorschriften der Traditionsschiff-Regelungen erfolgen wird363 und dass die Besichtigung die Übereinstimmung des Traditionsschiffes mit den anzuwendenden materiell-rechtlichen Anforderungen ergeben hat. Handelt es sich bei dem beantragten Zeugnis um ein Erneuerungszeugnis für ein Traditionsschiff, das am 14. März 2018 noch über ein Sicherheitszeugnis nach den vorherigen Regelungen der Sicherheitsrichtlinie verfügt hat, so gelten die beiden erstgenannten Voraussetzungen – Vorliegen eines „Traditionsschiffes“ i.S.d. Definition der Traditionsschiff-Regelungen und Betrieb entsprechend der Betriebsvorschriften – gemäß Kapitel 1 Regel 13.2 Traditionsschiff-Regelungen als erfüllt. Voraussetzung dafür ist, dass die Nutzung und die Abmessungen sowie das äußere Erscheinungsbild des Traditionsschiffes nicht (wesentlich) verändert wurden. (c) Verantwortliche Stelle: Die „Dienststelle Schiffssicherheit“ bei der BG Verkehr Zuständig für die Ausstellung der Sicherheitszeugnisse für Traditionsschiffe ist die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr. Diese ist zugleich die zuständige Stelle der nationalen Schifffahrtsverwaltung für die Durchsetzung der maritimen Übereinkommen und der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie durch Deutschland als Flaggen- und Hafenstaat.364 Gemessen an den innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen ergibt sich die Frage, ob die Aufgabenwahrnehmung durch die Dienststelle Schiffssi361 Mit dieser Anforderung wird der „Sicherheitsempfehlung Holzmasten“ des BSU vom 21. September 2016 (Az. 315/16-UF1) gefolgt, die als Reaktion auf den Unfall des Segelschiffes „Amicitia“ in den Niederlanden herausgegeben wurde. Die Sicherheitsempfehlung ist auf dem Internetauftritt des BSU veröffentlicht. 362 Für die Ausstellung des „Sicherheitszeugnisses für Traditionsschiffe“ ist nach § 2 Abs. 1 i.V.m. Nr. 0410 Anlage zu § 2 Abs. 1 BGVGebV die Erhebung einer Gebühr i.H.v. E 685,– vorgesehen. Für die Erteilung einer „Ausnahmegenehmigung zum Sicherheitszeugnis für Traditionsschiffe“ ist nach § 2 Abs. 1 i.V.m. Nr. 0412 Anlage zu § 2 Abs. 1 BGVGebV eine Gebühr i.H.v. E 230,– vorgesehen. 363 Zu den Betriebsvorschriften für Traditionsschiffe vgl. nachfolgend unter (4). 364 Siehe dazu jeweils ausführlich zuvor unter den Punkten A. II. 2. b) und B. II. 2. im 2. Teil der vorliegenden Arbeit.
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cherheit bei der BG Verkehr mit den Vorgaben des Grundgesetzes im Einklang steht. Für die Klärung dieser Frage sind nachfolgend zunächst die handelnden Stellen selbst sowie die Form der Aufgabenübertragung auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr zu analysieren. (aa) Die „Dienststelle Schiffssicherheit“ bei der BG Verkehr Die BG Verkehr ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts.365 Sie wurde am 13. Juli 1887 aufgrund des „Gesetzes betreffend die Unfallversicherung der Seeleute und anderer bei der Seeschifffahrt beteiligter Personen“366 gegründet. Bis heute ist die BG Verkehr die Trägerin der gesetzlichen Seeunfallverwaltung, womit ihr als Selbstverwaltungsaufgaben die Unfallverhütung367 und die gesetzliche Unfallversicherung368 obliegen. Die wesentlichen Bundesaufgaben zur Überwachung der Verkehrs- und Betriebssicherheit von Wasserfahrzeugen (§ 1 Nr. 4 SeeAufgG) sind nach § 6 Abs. 1 bis 3 SeeAufgG der „Dienststelle Schiffssicherheit“ bei der BG Verkehr369 zugewiesen. Die Dienststelle Schiffssicherheit ist eine innerhalb der BG Verkehr weitgehend verselbstständige Organisationseinheit mit Sitz in Hamburg, die der Dienstaufsicht der BG Verkehr unterliegt. Dass die staatliche Aufgabe der Überwachung der Schiffssicherheit der BG Verkehr übertragen wurde – und nicht etwa dem BSH, wie es sich vielleicht aus heutiger Sicht aufdrängen könnte –, ist historisch zu erklären. Durch ihre Gründung im Jahr 1887 existierte die BG Verkehr, noch bevor die ersten staatlichen Aufgaben der Überwachung der Schiffssicherheit zu erfüllen waren. Da es indes seit jeher im Rahmen der Unfallverhütung zu ihren Aufgaben gehörte, die Durchführung der Unfallverhütungsvorschriften durch technische Aufsichtsbeamte zu überwachen370, lag es nahe, ihr nachfolgend auch die staatlichen Überwachungsaufgaben zu über365 § 1 Abs. 2 Satzung der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation. 366 RGBl. 1887, S. 329. 367 § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Satzung der BG Verkehr. 368 § 2 Abs. 1 der Satzung der BG Verkehr. 369 Die frühere See-Berufsgenossenschaft bildet infolge des Zusammenschlusses mit der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltung seit dem 1. Januar 2010 die „Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft“. Innerhalb dieser neu geschaffenen „BG Verkehr“ wurde die frühere Schiffssicherheitsabteilung der See-Berufsgenossenschaft zur (verselbstständigten) Organisationseinheit „Dienststelle Schiffssicherheit“ mit Sitz in Hamburg umgewandelt (vgl. BT-Drucks. 17/7066, S. 7). Zum 1. Januar 2016 wurde die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft durch die neu errichtete Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft PostLogistik Telekommunikation ersetzt (Art. 2 i.V.m. Art. 17 Abs. 7 des Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 19. Oktober 2013. BGBl. 2013 I, S. 3836.). 370 Zu den Hintergründen der Tätigkeit technischer Aufsichtsbeamter bei der See-BG seit dem Jahr 1894 vgl. Keil, Die Verwaltung des Bundes und der Länder auf dem Gebiet der Sicherheit der Seehandelsschiffahrt, S. 53.
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tragen.371 Das BSH in seiner heutigen Form gibt es demgegenüber erst seit dem Jahr 1990372, als die Übertragung der Schiffssicherheitsaufgaben auf die BG Verkehr bereits seit fast einem Jahrhundert etabliert war. (bb) Aufgabenzuweisung an die „Dienststelle Schiffssicherheit“ bei der BG Verkehr und Fachaufsicht des BMVI Die Konstruktion der Zuweisung der Überwachungsaufgaben zur Schiffssicherheit an die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr durch den Bund nach § 6 Abs. 1 bis 3 SeeAufgG wird als Aufgabenübertragung im Wege der sog. Organleihe eingeordnet.373 Bei der Organleihe wird ein Organ eines Rechtsträgers ermächtigt und beauftragt, den Aufgabenbereich eines anderen Rechtsträgers zu erfüllen, wobei es den Weisungen des anderen Rechtsträgers unterworfen ist. Im Gegenzug werden die von dem handelnden Organ getroffenen Maßnahmen und Entscheidungen dem Organ des Entleihers (hier dem Bund) zugerechnet. Die Organleihe begründet dabei keine eigenen Zuständigkeiten des entliehenen Organs, sondern das entliehene Organ stellt dem Entleiher lediglich personelle und sächliche Mittel zur Verfügung.374 Die Dienststelle Schiffssicherheit untersteht bei der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben nach § 6 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 SeeAufgG der Fachaufsicht durch das BMVI. Dies ist eine Folge des Konstrukts der Organleihe, da die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr die ihr übertragenen Aufgaben nicht als Selbstverwaltungsaufgaben wahrnimmt. Die Fachaufsicht erstreckt sich – anders als bei der bloßen Rechtsaufsicht – auf die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Wahrnehmung der der Dienststelle Schiffssicherheit übertragenen Aufgaben.375 Sie umfasst die Möglichkeit des BMVI, Informationen einzuholen, Weisungen zu erteilen bzw. Verwaltungsvorschriften zu erlassen sowie u. U. Angelegenheiten an sich zu ziehen (Selbsteintritt).376 Da sich die Fachaufsicht auf die Dienststelle Schiffssicherheit der BG Verkehr als solche bezieht und nicht auf einzelne Mitarbeiter, ist 371
Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 519. Das BSH wurde gemäß Art. 33 des Dritten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 28. Juni 1990 (BGBl. 1990 I, S. 1221) durch die Zusammenlegung des Deutschen Hydrografischen Institutes und des Bundesamtes für Schiffsvermessung gebildet. 373 BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 – III ZR 358/03 –, Rn. 23, zitiert nach juris. Vgl. auch Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 522 („ … Organ der unmittelbaren Staatsverwaltung …“). 374 Für alles Vorstehende: Ibler, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 87, Rn. 58. Ausführlich zum Konstrukt der Organleihe Herma, Die rechtliche Ausgestaltung maritimer Sicherheit in Deutschland, S. 158 – 164. Vgl. dazu auch Küchenhoff, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Mischverwaltung, S. 56 ff. Ferner dazu Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, S. 158 – 160. 375 Krebs, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 108 Rn. 51. 376 Ebenda. Vgl. zudem Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 99 Rn. 229. 372
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bei der Ausübung der Fachaufsicht durch das BMVI der Dienstweg einzuhalten, welcher sich aus der Vorgesetztenhierarchie ergibt377. Eine Folge der Fachaufsicht ist, dass das Aufsichtsorgan eine Mitverantwortlichkeit für die beaufsichtigten Maßnahmen trägt.378 Nach § 6 Abs. 4 Satz 3 SeeAufgG ist das BMVI ermächtigt, im Einvernehmen mit dem BMAS eine Rechtsverordnung über die Art der Durchführung der Fachaufsicht und über die Organisation der BG Verkehr zu erlassen. Die organisatorische Verselbstständigung der Dienststelle Schiffssicherheit innerhalb der BG Verkehr379 ist im Vorgriff auf eine solche Rechtsverordnung erfolgt380, die bislang noch nicht existiert381. (cc) Problematik: Verstoß der Aufgabenwahrnehmung durch die Dienststelle Schiffssicherheit gegen Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG? Durch die frühe Gründung der BG Verkehr und die Übertragung der staatlichen Schiffssicherheitsüberwachungsaufgaben auf sie bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts wird die Wahrnehmung der Aufgaben durch die Dienststelle Schiffssicherheit seit langer Zeit als „historisch gewachsene und bewährte Konstruktion“382 angesehen. Mit dem Inkrafttreten von Art. 87 Abs. 1 GG am 24. Mai 1949383 ist jedoch die Problematik entstanden, ob die Aufgabenübertragung nicht im Widerspruch zu den Vorgaben von Art. 87 Abs. 1 GG steht. Nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG wird die Verwaltung der „Schiffahrt“ (sic) „in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt“.
Dem könnte die Aufgabenübertragung auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr als Organisationseinheit einer bundesunmittelbaren Körperschaft und damit einer Stelle der mittelbaren Bundesverwaltung entgegenstehen. Dies wäre der Fall, sofern Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG für die Verwaltung der Schifffahrt durch die Formulierung „mit eigenem Verwaltungsunterbau“ zwingend die Ausführung durch der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar zugeordnete Behörden verlangen sollte.
