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German Pages 296 Year 2013
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 429
Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht Zugleich ein Beitrag zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
Von
Matteo Fornasier
Duncker & Humblot · Berlin
MATTEO FORNASIER
Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 429
Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht Zugleich ein Beitrag zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
Von
Matteo Fornasier
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Wintersemester 2011/2012 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-13852-4 (Print) ISBN 978-3-428-53852-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-83852-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2011/2012 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Sommer 2010 fertiggestellt. Für die Veröffentlichung wurde es auf den Stand von Juli 2012 gebracht. Bei der Aktualisierung war neben der neueren Rechtsprechung und Literatur vor allem dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die im Herbst 2011 verabschiedete europäische Richtlinie über Verbraucherrechte 2011/83/EU – anders als ursprünglich geplant – keine grundlegende Reform der Klauselrichtlinie 93/13/ EWG mit sich geführt hat. Zur Entstehung dieses Buchs haben viele Personen beigetragen, denen ich zu großem Dank verpflichtet bin: Professor Claus-Wilhelm Canaris hat die Arbeit als Doktorvater betreut. Schon viel früher hat er meine Faszination für das Zivilrecht und die Wissenschaft geweckt, als er mir noch während des Studiums die Möglichkeit bot, an seinem Lehrstuhl tätig sein zu dürfen. Professor Thomas Ackermann hat das Zweitgutachten erstellt. Professor Jürgen Basedow hat mich als Mitarbeiter an das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg geholt, wo ich die Dissertation geschrieben habe. Er hat sich von Anfang an sehr für das Thema der Untersuchung interessiert und auch mein Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen Recht und Markt entscheidend gefördert. Professor Guido Calabresi von der Yale Law School hat mich mit dem Law and Economics-Ansatz vertraut gemacht und mir gezeigt, dass die ökonomische Perspektive im juristischen Diskurs häufig Zusammenhänge offenbart, die bei einer rein rechtlichen Betrachtung verborgen blieben. Meine Kollegen am Max-Planck-Institut, allen voran Anatol Dutta und Christian Heinze, haben mir in zahllosen Gesprächen wertvolle Anregungen gegeben und das Blickfeld meiner Forschung geweitet. Der Arbeitskreis Wirtschaft und Recht des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft hat einen großzügigen Druckkostenzuschuss gewährt. Die Esche Schümann Commichau Stiftung hat die Arbeit mit einem Förderpreis ausgezeichnet. Besonders möchte ich meiner Frau Anna für ihre Unterstützung danken. Sie war die erste Leserin und hat mit zahlreichen Hinweisen und Fragen maßgebend zur Verbesserung der Arbeit beigetragen. Meine Kinder Federico und Tiziana sind zwar beide zur Welt gekommen, als die Dissertation bereits fertiggestellt war – ohne sie hätte die Vollendung dieses Buchs jedoch sicherlich mehr Zeit in Anspruch genommen. Der größte Dank gilt meinen Eltern und meiner Schwester
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Vorwort
Francesca, die mich immer auf jede erdenkliche Weise unterstützt haben. A loro dedico questo libro. Hamburg, im Juli 2012
Matteo Fornasier
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Freier Markt: Die ordnungspolitische Dimension des Vertragsrechts . . . . . II. Zwingendes Vertragsrecht: Begriffsbestimmung und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchung und methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . .
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1. Teil Grundlegung § 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der idealtypische Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Marktprozess als Kombination von Kooperation und Konkurrenz . 2. Wohlstandseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allokationseffizienz durch Tauschgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Produktivität des Tauschs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tauschgeschäfte und Pareto-Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Produktive Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dynamische Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Individuelle Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Prinzip der dezentralen Koordination und die Rolle des Preismechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Individuums . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis zwischen individueller Freiheit und Wohlstand in der Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Marktmechanismus als Mittel der Disziplinierung der individuellen Willkür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gerechtigkeit im Verhältnis der Transaktionspartner (iustitia commutativa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die sog. „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ . . . . . bb) Der Wettbewerb als „Entmachtungsinstrument“ . . . . . . . . . . . . . b) Verteilungsgerechtigkeit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene (iustitia distributiva) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Idealtypus zur Realität: Risiken des Marktversagens . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
1. Abweichungen der Institutionenökonomik vom neoklassischen Modell perfekter Konkurrenz: Friktionen infolge von beschränkter Rationalität und Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen aus beschränkter Rationalität und Transaktionskosten . . . . . . . . a) Opportunismus: Bedeutung und Ursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Opportunistisches Verhalten ex ante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Opportunistisches Verhalten ex post: versteckte Handlungen und hold-up . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Auswirkungen auf den Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auswirkungen auf der Mikroebene: Gefährdung der „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auswirkungen auf der Makroebene: Kooperationsstörungen durch präventive Abwehrstrategien der Marktakteure . . . . . . . . . 3. Institutionen als Instrument zur Überwindung von Kooperationsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Markt und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Legitimationsfunktion der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normative Wertentscheidungen zugunsten einer marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Schutz der Funktionsbedingungen des Marktes durch das Recht . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Teil Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts § 4 Marktkonstitutives und marktkompensatorisches zwingendes Vertragsrecht . . . I. Marktkonstitutives zwingendes Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zwingendes Vertragsrecht zum Schutz des Konkurrenzelements des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwingendes Vertragsrecht zum Schutz des Kooperationselements des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff und Bedeutung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit im Marktsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . (2) Nichtdispositive Haftung gewerblicher Leistungsanbieter . .
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Inhaltsverzeichnis (3) Zinseszinsverbot, § 248 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) § 138 BGB bei Ausnutzung der Unerfahrenheit der Vertragspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwingende Normen zum Schutz der Entscheidungsfreiheit als Beitrag zur Materialisierung der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . dd) Das Verhältnis zum Informationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Besondere Merkmale des marktkonstitutiven zwingenden Rechts: Subjektive Äquivalenz im Gegensatz zu objektiver Äquivalenz und iustum pretium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz vor ex-post-opportunistischem Verhalten in längerfristigen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Gefahr ex-post-opportunistischen Verhaltens und ihre Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kontrolle einseitiger Anpassungsrechtsklauseln . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesetzliche Spezialregelungen zu einseitigen Anpassungsrechtsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Beurteilung von Anpassungsrechtsklauseln am Maßstab allgemeiner Regeln (§§ 305 ff. BGB) . . . . . . . . . . . . . . . (a) Legitimes Interesse an Leistungsanpassung . . . . . . . . . . (b) Transparenzanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Gebot der Äquivalenzwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Die Rolle alternativer Schutzmechanismen . . . . . . . . . . . cc) Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Exkurs: Opportunistisches Verhalten durch Erschwerung legitimer Vertragsanpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Inhaltskontrolle von ad-hoc-Anpassungsverträgen? . . . . . . . . . . . (1) „Spontane“ Anpassungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anpassungsverträge infolge von Neuverhandlungspflichten (a) Vertragliche Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Gesetzliche Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Marktkonstitutives zwingendes Vertragsrecht zur Verhinderung sonstigen Marktversagens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz vor negativen externen Effekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Negative Externalitäten als Form des Marktversagens . . . . . . . . bb) Die Frage der schutzwürdigen Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unmittelbar durch den Marktmechanismus vermittelte Externalitäten und „psychologische Effekte“ . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verträge zulasten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Sonstige Beeinträchtigung von Rechtspositionen und Vermögensinteressen Dritter – Abwägungsfälle . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis cc) Der Drittschutz in den „Abwägungsfällen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Doppelverkauf und rechtsgeschäftliche Haftungsprivilegierung: Der Relativitätsgrundsatz als Kriterium für die Bestimmung des Drittschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Grenzen des Relativitätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die maßgebenden Kriterien für die Bestimmung des Drittschutzes: Möglichkeit und Zumutbarkeit des Selbstschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Frage der Einschränkung der Vertragsfreiheit zum Schutz sonstiger Gläubiger einer Vertragspartei: der Grundsatz des caveat creditor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Beschränkung der Vertragsfreiheit in Durchbrechung des Grundsatzes des caveat creditor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Speziell: Einschränkung der Vertragsfreiheit bei der Kollision von Sicherungsglobalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Materialisierungstendenzen auch im zwingenden Recht zum Schutz Dritter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammenfassung zum zwingenden Vertragsrecht zum Schutz vor negativen externen Effekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz spezifischer Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Versicherungsvertragliche Regelungen gegen eine „Überversicherung“ als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Verbot des Insiderhandels als weiteres Beispiel . . . . . . . . . . II. Marktkompensatorisches zwingendes Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Totale Transaktionsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marktergebniskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Merkmale: Distributive Zielsetzung und Prinzip der objektiven Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Innervertragliche Gerechtigkeit und gesamtgesellschaftliche Umverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gegenstände der Marktergebniskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Preisregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sektorale Preiskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Allgemeine Preiskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Äquivalenzkontrolle nach § 138 BGB . . . . . . . . . . . (b) Die kartellrechtliche Preiskontrolle im Rahmen der Missbrauchsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwingende Leistungsmerkmale in Ergänzung zur Preiskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beispiele aus dem Wohnraummietrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beispiele aus dem Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis cc) Ausbeutungsschutz durch zwingende Leistungsstandards ohne gleichzeitige Preiskontrolle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verteilungseffekte innerhalb des Vertragsverhältnisses . . . . (2) Verteilungseffekte zwischen den Beteiligten unterschiedlicher Vertragsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung zum marktkompensatorischen zwingenden Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Teil Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts § 5 Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ursachen für die gestörte Richtigkeitsgewähr bei der Verwendung von AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirtschaftliches Machtgefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Intellektuelle Überlegenheit des Verwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlendes Aushandeln der Klauselinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Informations- und Motivationsgefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ungleiche Verteilung der Transaktionskosten zwischen den Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kontrollbedürfnis nur für Klauseln zur wiederholten Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begrenztes Kontrollbedürfnis hinsichtlich essentialia negotii . . cc) Rationalität des Verwendungsgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgen des Informations- und Motivationsgefälles . . . . . . . . . . . . . . . aa) Folgen für das konkrete Vertragsverhältnis: Beeinträchtigung der materialen Entscheidungsfreiheit des Verwendungsgegners („Vertragsversagen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgen auf der überindividuellen Ebene: Ausschluss der AGB vom Konditionenwettbewerb und Wohlfahrtsverluste infolge adverser Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsansätze der §§ 305 ff. BGB zur Überwindung des Marktversagens bei der Verwendung von AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Informationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis b) Die begrenzte Leistungsfähigkeit des Informationsmodells . . . . . . . c) Abschluss- oder Abwicklungstransparenz als Ziel des Informationsmodells im AGB-Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkung der Gestaltungsfreiheit durch zwingendes Recht . . . . . . a) Gesetzliche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) AGB-rechtliche Inhaltskontrolle als zwingendes Vertragsrecht? . . . c) Der Beitrag der Inhaltskontrolle zur Überwindung des Marktversagens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz im Vertragsverhältnis: Sicherung der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die konkret-individuelle Inhaltskontrolle im Rahmen des Überraschungsverbots gemäß § 305c Abs. 1 BGB . . . . . . . . (2) Die abstrakt-generelle Inhaltskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Beitrag zum Schutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Grenze der Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirkungen auf der überindividuellen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Eindämmung der adversen Selektion durch Gewährleistung eines materiellen Mindeststandards . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Wettbewerbsfördernde Funktion durch Standardisierung der vertraglichen Nebenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prävention durch das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion . . . . . a) Bedeutung des Grundsatzes vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigung des Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausnahmen vom Grundsatz bei fehlendem Präventionsbedürfnis? . III. Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Recht der AGB-Kontrolle als marktkonstitutives Recht . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung des AGB-Rechts zu anderen Zwecken? . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einzelfragen des AGB-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der AGB und Abgrenzung zur Individualvereinbarung . . . . . . . a) Die Kontrollfreiheit von Individualvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestandsanforderungen für das „Aushandeln im Einzelnen“ . . . . c) Die „Tarifwahl“ als besondere Form der Individualabrede . . . . . . . . 2. Das „Stellen“ von AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kontrollfreiheit der essentialia negotii und anderer „produktprägender“ Leistungsbestimmungen, die am Konditionenwettbewerb teilnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Grundlagen und Gründe für die Kontrollausnahme . . . b) Umfang des kontrollfreien Bereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
165 166 169 169 170 171 172 174 175 175 176 180 180 181 182 182 184 185 187 187 188 190 190 190 191 192 194
196 197 199
Inhaltsverzeichnis aa) Keine Inhaltskontrolle der essentialia negotii auch im Rahmen des § 305c Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausweitung der Kontrollschranken auch auf „produktprägende“ Nebenbestimmungen, die am Konditionenwettbewerb teilnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Transparenz als Voraussetzung für die Kontrollfreiheit . . . . . . . . . . . aa) Inhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Marktvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendungsbeispiel: Die AGB-Kontrolle von Entgeltabreden der Bankwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Grundsätze der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik am Lösungsansatz der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . cc) Marktkonformer Lösungsansatz zur AGB-Kontrolle von Entgeltklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Transparenzkontrolle von Entgeltabreden . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Inhaltskontrolle von Entgeltabreden für hypothetische Ereignisse, mit denen der Kunde bei Vertragsschluss nicht rechnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die AGB-Kontrolle im unternehmerischen Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Verteilung der Transaktionskosten als maßgebendes Kriterium b) Der Rückgriff auf marktkompensatorische Regeln zum Schutz gegen AGB-unabhängige Ausbeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Preisargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Praktische Einwände gegen das Preisargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Preisargument als Einfallstor für planwidrige objektive Äquivalenzkontrolle des Vertragsinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erwägungsgründe der Klauselrichtlinie keine Rechtfertigung für das Preisargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Preisargument und adverse Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Verwendung unwirksamer AGB und das Lauterkeitsrecht . . . . . . . . a) Verwendung unwirksamer AGB gegenüber Verbrauchern . . . . . . . . . aa) Verstoß gegen berufliche Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wesentliche Beeinflussung des Verbraucherverhaltens . . . . . . . . b) Verwendung unwirksamer AGB gegenüber Unternehmern . . . . . . . . § 6 Zwingende Haftung gewerblicher Leistungsanbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gestörte „Richtigkeitsgewähr“ als Rechtfertigung für das Verbot individualvertraglicher Haftungsausschlüsse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ökonomische Analyse privatautonomer Haftungsregelungen . . . . . . . . . a) Haftungsvereinbarungen unter Idealbedingungen und in der Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
199
200 203 203 205 208 210 212 215 216
218 219 219 220 223 224 224 225 226 227 228 228 230 230 231 233 234 238 239 239
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Inhaltsverzeichnis b) Die Gefahr systematischer Risikounterschätzung als Rechtfertigung zwingender Haftungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Phänomen der systematischen Risikounterschätzung aus traditioneller (neoklassischer) ökonomischer Sicht . . . . . . . . . . . bb) Empirische Erkenntnisse des „Behavioral Law and Economics“-Forschungsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgerungen aus der ökonomischen Analyse für das Vertragsrecht . . . . a) Die Notwendigkeit einer „Übersetzung“ der ökonomischen Erkenntnisse in vertragsrechtliche Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährdung der faktischen Selbstbestimmung des Kunden infolge Informationsmängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Legitimität des zwingenden Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wahrung der Vertragsfreiheit dank Einflussnahmemöglichkeit auf Haftungsvoraussetzungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich mit der Beschränkung der Vertragsfreiheit im Rahmen der AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die schützende Wirkung AGB-fester dispositiver gesetzlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Epilog: Zwingende Anbieterhaftung als Zwangsversicherung zugunsten des Kunden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zu § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zu § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zu § 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zu § 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zu § 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 240 242 244 244 245 247 247 250 252 253 254 257 257 258 259 261 264
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
„The so-called paradox of freedom is the wellknown idea that freedom in the sense of absence of any restraining control must lead to very great restraint, since it makes the bully free to enslave the meek.“ Karl Popper, The Open Society and Its Enemies, Bd. 1, S. 226.
§ 1 Einleitung Diese Arbeit beschäftigt sich mit einer Paradoxie. Generell gilt die Freiheit als wichtigster Garant für die Funktionsfähigkeit des Marktes.1 Die Anhänger einer marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaftsordnung treten folglich für Deregulierung und Liberalisierung ein, sie fordern eine „Verfassung der Freiheit“ 2, „freedom to choose“ 3 oder „Mehr Freiheit wagen“ 4. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist indessen die Frage, inwiefern die Negation der Freiheit – der Zwang und insbesondere das zwingende Vertragsrecht – die Funktionsbedingungen des Marktmechanismus erhalten und verbessern kann. Das Bundesverfassungsgericht hat die Formel geprägt, die Beschränkung der Vertragsfreiheit könne in bestimmten Fallgestaltungen zur Kompensation der „strukturellen Unterlegenheit eines Vertragsteils“ 5 erforderlich sein. Teilweise spricht es auch vom zwingenden Vertragsrecht als Mittel zur Korrektur „gestörter Vertragsparität“ 6. Die Schwäche dieser Rechtfertigungsansätze liegt in ihrer Unbestimmtheit. Worauf muss sich das Ungleichgewicht zwischen den Parteien beziehen? Kommt es auf wirtschaftliche, intellektuelle oder informationelle Unterlegenheitsmomente an? Ohne eine nähere Präzisierung der Eingriffsvoraussetzungen droht eine maßlose Beschränkung der Vertragsfreiheit. Doch ebenso verfehlt erscheint es, jegliche Form zwingenden Vertragsrechts als paternalistisch und illiberal kategorisch abzulehnen. Unbeschränkte Freiheit – und dies gilt nicht nur für die Vertragsfreiheit – steht in der ständigen Gefahr, sich selbst aufzuhe1 Vgl. speziell im Zusammenhang mit der Vertragsfreiheit Kessler, FS Wolff, S. 67, 69: „Nur der freie Vertrag, und nicht Tradition oder Zwang, ist der einem solchen [scil. freien und offenen] Wirtschaftssystem für den Warenaustausch adäquate Mechanismus“. 2 von Hayek, Die Verfassung der Freiheit. 3 M. Friedman/R. Friedman, Free to choose. 4 Basedow, Mehr Freiheit wagen. 5 BVerfGE 89, 214, 234; BVerfG NJW 1994, 2749, 2750; vgl. auch BVerfG NJW 2007, 286, 287 („strukturelles Ungleichgewicht“). 6 BVerfGE 81, 242; BVerfGE 89, 214, 233; BVerfG NJW 1994, 2749, 2750; BVerfG NJW 1996, 2021; BVerfG NJW 2006, 596, 598. Ähnlich („erheblich ungleiche Verhandlungspositionen“) BVerfGE 103, 89, 101; BVerfGE 114, 1, 34; BVerfGE 114, 73, 90.
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§ 1 Einleitung
ben. Dieses Freiheitsparadoxon7 scheint in der Diskussion um die Berechtigung zwingenden Vertragsrechts nicht immer hinreichend Beachtung zu finden. Beispielhaft hierfür sind die Reaktionen der letzten Jahre auf europäische Gesetzgebungsinitiativen. Jede neue zwingende Norm löst geradezu reflexartig heftige Proteststürme aus: Vom Ende der Vertragsfreiheit ist dann rasch die Rede, ja vom Ende des liberalen Gesellschaftsmodells insgesamt.8 Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den möglichen sachlichen Gründen für die Beschränkung der vertraglichen Inhaltsfreiheit findet häufig nicht statt. Die vorliegende Studie wählt eine marktbezogene Perspektive, um die Grenzen der Vertragsfreiheit sachgerecht zu bestimmen. Aus der Berücksichtigung der entmachtenden Wirkung des Wettbewerbs folgt zum einen die Erkenntnis, dass nicht jede Ungleichgewichtslage einen staatlichen Eingriff zum Schutz der unterlegenen Partei erforderlich macht. Ebenso wichtig ist allerdings auf der anderen Seite die Einsicht, dass ohne gewisse Einschränkungen der Vertragsfreiheit die Voraussetzungen für eine funktionsfähige Marktwirtschaft und damit auch für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung nicht gewährleistet sind.
I. Freier Markt: Die ordnungspolitische Dimension des Vertragsrechts Zunächst mag es verwundern, dass das Vertragsrecht mit einem Regelungsziel wie der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Marktes in Verbindung gebracht wird. Der Marktschutz ist eine Aufgabe, die man in erster Linie Disziplinen wie dem Kartell- oder dem Wettbewerbsrecht zuschreiben würde. Tatsächlich ist die Rolle des allgemeinen Zivilrechts für die Marktordnung lange Zeit vernachlässigt worden.9 Auf der Zivilrechtslehrertagung 2005 stellte Karsten Schmidt fest:
7 Siehe grundlegend zum Freiheitsparadoxon – neben dem eingangs zitierten Popper – Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, der den Gedanken von der Staatstheorie auf das Wirtschaftssystem überträgt. 8 Vgl. zur Kritik z. B. H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, S. 5, 41 und 52; Honsell ZIP 2008, 621, 623; Storme ERPL 2007, 233, 249; Bruns JZ 2007, 385, 394; Adomeit NJW 2004, 579. 9 Vgl. allerdings schon vor bzw. unabhängig von der Rezeption des amerikanischen „Law and Economics“-Ansatzes die Beiträge der Freiburger Schule des Ordoliberalismus [dazu näher unten § 2 I. 3. b)] – hier vor allem Mestmäcker JZ 1964, 441 – sowie ferner Reinhardt, FS Schmidt-Rimpler, S. 115 (speziell zum zwingenden Recht S. 125: „Daneben kennt unsere Privatrechtsordnung Regeln über die Beschränkung persönlicher Freiheit, die dazu dienen, denjenigen Zustand gesellschaftlicher Gegebenheiten aufrechtzuerhalten, der offensichtlich für das Funktionieren eines auf dem Einsatz privater Initiative und privaten Interesses beruhenden Ordnungssystems notwendig ist.“); Reich, Markt und Recht; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung; Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen; Rittner AcP 188 (1988), 101; Canaris, FS Lerche, S. 873.
§ 1 Einleitung
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„Das andere, hier zu diskutierende Defizit der BGB-Zivilistik betrifft den Markt. Das BGB denkt in den Kategorien individueller Rechtszuweisung (Eigentümer/Nichteigentümer, Berechtigter/Nichtberechtigter) und relativer Beziehungen (Gläubiger/ Schuldner). Schon die berühmten Dreiecksverhältnisse – Vertragsübernahme, Vertrag mit Drittwirkung und Drittschadensprobleme eingeschlossen – gelten als Kraftproben, und die überindividuellen Prämissen privatautonomen Handelns liegen gleichsam im Unterbewussten des Gesetzes. Gewiss: Wer die ökonomische Analyse des Rechts auf seine Fahnen schreibt, wird vorweisen können, wie man BGB-Problemen mit Argumenten der Institutionenökonomik zu Leibe rückt. Aber es fällt doch schwer, dem BGB selbst etwas über die wettbewerblichen Voraussetzungen der Privatautonomie oder gar über den Markt als Vertragsgegenstand und als Schutzgut zu entnehmen.“ 10
Das allgemeine Zivilrecht und insbesondere das Vertragsrecht sind für eine funktionierende Marktwirtschaft ebenso wichtig wie das Kartell- und Wettbewerbsrecht. Der Vertrag als freiwillig eingegangenes, rechtlich bindendes Tauschgeschäft bildet den Nukleus des marktwirtschaftlichen Systems.11 Die Wirtschaftswissenschaften haben die Bedeutung des Vertrags für das reibungslose Funktionieren des Marktmechanismus längst erkannt. Die ältere neoklassische Theorie suchte die Ursachen des Marktversagens noch hauptsächlich in Wettbewerbsbeschränkungen wie etwa Kartellen oder Monopolen.12 Hingegen richten die zur sogenannten Neuen Institutionenökonomik gehörenden jüngeren Forschungsansätze den Blick auf den Vertrag.13 Die Umstände, die die Ökonomen als Quellen für Vertragsstörungen ermitteln – Transaktionskosten, Informationsasymmetrien, irrationales Entscheidungsverhalten, Opportunismus etc. –, sind dem Juristen höchstens in der Terminologie unbekannt. In der Sache jedoch handelt es sich dabei um die gleichen Probleme, die die Vertragsrechtsordnung mit ihrem breit gefächerten Instrumentarium an Anfechtungs-, Nichtigkeits-, Schadensersatz- und Rücktrittsregelungen zu lösen sucht.14 Neu für den Rechtswissenschaftler ist allein die Erkenntnis, dass die ihm geläufigen Vertragsstörungen nicht allein die konkret betroffenen Vertragsparteien berühren, sondern darüber hinaus Auswirkungen auf den Markt insgesamt haben. Um ein einfaches 10
K. Schmidt AcP 206 (2006), 169, 171. Siehe auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 224. 12 Vgl. etwa Coase, in: Fuchs (Hrsg.), Policy Issues and Research Opportunities in Industrial Organization, S. 59, 67, mit seiner Aussage über die neoklassische ökonomische Theorie: „. . . if an economist finds something – a business practice of one sort or other – that he does not understand, he looks for a monopoly explanation“. 13 Vgl. bereits Buchanan in seinem Plädoyer „A Contractarian Paradigm for Applying Economic Theory“, American Economic Review 65 (1975), No. 2, 225, 229: „. . . economics comes closer to being a ,science of contract‘ than a ,science of choice‘ [. . .]. The unifying principle becomes gains-from-trade, not maximization“ (Hervorhebung im Original). Zum Perspektivenwechsel der Neuen Institutionenökonomik s. auch unten § 2 II. 14 Näher zur Rolle des Vertragsrechts bei der Überwindung von Kooperationsstörungen unten § 2 II. 3., § 3 II. 11
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Beispiel zu nennen: Wer einen Vertragsbruch begeht, enttäuscht nicht nur die Erwartungen des Vertragspartners, er untergräbt auch das Vertrauen des Rechtsverkehrs insgesamt in den Vertrag als Mittel zur Regelung von Kooperationsbeziehungen. Die Sanktionen, die von der Rechtsordnung an den Vertragsbruch geknüpft werden, schützen einerseits den Vertragsgegner. Gleichzeitig verhindern sie, dass die Marktakteure aus Sorge vor den Risiken und Unsicherheiten der Zusammenarbeit auf die Eingehung von Verträgen verzichten und infolgedessen mögliche Wohlstandsgewinne nicht realisieren. Die „Entdeckung“ der überindividuellen15 Schutzfunktion des Vertragsrechts ist insofern bemerkenswert, als sie eine Entwicklung widerspiegelt, die im Bereich des Kartellrechts mit umgekehrten Vorzeichen stattfindet. Dort war auf der Ebene des nationalen deutschen Rechts lange Zeit umstritten, ob und inwieweit die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) neben dem Wettbewerb als Institution auch die individuellen Interessen der Marktteilnehmer schützen. Unter dem Einfluss des europäischen Wettbewerbsrechts16 steht inzwischen der individualschützende Charakter auch der deutschen Kartellrechtsbestimmungen außer Frage.17 Im Ergebnis stellt sich somit heraus, dass beide für die Marktordnung so maßgebenden Rechtsmaterien – das Vertrags- wie das Kartellrecht – jeweils eine individuelle als auch eine institutionelle Schutzdimension aufweisen. Diese Doppelfunktion hängt letztlich damit zusammen, dass in der Marktwirtschaft, die auf dem Prinzip der dezentralen Interessenverfolgung beruht, Individual- und Allgemeinwohl untrennbar miteinander verflochten sind.18
15 Die Begriffe zur Beschreibung dieser Dimension des Vertragsrechts variieren. Anstelle von „überindividuell“ werden häufig auch andere Termini verwendet, vgl. z. B. Basedow Bitburger Gespräche Jahrbuch 2008/1, 85, 88 („ordnungspolitisch“); MellerHannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 13 ff. („Ordnungsfunktion“); Engel JZ 1995, 213 („wirtschaftspolitisch“); Fleischer ZEuP 2000, 772, 778, und ders., Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 178 ff. („makrojuristisch“); ebenso Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, S. 196; Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 198 („institutionell“); Möslein, Dispostives Recht, S. 172 („Funktionsschutz“). 16 Maßgebend waren insbesondere die Entscheidungen EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/ 99 (Courage), Slg. 1999, I-6297; EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04 (Manfredi), Slg. 2006, I-6619; vgl. ferner die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1/1. 17 Der stärkere Individualschutz hat sich auch in der 7. GWB-Novelle von 2005 gesetzlich niedergeschlagen. Während nach früherer Rechtslage zivilrechtliche Ansprüche privater Marktteilnehmer bei Kartellrechtsverstößen nur unter engen Voraussetzungen anerkannt waren, weitet § 33 GWB n. F. die Anspruchsberechtigung deutlich aus, vgl. zum Hintergrund BT-Drucks. 15/3640, S. 53. 18 Dazu näher unten § 2 II. 3. d).
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II. Zwingendes Vertragsrecht: Begriffsbestimmung und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Das zwingende Vertragsrecht kann als die Gesamtheit aller Regelungen verstanden werden, welche die Vertragsfreiheit einschränken. Auf dieser Grundlage lassen sich entsprechend zu den drei Ausprägungen der Vertragsfreiheit auch drei Kategorien zwingenden Vertragsrechts unterscheiden. Eine erste Gruppe zwingender Normen begrenzt die Abschlussfreiheit und ordnet Kontrahierungszwänge an. Derartige Regelungen ergeben sich beispielsweise aus dem Kartellrecht19, dem Antidiskriminierungsrecht20 oder sektorspezifischen Regulierungsinstrumenten21. Zweitens kennt die Rechtsordnung zwingende Regeln zur Beschränkung der Formfreiheit. Formzwänge knüpfen etwa an bestimmte Vertragsgegenstände22 oder an bestimmte Modalitäten des Vertragsschlusses23 an. Eine dritte Kategorie zwingenden Vertragsrechts betrifft die Inhaltsfreiheit: Sie beschränkt die Gestaltungsspielräume der Vertragsparteien bei der ursprünglichen Festlegung oder bei der späteren Abänderung24 des Vertragsinhalts. Zusätzlich lässt sich eine vierte Kategorie zwingenden Vertragsrechts identifizieren, die nicht unmittelbar mit einem Aspekt der Vertragsfreiheit korrespondiert: Der Parteidisposition weitgehend entzogen sind die Vorschriften, die die Voraussetzungen für eine gültige Willenserklärung regeln, also beispielsweise die Bestimmungen über die Geschäftsfähigkeit.25 Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die dritte Gruppe von Normen: Wenn im weiteren Verlauf von zwingendem Vertragsrecht die Rede ist, sind allein die Grenzen der vertraglichen Inhaltsfreiheit gemeint. Diese lassen sich ihrerseits in zwei Kategorien unterteilen. Die erste Kategorie bilden die speziellen Dispositionsverbote, mit denen der Gesetzgeber einzelne konkrete Vertragsregelungen und -inhalte untersagt. Beispiele sind die Vorschriften der §§ 248 Abs. 1, 276 Abs. 3, 475, 536 Abs. 4, 651m BGB, des § 14 ProdHG oder die zahlreichen zwingenden Schutzvorschriften in den arbeitsrechtlichen Gesetzen. Auch § 134 BGB ist zu dieser Fallgruppe zu rechnen, da sich aus den jeweiligen Ver19
Vgl. nur § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB. Ein Kontrahierungszwang auf der Grundlage des § 21 AGG kommt unter engen Voraussetzungen in Betracht, vgl. nur Palandt/Grüneberg § 21 AGG Rn. 7. 21 Vgl. zum Beispiel im Bereich der Personenbeförderung § 10 AEG, § 21 Abs. 2 Satz 3 LuftVG, § 22 PBefG. 22 Vgl. z. B. §§ 311b, 518, 492 Abs. 1, 766, 780, 781 BGB. 23 So etwa beim Fernabsatzvertrag, vgl. die formalen Anforderungen des § 312c BGB. 24 Zur Abänderungsfreiheit als besondere Ausprägung der Vertragsfreiheit s. Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 49 ff.; Basedow Bitburger Gespräche Jahrbuch 2008/1, 85, 89; MünchKommBGB/Busche Vor § 145 Rn. 28. 25 Grigoleit, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 1822. 20
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§ 1 Einleitung
botsnormen eindeutige inhaltliche Vorgaben für den Vertrag ergeben. In die zweite Kategorie fallen die allgemeinen Schranken der vertraglichen Gestaltungsfreiheit, die der Konkretisierung im Einzelfall bedürfen. Welcher Vertragsinhalt unzulässig ist, beurteilt sich hier auf der Grundlage einer Gesamtschau unterschiedlicher Einzelumstände. Maßgebend sind insofern nicht allein inhaltliche Gesichtspunkte, sondern möglicherweise auch die Rahmenbedingungen des Vertragsschlusses oder besondere persönliche Merkmale der Vertragsparteien. Zu dieser Gruppe zwingender Normen gehören zum Beispiel die Generalklauseln der §§ 138 Abs. 1 und 2, 307 BGB sowie die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle gemäß § 19 GWB bzw. Art. 102 AEUV. Im Rahmen der vorliegenden Studie werden beide Kategorien zwingenden Vertragsrechts – die speziellen Dispositionsverbote und die allgemeinen Schranken – als Instrumente der vertraglichen Inhaltskontrolle verstanden. In Übereinstimmung mit einer neueren Auffassung im juristischen Schrifttum wird damit von einem weiten Begriff der Inhaltskontrolle ausgegangen:26 Er steht für jegliche staatliche Regulierungsmaßnahme, die der vertraglichen Inhaltsfreiheit Grenzen setzt.27
III. Gang der Untersuchung und methodische Vorbemerkung Im ersten Teil der Arbeit werden die Grundlagen für die spätere Untersuchung gelegt. Nach einem kurzen Überblick über die Funktionsweise des Marktmechanismus werden mögliche Gründe dargelegt, weshalb in der Realität Märkte versagen und regulatorische Eingriffe erforderlich sind (§ 2). Sodann werden die Wechselwirkungen zwischen Markt und Recht skizziert (§ 3). Der zweite Teil widmet sich dem zwingenden Vertragsrecht und erläutert, welche Funktionen es im Marktsystem wahrnimmt (§ 4). Im dritten und letzten Teil der Untersuchung werden zwei exemplarische Fallgruppen zwingenden Vertragsrechts herausgegriffen und näher beleuchtet: zum einen das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 5) und zum anderen die nichtdispositiven Haftungsregeln im Verhältnis zwischen gewerblichen Leistungsanbietern und ihren Kunden (§ 6). Ein methodischer Hinweis ist noch vorauszuschicken: Der Untersuchungsgegenstand und insbesondere die bereits erwähnte marktbezogene Betrachtung 26 So auch Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 141; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 490; ähnlich auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 245 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 296 ff. Von einem engeren Begriff der Inhaltskontrolle hingegen ausgehend Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 5 ff.; Becker WM 1999, 709, 711. 27 Nach hier vertretener Auffassung ist folglich auch das „Überraschungsverbot“ des § 305c Abs. 1 BGB eine Form der Inhaltskontrolle, sofern es an den Regelungsinhalt einer AGB-Klausel anknüpft (und nicht etwa an die äußere Gestaltung wie z. B. das Druckbild oder dgl.), vgl. hierzu unten § 5 II. 2. a).
§ 1 Einleitung
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bringen es mit sich, dass die Forschungsansätze der ökonomischen Analyse des Rechts für die vorliegende Studie eine wichtige Rolle spielen. Klarzustellen ist, dass es hier in erster Linie auf die Argumente und Erkenntnisse der ökonomischen Analyse als positiver Wissenschaft und nicht auf deren normatives Programm ankommt.28 Die positive Theorie der Rechtsökonomik ist deskriptiv und wertneutral: Sie ermittelt zum einen die realen Folgen rechtlicher Regeln. Sie kann ferner Aussagen darüber treffen, welche Konsequenzen sich ergeben, wenn Regulierungsmaßnahmen unterbleiben und den Marktkräften freies Spiel eingeräumt wird. Konkret im Zusammenhang mit zwingendem Vertragsrecht vermag die positive ökonomische Analyse zu beschreiben, welche Folgen zwingende Regeln für das Vertragsverhältnis und den Markt insgesamt haben und welcher Zustand ohne die betreffenden Normen bzw. bei Geltung alternativer Regelungsinstrumente herrschen würde. Auf dieser Tatsachengrundlage lässt sich dann im Einklang mit den Wertungen der geltenden deutschen und europäischen Rechtsordnung beurteilen, ob die Beschränkung der Vertragsfreiheit sinnvoll und legitim ist. Ebenso lässt sich mithilfe der positiven Analyse Klarheit über den Normzweck einer zwingenden Vorschrift gewinnen, wodurch die teleologische Gesetzesauslegung erleichtert wird. Als wertneutrales heuristisches Hilfsmittel berührt die positive ökonomische Theorie die normativen Vorgaben der Rechtsordnung nicht und achtet somit das „Primat der Rechtszwecke“.29 Anders verhält es sich hingegen mit der Ökonomik als normativem Programm. Diese spricht Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen aus. Sie bestimmt, welchen Inhalt das Recht haben sollte, welche Regelungen der Gesetzgeber erlassen und wie sie die Rechtsprechung anwenden sollte. Das rechtspolitische Programm orientiert sich dabei am Effizienzziel. Rechtliche Regeln sind danach so auszugestalten, dass sie den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand maximieren. Eine derartige Ausrichtung kann in Konflikt zum Wertesystem der Rechtsordnung geraten, das neben der Wohlstandsförderung auch noch anderen Zielen verpflichtet ist. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass beide Werteordnungen in Einzelfällen zum gleichen Ergebnis gelangen, die effiziente Regelung also auch die von der Rechtsordnung gebotene ist.30 Derartige Übereinstimmungen ergeben sich jedoch 28 Näher zur grundlegenden Unterscheidung zwischen der positiven und der normativen Dimension der ökonomischen Analyse Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 58 f.; Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 24. 29 So Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 35, zur Beschreibung des Rangverhältnisses zwischen Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Zu den „Hilfsaufgaben“ der Wirtschaftswissenschaften für die Rechtswissenschaft ebd. S. 39 ff. Vgl. ferner Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 29 f.; S. Martens Rechtstheorie 42 (2011), 145, 151 f. 30 Vgl. zu möglichen Kongruenzen zwischen dem normativen Programm der Rechtsökonomik und den Wertevorstellungen der Rechtsordnungen Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 452 ff.; Fleischer/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.), Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 9, 22 ff.; vgl. auch im weiteren Verlauf § 5 II 2 c) aa) (2) (b).
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§ 1 Einleitung
nicht zwangsläufig. Für die Zwecke der vorliegenden Studie, die das zwingende Vertragsrecht im konkreten Kontext der geltenden Rechtsordnung und nicht auf abstrakter regulierungstheoretischer Ebene untersucht, können in normativer Hinsicht nur die Werte und Ziele der Rechtsordnung maßgebend sein und nicht das rechtspolitische Programm der ökonomischen Theorie.
1. Teil
Grundlegung § 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive Der Schutz des Marktes als Aufgabe der Rechtsordnung wirft zwei grundlegende Fragen auf. Erstens ist zu klären, ob die Schaffung und Erhaltung funktionsfähiger Märkte ein legitimes Ziel staatlichen Handelns ist. Es gilt zu ermitteln, inwieweit die marktwirtschaftliche Organisationsform bestimmter Gesellschaftsbereiche mit den Grundwertungen der Rechtsordnung in Einklang steht. Wird die Legitimität bejaht, stellt sich zweitens die Frage nach dem Wie der staatlichen Intervention. Welche regulatorischen Maßnahmen sind im Einzelnen zu ergreifen, um die Funktionsfähigkeit von Märkten zu sichern? Um eine Antwort auf diese Fragen zu geben, ist ein Blick auf die Wirkungsweise des Marktmechanismus unverzichtbar. Im Folgenden soll deswegen skizziert werden, wie der Markt funktioniert, was er zu leisten vermag und wo die Grenzen seines Leistungsvermögens liegen. Dabei sollen zunächst die Rolle und der Einfluss der Rechtsordnung ausgeblendet werden: Der Betrachtung wird das Modell eines unregulierten Marktes in einem hypothetischen „vorrechtlichen“ Zustand zugrunde gelegt. Dieser Ansatz, der auch der üblichen Darstellungsweise in der mikroökonomischen Theorie entspricht,1 lässt das „natürliche“ Potenzial des Marktmechanismus sichtbar werden. Auf dieser Grundlage lassen sich in einem späteren Schritt Notwendigkeit und Wirkungen regulatorischer Eingriffe besser beurteilen.
I. Der idealtypische Markt 1. Der Marktprozess als Kombination von Kooperation und Konkurrenz Nach Max Weber soll „von einem Markt (. . .) gesprochen werden, sobald auch nur auf einer Seite eine Mehrheit von Tauschreflektanten um Tauschchancen konkurrieren.“ 2 Zwei Grundelemente prägen also den Markt: Tausch und Wett1 In der Mikroökonomik wird das fiktive Modell einer unregulierten „Urwirtschaft“ häufig am Beispiel des in der Wildnis gestrandeten Robinson Crusoe veranschaulicht, vgl. etwa das Standardwerk von Varian, Intermediate Microeconomics, S. 609 ff. 2 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 382.
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1. Teil: Grundlegung
bewerb.3 Zwei Lager von Marktakteuren – Anbieter und Nachfrager – konkurrieren jeweils untereinander um die Möglichkeit, mit der Gegenseite Kooperationen in Form von Tauschgeschäften einzugehen. Diese Kombination aus Konkurrenz und Kooperation speist den Marktprozess. Ausgangspunkt der Darstellung ist der idealtypische Markt, d.h. der Markt unter Zugrundelegung perfekter Funktionsbedingungen.4 Das idealtypische Modell beruht auf einer Reihe von Grundannahmen, darunter insbesondere folgenden: – Die Marktakteure verhalten sich vollkommen rational. Unter verschiedenen Handlungsalternativen wählen sie stets diejenige, die ihnen den größten Nutzen einbringt. Darüber hinaus sind sie perfekt informiert. Sie kennen ihre eigenen Präferenzen sowie die Preise und Eigenschaften der am Markt gehandelten Güter und Leistungen. – Es fallen keine Transaktionskosten an. Weder der Abschluss noch die Durchführung der Tauschgeschäfte sind mit Kosten verbunden. Gleiches gilt für die Phase der Geschäftsanbahnung: Es wird unterstellt, dass die Suche des Geschäftspartners, das Sammeln von Informationen über den Transaktionsgegenstand, die Verhandlung über die Konditionen etc. keinerlei Aufwand erfordern. – Auf dem Markt herrschen wirksame Wettbewerbsbedingungen. Die Marktstruktur ist dadurch gekennzeichnet, dass jedes Gut von einer Vielzahl von Akteuren angeboten und nachgefragt wird (sog. atomistische Marktstruktur im Gegensatz zu Angebots- bzw. Nachfragemonopolen). Auch wenn ein Anbieter ein neues Produkt auf den Markt bringt, ist seine Stellung als Alleinanbieter nur von vorübergehender Dauer. Dies hängt damit zusammen, dass ein hoher Grad an Mobilität auf dem Markt unterstellt wird, d.h. es existieren keine nennenswerten Zu- und Austrittsschranken. Infolgedessen können andere Anbieter das innovative Produkt nachahmen und so in Konkurrenz zum Erfinder treten. Nun ist klar, dass in der Realität keine Märkte vorzufinden sind, die alle diese Annahmen erfüllen. Doch trotz seines fiktiven Charakters ist der idealtypische Markt ein nützliches Referenzmodell: Der Vergleich zwischen den realen Bedingungen und den fiktiven Modellannahmen kann die Ursachen aufzeigen, weshalb bestimmte Märkte in der Wirklichkeit nicht funktionieren. Hierauf wird noch im weiteren Verlauf zurückzukommen sein, wenn einzelne der oben genannten Idealbedingungen aufgegeben und die daraus resultierenden Formen des Marktversagens beschrieben werden.5 Darüber hinaus gibt das idealtypische Modell Aufschluss über die immanenten Leistungsgrenzen des Marktsystems: Was selbst 3 Zu diesen Grundelementen des Marksystems vgl. auch Böhm, Ordnung der Wirtschaft, S. 105 ff.; Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 205 ff. 4 Zu den idealtypischen Wirtschaftssystemen als abstrakten Modellkonstruktionen s. näher Peters, Wirtschaftssystemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik, S. 18 f. 5 Siehe unten § 2 II.
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
25
ein perfekt funktionierender hypothetischer Markt nicht zu leisten vermag, lässt sich auch nicht in der Realität durch eine Verbesserung der Funktionsvoraussetzungen des Marktes erreichen. Wie noch zu sehen sein wird, stößt das Marktsystem beispielsweise an seine Grenzen, wenn es um die Verwirklichung einer gerechten Wohlstandsverteilung in der Gesellschaft geht. Hier wäre es aus Sicht des Gesetzgebers folglich verfehlt, zur Erzielung gerechter Verteilungsergebnisse allein auf die Marktförderung zu setzen – vielmehr sind auch kompensatorische Eingriffe in das Marktgeschehen unvermeidbar. Im Folgenden sollen nun die wesentlichen Vorteile erörtert werden, die das Marktsystem mit sich bringt: zum einen die Mehrung des (wirtschaftlichen6) Wohlstands in der Gesellschaft (hierzu sogleich 2.) sowie zweitens die Achtung der Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums (sodann 3.). Im Anschluss daran wird auf die Frage eingegangen, inwieweit der Markt auch „gerecht“ ist (dazu unten 4.). 2. Wohlstandseffekte Das Zusammenwirken des Kooperations- und des Konkurrenzelements des Marktes erzeugt Wohlfahrtseffekte, die sich mit drei verschiedenen Formen von Effizienz identifizieren lassen, nämlich der allokativen, der produktiven und der dynamischen Effizienz. a) Allokationseffizienz durch Tauschgeschäfte aa) Die Produktivität des Tauschs Der freie Austausch von Waren und Dienstleistungen auf dem Markt mehrt den Wohlstand der beteiligten Transaktionspartner. Die wertschöpfende Wirkung reiner Tauschverträge mag auf den ersten Blick überraschen, da man zunächst vermuten könnte, der Tausch sei ein bloßes Nullsummenspiel, bei dem der Gewinn einer Partei genau dem Verlust des Gegners entspricht. In Wirklichkeit ziehen beide Parteien einen positiven Gewinn aus dem Handel. Rationale, auf die Steigerung ihres Nutzens bedachte Parteien gehen nur dann aus freien Stücken ein Tauschgeschäft miteinander ein, wenn sie sich davon einen Vorteil versprechen.7 Der angestrebte Vorteil besteht darin, dass beide Parteien den jeweils erworbenen Gegenstand für ihre persönlichen Zwecke höher bewerten als den weggegebenen.
6 Zur Abgrenzung des wirtschaftlichen vom allgemeinen Wohlstand Luckenbach, Theoretische Grundlagen der Wirtschaftspolitik, S. 18 f. 7 Vgl. hierzu auch M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13 („Hence, no exchange will take place unless both parties do benefit from it“).
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1. Teil: Grundlegung
Das Prinzip des beidseitigen Nutzens aus dem Tauschhandel, das auch jedem gegenseitigen Vertrag zugrunde liegt, ist vom OLG Stuttgart treffend beschrieben worden: „Im gegenseitigen Vertrag sollen beide Parteien ihren subjektiven Vorteil finden können. Unser Vertragsrecht baut auf dem Gedanken auf, dass der Austausch von Leistung und Gegenleistung deshalb für die Volkswirtschaft und die Vertragspartner sinnvoll sei, weil davon in der Regel beide Parteien ihren subjektiven Vorteil haben könnten, relativ unabhängig vom jeweiligen – sowieso nur schwer fassbaren – objektiven Wert der Leistungen (. . .).“ 8
Wie schon in den Ausführungen des OLG Stuttgart anklingt, liegt der Schlüssel für das Verständnis der Produktivität des Tausches in der subjektiven Wertlehre: Der Wert eines Guts bemisst sich nicht nach objektiven, dem Gut selbst anhaftenden Merkmalen, sondern allein nach den individuellen Präferenzen des jeweiligen Nachfragers.9 Im Rahmen der subjektiven Werttheorie ist es nicht nur denkbar, dass unterschiedliche Individuen zu einer divergierenden Bewertung desselben Guts gelangen – auch die Wertschätzung durch dieselbe Person ist nicht zwangsläufig konstant. Wie viel eine bestimmte Sache jemandem „wert“ ist, hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.10 So besagt beispielsweise die „Theorie des sinkenden Grenznutzens“, die eine fundamentale Annahme für die Analyse des Konsumverhaltens formuliert, dass die Wertschätzung für jede zusätzlich erworbene Einheit eines Guts abnimmt.11 Der Wert, den ein Gut für ein Individuum hat, wird mit anderen Worten davon beeinflusst, wie viele Einheiten des gleichen Guts dem Individuum bereits zur Verfügung stehen: Je größer die Zahl, desto geringer die Wertschätzung für ein weiteres Stück. Wie dieses Beispiel zeigt, ist aus ökonomischer Sicht der Wert eines Tauschgegenstands eine relative Größe. Die Möglichkeit zu wohlstandserhöhenden Tauschgeschäften ist immer dann gegeben, wenn ein Gut für den Anbieter einen niedrigeren Reservationspreis hat als für den Nachfrager. Unter dem Reservationspreis ist aus Sicht des Anbieters der niedrigste Preis zu verstehen, zu dem er das Gut verkaufen würde, aus Sicht des Nachfragers hingegen der höchste Preis, den er für das Gut zu bieten bereit ist.12 Der Reservationspreis drückt damit den monetären Wert aus, den eine Partei dem Gut beimisst. Liegt der Reservationspreis des Nachfragers über dem des 8
OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2410 (Hervorhebungen im Original). Vgl. zur subjektiven Werttheorie Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 41; Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 125. 10 Vgl. etwa Varian, Intermediate Microeconomics, S. 33 ff., mit dem Beispiel, dass der Wert eines Regenschirms davon abhängt, ob es gerade regnet oder die Sonne scheint. 11 Vgl. etwa Lipsey/Chrystal, Principles of Economics, S. 87 f.; Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 125. 12 Varian, Intermediate Microeconomics, S. 109 in Fn. 1. 9
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
27
Anbieters, verspricht eine Transaktion beiden Parteien Kooperationsgewinne (man spricht auch von einer Kooperationsrente). Das folgende Beispiel soll die Zusammenhänge näher verdeutlichen: A verfügt über ein Gut x, das für ihn einen Reservationspreis in Höhe von A 100 hat. B ist bereit, für x A 200 zu zahlen. Unter diesen Voraussetzungen können beide Parteien einen Gewinn realisieren, wenn A dem B x für eine Summe zwischen A 100 und A 200 überlässt. Einigen sich die Parteien etwa auf einen Tauschbetrag von A 100,01, erzielt A einen – wenn auch minimalen – Gewinn, da er aus dem Handel einen Cent mehr erhält, als ihm x wert ist. Umso größer fällt der Vorteil für B aus, der lediglich A 100,01 für einen Gegenstand zahlt, der ihm fast das Doppelte wert ist. Genau umgekehrt sind die Erträge aus dem Geschäft verteilt, wenn x gegen eine Summe von A 199,99 getauscht wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass die Parteien in der Summe stets einen Kooperationsgewinn in Höhe der Differenz zwischen den beiden Reservationspreisen realisieren, nämlich A 100.13 Der gesamtgesellschaftliche Wohlstandszuwachs infolge der Tausches bleibt also grundsätzlich davon unberührt, welchen Tauschbetrag zwischen A 100 und A 200 A und B im Einzelnen vereinbaren. Das Tauschverhältnis spielt lediglich für die Verteilung des Kooperationsgewinns zwischen den Parteien eine Rolle. Auf diesen Aspekt wird zurückzukommen sein, wenn die Frage der „Gerechtigkeit“ des Marktmechanismus erörtert wird.14 bb) Tauschgeschäfte und Pareto-Effizienz In der Wohlfahrtsökonomik werden die aus Tauschgeschäften resultierenden Wohlstandsgewinne als Effizienzverbesserung im Sinne des Pareto-Kriteriums bezeichnet. Das Kriterium der Pareto-Effizienz ist ein Wohlstandsindikator: Eine Pareto-Verbesserung meint eine soziale Veränderung, die die Position mindestens eines Gesellschaftsmitglieds verbessert und die aller übrigen Mitglieder nicht verschlechtert.15 Legt man diese Definition zugrunde, steigert jede Tauschtransaktion in einem idealtypischen Markt die Pareto-Effizienz: Beide Transaktionspartner stehen als Ergebnis des Geschäfts besser, während die Position aller übrigen Gesellschaftsmitglieder von dem Handel unberührt bleibt.16 13 Dies gilt freilich nur unter der eingangs aufgestellten Annahme, dass keine Transaktionskosten anfallen. Fielen Transaktionskosten an, würden diese die erzielbaren Kooperationsgewinne mindern. 14 Unten § 2 I. 4. 15 Vgl. näher zum Pareto-Kriterium z. B. Luckenbach, Theoretische Grundlagen der Wirtschaftspolitik, S. 23 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 48 ff.; Coleman, Markets, Morals, and the Law, S. 71 ff. 16 Die Transaktion bringt keine Pareto-Verbesserung mit sich, wenn sie unbeteiligte Dritte schädigt. In diesem Fall liegt ein Marktversagen in Form negativer externer Effekte vor [s. dazu näher unten § 4 I. 3. a)]. Im idealtypischen Marktmodell wird allerdings unterstellt, dass Transaktionen keine derartigen Externalitäten verursachen.
28
1. Teil: Grundlegung
Rationale, nutzenmaximierende Akteure werden jede Möglichkeit zur Realisierung von Kooperationsgewinnen ausnutzen, die sich ihnen am Markt bietet. Dies bedeutet, dass die verfügbaren Güter solange getauscht werden, bis schließlich jedes von ihnen von demjenigen Akteur erworben wird, der es am höchsten bewertet.17 Dieser Zustand stellt ein Pareto-Optimum dar: Es ist nunmehr keine weitere Umverteilung von Gütern denkbar, durch die ein Individuum besser gestellt werden könnte, ohne zugleich die Position eines anderen zu verschlechtern. Die Gewinnpotenziale aus der Kooperation sind voll ausgeschöpft; die Ressourcenallokation ist effizient. Das Wohlstandskonzept, das dem Pareto-Kriterium zugrunde liegt und mit der Allokationsfunktion des Marktes verknüpft ist, kommt den Grundwerten einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung in besonderem Maß entgegen. Dieser Aspekt spielt eine wichtige Rolle für die eingangs gestellte Frage, ob die Förderung der Marktwirtschaft ein legitimes Ziel der staatlichen Rechtsordnung ist. Der Wohlstandsbegriff des Pareto-Kriteriums ist zunächst ein individualistischer:18 Maßstab für den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand ist der individuelle Wohlstand der einzelnen Gesellschaftsmitglieder. Verringert sich also das Nutzenniveau eines Individuums bei im Übrigen gleichen Bedingungen, nimmt automatisch auch der gesamtgesellschaftliche Wohlstand ab. Der individualistische Wohlstandsbegriff ist in Abgrenzung vom kollektivistischen zu sehen, der blind für die Wohlstandssituation des Einzelnen ist. Nach diesem Ansatz ist es denkbar, dass der Gesellschaftswohlstand sogar dann zunimmt, wenn das individuelle Nutzenniveau aller Gesellschaftsmitglieder absinkt. – Darüber hinaus achtet das ParetoKriterium in besonderer Weise die Interessen und die Autonomie eines jeden einzelnen Individuums. Eine individualistische Wohlstandskonzeption allein schließt noch nicht eine „Diktatur der Mehrheit“ aus, in der eine Mehrheit von Gesellschaftsmitgliedern ihren (individuellen) Wohlstand auf Kosten einer Minderheit steigert. Nun ist es auch in einer freiheitlichen Gesellschaft keineswegs immer illegitim, Nachteile Einzelner in Kauf zu nehmen, um Verbesserungen für andere Gesellschaftsmitglieder zu verwirklichen – man denke zum Beispiel nur an den Bau von Infrastrukturprojekten, die Anwohner beeinträchtigen, in ihrer gesamtwirtschaftlichen Bilanz jedoch Vorteile bringen.19 Um in derartigen Konflikt17 Dass private Verhandlungen über die Zuordnung von Ressourcen eine effiziente Allokation hervorbringen, ist eine der zentralen Aussagen des sog. Coase-Theorems. Grundlegend dazu Coase, Journal of Law and Economics 3 (1960), 1. Vgl. zur Bedeutung des Theorems für die ökonomische Analyse des Rechts Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 59 ff.; de Meza, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Law and Economics, Bd. 1, S. 270 ff. 18 Vgl. Luckenbach, Theoretische Grundlagen der Wirtschaftspolitik, S. 19 f.; vgl. auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 3, die in diesem Zusammenhang von „normativem Individualismus“ sprechen. 19 Vgl. zur Problematik auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 52 f.; 169 ff.; Calabresi Yale L.J. 100 (1991), 1211.
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
29
lagen unzumutbare Härten zu vermeiden, ist die Schaffung besonderer Kontrollmechanismen erforderlich. Diese gewährleisten beispielsweise, dass die Vorteile der Mehrheit und die Nachteile der Minderheit in einem vernünftigen Maß stehen und dass Eingriffe in besonders schutzwürdige Individualpositionen zur Mehrung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands unterbleiben. Das Wohlstandskonzept der Pareto-Effizienz birgt demgegenüber kein vergleichbares Konfliktpotenzial und ist folglich deutlich leichter zu legitimieren: Wie die Definition des Pareto-Kriteriums erkennen ließ, scheidet ein gesamtgesellschaftlicher Wohlstandsgewinn auf Kosten Einzelner begrifflich aus. Völlig unerheblich ist dabei, wie klein die Beeinträchtigung für den Betroffenen und wie groß im Gegenzug die Vorteile für die übrigen Gesellschaftsmitglieder ausfallen. Der Allokationsmechanismus des Marktes schließt also aus, dass der Einzelne gegen seinen Willen zum Wohle anderer „geopfert“ wird.20 Dieser Aspekt des Marktsystems dürfte auf breiten gesellschaftlichen Konsens stoßen. b) Produktive Effizienz Der Marktmechanismus fördert den gesellschaftlichen Wohlstand ferner dadurch, dass er auf Produktionseffizienz hinwirkt. Von produktiver Effizienz spricht man dann, wenn die vorhandenen Produktionsfaktoren ihrer produktivsten Verwendung zugeführt werden und auf diese Weise die volkswirtschaftliche Wertschöpfung maximiert wird.21 Zur Erreichung des Produktionsoptimums tragen sowohl das Kooperations- als auch das Konkurrenzelement des Marktsystems bei. Die Möglichkeit des freien Austauschs von Gütern und Dienstleistungen ist die Voraussetzung für Arbeitsteilung und Spezialisierung in der Produktion. Der Einzelne muss nicht alles, was er zum Leben braucht, aus eigener Hand herstellen. Er kann sich stattdessen darauf konzentrieren, nur ein bestimmtes Gut zu produzieren oder nur eine bestimmte Leistung zu erbringen, und zwar nicht zur eigenen Versorgung, sondern als Tauschobjekt für die Gegenstände, die er zum persönlichen Verbrauch benötigt. Durch die Spezialisierung können Größenvorteile realisiert und auf diese Weise die Produktivität gesteigert werden.22 Den Zusammenhang zwischen Arbeitsteilung, Tauschgeschäften und hoher Produktivität hob bereits Adam Smith gleich zu Beginn seines berühmten Werks „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ von 1776 hervor: 20 Vgl. zum „Konsensprinzip“ des Pareto-Kriteriums auch insbesondere Möschel, FS Mestmäcker, S. 355, 359: „Menschen werden nicht als Instrumente der Wohlfahrt eines anderen betrachtet, sondern als Ziele in sich selbst“. 21 Lipsey/Chrystal, Principles of Economics, S. 287; Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 28 ff. 22 Eine Übersicht der einzelnen Größenvorteile bei der Produktion bietet Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 160 f.
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1. Teil: Grundlegung „It is the great multiplication of the productions of all the different arts, in consequence of the division of labour, which occasions, in a well-governed society, that universal opulence which extends itself to the lowest ranks of the people. Every workman has a great quantity of his own work to dispose beyond what he himself has occasion for; and every other workman being exactly in the same situation, he is enabled to exchange a great quantity of his own goods for a great quantity, or, what comes to the same thing, for the price of a great quantity of theirs. He supplies them abundantly with what they have occasion for, and they accommodate him as amply with what he has occasion for, and a general plenty diffuses itself through all the different ranks of the society.“ 23
Daneben hat auch das Konkurrenzelement des Marktes entscheidenden Anteil an der produktiven Effizienz. Um im Wettbewerb zu bestehen, sind die Anbieter gezwungen, ihre Produkte zu möglichst günstigen Preisen zu offerieren. Damit sie dazu in der Lage sind, müssen sie auf niedrige Produktionsstückkosten achten und folglich den Herstellungsprozess rationalisieren, Größenvorteile ausnutzen usf. Auf diese Weise wird für einen effizienten Einsatz der Produktionsfaktoren gesorgt. c) Dynamische Effizienz Schließlich mehrt der Marktwettbewerb den Wohlstand durch die Förderung von Innovationen. Die technische Verbesserung von Produkten und Produktionsverfahren bringen den Unternehmen Vorteile im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf: Innovative Produkte treffen beim Nachfrager auf höhere Wertschätzung, Fortschritte im Herstellungsverfahren ermöglichen es den Unternehmen, ihre Waren billiger zu produzieren. Dem Erfinder winkt bis zur Nachahmung der Innovation durch die Konkurrenz eine vorübergehende Monopolstellung, die ihm die Erzielung von „Pionier-“ bzw. „Gründergewinnen“ erlaubt.24 Die Aussicht auf solche Gewinne ist ein ständiger Ansporn zur Entwicklung von Innovationen. Die Dynamik des Marktes, seine Natur als „evolutorisches System“ 25 haben hierin ihren Ursprung. 3. Individuelle Freiheit Eine marktwirtschaftlich verfasste Gesellschaftsordnung räumt dem Individuum wirtschaftliche Handlungsfreiheit ein. Um die Freiheitsdimension der Marktwirtschaft zu erfassen, ist zunächst eine kurze Übersicht darüber geboten,
23
A. Smith, Wealth of Nations, S. 22. Grundlegend Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 207 ff. (speziell zum „Gründergewinn“ s. S. 217). 25 So Hoppmann, in: Francke (Hrsg.), Ökonomischer Individualismus und freiheitliche Verfassung, 129, 140. 24
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
31
wie die wirtschaftlichen Aktivitäten auf dem Markt im Wesentlichen gesteuert werden. a) Das Prinzip der dezentralen Koordination und die Rolle des Preismechanismus Die Grundfrage jedes Wirtschaftssystems lautet: Wer soll was für wen produzieren?26 Charakteristisch für die Marktwirtschaft ist, dass die Antwort auf diese Frage nicht von einer übergeordneten zentralen Instanz diktiert wird, wie etwa einem staatlichen Organ. Anstelle einer gezielt-planmäßigen Steuerung findet eine dezentrale, „spontane“ 27 Koordination des Wirtschaftsgeschehens statt. Sie ergibt sich aus dem Zusammenwirken des individuellen Angebots- und Nachfrageverhaltens der einzelnen autonomen Marktakteure. Adam Smith hat diesen Lenkungsmechanismus mit der berühmten Metapher der „invisible hand“ beschrieben.28 Maßgebend für die Koordination des Marktgeschehens ist die Rolle der Preise.29 Sie bestimmen auf der einen Seite die Nachfrage. Bei der Entscheidung, ob sie ein bestimmtes Gut erwerben sollen, vergleichen die Konsumenten den Marktpreis mit der Summe, die sie persönlich für die Anschaffung zu zahlen bereit sind. Ist die Zahlungsbereitschaft höher als der Marktpreis, kommt es zum Erwerb des Guts, andernfalls unterbleibt die Transaktion. Umgekehrt hat das Nachfrageverhalten einen Rückkopplungseffekt auf den Marktpreis, der wiederum das Angebot beeinflusst: Wird ein Produkt stärker nachgefragt, steigt in der Folge dessen Preis. Die Preiserhöhung macht für die Unternehmen die Herstellung des Guts profitabler. Die auf dem Markt vorhandenen Hersteller werden folglich einen Anreiz haben, ihre Produktion auszuweiten. Die Aussicht auf Gewinne wird unter Umständen auch neue Hersteller auf den Markt locken. Somit signalisieren die Preise als Knappheitsindikatoren den Anbietern die gestiegene Nachfrage und bewirken in der Folge eine Ausweitung des Produktionsvolumens. Die Märkte für unterschiedliche Güter und Leistungen sind keine geschlossenen Systeme, sondern im Gegenteil auf vielfältige Art miteinander verflochten. Was etwa auf einem Markt als Erzeugnis gehandelt wird, ist auf einem anderen 26
Vgl. Samuelson/Nordhaus, Volkswirtschaftslehre, S. 30 ff. Zum Begriff der „spontanen Ordnung“ in diesem Zusammenhang s. von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, S. 57 ff. 28 Vgl. A. Smith, Wealth of Nations, S. 456; anschaulich auch Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 215, die von der Marktkoordination als „nicht-intendiertes Resultat intentionaler Handlungen“ sprechen. 29 Vgl. von Hayek American Economic Review 35 (1945), 519, 525 ff.; Böhm ORDO 22 (1971), 11, 18 f.; Peters, Wirtschaftssystemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik, S. 21 f.; Samuelson/Nordhaus, Volkswirtschaftslehre, S. 57 ff. 27
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1. Teil: Grundlegung
Markt ein Produktionsfaktor. Bei Substitutionsgütern erhöht die Verteuerung des einen Guts die Nachfrage des anderen.30 Im Verhältnis zwischen Komplementärgütern senkt der Preisanstieg bei einem Gut die Nachfrage auch des anderen Guts.31 Der Preismechanismus steuert also nicht nur das Geschehen innerhalb der verschiedenen Einzelmärkte, sondern gibt auch Veränderungen zwischen den Einzelmärkten weiter und lenkt so letztlich das volkswirtschaftliche Gesamtgeschehen. Die Steuerungsfunktion, die das Preissystem im Rahmen interdependenter Einzelmärkte wahrnimmt, hat Friedrich August von Hayek einmal am Beispiel einer Verknappung des Rohstoffs Zinn veranschaulicht.32 Die Verknappung bewirkt einen Preisanstieg, der die Abnehmer dazu veranlasst, ihre Nachfrage zu drosseln und auf Substitutionsgüter auszuweichen. Die Preise der Substitute werden infolgedessen ebenfalls steigen, was wiederum das Angebot- und Nachfrageverhalten auf den betreffenden Märkten beeinflussen wird. Die ursprüngliche Preisänderung auf dem Zinnmarkt löst somit eine Kette von Reaktionen aus, die nach und nach das gesamte Wirtschaftssystem erfasst und schließlich zu einem neuen wirtschaftlichen Gleichgewicht führt. Wie von Hayek hervorhebt, liegt die Besonderheit dieses Prozesses darin, dass er ganz ohne die „Zentralisierung“ der relevanten Informationen auskommt.33 Würde die Wirtschaft demgegenüber nicht durch die Kräfte des Marktes, sondern von einem zentralen Entscheidungsorgan gelenkt, müsste für die Anpassung des Wirtschaftssystems auf die plötzliche Zinnverknappung eine enorme Fülle an Informationen gesammelt werden. Zunächst müsste das Planungsorgan vom Eintritt und dem Umfang der Rohstoffverknappung Kenntnis erlangen, was eine ständige Überwachung der Ressourcenverfügbarkeit voraussetzte. Erforderlich wären ferner Informationen über den Grad der Interdependenz der verschiedenen Einzelmärkte, also beispielsweise über die Substitutionsfähigkeit der einzelnen Rohstoffe. Erst auf dieser Grundlage könnten die notwendigen Anpassungsmaßnahmen ausgearbeitet werden, um das Wirtschaftssystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen. In der Praxis würde die Erfassung so vieler Informationen und Daten einen ungeheuren administrativen Aufwand bedeuten. Bei der dezentralen Koordination über das Preissystem ist hingegen die Bündelung von Informationen entbehrlich. Hier muss kein Akteur das Gesamtbild aller Zusammenhänge und Entwicklungen im Wirtschaftssystem kennen. Es genügt vielmehr, dass jeder nur über den Ausschnitt des Geschehens 30 Substitutionsgüter sind Güter, die ähnliche Bedürfnisse befriedigen und die folglich von den Konsumenten als gleichwertige Ersatzgüter wahrgenommen werden. Beispiele sind etwa Butter und Margarine, Benzin und Diesel, oder Fahrräder und der öffentliche Nahverkehr. 31 Komplementärgüter sind Güter, die typischerweise zusammen verbraucht werden, also beispielweise Autos und Treibstoff oder Skier und Skistiefel. 32 von Hayek American Economic Review 35 (1945), 519, 526 f. 33 von Hayek American Economic Review 35 (1945), 519, 524 f.
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
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informiert ist, der ihn selbst unmittelbar berührt,34 und auf dieser Basis seine Verhaltensentscheidungen trifft: „The whole acts as one market, not because any of its members survey the whole field, but because their limited individual fields of vision sufficiently overlap so that through many intermediaries the relevant information is communicated to all.“ 35
Durch die Mitwirkung am Marktprozess legen die Akteure ihre „privaten“ Informationen offen: So deckt beispielsweise das Nachfrageverhalten die Wertschätzung auf, die die Konsumenten einem bestimmten Gut entgegenbringen. Der Marktprozess ist mit anderen Worten ein „Entdeckungsverfahren“,36 bei dem die in der Gesellschaft verstreuten Informationen über das Medium der Preise zusammenfließen. Eine staatliche Preiskontrolle – darauf ist bereits an dieser Stelle hinzuweisen – stößt in einer Marktwirtschaft nicht nur deswegen auf Bedenken, weil sie die individuellen Präferenzen der Marktakteure außer Acht lässt und dadurch dem Selbstbestimmungsprinzip zuwider läuft. Der regulatorische Eingriff setzt überdies die Signal- und Informationsfunktion des Preissystems außer Kraft und gefährdet so die Koordinationsleistung des Marktmechanismus.37 Wird also beispielsweise ein Höchstpreis für bestimmte Güter oder Leistungen verordnet, sind die Preise nur noch unzuverlässige Knappheitsindikatoren: Sie bilden nicht das wahre Ausmaß der Nachfrage ab, wodurch die Angebotsseite nicht in angemessener Weise zu ihrer Befriedigung reagieren kann. Das Ergebnis sind Wohlstandseinbußen durch Fehlallokationen von Ressourcen. b) Wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Individuums Die individualistische Ausrichtung der Marktwirtschaft war bereits im Zusammenhang mit dem Wohlstandskonzept der Pareto-Effizienz erkennbar geworden.38 Der dem Marktsystem innewohnende Koordinationsmechanismus, von dem soeben die Rede war, offenbart nun einen weiteren Grund, weshalb das Marktmodell für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung erstrebenswert ist: Es beruht auf dem Prinzip individueller Handlungsfreiheit. Die Akteure sind „free to choose“,39 sie sind in ihrem wirtschaftlichen Handeln insofern frei, als sie souverän bestimmen können, was sie unter den gegebenen Marktverhältnissen 34 Zum begrenzten Wissen des Einzelnen im Wirtschaftssystem s. auch von Hayek ORDO 1 (1948), 19, 29 f. 35 von Hayek American Economic Review 35 (1945), 519, 526. 36 von Hayek, in: Freiburger Studien (1969), S. 249 ff. 37 Vgl. etwa Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 77 f. 38 Oben I. 1. a) bb). 39 Vgl. das gleichnamige Werk von M. Friedman und R. Friedman.
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1. Teil: Grundlegung
konsumieren bzw. produzieren wollen. Sie können ferner entscheiden, mit wem und zu welchen Bedingungen sie Kooperationen eingehen wollen. Die Marktkonkurrenz sorgt dafür, dass die Auswahlfreiheit des Individuums nicht bloß eine theoretische ist, sondern dass sie tatsächliche Alternativen bietet. Die Freiheit des Einzelnen, nach den eigenen Präferenzen zu handeln, wird in der Ökonomik als Präferenzautonomie bezeichnet.40 Im Grundsatz der Präferenzautonomie liegt einer der fundamentalen Unterschiede zwischen der Markt- und der Zentralverwaltungswirtschaft. In letzterer sind die Individuen einem fremden Wirtschaftsplan unterworfen, sie sind gleichsam Räder in einer fremdgesteuerten Maschinerie. Walter Eucken hat die Gegensätze zwischen den beiden Wirtschaftssystemen bei der Ressourcenallokation so auf den Punkt gebracht: In der Zentralwirtschaft werden die Produktionsfaktoren und Konsumgüter obrigkeitlich zugewiesen, während sie in der Marktwirtschaft von den Gesellschaftsmitgliedern freiwillig getauscht werden.41 Wenn das Individuum in der marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaft als „frei“ beschrieben wird, dann im Sinne eines negativen Freiheitsbegriffs:42 Freiheit meint nach diesem Verständnis Abwesenheit von Zwang, gleich ob von staatlicher oder privater Seite.43 Anders gewendet: Der freie Status garantiert nicht, dass das Individuum positiv dazu in der Lage ist, die gewährten Handlungsspielräume den eigenen Wünschen gemäß zu nutzen und seine Pläne zu realisieren. Umstände in der eigenen Person (beispielsweise die Erwerbsunfähigkeit infolge einer körperlichen Behinderung) oder äußere Faktoren (etwa die größere Geschicklichkeit eines Konkurrenten oder die Verknappung eines Guts infolge einer Naturkatastrophe) können die Freiräume einengen oder sogar auf Null reduzieren.44 Dieses Freiheitsverständnis ist charakteristisch für den Liberalismus: Die Gesellschaft trägt zur Selbstverwirklichung des Einzelnen in erster Linie durch ein Unterlassen und nicht durch positive Unterstützung bei. Das Individuum wird lediglich vor Eingriffen Dritter geschützt, im Übrigen ist es für die Realisierung seiner Lebenspläne selbst verantwortlich. Als paradigmatisch für dieses Gesellschaftsmodell kann die Forderung Wilhelm von Humboldts gelten: „Der Staat 40 Zum Begriff der Präferenzautonomie vgl. ausführlich Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 326 ff.; Künzler, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit?, S. 183 ff. 41 Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 101. 42 Vgl. zur Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit Carter, Positive and Negative Liberty, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, m.w. N. 43 Vgl. stellvertretend für die Anhänger des negativen Freiheitsbegriffs etwa von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 14: Freiheit ist ein „Zustand, in dem ein Mensch nicht dem willkürlichen Zwang durch den Willen eines anderen oder anderer unterworfen ist (. . .)“. 44 Nach von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 21 ff., berühren solche Aspekte allein die „Macht“ des Individuums, lassen aber die „Freiheit“ unberührt. – Kritisch gegenüber dem negativen Freiheitsbegriff der Marktwirtschaft Sen, Oxford Economic Papers 45 (1993), 519, 527 ff.
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
35
enthalte sich aller Sorgfalt für den positiven Wohlstand der Bürger und gehe keinen Schritt weiter, als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig ist.“ 45 Die Freiheitsdimension der Marktwirtschaft ist insbesondere von den Vertretern des Ordoliberalismus46 hervorgehoben worden. So sieht Franz Böhm in der marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaft den Gegenentwurf zum feudalen Stände- und Privilegienstaat. Diese verwirkliche mit der Anerkennung der Freiheit und Gleichberechtigung ihrer Mitglieder die programmatischen Ziele der Französischen Revolution.47 Auch Walter Eucken betont den „Parallelismus im rechtspolitischen und wirtschaftspolitischen Denken und Handeln“. Es sei möglich gewesen, „in der Epoche liberaler Wirtschaftspolitik den Rechtsstaat zu realisieren“, der die Freiheitssphäre der Bürger anerkennt und schützt.48 Für Böhm wie für Eucken ist die Marktwirtschaft somit die Wirtschaftsform, die mit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung korreliert.49 c) Verhältnis zwischen individueller Freiheit und Wohlstand in der Marktwirtschaft Unter Wettbewerbstheoretikern ist der Stellenwert der Freiheit des Individuums im Einzelnen umstritten. Teilweise wird die Freiheit als per se erstrebenswertes Ziel, als Endzweck der Marktordnung aufgefasst. Für diese Sichtweise steht insbesondere die ordoliberale Lehre. Nach Ansicht Böhms etwa „. . . soll die Privatautonomie dem Menschen (. . .) kraft eines vorgesellschaftlichen, jedenfalls vorstaatlichen Anspruchs zustehen, um seiner selbst willen, nicht um eines sozialen oder politischen Zweckes willen.“ 50 Der Freiheitsaspekt stellt nach dieser Anschauung einen eigenständigen Legitimationsgrund für die marktwirtschaftliche Gesellschaftsform dar, der neben den Wohlstandsaspekt tritt. Die Gegenauffassung vertritt einen konsequentialistischen Ansatz: Die individuelle Freiheit wird vornehmlich als Mittel zur Erreichung des Effizienzziels
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von Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staats, S. 52 (kursiv im Original). Einen Überblick über die ordoliberale Lehre, die auch als Freiburger Schule bekannt ist, bietet Vanberg, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Law and Economics, Bd. 2, S. 172 ff. 47 Vgl. dazu grundlegend Böhm ORDO 17 (1966), 75 ff. 48 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 49. 49 Vgl. auch Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, S. 10: „Der Markt ist (. . .) Freiheitskorrelat.“ Siehe hierzu auch Herresthal, FS Canaris (2007), Bd. II, S. 1107, 1110 f. 50 Böhm ORDO 22 (1971), 11, 20 f.; vgl. allerdings auch außerhalb der ordoliberalen Schule z. B. Sen, Oxford Economic Papers 45 (1993), 519 ff., der für einen ,freedom-based approach‘ bei der Beurteilung des Marktsystems eintritt und dem Freiheitsaspekt größeres Gewicht zumisst als dem Wohlstandsaspekt. 46
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1. Teil: Grundlegung
wahrgenommen.51 Dass Freiheit Wohlstand fördert, wird vor allem am Beispiel der Allokationseffizienz deutlich: Im Zusammenhang mit dem Pareto-Kriterium war davon die Rede gewesen, dass ein Wohlstandsoptimum dann verwirklicht ist, wenn jede Ressource jeweils von demjenigen gehalten wird, für den sie den größten Wert besitzt.52 Da die Individuen selbst am besten beurteilen können, was für sie nützlich und wertvoll sind, erscheint es am zweckmäßigsten, sie frei über Erwerb und Veräußerung von Gütern und Leistungen entscheiden zu lassen. Eine zentrale hoheitliche Ressourcenzuweisung birgt demgegenüber das Risiko, nicht genau auf die individuellen Präferenzen abgestimmt zu sein und damit ineffiziente Ergebnisse hervorzubringen. Darüber hinaus spielt die individuelle Freiheit auch für die dynamische Effizienz eine Schlüsselrolle: Innovation und Fortschritt sind nur bis zu einem gewissen Grad planbar. Häufig entspringen sie auch der spontanen Erfindungsgabe sowie der Experimentier- und Risikofreudigkeit des Einzelnen.53 Ohne individuelle Freiräume stieße das „Entdeckungsverfahren“ rasch an seine Grenzen, da sich keine Möglichkeiten böten, schöpferisch und erfinderisch tätig zu werden. Die Frage nach der Rolle der Freiheit in der Marktwirtschaft hat in jüngerer Zeit auf dem Gebiet des Kartellrechts für Diskussion gesorgt. Gestritten wird um die Ziele des Rechts gegen Wettbewerbsbeschränkungen: Während die Befürworter eines „more economic approach“ das Ziel der Regulierung primär in der Maximierung der Verbraucherwohlfahrt sehen, hält die Gegenseite die Erhaltung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit für ein zumindest gleichrangiges Anliegen.54 Der Streit wird in den Konstellationen relevant, in denen Effizienz und Freiheit in Konflikt zueinander treten, d.h. eine Wohlstandssteigerung nur durch eine Freiheitseinschränkung möglich ist. Folgt man dem effizienzorientierten Ansatz, bereitet die Beschränkung der individuellen Freiheit grundsätzlich keine Legitimationsprobleme. Hier ist nun allerdings nicht der Ort, um die Frage nach dem Rangverhältnis zwischen dem Effizienz- und Freiheitsziel zu beantworten.55 Wie eingangs erwähnt, geht es vorliegend darum zu untersuchen, ob und inwieweit der Schutz des Marktes eine legitime staatliche Aufgabe sein kann. Zu diesem Zweck genügt die Feststellung, dass die Marktwirtschaft dem Individuum wirtschaftliche 51 In diese Richtung etwa Sunstein/Thaler U. Chi. L. Rev. 70 (2003), 1159, 1167; vgl. allgemein zu diesem Argumentationsmuster Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 333 f. 52 Oben § 2 I. 2. a) bb). 53 So z. B. von Hayek ORDO 12 (1960/61), 103 ff.; Hoppmann ORDO 41 (1990), 3, 5. 54 Zur Diskussion vgl. z. B. ausf. Künzler, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit; Basedow WuW 2007, 712; Zimmer WuW 2007, 1198; Möschel, FS Mestmäcker, S. 355; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 2 Rn. 88 ff. 55 Vgl. hierzu näher unten § 3 I. 1.
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
37
Handlungsfreiheit und Entfaltungsmöglichkeiten bietet und dadurch mit den Wertvorstellungen einer freiheitlichen Gesellschaft harmoniert. d) Marktmechanismus als Mittel der Disziplinierung der individuellen Willkür Das Bild der Freiheitsdimension der Marktwirtschaft wäre unvollständig, wenn folgender Gesichtspunkt außer Betracht bliebe: Der Marktmechanismus wirkt als Disziplinierungsinstrument, das die Gesellschaftsmitglieder zu einer sozialverträglichen Ausübung ihrer Freiheit veranlasst. Böhm nennt diese Funktion die „soziale Domestikationskraft“ des Marktes.56 In die gleiche Richtung zielt der Hinweis von Hayeks, dass der Markt „ein System darstellt, in dem schlechte Menschen am wenigsten Schaden anrichten können. Er ist ein soziales System, dessen Funktionieren weder davon abhängt, dass gute Männer gefunden werden um es zu leiten, noch davon, dass alle Menschen besser werden als sie es gegenwärtig sind (. . .).“ 57 Die bändigende Wirkung geht vom Preissystem aus. Dieses funktioniert als Sanktionsmechanismus, der Handlungen, die anderen nützen, mit Gewinnen „belohnt“ und Handlungen gegenteiligen Effekts mit Verlusten „bestraft“. Auf diese Weise wird ein Gleichlauf zwischen den Interessen des Handelnden und der übrigen Gesellschaftsmitglieder hergestellt.58 Die wohl berühmteste Beschreibung dieser Interessenharmonie stammt von Adam Smith: „It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to them of our own necessities but of their advantages.“ 59
4. Gerechtigkeit Bei der Erörterung des Effizienzaspekts war davon die Rede, dass der Markt – bei Annahme perfekter Funktionsbedingungen – den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand maximiert.60 Wie der Wohlstand unter den Gesellschaftsmitgliedern aufgeteilt wird, wurde hingegen nicht weiter untersucht. Um ein in diesem Zusammenhang häufig verwendetes Bild aufzugreifen:61 Lediglich die Größe des 56
Vgl. Böhm ORDO 22 (1971), 11, 21. von Hayek ORDO 1 (1948), 19, 27 f. 58 Vgl. auch Hoppmann ORDO 41 (1990), 3, 8 f., der darauf hinweist, dass der freie Markt der Ausübung von Selbstsucht entgegenwirkt, da Transaktionen zwischen autonomen Parteien nur dann zustande kommen, wenn sie für beide Seiten vorteilhaft sind; in die gleiche Richtung Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 365. 59 A. Smith, Wealth of Nations, S. 26 f. 60 Oben I. 1. 61 Vgl. z. B. aus neuerer Zeit Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann JZ 2008, 529, 535; Fleischer/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.), Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 9, 29 f. 57
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1. Teil: Grundlegung
gesellschaftlichen „Kuchens“ war thematisiert worden, nicht jedoch seine Verteilung. Für die Legitimation des Marktmodells spielt die Verteilungsfrage keine unwichtige Rolle. Nahezu jede demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaftsordnung legt Wert darauf, dass die Verteilung des Reichtums bestimmten Fairnessanforderungen genügt. Die Vorstellungen darüber, was eine „faire“ oder „gerechte“ Wohlstandsverteilung ist, mögen zwar von Gesellschaft zu Gesellschaft oder selbst innerhalb derselben Gesellschaft erheblich auseinander gehen. Doch dürfte über einzelne Gesichtspunkte weitgehende Einigkeit bestehen, so beispielsweise darüber, dass ein gesellschaftlicher Zustand, in dem bestimmten Individuen der Zugang zum Wohlstand systematisch versperrt ist, sozial ungerecht ist. Auch herrscht ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, dass jeder zumindest über die Ressourcen verfügen sollte, die er zum Überleben benötigt. Im Folgenden gilt es zu untersuchen, welche Wohlstandsverteilung der Marktmechanismus erzielt. Die Analyse soll darüber Aufschluss geben, welche Gerechtigkeitserwartungen der Markt bei der Ressourcenallokation selbständig zu erfüllen vermag und wo hingegen korrigierende staatliche Eingriffe notwendig sind, um unerwünschte Ergebnisse zu verhindern. Bei der Betrachtung ist zwischen einer Mikro- und einer Makroebene zu differenzieren, auf denen sich das Verteilungsproblem stellt. Erstens interessiert im Rahmen der einzelnen Markttransaktionen, wie fair der Kooperationsgewinn zwischen den Parteien des Austauschverhältnisses aufgeteilt wird [hierzu sogleich a)]. Zweitens ist der Frage nachzugehen, wie der Marktmechanismus die verfügbaren Ressourcen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene verteilt [sodann b)]. Eine begriffliche Klarstellung ist vorauszuschicken: Die beiden angesprochenen Betrachtungsebenen stehen mit zwei unterschiedlichen Gerechtigkeitsformen im Zusammenhang. Es handelt sich dabei um die bereits von Aristoteles62 und Thomas von Aquin63 herausgearbeiteten und einander gegenübergestellten Kategorien der iustitia commutativa und iustitia distributiva.64 Erstere – die Austausch- oder ausgleichende Gerechtigkeit – ist für die Transkationsebene maßgebend: Sie betrifft die wechselseitigen Beziehungen zwischen zwei gleichrangigen Parteien. Von Bedeutung ist diese Form der Gerechtigkeit insbesondere für freiwillig eingegangene Austauschbeziehungen, also für Verträge. Inhaltlich zielt sie auf die Wahrung eines Gleichgewichts zwischen den Parteien: Leistung und Gegenleistung, Nutzen und Lasten sollen sich grundsätzlich die Waage halten. Hin62
Nikomachische Ethik 1130b ff. Summa theologica II-II qu. 61, 1. 64 Näher zur Bedeutung dieser Begriffe Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 36 ff.; Canaris, Iustitia distributiva, S. 9 ff.; Honsell, FS Mayer-Maly, S. 287 ff.; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 101 ff. 63
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
39
gegen kommt es auf gesamtgesellschaftlicher Ebene auf einen anderen Gerechtigkeitsaspekt an. Hier geht es nicht um das Verhältnis zwischen Gleichen, sondern um das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv, genauer: um die Teilhabe des Einzelnen an den Ressourcen, die der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Berührt ist in diesem Zusammenhang die iustitia distributiva, die Verteilungsgerechtigkeit. Diese erschöpft sich im Gegensatz zur iustitia commutativa typischerweise nicht im Prinzip der formalen Gleichbehandlung der Individuen. Vielmehr verlangt sie bei der Ressourcenzuweisung eine Differenzierung nach bestimmten persönlichen Eigenschaften der Gesellschaftsmitglieder, etwa nach deren Bedarf (Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit) oder nach dem Beitrag, den sie jeweils zur Mehrung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands leisten (Prinzip der Leistungsgerechtigkeit). a) Gerechtigkeit im Verhältnis der Transaktionspartner (iustitia commutativa) aa) Die sog. „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ Auf die Produktivität von Austauschgeschäften ist bereits hingewiesen worden:65 Im idealtypischen Markt gehen Parteien nur dann eine Transaktion ein, wenn sie für beide Seiten profitabel ist. Wäre das Geschäft auch nur für einen Partner nachteilig, würde dieser als rationaler nutzenmaximierender Agent seine Zustimmung verweigern. Das Konsenserfordernis stellt somit sicher, dass Markttransaktionen für jeden Beteiligten vorteilhaft sind bzw., anders gewendet, dass kein Beteiligter seine Position zum Nachteil des Gegners verbessern kann. Der zuletzt genannte Gesichtspunkt, der den Kern des paretianischen Wohlstandskonzepts bildet,66 steht mit einem elementaren Gerechtigkeitspostulat im Einklang, nämlich dem Verbot, andere gegen ihren Willen zu schädigen (alterum non laedere67). Das Prinzip des beidseitigen Nutzens, das freiwilligen Austauschverträgen zugrunde liegt, steht im Mittelpunkt der berühmten Lehre von der „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“, die auf Schmidt-Rimpler zurückgeht:68
65
Vgl. oben § 2 I. 1. a) aa). Zum Pareto-Kriterium oben § 2 I. 1. a) bb). 67 Die Formulierung geht zurück auf die praecepta iuris, die am Anfang des Corpus Iuris Civilis stehen (Inst. 1, 1, 1): „Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere.“ Nach Honsell, FS Mayer-Maly, S. 287, 291, steht die Regel des alterum non laedere im Zusammenhang mit der iustitia commutativa, während dem Gebot des suum cuique tribuere die Idee der iustitia distributiva zugrunde liegt. 68 Grundlegend zu dieser Lehre Schmidt-Rimpler AcP 147 (1941), 130, 132 ff.; 149 ff.; 156 ff., und ders., FS Raiser, S. 3. 66
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1. Teil: Grundlegung „Da nun beide Vertragspartner im Vertrage sich einigen müssen, werden die Rechtsfolgen des Vertrages mit großer Wahrscheinlichkeit für keinen Partner nach seiner Wertung ungerecht sein, wird also ein richtiges Ergebnis in diesem Sinne zustande kommen, jedes egoistisch bedingte ungerechte Wollen paralysiert werden. Es ist also insofern durch den vertraglichen „Mechanismus“ eine Richtigkeitsgewähr gegeben, und zwar ohne hoheitlichen Eingriff und unter Wahrung der Initiative und der persönlichen berechtigten Interessen der Vertragspartner.“ 69
Ähnlich hatte bereits von Jhering formuliert: „Mittelst des Vertrages constatiren sie [scil. die Parteien] die Coinzidenz ihrer Interessen“.70 Diese Überlegungen, die sich auf den Vertrag als rechtliches Institut beziehen, lassen sich ohne weiteres auf das Kooperationselement des Marktsystems übertragen, das nach demselben Prinzip funktioniert. Es zeigt sich, dass die Gerechtigkeitsidee, die freiwilligen Austauschverträgen immanent ist, in erster Linie eine prozedurale ist:71 Durch das Erfordernis der Willensübereinstimmung bieten Markttransaktionen eine verfahrensmäßige Garantie dafür, dass die privatautonom getroffene Vereinbarung aus der Sicht der Kontrahenten selbst einen fairen Interessenausgleich darstellt. Hier offenbart sich erneut die Koordinationsleistung des Marktmechanismus, der zwischen den zahlreichen konfligierenden Einzelinteressen eine Interessenharmonie zum Wohle aller Beteiligten herstellt.72 Der prozedurale Charakter der Marktordnung impliziert, dass lediglich die Voraussetzungen für ein „richtiges“ Ergebnis geschaffen werden. Auf den konkreten Inhalt der Transaktionsverhandlungen wird kein Einfluss genommen. Diesen bestimmen die Parteien nämlich selbständig und in eigener Verantwortung. Daraus folgt, dass der Marktmechanismus keine Sicherheit dafür bietet, dass das letztlich erzielte Verhandlungsergebnis objektiv fair und ausgeglichen ist. Die Idee einer „objektiven“ Richtigkeit ist dem Marktsystem schon deswegen fremd, da es für die Beurteilung des Transaktionsinhalts keinen objektiven Maßstab gibt. Wie bereits gesehen, kommt es nach dem Grundsatz der Präferenzautonomie allein auf die subjektive Wertschätzung der individuellen Akteure an. Hervorzuheben ist im Übrigen, dass die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ nicht allein für frei ausgehandelte Verträge gilt.73 Auch standardisierte Verträge, die in Form des „take it or leave it“ geschlossen werden, kommen grundsätzlich nur dann zustande, wenn sie beiden Parteien Vorteile in Aussicht stellen. Zwar findet in diesen Fällen der Ausgleich zwischen den widerstreiten69
Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 3, 5 f. Der Zweck im Recht, Bd. I, S. 72. 71 Canaris, Iustitia distributiva, S. 46 ff.; ders. AcP 200 (2000), 273, 283 ff.; Fastrich, FS Canaris, Bd. II, S. 1071, 1075. 72 Vgl. oben § 2 I. 2. d). 73 In diesem Sinn jedoch Canaris, Iustitia distributiva, S. 49; ders. AcP 200 (2000), 273, 284 (vgl. aber einschränkend Fn. 29); Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1138; H. P. Westermann, FS Stimpel, S. 69, 76. 70
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
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den Interessen nicht aufgrund eines Prozesses des gegenseitigen Nachgebens und Annäherns statt. Zur Disziplinierung des Egoismus genügt jedoch bereits der Umstand, dass der Vertragsgegner das Geschäft nicht abzuschließen braucht. Damit der Gegner den Vertrag nicht ablehnt, müssen die standardisierten Konditionen von Anfang an so gestaltet sein, dass sie dem Gegner einen Nutzen versprechen. Hier muss also der Interessenausgleich, der sich sonst als Resultat eines Verhandlungsprozesses einstellt, bereits bei der Formulierung der standardisierten Konditionen vorweggenommen werden.74 bb) Der Wettbewerb als „Entmachtungsinstrument“ Das Konsenserfordernis gewährleistet nur ein ethisches Minimum. Die Möglichkeit der Marktakteure, Transaktionen abzulehnen, die ihre Lage verschlechtern würden, genügt nicht immer den Gerechtigkeitserwartungen. Zur Veranschaulichung sei an einen Beispielsfall angeknüpft, der bereits in einem früheren Zusammenhang verwendet wurde:75 A verfügt über ein Gut x, dem er einen Wert von A 100 beimisst; B ist bereit, x bis zu einem Maximalpreis von A 200 zu erwerben. In dieser Konstellation ist für A und B, wie oben gesehen, ein Kooperationsgewinn von A 100 realisierbar. Die Aufteilung des Kooperationsgewinns kann sehr unterschiedlich ausfallen: Wird x für A 100,01 veräußert, schöpft B die Kooperationsrente fast vollständig ab, beträgt hingegen der Kaufpreis A 199,99, liegt der Nutzen aus dem Geschäft nahezu komplett bei A. In beiden Extremfällen ist der Handel für beide Parteien vorteilhaft – gleichwohl wird die Aufteilung der Kooperationsrente unter Umständen als „unfair“ und „ungerecht“ empfunden werden. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn das unausgewogene Verhandlungsergebnis aus einem groben Machtungleichgewicht zwischen den Parteien resultiert.76 Man stelle sich etwa vor, jemand befindet sich in einer akuten Notlage, er leidet beispielsweise an einer lebensgefährlichen Krankheit und ist dringend auf ein bestimmtes Medikament angewiesen. Nimmt man nun an, dass in der konkreten Situation nur eine Person in der Lage ist, die benötigte Medizin zur Verfügung zu stellen, dann bietet sich dieser Person die Möglichkeit, einen exorbitanten Gewinn zu realisieren. Da dem Kranken das Leben teuer ist, wird er bereit sein, für das rettende Medikament erhebliche Summen aufzuwenden. Niemand würde nun ernsthaft ein solches Geschäft mit dem Hinweis legitimieren wollen, dass der Notleidende trotz der überzogenen Preisforderung von der Transaktion „profitiert“. 74 Siehe näher zur These, dass ein Aushandeln der Vertragsbedingungen für die Erzielung eines fairen Interessenausgleichs nicht notwendig ist, unten § 5 I. 3. b). 75 Oben § 2 I. 1. a) aa). 76 Vgl. zum Machtgleichgewicht als Voraussetzung für die „Richtigkeit“ des Vertragsinhalts Raiser, FS 100 Jahre DJT, 101, 118 f. Vgl. im Übrigen auch die Diskussion unten § 4 I. 2. a) aa) und § 4 II. 2. b).