377
Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 56. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 99 Rn. 229. 379 Siehe dazu in Fn. 769. 380 So Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 6 SeeAufgG, Rn. 9, unter Verweis auf BTDrucks. 17/6077, S. 7. 381 Stand September 2018. 382 Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 201 f. 383 BGBl. 1949 I, S. 1. 378
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Zur Auslegung des Erfordernisses der „bundeseigenen Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau“ nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG – und damit zur Zulässigkeit der Organleihe – werden v. a. in der Literatur unterschiedliche Standpunkte vertreten. Zudem war die Verfassungsgemäßheit des Konstrukts der Organleihe Gegenstand zweier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes; in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes blieb die Zulässigkeit der Aufgabenübertragung auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr offen. (a) Rechtsprechung Der Bundesgerichtshof hat die Verfassungsgemäßheit der Aufgabenwahrnehmung durch die Dienststelle Schiffssicherheit in einem Urteil aus dem Jahr 2004 zur staatshaftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der (damaligen) See-Berufsgenossenschaft für Amtspflichtverletzungen ihrer Mitarbeiter mit folgender Formulierung offengelassen: „Die – nicht unproblematische – Konstruktion der Organleihe mag geeignet sein, die Heranziehung einer bundesrechtlichen Körperschaft des öffentlichen Rechts bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben, die an sich nur in unmittelbarer Bundesverwaltung erledigt werden dürfen, verfassungsrechtlich zu rechtfertigen.“384
Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Urteilen aus den Jahren 1983385 und 2007386 zur Verfassungsgemäßheit einer Organleihe im Bereich von anderen, durch das Grundgesetz dem Bund zugewiesenen Aufgaben geurteilt, dass ein Verwaltungsträger, dem durch eine Kompetenznorm des Grundgesetzes Verwaltungsaufgaben zugewiesen worden seien, diese Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen wahrzunehmen habe. Das bedeute, dass die Verwaltungsaufgaben „mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln“ zu erfüllen seien. Der Inanspruchnahme fremder Personal- oder Sachmittel im Wege der Organleihe sei dadurch Grenzen gesetzt und sie müsse die Ausnahme bleiben. Es bedürfe für eine Organleihe deshalb eines „besonderen sachlichen Grundes“ und die Zuhilfenahme komme nur „hinsichtlich einer eng umgrenzten Verwaltungsmaterie“ in Betracht.387 Damit setzt das Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit der Konstruktion der Organleihe hohe Hürden.388 (b) Literatur In der Literatur erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Zulässigkeit der Konstruktion der Organleihe auf der Grundlage unterschiedlicher Standpunkte darüber, 384
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 – III ZR 358/03 –, Rn. 23, zitiert nach juris. Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvL 23/81 –. 386 Urteil vom 20. Dezember 2007 – 2 BvR 2433/04 – („Hartz IV-Arbeitsgemeinschaft“). 387 Für alles Vorstehende: BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvL 23/81 –, Rn. 131, zitiert nach juris. Bestätigt durch BVerfG, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 2 BvR 2433/04 –, Rn. 159 und 169. 388 So auch Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, S. 160. 385
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wie das Erfordernis der „bundeseigenen Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau“ nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG überhaupt auszulegen ist. Zunächst besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG für die in der Norm genannten Bereiche389 grundsätzlich eine bundeseigene Verwaltung im Sinne von der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar zugeordneten Behörden verlangt.390 Die Grenze zur mittelbaren Bundesverwaltung wird dabei überschritten, wenn die handelnde Stelle eigene Rechtspersönlichkeit erhält, da der Bund dann nicht mehr Rechtsträger der handelnden Stelle ist.391 Überwiegend besteht auch Einigkeit darüber, dass Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG insoweit eine Verpflichtung des Bundes enthält, nicht lediglich eine Empfehlung oder eine unverbindliche Leitlinie.392 Namentlich von Burgi wird demgegenüber vertreten, dass Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG seiner „Anknüpfung an vorhandene Organisationen mit vorhandenen Aufgaben“ wegen hinsichtlich bereits vorkonstitutionell existierender Stellen mittelbarer Bundesverwaltung nicht gelte.393 Das träfe auf die BG Verkehr zu, da diese bereits vor dem Inkrafttreten von Art. 87 Abs. 1 GG existierte. Diese Ansicht bietet jedoch keinen Begründungsansatz und wird deshalb zu Recht abgelehnt394. Ist mit der herrschenden Ansicht in der Literatur für die in Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG genannten Bereiche mithin grundsätzlich eine Ausführung durch der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar zugeordnete Behörden zu verlangen, so werden darüber hinaus unterschiedliche Ansichten zu der Frage vertreten, ob Art. 87 Abs. 1 389 Das umfasst neben der Schifffahrt den Auswärtigen Dienst, die Bundesfinanzverwaltung und die Verwaltung der Bundeswasserstraßen. 390 Sachs, Grundgesetz, Art. 87 Rn. 13 und 18. Ibler, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 87 Rn. 49. Remmert, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 87 Rn. 14 und Art. 89 Rn. 10. So wohl auch Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu u. a., GG, Art. 87 Rn. 5. A.A. Keil, Die Verwaltung des Bundes und der Länder auf dem Gebiet der Sicherheit der Seehandelsschiffahrt, S. 53, der vertritt, der Bund dürfe hinsichtlich der Gestaltung des nach Art. 87 Abs. 1 GG vorgeschriebenen eigenen Verwaltungsunterbaus von dem „vertrauten, auf Mittel- und Unterbehörden beschränkten Bild durchaus abweichen“. 391 Vgl. Ibler, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 87 Rn. 49. 392 Sachs, Grundgesetz, Art. 87 Rn. 16. Remmert, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 87 Rn. 14. Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu u. a., GG, Art. 87 Rn. 5. Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 202. A.A. Burgi, der auf den „Rahmencharakter des Grundgesetzes“ verweist: Burgi, in: von Mangoldt u. a., Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 Rn. 19 f. Hömig vertritt die Auffassung, Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG eröffne nur die Möglichkeit zur Schaffung einer bundeseigenen Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau, verpflichte aber nicht dazu: Hömig, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 87 Rn. 3. 393 Burgi, in: von Mangoldt u. a., Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 Rn. 19 unter Verweis auf Jestaedt, in: Aulehner, Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, S. 338 f. Ähnlich auch Dittmann, der argumentiert, dass „die organisationsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes für die Bundesverwaltung hinreichend flexibel“ seien, um „vorkonstitutionell gewachsene Verwaltungsstrukturen verfassungskonform zu integrieren.“: Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 203. 394 So auch Sachs, Grundgesetz, Art. 87 Rn. 16 und Fn. 30.
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Satz 1 GG gleichwohl Verwaltungstätigkeit durch rechtliche verselbstständigte Stellen der mittelbare Bundesverwaltung – wie der BG Verkehr als Körperschaft des öffentlichen Rechts – erlaubt, sofern diese dem Bund zurechenbar ist. Ein Teil der Literatur bejaht diese Frage im Ergebnis, wobei nach der Art und Ausgestaltung der Zurechnung unterschieden wird. In Teilen der Literatur wird vertreten, dass es für eine hinreichende Zurechnung genüge, wenn der Bund durch Maßnahmen der Fachaufsicht Einfluss auf den Träger der mittelbaren Bundesverwaltung ausüben kann.395 Nach dieser Ansicht wäre die Aufgabenübertragung auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr soweit zulässig, als die Dienststelle Schiffssicherheit nach § 6 Abs. 4 SeeAufgG der Fachaufsicht des BMVI untersteht. Andere Stimmen in der Literatur verlangen neben dem Bestehen der Fachaufsicht zusätzliche Kriterien, um i.R.v. Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG zu einer Zulässigkeit der Aufgabenübertragung an Stellen der mittelbaren Bundesverwaltung zu gelangen.396 Die entsprechenden Standpunkte orientieren sich an dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1983.397 So wird mit dem Bundesverfassungsgericht verlangt, dass die Aufgabenübertragung eines sachlichen Grundes wegen erfolgen muss.398 Andere fordern – zum Teil, wie es auch das Bundesverfassungsgericht verlangt hat, zusätzlich zum Vorliegen eines sachlichen Grundes –, dass die Aufgabenübertragung auf „eng umgrenzte Teilmaterie von untergeordneter Bedeutung“399 beschränkt und in einem „geringen, nicht ausprägenden Rahmen“400 bleiben müsse. Wieder andere verlangen – insoweit über die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen hinaus –, dass mittels sachlicher und personeller Qualitätsanforderungen innerhalb des Trägers der mittelbaren Bundesverwaltung 395
Spezifisch für die Aufgabenzuweisung an die BG Verkehr durch § 6 Abs. 1 SeeAufG Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 6 SeeAufgG, Rn. 1. Allgemein für Fälle der Organleihe Hermes, in: Dreier/Bauer, Grundgesetz, Art. 89 Rn. 28. So wohl auch Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rn. 522, unter Verweis auf ein Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes von 1962, zu dem jedoch keine Quelle genannt wird. Ebenso Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 203, der davon spricht, dass die handelnde Stelle durch die Fachaufsicht in die unmittelbare Bundesverwaltung „einbezogen“ sei; zugleich jedoch einräumt, dass diese Form „mittelbarer bundeseigener Verwaltung“ sich vom grundgesetzlichen Bild einer unmittelbaren Bundesverwaltung deutlich abhebe. 396 Die Ansichten dieser Autoren lassen sich zusammengefasst – wie von Maiwald gehandhabt (Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu u. a., GG, Art. 87 Rn. 5.) – als „vermittelnde Auffassung[en]“ bezeichnen. 397 Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvL 23/81 –, dort Rn. 131, zitiert nach juris. Vgl. dazu unmittelbar zuvor unter a). 398 Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu u. a., GG, Art. 87 Rn. 5. 399 Ibler, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 87 Rn. 58. Hömig verlangt die Beschränkung auf „Teilgebiete des jeweiligen Verwaltungszweigs“ (Hömig, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 87 Rn. 3.). Maiwald verlangt eine Begrenzung der Aufgabenübertragung auf „abgrenzbare Teilaufgaben“ (Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu u. a., GG, Art. 87 Rn. 5.). 400 Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu u. a., GG, Art. 87 Rn. 5.
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eine dem öffentlichen Dienst mindestens gleichwertige Effektivität gewährleistet werden müsse.401 Folgt man den vorgenannten „vermittelnden“ Auffassungen, so sprechen – trotz der Fachaufsicht des BMVI – nicht unerhebliche Erwägungen gegen eine Vereinbarkeit der Aufgabenübertragung auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr mit Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG. Ein überzeugender sachlicher Grund für die Aufgabenübertragung ist zumindest nicht ohne weiteres ersichtlich. Bei der ersten Fassung des SeeAufgG im Jahr 1950, d. h. nach dem Inkrafttreten von Art. 87 Abs. 1 GG zum 24. Mai 1949, wurde die Ausführung der „Vorschriften des Bundes zur Sicherung der Seefahrt“ in § 4 Abs. 1 Satz 1 des SeeAufgG von 1950 (wie bereits zuvor gehandhabt) der (damaligen) SeeBerufsgenossenschaft übertragen. Der Gesetzgeber hat die Übertragung zum damaligen Zeitpunkt mit Zweckmäßigkeitserwägungen402 hinsichtlich der eigenen behördlichen Ressourcen begründet: „Würden die Aufträge an die Seeberufsgenossenschaft zurückgezogen, dann müßte eine eigene Bundesoberbehörde errichtet werden.“403 Diese Erwägung dürfte sich nur schwerlich als „sachlichen“ Grund heranziehen lassen. Soweit sich ihr haushaltspolitische Überlegungen entnehmen lassen, stellen diese keinen sachlichen Grund dar. Soweit die Erwägung auf den bei der See-Berufsgenossenschaft bereits vorhandenen Sachverstand zielt, ist nicht ersichtlich, weshalb die für die Aufgabe der technischen Überwachung erforderliche Sach- und Fachkunde nicht auch durch Berufsbeamte ausgeübt werden können sollte. Ob die Aufgabenübertragung auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr darüber hinaus in ihrer Gesamtheit noch im Rahmen einer „eng umgrenzten Teilmaterie von untergeordneter Bedeutung“404 bzw. eines „geringen, nicht ausprägenden Rahmen[s]“405 bleibt, erscheint gleichfalls zweifelhaft. Die vielfältigen technischen Überwachungsaufgaben mögen gegenüber den anderen Aufgabengebieten der Seeschifffahrtsverwaltung abgrenzbar sein; fraglich ist jedoch, ob sie noch eine „Teilaufgabe“ darstellen und von „geringem Rahmen“ sind. Neben der umfassenden Durchführung der technischen Überwachungsaufgaben, die der Sicherheit an Bord, aber auch dem schiffsbezogenen Umweltschutz dienen, wird bei der Dienststelle Schiffssicherheit noch der Seeärztliche Dienst geführt. Abseits dessen verbleiben aus der Bundesaufgabe Seeschifffahrtsverwaltung im Wesentlichen die schifffahrtspolizeilichen Aufgaben der Verkehrssicherheit406 sowie die Vorhaltung
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Werbke, Hansa 1994, 6 (7). Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvL 23/81 –, Rn. 104, zitiert nach juris. 403 BT-Drucks. I/628, S. 6. 404 Ibler, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 87 Rn. 58. 405 Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu u. a., GG, Art. 87 Rn. 5. 406 Diese werden überwiegend durch die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) wahrgenommen. 402
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bestimmter Aufgaben, welche den Seeverkehr unterstützen407, wie die Marktüberwachung im Bereich der Schiffsausrüstung (§ 1 Nr. 4c SeeAufgG) oder die „Förderung der Seeschifffahrt und Seefischerei durch naturwissenschaftliche und nautisch-technische Forschungen“ (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 SeeAufgG). In der Gesamtheit betrachtet ist damit ein ganz erheblicher Teil der Aufgaben aus dem Bereich der Seeschifffahrtsverwaltung auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr übertragen. Dieser Umstand spiegelt sich auch in der Größe der Dienststelle Schiffssicherheit wider, die neben der Leitung, Stabs- und Koordinierungsstellen sowie den Besichtigern noch acht Fachreferate und damit insgesamt annähernd 100 Mitarbeiter umfasst408. Zuletzt sind auch an die Dienststelle Schiffssicherheit vom BMVI gestellte personelle und sachliche Qualitätsanforderungen zur Gewährleistung einer dem öffentlichen Dienst mindestens gleichwertigen Effektivität der Aufgabenwahrnehmung, wie Werbke sie für die Zulässigkeit der Aufgabenübertragung an eine Stelle der mittelbaren Bundesverwaltung verlangt409, nicht erkennbar.410 Gegenüber den vermittelnden Auffassungen in der Literatur verneint die wohl herrschende Meinung die Möglichkeit, die Verwaltungsaufgaben in den von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG genannten Bereichen durch Träger der mittelbaren Bundesverwaltung auszuführen, unabhängig davon, ob und ggf. in welcher Form deren Handeln dem Bund zurechenbar ist.411 Der dem Grundgesetz immanente Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung habe zur Folge, dass Kompetenzzuweisungen in der Verfassung den zuständigen Rechtsträger zugleich verpflichteten, seine Aufgaben durch eigene Einrichtungen wahrzunehmen.412 Nach der herrschenden Ansicht stünde die Aufgabenübertragung auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr nach § 6 Abs. 1 SeeAufgG folglich (nicht nur hinsichtlich der Überwachungsaufgaben mit Blick auf Traditionsschiffe) nicht im Einklang mit Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG. 407 Derartige Aufgaben werden überwiegend vom BSH wahrgenommen (vgl. § 5 SeeAufgG); daneben ist das BSU zuständig für die Untersuchung von Seeunfällen. 408 So geht es aus dem Organigramm der Dienststelle Schiffssicherheit hervor, das auf dem Internetauftritt der Deutschen Flagge und des BMVI abrufbar ist. (zuletzt abgerufen im Januar 2019) 409 Werbke, Hansa 1994, 6 (7). 410 Derartige Anforderungen könnten freilich Gegenstand einer Rechtsverordnung auf der Grundlage von § 9 Abs. 4 Satz 3 SeeAufgG über die Ausübung der Fachaufsicht durch das BMVI und über die Organisation der BG Verkehr sein. 411 Ibler, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 87 Rn. 52 f. und bekräftigend auch für die Aufgabenübertragung in Form der Organleihe Rn. 58. Remmert, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, Art. 89 Rn. 21 mit Verweis auf Rn. 10. Jestaedt, in: Aulehner, Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, S. 338 f. Haratsch, in: Sodan/Haratsch, Grundgesetz, Art. 89 Rn. 4 und 10. So wohl auch Durner, der die Aufgabenübertragung „vor dem Hintergrund der Unverfügbarkeit der grundgesetzlichen Kompetenzordnung“ als „zweifelhaft“ bezeichnet: Durner, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 89 Rn. 49. 412 Ibler, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 87 Rn. 58.
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(c) Eigene Position Der Wortlaut von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG, der für den Aufgabenbereich der Schifffahrt ausdrücklich bundeseigene Verwaltung „mit eigenem Verwaltungsunterbau“ fordert, steht einer voraussetzungslosen und unbegrenzten Aufgabenübertragung auf Stellen der mittelbaren Bundesverwaltung – auch an bereits vorkonstitutionell existierende Stellen – klar entgegen. Hinter Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG und der Entscheidung des Verfassungsgebers, die dort aufgezählten Bundesaufgaben unmittelbar dem Bund zuzuweisen, steht zudem eine Wertung. Die Verpflichtung zu unmittelbarer Staatsverwaltung soll dem starken Berührtsein des Bürgers in den in Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG genannten Bereichen Rechnung tragen.413 Dieser Wertung trägt das Konstrukt der Organleihe trotz der Möglichkeit der Fachaufsicht nicht hinreichend Rechnung, soweit es der Ausführung von Verwaltungsaufgaben durch unmittelbare Staatsverwaltung letztendlich doch nicht vollständig gleichwertig ist. Die fehlende Gleichwertigkeit wird anhand bestimmter organisatorischer Details der Aufgabenwahrnehmung deutlich. So obliegt etwa bei dem Konstrukt der Organleihe die Dienstaufsicht414 über die handelnde Stelle dem entleihenden Organ der mittelbaren Verwaltung, vorliegend also der BG Verkehr, und nicht dem Entleiher, d. h. dem Bund in Form des BMVI. Damit sind Bürger bei möglichen Beschwerden415 ggf. darauf verwiesen, sich an die BG Verkehr zu wenden, nicht direkt an das BMVI. Fachaufsichtsbeschwerden können zwar über die Dienststelle Schiffssicherheit an das BMVI gerichtet werden, damit kann indes nur die sachliche Richtigkeit einer angegriffenen Entscheidung in Frage gestellt werden416. Umgekehrt fehlt dem BMVI mit der Dienstaufsicht, d. h. insbesondere mit der Aufsicht über die Personalangelegenheiten und die allgemeine Geschäftsführung, ein Element zur Steuerung der Verwaltungstätigkeit der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr. Zusätzlich fehlen dem BMVI die Steuerungsfaktoren der Personalauswahl oder etwa der Entscheidung über den Zuschnitt der Fachressorts bei der Dienststelle Schiffssicherheit.417 Insgesamt besitzt das BMVI damit hinsichtlich der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr nicht über die gleiche umfassende Steuerungsmacht, wie es sie über seine eigenen, nicht selbst rechtsfä413 So für den Auswärtigen Dienst und die Bundesfinanzverwaltung Ibler, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 87 Rn. 53. 414 Die Dienstaufsicht umfasst die Aufsicht über den Aufbau, die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten der Behörde (Krebs, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 108 Rn. 51.). 415 In Betracht kommen grundsätzlich etwa sog. Fachaufsichtsbeschwerden, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angegriffenen Entscheidung angegriffen werden kann, oder sog. Dienstaufsichtsbeschwerden, welche sich gegen das persönliche Verhalten des Entscheidungsträgers richten. Vgl. Wichmann, in: Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 299. 416 Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 299. 417 Vgl. dazu Krebs, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 108 Rn. 53.
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higen Organisationseinheiten hat418. Es ist nicht erkennbar, dass das BMVI, von der Wahrnehmung der Fachaufsicht abgesehen, den Einsatz der Mitarbeiter der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr weitergehend steuert, kontrolliert oder dahingehende Weisungen erteilt.419 Ferner unterscheiden sich Organe der unmittelbaren Bundesverwaltung von im Wege der Organleihe einbezogenen Stellen der mittelbaren Bundesverwaltung in der Rechtsstellung ihrer Mitarbeiter. Die Mitarbeiter der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr sind Angestellte im öffentlichen Dienst, also keine Beamten. Das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis der Beamten unterscheidet sich jedoch wesentlich vom privatrechtlichen Dienstverhältnis der Angestellten der öffentlichen Verwaltung.420 Zwar steht der Wertung hinter der Verpflichtung zu unmittelbarer Staatsverwaltung in Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG ein gleichfalls anzuerkennendes praktisches Bedürfnis gegenüber dahin, den Vollzug des materiellen Schiffssicherheitsrechtes durch die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr als „historisch gewachsen und bewährt“421 beizubehalten. Gleichwohl muss die in Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG durch den Verfassungsgeber ursprünglich formulierte Wertung Beachtung finden, solange sie nicht in Form einer Grundgesetzänderung relativiert oder aufgehoben wird. Im Ergebnis ist vor diesem Hintergrund dem Bundesverfassungsgericht und den vermittelnden Auffassungen in der Literatur zuzustimmen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sowie die vermittelnden Auffassungen in der Literatur tragen sowohl dem Wortlaut von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG und der dahinterstehenden Wertung Rechnung, als auch den praktischen Erfordernissen, indem sie eine Aufgabenübertragung auf Stellen der mittelbaren Bundesverwaltung nicht grundsätzlich ausschließen, sie aber auf Ausnahmen – i. e. auf den Fall des Bestehens eines sachlichen Grundes für eng umgrenzte Verwaltungsmaterien – beschränken. (d) Ergebnis Die Übertragung der technischen Überwachungsaufgaben zur Schiffssicherheit im Wege der Organleihe an die Mitarbeiter der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr erscheint an dem vorbezeichneten Maßstab gemessen bedenklich, da ein sachlicher Grund für die Übertragung nicht ohne weiteres ersichtlich ist und sich der auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr übertragene Aufgabenbereich nur schwerlich als „eng umgrenzte Teilmaterie“ bezeichnen lassen kann. Um 418
Vgl. dazu Ibler, in: Maunz u. a., Grundgesetz, Art. 87 Rn. 49. Vgl. dazu im Jahr 2004 BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 – III ZR 358/03 –, Rn. 23, zitiert nach juris. 420 Wichmann, in: Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 58, 203, 214 und 217. Dazu auch Lecheler, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 110 Rn. 58 ff. U. a. ist die aus dem Beamtenstatus resultierende Dienst- und Treuepflicht Grundlage für zahlreiche Beamtenpflichten. 421 Vgl. Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 201 f. 419
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die Aufgabenübertragung auf die Dienststelle Schiffssicherheit rechtlich abzusichern sollte der Wortlaut von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG deshalb bei nächster Gelegenheit klargestellt werden. (3) Besetzung und Befähigung Nach Kapitel 1 Regel 12.1 Satz 1 Traditionsschiff-Regelungen hat der Betreiber eines Traditionsschiffes dieses nach Maßgabe von § 11 SportSeeSchV zu besetzen. Das entspricht der Rechtslage vor der Neufassung der Schiffssicherheitsverordnung.422 (a) Anforderungen an die nautische und technische Besetzung Die zentrale Regelung für die Besetzung von Traditionsschiffen mit nautischem und technischem Personal enthält § 11 Abs. 2 Satz 1 SportSeeSchV. Danach ist für Traditionsschiffe eine Regelbesatzung in Abhängigkeit von der Rumpflänge des Schiffes, von der Anzahl der Personen an Bord und vom Fahrtbereich vorgesehen. Wie die Schiffe demnach im Einzelnen zu besetzen sind, ist in Anlage 4 Nr. 4 zur SportSeeSchSV normiert. Traditionsschiffe mit einer Rumpflänge bis zu 15 Metern und mit weniger als 25 Personen an Bord sind mit Inhabern von Befähigungsnachweisen wie vergleichbare Sportfahrzeuge zu besetzen.423 Traditionsschiffe mit einer Rumpflänge bis zu 15 Metern, die mehr als 25 Personen an Bord nehmen, müssen in Küstengewässern424 und küstennahen Seegewässern425 mit mindestens einem Inhaber des Sportseeschifferscheins besetzt sein. Bei einer Rumpflänge von mehr als 15 bis 25 Metern müssen Traditionsschiffe, je nach Fahrtgebiet, Dauer der Fahrt (in Stunden) und Anzahl der Personen an Bord, im Regelfall mit einem oder zwei Inhaber(n) eines Sport-(hoch-)seeschifferscheins oder eines Sportbootführerscheins-See, ggf. mit zusätzlichem Sportseeschifferzeugnis, besetzt sein. In weltweiter Fahrt426 muss ein Mitglied der Regelbesatzung zusätzlich über ausreichende Kenntnisse der Maschinenanlage verfügen. Traditionsschiffe mit einer Rumpflänge über 25 Metern bis 55 Metern müssen mit zwei bzw. in weltweiter Fahrt mit drei Inhabern eines Sportseeschifferscheins besetzt sein, wobei der Sportseeschiffer422
Vgl. dazu § 1 Abs. 3a bis Abs. 6 SportSeeSchV. Besatzungsvorschriften sind für Sportboote nur insoweit vorgesehen, als diese gewerblich genutzt werden (siehe dazu zuvor unter Punkt C. II. 2. a) (3) (b)). Die entsprechenden Vorgaben finden sich in Anlage 4 zu § 15 Abs. 2 SeeSpBootV. 424 Küstengewässer sind die Gewässer aller Meere bis zu 12 Seemeilen Abstand von der Festlandküste (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SportSeeSchV). 425 Küstennahe Seegewässer sind die Gewässer aller Meere bis zu 30 Seemeilen Abstand von der Festlandküste sowie die Seegebiete der Ost- und Nordsee, des Kanals, des Bristolkanals, der Irischen und Schottischen See, des Mittelmeeres und des Schwarzen Meeres (§ 1 Abs. 2 Satz 2 SportSeeSchV). 426 Die weltweite Fahrt i.S.d. Sportseeschifferscheinverordnung umfasst alle Meere (§ 1 Abs. 2 Satz 3 SportSeeSchV). 423
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schein jeweils über einen Zusatzeintrag über die Befähigung als Schiffer auf einem Traditionsschiff nach § 10 Abs. 2, § 4 Abs. 4 SportSeeSchV verfügen muss. Die Voraussetzungen zum Erwerb dieses Zusatzeintrages sind in Anlage 1 der Richtlinien zur Durchführung der Sportseeschifferscheinverordnung normiert.427 Bei Segelschiffen mit einer Rumpflänge über 25 Metern bis 55 Metern sind ferner für mindestens ein Mitglied des nautischen Führungspersonals zusätzliche Befähigungsanforderungen vorgesehen. Auf einem Segelschiff dieser Größe muss zudem, unabhängig vom Fahrtgebiet, ein Inhaber eines Befähigungsnachweises für Maschinisten auf Traditionsschiffen vorhanden sein; Maschinenfahrzeuge müssen mit zwei Inhabern dieses Befähigungsnachweises besetzt sein. Die Voraussetzungen für den Erwerb des Befähigungsnachweises als Maschinist auf Traditionsschiffen sind in Anlage 2 der Richtlinien zur Durchführung der Sportseeschifferscheinverordnung enthalten. Für Traditionsschiffe mit einer Rumpflänge über 25 Meter ist überdies vorgesehen, dass die nautische Besatzung für Verholtörns oder Besichtigungsfahrten bis zu einer Dauer von höchstens 10 Stunden um eine Person verringert werden kann. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SportSeeSchV stehen den vorgeschriebenen Befähigungsnachweisen die Befähigungszeugnisse für die Berufsschifffahrt nach der Schiffsoffizier-Ausbildungsverordnung für den jeweiligen Geltungsbereich gleich.428 Die Besetzung eines Traditionsschiffes mit Schiffsleuten wird gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 5 SportSeeSchV vom Eigner oder Betreiber des Schiffes nach Anzahl und Eignung unter Berücksichtigung der Betriebsorganisation und des beabsichtigten Reiseverlaufs getroffen. (b) Stellen zur Ausstellung der Befähigungsnachweise Auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 2 SeeAufG429 hat das BMVI die Aufgaben der Abnahme von Prüfungen und der Erteilung von Befähigungszeugnissen für die Besatzung von Traditionsschiffen durch § 2 S. 1 SportSeeSchV dem Deutsche Motoryachtverband e.V. (DMYV) und dem Deutsche Segler-Verband e.V. (DSV) übertragen. Der DMYV und der DSV sind gemäß § 2 S. 1 SportSeeSchV beauftragt, den Sportküstenschifferschein, den Sportseeschifferschein und den Sporthochseeschifferschein auszustellen und die entsprechenden Prüfungen abzunehmen sowie auch die Zusatzeinträge über die Befähigung zum Führen von Traditionsschiffen 427
Richtlinien „im Hinblick auf den Erwerb der Zusatzeinträge für die Traditionsschifffahrt und von Befähigungsnachweisen zum Maschinisten sowie die Erteilung von Ausnahmen von der Regelbesatzung von Traditionsschiffen“ vom 19. Dezember 1997 (VkBl. 1998 S. 49), geändert durch Erlass vom 29. März 2016 (VkBl. 2016, Seite 338). 428 Kritisch dazu Beuse, Ausbildung auf Traditionsschiffen, S. 95 ff. 429 Dazu Ehlers, Recht des Seeverkehrs, § 7 SeeAufgG, Rn. 3. Die in § 9 Abs. 1 Satz 2 SeeAufG vorgesehene Aufgabenübertragung auf „zuständige Stellen“ begegnet vor dem Hintergrund von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG freilich denselben verfassungsrechtlichen Bedenken, wie die Aufgabenübertragung auf die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr (dazu ausführlich zuvor unter Punkt C. II. 2. b) (2) (c) (cc)).