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1. Teil: Grundlegung
Die Gefahr einer allzu einseitigen Aufteilung der Kooperationsrente wird durch das Konkurrenzelement des Marktes entschärft. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass kein Marktakteur auf längere Sicht eine wirtschaftliche Machtstellung innehat, die ihm die Ausbeutung der Marktgegenseite ermöglicht. Der Beitrag der Marktkonkurrenz zu einer fairen Gewinnverteilung wird deutlich, wenn man sich im obigen Beispielsfall vorstellt, dass das lebensrettende Medikament nicht von einem einzigen Anbieter erhältlich ist, sondern von zwei oder mehreren Anbietern. Diese werden versuchen, sich im Preis gegenseitig zu unterbieten, um vom Kunden den „Zuschlag“ zu erhalten. Mit ausbeuterischen Preisforderungen ist folglich nicht zu rechnen. Der Wettbewerb erweist sich somit als „Entmachtungsinstrument“,77 das auf die Herstellung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts zwischen den Marktakteuren hinwirkt und so die Wahrscheinlichkeit fairer Verhandlungsergebnisse erhöht. Hierein zeigt sich ein weiterer wichtiger Aspekt der prozeduralen Gerechtigkeitsdimension des Marktmechanismus.78 b) Verteilungsgerechtigkeit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene (iustitia distributiva) Das Konsenserfordernis zusammen mit der „Entmachtungsfunktion“ des Wettbewerbs trägt, so hat sich gezeigt, maßgebend dazu bei, dass im Verhältnis zwischen den Transaktionspartnern gerechte Verteilungsergebnisse zustande kommen. Nun gilt es der Frage nachzugehen, ob die Marktordnung auch auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene eine gerechte Wohlstandsverteilung hervorbringt. Die Antwort fällt differenziert aus. Einerseits ist festzustellen, dass die Verteilung des Reichtums in einer marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaftsordnung nach Kriterien erfolgt, die durchaus anerkannten Gerechtigkeitsvorstellungen entsprechen. Der Lohn bzw. der Gewinn für wirtschaftliche Aktivitäten wird danach bemessen, wie nützlich die betreffende Leistung für die übrigen Gesellschaftsmitglieder ist.79 Auf dem Prinzip der sog. Leistungsgerechtigkeit beruht im Wesentlichen auch die „soziale Domestikationskraft“ des Marktes, von der schon an früherer Stelle die Rede war:80 Die 77 Böhm ORDO 22, 11, 20. Vgl. zur machterodierenden Wirkung des Wettbewerbs auch Mestmäcker JZ 1964, 441, 443; Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, S. 38; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 46; Canaris, FS Lerche, S. 873, 882. 78 Vgl. auch Canaris AcP 200 (2000), 273, 293 f. 79 Siehe auch Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 27; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 97 f.; Canaris, Iustitia distributiva, S. 67 ff. – Vgl. aber zur Kehrseite der Leistungsgerechtigkeit, dass nämlich „ehrlich gemeinte und schwer geleistete Arbeit“ verachtet wird, weil das Arbeitsprodukt am Markt nicht gefragt ist, Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, S. 12. 80 Oben § 2 I. 2. d).
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
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Aussicht auf hohe Gegenleistungen schafft Anreize, sozial erwünschte Leistungen zu erbringen und unerwünschte zu unterlassen. Mögen auch die Verteilungskriterien des Marktmechanismus unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten überzeugen, so folgt daraus nicht zwangsläufig, dass auch das Verteilungsergebnis gerecht ist. Der Grund dafür liegt darin, dass das Ergebnis der Marktverteilung ganz maßgeblich von der Ausgangsposition der Gesellschaftsmitglieder abhängt: Es kommt entscheidend darauf an, mit welcher Grundausstattung an Ressourcen und persönlichen Eigenschaften wie Erwerbsfähigkeit, Talent etc. sie in den Marktprozess starten. Wer am Markt ein Einkommen erzielen will, muss zunächst selbst etwas zu bieten haben, was er als Gegenleistung hingeben kann, seien es nun Güter oder Arbeitskraft. Die anfängliche Ausstattung der Individuen ist ein Datum, das dem Markt vorgelagert und von diesem nur bedingt beeinflussbar ist. Dies hat wichtige Implikationen für die Allokationseffizienz: Wie bereits erwähnt, ermöglichen Tauschtransaktionen auf einem idealtypischen Markt die Erreichung einer effizienten Ressourcenverteilung. Die verfügbaren Ressourcen werden jeweils zu den Individuen gelenkt, für die sie den größten Wert besitzen. Dieser Zustand entspricht einem Pareto-Optimum: Jede Umverteilung würde mindestens eine Person schlechter stellen. Das Wohlstandsoptimum ist allerdings stets relativ zur anfänglichen Ressourcenverteilung.81 Modifiziert man die Ausgangsposition, ist das Ergebnis zwar wiederum Pareto-effizient, die Verteilung jedoch eine andere. Zu jeder ursprünglichen Verteilungssituation korrespondiert also ein Allokationsoptimum. Die Unterschiede zwischen den einzelnen effizienten Zuständen können unter Verteilungsgesichtspunkten beträchtlich sein. Um ein Extrembeispiel zu nennen: Befinden sich anfänglich alle verfügbaren Ressourcen in der Hand eines einzelnen Individuums und sind alle anderen Gesellschaftsmitglieder vermögenslos, dann entspricht dieser Zustand einem Pareto-Optimum. Jede Umverteilung zugunsten der Vermögenslosen würde die Situation des besitzenden Individuums verschlechtern. In dieser Konstellation könnte der Markt keine Veränderung in der Ressourcenallokation bewirken. Es zeigt sich somit, dass sich der Markt zum Verteilungsproblem agnostizistisch verhält.82 Es hängt allein vom Zufall ab, ob der Marktmechanismus die unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten erwünschte Wohlstandsverteilung herzustellen vermag. Zur Verwirklichung bestimmter verteilungspolitischer Vorstellungen sind folglich Eingriffe in den Markt unverzichtbar.83 So sind beispielsweise Transfer81 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 49; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 26; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 190 ff.; für eine wohlfahrtsökonomische Darstellung Luckenbach, Theoretische Grundlagen der Wirtschaftspolitik, S. 72 ff. 82 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 188. 83 So auch Fastrich, FS Canaris, Bd. II, S. 1071; Canaris, Iustitia distributiva, S. 66; F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 206 ff.; 248 ff.; Behrens, Die ökono-
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1. Teil: Grundlegung
zahlungen notwendig, um Individuen, die kein eigenes Vermögen besitzen und erwerbsunfähig sind, ein Existenzminimum zu sichern. Zwar haben redistributive Maßnahmen unweigerlich zur Folge, dass die Koordinationsfunktion des Marktmechanismus gestört wird. Die Regulierung von Preisen etwa beeinträchtigt ihre Rolle als Knappheitsindikatoren, Subventionen führen zu einem Überangebot der geförderten Güter und Leistungen und die Umverteilung von Einkommen mindert den Anreiz zu produktiver Tätigkeit. Gewisse Funktionsbeeinträchtigungen im Marktsystem müssen allerdings in Kauf genommen werden, wenn grobe verteilungspolitische Ungerechtigkeiten auf gesamtgesellschaftlicher Ebene unterbunden werden sollen.
II. Vom Idealtypus zur Realität: Risiken des Marktversagens Gegenstand der bisherigen Darstellung war der idealtypische Markt. Die Annahme perfekter Funktionsvoraussetzungen,84 auf der das idealtypische Marktmodell beruhte, soll nun im Folgenden aufgegeben werden und der Marktprozess unter Zugrundelegung realitätsnäherer Bedingungen betrachtet werden. Es gilt, einen Überblick darüber zu geben, weshalb Märkte in der Wirklichkeit mitunter versagen und nicht die Ergebnisse hervorbringen, die das theoretische Modell vorhersagt. Abweichungen vom Idealtypus können sich sowohl im Konkurrenz- als auch im Kooperationselement des Marktsystems ergeben.85 Auf die Störungen des Wettbewerbs richtet insbesondere die neoklassische ökonomische Lehre ihre Aufmerksamkeit.86 Untersucht wird, wie Märkte funktionieren, die keine atomistische Struktur und damit auch keine perfekten Konkurrenzbedingungen aufweisen. Gefragt wird etwa, welche Auswirkungen Monopole oder Oligopole auf Effizienz und Wohlstandsverteilung haben. Auch die Freiburger Schule des Ordoliberalismus beschäftigt sich vornehmlich mit dem Problem privater Macht, das aus dem Fehlen eines wirksamen Wettbewerbs resultiert.87 Die ökonomische Erforschung von Friktionen im Kooperationselement des Marktes ist demgegenüber jüngeren Ursprungs. Sie ist das Betätigungsfeld eines neueren Ansatzes in den Wirtschaftswissenschaften, der als Ableger aus der neoklassischen Lehre hervorgegangen ist: die Neue Institutionenökonomik, die teilmischen Grundlagen des Rechts, S. 190. Kritisch hingegen gegenüber dem Versuch, durch staatliche Eingriffe in den Markt, soziale Gerechtigkeit herzustellen, Hoppmann, ORDO 41 (1990), 3, 21 f.; von Hayek, Recht, Gesetzgebung, Freiheit, Bd. 2, S. 114 ff. 84 Zu den wichtigsten Grundannahmen s. oben § 2 I. 85 Zu den beiden Elementen s. oben § 2 I 1. 86 Vgl. hierzu bereits oben § 1 I. 87 Vgl. nur den Überblick m.w. N. bei Vanberg, Freiburg School of Law and Economics, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Law and Economics, Bd. 2, S. 172, 176 ff.
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weise auch bloß als Institutionenökonomik bezeichnet wird.88 Die Einsicht, dass Marktversagen auch aus gestörter Kooperation erwachsen kann, geht vor allem auf die „Entdeckung“ der Transaktionskosten zurück, von denen sogleich noch näher die Rede sein wird.89 Die Theorien über das „Kooperationsversagen“ sind insbesondere für das Vertragsrecht – und damit auch für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung – von erheblichem Interesse. Aufgabe der vertragsrechtlichen Regeln ist es nämlich gerade, die reibungslose Durchführung freiwilliger privater Transaktionen sicherzustellen und im Störungsfall die betroffenen Parteiinteressen wirksam zu schützen.90 Hingegen obliegt die Absicherung des Konkurrenzelements in erster Linie dem Kartellrecht. 1. Abweichungen der Institutionenökonomik vom neoklassischen Modell perfekter Konkurrenz: Friktionen infolge von beschränkter Rationalität und Transaktionskosten Der neoinstitutionalistische Ansatz weicht in zwei wesentlichen Punkten vom neoklassischen Modell der perfekten Konkurrenz ab. Erstens wird die Annahme aufgegeben, Individuen seien vollständig rational. Es wird nicht länger unterstellt, die Akteure kennten alle ihre Handlungsoptionen und die Gesamtheit der Marktgegebenheiten und könnten ferner künftige Entwicklungen sowie die Folgen ihres Handelns voraussehen. Stattdessen wird von der beschränkten Rationalität des Individuums („bounded rationality“) ausgegangen.91 Es wird anerkannt, dass Marktteilnehmer ihren Entscheidungen regel88 Vgl. zu dieser Forschungsrichtung im Allgemeinen sowie zu ihrem Verhältnis zur neoklassischen ökonomischen Lehre Eggertsson, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Law and Economics, Bd. 2, S. 665 ff.; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 1 ff.; Voigt, Institutionenökonomik, S. 19 ff.; instruktiv auch die Rede von Oliver E. Williamson anlässlich seiner Auszeichnung mit dem Nobelpreis für Wirtschaft, Williamson American Economic Review 100 (2010), 673 ff. Vgl. auch die Beiträge von Furubotn, De Alessi, Schweizer, Williamson, Lindenberg, Holmström/Milgrom, Hax, Riordan, Varian, Bonus/Schmidt, Goldberg, Richter, Selten, Tietz, Ostmann, Schanze, Langlois, Hart, Schlicht und Heiner zum Symposium „The New Institutional Economics – Different Approaches to the Economics of Institutions, abgedruckt in JITE 146 (1990), S. 1 ff. Die Neue Institutionenökonomik wird teilweise in unterschiedliche Forschungszweige untergliedert, wie z. B. Transaktionskostenökonomik, PropertyRights-Analyse, ökonomische Vertragstheorie etc. (s. dazu Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 39 ff.; Voigt, Institutionenökonomik, S. 45). 89 Als Geburtsstunde der Transaktionskostenökonomik gilt der Aufsatz von Coase, The Nature of the Firm, Economica 4 (1937), 386 (in dem die Transaktionskosten allerdings noch als „marketing costs“ bezeichnet werden). 90 Allgemein zur Rolle des Rechts im Marktprozess s. näher unten § 3. 91 Der Begriff wird allgemein dem Ökonomen Herbert A. Simon zugeschrieben, vgl. statt aller Kreps, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Law and Economics, Bd. 1, S. 168. In seinem grundlegenden Aufsatz „A Behavioral Model of Rational Choice“, Quarterly Journal of Economics 69 (1955), 99, spricht Simon allerdings noch nicht von „bounded“, sondern von „approximate rationality“.
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1. Teil: Grundlegung
mäßig unvollständige und manchmal auch falsche Informationen zugrunde legen. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass bestimmte Informationen in der Praxis objektiv schwierig zu erheben sind – man denke etwa an Informationen über die Qualität oder Haltbarkeit komplexer technischer Produkte oder über die Begabungen und Leistungsfähigkeit einer Person. Darüber hinaus resultieren die Rationalitätsdefizite auch aus den kognitiven Unzulänglichkeiten des Menschen, die seiner Fähigkeit zur subjektiven Aufnahme und Verarbeitung von Informationen Grenzen setzen. Im Modell der Neuen Institutionenökonomik findet – zweitens – die Tatsache Berücksichtigung, dass der Austausch von Gütern und Leistungen auf dem Markt mit Kosten verbunden ist: Transaktionen sind nicht ohne zeitlichen und wirtschaftlichen Aufwand durchführbar.92 Im Einzelnen werden zwei Formen von Transaktionskosten unterschieden:93 Zu den ex-ante Transaktionskosten gehören die Kosten für die Vorbereitung und den Abschluss des Geschäfts. Sie erfassen etwa die Kosten für die Suche nach der Geschäftsmöglichkeit, für den Vergleich konkurrierender Angebote, für die Beratung, die Verhandlungen und etwaige Förmlichkeiten des Geschäftsabschlusses (z. B. Notargebühren). Die expost Transaktionskosten sind demgegenüber die Kosten, die in der Vollzugsphase anfallen. Hierzu zählen in erster Linie die Kosten, die im Störungsfall auftreten und beispielsweise durch Streitigkeiten, Nachverhandlungen, Durchsetzungsmaßnahmen oder das endgültige Scheitern des Geschäfts verursacht werden.94 Begrenzte Rationalität und Transaktionskosten stehen in einem engen wechselseitigen Zusammenhang. Einerseits sind die Transaktionskosten darauf zurückzuführen, dass das Individuum unvollständig informiert ist. Informationslücken zu schließen, bedeutet Aufwand in Form von Such-, Aufklärungs- oder Beratungskosten. Andererseits sind die Rationalitätsdefizite ihrerseits auch eine Folge der Transaktionskosten: Meistens ist es schlichtweg zu teuer, für eine lückenlose Informationsgrundlage zu sorgen. Der Aufklärungsaufwand stünde in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag.95 Aus diesem Grund ist Desinformation zum 92 Zum Transaktionskostenkonzept vgl. etwa Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 53 ff.; Voigt, Institutionenökonomik, S. 23; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 91 ff. jeweils m.w. N. 93 Vgl. Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, S. 20 ff. 94 Vgl. auch den Beispielskatalog bei Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 31. 95 Nach den mikroökonomischen Grundsätzen der Marginalanalyse ist trotz unvollständiger Kenntnis der entscheidungsrelevanten Tatsachen eine weitere Aufklärung nicht mehr sinnvoll, wenn die Kosten dafür höher sind als der Nutzen. Die optimale Menge an Informationen ist mit anderen Worten erreicht, wenn sich Grenzkosten und Grenznutzen der Informationsbeschaffung die Waage halten, vgl. hierzu Rehberg, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 285, 295.
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Teil auch eine bewusste Entscheidung der betroffenen Akteure (sog. „rationale Ignoranz“).96 2. Folgen aus beschränkter Rationalität und Transaktionskosten Welche Erkenntnisse liefern die abgewandelten Grundannahmen der neoinstitutionalistischen Theorie? Durch die Berücksichtigung von Friktionen im Kooperationselement lassen sich Ursachen für Marktversagen identifizieren, die im neoklassischen Modell außer Acht gelassen wurden. Zwei Quellen von Funktionsstörungen verdienen im vorliegenden Zusammenhang besondere Beachtung. Zum einen können Transaktionskosten unmittelbar das Zustandekommen produktiver Tauschgeschäfte vereiteln: Immer dann, wenn die Transaktionskosten höher ausfallen als die realisierbare Kooperationsrente, lohnt sich das Geschäft nicht und die eigentlich möglichen Wohlstandsgewinne werden nicht ausgeschöpft.97 Darüber hinaus können Rationalitätsdefizite und Transaktionskosten Spielräume für opportunistisches Verhalten eröffnen und auf diese Weise mittelbar die Durchführung gewinnbringender Kooperationen stören und schlimmstenfalls sogar verhindern. Ursache und Folgen des Opportunismusproblems sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. a) Opportunismus: Bedeutung und Ursache Im Ausgangspunkt ist daran zu erinnern, dass im vorliegenden Kontext von einem Markt in einem hypothetischen „vorrechtlichen“ Zustand ausgegangen wird. Das Modell des unregulierten Marktmechanismus soll gerade zeigen, wo und inwieweit ein Bedürfnis nach staatlicher Regelsetzung besteht. Bei der Untersuchung des Kooperationselements des Marktes wird folglich der Einfluss des Vertragsrechts komplett ausgeblendet: Die Transaktionspartner unterliegen keiner rechtlichen Bindungswirkung, sie können im Störungsfall nicht auf staatliche Durchsetzungsmechanismen zurückgreifen und es steht ihnen auch kein „lückenfüllendes“ dispositives Gesetzesrecht zur Verfügung, das die Fragen regelt, für die sie selbst keine Vereinbarungen getroffen haben. Dies ist der Hintergrund, vor dem die Folgen der beschränkten Rationalität und die Transaktionskosten zu analysieren sind. Das Opportunismusproblem entspringt nun der Tatsache, dass es den Transaktionspartnern unter den beschriebenen Bedingungen unmöglich ist, das Verhalten 96 Ein Beispiel für rationale Ignoranz ist die Zustimmung zu den AGB des Vertragsgegners, ohne sich mit ihrem Inhalt vertraut zu machen, vgl. dazu ausführlich unten § 5 I. 4. a) cc). 97 Siehe Arrow, in: The Analysis and Evaluation of Public Expenditures: The PPB System, Joint Economic Committee, 91st Congress (1969), 1st Session, Bd. 1, S. 47, 60: „Market failure is the particular case where transaction costs are so high that the existence of the market is no longer worthwhile“.
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1. Teil: Grundlegung
der jeweiligen Gegenseite vollständig zu kontrollieren. Den Parteien bietet sich so die Möglichkeit, ihren Vorteil mit unredlichen Mitteln gegen die Interessen des Gegners zu suchen. Die von Williamson geprägte und weithin akzeptierte Definition opportunistischen Verhaltens spricht von „self-interest seeking with guile“ 98 – von der Verfolgung des eigenen Interesses mit List. Ein solches Handeln weicht insofern von der idealtypischen Kooperation ab, als es die Harmonie der Parteiinteressen, die Kongruenz zwischen eigen- und fremdnützigem Verhalten aufhebt. Opportunistische Handlungen widersprechen regelmäßig dem Willen des Gegners und verletzen damit das Konsensprinzip, das – wie oben gesehen99 – für den prozeduralen Gerechtigkeitscharakter von Markttransaktionen maßgebende Bedeutung besitzt. Opportunismus ist sowohl im Vorfeld des Geschäftsabschlusses (ex ante) als auch später in der Durchführungsphase der Transaktion möglich (ex post), wie sogleich näher gezeigt werden wird.100 aa) Opportunistisches Verhalten ex ante Opportunismus in der Geschäftsanbahnung wird typischerweise durch sog. Informationsasymmetrien ermöglicht, d.h. durch die ungleiche Verteilung transaktionsrelevanter Informationen zwischen den Parteien. Beispiele hierfür sind etwa der Informationsvorsprung des Verkäufers gegenüber dem Käufer über die Qualität einer Ware (Informationsasymmetrie zu Lasten des Nachfragers) oder das begrenzte Wissen eines Versicherers über das Risiko eines konkreten Kunden (Informationsasymmetrie zu Lasten des Anbieters).101 In diesen Situationen besteht für die besser informierte Partei die Versuchung, die Informationsmängel der Gegenseite im eigenen Interesse gezielt auszunutzen. So mag ein Verkäufer unter Umständen die lukrative Chance sehen, seinem Kunden eine Ware minderer Qualität zum Preis einer qualitativ höherwertigen zu verkaufen. Ebenso könnte jemand, der eine Versicherung abschließen möchte, geneigt sein, sein Risiko herunterzuspielen, um in den Genuss niedrigerer Versicherungsprämien zu kommen. bb) Opportunistisches Verhalten ex post: versteckte Handlungen und hold-up (1) Auch in der Vollzugsphase des Geschäfts begünstigen Informationsschranken opportunistisches Verhalten. Ein typisches Beispiel hierfür ist das Phänomen 98 Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, S. 47; ders., in: Newman, The New Pelgrave Dictionary of Economics and the Law, Bd. 2, S. 703. 99 § 2 I 4 a) aa). 100 Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 511. 101 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 251 ff.
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
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der sog. „versteckten Handlungen“, das auch unter der Bezeichnung „moralisches Risiko“ (moral hazard) bekannt ist.102 Es tritt in Konstellationen auf, in denen das persönliche Verhalten einer Partei für die Transaktion eine maßgebende Rolle spielt, die Gegenseite dieses Verhalten jedoch nicht oder nur unvollständig kontrollieren kann. Dies ist etwa bei Dienstverhältnissen der Fall, bei denen der Geschäftsherr häufig nicht zu beurteilen vermag, ob der andere Teil die Leistung ordnungsgemäß nach den Regeln der Kunst erbringt.103 Ebenso ist es beispielsweise einem Versicherer nur schwer möglich nachzuvollziehen, ob der Versicherte zur Abwendung des Schadensfalles dieselbe Vorsicht walten lässt, wie wenn er keinen Versicherungsschutz hätte. (2) Eine weitere Ursache für ex-post-Opportunismus ist die Unvollständigkeit von Verträgen. Die Parteien verzichten angesichts prohibitiv hoher Transaktionskosten darauf, Regelungen für alle denkbaren Eventualitäten zu treffen, die nach Vertragsschluss eintreten und die Geschäftsbeziehung berühren können.104 Die daraus resultierenden Unsicherheiten können in bestimmten Fällen von einer Partei zum Nachteil des Gegners ausgenutzt werden. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn eine Partei irreversible transaktionsspezifische Investitionen eingegangen ist, d.h. Aufwendungen getätigt hat, die bei einem Scheitern der geschäftlichen Beziehung wirtschaftlich verloren sind (sog. „versunkene Kosten“). Beispielhaft ist etwa die Spezialmaschine, die ein Zulieferer eigens für einen bestimmten Kundenauftrag angeschafft hat und die für andere Zwecke nicht verwendbar ist; ebenso die Umzugs- und Renovierungskosten, die ein Mieter im Hinblick auf eine konkrete Wohnung auf sich genommen hat. In diesen Konstellationen befindet sich die investierende Partei in einer besonderen Abhängigkeitslage: Nur wenn der Vertrag fortgesetzt wird, können Gewinne erzielt werden, die den anfänglichen Investitionsaufwand amortisieren. Die transaktionsspezifisch investierende Partei ist also in der Geschäftsbeziehung gleichsam „eingesperrt“, weswegen in diesem Zusammenhang auch vom sogenannten „Lock-in-Effekt“ gesprochen wird.105 Tritt nun ein Ereignis ein, für das die Parteien keine Regelung im Voraus getroffen haben und das folglich Nachverhandlungen erforderlich macht, kann der Gegner die Androhung der sofortigen Beendigung der Geschäftsbeziehung als Druckmittel benutzen, um sich einen größeren Anteil an der Kooperationsrente zu sichern.
102 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 254 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 637 f. 103 Diese Situation wird auch als sog. principal-agent-Problem bezeichnet, vgl. allgemein Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 173 ff. 104 Zur Unvollständigkeit von Verträgen s. z. B. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 271 ff.; Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, S. 299 f.; Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 48 ff. 105 Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 161.
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1. Teil: Grundlegung
Zur Veranschaulichung sei auf folgendes Beispiel verwiesen:106 Die Partei A trägt transaktionsspezifische Investitionskosten in Höhe von 10. Bei Eingehung des Geschäfts rechnete A mit Einnahmen in Höhe von 12, womit sie die Investitionskosten gedeckt und zusätzlich einen Gewinn von 2 erzielt hätte. Bei einem vorzeitigen Abbruch der Transaktion jedoch – so ist hier zu unterstellen – blieben die Einnahmen vollständig aus und A wäre folglich mit einem Verlust von –10 belastet. Unter diesen Voraussetzungen hätte es der Gegner B zum Beispiel in der Hand, eine Vertragsanpassung durchzusetzen, nach der A statt der ursprünglich vorgesehenen Einnahmen von 12 nur noch Einnahmen von 1 erzielen würde. Damit wäre die Transaktion für sie insgesamt ein Negativgeschäft (der Verlust betrüge –10 + 1 = –9), doch ist die Fortsetzung des Vertrags zu den schlechteren Konditionen immer noch die bessere Alternative im Vergleich zur vorzeitigen Beendigung (der Verlust beliefe sich dann auf –10). Die nachträgliche Umverteilung der Kooperationsrente unter Ausnutzung eines Lock-in-Effekts wird in der Institutionenökonomik als „Raubüberfall“ (hold-up) bezeichnet.107 Das Machtgefälle zwischen den Parteien, das infolge der transaktionsspezifischen Investitionen des einen Teils entsteht, entspricht strukturell einer Monopolsituation. Der Lock-in-Effekt hat zur Folge, dass die Partei, die investiert hat, nicht zu einem anderen Transaktionspartner abwandern kann. Der Gegner unterliegt damit nicht der disziplinierenden Wirkung des Wettbewerbs und kann die Bedingungen für die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung einseitig diktieren.108 Transaktionsspezifische Investitionen können also bewirken, dass eine Transaktion, die von den Parteien anfänglich unter perfekten Wettbewerbsbedingungen eingegangen wird, im Ausführungsstadium in ein Monopolgeschäft mit ungleichgewichtiger Machtverteilung umschlagen kann. Williamson bezeichnet den Übergang von der Konkurrenzsituation im Vorfeld des Geschäftsabschlusses zum bilateralen Monopol in der Vollzugsphase als „fundamentale Transformation“: „(. . .) transaction cost economics holds that a condition of large numbers bidding at the outset does not necessarily imply that a large numbers bidding condition will prevail thereafter. Whether ex post competition is fully efficacious or not depends on whether the good or service in question is supported by durable investments in transaction-specific human or physical assets. Where no such specialized investments are incurred, the initial winning bidder realizes no advantage over nonwinners. Although it may continue to supply for a long time, that is only because, in effect, it is continuously meeting competitive bids from qualified rivals. Rivals cannot be presumed to operate on a parity, however, once substantial investments in transaction-specific 106 Beispiele aus der wirtschaftlichen Praxis bieten Klein/Crawford/Alchian Journal of Law and Economics 21 (1978), 297, 307 ff. 107 Vgl. näher zum Hold-up-Problem in (langfristigen) Verträgen aus ökonomischer Sicht Eger, Eine ökonomische Analyse von Langzeitverträgen, S. 47 ff. und insbesondere S. 55 f. m.w. N.; Klein/Crawford/Alchian Journal of Law and Economics 21 (1978), 297, 298 ff. 108 Zur „Entmachtungsfunktion“ des Wettbewerbs s. oben § 2 I. 4. a) bb).
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
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assets are put in place. Winners in such circumstances enjoy advantages over nonwinners, which is to say that parity is upset. Accordingly, what was a large numbers bidding condition at the outset is effectively transformed into one of bilateral supply thereafter. This fundamental transformation has pervasive contracting consequences.“ 109
Wie noch zu sehen sein wird, ist es die Aufgabe des Vertragsrechts, der Störung des Wettbewerbs in der Vertragsdurchführungsphase zu begegnen und insbesondere wirkungsvollen Schutz gegen ex-post-opportunistisches Verhalten zu bieten.110 b) Die Auswirkungen auf den Markt Opportunistisches Verhalten wirkt sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen aus. Erstens ergeben sich unmittelbare Folgen für das konkrete Transaktionsverhältnis; damit ist die sogenannte Mikroebene angesprochen. Zweitens kann bereits die abstrakte Möglichkeit von Kooperationsstörungen durch Opportunismus das Vertrauen in Markttransaktionen generell erschüttern und so den Funktionsmechanismus des Marktes insgesamt beeinträchtigen; hier geht es um die überindividuelle bzw. um die sogenannte Makroebene. aa) Auswirkungen auf der Mikroebene: Gefährdung der „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ In einem perfekt funktionierenden Markt verbessern Transaktionen stets die Position beider Parteien.111 Dass die Realität von dieser Idealvorstellung nicht selten abweicht, liegt gerade an der beschränkten Rationalität des Individuums und dem damit zusammenhängenden Opportunismusproblem. Aufgrund von Informationshindernissen und kognitiven Defiziten gelangen die Parteien häufig ex-ante zu einer falschen Kosten-Nutzen-Bewertung der Transaktion. Das Risiko verfehlter Prognosen wird dadurch noch verschärft, dass der Gegner zur Sicherung seines eigenen Vorteils bisweilen zu Irreführung und Täuschung neigt. Die Folge ist, dass Transaktionen die Position mancher Parteien verschlechtern und nicht verbessern. In den oben erwähnten Beispielen ist dies etwa der Fall, wenn der Käufer aufgrund falscher Qualitätsvorstellungen einen höheren Preis für die Ware zahlt, als sie ihm wert ist, oder wenn der Versicherer das Schadensrisiko unterschätzt und infolgedessen eine Prämie verlangt, die das tatsächlich übernommene Risiko wirtschaftlich nicht abdeckt. Daneben können auch ex-postopportunistische Handlungen dafür verantwortlich sein, dass sich Kooperationen negativ auf das Nutzenniveau eines Partners auswirken. So hatte sich in dem 109 110 111
Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 61. Zum Beitrag des zwingenden Rechts vgl. unten § 4 I. 2. b). Vgl. oben § 2 I. 2. a) aa).
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oben gebildeten Beispiel des hold-up gezeigt, wie eine transaktionsspezifisch investierende Partei durch eine nachträgliche Vertragsanpassung um den erhofften Gewinn gebracht werden kann. Insgesamt ist also festzustellen, dass Opportunismus die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ bedroht.112 Sind die Parteien außerstande, den Inhalt des Geschäfts ex ante zuverlässig zu beurteilen und das Verhalten des Gegners in der Durchführungsphase umfassend zu kontrollieren, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, die Übereinkunft nütze beiden Seiten und sei ein gerechter Interessenausgleich. Mit Blick auf die Realität, die zahlreiche potenzielle Störungsquellen für das Kooperationsverhältnis birgt, erscheint es folglich durchaus gerechtfertigt, Schmidt-Rimplers optimistisches Wort von der „Richtigkeitsgewähr“ zu relativieren und mit Manfred Wolf stattdessen von der „Richtigkeitschance“ des Vertragsmechanismus zu sprechen.113 Wie allerdings noch zu sehen sein wird, ist aus der Erkenntnis, dass die Richtigkeitsgewähr mitunter versagt, nicht sogleich der Schluss zu ziehen, dass der „richtige“ Vertragsinhalt unmittelbar durch den Staat diktiert werden muss. Vielmehr folgt in einer marktwirtschaftlich verfassten Rechtsordnung zunächst einmal die Aufgabe für den staatlichen Regelsetzer, die Funktionsgrundlage für die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ zu sichern – etwa indem darauf hingewirkt wird, dass die Parteien informierte Entscheidungen treffen oder dass opportunistische „Ausbrüche“ in der Vertragsdurchführungsphase ausgeschlossen sind. Ein solcher prozeduraler Ansatz, der die Autonomie der Individuen zur inhaltlichen Gestaltung ihrer privaten Beziehungen nicht antastet, ist aus zwei Gründen vorzugswürdig. Erstens ist er der schonendere Eingriff in die individuelle Freiheit, da er die Präferenzautonomie der Marktakteure achtet. Darüber hinaus trägt er dem Umstand Rechnung, dass – wie von Hayek hervorhebt114 – die einzelnen Individuen in der Masse besser informiert sind und über eine größere Fülle an Wissen verfügen als eine zentrale Institution wie der Staat: Darf der Einzelne in seinen wirtschaftlichen Angelegenheiten selbstbestimmt entscheiden, werden die in der Gesellschaft verstreuten privaten Informationen verwertet. Dies erhöht die Chancen, dass die erzielte Ressourcenallokation den tatsächlichen Bedürfnissen der Gesellschaftsmitglieder entspricht, und fördert zudem Innovation und Fortschritt.115
112
Zur „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ oben § 2 I. 4. a) aa). M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 73 f., insbesondere Fn. 177. 114 Oben § 2 I. 3. a). 115 Vgl. zu diesem Gedanken auch Grigoleit, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 1822, 1824: „Erstens rechtfertigen die (dezentralen) Informations- und Bewertungsressourcen der Parteien deren kognitive Prärogative gegenüber (zentralen) Festlegungen des objektiven Rechts (. . .)“. 113
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
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bb) Auswirkungen auf der Makroebene: Kooperationsstörungen durch präventive Abwehrstrategien der Marktakteure Die Störung des Marktmechanismus auf der überindividuellen Ebene hat ihre Ursache darin, dass die Akteure auf lange Sicht das Risiko opportunistischer Handlungen bereits im Vorfeld der Transaktion antizipieren und präventive Abwehrstrategien entwickeln. So setzt sich etwa auf dem Markt irgendwann die Erkenntnis durch, dass die Anbieter die strukturellen Informationsmängel der Kunden gezielt dazu ausnutzen können, minderwertige Waren zu teuren Preisen zu verkaufen. Sind die Kunden dafür sensibilisiert, werden sie von vornherein ihre Qualitätserwartungen herabsetzen und folglich auch ihre Zahlungsbereitschaft nach unten anpassen. Die niedrigere Zahlungsbereitschaft bedingt wiederum, dass die Anbieter hochwertiger Waren nicht genügend Erlöse erzielen, um ihre Produktionskosten zu decken, so dass sie gezwungen sind, den Markt zu verlassen. Entsprechend verhält es sich in der Konstellation der Informationsasymmetrie zulasten des Anbieters: Versicherer müssen etwa damit rechnen, dass Versicherungsnehmer ihr Schadensrisiko herunterzuspielen, um in den Genuss niedrigerer Prämien zu gelangen. Stellen sich die Versicherer auf dieses Verhaltensmuster ein und legen der Kalkulation der Versicherungsprämie ein höheres Risiko zugrunde als das vom Versicherungsnehmer angegebene, werden in letzter Konsequenz diejenigen Kunden aus dem Markt verdrängt, die tatsächlich ein niedriges Schadensrisiko aufweisen: Aufgrund der erhöhten Prämie lohnt sich für sie der Abschluss der Versicherung nicht länger. In beiden Beispielsfällen führt also die Strategie zur Vermeidung opportunistischer Handlungen zu einer sog. negativen Auslese (auch: adverse Selektion), die die Anbieter „guter“ Qualität bzw. die Versicherungsnehmer mit „guten“ Risikoquoten zum Rückzug aus dem Markt zwingt.116 Ähnlicher Natur sind die Auswirkungen ex-post-opportunistischen Verhaltens. Erkennt eine Partei im Vorfeld der Transaktion das Ausbeutungsrisiko, das mit transaktionsspezifischen Investitionen einhergeht, könnte sie es unter Umständen vorziehen, das betreffende Geschäft gar nicht erst abzuschließen.117 Die Störung des Marktmechanismus auf der Makroebene lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Opportunismusgefahr untergräbt das Vertrauen in Markttransaktionen und vereitelt so das Zustandekommen produktiver Kooperationen. Der volkswirtschaftliche Schaden besteht darin, dass mögliche Wohlstandsgewinne nicht realisiert werden. Könnten die Parteien glaubhaft ausschlie116 Grundlegend zum Problem der adversen Selektion Akerlof, Quarterly Journal of Economics 84 (1970), 488 ff.; vgl. auch Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 241 ff.; Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 250 f. und S. 255. Zur adversen Selektion speziell im Zusammenhang mit AGB s. unten § 5 I. 4. b) bb). 117 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 257; Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 96.
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1. Teil: Grundlegung
ßen, sich opportunistisch zu verhalten, würde in den obigen Beispielen der Anbieter hochwertiger Produkte ebenso Abnehmer finden wie die Person mit dem niedrigen Schadensrisiko einen Versicherer. Auch transaktionsspezifische Investitionen würden einer Zusammenarbeit nicht im Weg stehen. 3. Institutionen als Instrument zur Überwindung von Kooperationsstörungen In den vorausgegangenen Abschnitten sind die Kooperationsstörungen skizziert worden, die in einem unregulierten Markt aus den Transaktionskosten und der begrenzten Rationalität des Menschen resultieren. Für das Forschungsprogramm der Neuen Institutionenökonomik bildet die Untersuchung des „Kooperationsversagens“ lediglich den Ausgangspunkt. Im Zentrum der Analyse stehen die gesellschaftlichen Arrangements, die zur Überwindung der Kooperationshindernisse entstehen. Diese Arrangements werden als Institutionen bezeichnet. Der Institutionenbegriff ist zwar in den Einzelheiten umstritten.118 Weitgehend anerkannt ist allerdings die von Douglass North formulierte Definition: „Institutions are the humanly devised constraints that structure human interaction. They are made up of formal constraints (e. g., rules, laws, constitutions), informal constraints (e. g., norms of behavior, conventions, self-imposed codes of conduct), and their enforcement characteristics. Together they define the incentive structure of societies and specifically economies.“ 119
Institutionen sind demnach Instrumente zur Koordination menschlicher Interaktionen. Bei der Darstellung des idealtypischen Marktes war darauf hingewiesen worden, dass der Preismechanismus ebenfalls eine Koordinationsfunktion erfüllt.120 Es hatte sich gezeigt, dass die Besonderheit der durch die Preise geschaffenen Ordnung in ihrer ,spontanen‘ Natur besteht: Die Verhaltenssteuerung erfolgt nicht im Rahmen eines bewusst konzipierten Plans, sie ist vielmehr das Werk einer „unsichtbaren Hand“. Demgegenüber sind Institutionen – in den Worten Norths – „humanly devised“, d.h. vom Menschen bewusst und gezielt ersonnen. In Abwandlung der Metapher von Adam Smith ließe sich sagen, dass sie „sichtbare Hände“ sind, die die Interaktionen zwischen den Gesellschaftsmitgliedern steuern.121 118 Einen Überblick bieten etwa Voigt, Institutionenökonomik, S. 26 ff.; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 7 f. 119 North, American Economic Review 84 (1994), 359, 360. 120 Oben § 2 I. 3. a). 121 Siehe allerdings Voigt, Institutionenökonomik, S. 27, der am Beispiel der Sprache darauf hinweist, dass Institutionen das „Ergebnis menschlichen Handelns“ und nicht zwangsläufig auch das „Ergebnis menschlichen Entwurfs“ sind. Allerdings unterliegt auch die Sprache (grammatikalischen und orthographischen) Regeln, die heute zentral festgelegt und nicht nur spontan gewachsen sind.
§ 2 Der Markt: Eine ökonomische Perspektive
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Wie aus der obigen Definition hervorgeht, umfasst der ökonomische Institutionenbegriff nicht nur staatlich gesetzte Verhaltensregeln und ihre Durchsetzungsmechanismen, sondern auch unverbindliche gesellschaftliche Konventionen. Institutionen nichtrechtlicher Art können beispielsweise auf Reputationseffekten beruhen. Reputation kann immer dann das Verhalten beeinflussen und opportunistische Handlungen verhindern, wenn ein Individuum die gleiche Transaktion wiederholt unter vergleichbaren Bedingungen eingeht. In einem solchen Fall kann ein einmaliges opportunistisches Verhalten zwar kurzfristig, d.h. in der gegenwärtigen Geschäftsbeziehung, Gewinne bescheren. Haftet jedoch der betreffenden Person im Geschäftsverkehr fortan der Ruf an, ein wenig vertrauenswürdiger Partner zu sein, können sich auf lange Sicht schwerwiegende Nachteile für sie ergeben, etwa wegen des Verlusts künftiger Geschäftschancen. Ein Praxisbeispiel für einen Kontroll- und Sanktionsmechanismus, der nicht auf staatlichem Zwang, sondern allein auf Reputationseffekten basiert, sind die Käufer- bzw. Verkäuferbewertungen bei Internetauktionen, die es den Nutzern ermöglichen, die Zuverlässigkeit potenzieller Transaktionspartner einzuschätzen. Aus juristischer Sicht gilt das Hauptaugenmerk freilich den rechtlichen Institutionen. Das Vertragsrecht ist zu weiten Teilen als Instrument zu begreifen, das die Funktionsvoraussetzungen für das Kooperationselement des Marktmechanismus sichern soll: Allen voran der Grundsatz von pacta sunt servanda, aber auch die Regeln über die Irrtumsanfechtung, über die Haftung bei Pflichtverletzungen und über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zielen darauf, die Unsicherheiten der Transaktion zu minimieren und opportunistisches Verhalten der Parteien auszuschließen.122 Zudem leistet das dispositive Gesetzesrecht einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung der Transaktionskosten und zur Gewährleistung möglichst vollständiger Verträge,123 indem es „lückenfüllende“ standardisierte Regelungen bereithält, die die Partner automatisch binden, ohne dass sie eigens ausgehandelt zu werden brauchen.124 Die Frage, welche Rolle das Recht allgemein für die Marktordnung spielt, soll im folgenden Kapitel näher beleuchtet werden.
122 Vgl. allgemein zu den ökonomischen Funktionen des Vertragsrechts Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 179 ff. 123 Zum Problem „unvollständiger“ Verträge als Quelle für Kooperationsstörungen s. oben § 2 II. 2. a) bb). 124 Ausführlich hierzu Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 44 ff., 339 ff.; s. auch Kötz, Vertragsrecht, Rn. 55 ff.; Unberath/Cziupka AcP 209 (2009), 37, 50 ff.; Maultzsch AcP 207 (2007), 530, 547; Fleischer ZHR 168 (2004), 673, 692; Larenz, Schuldrecht I, S. 76 f. Zu der Frage, inwieweit der Gesetzgeber in der Pflicht steht, dem Rechtsverkehr derartige „Ergänzungsmechanismen“ zur Verfügung zu stellen, Möslein, Dispositives Recht, S. 377 ff.
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1. Teil: Grundlegung
III. Zusammenfassung Die Marktwirtschaft beruht auf der Kombination von Kooperation und Konkurrenz. Der freiwillige Austausch von Gütern und Leistungen unter Wettbewerbsbedingungen fördert die Allokations-, die Produktions- und die dynamische Effizienz und mehrt folglich den gesellschaftlichen Wohlstand. Das Marktsystem achtet die Freiheit des Individuums: Der Einzelne darf autonom nach seinen persönlichen Präferenzen bestimmen, was er produzieren und konsumieren möchte. Das Verhalten der Akteure wird durch den Preismechanismus koordiniert. Dieser wirkt darauf hin, dass die Individuen ihre Freiheit zum größtmöglichen Wohl der anderen Gesellschaftsmitglieder ausüben. In einem perfekt funktionierenden Markt werden Transaktionen nur dann eingegangen, wenn sie für beide Seiten gewinnbringend sind. Wäre das Geschäft für eine Partei nachteilig, würde sich diese der Kooperation verweigern. Im Konsensprinzip wurzelt damit die sog. „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“. Demgegenüber bietet der Markt bei der Wohlstandsverteilung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene keine vergleichbare „Richtigkeitsgewähr“: Ob ein gerechtes Verteilungsergebnis erreicht wird, hängt letztlich von Umständen ab, auf die der Markt selbst nur in beschränktem Maß Einfluss nehmen kann. In der Realität sind vielfältige Formen des Marktversagens denkbar. Sie können das Konkurrenz- oder das Kooperationselement betreffen. Das sogenannte „Kooperationsversagen“ geht im Wesentlichen auf zwei Ursachen zurück: Erstens unterliegen Individuen Informations- und Rationalitätsdefiziten. Zweitens ist der Abschluss vollständiger Verträge, die Regelungen für alle möglichen Eventualitäten enthalten, mit prohibitiv hohen Kosten verbunden. Infolgedessen bietet sich den Parteien die Möglichkeit zu opportunistischem Verhalten: Sie können die Unsicherheiten des Kooperationsverhältnisses bewusst dazu ausnutzen, sich einseitige Vorteile zum Nachteil des Gegners zu sichern. Opportunismus vereitelt zum einen die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ und führt zur Benachteiligung der individuell betroffenen Vertragspartei (individuelle Dimension des Kooperationsversagens). Zum anderen schwächt Opportunismus das Vertrauen in Markttransaktionen insgesamt und bedingt, dass in bestimmten Konstellationen an sich mögliche Kooperationen nicht durchgeführt werden. Realisierbare Wohlstandsgewinne werden dadurch verschenkt (überindividuelle Dimension des Kooperationsversagens). Die Aufgabe von „Institutionen“ im Sinne der Neuen Institutionenökonomik ist es, die in der Realität auftretenden Kooperationshindernisse zu beseitigen, um die Funktionsbedingungen des Marktmechanismus zu gewährleisten.
§ 3 Markt und Recht
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§ 3 Markt und Recht Im vorausgegangenen Kapitel wurde die Wirkungsweise des Marktes betrachtet, ohne den Einfluss des Rechts zu berücksichtigen. Das hypothetische Modell einer „vorrechtlichen“ Wirtschaft sollte die „natürliche“ Leistungsfähigkeit des Marktsystems und deren Grenzen aufdecken. Nun ist der Blick auf die Rolle zu richten, die die Rechtsordnung – und zwar konkret die geltende deutsche und europäische Rechtsordnung – für die Marktwirtschaft spielt. Wirtschafts- und Rechtsordnung stehen in einem engen Zusammenhang: Eucken spricht von der „Interdependenz“ 125 der beiden Ordnungen, Mestmäcker von einer „strukturellen Parallelität“ 126. Im Einzelnen lassen sich folgende Wechselwirkungen zwischen Recht und Markt identifizieren: Die Rechtsordnung, insbesondere das europäische Primärrecht und das Grundgesetz, bestimmt zum einen, ob und in welchen Grenzen ein marktwirtschaftliches System zu verwirklichen ist; dies kann als die Legitimationsfunktion des Rechts für den Markt bezeichnet werden. Gleichzeitig stellt sich das Recht jedoch auch in den Dienst der Wirtschaft127 und trägt dazu bei, die Funktionsbedingungen des Marktmechanismus zu gewährleisten: Hier nimmt die Rechtsordnung eine funktionsschützende Aufgabe wahr.128 Diese beiden Formen der Einwirkung der Rechtsordnung auf die Marktwirtschaft sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.
I. Die Legitimationsfunktion der Rechtsordnung Welche wirtschaftspolitischen Vorgaben aus dem Grundgesetz und dem europäischen Recht folgen, ist bereits vielfach und ausführlich behandelt worden;129 meist wird die Frage unter dem Stichwort der Wirtschaftsverfassung diskutiert.130 Hier ist nicht der Ort, sich der Thematik in extenso zu widmen. Für die weitere Untersuchung genügen ein paar kurze Bemerkungen darüber, inwieweit die Rechtsordnung in Deutschland ein marktwirtschaftliches System zulässt oder gar gebietet. 125
Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 49 und 180 ff. Mestmäcker ZHR 137 (1973), 97, 101. 127 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 196: „Natürlich steht die Rechtsgarantie in weitestem Umfang direkt im Dienst ökonomischer Interessen“. 128 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, S. 33 f., spricht in diesem Zusammenhang davon, dass das (Privat-)Recht für die Zwecke der Wirtschaftsordnung „funktionalisiert“ werde. 129 Vgl. etwa (jeweils m.w. N.) Mestmäcker, in: Basedow/Zimmermann/Hopt (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 490 ff.; Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung; Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 1 ff.; Papier, FS Selmer, 459; Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung. 130 Zum schillernden Begriff der Wirtschaftsverfassung vgl. nur Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 1 ff. 126
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1. Teil: Grundlegung
1. Normative Wertentscheidungen zugunsten einer marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaftsordnung Das Grundgesetz enthält bekanntlich kein ausdrückliches Bekenntnis zugunsten einer bestimmten Wirtschaftsform. Art. 15 und Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG bieten beispielsweise eine Rechtsgrundlage für die Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“. Diese Regelungen legen nahe, dass der Gesetzgeber keineswegs auf das Ordnungsmodell der Marktwirtschaft festgelegt ist, sondern durchaus auch planwirtschaftliche Organisationsformen implementieren darf. Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht – insbesondere in den jungen Jahren der Bundesrepublik – die „wirtschaftspolitische Neutralität“ des Grundgesetzes immer wieder hervorgehoben:131 Von Verfassung wegen unterliege der Gesetzgeber keiner Pflicht, ausschließlich „marktkonforme“ wirtschaftspolitische Maßnahmen zu ergreifen.132 Auch wenn das Grundgesetz keine ausdrückliche Systementscheidung zugunsten der Marktwirtschaft trifft, folgt daraus nicht, dass die staatlichen Entscheidungsträger bei der Wahl der Wirtschafts- und Sozialordnung freie Hand hätten. Das Zusammenspiel unterschiedlicher normativer Vorgaben zieht dem wirtschaftspolitischen Gestaltungsraum Grenzen und bewirkt letztlich, dass die Wirtschaftsordnung – zumindest ihrem Grundcharakter nach – zwingend marktwirtschaftlichen Prinzipien folgen muss. Das Gebot der Marktordnung ergibt sich zum einen aus dem Recht der Europäischen Union.133 Art. 3 Abs. 3 EUV nennt als Ziele der Union die Errichtung des Binnenmarkts sowie einer „in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft“. In Art. 119 Abs. 1 AEUV verpflichten sich die Mitgliedsstaaten und die Union „dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“. Auf denselben Grundsatz wird auch in Art. 127 Abs. 1 AEUV nochmals Bezug genommen. Spätestens seitdem Art. 23 GG die Mitwirkung der Bundesrepublik an der europäischen Integration festschreibt, kann angesichts des klaren Bekenntnisses der EU zum Marktsystem von der „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des Grundgesetzes nicht mehr die Rede sein. Hinzukommen weitere Gesichtspunkte: Seit der „Lüth“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts134 ist anerkannt, dass die Grundrechte nicht nur subjek131 BVerfGE 4, 7, 17; BVerfGE 7, 377, 400; BVerfGE 50, 290, 336. Grundlegend für die Gegenauffassung Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz. 132 BVerfGE 4, 7, 18. 133 So auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 76; Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, S. 26 ff.; vgl. auch Franck, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 6 Rn. 18 ff. 134 BVerfGE 7, 198, 205.
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tive Abwehrrechte des Bürgers gegen staatliche Maßnahmen begründen, sondern darüber hinaus objektive Wertentscheidungen und Institutsgarantien beinhalten, die programmatischen Charakter für die Rechtsordnung insgesamt besitzen. Die Gewährleistungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), der Berufs- und Unternehmensfreiheit (Art. 12 GG) oder beispielsweise des Privateigentums (Art. 14 GG) lassen sich nur in einer Wirtschaftsordnung verwirklichen, die auf dem Prinzip dezentraler Koordination135 basiert.136 Anders gewendet: In einem zentral gelenkten Wirtschaftssystem wäre kein Raum für individuelle wirtschaftliche Freiheitsrechte.137 Sieht man in den Grundrechten einen Auftrag zur Verwirklichung einer marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung, ergeben sich hieraus wichtige Implikationen für die an früherer Stelle erwähnte Kontroverse über die Bedeutung der Freiheit im Marktsystem:138 Individuelle Freiheit ist dann ein zentrales Ziel der Wettbewerbswirtschaft und nicht nur ein Mittel zur Effizienzmaximierung. In einer Gesellschaft, die Freiheit als Selbstzweck anerkennt, darf sich der Einzelne auch wirtschaftlich unvernünftig verhalten.139 Er darf sich auch zu Handlungen entschließen, die ihm objektiv eher schaden als nützen. Diese Grundsätze rechtfertigen sich nicht zuletzt daraus, dass zentrale Instanzen wie etwa der Gesetzgeber oder Gerichte häufig gar nicht beurteilen können, was für den einzelnen Bürger „vernünftig“ oder „nützlich“ ist. Wie von Hayek hervorgehoben hat,140 ist das Wissen in der Gesellschaft verstreut und eine zentrale Bündelung aller Informationen faktisch gar nicht zu leisten. Aufgrund seines Informationsdefizits soll der Staat autonome Entscheidungen der Individuen grundsätzlich nicht ex post in Frage stellen dürfen. Er hat vielmehr dafür zu sorgen, dass die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Handeln des Einzelnen gewährleistet sind und die Privatautonomie nicht durch Informationsmängel, Zwang oder andere Hindernisse beeinträchtigt wird. Somit bleibt festzuhalten: Die normativen Vorgaben für die Gestaltung der Wirtschaftsordnung sind angesichts des Einflusses des Europarechts und der verfassungsrechtlich verbürgten Freiheitsrechte keineswegs „wirtschaftspolitisch 135
Zur dezentralen Koordination oben § 2 I. 3. a). Zum Einfluss der Grundrechte auf die Wirtschaftsordnung vgl. bereits Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, S. 19 ff.; s. auch Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, Rn. 16; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 76; vgl. auch Herresthal, FS Canaris, Bd. II, S. 1107, 1114, der davon spricht, dass die Verfassung den Markt „zumindest mittelbar und reflexartig“ schützt. 137 Für Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 76 ist dies „unstreitig“. 138 Oben § 2 I. 3. c). 139 Gegen eine Instrumentalisierung der Freiheitsrechte auch Papier, FS Selmer S. 459, 469. Zur These, dass „Freiheit ein Wert an sich“ sei, s. auch Canaris AcP 200 (2000), 273, 288; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht (1988), S. 37. 140 Oben § 2 I. 3. a). 136
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1. Teil: Grundlegung
neutral“.141 Freilich hat das Bundesverfassungsgericht selbst den Grundsatz der „wirtschaftspolitischen Neutralität“ eingeschränkt, indem es immer wieder betont hat, der Gesetzgeber habe bei der Ausübung seines Gestaltungsermessens jedenfalls „das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte“ zu beachten.142 Ist demnach die Neutralitätsthese so zu verstehen, dass das Grundgesetz keine ausdrückliche Systementscheidung für eine bestimmte Wirtschaftsform trifft, die Grundwerte der Rechtsordnung jedoch tendenziell in einer Marktwirtschaft am besten zur Geltung kommen, dann verdient sie uneingeschränkt Zustimmung. 2. Grenzen der Marktwirtschaft Unionsrecht und Grundgesetz legitimieren zwar die marktwirtschaftliche Ordnung, dies allerdings nicht uneingeschränkt. Der Verwirklichung des Marktmodells sind strenge Grenzen gezogen. Die wichtigsten ergeben sich aus dem Sozialstaatsprinzip. Der bereits erwähnte Art. 3 Abs. 3 EUV erklärt die soziale Marktwirtschaft und die Förderung sozialer Gerechtigkeit zum Ziel der Union. Die gleiche Wertung kommt ferner in der Anerkennung sozialer Grundrechte in den Art. 27 ff. der EU-Grundrechtecharta zum Ausdruck. Auf Ebene des nationalen Rechts ist das Sozialstaatsgebot in Art. 20 Abs. 1 GG verankert. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht aus Art. 20 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ein „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ entwickelt.143 Aus dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG geht zudem hervor, dass „die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung“ eine Aufgabe des Gesetzgebers ist. Schranken für die Marktwirtschaft folgen auch aus anderen Wertungen und Staatszielbestimmungen, etwa aus der Menschenwürdegarantie (Art. 1 der EU-Grundrechtecharta und Art. 1 Abs. 1 GG) oder dem Umweltschutz (Art. 3 Abs. 3 EUV und Art. 20a GG): So sind zum Beispiel manche höchstpersönlichen Güter oder Naturressourcen von vornherein nicht vermarktungsfähig und können nicht zum Gegenstand von Austauschverträgen gemacht werden.144
141 So im Ergebnis auch Canaris, FS Lerche, S. 873, 879; Herresthal, FS Canaris, Bd. II, S. 1107, 1114. 142 BVerfGE 7, 377, 400. In BVerfGE 32, 311, 317, hat das Gericht unter Berufung auf Art. 12 GG sogar ausgeführt: „Die bestehende Wirtschaftsordnung enthält den grundsätzlich freien Wettbewerb der als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt auftretenden Unternehmer als eines ihrer Grundprinzipien“. 143 BVerfGE 40, 121, 133; BVerfGE 113, 88, 108 f.; BVerfG NJW 2009, 2267; BVerfG NJW 2010, 505, 507; vgl. näher zu diesem Grundrecht Seiler JZ 2010, 500. 144 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 3 Abs. 2 lit. c und Art. 5 Abs. 3 der EU-Grundrechtecharta, die ausdrücklich den Organ- bzw. Menschenhandel verbieten.
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Vor diesem Hintergrund hat der Staat zwei Aufgaben zu leisten: Zum einen muss er bestimmte Lebens- und Gesellschaftsbereiche der Domäne des Marktes insgesamt entziehen. Zum anderen muss er in den Marktmechanismus eingreifen, um grob ungerechte Verteilungsergebnisse zu kompensieren.145 Wie sich im vorausgegangenen Kapitel gezeigt hatte, vermag der Markt nicht ohne weiteres eine gerechte Wohlstandsverteilung zu gewährleisten.146 Dies gilt in erster Linie für die gesamtgesellschaftliche Ebene, auf der die letztlich erreichte Ressourcenallokation von Umständen und Zufälligkeiten abhängt, die sich der Kontrolle des Marktes entziehen. Doch auch die distributive Gerechtigkeit innerhalb des Vertragsverhältnisses kann aufgrund ungleicher Verhandlungsmacht der Transaktionspartner im Einzelfall erheblich gestört sein. Für die Herstellung sozialer Gerechtigkeit steht den staatlichen Institutionen ein breites Spektrum an regulatorischen Maßnahmen zur Verfügung. Sie können durch das Steuer- und Sozialrecht Transferzahlungen von vermögenden auf bedürftige Individuen vorsehen und auf diese Weise den gesellschaftlichen Wohlstand umverteilen. Sie können ferner die Entstehung marktmächtiger Unternehmer durch die Zusammenschlusskontrolle oder durch Entflechtungsmaßnahmen verhindern. Und sie können schließlich – wie noch näher zu sehen sein wird – die Spielräume für den Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen einengen, indem sie beispielsweise die Konditionen eines Vertrags und insbesondere den Preis einer Kontrolle unterwerfen.147 Die Markteingriffe, die zur Gewährleistung sozialer Gerechtigkeit oder aus Rücksicht vor anderen Wertungen der Rechtsordnung vorgenommen werden, ziehen in den meisten Fällen nachhaltige Störungen des Marktmechanismus nach sich. Die Besteuerung von Arbeitseinkommen mindert beispielsweise die Anreize zu produktiven Tätigkeiten. Die Untersagung von Unternehmenszusammenschlüssen verhindert nicht selten Effizienzgewinne in der Produktion. Die Regulierung von Preisen beeinträchtigt deren Funktion als Knappheitsindikatoren und kann in der Folge die Fehlallokation von Ressourcen bewirken. Da nun der Staat nicht dem Gebot unterliegt, eine „reine“ bzw. „perfekte“ Marktwirtschaft einzurichten, sondern auch vielfältige andere Ziele und Interessen verfolgen muss, sind marktstörende Folgewirkungen regulatorischer Maßnahmen nicht von vornherein illegitim. Nicht anders als auf anderen Gebieten der Verfassungspraxis auch, muss der Staat die kollidierenden Ziele – marktkonforme wie marktfremde – in einen vernünftigen Ausgleich miteinander bringen.
145 Diese beiden Aufgaben unterscheidet auch Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 43: Marktregulierung zielt darauf, „dass für mögliche Tauschobjekte die Marktgängigkeit oder für mögliche Tauschreflektanten die Marktfreiheit material durch Ordnungen wirksam beschränkt“ wird. 146 Oben § 2 I. 4. b). 147 Vgl. hierzu unten § 4 II. 2.
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1. Teil: Grundlegung
II. Der Schutz der Funktionsbedingungen des Marktes durch das Recht In den Bereichen, in denen die Einrichtung von Märkten durch die Rechtsordnung legitimiert ist, nimmt das Recht auch eine „dienende“ Funktion wahr: Es unterstützt das Wirken der „unsichtbaren Hand“, indem es die Funktionsvoraussetzungen des Marktmechanismus gewährleistet und absichert.148 Es geht hier mit anderen Worten um „Wirtschaftsermöglichung“ 149. Im Zusammenhang mit dem ökonomischen Institutionenbegriff ist bereits auf die Rolle hingewiesen worden, die speziell das Vertragsrecht für die Überwindung von Kooperationsstörungen spielt.150 Doch auch Regelungen auf anderen Rechtsgebieten leisten einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Marktprozesses. Bereits Adam Smith hatte erkannt: „Commerce and manufactures can seldom flourish long in any state which does not enjoy a regular administration of justice, in which the people do not feel secure in the possession of their property, in which the faith of contracts is not supported by law, and in which the authority of the state is not supposed to be regularly employed in enforcing the payment of debts from all those who are able to pay.“ 151
Die marktkonstitutive Funktion bestimmter Rechtsinstitute ist auch von Eucken hervorgehoben worden. Er zählt unter anderem die Offenhaltung der Märkte, das Privateigentum, die Vertragsfreiheit und die Haftung zu den „konstituierenden Prinzipien“ einer Wettbewerbswirtschaft.152 Böhm spricht von der Notwendigkeit eines „Ordnungsrahmens“, der das „partiturkonforme“ Funktionieren des marktwirtschaftlichen Lenkungsmechanismus garantiert.153 Die „Grundprinzipien“ Euckens und der „Ordnungsrahmen“ Böhms decken sich in ihrer Funktion mit den Institutionen im Sinne des neoinstitutionalistischen ökonomischen Ansatzes.154 Es würde an dieser Stelle zu weit führen aufzuzeigen, welche Funktionsvoraussetzungen des Marktes die Rechtsordnung im Einzelnen sichert. Eine solche 148 Vgl. zur Funktion des Rechts als „sichtbare Hand“, die die dezentrale Koordinationsleistung des Marktmechanismus unterstützt, Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts; ders., A Legal Theory without Law, S. 22 ff. 149 Zum Begriff Streissler, in: Bydlinski/Mayer-Maly (Hrsg.), Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, S. 131, 154; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 187. 150 Oben § 2 II. 3. 151 A. Smith, Wealth of Nations, S. 910. 152 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 254 ff.; für eine Ergänzung des Prinzipienkatalogs von Eucken mit Blick auf weitere Formen des Marktversagens Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, S. 14 ff. 153 Vgl. Böhm ORDO 17 (1966), 75, 139. 154 Vgl. zu den Parallelen zwischen der Freiburger Schule des Ordoliberalismus und der Neuen Institutionenökonomik z. B. Streit JITE 148 (1992), 675; Oberender/Christl, in: Külp/Vanberg (Hrsg.), Freiheit und wettbewerbliche Ordnung, S. 523 ff.
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Darstellung müsste auf das gesamte „Wirtschaftsrecht“ in seinem weitesten Sinne eingehen: Neben einer Fülle privatrechtlicher Normen würden auch aufsichtsrechtliche Regelungsinstrumente sowie die Institutionen des Geld- und Währungswesens Aufmerksamkeit verdienen. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung soll der Hinweis auf ein paar ausgewählte, überwiegend privatrechtliche Beispiele genügen, die von grundlegender Bedeutung sind: – Für das Marktsystem ist charakteristisch, dass die verfügbaren Ressourcen einzelnen Individuen zur ausschließlichen Nutzung und Verwertung zugewiesen sind. Wie bereits gesehen, können die Individuen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse die Ressourcen untereinander tauschen. In der wirtschaftlichen Realität hat sich gezeigt, dass Ressourcen produktiver eingesetzt werden, wenn sie Einzelnen exklusiv und mit der Möglichkeit der freien Übertragung zugeordnet werden und nicht im Gemeingebrauch aller Gesellschaftsmitglieder stehen.155 Mit dem Institut des Privateigentums schafft die Rechtsordnung ein System ausschließlicher Herrschaftsrechte. „Privateigentum“ meint dabei nicht nur das dingliche Vollrecht an Sachen im Sinne des § 903 BGB, sondern auch alle anderen Ausschließlichkeitsrechte, wie etwa die beschränkten dinglichen Rechte, die Immaterialgüterrechte oder die Anteils- und Mitgliedsrechte an Gesellschaften und Körperschaften. Das Recht definiert in klarer Weise den Inhalt und die Grenzen der privaten Nutzungskompetenz und verteidigt diese über staatliche Sanktionsmechanismen gegen Übertretungen Nichtberechtigter. – Ein weiterer fundamentaler Beitrag der Rechtsordnung besteht in der Offenhaltung der Märkte: Hier geht es um die Absicherung des Konkurrenzelements des Marktmechanismus. Diese Aufgabe erfüllt in erster Linie das Kartellrecht. Es wirkt Wettbewerbsbeschränkungen entgegen, die sich etwa aufgrund von Absprachen, Unternehmenszusammenschlüssen oder der gezielten Behinderung von Mitbewerbern ergeben, und verhindert so die „Vermachtung“ von Märkten. – Die Bedeutung des Vertragsrechts für die Überwindung von Friktionen im Kooperationselement („Kooperationsversagen“) ist bereits erwähnt worden156 und wird auch noch in den nächsten Kapiteln thematisiert werden. – Und schließlich ist auf die Rolle des Haftungsrechts für die Vermeidung negativer externer Effekte hinzuweisen. Die Pflicht zur Schadenskompensation bewirkt, dass die Akteure nachteilige Auswirkungen, die ihr Verhalten potenziell auf Dritte haben können, „internalisieren“, d.h. bei der Kosten-Nutzen-Abwägung ihrer Handlungsoptionen berücksichtigen.157 Ohne die Internalisierung 155
Vgl. hierzu z. B. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 87 ff. Oben § 2 II. 3. 157 Negative externe Effekte können nicht durch das Haftungsrecht, sondern auch durch die Beschränkung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit verhindert werden, s. dazu unten § 4 I. 3. a). 156
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1. Teil: Grundlegung
negativer Externalitäten drohen gesamtgesellschaftliche Wohlstandsverluste, da Individuen dann nicht von solchen Aktivitäten abgehalten werden, die anderen mehr schaden als sie ihnen selbst nützen.
III. Zusammenfassung Die deutsche und europäische Rechtsordnung wirken auf das Wirtschaftssystem in zweifacher Weise ein. Erstens tragen sie dem Gesetzgeber auf, eine Gesellschaftsordnung einzurichten, die in ihrer Grundausrichtung marktwirtschaftlich verfasst ist; diese Systementscheidung ist allerdings von einer Reihe von Wertungen wie etwa dem Sozialstaatsgebot flankiert, die der Verwirklichung des Marktmodells Grenzen ziehen. Zweitens stellt sich die Rechtsordnung in den Dienst der Wirtschaft: Sie leistet einen fundamentalen Beitrag zur Gewährleistung der Funktionsvoraussetzungen des Marktmechanismus. Sie statuiert Verhaltensregeln und schafft Institutionen, die insbesondere darauf zielen, Störungen im Konkurrenz- und im Kooperationselement des Marktsystems zu verhindern.
2. Teil
Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts § 4 Marktkonstitutives und marktkompensatorisches zwingendes Vertragsrecht „Durch zwingendes Recht wird der Vertrag teilweise entprivatisiert und verstaatlicht.“ 1 Diese pointierte Aussage Martineks wirft die Frage auf, welchem Zweck die „Verstaatlichung“ privater Kooperationsverhältnisse dienen soll. Grundsätzlich lassen sich zwei gegenläufige Funktionen des zwingenden Vertragsrechts in der Marktordnung unterscheiden: eine konstitutive und eine kompensatorische.2 Die marktkonstitutive Funktion ist darauf gerichtet, die Funktionsbedingungen des Marktmechanismus zu gewährleisten. Die Beschränkung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit soll mit anderen Worten Marktversagen verhindern. Wie bereits in der Einführung bemerkt, bildet diese Kategorie zwingender Vorschriften den Hauptgegenstand der vorliegenden Untersuchung. Demgegenüber zielt die marktkompensatorische Funktion darauf, dem Wirkungsbereich des Marktes aus rechtsethischen oder sozialstaatlichen Gründen Grenzen zu ziehen. Dies geschieht auf zweifache Weise. Das zwingende Recht kann – erstens – ein totales Transaktionsverbot bewirken: Privatautonome Transaktionen über bestimmte Güter oder Leistungen sind dann insgesamt rechtsunwirksam. Zweitens 1 Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 511, 543. 2 Ebenso Drexl, FS Sonnenberger, S. 771, 783, der allerdings die beiden Begriffe teilweise anders versteht als hier; vgl. auch ders., Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 9, 288 ff. (jedoch in Bezug auf Verbraucherschutzvorschriften). Ähnliche Unterscheidungen treffen Reich, Markt und Recht, S. 198 ff. („marktkomplementär“ und „marktkompensierend“ bzw. „marktkorrigierend“); Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, S. 195 („marktkomplementär“ und „marktkompensatorisch“); ebenso Voland, Verbraucherschutz und Welthandelsrecht, S. 40 ff.; s. auch Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 511, 515 („marktkomplementär“ und „marktkorrigierend“); ähnlich auch Repgen, Kein Abschied von der Privatautonomie, S. 102 und passim, der zwischen zwingenden Vorschriften unterscheidet, die als Korrektur zur Herstellung von Vertragsgerechtigkeit dienen, und solchen, die unmittelbar zur Schaffung und Förderung von Vertragsfreiheit dienen. Vgl. allgemein zu den Funktionen des zwingenden Vertragsrechts Möslein, Dispositives Recht, S. 164 ff.; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 43 ff.; Wagner ZEuP 2010, 243, 257 ff.; Grigoleit, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 1822, 1823.
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2. Teil: Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts
ist Marktkompensation in der Form möglich, dass der Inhalt der Transaktion – und insbesondere das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung – staatlicher Regulierung unterworfen wird. Zweck der zwingenden Normen ist hier eine Marktergebniskontrolle, mit der Verhandlungsergebnisse korrigiert werden sollen, die die Rechtsordnung als unangemessen beurteilt. Anzumerken ist, dass sich die verschiedenen Normen des zwingenden Vertragsrechts nicht eindeutig einer der beiden Funktionen zuordnen lassen. Wie noch zu sehen sein wird, können bestimmte Vorschriften, je nach Anwendungszusammenhang, auf den marktkonstitutiven oder auf den marktkompensatorischen Zweck gerichtet sein. So verhält es sich beispielsweise mit der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB. Die Norm erfüllt eine marktkonstitutive Funktion, wenn die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts vornehmlich mit Informationsund Rationalitätsdefiziten einer Vertragspartei begründet wird, wie etwa in den viel beachteten Bürgschaftsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.3 Die Einsichtsfähigkeit der Kontrahenten in die Bedeutung und Tragweite der eingegangenen Geschäfte gehört nämlich zu den Funktionsvoraussetzungen des Marktes. Hingegen dient § 138 Abs. 1 BGB der Marktkompensation, wenn das Sittenwidrigkeitsverdikt in erster Linie an ein objektives Missverhältnis zwischen den gegenseitigen vertraglichen Leistungen anknüpft. Beispielhaft hierfür ist etwa die von den Gerichten entwickelte Rechtsfigur des sittenwidrigen „wucherähnlichen“ Darlehensvertrags zulasten von Privatkonsumenten.4 In diesen Konstellationen geht es zumeist um den Ausgleich eines wirtschaftlichen Machtgefälles zwischen den Parteien. Da das Gleichgewicht in der Verhandlungsmacht der Vertragsparteien gerade keine Funktionsbedingung für den Marktmechanismus ist, zielt die Beschränkung der Vertragsfreiheit hier auf marktfremde Zwecke, konkret: auf Sozialschutz. Ebenfalls eine hybride Natur hat das Recht der AGB-Kontrolle. Es dient zwar, wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird,5 vor allem der Überwindung eines Marktversagens, das seine Ursache in spezifischen Informationsnachteilen des Verwendungsgegners hat. Die Kontrolle von AGB in Miet- und Arbeitsverträgen beruht hingegen vorrangig auf sozialpolitischen Überlegungen.
I. Marktkonstitutives zwingendes Vertragsrecht Innerhalb des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts lassen sich die einzelnen Regelungen danach weiter differenzieren, auf welches Element des Marktsystems sie sich im Einzelnen beziehen. Auf dieser Grundlage gelangt man 3 BVerfGE 89, 214, 235; BVerfG NJW 1994, 2749; BVerfG NJW 1996, 2021. In ähnliche Richtung auch die Interpretationen der Entscheidung von Canaris AcP 200 (2000), 273, 296 ff., Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 266 ff., Franck, Europäisches Absatzrecht, S. 158 Fn. 7. 4 Grundlegend BGHZ 80, 153, 160 f.; vgl. näher unten § 4 II. 2. c) aa). 5 Unten § 5.
§ 4 Marktkonstitutives und -kompensatorisches zwingendes Vertragsrecht
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zu folgender Dreiteilung: Eine Gruppe von Normen steht mit dem Konkurrenzelement im Zusammenhang (hierzu sogleich 1.), eine andere mit dem Kooperationselement (sodann 2.) und eine dritte schließlich sichert sonstige Funktionsvoraussetzungen des Marktmechanismus, die sich keinem der beiden vorgenannten Elemente eindeutig zuweisen lassen (zuletzt 3.). 1. Zwingendes Vertragsrecht zum Schutz des Konkurrenzelements des Marktes a) Anwendungsbeispiele Zu den zwingenden Regeln zum Schutz der Marktkonkurrenz gehören an erster Stelle die Kartellverbote nach Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB.6 Offensichtlich ist die wettbewerbsschützende Funktion dieser Vorschriften, soweit sie (horizontale) Absprachen zwischen unmittelbar konkurrierenden Unternehmen verbieten. Doch auch die Kontrolle vertikaler Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die sich in der Absatzkette auf unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufen befinden, dient der Erhaltung des Wettbewerbs.7 So können bestimmte Regelungen in Vertriebsvereinbarungen – beispielsweise die Einräumung eines Alleinvertriebsrechts – den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Absatzmittlern derselben Marke (sog. Intrabrand-Wettbewerb) einschränken.8 Darüber hinaus können Vertikalabreden auch außerhalb des konkreten Absatzmittlungsverhältnisses wettbewerbsschädigende Wirkung haben. Ein Beispiel hierfür sind langfristige Alleinbezugsverpflichtungen, die konkurrierenden Lieferanten den Marktzugang erschweren und so den Wettbewerb zwischen den Marken (sog. Interbrand-Wettbewerb) behindern.9 Auch außerhalb des Kartellrechts finden sich zwingende Normen, die das Konkurrenzelement des Marktes absichern. Zu nennen sind beispielsweise die verschiedenen Vorschriften auf dem Gebiet des Handels-, Arbeits- oder allgemeinen Bürgerlichen Rechts, die die Zulässigkeit von Wettbewerbsverboten und Kundenschutzklauseln regulieren. Hierzu zählen etwa die §§ 74 ff. HGB, § 110 6 Allgemein zur Einwirkung des Wettbewerbs- und Kartellrechts auf das Vertragsrecht und insbesondere die Vertragsfreiheit Drexl, FS Medicus (2009), S. 67, 68 ff. und 85 f.; Lurger, Vertragliche Solidarität, S. 96 ff. 7 Zu den potenziellen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen von Vertikalvereinbarungen vgl. Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 18 Rn. 3; Franck, Europäisches Absatzrecht, S. 234 ff.; Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 134 ff. Siehe allerdings auch die differenzierte Betrachtungsweise bei Knieps, Wettbewerbsökonomie, S. 151 ff., wonach vertikale Bindungen auch effizienzsteigernde Wirkungen haben können. 8 Grundlegend EuGH 10.6.1965, verb. Rs. 56 und 58/64 (Consten und Grundig/ Kommission), Slg. 1966, 322, 390. 9 Vgl. z. B. EuGH 28.2.1991, Rs. C-234/89 (Delimitis), Slg. 1991, I-935, Rn. 14 ff.
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2. Teil: Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts
GewO, § 12 Abs. 1 BBiG und § 138 Abs. 1 BGB.10 Diese Bestimmungen stellen insbesondere an die Wirksamkeit nachvertraglicher Wettbewerbsverbote strenge Anforderungen. Arbeitnehmer11 und Gesellschafter12 können sich demnach nur in begrenztem Umfang dazu verpflichten, nach Beendigung des Arbeits- bzw. Gesellschaftsverhältnisses nicht in Konkurrenz zu ihrem früheren Unternehmen zu treten. Gleiches gilt für die Veräußerer von Unternehmen im Verhältnis zu den neuen Inhabern.13 Die Regulierung von Wettbewerbsabreden wird zwar in erster Linie mit dem Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit der gebundenen Partei begründet.14 Daneben besteht jedoch auch ein überindividuelles Interesse an der Erhaltung wirtschaftlicher Konkurrenzbedingungen, da ohne sie der Markt nicht ordnungsgemäß funktioniert.15 Die kartellrechtlichen Vorschriften allein vermögen die Gefahren für den Wettbewerb nicht in umfassender Form abzuwehren, da sie beispielsweise auf Vereinbarungen mit nichtselbständigen Personen keine Anwendung finden.16 Die überindividuelle Schutzrichtung der Inhaltskontrolle von Wettbewerbsabreden ist nicht ohne praktische Bedeutung. Man denke etwa an die Konstellationen, in denen keine vorrangigen Spezialnormen einschlägig und folglich die Absprachen am Maßstab der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB zu beurteilen sind. Hier macht es durchaus einen Unterschied, ob bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zur Ermittlung der Sittenwidrigkeit nur die Positionen der konkret betroffenen Vertragsparteien, oder darüber hinaus auch die Belange der Allgemeinheit zu berücksichtigen sind. So mag beispielsweise die Zahlung einer Karenzentschädigung an die gebundene Partei einen angemessenen Ausgleich für die Beschränkung ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit darstellen.17 Geht man allerdings davon aus, dass die Wettbewerbsabrede auch das allgemeine Interesse an der Funktionsfähigkeit des Marktes berührt, 10
Vgl. den Überblick bei Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 348 ff. Siehe z. B. BAG NJW 1961, 748 ff. 12 Siehe z. B. BGH NJW 2004, 66. 13 Siehe z. B. BGH NJW 1979, 1605, 1606. 14 BGH NJW 1979, 1605, 1606; BGH NJW 1994, 384, 386; OLG Düsseldorf BB 2001, 956. Vgl. auch MünchKommBGB/Armbrüster § 138 Rn. 79; Staudinger/Sack/ Fischinger, § 138 Rn. 348 (Sittenwidrigkeit von Wettbewerbsverboten wegen ihrer „knebelnden Wirkung“). Speziell zu den Schutzüberlegungen im Rahmen des § 90a HGB vgl. auch BVerfGE 81, 242, 256 ff. 15 MünchKommBGB/Armbrüster § 138 Rn. 79; Melullis WRP 1994, 686, 689; vgl. auch K. Schmidt AcP 206 (2006), 169, 181 ff. Anzumerken ist ferner, dass das Reichsgericht bei der Beurteilung von Wettbewerbsabreden am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB in erster Linie auf Allgemeinwohlinteressen abstellte und nicht auf das individuelle Interesse des Gebundenen, vgl. RGZ 66, 143, 150; RGZ 68, 186, 190; RGZ 80, 219, 223; vgl. in diese Richtung auch BGHZ 91, 1, 7. Hingegen verbietet sich nach Lammel AcP 189 (1989), 244, 265, die Berücksichtigung „volkswirtschaftlicher Gesichtspunkte“ im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB. 16 Hierauf weisen zu Recht Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 351 hin. 17 Näher zur Rolle der Karenzentschädigung für den Interessenausgleich zwischen den Parteien der Wettbewerbsabrede BVerfGE 81, 242, 261 ff. 11
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kann die Karenzentschädigung für sich genommen nicht den Ausschlag über Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Vereinbarung geben. b) Bewertung Die Beschränkungen der Vertragsfreiheit zum Schutz des Wettbewerbs wurzeln in der einleitend erwähnten Erkenntnis, dass unbegrenzte Freiheit zu ihrer eigenen Aufhebung führen kann.18 Wie bereits gesehen,19 sichert das Vertragsrecht das Kooperationselement des Marktmechanismus, indem es die Eingehung von Transaktionen erleichtert und ihre Durchführung sicherer und kalkulierbarer macht. Diese stabilisierende Wirkung des Vertragsrechts würde nun allerdings pervertiert, wenn sie von den Marktakteuren zur Durchsetzung von Kartellen und anderen wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen eingesetzt werden könnte.20 Die wettbewerbsrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit treten einem solchen Missbrauch entgegen und sorgen dafür, dass dort keine Kooperation auf dem Markt stattfindet, wo Konkurrenz zu herrschen hat.21 2. Zwingendes Vertragsrecht zum Schutz des Kooperationselements des Marktes Zwingendes Vertragsrecht sichert ferner die Funktionsvoraussetzungen für die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“.22 Die Beschränkung der Inhaltsfreiheit kann zum einen verhindern, dass eine Partei strukturelle Informationsund Rationalitätsdefizite des Gegners zu seinem Vorteil ausnutzt. Insofern schützt sie die tatsächliche Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung des Individuums (sogleich a). Darüber hinaus kann das zwingende Recht auch die 18 Hierzu bereits oben § 1; s. auch Drexl, FS Medicus, S. 67, 68; Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, S. 38. Siehe speziell zur Begrenzung von Wettbewerbsverboten bereits Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX Jahrhundert, Erster Teil, S. 32 ff., der diese zum „Schutz der Freiheit gegen sich selbst“ für notwendig erachtet. 19 Oben § 2 II. 3. und § 3 II. 20 Vgl. auch Biedenkopf, FS Böhm, S. 113, der darauf hinweist, dass wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen häufig auf dem „Gebrauch privatrechtlicher Institutionen und Gestaltungsformen“ beruhen; in die gleiche Richtung Mestmäcker AcP 168 (1968), 235. 21 Die Notwendigkeit der Beschränkung der Vertragsfreiheit zur Verhinderung wettbewerbsbeschränkender Absprachen betonen insbesondere Vertreter der Freiburger Schule des Ordoliberalismus, vgl. insbesondere Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 276 ff.; Böhm, Ordnung der Wirtschaft, S. 106 f. 22 Allgemein zur Funktion zwingenden Vertragsrechts, „Vertragsversagen“ zu überwinden, Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 43 ff.; Wagner ZEuP 2010, 243, 257; Haberer, Zwingendes Kapitalgesellschaftsrecht, S. 13; Schön, FS Canaris, Bd. I, S. 1191, 1205 ff.; Basedow AcP 200 (2000), 445, 486 ff.; Kötz, FS Mestmäcker, S. 1037, 1039.
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Spielräume für ex-post-opportunistisches Verhalten in langfristigen Verträgen einengen (sodann b).23 a) Schutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit aa) Begriff und Bedeutung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit im Marktsystem Die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ setzt zunächst eine freie, informierte und rationale Abschlussentscheidung durch die Vertragsparteien voraus. Es ist nur dann garantiert, dass der Vertrag für beide Seiten vorteilhaft ist, wenn die Parteien Gegenstand und Tragweite des Geschäfts richtig erfassen können und außerdem die Möglichkeit haben, Angebote abzulehnen, die nicht in ihrem Interesse sind. Diese Bedingungen stellen im Übrigen nicht nur sicher, dass die Transaktion für die beteiligten Parteien vorteilhaft ist. Sie sind darüber hinaus für die Funktionsfähigkeit des Marktes insgesamt und damit auch im überindividuellen Interesse von fundamentaler Bedeutung.24 Der Preismechanismus kann nur dann seine Informations- und Koordinationsfunktion erfüllen,25 wenn die Marktakteure tatsächlich dazu in der Lage sind, im Einklang mit ihren Präferenzen zu handeln. Andernfalls kommt es zu Störungen des Lenkungsmechanismus und infolgedessen zu Wohlstandseinbußen durch die Fehlallokation von Ressourcen.26 Klarzustellen ist, dass im vorliegenden Zusammenhang „Entscheidungsfreiheit“ in einem liberalen Sinn zu verstehen ist und die Abwesenheit von physischem und psychischem Zwang sowie von Informations- und Rationalitätsdefiziten meint.27 Für die Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus kommt es nämlich allein auf diese Form von Entscheidungsfreiheit an. Hingegen umfasst der Begriff nicht die Abwesenheit wirtschaftlicher Zwangsmomente, wie dies von verschiedenen Autoren angenommen wird,28 zu denen auch der Begründer der 23 Auch wenn im Folgenden die beiden Ursachen des „Vertragsversagens“ getrennt voneinander behandelt werden, soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in der Realität sehr häufig Hand in Hand gehen. Ex-post-Opportunismus wird sehr oft durch Informationsasymmetrien begünstigt. Umgekehrt können auch Informationsmängel die Folge opportunistischer Irreführung sein. 24 So auch Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 208; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 45 ff. 25 Dazu näher oben § 2 I. 3. a). 26 Vgl. insbesondere zum Problem der adversen Selektion, das als Folge von strukturellen Informationsdefiziten auf Nachfrageseite droht, unten § 5 I. 4. b) bb). 27 Vgl. zum liberalen Freiheitsverständnis bereits oben § 2 I. 3. b). 28 Grundlegend M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 121 und passim; vgl. ebenfalls Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, S. 10; MünchKommBGB/Busche Vor § 145 Rn. 8; Zweigert/ Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 325; Becker, Der unfaire Vertrag, S. 3
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Theorie von der „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ Schmidt-Rimpler gehört.29 Dieses letztere Verständnis von Selbstbestimmung hat sich im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht zueigen gemacht. Das Gericht hat bei der Beurteilung eines Künstlervertrags zwischen einem Musiker und einem Tonträgerunternehmen ausgeführt, die Bedingungen der Selbstbestimmung des Musikers seien gefährdet, wenn sich die Parteien in „erheblich ungleichen Verhandlungspositionen“ befänden und es infolgedessen zu einer „besonders einseitigen Aufbürdung von vertraglichen Lasten“ komme.30 Im konkreten Fall ergab sich die „erheblich ungleiche Verhandlungsposition“ des belasteten Künstlers allein aus wirtschaftlichen Umständen. Anders als etwa in der sogennanten Bürgschaftsentscheidung,31 auf die das Bundesverfassungsgereicht unter anderem Bezug nahm, gab es keine Hinweise darauf, dass der Künstler die Bedeutung des unterzeichneten Vertrages nicht erfasst hätte. Er hatte schlichtweg nicht die Verhandlungsmacht, günstigere Konditionen für sich gegen die Plattenfirma durchsetzen. Für die vorliegende marktbezogene Analyse liegt nun allerdings zwischen dem Bürgschafts- und dem Künstlervertragsfall ein grundlegender Unterschied. Ein wirtschaftliches Machtungleichgewicht zwischen den Transaktionspartnern berührt nämlich die Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus prinzipiell nicht.32 Im Gegenteil: Eine gewisse wirtschaftliche „Zwangslage“ zwischen den Parteien ist jeder Markttransaktion immanent, beruht diese doch darauf, dass ein Teil über eine bestimmte knappe Ressource verfügt, die der andere Teil benötigt und deswegen gegen Erbringung einer Gegenleistung erwerben muss. Die Rolle der Preise als Knappheitsindikatoren wäre gar nicht vorstellbar, wenn die Anbieter besonders nachgefragter Güter oder Leistungen ihre Kunden nicht „hochhandeln“ würden. Ebenso wird die dynamische Effizienz, also die stetige Verbesserung der Produktqualität durch Innovation und technologischen Fortschritt, dadurch gefördert, dass die Hersteller eine – zumindest vorübergehende – Monopolstellung anstreben, die ihnen einen größeren Anteil an der Kooperationsrente abzuschöpfen erlaubt. Verhindert man die Ausnutzung wirtschaftlicher Macht(„Zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen privatautonomer Gestaltung gehört namentlich die Abwesenheit der Machtstellung eines Partners“). Krit. gegenüber diesem Ansatz z. B. Zöllner AcP 196 (1996), 1, 24 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 7; Coester-Waltjen AcP 190 (1990), 1, 23; Adomeit NJW 1994, 2467, 2468; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 18 ff. 29 FS Raiser, S. 3, 13. 30 BVerfG NJW 2006, 596, 598. Ähnlich auch BVerfGE 81, 242, 255; BVerfG NJW 2007, 286, 287 f. 31 BVerfGE 89, 214. Siehe dazu auch oben § 4 am Anfang. 32 In diese Richtung auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 54 ff.; vgl. auch Reich, Markt und Recht, S. 181, wonach Marktmacht keine „Panne“ der Marktwirtschaft, sondern ein „regelmäßiges Phänomen des Marktes“ ist.
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positionen, drosselt man die treibenden und zugleich lenkenden Kräfte des Marktprozesses. Im Übrigen darf nicht vergessen werden, dass der Markt selbst das Problem ungleicher Machtverteilung auf wirkungsvolle Weise entschärft. In den berühmten Worten Franz Böhms ist nämlich der Wettbewerb „das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“ 33. Wer sich im Marktprozess eine wirtschaftliche Machtstellung erobert, lenkt sogleich die Angriffe der Konkurrenz auf sich, die am Profit partizipieren wollen.34 Unter funktionierenden Wettbewerbsbedingungen ist wirtschaftliche Macht immer nur temporär. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ist die Freiheit von wirtschaftlichen Zwangsmomenten keine Funktionsvoraussetzung des Marktes, folgt daraus lediglich, dass sie nicht Schutzgegenstand des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts sein kann. Es darf hingegen nicht der Schluss gezogen werden, die Rechtsordnung habe sich gegenüber wirtschaftlichen Ungleichgewichtslagen generell zurückzuhalten und als Korrektiv allein auf die „Selbstheilungskräfte“ des Marktes und die Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs zu setzen. In Fällen natürlicher oder situativer Monopole vermag der Markt Machtdifferenzen nicht von sich aus auszugleichen.35 Hier gebietet unter bestimmten Voraussetzungen das Sozialstaatsgebot, das sowohl in der deutschen als auch der europäischen Wirtschaftsverfassung verankert ist,36 eine Korrektur des Marktergebnisses. Hervorzuheben ist, dass dem Gesetzgeber unterschiedliche Instrumente zur Verwirklichung sozialpolitischer Ziele zur Verfügung stehen. Er kann zum einen auf dem Gebiet des Vertragsrechts tätig werden und dabei insbesondere von zwingendem Vertragsrecht Gebrauch machen. In diesem Fall handelt es sich dann um marktkompensatorische Beschränkungen der Vertragsfreiheit, die – anders als marktkonstitutive zwingende Regelungen – in erster Linie auf die Kontrolle des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses gerichtet sind und nicht hinnehmbare Ausbeutungen der schwächeren Partei abwehren sollen.37 Ebenso kann der Gesetzgeber jedoch auch zu Mitteln außerhalb des Vertragsrechts greifen, etwa zum Sozial- oder Steuerrecht, um ein wirtschaftliches Machtgefälle auszugleichen. Je nach Fallgestaltung ist dann zu beurteilen, welches regulatorische Instrument zur Kompensation des wirtschaftlichen Ungleichgewichts am geeignetsten ist und sich mit den sonstigen Wertungen und Prinzipien der Rechtsordnung am besten vereinbaren lässt. Dies alles zeigt, dass Maßnahmen zum Schutz vor wirtschaftlichen Zwangsmomenten grundlegend anderen Kriterien und Überlegungen folgen als die Regeln zur Sicherung rationaler und informierter Verhal33
Vgl. bereits oben § 2 I. 4. a) bb). Zur Eindämmung wirtschaftlicher Macht durch den Wettbewerb vgl. z. B. Rittner AcP 188 (1988), 101, 132; Canaris, FS Lerche, S. 873, 882; Becker, Der unfaire Vertrag, S. 6. 35 Vgl. hierzu oben § 2 I. 4. a) bb). 36 Hierzu oben § 3. 37 Ausführlich zum marktkompensatorischen zwingenden Vertragsrecht unten § 4 II. 34
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tensentscheidungen. Um vor diesem Hintergrund die qualitativen Unterschiede zwischen Marktkonstitution und -kompensation nicht zu verwischen und dem Begriff der Entscheidungsfreiheit nicht die Konturen zu nehmen,38 sollten wirtschaftliche Zwangslagen folglich nicht als eine Beeinträchtigung der „Entscheidungsfreiheit“ aufgefasst werden. bb) Anwendungsbeispiele Welche sind nun die marktkonstitutiven zwingenden Normen, die die individuelle Entscheidungsfreiheit schützen? Die folgende Darstellung geht auf vier besonders wichtige Fallgruppen ein. (1) Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Im Rechtsverkehr von herausragender Bedeutung sind die Regeln über die Inhaltkontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen.39 Diese Vorschriften zielen darauf, eine strukturelle Informationsasymmetrie zu überwinden, die bei einem Vertragsschluss unter Einbeziehung von AGB zwischen den Parteien typischerweise vorliegt:40 Für den Verwendungsgegner lohnt es sich regelmäßig nicht, Zeit und Mühe zu investieren, um sich mit dem Inhalt des „Kleingedruckten“ vertraut zu machen. Stattdessen unterwirft er sich „blind“ den Standardklauseln des Verwenders. Aufgrund seines Informationsdefizits bewertet der Verwendungsgegner das vertragliche Äquivalenzverhältnis häufig falsch, da er seinen Geschäftswillen vorrangig auf der Grundlage der essentialia negotii bildet und die ungünstigen Nebenbedingungen in den AGB nicht ins Kalkül zieht. Die Kassation besonders nachteiliger Klauseln durch die Inhaltskontrolle verhindert, dass die AGB das vertragliche Äquivalenzverhältnis in grober Weise zulasten des Verwendungsgegners verschieben. (2) Nichtdispositive Haftung gewerblicher Leistungsanbieter Ebenfalls der Überwindung von Informationsasymmetrien dient eine Reihe zwingender Haftungsregeln, die das Gesetz für die Anbieter bestimmter Leistungen vorsieht. Beispiele sind etwa die Mängelhaftung des Verkäufers im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs nach § 475 BGB, die Haftung des Reiseveranstalters nach § 651m BGB, die Haftung des Zahlungsdienstleisters nach § 675z S. 2 BGB und die Herstellerhaftung für fehlerhafte Produkte nach § 14 ProdHaftG. In allen diesen Fällen sind insbesondere auch individualvertragliche Haftungsaus38 39 40
Ebenso die Kritik von Coester-Waltjen AcP 190 (1990), 1, 23. Zum zwingenden Charakter dieser Normen unten § 5. Ausf. unten § 5.