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oder zum Betrieb von Maschinenanlagen auf Traditionsschiffen vorzunehmen. Zudem wird durch § 3 Abs. 3 SportSeeSchV die GSHW e.V. ermächtigt, die besonderen fachlichen Anforderungen an die Schiffer und Maschinisten auf Traditionsschiffen festzulegen. (c) Seediensttauglichkeit und medizinische Grundausbildung Eine Veränderung gegenüber den Anforderungen an die Besetzung von Traditionsschiffen vor der Neufassung der Schiffssicherheitsverordnung ist in Kapitel 1 Regeln 12.5 und 12.6 der Traditionsschiff-Regelungen enthalten. Als Mitglied der Mindestbesatzung darf nach Kapitel 1 Regel 12.5 Traditionsschiff-Regelungen spätestens zum 14. März 2023 nur eingesetzt werden, wer entsprechend der Anforderungen der Maritime-Medizin-Verordnung seediensttauglich ist430. Gemäß Kapitel 1 Regel 12.6 i.V.m. Kapitel 9 Regel 2 Traditionsschiff-Regelungen muss auf jedem Traditionsschiff zudem spätestens zum 14. März 2023 mindestens ein431 Besatzungsmitglied vorhanden sein, das – bei der Fahrt in Küstengewässern – über die Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten des sog. kleinen Lehrgangs nach § 16 Abs. 2 MariMedV verfügt, bei Fahrten außerhalb küstennaher Seegewässer über die Kenntnisse und Fähigkeiten des sog. großen Lehrgangs nach § 16 Abs. 1 MariMedV. (d) Anforderungen an Funkpersonal Neben der nautischen und der technischen Besetzung muss auf einem Traditionsschiff nach Regel 12.1 Satz 1 von Kapitel 1 Traditionsschiff-Regelungen i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 4 SportSeeSchV für die Durchführung des Funkdienstes mindestens ein Inhaber eines Seefunkzeugnisses entsprechend der vorhandenen Funkausrüstung an Bord sein.432 (e) Verantwortlichkeit für die Besetzung Verantwortlich für die ordnungsgemäße Besetzung eines Traditionsschiffes insgesamt ist gemäß Kapitel 1 Regel 12.1 Traditionsschiff-Regelungen der Schiffsbetreiber. Zusätzlich ist nach § 11 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 SportSeeSchV auch der 430 Das Seediensttauglichkeitszeugnis ist in § 12 SeeArbG geregelt. Es wird in der Regel für zwei Jahre ausgestellt (§ 12 Abs. 5 Satz 1 SeeArbG). 431 Vgl. Regel 12.6 von Kapitel 1 Traditionsschiff-Regelungen: „Nach Maßgabe des Kapitels 9 …“. Nach Regel 2.1 von Kapitel 9 Traditionsschiff-Regelungen hat der Betreiber des Schiffes dafür zu sorgen, dass „auf jeder Reise mindestens eine für die Durchführung der medizinischen Betreuung verantwortliche Person an Bord ist“. Nimmt das Traditionsschiff mehr als 80 Personen an Bord, so müssen nach Kapitel 1 Regel 12.6 i.V.m. Kapitel 9 Regel 2.2 Traditionsschiff-Regelungen zwei Besatzungsmitglieder an Bord sein, die über die entsprechenden Lehrgänge verfügen. 432 Nach Kapitel 5 Regel 1 Traditionsschiff-Regelungen müssen Traditionsschiffe hinsichtlich der Ausrüstung mit funktechnischen Rettungsmitteln und -vorrichtungen, Funkverkehr und Funkausrüstung die für Frachtschiffe geltenden Anforderungen der Kapitel III und IV der SOLAS-Anlage einhalten.
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Eigner eines Schiffes für dessen Besetzung mit nautischem und technischem Führungspersonal, mit Funkpersonal und mit Schiffsleuten in ausreichender Anzahl und Befähigung verantwortlich, wobei die Besetzung einen sicheren Schiffsbetrieb gewährleisten muss. (f) Erforderlichkeit eines Schiffsbesatzungszeugnisses an Bord Anders als nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten der neugefassten Schiffssicherheitsverordnung zum 14. März 2018 sind Traditionsschiffe nach Kapitel 1 Regel 12.1 c) Traditionsschiff-Regelungen verpflichtet, an Bord ein Schiffsbesatzungszeugnis mitzuführen. Das Schiffsbesatzungszeugnis wird gemäß Kapitel 1 Regel 12.3 Traditionsschiff-Regelungen von der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr erteilt. Notwendig ist die Beantragung des Schiffsbesatzungszeugnisses gemäß Kapitel 1 Regel 13.1 Traditionsschiff-Regelungen erstmals, wenn die bis zum 14. März 2018 vorhandenen Zeugnisse und Bescheinigungen eines Traditionsschiffes – insbesondere das Sicherheitszeugnis – wegen des Ablaufs ihrer Gültigkeit unwirksam werden und für das Schiff dementsprechend ein Erneuerungsantrag zu stellen ist. (4) Betriebsvorschriften: Betrieb zu „ideellen Zwecken“ und wirtschaftliche Nutzung In Kapitel 1 Regel 5 Traditionsschiff-Regelungen sind seit der zum 14. März 2018 in Kraft getretenen Neufassung Betriebsvorschriften für Traditionsschiffe normiert.433 Diese Vorschriften betreffen zu einem wesentlichen Teil die Frage, inwieweit Traditionsschiffe mit wirtschaftlichem Betrieb Einnahmen erzielen dürfen und wie diese Einnahmen zu verwenden sind. In der Sache sind diese Vorgaben gegenüber den zuvor geltenden Regelungen nicht neu.434 Die Neufassung der Vorgaben dürfte deren inhaltliche Konkretisierung bezweckt haben, soweit die bisherigen Regelungen zum Teil Anlass für Unklarheiten bei der praktischen Anwendung gaben.435 433 Eine Neuerung gegenüber den vorherigen Regelungen der Sicherheitsrichtlinie enthält seit dem Inkrafttreten der Neufassung zum 14. März 2018 Kapitel 1 Regel 5.4 TraditionsschiffRegelungen. Danach ist die Beförderung von Ladung mit einem Traditionsschiff zu Anschauungszwecken zulässig, sofern die Ladung gesichert sowie die Stabilität des Traditionsschiffes und die Sicherheit der an Bord befindlichen Personen gewährleistet sind. 434 Der Inhalt der Betriebsvorgaben war in der bis zum Inkrafttreten der neugefassten Traditionsschiff-Regelungen maßgeblichen Sicherheitsrichtlinie als Begriffsmerkmal eines Traditionsschiffes enthalten. Nach Regel 1.1 SiRi waren Traditionsschiffe historische Wasserfahrzeuge, „[…] deren Betrieb ausschließlich ideellen Zwecken dient“ und „die zur maritimen Traditionspflege, zu sozialen oder vergleichbaren Zwecken, zum Beispiel von der Sail Training Association, als Seeschiffe eingesetzt werden“. 435 Vgl. etwa OVG Hamburg, Urteil vom 21. April 2005 – 1 Bf 74/04 –, Rn. 38 ff., zitiert nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 25. Oktober 2004 – 1 Bs 385/04 –, Rn. 12 ff., zitiert
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(a) Betrieb zu „ideellen Zwecken“ Nach Kapitel 1 Regel 5.1 Traditionsschiff-Regelungen muss der Betrieb eines Traditionsschiffes „ideellen Zwecken, insbesondere der Vermittlung historischer Schiffsbetriebstechnik und traditioneller Seemannschaft“
dienen. Die Einhaltung dieser Betriebsanforderung ist nach Regel 6.3 b) von Kapitel 1 Traditionsschiff-Regelungen bei Beantragung eines Sicherheitszeugnisses für Traditionsschiffe durch die Vorlage eines Nutzungskonzeptes nachzuweisen, wobei sich aus dem Nutzungskonzept ergeben muss, „in welcher Weise das Schiff zur Vermittlung historischer Schiffsbetriebstechnik und traditioneller Seemannschaft eingesetzt wird“. Kapitel 1 Regel 6.3 b) Traditionsschiff-Regelungen verdeutlicht, dass die Formulierung in Regel 5.1 dahin zu verstehen ist, dass die „Vermittlung …“ nicht lediglich als ein Beispiel für einen ideellen Zweck genannt wird, sondern dass der Betrieb des Schiffes vorrangig („insbesondere“) dem Zweck jener Vermittlung dienen muss. Keine Vorgabe besteht dafür, auf welche Art und Weise die „Vermittlung …“ zu erfolgen hat; freilich aber wird es kaum genügen, die Gäste allein den Erlebniswert von Seefahrt auf einem traditionell betriebenen Schiff erfahren zu lassen. Im Mittelpunkt einer Gästefahrt darf das Schiff demnach nicht als „ausgefallenes Nutzfahrzeug“ stehen, sondern im Vordergrund muss sein Charakter als Kulturgut maritimer Tradition stehen.436 Eine Nutzung zu sonstigen „ideellen Zwecken“ wird demnach gemäß Kapitel 1 Regel 5.1 Traditionsschiff-Regelungen nur einen untergeordneten Anteil an der Schiffsnutzung ausmachen dürfen, wenn sie nicht wesentlich auch mit der „Vermittlung …“ verbunden ist. Fraglich ist dabei, welche Nutzungen überhaupt als „ideelle Zwecke“ i.S.v. Regel 5.1 Kapitel 1 Traditionsschiff-Regelungen anzusehen sind. Der Begriff des „ideellen Zwecks“ ist weder in den Traditionsschiff-Regelungen, noch in sonstigen Rechtsvorschriften allgemeingültig definiert. In vielen rechtlichen Zusammenhängen wird unter einem ideellen Zweck eine nichtwirtschaftliche Zielsetzung verstanden.437 Als solche kommen etwa gesellige, sportliche, wissenschaftliche, künstlerische oder auch karitative Zwecke in Betracht.438 Üblich ist die Bezeichnung „ideelle Zwecke“ in der Rechtsordnung v. a. für die steuerbegünstigten Zwecke der Abgabeordnung.439 Dies umfasst nach § 51 Abs. 1 Satz 1 AO nach juris. OVG Hamburg, Beschluss vom 29. Mai 1995 – Bs VI 26/95 –, Rn. 1, zitiert nach juris. 436 Vgl. dazu VG Dresden, Urteil vom 9. April 2008 – 6 K 1784/05 –, Rn. 17, zitiert nach juris (aufgehoben durch OVG Dresden, Urteil vom 8. Februar 2011 – 4 A 254/10 –), zum Einsatz eines Kfz-Oldtimers zur gewerblichen Personenbeförderung. 437 Vgl. etwa Seibt, in: Römermann, Münchener Anwalts-Handbuch GmbH-Recht, § 2 Rn. 47. Waldner/Wörle-Himmel, in: Waldner u. a., Der eingetragene Verein, III. Rn. 42 b. Märtens, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 5 Rn. 65. 438 Fleischer, in: Fleischer/Goette, Münchener Kommentar GmbHG, § 1 Rn. 25. 439 Vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. Mai 2017 – II ZB 9/16 –, Rn. 12, zitiert nach juris.
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gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke, wovon mit Blick auf den Betrieb eines Schiffes vorrangig die gemeinnützigen Zwecke440 von Belang sind. Der Vorgabe in Kapitel 1 Regel 5.1 Traditionsschiff-Regelungen lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass der „ideelle Zweck“ zwingend einem gemeinnützigen Zweck i.S.d. Abgabenordnung entsprechen müsste. Der Begriff der „ideellen Zwecke“ in Regel 5.1 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen bleibt damit abseits der „Vermittlung historischer Schiffsbetriebstechnik und traditioneller Seemannschaft“ konturlos. Der Grund für die fehlende genauere Beschreibung in Betracht kommender „ideeller Zwecke“ wird indes darin zu suchen sein, dass die wesentliche Funktion der Vorgabe, nach der ein Traditionsschiff – abseits der „Vermittlung …“ – zu ideellen Zwecken zu betreiben ist, darin bestehen dürfte, eine (rein) erwerbswirtschaftliche Nutzung des Schiffes auszuschließen. Darauf deutet neben dem erwähnten allgemeinen Sprachgebrauch für das Wort „ideell“ („nichtwirtschaftlich“) auch Satz 1 der Regel 5.2 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen hin, wonach „eine erwerbswirtschaftliche Nutzung“ eines Traditionsschiffes nicht zulässig ist.441 Es genügt für einen Betrieb zu „ideellen Zwecken“ nach Kapitel 1 Regel 5.1 Traditionsschiff-Regelungen dementsprechend nicht, dass mit den durch den Betrieb des Schiffs gewonnenen Geldmitteln etwa (allein) der ideelle Zweck des Erhalts des Traditionsschiffes verfolgt wird.442 (b) Vorgaben für die Einnahme und Verwendung wirtschaftlicher Mittel In Kapitel 1 Regeln 5.2 und 5.3 Traditionsschiff-Regelungen sind ferner Vorgaben für die Möglichkeit zur Erwirtschaftung und Verwendung finanzieller Einnahmen im Rahmen des Schiffsbetriebes normiert. Nach Regel 5.2 Satz 1 ist eine „erwerbswirtschaftliche Nutzung“ eines Traditionsschiffes nicht zulässig. Diese Vorgabe schließt die Nutzung eines Traditionsschiffes zum Zweck der dauerhaften Erzielung von Überschüssen über die eigenen
440 Gemeinnützige Zwecke stehen gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO hinter Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigen und oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Als solche Zwecke sind nach § 52 Abs. 2 AO u. a. die Förderung von Kunst und Kultur (Nr. 5), die Förderung des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege (Nr. 6), die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens (Nr. 13) sowie die Förderung der Heimatpflege und Heimatkunde (Nr. 22) und des traditionellen Brauchtums (Nr. 23) anzuerkennen. 441 Ausführlicher dazu sogleich nachfolgend unter (b). 442 OVG Hamburg, Urteil vom 21. April 2005 – 1 Bf 74/04 –, Rn. 38, zitiert nach juris. Bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2006 – 3 B 116/05 –, Rn. 6, zitiert nach juris.
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Ausgaben (Gewinn) als Beitrag zur Erwirtschaftung des eigenen Lebensunterhaltes aus.443 In welcher Form Entgelte durch den Betrieb eines Traditionsschiffes – ganz überwiegend in Form der Durchführung bezahlter Gästefahrten – unterhalb der Schwelle der erwerbswirtschaftlichen Nutzung erzielt werden dürfen, wird in Regel 5.2 Sätzen 2 und 3 von Kapitel 1 Traditionsschiff-Regelungen konkretisiert. Nach Satz 2 dürfen „Entgelte“ nur erhoben werden, wenn sie „ausschließlich für den Erhalt und Betrieb des Traditionsschiffes verwendet werden“, wobei als „Entgelt“ in diesem Sinne nach Satz 3 auch „mittelbare“, durch den Betrieb des Traditionsschiffes erzielte „wirtschaftliche Vorteile“ gelten.444 Zudem dürfen nach Regel 5.2 Satz 3 die „Anschaffungskosten“445 für ein Traditionsschiff nicht „aus Einnahmen durch den Schiffsbetrieb erwirtschaftet“ werden.446 Nach Regel 5.3 von Kapitel 1 Traditionsschiff-Regelungen dürfen ferner Erträge „nicht als Gewinn ausgeschüttet, im materiellen Interesse des Betreibers verwendet oder auf andere Weise dem ideellen Zweck entzogen werden“. Alle wirtschaftlichen Einnahmen durch den Betrieb eines Traditionsschiffes müssen mithin darauf ausgerichtet sein, der Instandhaltung des Schiffes selbst und seinem Betrieb zum Zweck der „Vermittlung historischer Schiffsbetriebstechnik und traditioneller Seemannschaft“447 zugute zu kommen. Zusammengefasst dürfen mit dem Betrieb eines Traditionsschiffes nach den Betriebsvorschriften Einnahmen zur Deckung der tatsächlichen Aufwendungen aus Erhaltung und Betrieb des Schiffes erzielt werden. Als Aufwendungen für den „Erhalt“ und „Betrieb“ i.S.v. Kapitel 1 Regel 5.2 Satz 2 Traditionsschiff-Regelungen sind v. a. Kosten für Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten am Schiff, einschließlich Material- und Personalkosten, Liegegebühren im Hafen oder Versicherungsbeiträge sowie etwa auch durch die notwendige Erfüllung der Sicherheitsanforderungen der Traditionsschiff-Regelungen bedingte Kosten anzusehen.
443 Ausführlich zu den Begriffen des „Kauffahrteischiffes“ sowie der „gewerblichen“, „kommerziellen“ und „erwerbswirtschaftlichen“ Nutzung eines Schiffes siehe im 1. Teil der vorliegenden Arbeit unter Punkt A. I. 4. d) (2) (b) und in Fn. 217. 444 In der Begründung eines Entwurfs der Verordnung zur Änderung schiffssicherheitsrechtlicher Vorschriften mit Stand vom 16. August 2016, S. 29 (nicht veröffentlicht) heißt es zu Kapitel 1 Regel 5.2 Sätzen 2 und 3 Traditionsschiff-Regelungen: „So soll beispielsweise unterbunden werden, dass ein Betreiber durch die Verwendung von Entgelten für die Finanzierung und Tilgung eines Kredits im Laufe der Jahre Eigentum aufbaut.“ Diese Aussage soll sich wohl auf die Tilgung eines Kredites beziehen, der ggf. für den Erwerb eines Traditionsschiffes aufgenommen wurde. 445 Der Begriff „Anschaffungskosten“ wird sich als Kosten für den erstmaligen Erwerb des Schiffes verstehen lassen. 446 Ausgenommen von dieser Vorgabe sind nach Regel 5.2 Satz 4 als gemeinnützig anerkannte Körperschaften unter den Voraussetzungen, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung durch den Schiffsbetrieb den wesentlichen Zweck, die maritimen Traditionen zu erhalten, selbst verfolgt, und dass das Traditionsschiff in uneingeschränktem Eigentum der Körperschaft steht. 447 Kapitel 1 Regel 5.1 Traditionsschiff-Regelungen.
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Nicht erforderlich für die Einhaltung der Betriebsvorschriften in Kapitel 1 Regeln 5.2 und 5.3 Traditionsschiff-Regelungen ist hingegen, dass die erzielten Einnahmen aus einer entgeltlichen Gästefahrt mit einem Traditionsschiff allein die Unkosten der jeweiligen Fahrt decken.448 (c) Nachweis des Betriebs zu ideellen Zwecken und der Mittelverwendung Die zu prognostizierende Einhaltung der Betriebsvorschriften ist nach Kapitel 1 Regel 6.1 c) Traditionsschiff-Regelungen Voraussetzung für die Erteilung des Sicherheitszeugnisses für Traditionsschiffe. (aa) Nutzungskonzept und Prüfbericht Die Einhaltung der Betriebsvorschriften ist bei Beantragung des Sicherheitszeugnisses durch die Vorlage des bereits erwähnten Nutzungskonzeptes nachzuweisen, soweit durch Regel 5.1 der Betrieb zur „Vermittlung historischer Schiffsbetriebstechnik und traditioneller Seemannschaft“ verlangt wird, sowie hinsichtlich der Einnahme und Verwendung wirtschaftlicher Mittel nach Regeln 5.2 und 5.3 durch die Vorlage eines Prüfberichts von einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater. Aus dem Prüfbericht muss nach Kapitel 1 Regel 6.3 c) Traditionsschiff-Regelungen hervorgehen, dass die vorgesehene Mittelverwendung des Traditionsschiffes den Anforderungen der Regeln 5.2 und 5.3 entspricht. (bb) Prüfbericht auch bei Betrieb eines Traditionsschiffes durch einen gemeinnützigen Verein? Viele Traditionsschiffe unter der Bundesflagge werden von Vereinen betrieben, denen die Gemeinnützigkeit nach der Abgabenordung zuerkannt wurde. Da Voraussetzung für die Zuerkennung der Gemeinnützigkeit die satzungsmäßige Verfolgung eines ideellen Zwecks ist449, ergibt sich die Frage, ob bei dem Betrieb eines Traditionsschiffes durch einen gemeinnützigen Verein der gesonderte Nachweis über die Einhaltung der Betriebsvorschriften nach den Regeln 5.1, 5.2 und 5.3 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen notwendig ist.450 Dies wäre zu verneinen, 448 So noch das OVG Hamburg in seinem Beschluss vom 29. Mai 1995 – Bs VI 26/95 –, Rn. 1, zitiert nach juris, zu Regel 1.1 SiRi. 449 Typischer Weise verfolgen die ein Traditionsschiff betreibenden Vereine satzungsmäßig etwa den Zweck, traditionelle historische Seemannschaft durch den Erhalt und Betrieb maritimer Brauchtümer und Handwerke zu bewahren und diese Kenntnisse weiterzuvermitteln. 450 Von der GSHW e.V. war im Rahmen der Diskussionen, die der Neufassung der Vorschriften für Traditionsschiffe vorausgingen, folgende Regelung zur Nachweispflicht vorgeschlagen worden: „ … Dies [Betrieb des Schiffes zu ideellen Zwecken, d. Verf.] ist der Fall, wenn der wirtschaftliche Betrieb des Fahrzeugs den Grundsätzen der Gemeinnützigkeit nach der Abgabenordnung entspricht. […] Sofern einem Betreiber die Gemeinnützigkeit nach der Abgabenordnung zuerkannt wurde und der Betrieb des Fahrzeugs im Rahmen des Satzungszwecks erfolgt, ist in aller Regel von einem ideellen Zweckbetrieb auszugehen.“ (So Punkt C. 1. der „Kriterien der GSHW zur Zulassung von Traditionsschiffen nach der Sicherheitsrichtlinie“
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wenn die Anerkennung der Gemeinnützigkeit nach der Abgabenordnung die Verwendung wirtschaftlicher Mittel im Sinne der Betriebsvorschriften in den Regeln 5.2 und 5.3 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen bei dem satzungsmäßigen Betrieb eines Traditionsschiffes ohnehin bedingen würde. Um als gemeinnützig anerkannt zu werden muss eine Körperschaft ausschließlich und unmittelbar einen steuerbegünstigten Zweck verfolgen.451 Jenseits der Frage, inwieweit der Betrieb eines Traditionsschiffes, welcher nach Kapitel 1 Regel 5.1 Traditionsschiff-Regelungen vorrangig der „Vermittlung historischer Schiffsbetriebstechnik und traditioneller Seemannschaft“ dienen muss, einen steuerbegünstigten Zweck i.S.d. Abgabenordnung darstellt452, ist vorliegend v. a. relevant, ob eine – ggf. auch nur untergeordnete – erwerbswirtschaftlicher Betätigung der Anerkennung als gemeinnützig entgegensteht. Die Förderung eines steuerbegünstigten Zwecks durch eine Körperschaft muss gemäß § 55 AO selbstlos erfolgen, um als gemeinnützig anerkannt werden zu können. Selbstlos verfolgt ein Verein die gemeinnützigen Zwecke nur, wenn sein Betrieb nicht „in erster Linie“ auf eigenwirtschaftliche Zwecke ausgerichtet ist453, i. e. wenn er nicht vorrangig, sondern allenfalls „nebenbei“ auch wirtschaftliche Interessen verfolgt.454 Gleichwohl ist als gemeinnützig anerkannten Körperschaften in der Form des sog. Zweckbetriebs und v. a. des sog. wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs in engen Grenzen auch eine erwerbswirtschaftliche Betätigung erlaubt.455, 456 mit Stand vom April 2014, die auf dem Internetauftritt der GSHWe.V. unter www.gshw.de/de/Si cherheitszeugnis.html abrufbar sind.) 451 § 51 Abs. 1 Satz 1 AO. Steuerbegünstigte Zwecke sind demnach „gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke“. 452 In Betracht kommt die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke i.S.v. § 51 Abs. 1 Satz 1 AO. Eine Körperschaft verfolgt nach § 52 Abs. 1 Satz 1 AO gemeinnützige Zwecke, „wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“ 453 § 55 Abs. 1 Satz 1 AO. 454 Klein, Abgabenordnung, § 55 Rn. 2. 455 Die Tätigkeit von als gemeinnützig anerkannten Vereinen wird in vier Bereiche eingeteilt: den (eigentlichen) ideellen Bereich – d. h. die direkte Förderung des satzungsmäßigen, als gemeinnützig anerkannten Vereinszwecks –, die Vermögensverwaltung, den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und den sog. Zweckbetrieb. Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb bezeichnet nach § 14 Satz 1 und 2 AO eine selbstständige nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden, ohne dass notwendig Gewinnerzielungsabsicht vorliegen muss. Der sog. Zweckbetrieb umfasst in Abgrenzung dazu wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, der in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die satzungsmäßigen Zwecke zu verwirklichen, sofern die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können und soweit der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb nicht zu nicht begünstigen Betrieben derselben oder ähnlicher Art in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei der Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (§ 65 AO). 456 Als gemeinnützig i.S.d. Abgabenordnung anerkannt wurde etwa die Betätigung eines ein Traditionsschiff betreibenden Vereins mit einer Einnahmenverteilung wie folgt: Dem ideellen Bereich und dem Zweckbetrieb hatte der Verein seine Umsatzerlöse aus Beiträgen aus sat-
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Die erwerbswirtschaftliche Betätigung in Form des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs muss zwar deutlich untergeordnet bleiben, um dem Charakter der Vereinsbetätigung als gemeinnützig nicht zu widersprechen.457 Dennoch steht die grundsätzliche Zulassung erwerbswirtschaftlicher Betätigung nach der Abgabenordung dem Inhalt der Betriebsvorschrift in Kapitel 1 Regel 5.2 Satz 1 TraditionsschiffRegelungen entgegen, die gerade den vollständigen Ausschluss einer erwerbswirtschaftlichen Nutzung vorsieht.458 Somit ist die Pflicht nach Regel 6.3 c) von Kapitel 1 Traditionsschiff-Regelungen zur Vorlage des Prüfberichts eines Wirtschaftsprüfers oder eines Steuerberaters zum Nachweis der Einhaltung der Betriebsvorschriften in Kapitel 1 Regeln 5.2 und 5.3 Traditionsschiff-Regelungen auch bei Vereinen, die nach der Abgabenordnung als gemeinnützig anerkannt sind, sachlich notwendig. (d) Kritik: Notwendigkeit der Betriebsvorschriften zur Abgrenzung gegenüber der Fahrgastschifffahrt? Innerhalb der Traditionsschiff-Regelungen, in denen v. a. Anforderungen an die technische und bauliche Sicherheit der Schiffe normiert sind, erscheinen die zuvor untersuchten Betriebsvorschriften in gewisser Weise als Fremdkörper. Regelwerke, die Sicherheitsanforderungen enthalten und in denen vergleichbare Betriebsvorschriften enthalten wären, sind in der deutschen Rechtsordnung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden.459 Dies wirft die Überlegung auf, ob die Normierung der Betriebsvorschriften nicht kritisch zu hinterfragen ist. Aufschluss zu dieser Frage soll die Untersuchung geben, aus welchen Gründen die Betriebsvorschriften innerhalb der nationalen Traditionsschiff-Regelungen vorgesehen worden sind.
zungsmäßigen Segeltörns sowie Spenden und sonstigen Zuschüssen zugeordnet. Dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb hatte der Verein Erlöse aus Souvenirhandel und nicht satzungsmäßigen Gästefahrten in geringer Höhe zugeordnet. (FG Hamburg, Urteil vom 26. März 2014 – 4 K 74/13 –, Rn. 6 f., zitiert nach juris.) 457 BFH, Urteil vom 26. April 1989 – I R 209/85 –, Rn. 21 f., zitiert nach juris. Im Einzelnen str.; vgl. dazu Koenig, in: Koenig, Abgabenordnung, § 55 Rn. 6. 458 In der Begründung eines Entwurfs der Verordnung zur Änderung schiffssicherheitsrechtlicher Vorschriften mit Stand vom 16. August 2016 (nicht veröffentlicht) wird in diesem Zusammenhang auf einen bestimmten Aspekt der erwerbswirtschaftlichen Nutzung abgestellt. Dort heißt es auf S. 30: „Die Vorlage eines Freistellungsbescheides des Finanzamts für einen gemeinnützigen Verein reicht zum Nachweis des hier geforderten ideellen Zweckbetriebes nicht aus, da gemeinnützige Vereine beispielsweise auch Geschäftsführer bezahlen dürfen. Hier ist jedoch gerade nicht gewollt, dass mit dem Betrieb eines Traditionsschiffes Lebensunterhalt erwirtschaftet werden kann.“ 459 Eine Ausnahme bildet die Definition eines Kfz-Oldtimers in § 2 Nr. 22 FZV. „Oldtimer“ sind darin definiert als „Fahrzeuge, die vor mindestens 30 Jahren erstmals in Verkehr gekommen sind, weitestgehend dem Originalzustand entsprechen, in einem guten Erhaltungszustand sind und zur Pflege des kraftfahrzeugtechnischen Kulturgutes dienen“ (Hervorhebung durch Verf.). Dazu sogleich unter Punkt (dd).