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schlüsse verboten. Der Grund für die Dispositionsverbote ist darin zu sehen, dass der Kunde in aller Regel nicht über die Einsichtsmöglichkeit und Erfahrungswerte verfügt, um die betreffenden Risiken zu quantifizieren:41 Der Käufer kann bei Vertragsschluss die Wahrscheinlichkeit eines Defekts am gekauften Computer ebenso wenig einschätzen wie beispielsweise der Reisende das Risiko, dass das gebuchte Hotel in Thailand den Prospektbeschreibungen nicht entspricht. Unter diesen Bedingungen wäre der Ausschluss der Anbieterhaftung für den Kunden ein reines Spekulationsgeschäft, das die Gefahr einer verfehlten Äquivalenzbewertung mit sich trüge.42 (3) Zinseszinsverbot, § 248 Abs. 1 BGB Ein weiteres Beispiel für die Beschränkung der Inhaltsfreiheit zum Schutz vor irrationalen Abschlussentscheidungen ist das Zinseszinsverbot nach § 248 Abs. 1 BGB. Die besondere Gefahr einer Zinseszinsvereinbarung liegt darin begründet, dass sie mit voranschreitender Zeit nicht einen linearen, sondern einen exponentiellen Anstieg der Zinsverbindlichkeiten bewirkt. Der Schuldner kann deswegen die auf ihn zukommende Zinsbelastung leicht unterschätzen.43 Vor diesem Hintergrund soll das Verbot des § 248 Abs. 1 BGB die Zinsklarheit gewährleisten und sicher stellen, dass sich der Schuldner des Umfangs der eingegangenen Zahlungspflicht bewusst ist.44 Die Regelung zielt damit auf die Überwindung kognitiver Defizite. Anders als etwa beim Wucherverbot geht es hier in erster Linie nicht um Ausbeutungsschutz: Es soll die Belastung mit unklaren und nicht zwangsläufig mit unangemessenen Zahlungsverbindlichkeiten verhindert werden.45 Diese Intention zeigt sich insbesondere daran, dass nach dem Gesetzeswortlaut lediglich „im Voraus getroffene“ Vereinbarungen nichtig sind:46 Das Risiko von Fehleinschätzungen stellt sich nur ex ante. Steht hingegen der zu verzinsende Zins bereits summenmäßig fest und ist der Umfang der Verbindlichkeit für den Schuldner hinreichend klar, ist die Zinseszinsvereinbarung zulässig.47 Ferner passt es zum aufgezeigten Normzweck, dass § 248 Abs. 2 Satz 1 BGB eine Verbotsausnahme für das Passivgeschäft von Kreditinstituten vorsieht, d.h. für die Kreditgeschäfte, an denen das Kreditinstitut als Schuldner beteiligt ist. Aufgrund 41
Näher hierzu unten § 6 I. 2. b). Siehe näher zur Problematik § 6 I. 2. b). 43 Anschaulich Bezzenberger WM 2002, 1617, 1618. 44 OLG Köln NJW-RR 1992, 682, 683; K. Schmidt JZ 1982, 829, 830 f.; Palandt/ Grüneberg § 248 Rn. 1; MünchKommBGB/Grundmann § 248 Rn. 1; Erman/Schaub § 248 Rn. 1. 45 In diese Richtung allerdings Reifner NJW 1992, 337, 339 (Zinseszinsverbot als „Überschuldungsschutz“). 46 Ähnliche Einschränkungen finden sich auch bei den Haftungsausschlussverboten des § 475 Abs. 1 BGB sowie § 14 ProdHaftG; vgl. hierzu auch unten § 6 I. 2. b). 47 K. Schmidt JZ 1982, 829, 831; MünchKommBGB/Grundmann § 248 Rn. 4. 42
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ihrer professionellen Sachkunde stehen Banken typischerweise nicht in der Gefahr, den Umfang ihrer Zinsschulden zu unterschätzen.48 (4) § 138 BGB bei Ausnutzung der Unerfahrenheit der Vertragspartei Marktkonstitutive Funktionen kann auch § 138 BGB erfüllen. Dies gilt zum einen für das Wucherverbot nach § 138 Abs. 2 BGB.49 Auf den ersten Blick liegt es zwar nahe, die Norm ausschließlich für ein Instrument der Marktergebniskontrolle zu halten und damit der Marktkompensation zuzurechnen. Für solche Regelungen ist nämlich charakteristisch, dass sie auf das Verhandlungsergebnis abstellen, vor allem auf die objektive Inäquivalenz der gegenseitigen vertraglichen Leistungen. Ebenso knüpft auch § 138 Abs. 2 BGB die Nichtigkeitsfolge an ein „auffälliges Missverhältnis“ zwischen Leistung und Gegenleistung. Dieses Kriterium allein ist nun jedoch gerade keine hinreichende Voraussetzung für die Nichtigkeit des Vertrags. Hinzukommen muss noch eine Störung der Verhandlungsbedingungen: Das Geschäft muss „unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche“ der bewucherten Partei zustande gekommen sein. Jedenfalls die drei zuletzt genannten Merkmale erhöhen das Risiko irrationaler Entscheidungen erheblich und gefährden so die Funktionsvoraussetzungen des Marktmechanismus.50 Indem Verträgen die Wirksamkeit verweigert wird, die durch die Ausnutzung derartiger Rationalitätsdefizite geschlossen werden, werden Störungen der Marktkoordination verhindert – hierin zeigt sich die marktkonstitutive Funktion des § 138 Abs. 2 BGB. So betrachtet hebt das Tatbestandserfordernis des „auffälligen Missverhältnisses“ lediglich die Eingriffsschwelle für die staatliche Intervention: Nur wenn die Beeinträchtigung der individuellen Entscheidungsfreiheit spürbare Auswirkungen auf die Ausgewogenheit des Vertragsinhalts hat, ist eine hinreichend schwere Störung des Marktmechanismus gegeben, die eine Einmischung der Rechtsordnung gebietet. Für den Fall der „Zwangslage“ einer Partei (§ 138 Abs. 2 Alt. 1 BGB) ist hingegen zu differenzieren: Liegen in erster Linie wirtschaftliche Zwangsmomente vor – befindet sich also der Bewucherte in einer Position wirtschaftlicher Unterlegenheit51 –, sind die Funktionsbedingungen des 48 § 355 HGB enthält aus ähnlichen Gründen ebenfalls eine Ausnahme vom Zinseszinsverbot, dazu Staudinger/K. Schmidt § 248 Rn. 30 ff. 49 Zum Zusammenhang zwischen § 138 Abs. 2 BGB und dem Schutz der Entscheidungsfreiheit vgl. auch Canaris AcP 200 (2000), 273, 280 f. 50 Vgl. auch MünchKommBGB/Armbrüster § 138 Rn. 143, der das Charakteristische in den Störungstatbeständen darin sieht, dass „die rationale ökonomische Disposition“ behindert wird. 51 So etwa, wenn dem Bewucherten „schwere wirtschaftliche Nachteile drohen“, vgl. hierzu BGH NJW 1994, 1275, 1276. Vgl. auch Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 230; Palandt/Ellenberger § 138 Rn. 70.
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Marktes nicht berührt.52 Die Einschränkung der Vertragsfreiheit zielt in diesem Zusammenhang auf den Schutz vor Ausbeutung und ist somit marktkompensatorischer Natur. Anders verhält es sich indessen bei physischen oder psychischen Zwangslagen.53 Hier ist ein rationales Verhalten des Betroffenen nicht sichergestellt. Die Nichtigkeitsanordnung schützt hier wie bei den anderen Tatbestandsalternativen des § 138 Abs. 2 BGB die Funktionsfähigkeit des Marktes. Die Doppelfunktion der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB ist bereits angesprochen worden.54 Die Vorschrift dient einem marktkonstitutiven Zweck, wenn die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts mit schwerwiegenden Informationsnachteilen oder Rationalitätsmängeln einer Partei begründet wird. So verhielt es sich etwa in den Bürgschaftsbeschlüssen des Bundesverfassungsgerichts.55 Bemerkenswert an den Entscheidungen ist, dass das Gericht bei der Konkretisierung der Generalklausel im Wesentlichen dem Modell des § 138 Abs. 2 BGB in seiner marktkonstitutiven Zielsetzung folgte.56 Die unmittelbare Anwendung des Wucherverbots war ausgeschlossen, da die Bestimmung nur für Austauschverträge mit gegenseitigen Leistungspflichten gilt und damit nicht für Bürgschaften.57 Die Gesichtspunkte, auf die das Bundesverfassungsgericht das Sittenwidrigkeitsverdikt stützte, weisen allerdings eine auffällige Parallele zu den Tatbestandsmerkmalen des § 138 Abs. 2 BGB auf. So wurde betont, dass die jeweiligen Bürgen nicht in genügender Weise aufgeklärt worden seien und nur über unzureichende geschäftliche Erfahrung verfügt hätten („Mangel an Urteilsvermögen“, „Unerfahrenheit“).58 Sie hätten aus enger emotionaler Verbundenheit zur Person des Kreditschuldners gehandelt („Zwangslage“)59 und seien ein hohes finanzielles Risiko eingegangen, ohne selbst ein wirtschaftliches Eigeninteresse am gesicherten Kredit zu haben („auffälliges Missverhältnis“).60 Und schließlich hätten die Banken die Unerfahrenheit der Bürgen bewusst ausgenutzt, indem sie das Haftungsrisiko heruntergespielt hätten („unter Ausbeutung“).61 Ein Bürgschaftsvertrag, der unter diesen Bedingungen zustande kommt, entspricht nicht der Vorstellung einer Markttransaktion, die von zwei mündigen und informierten 52
Oben § 2 I. 4. a) bb). Vgl. etwa Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 232 mit Beispielen für derartige Zwangslagen. 54 Oben § 4 am Anfang. 55 BVerfGE 89, 214; BVerfG NJW 1994, 2749; BVerfG NJW 1996, 2021. 56 Zur Parallele zu § 138 Abs. 1 BGB Canaris AcP 200 (2000), 273, 296 f. 57 BGH NJW 1988, 2599, 2602; Palandt/Ellenberger § 138 Rn. 66. 58 Dazu BVerfGE 89, 214, 235; BVerfG NJW 1994, 2749, 2750. Vgl. auch BVerfG NJW 1996, 2021: Das Gericht beanstandete eine Angehörigenbürgschaft u. a. deswegen nicht, weil die Bürgin weder gänzlich unerfahren gewesen noch in sonstiger Weise in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt worden sei. 59 Vgl. BVerfG NJW 1994, 2749, 2750. 60 Vgl. BVerfGE 89, 214, 230; BVerfG NJW 1994, 2749, 2750. 61 Vgl. BVerfGE 89, 214, 235. 53
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Partnern freiwillig zum wechselseitigen Vorteil abgeschlossen wird. Die prozeduralen Voraussetzungen für einen „richtigen“ Vertrag sind nicht gewährleistet, so dass ein staatlicher Markteingriff geboten erscheint. cc) Zwingende Normen zum Schutz der Entscheidungsfreiheit als Beitrag zur Materialisierung der Vertragsfreiheit Die zwingenden Vertragsrechtsnormen, die auf den Schutz der individuellen Entscheidungsfreiheit zielen, sind Bausteine einer materialen Konzeption der Vertragsfreiheit.62 Nach diesem Ansatz genügt es für die Verwirklichung der Vertragsfreiheit nicht, dass die Parteien lediglich in einem formalen Sinn – also nur „auf dem Papier“ – frei sind, die vertragliche Beziehung nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die individuelle Selbstbestimmung muss auch faktisch gewährleistet sein. Nach Flume ist Privatautonomie „das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen.“ 63 Vertragsfreiheit, die eine besondere Erscheinungsform der Privatautonomie darstellt,64 ist demnach das Prinzip der Selbstgestaltung des Vertragsverhältnisses durch die Parteien nach ihrem übereinstimmenden Willen. Das materiale Modell der Vertragsfreiheit verlangt nun, dass der Vertrag dem tatsächlichen Willen beider Seiten entspricht. Der Vertragsschluss muss mit anderen Worten auf einer rationalen, informierten und von äußeren Zwängen freien Parteientscheidung beruhen. Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind, verleiht die Rechtsordnung der privaten Vereinbarung Bindungswirkung und respektiert ihren Inhalt. Die materiale Konzeption der Vertragsfreiheit impliziert nicht nur eine Unterlassungspflicht des Staates, nämlich die Pflicht, auf private Transaktionen keinen Einfluss zu nehmen. Vom Staat wird auch der aktive Schutz der positiven Voraussetzungen selbstbestimmten Handelns verlangt. Verfolgt man die Entwicklung der Vertragsfreiheit seit dem Inkrafttreten des BGB, ist eine stetig zunehmende Materialisierung festzustellen.65 Ursprünglich 62 Zum Materialisierungsbegriff grundlegend Canaris AcP 200 (2000), 273, 277 ff. und passim; vgl. auch Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 20 ff.; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterrecht, S. 23 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 7, 208 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 53 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 8 ff. 63 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, S. 1. 64 Canaris AcP 200 (2000), 273, 277; Unberath, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 1692. 65 Vgl. z. B. Canaris AcP 200 (2000), 273, 280 ff. et passim; Schön, FS Canaris, Bd. I, S. 1191 ff.; Wagner ZEuP 2007, 180, 194 ff. Die Anfänge dieser Entwicklung hatte bereits Wieacker im Blick, als er – allerdings nicht allein auf die Vertragsfreiheit bezogen – den berühmten Satz formulierte, die Rechtsprechung habe „die formale Frei-
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war das BGB von einem formalen Verständnis der Vertragsfreiheit geprägt, das seine Wurzeln im laissez-faire-Liberalismus des späten 19. Jahrhunderts hatte. Die gesetzlichen Bestimmungen zum Schuldvertragsrecht waren ganz überwiegend dispositiver Natur. Die Vertragsrechtsordnung bot lediglich gegen massive Beeinträchtigungen der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit Schutz: so etwa bei fehlender Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB), bei Täuschung und Drohung (§ 123 BGB), bei Willensmängeln (§§ 119 ff. BGB) und ferner in den Bedrängnissituationen des § 138 Abs. 2 BGB. Ferner regelte das BGB bestimmte Formvorschriften, die vor der übereilten Eingehung „gefährlicher“ Verpflichtungen warnen sollten (§ 311b BGB n. F., § 766 BGB). Die ersten Schritte auf dem Weg zu einer stärkeren „Materialisierung“ unternahm die Rechtsprechung. Das Reichsgericht reagierte etwa auf die Gefahren für die Selbstbestimmung aus der Verwendung von AGB und ging dazu über, Haftungsfreizeichnungsklauseln restriktiv gegen die Verwender auszulegen.66 Der BGH unterwarf später AGB einer offenen Inhaltskontrolle am Maßstab des § 242 BGB.67 In jüngerer Zeit hat vor allem das Bundesverfassungsgericht die Materialisierung der Vertragsfreiheit weiter vorangetrieben, und zwar über das Schuldvertragsrecht hinaus auch auf dem Gebiet des Familienrechts.68 Dabei stützte es sich im Wesentlichen auf den objektiven Schutzgehalt der Grundrechte, insbesondere auf Art. 2 Abs. 1 GG. Privatautonomie setzt nach dem Bundesverfassungsgericht voraus, dass „die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich gegeben sind.“ 69 Die spezifischen Vertragsregeln des BGB, so das Gericht, vermögen die faktische Fremdbestimmung einer Partei nicht in jedem Fall auszuschließen. Deswegen seien die ordentlichen Gerichte gefordert, über die zivilrechtlichen Generalklauseln den Schutz der materialen Entscheidungsfreiheit zu garantieren.70 Auch in der Gesetzgebung sind Materialisierungstendenzen erkennbar. Eine der wichtigsten legislativen Maßnahmen in diesem Zusammenhang ist das AGBGesetz von 1976 (jetzt §§ 305 ff. BGB). Erheblichen Anteil an der materialen Ausrichtung des Vertragsmodells hatte auch der europäische Gesetzgeber. Vor allem die Richtlinien zum Verbraucherschutz haben das Instrumentarium zur Si-
heitsethik, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrundelag, in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt“, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, S. 24. 66 Vgl. z. B. RGZ 104, 170, 171; RGZ 139, 263, 266; vgl. zu dieser Entwicklung auch Wolf, 50 Jahre BGH, Bd. I, S. 111. 67 Grundlegend insoweit BGH NJW 1956, 1065, 1066; BGHZ 22, 90, 97 ff. 68 BVerfGE 81, 242 (Handelsvertreter). – BVerfGE 89, 214; BVerfG NJW 1994, 2749; BVerfG NJW 1996, 2021 (Bürgschaften). – BVerfGE 103, 89; BVerfG NJW 2001, 2248 (Unterhaltsverzicht). – BVerfG NJW 2006, 596 (Künstlervertrag). 69 BVerfGE 81, 242, 255; BVerfGE 103, 89, 100; BVerfG NJW 2006, 596, 598; BVerfG NJW 2011, 1339, 1340. 70 BVerfGE 89, 214, 233 f.
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cherung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit gegenüber der ursprünglichen Konzeption des BGB ganz beträchtlich erweitert.71 Eine zentrale Rolle spielen dabei die Informationspflichten und vertraglichen Widerrufsrechte. Sie sollen eine informierte und rationale Abschlussentscheidung des Verbrauchers in Konstellationen ermöglichen, in denen aufgrund der besonderen Vertragsschlusssituation72 bzw. aufgrund der Komplexität des Vertragsgegenstands73 die faktische Selbstbestimmung typischerweise gefährdet ist. Inzwischen hat das Schlagwort der „Materialisierung“ der Vertragsfreiheit auch in das Vokabular des Unionsrechts Eingang gefunden: In jüngeren Entscheidungen zur Klauselrichtlinie74 sieht der EuGH das Ziel der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsklauseln darin, „die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen.“ 75 Das zwingende Vertragsrecht zum Schutz der Entscheidungsfreiheit ist im Kontext dieser Materialisierungsentwicklung zu sehen. dd) Das Verhältnis zum Informationsmodell Betrachtet man genauer, welche Rolle die zwingenden Vorschriften für die Materialisierung der Vertragsfreiheit spielen, fällt ein enger Zusammenhang zu den Bestimmungen des sog. Informationsmodells76 auf. Dieses beruht auf prozeduralen Vertragsregeln, die die Aufklärung der typischerweise schlechter infor71 Zum Materialisierungsansatz im Unionsrecht s. Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, S. 307 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 69 f.; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 897 ff.; Wagner ZEuP 2007, 180, 195 f. 72 So etwa bei Haustürgeschäften (vgl. Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. 1985 L 372/31) oder Fernabsatzverträgen (vgl. Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz, ABl. 1997 L 144/19). 73 So z. B. im Fall von Finanzdienstleistungen (vgl. Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. 2002 L 271/16) oder Verbraucherkreditgeschäften (vgl. Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. 2008 L 133/66). 74 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. 1993 L 95/29. 75 EuGH 26.10.2006, Rs. C-168/05 (Mostaza Claro), Slg. 2006, I-10421, Rn. 36; EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08 (Asturcom Telecomunicaciones), Slg. 2009, I-9579, Rn. 30; EuGH 9.11.2010, Rs. C-137/08 (VB Pénzügyi Lízing), Slg. 2010, I-10847, Rn. 47; EuGH 15.3.2012, Rs. C-453/10 (Perenicˇová), Slg. 2012, I-0000, Rn. 27. 76 Der Begriff taucht, soweit ersichtlich, erstmals bei Simitis, Verbraucherschutz, Schlagwort oder Rechtsprinzip?, S. 95, auf.
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mierten Partei bewirken sollen.77 Es umfasst im Wesentlichen Informations-78, Form-79 und Transparenzvorschriften.80 Das Informationsmodell wird allgemein als die mildere regulatorische Maßnahme zum Schutz der Selbstbestimmung gewertet, da es lediglich die Modalitäten des Vertragsschlusses betrifft, ohne die vertragliche Inhaltsfreiheit zu beschränken.81 Der Leistungsfähigkeit des Informationsmodells sind allerdings Grenzen gesetzt. Vollständige Transparenz ist oftmals aus tatsächlichen Gründen unmöglich. In anderen Fällen mag sie zwar faktisch möglich sein, doch nur unter Inkaufnahme prohibitiv hoher Transaktionskosten. Ein Beispiel hierfür ist der Vertragsschluss unter Einbeziehung von AGB. Hier könnte man erwägen, die unvollständige Kenntnis des Kunden vom Vertragsinhalt mithilfe prozeduraler Vorkehrungen zu beseitigen – etwa dadurch, dass der Verwender verpflichtet wird, die Gegenseite über den Inhalt und die Bedeutung jeder einzelnen Klausel zu informieren. Eine solche Regelung wäre indessen völlig impraktikabel, da sie die Rationalisierungseffekte beim Vertragsschluss zunichte machen würde, die durch vorformulierte Vertragsbestimmungen ermöglicht werden.82 Hinzukommen die kognitiven Unzulänglichkeiten des Menschen im Umgang mit Informationen.83 Die Defizite bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung bewirken, dass Aufklärung und Transparenz nicht zwangsläufig eine informierte, rationale Entscheidung ermöglichen. Vor allem bei einer großen Quantität an Informationen tun sich Individuen bei der Verwertung erfahrungsgemäß schwer (Problem des sog. information overload bzw. der „Überinformation“). In manchen Fällen kommt es zum paradoxen Ergebnis, dass zusätzliche Informatio77 Allgemein zum Informationsmodell Heiderhoff, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 858 ff.; Ackermann ZEuP 2009, 230 ff.; Schön, FS Canaris, Bd. I, S. 1191, 1193 ff.; Bydlinski AcP 204 (2004), 309, 360 ff.; Fleischer ZEuP 2000, 772; Grundmann JZ 2000, 1133 ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 26 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 63 ff. 78 Z. B. §§ 305 Abs. 2 Nr. 1, 312 Abs. 2, 312c, 312e Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 492, 493, 651a Abs. 3 BGB. 79 Z. B. § 311b Abs. 1 BGB i. V. mit den Vorschriften des BeurkG; § 492 Abs. 1 Satz 1 BGB. 80 Z. B. §§ 305c Abs. 1, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB; § 7 Abs. 1 Satz 2 VVG. 81 Grundmann JZ 2000, 1133, 1137 f.; Canaris AcP 200 (2000), 273, 303; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 449 ff. und S. 488; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 76 f. 82 Dazu näher unten § 5 II. 1. b). 83 Vgl. Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 56 ff. und 68 ff.; Heiderhoff, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des europäischen Privatrechts, S. 858, 860; Rehberg, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 284, 319 ff.; Schön, FS Canaris, Bd. I, S. 1191, 1204 ff.; Eidenmüller JZ 2005, 216, 221; Kosche, Contra proferentem und das Transparenzgebot im Common Law und Civil Law, S. 233 f.
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nen die Rationalität des Adressaten sogar verschlechtern, weil dieser nicht mehr in der Lage ist, die entscheidungserheblichen von den -unerheblichen Informationen zu unterscheiden.84 Daneben kann die Informationsverarbeitung auch unabhängig von einer Informationsüberflutung gestört sein. Beispielhaft ist der Umgang mit bestimmten Risiken. Hier neigen viele Individuen selbst bei Kenntnis der objektiven Risikoquote zur Unter- oder Überschätzung der wahren Gefährdungslage und fällen infolgedessen verfehlte Verhaltensentscheidungen.85 Wo das Informationsmodell an die Grenzen seiner Möglichkeiten stößt, ist Raum für den Schutz der materialen Entscheidungsfreiheit durch inhaltlich zwingendes Vertragsrecht. Doch nicht nur dort: In bestimmten Einzelfällen kann das zwingende Recht gegenüber dem Informationsmodell sogar der mildere Eingriff in die Vertragsfreiheit sein. Zwar trifft grundsätzlich die obige Aussage zu, dass prozedurale, allein auf die Modalitäten des Vertragsschlusses gerichtete Mechanismen weniger tief in die Privatautonomie einschneiden als eine Inhaltskontrolle. Doch ausnahmsweise kann eine geringfügige Beschränkung der vertraglichen Inhaltsfreiheit die Parteien weniger belasten als etwa transaktionskostenintensive Aufklärungspflichten.86 Aus dem Gesagten folgt, dass für einen wirkungsvollen und gleichzeitig möglichst freiheitsschonenden Schutz der tatsächlichen Selbstbestimmung eine Kombination aus informationsbezogenen und inhaltlich zwingenden Normen erforderlich sein wird. Ein Beispiel für eine derartige Verzahnung bietet das AGB-Recht. Der Gesetzgeber hat prozedurale Vorgaben zur Beseitigung des Informationsungleichgewichts zwischen Verwender und Kunden letztlich nur in dem Umfang angeordnet, wie sie praktikabel sind und die Rationalisierungsfunktion vorformulierter Standardbedingungen nicht vereiteln. So verlangt etwa § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB als Voraussetzung für die Einbeziehung der AGB in den Vertrag nicht die tatsächliche Kenntnisnahme ihres Inhalts durch den Kunden, sondern allein die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Als Reaktion darauf, dass sich eine umfassende inhaltliche Transparenz bei Vertragsschluss praktisch nicht durchführen lässt, sieht die Rechtsordnung die Inhaltskontrolle vor, um eine faktische Fremdbestimmung des Kunden zu verhindern.87
84 Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 60 m.w. N.; Kind, Grenzen des Verbraucherschutzes, S. 442 ff.; s. auch Scheibengruber/Breidenstein WM 2009, 1393, 1398. 85 Hierzu näher unten im Zusammenhang mit den zwingenden Haftungsregeln § 6 I. 1. b) aa) und bb). 86 Schön, FS Canaris, Bd. I, S. 1191, 1208; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 89. Zum Problem der „Informationskosten“ vgl. auch Hadfield/Howse/ Trebilcock Journal of Consumer Policy 21 (1998), 131, 141 ff. 87 Dazu näher § 5 II. 2. a).
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2. Teil: Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts
ee) Besondere Merkmale des marktkonstitutiven zwingenden Rechts: Subjektive Äquivalenz im Gegensatz zu objektiver Äquivalenz und iustum pretium Ein Grundpfeiler der Marktwirtschaft ist die Präferenzautonomie des Individuums.88 Zu ihren wesentlichen Aspekten gehört das Prinzip der freien Preisbildung, wonach die Partner einer Transaktion das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung frei festlegen dürfen. Dieser Grundsatz beruht auf der Vorstellung, dass der Wert eines Gutes oder einer Dienstleistung subjektiv ist:89 Die Marktakteure beurteilen an ihrem persönlichen Präferenzmaßstab, wie viel ein bestimmter Gegenstand „wert“ ist. Für den einen wären 100 A für einen Stadionbesuch eine Geldverschwendung, der andere ist bereit, auf dem Schwarzmarkt die fünffache Summe für eine Eintrittskarte zu bieten. Da die Individuen selbst am besten wissen, was für sie von Nutzen ist und was nicht, verbietet sich die zentrale Preisfestlegung durch eine übergeordnete Instanz.90 Hoheitlich verordnete Preise stünden in der Gefahr, nicht mit dem subjektiven Wert übereinzustimmen, den die Vertragsparteien den betreffenden Gütern oder Leistungen beimessen. In der Folge drohten Wohlstandsverluste: Wer bereit ist, einen höheren Preis als den staatlich diktierten zu bezahlen, könnte dies nicht tun. Ist gleichzeitig der Gegner nur bereit, zum höheren Preis zu kontrahieren, käme aufgrund der Preiskontrolle die Transaktion nicht zustande – zum Nachteil beider Seiten. Das Prinzip der freien Preisbildung ist auch die Voraussetzung für die Koordinationsfunktion des Marktes:91 Spiegeln die Preise nicht die subjektiven Präferenzen wider, teilt sich die tatsächliche Nachfrage nicht dem Markt mit, so dass das Angebot sich nicht auf sie einstellen kann. Die Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder werden infolgedessen nicht optimal befriedigt. Die Vertragsrechtsordnung trägt der Preisfreiheit durch das sog. subjektive Äquivalenzprinzip Rechnung.92 Dieses stellt eine besondere Ausformung der Vertragsfreiheit dar. Es besagt, dass die Rechtsordnung die von den Parteien vereinbarten gegenseitigen Leistungen grundsätzlich als gleichwertig behandelt. Der Vertragsinhalt unterliegt der Vermutung, ein fairer Interessenausgleich zu sein.93 88
Zum Begriff der Präferenzautonomie s. oben § 2 I. 3. b). Zur sog. subjektiven Wertlehre oben § 2 I. 2. a) aa). 90 So auch in aller Klarheit OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2410. 91 Siehe auch Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 77 f. 92 Allgemein zum Äquivalenzprinzip Larenz, Richtiges Recht, S. 65 ff.; Canaris FS Wiedemann, S. 3, 6 ff.; Härle, Die Äquivalenzstörung, S. 11 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 258 ff.; aus ökonomischer Perspektive Schmidtchen/Kirstein, in: Ott/ Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Sozialschutzprinzips im Zivilrecht, S. 1, 25 ff.; aus historischer Perspektive Luig, Festgabe Coing, S. 171. 93 Siehe auch die Formel des Bundesverfassungsgerichts: „Der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lässt deshalb in der Regel auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen, den 89
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Damit ist das subjektive Äquivalenzprinzip das Gegenmodell zur Lehre vom iustum pretium bzw. vom verum pretium.94 Diese beruht auf der Vorstellung, dass jedem Gut ein objektiver, allgemeingültiger Wert anhaftet. In einem Austauschvertrag müssen die beiderseitigen Leistungen ihrem objektiven Wert nach in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, die subjektive Bewertung durch die Parteien ist grundsätzlich unerheblich. Nur wenn die objektive Gleichwertigkeit sicher gestellt ist, ist der Vertragsinhalt nach der Lehre vom iustum pretium „gerecht“ und verdient es, durch die Rechtsordnung durchgesetzt zu werden. Mit der iustum-pretium-Lehre eng verwandt ist die gemeinrechtliche Rechtsfigur der laesio enormis.95 Diese geht nun nicht so weit, für einen wirksamen Vertrag in positiver Hinsicht ein annäherndes objektives Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung zu verlangen. Sie verweigert jedoch in negativer Hinsicht dem Vertrag die Anerkennung, wenn das Äquivalenzverhältnis objektiv grob unausgewogen ist. Die Lehre von der laesio enormis trägt immerhin marktwirtschaftlichen Grundsätzen insofern Rechnung, als sie auf den üblichen Marktpreis als Referenzwert für die Beurteilung des Missverhältnisses abstellt.96 Im Ergebnis jedoch widerspricht dieser Ansatz ebenfalls dem Grundsatz der subjektiven Äquivalenz: Der von den Parteien privatautonom vereinbarte Geschäftsinhalt wird an den vertragsexternen Kriterien des „Üblichen“ und „Durchschnittlichen“ gemessen und nicht an den individuellen Präferenzen der Vertragsbeteiligten selbst. Anders als in ausländischen Rechtsordnungen97 wurde in Deutschland die laesio enormis nicht als Regel der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre in das BGB der Staat zu respektieren hat“, BVerfGE 89, 214, 232; BVerfGE 103, 89, 100 f.; BVerfG NJW 2006 596, 598. Vgl. auch Fastrich, FS Canaris, Bd. II, S. 1071, 1075; Canaris, Iustititia distributiva, S. 46. 94 Vgl. näher Zimmermann, The Law of Obligations, S. 255 ff. und S. 264 ff. (speziell zu den Ursprüngen bei Aristoteles und Thomas von Aquin); Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 198 ff. Vgl. auch Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 71 f.; Mayer-Maly, FS Demelius, S. 139 ff.; Hübner, FS Steindorff, S. 589 ff. 95 Siehe näher Finkenauer, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 998 ff.; ders., FS H. P. Westermann, S. 183, 185; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 259 ff.; Mayer-Maly, FS Larenz II, S. 395 ff. 96 Zur Bedeutung des Marktpreises als Maßstab für die objektive Äquivalenz Canaris, Iustitia distributiva, S. 52 f.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 265 f.; zur Schwierigkeit in bestimmten Fällen, den Marktpreis als Referenzwert zu bestimmen (z. B. bei Grundstücken oder Kunstwerken), vgl. Finkenauer, FS H. P. Westermann, S. 183, 196 f. 97 Siehe insbesondere § 934 des österreichischen ABGB, der wie folgt lautet: „Hat bei zweiseitig verbindlichen Geschäften ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem anderen gegeben hat, von diesem an dem gemeinen Werte erhalten; so räumt das Gesetz dem verletzten Teile das Recht ein, die Aufhebung oder die Herstellung in den vorigen Stand zu fordern. Dem anderen Teile steht aber bevor, das Geschäft dadurch
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übernommen: Aus der Vorschrift des § 138 Abs. 2 BGB folgt, dass das objektive Äquivalenzmissverhältnis allein für die Begründung der Nichtigkeit eines Vertrags nicht ausreicht. Vielmehr müssen zusätzliche Defizite in der Person der benachteiligten Partei hinzutreten.98 Wie allerdings im Einzelnen noch zu sehen sein wird,99 verfolgt die Rechtsprechung in bestimmten Konstellationen einen Ansatz, der letztlich auf die Wiedereinführung der laesio enormis hinausläuft.100 Das marktkonstitutive zwingende Vertragsrecht zum Schutz der materialen Entscheidungsfreiheit zeichnet sich dadurch aus, dass es im Einklang mit dem subjektiven Äquivalenzprinzip steht. Die Inhaltskontrolle von Verträgen wird zwar des Öfteren mit dem objektiven Äquivalenzprinzip in Verbindung gebracht.101 Diese Charakterisierung trifft jedoch lediglich auf das marktkompensatorische zwingende Recht zu.102 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, zielen die verschiedenen zwingenden Normen zum Schutz der faktischen Selbstbestimmung auf die Sicherung der Funktionsvoraussetzungen des subjektiven Äquivalenzprinzips. Sie sollen mit anderen Worten eine privatautonome Preisbildung auf rationaler und informierter Grundlage ermöglichen. (1) Die Inhaltskontrolle von AGB soll, wie bereits erwähnt, eine verfehlte Äquivalenzbewertung durch den Kunden verhindern. Diese droht dadurch, dass der Kunde seinen Geschäftswillen typischerweise allein auf der Grundlage der essentialia negotii zu bilden pflegt. Den Inhalt der vorformulierten Nebenbestimmungen nimmt er hingegen nicht zur Kenntnis. Letztere können jedoch, wenn sie zulasten des Kunden gehen, den Wert der Hauptleistung „aushöhlen“. Die Preisbildung ist in diesem Fall gestört, da der Kunde die Vertragsleistung überbewertet. Durch die Inhaltskontrolle werden besonders nachteilige Klauseln kassiert. Damit wird ausgeschlossen, dass das tatsächliche Preis-Leistungs-Verhältnis zu sehr von den subjektiven Kundenvorstellungen abweicht. Hingegen zielt die Inhaltskontrolle nicht – zumindest nicht primär – auf die Herstellung eines objektiven Gleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung. Dies vermag die Inhaltskontrolle schon deshalb nicht zu leisten, da sie sich lediglich punktuell auf aufrecht zu erhalten, dass er den Abgang bis zum gemeinen Wert zu ersetzen bereit ist. Das Missverhältnis des Werts wird nach dem Zeitpunkte des geschlossenen Geschäftes bestimmt.“ Ähnlich auch Art. 1448 Abs. 2 des italienischen Codice civile. 98 Vgl. etwa BGHZ 80, 153, 156; ferner Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, S. 15; Canaris AcP 200 (2000), 273, 287. 99 Unten § 4 II. 2. c) aa). 100 Näher zu iustum pretium und laesio enormis Zimmermann, The Law of Obligations, S. 259 ff.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 198 ff. Vgl. auch Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 71 f.; Mayer-Maly, FS Demelius, S. 139 ff.; Hübner, FS Steindorff, S. 589 ff. 101 So z. B. Larenz, Richtiges Recht, S. 79; Canaris AcP 200 (2000), 273, 325 (in Bezug auf das AGB-Recht); Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 756 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 489. 102 Dazu unten § 4 II. 2. a).
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einzelne Vertragsklauseln bezieht und nicht auf das Verhältnis der gegenseitigen Leistungen insgesamt. Die Beschränkung des Prüfungsbereichs auf einzelne Vertragsbestimmungen unter Ausschluss der Hauptleistungen und des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses ist in Art. 4 Abs. 2 der europäischen Klauselrichtlinie 93/13/EWG ausdrücklich festgeschrieben und gilt auch im nationalen deutschen Recht.103 Der Zusammenhang zwischen der Inhaltskontrolle von AGB und der Sicherung der objektiven Äquivalenz im Vertragsverhältnis ist lediglich mittelbarer Natur: Wird der Kunde durch das Verbot unangemessener Klauseln vor einer Überbewertung der Vertragsleistung bewahrt, erhöhen sich die Chancen, dass Preis und Leistung auch in objektiver Hinsicht in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen. Das Klauselverbot kann allerdings nicht verhindern, dass der Verwender den Kunden bei entsprechender wirtschaftlicher Macht durch einen überhöhten Preis „ausbeutet“.104 Somit lässt sich festhalten: Die Inhaltskontrolle im Rahmen der §§ 305 ff. BGB verbietet es lediglich, bestimmte Regelungen zum Inhalt von AGB zu machen; im Übrigen lässt es jedoch die Preisgestaltungskompetenz der Vertragsparteien unangetastet. (2) Die Regeln über die zwingende Haftung des Leistungsanbieters in den §§ 475, 651m, 675z S. 2 BGB und § 14 ProdHaftG wirken ebenfalls verfehlten Äquivalenzbewertungen entgegen. Wie oben erwähnt,105 stehen die Regeln in Zusammenhang mit strukturellen Informationsasymmetrien zulasten der Nachfrager. Diese sind typischerweise nicht dazu in der Lage, die den Haftungstatbeständen zugrundeliegenden Risiken genau zu quantifizieren. Würden sie also das Geschäft unter Ausschluss der Anbieterhaftung eingehen, könnten sie den Wert der fraglichen Leistung bzw. des Produkts nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmen. Durch die zwingende Haftung des Anbieters bleibt dem Kunden die Risikoeinschätzung erspart. Er kann seine Zahlungsbereitschaft an der Kaufsache in mangelfreiem Zustand, an die störungsfreie Reiseleistung, an das fehlerlose Produkt etc. ausrichten. Der Anbieter auf der anderen Seite ist regelmäßig in der besseren Position, das Risiko richtig einzuschätzen. Im Ergebnis sorgt das Dispositionsverbot für eine weniger spekulative Preisbildung. Unberührt vom zwingenden Recht bleibt die Befugnis der Parteien, das Verhältnis von Preis und Leistung privatautonom festzulegen. Die Preisfreiheit wird also gewahrt. (3) Auch das Zinseszinsverbot bezweckt keine Entgeltkontrolle. Die Vorschrift schließt in erster Linie unklare Zinsregelungen aus.106 Das Verbot gilt unabhängig davon, ob die Zinseszinsvereinbarung im Einzelfall den Schuldner auf unzumutbare Weise belasten würde. § 248 Abs. 1 BGB regelt nicht, wie hoch die
103 104 105 106
Vgl. dazu näher unten § 5 IV. 3. a). Nur ausnahmsweise vermittelt das AGB-Recht Ausbeutungsschutz, dazu § 5 III. 2. Oben § 4 I. 2. a) bb) (2). Oben § 4 I. 2. a) bb) (3).
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effektive Zinsbelastung maximal sein darf. Diese Frage bestimmt sich grundsätzlich allein nach § 138 BGB. (4) Was schließlich die Regelungen des § 138 Abs. 1 und 2 BGB in ihrer marktkonstitutiven Funktion anbelangt, ist zunächst ein Unterschied zu den eben behandelten zwingenden Normen festzustellen. Anders als letztere nehmen sie tatsächlich den Vertrag insgesamt in den Blick und knüpfen an eine objektive inhaltliche Unangemessenheit des Geschäfts an. Bei § 138 Abs. 2 BGB erfolgt die objektive Äquivalenzkontrolle im Rahmen des Merkmals „in einem auffälligen Missverhältnis“, bei § 138 Abs. 1 BGB hob das Bundesverfassungsgericht in seinen Bürgschaftsentscheidungen hervor, dass dem Haftungsrisiko der Bürgen keine eigenen wirtschaftlichen Vorteile aus der Kreditgewährung gegenüberstanden.107 Unter diesem Blickwinkel scheinen die beiden Regelungen auf dem objektiven Äquivalenzprinzip zu beruhen. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass die inhaltliche Unausgewogenheit allein noch nicht den Ausschlag über die Nichtigkeitsfolge gibt. Wie bereits gesehen, muss eine Beeinträchtigung der materialen Entscheidungsfreiheit hinzukommen. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zur Figur der laesio enormis, die allein an das Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung anknüpft.108 ff) Zusammenfassung Marktkonstitutives zwingendes Vertragsrecht kann dem Schutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit dienen. In dieser Funktion trägt es zur Materialisierung der Vertragsfreiheit bei. Geht es um das Ziel, informierte und rationale Abschlussentscheidungen zu ermöglichen, verdienen zwar grundsätzlich prozedurale Transparenz- und Informationsvorschriften als Regulierungsinstrument den Vorzug, da sie die vertragliche Inhaltsfreiheit nicht berühren und damit der mildere Eingriff sind. Das prozedurale Informationsmodell ist allerdings zum Teil wirkungslos oder mit zu hohen Transaktionskosten verbunden. In solchen Fällen kommt eine Beschränkung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit in Betracht. Charakteristisch für marktkonstitutives zwingendes Vertragsrecht ist, dass es die Befugnis der Parteien unangetastet lässt, das Verhältnis der gegenseitigen Leistungen privatautonom festzulegen. Marktkonstititutive zwingende Normen zum Schutz der faktischen Selbstbestimmung achten folglich das für die Marktwirtschaft maßgebliche Prinzip der subjektiven Äquivalenz, d.h. die Preisfreiheit.
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Siehe Nachweise oben § 4 I. 2. a) bb) (4). Zu diesem Unterschied s. auch Finkenauer, in: Basedow/Hopt/Zimmermann, Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 998, 999; Canaris AcP 200 (2000), 273, 287. 108
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b) Schutz vor ex-post-opportunistischem Verhalten in längerfristigen Verträgen aa) Die Gefahr ex-post-opportunistischen Verhaltens und ihre Ursachen Marktkonstitutives zwingendes Vertragsrecht kann ferner eine Maßnahme sein, um ex-post-opportunistisches Verhalten der Vertragsparteien in der Vollzugsphase des Vertrags zu verhindern.109 Diese Form von Kooperationsversagen betrifft längerfristige Verträge, also Dauerschuldverträge sowie „gestreckte“ Austauschverträge, bei denen Abschluss und Erfüllung nicht in einem einzigen Moment zeitlich zusammentreffen. Wie bereits erwähnt,110 spricht man in der Institutionenökonomik von ex-post-Opportunismus, wenn eine Partei nach Vertragsschluss versucht, sich „mit List“ einen größeren Anteil an der Kooperationsrente auf Kosten des Gegners anzueignen (sog. „Raubüberfall“ oder hold-up). Ein solches Verhalten bedeutet eine Abweichung von dem, was die Parteien ursprünglich vereinbart haben bzw. bei Vertragsschluss redlicherweise erwarten durften. Ex-post-Opportunismus ist insofern nicht mehr vom vertraglichen Konsens getragen und verletzt die Selbstbestimmung der betroffenen Partei. Die Ursache für opportunistisches Verhalten ist darin zu sehen, dass nach Abschluss des Vertrags die disziplinierende Wirkung des Wettbewerbs nachlässt. Während in der vorvertraglichen Phase der Wettbewerbsdruck die Marktakteure dazu zwingt, den Interessen der Transaktionspartner entgegenzukommen, ändert sich in vielen Fällen die Lage grundlegend, sobald der Vertrag geschlossen ist. Die Parteien können dann nur noch bedingt mit einer Abwanderung zur Konkurrenz drohen. Der Grund hierfür liegt an den „Exit-Kosten“, die sich aus einer Vertragsbeendigung ergäben: Die Parteien haben unter Umständen transaktionsspezifische Investitionen getätigt, die sich noch nicht amortisiert haben und die bei einem vorzeitigen Ende der Vertragsbeziehung verloren wären. Möglicherweise ist auch die Suche nach einem neuen Vertragspartner mit einem derart hohen Aufwand verbunden, dass es lohnender erscheinen mag, am ursprünglichen Partner festzuhalten und dafür Nachteile in Kauf zu nehmen. Und schließlich mag in bestimmten Fällen die Vertragsbindung selbst der Abwanderung im Weg stehen: Solange das opportunistische Verhalten nicht die Voraussetzungen für ein Rücktritts- bzw. Kündigungsrecht der betroffenen Partei erfüllt, ist diese in der Vertragsbeziehung „gefangen“. Ex-post-Opportunismus beeinträchtigt nicht nur die konkret betroffene Vertragspartei. Er wirkt sich auch auf überindividueller Ebene aus, da das Risiko eines hold-up die Marktakteure davor abschrecken kann, die Kooperation einzugehen.111 109 Vgl. allgemein zur Notwendigkeit staatlicher Regulierung angesichts der Opportunismusgefahren Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 5 f. 110 Oben § 2 II. 2. a) bb). 111 Zu den negativen Auswirkungen ex-post-opportunistischen Verhaltens vgl. auch die Übersicht bei Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 74 ff.
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Nun würde man vielleicht annehmen, dass die Parteien durch die Festlegung eines präzisen und detaillierten vertraglichen Pflichtenprogramms die Opportunismusgefahr einschränken oder sogar vollständig ausschalten könnten. Der Grundsatz von pacta sunt servanda würde dann den Spielraum für willkürliches Verhalten in der Durchführungsphase des Vertrages ausschließen. Doch bei langfristigen Verträgen offenbart sich ein Dilemma: Die strenge Vertragsbindung ist zwar in der Tat ein effektives Mittel zur Verhinderung von Opportunismus, doch trägt sie häufig nicht dem besonderen Flexibilitätsbedürfnis der Parteien in Dauerverträgen Rechnung. Nach Vertragsschluss kann es nämlich jederzeit zu einer Veränderung der Begleitumstände kommen, die eine Anpassung des Vertragsinhalts erforderlich macht. Gäbe es keine Möglichkeit zur Vertragsanpassung, wäre den Parteien wohl regelmäßig das Risiko zu hoch, sich auf Langzeitverträge einzulassen.112 So würde beispielsweise kaum ein Mineralölunternehmen einen langjährigen Liefervertrag abschließen, wenn ihm im Vertrag nicht die Chance eingeräumt würde, auf wesentliche Verteuerungen der Rohstoffpreise zu reagieren und den Verkaufspreis entsprechend anzupassen.113 Dem Bedürfnis nach Flexibilität kann in verschiedener Weise begegnet werden.114 Zum einen gibt es rechtsgeschäftliche Möglichkeiten, die vertragliche Bindung aufzulockern: In den Vertrag können etwa Klauseln aufgenommen werden, die einer Partei ein einseitiges Preis- bzw. Leistungsanpassungsrecht einräumen. Darüber hinaus sieht auch das Gesetz Durchbrechungen des pacta-sunt-servanda-Grundsatzes vor, indem es etwa beim Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB einen Anspruch auf Vertragsanpassung gewährt. In beiden Fällen geht mit der Flexibilisierung der Vertragsbindung die Gefahr opportunistischen Verhaltens einher. Dass die Parteien privatautonom Schutzmechanismen gegen die Opportunismusgefahr entwickeln, kann regelmäßig nicht erwartet werden. Es wäre realitätsfern zu glauben, dass die Parteien – beispielsweise bei der Vereinbarung eines Leistungsanpassungsrechts – auf einen interessengerechten Ausgleich zwischen dem Flexibilisierungsbedürfnis einerseits und der Abwehr von Opportunismusgefahren andererseits achteten. Die Möglichkeit, während der Dauer des Vertrags Opfer opportunistischen Verhaltens der Gegenseite zu werden, dürfte beim Vertragsschluss keine Rolle im Bewusstsein der Parteien spielen.115 Ihre Aufmerksamkeit 112 Zu den ökonomischen Gründen, weshalb Parteien in bestimmten Konstellationen einen einheitlichen Langzeitvertrag und nicht eine Vielzahl zeitlich aufeinanderfolgender Einzelverträge abschließen, s. etwa Eger, Eine ökonomische Analyse von Langzeitverträgen, S. 19 ff.; Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 52 ff. 113 Vgl. auch die Beispielsfälle bei Baur, Vertragliche Anpassungsregelungen, S. 21 ff. 114 Vgl. zum Bedürfnis nach Flexibilität in Langzeitverträgen und zu möglichen Mechanismen der Anpassung am Beispiel der Geschäftsbeziehungen zwischen Banken und ihren Kunden Köndgen ZBB 1997, 117, 121 f. 115 Kognitionspsychologisch ist hier das Phänomen des „Überoptimismus“ angesprochen, vgl. hierzu etwa Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 71 ff.;
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wird in erster Linie anderen, vornehmlich gegenwartsbezogenen Aspekten der Transaktion gelten. In Ermangelung privatautonomer Lösungen besteht ein Bedürfnis nach zwingendem Vertragsrecht, um das Opportunismusproblem zu bewältigen. Im Einzelnen müssen zwei Ebenen unterschieden werden, auf denen zwingendes Vertragsrecht die Spielräume für ex-post-opportunistisches Verhalten einzuengen vermag. Zum einen kann die Möglichkeit der Parteien beschränkt werden, das Vertragsverhältnis im Hinblick auf zukünftige Ereignisse und Entwicklungen zu flexibilisieren und den Grundsatz von pacta sunt servanda aufzulockern. Auf diesen Regelungsansatz wird sogleich einzugehen sein [aa) bis cc)]. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei die Frage verdienen, unter welchen Voraussetzungen die Parteien dem Vertrag einseitige Änderungs- oder Anpassungsvorbehalte zugrunde legen dürfen. Die zweite Einwirkungsebene des zwingenden Rechts betrifft sogenannte ad-hoc-Anpassungsverträge. Damit sind einvernehmliche Abänderungen eines bereits bestehenden Vertragsverhältnisses gemeint, die aus Anlass einer aktuell eingetretenen Veränderung beschlossen werden. Hier wird zu untersuchen sein, welche besonderen inhaltlichen Schranken die Rechtsordnung für derartige Vereinbarungen vorsieht [schließlich dd)]. bb) Kontrolle einseitiger Anpassungsrechtsklauseln Langfristige Verträge enthalten häufig Klauseln, die einer Partei ein einseitiges Preis- bzw. Leistungsanpassungsrecht einräumen. Die begünstigte Partei kann dann unter bestimmten Voraussetzungen den Vertragsinhalt abändern, ohne auf die Zustimmung des Gegners angewiesen zu sein. Bei standardisierten Massengeschäften sind derartige Klauseln in aller Regel Teil der AGB und geben dem Verwender das Recht zur Anpassung. (1) Gesetzliche Spezialregelungen zu einseitigen Anpassungsrechtsklauseln Spezialregelungen über die Zulässigkeit von Anpassungsklauseln finden sich im Wohnraummietrecht. § 557 Abs. 2 BGB schreibt vor, dass künftige Änderungen der Miethöhe von den Parteien nur als Staffelmiete oder als Indexmiete vereinbart werden dürfen. Das Modell der Staffelmiete sieht dabei kein einseitiges Anpassungsrecht vor, da die Parteien die künftigen Mieterhöhungen in einer Vereinbarung und damit zweiseitig festlegen müssen (§ 557a Abs. 1 Halbsatz 1 BGB). Hingegen beinhaltet das Modell der Indexmiete nach § 557b BGB ein einseitiges Anpassungsrecht für beide Vertragsteile. Jede Partei kann danach Schön, FS Canaris, Bd. I, S. 1191, 1210 jeweils m.w. N. Vgl. zu dieser Thematik auch unten § 6 I. 1. b) bb).
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durch einseitige Erklärung die Miete an die allgemeine Preisentwicklung anpassen.116 Daneben räumen § 558 und § 559 BGB dem Vermieter ein gesetzliches einseitiges Mietanpassungsrecht ein: § 558 BGB regelt die Anpassung an die ortsübliche Vergleichsmiete, § 559 BGB die Mieterhöhung im Fall von Modernisierungsmaßnahmen. Die erwähnten Bestimmungen sind abschließend, d.h. die Parteien dürfen kein einseitiges Mieterhöhungsrecht zugunsten des Vermieters vereinbaren, das über die Regelung der Indexmiete und der gesetzlichen Anpassungsrechte der § 558 und § 559 BGB hinausgeht (§ 557 Abs. 3 und 4 BGB). Ebenfalls speziell geregelt ist die Möglichkeit des Reiseveranstalters, den Reisepreis nachträglich zu erhöhen.117 Nach § 651a Abs. 4 BGB ist hierfür eine entsprechende Vereinbarung im Reisevertrag erforderlich, die die Berechnung des neuen Preises genau angeben muss. Die Preisänderung ist nur zulässig, um einer Erhöhung der Beförderungskosten, der Wechselkurse oder besonderer Abgaben wie Hafen- oder Flughafengebühren Rechnung zu tragen. Der Preis darf nicht kurzfristig vor dem Abreisetermin erhöht werden. Dem Reisenden steht bei einer Steigerung um mehr als 5% des ursprünglichen Reisepreises ein Rücktrittsrecht zu (§ 651a Abs. 5 Satz 2 BGB).118 (2) Die Beurteilung von Anpassungsrechtsklauseln am Maßstab allgemeiner Regeln (§§ 305 ff. BGB) Sind keine gesetzlichen Spezialregelungen einschlägig, spielen insbesondere die §§ 305 ff. BGB eine maßgebliche Rolle für die Beurteilung von Anpassungsrechtsklauseln, da sie meist in AGB enthalten sind. Zunächst ist das spezielle Klauselverbot des § 309 Nr. 1 BGB zu beachten, das die Vereinbarung eines kurzfristigen Preiserhöhungsrechts untersagt. Die Vorschrift hat allerdings einen sehr begrenzten Anwendungsbereich und gilt nicht für Dauerschuldverhältnisse.119 Letztere unterliegen einerseits der Regel des § 308 Nr. 4 BGB, sofern sich das Anpassungsrecht auf die vom Klauselverwender geschuldete Leistung bezieht. Daneben greift die Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB ein, wenn der Änderungsvorbehalt die vom Verwendungsgegner zu erbringende Gegenleistung betrifft. In beiden Fällen entscheidet letztlich eine In116 Maßgeblich ist insoweit der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland, § 557b Abs. 1 BGB. 117 Die Regelung geht zurück auf Art. 4 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.6.1990 über Pauschalreisen, ABl. 1990 L 158, S. 59. 118 Nach BGH NJW 2003, 507, 508, ist § 651a Abs. 4 und 5 BGB keine abschließende Sonderregelung über die Zulässigkeit von Preisänderungsvorbehalten des Reiseveranstalters. Ist die Klausel in AGB enthalten, beurteilt sich die Zulässigkeit der Klausel ergänzend auch nach den §§ 305 ff. BGB. 119 Eine ähnliche Privilegierung für Dauerschuldverhältnisse gilt in der Preisangabenverordnung: § 1 Abs. 5 Nr. 2 PAngV sieht eine Ausnahme vom Gebot der Endpreisangabe vor und erlaubt die Angabe von Preisen mit einem Änderungsvorbehalt.
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teressenabwägung über die Wirksamkeit der Anpassungsrechtsklausel: § 308 Nr. 4 BGB verbietet Änderungsvorbehalte, die nicht „zumutbar“ sind, § 307 Abs. 1 BGB hingegen solche, die den Gegner „unangemessen benachteiligen“. In jüngerer Vergangenheit hatte der BGH wiederholt die Wirksamkeit vorformulierter Anpassungsklauseln zu beurteilen.120 Auch wenn die Entscheidungen Klauseln unterschiedlichen Inhalts und auch verschiedene Geschäftsbranchen betrafen, lassen sie doch eine Reihe gemeinsamer Beurteilungskriterien erkennen, die der BGH seiner Prüfung immer wieder zugrunde legt: (a) Legitimes Interesse an Leistungsanpassung Als Ausgangspunkt erkennt der BGH ein legitimes praktisches Bedürfnis nach der Flexibilisierung der Leistungspflichten in einem Dauerschuldverhältnis an. Insbesondere seien Klauseln, die dem Verwender das Recht zur Preisanpassung gewährten, im Grundsatz nicht zu beanstanden.121 Sie stellten einerseits den Verwender vom Risiko langfristiger Preiskalkulationen frei und sicherten ihn gegen Verluste aus nachträglichen Kostensteigerungen ab. Auf der anderen Seite kämen sie auch dem Vertragspartner zugute, da der Verwender bei Vertragsschluss nicht genötigt sei, Risikozuschläge zu erheben, um mögliche künftige Kostenerhöhungen aufzufangen. (b) Transparenzanforderungen Um Missbräuchen durch den Klauselverwender vorzubeugen, müssen die Änderungsvorbehalte dem Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügen.122 Der Verwendungsgegner soll bei Vertragsschluss die zu erwartenden 120 Siehe etwa BGHZ 141, 153 (Bedingungsanpassungsklausel in Versicherungsvertrag); BGH NJW 2003, 507 und 746 (Preisanpassungsklausel in Reisevertrag); BGHZ 164, 11 (Preisänderungsklausel in Kfz-Vertragshändlervertrag); BGH NJW-RR 2005, 1717 und BGH NJW 2007, 1054 (beide Preisanpassungsklausel in Flüssiggaslieferungsvertrag); BGH NJW 2008, 360 (Preis- und Leistungsänderungsklausel in Pay-TV-Abonnement); BGH NJW 2008, 134 (Preis- und Leistungsänderungsklausel in Internetprovidervertrag); BGH NJW 2009, 2051 (Entgelt- und Zinsänderungsklausel in SparkassenAGB); BGH NJW 2009, 2667, und NJW 2010, 993 (Preisanpassungsklausel in Gasversorgungsvertrag); s. nun auch das Vorabentscheidungsersuchen BGH ZIP 2011, 962 (Preisanpassungsklausel in Gasversorgungsvertrag). Vgl. aus der älteren Rspr. vor allem BGH NJW 1980, 2518 (Preiserhöhungsklausel bei Zeitschriftenabonnement); BGHZ 82, 21 (Tagespreisklausel in Kfz-Kaufvertrag). – Zur Verfassungsmäßigkeit der Kontrollgrundsätze des BGH s. BVerfG NJW 2011, 1339. 121 BGH NJW 1990, 115 f.; BGH NJW-RR 2005, 1717; BGH NJW 2008, 360, 361; BGH NJW-RR 2008, 134, 135. 122 Bzgl. Preisanpassungsklauseln s. BGHZ 136, 394, 401; BGH NJW 2003, 507, 509; BGH NJW 2003, 746, 747 f.; BGH NJW 2007, 1054, 1055; BGH NJW 2008, 360, 361; Bzgl. anderer Leistungsänderungsklauseln BGH NJW-RR 2008, 134, 135; vgl. schon BGHZ 136, 394, 402; BGHZ 141, 153, 158. Der für das Bankrecht zuständige
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Modifikationen einschätzen können. Behält sich beispielsweise der Anbieter Preisanpassungen für den Fall veränderter Produktionskosten vor, so muss er die einzelnen Kostenelemente sowie deren Gewichtung bei der Kalkulation des Gesamtpreises offen legen, damit sich der Gegner ein Bild von den möglichen Preissteigerungen machen kann.123 Die vom BGH durchgeführte Transparenzkontrolle der Anpassungsklauseln verdient Zustimmung. Das Transparenzgebot engt zwar den Spielraum des Klauselverwenders für unangemessene Leistungsänderungen nicht in materieller Hinsicht ein. Gleichwohl erfüllt es eine nicht unwichtige marktkonstitutive Funktion, indem es den Kunden in der Vertragsanbahnungsphase die Möglichkeit bietet, die Anpassungsregelungen verschiedener Anbieter zu vergleichen und sich für den Transaktionspartner zu entscheiden, der die aus seiner Sicht günstigsten Klauseln verwendet. Auf diese Weise nehmen die Anpassungsklauseln am Konditionenwettbewerb teil, wodurch für die Anbieter Anreize bestehen, möglichst kundenfreundliche Anpassungsregelungen zu verwenden. So wird die Opportunismusgefahr jedenfalls mittelbar gemindert. Hiergegen mag man argumentieren, es sei realitätsfern anzunehmen, dass Kunden ihre Abschlussentscheidung vom Inhalt der Leistungsanpassungsklauseln in den AGB abhängig machten. Dieser Einwand ist auf den ersten Blick durchaus plausibel, doch darf auf der anderen Seite nicht übersehen werden, dass bei Dauerverträgen sog. Informationsintermediäre eine wichtige Rolle spielen: Insbesondere im Zusammenhang mit Versorgungsund Versicherungsverträgen gibt es eine Vielzahl von Dienstleistern auf dem Markt, die den Verbrauchern bei der Wahl des Anbieters mit Informationen und Bewertungen Orientierungshilfe leisten.124 Die in AGB enthaltenen Anpassungsklauseln fließen in die Bewertung des Leistungsangebots durch Intermediäre ein und erreichen dadurch mittelbar auch die Aufmerksamkeit der Kunden. (c) Gebot der Äquivalenzwahrung Das Transparenzgebot allein reicht allerdings zum Schutz gegen unangemessene Anpassungsrechtsklauseln nicht aus. Nicht jeder Kunde schenkt bei Vertragsschluss den Anpassungsklauseln Beachtung oder nimmt im Vorfeld die Leistung von Informationsintermediären in Anspruch. Folgerichtig unterwirft die Rechtsprechung die Änderungsvorbehalte auch einer strengen materiellen Kontrolle am Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 308 Nr. 4 BGB. Eine AnpasXI. Zivilsenat räumt hingegen dem Transparenzgebot bei der Kontrolle von Entgeltund Zinsänderungsklauseln keine große Bedeutung ein, vgl. BGH NJW 2009, 2051, 2054. 123 BGH NJW 2008, 360, 361. 124 Allgemein zur Rolle von Informationsintermediären für die Überwindung von Informationsasymmetrien etwa Franck, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 6 Rn. 45.
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sungsklausel ist nach Auffassung des BGH insbesondere dann unwirksam, wenn sie dem Verwender die Möglichkeit gibt, das ursprüngliche vertragliche Äquivalenzverhältnis zulasten des Gegners zu modifizieren.125 Positiv formuliert ist ein Änderungsvorbehalt nur in dem Umfang zulässig, wie er es dem Verwender erlaubt, eine nachträgliche Äquivalenzstörung infolge veränderter Umstände nach Vertragsschluss wieder zu beseitigen. Keinesfalls darf die Position des Gegners gegenüber der Vertragsschlusssituation verschlechtert werden. Dementsprechend verlangt der BGH in ständiger Rechtsprechung bei Preisanpassungsklauseln, dass diese darauf beschränkt sein müssen, eine Gewinnschmälerung des Verwenders zu vermeiden; hingegen dürfen sie nicht dem Verwender die Erzielung zusätzlicher Gewinne ermöglichen.126 Hinzukommt eine weitere Anforderung: Die Vereinbarung eines Preiserhöhungsrechts bei steigenden Produktionskosten ist nach dem BGH lediglich dann zulässig, wenn sich der Verwender gleichzeitig „spiegelbildlich“ dazu verpflichtet, bei fallenden Produktionskosten den Preis zu senken.127 Das Verbot von Klauseln, die eine nachträgliche Äquivalenzverschiebung zulasten des Verwendungsgegners ermöglichen, ist geradezu ein Musterbeispiel für zwingendes Vertragsrecht zur Verhinderung ex-post-opportunistischen Verhaltens. Verändert nämlich der Klauselverwender nach Vertragsschluss das Äquivalenzverhältnis zu seinem Vorteil, stellt dieses Verhalten aus ökonomischer Sicht eine Umverteilung der Kooperationsrente dar. Dies entspricht genau der Definition eines hold-up. (d) Die Rolle alternativer Schutzmechanismen In einigen Entscheidungen befasst sich der BGH mit der Frage, ob sich unangemessene Nachteile aus einer Anpassungsklausel auch mithilfe anderer Mechanismen als der Inhaltskontrolle vermeiden ließen.128 Geprüft wird zum einen, ob die Einräumung eines Rücktritts- bzw. Kündigungsrechts für den Fall der Vertragsänderung den Gegner ausreichend schützt. Zweitens wird als Alternative zur Inhalts- die Möglichkeit einer Ausübungskontrolle erwogen: Nach diesem Ansatz bleibt die Vereinbarung des einseitigen Anpassungsrechts grundsätzlich frei. Kontrolliert wird erst auf einer nachgelagerten Ebene die konkrete Ausübung des
125 BGHZ 141, 153, 156; vgl. hierzu auch Wandt, Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen, S. 26; BGH NJW-RR 2008, 134; BGH NJW-RR 2009, 1641, 1643. 126 BGHZ 176, 244, 249 f.; BGH NJW 2008, 360, 361; BGH NJW 2009, 2051, 2053; BGH NJW 2009, 2667, 2669. Vgl. allgemein zu dieser Anforderung Thomas AcP 209 (2009), 84, 94 ff. 127 BGHZ 176, 244, 250; BGH NJW 2009, 2051, 2053; BGH NJW 2010, 993, 994. 128 Vgl. allgemein zu Kontrolltatbeständen für Anpassungsrechtsklauseln außerhalb der §§ 305 ff. BGB Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsregeln, S. 55 ff.
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Anpassungsrechts.129 Eine solche Ausübungskontrolle entspricht nicht dem hier vertretenen Begriff von zwingendem Vertragsrecht:130 Nicht die vertragliche Gestaltungsfreiheit der Parteien wird eingeschränkt, sondern die einseitige Gestaltungsmacht der anpassungsberechtigten Seite. Die Erörterung möglicher alternativer Schutzmechanismen ist deswegen von besonderem Interesse, da sie im Kern die Frage betrifft, wieso gerade zwingendes Vertragsrecht für die Abwehr von Opportunismusgefahren in Dauerschuldverhältnissen erforderlich ist. 1. Lösungsrecht – Zunächst verdient die Alternative des Lösungsrechts zugunsten des Verwendungsgegners Aufmerksamkeit. Tatsächlich wird bei einigen gesetzlichen Vertragsanpassungsregelungen dem Gegner der anpassungsberechtigten Partei ein Lösungsrecht für den Fall gewährt, dass die Anpassung vorgenommen wird. Beispiele hierfür sind das Sonderkündigungsrecht des Wohnraummieters nach § 561 Abs. 1 BGB für den Fall einer Mieterhöhung durch den Vermieter nach § 558 oder § 559 BGB, ferner das Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers nach § 25 Abs. 2 VVG, falls der Versicherer wegen einer Gefahrerhöhung die Prämie anhebt. Ebenso verlangt das Gesetz in manchen Fällen als Ausgleich für ein rechtsgeschäftlich vereinbartes Anpassungsrecht einer Seite ein Lösungsrecht des Gegners: so etwa im bereits erwähnten § 651a Abs. 5 Satz 2 BGB beim Reisevertrag oder in § 40 VVG zugunsten des Versicherungsnehmers für den Fall, dass der Versicherer von einer Prämien- oder sonstigen Anpassungsklausel Gebrauch macht. § 489 Abs. 2 BGB gewährt bei einem Darlehensvertrag mit veränderlichem Zinssatz dem Darlehensnehmer das Recht, den Vertrag jederzeit mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zu kündigen.131 Ein Junktim aus einseitigem Anpassungsrecht und Lösungsrecht des Gegners kennt auch die europäische Klauselrichtlinie 93/13/EWG. Gemäß Anhang Nr. 1 lit. l ist eine Vertragsklausel missbräuchlich im Sinne der Richtlinie, wenn dem Unternehmer ein Preiserhöhungsrecht zusteht, ohne dass dem Verbraucher für den Fall einer erheblichen Preisanhebung ein Rücktrittsrecht eingeräumt wird.132 Diese Überlegung hat sich verschiedentlich auch der BGH zueigen gemacht und 129 Allgemein zu den beiden Kontrollansätzen vgl. Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 335 ff., der zwischen „Vorbehalts-“ und „Ausübungskontrolle“ unterscheidet, sowie ferner Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 229 ff. und S. 236 ff. 130 Vgl. oben § 1 II. 131 Eine ähnliche Regelung enthält das neue Recht der Zahlungsdienste in § 675g Abs. 2 Satz 2 BGB. Die Vorschrift gewährt dem Zahlungsdienstnutzer ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Fall, dass „auf Veranlassung des Zahlungsdienstleisters“ (vgl. § 675g Abs. 1 BGB) der Zahlungsdiensterahmenvertrag geändert wird. Zwar bezieht sich die Regelung auf zweiseitige Änderungsabreden, doch besteht das außerordentliche Kündigungsrecht nur dann, wenn die Parteien vereinbart haben, dass das Schweigen des Zahlungsdienstnutzers als Zustimmung zum Änderungsangebot des Zahlungsdienstleisters zu werten ist. In einer solchen Konstellation ist faktisch die Nähe zum einseitigen Anpassungsrecht sehr groß. 132 Zu beachten ist allerdings, dass die Regelungen im Anhang der Klauselrichtlinie lediglich Hinweischarakter haben und nicht verbindlich sind, vgl. Art. 3 Abs. 3 der
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Preisänderungsklauseln ohne Lösungsrecht des Kunden als unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB gewertet.133 Das Lösungsrecht des Vertragsgegners scheint auf den ersten Blick tatsächlich ein effektives Schutzinstrument gegen ex-post-opportunistisches Verhalten des Anpassungsberechtigten zu sein. Dessen Versuch, sich einen größeren Anteil an der Kooperationsrente zu sichern, wird vereitelt, wenn der Vertrag beendet wird. Bereits die Möglichkeit des Gegners zur Vertragsbeendigung dürfte den Klauselverwender disziplinieren und ihn davon abhalten, das Anpassungsrecht in rücksichtsloser Weise auszuüben.134 Bei näherer Untersuchung zeigt sich jedoch, dass das Lösungsrecht nicht in jedem Fall Schutz bietet. Im Einzelfall kann es nämlich auch noch andere Umstände als die rechtliche Bindungswirkung des Vertrags geben, die den Gegner im Vertragsverhältnis „gefangen“ halten und ihn so gegenüber opportunistischem Verhalten wehrlos machen.135 Solche Umstände können etwa transaktionsspezifische Investitionen sein, die bei einer vorzeitigen Vertragsbeendigung unwiederbringlich verloren wären,136 oder hohe Transaktionskosten, die für den Wechsel des Vertragspartners anfallen würden. So wird beispielsweise ein Bankkunde auch bei einer spürbaren Anhebung der Kontoführungsgebühren nicht sogleich das Kreditinstitut wechseln. Häufig ist es nämlich zu aufwändig, ein neues Konto einzurichten, Einzugsberechtigungen und Daueraufträge abzuändern, Schuldnern die neue Bankverbindung mitzuteilen etc. Der Bankkunde mag es in diesen Fällen vorziehen, das höhere Entgelt hinzunehmen, auch wenn sich dadurch das vertragliche Äquivalenzverhältnis zu seinem Nachteil verschlechtert. In letzter Zeit zeichnet sich eine neue, vorsichtigere Haltung des BGH in der Frage ab, ob ein vertragliches Lösungsrecht des Kunden ein angemessener Ausgleich für die Leistungsanpassungsklausel des Gegners sein kann. Der VIII. Zivilsenat führte bei der Inhaltskontrolle einer Preisanpassungsklausel eines Gasversorgungsunternehmens aus: „Ob und unter welchen Voraussetzungen die Unangemessenheit von Preisänderungsklauseln durch die dem Kunden eingeräumte Möglichkeit, sich vom Vertrag zu lösen, ausgeglichen werden kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Das Recht des Kunden zur Lösung vom Vertrag vermag jedenfalls nicht stets zu einem angeRichtlinie. Zur Bestimmung des Nr. 1 lit. l vgl. auch MünchKommBGB/Wurmnest § 309 Nr. 1 Rn. 2 ff. 133 BGHZ 82, 21, 27; BGHZ 90, 69, 79; BGH NJW 2003, 886, 888; vgl. auch MünchKommBGB/Wurmnest § 309 Nr. 1 Rn. 22 ff. Ein Lösungsrecht wurde insbesondere dort als angemessene Kompensation für den Kunden angesehen, wo es dem Klauselverwender bei Vertragsschluss faktisch unmöglich ist, den Rahmen der künftigen Preisänderungen zu konkretisieren. 134 Ebenso Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 349. 135 Zu den Grenzen des Lösungsrechts s. auch Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 231; Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 351 ff.; R. Wiedemann, Preisänderungsvorbehalte, S. 53 ff. 136 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt bereits BGHZ 93, 29, 47.
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2. Teil: Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts messenen Interessenausgleich zu führen. Dies hängt von seiner konkreten Ausgestaltung ab. Dabei sind die Art des jeweiligen Vertrags, die typischen Interessen der Vertragschließenden und die die jeweilige Klausel begleitenden Regelungen zu berücksichtigen.“ 137
Im Zusammenhang mit der Zinsänderungsklausel einer Sparkasse stellte sich der XI. Zivilsenat sogar explizit auf den Standpunkt, dass das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers keine adäquate Kompensation für das einseitige Leistungsbestimmungsrecht des Kreditinstituts darstelle, da die Beendigung des Kreditgeschäfts Umschuldungsmaßnahmen erforderlich mache, die mit „hohen Transaktionskosten“ verbunden seien.138 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass ein einseitiger Änderungsvorbehalt zugunsten des Klauselverwenders auch dann den Gegner unangemessen benachteiligen kann, wenn letzterem ein vertragliches Lösungsrecht eingeräumt wird. 2. Ausübungskontrolle – Ferner stellt sich die Frage, ob das Institut der Ausübungskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB das Bedürfnis nach einer Inhaltskontrolle der Anpassungsrechtsklausel entfallen lässt. Zunächst ist anerkannt, dass ein einseitiges Leistungs- bzw. Preisanpassungsrecht in den Anwendungsbereich des § 315 Abs. 1 BGB fällt.139 Nach dieser Vorschrift ist „im Zweifel“ anzunehmen, dass das Bestimmungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben ist. Diese Vermutung ist lediglich dann widerlegt, wenn der Bestimmungsberechtigte in seiner Entscheidung an externe, von ihm nicht beeinflussbare Kriterien gebunden ist.140 Hat die Vertragsanpassung nach „billigem Ermessen“ zu erfolgen, kann die vertragliche Neugestaltung einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen und vom Gericht nach Maßgabe des § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB korrigiert werden. Rechtsprechung und herrschende Lehre stimmen darin überein, dass die Möglichkeit der Ausübungskontrolle die Inhaltskontrolle der Anpassungsrechtsklausel 137 BGH NJW 2009, 2667, 2670; s. auch BGH NJW 2007, 1054, 1056; ähnlich der III. Zivilsenat, vgl. BGH NJW 2008, 360, 361. In BGH NJW 2008, 2172, 2174 f., nahm der Kartellsenat an, dass ein Kündigungsrecht die Interessen des Vertragsgegners nicht wahrt, da der Klauselverwender über eine marktbeherrschende Stellung verfügte; krit. zur Argumentation des Kartellsenats Thomas AcP 209 (2009), 84, 117. Vgl. nunmehr aber auch den Vorlagebeschluss BGH ZIP 2011, 962, 966, in dem der VIII. Zivilsenat zu der Ansicht zu tendieren scheint, dass der Kunde mithilfe eines Lösungsrechts angemessen geschützt ist. 138 BGH NJW 2009, 2051, 2054; s. nunmehr auch BGH NJW 2010, 993, 995 (VIII. Zivilsenat). Vgl. bereits zuvor Langenbucher, FS H. P. Westermann, S. 399, 415. 139 BGHZ 97, 212, 214; BGHZ 164, 336, 340; BGHZ 182, 59, 70; R. Wiedemann, Preisänderungsvorbehalte, S. 34; Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 82; MünchKommBGB/Würdinger § 314 Rn. 16, 20 f.; a. A. Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 360 (analoge Anwendung). 140 So z. B., wenn die Berechnungsfaktoren für eine Preisänderung im Einzelnen vorgegeben sind, vgl. BGH NJW 2007, 210, 211.
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nicht ausschließt.141 Der BGH begründet dies mit dem effektiveren Schutz, den die Inhaltskontrolle im Vergleich zur Ausübungskontrolle bietet.142 Die AGBrechtliche Inhaltskontrolle kann im Wege der Verbandsklage nach § 1 UKlaG erzwungen werden, während die Billigkeitsprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB voraussetzt, dass sich die individuell betroffene Partei gegen die konkrete Anpassungsmaßnahme zur Wehr setzt. Eine weitere Überlegung kommt hinzu: Widerstand gegen die Vertragsänderung ist generell umso weniger zu erwarten, je weiter die Änderungsklausel zugunsten des Verwenders formuliert ist. Der rechtsunerfahrene Verwendungsgegner könnte hier geneigt sein, dem „Scheinrecht“ des Verwenders in den AGB widerspruchslos nachzugeben. Schon um solche Einschüchterungseffekte und Irreführungen zu vermeiden, muss die Rechtsordnung bereits der Vereinbarung des Anpassungsrechts Grenzen setzen. Und schließlich gilt es zu bedenken, dass die ex-post-Kontrolle der Vertragsanpassung am Billigkeitsmaßstab nicht selten praktische Schwierigkeiten bereiten wird. Man stelle sich etwa vor, dass ein Gericht darüber zu entscheiden hat, ob eine Preisanpassung wegen (behaupteter) erhöhter Inputkosten der Billigkeit entspricht. Das Gericht muss sich hier mit den Kalkulationsgrundlagen des Produktpreises auseinandersetzen, was regelmäßig aufwändige Analysen der Preisentwicklungen auf den Faktormärkten sowie der betrieblichen Kostenstrukturen erforderlich machen dürfte.143 Die Inhaltskontrolle ex ante hingegen, die lediglich an der Formulierung der abstrakten Anpassungsklausel anknüpft und diese einer Rechtskontrolle unterzieht, wird im Normalfall viel leichter durchführbar sein. Durch die Inhaltskontrolle werden bereits den Voraussetzungen und dem Umfang des Anpassungsrechts Grenzen gezogen. Auch wenn dadurch nicht gewährleistet ist, dass sich der Klauselverwender bei der Ausübung des Anpassungsrechts tatsächlich an die Schranken der Billigkeit und Angemessenheit hält, so dürfte von der Inhaltskontrolle doch eine gewisse „disziplinierende“ Wirkung auf die anpassungsberechtigte Partei ausgehen und das Risiko eines „Anpassungsmissbrauchs“ sinken. Somit ist festzuhalten: Auch die Ausübungskontrolle nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB macht die Inhaltskontrolle der Änderungsvorbehalte nicht entbehrlich. Die 141 BGHZ 82, 21, 26; BGHZ 124, 351, 361 f.; Staudinger/Rieble § 315 Rn. 254 ff.; MünchKommBGB/Würdinger § 315 Rn. 9; Palandt/Grüneberg § 315 Rn. 4; Wandt, Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen, S. 8; Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 361. – Zinsanpassungsklauseln von Kreditinstituten wurden früher vom BGH einer weniger strengen Inhaltskontrolle unterzogen als andere Leistungsanpassungsklauseln. Der Bankkunde wurde insbesondere auf die Möglichkeit des § 315 Abs. 3 BGB verwiesen, um sich gegen unangemessene Zinsänderungen zu wehren (vgl. BGHZ 97, 212, 216 ff.). Inzwischen prüft der BGH Zinsänderungsklauseln im Rahmen der Inhaltskontrolle am gleichen strengen Maßstab wie auch andere Änderungsklauseln (BGH NJW 2009, 2051, 2053 f.). 142 Vgl. insbesondere BGHZ 82, 21, 26. 143 Siehe z. B. zu den Schwierigkeiten bei der Überprüfung einer Preisanpassung auf dem Energiemarkt Bork JZ 2006, 682, 683 f.
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Inhaltskontrolle bietet den entscheidenden Vorteil, dass sie ex-post-opportunistischem Verhalten bereits im Vorfeld und mit geringerem prozessualen Aufwand entgegenwirkt. cc) Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 BGB Auch Haftungsausschlüsse und -beschränkungen bewirken eine Auflockerung der Vertragsbindung mit der Folge, dass Spielräume für ex-post-opportunistisches Verhalten entstehen. Wie schon bei den Anpassungsklauseln ist auch hier zunächst anzuerkennen, dass die Parteien ein legitimes Interesse an der Flexibilisierung der vertraglichen Pflichten haben können. Dies gilt insbesondere mit Blick auf langfristige Verträge. Für bestimmte vertragliche Dauerschuldverhältnisse sieht bereits das Gesetz Haftungserleichterungen in unterschiedlichen Formen vor: etwa im Gesellschaftsrecht nach § 708 BGB oder nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG144 und im Arbeitsrecht nach dem richterrechtlich entwickelten Institut der beschränkten Arbeitnehmerhaftung.145 Das Bedürfnis nach einem weniger strengen Verantwortlichkeitsregime mag ebenso in anderen Fällen gegeben sein, in denen der Gesetzgeber keine Haftungsprivilegierung normiert hat. Hier ist es grundsätzlich sinnvoll, wenn die Parteien das geschuldete Sorgfaltsniveau und die Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen nach ihren Vorstellungen privatautonom festlegen. Der Gestaltungsfreiheit zieht jedoch § 276 Abs. 3 BGB eine absolute Grenze: Die Haftung wegen vorsätzlichen Verhaltens kann im Voraus nicht ausgeschlossen werden. Das Verbot gilt unabhängig von der Form, in der der Ausschluss vereinbart werden soll, und betrifft somit insbesondere auch Individualabreden. Es wird von der Regelung des § 202 Abs. 1 BGB ergänzt, die eine Verjährungserleichterung für die Vorsatzhaftung verbietet. Die Bestimmung des § 276 Abs. 3 BGB ist als „Grundregel der Opportunismuskontrolle“ bezeichnet worden.146 Tatsächlich würde ein Haftungsausschluss für vorsätzliche Pflichtverletzungen die vertragliche Bindungswirkung vollkommen illusorisch machen: Die durch den Ausschluss begünstigte Partei könnte jederzeit das Vertragsversprechen brechen, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Die Aufteilung der Kooperationsrente hinge allein von der Willkür dieser Partei ab, dem Gegner böte sich keine Sicherheit dafür, dass er aus der Durchführung des Vertrags den erhofften Gewinn zieht. Somit stellt § 276 Abs. 3 BGB eine Abrundung und Absicherung des pacta-sunt-servanda-Grundsatzes dar. 144 Zur Funktion der sog. business judgment rule vgl. Hopt/Roth, in: Großkommentar AktG, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 8 und 12, wonach „Haftungsfreiräume“ für das Vorstandshandeln geschaffen werden sollen. 145 Dazu grundlegend BAG GS AP BGB § 611 Nr. 101 und AP BGB § 611 Nr. 103; vgl. aus jüngerer Zeit BAG AP BGB § 254 Nr. 15. 146 So Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 244; mit einer anderen Akzentsetzung hingegen Möslein, Dispositives Recht, S. 171, der den Zweck der Vorschrift in der Verhinderung der „Selbstentmündigung“ und im „Schutz der Freiheit vor sich selbst“ sieht.
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dd) Exkurs: Opportunistisches Verhalten durch Erschwerung legitimer Vertragsanpassungen Die bisher behandelten Konstellationen ex-post-opportunistischen Verhaltens waren dadurch gekennzeichnet, dass die Vertragsbindung zugunsten einer Partei zu stark gelockert war. Opportunismus kann allerdings seinen Ursprung auch in einem zu geringen Maß an Flexibilität, in einer zu starren vertraglichen Bindung haben. Dies ist etwa bei Vereinbarungen der Fall, die ein berechtigtes Anpassungsbegehren einer Partei entweder ganz ausschließen oder nur gegen einen unangemessen hohen Preis erlauben. Auch in derartigen Situationen können Korrekturen durch zwingende Regeln geboten sein. Die Einschränkung der Inhaltsfreiheit zielt dann – entgegengesetzt zu den zuvor thematisierten Fällen – auf die Flexibilisierung der Vertragsbeziehung. Illustrativ für die hier angesprochene Form des Vertragsversagens ist eine Entscheidung des BGH aus jüngerer Zeit:147 Ein Bauunternehmen hatte nach einer öffentlichen Ausschreibung den Zuschlag für die Erbringung einer größeren Bauleistung erhalten. Der von der Baufirma gebotene Gesamtpreis war nicht zu beanstanden, doch wiesen bestimmte Einzelpositionen im Leistungsverzeichnis einen exorbitant hohen Preis auf, der sich auf mehr als das 800-fache des üblichen Marktpreises belief. In der Durchführungsphase stellte sich heraus, dass sich für die Realisierung des Bauwerks ein Mehrbedarf just an den überteuerten Einzelleistungen ergab. Nach § 2 Nr. 3 Abs. 2 bzw. § 2 Nr. 5 VOB/B ermittelt sich der für die Mehrmenge neu zu vereinbarende Preis nach dem „vertraglichen Einheitspreis“, d.h. nach den im Leistungsverzeichnis ausgewiesenen Einzelpreisen. Der Auftraggeber akzeptierte die – gemessen am Marktpreis – völlig überzogenen Nachtragsforderungen nicht und verweigerte die Zahlung. Der VII. Zivilsenat des BGH sah Anhaltspunkte für die Vermutung, das Bauunternehmen habe auf einen Mehrbedarf des Auftraggebers für die betreffenden Einzelleistungen spekuliert und die Preise dafür mit Bedacht so hoch angesetzt. Treffe der Verdacht zu, so der Senat, sei die Einzelpreisvereinbarung wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB insoweit nichtig, als sie die Grundlage für die Kalkulation der Mehrmengenpreise bilde. In diesem Fall seien die Nachtragsposten nach den „üblichen Einheitspreisen“ zu vergüten. Die Sache wurde schließlich an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das insbesondere zu prüfen hatte, ob die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit tatsächlich erfüllt waren. Die Entscheidung des BGH verdient Zustimmung. Der zugrunde liegende Sachverhalt lässt sich, sofern eine wirtschaftliche Rechtfertigung für die überhöhten Einzelpreise tatsächlich fehlt, als geradezu mustergültiges Beispiel eines hold-up-bedingten Vertragsversagens deuten.148 Das Verfahren der öffentlichen 147 148
BGHZ 179, 213. Zum hold-up vgl. bereits oben § 2 II. 2. a) bb) und § 4 I. 2. b).
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Ausschreibung stellt sicher, dass hinsichtlich des ursprünglich erwarteten Auftragsvolumens ein aus Sicht des Auftraggebers angemessener (Gesamt-)Preis gebildet wird. Der Bieterwettbewerb übt „disziplinierende“ Wirkung aus: Bei Abgabe eines überhöhten Preisangebots stehen die Chancen des Bieters schlechter, den Zuschlag zu erhalten. Auf die Preisfestsetzung für die verschiedenen Einzelpositionen hat das Ausschreibungsverfahren deutlich weniger Einfluss, da für den Vergleich der konkurrierenden Angebote primär der Gesamtpreis maßgebend ist. Gerade bei Einzelposten, die nur einen geringen Anteil der Gesamtleistung ausmachen, kann es vorkommen, dass eine unverhältnismäßige Überhöhung nicht weiter Beachtung findet, solange der Gesamtpreis noch den Rahmen des Angemessenen wahrt. Der Bieter kann nun versuchen, sich nachträglich einen größeren Anteil an der Kooperationsrente zu sichern, indem er für den Fall unvorhergesehener Ereignisse – z. B. eines unerwarteten Mehrbedarfs an bestimmten Leistungen – eine exorbitant hohe Vergütung verlangt. Der VII. Zivilsenat beschrieb das Vorgehen des Bauunternehmens auf folgende Weise: „Die vertragsuntypische Spekulation des Bieters durch Einsatz deutlich überhöhter Einheitspreise ist regelmäßig mit der Erwartung verbunden, einen außerordentlichen Gewinn zu erzielen, der andererseits zu nicht eingeplanten Mehrkosten bei dem Auftraggeber führt, denen kein entsprechender Gegenwert gegenübersteht. Regelmäßig beruht die Bildung überhöhter Preise auch auf einem nicht offen gelegten Informationsvorsprung des Bieters, der Anlass zu der Spekulation gibt, sei es die auf Tatsachen oder Erfahrungswerte gegründete Erwartung oder sogar die Gewissheit von Mengenmehrungen.“ 149
Die Ausführungen lassen erkennen, worin der BGH die Ursache für die gestörte „Richtigkeitsgewähr“ des Vertragsmechanismus sieht: Der Bieter verfügt regelmäßig über einen Informationsvorsprung. Zum einen wird er generell mehr Erfahrung darüber besitzen, welche Eventualitäten in der Bauphase eintreten können. In manchen Fällen wird er sogar von vornherein durchschauen, dass das vom Auftraggeber veranschlagte Leistungsvolumen falsch kalkuliert ist. Der Auftraggeber auf der anderen Seite wird bei Vertragsschluss nicht sogleich mit einem Mehrbedarf rechnen, sondern zunächst auf seine ursprüngliche Bedarfskalkulation vertrauen. Hinzukommt, dass er meist „die mit der Preisgestaltung [scil. des Bieters] verfolgte Absicht nicht erkennt“.150 Unter diesen Voraussetzungen ist es für ihn bei Vertragsschluss schwierig, seine Interessen selbständig und eigenverantwortlich wahrzunehmen. Die Inhaltskontrolle des Vertrags erscheint folglich gerechtfertigt. Gegen die Entscheidung des VII. Zivilsenats ist unter anderem eingewandt worden, sie führe im Ergebnis zu einer gerichtlichen Preiskontrolle.151 Der BGH 149 150 151
BGHZ 179, 213, 220. BGHZ 179, 213, 220. So Kapellmann NJW 2009, 1380, 1381.
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verletze damit den Grundsatz, wonach in einer marktwirtschaftlich verfassten Vertragsrechtsordnung die Preisbestimmung das Prärogativ der Transaktionspartner sei und Richter nicht die Rolle von Preiskommissaren spielen dürften. Doch diese Kritik geht fehl. Der durch das Ausschreibungsverfahren zustande gekommene Gesamtpreis für die Bauleistungen wird nämlich keiner gerichtlichen Überprüfung unterworfen. Kontrolliert wird lediglich die Verteilung des Gesamtpreises auf die verschiedenen Einzelpositionen: Hier sollen manipulative Preisgestaltungen unterbunden werden, die allein das Ziel verfolgen, die Berechnungsgrundlage für eventuelle Nachtragsforderungen im Interesse des Bieters und zulasten des arglosen Auftraggebers zu beeinflussen. Unter diesem Blickwinkel lässt sich die Kontrolle der Nachtragspositionen am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB als Maßnahme zur Sicherung der Preistransparenz begreifen: „Überraschungen“ bei der Berechnung von Nachtragsforderungen werden verhindert. Ein solcher Eingriff beeinträchtigt den Funktionsmechanismus nicht, sondern trägt im Gegenteil zu seiner Verbesserung bei. Folgendes Resümee lässt sich ziehen: Die Entscheidung des BGH liefert ein weiteres Beispiel dafür, wie durch die Inhaltskontrolle verhindert werden kann, dass eine Vertragspartei eine nachträglich eintretende Veränderung der Umstände zu einer opportunistischen „Ausbeutung“ der Gegenseite ausnutzen kann. Anders als bei den Änderungs- oder Ausschlussklauseln zielte die Kontrolle hier auf eine erleichterte Vertragsanpassung und damit auf die Flexibilisierung des Vertrags mit Blick auf unerwartete Eventualitäten. ee) Inhaltskontrolle von ad-hoc-Anpassungsverträgen? Die bisherige Untersuchung betraf allein die Kontrolle des sogenannten „Erstvertrags“ 152, d.h. des ursprünglichen Vertrags. Ex-post-Opportunismus ist nun allerdings auch in der Form denkbar, dass eine Partei dazu gedrängt wird, in einen Änderungsvertrag einzuwilligen, der die Konditionen des Erstvertrags zu ihren Ungunsten modifiziert. Derartige ad-hoc-Vertragsanpassungen können entweder „spontan“ erfolgen, weil die Bedingungen des Erstvertrags nicht mehr dem aktuellen Parteiwillen entsprechen [zu dieser Fallgruppe sogleich (1)]. Sie können auch auf der Grundlage von Neuverhandlungspflichten zustande kommen [dazu unten (2)]. (1) „Spontane“ Anpassungsverträge Zur Veranschaulichung des Opportunismusproblems bei ad-hoc-Anpassungsverträgen sei noch einmal die klassische Konstellation des hold-up in Erinnerung 152 Die Termini „Erstvertrag“ und „Anpassungsvertrag“ sind Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 9, entlehnt.