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Die Normierung der gesonderten Sicherheitsanforderungen an Traditionsschiffe im innerstaatlichen Schiffssicherheitsrecht wird als Privilegierung der Traditionsschifffahrt aufgefasst; insbesondere gegenüber der gewerblich betriebenen Fahrgastschifffahrt, soweit mit Traditionsschiffen entgeltliche Gästefahrten durchgeführt werden.460 Als Folge dieser Privilegierung wird die Notwendigkeit einer Rechtfertigung in Form einer hinreichenden Unterscheidung der Traditionsschiffe von den Fahrzeugen der gewerblichen Fahrgastschifffahrt gesehen. Diese Unterscheidung der Traditionsschiffe wird im Wesentlichen auf drei Differenzierungsgründe gestützt.461 (aa) Erhaltungswert im Sinne des Denkmalschutzrechtes Den wesentlichsten und wohl ersichtlichsten Differenzierungsgrund stellt der kulturhistorische Erhaltungswert dar, der einem Traditionsschiff zukommt. Anders als die Fahrzeuge der Fahrgastschifffahrt sind Traditionsschiffe nicht allein Mittel zum Zweck für den Unterhaltungs- und Freizeitwert einer Seefahrt, sondern an ihrer Erhaltung und Präsentation in Fahrt besteht ein Allgemeininteresse, soweit die Schiffe über historische Aussagen Zeugnis ablegen. Über die entsprechende Definition eines „Traditionsschiffes“ nach Kapitel 1 Regeln 2.1.1 und 2.1.2 Traditionsschiff-Regeln hinaus, in deren Mittelpunkt jener Erhaltungswert eines Schiffes steht462, findet dieser Differenzierungsgrund in der Betriebsvorschrift von Regel 5.1 seine „gedankliche Verlängerung“.463 Danach muss der Betrieb eines Traditionsschiffes letztlich auf die Vermittlung eben jenes, das Schiff ausmachenden Erhaltungswertes ausgerichtet sein, indem er „insbesondere“ der Vermittlung historischer Schiffsbetriebstechnik und traditioneller Seemannschaft dient.
460 In der Begründung eines Entwurfs der Verordnung zur Änderung schiffssicherheitsrechtlicher Vorschriften mit Stand vom 16. August 2016, S. 2 und 6 (nicht veröffentlicht), heißt es: „Mit der Zulassung als Traditionsschiff ist die Erlaubnis zur Beförderung von Fahrgästen verbunden, ohne dass die für Fahrgastschiffe geltenden Sicherheitsanforderungen eingehalten werden müssen.“ Auf S. 29 heißt es: „Um ein Konkurrenzverhältnis zur Fahrgastschifffahrt, die sehr viel höheren Anforderungen unterliegt, zu vermeiden, ist eine erwerbswirtschaftliche Nutzung eines Traditionsschiffes untersagt.“ 461 Dazu OVG Hamburg, Urteil vom 21. April 2005 – 1 Bf 74/04 –, Rn. 43, zitiert nach juris. 462 Siehe dazu zuvor unter Punkt C. II. 1. des 2. Teils. 463 Dazu heißt es in der Begründung eines Entwurfs der Verordnung zur Änderung schiffssicherheitsrechtlicher Vorschriften mit Stand vom 16. August 2016, S. 28 f. (nicht veröffentlicht): „Um ein Sicherheitszeugnis als Traditionsschiff zu erhalten, müssen nicht nur bestimmte Eigenschaften des Schiffes vorliegen, der Betrieb des Schiffes muss auch bestimmten Anforderungen genügen. Er muss ideellen Zwecken dienen, historische Schiffsbetriebstechnik und traditionelle Seemannschaft vermitteln. Dadurch wird das öffentliche Interesse am Erhalt dieser Schiffe und deren Präsentation in Fahrt begründet. Dies ist gewissermaßen das Gegengewicht zu den der Fahrgastschifffahrt gegenüber erleichterten Anforderungen an die Schiffe.“
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(bb) Äußerliche Erkennbarkeit des Schiffsalters Für die Möglichkeit einer Differenzierung in den Sicherheitsanforderungen spricht zudem, dass bei Traditionsschiffen in aller Regel für Fahrgäste schon nach dem äußeren Erscheinungsbild des Schiffes erkennbar sein wird, dass es sich um ein altes Schiffe handelt, und dass die Sicherheit auf einem solchen Schiff notwendig nicht dem zeitgemäßen Standard entspricht.464 (cc) Eingeschränkte erwerbswirtschaftliche Nutzung Durch die Betriebsvorschriften in Kapitel 1 Regeln 5.2 und 5.3 TraditionsschiffRegelungen wird mit der Einschränkung der Möglichkeit, die Schiffe erwerbswirtschaftlich zu nutzen, ein zusätzlicher Differenzierungsgrund geschaffen. Hintergrund dieser Einschränkung ist das Ziel, ein „Konkurrenzverhältnis zur Fahrgastschifffahrt“ zu vermeiden, die in Bezug auf Sicherheitsvorgaben „sehr viel höheren Anforderungen“ als Traditionsschiffe unterliege.465 (dd) Kritische Würdigung Nach Auswertung der Differenzierungsgründe, die nach den vorstehenden Ausführungen für die Unterscheidung der einzuhaltenden Sicherheitsanforderungen zwischen der Traditionsschifffahrt und den Fahrzeugen der Fahrgastschifffahrt herangezogen werden, drängen sich Zweifel an der Notwendigkeit der Betriebsvorschriften in Regeln 5.2 und 5.3 von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen auf. (a) Betriebsvorschriften als (weiterer) Sachgrund für Differenzierung nicht erforderlich Soweit der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG für Differenzierungen zwischen wesentlichem Gleichem466 die Rechtfertigung durch Sachgründe fordert, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind467, zwingt dies nicht zur Normierung der Betriebsvorschriften nach Regel 5.2 und 5.3. Die beiden erstgenannten Differenzierungskriterien, i. e. der historische Erhaltungswert eines Traditionsschiffes, der nach den innerstaatlichen Traditionsschiff-Regelungen seinen Ausdruck sowohl im Schiffskörper selbst, als auch im Betrieb des Schiffes finden muss, sowie die äußerliche Erkennbarkeit des ggf. nicht zeitgemäßen Sicherheitsstandards besitzen für sich 464
OVG Hamburg, Urteil vom 21. April 2005 – 1 Bf 74/04 –, Rn. 43, zitiert nach juris. Begründung eines Entwurfs der Verordnung zur Änderung schiffssicherheitsrechtlicher Vorschriften mit Stand vom 16. August 2016, S. 29 (nicht veröffentlicht). 466 Dass der Betrieb eines Traditionsschiffes in Form von bezahlten Gästefahrten und der reguläre, gewerbliche Betrieb eines Fahrzeuges der Fahrgastschifffahrt „wesentlich Gleiches“ i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG darstellen, mag sich u. U. bereits bezweifeln lassen, soll für die vorliegende Untersuchung jedoch unterstellt werden. 467 Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 Rn. 1. 465
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genommen als Differenzierungsgründe bereits hinreichendes Gewicht. Das Bundesverfassungsgericht hat etwa den Schutz von Denkmälern als eine „Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang“ eingeordnet.468 Auch der Bewahrung erhaltenswerter Traditionsschiffe wird ein dementsprechend hoher Stellenwert einzuräumen sein, der alternative Sicherheitsanforderungen an Traditionsschiffe mithin auch ohne das Hinzutreten weiterer, für die Differenzierung hinzutretende Sachgründe zu rechtfertigen vermag. Dies gilt umso mehr, als die vorliegend zur Diskussion stehende Ungleichbehandlung in Form alternativer Sicherheitsstandards für Traditionsschiffe gegenüber der Fahrgastschifffahrt durch deren zum 14. März 2018 in Kraft getretene Neufassung, mit der für Traditionsschiffe ein „zeitgemäßes Sicherheitsniveau“469 formuliert werden sollte, deutlich verringert wurde. Ziel der Neufassung war es, Traditionsschiffen nicht (mehr) ein u. U. geringeres Maß an Sicherheitsanforderungen abzuverlangen, sondern einen „adäquaten alternativen Sicherheitsstandard“470 zu schaffen. Zur Rechtfertigung eines solchen „alternativen“ – also nicht geringeren – Sicherheitsstandards genügt das Unterscheidungsmerkmal des Bestehens eines kulturhistorischen Erhaltungswertes jedoch ohne weiteres. (b) Vergleich mit Definition eines Kfz-Oldtimers Ein Blick auf die maßgeblichen Sicherheitsvorschriften für Kfz-Oldtimer, denen in Bezug auf die historischen Erhaltungsgründe eine Vergleichbarkeit mit Traditionsschiffen zuzusprechen ist, spricht zusätzlich gegen die Notwendigkeit der Betriebsvorschriften als Differenzierungsgrund. Der für das deutsche Recht maßgebliche Begriff des „Oldtimers“ ist in § 2 Nr. 22 FZV geregelt. „Oldtimer“ sind darin seit einer zum 1. März 2007 in Kraft getretenen Änderung471 definiert als „Fahrzeuge, die vor mindestens 30 Jahren erstmals in Verkehr gekommen sind, weitestgehend dem Originalzustand entsprechen, in einem guten Erhaltungszustand sind und zur Pflege des kraftfahrzeugtechnischen Kulturgutes dienen“.
Nach der zuvor bis zum 28. Februar 2007 geltenden Definition in § 23 Abs. 1c StVZO (alt)472 waren Oldtimer Fahrzeuge, die „ …vornehmlich zur Pflege des
468
BVerfG, Beschluss vom 2. März 1999 – 1 BvL 7/91 –, Rn. 81, zitiert nach juris. Begründung eines Entwurfs der Verordnung zur Änderung schiffssicherheitsrechtlicher Vorschriften mit Stand vom 16. August 2016, S. 2 (nicht veröffentlicht). 470 Ebenda. 471 Neufassung von § 2 Nr. 22 FZV durch die Verordnung zur Neuordnung des Rechts der Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 25. April 2006. BGBl. 2006 I, S. 988. 472 Straßenverkehrs-Zulassungs-Verordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. September 1988 (BGBl. 1988 I, S. 1793), geändert durch die 25. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorgaben vom 22. Juli 1997 (BGBl. 1997 I, S. 1889). 469
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kraftfahrzeugtechnischen Kulturgutes eingesetzt“473 waren. Ziel dieses Definitionsmerkmals war ursprünglich, Fahrzeuge von dem Begriff des „Oldtimers“ auszugrenzen, die „nur alt“ sind, im Übrigen aber wie ein übliches Beförderungsmittel im Alltagsverkehr oder zu gewerblichen Zwecken genutzt werden.474 Grund für diese Abgrenzung war allerdings nicht die gesonderte Behandlung von Kfz-Oldtimern in Bezug auf die geforderte technische Ausstattung475, sondern deren steuerliche Begünstigung nach dem Kraftfahrzeugsteuergesetz.476 Steuerbefreiungen oder -begünstigungen bedürfen stets der gesonderten Rechtfertigung, (u. a.) da sich die Besteuerung gerade aus der gleichmäßigen Verteilung der Lasten legitimiert.477 Traditionsschiffe werden gegenüber den Fahrzeugen der Fahrgastschifffahrt jedoch nicht steuerlich begünstigt, sondern unterliegen alternativen Sicherheitsanforderungen. Soweit Kfz-Oldtimer nach der neugefassten Definition seit 2007 der Pflege kraftfahrzeugtechnischen Kulturgutes nur noch „dienen“ müssen, anstatt dafür „vornehmlich … eingesetzt“ zu sein, spricht im Übrigen viel dafür, dass damit die Ausgrenzung „normal“ oder gar gewerblich genutzter Fahrzeuge vom Begriff des „Oldtimers“ weitgehend aufgegeben wurde.478 Bei Kfz-Oldtimern wird mithin ein über den hinreichenden Original- und Erhaltungszustand der Fahrzeuge noch wesentlich hinausgehender Differenzierungsgrund für die gesonderte steuerliche Behandlung in Form einer Betriebsvorgabe augenscheinlich nicht (mehr) für notwendig erachtet.