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zurückgerufen: Partei X hat im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses transaktionsspezifische Investitionen getätigt, die bei einer vorzeitigen Vertragsbeendigung verloren wären – bei den Investitionen handelt es sich mit anderen Worten um versunkene Kosten. Hier bietet sich dem Gegner Y die Gelegenheit, über Neuverhandlungen einen größeren Anteil an der Kooperationsrente abzuschöpfen. Y kann X vor folgende Alternative stellen: Entweder akzeptiert er ungünstigere Konditionen (z. B. eine niedrigere Vergütung) oder der Vertrag wird sofort beendet. Verfügt X für den Fall der Vertragsbeendigung über keine anderweitigen Gewinnmöglichkeiten, wird er jeder Neugestaltung des Vertragsinhalts zustimmen, die ihm eine noch so geringe Einnahme verspricht. Wie kann nun die Rechtsordnung vor derartigen „ausbeuterischen“ Anpassungen schützen? Ein denkbarer Ansatz könnte darin bestehen, den Abänderungsvertrag einer Inhaltskontrolle zu unterwerfen und eine unangemessene Umgestaltung des Erstvertrags für nichtig zu erklären. Eine „Sonderinhaltskontrolle von adhoc-Anpassungsverträgen“ ist allerdings grundsätzlich abzulehnen.153 Zum einen ist es der betroffenen Partei oftmals durchaus zumutbar, sich dem Anpassungsdruck des Gegners zu widersetzen und der Abänderung des Erstvertrags die Einwilligung zu verweigern. Macht nämlich der Gegner seine Drohung wahr und begeht Vertragsbruch, wird sie in ihrem Leistungsinteresse regelmäßig über Erfüllungs- bzw. Schadensersatzansprüche gemäß §§ 280 ff. BGB geschützt. Ein Ausgleich für die versunkenen Kosten kann in einem solchen Fall möglicherweise auch über § 284 BGB verlangt werden. Unter diesen Voraussetzungen kann nicht davon die Rede sein, es bestehe eine Zwangslage, den geänderten Konditionen zuzustimmen.154 Im Übrigen bietet die vertragliche Abschlusskontrolle nach § 123 Abs. 1 Fall 2 BGB Schutz vor ungewollten Änderungsverträgen: Die in Aussicht gestellte vorzeitige Vertragsbeendigung stellt eine widerrechtliche Drohung dar, mit der der Abschluss des Anpassungsvertrags erzwungen wird.155 Die bedrohte Partei kann folglich die Abänderung des Erstvertrags anfechten und zu den ursprünglichen Vertragsbedingungen zurückkehren. Diese alternativen Schutzmechanismen machen das Instrument der Inhaltskontrolle entbehrlich. (2) Anpassungsverträge infolge von Neuverhandlungspflichten Die Situation kann sich allerdings anders darstellen, wenn der Anpassungsvertrag auf der Grundlage von Neuverhandlungspflichten geschlossen wird. Der-
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So überzeugend Hau, Anpassungsvertrag und Vertragsanpassung, S. 154 ff. Zu diesem Gesichtspunkt Hau, Anpassungsvertrag und Vertragsanpassung, S. 130 ff. 155 Zu den Voraussetzungen des Anfechtungsrechts im Einzelnen Hau, Anpassungsvertrag und Vertragsanpassung, S. 124 ff. 154
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artige Pflichten der Vertragsparteien, für den Fall bestimmter Ereignisse eine einvernehmliche Anpassung des Vertragsinhalts zu erreichen,156 können sich entweder aus einer vertraglichen Abrede [sogleich (a)] oder aus dem Gesetz [sodann (b)] ergeben.157 Der Vorteil von Neuverhandlungspflichten wird allgemein darin gesehen, dass sie bei der Vertragsanpassung in besonderem Maß der Privatautonomie Rechnung tragen: Anders als beispielsweise bei einer richterlichen oder gesetzlichen Umgestaltung haben es hier die Parteien selbst in der Hand, den Vertragsinhalt im Einklang mit ihren eigenen Präferenzen neu zu bestimmen.158 (a) Vertragliche Neuverhandlungspflicht Bei Anpassungsverträgen, die auf der Grundlage vertraglicher Neuverhandlungspflichten zustande kommen, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Inhaltskontrolle geboten sein, um opportunistische „Ausbeutungen“ zu verhindern. Dazu folgendes Beispiel: X gibt bei Y die Herstellung von Maschinen in Auftrag. Für den Fall, dass sich die Preise bestimmter für die Produktion benötigter Rohstoffe signifikant erhöhen, vereinbaren die Parteien, in Neuverhandlungen über den Kaufpreis zu treten. Scheitern die Verhandlungen, soll der Vertrag beendet werden.159 Hat nun der Besteller X transaktionsspezifische irreversible Investitionen getätigt oder sind für ihn die Kosten einer Vertragsbeendigung („ExitKosten“) aus einem anderen Grund hoch, besteht im Fall einer Neuverhandlung das Risiko eines hold-up zu seinen Lasten. Um den Vertrag fortzusetzen, wird X auch ein Änderungsangebot akzeptieren, das die ursprünglichen Konditionen massiv zu seinem Nachteil modifiziert. In dieser Konstellation stehen dem X nicht die gleichen Abwehrmittel wie bei einem „spontanen“ Anpassungsvertrag zur Verfügung. Er kann beispielsweise nicht das Anpassungsansinnen ablehnen und an den Konditionen des Erstvertrags festhalten, da die Neuverhandlungsklausel die Bindung an den Erstvertrag aufhebt. Eine Anfechtung des Anpassungsvertrags nach § 123 Abs. 1 Fall 2 BGB scheidet ebenfalls aus, da schon keine widerrechtliche Drohung des Y vorliegt. Die Vertragsbeendigung im Fall des Scheiterns der Anpassungsverhandlungen ist nämlich gerade vertraglich vorgesehen. 156 Grundlegend zur Neuverhandlungspflicht Horn AcP 181 (1981), 255; s. ferner Martinek AcP 198 (1998), 329. In den Einzelheiten ist der Begriff umstritten vgl. etwa Eidenmüller ZIP 1995, 1063, 1064; Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 257. 157 Zu einer Bestandsaufnahme der typischen vertraglichen Neuverhandlungsklauseln und der gesetzlichen Neuverhandlungspflichten Martinek AcP 198 (1998), 329, 344 ff. und 356 ff. 158 Diesen Aspekt betonen insbesondere Horn AcP 181 (1981), 255, 288, und Eidenmüller ZIP 1995, 1063, 1066; krit. hingegen Martinek AcP 198 (1998), 255, 374 f. 159 Zur Verwendung solcher Neuverhandlungsklauseln in der Praxis s. Martinek AcP 198 (1998), 329, 348 f.
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Vor diesem Hintergrund ist hier zum Schutz des X eine Inhaltskontrolle des Anpassungsvertrags erforderlich.160 Die Einschränkung der Vertragsänderungsfreiheit161 findet ihre Rechtfertigung in der besonderen Abhängigkeitslage der transaktionsspezifisch investierenden Partei, die die „Richtigkeitsgewähr“ des Vertragsmechanismus bei der Anpassungsvereinbarung stört. Sieht im Beispielsfall die Neuverhandlungsklausel keine Vertragsbeendigung bei gescheiterten Anpassungsverhandlungen vor, stellt sich die Frage, ob nicht eine Inhaltskontrolle des Anpassungsvertrags zugunsten des Y geboten ist. Geht man nämlich davon aus, dass ohne eine Einigung bei den Neuverhandlungen der Erstvertrag unverändert weiter besteht, befindet sich Y in einer äußerst schwachen Verhandlungsposition.162 Jede noch so minimale Erhöhung der Gegenleistung des X wird von Y einer Fortgeltung des Erstvertrags vorgezogen. Eine Inhaltskontrolle der Vertragsanpassung ist hier gleichwohl nicht erforderlich. Scheitert die Anpassung, kann sich Y nämlich auf die gesetzlichen Schutzmechanismen stützen, die im Fall einer unzumutbaren Leistungserschwerung greifen, insbesondere auf die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Auf dieser gesetzlichen Grundlage kann Y eine richterliche Anpassung verlangen oder als ultima ratio vom Vertrag zurücktreten. Aus der Neuverhandlungsklausel ergibt sich per se kein Ausschluss der gesetzlichen Rechte. Schon allein die Tatsache, dass Y diese Rechte in der „Hinterhand“ hat, wird disziplinierende Wirkung auf das Verhandlungsverhalten des X ausüben. In jedem Fall ist es jedoch Y zumutbar, ein unangemessenes Anpassungsangebot des X auszuschlagen.
(b) Gesetzliche Neuverhandlungspflicht Die wohl prominenteste gesetzliche Neuverhandlungspflicht geht auf die Schuldrechtsmodernisierung von 2002 zurück und ist in § 313 Abs. 1 BGB geregelt: Die primäre Rechtsfolge aus dem Wegfall der Geschäftsgrundlage besteht nunmehr darin, dass „Anpassung des Vertrags“ verlangt werden kann.163 Auch 160 Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 230, befürwortet offenbar einen anderen Weg: Seiner Ansicht nach ist eine (formularmäßige) Neuverhandlungsklausel nach § 307 BGB unwirksam, die einen starken wirtschaftlichen Änderungsdruck auf den Partner ausübt, der Interesse an dem unveränderten Fortbestand des Erstvertrags hat. Ein solcher unangemessener Änderungsdruck ist dann anzunehmen, wenn der änderungsinteressierte Gegner den Vertrag bei einem Scheitern der Verhandlungen beenden kann. Ob eine Neuverhandlungsklausel dieses Inhalts zu unangemessenen Ergebnissen führt, ist allerdings keineswegs gewiss, sondern hängt von Einzelumständen ab (z. B. davon, ob transaktionsspezifische Investitionen getätigt wurden). Unter diesen Umständen erscheint es vorzugswürdig, den konkreten Anpassungsvertrag und nicht die abstrakte Neuverhandlungsklausel der Inhaltskontrolle zu unterwerfen. 161 Näher zur Vertragsänderungsfreiheit als Sonderaspekt der allgemeinen Vertragsfreiheit Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 49 ff. 162 Vgl. zu dieser Konstellation auch Martinek AcP 198 (1998) 329, 351. 163 Vgl. näher zum Inhalt des Anpassungsanspruchs nach § 313 BGB BGH NJW 2012, 373; Heinrichs, FS Heldrich, S. 183, 193 ff.; Riesenhuber BB 2004, 1697, 2698 ff. Zum Teil wird geleugnet, dass aus § 313 BGB eine Neuverhandlungspflicht für die Parteien folge (so z. B. Bamberger/Roth/Unberath § 313 Rn. 85; JurisPK-BGB/Pfeiffer
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hier stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Inhaltskontrolle, um einseitige Umverteilungen der Kooperationsrente zu verhindern. In Analogie zu den Fällen der vertraglichen Neuverhandlungspflicht ist das Bedürfnis nach der Inhaltskontrolle dann zu bejahen, wenn bei einem Scheitern der Neuverhandlungen der Vertrag automatisch endet und eine der Parteien irreversible transaktionsspezifische Investitionen getätigt hat: Die Partei, die auf die Fortsetzung der Vertragsbeziehung angewiesen ist, liefe Gefahr, bei den Neuverhandlungen „ausgebeutet“ zu werden. Die Abschlusskontrolle der Vertragsanpassung nach § 123 Abs. 1 Fall 2 BGB würde wiederum als Schutzinstrument versagen, da die Vertragsbeendigung aufgrund der gesetzlichen Anordnung kein „widerrechtliches“ Drohmittel ist. Gleichgültig ist dabei, welche der Parteien transaktionsspezifisch investiert hat. Ist es die Partei, die vom Wegfall der Geschäftsgrundlage belastet ist, wird die Neuverhandlung zu keiner nennenswerten Verbesserung ihrer Lage beitragen. Ist es hingegen der Gegner der belasteten Partei, so ergibt sich die merkwürdige Konsequenz, dass nun die eigentlich belastete Partei ihre eigene Leistungserschwerung zum Anlass nehmen kann, um die Vertragskonditionen zu ihrem Vorteil und zum Nachteil des Gegners abzuändern. In beiden Fällen wäre das Ergebnis der Neuverhandlungen unbefriedigend.
Überwiegend wird allerdings bei § 313 BGB angenommen, dass das Scheitern der Anpassungsverhandlungen nicht zur Beendigung des Vertrags führt.164 Vielmehr trifft in einem solchen Fall die Gerichte die Aufgabe, den Vertragsinhalt den veränderten Umständen anzupassen.165 Die Möglichkeit einer richterlichen Vertragsanpassung lässt das Bedürfnis nach einer Inhaltskontrolle der privatautonomen Anpassung entfallen. Der Vertragspartner, der von der Fortführung des Vertrags abhängig ist, kann einem „ausbeuterischen“ Anpassungsangebot die Zustimmung verweigern. Zeigt der Gegner in der Folge kein Entgegenkommen, führt der Weg letztlich zu den Gerichten, die eine faire Anpassungslösung finden müssen. Diese Regelung bietet ausreichenden Schutz gegen das Risiko ex-postopportunistischen Verhaltens.
§ 313 Rn. 67); die Parteien sollten unmittelbar auf die angepasste Leistung klagen dürfen. Diese Auffassung lässt allerdings offen, worin sich § 313 BGB von der alten Lehre der ipso-iure-Anpassung unterscheidet, die vor der Schuldrechtsmodernisierung herrschend war. 164 Siehe BGH NJW 2012, 373, 375 (Vertragsbeendigung durch Rücktritt nicht schon bei verweigerter Mitwirkung an Vertragsanpassung, sondern nur dann, wenn Vertragsanpassung nicht möglich oder einer der Parteien nicht [mehr] zumutbar); anders noch der Lösungsansatz in RGZ 103, 328, 333; ebenfalls ein Lösungsrecht des Anpassungswilligen bei hartnäckiger Anpassungsverweigerung des Gegners befürwortend MünchKommBGB/Finkenauer § 313 Rn. 119. 165 Palandt/Grüneberg § 313 Rn. 41; Erman/Hohloch § 313 Rn. 40; Riesenhuber BB 2004, 2697, 2699; dazu, wie die richterliche Anpassung im Einzelnen prozessual erwirkt wird, Heinrichs, FS Heldrich, S. 183, 197 ff.
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ff) Zusammenfassung Das marktkonstitutive zwingende Vertragsrecht trägt dazu bei, Kooperationsversagen aufgrund ex-post-opportunistischen Verhaltens zu verhindern. Die betreffenden Regelungen haben unterschiedliche Anknüpfungspunkte. Zum Teil beschränken sie die Möglichkeiten der Parteien, die Vertragsbindung durch einseitige Anpassungsrechte und Freizeichnungsklauseln aufzuweichen. Die Absicherung des pacta-sunt-servanda-Grundsatzes engt die Spielräume für ex-postopportunistische Handlungen ein. Auf der anderen Seite finden sich auch Regelungen, die auf die Flexibilisierung der vertraglichen Bindung zielen: So können beispielsweise nach § 138 Abs. 1 bzw. § 307 Abs. 1 BGB Klauseln unwirksam sein, die für eine sachlich gerechtfertigte Vertragsanpassung einen exorbitant hohen Preis vorsehen. Hingegen spielt die Inhaltskontrolle grundsätzlich eine geringere Rolle, wenn es um den Schutz vor Opportunismus durch missbräuchliche ad-hoc-Anpassungsverträge geht. Hier kann es der betroffenen Partei meist zugemutet werden, das Anpassungsansinnen des Gegners abzulehnen und den Inhalt des bestehenden Vertrags notfalls gerichtlich durchzusetzen. Im Übrigen schützt die Abschlusskontrolle, insbesondere § 123 Abs. 1 Fall 2 BGB, gegen eine Übervorteilung aus Anpassungsverträgen. Eine Einschränkung der vertraglichen Inhaltsfreiheit kann allerdings unter bestimmten Voraussetzungen bei Neuverhandlungspflichten geboten sein. 3. Marktkonstitutives zwingendes Vertragsrecht zur Verhinderung sonstigen Marktversagens Neben dem Schutz von Konkurrenz und Kooperation sichert das marktkonstitutive zwingende Vertragsrecht auch noch weitere Funktionsvoraussetzungen des Marktes. Es verhindert etwa, dass Transaktionen unangemessene negative externe Effekte auf unbeteiligte Dritte bewirken.166 Darüber hinaus gibt es eine Reihe zwingender Vorschriften, die allein für besondere Märkte wie etwa den Versicherungs- oder Kapitalmarkt gelten und dazu bestimmt sind, deren spezifische Funktionen zu schützen.
166 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 66 ff., sieht den Grund für die Inhaltskontrolle von Verträgen, die Dritte belasten, in der fehlenden Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus. Dieser könne einen Ausgleich nur zwischen den gegenläufigen Interessen der beteiligten Parteien zustande bringen, in Bezug auf Drittinteressen sei ein „richtiger“ Vertragsinhalt nicht garantiert. Nach dieser Wahrnehmung liegt dem Problem externer Effekte ein Vertragsversagen zugrunde. Das zwingende Vertragsrecht zum Schutz von Drittinteressen ist dann der Kategorie „Sicherung des Kooperationselements des Marktsystems“ zuzuordnen (oben § 4 I. 2.).
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a) Schutz vor negativen externen Effekten aa) Negative Externalitäten als Form des Marktversagens In einem idealtypischen Markt wirkt sich eine Transaktion ausschließlich auf die beteiligten Parteien aus: Sie allein tragen die Kosten und ihnen allein kommt der Nutzen aus dem Geschäft zugute. Die Transaktion kommt nur zustande, wenn für jeden Partner der Nutzen die Kosten übersteigt. Geht man davon aus, dass beide Seiten von dem Handel profitieren und gleichzeitig die Positionen außenstehender Dritter unberührt bleiben, so haben Transaktionen zwangsläufig auch gesamtgesellschaftlich einen positiven Wohlstandseffekt. Etwas anderes gilt, wenn ein Geschäft Kosten für unbeteiligte Dritte erzeugt (sog. soziale Kosten). In diesem Fall ist die gesamtgesellschaftliche Wohlstandssteigerung nicht länger gewährleistet.167 Die Nachteile für die Dritten bleiben bei der Preisbildung unberücksichtigt, d.h. sie fließen nicht in die Kosten-NutzenAbwägung der Transaktionspartner ein. In der Folge können Transaktionen zustande kommen, die externe Dritte stärker belasten als sie den beteiligten Parteien nützen. Der Wohlstandseffekt ist in diesem Fall negativ. Zur Verhinderung sozialer Kosten ist die Internalisierung der externen Effekte notwendig.168 Die Drittkosten müssen für die Parteien der Transaktion „spürbar“ gemacht werden, damit sie von ihnen bei Abschluss des Geschäfts in Rechnung gestellt werden. So wird sichergestellt, dass die Transaktion nur durchgeführt wird, wenn die daraus resultierenden Vorteile die sozialen Kosten ausgleichen. Ein Internalisierungsansatz besteht darin, den betroffenen Akteuren Ausgleichsansprüche gegen die Transaktionsparteien zu gewähren. Derartige Ansprüche können sich beispielsweise aus Deliktsrecht oder nach der Lehre vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ergeben. Im vorliegenden Kontext interessiert vor allem ein anderer Regulierungsansatz: die Beschränkung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit zum Schutz von Drittinteressen.169 Auch diese Maßnahme zielt letztlich auf die Internalisierung der externen Wirkungen. Sie verhindert nämlich die betreffenden Transaktionen nicht schlechthin, sondern nur insoweit, als sie ohne die Zustimmung des betroffenen Dritten durchgeführt werden. Das Verbot von Verträgen, die nachteilig in die Interessen Dritter eingreifen, lässt sich folglich als Gebot zur Einbeziehung der Drittbetroffenen in den Vertrag begreifen. Eine sol167 Generell zum Problem des Marktversagens durch externe Effekte Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 80 ff.; Lipsey/Chrystal, Principles of Economics, S. 294 ff. 168 Zu möglichen Regulierungsansätzen vgl. Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 3; Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 101 ff. 169 Zum Einsatz zwingenden Vertragsrechts zur Verhinderung negativer externer Effekte s. Wagner ZEuP 2010, 243, 257; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 44; Chirico ERCL 2009, 399, 419; Becker, Der unfaire Vertrag, S. 45 f.; Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, S. 58 ff.
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che Einbeziehung mag zwar praktisch nicht immer möglich sein, insbesondere dann nicht, wenn die berührten Dritten nicht klar individualisierbar sind. Doch ändert dies nichts daran, dass die Beschränkung der Vertragsfreiheit im Ansatz auf die Internalisierung der externen Effekte gerichtet ist. bb) Die Frage der schutzwürdigen Drittinteressen In der Praxis sind Transaktionen, die sich nachteilig auf unbeteiligte Dritte auswirken, allgegenwärtig. Nicht in jedem Fall wird allerdings die Vertragsfreiheit zum Schutz der Betroffenen eingeschränkt.170 Insgesamt lassen sich drei Kategorien von Drittbeeinträchtigungen unterscheiden, die die Rechtsordnung in unterschiedlichem Maß für schutzwürdig erachtet. (1) Unmittelbar durch den Marktmechanismus vermittelte Externalitäten und „psychologische Effekte“ Die Rechtsordnung gewährt keinen Schutz gegen Drittbeeinträchtigungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wirkungsmechanismus des Marktwettbewerbs stehen. Wo zum Beispiel Unternehmen um Kunden konkurrieren, bedeutet jede zustande gekommene Transaktion einen „Verlust“ für die übergangenen Konkurrenten. In die gleiche Kategorie fallen sog. „pekuniäre Effekte“:171 Weitet etwa ein Abnehmer plötzlich seine Nachfrage nach einem bestimmten Gut erheblich aus, kann dies auf dem betreffenden Markt einen Preisanstieg bewirken, der andere Abnehmer belastet. In beiden Konstellationen kommt trotz der negativen Drittwirkungen ein staatlicher Eingriff in die Vertragsfreiheit nicht in Betracht. Zum Tragen kommt die gleiche Wertung, die auch für die Frage der deliktsrechtlichen Haftung maßgebend ist:172 Schädigungen, die aus dem „normalen“ Marktprozess resultieren, sind nicht mit Sanktionen zu belegen. Andernfalls stellte sich die marktwirtschaftlich verfasste Rechtsordnung in Widerspruch zu ihrer eigenen wirtschaftspolitischen Systementscheidung.173 170 Zu Recht sieht K.-P. Martens AcP 177 (1977), 113, 135, die größte Herausforderung beim Schutz von Drittinteressen in der Definition der Eingriffsvoraussetzungen: „Die rechtlichen Schwierigkeiten [. . .] bestehen vor allem darin festzustellen, unter welchen Voraussetzungen relativ weitläufige Drittinteressen in rechtlich geschützte Drittrechte umschlagen [. . .]“. 171 Vgl. auch Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 81; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 394. 172 Vgl. zur Parallele auch Mayer-Maly AcP 194 (1994), 105, 148. 173 Im deutschen Deliktsrecht ist dieser Grundsatz im Enumerationsprinzip des § 823 Abs. 1 BGB angelegt: Das Vermögen als solches ist vom Katalog der deliktisch geschützten Rechtsgüter ausgenommen. Folglich sind (selbst vorsätzliche) Vermögensbeeinträchtigungen im Rahmen des Marktwettbewerbs deliktsrechtlich grundsätzlich irrelevant; vgl. zum Zusammenhang zwischen dem Enumerationsprinzip und der Wettbewerbsordnung Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 3 b (S. 356 f.).
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Ebenso ist ein Interventionsbedürfnis bei solchen Beeinträchtigungen zu verneinen, die in der ökonomischen Lehre als „externe psychologische Effekte“ 174 bezeichnet werden. Hierunter versteht man psychisch vermittelte Auswirkungen, die das Verhalten eines Individuums auf das Wohlbefinden anderer hat. Als klassisches Beispiel gelten Neidgefühle.175 So mögen etwa exorbitant hohe Gehälter für Sportler oder Manager bei Dritten Neid schüren und damit negative emotionale Reaktionen hervorrufen. Eine Einführung gesetzlicher Höchstgrenzen für Vergütungsvereinbarungen rechtfertigt dies allerdings nicht.176 Die grundsätzliche Unbeachtlichkeit psychologischer Externalitäten findet ebenfalls eine Parallele im Deliktsrecht. Dort ist die Rechtsordnung mit dem Ausgleich psychisch vermittelter Beeinträchtigungen äußerst zurückhaltend, wie die Rechtsprechung zur Ersatzfähigkeit von Schockschäden belegt. Eine Ersatzpflicht kommt danach nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht, insbesondere müssen die Auswirkungen auf den Betroffenen eine ganz erhebliche Intensität aufweisen.177 Der Grund für die restriktive Haltung ist in der diffusen Natur emotionaler Eingriffe zu sehen, die zum einen Belastungen schwer verifizierbar macht und zum anderen den Kreis der potenziell Betroffenen ins Unermessliche wachsen lässt.178 Würde die Rechtsordnung einschreiten, wann immer externe psychologische Effekte zu befürchten sind, wäre eine drastische Beschränkung der individuellen Handlungsfreiheit die Folge. (2) Verträge zulasten Dritter Das gegenteilige Extrem auf der Skala der Schutzwürdigkeit bilden Verträge zulasten Dritter. Hier bietet die Rechtsordnung den Interessen Dritter absoluten Schutz. Unter Verträgen zulasten Dritter versteht man Abreden, durch die unmittelbar eine Rechtspflicht eines unbeteiligten Dritten ohne seine Autorisierung entstehen soll.179 Derartige Verträge sind a priori unwirksam. Die Unwirksamkeit folgt daraus, dass in einer Vertragsrechtsordnung, die auf dem Selbstbestim174 Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 81; D. Kennedy Stan. L. Rev. 33 (1981), 387, 398 ff. – In der (rechts-)ökonomischen Literatur werden teilweise auch Verstöße gegen die guten Sitten und andere moralische Grundwertungen als „externe psychologische Effekte“ behandelt. Siehe dazu näher unten. 175 Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 81 und S. 96 ff. 176 Wenn in der politischen Diskussion die Kontrolle von Vergütungsvereinbarungen verlangt wird, dann nicht zum Schutz Dritter vor „emotionalen Beeinträchtigungen“, sondern aufgrund verteilungspolitischer Erwägungen. Die Einschränkung der Vertragsfreiheit wäre dann als marktkompensatorisch und nicht als marktkonstitutiv zu qualifizieren. 177 Grundlegend BGHZ 56, 163, 166 f.; BGHZ 132, 341, 344 ff.; BGHZ 172, 263, 266. 178 MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 81. 179 Siehe etwa BGH NJW 2004, 3326, 3328; MünchKommBGB/Gottwald § 328 Rn. 250; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 28 f.
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mungsprinzip beruht, die Rechtsmacht zur Begründung von Verpflichtungen von vornherein auf die eigene Person beschränkt ist. Mittelbar ergibt sich dieser Grundsatz aus den Regelungen über den Vertrag zugunsten Dritter nach den §§ 328 ff. BGB. Daraus geht hervor, dass eine im eigenen Namen handelnde Person für einen Dritten ohne dessen Mitwirkung höchstens (Aktiv-)Forderungen, nicht aber Verpflichtungen begründen kann. Und selbst das (rechtlich vorteilhafte) Forderungsrecht kann der Dritte gemäß § 333 BGB zurückweisen. Das per-se-Verbot solcher Verträge wahrt das Prinzip der Präferenzautonomie, das – wie inzwischen des Öfteren erwähnt – für das marktwirtschaftliche System fundamental ist. Durch den Ausschluss der Fremdbestimmung wird im Übrigen auch das Risiko einer Fehlallokation von Ressourcen reduziert, das sich daraus ergäbe, dass der Fremdbestimmende die Präferenzen des Betroffenen nicht mit Gewissheit kennt. (3) Sonstige Beeinträchtigung von Rechtspositionen und Vermögensinteressen Dritter – Abwägungsfälle Alle sonstigen Formen der Drittbetroffenheit fallen schließlich in eine dritte Kategorie. Hier hängt der Schutz von einer Interessenabwägung ab. Die Fallgruppe umfasst eine große Vielfalt an Konstellationen. Zu ihnen zählen erstens Transaktionen, die sich nachteilig auf Rechtspostionen Dritter auswirken, ohne dass sie unmittelbar darauf gerichtet sind, Rechtspflichten für die Betroffenen zu begründen (in diesem Fall läge nämlich, wie soeben gesehen, ein absolut verbotener Vertrag zulasten Dritter vor). Exemplarisch ist der Fall des Doppelverkaufs: Wird eine bereits verkaufte Speziessache an einen weiteren Käufer verkauft und übereignet, vereitelt die Leistung an den Zweitkäufer den Erfüllungsanspruch des Erstkäufers. Ein weiteres Beispiel ist das infolge einer rechtsgeschäftlichen Haftungsfreistellung gestörte Gesamtschuldverhältnis: Zwei Parteien vereinbaren einen Haftungsausschluss. Später verursacht die hiervon begünstigte Partei einen Schaden, für den sie ohne die Ausschlussvereinbarung ersatzpflichtig wäre. Ist nun der Schaden zusätzlich noch von einem unbeschränkt haftenden Dritten mitverursacht worden, verhindert die Haftungsfreistellung des Erstschädigers an sich die Entstehung eines Gesamtschuldverhältnisses zwischen den beiden Mitschädigern. In der Konsequenz würde damit dem Dritten die Regressmöglichkeit gegen den privilegierten Schädiger aus § 426 BGB genommen.180 Häufiger noch sind die Konstellationen, in denen Verträge die Vermögensinteressen Dritter berühren. Hierzu zählen etwa die Fälle der Gläubigergefährdung, in denen ein Vertrag die (nicht am Vertrag beteiligten) sonstigen Gläubiger einer 180 Die Problematik ist nicht auf § 426 BGB beschränkt, sondern kann auch bei anderen Regressmechanismen wie etwa der cessio legis virulent werden, vgl. dazu auch unten § 4 I. 3. a) cc) (2).
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Vertragspartei belasten. So berühren zum Beispiel Schenkungen die wirtschaftlichen Interessen der Gläubiger des Schenkers, da sie dessen Haftungsmasse verringern. Ein weiterer Fall sind dingliche Sicherungsgeschäfte.181 Diesen ist eine Benachteiligung Dritter geradezu immanent:182 Wer sich vom Schuldner ein dingliches Sicherungsrecht einräumen lässt, erlangt einen gegenüber konkurrierenden Gläubigern privilegierten Zugriff auf das Schuldnervermögen.183 Die Bestellung des Sicherungsrechts184 verkürzt die Haftungsmasse für die anderen Gläubiger, die keine oder nur nachrangige Sicherungsrechte geltend machen können. Wie die Beispielsfälle zeigen, sind die drittbeeinträchtigenden Transaktionen teils rein schuldrechtlicher Natur (wie etwa die Haftungsfreistellung im Rahmen der Gesamtschuldproblematik), teils umfassen sie jedoch auch dingliche Verfügungen (wie beim Doppelverkauf oder bei der Bestellung dinglicher Sicherungsrechte). Bei der zuletzt genannten Fallgruppe stellt sich die Frage, auf welcher Ebene gegebenenfalls zum Schutz der Drittinteressen einzugreifen ist: auf dinglicher, schuldrechtlicher oder gar auf beiden Ebenen. Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, wie die Rechtordnung die eben genannten exemplarischen Fälle der Drittbeeinträchtigung behandelt. In einem zweiten Schritt gilt es zu untersuchen, ob sich anhand der einzelnen Lösungen allgemeine Aussagen darüber treffen lassen, unter welchen Voraussetzungen die Vertragsfreiheit zum Schutz Dritter einzuschränken ist. cc) Der Drittschutz in den „Abwägungsfällen“ (1) Doppelverkauf und rechtsgeschäftliche Haftungsprivilegierung: Der Relativitätsgrundsatz als Kriterium für die Bestimmung des Drittschutzes Auf den ersten Blick erscheint die rechtliche Lösung in den Fällen des Doppelverkaufs und der gestörten Gesamtschuld uneinheitlich. In der Konstellation des Doppelverkaufs vereitelt zwar die Übereignung der Kaufsache an den Zweitkäufer den Erfüllungsanspruch des Erstkäufers. Ein Verstoß gegen die guten Sit181 Hierunter fallen die Bestellung von Mobiliar- und Immobiliarpfandrechten, die Sicherungsübereignung und die Sicherungsabtretung. 182 Vgl. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 10; pointiert Wüst, FS Wilburg, S. 257, 258: „Jede dingliche Sicherung bedeutet Ausschluss oder Zurücksetzung der Mitgläubiger vom Sicherungsobjekt“. 183 Die Privilegierung besteht in den Vorzugsrechten nach §§ 771, 805 ZPO, § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG für die Einzelvollstreckung sowie in §§ 47, 49 ff. InsO im Insolvenzverfahren. 184 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 78, weist darauf hin, dass bereits vom zugrunde liegenden Kausalgeschäft eine Drittwirkung ausgeht.
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ten folgt daraus nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich nicht, und zwar weder für die anspruchsvereitelnde Verfügung selbst noch für das zugrunde liegende obligatorische Geschäft.185 Zur Begründung wird meist darauf verwiesen, das Forderungsrecht des Erstkäufers wirke lediglich relativ im Verhältnis zum Verkäufer und könne folglich dem rechtsgeschäftlichen Handeln des Zweitkäufers keine Grenzen ziehen.186 Teilweise wird auch argumentiert, es verstoße in einer Markt- und Wettbewerbswirtschaft nicht gegen das „rechtsethische Minimum“, wenn jemand den Erstkäufer überbiete und sich dadurch die Kaufsache zu dessen Leidwesen verschaffe.187 Dieser Begründungsansatz folgt dem bereits erwähnten Wertungsgedanken, dass „markttypische“ Schädigungen von der Rechtsordnung grundsätzlich zu billigen sind.188 Demgegenüber fällt die Entscheidung in den Konstellationen der gestörten Gesamtschuld zugunsten der Drittinteressen und somit gegen die Vertragsfreiheit aus. Der Dritte – hier der nichtprivilegierte Mitschädiger – wird vor einer Beeinträchtigung seiner Rechtsposition geschützt: Dem vertraglichen Haftungsausschluss zwischen dem Geschädigten und dem privilegierten Schädiger wird insofern die Wirkung versagt, als er die Entstehung eines Gesamtschuldverhältnisses zwischen den Schädigern vereitelt und so dem unbeschränkt haftenden Schädiger die Regressmöglichkeiten nach § 426 BGB nimmt.189 Der BGH hat die in dieser Regelung liegende Beschränkung der Vertragsfreiheit auf folgende Weise begründet: „Die Möglichkeit freier Vertragsgestaltung muss ihre Grenze dort finden, wo eine Abrede in die Interessen des an der Vereinbarung nicht beteiligten Schädigers eingreift, die das Gesetz durch die Ausgleichsvorschriften schützt.“ 190 Auch hier – und darin liegt die Parallele zu den Fällen des Doppelverkaufs – folgt die Lösung dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse: Die Vereinbarung über die Haftungsfreistellung bindet nur die Parteien und kann keine Wirkung auf Außenstehende entfalten.191 Anders als in der Konstellation des Doppelver185 BGHZ 12, 308, 317 f.; BGH NJW 1981, 2184, 2185; BGH NJW 1992, 2152, 2153; Erman/Palm/Arnold § 138 Rn. 85; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 78 IV 1 (S. 455 f.) (teilweise allerdings zur Parallelproblematik im Rahmen des § 826 BGB). 186 BGH NJW 1981, 2184, 2185. 187 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 78 IV 1 b (S. 456); ähnlich Köhler, FS Canaris, Bd. I, S. 591, 597. – Ebenso fällt im Grundsatz die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des „Verleitens zum Vertragsbruch“ in einem Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmen aus. So betont der BGH beispielsweise, dass das Abwerben eines Mitarbeiters eines anderen Unternehmens „als Teil des freien Wettbewerbs grundsätzlich erlaubt“ sei (BGH GRUR 2006, 426, 427). Kommen im Einzelfall besondere unlautere Begleitumstände hinzu, kann allerdings eine Mitbewerberbehinderung i. S. d. § 4 Nr. 10 UWG vorliegen, vgl. hierzu Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 10.103 ff. m.w. N. 188 Vgl. oben § 4 I. 3. a) bb) (1). 189 BGHZ 12, 213, 217 ff.; BGHZ 35, 317, 323; BGHZ 58, 216, 219. 190 BGHZ 12, 213, 218; BGHZ 58, 216, 219. 191 So auch BGHZ 35, 217, 323, wonach die Haftungsfreistellung „nur im Verhältnis der an ihr Beteiligten Wirkungen zu erzielen“ vermag.
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kaufs schränkt hier allerdings der Relativitätsgrundsatz die vertragliche Gestaltungsfreiheit ein, anstatt sie zu erweitern. (2) Die Grenzen des Relativitätsgrundsatzes Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass das Relativitätsprinzip für die Bestimmung des Drittschutzes nicht immer maßgebend ist.192 In der Situation des Doppelverkaufs hat die Rechtsprechung anerkannt, dass die Beeinträchtigung des fremden Forderungsrechts ausnahmsweise auch für die nicht am Schuldverhältnis beteiligte Person – konkret: für den Zweitkäufer – ein sittenwidriges Verhalten darstellen kann.193 Nach Ansicht der Gerichte ist dies etwa dann der Fall, wenn der Zweitkäufer kollusiv mit dem Verkäufer zur Vereitelung des Forderungsrechts des Dritten zusammenwirkt oder in einer anderen Weise handelt, die „mit Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar ist.“ 194 Diese Formel ist freilich sehr unbestimmt. Ein klareres Bild zeichnet sich ab, wenn man die konkreten Sachverhalte in den Blick nimmt, in denen ein Sittenverstoß bejaht wurde. So ist beispielsweise für den BGH die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten, wenn der Zweitkäufer den Verkäufer zum Vertragsbruch verleitet, indem er ihn von Schadensersatzansprüchen des Erstkäufers freizustellen verspricht.195 Dieses Verhalten ist deswegen besonders gravierend, da es die Präventionswirkung ausschaltet, die von der Schadensersatzhaftung für Vertragsverletzungen ausgeht, und damit die Schutzmechanismen behindert, die die Vertragsrechtsordnung zur Sicherung des Erfüllungsanspruchs vorsieht. Nach der Rechtsprechung genügt in einem solchen Fall für die Sittenwidrigkeit bereits der objektive Angriff auf die „Grundvoraussetzungen für einen funktionierenden Vertragsschutz“, ohne dass es noch in subjektiver Hinsicht auf eine „vertragsfeindliche Gesinnung“ des Zweitkäufers ankäme.196 Anzumerken ist, dass die entschiedenen Fälle Schadensersatzansprüche des Erstkäufers gegen den Zweitkäufer aus § 826 BGB wegen der Verleitung des Verkäufers zum Vertragsbruch betrafen. Es ging somit nicht unmittelbar um die Grenzen der Vertragsfreiheit nach § 138 Abs. 1 BGB. Doch wird der Schadenser192 Zu den Grenzen des Relativitätsprinzips vgl. bereits Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, S. 136: „Die Meinung, dass das Forderungsrecht bloß ein rechtliches Band zwischen Schuldner und Gläubiger sei, das Dritte nicht zu beachten brauchen, ist [. . .] generell jedenfalls nicht haltbar“ (Hervorhebung im Original). 193 BGHZ 12, 308, 318; ebenso für den Fall der Vereitelung eines Vermächtnisanspruchs des Dritten BGH NJW 1992, 2152, 2153. Vgl. früher bereits RGZ 78, 18; RGZ 103, 421. 194 BGH NJW 1981, 2184, 2185. 195 BGH NJW 1981, 2184, 2186; vgl. bereits RGZ 81, 86, 91. Kritisch gegen diese Einschätzung Köhler, FS Canaris, Bd. I, S. 591, 596 f. 196 BGH NJW 1981, 2184, 2186; s. zu diesem Aspekt auch Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 78 IV 1 b (S. 456); Krasser, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, S. 318.
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satz nach § 826 BGB regelmäßig in Gestalt der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) begehrt und besteht folglich in der Verschaffung des betreffenden Kaufgegenstands. § 826 BGB beschränkt folglich die Wirksamkeit der Übereignung an den Zweitkäufer zumindest mittelbar. Legt man die Erwägungen zugrunde, die die Rechtsprechung zur Annahme einer sittenwidrigen Schädigung des Zweitkäufers im Verhältnis zum Erstkäufer veranlasst haben, erscheint es geboten, die Übereignung bereits nach § 138 Abs. 1 BGB für unwirksam zu erachten. Ist nämlich das Verhalten des Zweitkäufers, der in keiner vertraglichen Beziehung zum Erstkäufer steht, als unredliches und illoyales Verhalten zu werten, dann trifft dieser Vorwurf erst recht auf den Verkäufer zu, der dem Erstkäufer als seinem Vertragspartner zu besonderer Rücksichtnahme verpflichtet ist. Das den Anspruch des Erstkäufers vereitelnde dingliche Geschäft beruht damit auf einem zweiseitigen Sittenverstoß und löst die Nichtigkeitsfolge des § 138 Abs. 1 BGB aus. Darüber hinaus ist auch das Verpflichtungsgeschäft als sittenwidrig zu beurteilen, da dieses die anstößige Freistellungsabrede enthält.197 In der Fallgruppe der drittbeeinträchtigenden Haftungsfreistellungen erfährt der Relativitätsgrundsatz ebenfalls gewisse Durchbrechungen, hier allerdings mit der entgegengesetzten Folge, dass dem Dritten der Schutz versagt wird: In bestimmten Situationen ist ein rechtsgeschäftlicher Haftungsausschluss auch dann wirksam, wenn infolgedessen unbeteiligte Dritte Nachteile durch den Verlust von Regressansprüchen erleiden. Dies gilt namentlich für Versicherer. Nach § 86 Abs. 1 VVG erlangt der Schadensversicherer im Wege der cessio legis die Ersatzansprüche, die dem Versicherungsnehmer gegen den Schädiger zustehen. Haben der Versicherungsnehmer und der Schädiger vor Eintritt des Schadensereignisses einen Haftungsausschluss vereinbart, können an sich keine Ersatzansprüche auf den Versicherer übergehen, so dass ihm die Regressmöglichkeit abgeschnitten wird.198 Nach Ansicht der Rechtsprechung ist diese Konsequenz hinzunehmen, solange die Haftungsfreizeichnung im Wirtschaftsleben üblich ist und sich nicht auf grobe Fahrlässigkeit oder noch schwerere Verschuldensformen bezieht.199 Dieser Grundsatz verdient Zustimmung. Innerhalb der von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen sind nämlich Haftungsausschlüsse für den Versicherer durchaus vorhersehbar. Folglich ist es ihm auch zuzumuten, sich gegen die Folgen solcher Freizeichnungen selbständig abzusichern und beispielsweise die Versicherungsprämien so zu kalkulieren, dass sie einen etwaigen Ausschluss des Regressanspruchs wirtschaftlich ausgleichen.200 197 Für die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts auch Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 449. 198 Nach Eintritt des Schadensereignisses trifft allerdings den Versicherungsnehmer die Obliegenheit gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG, den Ersatzanspruch zu wahren. 199 BGHZ 22, 109, 119; BGHZ 33, 216, 221; BGH WM 1989, 855, 857; OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1994, 29, 30; s. auch HK-VVG/Muschner, § 86 VVG Rn. 40. 200 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 31.
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(3) Die maßgebenden Kriterien für die Bestimmung des Drittschutzes: Möglichkeit und Zumutbarkeit des Selbstschutzes Die aufgezeigten Durchbrechungen des Relativitätsgrundsatzes lassen erkennen, welche Erwägungen für die Einschränkung der Vertragsfreiheit zum Schutz von Drittinteressen maßgebend sind: Entscheidend ist, inwieweit vom Dritten erwartet werden kann, sich gegen die Einwirkungen selbst zu schützen. In den Fällen des Doppelverkaufs liegt es grundsätzlich in der eigenen Verantwortung des Dritten, Vereitelungen seines Erfüllungsanspruchs abzuwehren. Eine Beschränkung der Vertragsfreiheit zu seinem Schutz kommt regelmäßig nicht in Betracht. Die Rechtsordnung bietet dem Dritten immerhin einen gewissen Mindestschutz gegen die Verletzung seines Primäranspruchs. Dieser Mindestschutz beruht darauf, dass sich der Verkäufer im Fall des Vertragsbruchs schadensersatzpflichtig nach §§ 280 ff. BGB macht und gemäß § 285 BGB den Erlös herausgeben muss, den er durch die Veräußerung des Gegenstands an den Zweitkäufer erzielt. Diese Sanktionen dienen nicht nur der Kompensation nach begangener Vertragsverletzung, sondern auch der Prävention bereits im Vorfeld des Vertragsbruchs.201 Genügen dem Dritten diese Schutzmechanismen nicht, steht es ihm frei, darüber hinaus gehende Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. So kann er sich etwa bei einem Kaufvertrag über ein Grundstück eine Vormerkung bewilligen lassen. Bei beweglichen Sachen kann er versuchen, den Verkäufer zu einer möglichst raschen Erfüllung zu bewegen. Für den Fall, dass der Verkäufer seinerseits eine Sicherheit benötigt und deswegen seine Leistung hinauszögert, besteht die Möglichkeit des Eigentumsvorbehalts: Der Veräußerer behält auf diese Weise seine Position als Eigentümer, der Erwerber kommt in den Genuss der Regelung des § 161 Abs. 1 BGB, die ihn davor schützt, dass der Veräußerer zwischenzeitlich anderweitige Verfügungen über den Erwerbsgegenstand trifft. – Die Rechtsordnung schreitet allerdings dem Dritten dort aktiv zu Hilfe und greift in die Vertragsfreiheit ein, wo der Angriff auf seine Rechtsposition eine besondere Intensität aufweist. Eine solche „qualifizierte“ Gefährdungslage ist anzunehmen, wenn die „Grundvoraussetzungen für einen funktionierenden Vertragsschutz“ 202 gezielt außer Kraft gesetzt werden, indem zum Beispiel dem Verkäufer für die Vertragsverletzung die Freistellung von den Ersatzansprüchen des Dritten versprochen wird.203
201 Zur Präventionsfunktion der vertraglichen Schadensersatzhaftung im Kontext des Doppelverkaufs Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 78 IV 1 b (S. 456); kritisch demgegenüber Köhler, FS Canaris, Bd. I, S. 591, 597. Allgemein zur Präventionsfunktion der vertraglichen Haftung Wagner AcP 206 (2006), 352, 426. 202 Siehe oben Fn. 196. 203 Hingegen soll es nach Köhler, FS Canaris, Bd. I, S. 591, 601 f., für den Drittschutz in den Fällen des Doppelverkaufs nicht darauf ankommen, wie intensiv der „Angriff“ auf den Dritten (= Erstkäufer) ist, sondern vielmehr darauf, ob die Fähigkeit
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Bei den drittbelastenden Haftungsausschlüssen orientiert sich die Abwägung zwischen Vertragsfreiheit und Drittschutz an ähnlichen Kriterien. Hier ist es für den Dritten nur schwer möglich, sich gegen den Verlust der Regressansprüche selbst zu schützen. Dies hängt damit zusammen, dass der gestörte Gesamtschuldnerausgleich sehr häufig deliktischen Sachverhalten entspringt. In solchen Fällen steht der Dritte typischerweise vor dem Haftungsfall in keiner besonderen Rechtsbeziehung zum Geschädigten und zum Mitschädiger, das Aufeinandertreffen der drei Parteien ist somit rein zufälliger Natur. Der Dritte vermag folglich im Vorfeld des Haftungsfalls nicht auf alle potenziellen Mitschädiger bzw. auf den Geschädigten Einfluss zu nehmen, um zu verhindern, dass sie durch Haftungsausschlussvereinbarungen seine Regressmöglichkeit vereiteln. In dieser Konstellation müssen die Wirkungen einer vertraglichen Haftungsfreistellung beschränkt werden, um den Interessen des Dritten Rechnung zu tragen. Umgekehrt genießt die Vertragsfreiheit gegenüber dem Drittschutz Vorrang, wenn der Dritte ausnahmsweise selbst in der Lage ist, sich gegen den Verlust der Regressansprüche zu schützen. Dies trifft, wie oben gesehen, auf Versicherer zu, die zu dem Geschädigten in vertraglicher Beziehung stehen: Sie können dem Geschädigten die Vereinbarung von Haftungsausschlüssen vertraglich verbieten oder als Ausgleich die Versicherungsprämie erhöhen. (4) Die Frage der Einschränkung der Vertragsfreiheit zum Schutz sonstiger Gläubiger einer Vertragspartei: der Grundsatz des caveat creditor Der Gesichtspunkt der zumutbaren Eigenvorsorge spielt auch eine maßgebende Rolle für die Frage, inwieweit eine vertragliche Inhaltskontrolle zum Schutz sonstiger, am Vertragsverhältnis unbeteiligter Gläubiger einer Vertragspartei geboten ist. Wie erwähnt,204 ist dinglichen Sicherungsgeschäften eine Benachteiligung konkurrierender Gläubiger immanent. Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit kommt gleichwohl regelmäßig nicht in Betracht. Grundsätzlich gilt die Regel des caveat creditor – jeder Gläubiger trägt das Risiko des Ausfalls der eigenen Forderung. Zu diesem Risiko gehört es auch, dass eine Forderung nicht durchgesetzt werden kann, weil konkurrierende Gläubiger aufgrund dinglicher Sicherungsrechte eine Vorzugsstellung genießen und das verbleibende Schuldnervermögen nicht zur vollständigen Befriedigung ausreicht.205 Jeder Gläubiger kann der Gefahr wirtschaftlicher Verluste entgehen, indem er sich selbst ein dingliches Sicherungsrecht einräumen lässt. Ist das Schuldnervermögen bereits des Verkäufers zu einer privatautonomen Entscheidung (z. B. mittels einer Täuschung oder Drohung) beeinträchtigt wird. 204 Oben § 4 I. 3. a) bb) (3). 205 Vgl. zum Grundsatz, dass ein Gläubiger auf die Interessen konkurrierender Gläubiger nicht Rücksicht nehmen muss, Westermann, Interessenkollisionen und ihre richterliche Wertung bei den Sicherungsrechten an Fahrnis und Forderungen, S. 25.
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mit Vorzugsrechten zugunsten anderer Gläubiger belastet, muss ein Geschäftspartner notfalls die Konsequenz ziehen, auf einen Vertragsschluss zu verzichten. Die Gläubiger liefern sich somit gleichsam einen Wettlauf um die dinglichen Sicherungsrechte, der durch das sogenannte Prioritätsprinzip entschieden wird. Danach bestimmt sich das Rangverhältnis kollidierender Rechte nach dem Entstehungszeitpunkt: Das früher bestellte Gläubigerrecht setzt sich durch.206 Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das gegenseitige Verhältnis der Gläubiger von Prinzipien geprägt ist, die typische Elemente einer wettbewerbswirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaftsordnung sind: Die Gläubiger verfolgen ihre Interessen jeweils selbständig und eigenverantwortlich unter Konkurrenzbedingungen.207 (5) Beschränkung der Vertragsfreiheit in Durchbrechung des Grundsatzes des caveat creditor Unter bestimmten Voraussetzungen greift die Rechtsordnung allerdings in den „freien“ Wettkampf um die dingliche Vorzugsstellung ein und beschränkt zum Schutz konkurrierender Gläubiger die Möglichkeit, Sicherungsrechte zu bestellen. Dies geschieht zum Teil aufgrund von Spezialinstrumenten wie dem Anfechtungsgesetz (AnfG) oder den Regeln der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO).208 Darüber hinaus kann die Bestellung einer Sicherheit nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein.209 Die Rechtsprechung nimmt eine solche sittenwidrige Gläubigergefährdung dann an, wenn das Sicherungsgeschäft die sonstigen Gläubiger in „qualifizierter“ Weise beeinträchtigt. Das betreffende Sicherungsrecht darf mit anderen Worten für die konkurrierenden Gläubiger nicht nur das „normale“ Risiko begründen, dass sich ihre Zugriffsmöglichkeiten auf das Schuldnervermögen verschlechtern. Es muss darüber hinaus dem Sicherungsnehmer einen unlauteren Vorteil gegenüber den anderen Gläubigern gewähren, indem es letztere in ihren Chancen und Fähigkeiten zur selbständigen und eigenverantwortlichen Interessenwahrnehmung behindert. So ist beispielsweise nach der Recht206 Das Prioritätsprinzip ist für vertragliche Pfandrechte in § 879 und § 1209 BGB geregelt, für Pfändungspfandrechte in § 804 Abs. 3 ZPO und § 11 Abs. 2 ZVG; vgl. zur Geltung des Prioritätsprinzips bei der Abtretung bestehender oder künftiger Forderungen BGHZ 30, 149, 151 f. 207 Zum Zusammenhang mit der Wirtschaftsordnung vgl. Koller JZ 1985, 1013, 1016. 208 Anfechtbare „Rechtshandlungen“ i. S. v. § 1 AnfG bzw. § 129 Abs. 1 InsO sind grundsätzlich sowohl Verpflichtungs- als auch Verfügungsgeschäfte; beide Arten von Geschäften verringern bzw. belasten nämlich das Schuldnervermögen, das zur Befriedigung anderer Gläubiger zur Verfügung steht, vgl. allg. zum AnfG Huber, Anfechtungsgesetz; zur InsO MünchKommInsO/Kirchhof § 129 Rn. 11 und 14. 209 Zum Verhältnis zwischen den Anfechtungsvorschriften und der Unwirksamkeit aufgrund von § 138 Abs. 1 BGB s. BGHZ 53, 174, 180; BGHZ 138, 291, 299 f.; Erman/Palm/Arnold § 138 Rn. 7.
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sprechung des BGH ein Sicherungsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, durch das der Schuldner sein letztes zur Gläubigerbefriedigung taugliches Vermögen einem bestimmten Gläubiger überträgt, wenn infolgedessen „gegenwärtige und künftige Gläubiger über die Kreditwürdigkeit des Schuldners getäuscht werden und beide Vertragspartner bei dieser Täuschung zusammengewirkt haben.“ 210 Diese Grundsätze spielen insbesondere bei publizitätslosen Sicherungsgeschäften eine Rolle, namentlich bei der Sicherungsübereignung211 und -abtretung.212 Die Übertragung der beweglichen Vermögensgegenstände auf den Sicherungsnehmer ist in diesen Fällen für Dritte nicht ohne weiteres erkennbar. Für sie besteht somit die Gefahr, dass sie die Vermögenslage des Schuldners falsch einschätzen und in der Folge von dessen Zahlungsunfähigkeit „überrascht“ werden. Diese Irreführung beeinträchtigt die Chancen der übrigen Gläubiger, ihre Sicherungsinteressen autonom und selbstverantwortlich zu wahren. Formal hält die Rechtsprechung für den Sittenverstoß am Erfordernis subjektiver Momente fest, die zur objektiven Gläubigergefährdung durch das „heimliche“ Sicherungsgeschäft hinzutreten müssen. Die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand sind allerdings regelmäßig nicht besonders hoch: Die Rechtsprechung neigt in den meisten Entscheidungen dazu, das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen aus der objektiven Gefährdungslage abzuleiten. So wird betont, dass die Bestellung der Sicherheit nicht gezielt auf die Täuschung der konkurrierenden Gläubiger gerichtet zu sein braucht, um sittenwidrig zu sein. Die Vertragsparteien müssen lediglich mit der Möglichkeit der Gläubigerschädigung rechnen. Dazu genügt es im Einzelnen, dass der Sicherungsnehmer die Umstände kennt, die den Schluss auf den bevorstehenden Zusammenbruch des Schuldners aufdrängen, und sich über die Erkenntnis grob fahrlässig hinwegsetzt.213 Die Nichtigkeitsfolge des § 138 Abs. 1 BGB betrifft zum einen die dingliche Verfügung, d.h. die Sicherungsübereignung bzw. -abtretung. Die betreffenden Gegenstände fallen damit zurück in das Schuldnervermögen und stehen so dem Zugriff der konkurrierenden Gläubiger zur Verfügung. Ebenfalls nichtig ist das schuldrechtliche Grundgeschäft, das die Verpflichtung zur Einräumung des gläubigergefährdenden Sicherungsrechts begründet.214 Die Sicherungsabrede zielt in210
So BGH NJW 1995, 1668. Vgl. auch BGHZ 10, 288, 233; BGHZ 22, 43, 49 f. Hierzu speziell BGH JZ 1951, 686; BGHZ 10, 228; 20, 43. Vgl. auch Baur/Stürner, Sachenrecht, § 57 Rn. 35 ff. (S. 804 f.). 212 BGHZ 20, 43, 52; BGH NJW 1995, 1668. 213 BGHZ 10, 228, 233; BGHZ 20, 43, 52; BGHZ 138, 291, 300; BGH NJW 1995, 1668. 214 Ebenfalls auf das Verpflichtungsgeschäft abstellend Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 78 und 130 f.; vgl. auch Baur/Stürner, Sachenrecht, § 57 Rn. 35 (S. 804), die klarstellen, dass Sicherungsvertrag und Sicherheitenbestellung sittenwidrig sein können. 211
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soweit auf einen sittenwidrigen Zweck. Darüber hinaus kann das Kausalgeschäft auch unmittelbare Nachteile für die Gläubiger nach sich ziehen: Könnte der Sicherungsnehmer wegen der fehlgeschlagenen Bestellung des Sicherungsrechts Schadensersatzansprüche gegen den Schuldner geltend machen, würde sich die auf die übrigen Gläubiger entfallende Insolvenzquote verringern. (6) Speziell: Einschränkung der Vertragsfreiheit bei der Kollision von Sicherungsglobalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt Eine besonders bedeutsame Fallgruppe der sittenwidrigen Gläubigergefährdung ist die Kollision einer Sicherungsglobalzession mit einem späteren verlängerten Eigentumsvorbehalt. Diese Konfliktsituation entsteht typischerweise zwischen dem Geld- und dem Warenkreditgläubiger eines weiterverarbeitenden Unternehmens. Tritt das Unternehmen künftige Kundenforderungen zu Sicherungszwecken zunächst an den Geldkreditgeber (regelmäßig an eine Bank) und später an einen Warenlieferanten ab, stellt sich die Frage, wer von den beiden die Forderungen bei Entstehung erwirbt. Nach dem oben erwähnten Prioritätsprinzip, das auch für die Zuordnung mehrfach abgetretener künftiger Forderungen maßgebend ist, würde sich der Geldkreditgeber als der frühere Zessionar durchsetzen und die Forderungen erwerben. Der Lieferant hingegen ginge leer aus. Bekanntlich durchbricht jedoch die Rechtsprechung in dieser Konstellation das Prioritätsprinzip zugunsten des Warenlieferanten: Die Sicherungsglobalzession ist sittenwidrig und damit nichtig, wenn sie sich auch auf solche künftigen Forderungen bezieht, die typischerweise der Sicherungsabtretung im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts unterliegen.215 Die Möglichkeit, Sicherheiten zu bestellen, wird somit aus Rücksicht vor den Interessen Dritter – hier der Warenlieferanten – eingeschränkt. Auch hier wird zur Rechtfertigung des Markteingriffs auf eine besondere Gefährdungslage der Drittbetroffenen verwiesen. Diese ergibt sich daraus, dass die Vereinbarung der Sicherungsglobalzession in der faktischen Konsequenz den Schuldner zur Täuschung und zum Vertragsbruch gegenüber dem Warenkreditgeber nötigt. Die Abtretung der künftigen Kundenforderungen zur Sicherung der Kaufpreisforderung des Lieferanten hat nämlich im Wirtschaftsverkehr eine derart starke Verbreitung gefunden, dass der Abschluss eines Lieferungsvertrags ohne eine solche Sicherungsabtretung faktisch ausgeschlossen ist. Deckte also der Schuldner die vorausgegangene Globalzession zugunsten der Bank auf, würde der Lieferant mit höchster Wahrscheinlichkeit den Vertragsschluss verweigern. Er muss also die Abtretung verschweigen. Dieses Verhalten liegt regelmäßig gerade auch im Kalkül der kreditgebenden Bank. Die Rückzah215 BGHZ 30, 149, 153; BGHZ 55, 34, 36; BGHZ 72, 308, 310; BGHZ 98, 295, 314 f.; BGH NJW 1999, 940; BGH NJW 2005, 1192, 1193.
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lung des Kredits (und auch die Entstehung der ihr zur Sicherheit abgetretenen künftigen Kundenforderungen) hängt davon ab, dass das Unternehmen seinen Geschäftsbetrieb aufrechterhält, wofür die Belieferung mit Produktionsrohstoffen unverzichtbar ist. Nur wenn die Parteien nicht mit einer Kollision der Sicherungsrechte zu rechnen brauchen – etwa weil der verlängerte Eigentumsvorbehalt in einer bestimmten Branche unüblich ist – ist die Globalzession wirksam.216 In einem solchen Fall wird der Schuldner nicht zum „Vertragsbruch“ gedrängt. Vielmehr kann erwartet werden, dass er späteren Gläubigern die vorausgegangene Globalzession anzeigt. Es besteht somit kein erhöhtes Risiko einer Irreführung und Behinderung der Gläubiger. (7) Materialisierungstendenzen auch im zwingenden Recht zum Schutz Dritter? Der Umgang der Rechtsprechung mit der Kollision von Sicherungszessionen zeigt einmal mehr, dass der Grundsatz des caveat creditor dort seine Schranke findet, wo der Gläubiger in seiner Fähigkeit zur Eigenvorsorge überfordert ist. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der Gläubiger getäuscht wird und so zur autonomen Wahrnehmung seiner Interessen nicht in der Lage ist. Hier fällt eine Parallele zu den oben erörterten zwingenden Regeln zur Sicherung der faktischen Entscheidungsfreiheit auf.217 In den dort behandelten Fallgruppen zielte die Einschränkung der Vertragsfreiheit darauf, die faktische Entscheidungsfreiheit der Vertragsparteien selbst zu garantieren: Das zwingende Recht sollte Schutz gegen strukturelle Informationsdefizite und irrationale Entscheidungen bieten. Eine ähnliche Materialisierungstendenz lassen auch die zuletzt beleuchteten zwingenden Regelungen zur Abwehr negativer externer Effekte erkennen. Sie verbieten 216 BGH NJW 1999, 940; vgl. auch BGHZ 32, 361, 366; BGH NJW 1995, 1668, 1669. Besonders instruktiv in diesem Zusammenhang BGH NJW 2005, 1192: Der Fall betraf die Kollision einer Sicherungsglobalzession zugunsten einer Bank mit einer nachfolgenden Zession zugunsten eines Vermieters von Baumaschinen, der sich zur Sicherung seiner Mietforderungen die künftigen Kundenforderungen des Schuldners hatte abtreten lassen. Der BGH gelangte zum Ergebnis, dass diese Konstellation anders zu bewerten sei als die Kollisionsfälle mit dem verlängerten Eigentumsvorbehalt des Warenkreditgläubigers. Der Warenlieferant, der regelmäßig durch die erlaubte Weiterveräußerung der Ware das Eigentum daran verliere, hätte kein Sicherungsmittel mehr in der Hand, wenn ihm die Kundenforderungen aus der Weiterveräußerung nicht abgetreten würden. Diese Überlegungen ließen sich nicht auf den Vermieter von Baumaschinen übertragen, dem kein Eigentumsverlust drohe, sondern nur ein temporärer Entzug der Nutzung. Vor diesem Hintergrund sei nicht auszuschließen, dass er gleichwohl zur Vermietung der Baumaschinen bereit wäre (ggf. gegen die Einräumung einer anderen Sicherheit), wenn die vorausgegangene Sicherungsglobalzession offen gelegt würde. Folglich sei der Schuldner nicht genötigt, den Baumaschinenvermieter über die vorausgegangene Globalzession zu täuschen. Somit fehle es an einer Drittgefährdung, die Sicherungsglobalzession zugunsten der Bank sei folglich auch nicht als sittenwidrig zu beurteilen. 217 Oben § 4 I. 2. a).
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Vereinbarungen, die unbeteiligte Personen in ihrer materialen Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung beeinträchtigen. dd) Zusammenfassung zum zwingenden Vertragsrecht zum Schutz vor negativen externen Effekten Es wurde gezeigt, dass eine weitere wichtige Funktion des zwingenden Vertragsrechts in der Verhinderung negativer externer Effekte besteht. Vereinbarungen, die sich nachteilig auf unbeteiligte Dritte auswirken, stehen im Widerspruch zum Selbstbestimmungsprinzip und können zu Wohlstandseinbußen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene führen. Gleichwohl rechtfertigen negative externe Effekte nicht in jedem Fall eine Einschränkung der Vertragsfreiheit. Es muss nach der Art der Drittbeeinträchtigung differenziert werden. Die Rechtsordnung erkennt kein Schutzbedürfnis bei Schädigungen an, die die „natürliche“ Folge des Marktwettbewerbs sind. Gleiches gilt für externe „psychologische“ Effekte. Absoluter Schutz wird indessen gegen „Verträge zulasten Dritter“ gewährt, d.h. gegen Vereinbarungen, durch die unmittelbar Rechtspflichten für unbeteiligte Parteien ohne deren Mitwirkung begründet werden sollen. Bei allen anderen Formen von Drittbeeinträchtigungen hängt der Eingriff in die Vertragsfreiheit von einer fallbezogenen Interessenabwägung ab. Die hier behandelten Fallgruppen ließen gewisse Leitlinien erkennen, nach denen die Rechtsordnung Drittschutz gewährt oder verweigert. Danach fällt es in einem marktwirtschaftlichen System grundsätzlich in den Bereich der Eigenverantwortung des Einzelnen, sich gegen negative Effekte zu wehren, die aus den Transaktionen anderer Rechtssubjekte resultieren. Einschränkungen der Vertragsfreiheit kommen nur in Betracht, wenn dem Dritten der Schutz der eigenen Interessen unmöglich oder unzumutbar ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die belastende Transaktion auf die Täuschung des Dritten gerichtet ist oder gezielt gesetzliche Mechanismen außer Kraft setzt, die den Schutz des Dritten bezwecken. b) Schutz spezifischer Märkte Marktkonstitutives zwingendes Vertragsrecht kann schließlich die Aufgabe erfüllen, die spezifischen Funktionen besonderer Märkte abzusichern. Diese Rolle soll im Folgenden anhand zweier Beispiele aus dem Versicherungs- und dem Kapitalmarktrecht veranschaulicht werden. aa) Versicherungsvertragliche Regelungen gegen eine „Überversicherung“ als Beispiel Im Recht der Schadensversicherung verhindern bestimmte Regelungen, dass der Versicherungsnehmer vom Eintritt des Versicherungsfalls unangemessen wirt-
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schaftlich profitiert. Sie beruhen auf dem Gedanken, dass Versicherungsverträge gegen Verluste absichern218 und keine Gewinne bescheren sollen.219 Nach § 74 Abs. 2 VVG ist dem Versicherungsnehmer eine bewusste „Überversicherung“ verboten. Er darf nicht wider besseres Wissen eine Versicherungssumme vereinbaren, die den Wert des versicherten Interesses erheblich übersteigt. Andernfalls ist der Vertrag nichtig. Daneben begrenzt § 76 Satz 2 VVG die Möglichkeit der Parteien, zur leichteren Abwicklung des Versicherungsfalls den Wert des versicherten Interesses im Vorfeld durch pauschale Beträge (sog. Taxen) festzulegen: Der taxmäßig vereinbarte Versicherungswert ist nicht maßgebend, wenn er zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls den wirklichen Versicherungswert erheblich übersteigt. Ließe man zu, dass der Versicherer mehr zahlt, als der Schaden tatsächlich beträgt, änderte sich der Charakter von Versicherungen grundlegend. Der Versicherungsvertrag böte nun die Aussicht auf Spekulationsgewinne und rückte in die Nähe von Spiel und Wette im Sinne des § 762 BGB.220 In der Folge hätte der Versicherungsnehmer keinen Anreiz, Maßnahmen zur Schadensvermeidung zu ergreifen, er könnte im Gegenteil sogar versucht sein, dem Zufall „nachzuhelfen“ und den Versicherungsfall bewusst herbeizuführen.221 Dies alles stünde in deutlichem Widerspruch zur Aufgabe, die die Rechtsordnung dem Versicherungswesen eigentlich zuweist. Versicherungen nehmen eine stabilisierende Rolle wahr, sie sollen den Einzelnen wirtschaftlich vor Schadensereignissen absichern, die er nicht beherrschen kann. Ohne diese Absicherung würden viele Tätigkeiten, die zwar generell wohlstandsfördernd sind, aber mit unvermeidbaren Schadensrisiken einhergehen, gar nicht aufgenommen werden. Die strenge aufsichtsrechtliche Regulierung des Versicherungsgewerbes rechtfertigt sich aus dieser gesellschaftlich sinnvollen und nützlichen Funktion von Versicherungen. Der Abschluss spiel- oder wettähnlicher Geschäfte mit Versicherern erwiese sich vor diesem Hintergrund als „Institutionenmissbrauch“, als eine Zweckentfremdung des Versicherungsmarkts. Die erwähnten zwingenden Vorschriften beugen diesem Missbrauch vor.
218 Siehe auch § 1 VVG, der die vertragliche Hauptleistung des Versicherers als Absicherung eines bestimmten Risikos beschreibt. 219 Umstritten ist, ob im Versicherungsvertragsrecht ein allgemeines und zwingendes Bereicherungsverbot gilt, das über die einzelnen gesetzlich geregelten Fälle hinausgeht. Dies wird inzwischen überwiegend verneint, vgl. BGHZ 137, 318, 326; BGHZ 147, 212; MünchKommVVG/Looschelders § 1 Rn. 28; Wandt, Versicherungsrecht, Rn. 725; BK/Schauer § 55 VVG Rn. 32 ff. Die Frage spielt z. B. für die Beurteilung eine Rolle, ob sog. Neuwertversicherungen zulässig sind. 220 Vgl. näher zur Abgrenzung des Versicherungsvertrags von Spiel und Wette Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 459 f.; Staudinger/Engel Vor § 762 Rn. 7. 221 Zu dieser Gefahr Wandt, Versicherungsrecht, Rn. 656; BK/Schauer § 51 VVG Rn. 3.
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bb) Das Verbot des Insiderhandels als weiteres Beispiel Das zweite Beispiel für zwingendes Vertragsrecht zum Schutz spezifischer Märkte ist das Verbot von Insidergeschäften im Wertpapierhandel (§ 14 WpHG).222 In der ökonomischen Theorie ist die Regelung nicht unumstritten.223 Es fehlt nicht an Stimmen, die behaupten, dass die Zulassung des Insiderhandels die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts verbessern würde.224 Dürften „Insider“ ihren Informationsvorsprung ausnutzen, so wird zum Teil argumentiert, würden Fehlbewertungen am Markt schneller korrigiert werden. Über den Preismechanismus würden die kursrelevanten Informationen der „Insider“ in den Marktprozess gelangen und auf diese Weise eine effiziente Ressourcenallokation auf dem Kapitalmarkt bewirken. Demgegenüber rechtfertigen die Befürworter das Verbot des Insiderhandels damit, es ziele auf die Sicherung spezifischer Funktionsbedingungen von Wertpapiermärkten. Es müsse das Vertrauen jener Anleger geschützt werden, die regelmäßig keinen Zugang zu „Insiderinformationen“ hätten.225 Müssten sie bei jeder Transaktion befürchten, aufgrund struktureller Informationsdefizite übervorteilt zu werden, würden sie es unter Umständen vorziehen, dem Markt fernbleiben. Damit wäre jedoch eine wichtige Aufgabe des Wertpapiermarkts vereitelt, nämlich einen möglichst großen Kreis von Kapitalgebern für die Finanzierung wirtschaftlicher Unternehmungen zu gewinnen.226
II. Marktkompensatorisches zwingendes Vertragsrecht Das marktkompensatorische zwingende Vertragsrecht steht nicht im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Ein Überblick ist jedoch gleichwohl geboten, um die Unterschiede zu den marktkonstitutiven zwingenden Regeln zu verdeutlichen. Das marktkompensatorische zwingende Recht lässt sich in zwei Kategorien von Regeln unterteilen. Die erste verbietet Markttransaktionen über bestimmte Güter und Leistungen insgesamt. Die zweite lässt zwar Markttransaktionen im Ansatz zu, unterwirft ihren Inhalt allerdings staatlicher Regulierung. In beiden 222 Die Vorschrift geht zurück auf die Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13.11.1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. 1989 L 334/30, inzwischen abgelöst durch die Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.1.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. 2003 L 96/16. 223 Vgl. die Darstellung bei Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 188. 224 Grundlegend Manne, Insider Trading and the Stock Market. 225 Siehe dazu z. B. auch die Erwägungsgründe 2 und 12 der Insiderrichtlinie 2003/ 6/EG. Siehe auch zum Schutz des Anlegervertrauens als Zweck der Insidervorschriften Sethe, in: Assmann/Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 12 Rn. 6; Cahn ZHR 162 (1998), 1, 2. 226 Vgl. zu diesem Gedanken auch Fleischer ZEuP 2000, 772, 778.
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Fällen beruht der regulatorische Eingriff darauf, dass die durch den Marktmechanismus bewirkte Ressourcenverteilung aus rechtsethischen oder sozialpolitischen Gründen missbilligt wird. Hierin liegt der zentrale Unterschied zum marktkonstitutiven zwingenden Recht, das die Wirkkräfte des Marktes gerade unterstützen und verbessern soll. 1. Totale Transaktionsverbote Die Vermarktung bestimmter Güter und Leistungen wird von der Rechtsordnung missbilligt.227 Insbesondere bei Persönlichkeitsgütern wird eine von Angebot und Nachfrage gesteuerte Allokation als unpassend empfunden. Zum einen stößt hier das Verteilungsverfahren auf Bedenken. So hätte zum Beispiel ein „Markt für Körperorgane“ zur Folge, dass sich unter mehreren „Nachfragern“ derjenige Patient ein Transplantationsorgan sichern würde, der den höchsten Preis dafür bieten kann. Die Kriterien der Zahlungsbereitschaft und der Zahlungskraft mögen für die Verteilung anderer knappen Ressourcen akzeptiert sein. Bei der Zuweisung von Gütern, von denen Leben oder Tod abhängt, ist man hingegen überwiegend anderer Meinung.228 Zu den grundsätzlichen ethischen Bedenken kommt noch die Sorge hinzu, dass die Allokation über den Markt fatale Anreize setzen könnte. Die Aussicht auf hohe Profite aus dem Handel mit Organen könnte etwa dazu führen, dass Organe unüberlegt und unter Missachtung gesundheitlicher Risiken gespendet werden. Denkbar ist auch ein gesteigertes Risiko, dass Organe gegen den Willen des Betroffenen entnommen werden. Vor diesem Hintergrund sind Verträge über die Spende von Organen und Geweben gegen ein Entgelt nach § 134 BGB i.V. m. § 17 Transplantationsgesetz nichtig.229 Auch für Blut gilt ein Kommerzialisierungsverbot,230 wenn auch in weniger strenger Form: Gemäß § 10 Transfusionsgesetz „soll“ die Spendeentnahme unentgeltlich erfolgen, dem Spender darf eine „Aufwandsentschädigung“ gewährt werden.231 Trotz Fehlens eines Verbotsgesetzes im Sinne des § 134 BGB wird allerdings der „Verkauf“ von Blut regelmäßig wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein. 227 Zur Frage der Grenzen der Vermarktung und der Kommerzialisierung aus rechtsphilosophischer Sicht Radin Harv. L. Rev. 100 (1987), 1849; s. auch Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, S. 23 ff. 228 Hingegen verteidigt Rose-Ackerman Colum. L. Rev. 85 (1985) 931, 948, den Markt als fairen Allokationsmechanismus gerade auch für Körperorgane. 229 Vgl. auch Art. 4 Abs. 2 lit. c der Europäischen Grundrechtecharta, wonach im Bereich der Medizin und Biologie „das Verbot, den menschlichen Körper und Teile davon als solche zur Erzielung von Gewinnen zu nutzen“ zu beachten ist. 230 Der Gesetzgeber begründet den Grundsatz der Unentgeltlichkeit mit „Sicherheitserwägungen“: „Es sollen wegen des Anreizes keine unerwünschten Spendewilligen angelockt werden.“, vgl. BT-Drucks. 13/9594, S. 20. 231 Zu anderen Lockerungen des Kommerzialisierungsverbots bei Körpersubstanzen s. Büchler AcP 206 (2006), 300, 331 (Fn. 138).
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Auch in anderen höchstpersönlichen Angelegenheiten lässt die Rechtsordnung den Abschluss von Austauschverträgen nicht zu. Sittenwidrig ist beispielsweise der Verzicht auf die elterliche Sorge232 oder auf das elterliche Umgangsrecht233 gegen eine Abfindung. Ebenfalls verboten sind Geschäfte über eine sog. „Ersatz-“ bzw. „Leihmutterschaft“, in der sich eine Frau die befruchtete Eizelle einer anderen Frau übertragen lässt, um das Kind dann nach der Geburt wieder den genetischen Eltern zu überlassen.234 Die sozialmoralischen Vorstellungen darüber, was kommerzialisiert werden darf und was nicht, können sich mit dem Lauf der Zeit ändern. Entsprechend verschieben sich auch die Grenzen der Vertragsfreiheit. Beispielhaft für einen derartigen Wandel ist die rechtliche Behandlung der Prostitution. Während sie früher als sittenwidrig angesehen wurde,235 sind seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes (ProstG) im Jahr 2002 Verträge zwischen Prostituierten und Kunden zumindest teilweise wirksam: Gemäß § 1 Satz 1 ProstG ist der Entgeltanspruch rechtlich durchsetzbar. Nicht ausgeschlossen erscheint, dass eines Tages auch ein durchsetzbares Forderungsrecht des Kunden anerkannt wird. Anzumerken bleibt schließlich, dass in der rechtsökonomischen Literatur Verträge sittenwidrigen Inhalts mitunter als Externalitätenproblem und damit als Fall des Marktversagens behandelt werden.236 Es wird argumentiert, dass Transaktionen, die im Widerspruch zur Sittenordnung stehen, das Anstandsgefühl anderer Gesellschaftsmitglieder empörten und dadurch deren Wohlbefinden beeinträchtigten – sie verursachten mit anderen Worten negative psychologische Effekte.237 Die Transaktionsverbote seien notwendig, um diese Wohlstandseinbußen zu verhindern. Nach dieser Auffassung stellen sich die rechtsmoralischen Grenzen der Vertragsfreiheit als marktkonstitutives zwingendes Recht zum Schutz von Dritt232
OLG Hamburg FamRZ 1984, 1223. BGH NJW 1984, 1951, 1952 („unzulässige ,Kommerzialisierung‘ des elterlichen Umgangsrechts“). 234 § 1 Abs. 1 Nr. 7 Embryonenschutzgesetz stellt die Durchführung einer solchen Ersatzmutterschaft unter Strafe. Die Nichtigkeit entsprechender Vereinbarungen könnte folglich bereits aus § 134 BGB abgeleitet werden. Allerdings richtet sich die Strafdrohung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 Embryonenschutzgesetz weder gegen die Ersatzmutter noch gegen die Person, die das Kind auf Dauer bei sich aufnehmen will. Es erscheint deswegen vorzugswürdig, Verträge zwischen diesen Personen als nichtig gemäß § 138 Abs. 1 BGB zu behandeln. Zu einem Fall eines sittenwidrigen Leihmutterschaftsvertrags vgl. OLG Hamm NJW 1986, 781, 782 („das gewünschte Kind [scil. wurde] zum Gegenstand eines Geschäfts gemacht und dadurch sozusagen zu einer Handelsware degradiert . . .“); vgl. zur Problematik auch Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 612 f. 235 BGHZ 67, 119, 122. 236 Grundlegend Calabresi/Melamed Harv. L. Rev. 85 (1972), 1089, 1111 f.; vgl. zu diesem Ansatz auch Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, S. 64 ff.; kritisch Kronman/Posner, The Economics of Contract Law, S. 258; D. Kennedy Stan. L. Rev. 33 (1982), 387, 398 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 145 ff. und 368 f. 237 Vgl. zum Begriff oben § 4 I. 3. a) bb) (1). 233
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interessen dar.238 Aus rechtlicher Sicht kann diesem Ansatz nicht gefolgt werden: Er reduziert nämlich normative Wertungen auf ihre Effizienzimplikationen, um sie in das Marktmodell zu integrieren und ökonomisch operationalisierbar zu machen. Ein solches Vorgehen achtet nicht das „Primat der Rechtszwecke“ 239, das für die Rechtswissenschaft maßgebend ist und von dem auch die vorliegende Untersuchung ausgeht: Danach sind die normativen Grundwertungen der Rechtsordnung dem Markt vorgelagert, sie legen apriorisch die Grenzen fest, in denen die Marktkräfte wirken dürfen. Zu ihrer Berücksichtigung bedarf es damit keiner „ökonomischen Rechtfertigung“. Im Übrigen würde der ökonomische Ansatz in letzter Konsequenz bedeuten, dass normative Vorgaben nur dann durchzusetzen sind, wenn damit ein Nutzengewinn für die Mitglieder der Gesellschaft verbunden ist. Dem ist zu widersprechen. Die Wertentscheidungen der Rechtsordnung sind in ihrer Geltungskraft unabhängig von Nutzenüberlegungen. 2. Marktergebniskontrolle a) Allgemeine Merkmale: Distributive Zielsetzung und Prinzip der objektiven Äquivalenz Wo der Staat den Markt als Instrument der Ressourcenallokation akzeptiert, wird freilich nicht jeder privatautonom ausgehandelte Transaktionsinhalt anerkannt und durchgesetzt. Die Rechtsordnung stellt über zwingendes Vertragsrecht bestimmte Mindestanforderungen an die inhaltliche Ausgewogenheit der Transaktion. Der „Handel“ zwischen den Parteien darf nicht völlig einseitig ausfallen, sondern muss ein gewisses Maß an Fairness einhalten.240 Der Maßstab der Fairnesskontrolle ist dabei unterschiedlich streng, je nachdem, welchen Gegenstand das Geschäft betrifft.241 Geht es um Ressourcen, die für den Einzelnen von existenzieller Bedeutung sind, sind die Anforderungen der Rechtsordnung regelmäßig strikter. Dementsprechend unterliegen Arbeits- und Wohnraummietverträge besonders weitgehenden regulatorischen Vorgaben, während etwa bei Unternehmenskaufverträgen der Gestaltungsspielraum der Parteien nahezu keine Grenzen kennt. Aus ökonomischer Sicht dienen marktkompensatorische Eingriffe in die Vertragsfreiheit distributiven Zwecken: Es soll verhindert werden, dass infolge eines wirtschaftlichen Machtgefälles zwischen den Parteien die Kooperationsrente aus 238
Dazu oben § 4 I. c). Vgl. hierzu oben § 1 III. 240 Pointiert insoweit Eidenmüller, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Sozialschutzprinzips im Zivilrecht, S. 45, 54: „Aber das Recht kann und wird materiell krass ungleiche Verhandlungsergebnisse nicht tolerieren, insbesondere dann nicht, wenn sie Ausdruck extrem ungleicher Verhandlungsfähigkeiten sind“. 241 So auch Becker, Der unfaire Vertrag, S. 49. 239
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der Transaktion unfair aufgeteilt wird.242 Es geht mit anderen Worten um eine Äquivalenzkontrolle, die den wirtschaftlich schwächeren Partner vor Ausbeutung schützen soll.243 Das marktkompensatorische zwingende Vertragsrecht zeichnet sich dadurch aus, dass es dem Prinzip objektiver Äquivalenz folgt.244 Der Vertragsinhalt insgesamt und insbesondere das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung werden am Maßstab objektiver, d.h. vom subjektiven Parteiwillen unabhängiger Kriterien überprüft. Wird ein bestimmtes Missverhältnis festgestellt, sieht die Rechtsordnung die Vermutung widerlegt, dass das privatautonom erreichte Verhandlungsergebnis einen gerechten Interessenausgleich zum Wohl beider Parteien darstellt. Der Vertrag wird dann insgesamt für unwirksam erklärt bzw. nach Maßgabe objektiver Gerechtigkeitserwägungen inhaltlich modifiziert. Dieser Ansatz beruht auf einem Konzept von Vertragsgerechtigkeit, das sich grundlegend von dem des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts unterscheidet. Wie bereits erwähnt,245 zielt das marktkonstitutive Recht auf die Sicherung der Funktionsvoraussetzungen für die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ und ist folglich einer prozeduralen Gerechtigkeitsidee verhaftet: Die Rolle der Rechtsordnung beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf die Einrichtung eines Verfahrens – hier in Gestalt des Marktmechanismus –, welches „gerechte“ Ergebnisse gewährleistet. Demgegenüber steht das marktkompensatorische zwingende Recht für einen materialen Gerechtigkeitsbegriff. Es setzt das „gerechte“ Ergebnis unmittelbar durch, ohne dass den Vertragsparteien Ermessensspielräume für die Verwirklichung ihrer Präferenzen gewährt würden. Vor diesem Hintergrund lässt sich sagen, dass im marktkompensatorischen zwingenden Vertragsrecht die Lehren vom iustum pretium und der laesio enormis nachhallen.246
242 Näher zum Zusammenhang zwischen Machtungleichgewicht und ungleicher Aufteilung der Kooperationsrente Schmidtchen/Kirstein, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Sozialschutzprinzips im Zivilrecht, S. 1, 6 ff. 243 Dazu, dass wirtschaftliche Ungleichgewichtslagen nach hier vertretener Ansicht kein Marktversagen verursachen, sondern dem Marktsystem immanent sind, oben § 4 I. 2. a) aa). – Generell zum Schutz der schwächeren Vertragspartei durch zwingendes Recht vgl. etwa BVerfGE 81, 242, 255 f.; BVerfG NJW 2007, 286, 287; aus der Fülle an Literatur vgl. etwa Rösler RabelsZ 73 (2009), 889, 897; Adomeit, FS Konzen, S. 1; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 230 und 274 ff.; Limbach JuS 1985, 10, 12 ff.; Hönn JZ 1983, 677, 679 f.; ders., Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 134 ff. und 168 ff.; Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 34 ff. 244 Zur Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Äquivalenz s. oben § 4 I. 2. a) ee). 245 Dazu oben § 4 I. 2. a) ee). 246 Zu iustum pretium und laesio enormis s. bereits oben § 4 I. 2. a) ee).
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2. Teil: Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts
b) Innervertragliche Gerechtigkeit und gesamtgesellschaftliche Umverteilung Es war bereits an früherer Stelle davon die Rede, dass sich die „Gerechtigkeitsfrage“ in der Marktwirtschaft auf zwei unterschiedlichen Ebenen stellt:247 zum einen zwischen den Parteien einer Transaktion im Hinblick auf die Aufteilung der Kooperationsrente, zum anderen im Rahmen der Wohlstandsverteilung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Wie sich gezeigt hatte, ist im ersteren Fall die Gerechtigkeitskategorie der iustitia commutativa berührt, im letzteren die iustitia distributiva. Entsprechend dieser Differenzierung lassen sich auch zwei verschiedene Zielrichtungen der Marktergebniskontrolle identifizieren. Manche zwingende Normen zielen in erster Linie auf die Verwirklichung der Austauschgerechtigkeit innerhalb des Vertragsverhältnisses: Leistung und Gegenleistung sollen in keinem untragbaren Missverhältnis zueinander stehen. Hingegen begünstigen andere marktkompensatorische Regeln bestimmte Vertragsparteien unabhängig von einer konkreten Ausbeutungsgefahr im Einzelfall, um deren Position auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu verbessern. Der Vertrag wird in diesen Fällen gleichsam als Vehikel benutzt, um eine Umverteilung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands zu erreichen.248 Das Vertragsrecht stellt sich hier in den Dienst der iustitia distributiva. Zur ersten Gruppe zwingenden Rechts zählen insbesondere die Generalklauseln, die dem Richter eine einzelfallbezogene Vertragskontrolle ermöglichen. Beispiele sind etwa die Anwendungsfälle des § 138 BGB, die an ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung anknüpfen, sowie ferner der kartellrechtliche Ausbeutungsschutz nach § 19 Abs. 1, 4 Nr. 2 GWB. Diese Regeln setzen ein Machtgefälle in der konkreten Vertragssituation voraus.249 Indessen spielt die Frage, ob die belastete Partei unter allgemeinen Gesichtspunkten sozial schutzbedürftig ist, grundsätzlich keine Rolle: Wenn sich zum Beispiel bei einem Wasserrohrbruch der Installateur vom betroffenen Hausbewohner eine exorbitant hohe Vergütung versprechen lässt, dann ist die Abrede wucherisch und nach § 138 Abs. 2 BGB nichtig, unabhängig davon, wie reich oder arm der Hauseigentümer ist.250 Ebenso ist für den Tatbestand des Preismissbrauchs nach § 19 GWB die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der „ausgebeuteten“ Partei irrelevant. 247
Oben § 2 I. 4. Zur „Umverteilung durch Zivilrecht“ s. Kronman Yale L. J. 89 (1980), 472, 499 ff.; Kennedy Md. L. Rev. 41 (1982), 563, 586 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 273 ff. und 289 ff.; Fastrich, FS Canaris, Bd. II, S. 1071 ff.; Wagner ZEuP 2007, 180, 200 ff.; Canaris, Iustitia distributiva, S. 33 f., 35 ff. und 78 ff. 249 Wagner ZEuP 2010, 243, 258, spricht in diesem Zusammenhang von „situativer Marktmacht“. 250 Ein ähnlicher Sachverhalt lag der Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth BB 1973, 777 zugrunde. Vgl. auch die Beispiele bei Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, S. 85 f. 248
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Zur zweiten Kategorie kompensatorischer Normen gehören vor allem die zwingenden Schutzvorschriften im Rahmen des Arbeits- und des Wohnraummietrechts. Der Gesetzgeber geht hier von einer typisierenden Betrachtung aus und identifiziert die jeweils geschützte „schwächere“ Vertragspartei – den Arbeitnehmer bzw. Wohnungsmieter – als Mitglied einer sozial „schwächeren“ Gesellschaftsgruppe, die er für schutz- und förderungsbedürftig hält.251 Die Regulierung des Vertragsinhalts soll diesen Gruppen eine größere Partizipation am gesellschaftlichen Wohlstand auf Kosten der Arbeitgeber bzw. der Vermieter ermöglichen. In den Hintergrund tritt dabei die Frage, ob ohne die Schutzregelung tatsächlich regelmäßig Vertragskonditionen zustande kämen, die die vermeintlich „schwächere“ Partei in unzumutbarer Weise belasten. Der Versuch einer gesamtgesellschaftlichen Umverteilung des Wohlstands mithilfe des Vertragsrechts sieht sich einer Reihe von Bedenken ausgesetzt.252 Problematisch ist insbesondere, dass die „umverteilenden“ zwingenden Bestimmungen an Merkmale anknüpfen, die nur indirekt etwas über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das tatsächliche Schutzbedürfnis der begünstigten Partei aussagen.253 Die Rolle als Arbeitnehmer oder Wohnungsmieter ist kein zuverlässiger Indikator für den sozialen Status. So kommt beispielsweise auch ein vielumworbener Produktentwickler, der seinem Arbeitgeber die Konditionen seines Beschäftigungsverhältnisses „diktieren“ kann, in den Genuss des Kündigungsschutzes. Ebenso gelten etwa die bestandsschützenden Regelungen über die Zulässigkeit von Mieterhöhungen (§§ 557 ff. BGB) auch für Luxuswohnungen. Die Folge ist nicht nur, dass Individuen Privilegien erlangen, die sie nicht verdienen. Es kann, schlimmer noch, das Gegenteil des erwünschten Verteilungseffekts eintreten:254 Der Kündigungsschutz zugunsten des Produktentwicklers kann einem bedürftigen Arbeitssuchenden den Zugang zu einem Arbeitsplatz versperren, die Mieterhöhungskontrolle kann dazu führen, dass der Vermieter zur „Quersubven-
251 Vgl. auch Rösler RabelsZ 73 (2009), 889, 897, der im Zusammenhang mit zwingenden Verbraucherschutzbestimmungen darauf hinweist, dass diese nicht immer auf den Interessenausgleich im einzelnen Vertragsverhältnis abstellten, sondern von der „makro-sozioökonomischen Erkenntnis einer üblicherweise vorhandenen Unterlegenheit des Verbrauchers“ geleitet seien (Hervorhebung im Original). 252 Strikt gegen den Ansatz, Verteilungsgerechtigkeit mithilfe des Vertragsrechts zu verwirklichen, Honsell, FS Mayer-Maly, S. 287, 295 ff.; differenzierend hingegen Canaris, Iustitia distributiva, S. 125 ff.; Fastrich, FS Canaris, Bd. II, S. 1071, 1088 ff.; keine Bedenken gegen die Verfolgung verteilungspolitischer Ziele mithilfe des Vertragsrechts Kronman Yale L. J. 89 (1980), 472, 499 ff. 253 Zu dieser Kritik Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 294; Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, S. 51, 61; ders., in: Basedow/ Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 1822, 1824. 254 Wagner ZEuP 2010, 243, 259 f.
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tionierung“ höhere Mieten für andere Wohnungen verlangt und so möglicherweise weniger vermögende Mieter belastet.255 Insgesamt zeigt sich also, dass das Vertragsrecht ein wenig präziser Umverteilungsmechanismus ist. Zu Recht wird deswegen häufig gefordert, redistributive Ziele in erster Linie mithilfe des Steuer- oder Sozialrechts zu verfolgen.256 Diese Instrumente sind von vornherein besser geeignet, einerseits die tatsächlich Schutzbedürftigen zu identifizieren und andererseits die Lasten der Umverteilung den Leistungsfähigeren aufzubürden. So wird zum Beispiel geltend gemacht, das Ziel, sozial schwache Bevölkerungsschichten mit erschwinglichem Wohnraum zu versorgen, lasse sich besser mit Transferzahlungen wie etwa einem „Wohngeld“ erreichen als mit der privatrechtlichen Regulierung von Mietverträgen. c) Gegenstände der Marktergebniskontrolle Die Marktergebniskontrolle kann sich auf unterschiedliche Transaktionsvariablen beziehen: auf den Preis (hierzu sogleich aa) oder auf sonstige Leistungsmerkmale und Vertragsbedingungen (dazu sodann bb und cc). aa) Preisregulierung Preisregulierung ist die direkteste Form staatlicher Einflussnahme auf das vertragliche Äquivalenzverhältnis. Die Bewertung der vertragscharakteristischen Leistung wird den Transaktionspartnern entzogen und erfolgt durch ein staatliches Organ. Die Preiskontrolle, so war schon bei der Beschreibung der Wirkungsweise des Marktes angedeutet worden,257 stellt einen massiven Eingriff in die Wettbewerbswirtschaft dar: Sie missachtet die individuelle Präferenzautonomie und setzt die Signal- und Koordinationsfunktion des Preismechanismus außer Kraft. Im Folgenden werden zwei Arten der Preisregulierung erörtert: zunächst die sektorale Kontrolle, die allein für spezifische Märkte und Wirtschaftszweige gilt, und später die allgemeine, die branchenübergreifend Anwendung findet.
255 Vgl. auch von Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, S. 311 f. und 316 f. 256 Vgl. etwa H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, S. 5, 40; Kötz, Vertragsrecht, Rn. 51; Fastrich, FS Canaris, Bd. II, S. 1071; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 306; Unberath, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 1692, 1695. 257 Oben § 2 I. 3. a).
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(1) Sektorale Preiskontrolle Hier ist nicht der Ort, einen umfassenden Überblick über das gesamte sektorale Preisrecht mit seinen zahlreichen Verästelungen zu bieten.258 Deswegen sollen im Folgenden lediglich einzelne exemplarische Anwendungsfälle herausgegriffen werden, um einen Eindruck zu vermitteln, auf welchen Gebieten und zu welchen Zwecken sektorspezifische Preisvorschriften gelten. Preisregulierung ist erstens auf dem Arbeits- und Dienstleistungsmarkt verbreitet. Um das Postulat der Lohngerechtigkeit259 zu erfüllen, wird zwar in erster Linie auf das Instrument der Kollektivverhandlung gesetzt.260 In Ergänzung dazu kann jedoch der Gesetzgeber auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) und des Mindestarbeitsbedingungengesetzes (MiArbG) verbindliche Mindestlöhne für die Arbeitnehmer in besonderen Branchen festlegen.261 In eine andere Richtung zielt hingegen die Regulierung von Vergütungen in den freien Berufen. Gesetzliche Honorarordnungen wie zum Beispiel die HOAI für Ingenieure und Architekten oder das RVG für Rechtsanwälte sehen Vergütungssätze vor, die nur in Ausnahmefällen unterschritten werden dürfen (§ 7 Abs. 3 HOAI bzw. § 49b Abs. 1 BRAO). Begründet wird dies damit, dass in den betreffenden Berufsfeldern ein ruinöser Preiswettbewerb verhindert werden soll, der sich negativ auf die Qualität der angebotenen Dienstleistungen auswirken könnte.262 Neben Vorschriften, die eine Mindestvergütung vorsehen, gibt es in diesem Bereich umgekehrt auch solche, die den Entgeltanspruch des Leistungserbringers zum Schutz vor einer Übervorteilung des Klienten nach oben hin begrenzen (§ 7 Abs. 4 HOAI oder § 3a RVG).263 Ein ähnliches Schutzanliegen wie in den freien Berufen verfolgt die Preisregulierung im Arzneimittelhandel: Auf der Grundlage des § 78 AMG werden die 258 Eine ausführlichere Darstellung findet sich z. B. bei Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 25 (S. 685 ff.). 259 Zum Spannungsverhältnis zwischen Lohngerechtigkeit und Vertragsfreiheit aus sozialer, ökonomischer und juristischer Perspektive Thüsing, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, Einleitung Rn. 1 ff. 260 Zu den Kollektivvereinbarungen näher unten § 4 II. 2. c) bb) (2). 261 Im Rahmen des AEntG erfolgt die gesetzliche Festschreibung des Mindestlöhne durch die Erstreckung entsprechender Tarifnormen entweder im Wege einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG oder durch einen Rechtsverordnungserlass, vgl. § 3 AEntG. Beim MiArbG werden die Mindestentgelte allein durch staatliche Regelungen ohne Bezug zu einem Tarifvertrag festgelegt, vgl. näher zu den beiden Gesetzen Sittard NZA 2009, 346, sowie allgemein zur aktuellen Mindestlohndebatte Jacobs, GS Walz, S. 289 ff. 262 Vgl. zur HOAI OLG Stuttgart NZBau 2005, 350, 351; zum RVG Hartung/Römermann, RVG, Einf. Rn. 6. 263 Vgl. auch BVerfG NJW 2007, 979, 980, wonach der Schutz des Rechtssuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte Vergütungssätze ein verfassungslegitimes Ziel darstellt.