473
Hervorhebung durch Verf. Dauer, in: König/Dauer, Strassenverkehrsrecht, § 2 FZV, Rn. 26 unter Verweis auf die Begründung der (bis zum 28. Februar 2007 geltenden) Definition in § 23 Abs. 1c StVZO, VkBl. 1997, S. 536, 537. 475 Unabhängig davon, wieweit in Kfz-Oldtimer in seiner technischen Ausstattung vom aktuellen Standard abweicht, muss er für eine Betriebserlaubnis nur die Bestimmungen der StVZO in der Fassung zum Zeitpunkt seiner (mindestens vor 30 Jahren liegenden) Erstzulassung erfüllen; eine Nachrüstpflicht auf aktuellere Sicherheitsstandards besteht – mit Ausnahme der Warnblinkeinrichtung – nicht. (Vgl. Himmelreich/Halm, Verkehrsrecht, Teil 8, Kap. 46, V. Rn. 55.) 476 So ebenfalls die Begründung der (bis zum 28. Februar 2007 geltenden) Definition in § 23 Abs. 1c StVZO, VkBl. 1997, S. 536, 538. 477 Märtens, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 5, Rn. 1. 478 Dauer, in: König/Dauer, Strassenverkehrsrecht, § 2 FZV, Rn. 26. A.A. VG Dresden, das unterstellt, der Verordnungsgeber habe mit der zum 1. März 2007 in Kraft getretenen Änderung den Sinn und Zweck des Haltens von Oldtimern noch deutlicher als zuvor auf die Pflege des kraftfahrzeugtechnischen Kulturgutes eingrenzen wollen (VG Dresden, Urteil vom 9. April 2008 – 6 K 1784/05 –, Rn. 15, zitiert nach juris; aufgehoben durch OVG Dresden, Urteil vom 8. Februar 2011 – 4 A 254/10 –). Das VG Dresden stellt zur Begründung allerdings allein auf die Streichung des Wortes „vornehmlich“ in der Definition in § 2 Nr. 22 FZV ab, setzt sich aber nicht mit der Ersetzung des Begriffes „eingesetzt“ durch den – wesentliche weiteren – Begriff „dienen“ auseinander. 474
C. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in nationaler Fahrt
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(c) Sachfremdheit des Kriteriums der erwerbswirtschaftlichen Nutzung als Differenzierungsgrund Nach dem Vorgesagten spricht bereits viel dafür, dass das Verbot der erwerbswirtschaftlichen Nutzung von Traditionsschiffen in Kapitel 1 Regeln 5.2 und 5.3 Traditionsschiff-Regelungen als Differenzierungsgrund zumindest nicht erforderlich ist. Darüber hinaus ist fraglich, ob die Differenzierung in den Sicherheitsanforderungen gegenüber der Fahrgastschifffahrt nach der Höhe der erwirtschaftbaren Einnahmen nicht auch sachfremd ist. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, dass eine Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, und verlangt dabei für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist.479 Die vorgefundene Verschiedenheit zwischen den Fahrzeugen der Traditions- und der Fahrgastschifffahrt besteht im Wesentlichen darin, dass der Erhalt der historischen Schiffssubstanz der Traditionsschiffe die Einhaltung aktueller Sicherheitsstandards in Teilen nicht möglich macht, die für die Fahrzeuge der Fahrgastschifffahrt gleichwohl verpflichtend sind. Ein innerer Zusammenhang dieser Unterscheidung mit einer Differenzierung danach, in welcher Höhe Einnahmen durch die Veranstaltung entgeltlicher Gästefahrten erzielt werden dürfen, ist ohne weiteres nicht erkennbar. Vielmehr noch stellt sich die Frage, ob eine Beschränkung der Einnahmemöglichkeiten für Traditionsschiffe dem Sicherheitsziel nicht sogar entgegenläuft, indem die finanzielle Grundlage für Verbesserungen der baulichen und ausrüstungsbezogenen Sicherheit von Traditionsschiffen eingeschränkt wird. (d) Ergebnis Insgesamt spricht mithin einiges dafür, dass die Betriebsvorschriften in Kapitel 1 Regeln 5.2 und 5.3 Traditionsschiff-Regelungen durch den Verordnungsgeber kritisch überprüft werden sollten. 3. Resümee: Rechtspolitische Bewertung der neugefassten innerstaatlichen Regelungen für Traditionsschiffe Die zum 14. März 2018 in Kraft getretene Änderung der Schiffssicherheitsverordnung stellt nach dem Erlass der zuletzt geltenden Sicherheitsrichtlinie für Traditionsschiffe im Jahr 2000 die umfassendste Änderung der für Traditionsschiffe nach dem innerstaatlichen Recht maßgeblichen Vorschriften dar. Die damit verbundene inhaltliche Neufassung der Vorschriften gibt den Anlass zu einer abschließenden rechtspolitischen Bewertung der Traditionsschiff-Regelungen. 479
BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2011 – 1 BvR 2035/07 –, Rn. 64, zitiert nach juris.
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
Abseits der Inhalte der Regelungen ist zuallererst positiv festzustellen, dass die Vorschriften für Traditionsschiffe mit der Neufassung von einer bloßen verwaltungsinternen Richtlinie auf die Ebene einer Rechtsverordnung gehoben wurden. Inhaltlich wurde der Begriff des „Traditionsschiffes“ in der neugefassten Definition versachlicht und mit der Betonung der an das Denkmalschutzrecht angelehnten Kriterien des historischen Erhaltungswertes sowie der Originalität und Integrität sowie mit der korrespondierenden Betriebsvorschrift480 sehr viel deutlicher an das originäre Unterscheidungsmerkmal der Schiffe gegenüber den übrigen Fahrzeugen der Fahrgast- und weiteren Berufsschifffahrt herangeführt. Dieser Schritt ist zweckmäßig und stellt rechtssystematisch eine erhebliche Verbesserung gegenüber der bisherigen Rechtslage dar.481 Es sollte überprüft werden, ob sich die Definition noch weiter verbessern lässt.482 Der Anwendungsbereich der innerstaatlichen Regelungen gegenüber den maritimen Übereinkommen sollte über den pauschalen Verweis in § 6 Abs. 1 SchSV hinaus noch weiter klargestellt werden. Zu klären wäre etwa, ob die nationalen Traditionsschiff-Regelungen auf Bestandsschiffe angewandt werden sollen, die ihres hohen Alters wegen u. U. keinen Anforderungen von SOLAS und LLC mehr unterliegen. Auch soweit in den maritimen Übereinkommen Befreiungen für Schiffe vorgesehen sind, wäre eine klarstellende innerstaatliche Regelung zweckmäßig für die Frage, ob in diesem Fall die nationalen Anforderungen einzuhalten sind. In Bezug auf die Normierung der materiell-rechtlichen Anforderungen an Traditionsschiffe wurde der Regelungsansatz verfolgt, die Anforderungen an die Fahrzeuge der Berufsschifffahrt zum Vorbild zu nehmen und diese zu modifizieren. Zusätzlich wurde die Möglichkeit zur Zulassung von Erleichterungen in Form von Ausnahmen und der möglichen Festlegung von gleichwertigen Einrichtungen, 480
Kapitel 1 Regel 5.1 Traditionsschiff-Regelungen: „… Vermittlung historischer Schiffsbetriebstechnik und traditioneller Seemannschaft …“. 481 Ob die durch Kapitel 1 Regel 2.1.2.2 b) Traditionsschiff-Regelungen vorgenommene Einbeziehung von Segelschulungsschiffen in die Vorschriften für Traditionsschiffe systematisch gelungen ist, sollte noch überprüft werden. Ein Segelschulungsschiff wird in der Regel definiert als „Segelschiff von wenigstens 24 Metern Länge, das sich durch Größe, Takelage, komplexen Schiffsbetrieb sowie seine Besatzungsstärke in besonderer Weise für eine fundierte Ausbildung in traditioneller Seemannschaft eignet“. Segelschulungsschiffe können nach Regel 2.1.2.2 b) von Kapitel 1 der Traditionsschiff-Regelungen im Einzelfall einem „historischen Wasserfahrzeug“ gleichgestellt werden. Die Einbeziehung von Segelschulungsschiffen erklärt sich schlicht vor dem Hintergrund der rein tatsächlichen Gegebenheiten. Sie stellt gegenüber der nunmehr klarer gefassten Definition eines „Traditionsschiffes“ in den Vorschriften jedoch einen systematischen Bruch dar, da Segelschulungsschiffen in der Regel gerade kein historischer Erhaltungswert zukommt. Für Segelschulungsschiffe steht mit dem SPS-Code ein Regelwerk zur Verfügung, dessen Sicherheitsanforderungen (alternativ) genutzt werden könnten, denn Segelschulungsschiffe können nach Regel 1.3.11.2 SPS-Code Spezialschiffe i.S.d. SPS-Codes darstellen. Zu überlegen ist dementsprechend, ob Segelschulungsschiffe innerhalb der nationalen Vorschriften systematisch nicht in Kapitel 6 Regel 3.6 der Anlage 1a zu den §§ 6 und 6a SchSV eingeordnet werden sollten. 482 Vgl. dazu den Definitionsvorschlag im hiesigen 2. Teil der Arbeit unter Punkt C. II. 1. d.
C. Traditionsschiffe unter der Bundesflagge in nationaler Fahrt
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Hilfsmitteln und Maßnahmen vorgesehen. Dieser Regelungsansatz nutzt den im nationalen Bereich bestehenden gesetzgeberischen Freiraum zur Berücksichtigung der Besonderheiten von Traditionsschiffen483 nicht wirksam und ist unabhängig davon auch nicht sinnvoll. Ein grundlegendes Problem der Findung adäquater Sicherheitsanforderungen für die Traditionsschifffahrt besteht darin, dass die entsprechende Flotte der Schiffe eine sehr heterogene Gruppe darstellt, die sich per se nicht für eine Standardisierung eignet. Eben eine solche Standardisierung wird durch die neugefassten Anforderungen in den Traditionsschiff-Regelungen jedoch versucht. Im Ergebnis werden die Traditionsschiffe unter der Bundesflagge die vorgesehenen Anforderungen mit hoher Wahrscheinlichkeit in weiten Teilen nicht ohne weiteres erfüllen können, sodass die Schiffe den geforderten Sicherheitsstandard mehr oder weniger überwiegend durch „gleichwertige“ Einrichtungen, Hilfsmittel und Maßnahmen werden erreichen müssen. Damit stellt sich die Frage, ob die Formulierung der – faktisch in vielen Teilen durch die Schiffe ohnehin kaum erfüllbaren – Standards an erster Stelle überhaupt sinnvoll ist. Für die Zulassung von Ausnahmen und die Festlegung gleichwertiger Einrichtungen, Hilfsmittel und Maßnahmen nach den neugefassten Traditionsschiff-Regelungen hätte es sich angeboten, die nach der bisherigen Sicherheitsrichtlinie vorgesehene Möglichkeit der Einbeziehung von „öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für das Sachgebiet Traditionsschiffe“ – zumindest in Teilen – beizubehalten.484 Die Einbeziehung privaten Sachverstandes zur Beurteilung der Sicherheit von Traditionsschiffen ist in den geänderten Traditionsschiff-Regelungen generell nicht mehr vorgesehen. Dies überrascht in einem derart spezifischen Bereich wie dem der Traditionsschifffahrt angesichts des Befundes, dass staatliches Handeln
483 Zu diesem Freiraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten von Traditionsschiffen eingangs unter Punkt C. II. im 2. Teil der vorliegenden Arbeit. 484 Wichtigste Funktion der Sachverständigen war gemäß Regel 1.6.1 SiRi die Erstellung von Gutachten, mit denen bescheinigt werden konnte, dass Traditionsschiffe den Sicherheitsanforderungen aus den Anlagen 1 bis 5 zur Sicherheitsrichtlinie (in ihrer Gesamtheit) genügen. Für Traditionsschiffe mit weniger als 80 Personen an Bord konnte das Gutachten der Erteilung eines Schiffssicherheitszeugnisses für Traditionsschiffe nach Regel 1.6. bis 1.6.4. i.V.m. Regel 1.4 Satz 1 SiRi zugrunde gelegt werden, ohne dass die Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr zusätzliche eigene Feststellungen trifft oder Besichtigungen durchführt. Die Überprüfung der Einhaltung der materiell-rechtlichen Anforderungen für Traditionsschiffe konnte demnach nach altem Recht faktisch zur Gänze auf externen Sachverstand übertragen werden. Daneben konnten Sachverständige für Traditionsschiffe nach der Sicherheitsrichtlinie zur Festlegung von gleichwertigen Einrichtungen, Hilfsmitteln und Maßnahmen im Bereich des Brandschutzes hinzugezogen werden, wenn ein Schiff eine der in dem entsprechenden Teil der Sicherheitsrichtlinie vorgesehene Anforderung nicht erfüllen konnte (Regel 1.2 von Anlage 2 zur SiRi). Ferner konnten Sachverständige für die Prüfung und Festlegung der Anforderungen zur Behandlung von Schiffsabwasser und Schiffsmüll herangezogen werden (Regel 1.3 der Anlage 3 zur SiRi).
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2. Teil: Regelungen für Traditionsschiffe im deutschen Rechtsraum
in anderen spezialisierten Bereichen verstärkt dahin geht, Aufgaben – auch zur Schonung eigener personeller Ressourcen – auf externe Stellen zu übertragen.485 Um die Übertragung der technischen Überwachungsaufgaben zur Schiffssicherheit im Wege der Organleihe an die Mitarbeiter der Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr vor dem Hintergrund des Maßstabs von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG rechtlich abzusichern, sollte zeitnah entweder eine Eingliederung der Mitarbeiter der Dienststelle (etwa) in das BSH oder aber eine Klarstellung des Wortlauts von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG erwogen werden. Vor dem Hintergrund der vorstehend aufgezeigten Aspekte sowie der kritischen Würdigung der Betriebsvorschriften für Traditionsschiffe486 lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Traditionsschiff-Regelungen auch nach der zum 14. März 2018 in Kraft getretenen Neufassung noch einigen Anpassungsbedarf aufweisen.
485
So ist etwa zur Einstufung eines Kraftfahrzeugs als Oldtimer i.S.d. § 2 Nr. 22 FZV nach § 23 Satz 1 StVZO ein Gutachten eines (externen) amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers oder Prüfingenieurs erforderlich. 486 Dazu zuvor unter Punkt C. II. 2. b) (4) (d) (dd).