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Endverbraucherpreise für Arzneimittel durch Verordnung festgelegt. Die Ausschaltung des Preiswettbewerbs soll den Interessen sowohl der Endverbraucher als auch der Apotheken dienen.264 Ferner unterliegen Preise regelmäßig dort der Regulierung, wo natürliche Monopole herrschen.265 Ein natürliches Monopol ist gegeben, wenn die Nachfrage auf einem Markt am kostengünstigsten durch einen einzigen Anbieter befriedigt wird.266 Dies ist etwa bei der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wasser oder Telekommunikationsdiensten der Fall. Ohne die entmachtende Wirkung des Wettbewerbs verfügt der Anbieter über eine besondere Machtposition gegenüber den Abnehmern. Diese erlaubt es ihm, einen größeren Anteil am Kooperationsgewinn – die sog. Monopolrente – abzuschöpfen. Folglich ist auf Monopolmärkten das Preisniveau typischerweise höher als unter Wettbewerbsbedingungen. Zwar bemüht sich in den betroffenen Wirtschaftszweigen der Gesetzgeber um Maßnahmen, die eine Angebotskonkurrenz und damit auch kundenfreundlichere Preise ermöglichen sollen.267 In manchen Bereichen sind die Erfolge durchaus bemerkenswert, wie etwa die beträchtlichen Preisrückgänge für Auslandstelefongespräche in den letzten Jahren belegen. Doch lassen sich auch mit regulatorischen Eingriffen natürliche Monopole nicht immer leicht überwinden, so dass in vielen Bereichen nach wie vor ein Bedürfnis nach einer Preishöhenkontrolle besteht. Auf dem Energiemarkt müssen beispielsweise die von den Netzbetreibern erhobenen Entgelte für den Netzzugang gemäß § 23a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von der Bundesnetzagentur bzw. von den Landesregulierungsbehörden genehmigt werden. Daneben sieht § 29 GWB spezielle Regeln für die Preismissbrauchskontrolle268 in der Energiewirtschaft vor. Auf dem Gebiet der Telekommunikation enthält das Telekommunikationsgesetz (TKG) in den §§ 27 ff. verschiedene Bestimmungen über die Entgeltregulierung. Sie dienen insbesondere dem Ziel, die „missbräuchliche Ausbeutung [. . .] von Endnutzern oder Wettbewerbern durch preispolitische Maßnahmen von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht zu verhindern.“ 269 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in § 66d TKG zum Schutz der Verbraucher sogar genau bezifferte Preis264 Vgl. zu den bei der Preisfestlegung zu beachtenden Interessen § 78 Abs. 2 Satz 1 AMG. 265 Zur Notwendigkeit zwingenden Rechts in diesem Bereich Basedow AcP 200 (2000), 445, 486. 266 Allgemein zum natürlichen Monopol und möglichen Ursachen s. z. B. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 160 ff. 267 Siehe zu diesen Zielen § 1 Abs. 2 EnWG („Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs“) sowie § 2 Abs. 2 Nr. 2 TKG („Sicherstellung eines chancengleichen Wettbewerbs und die Förderung nachhaltig wettbewerbsorientierter Märkte“). 268 Zur allgemeinen kartellrechtlichen Preismissbrauchskontrolle gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB s. sogleich § 4 II 2 c) aa) (2) (b). 269 § 27 Abs. 1 TKG.
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höchstgrenzen für bestimmte Telekommunikationsdienstleistungen festgeschrieben. In der Wasserwirtschaft unterliegen Versorgungsunternehmen gemäß § 131 Abs. 6 GWB auch weiterhin der besonderen Preismissbrauchskontrolle nach § 103 GWB in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung der 5. GWBNovelle 1990.270 Im Wohnraummietrecht ist der Tatbestand des Mietwuchers nach § 5 WiStG hervorzuheben. Die Vorschrift ist lex specialis zu den allgemeinen Wuchertatbeständen des § 138 Abs. 2 BGB bzw. § 291 StGB i.V. m. § 134 BGB. Gegenüber letzteren Regeln präzisiert und verschärft § 5 WiStG den Maßstab für die vertragliche Äquivalenzkontrolle. Die Miete ist wucherisch, wenn sie unter Ausnutzung eines knappen Wohnraumangebots zustande gekommen ist und die übliche Miete für vergleichbare Räume um mehr als 20% übersteigt. (2) Allgemeine Preiskontrolle Im Rahmen der allgemeinen, branchenübergreifenden Preiskontrolle verdienen zwei Instrumente Aufmerksamkeit: erstens die Regelungen des § 138 BGB und zweitens die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht nach Art. 102 AEUV und § 19 GWB. (a) Die Äquivalenzkontrolle nach § 138 BGB Die Regelung des § 138 BGB bietet zwei unterschiedliche Anknüpfungspunkte für die Äquivalenzkontrolle von Verträgen. Zum einen sind nach dem Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB Austauschgeschäfte nichtig, bei denen die gegenseitigen Leistungen „in einem auffälligen Missverhältnis“ zueinander stehen und sich die belastete Partei in einer qualifizierten Schwächeposition befindet: Wie bereits erwähnt, kann die Funktion des § 138 Abs. 2 BGB lediglich dann als marktkompensatorisch charakterisiert werden, wenn sich der Bewucherte in einer wirtschaftlichen Zwangslage befand, während bei allen anderen Tatbestandsmerkmalen (Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche und sonstige Zwangslagen) die Funktionsbedingungen des Marktmechanismus gestört sind, so dass § 138 Abs. 2 eine marktkonstitutive Aufgabe wahrnimmt.271 Für die Verwirklichung des Wuchertatbestands kommt allerdings noch ein weiteres wichtiges Erfordernis hinzu: Der Wucherer muss die Schwäche seines Gegners ausbeuten, d.h. er muss in subjektiver Hinsicht dessen hilflose Lage bewusst ausnutzen und das Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen erkennen.272 Diese Voraussetzung ist im Regelfall nicht leicht nachzuweisen. 270 271 272
Siehe hierzu auch BGH WRP 2010, 553. Oben § 4 I. 2. a) bb) (4). BGH NJW 1982, 2767, 2777; BGH NJW 1985, 3006, 3007.
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Als Reaktion auf die schwierige Durchsetzung des Wucherverbots nach § 138 Abs. 2 BGB hat die Rechtsprechung das Institut des „wucherähnlichen Geschäfts“ entwickelt. Danach kann eine auffällige Äquivalenzstörung die Sittenwidrigkeit eines Vertrags und damit dessen Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB begründen, ohne dass der Nachweis einer bewussten Ausbeutung erforderlich ist. Es genügt, dass sich die begünstigte Partei zumindest leichtfertig der Einsicht verschließt, dass der Gegner nur aufgrund seiner wirtschaftlich schwächeren Lage die ihn beschwerenden Konditionen akzeptiert.273 Ist die belastete Partei ein Verbraucher, begründet ein besonders schweres objektives Ungleichgewicht die Vermutung der Leichtfertigkeit auf Seiten des Begünstigten.274 Die Grundsätze über das wucherähnliche Geschäft sind im Schrifttum teilweise auf heftige Kritik gestoßen. Es sei praktisch unmöglich, so wird argumentiert, die Verwirklichung des subjektiven Tatbestands zu widerlegen.275 Im Ergebnis führe also bereits das objektive Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung für sich allein zur Nichtigkeit des Vertrags.276 Dies laufe auf eine „Renaissance der laesio enormis“ 277 hinaus, einer gemeinrechtlichen Rechtsfigur also, welche die Verfasser des BGB gerade nicht gesetzlich festschreiben wollten. Die Kritik gegen das „wucherähnliche Geschäft“ würde vielleicht nicht so scharf ausfallen, hätten die Gerichte nicht gleichsam im Stil einer „Preisregulierungsbehörde“ en détail genau bezifferte „Richtwerte“ formuliert, die die objektiven Voraussetzungen für den Sittenverstoß konkretisieren. So weist etwa ein Konsumentenkreditvertrag nach der ständigen Rechtsprechung des BGH im Regelfall dann ein auffälliges Äquivalenzmissverhältnis auf, wenn der vertragliche Effektivzins den üblichen Marktzins entweder relativ um 100% oder absolut um 12 Prozentpunkte übersteigt.278 Bei einem Kaufvertrag ist die Schwelle der objektiven Sittenwidrigkeit regelmäßig erreicht, wenn der Kaufpreis doppelt so hoch ist wie der tatsächliche Wert des verkauften Gegenstands;279 umgekehrt ist der Kaufvertrag wegen Benachteiligung des Verkäufers sittenwidrig, wenn der 273 BGHZ 80, 153, 160 f.; BGHZ 98, 174, 178; BGHZ 104, 102, 107; BGHZ 146, 298, 303. 274 BGHZ 98, 174, 178; BGHZ 146, 298, 303 f.; BGHZ 160, 8, 14; BGH NJW-RR 2008, 1436, 1438. 275 Zimmermann, The Law of Obligations, S. 269, spricht denn auch davon, dass das subjektive Element faktisch fingiert wird; ebenso Canaris AcP 200 (2000) 273, 301; Mayer-Maly, FS Larenz II, S. 395, 400. 276 Canaris AcP 200 (2000), 273, 301. 277 So der Titel – allerdings mit einem Fragezeichen versehen – des Beitrags von Mayer-Maly, FS Larenz II, S. 395. Auf das Fragezeichen in der Überschrift seines Beitrags verzichtet hingegen Finkenauer, FS H. P. Westermann, S. 183; vgl. auch Flume ZIP 2001, 1621, 1622. Hingegen für eine offene Anlehnung an die Lehre der laesio enormis OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2410, sowie Hackl BB 1977, 1412. Vgl. allgemein zur laesio enormis bereits oben § 4 I. 2. a) ee). 278 BGHZ 110, 336, 338; BGH NJW-RR 1991, 501, 502. 279 BGH NJW-RR 2008, 1436, 1438 (st. Rspr.).
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Kaufpreis weniger als die Hälfte des Werts der Kaufsache beträgt.280 Die Fixierung auf Zahlenwerte, die noch dazu aus der Luft gegriffen scheinen,281 und die Vernachlässigung sonstiger Umstände des Vertragsschlusses stehen in deutlichem Kontrast zur eigenen Aussage des BGH, wonach ein objektives inhaltliches Ungleichgewicht allein die Nichtigkeit des Vertrags nicht zu begründen vermag.282 Zwar hat sich der BGH in einem obiter dictum gegen den Vorwurf gewehrt, er habe die laesio enormis richterrechtlich wiedereingeführt:283 Die Vermutungsregel stelle gerade keine Aufgabe des subjektiven Tatbestandserfordernisses dar. Doch angesichts der faktischen Schwierigkeit, das Vorliegen bzw. Fehlen subjektiver Momente nachzuweisen, lässt sich kaum abstreiten, dass jedenfalls in der praktischen Konsequenz die Grundsätze über das „wucherähnliche Geschäft“ eine Wiederbelebung der laesio enormis darstellen. (b) Die kartellrechtliche Preiskontrolle im Rahmen der Missbrauchsaufsicht Neben § 138 BGB kommt als weitere Grundlage für eine allgemeine Preiskontrolle die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht nach Art. 102 AEUV und § 19 GWB in Betracht. Nach diesen Vorschriften ist es Unternehmen insbesondere verboten, unter Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung überhöhte Preise zu fordern (Art. 102 Satz 2 lit. a AEUV und § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB).284 Die Regelungen zielen auf die Entschärfung des Monopolrentenproblems, das bereits Erwähnung fand:285 Monopol- und andere marktbeherrschende Anbieter können sich dank ihrer Machtposition einen größeren Anteil an der Kooperationsrente aneignen, als es ihnen unter funktionierenden Wettbewerbsbedingungen möglich wäre. Die Bekämpfung überhöhter Preise auf vermachteten Märkten ist zwar zweifelsohne ein zentrales wettbewerbspolitisches Desiderat. Umstritten ist indessen, ob die kartellrechtliche Preishöhenkontrolle286 die richtige Lösung ist. 280
BGHZ 146, 298, 302; 168, 1, 21 (st. Rspr.). Mayer-Maly AcP 194 (1994), 105, 150, findet es bedenklich, dass die Obergrenze der Zinshöhe von den Gerichten auf Grundlage des Begriffs der „guten Sitten“ bestimmt wird und nicht vom Gesetzgeber. Für Canaris AcP 200 (2000), 273, 303, ist die relative Grenze (100% über Marktzins) „ziemlich arbiträr“, die absolute (12 Prozentpunkte über Marktzins) sogar „geradezu evident falsch“. 282 So BGHZ 80, 153, 156 unter Zurückweisung der Berufungsentscheidung des OLG Stuttgart (s. Fn. 277 oben). 283 BGH NJW 2002, 3165, 3166. 284 Zum Spezialtatbestand der Preismissbrauchskontrolle gemäß § 29 GWB s. oben § 4 II. 2. c) aa) (1). 285 Oben § 4 II. 2. c) aa) (1). 286 Im vorliegenden Kontext interessiert allein, inwiefern das Kartellrecht die Möglichkeit einer vertraglichen Äquivalenzkontrolle bietet. Angesprochen ist also der Schutz vor einem Ausbeutungsmissbrauch zulasten der Marktgegenseite durch die Erhebung überhöhter Preise. Preise können allerdings auch in einem anderen Zusammenhang Gegenstand kartellrechtlicher Kontrolle sein. Unternehmen können nämlich über 281
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Gegen die Preismissbrauchskontrolle werden zum einen systemtheoretische Einwände erhoben. Es wird geltend gemacht, das Institut laufe – im Widerspruch zur genuinen Aufgabe des Kartellrechts – auf eine Überprüfung und Korrektur von Marktergebnissen hinaus und schaffe gerade keinen Ordnungsrahmen für einen im Übrigen freien Wettbewerbsprozess.287 Der Systembruch wird mit anderen Worten darin gesehen, dass die Regelung eine marktkompensatorische und keine marktkonstitutive Zielsetzung verfolgt. Zum anderen bereitet die Preishöhenkontrolle in der Anwendung erhebliche Probleme. Diese sind auch dafür verantwortlich, dass das Instrument außerhalb der oben erwähnten natürlichen Monopole in der Praxis lediglich eine marginale Rolle spielt. Konkret treten die Schwierigkeiten bei der Bestimmung auf, ob im Einzelfall ein Preis in missbräuchlicher Weise überhöht ist. Die Beurteilung setzt einen Referenzmaßstab voraus, der Aufschluss über den „richtigen“, d.h. den angemessenen Preis gibt. Anders als in den Fällen der Äquivalenzstörung nach § 138 BGB kann als Richtwert nicht einfach der „übliche Marktpreis“, d.h. der durchschnittliche Preis konkurrierender Unternehmen, herangezogen werden.288 Gegenstand der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht ist nämlich das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens. Handelt es sich um einen Monopolisten, gibt es von vornherein keine Vergleichspreise auf dem Markt. Doch selbst dann, wenn neben dem Marktbeherrscher noch andere Anbieter vorhanden sind, lassen sich die Preise nicht ohne weiteres vergleichen: So können die Preise der Konkurrenten etwa deswegen niedriger sein, da sich diese auf bestimmte Marktsegmente konzentrieren, während das marktbeherrschende Unternehmen den gesamten Markt bedient und deswegen mit höheren Stückkosten konfrontiert ist.289 Als Referenzmaßstab für die Missbrauchskontrolle ist somit auf eine hypothetische Größe abzustellen, nämlich auf die Preise, „die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden.“ 290 Für die Ermittlung dieser Als-ob-Preise existieren unterschiedliche methodische Ansätze.291 Sie könpreispolitische Maßnahmen versuchen, konkurrierende Unternehmen zu behindern (z. B. durch Kampfpreisunterbietung, Preisdiskriminierungen und dgl.). In diesen Fällen des sog. Behinderungsmissbrauchs nimmt die kartellrechtliche Preiskontrolle nicht das vertragliche Äquivalenzverhältnis in den Blick, sondern mögliche wettbewerbsbeschränkende Wirkungen (vgl. zur Abgrenzung etwa Wiemer WuW 2011, 723, 730). Es geht hier also um eine marktkonstitutive Zielsetzung. 287 So vor allem Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 19 GWB Rn. 12 und 150. Hingegen die Legitimität der kartellrechtlichen Preismissbrauchsaufsicht verteidigend Knöpfle Beilage 13 zu BB 1994, 1, 3 ff. 288 Auch im Rahmen des § 138 BGB kann allerdings die Ermittlung des „Marktwerts“ als Richtschnur für die Beurteilung des Wuchers schwierig sein, s. hierzu Finkenauer, FS H. P. Westermann, S. 183, 195 ff. 289 Kuhn WuW 2006, 578, 587. 290 So der Wortlaut des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB. 291 Für eine Übersicht vgl. etwa Monopolkommission, Sondergutachten 1, S. 31 ff.; Kuhn WuW 2006, 578.
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nen entweder in Anlehnung an andere räumliche Märkte bestimmt werden, auf denen ein wirksamer Wettbewerb herrscht. Alternativ können auch Märkte für ähnliche Produkte maßgebend sein oder die Verhältnisse auf demselben Markt zu einem Zeitpunkt, in dem der Wettbewerb intensiver war.292 Da jedoch jeder Markt seine Spezifika besitzt, die von zeitlichen, räumlichen und produktbezogenen Bedingungen abhängen, ist zweifelhaft, ob Vergleichsmärkte eine verlässliche Grundlage für die Bestimmung des hypothetischen Wettbewerbspreises bieten.293 Als Alternative zum Vergleichsmarktkonzept wird teilweise vorgeschlagen, den Verkaufspreis eines Produkts mit den Herstellungskosten zu vergleichen. Liegen die Preise „unangemessen“ über den Kosten, indiziere dies einen Preismissbrauch. Diese sog. Gewinnmargenbegrenzung ist insbesondere vom EuGH angewendet worden.294 Auch diese Methode ist nicht frei von Unsicherheiten und Schwierigkeiten. Anstelle der „Angemessenheit“ des Preises ist nun die „Angemessenheit“ der Gewinnmarge zu beurteilen, was keine leichtere Aufgabe ist. Im Übrigen lassen sich die Herstellungskosten eines Produkts häufig nur schwer feststellen. Außerdem ist äußerst fraglich, ob tatsächlich die konkret angefallenen Herstellungskosten maßgebend sein dürfen. Gerade bei gestörten Wettbewerbsbedingungen können diese ungewöhnlich hoch sein.295 Ein marktbeherrschendes Unternehmen steht nämlich unter einem deutlich geringeren Druck, kostengünstig zu produzieren. Unter diesen Voraussetzungen sind die Herstellungskosten kein zuverlässiger Referenzwert, um Preismissbräuche zu ermitteln. Vor allem die praktischen Anwendungsschwierigkeiten haben im Ergebnis dazu geführt, dass die kartellrechtliche Preismissbrauchskontrolle heutzutage lediglich als letzter Notbehelf 296 wahrgenommen wird, um völlig unangemessene Marktergebnisse zu korrigieren.297
292 Siehe grundlegend zum Vergleichsmarktkonzept auf europäischer Ebene EuGH 4.5.1988, Rs. 30/87 (Bodson), Slg. 1988, 2479, Rn. 31; EuGH 13.7.1989, Rs. 395/87 (Tournier), Slg. 1989, 2521, Rn. 38; EuGH 13.7.1989, verb. Rs. 110/88, 241/88 und 242/88 (Lucazeau), Slg. 1989, 2811, Rn. 25, sowie auf deutscher Ebene BGHZ 59, 42, 46 – Stromtarif; BGHZ 68, 23, 33 – Valium I. 293 Emmerich, Kartellrecht, § 27 Rn. 90; Kuhn WuW 2006, 578, 587 ff. 294 Grundlegend EuGH 14.2.1978, Rs. 27/76 (United Brands), Slg. 1978, 207 Rn. 248; EuGH 11.4.1989, Rs. 66/86 (Ahmed Saeed Flugreisen), Slg. 1989, 803 Rn. 43. 295 Vgl. etwa Emmerich, Kartellrecht, § 10 Rn. 19. 296 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 19 GWB Rn. 12 und 151 f.; Emmerich, Kartellrecht, § 27 Rn. 86. 297 Siehe aber aus jüngerer Vergangenheit die erfolgreiche Klage wegen Preishöhenmissbrauchs im Verfahren OLG Frankfurt a. M., WuW/E DE-R 3163; dazu ausführlich Wiemer WuW 2011, 723.
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2. Teil: Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts
bb) Zwingende Leistungsmerkmale in Ergänzung zur Preiskontrolle Die Regulierung des Preises allein gewährt der schwächeren Partei noch keinen vollständigen Schutz vor Ausbeutung. Dem wirtschaftlich stärkeren Vertragsteil bieten sich nämlich Umgehungsmöglichkeiten: Er kann die vorgeschriebenen nominalen Preisgrenzen einhalten und versuchen, über andere Transaktionsvariablen einen möglichst großen Anteil an der Kooperationsrente abzuschöpfen. So könnte er beispielsweise die Qualität seiner Leistung verschlechtern oder den Inhalt vertraglicher Nebenbedingungen einseitig zu seinem Vorteil ausgestalten. Um derartige indirekte Ausbeutungspraktiken zu verhindern, ordnet der Gesetzgeber in vielen Bereichen, in denen die Preisfreiheit eingeschränkt ist, ergänzende zwingende Schutzvorschriften an.298 (1) Beispiele aus dem Wohnraummietrecht Zwingendes Vertragsrecht der hier angesprochenen Art findet sich etwa in einer Reihe von Dispositionsverboten auf dem Gebiet des Wohnraummietrechts. Die Gestaltungsfreiheit der Parteien bei der Vereinbarung der Miete ist, wie gesehen,299 gegenüber den allgemeinen Regeln eingeschränkt. Die Schwelle zum Wucher ist im Rahmen des speziellen § 5 WiStG regelmäßig niedriger als bei § 138 Abs. 2 BGB. Darüber hinaus sind Klauseln über die Erhöhung der Miete während des Mietverhältnisses nach den §§ 557 ff. BGB nur in sehr engen Grenzen erlaubt. Das sozialpolitische Ziel dieser Preiskontrolle – der Schutz des Mieters vor wirtschaftlicher Ausbeutung – würde allerdings verfehlt, wenn der Vermieter das vertragliche Äquivalenzverhältnis über andere Leistungsmerkmale als den Preis zu seinen Gunsten verschieben könnte. Dies zu verhindern, ist der Zweck einiger zwingenden Normen in den §§ 535 ff. BGB. Ein anschauliches Beispiel ist das zwingende Minderungsrecht des Mieters (§ 536 BGB). Die Minderung stellt sicher, dass das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung während der Dauer des Mietverhältnisses konstant bleibt. Könnte der Vermieter das Minderungsrecht ebenso wie die anderen Mängelrechte des Mieters vertraglich ausschließen,300 behielte er den vollen Anspruch auf die Miete auch für die Zeit, in der er seiner Erhaltungspflicht nicht nachkommt und sich der Zustand der Wohnung verschlechtert. Ein nominal unveränderter Mietanspruch bei schlechterer Qualität der Mietsache bedeutet effektiv eine Mieterhö298 Zur Umgehung der Preisregulierung über sonstige Leistungselemente speziell auf dem Gebiet des Transportrechts und der daraus resultierenden Notwendigkeit „abrundender“ zwingender Regeln vgl. Basedow, Der Transportvertrag, S. 24 f. 299 Vgl. oben § 4 I. 2. b) bb) (1) (Kontrolle von Anpassungsrechtsklauseln) und § 4 II. 2. c) aa) (1) (Tatbestand des Mietwuchers). 300 Die Mängelrechte nach § 536a BGB sind im Gegensatz zum Minderungsrecht grundsätzlich abdingbar, wie etwa aus § 536d BGB hervorgeht.
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hung. Der Ausschluss des Minderungsrechts würde damit im Ergebnis die Möglichkeit einer Mieterhöhung bieten, die nicht den strengen Voraussetzungen der §§ 557 ff. BGB unterworfen ist. Die Unabdingbarkeit des Minderungsrechts (§ 536 Abs. 4 BGB) schließt diese Konsequenz aus. Weitere Beispiele sind etwa das Verbot von Vertragsstrafen zulasten des Mieters (§ 555 BGB) oder die zwingenden Grenzen der Duldungspflicht des Mieters bei Erhaltungsmaßnahmen (§ 554 Abs. 2, 4 und 5 BGB). All diese Vorschriften verhindern, dass die Leistung des Vermieters durch mieterunfreundliche Nebenbedingungen wirtschaftlich entwertet wird. (2) Beispiele aus dem Arbeitsrecht Eine äquivalenzwahrende Funktion erfüllen auch zahlreiche zwingende Vertragsregeln im Individualarbeitsrecht. Hier ist allerdings im Ausgangspunkt auf einen wesentlichen Unterschied zum Wohnraummietrecht hinzuweisen: Um sozial angemessene Entgeltvereinbarungen zu erreichen, setzt die Rechtsordnung grundsätzlich nicht auf Preisregulierung in Form gesetzlicher Mindestlöhne301, sondern auf Kollektivverhandlungen. Das wirtschaftliche Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer soll dadurch überwunden werden, dass sich die Arbeitnehmer zu Koalitionen – den Gewerkschaften – zusammenschließen und Löhne und andere Arbeitsbedingungen kollektiv in Form von Tarifverträgen aushandeln. Auf der kollektiven Ebene stehen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer als annähernd gleichgewichtige Parteien gegenüber, wodurch sich die Chancen auf ein ausgewogenes Verhandlungsergebnis erhöhen.302 Der Zusammenschluss kommt, wirtschaftlich betrachtet, einem Kartell gleich:303 Die einzelnen Arbeitnehmer stehen bei den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber nicht länger in einem Konkurrenzverhältnis untereinander und brauchen sich folglich nicht gegenseitig zu unterbieten. Koalitionen beschränken somit gezielt den Wettbewerb und tragen auf diese Weise zur Bildung einer ausgleichenden „Marktgegenmacht“ bei.304 Sie sind insofern marktkompensatorische Institutionen. 301 Zu den gesetzlichen Mindestlöhnen in bestimmten Branchen vgl. oben § 4 II. 2. c) aa) (1). 302 Zur Rolle der Koalitionen und der Vereinigungsfreiheit vgl. etwa BVerfGE 84, 212, 229: „Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.“ Siehe auch Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 18 ff. 303 Vgl. etwa Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, S. 333 ff.; Zöllner ZfA 1994, 423, 432 f.; Konzen ZfA 1991, 379, 390. 304 Zum Prinzip der „Gegenmacht“ bzw. der countervailing power grundlegend Galbraith, American Capitalism: The Concept of Countervailing Power.
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2. Teil: Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts
Damit der tarifvertraglich erzielte Interessenausgleich nicht auf individualvertraglicher Ebene gestört wird, unterliegt die (Individual-)Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht bestimmten Schranken. So dürfen tarifgebundene Parteien eines Einzelarbeitsvertrags vom Inhalt des Tarifvertrags nur dann abweichen, wenn der Tarifvertrag dies gestattet oder die Änderung für den Arbeitnehmer günstiger ist (§ 4 Abs. 3 TVG). Darüber hinaus ist die Vertragsfreiheit auch außerhalb des unmittelbaren Regelungsbereichs der Tarifverträge eingeschränkt. Der Arbeitgeber soll die Tarifvereinbarung (vor allem in Bezug auf den Lohn) nicht dadurch aushöhlen, dass er im tariflich nicht geregelten Bereich unangemessen belastende Arbeitsbedingungen im Einzelvertrag festschreibt. Aus diesem Grund sieht die Rechtsordnung eine Reihe von Schutzvorschriften zugunsten des Arbeitnehmers vor, die – wenn überhaupt – nur kollektivvertraglich abbedungen werden dürfen. Derartige zwingende Regeln gelten etwa für die Arbeitszeitgestaltung (§ 12 ArbZG), für Urlaubsansprüche (§ 13 BUrlG) oder für die Entgeltfortzahlung an gesetzlichen Feiertagen und im Krankheitsfall (§ 12 EFZG). Darüber hinaus unterliegen formularmäßige Klauseln in Individualarbeitsverträgen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB der AGB-Kontrolle und damit insbesondere auch einer Angemessenheitsüberprüfung am Maßstab des § 307 Abs. 1 und 2 BGB.305 cc) Ausbeutungsschutz durch zwingende Leistungsstandards ohne gleichzeitige Preiskontrolle? Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob zwingende Leistungsstandards ohne eine gleichzeitige Preiskontrolle die schwächere Vertragspartei vor Ausbeutung schützen können. In einem solchen Fall erscheint es nämlich möglich, dass die stärkere Partei die Kosten für das höhere vertragliche Schutzniveau über den Preis auf den schwächeren Gegner abwälzt. Das Beispiel der zwingenden Mängelhaftung im Verbrauchsgüterkauf nach § 475 BGB mag die Zusammenhänge veranschaulichen. Die Regelung sieht ohne Möglichkeit der vertraglichen Abbedingung vor, dass der Verkäufer eine mangelhafte Kaufsache auf eigene Kosten (§ 439 Abs. 2 BGB) reparieren oder austauschen muss. Da § 439 Abs. 2 BGB nur die Erhebung einer gesonderten Kostenforderung für die Durchführung der Nacherfüllung verbietet, ist der Verkäufer nicht daran gehindert, die Kosten einer möglichen Mängelhaftung in den Kaufpreis einzukalkulieren und so auf den Käufer umzulegen.306 In Anlehnung an die englischsprachige ökonomische Literatur spricht man in diesem Zusammenhang vom sog. passing-on-Effekt.307 305 Die AGB-Kontrolle erfüllt hier ausnahmsweise eine marktkompensatorische Funktion, vgl. hierzu auch unten § 5 III. 2. 306 Grigoleit, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 1822, 1824; ders. in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, S. 51, 62; Wagner ZEuP 2007, 180, 207 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 294. 307 Vgl. zum Begriff z. B. Craswell Stan. L. Rev. 43 (1991), 361.
§ 4 Marktkonstitutives und -kompensatorisches zwingendes Vertragsrecht
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Durch die Kostenabwälzung droht die beabsichtigte Begünstigung der schwächeren Partei wirtschaftlich neutralisiert zu werden: Zwar erhöht sich ihr materielles Schutzniveau, dafür jedoch auch die wirtschaftliche Belastung. Eine Umverteilung der Kooperationsrente findet unter diesen Bedingungen nicht statt. Doch damit nicht genug: Unter Umständen kann sich die Position bestimmter Verbraucher infolge des passing-on-Effekts sogar verschlechtern. Es mag nämlich einzelne Nachfrager geben, die überhaupt keinen Wert auf das höhere Schutzniveau legen. Für sie bedeuten die zwingenden Mängelrechte allein eine Verteuerung der Ware, die mit keinem zusätzlichen Nutzen verbunden ist. Unter diesen Bedingungen werden sich einige Käufer die Ware nicht mehr leisten wollen oder können. Sie werden folglich aus dem Markt „herausgepreist“. Vor dem beschriebenen Hintergrund ist der Zweck der zwingenden Verkäuferhaftung nicht in der Kontrolle der vertraglichen Äquivalenz zu suchen, sondern wohl eher in der Überwindung von Informationsasymmetrien und in der Verhinderung irrationaler Vertragsentscheidungen.308 Die zwingenden Regeln erfüllen dann eine marktkonstitutive und keine marktkompensatorische Funktion. Gleichwohl darf aus dem eben beschriebenen passing-on-Effekt nicht pauschal gefolgert werden, dass zwingende vertragliche Leistungsmerkmale ohne gleichzeitige Preiskontrolle in jedem Fall als verteilungspolitisches Instrument untauglich sind. Vielmehr ist ein differenziertes Urteil angebracht: Zwingende Leistungsstandards können unter bestimmten Voraussetzungen durchaus erwünschte Verteilungswirkungen erzielen. Im Einzelnen ist zwischen zwei Umverteilungsverhältnissen zu unterscheiden. Die distributiven Effekte können erstens zwischen den Parteien des Vertragsverhältnisses eintreten, nämlich dann, wenn die Kostenabwälzung aus ökonomischen Gründen nicht möglich ist [dazu sogleich (1)]. Zum anderen kann eine Umverteilung zwischen den Beteiligten verschiedener Vertragsverhältnisse stattfinden [sodann (2)]. (1) Verteilungseffekte innerhalb des Vertragsverhältnisses Nicht immer ist es der (vermeintlich) stärkeren Partei möglich, die Kosten der zwingenden Schutzregelungen über den Preis auf den Gegner abzuwälzen. Der passing-on-Effekt hängt nämlich vom Angebots- und Nachfrageverhalten der Marktakteure ab.309 Ausschlaggebend sind insofern vor allem die Präferenzen der marginalen Nachfrager. Das sind diejenigen Nachfrager, die sich bei einem 308
Dazu ausführlich unten § 6. Vgl. zu einer ausführlicheren ökonomischen Darstellung z. B. Kennedy Md. L. Rev 41 (1982), 563, 604 ff.; Crawell Stan. L. Rev. 43 (1991), 361 ff.; Ackerman Yale L. J. 80 (1971), 1093 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 295 ff.; vgl. zu den Grenzen des passing-on-Effekts auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1146. 309
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2. Teil: Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts
gegebenen Marktpreis ein Gut gerade noch leisten können und bei jeder noch so minimalen Preissteigerung den Markt verlassen würden. Misst diese Gruppe dem höheren vertraglichen Schutzniveau keinen nennenswerten Nutzen bei, wird es den Anbietern schwer fallen, eine Preiserhöhung durchzusetzen. Erhöhen sie nämlich den Preis, bricht die Nachfrage ein, weil die marginalen Nachfrager den Markt verlassen. Unter diesen Umständen mag es sich für die Anbieter lohnen, ihre erhöhten Kosten nicht weiterzureichen. Hiervon profitieren diejenigen Nachfrager, die anders als die marginalen Nachfrager das erhöhte Schutzniveau positiv bewerten. Ihr Nutzen steigert sich, ohne dass sich gleichzeitig die Preise erhöhen. Unter diesen Umständen findet eine Wohlstandsumverteilung von den Anbietern auf gewisse Nachfrager statt. Auch wenn also in bestimmten Konstellationen die gewünschte Umverteilungswirkung tatsächlich eintreten kann, bleiben doch erhebliche Zweifel, ob zwingende vertragliche Leistungsmerkmale eine sinnvolle regulatorische Maßnahme zum Schutz des Schwächeren sind. Dies hängt damit zusammen, dass sich die distributiven Effekte vom Gesetzgeber nicht mit hinreichender Präzision steuern lassen.310 Die Auswirkungen zwingender Standards variieren von Markt zu Markt, teilweise auch innerhalb desselben Markts von Region zu Region. Sie lassen sich im Voraus nicht mit Sicherheit voraussagen, da sie von Gegebenheiten wie der Angebots- und Nachfrageelastizität abhängen, die nur schwer empirisch ermittelbar sind. Um die gewünschte Umverteilung sicherzustellen und Zufallsergebnisse zu vermeiden, wären höchst aufwändige Datenerhebungen und Marktstudien erforderlich. Auf der Grundlage dieser Informationen müssten dann für den Geltungsbereich der zwingenden Regeln Differenzierungen nach Produktmärkten, Regionen etc. getroffen werden. Dies in die Praxis umzusetzen, wäre eine herkuleische Aufgabe. Das Resultat wären eine Regulierungsflut und immense administrative Kosten. Diese Schwierigkeiten belegen einmal mehr, dass das Zivilrecht für eine zielgerichtete Umverteilung wenig geeignet ist.311 Das Sozial- und das Steuerrecht sind die besseren Umverteilungsinstrumente, da sie in den tatbestandlichen Voraussetzungen wie auch in den Rechtsfolgen von vornherein auf die Erzielung der gewünschten Verteilungswirkung zugeschnitten sind. (2) Verteilungseffekte zwischen den Beteiligten unterschiedlicher Vertragsverhältnisse Zwingende Leistungsmerkmale können unter Umständen auch im Fall des passing-on-Effekts rechtspolitisch erwünschte Verteilungswirkungen zeitigen. Zur 310 Vgl. hierzu besonders illustrativ Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 296 ff. Das Problem verfehlter Verteilungswirkungen durch sozialschützende Normen des Privatrechts sieht auch von Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, S. 18 f. 311 Vgl. zu diesem Problem bereits oben § 4 II. 2. b).
§ 4 Marktkonstitutives und -kompensatorisches zwingendes Vertragsrecht
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Veranschaulichung sei noch einmal auf das Beispiel der zwingenden Mängelrechte im Verbrauchsgüterkauf verwiesen:312 Legt der Verkäufer die Kosten für die Mängelhaftung über den Kaufpreis auf alle Käufer um, kommt dies im wirtschaftlichen Ergebnis einer Versicherung zugunsten der Käufer gleich. Dies hat folgenden Hintergrund: Der Käufer hat bei Vertragsschluss typischerweise keinen Einfluss darüber, ob die gekaufte Sache frei von Mängeln ist. Er ist insoweit dem Zufall ausgeliefert. Gäbe es das Dispositionsverbot des § 475 Abs. 1 BGB nicht und könnte der Käufer auf seine Mängelrechte verzichten, ließe er sich auf ein Spiel mit ungewissem Ausgang ein. Der Käufer „verliert“, wenn sich die Sache als mangelhaft erweist. Dann kann er nämlich nicht vom Verkäufer Nacherfüllung auf dessen Kosten verlangen, sondern muss den mangelbedingten wirtschaftlichen Verlust in vollem Umfang selbst tragen. Hingegen „gewinnt“ er das Spiel, wenn sich das Mängelrisiko nicht realisiert. Der „Gewinn“ besteht darin, dass er die Sache zu einem niedrigeren Preis erwerben konnte: Da der Verkäufer von der Mängelhaftung freigestellt wird und er folglich nicht mit den damit verbundenen Kosten belastet ist, wird er die Ware in aller Regel billiger anbieten. Aufgrund der Vorschrift des § 475 Abs. 1 BGB ist das Mängelrisiko dem Verkäufer zwingend zugewiesen. Kalkuliert der Verkäufer die zu erwartenden Kosten aus Mängelfällen in den Verkaufspreis ein, wird im Ergebnis das Mängelrisiko auf die Gesamtheit der Käufer gestreut. Der distributive Effekt besteht darin, dass alle Käufer durch die Zahlung eines einheitlichen Preisaufschlags zu gleichen Teilen am Mängelrisiko partizipieren – die Käufer mangelfreier Sachen finanzieren die Mängelansprüche der Käufer mangelhafter Sachen mit. Die hier beschriebene Umverteilung weist im Vergleich zu den bisher erörterten marktkompensatorischen Regeln eine Besonderheit auf: Sie findet nicht zwischen den Parteien desselben Vertragsverhältnisses statt, sondern zwischen den Parteien unterschiedlicher Verträge: im vorstehenden Beispielsfall zwischen verschiedenen Gruppen von Käufern.313 Typischerweise treten derartige Verteilungswirkungen bei standardisierten Massenverträgen auf. Die große Zahl abgeschlossener Verträge erlaubt es dem Anbieter, etwaige Sonderbelastungen innerhalb einer Vertragsbeziehung nach den Regeln der Stochastik verlässlicher zu antizipieren und sie möglichst „breit“ zu streuen.314 Wie allerdings noch am Beispiel der zwingenden Mängelvorschriften im Verbrauchsgüterkauf zu sehen sein wird,315 ist keineswegs immer klar, ob die Umverteilung zwischen unterschiedlichen Gruppen von Käufern bzw. Verbrauchern 312
Oben § 4 II. 2. c) cc). Vgl. zu dieser Art von Umverteilung auch Wagner ZEuP 2007, 180, 208 ff.; krit. gegenüber diesem Ansatz Streissler, in: Bydlinski/Mayer-Maly (Hrsg.), Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, S. 131, 154. 314 Vgl. hierzu näher unten § 6 II. 315 Unten § 6. 313
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2. Teil: Die Funktionen des zwingenden Vertragsrechts
auch ein legitimes gesetzgeberisches Ziel ist und die Einschränkung der Vertragsfreiheit rechtfertigt. Zweifel an der Legitimität solcher Regelungen ergeben sich daraus, dass sie diejenigen Individuen belasten, die das betreffende Risiko besser als der durchschnittliche Kunde einschätzen oder vermeiden könnten und folglich nicht auf den gesetzlichen Schutz angewiesen sind. Aufgrund der Unabdingbarkeit der Schutzvorschriften werden diese Individuen in eine Risikogemeinschaft mit den schutzbedürftigen Kunden gezwungen. Eine derartige Maßnahme steht im Spannungsverhältnis zum Prinzip der Eigenverantwortung, das im Vertragsrecht eine zentrale Rolle spielt.316 Zwar ist der Rechtsordnung die Idee einer unfreiwilligen Solidargemeinschaft grundsätzlich nicht fremd, wie beispielsweise das System der gesetzlichen Sozialversicherungen beweist. Doch letztlich hängt die Legitimität der zwingenden „Versicherung“ von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen ab. Von maßgebender Bedeutung ist dabei regelmäßig die konkrete Art und Schwere des Risikos, um dessen Streuung es geht. 3. Zusammenfassung zum marktkompensatorischen zwingenden Vertragsrecht Marktkompensatorisches zwingendes Vertragsrecht setzt dem Wirkungsbereich des Marktes Grenzen. Es umfasst Kommerzialisierungsverbote sowie Mechanismen der Marktergebniskontrolle. Letztere sind darauf gerichtet, der (vermeintlich) wirtschaftlich schwächeren Partei einen bestimmten Mindestanteil am Kooperationsgewinn zu garantieren. Die Marktergebniskontrolle kann dabei zwei unterschiedliche Ziele verfolgen: erstens die Korrektur eines grob unausgewogenen Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung und zweitens eine Wohlstandsumverteilung zugunsten einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe unabhängig von einer Ausbeutung im konkreten Vertragsverhältnis. Die vertragliche Gestaltungsfreiheit der Parteien kann in Bezug auf verschiedene Transaktionsvariablen eingeschränkt sein. Die direkteste Form, auf das vertragliche Äquivalenzverhältnis Einfluss zu nehmen, ist die Regulierung des Preises. Zusätzlich kann die Kontrolle sonstiger Leistungsmerkmale und vertraglicher Nebenbedingungen erforderlich sein, um Ausweichstrategien der wirtschaftlich stärkeren Partei zu verhindern. Hingegen sind zwingende Leistungsmerkmale ohne eine gleichzeitige Entgeltkontrolle für die Erreichung distributiver Zwecke meist ungeeignet: Der „starke“ Partner kann nämlich die Kosten für die zwingenden Schutzregelungen über den Preis auf den schwächeren Gegner abwälzen, wodurch die angestrebte Begünstigung in wirtschaftlicher Hinsicht vereitelt wird. Jedoch können sich bei Massengeschäften aus der Kostenabwälzung Umverteilungen im Verhältnis zwischen den Parteien unterschiedlicher Vertragsverhältnisse ergeben.
316
Näher zum Prinzip der Eigenverantwortung unten § 6 I. 3.
Dritter Teil
Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts § 5 Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen sind dem Juristen suspekt. Dies kommt nicht von ungefähr: Wenn AGB den Gegenstand gesetzgeberischer Maßnahmen oder gerichtlicher Entscheidungen bilden, erscheinen sie meist in ungünstigem Licht. Es ist dann vom „Kleingedruckten“ die Rede, durch das der Verwender die Vertragsfreiheit „einseitig“ oder „in missbräuchlicher Weise“ in Anspruch nehme, um den „schwächeren“ Gegner zu übervorteilen.1 Leicht könnte angesichts dieser Formulierungen der Eindruck entstehen, AGB seien von vornherein unbillig und anstößig. Diese Wahrnehmung ist allerdings verzerrt. Aus volkswirtschaftlicher Sicht bieten vorformulierte standardisierte Vertragsklauseln erhebliche Vorteile: Sie rationalisieren und vereinfachen die Geschäftsabwicklung und tragen so zur Verringerung der Transaktionskosten bei. In dieser Rolle sind sie die vertragsrechtliche Begleiterscheinung zur Massenproduktion und zum Massenvertrieb standardisierter Güter und Leistungen in einer modernen Industriegesellschaft.2 AGB stellen eine „fertig bereitliegende Rechtsordnung“ 3 dar, die es den Parteien erspart, individuelle Regelungen zu allen möglichen Fragen auszuhandeln, die während der Vertragsdurchführung zwischen ihnen aufkommen können. Es trifft zwar zu, dass den Parteien mit dem dispositiven Gesetzesrecht eine staatlich geschaffene Regelungsvorlage zur Verfügung steht, die eine vergleich1 Vgl. etwa auf deutscher Ebene die Gesetzesbegründung zum AGB-Gesetz BTDrucks. 7/3919, S. 9, 10; auf europäischer Ebene s. die Erwägungsgründe 4, 6 und 9 zur Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. 1993 L 95/29. Vgl. zur Rspr. z. B. BGHZ 126, 326, 332 („Maßgebend ist [. . .] der Schutzzweck des AGB-Gesetzes, die einseitige Ausnutzung der Vertragsgestaltungsfreiheit durch eine Vertragspartei zu verhindern“); ähnlich EuGH 27.6.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98 (Océano Grupo), Slg. 2000, I-4941, Rn. 25. 2 Dies erkennt auch der Gesetzgeber des AGB-Gesetzes an, s. BT-Drucks. 7/3919, S. 9. Zu diesem Aspekt s. auch Kessler Colum. L. Rev. 43 (1943), 629, 631; Katz in: Newman (Hg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law, Bd. 3, S. 502; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, S. 210. 3 So RG DR 1941, 1210, 1212.
146 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
bare Entlastungsfunktion erfüllt.4 Doch liegt der Nachteil des Dispositivrechts darin, dass es verhältnismäßig wenige Vertragstypen regelt, einen hohen Abstraktionsgrad aufweist und dadurch nicht immer den besonderen Anforderungen bestimmter Transaktionen Rechnung zu tragen vermag.5 Die Wirtschaft hat somit ein Bedürfnis nach einem „selbstgeschaffenen Recht“ 6 in Form von AGB. Die Verwendung von AGB bringt insbesondere solchen Parteien eine enorme Erleichterung, die Verträge über Vertreter abschließen. Ohne standardisierte Vertragsbedingungen müssten die Vertreter im Einzelnen instruiert werden, wie weit ihre Vertretungsmacht reicht, d.h. welchen Vertragsangeboten sie zustimmen dürfen und welchen nicht; zusätzlich wären Überwachungsmaßnahmen erforderlich, die sicherstellen, dass die erteilten Weisungen auch eingehalten werden. Mit Festlegung eines nicht verhandelbaren vertraglichen Standardinhalts mindert sich der Organisationsaufwand des Unternehmers beträchtlich: Der Entscheidungsspielraum der eingesetzten Vertreter reduziert sich auf Null, die Notwendigkeit der Instruktion und Überwachung des Personals entfällt. Von den niedrigeren Organisationskosten profitiert letztlich auch der Kunde in Form günstigerer Preise. Mit Verweis auf die wirtschaftlichen Vorteile, die AGB bieten, wird vereinzelt argumentiert, dass ein Sonderregime zu ihrer Regulierung gar nicht nötig sei.7 Vorformulierte Standardklauseln wirkten sich für beide Parteien positiv aus. Die Sorge, der Verwender gestalte den Inhalt der Klauseln einseitig zu seinem Vorteil aus und belaste dadurch den Gegner in unzumutbarer Weise, sei jedenfalls in einer Wettbewerbswirtschaft unbegründet. Der Konkurrenzdruck übe nämlich disziplinierende Wirkung aus: Missachteten die Klauselverwender die Interessen der Kunden, würden diese zu anderen Anbietern mit günstigeren Vertragsbedingungen abwandern. Nach dieser Auffassung gehören Vertragsbestimmungen in AGB zu den Transaktionsvariablen, die – wie beispielsweise der Preis oder die Qualität des angebotenen Gutes – am Konditionenwettbewerb des Marktes teilnehmen. Der Markt sorge automatisch für einen – unter Effizienzgesichtspunkten – optimalen Ausgleich zwischen Verwender- und Kundeninteressen.8 Sei der Inhalt einer Klausel für den Kunden ungünstig, beispielsweise weil der Verwender darin seine Haftung ausschließe oder in sonstiger Weise Risiken auf den Kunden 4 Vgl. schon oben § 2 II. 3. Vgl. auch Köhler, BGB AT, § 3 Rn. 24. Zur „funktionalen Äquivalenz“ von AGB und dispositivem Gesetzesrecht s. auch Bachmann, Private Ordnung, S. 122. 5 Leuschner AcP 207 (2007), 491, 504; MünchKommBGB/Basedow Vor § 305 Rn. 2; s. auch BT-Drucks. 7/3919, S. 9. 6 So die berühmte Charakterisierung von Großmann-Doerth in seiner Freiburger Antrittsvorlesung „Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht“. 7 Grunsky BB 1971, 1113, 1116; Posner, Economic Analysis of Law, § 4.8 (S. 115 f.). 8 Zur Argumentation im Einzelnen vgl. Cruz/Hinck Hastings L. J. 47 (1996), 935, 938; E. Posner Journal of Legal Studies 24 (1995), 283, 284.
§ 5 Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
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abwälzt, dann habe dies seine Berechtigung: Der Kunde sei dann im Einzelfall der „bessere“ Risikoträger, also derjenige, der mit geringerem Aufwand die Verwirklichung des Risikos abwenden bzw. sich dagegen versichern könne (cheapest cost avoider bzw. insurer).9 Würde man in seiner solchen Konstellation die fragliche Klausel verbieten und dem Anbieter das betreffende Risiko zwingend zuweisen, stünde der Kunde im wirtschaftlichen Ergebnis schlechter: Der Risikozuschlag, den der Anbieter zum Ausgleich seiner Mehrbelastung auf den Preis erheben müsste, fiele höher aus als die Kosten, die auf den Kunden zukommen, wenn er selbst das Risiko trägt. Aus diesen Überlegungen wird folgender Schluss gezogen: Den besten Schutz gegen missbräuchliche Klauseln bieten allein deregulierende Maßnahmen, die den Leistungswettbewerb fördern, und nicht der regulatorische Eingriff in die Vertragsfreiheit mittels einer Klauselkontrolle. Ein Blick auf die wirtschaftliche Realität zeigt indessen, dass das Vertrauen in die Selbstregulierung des Marktes weitgehend unbegründet ist. Ein positiver Leistungswettbewerb, der Unternehmen zur Verwendung kundenfreundlicher Vertragsbestimmungen in AGB veranlasst, findet offensichtlich nicht statt. Vielmehr ist zu beobachten, dass die Verwender den Inhalt der Klauseln einseitig diktieren und die Gegner sich den Bestimmungen widerspruchslos unterwerfen. Vor diesem Hintergrund sind korrigierende Markteingriffe unverzichtbar, um unangemessene Härten für die Kunden abzuwenden. Im Folgenden sollen zunächst die Ursachen für das Marktversagen ermittelt werden, das die Regulierung von AGB erforderlich macht (sogleich I.). Sodann gilt der Blick dem Recht der AGB-Kontrolle in den §§ 305 ff. BGB und seinen Regelungsansätzen (II.). Nach einem kurzen Zwischenresümee (III.) ist abschließend zu untersuchen, wie sich die gewonnenen Erkenntnisse für die Lösung konkreter Anwendungsfragen im Rahmen des AGB-Rechts fruchtbar machen lassen (zuletzt IV.).
I. Ursachen für die gestörte Richtigkeitsgewähr bei der Verwendung von AGB Der Gesetzgeber, die Rechtsprechung und das rechtswissenschaftliche Schrifttum bieten unterschiedliche Erklärungen dafür, warum der Inhalt von AGB häufig einseitig zulasten der Kunden ausgestaltet ist. Die Ursache des Missbrauchsproblems ist nicht lediglich von theoretischem Interesse. Sie ist auch für die Frage maßgebend, unter welchen Voraussetzungen, in welchem Umfang und mit welchen regulatorischen Mitteln ein Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des AGBVerwenders geboten ist.
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Siehe hierzu auch unten § 5 II. 2. c) aa) (2) (b) und § 6 I. 1. a).
148 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
1. Wirtschaftliches Machtgefälle a) Begründungsansatz Der einseitige Inhalt vorformulierter Vertragsbedingungen wird zum Teil darauf zurückgeführt, dass der Klauselverwender gegenüber dem Kunden eine wirtschaftliche Machtposition ausnutze.10 Er könne die Vertragsbedingungen diktieren, ohne die Abwanderung des Gegners zur Konkurrenz befürchten zu müssen. Die Verhandlungsmacht beruhe regelmäßig auf einer faktischen Monopolstellung bzw. auf der Tatsache, dass auch die Konkurrenz die gleichen kundenfeindlichen Klauseln verwende.11 Diese Sichtweise prägte insbesondere die Rechtsprechung des Reichsgerichts, das im späten 19. Jahrhundert dazu übergegangen war, den Inhalt vorformulierter Klauseln am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB zu prüfen. Nach der sog. Monopolrechtsprechung setzte die Sittenwidrigkeit einer Bestimmung in AGB allerdings stets voraus, dass der Verwender eine Monopolstellung innehatte. Nur unter dieser Bedingung war die Störung der Privatautonomie in den Augen der Gerichte hinreichend schwer, um Eingriffe in die Vertragsfreiheit zu rechtfertigen: „Wo der einzelne ein ihm tatsächlich zustehendes Monopol oder den Ausschluss einer Konkurrenzmöglichkeit dazu missbraucht, dem allgemeinen Verkehr unbillige und unverhältnismäßige Bedingungen vorzuschreiben, da können dieselben rechtliche Anerkennung nicht finden.“ 12
Auch in der rechtspolitischen Diskussion um die Notwendigkeit einer strengeren Regulierung von AGB sah man bis in die Nachkriegszeit hinein die Gefahren vorformulierter Vertragsbedingungen vornehmlich dort, wo sie von Monopolisten bzw. Unternehmensverbänden verwendet wurden.13 Inzwischen setzt die Kon-
10 Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 12 f.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 14 ff.; Niedenführ, Informationsgebote des AGB-Gesetzes, S. 15 ff.; aus jüngerer Zeit Bydlinski AcP 204 (2004), 309, 366; vgl. auch den 9. Erwägungsgrund der europäischen Klauselrichtlinie, der vom „Machtmissbrauch“ der Klauselverwender spricht; hierzu Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 259. 11 So etwa Kessler Colum. L. Rev. 43 (1943), 629, 632. 12 RGZ 62, 224, 229; s. auch RGZ 20, 115, 117; RGZ 79, 224, 229. Vgl. zur Monopolrechtsprechung auch Raiser, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 303 ff.; Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 290 ff. m.w. N. 13 Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht, S. 12; Böhm, Ordnung der Wirtschaft, S. 158; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 51 f.; Biedenkopf, FS Böhm, S. 113, 122 ff.; besonders drastisch Kessler Colum. L. Rev. 43 (1943), 629, 640: „Standard contracts in particular could thus become effective instruments in the hands of powerful industrial and commercial overlords enabling them to impose a new feudal order of their own making upon a vast host of vassals.“ Krit. zur Monopolrechtsprechung schon damals Raiser, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 283 ff.
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trolle von AGB nicht mehr den Nachweis einer wirtschaftlichen Machtstellung des Verwenders voraus. Gleichwohl findet die Theorie vom wirtschaftlichen Machtgefälle als Ursache des AGB-Problems nach wie vor breite Gefolgschaft.14 Insbesondere die Rechtsprechung verweist immer wieder darauf, dass der Schutz des Verwendungsgegners deswegen geboten sei, weil dieser sich in einer „schwächeren Verhandlungsposition“ befinde.15 b) Bewertung und Kritik Die These der wirtschaftlichen Überlegenheit des Klauselverwenders sieht sich zwei Einwänden ausgesetzt. Erstens beschränkt sich das Phänomen missbräuchlicher AGB keineswegs auf Monopole oder Oligopole, sondern ist auch auf Märkten mit einem wirksamen Wettbewerb zu beobachten. Sogar dort, wo die Verwender auf das Geschäft stärker angewiesen sind als die Kunden, letztere also über die größere Marktmacht verfügen, kommen AGB unangemessenen Inhalts vor.16 Dass sich die Klauselverwender auf solchen Märkten keinen Wettbewerb um die kundenfreundlichsten AGB liefern, ist in aller Regel nicht mit einem Konditionenkartell der Anbieter zu erklären.17 Insbesondere bei atomistischen Marktstrukturen mit einer Vielzahl von Anbietern ist es wenig wahrscheinlich, dass die Klauselverwender ihr Verhalten auf effektive Weise koordinieren können. Die Präsenz kundenfeindlicher Klauselwerke auf Märkten mit funktionsfähigen Wettbewerbsbedingungen belegt, dass der Missbrauch von AGB seine Ursache nicht in einem Machtgefälle zwischen den Vertragsparteien hat. Folgerichtig hat der BGH in einer jüngeren Entscheidung ausdrücklich betont, dass die Klauselkontrolle – im konkreten Fall ging es um die Transparenzkontrolle gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB – auch zugunsten eines Unternehmers gilt, der „eine be-
14 Vgl. auch Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 552, der darauf hinweist, aus dem Verzicht auf den Nachweis eines konkreten Ungleichgewichts folge nicht, dass der Schutzgrund für die Inhaltskontrolle nicht länger im Ungleichgewicht zwischen den Parteien gesehen werden dürfe. Es sei ebenso gut denkbar, dass der Gesetzgeber bei Verwendung von AGB typischerweise von einer Ungleichgewichtslage ausgehe und deswegen aus Vereinfachungsgründen auf den Nachweis verzichte. 15 So ausdrücklich EuGH 27.6.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98 (Océano Grupo), Slg. 2000, I-4941, Rn. 25; ähnlich EuGH 26.10.2006, Rs. C-168/05 (Mostaza Claro), Slg. 2006, I-10421, Rn. 36; EuGH 3.6.2010, Rs. C-484/08 (Caja de Ahorros), Slg. 2010, I-4785, Rn. 27; vgl. auch BGH NJW 2008, 2250, 2253, wonach AGB-Klauseln „ihrer Typik nach [. . .] das Ergebnis der Durchsetzung der größeren wirtschaftlichen Stärke“ des Verwenders sind. 16 Schillig E. L. Rev. 33 (2008), 336, 339; Franck, Europäisches Absatzrecht, S. 159; Grundmann AcP 202 (2002), 40, 55. Beispiele für derartige Anbieter sind etwa Autohändler, Fitnessstudios oder Einrichtungshäuser. 17 Von der These eines Konditionenkartells ging wohl der Supreme Court von New Jersey in seiner berühmten Entscheidung Henningsen v. Bloomfield Motors, 32 N.J. 358, 390 f. (N.J. 1960) aus.
150 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
deutende Marktstellung innehat, auf Grund derer er von vornherein hätte versuchen können, andere Vertragsbedingungen auszuhandeln.“ 18 Darüber hinaus lehrt die ökonomische Theorie, dass es nicht im Interesse eines marktstarken Anbieters ist, seine Abnehmer mithilfe benachteiligender Geschäftsbedingungen zu übervorteilen. Ein marktstarkes Unternehmen maximiert seinen Gewinn vielmehr dadurch, dass es in Bezug auf alle Transaktionsvariablen mit Ausnahme des Preises den Präferenzen der Kunden entgegenkommt. Auf diese Weise nimmt der Reservationspreis19 der Kunden zu. Aus der höheren Zahlungsbereitschaft der Abnehmer kann dann das Unternehmen Kapital schlagen, indem es kraft seiner Machtposition den Preis anhebt.20 Das folgende Beispiel mag die Zusammenhänge näher verdeutlichen: Legt der Kunde Wert auf eine bestimmte vertragliche Nebenbedingung – etwa eine Garantie oder eine sonstige für ihn günstige Regelung – und sind die damit verbundenen Kosten für den Anbieter niedriger als der Nutzen für den Kunden, steigert der Anbieter seinen Profit, wenn er die gewünschte Regelung im Vertrag aufnimmt und gleichzeitig den Preis an die nun höhere Zahlungsbereitschaft des Kunden anpasst.21 Sind hingegen die Kosten für die kundengünstige Klausel höher als der Nutzen für den Abnehmer, hat letzterer – wie bereits gesehen – ohnehin kein Interesse an die Einbeziehung der Klausel in den Vertrag, da ihm der vom Verwender geforderte Preisaufschlag zur Deckung der Mehrkosten zu hoch ausfällt. Somit liegt die Gefahr eines Machtgefälles aus ökonomischer Sicht allein in überhöhten Preisen und gerade nicht in unangemessenen vertraglichen Nebenbedingungen. Vor diesem Hintergrund müsste die regulatorische Reaktion zum Schutz des schwächeren Partners an sich eine Preiskontrolle sein. Das AGBRecht beschreitet indessen den genau entgegengesetzten Weg:22 Es nimmt den Preis und allgemein das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung von der Inhaltskontrolle aus und beschränkt die Gestaltungsfreiheit des Verwenders nur im 18
BGH NJW 2012, 54, 56. Zum Reservationspreis oben § 2 I. 2. a) aa). 20 Korobkin U. Chi. L. Rev. 70 (2003), 1203, 1211 f.; Hatzis, in: Collins (Hrsg.), Standard Contract Terms in Europe: A Basis for and a Challenge to European Contract Law, S. 43, 53; Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 365; Schwartz Yale L. J. 97 (1988) 353, 373. 21 Vgl. grundlegend zum Verhalten eines Monopolisten im Hinblick auf die unterschiedlichen Transaktionsvariablen Spence Bell J. Econ. 6 (1975), 417 ff.; vgl. auch Katz, in: Newman (Hg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law, Bd. 3, 502. – Das Verhalten des Monopolisten kann allerdings von dem hier beschriebenen abweichen, wenn die Kundenpräferenzen nicht homogen sind, s. dazu näher Spence Bell J. Econ. 6 (1975), 417. 22 Darauf weisen zu Recht Leuschner AcP 207 (2007), 491, 495, und Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 550 f., hin. 19
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Hinblick auf vertragliche Nebenabreden.23 Sollte es dem Gesetzgeber im Rahmen der §§ 305 ff. BGB tatsächlich um den Schutz vor den Folgen ungleich verteilter Macht gehen, so legen die ökonomischen Erkenntnisse demnach den Schluss nahe, dass die gesetzlichen Regelungen zur Erreichung des avisierten Normziels ungeeignet sind. Ein Zusammenhang zwischen Marktmacht und unangemessenen AGB kann allerdings auf Märkten gegeben sein, die der Preisregulierung unterliegen. Hat die starke Partei keine Möglichkeit, den Gegner über den Preis auszubeuten, kann sie versuchen, über sonstige Leistungsmerkmale einen größeren Anteil der Kooperationsrente auf sich umzuverteilen:24 beispielsweise indem sie an der Qualität der angebotenen Leistung spart oder eben indem sie die vertraglichen Nebenbedingungen einseitig zu ihren Gunsten ausgestaltet. In derartigen Konstellationen dient die Kontrolle von AGB tatsächlich der Kompensation eines Machtungleichgewichts, doch wegen des Ausnahmecharakters der Preisregulierung spielen diese Anwendungsfälle lediglich eine Nebenrolle.25 2. Intellektuelle Überlegenheit des Verwenders a) Begründungsansatz Der Missbrauch von AGB wird mitunter auch auf einen intellektuellen Vorsprung des Verwenders gegenüber dem Vertragsgegner zurückgeführt.26 Typischerweise verfüge der Verwender – zumindest im Hinblick auf die abzuschließende Transaktion – über die größere Geschäftserfahrung; er könne die Risiken und Eventualitäten der Vertragsdurchführung besser einschätzen und sei mit den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen besser vertraut. Demgegenüber könne der Kunde die Bedeutung und Tragweite der einzubeziehenden Klauseln schlechter beurteilen und unterwerfe sich aufgrund seiner Unerfahrenheit widerspruchslos den Vertragsbedingungen. Diese Charakterisierung trifft vor allem auf die Verwendung von AGB im Verhältnis zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher zu. Die Theorie vom intellektuellen Gefälle zwischen den Vertragsparteien rechtfertigt die AGB-Kontrolle in erster Linie im B2C-Bereich, wie sie beispielsweise von der europäischen Klauselrichtlinie vorgesehen wird, die in ihrem Anwendungsbereich auf Verbrauchergeschäfte beschränkt ist. 23
Zur Kontrollfreiheit der Preisabrede s. ausführlicher unten § 5 IV. 3. Vgl. allgemein zu Strategien zur Umgehung der Preiskontrolle oben § 4 II. 2. c) bb). 25 Näher zur AGB-Kontrolle als Schutzinstrument in Ungleichgewichtslagen unten § 5 III. 2. 26 Vgl. etwa BGHZ 178, 1, 9; Bork, BGB AT, Rn. 1744; Köhler, BGB AT, § 16 Rn. 1; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 12 f.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 15. 24
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b) Bewertung und Kritik Es trifft zwar zu, dass viele Kunden als kaufmännische bzw. juristische Laien die Bedeutung der angenommenen Vertragsbedingungen nicht erfassen. Gleichwohl ist fraglich, ob intellektuelle Defizite der primäre Grund für die verbreitete Verwendung kundenfeindlicher AGB sind. Missbräuchliche Klauselwerke kommen auch im rein unternehmerischen Verkehr vor, wie zahlreiche gerichtliche Entscheidungen auf diesem Gebiet belegen. Daneben sind in der Praxis Klauseln vorzufinden, deren Sinn sich auch Personen mit geringer Geschäftserfahrung ohne weiteres erschließt, wie zum Beispiel Haftungsausschlüsse für Körper- oder Gesundheitsverletzungen. Ähnlich wie die Theorie vom wirtschaftlichen Ungleichgewicht bietet die These vom intellektuellen Vorsprung des Klauselverwenders damit den Nachteil, dass sie weite Teile der §§ 305 ff. BGB nicht zu rechtfertigen vermag. Insbesondere liefert sie keine Begründung für die Kontrolle von Verträgen zwischen Unternehmern27 sowie von leicht verständlichen Bestimmungen. 3. Fehlendes Aushandeln der Klauselinhalts a) Begründungsansatz Ein dritter Begründungsansatz führt die Unausgewogenheit vertraglicher Standardklauseln darauf zurück, dass sie nicht bilateral ausgehandelt, sondern einseitig diktiert werden.28 Der Inhalt des Klauselwerks stehe von vornherein nicht zur Disposition des Gegners. Dieser habe lediglich die Wahl zwischen Annahme und Ablehnung („take it or leave it“). Wie bereits erwähnt,29 werden standardisierte Massenverträge auf Verwenderseite typischerweise durch Vertreter abgeschlossen, die zu einer Abweichung von den vorformulierten Bedingungen nicht berechtigt sind. Die Theorie beruht nun auf dem Gedanken, dass der Aushandlungsprozess ein Verfahren ist, das am Ende einen „gerechten“ Vertragsinhalt gewährleistet. Die widerstreitenden Interessen werden in einen fairen Ausgleich ge27 Vom Standpunkt dieser Auffassung ist es also durchaus konsequent, dass Generalanwalt Mischo im Verfahren Cape vor dem EuGH die Anwendbarkeit der europäischen Klauselrichtlinie zugunsten von Unternehmen u. a. mit dem Argument ablehnte, diese befänden sich gegenüber dem Klauselverwender regelmäßig nicht in einer „schwächeren Position“, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 14.6.2001 in den verb. Rs. C-541/99 und C-542/99 (Cape), Slg. 2001, I-9049, Rn. 16. 28 So etwa die Begründung zum Regierungsentwurf des AGB-Gesetzes BT-Drucks. 7/3919, S. 9 f. und 15 f.; vgl. auch BGH NJW 2010, 1131, 1132: „Als wesentliches Charakteristikum von AGB hat der Gesetzgeber vielmehr die Einseitigkeit ihrer Auferlegung und den Umstand gesehen, dass der andere Vertragsteil, der mit einer solchen Regelung konfrontiert wird, auf ihre Ausgestaltung gewöhnlich keinen Einfluss nehmen kann.“ Ebenso in der Lit. Schmidt-Salzer, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 4 f., 7 f.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich; S. 15, vgl. auch Kessler Colum. L. Rev. 43 (1943), 629, 632. 29 Oben § 5 am Anfang.
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bracht, indem beide Seiten zum gegenseitigen Nachgeben gezwungen sind, um eine Einigung zu erzielen. Werden nun Vertragsbedingungen einseitig gestellt, ohne dass eine Verhandlungsmöglichkeit besteht, wird der Mechanismus des Interessenausgleichs gar nicht in Gang gesetzt. Diese Überlegungen klingen in § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB an, der bei Verbraucherverträgen die AGB-Kontrolle partiell auch für Klauseln öffnet, die nur zur einmaligen Verwendung formuliert wurden, „soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte.“ 30 Ähnlich heißt es in Art. 3 Abs. 2 der Klauselrichtlinie: „Eine Vertragsklausel ist immer dann als nicht im Einzelnen ausgehandelt zu betrachten, wenn sie im Voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb [. . .] keinen Einfluss auf ihren Inhalt nehmen konnte.“ 31 In beiden Fällen geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Umstände des Vertragsschlusses, namentlich die einseitige Vorformulierung durch den Verwender, für die fehlende Einflussnahmemöglichkeit des Gegners verantwortlich sind. b) Bewertung und Kritik Das fehlende Aushandeln ist keine plausible Erklärung für den einseitigen Inhalt von AGB-Bestimmungen. Die Auffassung verkennt, dass in einer Wettbewerbswirtschaft die Wahl zwischen „take it“ und „leave it“ keineswegs die Einflussnahme des Kunden auf den Transaktionsinhalt unmöglich macht. Vielmehr hat der Kunde mit der Alternative des „leave it“ regelmäßig ein sehr wirkungsvolles Druckmittel in der Hand, um die Berücksichtigung seiner Interessen zu erzwingen. Will der Anbieter die Abwanderung der Kunden zur Konkurrenz verhindern, muss er um ihre Gunst buhlen und ihren Präferenzen entgegenkommen.32 Dass der Abnehmer bei der Formulierung der Vertragsbedingungen nicht unmittelbar mitwirkt, benachteiligt ihn ebensowenig wie die Tatsache, dass er beim Kauf standardisierter Fertigprodukte nicht in den Herstellungsvorgang eingebunden wird. Ein Bäcker verhandelt beispielsweise ebenfalls nicht mit seinen Kunden über die Zutaten oder die Backzeit seiner Brötchen. Trotzdem muss er sich bemühen, den Geschmack seiner Abnehmer zu treffen, da diese sonst die Erzeugnisse einer anderen Bäckerei vorziehen.33 Die Vorstellung, dass nur ein Punkt für Punkt individuell ausgehandelter Vertrag ausgewogen sein kann und jede Abweichung von diesem „Verhandlungsideal“ eine Inhaltskontrolle rechtfertigt, lässt der Vertragsfreiheit in einer moder30
Hervorhebung nicht im Original. Hervorhebung nicht im Original. 32 Angesprochen ist hier wiederum die Disziplinierungs- bzw. Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs, s. dazu bereits oben § 2 I. 4. a) bb). 33 Zum Brötchen-Beispiel s. Adams BB 1989, 781, 783; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 514. 31
154 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
nen Marktwirtschaft wenig Raum.34 Die Gegner dieser Auffassung haben sie bisweilen als „Bazar-Theorie“ verspottet,35 da sie ein Vertragsschlussmodell zum Leitbild erhebe, das an der wirtschaftlichen Realität vollkommen vorbei gehe. Zudem müsste sie – konsequent zu Ende gedacht – auch für eine Kontrolle des Preises eintreten, da dieser im wirtschaftlichen Massenverkehr ebenfalls nicht zur Disposition des Nachfragers steht. Wie bereits erwähnt und wie noch im Einzelnen näher zu sehen sein wird,36 sind allerdings weder der Preis noch sonstige essentialia negotii der richterlichen Angemessenheitskontrolle nach § 307 BGB zugänglich. 4. Informations- und Motivationsgefälle Die Theorie vom fehlenden Aushandeln kann zwar keine überzeugende Erklärung für die Notwendigkeit der AGB-Kontrolle liefern. Der Ausgangspunkt der Analyse war jedoch insofern richtig, als die Ursache für die inhaltliche Unangemessenheit von AGB-Klauseln in den Modalitäten des Vertragsschlusses gesucht wurde und nicht in besonderen Eigenschaften der Vertragsparteien wie beispielsweise ihrer Marktmacht oder intellektuellen Kapazität. Ebenfalls an die Umstände des Vertragsschlusses knüpft ein jüngerer Begründungsansatz an, der seine Wurzeln in der ökonomischen Analyse hat und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum zunehmend Beachtung findet. Nach dieser Auffassung ist bei der Verwendung von AGB die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ durch ein strukturelles Informations- und Motivationsgefälle zwischen den Parteien bei Vertragsschluss gestört.37 34 Krit. auch Zöllner AcP 176 (1976), 221, 239 f. und 246, der die Gefahr einer „Kontrollhektik“ sieht; Coester-Waltjen AcP 190 (1990), 1, 21. 35 Adams BB 1989, 781, 783; Canaris, FS Steindorff, 519, 548, wonach das Modell des vollständigen Aushandelns „eine ridiküle Chimäre dar[stellt], die für einen Basar passt, aber nicht für eine moderne Markt- und Wettbewerbswirtschaft“; Medicus JuS 1996, 761, 764. 36 Unten § 5 IV. 3. 37 Siehe zu diesem Ansatz Adams, in: Neumann (Hrsg.), Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte, S. 655 ff.; ders. BB 1989, 781; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 329 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 513 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 83 ff.; Köndgen NJW 1989, 943, 946 f.; Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 70; Kötz JuS 2003, 209; Koller, FS Steindorff, S. 667, 668 f.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 31 ff.; Wagner ZEuP 2007, 180, 197 f.; Jansen ZEuP 2010, 69, 84; Oetker AcP 212 (2012), 202, 218; Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung, S. 63 ff.; Larenz/Neuner, BGB AT, § 47 Rn. 4; Schillig E. L. Rev. 33 (2008), 336, 340 ff.; Habersack/Schürnbrand, FS Canaris, Bd. I, S. 359, 376; von Wangenheim/ Rückebeil, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 480, 485 ff.; MünchKommBGB/Basedow Vor § 305 Rn. 4 ff.; Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Vorb v § 307 Rn. 31 ff.; Faust, BGB AT, § 15 Rn. 8 (S. 104); Korobkin U. Chi. L. Rev. 70 (2003), 1203; Hatzis, in: Collins (Hrsg.), Standard Contract Terms in Europe: A Basis for and a Challenge to European Contract Law, S. 43, 45 ff.
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a) Ungleiche Verteilung der Transaktionskosten zwischen den Vertragsparteien Das Vertragsversagen hat seinen Ursprung in der ungleichen Verteilung der Transaktionskosten zwischen den Vertragsparteien. Für den Verwender der AGB rentiert es sich regelmäßig, einen Katalog vertraglicher Regelungen aufzustellen, die zu seinen Gunsten vom dispositiven Gesetzesrecht abweichen. Die damit verbundenen Vorteile überwiegen die Kosten. Genau umgekehrt verhält es sich hingegen beim Verwendungsgegner. Für ihn würde es einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, wenn er versuchte, in allen Vertragspunkten die ihm günstigste Regelung zu erreichen. Die Diskrepanz ist darauf zurückzuführen, dass der AGB-Verwender positive Skaleneffekte ausnutzen kann. Er fasst einmalig einen Katalog von Vertragsbedingungen ab, den er dann ohne nennenswerten zusätzlichen Aufwand einer Vielzahl von Transaktionen zugrunde legen kann. Die Kosten für die Aufstellung des Klauselwerks verteilen sich somit auf mehrere Geschäfte. Folglich können auch dann, wenn der Nutzen aus den AGB im einzelnen Vertrag sehr klein ausfällt, in der Summe doch solche Vorteile für den Verwender entstehen, dass sie den Aufwand der Aufstellung überwiegen. Dies trifft insbesondere auf Klauseln zu, die die Verteilung bestimmter Vertragsrisiken betreffen. Die Wahrscheinlichkeit der Risikoverwirklichung mag mit Blick auf die einzelne Transaktion so gering sein, dass die risikobelastete Partei keinen Anlass dazu sehen mag, die Gefahr auf den Gegner abzuwälzen. Wird jedoch das gleiche Geschäft in größerer Zahl, unter Umständen sogar massenweise, abgeschlossen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich das fragliche Risiko in irgendeiner der Transaktionen verwirklicht.38 Unter diesen Voraussetzungen kann es sich nun lohnen, eine risikoverschiebende Standardklausel in den Vertrag aufzunehmen. Der Kunde kann hingegen typischerweise nicht von vergleichbaren Größenvorteilen profitieren. Er schließt das fragliche Geschäft nicht in der gleichen Regelmäßigkeit und Häufigkeit ab wie der AGB-Verwender. In vielen Fällen wird er bei Vertragsschluss noch gar nicht wissen, ob er die gleiche Transaktion überhaupt noch einmal eingehen wird. Unter diesen Umständen ist es für ihn sinnlos, Zeit und Mühe zu investieren, um sich mit dem Inhalt des „Kleingedruckten“ vertraut zu machen. Stattdessen konzentriert er sich bei der Abschlussentscheidung allein auf die essentialia des Geschäfts, insbesondere auf das Verhältnis zwischen Preis und vertraglicher Hauptleistung. Die Folge ist eine Informationsasymmetrie zwischen den Vertragsparteien.
38 Die Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass der Schadenserwartungswert zunimmt. Dieser ist gleich dem Schaden im Fall der Risikoverwirklichung multipliziert mit der Eintrittswahrscheinlichkeit, vgl. z. B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 401.
156 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
Selbst wenn der Kunde ausnahmsweise den Inhalt einer ungünstigen Klausel zur Kenntnis nehmen sollte, ist es höchst unwahrscheinlich, dass er sich davon in seiner Abschlussentscheidung beeinflussen lässt. Der Versuch, den Verwender zu einem Verzicht auf die Klausel zu bewegen, ist in aller Regel aussichtslos. Auch die Suche nach einem anderen Anbieter, der möglicherweise die belastende Regelung in seinen AGB nicht führt, wäre mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden. Unter diesen Umständen wird der Kunde die Bestimmung letztlich ohne Widerspruch akzeptieren. Dieses Motivationsgefälle39 dürfte vor allem bei Regelungen stark ausgeprägt sein, die Vertragsrisiken oder andere hypothetische Ereignisse betreffen. Hier wird der Kunde zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses häufig darauf vertrauen, dass sich das fragliche Risiko erst gar nicht verwirklichen und die Regelung nicht zum Tragen kommen wird.40 Im Ergebnis verhält er sich damit nicht anders, als wüsste er von der Klausel nichts. Drei Erkenntnisse aus der vorstehenden Analyse sind für die weitere Untersuchung von zentraler Bedeutung und sollen deswegen im Folgenden besonders hervorgehoben werden. aa) Kontrollbedürfnis nur für Klauseln zur wiederholten Verwendung Zunächst ist festzustellen, dass die grundsätzliche Beschränkung der AGBKontrolle auf Vertragsbedingungen, die „für eine Vielzahl von Verträgen“ vorformuliert sind (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB), sachgerecht ist.41 Erst die wiederholte Verwendung der Klauseln schafft nämlich den Transaktionskostenvorteil für den Verwender, aus dem das Informations- und Motivationsungleichgewicht entspringt. Die europäische Klauselrichtlinie verfügt hingegen in diesem Punkt über einen weiteren Anwendungsbereich. Art. 3 der Richtlinie – und entsprechend auch die deutsche Umsetzungsregel des § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB – unterwirft auch solche Klauseln der Missbrauchskontrolle, die lediglich zur einmaligen Verwendung vorformuliert werden.42 Hier stellt sich die Frage, ob ein so weitgehender Eingriff in die Vertragsfreiheit tatsächlich geboten ist. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es für das Schutzbedürfnis des individuellen Verwendungsgegners gleichgültig ist, ob das Klauselwerk auch noch gegenüber anderen 39 Zum Begriff MünchKommBGB/Basedow § 305 Rn. 5; Bieber NJW 2008, 3774, 3775. Staudinger/Coester § 307 Rn. 3 spricht davon, dass die „marktkonformen Verhaltensalternativen [. . .] unproportional“ seien. 40 So auch Schillig E. L. Rev. 33 (2008), 336, 340 f.; Franck/Massari WM 2009, 1117, 1119; s. zur fehlerhaften Risikoeinschätzung ex ante auch noch unten § 6 I. 1. b). 41 Ebenso Pfeiffer, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB Recht, Einl Rn. 19; H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, S. 5, 31. 42 Die Erstreckung der Kontrolle auf sog. Einmalklauseln in der Richtlinie stellt einen Kompromiss zwischen dem deutschen und dem französischen Modell der Klauselkontrolle dar (nach dem französischen Ansatz sind auch Klauseln in Individualvereinbarungen erfasst), s. hierzu MünchKommBGB/Basedow § 310 Rn. 67.
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Kunden Verwendung findet.43 Der Aufwand, sich mit dem Inhalt vertraut zu machen, die Informationsasymmetrie, bleibt in jedem Fall gleich. Auf der anderen Seite ist jedoch zu sehen, dass bei Einmalklauseln das Motivationsgefälle zwischen den Parteien nicht völlig unüberwindbar erscheint. Die mit AGB typischerweise verfolgten Rationalisierungsvorteile, die sich aus der wiederholten einheitlichen Verwendung ergeben, spielen in diesem Kontext keine Rolle. Der Verwender wird folglich viel eher bereit sein, auf die Wünsche des Kunden einzugehen.44 Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Da die Transaktionskosten für die Ausarbeitung eines Klauselwerks zum einmaligen Gebrauch für beide Parteien prinzipiell gleich hoch sind, ist die „Waffengleichheit“ zwischen den Vertragspartnern gewährleistet. Es leuchtet nicht ein, weshalb in einer derartigen Konstellation die Partei, die Zeit und Mühe in die Vorformulierung der Vertragsbedingungen investiert, um die Früchte ihrer Anstrengungen gebracht werden soll. Der Gegner hätte ebenso die Chance gehabt, seine Interessen durchzusetzen. Ob Einmalklauseln der AGB-Kontrolle zugänglich sein sollten, ist letztlich allerdings eine Frage von geringer praktischer Bedeutung. Im standardisierten Massenverkehr wird es nur selten dazu kommen, dass ein Unternehmer Vertragsbedingungen zur einmaligen Verwendung aufstellt. Wahrscheinlicher erscheint es, dass der Unternehmer im Einzelfall von seinen Standardklauseln im Wege einer Individualvereinbarung abweicht. Derartige Individualabreden sind auch nach der Klauselrichtlinie von der Kontrolle freigestellt.45 bb) Begrenztes Kontrollbedürfnis hinsichtlich essentialia negotii Das beschriebene Informations- und Motivationsgefälle betrifft in erster Linie die vertraglichen Nebenbedingungen. Den essentialia negotii schenkt der Kunde bei Vertragsschluss typischerweise seine Aufmerksamkeit und macht von ihnen seine Abschlussentscheidung abhängig. Entsprechen sie nicht seinen Präferenzen, lehnt er den Vertragsschluss ab und sieht sich nach Alternativen auf dem Markt um. Sowohl die europäische Klauselrichtlinie als auch die §§ 305 ff. BGB tragen diesem Umstand Rechnung, indem sie den vertraglichen Hauptgegenstand grundsätzlich nur einer Transparenz-, nicht hingegen einer Inhaltskontrolle unterwerfen.46 43 So etwa Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 571; Miethaner, AGBKontrolle versus Individualvereinbarung, S. 78 f.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 242. 44 Vgl. auch BGH NJW 2008, 2250, 2253; MünchKommBGB/Basedow § 310 Rn. 69; abl. hingegen Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung, S. 79 f. 45 Zur Kontrollfreiheit von Individualvereinbarungen vgl. näher unten § 5 IV. 1. 46 Zur Kontrollfähigkeit von Klauseln, die Hauptleistungspflichten regeln, vgl. näher unten § 5 IV. 3.
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cc) Rationalität des Verwendungsgegners Die „blinde“ Annahme der AGB durch den Verwendungsgegner wird in der rechtsökonomischen Literatur häufig als „rationale Ignoranz“ charakterisiert.47 Damit ist gemeint, dass das Verhalten des Kunden, gemessen am Maßstab einer Kosten-Nutzen-Analyse, vernünftig ist: Die Transaktionskosten für die Erreichung besserer Bedingungen wiegen schwerer als die Belastungen aus den ungünstigen Klauseln. Dieser Gesichtspunkt spielt eine entscheidende Rolle, um die Beschränkung der Vertragsfreiheit bei der Verwendung von AGB zu legitimieren. Der Kunde handelt nicht leichtfertig oder unbekümmert, wenn er sich den fremden AGB unterwirft. Gerade weil er sich so verhält, wie es die wirtschaftliche Vernunft gebietet, läuft er besondere Gefahr, einem unangemessenen Vertragsinhalt ausgeliefert zu sein. Unter diesen Umständen ist ein staatliches Eingreifen geboten. Ohne eine Klauselkontrolle könnte sich der Kunde nur dadurch vor belastenden AGB schützen, indem er sie studiert und notfalls den Vertragsschluss ablehnt. Ein solches Vermeidungsverhalten kann nicht im Interesse der Rechtsordnung sein, da es die Rationalisierungseffekte der standardisierten Bedingungen vereiteln und letztlich eine Ressourcenverschwendung darstellen würde.48 Aus dem eben Gesagten darf nun allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass die Kontrolle von AGB nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Verwendungsgegner im konkreten Fall ökonomisch rational handelt, d.h. die Transaktionskosten für die Meidung der unangemessenen Klausel unproportional hoch sind.49 Es wäre offensichtlich vollkommen impraktikabel, die Anwendung der AGB-Regeln von dieser Voraussetzung abhängig zu machen. Zum einen ist nämlich die Bezifferung der Transaktionskosten in concreto praktisch kaum möglich. Im Übrigen wäre die Folge einer solchen Regel, dass jeder Kunde, der nicht das Risiko eingehen möchte, aus dem Schutzbereich der AGB-Kontrolle herauszufallen, stets eine Kosten-Nutzen-Analyse im Vorfeld des Vertragsschlusses durchführen müsste, um zu prüfen, ob die Transaktionskosten tatsächlich unverhältnismäßig hoch sind. Wie bereits erwähnt, kann dies nicht der Sinn der Regulierung von AGB sein. 47 Vgl. z. B. Eidenmüller JZ 2005, 216, 222; Leuschner AcP 207 (2007), 491, 505; Basedow FS Immenga, S. 3, 11; Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 70; Hatzis, in: Collins (Hrsg.), Standard Contract Terms in Europe: A Basis for and a Challenge to European Contract Law, S. 43, 47. 48 Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung, S. 63 ff. spricht in diesem Zusammenhang treffend von der „legitimen Ignoranz“ des Kunden. Darin kommt zum Ausdruck, dass die widerspruchslose Hinnahme der fremden AGB keinen rechtlichen Vorwurf verdient. 49 Vgl. zu diesem Argumentationsansatz Leuschner AcP 207 (2007), 491, 524 f.; Leyens/Schäfer AcP 210 (2010), 771, 790 ff. Teilweise wird dieser Schluss zur Widerlegung der ökonomischen Begründung der AGB-Kontrolle benutzt, so etwa Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 558 ff.
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Dass die Transaktionskosten für den Verwendungsgegner prohibitiv hoch sind, ist eine Beobachtung, die jedenfalls generell zutrifft. Der Anwendungsbereich der AGB-Schutzvorschriften beruht mit anderen Worten auf einer Typisierung, die zur Erleichterung der Rechtsanwendung legitim ist50 und im Übrigen auch der Gesetzgebungspraxis auf anderen Regelungsgebieten entspricht. Ebenso folgt umgekehrt die Bereichsausnahme für Gesellschaftsverträge (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB) einer Generalisierung: Hier liegen in der Regel keine Informationsnachteile zulasten des Verwendungsgegners vor, da derartige Geschäfte wegen ihrer wirtschaftlichen Tragweite üblicherweise nur nach sorgfältiger Prüfung und rechtlicher Beratung abgeschlossen werden.51 Folglich unterliegen sie der Klauselkontrolle nicht, auch wenn in Einzelfällen die Richtigkeitsgewähr infolge von Transaktionskostenhindernissen gestört sein mag. b) Folgen des Informations- und Motivationsgefälles Das Informations- und Motivationsgefälle zwischen den Vertragsparteien bewirkt eine Störung des Marktmechanismus, wie sie auch bei sogenannten Erfahrungsgütern auftritt. Unter diesem ökonomischen Begriff sind Güter zu verstehen, deren Qualität der Nachfrager im Vorfeld der Transaktion nicht kennt.52 Dies trifft auf die meisten Handelswaren zu: Der Käufer kann sich regelmäßig erst nach Abschluss des Kaufvertrags ein Bild von der tatsächlichen Beschaffenheit des erworbenen Gutes machen. Ganz entsprechend ist die Situation bei Verträgen, die unter Einbeziehung von AGB abgeschlossen werden.53 Hier kennt der Verwendungsgegner bei Vertragsschluss den Inhalt der Vertragsbedingungen nicht. Er erfährt ihn typischerweise erst dann, wenn sich der Verwender darauf beruft. Ausgehend vom Modell der Erfahrungsgüter soll im Folgenden das Marktversagen bei der Verwendung von AGB näher dargestellt werden. Es wirkt sich auf 50 Vgl. z. B. BVerfG NJW 2007, 286, 287 (im Zusammenhang mit der Öffnung der AGB-Kontrolle für Arbeitsverträge gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB): „Wann Ungleichgewichtslagen so schwer wiegen, dass die Vertragsfreiheit durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzt oder ergänzt werden muss, lässt sich der Verfassung nicht unmittelbar entnehmen. Auch lassen sich die Merkmale, an denen etwa erforderliche Schutzvorschriften ansetzen können, nur typisierend erfassen. Dem Gesetzgeber steht dabei ein besonders weiter Beurteilungs- und Gestaltungsraum zur Verfügung“. 51 Zu anderen Fällen, in denen die Transaktionskostenhindernisse für den Verwendungsgegner weniger hoch sind und das Bedürfnis nach der Klauselkontrolle folglich geringer ausfällt, s. unten § 5 IV. 2. (abgestimmte Verwendung eines Vertragsformulars) und § 5 IV. 4. (AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr). 52 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 252 ff. Der Begriff (auf Englisch: experience good) geht zurück auf Nelson Journal of Political Economy 78 (1970), 311. 53 Zur Parallele zwischen Erfahrungsgütern und dem Vertragsschluss unter Einbeziehung von AGB vgl. Adams BB 1989, 781, 784.
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zwei unterschiedlichen Ebenen aus: erstens auf das konkret betroffene Vertragsverhältnis („Vertragsversagen“) und zweitens auf den Wettbewerb insgesamt (überindividuelle Dimension). aa) Folgen für das konkrete Vertragsverhältnis: Beeinträchtigung der materialen Entscheidungsfreiheit des Verwendungsgegners („Vertragsversagen“) Die Informationshindernisse, die im Zusammenhang mit Erfahrungsgütern bestehen, begründen die Gefahr einer Fehlbewertung der zu erwerbenden Ware durch den Nachfrager.54 Dieser kann seine Zahlungsbereitschaft nur an der erwarteten Qualität des Guts ausrichten, nicht an der tatsächlichen. Bleibt die tatsächliche Qualität hinter den Erwartungen zurück, zahlt der Kunde einen überhöhten Preis. Die erhoffte Kooperationsrente fällt für ihn damit geringer aus. Unter Umständen ist sie sogar negativ, d.h. der Kunde zahlt mehr, als ihm die Ware subjektiv wert ist. Die Transaktion erfüllt dann nicht das Kriterium der Pareto-Effizienz.55 Ähnlich verhält es sich mit dem Vertragsschluss unter Einbeziehung von AGB.56 Ohne Kenntnis vom genauen Inhalt des Klauselwerks vermag der Verwendungsgegner den Vertragsgegenstand nicht sicher zu bewerten. Typischerweise bildet er seine Preis- und Wertvorstellungen allein anhand der Hauptmerkmale der Leistung.57 Die Nebenbestimmungen im „Kleingedruckten“ werden nicht weiter zur Kenntnis genommen und fließen damit auch nicht in die KostenNutzen-Analyse ein. Diese können nun allerdings, wenn sie kundenfeindliche Regelungen enthalten, den Wert der Hauptleistung erheblich mindern.58 In der Folge droht eine Überbewertung der Vertragsleistung durch den Kunden. 54
Vgl. auch Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 252 ff. Dazu oben § 2 I. 2. a) bb). 56 Zur Parallele zwischen physischen Produkteigenschaften und AGB s. auch anschaulich Baird Mich. L. Rev. 104 (2006), 933: „The warranty that comes with a laptop computer is one of its many product attributes. The laptop has a screen of a particular size. Its microprocessors work at a particular speed, and the battery lasts a given amount of time between recharging. The hard drive has a certain capacity and mean time to failure. There is an instruction manual, online technical support (or lack thereof), and software. Then there are the warranties that the seller makes (or does not make) that are also part of the bundle. Just as I know the size of the screen, but nothing about the speed of the microprocessor, I know about some of the warranty terms that come with the computer and remain wholly ignorant of others“. Diese Sichtweise wird vereinzelt auch als contract-as-product theory bezeichnet, s. Radin JITE 167 (2011), 49, 51. 57 In diesem Punkt ähnlich argumentierend Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 341; Canaris AcP 200 (2000), 273, 323 f.; Kötz, Gutachten für den 50. DJT, S. A 34; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 33. 58 Anschaulich Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 359, der davon spricht, dass die Bestimmungen in den AGB „den wirklichen Preis verschleiern“; vgl. weiter auf S. 360 f. 55
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Übersetzt man die Erkenntnisse der ökonomischen Analyse in vertragsrechtliche Kategorien, so lässt sich sagen, dass das Informationsdefizit die Äquivalenzbewertung durch den Kunden stört.59 Ihm wird es erschwert, das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung richtig einzuschätzen. In der Folge läuft er Gefahr, sich an einen Vertrag zu binden, den er bei Kenntnis der AGB entweder gar nicht oder zumindest nicht zu dem vereinbarten Preis geschlossen hätte. Angesichts der Informationshindernisse wahrt das Einverständnis mit der Geltung der AGB, das nach § 305 Abs. 2 BGB Voraussetzung für ihre Einbeziehung in den Vertrag ist, die Selbstbestimmung des Kunden lediglich in formaler Hinsicht.60 Die tatsächliche Entscheidungsfreiheit ist nicht gewährleistet. Dem Kunden droht eine „faktische Fremdbestimmung durch den Verwender der AGB.“ 61 bb) Folgen auf der überindividuellen Ebene: Ausschluss der AGB vom Konditionenwettbewerb und Wohlfahrtsverluste infolge adverser Selektion Die überindividuelle Dimension des Marktversagens bei der Verwendung von AGB erfährt im juristischen Schrifttum traditionell geringere Aufmerksamkeit.62 Auch sie lässt sich am Modell der Erfahrungsgüter veranschaulichen. Die Auswirkungen struktureller Informationsasymmetrien auf den Marktwettbewerb hat George Akerlof in seinem berühmten Aufsatz „The Market for Lemons“ 63 am Beispiel des Gebrauchtwagenmarktes64 beschrieben. Können die Käufer im Vorfeld der Transaktion die Qualität der angebotenen Autos nicht erkennen, werden sie im Zweifel qualitativ schlechtere Wagen kaufen, da diese typischerweise zum günstigeren Preis zu haben sind. Die Anbieter guter Qualität geraten folglich in Schwierigkeiten, ihre Autos abzusetzen. Sie sind gezwungen, entweder die Preise zu senken oder den Markt zu verlassen. Setzt sich in der Folge bei den Käufern die Erkenntnis durch, dass das Angebot an guten Autos auf dem Markt abnimmt, werden sie ihre Zahlungsbereitschaft entsprechend 59 Härle, Die Äquivalenzstörung, S. 10 Fn. 45 und S. 26, schreibt über das AGBRecht: „Durch diese Normen soll verhindert werden, dass eine Partei über die Grundlagen der Äquivalenzbewertung getäuscht wird oder diese übersieht“. 60 Zur Unterscheidung zwischen formaler und faktischer Vertragsfreiheit s. oben § 4 I. 2. a) cc). 61 Canaris AcP 200 (2000), 273, 321. 62 Zur überindividuellen Dimension Köndgen NJW 1989, 943, 946 und 950; Staudinger/Coester § 307 Rn. 4; Schillig E. L. Rev. 33 (2008), 336, 340 ff. Zu überindividuellen Implikationen vgl. auch schon Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 277 ff., der durch die unregulierte Verwendung von AGB das „Gemeinwohl“ gefährdet sieht. 63 Quarterly Journal of Economics 84 (1970), 488. 64 Der englische Begriff „lemon“ steht umgangssprachlich für Autos schlechter Qualität.