3. Teil
Fazit und Ausblick Eingangs wurde in der vorliegenden Arbeit die folgende, übergeordnete Fragestellung aufgeworfen: Sind die Ziele der Schiffssicherheit – auf der einen Seite – und der Erhaltung maritimen Erbes durch die Präsentation historischer Schiffe in Fahrt – auf der anderen Seite – miteinander vereinbar? Pauschal lässt sich diese Frage im Ergebnis nicht beantworten, da sich die in der vorliegenden Arbeit untersuchten rechtlichen Regelwerke an ihr nicht konsequent versucht haben. Der wesentlichste Befund der Untersuchungen, die in der vorliegenden Arbeit vorgenommen wurden, lautet, dass es keine einheitliche Geltung von Rechtsvorschriften für Traditionsschiffe gibt. Welche Sicherheitsanforderungen auf ein als „Traditionsschiff“ eingesetztes Schiff anzuwenden sind, unterscheidet sich von Fall zu Fall. Regelungen, die eine flexible Anwendung von materiell-rechtlichen Sicherheitsstandards auf Traditionsschiffe ermöglichen, sind in der Gesamtheit durchaus vorhanden – doch der historische Erhaltungswert eines Schiffes gibt nicht den Ausschlag dafür, ob diese tatsächlich angewendet werden können. Vielmehr hängt es von anderen, sogesehen „sachfremden“ Faktoren ab – wie etwa der Größe eines Schiffes, seinem Baumaterial, seiner Antriebsart oder der Anzahl der an Bord genommenen Fahrgäste –, ob und inwieweit ein Traditionsschiff unter die Spielräume bestehender Regelwerke eingeordnet werden kann, oder nicht. Der vorgenannte Befund der Arbeit zeigt zugleich den einzig denkbaren Hebel auf, über den die Traditionsschifffahrt insgesamt zu „artgerechten“1 Sicherheitsvorschriften gelangen kann. Zweckentsprechend wäre allein ein eigenes Regelwerk mit differenzierten Sicherheitsanforderungen speziell für historische Schiffe. Mit den neugefassten Traditionsschiff-Regelungen in Teil 3 der Anlage zu §§ 6, 6a SchSV ist die deutsche Schifffahrtsverwaltung diesen Weg bereits ein Stück weit gegangen. Die deutschen Regelungen zeigen den geeigneten Ansatz auf, gehen in der Konsequenz – d. h. in der Sache – über diesen Ansatz jedoch nicht hinaus. Dies zeigt sich etwa in den Betriebsvorschriften, die abseits der Historizität sachfremde Kriterien zur Voraussetzung dafür machen, ein Schiff unter die Traditionsschiff-Regelungen fassen zu können. Vor allem aber gehen die Traditionsschiff-Regelungen inhaltlich den falschen Weg, indem sie für mehr Sicherheit bei den materiell-
1 Diese treffende Bezeichnung entstammt dem Internetauftritt der GSHW e.V. unter www. gshw.de/ de/Historie.html.
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3. Teil: Fazit und Ausblick
rechtlichen Anforderungen auf eine erhöhte Regelungsdichte setzen und wiederum die Vorschriften für die Fahrzeuge der Berufsschifffahrt zum Vorbild nehmen. Ungeachtet dessen müsste eine konsequente Lösung für die Flotte der Traditionsschiffe ohnehin möglichst auf einer anderen Regelungsebene gesucht werden. Ideal wäre freilich eine Lösung im Rahmen der IMO, etwa in Form eines eigenen Codes für historische Schiffe nach dem Vorbild des SPS- oder des OSV-Codes. Jüngere Entwicklungen im Bereich der IMO lassen, insbesondere mit Blick auf SOLAS, eine Aufweichung der relativ starren, den Anwendungsbereich des Übereinkommens bestimmenden Begriffe beobachten. So spiegelt etwa der SPS-Code eine Aufweichung der in SOLAS vorgesehenen, pauschalen Unterscheidung zwischen Fahrgästen und Mitgliedern der Besatzung (im weitesten Sinne) wider, wobei (u. a.) ein sich unter den Staaten wandelndes Verständnis des Begriffes „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 e) SOLAS deutlich wird. Den Anlass für diese Entwicklung geben die sich verändernden tatsächlichen Gegebenheiten. Gegenüber den Umständen, innerhalb derer die historischen Fassungen von SOLAS aus den Jahren 1914, 1929 und 1948 entstanden sind, gibt es seit vielen Jahrzehnten ein zunehmendes Aufkommen an Schiffsnutzungen, die von den in SOLAS pauschaliert abgegrenzten Schiffstypen des „Fahrgast-“ und „Frachtschiffes“ abweichen und damit die Frage nach der rechtlichen Einordnung innerhalb SOLAS immer wieder neu aufwerfen. Solange die Anwendungsbegriffe aus SOLAS unverändert bleiben, müssen für die nicht eindeutig zuordenbaren Schiffsnutzungen neue rechtliche Regelwerke geschaffen werden. Unvermeidlich verändern diese Regelwerke und v. a. die Überlegungen unter den Staaten, die ihrer Schaffung vorausgehen, dabei nach und nach auch die „tradierten“ Anwendungsbegriffe aus SOLAS. Auch der SPS-Code ist letztlich Ausdruck eines solchen Wandlungsprozesses. Inzwischen ist der Prozess der Begriffswandlung hinsichtlich des Begriffes „Fahrgast“ i.S.v. Regel I/2 e) lit. i) SOLAS in Form des jüngeren OSV-Codes bereits weiter fortgeschritten. Theoretisch dürfte sich innerhalb dieses Wandlungsprozesses auch die Entwicklung eines eigenen Codes für historische Schiffe, mit deren Fahrten den Personen an Bord die historischen Aussagen des Schiffes vermittelt werden, abbilden lassen. Gleichwohl wird es praktisch angesichts der schwachen Lobby der Traditionsschifffahrt wohl zumindest in absehbarer Zeit nicht als realistisch anzusehen sein, dass sich eine Lösung auf der Ebene der IMO in Form eines eigenen Codes für historische Schiffe durchsetzen kann. Gegenwärtig hat, soweit ersichtlich, kein Verband, der die Interessen historischer Schiffe vertritt, bei der IMO Beraterstatus. Jenseits der Ebene der IMO ist es somit die EU, die den denkbaren Rahmen für gesonderte Sicherheitsvorschriften für Traditionsschiffe bietet. Da in der EU-Fahrgastschiffsrichtlinie gegenwärtig bereits eine eigene Ausnahmeregelung für Traditionsschiffe normiert ist, ist eine politische Einigung u. U. vielleicht auch hinsichtlich eines vollständigen eigenen Regelwerks für Traditionsschiffe möglich. Der Regelungsbereich der EU wäre dabei geografisch begrenzt genug, um ggf. einzelstaatliche Besonderheiten der Traditionsschiff-Flotte sowie der regionalen Gewässer bei der
3. Teil: Fazit und Ausblick
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Regelungsfindung zu berücksichtigen. Freilich würde damit nur eine Lösung für Traditionsschiffe in der Inlandfahrt geschaffen, sodass die Notwendigkeit zu etwaigen multi- oder bilateralen Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Traditionsschiffen in der Hafenstaatkontrolle weiter bestehen bliebe. Zudem müsste die maßgebliche Schnittstelle eines unionsrechtlichen Regelwerkes zum Anwendungsbereich der maritimen Übereinkommen weiterhin daran „kranken“, dass historische Schiffe mangels einer entsprechenden, eigenen Ausnahmeregelung o. ä. nicht aufgrund ihrer Historizität von den Anforderungen der Übereinkommen ausgeschlossen sind. Kernpunkt gesonderter Regelungen auf EU-Ebene wäre zunächst die Bestimmung der maßgeblichen Definition eines „Traditionsschiffes“. Wie in der vorliegenden Arbeit bereits für die deutsche Rechtsordnung herausgearbeitet wurde, wäre es dabei zweckmäßig, die Begriffsbestimmung konsequent auf das wesentliche und abgrenzende Merkmal der Schiffe einzuengen: auf deren Historizität (im Sinne eines historischen Erhaltungswertes). Es müsste stärker darauf abgestellt werden, dass die Schiffe, zumindest in wesentlichen Details, soweit als unter Sicherheitsgesichtspunkten möglich originalgetreu erhalten sind. Zudem sollten die Schiffe in Fahrt überwiegend zur Vermittlung ihrer historischen Aussagen genutzt werden. Dies sollte entsprechende Vorgaben nicht nur an die Form der Nutzung, sondern etwa auch an das Fahrtgebiet umfassen. Schiffe bzw. Schiffsnutzungen, welche die Historizität des Schiffes quasi nur „nebenbei“ nutzen, indem sie etwa einen Nachbau als Segelschulschiff oder ein altes, aber kaum noch originalgetreues Schiff für sonstige ideelle Zwecke, wie Jugendarbeit o. ä., nutzen, sollten hingegen von der Definition eines „Traditionsschiffes“ ausgeschlossen werden. Für solche Schiffe steht etwa mit dem SPS-Code ein geeignetes Regelwerk zur Verfügung In Bezug auf die maßgeblichen Sicherheitsanforderungen spricht viel dafür, dass diese erheblich zielgerichteter zugeschnitten werden könnten, wenn der Regelungsgegenstand mithilfe einer stringenteren Definition des Begriffs „Traditionsschiff“ über das Merkmal der Historizität konsequent von anderen Schiffsnutzungen abgegrenzt wäre. Unter dieser Voraussetzung sollte sodann – in Anlehnung an eine weitere jüngere Entwicklung im System des internationalen Schiffssicherheitsrechtes hin zum System der sog. goal based standards2 – eine Abkehr von dem bisherigen Regelungssystem mit seinen detailgenauen, sanktionsbewehrten Vorschriften hin zu erheblich mehr final ausgerichteter Rechtssetzung gewagt werden.
2 Das System der sog. goal based standards, d. h. „ergebnisorientierter Schutzziele“ (Ehlers, Recht des Seeverkehrs, Einl. SchSG, Rn. 6.), leitet sich im Bereich des Schiffssicherheitsrechtes aus der Möglichkeit zur Zulassung von sog. gleichwertigen Ersatz gemäß Regel I/5 SOLAS ab. Vgl. zur Methodik der goal-based standards und der (erstmaligen) Implementierung zum 1. Januar 2012 in Regel II-1/3 – 10 SOLAS IMO: Goal-based ship construction standards for bulk carriers and oil tankers and related guidelines. Instruktiv dazu auch Hoppe, WMU Journal of Maritime Affairs 2005, 169.
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Sachverzeichnis Antrieb – Hilfsantrieb 66, 71 f. – mechanischer Antrieb 65 ff., 141 ff. Auslandsfahrt – eingesetzt in der Auslandfahrt 41 ff. Auslegung – Auslegung durch Staaten 50 f., 75 f., 91 ff. – authentische Auslegung 58 ff. – autoritative Auslegung 57 f. – nach der WVRK 42 f., 48, 50, 66, 69 f., 78 f., 160 – objektiver Ansatz 82, 178 f. – völkerrechtsfreundliche Auslegung 159 f., 201 ff. Außenverweisung 169 Bauart – Einfachheit der Bauart 73 ff., 140 f. Befähigung – Befähigungsanforderungen 117, 162 f., 251 f. – Befähigungsdokument 162, 191, 193, 208, 252 f. Befreiungsmöglichkeit 126 ff., 146 Berufsschifffahrt – Fahrzeug der Berufsschifffahrt 23, 26, 252 Besetzung – Besatzungszeugnis 163, 194, 235, 252 ff. – Besetzungsanforderungen 116, 122, 162 ff., 233, 251 ff. BG Verkehr 241 – Dienststelle Schiffssicherheit bei der BG Verkehr 193 ff., 205, 212, 240 ff., 254 Durchsetzung siehe Flaggenstaat Erhaltungswert 138 f., 222 ff., 261, 266, 269, 271 EU-Fahrgastschiffsrichtlinie – Ausnahmeregelungen 136, 140 ff. – nationale Umsetzung 218 ff.
– Richtlinie 2009/45/EG 133 ff. EU-Hafenstaatkontrollrichtlinie – Richtlinie 2009/16/EG 211 Fahrgast 44 ff. Fahrgastschiff 26, 44 ff., 105 ff., 136, 233 Festhalteverfügung 212, 229 Flaggenstaat 109 ff., 116, 148, 163, 188 ff., 212 ff. Frachtschiff 26, 44 ff., 105 ff. Freibordvertrag London 1930 69 ff., 84, 91, 98 Gemeinnützigkeit 89, 256, 258 ff. Gewerblichkeit 86 ff., 235, 264 goal based standards 271 Hafenstaat 130, 208 ff. Handelsverkehr 83 ff. Holzschiff 73 IMO 53, 57 ff., 93, 111, 177, 270 IMO-Übereinkommen 57 ff. Jacht 80 ff., 234 Kauffahrteischiff 85 ff., 163 KfZ-Oldtimer 263 f. Kulturdenkmal 136, 138 f., 222 ff. Maschinenantrieb siehe mechanischer Antrieb Mindeststandard 112, 125, 178, 180, 198, 202 MoU – London MoU 215 ff. – Paris MoU 211 MSC 53, 57 ff., 69 Museumsschiff 38
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Sachverzeichnis
Normenklarheit – Gebot der Normenklarheit (der Rechtsklarheit) 168 ff., 188 Organleihe 242 OSV-Code 55, 270 Privilegierung 261 Rechtsanwendungsbefehl 161, 164 ff., 185 Sachverständiger 131, 267 Schiffssicherheit – nationale Anforderungen 236 ff. – Rechtsgebiet 35 Schiffssicherheitsgesetz 150, 165 Schiffssicherheitsverordnung 151, 166 ff., 228 Seeschiff 34 Segelschiff 67 f., 141 f. self-executing 173 ff. SOLAS – Ausnahmeregelungen 43 ff. – innerstaatliche Inkraftsetzung 153 ff. – Übereinkommen 36 ff. Spezialpersonal 51 ff. Spezialschiff 52 ff., 213 Sportboot 65, 87 – i.S.d. nationalen Rechts 234 – i.S.d. Richtlinie 2009/45/EG 142
SPS-Code 51 ff., 68 ff., 213, 266 f., 271 Stichtagsregelungen 98 f., 103 ff. Traditionsschiff – Ausnahmeregelung in der Richtlinie 2009/ 45/EG 136 ff. – Begriff 23 f. – Definition im nationalen Recht 221 ff. – Definitionsvorschlag 227 f. Übereinkommen – maritime Übereinkommen 31, 35 Umsetzung – Begriff 124 – Umsetzungsverpflichtungen 125 ff., 145 f., 197 ff. Vereinsschiff 96 Vergnügungsjacht 80 ff. Vertragstext 159 f. Völkergewohnheitsrecht 185 ff. Zeugnis – gegenseitige Anerkennung 212 ff. – nationales Sicherheitszeugnis für Traditionsschiffe 239 f., 255, 258 – Sicherheitszeugnis 190, 192 f. Zustimmungsgesetz 152 ff., 160 f., 168, 171, 173