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nach unten anpassen. Der resultierende Preisverfall verschlechtert die Position der Anbieter guter Qualität weiter. Die Folge ist ein Prozess der negativen Auslese (adverse Selektion), bei der am Ende die guten Autos aus dem Markt verdrängt werden und nur noch schlechte Wagen gehandelt werden. Die Informationshindernisse verhindern damit nicht nur, dass die Fahrzeugqualität am positiven Konditionenwettbewerb teilnimmt. Sie führen sogar zum paradoxen Ergebnis, dass die Lieferung schlechter Qualität zum Wettbewerbsvorteil wird. Die gleiche Art des Marktversagens droht bei AGB. Da die Kunden bei Vertragsschluss dem Inhalt der AGB keine Beachtung schenken, hat der Verwender keinen Anreiz, kundenfreundliche Standardklauseln zu verwenden.65 Das Gegenteil ist sogar der Fall: Es lohnt sich für ihn, die AGB kundenfeindlich auszugestalten. Regelungen, die den Kunden benachteiligen, wie zum Beispiel Freizeichnungsklauseln oder einseitige Leistungsänderungsvorbehalte, senken nämlich im Regelfall die Produktions- bzw. Vertriebskosten des Verwenders. Dieser kann nun nominal niedrigere Preise offerieren als Konkurrenten, die kundenfreundlichere AGB verwenden. Der Wettbewerbsdruck zwingt folglich die Anbieter dazu, ihre Standardklauseln immer weiter zuungunsten der Nachfrager zu gestalten. Auf dem Markt findet somit ein negativer Leistungswettbewerb statt, bei dem sich am Ende die missbräuchlichen Klauseln durchsetzen. Ebenso wie die Informationsasymmetrie stört auch das oben angesprochene Motivationsgefälle zwischen den Vertragsparteien den Wettbewerbsprozess. Das „Motivationsdefizit“ des Kunden bewirkt, dass er sich den AGB des Gegners auch dann widerspruchslos unterwirft, wenn er ihren unangemessenen Inhalt erkennt. Weicht der Kunde benachteiligenden Bedingungen nicht aus, indem er zu konkurrierenden Anbietern mit günstigeren Klauseln wechselt, kann der Wettbewerb seine Disziplinierungsfunktion wiederum nicht entfalten. Die AGB nehmen also auch in diesem Fall nicht am Konditionenwettbewerb teil.66 Das Modell des „Market for Lemons“ beweist, dass die Auswirkungen des Informations- und Machtgefälles bei der Verwendung von AGB weiter reichen, als es die allein auf das Vertragsverhältnis beschränkte Betrachtung nahe legen würde. Das Vertragsversagen geht nicht nur zulasten der Verwendungsgegner. Betroffen sind auch Anbieter, die sich aus der Verwendung kundenfreundlicher AGB Vorteile versprechen würden, infolge der Negativauslese jedoch aus dem Markt gedrängt werden. Verträge mit kundenfreundlichen AGB kommen folglich nicht zustande, obwohl es für derartige Geschäfte potenzielle Anbieter wie Nach-
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Einen formalen Beweis bietet Wickelgren JITE 167 (2011), 30, 35 ff. Vgl. zum Fehlen eines wirksamen Konditionenwettbewerbs bei den Vertragsbedingungen eines Versicherers, die sich nicht unmittelbar auf die Leistungspflicht beziehen, und zur daraus folgenden Notwendigkeit einer Inhaltskontrolle BVerfGE 114, 73, 96; BVerfG WM 2006, 2270, 2272. 66
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frager gäbe. Durch die adverse Selektion bleiben also mögliche Kooperationsgewinne unausgeschöpft.67
II. Regelungsansätze der §§ 305 ff. BGB zur Überwindung des Marktversagens bei der Verwendung von AGB Um die Störung des Vertragsmechanismus bei der Verwendung von AGB zu korrigieren, verfolgt der Gesetzgeber in den §§ 305 ff. BGB drei unterschiedliche Regelungsansätze. Er bedient sich erstens des Informationsmodells:68 An den Vertragsschluss werden bestimmte prozedurale Anforderungen gestellt, die auf die Aufklärung des Kunden zielen und so das Informationsproblem unmittelbar an der Wurzel bekämpfen sollen (dazu sogleich 1.). Zweitens wird durch zwingendes Recht die Gestaltungsfreiheit des Verwenders der AGB beschränkt (sodann 2.). Schließlich wird auf der Rechtsfolgenseite auf Prävention gesetzt: Die Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht zulasten des Kunden soll für den Verwender nicht risikolos sein. Damit soll erreicht werden, dass der Verwender bei der Gestaltung der AGB bereits unterhalb der Schwelle zum verbotenen Inhalt Zurückhaltung übt und auf die Kundeninteressen Rücksicht nimmt (schließlich 3.). Vorab ist noch eine Klarstellung geboten: Die Unterscheidung zwischen den ersten beiden Ansätzen – Informationsmodell und zwingendem Recht – deckt sich nicht vollständig mit der im Gesetz angelegten Differenzierung zwischen der Einbeziehungs- und der Wirksamkeitskontrolle. Die Einbeziehungsvoraussetzungen der §§ 305 bis 305c BGB beruhen zwar ganz überwiegend auf prozeduralen Regeln, die der Information des Verwendungsgegners dienen. Eine Ausnahme bildet allerdings das sogenannte Überraschungsverbot des § 305c Abs. 1 BGB, da es AGB-Klauseln nicht nur aus formellen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen von der Einbeziehung ausschließen kann.69 Demgegenüber knüpft die Wirksamkeitskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB in erster Linie an der materiellen Wirkung der AGB-Bestimmungen an. Sie berücksichtigt jedoch 67 Entgegen Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 583, hängen die beschriebenen Wettbewerbsstörungen nicht davon ab, dass AGB mehrfach verwendet werden. Theoretisch genügt es, dass ein einziger Anbieter auf dem Markt AGB einmalig verwendet. Hätte der konkrete Verwendungsgegner bei Kenntnis des AGB-Inhalts einen anderen Anbieter vorgezogen, ist der Wettbewerb bereits infolge der Verwendung der AGB verzerrt. Freilich müssen derartige Vorfälle in größerer Zahl auftreten, damit der Prozess der negativen Auslese in Gang gesetzt wird. Doch ist dafür nicht zwingend erforderlich, dass dieselben AGB mehrfach verwendet werden. Es reicht aus, dass eine große Zahl an Anbietern auf dem Markt sind, die Klauselwerke (auch nur einmalig) verwenden. Das überindividuelle Marktversagen ist somit von der Mehrfachverwendung unabhängig. 68 Zum Informationsmodell s. bereits oben § 4 I. 2. a) dd). 69 Vgl. näher unten § 5 II. 2. a) und § 5 II. 2. c) aa) (1).
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ebenso nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB die Transparenz der Klauseln und statuiert damit Regeln über die formelle Gestaltung von AGB. 1. Das Informationsmodell a) Gesetzliche Umsetzung Das Informationsmodell ist zunächst in den Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB verwirklicht. Diese verlangen, dass der Verwendungsgegner bei Vertragsschluss auf die AGB hingewiesen wird und die Möglichkeit erhält, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Weitere informationsbezogene Anforderungen folgen aus dem Verbot überraschender Klauseln in § 305c Abs. 1 BGB, das unter anderem die irreführende Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes des Klauselwerks untersagt.70 Wie eben erwähnt, enthält auch die Wirksamkeitskontrolle ein Transparenzgebot: Die durch die Schuldrechtsmodernisierung 2001 eingeführte Vorschrift des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB stellt nunmehr ausdrücklich klar, dass eine unangemessene Benachteiligung dann gegeben sein kann, wenn eine Bestimmung „nicht klar und verständlich“ ist.71 Kriterien für die Transparenzprüfung sind dabei neben der inhaltlichen Formulierung der Klausel auch die Art und Weise ihrer Präsentation.72 Zu höherer Transparenz trägt ferner die Regel des § 305b BGB bei, nach der im Konfliktfall Individualabreden Vorrang vor AGB haben: Damit wird die Vertragsregelung für maßgebend erklärt, die dem Verwendungsgegner typischerweise viel eher präsent ist als eine vorformulierte Standardklausel. Schließlich steht noch die spezielle Auslegungsregel des § 305c Abs. 2 BGB73 mit dem Informationsmodell in Zusammenhang.74 Sie bestimmt, dass bei mehrdeutigen Klauseln der für den Verwen70 Koller, FS Steindorff, 667, 681, spricht vom Überraschungsverbot als einer „mittelbaren Informationsobliegenheit“. Vgl. auch Niedenführ, Informationsgebote des AGB-Gesetzes, S. 6. 71 Die Reform kodifizierte die Rspr. des BGH, der dazu übergegangen war, Transparenzgesichtspunkte im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle zu berücksichtigen (vgl. grundlegend die Hypothekenzins- und die Wertstellungsentscheidung, BGHZ 106, 41, 49 f. und BGHZ 106, 259, 265), s. BT-Drucks. 14/6040, S. 153. Die Einführung der Vorschrift war insbesondere auch eine Reaktion auf die Entscheidung EuGH 10.5.2001, Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), Slg. 2001, I-3541. Der EuGH hatte dort entschieden, dass zur Umsetzung des Transparenzgebots aus Art. 5 der Klauselrichtlinie der Erlass entsprechender nationaler Rechts- und Verwaltungsvorschriften erforderlich sei; eine allein auf Rechtsprechungsgrundsätzen beruhende „Umsetzung“ genüge nicht. – Siehe allgemein zur Einführung des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB Armbrüster DNotZ 2004, 437. 72 MünchKommBGB/Wurmnest § 307 Rn. 58; Gottschalk AcP 206 (2006), 555, 580, Basedow VersR 1999, 1045 1048; vgl. auch Staudinger/Coester § 307 Rn. 191 („Verstecken“ einer ungünstigen Bestimmung im Klauselwerk als Verstoß gegen das Transparenzgebot). 73 Siehe auch Art. 5 Satz 2 der europäischen Klauselrichtlinie 93/13/EWG. 74 Vgl. Niedenführ, Informationsgebote des AGB-Gesetzes, S. 6.
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dungsgegner günstigste Inhalt gilt.75 Die Vorschrift veranlasst den Verwender, die Klauseln möglichst unmissverständlich zu formulieren, da er sonst mit einer Auslegung zu seinen Ungunsten rechnen muss.76 b) Die begrenzte Leistungsfähigkeit des Informationsmodells Das Informationsmodell allein vermag die gestörte „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ bei der Verwendung von AGB nicht zu korrigieren. Dafür sind im Wesentlichen zwei Gründe verantwortlich. Erstens sind die informationsbezogenen Regeln der §§ 305 ff. BGB in ihrer aktuellen Form von vornherein ungeeignet, die strukturellen Informationsdefizite des Verwendungsgegners vollständig zu beseitigen. Die Vorschriften beschränken sich nämlich darauf, dem Kunden die Möglichkeit der Kenntnisnahme des Klauselinhalts zu erleichtern. Dass er tatsächlich Kenntnis nimmt, wird vom Gesetzgeber gar nicht verlangt und ist in der Realität höchst unwahrscheinlich. Auch wenn der Kunde im Einklang mit § 305 Abs. 2 BGB bei Vertragsschluss auf die AGB ausdrücklich hingewiesen wird und sie gegebenenfalls auch noch in schriftlicher Form ausgehändigt bekommt, wird er sich wohl kaum die Mühe machen, ihren Inhalt zu studieren. Gleiches lässt sich über das in § 307 Abs. 1 Satz 2 niedergelegte Transparenzgebot sagen: Selbst wenn die Bestimmungen, wie gesetzlich verlangt, „klar und verständlich“ sind, bedeutet das ebenfalls noch lange nicht, dass der Kunde sich mit ihnen tatsächlich vertraut macht, bevor er das Geschäft eingeht. Eine Verschärfung der Informationsregelungen zu dem Ziel, dass die tatsächliche Kenntnisnahme sichergestellt wird, wäre indessen in der Praxis wenig sinnvoll. Ein solcher Ansatz liefe faktisch auf die Abschaffung von AGB hinaus: Das Ziel vollständiger Aufklärung ließe sich nämlich nur dadurch erreichen, dass dem Kunden jede einzelne Klausel buchstäblich „vor Augen geführt“ wird. Dies würde die Rationalisierungseffekte aus der Verwendung standardisierter Vertragsbedingungen völlig zunichte machen.77 Der zweite Grund für die Unzulänglichkeit des Informationsmodells besteht in dem bereits angesprochenen Motivationsgefälle zwischen den Vertragsparteien: Selbst wenn sich sicherstellen ließe, dass der Verwendungsgegner über sämtliche Klauseln informiert ist, folgt daraus noch nicht, dass diese Informationen auch in 75 Ausnahmen gelten im Rahmen des Verbandsklageverfahren (vgl. Art. 5 Satz 3 der Klauselrichtlinie; vgl. nur BGH NJW 2003, 1237, 1238) sowie bei der Durchführung der Wirksamkeitskontrolle (vgl. nur BGH NJW 2008, 2172, 2173). Zur gesamten Problematik Basedow VersR 1999, 1045, 1047 f.; Gottschalk AcP 206 (2006), 555, 575 ff. 76 Meyer ZHR 174 (2010), 108, 126; Canaris/Grigoleit, in: Hartkamp et al. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, S. 587, 608 ff.; Kosche, Contra proferentem und das Transparenzgebot im Common Law und Civil Law, S. 192. 77 So auch Gottschalk AcP 206 (2006), 555, 562; Kreienbaum, Transparenz und AGB-Gesetz, S. 221 f.
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seine Abschlussentscheidung einfließen. Der Kunde scheut häufig den Aufwand, andere Anbieter auf dem Markt zu suchen, die ihren Verträgen günstigere AGB zugrundelegen. Bei Klauseln, die Risiken auf ihn überwälzen, vertraut der Kunde oftmals darauf, dass sich das fragliche Risiko nicht realisieren wird, und bezieht die Regelung folglich nicht in sein Preis-Leistungs-Kalkül ein. Ein Konditionenwettbewerb in Bezug auf die AGB findet unter diesen Voraussetzungen auch bei perfekter Informationslage nicht statt. c) Abschluss- oder Abwicklungstransparenz als Ziel des Informationsmodells im AGB-Recht? Wenn nun allerdings die Regeln des Informationsmodells die materiale Entscheidungsfreiheit des Verwendungsgegners bei Eingehung des Vertrags nicht wirksam schützen können, mag man sich mit gutem Recht die Frage stellen, welchen Sinn die Transparenzanforderungen überhaupt haben. In der Tat wird teilweise die Ansicht vertreten, die informationsbezogenen Vorschriften in den §§ 305 ff. BGB zielten nicht auf die Aufklärung des Verwendungsgegners im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern erst für den Zeitraum der Vertragsdurchführung.78 Es solle mit anderen Worten nicht die Abschluss-, sondern die Abwicklungstransparenz79 garantiert werden. Nach dieser Auffassung soll der Kunde in der Vollzugsphase Klarheit über seine Rechte und Pflichten besitzen. Die Rechtsdurchsetzung im Streitfall wird ihm so erleichtert. Er ist unter Umständen nicht auf professionellen Rechtsrat angewiesen und kann langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen vermeiden.80 Auch wird die Gefahr gebannt, dass er in Unkenntnis der wahren Rechtslage vor angeblichen Rechten des Verwenders kapituliert und wirklich bestehende eigene Rechte gar nicht erst erhebt.81 Es wäre allerdings verfehlt anzunehmen, dass die auf dem Informationsmodell beruhenden Regelungen allein der Abwicklungstransparenz dienten. Nicht in jedem Fall trifft nämlich die Aussage zu, dass sich der Verwendungsgegner mit dem Inhalt der AGB höchstens nach Abschluss des Vertrags auseinandersetzt. Erstens gibt es einzelne Kunden, die entgegen dem Verhalten der Mehrheit sehr wohl den AGB ganz oder zumindest teilweise Beachtung schenken und auch ihre Abschlussentscheidung danach ausrichten.82 Die erleichterte Möglichkeit, vom 78
Grundlegend Koller, FS Steindorff, S. 667; vgl. auch Diehn NZA 2004, 129, 134. Zu den Begriffen vgl. Staudinger/Coester, § 307 Rn. 176; ähnlich Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S. 321. 80 Koller, FS Steindorff, S. 667, 670. 81 Staudinger/Coester § 307 Rn. 178. 82 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 360; Basedow VersR 1999, 1945, 1046; Kreienbaum, Transparenz und AGB-Gesetz, S. 226; Gottschalk AcP 206 (2006), 555, 564. 79
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Klauselinhalt Kenntnis zu nehmen, kann bei diesen Personen tatsächlich die Chancen eines informierten Vertragsschlusses erhöhen. Zweitens – und wichtiger noch – erhöht das Informationsmodell die Abschlusstransparenz im Hinblick auf die essentialia negotii.83 Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 BGB ebenso wie das Überraschungsverbot des § 305c Abs. 1 BGB gelten nämlich auch für die Gestaltung der vertraglichen Hauptleistungspflichten.84 Wie bereits betont,85 wendet der Kunde den essentialia bei Eingehung der Transaktion regelmäßig seine Aufmerksamkeit zu. Auch hier können damit die Transparenzanforderungen entscheidenden Einfluss auf den Vertragsschluss haben. Der BGH ist ebenfalls dieser Überzeugung. Seiner Auffassung nach soll das Transparenzgebot den Kunden in die Lage versetzen, „seine Entschließungsfreiheit bei Eingehung des Vertrags in voller Kenntnis des Inhalts des Vertrags, insbesondere der wirtschaftlichen Nachteile, auszuüben“.86 Die Frage, ob die informationsbezogenen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB der Abschluss- oder der Abwicklungstransparenz dienen, kann für die Bestimmung der Rechtsfolgen im Fall eines Verstoßes bedeutsam sein. Beispielhaft ist die eben zitierte Entscheidung des BGH. Den Gegenstand des Verfahrens bildete eine wegen Intransparenz unwirksame Klausel über die Berechnung des Rückkaufswertes einer kapitalbildenden Lebensversicherung. Der IV. Zivilsenat hatte zu entscheiden, welche Regelung an die Stelle der unwirksamen Klausel im Versicherungsvertrag treten sollte. Das Gericht stellte zunächst fest, dass keine gesetzlichen Vorschriften zur Verfügung standen, um die Vertragslücke nach § 306 Abs. 2 BGB zu schließen. Eine ersatzlose Streichung der Klausel erschien keine angemessene Lösung. Vor diesem Hintergrund griff der BGH, wie bereits in ähnlich gelagerten Fällen zuvor,87 auf das Instrument der ergänzenden Vertragsauslegung zurück. In diesem Zusammenhang stellte er sich auf den Standpunkt, dass die unwirksame intransparente Klausel nicht durch eine materiell inhaltsgleiche transparente Klausel ersetzt werden dürfe:88 „Wenn Allgemeine Versicherungsbedingungen Rechte und Pflichten des Vertragspartners – des Versicherungsnehmers – nicht klar und durchschaubar darstellen, ins83 Vgl. auch Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 360 f.; Staudinger/Coester § 307 Rn. 176. 84 Die Geltung des Transparenzgebots für die essentialia folgt aus § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB (vgl. im Anwendungsbereich der europäischen Klauselrichtlinie auch Art. 4 Abs. 2). Für das Überraschungsverbot hingegen ergibt sich die Anwendbarkeit auf die essentialia daraus, dass die Einbeziehungskontrolle im Gegensatz zur Wirksamkeitskontrolle für sämtliche AGB unabhängig von ihrem Regelungsgegenstand gilt (vgl. auch BGHZ 109, 197, 200; Palandt/Grüneberg § 305c Rn. 2). 85 Oben § 5 I. 4. a) bb). 86 BGHZ 164, 297, 316. Vgl. auch schon BGHZ 106, 259, 264; BGHZ 147, 354, 362. 87 Vgl. z. B. BGHZ 90, 69, 74 ff.; BGHZ 137, 153, 157. 88 BGHZ 164, 297, 315 f.
168 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts besondere die wirtschaftlichen Nachteile nicht so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann, wird er unangemessen benachteiligt. Dass dies gerade dann gilt, wenn durch die Intransparenz ein [. . .] wirtschaftlicher Nachteil des Versicherungsnehmers von erheblichem Gewicht verdeckt wird, versteht sich von selbst. Der Versicherungsnehmer wird durch die fehlende Transparenz gehindert, seine Entschließungsfreiheit bei Eingehung des Vertrags in voller Kenntnis des Inhalts des Vertrags, insbesondere der wirtschaftlichen Nachteile, auszuüben; er wird gehindert, schon die Produktwahl auf der Grundlage der wirklichen, mit dem Versicherungsvertrag bei frühzeitiger Beendigung verbundenen Nachteile zu treffen. Diese Folgen des Transparenzmangels lassen sich nicht rückwirkend damit beseitigen, dass die unwirksame intransparente Klausel durch eine materiell inhaltsgleiche transparente Klausel ersetzt wird. [. . .] Bei der inhaltsgleichen Ersetzung der Klausel hätte dieser Nachteil Bestand, obwohl der Vertrag durch den Transparenzmangel unter Verdeckung dieses Nachteils zustande gekommen ist. Der Eingriff in die Entschließungs- und Auswahlfreiheit bliebe unbeseitigt und bestünde – bei Einstellung der Prämienzahlung – in seinen Auswirkungen fort. Das führte im Ergebnis dazu, dass die wegen Intransparenz unwirksame Klausel mit den verdeckten Nachteilen für den Versicherungsnehmer letztlich doch verbindlich bliebe. Ein solches Ergebnis liefe § 9 AGBG, § 307 BGB zuwider und kann deshalb auch nicht Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung sein.“
Die Ausführungen zeigen, dass der BGH das Ziel des Transparenzgebots in der Garantie der Abschlusstransparenz sieht. Die Rechtsfolgen bei einem Verstoß müssen folglich dem Umstand Rechnung tragen, dass der Verwendungsgegner um die Möglichkeit gebracht wurde, mit einem Versicherer zu kontrahieren, der ihm materiell günstigere Konditionen geboten hätte. Diese aus der Intransparenz folgende materielle Benachteiligung gilt es nun im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung auszugleichen. Demgegenüber wären für die ergänzende Vertragsauslegung ganz andere Überlegungen maßgebend, wenn man das Ziel des Transparenzgebots ausschließlich in der Abwicklungstransparenz erblickte. In diesem Fall ginge es allein darum, den Versicherungsnehmer dazu in die Lage zu versetzen, sich in der Vollzugsphase des Vertrags möglichst mühelos ein Bild von seinen Rechten und Pflichten zu machen. Die Möglichkeit, dass der Versicherungsnehmer bei einer klaren und verständlichen Abfassung der fraglichen Klausel den Vertrag von Anfang an abgelehnt und einen anderen Anbieter vorgezogen hätte, fände hingegen keine Berücksichtigung. Unter diesen Umständen könnte die unwirksame intransparente Klausel ohne weiteres durch eine materiell inhaltsgleiche transparente Klausel ersetzt werden.89 Die Entscheidung des BGH zur Ersetzung der Rückkaufswertklausel ist insbesondere für die Konstellationen relevant, in denen eine Klausel über die vertragliche Hauptleistung gegen das Transparenzgebot verstößt. Hier wird im Regelfall 89
Vgl. Kischt VersR 2003, 1072, 1076.
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ebenfalls eine ergänzende Vertragsauslegung durchzuführen sein, da keine gesetzlichen Vorschriften i. S. d. § 306 Abs. 2 BGB zur Schließung der Vertragslücke zur Verfügung stehen und eine ersatzlose Streichung der Klausel meistens nicht in Frage kommt. Der Richter ist dann mit der Frage konfrontiert, ob er lediglich die ursprüngliche Klausel durch eine klare ersetzt oder ob er darüber hinaus die beeinträchtigte Selbstbestimmung des Kunden durch eine Anpassung des materiellen Vertragsinhalts kompensiert – zum Beispiel, indem er „verschleierte“ Kostenklauseln, die zulasten des Kunden gehen, inhaltlich beschränkt oder kassiert. Folgt man den obigen Erwägungen des BGH, darf bei der Vertragsanpassung nicht außer Acht gelassen werden, dass sich der Kunde bei einer transparenten Gestaltung des Vertragsinhalts für ein materiell vorteilhafteres Angebot entschieden hätte: Damit ist der Weg zu inhaltlichen Korrekturen frei. 2. Beschränkung der Gestaltungsfreiheit durch zwingendes Recht a) Gesetzliche Umsetzung Wie zuletzt gesehen, lässt sich die Störung der „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ mithilfe des Informationsmodells allein nicht beheben. Der Gesetzgeber setzt deswegen zusätzlich auf zwingendes Vertragsrecht, um der inhaltlichen Gestaltung von AGB Grenzen zu ziehen.90 Dies geschieht zum einen über das Instrument der Wirksamkeitskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB. §§ 308 und 309 BGB enthalten dabei einen Katalog besonderer Inhalte, die nicht über AGB in den Vertrag einbezogen werden dürfen.91 Ist keines der besonderen Klauselverbote einschlägig, unterliegen Bestimmungen in AGB der allgemeinen Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 BGB. Danach sind solche Klauseln unwirksam, die den Kunden „entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.“ Schranken für die Gestaltungsfreiheit ergeben sich ferner aus der Einbeziehungskontrolle, namentlich aus dem Überraschungsverbot des § 305c Abs. 1 BGB. Wie der Wortlaut der Vorschrift („insbesondere“) nahe legt, kann eine unzulässige Überrumpelung des Kunden nicht nur aus der formellen Gestaltung, sondern auch aus dem materiellen Inhalt einer Klausel folgen. Dementsprechend berücksichtigt der BGH bei der Prüfung, ob eine Klausel als „ungewöhnlich“ i. S. d. § 305c Abs. 1 BGB anzusehen ist, auch den „Grad der Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht“ 92. Entgegen einem verbreiteten Sprachgebrauch, der 90 Allgemein zum Verhältnis zwischen Informationsmodell und zwingendem Recht oben § 4 I. 2. a) dd). 91 Die speziellen Klauselverbote der §§ 308 und 309 BGB gelten allerdings nicht gegenüber Unternehmern und auch nicht für besondere Versorgungsverträge, vgl. § 310 Abs. 1 und 2 BGB. 92 BGH NJW 2002, 3627; BGH NJW 2001, 1416, 1417; BGH NJW 1988, 558, 560.
170 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
die Inhaltskontrolle mit der Wirksamkeitskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB gleichsetzt (und der im Übrigen auch in der amtlichen Überschrift des § 307 BGB seinen Niederschlag gefunden hat), ist damit eine „Inhaltskontrolle“ auch schon auf der Grundlage des Überraschungsverbots möglich.93 Der Unterschied zur Inhaltskontrolle des § 307 BGB liegt im Prüfungsmaßstab:94 Es kommt nicht auf die objektive „Angemessenheit“ der Klausel an, sondern darauf, was der Verwendungsgegner in der konkreten Vertragsschlusssituation erwarten durfte. Die Inhaltskontrolle im Rahmen des Überraschungsverbots genießt nach der gesetzlichen Systematik sogar Vorrang, da sie darüber entscheidet, ob die fragliche Klausel in den Vertrag einbezogen worden ist, was eine notwendige Voraussetzung für die Durchführbarkeit der Wirksamkeitskontrolle ist.95 In der Rechtsprechungspraxis spielt allerdings § 305c Abs. 1 BGB für die inhaltliche Beurteilung einer Klausel eine untergeordnete Rolle, der Schwerpunkt der Inhaltskontrolle liegt regelmäßig bei den §§ 307 bis 309 BGB.96 Die Gerichte neigen dazu, eine Klausel als „unangemessen“ i. S. d. § 307 Abs. 1 BGB zu verwerfen, ohne auf die Frage einzugehen, ob der Klauselinhalt auch als „ungewöhnlich“ i. S. d. § 305c Abs. 1 BGB einzuordnen ist.97 Gegen dieses Vorgehen ist nichts einzuwenden. Mag es auch in dogmatischer Hinsicht einen Unterschied zwischen der Nichteinbeziehung einer Klausel in den Vertrag und ihrer Unwirksamkeit geben, so sind doch die Rechtsfolgen des § 306 BGB in beiden Fällen die gleichen. Wie noch näher zu zeigen sein wird,98 orientiert sich das Überraschungsverbot anders als die Angemessenheitsprüfung stärker an den konkreten Umständen des Einzelfalls und macht so umfangreichere Tatsachenfeststellungen erforderlich. Aus prozessökonomischen Gründen kann es deswegen sinnvoll sein, die Frage der „Ungewöhnlichkeit“ offen zu lassen und die Entscheidung allein auf § 307 BGB zu stützen. b) AGB-rechtliche Inhaltskontrolle als zwingendes Vertragsrecht? Bislang sind die Regeln über die Inhaltskontrolle von AGB immer als zwingendes Vertragsrecht im Sinne der zu Beginn der Untersuchung formulierten De93 Vgl. auch Schmidt-Salzer NJW 1995, 1641, 1642 („Form der Inhaltskontrolle“); ders., FS Trinkner, S. 361, 363 („inhaltsbezogenes Kontrollverfahren“); abl. hingegen Lindacher, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, § 305c Rn. 5. 94 Zu den unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben vgl. näher unten § 5 II. 2. c) aa) (1) und (2). 95 So auch Erman/Roloff § 305c Rn. 6; a. A. Lindacher, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, § 305c Rn. 6. 96 Staudinger/Schlosser § 305c Rn. 2. 97 Vgl. z. B. BGHZ 130, 19, 31. Zum Teil werden Klausel sowohl als „überraschend“ als auch als „unangemessen“ verworfen, obwohl der Verstoß gegen das Überraschungsverbot an sich die Wirksamkeitskontrolle hinfällig macht, vgl. BGH NJW 2002, 3627; BGH NJW 1996, 249; BGHZ 110, 88, 97. 98 Dazu unten § 5 II. 2. c) aa) (1).
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finition99 bezeichnet worden. Diese Charakterisierung könnte nun allerdings aufgrund folgender Überlegungen in Frage gestellt werden: Die Beschränkungen der Inhaltsfreiheit in den §§ 305 ff. BGB gelten lediglich für Vereinbarungen, die in Gestalt von AGB in den Vertrag einbezogen werden. Den Parteien steht es mit anderen Worten grundsätzlich frei, den nach dem AGB-Recht verbotenen Inhalt im Wege einer Individualabrede zu vereinbaren. Hier liegt ein zentraler Unterschied zu den übrigen nichtdispositiven Normen wie etwa § 276 Abs. 3, § 536 Abs. 4 oder § 138 BGB, die auch individualvertragliche Abweichungen verbieten. Vor diesem Hintergrund könnten die Regeln der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle als Formvorschriften begriffen werden, die für bestimmte den Kunden benachteiligende Vertragsregelungen eine Individualvereinbarung verlangen. Ein derartiger „Formzwang“ wäre auch tatsächlich dazu geeignet, das Problem der strukturellen Informationsasymmetrie zu entschärfen; denn dem Inhalt einer Individualvereinbarung schenkt der Kunde geradezu zwangsläufig seine Aufmerksamkeit. Folgt man dieser Betrachtung, stellen sich auch die Vorschriften der Inhaltskontrolle letztlich als prozedurale Regeln dar, die dem Informationsmodell zuzuordnen sind. Doch die Möglichkeit, die nach den §§ 305 ff. BGB unzulässigen Regelungen individualvertraglich zu vereinbaren, ist in den meisten Fällen eine bloß theoretische. Das „Formverbot“ standardisierter Vertragsklauseln wirkt sich im wirtschaftlichen Massenverkehr faktisch als Inhaltsverbot aus.100 Der Grund dafür liegt in den prohibitiv hohen Transaktionskosten, die mit dem Abschluss von Individualvereinbarungen verbunden sind.101 Um die kundenfeindliche Klausel durchzusetzen, müsste der Anbieter auf die Rationalisierungseffekte aus der Verwendung von AGB verzichten. Dies dürfte häufig ein zu hoher Preis sein. Der Anbieter wird es unter diesen Umständen vorziehen, materiell unbedenkliche AGB zu verwenden. c) Der Beitrag der Inhaltskontrolle zur Überwindung des Marktversagens Die Normen des Informationsmodells, so hatte sich gezeigt,102 bekämpfen das Informationsgefälle zwischen den Vertragsparteien unmittelbar an der Wurzel, indem sie eine informierte Abschlussentscheidung des Verwendungsgegners zu 99
Oben § 1 II. Ebenso Graf von Westphalen ZGS 2006, 81. 101 Vgl. Korobkin U. Chi. L. Rev. 70 (2003), 1203, 1246: „A requirement that all contracts be individually negotiated would increase transactions costs so substantially that many common and productive transactions would be rendered economically unfeasible, potentially causing commerce to grind to a halt.“ Nach Canaris AcP 200 (2000), 273, 355, ist die Möglichkeit einer Individualvereinbarung „ohne nennenswerte praktische Relevanz“. Vgl. auch MünchKommBGB/Basedow § 305 Rn. 37. 102 Oben § 5 II. 1. a). 100
172 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
erreichen suchen. Der Ansatzpunkt der Inhaltskontrolle zur Überwindung der gestörten „Richtigkeitsgewähr“ ist ein anderer: Es soll gewährleistet werden, dass der Inhalt der AGB einen bestimmten materiellen Mindeststandard zugunsten der Kunden nicht unterschreitet. Nicht die Aufklärung des Kunden ist beabsichtigt, sondern der Schutz seines Vertrauens und seiner Erwartungen: Die in ihren Informations- und Kontrollmöglichkeiten beschränke Partei soll von einem bestimmten „Regelinhalt“ der Transaktion ausgehen dürfen und auf dieser Grundlage ihre Abschlussentscheidung bilden können. Die Garantie von Mindeststandards ist eine Methode, die auch im Zusammenhang mit anderen Erfahrungsgütern103 angewandt wird, um die Unwägbarkeiten aus strukturellen Informationsasymmetrien zu beseitigen.104 Der geläufigste Anwendungsfall dürfte die Hersteller- bzw. die Verkäufergarantie sein, die das Qualitätsrisiko des Abnehmers eindämmt. In ähnlicher Weise garantiert die Inhaltskontrolle von AGB eine „Mindestqualität“ für die im Rechtsverkehr verwendeten standardisierten Vertragsklauseln. Im Folgenden soll genauer untersucht werden, wie ein zwingender materieller Mindeststandard zum Schutz des Kunden das Marktversagen bei der Verwendung von AGB korrigiert. Dabei wird zunächst nur das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien betrachtet [sogleich aa)]. Anschließend wird die überindividuelle Ebene des Wettbewerbs in den Blick genommen [sodann bb)]. aa) Schutz im Vertragsverhältnis: Sicherung der Selbstbestimmung Wie bereits erwähnt, erschweren die Informationsmängel dem Kunden die Äquivalenzbewertung:105 Er nimmt die ungünstigen Nebenbedingungen nicht weiter zur Kenntnis und läuft folglich Gefahr, den Wert der ihm angebotenen Leistung zu überschätzen. Besäße er eine Vorstellung vom Inhalt der AGB, würde er den Vertrag vermutlich gar nicht oder nur zu einem niedrigeren Preis abschließen. In der juristischen Literatur wird vereinzelt behauptet, die Inhaltskontrolle von AGB sei die „falsche Reaktion“ 106, um den Verwendungsgegner vor unerwünschten Vertragsbedingungen zu bewahren.107 Das richtige Mittel zum Schutz 103
Zum ökonomischen Begriff der Erfahrungsgüter oben § 5 I. 4. b). Vgl. allgemein zur Rolle von Mindeststandards bei Informationsmängeln Leland Journal of Political Economy 87 (1979), 1328; Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 279 ff. mit verschiedenen Anwendungsbeispielen; vgl. auch Franck, Europäisches Absatzrecht, S. 214; Wehrt, in: Bouckaert/de Geest (Hg.), Encyclopedia of Law and Economics, Bd. 3, S. 179 ff. 105 Oben § 5 I. 4. b) aa). 106 Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 68. 107 Vgl. auch Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 38: „Aus dem Gedanken der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen lässt sich daher die Inhaltskontrolle nicht rechtfertigen“. 104
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der faktischen Entscheidungsfreiheit sei die Einräumung eines Anfechtungsrechts oder eines sonstigen vertraglichen Lösungsrechts – und zwar nicht nur in Bezug auf die einzelnen unangemessenen Klauseln, sondern auf den Vertrag insgesamt. Diesem Ansatz folge beispielsweise auch die Regelung des § 123 BGB, die dem Opfer einer arglistigen Täuschung bzw. einer widerrechtlichen Drohung das Recht zur Anfechtung der abgegebenen Erklärung gebe.108 Im Zusammenhang mit AGB ist allerdings ein Lösungsrecht des Verwendungsgegners keine sinnvolle regulatorische Maßnahme. Ein solches Recht würde nämlich den pacta-sunt-servanda-Grundsatz nahezu vollständig aushöhlen und im Ergebnis zu größter Rechtsunsicherheit führen. Es könnte vom Kunden leicht als „Reurecht“ missbraucht werden, um sich aus Verträgen zu befreien, an denen er – ganz unabhängig vom Inhalt der AGB – kein Interesse mehr hat. Selbst wenn man das Lösungsrecht nur unter der Voraussetzung gewährte, dass die AGB eine unangemessene Bestimmung zulasten des Kunden enthalten, würde man eine Flut an Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragsparteien provozieren. Insbesondere bei umfangreichen Klauselwerken, wie sie bei wirtschaftlich komplexeren Transaktionen verwendet werden (z. B. bei Versicherungsverträgen, Bank- und Finanzgeschäften etc.) bietet sich dem Kunden nämlich eine große Auswahl an vertraglichen Bestimmungen, deren Unwirksamkeit er „versuchsweise“ in einem Prozess geltend machen könnte, um sich vom Vertrag wieder zu lösen. Demgegenüber schützt das Instrument der Inhaltskontrolle die Entscheidungsfreiheit des Kunden, ohne die vertragliche Bindung insgesamt aufzuheben. Die Beschränkung der Gestaltungsmacht des Klauselverwenders engt seine Spielräume ein, durch kundenfeindliche Nebenbedingungen den Wert der vertraglichen Hauptleistung auszuhöhlen und so seinen Anteil an der Kooperationsrente – von dem Kunden gleichsam unbemerkt – zu vergrößern. Der Vertragsinhalt wird den Erwartungen des Kunden angepasst, um das Risiko einer Fehlbewertung zu mindern.109 Wie im Folgenden näher dargestellt werden soll, stehen für die Inhaltskontrolle zwei unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe zur Verfügung: erstens der konkret-individuelle Maßstab des Überraschungsverbots (§ 305c Abs. 1 BGB) und zweitens der abstrakt-generalisierende Maßstab im Rahmen der Angemessenheitskontrolle (§§ 307 bis 309 BGB).
108
Die Parallele zieht Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 68. Zu dieser vertrauensschützenden Funktion des zwingenden Rechts vgl. Heiderhoff ZEuP 2003, 769, 781 und passim; dies., Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, S. 274; im Ansatz ähnlich Micklitz, in: Liber amicorum Norbert Reich, S. 245, 271 f. 109
174 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
(1) Die konkret-individuelle Inhaltskontrolle im Rahmen des Überraschungsverbots gemäß § 305c Abs. 1 BGB Nach § 305c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in AGB nicht Vertragsbestandteil, „die nach den Umständen [. . .] so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht.“ Der BGH hat den Grundgedanken des Überraschungsverbots einmal folgendermaßen formuliert: „[Der Kunde] wird bei Vertragsabschluss häufig nicht in der Lage sein, die oft umfangreichen und abstrakt gefassten Bedingungen in ihrer konkreten Auswirkung richtig einzuschätzen. Er muss deshalb darauf vertrauen dürfen, dass die von ihm pauschal gebilligten und vom anderen Teil vorformulierten Geschäftsbedingungen bzw. Klauseln in Formularverträgen nicht allzuweit von den bei Rechtsgeschäften gleicher Art üblichen und für ihn vorstellbaren Bedingungen abweichen.“ 110
Der Kunde wird also davor geschützt, dass die nicht zur Kenntnis genommenen Klauseln dem Geschäft einen Inhalt verleihen, den er im Vorfeld nicht erwarten konnte und den er deswegen auch nicht seiner Abschlussentscheidung zugrunde gelegt hat.111 Welche Regelungen „ungewöhnlich“ im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB sind, beurteilt sich aus objektiver Perspektive.112 Maßgebend ist die „Verständnismöglichkeit des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden.“ 113 Diese typisierende Betrachtungsweise wird allerdings dadurch modifiziert, dass bei der Prüfung die konkreten Begleitumstände des Vertragsschlusses Berücksichtigung finden.114 Beispielsweise können der individuelle Verlauf der Vertragsverhandlungen oder Werbeaussagen des Verwenders Einfluss darauf haben, ob eine Klausel als überraschend anzusehen ist.115 Diese Einzelfallorientierung ist im Übrigen auch der Grund dafür, weshalb § 1 UKlaG das Überraschungsverbot nicht als Kontrollmaßstab für das Verbandsklageverfahren anerkennt: Die Ungewöhnlichkeit der Klausel kann nicht abstrakt, 110
BGHZ 83, 56, 59. Vgl. auch Erman/Roloff § 305c Rn. 2. 112 Zu diesem normativen Element des Überraschungsverbots vgl. ausf. Staudinger/ Schlosser, § 305c Rn. 13 ff. 113 BGHZ 130, 150, 154; BGHZ 102, 152, 159; vgl. auch BGH NJW-RR 2004, 780, 781. 114 Siehe etwa Ulmer/Schäfer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 305c Rn. 13a f. Bei genauerer Betrachtung kombiniert also der Prüfungsmaßstab im Rahmen des Überraschungsverbots objektiv-generalisierende mit subjektiv-individualisierenden Elementen. Deutlich insofern BGH NJW-RR 2002, 485, 486: „Entscheidend [scil. für die Beurteilung des Überraschungseffekts] ist das bei dem Vertragspartner individuell vorhandene oder ihm individuell mögliche Umstandswissen; welche Schlüsse aus diesen Erkenntnismöglichkeiten zu ziehen waren, bestimmt sich demgegenüber nach einem objektiv-typisierenden Maßstab.“ Vgl. auch MünchKommBGB/Basedow § 305c Rn. 6, wonach „ein durch die subjektiven Umstände überlagerter generalisierender objektiver Maßstab“ gilt. 115 BGH NJW-RR 2002, 485, 486; BGH NJW 1987, 2011; BGH NJW 1977, 195, 197. Vgl. auch Erman/Roloff § 305c Rn. 8, 11; Palandt/Grüneberg § 305c Rn. 4. 111
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sondern immer nur mit Blick auf eine konkrete Vertragsschlusssituation festgestellt werden.116 Wie bereits in der oben zitierten Entscheidung des BGH anklang, ist das Überraschungsverbot darauf zugeschnitten, den Kunden speziell vor den unbilligen Folgen aus dem strukturellen Informationsgefälle zu bewahren (und weniger vor solchen aus dem Motivationsgefälle117). Zu diesem Befund passt, dass nach herrschender Meinung eine Klausel nicht überraschend sein kann, wenn sie der Kunde bei Vertragsschluss zur Kenntnis genommen hat.118 In diesem Fall besteht nämlich keine Informationsasymmetrie. (2) Die abstrakt-generelle Inhaltskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB (a) Beitrag zum Schutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit Die Inhaltskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB zieht der Gestaltungsfreiheit des Verwenders eine absolute Grenze, die unabhängig von den Kundenerwartungen im Einzelfall gilt. In den Verbotskatalogen der §§ 308 und 309 BGB legt der Gesetzgeber spezifische Regelungen en détail fest, die unter keinen Umständen zum Gegenstand von AGB gemacht werden dürfen. Die Generalklausel des § 307 BGB erklärt solche Bestimmungen in AGB für unwirksam, die den Kunden „entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.“ Ob unangemessene Nachteile drohen, beurteilt sich aufgrund einer abstrakt-typisierenden Betrachtung.119 Der generalisierende Ansatz der §§ 307 bis 309 BGB bedingt, dass eine Klausel sogar dann unwirksam sein kann, wenn sie der Kunde im individuellen Fall bei Vertragsschluss zur Kenntnis genommen hat. Im Gegensatz zum Überraschungsverbot des § 305c Abs. 1 BGB schützt die Inhaltskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB den Verwendungsgegner demnach auch in Fällen, in denen kein informationelles Ungleichgewicht zwischen den Parteien besteht. Dies ist durchaus sinnvoll. Wie bereits erwähnt,120 wird bei der Verwendung von AGB 116 BGHZ 148, 74, 77; BGH NJW 1990, 2313, 2314; BGH NJW-RR 1987, 45, 46; MünchKommBGB/Basedow § 305c Rn. 4; Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 UKlaG Rn. 5; a. A. Bamberger/Roth/Schmidt § 305c Rn. 7 für „einzelfallunabhängige überraschende Gestaltungen“. 117 Den Gefahren aus dem Motivationsgefälle begegnet die abstrakt-generelle Inhaltskontrolle, dazu sogleich. 118 So z. B. OLG Hamburg NJW-RR 1999, 1506; Palandt/Grüneberg § 305c Rn. 4; Erman/Roloff § 305c Rn. 12; Ulmer/Schäfer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 305c Rn. 23. 119 Zum generalisierenden Maßstab der §§ 307 bis 309 BGB vgl. Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 310 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 347 ff. 120 Oben § 5 I. 4. a).
176 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
die Entscheidungsfreiheit des Kunden nicht allein durch eine Informationsasymmetrie gefährdet, sondern auch durch ein Motivationsgefälle: Selbst wenn der Kunde die für ihn ungünstige Vertragsregelung in den AGB wahrnimmt, nimmt er dies nur selten zum Anlass, den Vertragsschluss abzulehnen, da die Suche nach besseren Konditionen, gemessen an den erwarteten Vorteilen, zu aufwändig erscheint. Die Kenntnis vom Klauselinhalt lässt mit anderen Worten nicht ohne weiteres das Schutzbedürfnis des Kunden entfallen. Nicht nur zur Kompensation des Motivationsgefälles, auch im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes ist die abstrakt-generelle Inhaltskontrolle von Bedeutung. Anders als die konkret-individuelle Prüfung nach § 305c Abs. 1 BGB ist sie von sachverhaltsbezogenen Unsicherheiten frei: Der Gang der Verhandlungen, die Umstände des Vertragsschlusses und die Durchführung ähnlicher Geschäfte in der Vergangenheit sind grundsätzlich irrelevant. Die Beurteilung hängt primär von normativen Erwägungen ab. Wie erwähnt,121 lässt sich in der Entscheidungspraxis der Gerichte tatsächlich eine gewisse Präferenz zugunsten der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB beobachten: Bestimmungen in AGB werden häufig als „unangemessen“ kassiert, ohne dass die an sich vorrangige Frage ihres Überraschungscharakters beantwortet wird. Damit kommt es auf die Inhaltskontrolle nach § 305c Abs. 1 BGB letztlich nur dann an, wenn aufgrund der konkreten Begleitumstände des Vertragsschlusses eine Klausel als überraschend zu bewerten ist, die der generalisierenden Kontrolle am Angemessenheitsmaßstab standhält. Darüber hinaus ermöglicht das abstrakte Prüfverfahren den kollektiven Rechtsschutz, der von konkreten Verträgen unabhängig ist. Durch die Verbandsklage nach dem UKlaG wird die materiale Entscheidungsfreiheit der Kunden vorbeugend geschützt, indem der Rechtsverkehr von unangemessenen Klauseln freigehalten wird.122 Dies kommt denjenigen Kunden zugute, die aus Unwissenheit oder Kostengründen darauf verzichtet hätten, im Wege einer Individualklage gegen unangemessene Klauseln in ihren Verträgen selbst vorzugehen. (b) Die Grenze der Gestaltungsfreiheit Die Vorschrift des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB definiert die Grenzen der vertraglichen Gestaltungsfreiheit mithilfe einer unbestimmten Formel: Unwirksam sind AGB-Bestimmungen, die den Kunden „entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.“ Auch die europäische Klauselrichtlinie erklärt in Art. 3 Abs. 1 das „Gebot von Treu und Glauben“ für maßgebend. Die Regelbeispiele des § 307 Abs. 2 BGB bieten zwar eine gewisse Orientierung, 121
Siehe dazu bereits oben § 5 II. 3. a). Vgl. zum Zweck des Verbandsklageverfahrens BGHZ 127, 35, 38; BGH NJW 1981, 1511, 1512; Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 UKlaG Rn. 1. 122
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indem sie als Referenzkriterien auf die „wesentlichen Grundgedanken“ des dispositiven Gesetzesrechts und auf den „Vertragszweck“ verweisen. Die Interpretationsspielräume bleiben gleichwohl groß. Es überrascht folglich nicht, dass zur näheren Konkretisierung des Kontrollmaßstabs unterschiedliche Ansätze vertreten werden. Rechtsökonomischer Lösungsvorschlag. – Die rechtsökonomische Literatur tritt überwiegend für eine Anlehnung an das Effizienzkriterium ein.123 Ausgangspunkt der Argumentation ist die oben dargestellte Theorie, wonach die Ursache für das Vertragsversagen bei der Verwendung von AGB in der ungleichen Verteilung der Transaktionskosten zwischen dem Verwender und dem Kunden liegt.124 Den Maßstab für die Inhaltskontrolle sollen demzufolge die hypothetischen Vertragsbedingungen bilden, die ohne das Transaktionskostenhindernis – und folglich auch ohne das damit zusammenhängende Informations- und Motivationsgefälle – vereinbart worden wären.125 Nimmt man derartige perfekte Transaktionsvoraussetzungen an und unterstellt man ferner, dass die Parteien den größtmöglichen persönlichen Nutzen aus dem Vertrag ziehen wollen, dann ist der ausgehandelte Vertrag in allen Regelungen effizient im Sinne des Pareto-Kriteriums.126 Dies bedeutet beispielsweise, dass die vertraglichen Risiken jeweils der Partei auferlegt werden, die mit dem geringsten Aufwand ihren Eintritt abwenden kann (cheapest cost avoider) bzw. die Folgen der Risikoverwirklichung am leichtesten zu tragen vermag (cheapest cost insurer). Sieht der Vertrag eine andere, d.h. ineffiziente, anfängliche Risikoverteilung vor, bestehen noch Verhandlungsspielräume, die die Verbesserung der Position beider Parteien erlauben, wie der folgende Beispielsfall zeigt: Es sei davon ausgegangen, dass der Anbieter eines Produkts die Verwirklichung eines bestimmten Risikos gegen einen Aufwand in Höhe von A 5 verhindern kann. Weist ihm der Vertrag das Risiko zu, wird er A 5 in die Risikoabwehr investieren127 und das Produkt zu einem Preis anbieten, der seine Kosten einschließlich der Risikopräventions123 So etwa Kötz, FS Mestmäcker, S. 1037, 1042 ff.; vgl. auch ders. VersR 1983, Beiheft zu Nr. 41, 145, 146 ff.; Kuntz AcP 209 (2009), 242, 261 f.; MünchKommBGB/ Wurmnest § 307 Rn. 42 ff.; Korobkin U. Chi. L. Rev. 70 (2003), 1203, 1273 ff., in Bezug auf die entsprechende „unconscionability“-Regel im US-amerikanischen Recht. 124 Oben § 5 I. 4. a). 125 Die Orientierung am hypothetischen Verhandlungsergebnis auf einem perfekt funktionierenden Markt („mimic the market“) ist geradezu paradigmatisch für die ökonomische Analyse des Rechts, vgl. allgemein Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 65; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 403. 126 Diese Erkenntnis ist ein Aspekt des Coase-Theorems, vgl. dazu bereits oben § 2 I. 2. a) bb). 127 Dies wird er freilich nur tun, wenn die Kosten der Abwehrmaßnahme geringer sind als die Belastungen aus der Realisierung des Risikos. Ist beispielsweise von vornherein klar, dass bei Verwirklichung des Risikos höchstens ein Schaden in Höhe von A 4 eintreten kann, ist die präventive Maßnahme nicht sinnvoll. Im vorliegenden Kontext ist zu unterstellen, dass sich die Risikoprävention lohnt.
178 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts kosten deckt und darüber hinaus einen gewissen Gewinn ermöglicht. Ist nun der Nachfrager in der Lage, das Risiko zu geringeren Kosten als der Anbieter abzuwehren, nämlich z. B. für A 3, können beide Parteien im Verhandlungswege ihre jeweilige Ausgangslage verbessern. Übernimmt nämlich der Nachfrager das betreffende Risiko und gewährt im Gegenzug der Anbieter einen Preisnachlass in Höhe von z. B. A 4, profitieren im Ergebnis beide Seiten von einem solchen „Deal“: Der Gewinn des Anbieters erhöht sich um A 1, da sich seine Kosten dank der überflüssig gewordenen Risikoabwehr um A 5 verringern, die Einnahmen aus dem Geschäft hingegen lediglich um A 4. Für den Nachfrager auf der anderen Seite verbilligt sich das Produkt um A 1, da der Preisnachlass von A 4 größer ausfällt als die auf ihn zukommenden Kosten der Risikoprävention in Höhe von A 3. Anders verhält es sich, wenn der Anbieter der cheapest cost avoider ist, z. B. weil die Risikopräventionskosten für den Nachfrager A 7 statt A 3 betragen. In diesem Fall bleibt es beim ursprünglichen Vertragsinhalt, da sich über Verhandlungen keine für beide Parteien günstigere Regelung erzielen lässt.
Was folgt nun aus diesen Überlegungen für die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB? Nach dem effizienzorientierten Ansatz benachteiligt eine Regelung in den AGB den Kunden immer dann, wenn sie ihm ein Risiko zuweist, das der Verwender leichter abwenden bzw. tragen kann. Hier entspricht das privatautonom erzielte Verhandlungsergebnis nicht dem Optimum und bedarf folglich der richterlichen „Nachbesserung“: Der risikoverteilenden Klausel ist die Wirksamkeit zu versagen. Kritik. – Der rechtsökonomischen Auffassung, wonach „unangemessen“ im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB pauschal mit „wirtschaftlich ineffizient“ gleichzusetzen ist, kann nicht gefolgt werden. Auf den ersten Blick mag zwar der Eindruck entstehen, das hypothetische Verhandlungsergebnis auf einem idealen Markt sei ein klares und präzises Referenzmodell für die Durchführung der Inhaltskontrolle. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich indessen, dass der Prüfungsmaßstab in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Die Bestimmung des optimalen Vertragsinhalts hängt von einer Fülle von Daten ab, die dem Rechtsanwender nicht ohne weiteres bekannt sind. Wie sind die Vertragsrisiken zu beziffern, wie die Präventionskosten? Welche Partei ist der cheapest cost avoider bzw. insurer? Schwerer noch als die praktischen Einwände wiegen wertungssystematische Bedenken. Zunächst leuchtet es nicht ein, wieso der Klauselinhalt am Maßstab der Effizienz beurteilt werden soll, im Fall der Unwirksamkeit der Klausel jedoch gemäß § 306 Abs. 2 BGB das dispositive Recht gilt und nicht die effiziente Regelung.128 Eine weitere Überlegung kommt hinzu: Der rechtsökonomische Ansatz zielt letztlich darauf, wohlstandsmaximierende Vertragsbedingungen durchzusetzen. Die (negative) Formulierung des § 307 Abs. 1 BGB mit ihrer Bezugnahme auf das Prinzip von Treu und Glauben legt hingegen nahe, dass der Gesetzgeber in erster Linie den Plan verfolgt, ungerechte Regelungen abzuweh128
So zutreffend Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 563.
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ren.129 Im Übrigen erscheint es auch de lege ferenda nicht wünschenswert, die Inhaltskontrolle einseitig am Effizienzmaßstab auszurichten. Wie bereits erörtert, ist die deutsche und europäische Wirtschaftsverfassung einem breiteren Kanon an Wertentscheidungen verpflichtet als nur dem Effizienzziel. 130 Es stellt auch keinen Widerspruch dar, wenn man die Erklärung der ökonomischen Analyse für das Vertragsversagen bei der Verwendung von AGB akzeptiert, ihre Konzeption der Inhaltskontrolle hingegen ablehnt. In einem Fall geht es nämlich um positive Sachverhaltsanalyse, in dem anderen um normative Empfehlungen. Die beiden Ebenen sind strikt voneinander zu trennen, zwischen ihnen besteht kein zwangsläufiger Zusammenhang.131 Die Kluft zwischen effizienz- und gerechtigkeitsorientierter Inhaltskontrolle ist allerdings oftmals nicht so tief, wie man nach dem eben Gesagten vermuten würde. Es hatte sich bereits gezeigt,132 dass das Kriterium der Pareto-Effizienz durchaus auch mit fundamentalen Gerechtigkeitsvorstellungen im Einklang steht.133 Die effiziente Vertragsregelung kann im Einzelfall auch die gerechte sein. Tatsächlich stellt die Rechtsprechung bei der Inhaltkontrolle von Haftungsausschlussklauseln bisweilen darauf ab, welche Vertragspartei das fragliche Risiko mit geringerem Aufwand beherrschen134 bzw. sich zu niedrigeren Kosten dagegen versichern konnte.135 Dieses Vorgehen entspricht genau dem oben dargelegten Ansatz der ökonomischen Analyse. In anderen Konstellationen hingegen haben Effizienzüberlegungen keinen Einfluss auf die Inhaltskontrolle. Beispielhaft ist eine Entscheidung des BGH zur Unwirksamkeit einer Regelung, die Besucher eines Supermarkts zur Duldung verdachtsunabhängiger Taschenkontrollen verpflichtete. Der VIII. Zivilsenat führte in diesem Zusammenhang aus: „Ein wirksamer und preiswerter Schutz vor Ladendiebstählen mag auch im Hinblick auf die Entwicklung der Warenpreise im Interesse der Allgemeinheit der Kunden 129 Unberath/Cziupka AcP 209 (2009), 37, 75, sprechen davon, § 307 Abs. 1 BGB verweise auf „Fairness-Topoi“; ahnlich Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 342 f. 130 Oben § 3 I. 131 Zu dieser Unterscheidung s. bereits oben § 1 III. 132 Oben § 2 I. 2. a) bb) und § 2 I. 4. a) aa). 133 Siehe hierzu etwa Unberath/Cziupka AcP 209 (2009), 37, 75 ff. 134 BGHZ 103, 316 , 326 f. (Beschädigung von Schiffen im Rahmen von Werftarbeiten); BGH NJW 1971, 1036, 1038 (Fehler bei Befüllung von Öltanks durch Heizöllieferant); vgl. auch MünchKommBGB/Wurmnest § 307 Rn. 48 f. m.w. N. 135 BGHZ 150, 286, 297 (Missbrauchsrisiko bei Kreditkarten); BGHZ 77, 126, 133 (Beschädigung überdurchschnittlich wertvoller Kundenstücke bei chemischer Reinigung); KG NJW-RR 1991, 698, 699 (Beschädigung von Kundenfahrzeugen in Waschstraße); vgl. auch Stoffels, AGB-Recht, Rn. 490 ff.; MünchKommBGB/Wurmnest § 307 Rn. 45 ff.; Stoffels/Lohmann VersR 2003, 1343; Kötz VersR 1983, Beiheft zu Nr. 41, 145 ff.
180 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts sein. Selbst wenn jedoch – wie die Bekl. [scil. die Betreiberin des Supermarkts] geltend gemacht hat – ohne Taschenkontrollen ein Schutz vor Ladendiebstahl durch einen wirtschaftlich vertretbaren Personalaufwand oder mit technischen Hilfsmitteln nicht sichergestellt werden kann, wiegt das Interesse des einzelnen Kunden an dem Schutz seines Persönlichkeitsrechts auch bei Berücksichtigung eines eventuellen Interesses aller Kunden an einer günstigen Preisgestaltung stärker als das Interesse der Bekl. an einem Schutz ihres Eigentums.“ 136
Aus ökonomischer Sicht sind die Taschenkontrollen effizient, wenn die Beeinträchtigungen der kontrollierten Besucher weniger schwer wiegen als die Folgen der Preiserhöhung, zu der der Supermarktbetreiber gezwungen wäre, um die höhere Diebstahlsrate bei einem Verzicht auf die Kontrollen zu kompensieren. Der BGH teilt indessen einer solchen Abwägung von vornherein eine Absage und räumt dem Persönlichkeitsschutz der Kunden ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Erwägungen den Vorrang ein. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass für die abstrakte Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB Gerechtigkeitswertungen maßgebend sind, die in Einzelfällen die gleichen Ergebnisse hervorbringen können wie der effizienzorientierte rechtsökonomische Ansatz. bb) Wirkungen auf der überindividuellen Ebene (1) Eindämmung der adversen Selektion durch Gewährleistung eines materiellen Mindeststandards Die Inhaltskontrolle von AGB erfüllt nicht nur die eben behandelte individualschützende Funktion und bewahrt den Kunden vor der faktischen Fremdbestimmung durch den Verwender. Sie begegnet auch den überindividuellen Folgen des Vertragsversagens, nämlich dem Problem der adversen Selektion.137 Die Beschränkung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit dämmt den negativen Leistungswettbewerb ein und verhindert, dass der materielle Standard der AGB im Rechtsverkehr immer weiter zulasten der Kunden absinkt. Differenziert man genauer nach den beiden Formen der Inhaltskontrolle, die das AGB-Recht vorsieht, wird deutlich, dass lediglich die abstrakt-generelle Inhaltskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB den Markt zu stabilisieren vermag. Die Inhaltskontrolle im Rahmen des Überraschungsverbots ist demgegenüber nicht geeignet, den Prozess der Negativauslese aufzuhalten. Dies erklärt sich daraus, dass der Prüfungsmaßstab des § 305c Abs. 1 BGB mit seiner Ausrichtung auf das Merkmal der „Ungewöhnlichkeit“ nicht stetig ist, sondern sich an die jeweils herrschenden Marktbedingungen und Geschäftsgepflogenheiten anpasst. 136 137
BGHZ 133, 184, 190 f. Oben § 5 I. 4. b) bb).
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Sinkt nun die „Qualität“ von AGB auf dem Markt im Zuge der Negativauslese immer weiter ab, verschiebt sich entsprechend auch der Maßstab für die Beurteilung des Überraschungseffekts. Eine Freizeichnungsklausel, die zunächst nur wenige Anbieter verwenden, kann auf einem umkämpften Angebotsmarkt rasch allgemeine Verbreitung finden, wenn sie dem Verwender Kosteneinsparungen und damit Wettbewerbsvorteile verspricht. Das Überraschungsverbot schützt allein vor „Ausreißern“, d.h. vor einzelnen unerwarteten Abweichungen vom verkehrsüblichen Standard zulasten des Kunden. Es wirkt jedoch nicht einer marktweiten schleichenden Erosion der Kundenrechte in AGB entgegen. Hingegen stellt die Wirksamkeitskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB einen absoluten materiellen Mindeststandard auf. Aus den speziellen Klauselverboten und der Inhaltskontrolle am Maßstab der „Angemessenheit“ ergeben sich starre inhaltliche Vorgaben für die Gestaltung von AGB, die von der Marktentwicklung grundsätzlich nicht beeinflusst werden. (2) Wettbewerbsfördernde Funktion durch Standardisierung der vertraglichen Nebenbestimmungen Neben der (defensiven) Eindämmung der negativen Marktauslese geht von der Inhaltskontrolle auch eine wettbewerbsstimulierende Wirkung aus. Sie trägt nämlich zur Erhöhung der Markttransparenz bei, indem sie die Zahl der Wettbewerbsparameter beschränkt.138 Der wettbewerbsfördernde Effekt hängt damit zusammen, dass die Inhaltskontrolle von AGB grundsätzlich nur vertragliche Nebenregelungen und nicht die essentialia negotii erfasst.139 Auf längere Sicht steht zu erwarten, dass die Vertragsbedingungen, die der Inhaltskontrolle unterliegen, materiell so ausgestaltet werden, dass sie gerade noch die Grenze des Erlaubten einhalten. Für die Verwender lohnt es sich nämlich regelmäßig nicht, Klauseln in den Vertrag einzubeziehen, die für den Kunden günstiger sind als der gesetzliche Mindeststandard: Derartige Regelungen verursachen dem Verwender nur höhere Kosten, ohne Wettbewerbsvorteile zu bieten, da sie von den Kunden im Rahmen der Abschlussentscheidung sowieso nicht zur Kenntnis genommen werden. Geht man davon aus, dass alle konkurrierenden Anbieter ihren Verträgen die gerade noch zulässigen AGB zugrunde legen, bewirkt die Inhaltskontrolle im Ergebnis eine Standardisierung der Geschäftsbedingungen.140 Der Wettbewerb konzentriert sich in der Folge auf die Transaktionsvariablen, die nicht der AGB-Kontrolle unterliegen, vor allem auf den Preis und die Qualität der (Haupt-)Leistung. Durch 138
Siehe hierzu auch Wackerbarth AcP 2000, 45, 71 f. Unten § 5 IV. 3. 140 Vgl. auch Engel JZ 1995, 213, 214, der davon spricht, dass zwingende schuldrechtliche Regeln eine „künstliche Homogenisierung der Produkte“ bewirken. 139
182 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
die Beschränkung der Zahl der effektiven Wettbewerbsparameter wird den Abnehmern der Vergleich zwischen den konkurrierenden Leistungsangeboten erleichtert: Der Markt wird dadurch transparenter. Dass standardisierte vertragliche Nebenbestimmungen positive Effekte auf den Wettbewerb haben, ist im Übrigen auch im Bereich des Kartellrechts anerkannt. Bis zur 7. GWB-Novelle 2005 sah § 2 Abs. 2 GWB a. F. einen Freistellungstatbestand vom Kartellverbot für sogenannte Konditionenkartelle vor. Ebenso nahm § 22 Abs. 3 Nr. 2 GWB a. F. die Empfehlung einheitlicher Konditionen durch Wirtschafts- und Berufsvereinigungen vom Grundsatz des Empfehlungsverbotes aus. „Konditionen“ im Sinne dieser Vorschriften meinen allgemeine Geschäfts-, Lieferungs-, und Zahlungsbedingungen einschließlich der Skonti, soweit sie sich nicht auf Preise oder Preisbestandteile beziehen. Die Privilegierung koordinierter Verhaltensweisen in diesem Bereich wurde gerade damit begründet, dass die Standardisierung von Nebenbestimmungen die Markttransparenz erhöhe und den Preis- und Qualitätswettbewerb stimuliere.141 Diese Einschätzung hat auch nach der 7. GWB-Novelle weiterhin Bestand. Der Gesetzgeber wollte mit der Neufassung von § 2 und § 22 GWB nichts an der bisherigen Rechtslage ändern: Die grundsätzliche Zulässigkeit von Konditionenkartellen und -empfehlungen soll sich fortan nach der Streichung der ausdrücklichen Freistellungstatbestände aus der Generalklausel des Art. 101 Abs. 3 AEUV (i.V. m. § 2 Abs. 2 GWB n. F.) ergeben.142 Es kann folglich festgehalten werden, dass die Vereinheitlichung von AGB, die sich nicht auf Preisfragen beziehen, wettbewerbspolitisch nach wie vor überwiegend positiv bewertet wird.143 3. Prävention durch das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion a) Bedeutung des Grundsatzes vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Der dritte regulatorische Ansatz gegen den Missbrauch von AGB ist neben dem Informationsmodell und dem zwingenden Recht die Prävention. Durch die Androhung negativer Rechtsfolgen soll der Verwender bei der Ausübung seiner Gestaltungsmacht „diszipliniert“ werden. Wie bereits erwähnt, beruht etwa die 141
Bunte in: FK § 2 GWB 1999 Rn. 57 ff. m.w. N. BT-Drucks. 15/3640, S. 26. 143 Vgl. im Einzelnen die Darstellung von Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 2 Rn. 132 ff. m.w. N. – Siehe allerdings auch EuGH 21.1.1999, verb. Rs. C-215/96 und 216/96 (Carlo Bagnasco u. a.), Slg. 1999, I-135, wo der EuGH nicht so weit gegangen ist, die Verwendung einheitlicher AGB innerhalb einer Branche (konkret: die AGBBanken der italienischen Kreditwirtschaft) allgemein als kartellrechtlich unbedenklich einzustufen, sondern lediglich eine Wettbewerbsbeschränkung durch die konkret gerügten Klauseln verneint hat. 142
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contra-proferentem-Auslegungsregel des § 305c Abs. 2 BGB auf dem Präventionsgedanken:144 Der Grundsatz der Auslegung zulasten des Verwenders soll diesen dazu veranlassen, keine mehrdeutigen AGB zu stellen.145 Die wichtigste Präventionsregel im Rahmen des AGB-Rechts ist allerdings das sog. Verbot der geltungserhaltenden Reduktion. Die Regelung betrifft die Rechtsfolgen im Fall der gescheiterten Einbeziehung bzw. der Unwirksamkeit einer AGB-Klausel. Sie ist im Einzelnen höchst umstritten: Zum einen bildet bereits der Begriff der geltungserhaltenden Reduktion selbst den Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten.146 Darüber hinaus wird darüber gestritten, ob und inwieweit der Grundsatz tatsächlich gilt.147 Für den vorliegenden Zusammenhang interessiert indessen allein der Grundgedanke der Regelung, der von den Kontroversen weitgehend unberührt ist, da er in § 306 Abs. 2 BGB unzweideutig gesetzlich verankert ist: Eine AGB-Bestimmung, die der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB nicht standhält,148 ist insgesamt unwirksam (sog. Totalunwirksamkeit) und darf, wie der BGH in ständiger Rechtsprechung vertritt, nicht „auf den gerade noch zulässigen Inhalt zurückgeführt und damit aufrechterhalten werden.“ 149 Anstelle der kassierten Klausel gilt gemäß § 306 Abs. 2 BGB das dispositive Gesetzesrecht. Die Besonderheit dieser Rechtsfolgenregelung besteht in der „überschießenden“ Wirkung: Wird die Grenze überschritten, die das AGB-Recht der vertraglichen Gestaltungsfreiheit zieht, ist die Abweichung vom dispositiven Recht zulasten des Kunden auch insoweit unwirksam, als sie für sich betrachtet noch maßvoll und dem Kunden nach den §§ 307 bis 309 BGB noch zuzumuten wäre.
144
§ 5 II. 1. a). Siehe dazu auch die Nachweise in Fn. 76. Diese Präventionsregel ist auch unter Effizienzgesichtspunkten sinnvoll, da der Verwender am besten dazu in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass klare und unmissverständliche AGB dem Vertrag zugrunde gelegt werden. 146 Umstritten ist, ob darunter die Rückführung der beanstandeten Klausel auf das gerade noch zulässige oder auf das angemessene Maß zu verstehen ist; vgl. für die erste Auffassung BGH NJW 2008, 3772, 3774; BGHZ 165, 12, 26; BGH NJW-RR 2006, 84, 86; Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 306 Rn. 14; für die zweite Auffassung Canaris, FS Steindorff, S. 519, 549 f.; Hager JZ 1996, 175, 176; H. Roth JZ 1989, 411, 418. Vgl. zum Streit insgesamt Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 225 ff. 147 Zu den unterschiedlichen Positionen vgl. die Nachweise in der vorausgegangenen Fn. 148 Rechtsprechung und h. L. haben den Grundsatz des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion zwar im Zusammenhang mit der Wirksamkeitskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB entwickelt. Die gleichen Erwägungen gelten allerdings auch für Verstöße gegen das Überraschungsverbot des § 305c Abs. 1 BGB, ebenso Bamberger/ Roth/Schmidt § 306 Rn. 15 und wohl auch Bork, BGB AT, Rn. 1786. 149 Vgl. nur aus jüngerer Zeit BGH NJW 2008, 3772, 3774; a. A. wohl MünchKommBGB/Basedow § 306 Rn. 13. 145
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b) Rechtfertigung des Grundsatzes Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion wird zum Teil mit Transparenzüberlegungen gerechtfertigt:150 Welcher AGB-Inhalt gerade noch zulässig ist, erschließt sich den Vertragsparteien, insbesondere rechtsunkundigen, nicht ohne weiteres. Um Unklarheiten zu vermeiden, soll folglich an die Stelle der unwirksamen Klausel das wesentlich leichter zu ermittelnde dispositive Gesetzesrecht treten.151 Schwerer noch als der Transparenzgesichtspunkt wiegt allerdings das Präventionsargument:152 Der Verwender darf nicht die Möglichkeit erhalten, bei der Aufstellung seiner Konditionen faktisch risikolos über die Grenze des Erlaubten hinauszugehen.153 Genau dies wäre jedoch die Konsequenz aus der Zulassung der geltungserhaltenden Reduktion: Der Verwender könnte darauf bauen, dass im Prozessfall das Gericht die Benachteiligung des Gegners soweit wie rechtlich zulässig durchsetzt. Auffällig ist, dass der BGH der Sanktion der Totalunwirksamkeit eine überindividuelle Schutzfunktion beimisst: Sie diene dem generalpräventiven Ziel, „den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen freizuhalten.“ 154 Vergegenwärtigt man sich noch einmal das Marktversagen, das mit der Verwendung von AGB verbunden ist, wird klar, dass der generalpräventive Ansatz des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Marktes leistet. Ohne das Informations- und Motivationsgefälle würde der Inhalt der AGB, wie andere Transaktionsvariablen auch, am Konditionenwettbewerb teilnehmen: Der Verwender müsste bei einer zu kundenfeindlichen Ausgestaltung des Klauselwerks befürchten, dass seine Kunden zu Konkurrenten abwandern. Der Konkurrenzkampf würde somit den Verwender „disziplinieren“ und unangemessene Nachteile für die Kunden verhindern.155 Aufgrund des Transaktionskostenhindernisses findet nun allerdings kein positi150
BGHZ 84, 109, 116. Nach diesem Ansatz dient das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion der Abwicklungstransparenz, vgl. hierzu bereits oben § 5 II. 1. c). 152 Der EuGH spricht im Zusammenhang mit der Klauselrichtlinie von dem „Abschreckungseffekt [. . .], der für die Gewerbetreibenden darin besteht, dass solche missbräuchlichen Klauseln gegenüber dem Verbraucher schlicht unangewendet bleiben“, s. EuGH 14.6.2012, Rs. C-618/10 (Banco Español de Crédito SA), Slg. 2010, I-0000, Rn. 69. 153 BGHZ 143, 103, 119; BGHZ 92, 312, 315; BGHZ 84, 109, 114 ff.; Erman/Roloff § 306 Rn. 8; Palandt/Grüneberg Vorb v § 307 Rn. 8; vgl. auch Schäfer, FS Ott, S. 279, 308; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 331. 154 So etwa BGHZ 84, 109, 116. – Ähnlich argumentiert auch der EuGH, wenn er ausführt, dass die vom Gericht von Amts wegen vorzunehmende Inhaltskontrolle „abschreckend wirken kann und damit dazu beiträgt, dass der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch Gewerbetreibende in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird“, so EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00 (Cofidis), Slg. 2002, I-10875, Rn. 32; ebenso EuGH 26.10.2006, Rs. C-168/05 (Mostaza Claro), Slg. 2006, I-10421, Rn. 27. 155 Vgl. zur „Disziplinierungsfunktion“ des Wettbewerbs oben § 2 I. 4. a) bb). 151
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ver Leistungswettbewerb in Bezug auf den AGB-Inhalt statt. Die Disziplinierungswirkung des Marktmechanismus bleibt aus, der Verwender kann „ungestraft“ kundenfeindliche Klauseln in den Vertrag einbeziehen, ohne befürchten zu müssen, seine Nachfrager zu verprellen. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion mit seiner „überschießenden“ Nichtigkeitsfolge übernimmt nun die Aufgabe, die auf einem funktionierenden Markt der Wettbewerb erfüllt: Es „zügelt“ den Klauselverwender und zwingt ihn dazu, auf die Interessen der Kunden Rücksicht zu nehmen.156 Je weiter der Verwender vom dispositiven Gesetzesrecht zulasten des Gegners abweicht, desto mehr nimmt das Risiko zu, dass die Klausel die Grenze des Zulässigen überschreitet und infolgedessen insgesamt kassiert wird. Die Gestaltung des Klauselinhalts wird somit zum Balanceakt: Der Verwender muss die Vorteile aus jeder zusätzlichen Verschärfung der Regelungen zulasten des Kunden gegen die höhere Gefahr der Totalunwirksamkeit abwägen. Auf einer vergleichbaren Gratwanderung befände sich der Anbieter bei funktionierenden Wettbewerbsbedingungen: Hier gilt es, die Konditionen so zu formulieren, dass sie einerseits einen möglichst großen Gewinn versprechen, andererseits jedoch den Nachfrager nicht in die Arme der Konkurrenz treiben. Vor diesem Hintergrund lässt sich sagen, dass das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion die Handlungsbedingungen nachstellt, denen der Verwender ohne das Marktversagen unterläge. Das „Risiko“ der Totalunwirksamkeit zwingt den Verwender im Ergebnis zu Vorsicht und Zurückhaltung bei der Abweichung vom dispositiven Recht zulasten der Kunden. Um die Totalkassation zu verhindern, ist der Verwender gezwungen, sich über die rechtliche Zulässigkeit der Vertragsregelungen zu vergewissern und notfalls zweifelhafte Klauseln abzumildern bzw. ganz auf sie zu verzichten. Eine solche „verantwortungsvolle“ Verwendung standardisierter Vertragsbedingungen ist es, auf die der Präventionsgedanke des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion letztlich zielt. c) Ausnahmen vom Grundsatz bei fehlendem Präventionsbedürfnis? Nach dem eben Gesagten stellt sich die Frage, ob die Rechtsfolgenregel aus teleologischen Gründen einzuschränken ist, wenn sich der Klauselverwender im Einzelfall so verhält, wie es die Rechtsordnung von ihm erwartet. Tatsächlich lehnen Teile des Schrifttums die Totalkassation ab, wenn der Verwender bei der Aufstellung des Klauselwerks „redlich“ bzw. „gutgläubig“ handelte.157 Redlich156 Nach Leyens/Schäfer AcP 210 (2010), 771, 801, birgt allerdings das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion auch die Gefahr einer Überabschreckung des Klauselverwenders, die im Ergebnis zu Effizienzverlusten führen kann. 157 Canaris FS Steindorff, S. 519, 558; Hager JZ 1996, 175, 177; Kötz NJW 1979, 785, 789; vgl. auch Staudinger/Schlosser § 306 Rn. 24 sowie die Diskussion bei Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 91 ff.
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keit bzw. Gutgläubigkeit im Sinne dieser Auffassung soll bereits dann anzunehmen sein, wenn der Verwender „die Unangemessenheit seiner Klausel weder kannte noch sich ihr verschlossen hat.“ 158 Die Ausnahme vom Reduktionsverbot wird damit begründet, dass die Verfolgung des Präventionsziels in derartigen Konstellationen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Die Rechtsprechung hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen. Der Gesichtspunkt der Vorwerfbarkeit – insbesondere die Frage, ob der Verwender mit der Unangemessenheit der Klausel rechnete oder rechnen musste – spielt für sie grundsätzlich keine Rolle.159 Nach dem BGH bleibt es bei der Totalkassation sogar bei solchen AGB-Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den rechtlichen Anforderungen genügen und erst aufgrund einer späteren Rechtsprechungsänderung der AGB-Kontrolle plötzlich nicht mehr standhalten.160 Einzig bei einer zwischenzeitlich eingetretenen Gesetzesänderung erlaubt der BGH161 (ebenso wie das BAG)162 aus Vertrauensschutzgründen die Aufrechterhaltung der Klausel bis zur Angemessenheitsgrenze. Die Frage nach möglichen Ausnahmen vom Grundsatz der Totalkassation ist in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit nichtigen Schönheitsreparaturklauseln in Wohnraummietverträgen aktuell geworden. In den letzten Jahren hat der BGH einen strengeren Kurs bei der Beurteilung solcher Klauseln eingeschlagen. In einer Reihe von Entscheidungen erklärte er bestimmte Regelungen (insbesondere sogenannte „starre Fristenpläne“ und entsprechende Abgeltungsabreden) für unwirksam.163 Dabei wurden auch Bestimmungen für unzulässig gehalten, die in der früheren Rechtsprechung der AGB-Kontrolle noch standgehalten hatten.164 Der BGH hielt auch hier am Grundsatz der Totalunwirksamkeit fest. Dies hatte im vorliegenden Kontext besonders gravierende wirtschaftliche Folgen. Durch die vollständige Kassation der Schönheitsreparaturklausel wurde die Überwälzung der Instandsetzungspflicht auf den Mieter insgesamt rückgängig gemacht. Es blieb mit anderen Worten bei der gesetzlichen Regelung des § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach der Vermieter die Erhaltungslast der Mietsache trägt.165 Da der Vertrag im Übrigen gemäß § 306 Abs. 1 BGB unberührt blieb, erhielt der Vermieter für die erweiterten Renovierungspflichten keinen wirtschaftlichen Aus158
Canaris, FS Steindorff, S. 519, 557. Ebenso Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 306 Rn. 15; Kappus ZMR 2007, 31, 32; Artz NZM 2007, 265, 267. 160 BGHZ 132, 6, 12; BGHZ 106, 42, 52; BGH NJW 1981, 1511, 1512. 161 BGH NJW 2008, 1438, 1439. 162 BAG NJW 2005, 1820, 1822. 163 Vgl. z. B. BGH NJW 2004, 2586; BGH NJW 2006, 1728; BGH NJW 2006, 3778; BGH NJW 2008, 2499; BGH NZM 2009, 353, 354. 164 BGH NJW 2006, 3778, 3780, BGH NJW 2008, 1438, 1439; s. auch Graf von Westphalen NJW 2009, 2355, 2356. 165 BGH NJW 2006, 2915, 2917. 159
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gleich.166 Die Reduktion der Klausel hätte ihn demgegenüber weniger hart getroffen, da in einem solchen Fall lediglich die konkreten unangemessenen Regelungsgesichtspunkte (z. B. die Fristenregelung also solche) beseitigt worden wäre und der Mieter die Reparationspflicht im Übrigen weiterhin getragen hätte. Der BGH geht zu weit, wenn er bei Rechtsprechungsänderungen vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion nicht abrückt.167 Ein Präventionsbedürfnis besteht in diesen Fällen nicht, so dass die „überschießende“ Rechtsfolge der Totalunwirksamkeit nicht gerechtfertigt ist. Was kann vom Verwender mehr erwartet werden, als dass er bei der Wahl seiner AGB die Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung beachtet? Der BGH offenbart ein übertriebenes Misstrauen gegenüber der Verwendung von AGB, wenn er seinen Standpunkt auf folgende Weise begründet: „Ein Vertragspartner, der sich nicht mit der gesetzlichen Regelung begnügt und zur Erweiterung seiner Rechte den Weg der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wählt, wird in der Regel nicht dadurch in seinem schutzwürdigen Vertrauen beeinträchtigt, dass eine Klausel geraume Zeit unbeanstandet geblieben ist und erst nach Jahren gerichtlich für unwirksam erachtet wird.“ 168
Der BGH suggeriert mit dieser Formulierung, dass die bloße Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht in den AGB ein risikoreiches Verhalten darstellt, das nicht schutzwürdig ist. Diese Sichtweise wird der Rolle von AGB im modernen Wirtschaftsverkehr nicht gerecht. Wie bereits erwähnt,169 tragen die typisierenden gesetzlichen Vorschriften nicht immer den Anforderungen besonderer Transaktionen Rechnung. Es besteht deswegen oftmals ein legitimes Interesse an einer Anpassung des dispositiven Rechts. Bei Massengeschäften ist es auch sinnvoll, derartige Modifikationen mithilfe standardisierter Vertragsbedingungen vorzunehmen, da so Transaktionskosten in beträchtlichem Umfang eingespart werden können. Es ist folglich verfehlt, vor der Benutzung von AGB generell abzuschrecken.
III. Zwischenresümee 1. Recht der AGB-Kontrolle als marktkonstitutives Recht Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass das Recht der AGB-Kontrolle der Überwindung eines Marktversagens dient, das seine Ursache in einem struk166 Nach BGH NJW 2008, 2840, ist der Vermieter nicht einmal berechtigt, im Falle der Unwirksamkeit einer Schönheitsreparaturklausel die Miete nach Maßgabe des § 558 BGB als Ausgleich dafür zu erhöhen, dass er nunmehr die Erhaltungslast für die Mietwohnung zu tragen hat. 167 Vgl. auch Erman/Roloff § 306 Rn. 9. 168 BGH NJW 2008, 1438, 1439; zust. Sternel NZM 2007, 545, 546 f.; a. A. Horst NZM 2007, 185, 187 ff. 169 Siehe oben § 5 am Anfang.
188 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
turellen Informations- und Motivationsgefälle zwischen den Parteien bei Vertragsschluss hat. Die §§ 305 ff. BGB versuchen mithilfe unterschiedlicher regulatorischer Ansätze (Informationsmodell, Beschränkung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit, Prävention), die gestörte „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ wiederherzustellen. Die Regelungen erfüllen vor diesen Hintergrund eine marktkonstitutive Funktion. Der Schutz der materialen Entscheidungsfreiheit des Kunden, die Eindämmung des negativen Konditionenwettbewerbs und die Erhöhung der Markttransparenz durch die faktische Standardisierung vertraglicher Nebenbedingungen sichern allesamt die Funktionsbedingungen des Marktes. Das AGB-Recht achtet insbesondere das Prinzip der subjektiven Äquivalenz, das für die Marktwirtschaft grundlegende Bedeutung besitzt:170 Eine richterliche Äquivalenzkontrolle, wie sie für das marktkompensatorische Recht typisch ist, findet im Rahmen der §§ 305 ff. BGB gerade nicht statt.171 2. Anwendung des AGB-Rechts zu anderen Zwecken? Die Anwendung des AGB-Rechts steht indessen nicht immer im Zusammenhang mit der oben beschriebenen Form des Marktversagens. Die Regeln der §§ 305 ff. BGB, insbesondere die Inhaltskontrolle der §§ 307 bis 309 BGB, werden zum Teil auch in Fallkonstellationen herangezogen, in denen die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ aus anderen Gründen als dem Informations- und Motivationsgefälle zwischen Verwender und Kunden beeinträchtigt ist. Ein Beispiel ist die Anwendung der AGB-Inhaltskontrolle zum Schutz von Drittinteressen.172 Die ungleiche Verteilung der Transaktionskosten, die dafür verantwortlich ist, dass es sich für den Kunden nicht im gleichen Maß wie für den Verwender lohnt, auf den Inhalt der vertraglichen Nebenbedingungen Einfluss zu nehmen,173 erhöht lediglich die Gefahr eines unangemessenen Vertragsinhalts zulasten des Kunden. Die Belange vertragsfremder Dritter werden durch die Verwendung von AGB grundsätzlich nicht in höherem Grad gefährdet als durch den Abschluss von Individualvereinbarungen.174 Ein weiteres Beispiel für die atypische Anwendung der AGB-Regeln ist die Kontrolle von Klauseln in Arbeits- und Wohnraummietverträgen.175 Derartige Verträge haben regelmäßig eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für die beteiligten Parteien. Es trifft
170
Vgl. dazu bereits oben § 4 I. 2. a) ee). Dazu ausf. unten § 5 IV. 3. 172 Allgemein zur Problematik Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 133 ff. m.w. N.; Baetge AcP 202 (2002), 972; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen. 173 Dazu oben § 5 I. 4. a). 174 So zu Recht Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 306. 175 Die Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle ist seit der Schuldrechtsmodernisierung 2001 in § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB angeordnet. 171
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daher nicht ohne weiteres zu, dass für den Arbeitnehmer bzw. den Mieter der Aufwand für die Kenntnisnahme des Klauselinhalts und für die Suche nach einem besseren Vertragsangebot außer Verhältnis zu den damit verbundenen Vorteilen stünde. Wenn solche Verträge einer Inhaltskontrolle unterworfen werden, dann liegt der Grund hierfür nicht in einem Transaktionskostenproblem, sondern in einem Machtgefälle, das die Rechtsordnung aus sozialpolitischen Motiven kompensieren will. Die Klauselkontrolle verfolgt hier mit anderen Worten marktkompensatorische Ziele.176 Die unterschiedliche Schutzrichtung im Vergleich zur marktkonstitutiven Klauselkontrolle zeigt sich insbesondere darin, dass die Gerichte bei der Prüfung von Arbeits- und Mietverträgen sehr häufig die Auswirkungen der streitigen Klausel auf die Ausgewogenheit des Vertragsinhalts insgesamt berücksichtigen.177 Damit wird letztlich – entgegen der gesetzgeberischen Intention178 – die objektive Äquivalenz der Transaktion beurteilt.179 Weder die Beeinträchtigung Dritter noch die Übervorteilung der schwächeren Partei im Rahmen von Arbeits- und Mietverträgen stellen das spezifische Risiko aus der Verwendung vorformulierter Standardklauseln dar. In beiden Konstellationen wäre folglich an sich § 138 bzw. § 242 BGB der teleologisch richtige Anknüpfungspunkt für die Vertragskontrolle.180 Es ist freilich zuzugeben, dass die Wahl des Prüfungsmaßstabs eine nur sehr beschränkte Bedeutung besitzt, da sie keine Unterschiede im Kontrollergebnis mit sich bringt: Anstelle der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB – andere Regeln des AGB-Rechts spielen nämlich
176 Dauner-Lieb/Axer ZIP 2010, 309, 314, sprechen in diesem Zusammenhang von der „sozialen Dimension“ der AGB-Kontrolle. 177 Vgl. in Bezug auf Arbeitsverträge z. B. die Entscheidung BAG NZA 2008, 219, bei der der 5. Leitsatz lautet: „Der formularmäßige Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage hält [. . .] einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht stand. Ohne kompensatorische Gegenleistung des Arbeitgebers stellt ein solcher Klageverzicht eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar“ (Hervorhebung nicht im Original). – Bei Mietverträgen vgl. etwa die Rspr. zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Abwälzung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter, die der BGH u. a. damit begründet, der rechtliche Nachteil für den Mieter werde regelmäßig durch einen wirtschaftlichen Vorteil in Form einer niedrigeren Miete kompensiert (was empirisch freilich zweifelhaft ist), BGHZ 105, 71, 79 f. 178 Zur grundsätzlichen Kontrollfreiheit des Äquivalenzverhältnisses s. näher unten § 5 IV. 3. 179 Zum sog. Kompensationsargument s. näher unten § 5 IV. 5. 180 Geht es um den (marktkompensatorischen) Schutz gegen die unangemessenen Klauseln eines marktmächtigen Verwenders, können in bestimmten Fällen auch die kartellrechtlichen Regeln über den Ausbeutungsmissbrauch einschlägig sein (Art. 102 AEUV/§ 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB), vgl. hierzu auch Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, Vorb vor § 307 Rn. 86 ff.; Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 74; Fornasier, in: FIW (Hrsg.), Schwerpunkte des Kartellrechts 2011, S. 113. – Vgl. zur kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle als Instrument des marktkompensatorischen zwingenden Rechts oben § 4 II. 2. c) (2) (b).
190 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
bei den hier interessierenden Verträgen regelmäßig keine Rolle181 – wären zwei andere Generalklauseln maßgebend. Die Ausfüllung im Einzelfall würde sich an den gleichen Kriterien orientieren.
IV. Einzelfragen des AGB-Rechts Die vorangegangenen Abschnitte haben untersucht, aus welchen Gründen bei der Verwendung von AGB die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ gestört ist und mit welchen regulatorischen Maßnahmen sich der Gesetzgeber um eine Korrektur bemüht. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen im Folgenden fruchtbar gemacht werden, um eine Reihe strittiger Einzelfragen bei der Anwendung der AGB-Regeln zu lösen. 1. Begriff der AGB und Abgrenzung zur Individualvereinbarung § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB bestimmt, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht vorliegen, „soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind.“ Derartige Individualvereinbarungen fallen von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB. Die gleiche Einschränkung sieht die europäische Klauselrichtlinie vor: Aus Art. 3 Abs. 1 ergibt sich, dass sich die Missbrauchskontrolle bloß auf Vertragsklauseln bezieht, die „nicht im Einzelnen ausgehandelt“ wurden. Art. 3 Abs. 2 bestimmt sodann in negativer Weise, unter welchen Voraussetzungen eine Vertragsklausel nicht im Einzelnen ausgehandelt ist: Dies ist der Fall, wenn sie im Voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb keinen Einfluss auf ihren Inhalt nehmen konnte. Unter Rückgriff auf den oben ermittelten Schutzzweck der Klauselkontrolle soll nun näher bestimmt werden, wie kontrollunterworfene AGB und kontrollfreie Individualvereinbarungen voneinander abzugrenzen sind. a) Die Kontrollfreiheit von Individualvereinbarungen Wenn § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB Individualabreden von der AGB-Kontrolle freistellt, dann darf daraus nicht die Wertung abgeleitet werden, die Rechtsordnung sehe das Aushandeln der Vertragsbedingungen „im Einzelnen“ als Idealform des Kontrahierens an. Wie bereits erwähnt,182 ginge ein solches Vertragsmodell an den praktischen Anforderungen einer modernen Wirtschaft vollkommen vorbei, da es mit dem standardisierten Massenhandel unvereinbar wäre. Die 181 Die Einbeziehungsregeln des § 305 Abs. 2 BGB sind beispielsweise auf Formularverträge wie etwa Arbeits- oder Mietverträge schon gar nicht anwendbar, vgl. BGH NJW 1995, 190; für Arbeitsverträge folgt dies bereits aus § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB. 182 So oben § 5 I. 3. b).
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Regelung des § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB ist vielmehr so zu verstehen, dass in den Fällen, in denen ein Vertrag in Form einer Individualvereinbarung geschlossen wird – was ausnahmsweise auch bei Massengeschäften vorkommen kann183 –, kein Bedürfnis nach einer AGB-Kontrolle besteht. Dies liegt daran, dass bei einer individuell ausgehandelten Regelung der Kunde nicht dem Transaktionskostenhindernis gegenüber steht, das bei vorformulierten Vertragsbedingungen die „Richtigkeitsgewähr“ stört.184 Erstens findet nämlich der Inhalt der Vereinbarung zwangsläufig die Aufmerksamkeit des Kunden, wodurch die Informationsasymmetrie zwischen den Parteien beseitigt ist.185 Zweitens ist auch das Motivationsgefälle überwunden: Der Kunde kann bei einem Aushandeln auf den Regelungsinhalt Einfluss nehmen, er befindet sich nicht in einer Situation der faktischen Alternativlosigkeit, in der jeder Widerspruch von vornherein zwecklos wäre. b) Tatbestandsanforderungen für das „Aushandeln im Einzelnen“ Für das Vorliegen einer Individualabrede verlangt der BGH in ständiger Rechtsprechung, dass der Verwender den in seinen AGB enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung seiner Interessen einräumt; der Kunde muss die reale Möglichkeit erhalten, den Inhalt der Vertragsbedingungen zu beeinflussen.186 Diese Grundsätze sind sachgerecht. Nur wenn die vom BGH formulierten hohen Anforderungen erfüllt sind, kann davon ausgegangen werden, dass das für AGB typische Informations- und Motivationsungleichgewicht nicht besteht. In einer jüngeren Entscheidung hat der III. Zivilsenat des BGH eine zusätzliche, informationsbezogene Anforderung gestellt. „Jedenfalls bei umfangreichen bzw. nicht leicht verständlichen Klauseln“ ist für die Annahme eines individuellen Aushandelns erforderlich, dass „der Verwender die andere Vertragspartei über den Inhalt und die Tragweite der Klausel(n) im Einzelnen belehrt hat oder sonstwie erkennbar geworden ist, dass der andere Vertragspartner deren Sinn wirklich erfasst hat.“ 187 Zur Begründung wird angeführt, dass nur unter diesen Umständen gewährleistet sei, dass der Inhalt der Individualvereinbarung „vom Kunden in seinen rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen“ aufgenommen worden sei, und damit „als Ausdruck seiner rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung und Selbst183
Vgl. auch MünchKommBGB/Basedow § 305 Rn. 37. Vgl. oben § 5 I. 4. a). 185 So auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 74; Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung, S. 202 ff. 186 BGHZ 143, 103, 111 f.; BGHZ 150, 299, 302 f.; ebenso MünchKommBGB/Basedow § 305 Rn. 35, Erman/Roloff § 305 Rn. 18; Bamberger/Roth/Becker § 305 Rn. 34. 187 BGH NJW 2005, 2543, 2544 (Verweisungen weggelassen). 184
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verantwortung“ gewertet werden könne.188 Diese Erweiterung der Tatbestandsvoraussetzungen verdient Beifall.189 Der BGH geht offenbar davon aus, dass die Verwendung von AGB die faktische Selbstbestimmung des Verwendungsgegners gefährdet und diese Gefährdung mit Transparenzgesichtspunkten zusammenhängt.190 Die Auffassung deckt sich mit der hier vertretenen These, dass der Missbrauch von AGB aus einem Informationsnachteil des Kunden resultiert. Sie ist deswegen bemerkenswert, da sie im Kontrast zu der in anderen Entscheidungen vorgetragenen Ansicht steht, wonach die Benachteiligung des Kunden auf ein Machtgefälle zwischen den Parteien zurückzuführen sei.191 Der BGH gelangt zu dem überzeugenden Schluss, dass eine kontrollfreie Individualvereinbarung nur dann angenommen werden kann, wenn in Bezug auf die zur Disposition gestellte Klausel keine Informations- und Transparenzhindernisse für den Kunden bestehen. c) Die „Tarifwahl“ als besondere Form der Individualabrede Sieht man das entscheidende Merkmal einer „im Einzelnen ausgehandelten Vertragsbedingung“ in der Abwesenheit des Informations- und Motivationsgefälles, das für AGB charakteristisch ist, dann ist konsequenterweise auch die sog. „Tarifwahl“ als kontrollfreie Individualabrede zu behandeln. Von einer Tarifwahl (manchmal auch „Optionsmodell“ genannt) spricht man, wenn der Kunde unter mehreren vorformulierten Regelungsalternativen wählen kann, welche in den Vertrag aufgenommen wird. Meist wird eine solche Wahl durch das Ankreuzen eines Formulars oder durch das Ausfüllen eines Blanketts getroffen. Die eingeräumten Wahlmöglichkeiten betreffen typischerweise die Laufzeit von Dauerverträgen oder den Deckungsumfang von Versicherungspolicen. Beispielhaft ist der Fall, dass der Versicherungsnehmer im Rahmen einer Hausratversicherung entscheiden darf, ob Versicherungsschutz auch gegen den Diebstahl von Gegenständen aus dem Auto bestehen soll. Denkbar ist auch, dass der Kunde in einem Vertrag über den Umfang der ihm gewährten Garantie- bzw. Haftungsansprüche bestimmen darf. Häufig, wenn auch nicht zwangsläufig, gehen die dem Kunden zur Wahl stehenden Alternativen mit unterschiedlichen Preisen einher (folglich die Bezeichnung Tarifwahl). Die wohl h. M. in der Rechtsprechung und im Schrifttum will in der Tarifwahl keine Individualvereinbarung sehen.192 Begründet wird dies damit, dass der 188 BGH NJW 2005, 2543, 2544; ebenfalls dem Kriterium der „Selbstbestimmung“ entscheidendes Gewicht zumessend Miethaner NJW 2010, 3121, 3127. 189 Krit. hingegen Graf von Westphalen NJW 2006, 2228 f. 190 Vgl. zum Zusammenhang mit dem Transparenzaspekt auch Gottschalk NJW 2005, 2493, 2494. 191 Siehe hierzu oben Fn. 15. 192 BGH NJW 1992, 1108, 1108; BGH NJW 1992, 503, 504; BGH NJW 1996, 1676, 1677 (vgl. aber die letzten beiden Entscheidungen obiter relativierend BGHZ 153, 148,
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Kunde nicht die Möglichkeit besitzt, die einzelnen vorgefertigten Regelungen inhaltlich zu modifizieren. Von einem „Aushandeln“ der Vertragsbedingungen könne folglich nicht die Rede sein. Die Auffassung der h. M. überzeugt nicht. Es geht zu weit, wenn für das Vorliegen einer Individualvereinbarung der Verwender gewissermaßen zur tabula rasa gezwungen wird, er also dem Kunden die Bereitschaft signalisieren muss, auf die zur Auswahl gestellten vorformulierten Regelungen komplett zu verzichten und sich auf eine völlig neue Gestaltung einzulassen. Einem solchen Ansatz liegt das inzwischen mehrfach erwähnte „Bazar-Missverständnis“ 193 zugrunde, wonach die Selbstbestimmung des Kunden nur dann gewährleistet sein soll, wenn dieser unmittelbar Einfluss auf den Gestaltungsvorgang nehmen kann. Hingegen genügt es bereits, wenn der Kunde frei ist, das endgültige Gestaltungsergebnis auf informierter Basis anzunehmen oder abzulehnen. Die Wahlmöglichkeit zwischen zwei vorgefertigten Regelungsalternativen vermag grundsätzlich sicherzustellen, dass der Kunde erstens den Inhalt der fraglichen Regelung zur Kenntnis nimmt und sodann auf dieser Informationsgrundlage eine Entscheidung im Einklang mit seinen Präferenzen trifft.194 Um als Individualabrede gelten zu können, muss freilich die Tarifwahl so ausgestaltet sein, dass die Informations- und Motivationshindernisse tatsächlich überwunden werden. Hierfür müssen zunächst einmal die oben erwähnten allgemeinen Anforderungen an eine Individualabrede erfüllt sein: Der Verwender muss die betreffenden Vertragsbedingungen ernsthaft zur Disposition stellen; der Kunde auf der anderen Seite muss sich über Bedeutung und Tragweite der zur Auswahl stehenden Klauseln im Klaren sein und eine reale Möglichkeit erhalten, auf den Inhalt der Regelung Einfluss zu nehmen. Letztere Voraussetzung erfordert, dass dem Kunden eine „echte“ Wahlmöglichkeit unter annähernd vergleichbaren Alternativen geboten wird. Hieran fehlt es, wenn die gebotenen Optionen äußerlich derart ungleich präsentiert sind, dass die Entscheidung des Kunden in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Dies ist etwa der Fall, wenn das Vertragsformular sprachlich oder drucktechnisch suggestiv gestaltet ist oder wenn der Aufwand für die Auswahl der verschiedenen Regelungen jeweils unterschiedlich hoch ist (z. B. weil eine Regelung durch ein schlichtes Ankreuzen ausgewählt werden kann, während etwaige Alternativregelungen handschriftlich in einer
151; unbestimmt hingegen BGH NJW-RR 2006, 758, 760); OLG München NJW-RR 2003, 1286, 1287; Palandt/Grüneberg § 305 Rn. 12; Erman/Roloff § 305 Rn. 21; Habersack/Schürnbrand, FS Canaris, Bd. I, S. 359, 375. 193 Vgl. oben § 5 I. 3. b) und § 5 II. 3. c). 194 Im Ergebnis ebenso Staudinger/Schlosser § 305 Rn. 38; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 305; Lettl NJW 2001, 42, 43; Stoffels, AGB-Recht, Rn. 148; Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung, S. 240 ff.; vgl. auch das obiter dictum in BGHZ 153, 148, 151; Kappus NZM 2010, 2010, 529, 537; Ulmer/ Habersack, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 305 Rn. 53a.
194 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
Leerzeile auszuformulieren sind).195 Die Beeinflussung des Kunden kann sich auch daraus ergeben, dass die unterschiedlichen Klauseln inhaltlich keine gleichwertigen Alternativen darstellen, beispielsweise weil dem Kunden gewisse Optionen (etwa die Erhaltung seiner gesetzlichen Haftungsansprüche) nur zu einem prohibitiv hohen Preis angeboten werden.196 Jedoch sind Preisabstufungen für die verschiedenen Alternativen grundsätzlich möglich, soweit sie in einem sachlichen Zusammenhang mit Unterschieden in den Kostenstrukturen des Anbieters stehen. Bei der Entscheidung, ob eine Tarifwahl den Tatbestand einer Individualvereinbarung erfüllt, müssen also die Gerichte prüfen, ob tatsächlich Auswahlfreiheit herrscht. 2. Das „Stellen“ von AGB Nicht nur die Abgrenzung zwischen AGB und Individualvereinbarung, auch der Begriff des „Stellens“ von AGB ist für den Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB maßgebend. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB definiert AGB als „alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt.“ 197 Der BGH hatte in jüngerer Vergangenheit Gelegenheit, sich zum Merkmal des „Stellens“ zu äußern.198 Der entschiedene Fall betraf einen Kaufvertrag zwischen zwei Privatleuten über einen Gebrauchtwagen. Die Parteien hatten im Vorfeld des Geschäfts darüber gesprochen, wer ein Vertragsformular zur Verfügung stellen könne, und sich schließlich darauf geeinigt, dass der Verkäufer ein ihm bereits vorliegendes Formular einer Versicherung zum Vertragsschluss mitbringen solle. Später machte der Käufer Mängel am Auto geltend und berief sich darauf, dass eine im Vertragsformular enthaltene Haftungsausschlussklausel der AGB-Kontrolle nicht standhalte. Der BGH hatte zunächst die Frage zu prüfen, ob die Klausel überhaupt in den Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB fiel. Voraussetzung dafür war, dass die Klausel vom Verkäufer im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB „gestellt“ worden war. Da es um einen Vertrag zwischen Privatleuten ging, spielte die europäische Klauselrichtlinie für den Streitfall keine Rolle; insbesondere kam auch die in § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB geregelte Vermutung des „Stellens“ nicht zum Tragen. Nicht anders hätte es sich im Übrigen verhalten, wenn der Streit zwei Unternehmer betroffen hätte, da dann die Klauselrichtlinie eben-
195 Vgl. die Beispiele bei Staudinger/Schlosser § 305 Rn. 38 sowie BGH NJW 2003, 1314, 1414. 196 Stoffels/Lohmann VersR 2003, 1343, 1347; vgl. auch Staudinger/Coester § 307 Rn. 138. 197 Hervorhebung nicht im Original. 198 BGH NJW 2010, 1131.
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falls nicht einschlägig gewesen wäre. Die Entscheidung des BGH besitzt damit auch für den unternehmerischen Verkehr Relevanz. Im Ausgangspunkt stellte der VIII. Zivilsenat im Einklang mit früheren Entscheidungen klar, dass es für die Frage des „Stellens“ von AGB unerheblich ist, wer die Vertragsbedingungen entworfen hat.199 „Verwender“ von AGB könne auch sein, wer die Klauseln nicht selbst formuliert habe, sondern die von einem Dritten abgefassten Klauseln in den Vertrag einführe. In diesem Fall komme es darauf an, ob die Vertragspartei „sich die Bedingungen als von ihr gestellt zurechnen lassen muss.“ Stimmten sich die Vertragsparteien über die Verwendung eines von dritter Seite erstellten Mustervertrags ab, könne eine solche Zurechnung ausgeschlossen sein: „Charakteristisch für AGB sind [. . .] die Einseitigkeit ihrer Auferlegung sowie der Umstand, dass der andere Vertragsteil, der mit einer solchen Regelung konfrontiert wird, auf ihre Ausgestaltung gewöhnlich keinen Einfluss nehmen kann. An dem hierin durch einseitige Ausnutzung der Vertragsgestaltungsfreiheit einer Vertragspartei zum Ausdruck kommenden Stellen vorformulierter Vertragsbedingungen fehlt es jedoch, wenn deren Einbeziehung sich als das Ergebnis einer freien Entscheidung desjenigen darstellt, der vom anderen Vertragsteil mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wird. Dazu genügt es zwar nicht, dass der andere Vertragsteil lediglich die Wahl zwischen bestimmten, von der anderen Seite vorgegebenen Formularalternativen hat. Erforderlich ist vielmehr, dass er – wenn er schon auf die inhaltliche Gestaltung des vorgeschlagenen Formulartextes keinen Einfluss nehmen konnte – in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und insbesondere Gelegenheit erhält, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlungen einzubringen.“ 200
Im entschiedenen Fall sei der Käufer, so der BGH, tatsächlich in der Auswahl der in Betracht kommenden Formulartexte frei gewesen. Der Verkäufer habe folglich die Vertragsbedingungen nicht im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB „gestellt“, so dass die Anwendungsvoraussetzungen für die §§ 305 ff. BGB nicht vorlagen. Die Entscheidung des VIII. Zivilsenats verdient Zustimmung. Erhält die Gegenseite die Gelegenheit, über das zu verwendende Vertragsmuster mitzuentscheiden, ist die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ prinzipiell nicht gestört: Die Vertragsparteien haben bei der Festlegung der Vertragsbedingungen gleiche Chancen. Der Aufwand für die Durchsetzung von Konditionen, die die eigene Position begünstigen und den Gegner benachteiligen, ist für beide Seiten regelmäßig vergleichbar hoch. Damit besteht ein grundlegender Unterschied zu der Situation, in der eine Partei durch die wiederholte gleichförmige Verwendung standardisierter Klauseln die Transaktionskosten „streuen“ und auf diese Weise von vornherein leichter auf die Gestaltung des Vertragsinhalts Einfluss nehmen 199 200
BGH NJW 2010, 1131. BGH NJW 2010, 1131, 1132 f. (Verweise weggelassen).
196 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
kann.201 Vor einem solchen Hintergrund wäre es unbillig, wenn der „engagierteren“ Partei, die ihre Chance zur Inhaltsgestaltung nutzt und zum Beispiel ein geeignetes Vertragsmuster besorgt, die Rolle des Verwenders zugewiesen und die AGB-Kontrolle folglich zum Vorteil des Gegners durchgeführt würde, der seine Gestaltungschance nicht genutzt hat.202 In anderen Fällen wiederum mag es purer Zufall sein, wer das Formular zur Verfügung stellt. Hier wäre es offensichtlich ein wenig sachgerechtes Ergebnis, wenn allein der Zufall über die Verwendereigenschaft entschiede und damit über die Schutzrichtung der AGB-Kontrolle.203 Somit ist festzuhalten: Vorformulierte Vertragsbedingungen, die von einer Partei in die Verhandlungen eingeführt wurden, sind nicht „gestellt“ im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn die Gegenseite in die Wahl des Formulars eingebunden worden ist und selbst die Chance dazu hatte, das Vertragsmuster beizusteuern. 3. Die Kontrollfreiheit der essentialia negotii und anderer „produktprägender“ Leistungsbestimmungen, die am Konditionenwettbewerb teilnehmen Die vorstehenden Ausführungen zum Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB ließen erkennen, dass der Gesetzgeber von einem weiten AGB-Begriff ausgeht. Lediglich in dem Umfang, in dem der Kunde die effektive Möglichkeit zur Gestaltung einer Vertragsbestimmung besitzt – woran im Einzelnen hohe Anforderungen gestellt werden –, findet keine AGB-Kontrolle statt. Entsprechendes gilt auch für den sachlichen Anwendungsbereich der europäischen Klauselrichtlinie. Für beide Regelungsinstrumente ist es im Ausgangpunkt unerheblich, ob sich die vorformulierte Klausel auf einen vertraglichen Nebenpunkt oder auf den Hauptgegenstand des Geschäfts bezieht.204 Dieser Gesichtspunkt muss insbesondere mit Blick auf das deutsche Recht hervorgehoben werden. Der Begriff der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ könnte nämlich suggerieren, dass er nur Bestimmungen über die Abwicklungsmodalitäten des Leistungsaustauschs und da-
201 Die Situation ist damit eine ganz ähnliche wie im Zusammenhang mit den „Einmalklauseln“, bei denen ein Kontrollbedürfnis ebenfalls verneint wurde, vgl. oben § 5 I. 4. a) aa). 202 Vgl. auch Graf von Westphalen ZIP 2010, 1110, 1115. 203 In diese Richtung auch die Vorinstanz zur dargestellten Entscheidung des BGH, LG Düsseldorf (Az. 22 S 321/08), Tz. 16 bei Juris. Ebenso Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 305 Rn. 29. 204 Vgl. zum deutschen Recht nur Palandt/Grüneberg § 305 Rn. 5; Erman/Roloff § 305 Rn. 3 jeweils m.w. N.; vgl. zur Problematik auch Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, S. 111. Zum weiten Begriff der „Vertragsklausel“ im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 der europäischen Klauselrichtlinie s. etwa Wolf, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, Art. 3 RL Rn. 15.
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mit ausschließlich Nebenabreden meint. Der Gefahr einer exzessiven Einschränkung der Vertragsfreiheit, die wegen des weiten AGB-Begriffs drohen könnte, begegnen allerdings sowohl die europäische Klauselrichtlinie als auch die §§ 305 ff. BGB dadurch, dass sie auf einer zweiten Stufe die Inhaltskontrolle der essentialia negotii erheblich einschränken. Im Folgenden sollen die Gründe und die Reichweite dieser Kontrollausnahmen näher untersucht werden. a) Gesetzliche Grundlagen und Gründe für die Kontrollausnahme In der europäischen Klauselrichtlinie ist die grundsätzliche Freistellung der essentialia negotii von der AGB-Kontrolle ausdrücklich geregelt. Art. 4 Abs. 2 schreibt vor: „Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.“ Der gleiche Gedanke kommt auch im 19. Erwägungsgrund zum Ausdruck. Demgegenüber sucht man in den §§ 305 ff. BGB eine vergleichbar klare Regelung vergebens. Hier wird aus der Regelung des § 307 Abs. 3 BGB205 abgeleitet, dass Hauptleistungsabreden nicht der materiellen Angemessenheitskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB unterliegen.206 Die Vorschrift sieht vor, dass nur die Bestimmungen in AGB kontrollfähig sind, die vom dispositiven Gesetzesrecht abweichen oder dieses ergänzen. Klauseln über die essentialia negotii erfüllen diese Voraussetzung nicht, da der Preis ebenso wie die sonstigen vertraglichen Hauptleistungen in einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Rechtsordnung ausschließlich von den Parteien bestimmt werden und nicht Regelungsgegenstand des dispositiven Rechts sind.207 Dass § 307 Abs. 3 BGB die essentialia des Geschäfts der staatlichen Regulierung entziehen will, entspricht im Übrigen auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. In den Materialien zur wortlautgleichen Vorgängervorschrift im AGB-Gesetz ist davon die Rede, durch die Inhaltskontrolle solle keine „Kontrolle der Preise oder Leistungsangebote ermöglicht“ werden.208
205 Vgl. kritisch zur mangelnden Klarheit der gesetzlichen Regelung Stoffels JZ 2001, 843 („wenig aussagekräftigen Wortlaut“); Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Vorb v § 307 Rn. 5 („etwas kryptischen Formulierung“); Pfeiffer VuR 2001, 95, 97; a. A. Joost ZIP 1996, 1685, 1686. 206 So der BGH in st. Rspr., vgl. BGHZ 93, 358, 360; BGHZ 147, 354, 360; vgl. auch BAG NJW 2004, 2401, 2406. Ebenso die h. M. in der Lit., vgl. statt aller Palandt/ Grüneberg § 307 Rn. 54. 207 Ohne eine Parteivereinbarung über die essentialia kommt bekanntlich auch kein Vertrag zustande. Es fehlt nämlich gerade an gesetzlichen Regelungen, die die Vertragslücke schließen könnten. 208 BT-Drucks. 7/3919, S. 22.
198 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
Zur Begründung der Kontrollfreiheit von Hauptleistungsabreden wird zum Teil pauschal auf marktwirtschaftliche Prinzipien verwiesen.209 Es wird geltend gemacht, die richterliche Kontrolle der Preis- und Leistungsbestimmungen sowie insbesondere der Angemessenheit des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses sei mit der marktwirtschaftlichen Ausrichtung der Rechts- und Gesellschaftsordnung unvereinbar. Dies trifft zwar zweifelsohne zu, ist allerdings für sich allein noch keine überzeugende Erklärung dafür, warum sich eine AGB-rechtliche Überprüfung der essentialia negotii verbietet. Ebenso vage bleibt der Argumentationsansatz der Rechtsprechung, die sich zur Begründung der Kontrollfreiheit ohne nähere Substantiierung auf den „im bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie“ stützt.210 Verletzt denn die Inhaltskontrolle vertraglicher Nebenregelungen nicht ebenso marktwirtschaftliche Prinzipien und den Grundsatz der Privatautonomie?211 Der Hinweis darauf, dass die Überwachung der essentialia den Kernbereich der Wirtschaftsordnung bzw. der Vertragsfreiheit berühre,212 ist keine befriedigende Antwort. Es stellt sich dann nämlich die Frage, wieso außerhalb des AGB-Rechts vertragliche Hauptleistungen durchaus der Regulierung unterliegen, etwa im Rahmen des § 138 BGB oder des § 19 Abs. 4 GWB.213 Ebensowenig überzeugt das Argument, dass es in Ermangelung dispositiven Gesetzesrechts an einem Kontrollmaßstab für die Überprüfung von Hauptleistungsabreden fehle.214 Erstens zeigen nämlich beispielsweise die §§ 138, 313 und 315 BGB, dass die Angemessenheit der essentialia auch an einem anderen Maßstab als dem des dispositiven Rechts überprüft werden kann. Darüber hinaus ist das Fehlen von Dispositivnormen selbst wiederum nur die Folge aus dem Grundsatz, dass eine marktwirtschaftlich orientierte Rechtsordnung den Kerninhalt privater Transaktionen nicht regelt, und liefert keine Begründung für die regulatorische Zurückhaltung in diesem Bereich.215 Der entscheidende Grund für die Kontrollfreiheit der Hauptleistungsabreden ist darin zu sehen, dass es für derartige Klauseln an einem Kontrollbedürfnis fehlt. Das informationelle Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien, das bei einseitig gestellten Vertragsregelungen typischerweise gegeben ist und die 209
So etwa Joost ZIP 1996, 1685, 1687; Erman/Roloff § 307 Rn. 38. BGHZ 143, 128, 139; BGHZ 141, 380, 383; BGH NJW 2002, 2386. 211 Ähnlich in der Fragestellung Canaris NJW 1987, 609, 613. 212 So Joost ZIP 1996, 1685, 1687; Canaris NJW 1987, 609, 613; s. im Zusammenhang mit der Klauselrichtlinie 93/13/EWG auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29.10.2009 in der Rs. C-484/08 (Caja de Ahorros), Slg. 2010, I-4785, Rn. 63. 213 Vgl. auch die gesamte sektorale Preisregulierung, dazu oben § 4 II. c) aa) (1). 214 So aber vereinzelt die Begründung in Rspr. und Lit., vgl. z. B. BGHZ 116, 117, 120; Habersack WM 2008, 1857, 1858; Joost ZIP 1996, 1685, 1686. 215 Vgl. auch Stoffels JZ 2001, 843, 844; Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 307 Rn. 19 (Fehlen des Kontrollmaßstabs ist „eher ein pragmatisches Hilfsargument ohne wirklich eigenständigen Charakter“). 210
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Funktionsbedingungen des Marktmechanismus beeinträchtigt, liegt bei Klauseln über die essentialia negotii regelmäßig nicht vor. Der Kunde pflegt den Hauptmerkmalen der Transaktion – dem Inhalt und der Qualität des Leistungsangebots sowie dem dafür verlangten Preis – seine Aufmerksamkeit zu schenken. Entsprechen die Hauptkonditionen nicht seinen Präferenzen, wird er den Vertragsschluss ablehnen und sich nach alternativen Angeboten auf dem Markt umsehen. Es besteht also auch kein Motivationsgefälle im Hinblick auf die essentialia. Insgesamt ist festzustellen, dass der Marktmechanismus in Bezug auf diese Transaktionsvariablen in aller Regel ordnungsgemäß funktioniert, so dass keine Notwendigkeit herrscht, korrigierend in den Vertragsinhalt einzugreifen.216 b) Umfang des kontrollfreien Bereichs Aus den vorstehenden Überlegungen lassen sich verschiedene Folgerungen zur Reichweite der Kontrollausnahme ableiten. aa) Keine Inhaltskontrolle der essentialia negotii auch im Rahmen des § 305c Abs. 1 BGB Ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung nach gilt die Kontrollschranke des § 307 Abs. 3 BGB nur für die abstrakte Inhaltskontrolle im Rahmen der §§ 307 bis 309 BGB. Nicht erfasst ist hingegen die einzelfallorientierte Inhaltskontrolle im Rahmen des Überraschungsverbots gemäß § 305c Abs. 1 BGB.217 Nach der Systematik der §§ 305 ff. BGB könnten somit Bestimmungen in AGB, die die vertraglichen Hauptleistungen betreffen, auf ihre „Gewöhnlichkeit“ hin überprüft werden.218 Eine auf den materiellen Inhalt bezogene „Überraschungskontrolle“ der essentialia verbietet sich allerdings aus den gleichen Gründen wie eine „Angemessenheitskontrolle“ nach den §§ 307 bis 309 BGB:219 Wo kein Funktionsversagen des Marktmechanismus zu beklagen ist, fehlt es an der Legitimationsgrundlage für einen Eingriff in die Vertragsfreiheit. Die Kontrollausnahme für Hauptleistungsabreden ist folglich ebenfalls auf die Inhaltskontrolle nach § 305c Abs. 1 BGB zu übertragen. Auf diesem Weg wird im Übrigen auch der Gleichlauf zur europäischen Klauselrichtlinie hergestellt. Diese kennt 216 Ebenso Stoffels JZ 2001, 843, 844; Pfeiffer VuR 2001, 95, 96; Canaris AcP 200 (2000), 273, 324 und 330 f.; Staudinger/Coester § 307 Rn. 320; Fuchs, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 21. 217 Zur Inhaltskontrolle im Rahmen des Überraschungsverbots vgl. oben § 5 II. 2. a) und § 5 II. 2. c) aa) (1). 218 So auch BGHZ 109, 197, 200; MünchKommBGB/Basedow § 305c Rn. 1; Palandt/Grüneberg § 305c Rn. 2. 219 Die auf Transparenzgesichtspunkte bezogene „Überraschungskontrolle“ bleibt hingegen entsprechend § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB zulässig, dazu sogleich unten § 5 IV. 3. c).
200 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
nämlich nur einen einheitlichen Tatbestand der Inhaltskontrolle (die Kontrolle der „Missbräuchlichkeit“), in dem sowohl die abstrakte Angemessenheit der fraglichen Klausel als auch ihr Überraschungsmoment im Einzelfall beurteilt werden (vgl. Art. 3 Abs. 1 i.V. m. Art. 4 Abs. 1). Die Kontrollschranke des Art. 4 Abs. 2 nimmt folglich die essentialia von jeglicher materiellen Überprüfung aus.220 Es ist allerdings einzuräumen, dass ohne die Ausweitung der Kontrollausnahme eine Inhaltskontrolle der Hauptleistungen am Maßstab des § 305c Abs. 1 BGB meist schon aus tatbestandlichen Gründen ausscheiden wird: Nach h. M. ist nämlich eine unzulässige Überraschungswirkung von vornherein ausgeschlossen, wenn der Kunde den Inhalt der Klausel bei Vertragsschluss zur Kenntnis nimmt.221 Geht es um die vertraglichen Hauptleistungen, wird diese Voraussetzung, wie schon erwähnt, regelmäßig erfüllt sein. In den Fällen allerdings, in denen der Kunde den Vertrag abschließt, ohne über den Umfang der Hauptleistungspflichten vollständig im Bilde zu sein, gewinnt die Kontrollschranke Bedeutung: Die Klausel ist – ihre Transparenz vorausgesetzt – wirksam einbezogen, gleichgültig wie „ungewöhnlich“ sie im Einzelfall sein mag. bb) Ausweitung der Kontrollschranken auch auf „produktprägende“ Nebenbestimmungen, die am Konditionenwettbewerb teilnehmen Bislang war immer nur von der Kontrollfreiheit der essentialia negotii die Rede. Besinnt man sich allerdings noch einmal auf die eben angestellten Überlegungen zu den sachlichen Gründen für die Kontrollausnahme, erscheint eine Erweiterung über die essentialia hinaus geboten. Es ist nämlich denkbar, dass auch einzelne Vertragsregelungen, die sich nicht auf den Hauptgegenstand des Geschäfts beziehen, vom Konditionenwettbewerb erfasst werden und damit nicht vom AGB-typischen Marktversagen betroffen sind. Solche „produktprägende“, die Abschlussentscheidung des Kunden beeinflussende Nebenbestimmungen sind angesichts der Ratio des § 307 Abs. 3 BGB den Hauptleistungen gleichzusetzen und ebenfalls von der Inhaltskontrolle auszunehmen.222 Welche Leistungsmerkmale demnach neben den essentialia kontrollfrei sind, wird freilich nicht immer leicht zu bestimmen sein. Die Antwort wird von Einzelumständen abhängen, vor allem vom konkreten Transaktionstyp sowie von den Besonderheiten des jeweili220 Anzumerken ist, dass ein Gleichlauf mit der Klauselrichtlinie in diesem Punkt unionsrechtlich nicht geboten ist, da die Klauselrichtlinie lediglich mindestharmonisierend ist (vgl. Art. 8). Der nationale Gesetzgeber kann folglich den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle zugunsten des Verbrauchers ausweiten; vgl. dazu nunmehr auch EuGH 3.6.2010, Rs. C-484/08 (Caja de Ahorros), Slg. 2010, I-4785. 221 Vgl. hierzu bereits oben § 5 II. 2. c) aa) (1). 222 In diesem Sinne auch Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 43 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 267; Staudinger/ Coester § 397 Rn. 321; Schillig ICLQ 60 (2011), 933, 958; krit. gegenüber diesem Ansatz Billing, Bedeutung von § 310 III 1 BGB, S. 120 f.
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gen Marktes. Einen nützlichen Indikator dafür, ob ein bestimmtes Leistungsmerkmal am Marktwettbewerb teilnimmt, bietet insbesondere die Werbung, die gerade darauf zielt, dem Konsumenten die Vorzüge eines Produkts gegenüber Konkurrenzangeboten zu signalisieren.223 Ein Beispiel für kontrollfreie „produktprägende“ Nebenbestimmungen sind etwa die Regelungen über die Benutzung von Geldautomaten in den AGB eines Girovertrags. Zu den Hauptleistungen des Kreditinstituts im Rahmen eines Girovertrags gehören in erster Linie die Einrichtung eines Kontos für den Kunden und die damit zusammenhängende Abwicklung von Zahlungsein- und -ausgängen.224 Das Bereithalten von Geldautomaten ist hingegen keine solche Hauptleistung.225 Aus praktischer Sicht ist nun allerdings die Möglichkeit, auch außerhalb der regulären Banköffnungszeiten Bargeld abzuheben, einer der wesentlichen Vorteile, die ein Girokonto bietet. Darum überrascht es auch nicht, dass viele Banken gerade damit werben, wie viele Bankautomaten landes- oder gar weltweit ihren Kunden rund um die Uhr und unentgeltlich zur Verfügung stehen. Es ist folglich davon auszugehen, dass der Kunde, der vor der Entscheidung steht, ob und bei welcher Bank er ein Girokonto eröffnet, auch auf das Serviceangebot in Zusammenhang mit Geldautomaten achtet. Vor diesem Hintergrund besteht kein Bedürfnis, Vertragsklauseln einer AGB-Inhaltskontrolle zu unterwerfen, die die Benutzung der Automaten regeln und beispielsweise dem Kunden spezielle Kosten auferlegen226 oder den Zugang auf bestimmte Tageszeiten beschränken. Allgemein lässt sich sagen, dass leistungsprägende Nebenregelungen, die am Konditionenwettbewerb partizipieren, in erster Linie bei komplexen „Rechtsprodukten“ 227 wie etwa Finanz- und Versicherungsleistungen vorzufinden sein werden.228 In diesem Bereich achten die Kunden bei der Abschlussentscheidung typischerweise auf eine größere Zahl von Vertragsbedingungen als bei Geschäften 223 Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 50; Staudinger/Coester § 307 Rn. 321. 224 Bis zum 31.10.2009 war der Girovertrag in § 675f BGB a. F. geregelt. Seit Inkrafttreten des neuen Zahlungsdiensterechts ist der Girovertrag kein gesetzlich geregelter Vertragstypus mehr. An seine Stelle ist der sog. Zahlungsdiensterahmenvertrag gemäß § 675f Abs. 2 BGB n. F. getreten, der allerdings die Leistungen eines Girovertrags größtenteils abdeckt (vgl. Palandt/Sprau § 675f Rn. 11; JurisPK-BGB/Schwintowski § 675f Rn. 5). Durch die Reform hat sich am Pflichtenprogramm des Girovertrags nichts geändert. 225 Vgl. auch BGHZ 133, 10, 17 (Benutzung von Geldautomaten als „Sonderleistung“); s. auch Nobbe WM 2008, 185, 190. 226 Als Erfüllung einer vertraglichen Nebenpflicht fällt das Bereithalten von Geldautomaten nicht unter die Regelung des § 675f Abs. 4 Satz 2 BGB, der Entgeltvereinbarungen in Zahlungsdiensteverträgen für die Erfüllung bestimmter gesetzlicher Nebenpflichten reguliert; s. hierzu auch unten § 5 IV. 3. d). 227 Vgl. zu diesem Begriff Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt. 228 Vgl. auch die Beispiele bei Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 64 ff. (z. B. die Laufzeit von Anleihen).
202 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
über physische Waren und Dienstleistungen. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass sowohl der Hauptgegenstand als auch die Nebenregelungen rechtlicher Natur sind und deswegen häufig in sehr engem Zusammenhang miteinander stehen.229 In manchen Fällen dürfte es geradezu unmöglich sein, leistungsbeschreibende Klauseln von solchen abzugrenzen, die lediglich Modalitäten der Vertragsdurchführung regeln.230 Vor diesem Hintergrund bietet das Kriterium der Teilnahme am Leistungswettbewerb größere Rechtssicherheit als die Unterscheidung zwischen vertraglicher Haupt- und Nebenabrede und erleichtert so die Bestimmung, ob eine Vertragsklausel inhaltlich kontrollfähig ist oder nicht. Hingegen ginge es zu weit, Nebenbestimmungen immer schon dann der Inhaltskontrolle zu entziehen, wenn sie dem Transparenzgebot genügen.231 Eine solche Ausweitung der Kontrollschranke wäre zum einen mit der lex lata unvereinbar, da sie den erlaubten Auslegungsrahmen sprengen würde. Im Anwendungsbereich der europäischen Klauselrichtlinie schreibt Art. 4 Abs. 2 unmissverständlich vor, dass nur transparente Klauseln über Hauptleistungspflichten kontrollfrei sind. Nähme man jegliche transparente Nebenbestimmung von der Inhaltskontrolle aus, stünde dies in offenem Widerspruch zu den Vorgaben der Richtlinie. Auch außerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinie stünde ein solcher Ansatz im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung. § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB bestimmt, dass sich eine unangemessene Benachteiligung „auch“ aus einem Verstoß gegen das Transparenzgebot ergeben kann. Dem ist zu entnehmen, dass die Intransparenz ein selbständiger Unwirksamkeitsgrund für AGB-Klauseln ist und nicht etwa die Voraussetzung für die Durchführung der Inhaltskontrolle. De lege ferenda wäre es im Übrigen auch nicht sachgerecht, transparente Nebenbestimmungen von der Inhaltskontrolle auszunehmen. Der Umstand allein, dass eine Klausel klar und verständlich ausgestaltet ist, mag zwar dem Kunden die Möglichkeit der Kenntnisnahme erleichtern und so das Informationsproblem abmildern. Doch wie nun inzwischen mehrfach erwähnt,232 beseitigt die Transparenz vertraglicher Nebenbestimmungen das Marktversagen bei der Verwendung von AGB nicht. Erstens ist nicht gewährleistet, dass der Kunde den Klauselinhalt tatsächlich zur Kenntnis nimmt und seiner Abschlussentscheidung zugrunde legt. Zweitens ändert die Transparenz nichts am Motivationsgefälle: Auch wenn der Kunde den für ihn ungünstigen Regelungsinhalt kennt, lehnt er deswegen nicht 229 Vgl. etwa zur Bedeutung vorformulierter Vertragsbedingungen bei Versicherungsverträgen Rehberg, Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem, S. 34 ff.; Basedow VersR 1999, 1045. 230 Vgl. etwa zu den besonderen Schwierigkeiten im Rahmen von Versicherungsverträgen Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 56. 231 So Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 271 f.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 323 f. (letzterer allerdings vor Erlass der Klauselrichtlinie und vor der gesetzlichen Fixierung des Transparenzgebots in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). In ähnliche Richtung Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 81. 232 Vgl. oben § 5 II. 1. c) sowie § 5 II. 2. c) aa) (2) (a).
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den Vertragsschluss ab und sucht nach besseren Alternativen. In der Folge werden die Nebenbedingungen trotz ihrer Transparenz nicht vom positiven Leistungswettbewerb erfasst, so dass die Disziplinierung des Verwenders bei der Ausübung seiner Gestaltungsmacht ausbleibt. Es kann also festgehalten werden: Entscheidend für die Frage, ob eine Regelung in AGB der Inhaltskontrolle unterliegt, ist nicht ihre Eigenschaft als vertragliche Haupt- oder Nebenleistung, sondern allein die Tatsache, ob sie am Konditionenwettbewerb teilnimmt oder nicht. c) Transparenz als Voraussetzung für die Kontrollfreiheit Die Transparenz des Klauselinhalts ist zwar, wie soeben gesehen, keine hinreichende Bedingung für die Teilnahme der AGB am Konditionenwettbewerb. Sie stellt allerdings eine notwendige Voraussetzung dafür dar.233 Folgerichtig knüpft Art. 4 Abs. 2 der europäischen Klauselrichtlinie die Freistellung von der Inhaltskontrolle an die Bedingung, dass die betreffenden Klauseln „klar und verständlich“ abgefasst sind. Auf Ebene des deutschen nationalen Rechts regelt § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB, dass die Vertragsbestimmungen, die von der materiellen Angemessenheitskontrolle ausgenommen sind, weiterhin der Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unterworfen bleiben. Auch hier gilt also die Regel, dass nur transparente preis- und leistungsbestimmende Klauseln keiner inhaltlichen Überprüfung unterliegen. Unter welchen Voraussetzungen sind nun die vertraglichen Hauptleistungspflichten hinreichend „klar und verständlich“ bestimmt? Einen hilfreichen Referenzpunkt für die Konkretisierung dieser Formel bietet das Ziel des Transparenzgebots. Im Kern geht es darum, die Informationshindernisse zu beseitigen, die die Funktionsfähigkeit des Marktes beeinträchtigen.234 Daraus lässt sich ableiten, dass das Transparenzgebot im Wesentlichen zwei Dinge zu leisten hat: die Aufklärung über den Vertragsinhalt und die Möglichkeit zum Marktvergleich. Diesen beiden Gesichtspunkten gelten die nächsten Abschnitte. aa) Inhaltsaufklärung Damit der Kunde nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch frei und selbstbestimmt handelt, muss er bei Vertragsschluss Klarheit über den Inhalt des Ge233
Zur Markttransparenz als Funktionsbedingung des Wettbewerbs vgl. oben § 2 I. 1. Ebenso Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 353; Stoffels JZ 2001, 843, 845; Staudinger/Coester § 307 Rn. 315. Hingegen tendenziell krit. gegenüber dem Ansatz, das Transparenzgebot in den Dienst des Marktschutzes zu stellen Billing, Bedeutung von § 307 III 1 BGB, S. 50 f. (in Bezug auf Versicherungsverträge), der diese Aufgabe in erster Linie dem Wettbewerbsrecht überantworten möchte. 234
204 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
schäfts besitzen.235 Hat der Kunde keine genaue Vorstellung über die Vertragskonditionen, besteht die Gefahr, dass er eine Transaktion eingeht, die nicht seinen Präferenzen und damit auch nicht seinem wirklichen Willen entspricht. Im Zusammenhang mit dem AGB-rechtlichen Transparenzgebot spricht der BGH davon, der Verwender habe „die Rechte und Pflichten der Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen, damit sich diese bei Vertragsschluss hinreichend über die rechtliche Tragweite der Vertragsbedingungen klar werden können.“ 236 Wie aus dem Zitat eindeutig hervorgeht, zielt das Transparenzgebot nach Ansicht des BGH auch auf die Abschluss- und nicht lediglich auf die Abwicklungstransparenz.237 Für die nähere Konkretisierung der Transparenzanforderungen ist zwischen preis- und sonstigen leistungsbestimmenden Klauseln zu differenzieren. Preisbezogene Klauseln müssen die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen klar erkennen lassen, die auf den Kunden zukommen.238 Es gilt insbesondere zu verhindern, dass die AGB „verschleierte“ Zahlungspflichten beinhalten, die vom Kunden bei der Abschlussentscheidung nicht wahrgenommen werden. Ein Beispiel aus der Rechtsprechung für derartige verdeckte Kosten sind etwa Zinsberechnungsklauseln in Darlehensverträgen, die für die Bemessung des vom Kreditnehmer geschuldeten Zinses auf die ausstehende Darlehensschuld an einem bestimmten Stichtag abstellen und später erfolgte Tilgungsleistungen außer Acht lassen. Solche Regelungen haben zur Folge, dass Zinsen auch auf nicht genutztes Kapital gezahlt werden müssen. Da der Kreditnehmer im Regelfall davon ausgehen darf, dass sich der im Vertrag angegebene Zinssatz lediglich auf die tatsächliche Restschuld bezieht, bewirken derartige Berechnungsregelungen eine „versteckte“ Verteuerung des Kredits. Sie sind nur unter der Voraussetzung wirksam, dass ihre zinssteigernde Wirkung dem Kreditnehmer klar und deutlich vor Augen geführt wird.239 Sonstige leistungsbeschreibende Regelungen in AGB müssen Klarheit über den konkreten Umfang der angebotenen Leistungen verschaffen. Dieser Grundsatz spielt insbesondere bei Versicherungsverträgen eine wichtige Rolle. Hier muss für den Versicherungsnehmer ersichtlich sein, welche Risiken der Versicherer im Einzelnen abzudecken verspricht. Eine Verletzung des Transparenzgebots ist demnach beispielsweise anzunehmen, wenn ein Versicherer eine private Vorsorge gegen „unfreiwillige Arbeitslosigkeit“ zur Aufstockung des gesetzlichen Arbeitslosengeldes anbietet, in den Versicherungsbedingungen allerdings den 235 Zur Unterscheidung zwischen formaler (rechtlicher) und materialer (faktischer) Selbstbestimmung s. oben § 4 I. 2. a) cc). 236 BGHZ 106, 259, 264; BGHZ 165, 12, 21. 237 Zur Unterscheidung s. oben § 5 II. 1. c). 238 BGHZ 136, 394, 401; BGH NJW 2000, 651, 652. 239 BGHZ 106, 42, 49 ff.; BGH NJW 1990, 2383, 2384.
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Versicherungsschutz bei Kündigungen ausnimmt, die ihren Grund in der Person des Versicherungsnehmers haben. Da auch der Verlust der Arbeitsstelle nach einer personenbedingten Kündigung ohne weiteres als „unfreiwillige Arbeitslosigkeit“ verstanden werden kann, ist die Beschreibung des versicherten Risikos mindestens unklar, wenn nicht sogar irreführend.240 Ebenso ist ein Transparenzverstoß gegeben, wenn ein Versicherer eine „Auslandsreise-Krankenversicherung“ anbietet, bei der die Versicherungsbedingungen mit der Überschrift „Weltweit Versicherungsschutz auf Urlaubsreisen“ betitelt sind, im nachfolgenden Text jedoch eine Klausel enthalten, nach der als „Ausland“ nicht das Staatsgebiet gilt, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt.241 Eine solche Gestaltung verdunkelt dem Versicherungsnehmer den Umfang des geleisteten Versicherungsschutzes. Das Transparenzgebot, so haben die Beispiele gezeigt, erfüllt zunächst die Aufgabe, solche AGB-Gestaltungen auszuschließen, die bei den Kunden verfehlte Erwartungen wecken, Nachteile verschleiern oder in sonstiger Weise über den Vertragsinhalt in die Irre führen. bb) Marktvergleich Die zweite Funktion des Transparenzgebots ist wettbewerbsbezogen.242 Die Aufklärung des Kunden über den Inhalt des konkret abzuschließenden Vertrags gewährleistet nicht zwangsläufig die Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Informationen über den Inhalt des Vertrags in einer Form mitgeteilt werden, die einen Marktvergleich zulassen: Der Kunde soll in die Lage versetzt werden, die Konditionen unterschiedlicher Anbieter zu vergleichen und sich für das Angebot zu entscheiden, das seinen Präferenzen am besten entspricht. Nur so ist sichergestellt, dass sich in Bezug auf die Hauptleistungen ein Leistungswettbewerb entfaltet, der zu einer Verbesserung des Marktangebots zugunsten der Kunden beiträgt. Ein Beispiel soll die Zusammenhänge verdeutlichen: Die Tarife konkurrierender Telekommunikationsanbieter setzen sich zum Teil aus ganz unterschiedlichen Preiselementen zusammen. Manche Anbieter erheben zum Beispiel während der Laufzeit eine monatliche „Grundgebühr“, die unabhängig von den tatsächlich in Anspruch genommenen Telekommunikationsdiensten zu entrichten ist. Je nach Anbieter enthält diese „Grundgebühr“ manchmal eine bestimmte Zahl an „Gesprächsfreiminuten“. 240 BGHZ 141, 137, 143 f.; ebenso Kieninger VersR 1998, 1071, 1074; Basedow NVersZ 1999, 349, 350. Zu einem ähnlichen Fall einer intransparenten Definition von Arbeitslosigkeit in einer Arbeitslosigkeitsversicherung vgl. auch BGH NJW-RR 2005, 1189, 1190 f. 241 BGH NJW 2001, 1132, 1133 f. 242 Vgl. zur wettbewerbsbezogenen Dimension des Transparenzgebots Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, Rn. 13.18.
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Manchmal umfasst sie alternativ oder zusätzlich den Versand einer bestimmten Anzahl von Kurzmitteilungen. Andere Anbieter verwenden Tarife, die das zu zahlende Entgelt allein nach der Dauer der geführten Gespräche berechnen und keine Grundgebühr erheben. Die Kombinationsvielfalt ist damit groß. Selbst wenn nun jeder Anbieter über seinen Tarif und die einzelnen Tarifelemente in perfekter Transparenz aufklärt, kann sich der Kunde oftmals kein Bild darüber machen, welcher Anbieter für ihn der günstigste ist. Da die Preismodelle der konkurrierenden Anbieter nicht einheitlichen Kriterien folgen, ist der Marktvergleich für den Kunden äußerst schwierig.243 Im Schrifttum ist bei einigen Autoren anerkannt, dass das Transparenzgebot dem Nachfrager auch den Produktvergleich und die Auswahlentscheidung erleichtern soll.244 Die Rechtsprechung des BGH ist in diesem Punkt uneinheitlich: In einer jüngeren Entscheidung, in der es um die Transparenzkontrolle einer Regelung über die Anpassung einer Kaufpreisrente ging, scheint der V. Zivilsenat der Auffassung zuzuneigen, dass das Transparenzgebot den Marktvergleich zwischen konkurrierenden Angeboten ermöglichen soll: „Das Gesetz geht nämlich davon aus, dass der Vertragspartner des Verwenders der – einer materiellen Inhaltskontrolle entzogenen – Preisvereinbarung besondere Aufmerksamkeit widmet und insoweit seine Verhandlungsmöglichkeiten und Marktchancen interessengerecht wahrnimmt. Das kann er jedoch nur, wenn der Vertragsinhalt ihm ein vollständiges und wahres Bild vermittelt und ihn so auch zum Marktvergleich befähigt.“ 245
Schon früher hatte der IV. Zivilsenat die Intransparenz einer Klausel über die Bemessung des Rückkaufswerts einer Lebensversicherung unter anderem damit begründet, die fragliche Regelung erlaube dem Vertragsinteressenten keinen Vergleich mit konkurrierenden Produkten, zu denen der BGH im Einzelnen nicht nur kapitalbildende Lebensversicherungen anderer Anbieter zählte, sondern auch andere Formen der Kapitalanlage.246 In scharfem Kontrast dazu steht nunmehr eine Entscheidung des XI. Zivilsenats, welche die Wirksamkeit der Vereinbarung ei243 Zu den Schwierigkeiten für den Verbraucher, die aus der Angebotsvielfalt auf dem (amerikanischen) Mobilfunkmarkt resultieren, s. die ökonomische Untersuchung von Ayal Law and Contemporary Problems 74 (2011), Heft 2, 91 ff. 244 So z. B. Basedow VersR 1999, 1045, 1046 („Es [scil. das Transparenzgebot] trägt damit zur Vergleichbarkeit konkurrierender Angebote und folglich zur Markttransparenz bei.“); Stoffels JZ 2001, 843, 845; Börner JZ 1997, 595, 597; Fuchs, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 353; Staudinger/Coester § 307 Rn. 315; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, Rn. 13.18. 245 BGH NJW-RR 2008, 251, 253. 246 BGHZ 147, 354, 362; BGHZ 147, 373, 378; in beiden Entscheidungen heißt es: „Der potenzielle Kunde ist deshalb auf Informationen angewiesen, die ihm für seine Entscheidung bei Vertragsschluss einen Vergleich der unterschiedlichen Angebote [. . .] erlauben.“ Vgl. auch BGHZ 164, 297, 316, wo eine bestimmte Gestaltung für intransparent gehalten wurde, da sie den Kunden bei der „Produktwahl“ beeinträchtigte.
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ner Abschlussgebühr in den AGB einer Bausparkasse betraf. Dort wird zur Funktion der Transparenzkontrolle ausgeführt: „Das Transparenzgebot hat [. . .] nur zum Ziel, dem Kunden des Verwenders die Pflichten und wirtschaftlichen Nachteile der entsprechenden Regelung zu verdeutlichen, bezweckt darüber hinaus jedoch nicht, eine höhere Markttransparenz im Sinne der besseren wirtschaftlichen Vergleichbarkeit zu anderen Finanzierungsmodellen herzustellen.“ 247
Das Vorhaben, dem Kunden durch das Transparenzgebot den Marktvergleich zu ermöglichen, stößt mitunter allerdings auf beträchtliche Schwierigkeiten. Diese werden deutlich, wenn man sich noch einmal das oben erwähnte Beispiel der unterschiedlichen Tarifmodelle auf dem Telekommunikationsmarkt vergegenwärtigt. Wie gesehen, wird die Vergleichbarkeit der konkurrierenden Leistungsangebote dadurch erschwert, dass die Aufspaltung in die einzelnen Preisbestandteile auf keinem einheitlichen Schema beruht. Damit das Ziel der Markttransparenz erreicht wird, ist also ein gemeinsames Format, ein einheitlicher Standard der Informationsangabe erforderlich, der für alle Marktanbieter gilt. Aus dem AGB-rechtlichen Transparenzgebot kann ein derartiger Standard nicht unmittelbar abgeleitet werden. Dazu ist es zu unbestimmt. Seine Konkretisierungsbedürftigkeit im Einzelfall widerspricht bereits im Ansatz der Idee der Standardisierung. Nun hat jedoch der Gesetzgeber außerhalb des AGB-Rechts für bestimmte Leistungen einheitliche Informationsstandards festgelegt, um die Vergleichbarkeit der konkurrierenden Marktangebote zu gewährleisten.248 Ein Beispiel hierfür ist die Pflicht zur Angabe des effektiven Jahreszinses, die § 492 Abs. 1 Satz 5 Nr. 5 BGB speziell für Verbraucherdarlehensverträge249 und § 6 der Preisangabenverordnung (PAngV) ganz allgemein für Kreditgeschäfte aufstellen. Diese Information fasst die unterschiedlichen Entgeltbestandteile des Kredits (z. B. Zinsen, Disagio, Abschlussgebühr etc.) zu einem einheitlichen Referenzwert zusammen.250 Der Kreditnehmer kann sich auf diese Weise ein vollständiges Bild über die jährliche Gesamtbelastung aus dem Darlehen machen und die Konditionen konkurrierender Kreditgeber ohne Mühe miteinander vergleichen.251 Ähnliche 247
BGHZ 187, 360, 367. Vgl. hierzu allgemein Möslein/Riesenhuber, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, S. 1485, 1487 f. 249 Die Informationspflicht ist unionsrechtlich vorgegeben, vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. g der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. 2008 L 133/66. 250 Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, § 6 PAngV Rn. 6 spricht von einer „Preisvergleichszahl“. 251 Siehe z. B. Erwägungsgrund 19 der oben genannten (Fn. 249) Verbraucherkreditrichtlinie; vgl. ebenso die Regierungsbegründung zur Vorläuferregelung des § 492 BGB im VerbrKrG BT-Drucks. 11/5462 S. 20; s. hierzu auch MünchKommBGB/Schürn248
208 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
Informationsstandards finden sich beispielsweise auch in anderen Bestimmungen der PAngV252 sowie speziell für Fernabsatzverträge in Art. 246 § 1 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB und für Versicherungsverträge in § 1 Abs. 1 Nr. 7, § 2 Abs. 1 Nr. 1 und § 3 Abs. 1 Nr. 1 VVG-InfoV. Wo derartige Informationspflichten gelten, sind sie als Richtschnur für die Transparenzkontrolle heranzuziehen.253 Der Umstand, dass die Verletzung dieser Pflichten bereits mit Rechtsfolgen außerhalb der §§ 305 ff. BGB sanktioniert wird,254 steht ihrer Berücksichtigung im Rahmen der AGB-rechtlichen Transparenzkontrolle nicht entgegen. Entscheidend ist, dass das Transparenzerfordernis ebenso wie die speziellen Informationspflichten das Ziel verfolgt, die Transparenz des Marktes und insbesondere die Vergleichbarkeit der zur Auswahl stehenden Produkte zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist es im Interesse der Einheit und Kohärenz der Rechtsordnung geboten, das unbestimmte Transparenzgebot in Anlehnung an die speziellen Informationsregeln zu konkretisieren.255 Anzumerken ist allerdings, dass die Erfüllung der besonderen Informationspflichten lediglich eine Mindestvoraussetzung für die Transparenz der fraglichen AGB-Klausel sein kann. Die Vorschriften enthalten nämlich nur punktuelle Pflichtangaben und treffen keine abschließende Regelung über die Klarheit und Verständlichkeit der Vertragsbedingungen in ihrer Gesamtheit. d) Anwendungsbeispiel: Die AGB-Kontrolle von Entgeltabreden der Bankwirtschaft Die soeben erzielten Erkenntnisse zur Überprüfbarkeit der essentialia negotii sollen im Folgenden für die Lösung eines in der Praxis seit längerem umstrittenen Problems herangezogen werden: der AGB-Kontrolle von Entgeltabreden in den Formularverträgen der Banken und Sparkassen. Die Diskussion ist erst kürzbrand § 492 Rn. 1. Vgl. aus der Rechtsprechung EuGH 4.3.2004, Rs. C-264/02 (Cofinoga), Slg. 2004, I-2157, Rn. 26; EuGH 16.11.2010, Rs. C-76/10 (Pohotovost’ s.r.o.), Slg. 2010, I-11557, Rn. 70. 252 Vgl. nur BGHZ 155, 301, 305, wonach die Ziele der PAngV Preisklarheit, Preiswahrheit und die Wettbewerbsförderung durch optimale Preisvergleichsmöglichkeit sind (st. Rspr.). 253 Vgl. auch Staudinger/Coester § 307 Rn. 317. 254 Der Verstoß gegen die PAngV stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit einer Geldbuße geahndet werden, daneben können sich lauterkeitsrechtliche Rechtsfolgen ergeben. Im Rahmen von Fernabsatz- und Versicherungsverträgen verlängert die Verletzung der Informationspflicht die Widerrufsmöglichkeit. Beim Verbraucherdarlehen erfolgt eine gesetzliche Vertragsanpassung (vgl. § 494 Abs. 2 Satz 2 BGB), die freilich auf das gleiche Ergebnis wie die AGB-rechtliche Klauselkontrolle hinauslaufen dürfte. 255 Vgl. allgemein zum Gleichlauf zwischen vertrags- und lauterkeitsrechtlichen Normen, wenn es um die Sicherung der Funktionsbedingungen des Marktes geht, Busch, Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, S. 171 f.
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lich neu angefacht worden. Den Auslöser dafür bildete ein Beitrag von Nobbe,256 der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Vorsitzender Richter des für das Bankrecht zuständigen XI. Zivilsenats des BGH war und infolgedessen mit seiner Stellungnahme große Aufmerksamkeit erlangte. Jüngster Zankapfel war die Frage, ob Bausparkassen für die Eingehung des Bausparvertrages Abschlussgebühren in Rechnung stellen dürfen. Bevor im weiteren Verlauf die Entscheidungspraxis der Gerichte zur AGBKontrolle von Entgeltklauseln analysiert wird, ist ein klarstellender Hinweis vorauszuschicken: Nach der Umsetzung der europäischen Zahlungsdiensterichtlinie257 im Jahr 2009 sind Klauseln, die sich auf die Vergütung von Bankleistungen im Geltungsbereich der Richtlinie beziehen, nicht mehr am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu prüfen. Die Zulässigkeit solcher Klauseln ist nunmehr in den Umsetzungsvorschriften der §§ 675c ff. BGB in abschließender Weise geregelt. So sieht der § 675f Abs. 4 Satz 2 BGB mit Blick auf Zahlungsdiensteverträge vor, dass die Bank für die Erfüllung der gesetzlichen Nebenpflichten aus den §§ 675c ff. BGB ein Entgelt nur dann erheben darf, wenn dies ausdrücklich gesetzlich zugelassen ist und eine entsprechende vertragliche Abrede zwischen den Parteien getroffen wurde. Das Entgelt muss angemessen und an den tatsächlichen Kosten des Kreditinstituts ausgerichtet sein. Im Einzelnen erfasst dieser Kontrolltatbestand Gebühren für die Mitteilung der Ablehnung eines Zahlungsauftrags (§ 675o Abs. 1 Satz 4 BGB), für den Widerruf eines Zahlungsauftrags (§ 675p Abs. 4 Satz 2 BGB) und für die Wiederbeschaffung der Zahlungssumme nach einem fehlgeleiteten Transfer (§ 675y Abs. 3 S. 3 BGB). Der Angemessenheitsprüfung unterliegen ferner nach § 675d Abs. 3 S. 2 BGB Vergütungsabreden über die Erfüllung bestimmter Informationspflichten. Hingegen folgt aus § 675f Abs. 4 S. 1 BGB sowie im Umkehrschluss zu den eben erwähnten Vorschriften, dass die Parteien die Vergütung „für die Erbringung eines Zahlungsdienstes“ frei vereinbaren dürfen. Kontrollfrei bleiben somit sämtliche Klauseln, die das Entgelt für die Durchführung eines Zahlungsvorgangs, etwa einer Überweisung oder eines Lastschriftseinzugs, festsetzen.258 Gleiches gilt für Preisklauseln im Zusammenhang mit Barein- und -auszahlungen, da es sich bei diesen Vorgängen
256
WM 2008, 185. Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11. 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/ EG, ABl. 2007 L 319/1. 258 Gewisse Schranken für die Festlegung des Entgelts können sich allerdings aus der Verordnung (EG) 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001, ABl. 2009 L 266/11, ergeben, welche im Wesentlichen vorschreibt, dass für grenzüberschreitende Zahlungen bis zu einem Betrag von 50.000 A keine höheren Entgelte verlangt werden dürfen als für eine entsprechende Inlandszahlung in gleicher Höhe und gleicher Währung. 257
210 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
nach der Definition des § 1 Abs. 2 Nr. 1 ZAG ebenfalls um „Zahlungsdienste“ handelt. Anders als bisher259 werden die zuletzt genannten Klauseln künftig nicht mehr am Maßstab des § 307 Abs. 1 BGB auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden können. Eine solche Inhaltskontrolle liefe darauf hinaus, Zahlungsdiensteverträge einer strikteren Regulierung zu unterwerfen, als es die Zahlungsdiensterichtlinie vorsieht. Auf diese Weise würde das Prinzip der Vollharmonisierung verletzt, dem die Richtlinie folgt.260 Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die AGB-Kontrolle von formularmäßigen Entgeltabreden in der Bankwirtschaft bleiben allerdings weiterhin für alle sonstigen Gebührenklauseln gültig, die sich nicht auf Zahlungs-, sondern auf andere Finanzdienstleistungen der Kreditinstitute beziehen (z. B. Kredit- oder Einlagegeschäfte). aa) Die Grundsätze der Rechtsprechung Zutreffend geht die Rechtsprechung zunächst davon aus, dass formularmäßige Entgeltklauseln nur dann der materiellen Angemessenheitskontrolle unterworfen sind, wenn sie nach § 307 Abs. 3 BGB kontrollfähig sind. Mit Blick auf diese Vorschrift betonen die Gerichte, dass im nicht preisregulierten Markt die Vereinbarung von Preisen für die vertraglichen Haupt- und Nebenleistungen weder von Rechtsvorschriften abweicht noch diese ergänzt; folglich unterliegt eine solche Abrede prinzipiell nicht der Inhaltskontrolle.261 Dieser Grundsatz soll allerdings nicht ausnahmslos gelten. Der XI. Zivilsenat des BGH differenziert in ständiger Rechtsprechung zwischen kontrollfreien Preishauptabreden und kontrollfähigen Preisnebenabreden.262 Erstere betreffen Entgelte für die Erbringung der vertraglichen Leistung an den Kunden,263 während sich letztere auf die Vergütung von Tätigkeiten beziehen, die der AGB-Verwender entweder in Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder ausschließlich im eigenen Interessen ausführt.264 Das Entgelt stellt 259 Zur Kontrolle von Entgeltklauseln über die Barein- und -auszahlung s. BGHZ 124, 254, 257 ff.; BGHZ 133, 10, 15. 260 Siehe Art. 86 Zahlungsdiensterichtlinie. 261 BGHZ 141, 380, 383. 262 Vgl. allerdings BGHZ 141, 380, 383, und BGH NJW 2000, 651, wo der BGH auf Distanz zum eigenen Begriff der Preisnebenabrede geht und ihn als „etwas missverständlich“ bezeichnet. 263 BGHZ 136, 261, 264; 137, 43, 45 f. (kontrollfrei nur Entgelt für Leistungen, die „auf rechtsgeschäftlicher Grundlage“ erbracht werden); s. auch BGHZ 141, 380, 383, und BGH NJW 2000, 651 (nur Entgelt für eine „Leistung für den Vertragspartner“ kontrollfrei); vgl. auch Nobbe WM 2008, 185, 186; Roller BKR 2008, 221, 225 ff. 264 Für Tätigkeiten in Erfüllung gesetzlicher Pflichten s. BGHZ 136, 261, 264; BGHZ 137, 27, 30; BGH NJW 1994, 318; pointiert insbesondere BGHZ 146, 377, 383: „Dem Schuldrecht ist der Grundsatz fremd, dass das vertragsgemäße Verhalten eines Beteiligten für die Gegenseite eine besondere Entgeltpflicht auslöst.“ Für Tätigkeiten
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in diesen zuletzt genannten Fällen nach Ansicht des BGH keine „echte (Gegen-) Leistung“ 265 dar. Preisnebenabreden zeichneten sich überdies dadurch aus, dass an deren Stelle bei Fehlen einer wirksamen vertraglichen Regelung das dispositive Gesetzesrecht treten könne. Demgegenüber sei für Preishauptabreden charakteristisch, dass sie keine gesetzlichen Vorschriften ersetzten oder ergänzten. Für ihre inhaltliche Überprüfung fehle es damit bereits an einem normativen Maßstab. Legt man die Entscheidungskriterien der Rechtsprechung zugrunde, stellen folgende Regelungen kontrollfreie Preishauptabreden dar: die Bestimmung des geschuldeten Zinses (einschließlich des Disagio266) in einem Kreditvertrag, die Vereinbarung eines Entgelts für die Einziehung eines Schecks267 oder beispielsweise die Festlegung einer Gebühr für die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Rahmen eines Depotvertrags. In allen diesen Fällen, so der BGH, lasse sich die Bank für Tätigkeiten entlohnen, die als vertragliche Leistungen an den Kunden zu werten seien. Ebenso seien Entgeltabreden kontrollfrei, die sich auf zusätzliche, über den typischen Vertragsinhalt hinausgehende Sonderleistungen bezögen, für die es keine gesetzlichen Regelungen gebe. Beispiele sind die Nutzungsmöglichkeit von Geldautomaten,268 der Kreditkarteneinsatz im Ausland269 oder die Ausstellung eines Ersatz-Sparkassenbuchs.270 Zu den kontrollfähigen Preisnebenabreden gehören hingegen unter anderem die Gebührenklauseln für die Ausfertigung von Löschungsbewilligungen bei Grundpfandrechten,271 für die Bearbeitung von Kontopfändungen,272 für die Umstellung eines Girokontos auf ein Pfändungsschutzkonto gemäß § 850k ZPO273 sowie für die Benachrichtigung des Kontoinhabers über die Nichteinlösung von Schecks wegen fehlender Deckung.274 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Bank mit diesen Aktivitäten lediglich gesetzlichen Pflichten nachim eigenen Interesse BGHZ 137, 43, 46 f.; BGHZ 146, 377, 381; vgl. ebenso die Rechtsprechung des III. Zivilsenats BGH NJW 2002, 2386, 2387. 265 So die Formulierung in BGHZ 136, 261, 264; BGHZ 137, 43, 46. 266 Zur Deutung des Disagio als Teil des Zinses s. BGHZ 111, 287, 289. 267 Nobbe WM 2008, 185, 190 f. 268 BGHZ 133, 10, 17. 269 BGHZ 137, 27, 30 ff. 270 BGH NJW-RR 1998, 1661. 271 BGHZ 114, 330, 333 f. 272 BGHZ 141, 380, 383 ff. 273 KG NJW 2012, 395, 396; OLG Frankfurt a. M. NJW 2012, 2121, 2122. 274 BGHZ 146, 377, 382 ff. – Die Entgelterhebung für die Benachrichtigung über die Nichtausführung einer Überweisung oder eines Dauerauftrags bzw. über die Nichteinlösung einer Lastschrift unterliegt nunmehr der besonderen Kontrolle des § 675f Abs. 4 Satz 2 i.V. m. § 675o Abs. 1 Satz 4 BGB. Schecks fallen hingegen nicht in den Anwendungsbereich der §§ 675c ff. BGB, s. § 675c Abs. 3 BGB i.V. m. § 1 Abs. 10 Nr. 6 ZAG.
212 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
komme, für deren Erfüllung das Gesetz keinen eigenständigen Vergütungsanspruch gewähre. Für die Erteilung von Löschungsbewilligungen folge die Pflicht zum unentgeltlichen Tätigwerden aus §§ 361 Abs. 1, 897, 1144 BGB, für die Mitwirkung an der Kontopfändung aus § 840 Abs. 1 und § 788 ZPO. Die gesetzliche Verpflichung der Bank, auf Verlangen des Kunden ein Girokonto in ein Pfändungsschutzkonto umzuwandeln, ist in § 850k Abs. 7 S. 2 ZPO niedergelegt. Schließlich nimmt der BGH bei einer fehlgeschlagenem Einlösung von Schecks eine Unterrichtungspflicht der Bank auf Grundlage der §§ 666, 675 Abs. 1 BGB bzw. aus dem Gebot von Treu und Glauben an.275 Als kontrollfähige Preisnebenabreden behandelt die Rechtsprechung ferner auch Klauseln über die Erhebung eines Bearbeitungsentgelts für die Gewährung eines Kredits.276 Solche Regelungen dienen nach Ansicht der Gerichte in erster Linie der Abgeltung des Aufwands, der für die Bank bei der Prüfung der Bonität des Darlehensnehmers und etwaiger Sicherheiten entstehe. Damit zielten sie nicht auf die Vergütung der vertraglichen (Haupt-)Leistung, sondern einer Tätigkeit, die die Bank ausschließlich im eigenen Interesse ausführe, so dass die richterliche Klauselkontrolle zuzulassen sei. bb) Kritik am Lösungsansatz der Rechtsprechung Die Grundsätze der Rechtsprechung zur Kontrollfähigkeit der Entgeltklauseln der Kreditwirtschaft überzeugen nicht. Drei Einwände lassen sich gegen sie formulieren. (1) Die Unterscheidung zwischen kontrollfreien Preishauptabreden und kontrollfähigen Preisnebenabreden ist zu unbestimmt. Insbesondere die von der Rechtsprechung vorgenommene Abgrenzung zwischen vertraglichen Leistungen einerseits und gesetzlich geschuldeten bzw. ausschließlich im eigenen Interesse der Bank ausgeführten Tätigkeiten andererseits folgt unscharfen Kriterien. Was nach Ansicht der Rechtsprechung nämlich „gesetzlich geschuldet“ (und damit Gegenstand einer Preisnebenabrede) ist, beruht häufig auf vertraglichen Pflichten.277 Deren Erfüllung kann damit ohne weiteres auch als „vertragliche Leistung“ (und somit als Gegenstand einer Preishauptabrede) angesehen werden. Dies gilt zum Beispiel für die Unterrichtungspflicht nach §§ 666, 675 Abs. 1 BGB im Fall der gescheiterten Einlösung eines Schecks.278 Die Bank erfüllt da275 Für weitere Beispiele von Entgeltklauseln, die bereits Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren, vgl. den ausf. Überblick bei Nobbe WM 2008, 185, 190, und Billing, Bedeutung von § 307 III 1 BGB, S. 81 ff. 276 OLG Bamberg ZIP 2011, 561, 562; OLG Karlsruhe ZIP 2011, 951, 953; OLG Dresden WM 2011, 2320, 2321; offen lassend hingegen OLG Celle NJW 2010, 2141. 277 Vgl. auch Köndgen ZBB 1997, 177, 134. 278 Siehe oben Fn. 274.
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mit eine Nebenpflicht, die zwar im dispositiven Gesetzesrecht geregelt ist und damit auch ohne eine eigene Parteivereinbarung gilt. Ihre Grundlage hat die Rückgabepflicht allerdings im vertraglichen Schuldverhältnis. Auch das Kriterium des Eigeninteresses der Bank bietet großen Interpretationsspielraum. Schon Adam Smith hatte darauf hingewiesen, dass bei jeder Markttransaktion das Eigen- und Fremdinteresse der Kontrahenten eine untrennbare Einheit bilden:279 Jede Seite hat ein eigenes Interesse, das Interesse des anderen zu erfüllen, da dann die eigene Leistung hoch geschätzt und entsprechend vergütet wird. Wie unsicher die Differenzierung zwischen Preishaupt- und Preisnebenabreden ist, belegt im Übrigen auch der jüngste Streit um die AGB-Kontrolle von Abschlussentgeltklauseln im Rahmen von Bausparverträgen. Nach Auffassung des LG Heilbronn280 ebenso wie des OLG Stuttgart281 in der Berufungsinstanz stellen derartige Regelungen eine Preishauptabrede dar und sind folglich der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB entzogen. Die Abschlussgebühr, die häufig als Provisionszahlung an den Abschlussvermittler fließt, vergütet nach Ansicht dieser Gerichte eine Leistung an den Kunden, sie gilt nämlich den Aufwand der Bausparkasse für die Akquise neuer Bausparer ab. Der kontinuierliche „Nachschub“ an neuen Spareinlagen sei erforderlich, um das geschlossene Finanzierungssystem des Bauspargeschäfts zu speisen, insbesondere liege er auch im Interesse der Bausparer, da er deren Wartezeit bis zur Zuteilung eines (zinsgünstigen) Darlehens verkürze. Demgegenüber gelangte der BGH im Revisionsverfahren bei Anwendung derselben Grundsätze zu dem Ergebnis, dass die Entgeltklausel in ebenso vertretbarer Weise als Preisnebenabrede verstanden werden könne, nämlich dann, wenn man in der Neukundenakquise keine vertragliche Leistung im engeren Sinne erblicke.282 Bei dieser Betrachtungsweise bestehe der wirtschaftliche Sinn der Gebühr darin, die Kosten der Außendienstmitarbeiter der Bank – d.h. interne Vertriebskosten – abzudecken. In diese Richtung hatte sich zunächst auch der frühere Vorsitzende des XI. Zivilsenats Nobbe in einer persönlichen Stellungnahme geäußert und dementsprechend die Kontrollfähigkeit von Abschlussentgeltklauseln bejaht.283 Das Beispiel zeigt, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung zwischen den kontrollfreien und kontrollfähigen Entgeltklauseln in der praktischen Anwendung häufig keine eindeutigen Ergebnisse zu liefern vermag. 279 Vgl. das berühmte Beispiel vom Metzger, dem Brauer und dem Bäcker, oben § 2 I. 3. d). 280 LG Heilbronn WM 2009, 603, 607. 281 OLG Stuttgart WM 2010, 705. 282 BGHZ 187, 360, 372. 283 WM 2008, 185, 193; später revidierte Nobbe diese Einschätzung jedoch wieder, s. WuB IV C. § 307 BGB 1.10.
214 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
(2) Die Vereinbarung eines vom Gesetz nicht geregelten Entgelts stellt nicht zwangsläufig eine Abweichung im Sinne des § 307 Abs. 3 BGB von den dispositiven gesetzlichen Bestimmungen dar. Der Rechtsprechung kann nicht gefolgt werden, wenn sie die Kontrollfähigkeit von „Preisnebenabreden“ damit begründet, diese wichen vom dispositiven Recht im Sinne des § 307 Abs. 3 BGB ab. Die Gerichte sehen eine Modifikation des gesetzlichen Leitbilds, wenn Klauseln eine Entgeltpflicht festlegen, die das Gesetz nicht regelt. Diese Ansicht ist verfehlt. Eine Abweichung vom Dispositivrecht kann nur dann angenommen werden, wenn das Gesetz eine unentgeltliche Ausführung der betreffenden Leistung vorschreibt. Aus dem Fehlen einer gesetzlichen Regelung kann indessen nicht auf eine Pflicht zum unentgeltlichen Tätigwerden geschlossen werden.284 Liegt keine Abweichung vom dispositiven Recht vor, kann die Kontrollfähigkeit der Entgeltklauseln auch nicht auf § 307 Abs. 3 BGB gestützt werden. (3) Die Kontrolle der „Preisnebenabreden“ greift in die unternehmerische Freiheit der Banken bei der Wahl des Vergütungsmodells ein. Der XI. Zivilsenat hat die Inhaltskontrolle von Preisnebenabreden mitunter auch damit gerechtfertigt, dass die Banken über solche Klauseln versuchten, die „allgemeinen Betriebskosten“ auf den Kunden abzuwälzen.285 Diese seien allerdings bereits im Preis für die Hauptleistung enthalten. Nun liegt es allerdings im unternehmerischen Ermessen der Bank, ob sie sich ihre Tätigkeit allein über ein Gesamtentgelt (Hauptpreis) vergüten lassen möchte oder ob sie eine andere Tarifgestaltung wählt. Ebenso gut kann sie sich im Rahmen der allgemeinen Preisfreiheit für eine Aufspaltung des Entgelts in verschiedene Preisbestandteile entscheiden: Sie kann zum Beispiel für die Hauptleistung eine sog. „Grundgebühr“ festlegen und zusätzlich Einzelentgelte für bestimmte Sonder- oder Nebenleistungen erheben, die der Kunde konkret in Anspruch nimmt.286 Mit dem Modell des Gesamtentgelts werden die Betriebskosten der Bank tendenziell gleichmäßig und „verbrauchsunabhängig“ auf alle Kunden verteilt.287 Das Einzelentgeltsystem folgt hingegen dem Verursachungsprinzip288 und ermöglicht eine am individuellen Verbrauchsverhalten orientierte Leistungsabrechnung. Beide Preismodelle sind grundsätzlich legitim. Im Konkurrenzkampf um Kunden werden sich die Banken für das Modell entscheiden, von dem sie sich eine größere Akzeptanz versprechen.
284
Canaris AcP 200 (2000), 273, 333; Horn WM 1997 Sonderbeilage Nr. 1 S. 13 f. BGHZ 124, 254, 258 und 260; BGHZ 187, 360, 368; vgl. auch BGHZ 114, 330, 335 („Verwaltungskosten“); BGHZ 136, 261, 266 („Gemeinkosten“). 286 Dies erkennt das OLG Stuttgart WM 2010, 705, 706, ausdrücklich an. 287 Zu den verfehlten Anreizwirkungen dieses Modells Bitter, FS Ott, S. 153, 164 ff. 288 Zum Verursachungsprinzip vgl. auch Canaris AcP 200 (2000), 273, 337 ff., der insbesondere auch der Frage nachgeht, ob eine am Verursachungsprinzip orientierte Entgeltklausel – falls man ihre Kontrollfähigkeit bejahen sollte – den Bankkunden unangemessen benachteiligt. 285
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Der Ansatz des BGH führt nun zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des Gesamtentgeltmodells.289 Die Vereinbarung des Gesamtentgelts unterliegt als „Preishauptabrede“ keiner materiellen Inhaltskontrolle, während die Einzelentgelte als „Preisnebenabreden“ auf ihre Angemessenheit überprüft werden. Der einzige Grund, der eine strengere Kontrolle des Einzelentgeltmodells rechtfertigen kann, ist dessen geringere Transparenz:290 Da der Kunde bei Vertragsschluss nicht genau weiß, welche Einzelleistungen er in welchem Umfang in Anspruch nehmen wird, läuft er Gefahr, die auf ihn zukommende wirtschaftliche Belastung falsch einzuschätzen. Dieser Umstand rechtfertigt indessen lediglich eine strenge Transparenzkontrolle, nicht hingegen eine materielle Inhaltskontrolle am Angemessenheitsmaßstab. cc) Marktkonformer Lösungsansatz zur AGB-Kontrolle von Entgeltklauseln Nach dem hier vertretenen Standpunkt ist für die Kontrollfähigkeit von AGBKlauseln maßgebend, ob sie am Konditionenwettbewerb des Marktes teilnehmen.291 Ist das der Fall, kommt lediglich eine Transparenzkontrolle in Betracht, ansonsten unterliegen sie auch der materiellen Inhaltskontrolle. Diese Grundsätze haben auch für die Kontrolle der Entgeltklauseln in der Kreditwirtschaft zu gelten. Im Ausgangspunkt ist anzuerkennen, dass die Vertragsparteien grundsätzlich frei vereinbaren dürfen, ob und in welcher Höhe für bestimmte Leistungen ein Entgelt zu zahlen ist.292 Dieses Recht folgt aus der Vertragsfreiheit. Die Parteien können nicht nur eine Vergütung für die Erbringung der vertraglichen Hauptleistung vorsehen, sondern auch für die Erfüllung sonstiger vertraglicher Nebenpflichten. Ferner können sie auch ein Entgelt für die Ausführung solcher Tätigkeiten festlegen, die gar nicht Teil des geschuldeten Pflichtenprogramms sind, sondern lediglich in einem mittelbaren Zusammenhang mit dem Vertrag stehen (wie z. B. die Mitwirkung an der von einem Gläubiger des Kunden betriebenen Kontopfändung). Im Übrigen ist zu sehen, dass die Aufstellung materieller 289 Kritisch in dieser Hinsicht auch Placzek WM 2011, 1066, 1068 f.; Habersack WM 2008, 1857, 1859; Bitter ZIP 2008, 1095; Canaris AcP 200 (2000), 273, 335 f.; vgl. auch die Entscheidung des X. Zivilsenats des BGH in BGHZ 116, 117, 121: „Mangels eines Kontrollmaßstabs für Vergütungsabreden macht es keinen Unterschied, ob der Unternehmer seine Werkvertragsleistung ohne Offenlegung der einzelnen Berechnungsposten zu einem Gesamtpreis anbietet oder ob er die Nachprüfung des Werklohns durch den Besteller mittels Aufschlüsselung seiner einzelnen Leistungen und Preise ermöglicht“. 290 Zum Risiko der Intransparenz beim Einzelentgeltmodell s. auch Köndgen ZBB 1997, 117, 125. 291 Oben § 5 IV. 3. b) bb). 292 Ebenso Canaris AcP 200 (2000), 273, 335.
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Schranken für bestimmte Einzelentgelte im wirtschaftlichen Ergebnis keine Entlastung für die Kunden garantiert, da es den Banken unbenommen bleibt, zum Ausgleich die nicht regulierten Entgelte anzuheben. Hinzukommt, dass eine staatliche Kontrolle von Preisvereinbarungen (innerhalb der allgemeinen Grenzen der Vertragsfreiheit wie etwa §§ 134, 138 BGB etc.) im Regelfall nicht benötigt wird, da der Preis zu den zentralen Aktionsparametern des Wettbewerbs gehört und folglich der Markt selbst dafür sorgt, dass es zu keiner ungebührlichen Belastung der Bankkunden mit überzogenen Vergütungspflichten kommt. Die Selbstregulierung des Marktes funktioniert typischerweise bei den Vertragsbestimmungen, die den Preis für die „produktprägenden“ Leistungen der Bank festlegen.293 Hierzu zählen beispielsweise bei einem Girovertrag die Gebührenklauseln für die Kontoführung, Überweisungen sowie Einund Auszahlungen, bei einem Kreditvertrag der zu zahlende Zins. An diesen Bestimmungen orientiert sich der Kunde regelmäßig bei seiner Abschlussentscheidung. Hervorzuheben ist, dass der kontrollfreie Bereich sich nicht nur auf Entgeltregelungen für vertragliche Hauptleistungen beschränkt. Entgelte für vertragliche Nebenleistungen, die für die Kunden allerdings Serviceleistungen von zentralem Interesse sind (z. B. die Zurverfügungstellung von EC-Karten und Geldautomaten im Rahmen eines Girokontos), nehmen ebenso am Wettbewerb teil. Infolgedessen entfällt hier das Kontrollbedürfnis gleichfalls. Die Funktionsbedingungen des Marktes sind allerdings auch bei Entgeltabreden nicht in jedem Fall gewährleistet. Die erwünschte Selbstregulierung des Marktes bleibt insbesondere aus, wenn die Entgeltklauseln intransparent sind oder wenn sie an hypothetische Ereignisse anknüpfen, die der Kunde in seiner Abschlussentscheidung nicht einzubeziehen pflegt. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist insoweit eine AGB-Kontrolle von Gebührenklauseln geboten. (1) Transparenzkontrolle von Entgeltabreden Ohne Markttransparenz kann sich kein Konditionenwettbewerb entfalten. Folgerichtig sind Entgeltabreden gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB und Art. 4 Abs. 2 der Klauselrichtlinie in jedem Fall der Transparenzkontrolle zugänglich.294 Interessanterweise hat jedoch der XI. Zivilsenat dem Transparenzgebot in diesem Zusammenhang immer nur marginale Bedeutung beigemessen.295 Dieser Befund
293 Zum Kriterium der „produktprägenden“ Vertragsbestimmungen vgl. schon oben § 5 IV. 3. b) bb). 294 Siehe bereits oben § 5 IV. 3. c). 295 So ausdrücklich Nobbe WM 2008, 185, 187, mit der Begründung, dass „der Gerechtigkeitsgehalt dieses Gebots gering ist.“ Ebenfalls für eine Akzentsetzung auf der Inhalts- statt auf der Transparenzkontrolle Billing, Bedeutung von § 307 III 1 BGB, S. 103 ff.
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überrascht insofern, als er in deutlichem Kontrast zur Rechtsprechung anderer Senate steht.296 So greift etwa im Bereich des Versicherungsvertragsrechts der IV. Zivilsenat immer wieder auf das Transparenzgebot zurück, um die Unwirksamkeit leistungsbeschreibender Klauseln zu begründen.297 Auch bei der Beurteilung von Preisänderungsklauseln in Dauerschuldverträgen hat das Transparenzkriterium in der jüngeren Judikatur anderer Senate zunehmend an Gewicht gewonnen.298 Warum hingegen in den Entscheidungen zu den Bankentgelten die Transparenzregeln eine so untergeordnete Rolle spielen,299 ist kaum nachzuvollziehen – umso weniger, wenn man bedenkt, dass die Transparenzkontrolle die Möglichkeit bietet, die Kassation bestimmter Gebührenklauseln auf eine weniger kontroverse Grundlage zu stützen: Da das Transparenzgebot (wie auch der BGH nicht bestreitet) gleichermaßen für die essentialia wie für die vertraglichen Nebenbedingungen gilt, macht dieser Ansatzpunkt die im Schrifttum heftig kritisierte und mit großen Unsicherheiten behaftete Abgrenzung zwischen Preishaupt- und Preisnebenabreden entbehrlich.300 Das Transparenzgebot ist auch das sachgerechte Kontrollkriterium für die Beurteilung von Entgelten, die sich aus unterschiedlichen Preisbestandteilen zusammensetzen.301 Wie bereits erwähnt, ist es im Rahmen der Preisfreiheit den Parteien überlassen, wie sie den Preis gestalten, ob als Gesamtentgelt oder als Summe gesonderter Einzelentgelte. In diese Entscheidungsprärogative der Parteien wird ohne sachlichen Grund eingegriffen, wenn das Preisspaltungsmodell einer strengeren materiellen Kontrolle unterliegt. Die Aufspaltung des (Gesamt-) Preises in eine Vielzahl von Einzelkostenelementen bringt lediglich unter Transparenzgesichtspunkten Gefahren für den Kunden mit sich. Deswegen ist die Preisspaltung einer strengen Transparenzkontrolle zu unterwerfen. Von den Banken ist nicht nur zu verlangen, dass sie dem Kunden bei Vertragsschluss ein Preisverzeichnis über die Einzelentgelte zur Verfügung stellen. Sie müssen darüber hinaus etwaige Informationspflichten erfüllen, die im Interesse der Preistransparenz bestehen, allen voran die Anforderungen aus der Preisangabenverord-
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Fornasier EWiR 2009, 393, 394. Vgl. z. B. die oben [§ 5 IV. 3. c) aa)] erwähnten Entscheidungen BGHZ 141, 137; BGHZ 147, 354; BGHZ 147, 373; BGH NJW 2001, 1132; s. auch BGH NJW-RR 2005, 1189. Aus der Praxis anderer Senate vgl. z. B. BGHZ 165, 12 (VIII. Zivilsenat). 298 BGH NJW 2003, 746 (X. Senat); BGH NJW 2008, 360, 361 (III. Senat); BGH NJW 2009, 321 (VIII. Senat). 299 Vgl. aus jüngerer Zeit BGHZ 180, 257, 270 f.; abl. Fornasier EWiR 2009, 393, 394. 300 Vgl. auch die Entscheidung des VIII. Zivilsenats BGHZ 165, 12, 20, in der ausdrücklich auf die Entbehrlichkeit der Abgrenzung hingewiesen wird, da die inkriminierte Klausel bereits unter dem Transparenzaspekt für unzulässig erklärt werden kann. 301 Vgl. hierzu auch Wolf, 50 Jahre BGH, Bd. I, S. 111, 118; Placzek WM 2011, 1066, 1068. 297
218 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
nung.302 Im Zusammenhang mit Kreditgeschäften ist zum Beispiel die Pflicht gemäß § 6 PAngV zur Angabe des „effektiven Jahreszinses“ von Bedeutung. Für Verbraucherdarlehen sieht § 492 Abs. 1 Satz 5 Nr. 5 BGB die gleiche Pflicht vor. Der Effektivzins informiert den Kunden über die Gesamtkosten des Kredits unter Berücksichtigung etwaiger gesondert ausgewiesener Einzelentgelte. Wie bereits erwähnt, erlaubt die Effektivzinsangabe als sogenannte „Preisvergleichszahl“ den Vergleich zwischen den konkurrierenden Produktangeboten auf dem Markt.303 Sie ist folglich ein wirkungsvolles Mittel, Sonderentgelte der „zähmenden“ Kraft des Konditionenwettbewerbs zu unterwerfen. Die Transparenzkontrolle ist damit auch der richtige Lösungsansatz für die derzeit in der Diskussion stehenden Abschlussgebühren im Rahmen von Bausparverträgen: Wird das Abschlussentgelt im Einklang mit den Transparenzvorschriften im effektiven Jahreszins berücksichtigt, wird dem Kunden die damit verbundene wirtschaftliche Belastung deutlich vor Augen geführt.304 Gleichzeitig wird die Bausparkasse zu einem maßvollen Vorgehen bei der Festsetzung des Entgelts veranlasst: Ein hohes Entgelt mindert die Attraktivität des Leistungsangebots im Vergleich zu konkurrierenden Produkten. Somit ist festzuhalten: Bei konsequenter Anwendung der Transparenzvorschriften wird die Gefahr entschärft, dass durch Preisspaltungen und die Erhebung von Einzelentgelten dem Kunden „verschleierte“ Kosten auferlegt werden.305 Es besteht kein Bedürfnis nach einer materiellen Preiskontrolle. (2) Inhaltskontrolle von Entgeltabreden für hypothetische Ereignisse, mit denen der Kunde bei Vertragsschluss nicht rechnet Trotz Einhaltung der Transparenzforderungen kann es geschehen, dass Entgeltklauseln nicht am Konditionenwettbewerb partizipieren. Sofern dies der Fall ist, unterliegen auch klar und verständlich ausgestaltete Gebührenbestimmungen ausnahmsweise der Inhaltskontrolle. So verhält es sich etwa bei Bestimmungen, die eine Vergütungspflicht für Leistungen der Bank festlegen, mit deren Inanspruchnahme der Kunde im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht unbedingt rechnet.306 302 Zur Bedeutung derartiger Pflichtangaben und insbesondere der PAngV im Rahmen des Transparenzgebots s. oben § 5 IV. 3. c) bb). 303 Oben § 5 IV. 3. c) bb). 304 So auch Bitter ZIP 2008, 2155. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Erhebung eines „Bearbeitungsentgelts“ bei der Gewährung eines Kredits, s. hierzu Placzek WM 2011, 1066, 1069; Berger/Rübsamen WM 2011, 1877, 1880. 305 So im Ergebnis auch Habersack WM 2008, 1857, 1860; Bitter ZIP 2008, 1095; Pieroth/Hartmann WM 2009, 677, 682. 306 Siehe auch Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 87; Fornasier EWiR 2011, 207, 208; Franck/Massari WM 2009, 1117, 1119; Canaris AcP 200 (2000), 273, 337, in Bezug auf „Aktivitäten, die durch ein ganz irreguläres Ereignis [. . .] ausgelöst werden“. Vgl. zu diesem Gesichtspunkt bereits oben § 5 I. 4. a).
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Beispiele sind etwa Entgeltabreden für die Bearbeitung von Kontopfändungen oder Nachlassfällen.307 Auch Zinsvereinbarungen für Kontoüberziehungen fallen hierunter. Die Entgeltpflicht knüpft in diesen Fällen an hypothetische Ereignisse an, mit denen der Kunde im Moment der Vertragseingehung typischerweise nicht rechnet. Die „Richtigkeitsgewähr“ ist hier durch das bereits angesprochene Motivationsgefälle zwischen den Parteien gestört:308 Der Kunde fühlt sich von den ungünstigen Klauseln nicht „angesprochen“. Infolgedessen unterlässt er es, die betreffenden Bedingungen in seine Abschlussentscheidung einzubeziehen und nach günstigeren Angeboten auf dem Markt Ausschau zu halten. Dieses Marktversagen rechtfertigt die materielle Angemessenheitskontrolle der Klauseln. (3) Zusammenfassung Gegenüber den Grundsätzen der Rechtsprechung führt der hier vertretene Lösungsansatz einerseits zu einer partiellen Erweiterung der Inhaltskontrolle von Entgeltklauseln: Einer Angemessenheitsprüfung unterliegen auch gesetzlich nicht vorgesehene Sonderleistungen, sofern sie an hypothetische, vom Kunden bei Vertragsschluss normalerweise nicht erwartete Ereignisse anknüpfen (z. B. die Bearbeitung von Kontenpfändungen oder Kontoüberziehungen309). In anderem Zusammenhang wurde der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle hingegen enger gezogen: Kontrollfrei bleibt das Entgelt für jene Dienste, die prägende Serviceleistungen für den betreffenden Vertrag darstellen (und folglich am Konditionenwettbewerb teilnehmen), die allerdings nach Auffassung der Rechtsprechung lediglich zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten bzw. ausschließlich im eigenen Interesse der Bank erbracht werden. 4. Die AGB-Kontrolle im unternehmerischen Verkehr Eine der umstrittensten rechtspolitischen Fragen der AGB-Kontrolle ist die des persönlichen Anwendungsbereichs. Der europäische und der deutsche Gesetzgeber haben in diesem Punkt bekanntlich unterschiedliche Wege eingeschlagen: Während die europäische Klauselrichtlinie lediglich Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern erfasst (Art. 1 Abs. 1), gelten die §§ 305 ff. BGB teil-
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Zu letzteren s. BGH WM 2011, 399. Zum Motivationsgefälle s. oben § 5 I. 4. a). 309 Nach dem Konzept der Rspr. stellen Überziehungszinsen ein Entgelt für gesetzlich nicht vorgesehene Sonderleistungen dar und müssten folglich kontrollfrei bleiben (so ausdr. Nobbe WM 2008, 185, 190; ebenso Cahn WM 2010, 1197 ff.). Der BGH hat allerdings in einer Entscheidung (BGHZ 118, 126) eine derartige Klausel einer Inhaltskontrolle unterworfen, ohne dass diese für intransparent befunden worden wäre. Die Entscheidung ist als inkonsequent kritisiert worden (so Nobbe WM 2008, 185, 187 und 190). Nach dem hier vertretenen Ansatz verdient sie hingegen Zustimmung. 308
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weise auch für AGB-Klauseln im rein unternehmerischen Verkehr (§ 310 Abs. 1 BGB). In jüngerer Zeit hat sich nun eine Debatte darüber entwickelt, ob das deutsche Modell der Klauselkontrolle im B2B-Verhältnis sinnvoll ist und ob nicht eine Reform wünschenswert wäre.310 Um die Frage nach dem „richtigen“ persönlichen Anwendungsbereich zu beantworten, erweist sich einmal mehr der Blick auf den oben ermittelten Schutzzweck der AGB-Kontrolle als hilfreich. Die in diesem Zusammenhang anzustellenden Überlegungen spielen im Übrigen nicht nur für die Behandlung von AGBKlauseln im unternehmerischen Verkehr de lege ferenda eine Rolle. Sie sind auch für die lex lata bedeutsam, vor allem für die Inhaltskontrolle von Verträgen zwischen Unternehmern am Maßstab des § 307 BGB: Die Generalklausel, die um das unbestimmte Gebot des § 310 Abs. 1 Satz 2 BGB ergänzt wird, wonach auf die „im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche“ angemessen Rücksicht zu nehmen ist, überlässt dem Richter einen weiten Beurteilungsspielraum, unter welchen Voraussetzungen eine „unangemessene Benachteiligung“ des Unternehmer-Kunden vorliegt. In diesem Kontext stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit der Richter den gleichen Prüfungsmaßstab anlegen darf wie bei der Inhaltskontrolle von AGB in Verbraucherverträgen. a) Die Verteilung der Transaktionskosten als maßgebendes Kriterium Die Suche nach den Ursachen für den verbreiteten Missbrauch von AGB hatte ergeben, dass Umstände in der Vertragsschlusssituation und nicht etwa persönliche Merkmale der Vertragsparteien für die Störung der „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ verantwortlich sind. Insbesondere hatte sich die These als verfehlt herausgestellt, der unausgewogene Inhalt sei auf einen intellektuellen Vorsprung des Klauselverwenders zurückzuführen.311 Bilden allein transaktionsbezogene Umstände die Ursache des Missbrauchsproblems, kommt grundsätzlich auch ein Schutzbedürfnis des Unternehmer-Kunden in Betracht.312 Im Einzelnen kommt es für das Kontrollbedürfnis darauf an, ob bei typisierender Betrachtung die Transaktionskosten für die Gestaltung der vertraglichen Nebenbedingungen zwischen den Parteien annähernd gleich verteilt sind oder ob jenes Ungleichgewicht herrscht, das als Ursprung des Vertragsversagens ermittelt 310 Vgl. nur aus der Fülle an Beiträgen in jüngerer Zeit Berger ZIP 2006, 2149; ders. NJW 2010, 465; Dauner-Lieb/Axer ZIP 2010, 309; Graf von Westphalen NJW 2009, 2977; Lenkaitis/Löwisch ZIP 2009, 441; Müller/Griebeler/Pfeil BB 2009, 2658; Kessel/Stomps BB 2009, 2666; Leuschner JZ 2010, 875; Günes/Ackermann ZGS 2010, 400; Becker JZ 2010, 1098; Fornasier, in: FIW (Hrsg.), Schwerpunkte des Kartellrechts 2011, S. 113. 311 Oben § 5 I. 2. b). 312 So auch Dauner-Lieb/Axer ZIP 2010, 309, 313; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, S. 220.
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wurde. Stehen die Anstrengungen des Unternehmer-Kunden für die Durchsetzung günstigerer Konditionen außer Verhältnis zu den daraus resultierenden Vorteilen, ist die Situation im Grundsatz nicht anders als bei der Verwendung von AGB gegenüber einem Verbraucher. Legt man das Transaktionskostenhindernis als maßgebendes Kriterium zugrunde, wird das Schutzbedürfnis des Unternehmers regelmäßig bei solchen Verträgen gemindert sein, die zum Kernbereich seiner unternehmerischen Tätigkeit gehören und die er folglich wiederholt in ähnlicher Form abschließt. Beispielhaft ist etwa das laufende Geschäftsverhältnis, das ein Hersteller mit seinen Zulieferern unterhält. Bei solchen Geschäften lohnt es sich regelmäßig für beide Parteien gleichermaßen, auf den Inhalt der Geschäftsbedingungen zu achten und den Versuch zu unternehmen, die eigenen Interessen durchzusetzen. Dass die Transaktionskosten in Bezug auf die AGB für beide Partner nicht prohibitiv hoch sind, belegt auch das Phänomen der sog. battle of forms, das im Rahmen derartiger Verträge häufig vorkommt: Nicht nur der Leistungsanbieter, auch der Kunde verfügt über ein eigenes Klauselwerk, etwa in Form „Allgemeiner Einkaufsbedingungen“, das er der Transaktion zugrunde zu legen sucht. Anders verhält es sich demgegenüber mit Verträgen, die nicht im Zusammenhang mit dem Kerngeschäft des Unternehmers stehen. Illustrativ für diese Konstellation ist der Sachverhalt, der der Entscheidung Cape des EuGH zugrunde lag:313 Eine italienische Gesellschaft hatte für die Verpflegung ihrer Angestellten einen Vertrag über die Lieferung von Getränkeautomaten abgeschlossen und sich den AGB des Automatenlieferanten unterworfen. Die Geschäftsbedingungen enthielten eine Gerichtsstandsklausel, über deren Wirksamkeit die Parteien später stritten. Das befasste italienische Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob auch ein Unternehmer als „Verbraucher“ im Sinne der europäischen Klauselrichtlinie anzusehen sei und damit in deren Anwendungsbereich falle, wenn der zu beurteilende Vertrag in keinem Zusammenhang zur gewöhnlichen gewerblichen Tätigkeit stehe. Der EuGH gelangte zu dem Ergebnis, dass die Klauselrichtlinie nach ihrem Art. 2 lit. b ausschließlich natürliche Personen schütze, so dass schon deswegen eine Anwendung zugunsten der italienischen Gesellschaft ausscheide. Wenngleich die Entscheidung des EuGH angesichts des eindeutigen Wortlauts der Richtlinie nicht anders ausfallen konnte, ist dem Ausgangsgericht zu bescheinigen, dass seine Vorlagefrage in der Sache durchaus den Kern der Problematik traf. Geschäfte außerhalb der unternehmerischen Kerntätigkeit, die nicht auf regelmäßiger Grundlage abgeschlossen werden, sind auch für den UnternehmerKunden mit prohibitiv hohen Transaktionskosten im Hinblick auf die AGB verbunden. Ein Indiz für diese Tatsache ist auch, dass es bei derartigen Transaktionen im Regelfall zu keiner battle of forms kommt, da sich für den Kunden die Aufstellung eigener Konditionen nicht lohnt. 313
EuGH 22.11.2001, verb. Rs. C-541/99 und C-542/99 (Cape), Slg. 2001, I-9049.
222 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
Welche Folgen ergeben sich aus diesen Erwägungen für die Klauselkontrolle im unternehmerischen Verkehr? Für die Anwendung des § 307 Abs. 1 BGB ist der Schluss zu ziehen, dass der Unternehmer-Kunde bei Verträgen außerhalb seines Kerngeschäfts in ähnlicher Weise wie ein Verbraucher schutzbedürftig ist und folglich eine entsprechend strenge Inhaltskontrolle geboten ist.314 In diesen Konstellationen erscheint es auch gerechtfertigt, bei der Konkretisierung der Generalklausel eine enge Anlehnung an die speziellen Klauselverbote der §§ 308 und 309 BGB zu suchen, die nach § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Verträge gegenüber Unternehmern nicht unmittelbar anzuwenden sind. Hingegen ist bei den Verträgen, die in direktem Zusammenhang zur gewerblichen oder beruflichen Aktivität des Unternehmers stehen, ein weniger strenger Prüfungsmaßstab anzulegen.315 Hier muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Parteien bei Vertragsschluss regelmäßig über ähnliche Chancen verfügen, ihre jeweils präferierten Geschäftsbedingungen durchzusetzen. Insbesondere ist es ihnen in einer solchen Situation auch zumutbar, sich mit dem Inhalt des gegnerischen Klauselwerks auseinanderzusetzen und gegebenenfalls auf eine Abänderung unerwünschter Regelungen hinzuwirken.316 Unterwirft sich der Unternehmer-Kunde trotz der Möglichkeit zur Einflussnahme widerspruchslos den AGB der Gegenseite, ist er grundsätzlich nicht schutzwürdig. Im Einzelfall sind freilich Fallgestaltungen denkbar, in denen auch bei den unternehmenstypischen Geschäften Transaktionskostenhindernisse zulasten des Unternehmer-Kunden bestehen können, etwa wenn sich ein Hersteller mit einem einmaligen Sonderauftrag an einen Lieferanten wendet. In solchen Ausnahmefällen besteht weiterhin ein Bedürfnis nach einer (strengeren) Klauselkontrolle. De lege ferenda erscheint es auch auf europäischer Ebene sinnvoll, den Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie auf den unternehmerischen Verkehr zu erstrecken, da die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ auch bei der Verwendung von AGB im Verhältnis zwischen Unternehmern gestört sein kann.317 Wird der persönliche Geltungsbereich erweitert, ist es allerdings not314 Vgl. allerdings den Hinweis von Jansen ZEuP 2010, 69, 89 f., wonach der Gesetzgeber legitimerweise aus politischen Gründen entscheiden könnte, Verbrauchern einen weiterreichenden Schutz zu gewähren als Unternehmern. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass die faktische Selbstbestimmung des Unternehmers in ähnlicher Weise wie die des Verbrauchers beeinträchtigt ist. 315 In der Literatur wird häufig der Vorwurf gegen die Rechtsprechung erhoben, sie trage dem geringeren Schutzbedürfnis des Unternehmer-Kunden nicht Rechnung, vgl. z. B. Berger NJW 2010, 465; ders. ZIP 2006, 2149, 2151 f.; Dauner-Lieb/Axer ZIP 2010, 309, 310 f.; Müller/Griebeler/Pfeil BB 2009, 2658 f. 316 Ähnlich Jansen ZEuP 2010, 69, 80. 317 Ebenso Jansen ZEuP 2010, 69, 90; kritisch gegenüber der gegenwärtigen Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf B2C-Verträge auch Oetker AcP 212 (2012), 202, 206. Der Verordnungsvorschlag der Kommission für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM(2011) 635 endgültig, sieht eine Klauselkontrolle im Verhältnis zwischen Unternehmern vor.
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wendig, bei Durchführung der Missbrauchskontrolle dem konkreten Schutzbedürfnis des Unternehmers Rechnung zu tragen. Insbesondere muss – wie für die Anwendung des § 307 BGB vorgeschlagen – danach differenziert werden, in welchem Zusammenhang der zu beurteilende Vertrag zur unternehmerischen Tätigkeit des Kunden steht. Eine konsequent an der Schutzbedürftigkeit des Unternehmer-Kunden orientierte Missbrauchs- bzw. Angemessenheitskontrolle zerstreut auch die Bedenken, die Klauselkontrolle im B2B-Bereich verkürze in unverhältnismäßiger Weise die Vertragsgestaltungsfreiheit von Unternehmern. Die Generalklauseln des AGB-Rechts bieten genügend Flexibilität, einen unterschiedlich strengen Prüfungsmaßstab anzulegen, je nachdem, in welchem Maß die „Richtigkeitsgewähr“ beeinträchtigt erscheint.318 Die bisweilen geforderte Einführung von Sonderregeln, die die AGB-Kontrolle im unternehmerischen Verkehr abmildern,319 erscheint vor diesem Hintergrund entbehrlich.320 b) Der Rückgriff auf marktkompensatorische Regeln zum Schutz gegen AGB-unabhängige Ausbeutung In der Praxis ist zu beobachten, dass der Unternehmer-Kunde häufig auch in Verträgen, die zu seinem unternehmerischen Kerngeschäft gehören, von unangemessenen AGB-Klauseln belastet wird. Dies trifft zum Beispiel auf die bereits erwähnten Zulieferverträge zu, in denen der Zulieferer seinem Abnehmer oft weitreichende Garantien und Vertragsstrafen versprechen muss.321 Dieser Befund scheint auf den ersten Blick der obigen These zu widersprechen, wonach bei dieser Art von Geschäften die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ prinzipiell intakt ist und kein Bedürfnis nach einer Klauselkontrolle besteht. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass der unausgewogene Vertragsinhalt in solchen Konstellationen seine Ursache nicht im AGB-charakteristischen Informations- und Motivationsgefälle zwischen den Parteien hat, sondern in einem Machtungleichgewicht. Der Verwender kann kraft seiner wirtschaftlichen Überlegenheit dem Zulieferer unfaire Vertragsbedingungen diktieren.322 Typischerweise wird sich die unangemessene Benachteiligung nicht allein auf die Nebenbedingungen beschränken, sondern auch die vertragliche Hauptleistung, das Entgelt,
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Ebenso Oetker AcP 212 (2012), 202, 233. Konkrete Reformvorschläge formuliert Berger NJW 2010, 465, 467 ff. 320 In diesem Sinne auch Kessel/Stomps BB 2009, 2666; Lenkaitis/Löwisch ZIP 2009, 441; Koch BB 2010, 1810; Günes/Ackermann ZGS 2010, 400; Fornasier, in: FIW (Hrsg.), Schwerpunkte des Kartellrechts 2011, S. 113, 119. 321 Vgl. etwa zur Situation im Verhältnis zwischen Automobilherstellern und ihren Zulieferern die Analyse von Küpper ZGS 2009, 117. 322 Zum Handlungsbedarf bei unangemessenen AGB im unternehmerischen Verkehr, die ihre Ursache in der Marktmacht des Verwenders haben, s. auch Kessel/Stomps BB 2009, 2666, 2673; Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 72 ff. 319
224 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
betreffen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist ein derartiges Ausbeutungsszenario nicht als Funktionsversagen des Marktes einzuordnen.323 Das richtige Instrument zur Abwehr unvertretbarer Nachteile für den „schwachen“ Zulieferer liegt somit nicht im marktkonstitutiven AGB-Recht, sondern im marktkompensatorischen zwingenden Recht,324 also zum Beispiel in § 138 BGB oder in den kartellrechtlichen Regeln gegen den Ausbeutungsmissbrauch gemäß § 19 Abs. 1, 4 Nr. 2 GWB und Art. 102 AEUV.325 5. Das Preisargument Bei der Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 BGB ist die Frage umstritten, ob die Nachteile für den Kunden aus einer belastenden AGB-Regelung durch einen günstigen Preis kompensiert werden können.326 Nicht selten berufen sich die Verwender von AGB auf dieses sog. Preisargument. Sie verteidigen die Abweichung vom dispositiven Recht zulasten des Gegners damit, dass sie die daraus resultierenden Kostenvorteile unmittelbar an den Kunden in Form niedrigerer Preise weitergeben. Der Klauselinhalt dürfe folglich nicht isoliert betrachtet werden, es müsse vielmehr der Vertrag insgesamt mit seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Lastenverteilung in den Blick genommen werden. Im Folgenden soll die Berechtigung des Preisarguments beurteilt werden. Insbesondere ist zu untersuchen, ob es mit den oben ermittelten Schutzfunktionen der AGB-Kontrolle vereinbar ist. a) Praktische Einwände gegen das Preisargument Gegen das Preisargument streiten zunächst praktische Einwände. Wie sich die Verwendung einer bestimmten Klausel auf den Preis auswirkt, ist im Einzelfall äußerst schwierig zu ermitteln. Lässt man das Preisargument zu, müssten die Gerichte bei Durchführung der Inhaltskontrolle den hypothetischen Vertragspreis bestimmen, der ohne die Abweichung vom dispositiven Recht in den AGB zustande gekommen wäre. Dies erfordert einen Einblick in die Kostenstrukturen des Anbieters und in das allgemeine Angebots- und Nachfrageverhalten auf dem betreffenden Markt; insbesondere werden Informationen über die Nachfrageelastizität benötigt, da hiervon abhängt, ob der Verwender die höheren Kosten 323
Oben § 4 I. 2. a) aa). Dazu oben § 4 II. Speziell zum marktkonstitutiven Charakter des AGB-Rechts oben § 4 I. 2. a) bb) (1) und § 5 III. 1. 325 So auch Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 74; Leuschner JZ 2010, 875, 884; Fornasier, in: FIW (Hrsg.), Schwerpunkte des Kartellrechts 2011, S. 113, 121 ff. (mit Vorschlägen de lege ferenda im Hinblick auf eine stärkere Nutzung der kartellrechtlichen Kontrollinstrumente). – Vgl. außerdem bereits oben § 5 III. 2. 326 Vgl. zu dieser Frage bereits Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 289 f. 324
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für kundenfreundlichere Vertragsbedingungen über eine Preisanhebung auf den Nachfrager umlegen kann. Von den Schwierigkeiten, die mit der Ermittlung hypothetischer Preise („als-ob-Preise“) einhergehen, war bereits im Zusammenhang mit der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle die Rede.327 Derartige Marktanalysen würden den Prozessstoff aufblähen und den Richter nicht selten überfordern.328 b) Preisargument als Einfallstor für planwidrige objektive Äquivalenzkontrolle des Vertragsinhalts Angesichts der praktischen Schwierigkeiten, die die präzise Erforschung der Preisauswirkungen der AGB-Verwendung bereitet, könnte das Preisargument letztlich als Anknüpfungspunkt für eine konturlose Billigkeitskontrolle des Vertrags insgesamt missbraucht werden. Die Gerichte könnten dazu neigen, den Ausgang der Inhaltskontrolle davon abhängig zu machen, ob das Geschäft bei einer Gesamtabwägung aller Konditionen – namentlich des Preises, der Qualität der Leistung und der Geschäftsbedingungen – für den Kunden angemessen ist. Im Ergebnis liefe dies auf eine umfassende objektive Äquivalenzbeurteilung hinaus: Der Richter maßte sich – im Widerspruch zur gesetzgeberischen Intention329 – die Rolle eines Preiskommissars an.330 Wie bereits gezeigt, dient die Inhaltskontrolle dem Zweck, die Funktionsbedingungen des subjektiven Äquivalenzprinzips zu sichern.331 Die Gestaltungsmöglichkeiten des Verwenders im Hinblick auf die Klauseln, die der Kunde bei Vertragsschluss nicht zur Kenntnis nimmt, werden beschränkt, damit das vertragliche Äquivalenzverhältnis nicht in grober Weise von den Vorstellungen des Kunden abweicht. Es spielt mit anderen Worten keine Rolle, ob das Preis-Leistungs-Verhältnis trotz der nachteiligen Bestimmung objektiv angemessen ist. Es kommt allein darauf an, den Vertragsinhalt den (legitimen) subjektiven Kundenerwartungen anzupassen. Die objektive Äquivalenzbeurteilung würde im Übrigen auch einen systematischen Bruch im Verhältnis zu den absoluten Klauselverboten des § 309 BGB bedeuten: Die dort niedergelegten Regelungen sind nämlich eo ipso unwirksam, ohne dass es auf die Angemessenheit des Vertrags insgesamt ankäme. 327 Oben § 4 II. 2. c) aa) (2) (b). Zu den möglichen Auswirkungen auf den Preis, die die Veränderung der vertraglichen Nebenbedingungen haben kann, s. bereits oben § 4 II. 2. c) cc). 328 So auch Fuchs, in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 Rn. 145; Staudinger/Coester § 307 Rn. 130; MünchKomm/Wurmnest § 307 Rn. 44. 329 Oben § 5 IV. 3. a). 330 So auch in aller Deutlichkeit Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 90 f. 331 Oben § 4 I. 2. a) ee) und § 5 II. 2. c) aa).
226 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts Ein negatives Beispiel für die allgemeine Billigkeitskontrolle, die die Anerkennung des Preisarguments nach sich ziehen könnte, bildet eine Entscheidung des OLG Frankfurt.332 In dem Fall hatte der Kläger von der Beklagten, einer Fahrzeughändlerin, einen (bereits gebrauchten) „Vorführwagen“ gekauft. Die Parteien hatten für den Vertragsschluss ein Formular der Beklagten verwendet, das einen Gewährleistungsausschluss enthielt. Später traten an dem Wagen diverse Defekte auf und der Kläger machte Mängelrechte gegen die Beklagte geltend. Der Sachverhalt spielte noch vor der Schuldrechtsmodernisierung und der Einführung des § 475 BGB, der den Ausschluss der Mängelhaftung im Verbrauchsgüterkauf weitgehend verbietet, so dass das Gericht die Wirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses am Maßstab des AGB-Rechts beurteilen musste. Das OLG Frankfurt befand, dass die Klausel im vorliegenden Einzelfall den Kläger nicht unangemessen benachteilige. Zur Begründung verwies es auf eine Reihe von Umständen, die seiner Ansicht nach die Verkürzung der Käuferrechte kompensierten. So sei die Beklagte mit dem Verkauf des Vorführwagens den besonderen Wünschen des Klägers entgegengekommen, der kurzfristig ein Auto benötigt habe und wegen der langen Auslieferungszeiten keinen Neuwagen habe bestellen wollen. Obgleich der Vorführwagen noch nicht lange im Einsatz gewesen sei, habe ihn die Beklagte entgegen ihren üblichen Gewohnheiten veräußert, da nur dieser Wagen über die „Extras“ verfügt habe, die sich der Kläger gewünscht habe. Darüber hinaus habe die Beklagte nicht nur einen großzügigen preislichen Nachlass gewährt, sondern auch noch aufpreisfrei Alufelgen mitgeliefert. Angesichts dieser Vorzugsbehandlung, „gerade (auch) bei der Preisgestaltung“, werde die Benachteiligung aus dem Gewährleistungsausschluss „stark relativiert.“ Der Ansatz des OLG Frankfurt führt in letzter Konsequenz dazu, dass jede noch so schwerwiegende Abweichung vom dispositiven Recht zulasten des Kunden wirksam sein kann, wenn ihm nur auf der anderen Seite entsprechende Vergünstigungen beim Preis oder anderen Leistungen angeboten werden. Der Rechtsverkehr verliert dann den Überblick darüber, welche Klauseln im Einzelnen einbezogen werden dürfen und welche nicht.
c) Erwägungsgründe der Klauselrichtlinie keine Rechtfertigung für das Preisargument Für die Anerkennung des Preisarguments wird bisweilen der 19. Erwägungsgrund der europäischen Klauselrichtlinie ins Feld geführt, der folgendermaßen lautet: „Für die Zwecke der Richtlinie dürfen Klauseln, die den Hauptgegenstand eines Vertrages oder das Preis-/Leistungsverhältnis der Lieferung bzw. der Dienstleistung beschreiben, nicht als missbräuchlich beurteilt werden. Jedoch können der Hauptgegenstand des Vertrages und das Preis-/Leistungsverhältnis bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit anderer Klauseln berücksichtigt werden. Daraus folgt unter anderem, dass bei Versicherungsverträgen die Klauseln, in denen das versicherte Risiko und die Verpflichtung des Versicherers deutlich festgelegt oder abgegrenzt werden, nicht als missbräuchlich beurteilt werden, sofern diese Einschränkungen bei der Berechnung der vom Verbraucher gezahlten Prämie Berücksichtigung finden.“ 332
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Die Bedeutung des Erwägungsgrunds erschließt sich nicht ohne weiteres.333 Die Verständnisschwierigkeiten rühren daher, dass der Inhalt in sich selbst widersprüchlich erscheint. Der erste Satz des Erwägungsgrunds verbietet die Überprüfung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses im Rahmen der Missbrauchskontrolle. Dieser Grundsatz würde nun weitestgehend ausgehöhlt, wenn im Einklang mit dem zweiten Satz bei der Beurteilung der vertraglichen Nebenbestimmungen zu berücksichtigen wäre, wie „teuer“ oder „günstig“ das Geschäft für den Kunden ist.334 Der Erwägungsgrund könnte dahingehend zu interpretieren sein, dass das vertragliche Äquivalenzverhältnis nicht durch eine richterliche Preisermäßigung, sondern nur durch die Kassation kundenfeindlicher Nebenbestimmungen korrigiert werden darf. Doch der sachliche Grund für eine solche Differenzierung wäre nicht nachzuvollziehen. Im wirtschaftlichen Ergebnis ist es nämlich gleichgültig, über welche Transaktionsvariable man das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung justiert. Nimmt man das Verbot der Äquivalenzkontrolle im ersten Satz ernst, das noch dazu im verbindlichen Teil der Richtlinie (Art. 4 Abs. 2) angeordnet wird, muss der zweite Satz des Erwägungsgrunds anders interpretiert werden. Der Hinweis auf den Versicherungsvertrag im dritten Satz legt den Schluss nahe, dass der Richtliniengeber mit dem Erwägungsgrund die Unbedenklichkeit sog. Tarifwahlmodelle klarstellen wollte. Danach darf der Verwender dem Kunden unterschiedlich günstige Vertragsbedingungen zu differenzierten Preisen („Tarifen“) zur Wahl stellen. Entscheidet sich der Kunde in einer solchen Situation für die materiell nachteiligere, dafür aber preislich günstigere Regelungsalternative, ist der Vertragsinhalt nicht als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie zu werten. Nach dem hier vertretenen Ansatz erfüllt die Tarifwahl die Voraussetzungen für eine Individualvereinbarung, so dass sie bereits aus diesem Grund kontrollfrei bleibt.335 Im Ergebnis ist jedenfalls festzuhalten, dass der 19. Erwägungsgrund der Klauselrichtlinie keine Aussage über die Zulässigkeit des Preisarguments enthält. d) Preisargument und adverse Selektion Ein letzter Einwand gegen das Preisargument bezieht sich auf die überindividuellen Folgen des Marktversagens bei der Verwendung von AGB. Wie sich am Modell des „market of lemons“ gezeigt hatte,336 bestünde ohne die Inhaltskontrolle von AGB die Gefahr eines „negativen“ Konditionenwettbewerbs. Dieser 333 So auch Kieninger ZEuP 1994, 277, 280 (auch mit Hinweisen auf Inkonsistenzen in den verschiedenen Sprachversionen sowie auf den entstehungsgeschichtlichen Hintergrund). 334 Wolf, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, Art. 4 RL Rn. 20; vgl. auch Staudinger/Coester, § 307 Rn. 131. 335 Oben § 5 IV. 1. c). 336 Oben § 5 I. 4. b) bb).
228 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
Prozess ist darauf zurückführen, dass die Verwender kundenfeindlicher Geschäftsbedingungen Kostenvorteile gegenüber verbraucherfreundlicheren Konkurrenten genießen und damit mit niedrigeren Preisen locken können. Diese adverse Selektion ist mithin dadurch gekennzeichnet, dass die im Rechtverkehr verwendeten AGB immer kundenfeindlicher ausgestaltet werden und gleichzeitig die vertraglichen (Nominal-)Preise immer weiter sinken. Findet das Preisargument Berücksichtigung, ist die Inhaltskontrolle nicht länger dazu in der Lage, dem negativen Konditionenwettbewerb Einhalt zu gebieten:337 Eine materiell unangemessene Vertragsregelung hält dann nämlich der Wirksamkeitskontrolle stand, wenn die damit verbundenen Kostenvorteile für den Verwender an den Kunden weitergegeben werden. Dieser Ansatz folgt der „Logik“ der adversen Selektion. Um die Negativauslese wirkungsvoll einzudämmen, muss ein absoluter materieller Mindeststandard für den Inhalt von AGB gelten, auf den anderweitige Kundenvorteile keinen relativierenden Einfluss haben dürfen. e) Abschließende Bewertung Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Preisargument in einem Spannungsverhältnis zur marktkonstitutiven Zielsetzung des AGB-Rechts steht. Seine Anerkennung würde die Inhaltskontrolle von AGB zu einem Instrument der objektiven Äquivalenzkontrolle umwandeln. Der Prozess der adversen Selektion würde nicht aufgehalten werden. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Rechtsprechung dem Preisargument in erster Linie auf dem Gebiet des Arbeits- und des Wohnraummietrechts Folge leistet.338 Wie bereits dargelegt,339 erfüllt die AGB-Kontrolle von Arbeits- und Mietverträgen eine atypische Funktion, da sie auf die Kompensation eines Machtgefälles zwischen den Parteien gerichtet ist und nicht auf die Überwindung des Marktversagens, das für die Verwendung vorformulierter Standardklauseln charakteristisch ist. Im Arbeits- und Wohnraummietrecht geht es um eine marktkompensatorische Einschränkung der Vertragsfreiheit, die distributiven Zielen dient.340 Hier – und nur hier – hat das Preisargument seinen Platz. 6. Die Verwendung unwirksamer AGB und das Lauterkeitsrecht Für lebhafte Diskussion sorgt in jüngerer Zeit schließlich die Frage, ob die Verwendung unwirksamer AGB-Klauseln ein unlauteres Verhalten im Sinne des 337 Ebenso Staudinger/Coester, § 307 Rn. 132. Vgl. auch Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 90 f., der ebenfalls auf unbillige Folgen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene hinweist. 338 Vgl. die Beispiele oben § 5 III. 2. 339 Oben § 5 III. 2. 340 Oben § 4 II. 2. a) und b).
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Wettbewerbsrechts darstellen kann. Nimmt man dies an, ergeben sich weitreichende Folgen für die Durchsetzung der Klauselverbote der §§ 307 bis 309 BGB: Dann könnten nämlich nicht nur der konkret betroffene Vertragspartner und die nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) anspruchsberechtigten Organisationen gegen unangemessene Geschäftsbedingungen Rechtsschutz suchen, sondern auch die Marktkonkurrenten des Verwenders. Diese hätten insbesondere die Möglichkeit, gegen die Verwendung der unzulässigen Klauseln den Unterlassungsanspruch aus § 8 UWG geltend zu machen.341 Voraussetzung für die lauterkeitsrechtliche Sanktionierung ist zunächst, dass die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen als „geschäftliche Handlung“ einzuordnen ist, wie sie das Gesetz in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG definiert. Dies ist eindeutig zu bejahen: Beim Gebrauch vorformulierter vertraglicher Standardbedingungen handelt es sich um ein Verhalten, das im Sinne der gesetzlichen Definition „mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt“.342 Sind die Merkmale einer geschäftlichen Handlung erfüllt, stellt sich die Frage nach der Unlauterkeit. Im vorliegenden Kontext kommt als Anknüpfungspunkt für die Begründung des Lauterkeitsverstoßes in erster Linie § 4 Nr. 11 UWG in Betracht. Nach dieser Vorschrift handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB neben dem Individualschutz des Verwendungsgegners auch der Regulierung des Marktverhaltens dienen. Für die Beurteilung der Unlauterkeit ist im Folgenden zu unterscheiden, ob die Verwendung der unwirksamen Klauseln gegenüber Verbrauchern oder gegenüber Unternehmern erfolgt. Wettbewerbshandlungen, die Verbraucher als Adressaten haben, fallen nämlich in den Regelungsbereich der europäischen Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie).343 Dies hat zur Folge, dass die 341 Eine lauterkeitsrechtliche Sanktionierung der Verwendung unangemessener AGB ist namentlich im schweizerischen Recht vorgesehen. Art. 8 des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb bestimmt, dass unlauter handelt, „wer Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen“. 342 Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 50 m.w. N. 343 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5. 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. 2005 L 149/22. – Die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern ergibt sich aus Erwägungsgrund 8 sowie aus Art. 1; vgl. auch Leistner ZEuP 2009, 56, 57 ff.
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Vorschriften des deutschen Lauterkeitsrechts, darunter auch § 4 Nr. 11 UWG, nach Maßgabe der Richtlinie auszulegen sind. Hingegen gelten für die wettbewerbsrechtliche Behandlung unangemessener AGB in Verträgen zwischen Unternehmern keine entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben. a) Verwendung unwirksamer AGB gegenüber Verbrauchern Die UGP-Richtlinie folgt dem Ansatz der vollständigen Harmonisierung.344 Sie trifft mit anderen Worten eine abschließende Regelung darüber, welche Geschäftspraktiken eines Unternehmers gegenüber Verbrauchern unlauter sind. Die Mitgliedstaaten können mit anderen Worten bei der Ausgestaltung ihrer nationalen Wettbewerbsvorschriften das von der Richtlinie vorgegebene Schutzniveau weder unter- noch überschreiten. Anders als bei mindestharmonisierenden Richtlinien ist es dem nationalen Gesetzgeber somit insbesondere verwehrt, strengere Anforderungen an das Wettbewerbsverhalten zu stellen. Folglich ist die Frage, ob die Verwendung unangemessener Klauseln in Verbraucherverträgen den Unlauterkeitstatbestand des § 4 Nr. 11 UWG erfüllt, am Lauterkeitsmaßstab der Richtlinie zu entscheiden. Da keines der Spezialverbote der UGP-Richtlinie einschlägig ist,345 beurteilt sich die Wettbewerbswidrigkeit anhand der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2. Nach dieser Bestimmung ist eine Geschäftspraxis unlauter, wenn sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht und darüber hinaus geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich zu beeinflussen. aa) Verstoß gegen berufliche Sorgfaltspflicht Die erste dieser zwei Voraussetzungen ist regelmäßig erfüllt: Die Verwendung von Vertragsklauseln, die gegen ein Verbot der §§ 307 bis 309 BGB verstoßen, verletzt die berufliche Sorgfaltspflicht, da diese als Minimum die Einhaltung zwingender gesetzlicher Vorschriften gebietet.346 Um die vollharmonisierende 344 EuGH 23.4.2009, verb. Rs. C-261/07 und C-2009/07 (VTB-VAB/Total Belgium u. Galatea/Sanoma), Slg. 2009, I-2949, Rn. 52; EuGH 14.1.2010, Rs. C-304/08 (Plus Warenhandelsgesellschaft), Slg. 2010, I-217, Rn. 50; s. auch Ackermann, in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, S. 289, 294. 345 Der Vertragsschluss unter Einbeziehung unwirksamer AGB stellt insbesondere keine irreführende Geschäftspraxis im Sinne der Art. 6 und 7 UGP-Richtlinie (vor allem auch nicht im Sinne des Art. 7 Abs. 1, Abs. 4 lit. d UGP-Richtlinie) dar, da der Vorgang als solcher keinen Informationsgehalt besitzt: Durch den Vertragsschluss werden nämlich dem Verbraucher weder „falsche Angaben“ vermittelt noch „wesentliche Informationen“ vorenthalten. Erst die Berufung des Verwenders auf ein vermeintliches Recht aus den unwirksamen AGB kann eine Irreführung des Verbrauchers bedeuten. Gegen die Annahme einer irreführenden Geschäftspraxis auch Köhler GRUR 2010, 1047, 1050; Alexander WRP 2012, 515, 520.
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Zielsetzung der UGP-Richtlinie nicht zu vereiteln, hat sich der BGH unter Berufung auf Erwägungsgrund 15 der Richlinie347 auf den Standpunkt gestellt, dass nur die Verletzung solcher Normen einen Lauterkeitsverstoß begründen kann, die eine Grundlage im Unionsrecht haben.348 Die Verletzung einer im Unionsrecht wurzelnden Regelung wurde etwa beim pauschalen Ausschluss der Gewährleistungsrechte im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs angenommen, da § 475 Abs. 1 S. 1 BGB, der die Abbedingung der Mängelrechte weitgehend verbietet, in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 349 seinen Ursprung hat. Ob aus Rücksicht vor dem Harmonisierungsziel der UGP-Richtlinie tatsächlich immer eine europarechtliche Verankerung der verletzten Norm zu verlangen ist, erscheint zweifelhaft – Erwägungsgrund 15 der Richtlinie, den der BGH ins Feld führt, bezieht sich schließlich allein auf Informationsregeln. Doch für die hier interessierende Frage der wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeit unangemessener AGB-Klauseln ist eine nähere Auseinandersetzung mit der Auffassung des BGH letztlich nicht notwendig: Im Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern setzen die Klauselverbote der §§ 307 bis 309 BGB die Vorgaben der europäischen Klauselrichtlinie um, so dass der vom BGH geforderte unionsrechtliche Bezug in jedem Fall gegeben ist.350 bb) Wesentliche Beeinflussung des Verbraucherverhaltens Das zweite Merkmal einer unlauteren Geschäftspraxis – die (potenzielle) wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Durchschnittsverbrauchers – setzt gemäß Art. 2 lit. e UGP-Richtlinie voraus, dass der Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst wird, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Zu den „geschäftlichen Entscheidungen“ gehört nach Art. 2 lit. k der Richtlinie beispielsweise die Entscheidung darüber, ob, wie und unter
346 Köhler GRUR 2010, 1047, 1051 (unter Verweis auf Erwägungsgrund 20 S. 2 der UGP-Richtlinie); vgl. auch ders. NJW 2008, 177, 180, und WRP 2012, 22, 28 f.; Orlando ERCL 2011, 25, 29 f.; im Ergebnis ebenso Alexander WRP 2012, 515, 520 f. 347 Erwägungsgrund 15 hat folgenden Wortlaut: „Legt das Gemeinschaftsrecht Informationsanforderungen in Bezug auf Werbung, kommerzielle Kommunikation oder Marketing fest, so werden die betreffenden Informationen im Rahmen dieser Richtlinie als wesentlich angesehen. Die Mitgliedstaaten können die Informationsanforderungen in Bezug auf das Vertragsrecht oder mit vertragsrechtlichen Auswirkungen aufrechterhalten oder erweitern, wenn dies aufgrund der Mindestklauseln in den bestehenden gemeinschaftlichen Rechtsakten zulässig ist. [. . .]“. 348 BGH GRUR 2010, 1117 (Gewährleistungsausschluss im Internet). 349 Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. 1999 L 171/12, verbietet einen Ausschluss der nach der Richtlinie gewährten Verbraucherrechte und erlaubt nur beim Verkauf gebrauchter Sachen die Verkürzung der Verjährungsfrist auf die Mindestdauer von einem Jahr. 350 Siehe auch Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 11.156e.
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welchen Bedingungen ein Kauf getätigt oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausgeübt wird. Wie aus dieser Definition hervorgeht, sanktioniert die Richtlinie nicht nur solche Wettbewerbshandlungen, welche die Selbstbestimmung des Verbrauchers vor oder beim Vertragsschluss beeinträchtigen, sondern auch solche, die den Verbraucher bei der Geltendmachung vertraglicher Rechte in der Durchführungsphase des Geschäfts behindern. Eine derartige Störung der Vertragsdurchführung steht gerade bei der Verwendung von AGB zu befürchten, die bestimmte Ansprüche oder Rechte des Verbrauchers ausschließen sollen, jedoch der Klauselkontrolle am Maßstab der §§ 307 bis 309 BGB nicht standhalten: Hier kann der rechtsunkundige Verbraucher leicht dazu verleitet werden, dem unwirksamen Vertragsinhalt Glauben zu schenken und scheinbaren Ansprüchen des Unternehmers nachzugeben bzw. eigene Rechte nicht wahrzunehmen. Unter diesen Umständen ist der Vertragsschluss unter Einbeziehung unzulässiger AGB dazu geeignet, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers im Sinne von Art. 5 Abs. 2 lit. b UGP-Richtlinie wesentlich zu beeinflussen, so dass der Tatbestand der unlauteren Geschäftspraxis erfüllt ist.351 Die Analyse der gestörten „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ bei der Einbeziehung einseitig vorformulierter Vertragsbedingungen hat allerdings deutlich gezeigt, dass die Verwendung von AGB die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers auch schon in der Phase der Vertragsanbahnung bedroht.352 Kundenfeindliche Klauseln im „Kleingedruckten“ können das vertragliche Äquivalenzverhältnis empfindlich zulasten des Verbrauchers verschieben. Sie ermöglichen es dem Verwender, seine Kosten zu reduzieren und damit die Vertragsleistung zu einem nominal günstigeren Preis anzubieten als andere Unternehmer, die verbraucherfreundlichere Bedingungen verwenden.353 Im Konkurrenzkampf der Anbieter kann sich der Verwender unangemessener AGB somit einen Vorsprung verschaffen. Folglich lässt sich mit Blick auf die oben erwähnte Richtliniendefinition der „geschäftlichen Entscheidung“ sagen, dass die Verwendung missbräuchlicher Vertragsbedingungen den Verbraucher bereits in seiner Entscheidung darüber beeinflusst, „ob er den Kauf tätigt“. Zur Begründung der Unlauterkeit muss mit anderen Worten nicht erst auf die Auswirkungen der Klauselverwendung in der Vertragsdurchführungsphase abgestellt werden – schon die 351
So auch Orlando ERCL 2011, 25, 30. Oben § 5 I. 4. b). 353 Ähnlich argumentiert der BGH bei der Begründung der Wettbewerbswidrigkeit eines Gewährleistungsausschlusses in einem Verbrauchsgüterkauf, s. BGH GRUR 2010, 1117, 1118 (Gewährleistungsausschluss im Internet): „Die Vereinbarung eines Gewährleistungsausschlusses ist geeignet, dem Unternehmer Kosten zu ersparen, indem er Verbraucher durch einen – wenn auch nicht durchsetzbaren – Gewährleistungsausschluss davon abhält, seine Gewährleistungsansprüche geltend zu machen. Der Unternehmer kann dadurch in die Lage versetzt werden, günstigere Preise zu kalkulieren. Die angegriffene Klausel ist deshalb geeignet, den Absatz der Waren zu fördern“. 352
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Beeinflussung des Verbrauchers im Vorfeld des Vertragsschlusses erfüllt den Unlauterkeitstatbestand.354 b) Verwendung unwirksamer AGB gegenüber Unternehmern Geschäftspraktiken im B2B-Bereich fallen außerhalb des Regelungsbereichs der UGP-Richtlinie.355 Für die Frage, ob die Verwendung unwirksamer Vertragsklauseln den Unlauterkeitstatbestand des § 4 Nr. 11 UWG erfüllt, ist allein die Sichtweise der autonomen deutschen Rechtsordnung maßgebend. Zu prüfen ist demnach, ob es sich bei den Vorschriften der zivilrechtlichen Klauselkontrolle im unternehmerischen Verkehr (§§ 307, 310 Abs. 1 BGB) um Normen handelt, die im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Wie bei der Untersuchung der Regelungsansätze des AGB-Rechts gezeigt wurde, schützt die Inhaltskontrolle einseitig vorformulierter Vertragsklauseln nicht nur die Entscheidungsfreiheit des individuell betroffenen Kunden: Sie erfüllt auch die Funktion, auf überindividueller Ebene dem Prozess der adversen Selektion Einhalt zu gebieten, der aus der Störung des Konditionenwettbewerbs resultiert.356 Damit hatte sich die Klauselkontrolle auch als Schutzinstrument zugunsten solcher Leistungsanbieter entpuppt, die ihre Geschäftsbedingungen kundenfreundlich ausgestalten. Diese müssen dank des regulatorischen Eingriffs keine Wettbewerbsnachteile gegenüber jenen Konkurrenten befürchten, die mithilfe unangemessener Klauseln ihre Kosten zu senken suchen. Die Bestimmungen der zivilrechtlichen Klauselkontrolle dienen damit auch der Regelung des Marktverhaltens im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG.357 Für den Lauterkeitsverstoß ist ferner die geschäftliche Relevanz des missbilligten Verhaltens erforderlich. Diese richtet sich im B2B-Verhältnis nach § 3 Abs. 1 UWG.358 Bedenkt man die Auswirkungen auf die Selbstbestimmung des Kunden 354 Dass die Verwendung missbräuchlicher Vertragsklauseln eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne der UGP-Richtlinie darstellen kann, nimmt auch die Generalanwältin Trstenjak in ihren Schlussanträgen vom 29.11.2011 in der Rs. C-453/10 (Perenicˇová), Rn. 91, Slg. 2011, I-0000, an; im Ergebnis ebenso Orlando ERCL 2011, 25. 355 Siehe die Verweise oben in Fn. 343. 356 Oben § 5 II. 2. c) bb). 357 Ebenso OLG Frankfurt CR 2008, 124, 125; OLG Frankfurt CR 2009, 253, 256; Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 11.156e; a. A. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 287, 288 (Horse-Equipe); OLG Köln GRUR-RR 2007, 285 f. (Schriftformklauseln); OLG Köln MMR 2008. 540; Piper/Ohly, UWG, § 4 Rn. 11/78; kritisch auch Armgardt WRP 2009, 122, 126 f.; Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Vor § 307 Rn. 90b. 358 Hingegen entfällt im B2C-Verhältnis die Prüfung des § 3 Abs. 1 UWG, da das Kriterium der geschäftlichen Relevanz vom Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Durchschnittsverbrauchers (Art. 5 Abs. 2 lit. b UGP-Richtlinie; ähnlich § 3 Abs. 2 UWG) abgedeckt wird, s. hierzu Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 11.156 f.
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sowie auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs insgesamt, wird man bei der Verwendung unangemessener Klauseln regelmäßig davon ausgehen müssen, dass eine spürbare Beeinträchtigung der Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern droht. Der Vertragsschluss unter Einbeziehung unwirksamer Geschäftsbedingungen begründet damit auch im Verhältnis zu Unternehmern einen Lauterkeitsverstoß, gegen den das Sanktionsinstrumentarium des Wettbewerbsrechts zu Gebote steht.
§ 6 Zwingende Haftung gewerblicher Leistungsanbieter Auf der Ebene des nationalen deutschen Rechts lassen sich zwei unterschiedlich strenge Formen zwingenden Vertragsrechts identifizieren. Zum einen existieren strikt zwingende Normen, von denen in keiner Weise – weder durch Individualvereinbarung noch in AGB – abgewichen werden darf. Zum anderen folgen aus den §§ 305 ff. BGB Grenzen für die vertragliche Gestaltungsfreiheit, die lediglich für vertragliche Standardbedingungen gelten. Bei den gesetzlichen Bestimmungen, die nur auf der Grundlage von Individualabreden und nicht über AGB abbedungen werden dürfen, ist bisweilen von „AGB-festem“ dispositiven Recht die Rede. Aufgrund der eminent wichtigen Bedeutung, die standardisierte Vertragsbedingungen für den modernen Wirtschaftsverkehr besitzen, und angesichts der sehr hohen Transaktionskosten, die das Ausweichen auf Individualvereinbarungen verursachen würde, wirkt sich das „AGB-feste“ dispostive Recht in vielen Bereichen des wirtschaftlichen Massenverkehrs faktisch wie strikt zwingendes Recht aus. Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit den Grenzen der Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung von Haftungsbeschränkungen und -ausschlüssen. Insbesondere Abreden, die die Haftung gewerblicher Leistungsanbieter gegenüber ihren Kunden begrenzen sollen, unterliegen seit jeher einer strengen Kontrolle.359 Der Gesetzgeber macht hier von beiden der oben genannten Formen zwingenden Vertragsrechts Gebrauch, um die rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmöglichkeiten einzuschränken. So unterliegen einige Haftungsregeln einem strikten Dispositionsverbot, wie zum Beispiel die Mängelhaftung des Verkäufers im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs (§ 475 BGB)360, die Produkthaftung des Herstellers (§ 14 ProdHaftG), die Haftung des Reiseveranstalters für Mängel der Reise (§ 651m BGB)361 oder die Haftung des Zahlungsdienstleisters für die nicht erfolgte oder fehlerhafte Ausführung eines Zahlungsauftrags (§ 675z Satz 2 BGB). Andere ge359 Vgl. etwa Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 22 ff., mit Beispielen aus dem römischen Recht. 360 Individualvertraglich abdingbar ist allerdings die Schadensersatzhaftung des Verkäufers, s. § 475 Abs. 3 BGB. 361 Der Reiseveranstalter kann allerdings gemäß § 651h BGB seine Schadensersatzhaftung unter bestimmten Voraussetzungen beschränken.
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setzliche Haftungsregeln sind hingegen lediglich „AGB-fest“ ausgestaltet, d.h. von ihnen darf nur in AGB nicht abgewichen werden, während ein individualvertraglicher Ausschluss erlaubt ist (siehe z. B. § 309 Nr. 7 und 8 BGB). Nun stellt sich die Frage, aus welchem Grund die Rechtsordnung derart ähnliche Abreden unterschiedlich strengen Dispositionsverboten unterwirft. Wieso ist etwa der Ausschluss des Minderungs- und Rücktrittsrechts des Verbrauchers wegen eines Mangels im Rahmen eines Werkvertrages lediglich in AGB unzulässig (§ 309 Nr. 8 lit. b bb BGB), im Rahmen eines Kaufvertrages hingegen auch bei individueller Vereinbarung (§ 475 Abs. 1 und 3 BGB)? Zunächst fällt auf, dass die Regelungen unterschiedlichen Ursprungs sind. Die strikten Dispostionsverbote haben ihre Grundlage allesamt in unionsrechtlichen Richtlinien: § 475 BGB in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf 362, § 14 ProdHaftG in Art. 12 der Produkthaftungsrichtlinie363, § 651m BGB in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie über Pauschalreisen364 und § 675z S. 2 BGB in Art. 86 Abs. 3 der Zahlungsdiensterichtlinie. 365 Demgegenüber beruhen die speziellen Klauselverbote des § 309 Nr. 7 und 8 BGB allein auf nationalem Recht.366 Es entspricht der allgemeinen Regelungstechnik des europäischen Gesetzgebers, dass er dort, wo er bestimmte vertragsrechtliche Regelungen zum Schutz einer Partei (häufig: des Verbrauchers) als zwingendes Recht festschreibt, pauschal jede rechtsgeschäftliche Abweichung ausschließt.367 Dispositionsver362 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5. 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. 1999 L 171/12. 363 Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25.7.1985 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 1985 L 210/29. 364 Richtlinie 90/314/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.6. 1990 über Pauschalreisen, ABl. 1990 L 158/59. 365 Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11. 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2000/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/ EG, ABl. 2007 L 319/1. 366 Nr. 1 b) des Anhangs der Klauselrichtlinie 93/13/EWG stellt für die Klauselverbote des § 309 Nr. 8 und 9 BGB keine bindende gemeinschaftsrechtliche Vorgabe dar, da die sog. „Graue Liste“ im Anhang der Richtlinie lediglich unverbindlichen Hinweischarakter hat, Art. 3 Abs. 3 Klausel-RL (vgl. auch Wolf, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht, Art. 3 RL Rn. 31. 367 Vgl. als Beispiel für zwingende Schutzregelungen, die sich nicht speziell auf Haftungsfragen beziehen, u. a. Art. 6 Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. 1985 L 372/31; Art. 5, 10 Abs. 4, 11 Abs. 3, 12 Abs. 3 Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. 1986 L 382/17; Art. 8 Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilnutzungsrechten an Immobilien, ABl. 1994 L 280/83; Art. 12 Abs. 1 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997
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bote, die sich allein auf vorformulierte Vertragsklauseln beziehen, sind ihm außerhalb der Klauselrichtlinie weitestgehend fremd.368 Der Hinweis auf den europäischen Hintergrund der Haftungsregeln erklärt freilich nicht, aus welchen Gründen das strikte Dispositionsverbot sachlich geboten ist und wieso das jeweilige Regelungsziel nicht bereits mithilfe AGB-fester Regelungen erreicht werden kann.369 Bei gleicher Geeignetheit sind letztere Normen grundsätzlich vorzuziehen, da sie den milderen Eingriff in die Vertragsfreiheit bedeuten. Die Frage nach dem richtigen regulatorischen Ansatz stellt sich vor dem Hintergrund neuerer europäischer Gesetzgebungsinitiativen mit besonderer Aktualität: Im Verordnungsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (Common European Sales Law – kurz: CESL)370 hat nun auch der Unionsgesetzgeber die Kategorie des Klauselverbots gleichsam als dritten Weg zwischen den strikt zwingenden und den dispositiven Normen für sich „entdeckt“. Die Art. 79 ff. CESL unterwerfen Vertragsbestimmungen, die nicht individuell ausgehandelt wurden,371 einer Wirksamkeitskontrolle am Maßstab der Fairness: Unfaire Klauseln sind danach für den Verwendungsgegner nicht bindend. Zur Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs enthält Art. 84 CESL für Verbraucherverträge eine sog. „schwarze Liste“ von Vertragsklauseln, die per se als unfair gelten. In Ergänzung dazu legt Art. 85 CESL eine „graue Liste“ von Bestimmungen fest, bei denen die Unfairness vermutet wird. Daneben macht das CESL allerdings mehrfach auch vom traditionellen, strikten Dispositionsverbot Gebrauch: In den Art. 22, 27, 56, 81, 108, 171 und 177 CESL sind Abweichungen von bestimmten über den Verbraucherschutz bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz, ABl. 1997 L 144/19; Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.6.2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. 2000 L 200/ 35; Art. 22 Abs. 2 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/ 102/EWG des Rates, ABl. 2008 L 133/66. Zur Regelungstechnik allgemein vgl. auch Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 511, 533 und 535. 368 Eine Ausnahme stellt allerdings Art. 15 Satz 2 der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. 2002 L 271/16 dar, wo es heißt: „Eine Vertragsbedingung, nach der die Beweislast für die Erfüllung aller oder eines Teils der Verpflichtungen des Anbieters, die diesem aufgrund dieser Richtlinie obliegen, beim Verbraucher liegt, gilt als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie 93/13/ EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen“. 369 Vgl. auch allgemein zu dieser Frage Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, S. 479 ff. 370 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeisames Europäisches Kaufrecht, KOM(2011) 635 endg. 371 Der Begriff der „nicht individuell ausgehandelten Vertragsbestimmung“ ist in Art. 7 CESL näher definiert.
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Regelungen des Kaufrechtsinstruments untersagt, ganz gleich, ob sie in AGB oder individualvertraglich vereinbart werden.372 Es fällt allerdings auf, dass die beiden Formen von Dispositionsverboten im gegenwärtigen Regelungsentwurf nicht immer sinnvoll voneinander abgegrenzt sind. So verbietet Art. 108 CESL in Verbraucherverträgen jeden Ausschluss der Abhilferechte im Sinne des Art. 106 CESL, die dem Käufer im Fall der Nichterfüllung einer Verpflichtung des Verkäufers zur Verfügung stehen. Parallel dazu wird nach Art. 85 CESL die Unfairness vorformulierter Vertragsklauseln vermutet, die darauf gerichtet sind, Abhilfen des Verbrauchers gegen den Unternehmer „wegen Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen durch den Unternehmer“ auszuschließen. Diese Vermutungsregel läuft jedoch angesichts des absoluten Dispositionsverbots des Art. 108 CESL leer. Bevor nun untersucht wird, ob eine Differenzierung zwischen den beiden Formen von Inhaltsschranken in regelungstechnischer Hinsicht sinnvoll ist, stellt sich zunächst die Frage, ob sich im praktischen Ergebnis tatsächlich Unterschiede mit den beiden Regelungsansätzen verbinden. Warum ist bei Verträgen, die in standardisierter Form abgeschlossen werden, wie etwa Verbrauchsgüterkäufen oder Reiseverträgen, die Möglichkeit zum individualvertraglichen Haftungsausschluss so entscheidend, wenn bereits eingangs gesagt wurde, dass Individualabreden im wirtschaftlichen Massenverkehr keine nennenswerte Rolle spielen? Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen, doch ist dem erstens entgegenzuhalten, dass auch bei Massengeschäften in besonderen Fällen das Bedürfnis nach individuellen Anpassungen bestehen kann. Zweitens sind – jedenfalls nach der hier 372 Einen ähnlichen zweigleisigen Ansatz verfolgte der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher, KOM(2008) 614 endg., die nach den Vorstellungen der Kommission u. a. die Klauselrichtlinie 93/ 13/EWG und die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG ersetzen sollte. Nach dem Entwurf sollte für nicht individuell ausgehandelte Vertragsklauseln, welche Rechtsbehelfe des Verbrauchers im Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung durch den Unternehmer ausschlossen, die Vermutung der Missbräuchlichkeit eingreifen (Art. 35 in Verbindung mit Anhang III RL-Vorschlag). Speziell für den Verbrauchsgüterkauf stellte der Regelungsvorschlag allerdings strengere Grenzen für die Vertragsfreiheit auf: Aus Art. 26 und 27 in Verbindung mit Art. 43 RL-Vorschlag folgte, dass die Käuferrechte im Fall der Vertragswidrigkeit der gelieferten Ware (Nachbesserung bzw. Ersatzlieferung, Minderung, Rücktritt und Schadensersatz) im strikten Sinn zwingend sein sollten, d.h. auch nicht im Wege einer Individualvereinbarung ausgeschlossen werden durften. Damit hätten auf unionsrechtlicher Ebene, ähnlich wie im deutschen Recht, je nach Vertragstyp unterschiedlich strenge Haftungsregeln gegolten (kritisch gegenüber diesem Ansatz Wagner ZEuP 2010, 243, 273 ff.). Die Überarbeitung der Klausel- und der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie wurde im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens jedoch aufgegeben, so dass die erwähnten Regelungen in der letztlich verabschiedeten Richtlinie nicht zu finden sind (Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. 2011 L 304/64).
238 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
vertretenen Auffassung – auch Tarifwahlmodelle373 als Individualvereinbarungen einzuordnen: Sind also gesetzliche Haftungsregeln lediglich „AGB-fest“ ausgestaltet, hat der Leistungsanbieter grundsätzlich die Möglichkeit, dem Kunden die Wahl zwischen einem hohen und einem niedrigen Haftungsschutzniveau – letzteres gegen einen entsprechenden Preisnachlass – zu überlassen. Eine derartige Tarifwahl lässt sich „massentauglich“ in standardisierter Form anbieten, so dass sie anders als gewöhnliche Individualvereinbarungen keine prohibitiv hohen Transaktionskosten verursacht. Dies alles zeigt, dass es in der wirtschaftlichen Realität sehr wohl einen Unterschied machen kann, ob sich der Gesetzgeber für ein striktes Dispositionsverbot oder für ein bloßes Klauselverbot entscheidet.
I. Gestörte „Richtigkeitsgewähr“ als Rechtfertigung für das Verbot individualvertraglicher Haftungsausschlüsse? Warum Haftungsausschlüsse zugunsten des Leistungsanbieters in AGB Restriktionen unterliegen, bedarf nach der obigen ausführlichen Analyse des Vertragsversagens bei der Verwendung vorformulierter Standardklauseln keiner langen Worte mehr:374 Freizeichnungsklauseln mindern den Wert der vertraglichen Hauptleistung in erheblicher Weise. Werden sie vom Kunden bei Vertragsschluss nicht zur Kenntnis genommen, droht eine massive Fehlbewertung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses: Der Kunde zahlt mehr, als ihm die Ware bzw. Leistung tatsächlich wert ist. Bei einem individualvertraglichen Haftungsausschluss stellt sich nun die Lage grundlegend anders dar. Wie bereits gesehen,375 besteht in diesem Fall kein Informations- und Motivationsgefälle zulasten des Kunden. Er schenkt dem Inhalt der Vereinbarung zwangsläufig seine Aufmerksamkeit und verfügt über eine realistische Möglichkeit – nur dann ist nach den Anforderungen der Rechtsprechung eine Individualabrede gegeben –, auf den Inhalt Einfluss zu nehmen. Die für AGB typische Störung der „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ liegt somit nicht vor. Wenn nun der Gesetzgeber, der europäische wie der deutsche, den rechtsgeschäftlichen Ausschluss bestimmter Haftungsregeln nicht nur in AGB, sondern in jeglicher Form verbietet, dann könnte die Erklärung dafür darin zu suchen sein, dass ein Vertragsversagen gegeben ist, das in keinem spezifischen Zusammenhang mit der Verwendung von AGB steht. Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern die „Richtigkeitsgewähr“ bei der Vereinbarung eines Haftungsausschlusses zugunsten des Leistungsanbieters beeinträchtigt sein könnte und ob etwaige Störungen eine so einschneidende Regel wie das strikte Verbot derartiger Abreden rechtfertigen. 373 374 375
Oben § 5 IV. 1. c). Oben § 5 I. 4. Oben § 5 IV. 1. a).
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1. Ökonomische Analyse privatautonomer Haftungsregelungen Mithilfe der ökonomischen Analyse lassen sich mögliche Gründe für ein Vertragsversagen bei der Vereinbarung von Haftungsregelungen ermitteln. Im Rahmen des ökonomischen Ansatzes bildet ein hypothetischer, perfekt funktionierender Markt den gedanklichen Ausgangspunkt für die Suche nach potenziellen Störungen des Vertragsmechanismus. Nach dem sog. Coase-Theorem schließen die Parteien auf einem idealtypischen Markt Vereinbarungen, die unter dem Gesichtspunkt der Pareto-Effizienz optimal sind.376 Dies gilt auch für Haftungsvereinbarungen. Aus dem Vergleich der Realität mit den hypothetischen Idealbedingungen lässt sich dann die Ursache für ein etwaiges Vertragsversagen identifizieren. a) Haftungsvereinbarungen unter Idealbedingungen und in der Realität Die Idealbedingungen im Sinne des Coase-Theorems sind im Einzelnen erfüllt, wenn die Vertragsparteien umfassend informiert sind, sich rational verhalten und rechtsgeschäftliche Vereinbarungen eingehen können, ohne mit Transaktionskosten konfrontiert zu sein.377 Unter diesen Voraussetzungen handeln die Parteien privatautonom einen effizienten Vertragsinhalt aus, ohne dass es gesetzlicher Vorgaben bedürfte. Konkret für die Haftungsfrage bedeutet das, dass die Parteien die Haftung des Leistungsanbieters für bestimmte Schäden dann vereinbaren, wenn dieser mit geringerem Aufwand als der Kunde den Schadenseintritt verhindern bzw. die Schadensfolgen beseitigen kann. Unter diesen Voraussetzungen ist der Anbieter der cheapest cost avoider bzw. der cheapest cost insurer. Im umgekehrten Fall schließen sie die Haftung des Anbieters aus und weisen so das Risiko dem Kunden zu.378 In beiden Alternativen ist die vereinbarte Risikoverteilung effizient, da sie nicht zum Vorteil beider Seiten abgeändert werden kann. Unter realen Bedingungen liegen die Dinge freilich anders. Hier verhindern Transaktionskosten, dass die Parteien über alle regelungsbedürftigen Punkte in Verhandlungen eintreten und effiziente Bedingungen vereinbaren. Es besteht folglich ein Bedürfnis nach gesetzlichen Vorschriften, die die offen gelassenen Fragen regeln. Die Vertreter der ökonomischen Analyse sind dabei der Ansicht, dass das Gesetzesrecht dem Vertrag den Inhalt verleihen muss, den die Vertragsparteien ohne das Transaktionskostenhindernis privatautonom vereinbart hätten.379 Dieser Grundsatz gilt auch für die Haftungsfrage: Der Gesetzgeber hat 376
Zum Coase-Theorem vgl. schon die Nachweise oben Fn. 17. Siehe dazu bereits oben § 2 I. 1. 378 Vgl. zu den Zusammenhängen bereits oben § 5 II. 2. c) aa) (2) (b). Vgl. auch D. Friedman, Law’s Order, S. 161 f. 379 Craswell, in: Bouckaert/de Geest (Hrsg.), Encyclopedia of Law and Economics, Bd. 3, S. 1, 2 ff.; Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 293; Schäfer/Ott, Lehrbuch der 377
240 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
die Haftungsregeln festzuschreiben, auf die sich die Parteien unter idealen Transaktionsbedingungen geeinigt hätten. Die Transaktionskosten erklären die Notwendigkeit gesetzlicher Bestimmungen über den Vertragsinhalt. Sie vermögen allerdings nicht zu erklären, warum bestimmte Regelungen auch als zwingend ausgestaltet werden müssen. Ist es das vorrangige Ziel der Vertragsrechtsordnung, wie von der rechtsökonomischen Lehre angenommen, effiziente Kooperationen zwischen den Marktakteuren zu ermöglichen, spricht vieles zunächst für die Abdingbarkeit der vertragsausfüllenden Bestimmungen.380 Nicht in jedem Fall kann nämlich davon ausgegangen werden, dass die gesetzliche Regelung auch die von den Parteien gewollte ist. So mag beispielsweise die gesetzliche Mängelhaftung des Verkäufers auf der durchaus zutreffenden Annahme beruhen, dass der Verkäufer typischerweise mit geringerer Mühe als der Käufer sicherstellen kann, dass die Ware beim Verkauf nicht mangelhaft ist. Ausnahmsweise können die Dinge jedoch anders liegen. Hier ist es wichtig, dass die Parteien über die Flexibilität verfügen, die gesetzliche Haftungsregel abzuändern und das Mangelrisiko auf den cheapest cost avoider zu verlagern. Von dieser Möglichkeit werden die Parteien immer dann Gebrauch machen, wenn die Vorteile aus der Abweichung von den gesetzlichen Regeln die damit verbundenen Transaktionskosten übersteigen. Aus dem eben Gesagten folgt, dass die Rechtfertigung für zwingende Haftungsvorschriften anderswo liegen muss als im Transaktionskostenhindernis. b) Die Gefahr systematischer Risikounterschätzung als Rechtfertigung zwingender Haftungsregeln aa) Das Phänomen der systematischen Risikounterschätzung aus traditioneller (neoklassischer) ökonomischer Sicht Die Notwendigkeit zwingender Regeln im Bereich der Anbieterhaftung wird mit strukturellen Informationsdefiziten in der Person des Kunden erklärt.381 Anders als in der Idealwelt des Coase-Modells sind die Parteien in der Realität nicht allwissend. Im Einzelnen besteht die Gefahr, dass bei einem vertraglichen Haftungsausschluss der Kunde das übernommene Risiko systematisch unterökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 403 ff. Allgemein zur inhaltlichen Ausgestaltung des dispositiven Rechts aus rechtsökonomischer Sicht Unberath/Cziupka AcP 209 (2009), 37. 380 Unberath/Cziupka AcP 209 (2009), 37, 55; Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie, Einl. Rn. 116 ff. 381 Wehrt, in: Schermaier (Hrsg.), Verbraucherkauf in Europa, S. 111, 115 ff.; Eger, FS Ott, 183, 201; Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie, Einl. Rn. 119. Vgl. auch Eisenberg Stan. L. Rev. 47 (1995), 211, 223 und 228 ff.; Calabresi, The Costs of Accidents, S. 55 f.
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schätzt.382 Die Risikounterschätzung kann zur Folge haben, dass der Kunde, getrieben von der Aussicht auf einen niedrigeren Preis, dem Haftungsausschluss zustimmt, obwohl der dafür gewährte Preisnachlass die wirtschaftliche Last aus der Risikoübernahme nicht aufwiegt. Das folgende Beispiel soll die Zusammenhänge näher verdeutlichen: Ein Unternehmen stellt Waschmaschinen her. Durchschnittlich eine von 100 Maschinen kommt mit einem Fabrikationsmangel auf den Markt, der von außen nicht erkennbar ist. Der Fehler hat zur Folge, dass beim Betrieb der Waschmaschine eine Störung auftritt, die die Wäsche derart beschädigt, dass sie nicht mehr zu gebrauchen ist. Möchte der Hersteller vor dem Verkauf ermitteln, ob eine bestimmte Maschine den Fabrikationsfehler aufweist, muss er eine Untersuchung durchführen, die A 5 kostet. Wird die Untersuchung durchgeführt, ist anzunehmen, dass sich der Verkaufspreis entsprechend erhöht. Der Kunde wird vor folgende Wahl gestellt: Er erwirbt entweder eine Maschine, die mit dem Risiko eines Herstellungsfehlers behaftet ist, dafür jedoch um A 5 günstiger ist, und verzichtet gleichzeitig auf etwaige Haftungsansprüche gegen den Hersteller wegen Schäden an der Wäsche; oder er zahlt A 5 mehr im Gegenzug für ein sicheres Gerät. Der Kunde, so ist hier zu unterstellen, ist über all diese Fakten informiert, insbesondere auch über die Wahrscheinlichkeit, ein fehlerhaftes Gerät zu erwerben. Der Einfachheit halber ist anzunehmen, der Kunde sei risikoneutral, was bedeutet, dass er zwischen dem sicheren Verlust von A 5 und der Aussicht, mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 100 eine Summe von A 500 zu verlieren, indifferent ist.383 Kann der Kunde im Voraus bereits sicher sagen (weil er zum Beispiel in der Lebensführung bescheiden ist und keine teure Markenkleidung besitzt), dass seine Waschladungen höchstens den Wert von A 400 erreichen, lohnt es sich für ihn, das Schadensrisiko einzugehen, d.h. A 5 weniger an Kaufpreis zu zahlen und eine potenziell fehlerhafte Waschmaschine unter Ausschluss der Haftungsansprüche zu erwerben. Der maximale Erwartungswert des Schadens (A 400 * 1/100) liegt unterhalb des „Aufpreises“ für ein sicheres Gerät in Höhe von A 5. Die Verlagerung des Schadensrisikos auf den Kunden ist in diesem Fall die effiziente Lösung.384 382 Siehe allgemein zu den Rationalitätsdefiziten bei der Disposition über dispositives Recht Möslein, Dispositives Recht, S. 308 ff. 383 Der Schadenserwartungswert, d.h. das Produkt aus Schadenswahrscheinlichkeit und erwartetem Schaden, ist in beiden Fällen gleich: A 5 * 1 = A 500 * 1/100. Der risikoneutrale Agent zeichnet sich dadurch aus, dass er zwischen unterschiedlichen Szenarien mit dem gleichen Schadenserwartungswert indifferent ist. Der risikoaverse Agent bevorzugt dagegen bei gleichem Erwartungswert das Szenarium mit dem niedrigeren erwarteten Schaden und der höheren Eintrittswahrscheinlichkeit. Der risikofreudige Agent bevorzugt das Szenarium mit dem höheren erwarteten Schaden und der niedrigeren Eintrittswahrscheinlichkeit; vgl. hierzu Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 44 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 408 f. 384 Der Kunde ist hier der cheapest cost insurer. Es mag auf den ersten Blick verwirren, in diesem Kontext von „Versicherung“ zu sprechen, da der Kunde bei Verwirklichung des Risikos letztlich auf dem Schaden „sitzen bleibt“. Doch da der Kunde sich auf das Risiko einstellt und unter Umständen Rücklagen bildet, um ggf. den Schaden zu kompensieren, kann der Vorgang als eine Form von „Selbstversicherung“ verstanden werden. Eine solche „Selbstversicherung“ kommt immer dann in Betracht, wenn ein Versicherer entweder gar nicht oder nur gegen prohibitiv hohe Prämien bereit ist, das Risiko zu tragen. Der cheapest cost insurer ist gegenüber dem cheapest cost avoider
242 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts Der Fall sei nun auf folgende Weise abgewandelt: Nicht jede 100., sondern bereits jede 10. Waschmaschine ist fehlerhaft. Zudem sei angenommen, dass der Kunde diesmal nicht perfekt informiert ist: Ihm ist zwar bekannt, dass es bei der Herstellung der Waschmaschinen immer wieder zu Fabrikationsfehlern kommt, doch kennt er den genauen Anteil der defekten Geräte nicht. Er ist auf Schätzungen angewiesen. Dabei gelangt er zu einer zu optimistischen Risikoprognose und beurteilt die Wahrscheinlichkeit eines Mangels mit 1 zu 100. Bei sonst gleichen Bedingungen wie im Ausgangsfall würde der Kunde aufgrund seiner Fehleinschätzung wieder das Schadensrisiko auf sich nehmen. In dieser Situation ist nun allerdings der Haftungsausschluss ineffizient: Der tatsächliche Schadenserwartungswert liegt bei A 40 (A 400 * 1/10) und somit über den Kosten von A 5 für die Ermittlung des Herstellungsfehlers. Hier ist, mit anderen Worten, der Hersteller der cheapest cost avoider und damit der unter Effizienzgesichtspunkten „bessere“ Risikoträger. Der Kunde verschlechtert durch die Zustimmung zum Haftungsausschluss seine Position, da das übernommene Risiko schwerer wiegt als der erlangte Preisnachlass. In diesem Fall stünde er besser, wenn er daran gehindert würde, den Haftungsausschluss zu vereinbaren.
Das Beispiel zeigt, dass in bestimmten Konstellationen zwingende Haftungsregeln zur Erzielung effizienter Ergebnisse erforderlich sind. Allgemein gesprochen lässt sich sagen, dass eine zwingende Haftung des Leistungsanbieters unter folgenden zwei Voraussetzungen effizient ist: Der Anbieter muss erstens typischerweise der cheapest cost avoider bzw. der cheapest cost insurer sein. Andernfalls schriebe man eine Regel als zwingend vor, die in den meisten Fällen zu ineffizienten Ergebnissen führt. Zweitens muss die überwiegende Zahl von Kunden zur Risikounterschätzung neigen. Solange dies nur eine Minderheit tut, mag es sinnvoller sein, die Haftung als dispositive Regelung auszugestalten, damit die Parteien die Möglichkeit zur Risikoverlagerung haben, sollte ausnahmsweise der Kunde und nicht der Anbieter der „bessere“ Risikoträger sein. bb) Empirische Erkenntnisse des „Behavioral Law and Economics“-Forschungsansatzes In welchen Situationen und bei welchen Risiken genau eine Tendenz zu den oben beschriebenen Fehleinschätzungen besteht, lässt sich letztlich nur aufgrund kognitionspsychologischer Untersuchungen beantworten. An diesem Punkt setzt eine neuere Strömung innerhalb der ökonomischen Analyse des Rechts an, die als „Behavioral Law and Economics“ bezeichnet wird.385 Charakteristisch für unter Effizienzgesichtspunkten der „bessere“ Risikoträger, wenn die Schadensabwendungskosten höher sind als der Schadenserwartungswert, vgl. hierzu Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 406 ff. 385 Grundlegend Jolls/Sunstein/Thaler Stan. L. Rev. 50 (1998), 1471. Vgl. außerdem z. B. Sunstein U. Chi. L. Rev. 64 (1997), 1175; Korobkin/Ulen Cal. L. Rev. 88 (2000), 1051; Camerer/Issacharoff/Loewenstein/O’Donoghue/Rabin U. Pa. L. Rev. 151 (2003), 1211; im deutschsprachigen Schrifttum Engel/Englehrt/Lüdemann/Spiecker genannt Döhmann (Hrsg.), Recht und Verhalten; Eidenmüller JZ 2005, 216; Fleischer/Zimmer
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den Ansatz ist der Anspruch, von einem möglichst wirklichkeitsnahen Modell menschlichen Verhaltens auszugehen. Dies bedeutet eine Abkehr vom Kunstgeschöpf des homo oeconomicus der traditionellen Rechtsökonomik. Der Normadressat wird nicht länger als ein allwissender, rationaler, eigennütziger Agent mit stabilen Präferenzen gedacht. Die Analyse berücksichtigt vielmehr, dass das Individuum bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen an Grenzen stößt und mitunter irrationale Entscheidungen trifft. Das Ziel des Forschungsprogramms von „Behavioral Law and Economics“ liegt gerade darin, die rationalen und kognitiven Defizite des Menschen empirisch zu untersuchen und die gewonnenen Erkenntnisse zur Grundlage der Rechtsetzung und -anwendung zu machen. Tatsächlich belegen verschiedene Experimente der „Behavioral Law and Economics“-Forschung, dass Individuen in eigenen Angelegenheiten häufig zu „überoptimistischen“ Einschätzungen neigen. Sie überschätzen die eigene Fähigkeit, Gefahren abzuwehren und Schäden zu vermeiden. So ergaben zum Beispiel Umfragen unter Autofahrern, dass sich 90% der Befragten für überdurchschnittlich gute Fahrer halten.386 Zahlreiche andere Beispiele systematischer Selbstüberschätzung ließen sich anführen.387 Auch im Hinblick auf nicht beeinflussbare Unglücksfälle wie etwa Krankheit oder Naturkatastrophen halten sich viele Menschen für weniger gefährdet als andere.388 Dieses sog. „over-confidence bias“ hat letztlich zur Folge, dass allgemein ein zu geringes Maß an Vorsorge getroffen wird.389 Im vorliegenden Zusammenhang verdient noch ein weiteres Ergebnis aus den Verhaltensstudien Aufmerksamkeit: Menschen sind offenbar nicht nur dann für Fehleinschätzungen anfällig, wenn sie sich in Unkenntnis über die objektive Risikoquote befinden. Auch dann, wenn sie über die statistische Eintrittswahrscheinlichkeit eines negativen Ereignisses informiert sind, tendieren sie dazu, die Gefahr für die eigene Person geringer einzuschätzen. Dieser Befund ist deswegen hervorzuheben, da er belegt, dass dem Regelungsansatz des Informationsmodells Grenzen gesetzt sind: Durch Aufklärungsmaßnahmen allein lässt sich irrationales Verhalten nicht immer vermeiden. Es kann nämlich nicht garantiert werden, dass das Individuum die richtigen Schlüsse daraus zieht. Zur Erreichung der ge(Hrsg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht; Fleischer, FS Immenga, S. 575 ff. 386 Sunstein U. Chi. L. Rev. 64 (1997), 1175, 1183. 387 Vgl. die Nachweise z. B. bei Eisenberg Stan. L. Rev. 47 (1995), 211, 223 f.; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 71. 388 Vgl. die Verweise auf unterschiedliche Studien bei Korobkin/Ulen Cal. L. Rev. 88 (2000), 1051, 1091; Sunstein U. Chi. L. Rev. 64 (1997), 1175, 1182 ff.; Eidenmüller JZ 2005, 216, 218. 389 Dies bedeutet im Einzelnen, dass die Kosten zusätzlicher Vorsorgemaßnahmen geringer sind als der Erwartungswert des Schadens, der sich durch die Vorsorgemaßnahmen abwenden ließe.
244 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
wünschten Regelungsziele ist mitunter auch die Beschränkung der Privatautonomie durch zwingendes Recht unumgänglich. Insgesamt bestätigt der Forschungsansatz von „Behavioral Law and Economics“, der hier nur angedeutet werden konnte, dass die Realität von den idealen Transaktionsbedingungen des Coase-Theorems weit entfernt ist. Es lässt sich insbesondere festhalten, dass die Fehleinschätzung vertraglicher Risiken bei der Vereinbarung von Haftungsausschlüssen ein durchaus realistisches Szenarium ist. Infolgedessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine uneingeschränkte Vertragsfreiheit die Gewähr für eine effiziente Zuweisung der Vertragsrisiken bietet. 2. Folgerungen aus der ökonomischen Analyse für das Vertragsrecht a) Die Notwendigkeit einer „Übersetzung“ der ökonomischen Erkenntnisse in vertragsrechtliche Kategorien Aus den Ergebnissen der ökonomischen Analyse darf nun nicht unmittelbar der Schluss auf die Notwendigkeit zwingender Haftungsregeln gezogen werden. Zum einen muss berücksichtigt werden, dass die empirischen Befunde zum „Überoptimismus“ nicht generalisierbar sind. Sie bieten lediglich Erkenntnisse zum menschlichen Entscheidungsverhalten in der konkret untersuchten Konstellation: Ergibt etwa ein psychologisches Experiment, dass die Käufer von Waschmaschinen das Risiko eines Gerätemangels systematisch unterschätzen, lassen sich daraus keine Schlüsse ableiten, ob die Käufer von Rasenmähern oder Flachbildfernsehern ebenfalls das Mängelrisiko zu optimistisch einschätzen.390 Differenzierte man jedoch nach jeder denkbaren Sachverhaltskonstellation, wäre damit nicht nur ein immenser empirischer Aufwand erforderlich – es wäre auch unmöglich, abstrakt-generelle gesetzliche Regelungen zu erlassen. Die Folge wären letztlich eine Flut an Regulierung und größte rechtliche Unübersichtlichkeit. Dem Gesetzgeber obliegt die Aufgabe, die empirischen Erhebungen zu bewerten; er muss von der Vielgestaltigkeit der Lebenswirklichkeit abstrahieren und im Interesse der Rechtsklarheit generalisierende Regelungen treffen. Desweiteren gilt es zu bedenken, dass die Rechtsordnung nicht allein dem Effizienzziel verpflichtet ist. Wenn die ökonomische Analyse zur Feststellung gelangt, dass privatautonome Haftungsregelungen in bestimmten Fällen ineffiziente Ergebnisse hervorbringen, bedeutet dies nicht zwangsläufig ein Vertragsversagen im rechtlichen Sinn. Wie bereits häufiger erwähnt, ist im Rahmen der deutschen und europäischen Wirtschaftsverfassung die individuelle Freiheit ein Ziel, das um 390 Vgl. auch im Zusammenhang mit der zwingenden Mängelhaftung des Verkäufers in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie, Einl. Rn. 122.
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seiner selbst willen gewährleistet wird und nicht lediglich als Mittel zur Wohlstandssteigerung.391 Die Vertragsfreiheit ist damit nicht schon immer dann einzuschränken, wenn eine Partei durch die Eingehung des Geschäfts seine Position verschlechtert.392 Das notwendige Korrelat der Selbstbestimmung ist in der Vertragsrechtsordnung die Eigenverantwortung.393 Die Vertragsparteien müssen prinzipiell selbst auf der Hut davor sein, keine falschen Geschäftsentscheidungen zu treffen. Gelingt ihnen das nicht und begehen sie Fehler, müssen sie die Konsequenzen daraus tragen. Im Folgenden sind die vertragsrechtlichen Implikationen der obigen ökonomischen Erkenntnisse zu ermitteln. Zu untersuchen ist insbesondere, inwiefern die festgestellten informationellen Defizite des Kunden Störungen der materialen Entscheidungsfreiheit bedingen, die eine regulatorische Reaktion des Gesetzgebers erforderlich machen.394 b) Gefährdung der faktischen Selbstbestimmung des Kunden infolge Informationsmängeln Die ökonomische Betrachtung legt nahe, dass die Selbstbestimmung des Kunden bei der Vereinbarung eines Haftungsausschlusses zugunsten des Anbieters in vergleichbarer Weise gefährdet ist wie bei der Unterwerfung unter fremde AGB: Der Kunde leidet an einem strukturellen Informationsdefizit, das seine Fähigkeit zur Äquivalenzbewertung des Vertragsinhalts beeinträchtigt.395 Es ist ihm unmöglich, das übernommene Risiko genau zu quantifizieren.396 Welcher Käufer kennt schon bei Vertragsschluss die Wahrscheinlichkeit, dass die Kaufsache mangelhaft ist? Ebenso wenig ist zu erwarten, dass jemand, der eine Pauschalreise 391
Oben § 2 I. 3. c) und § 3 I. 1. So auch Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 224. 393 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, S. 61. – Allgemein zum Prinzip der Selbstverantwortung im deutschen und europäischen Vertragsrecht M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 75 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 106; vgl. auch Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, S. 54 f.; Coester-Waltjen AcP 190 (1990), 1, 15; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 134 ff. und 900 ff. 394 Zum Begriff der materialen Entscheidungsfreiheit oben § 4 I. 2. a) cc). 395 Zum Problem der richtigen Äquivalenzbewertung, wenn AGB in den Vertrag einbezogen werden, vgl. oben § 5 I. 4. b) aa). 396 Engel JZ 1995, 213, 214. In die gleiche Richtung Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 257 f.; Riesenhuber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348, 358; Möllers, in: Bottke/Möllers/Schmidt (Hrsg.), Recht in Europa, S. 189, 212 f.; a. A. hingegen Canaris AcP 200 (2000), 273, 362, der (jedenfalls im Zusammenhang mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) davon ausgeht, dass bei individualvertraglichen Haftungsausschlüssen die tatsächliche Entscheidungsfreiheit des Kunden „nicht wesentlich beeinträchtigt ist und der Mechanismus des Aushandelns hier grundsätzlich seine ,Richtigkeitsgewähr‘ entfalten kann“. 392
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bucht, das Risiko von Reisemängeln im Voraus richtig einschätzen kann. Hingegen befindet sich der Anbieter in einer ganz anderen Position. Er wird nicht selten das fragliche Risiko selbst beherrschen können. Zumindest wird er über Erfahrungswerte verfügen, die ihm eine verlässliche Risikoeinschätzung ermöglichen. Folge des informationellen Ungleichgewichts ist die Störung der Preisbildung. Der Kunde vermag nicht sicher zu beurteilen, ob der vom Anbieter geforderte Preis für die Vertragsleistung angemessen ist.397 Ob nun zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit eines Mangels 50% beträgt oder lediglich 5%, macht für die Bewertung der Kaufsache einen enormen Unterschied, wenn der Verkauf unter Ausschluss der Mängelrechte erfolgen soll. Der Kunde läuft Gefahr, einen Preis zu akzeptieren, den er bei Kenntnis des tatsächlichen Risikos nicht zu zahlen bereit gewesen wäre. Der Schutz vor verfehlten Risikoprognosen scheint gerade auch das Anliegen des Gesetzgebers bei der Regelung der untersuchten Dispositionsverbote gewesen zu sein. Darauf deutet die Formulierung in § 14 ProdHaftG und § 475 Abs. 1 BGB hin, wonach nur der Haftungsausschluss „im Voraus“ bzw. „vor Mitteilung eines Mangels“ verboten wird.398 Hat sich das Risiko erst einmal verwirklicht, stehen dem Kunden die Schadensfolgen in aller Regel hinreichend klar vor Augen, so dass kein Schutzbedürfnis mehr gegeben ist.399 Das Verbot, die Haftung des Anbieters abzubedingen, vereinfacht die Äquivalenzbewertung für den Kunden. Das betreffende Risiko ist zwingend dem Anbieter zugewiesen, so dass der Kunde nicht vor der Schwierigkeit steht, es quantifizieren zu müssen. Er kann bei Vertragsschluss das vertragliche Preis-LeistungsVerhältnis anhand der vom Anbieter geschuldeten Leistungsqualität bewerten und muss keine Prognose über die tatsächliche Leistungsbeschaffenheit wagen. Die Orientierung an der geschuldeten Qualität ist für den Kunden leichter, da er sich dazu auf die Leistungsbeschreibungen des Anbieters, auf Werbeaussagen und auf den im Markt üblichen Standard verlassen kann. Auf dieser Grundlage mindern sich die Chancen einer fehlerhaften Äquivalenzbewertung.
397 Schinkels ZGS 2003, 310, 312, spricht davon, der Haftungsausschluss sei aus Sicht des Kunden ein „Geschäft mit spekulativer Preisgestaltung“ bzw. eine „Wette“. 398 Siehe auch Art. 7 Abs. 1 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Art. 12 Produkthaftungsrichtlinie enthält keine ausdrückliche zeitliche Begrenzung, doch belegen nach MünchKommBGB/Wagner § 14 ProdHaftG Rn. 2 die Gesetzgebungsmaterialien, dass nur ein Haftungsausschluss ex ante verboten sein soll. § 651m BGB enthält ebenfalls keine zeitliche Begrenzung, doch ist dies damit zu erklären, dass sich die Vorschrift nicht nur auf Haftungsregeln bezieht. Dafür schließt § 651m Satz 2 BGB eine Verjährungserleichterung für Mängelrechte vor Mitteilung des Mangels aus. 399 Vgl. auch Riesenhuber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348, 358; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 257.
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3. Legitimität des zwingenden Rechts? Mögen auch bei einem rechtsgeschäftlichen Haftungsausschluss die Grundlagen der Privatautonomie gefährdet sein, so stellt sich doch die Frage, ob das vollständige Verbot derartiger Vereinbarungen eine angemessene regulatorische Antwort ist. Vom Dispositionsverbot sind nicht nur die Interessen der Anbieter berührt, die nun überhaupt keine Möglichkeit mehr haben, ihre Haftung auszuschließen. Benachteiligt sind auch die informierten Kunden, die die betreffenden Risiken richtig einzuschätzen wissen. Sie verlieren die Option, auf die Haftungsansprüche zu verzichten und dafür die Leistung billiger zu bekommen. Der prophylaktische Schutz vor einer falschen Risikoeinschätzung, auf den der Kunde nicht einmal auf eigene Initiative hin individualvertraglich verzichten kann, ist als massive staatliche Bevormundung scharf kritisiert worden. Vor allem die zwingenden Haftungsregeln der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sind auf vehemente Ablehnung gestoßen.400 Um zu zeigen, wie unbillig die Folgen der Regelung sind, wird gern das Beispiel des fachkundigen Automechanikers gebildet, der einen Gebrauchtwagen zu privaten Zwecken erwerben möchte: Selbst dann, wenn er den Wagen vor Vertragsschluss einer gründlichen Inspektion unterzogen hat, kann er nicht auf seine Mängelrechte verzichten, um einen günstigeren Kaufpreis zu bekommen.401 Der Gesetzgeber muss ein Gleichgewicht finden zwischen den Interessen der informierten und der uninformierten Kunden, zwischen dem Grundsatz der Eigenverantwortung und der Gewährleistung der Funktionsbedingungen der Privatautonomie. Ob die zwingenden Haftungsregeln die widerstreitenden Interessen in einen vernünftigen Ausgleich bringen, soll im Folgenden näher untersucht werden. a) Wahrung der Vertragsfreiheit dank Einflussnahmemöglichkeit auf Haftungsvoraussetzungen? Speziell im Zusammenhang mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sehen einige Autoren trotz der zwingenden Haftungsregeln ausreichenden Raum für die ver400 Vgl. statt vieler Adomeit JZ 2003, 1053, 1054 („Das Gesetz rückt den Verbraucher pauschal in die Nähe des rechtlich Betreuten“); Canaris AcP 200 (2000), 273, 362 ff. („Auswuchs eines spießbürgerlichen Paternalismus“); Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 511, 535 ff. (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie „zerstört Verbraucherschutz“); Ehmann/Rust JZ 1999, 853, 860; Bruns JZ 2007, 385, 393 f.; Herresthal, FS Canaris, Bd. II, S. 1107, 1124 f.; vgl. auch Wagner ZEuP 2010, 243, 276, der insbesondere auf die eingetretenen wirtschaftlichen Folgen aus den zwingenden Haftungsregeln hinweist. 401 Vgl. etwa Canaris AcP 200 (2000), 273, 362; Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 511, 537; Wagner ZEuP 2010, 243, 275.
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tragliche Gestaltungsfreiheit.402 Zur Begründung verweisen sie darauf, dass die Parteien die vertraglich geschuldete Beschaffenheit der Kaufsache privatautonom festlegen können. Wie aus Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sowie aus der Umsetzungsvorschrift des § 434 Abs. 1 BGB hervorgehe, sei für die Frage, ob die Kaufsache mangelhaft ist, zunächst die Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien maßgeblich. Erst wenn es an einer solchen Abrede fehle, komme es auf objektive Qualitätsmerkmale an. Damit hätten es die Parteien selbst in der Hand, die Voraussetzungen der Mängelhaftung zu bestimmen.403 Folgt man diesem Begründungsansatz, stellt die Unabdingbarkeit der Mängelhaftung gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 1999/44/EG bzw. § 475 Abs. 1 BGB letztlich nur eine besondere Ausprägung des Verbots des venire contra factum proprium dar:404 Der Verkäufer darf nicht eine bestimmte Beschaffenheit der Kaufsache im Vertrag versprechen und gleichzeitig seine Haftung für die Nichteinhaltung der Zusage ausschließen. Im Ergebnis bewirkt die Regelung, dass der Verkäufer die Mängelhaftung abwenden kann, sofern er nur den Käufer über objektive Qualitätsdefizite der Ware nicht im Dunkeln lässt. Im Einzelnen bieten sich ihm zwei Möglichkeiten, der Mängelhaftung zu entgehen. Er kann erstens die Beschaffenheitsvereinbarung an die tatsächliche Qualität der Kaufsache anpassen. Alternativ kann er den Käufer unmittelbar über die Qualitätsdefizite in Kenntnis setzen, da in diesem Fall dann die Mängelrechte nach Art. 2 Abs. Abs. 3 Alt. 1 der Richtlinie bzw. § 442 Abs. 1 BGB ausgeschlossen sind.405 Die zwingende Haftung schafft damit Anreize für den Verkäufer, im Hinblick auf die tatsächliche Beschaffenheit der Ware Transparenz walten zu lassen. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung als „informationspolitische Maßnahme“ 406 charakterisiert worden.407 Sollte es tatsächlich zutreffen, dass die Vertragsparteien freie Gestaltungsmöglichkeit über die Haftungsvoraussetzungen besitzen, scheint die Sorge unbegrün402 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 254 f. und 257; Drexl, FS Sonnenberger, S. 771, 787 f.; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 753; Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 2 Rn. 9; ders., in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 281, 297 f.; Möllers, in: Bottke/Möllers/Schmidt (Hrsg.), Recht in Europa, S. 189, 213 f. 403 Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 2 Rn. 9 (Fn. 4 auf S. 140), spricht anschaulich von der „haftungskanalisierende(n) Funktion des Tatbestandsmerkmals Vertragsmäßigkeit“. 404 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 255. 405 Zu beiden Möglichkeiten der Abwendung der Mängelhaftung Medicus ZIP 1996, 1925, 1930. 406 Drexl, FS Sonnenberger, S. 771, 788. 407 So vor allem Riesenhuber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market (2001), S. 348, 358; ähnlich auch Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 257, die davon spricht, das zwingende Recht bewirke „Risikotransparenz“.
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det, die zwingende Haftung enge die Privatautonomie unverhältnismäßig ein. Auch im Beispielsfall des sachkundigen Gebrauchtwagenkäufers lassen sich, so würde man auf den ersten Blick meinen, die Parteiinteressen angemessen befriedigen: Wird der Beschaffenheitsvereinbarung ein möglichst niedriger Qualitätsstandard zugrunde gelegt, ist die Mängelhaftung des Verkäufers faktisch ausgeschlossen. Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass die Parteien die Voraussetzungen der Mängelhaftung nicht in jedem Fall auszuschließen vermögen. Insbesondere wenn es um ungewisse Mängel geht, die bei Vertragsschluss vorliegen können, über deren Existenz die Parteien allerdings keine gesicherten Informationen besitzen, scheitert der „indirekte“ Haftungsausschluss über die Beschaffenheitsvereinbarung bzw. über die Offenlegung des Mangels. In dieser Konstellation greift nämlich das Umgehungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bzw. § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB ein, das „mittelbare“ 408 Beschränkungen der zwingenden Haftungsregeln verhindern soll. Die gezielte Vereinbarung einer minderwertigen Qualität als vertragliche Soll-Beschaffenheit zur Abwendung der Verkäuferhaftung erfüllt den Umgehungstatbestand, wenn sie funktionell einem Haftungsausschluss gleichkommt.409 Nach überwiegender Ansicht ist dies im Einzelnen der Fall, wenn die Beschaffenheitsvereinbarung darauf zielt, das Risiko eines Qualitätsdefizits auf den Käufer zu verlagern.410 Besteht also die Möglichkeit, dass sich die Kaufsache in objektiv einwandfreiem Zustand befindet, und rechnet der Käufer damit auch, darf keine minderwertige Soll-Beschaffenheit zum Inhalt des Vertrages gemacht werden. In dieser Konstellation ist die faktische Selbstbestimmung des Käufers in vergleichbarer Weise gefährdet wie bei der Vereinbarung eines Haftungsausschlusses. Er ist nicht dazu in der Lage, das Mängelrisiko richtig einzuschätzen, so dass er bei der Äquivalenzbewertung auf Spekulationen angewiesen ist. Ist die tatsächliche Qualität der Ware 408 Vgl. den Erwägungsgrund 22 sowie die Formulierung in Art. 7 Abs. 1, wonach die Verbraucherrechte auch nicht „mittelbar“ durch Vereinbarung beschränkt werden dürfen. Für die Umsetzungsregel des § 475 Abs. 1 Satz 2 s. BT-Drucks. 14/6040, S. 244. 409 Grundlegend Schinkels ZGS 2003, 310. Offen gelassen in BGH NJW 2008, 1517, 1518. Gegen eine rein subjektive Bestimmung von Mängeln im Verbrauchsgüterkauf ohne Rekurs auf die „übliche“ Qualität Hassemer, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 121, 126. 410 Schinkels ZGS 2003, 310; ders. ZGS 2004, 226, 229; ders. ZGS 2005, 333, 334; ihm folgend MünchKommBGB/Lorenz § 475 Rn. 9; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rn. 749 ff.; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 2 Rn. 539; Maultzsch ZGS 2005, 175, 177; in die gleiche Richtung auch Bamberger/Roth/Faust, § 475 Rn. 8 ff.; Möllers, in: Bottke/Möllers/Schmidt (Hrsg.), Recht in Europa, S. 189, 214. A.A. OLG Hamm ZGS 2005, 315, 316; Schulte-Nölke ZGS 2003, 184, 187; Grunewald, Kaufrecht, § 7 Rn. 65; Erhardt, Vermeidung und Umgehung im Verbrauchsgüterkaufrecht, S. 196 ff.; ebenfalls einem anderen Ansatz folgend Repgen, Kein Abschied von der Privatautonomie, S. 66 ff., der zwischen (grundsätzlich verbotenen) negativen und (grundsätzlich erlaubten) positiven Inhaltsbeschreibungen unterscheidet.
250 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
unsicher, kann der Verkäufer im Übrigen auch nicht durch die Offenlegung des Mangels nach Art. 2 Abs. Abs. 3 Alt. 1 der Richtlinie bzw. § 442 Abs. 1 BGB der Haftung entgehen, da diese Vorschriften die Kenntnis des Käufers von einem tatsächlich vorhandenen und nicht lediglich möglichen Mangel verlangen. Was folgt nun für die vorliegende Untersuchung aus der Unmöglichkeit der Haftungsumgehung in Bezug auf ungewisse Mängel? Es bleibt festzuhalten, dass die zwingenden Regeln die Vertragsfreiheit erheblich verkürzen.411 In der Praxis sind die Parteien nämlich sehr häufig daran interessiert, eine Regelung über die Risikozuweisung gerade für Mängel zu treffen, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht erkennbar sind. Ist ihnen diese Möglichkeit verwehrt, lässt sich nicht behaupten, dass die Beschaffenheitsvereinbarung bzw. die Offenlegung des Mangels gleichwertige Gestaltungsalternativen zum verbotenen Haftungsausschluss bieten und die Privatautonomie damit in ausreichender Weise gewahrt ist. b) Vergleich mit der Beschränkung der Vertragsfreiheit im Rahmen der AGB-Kontrolle Ob die zwingenden Haftungsregeln legitim sind, soll im Folgenden auf der Grundlage eines wertenden Vergleichs mit dem Recht der AGB-Kontrolle beurteilt werden. Das AGB-Recht eignet sich deswegen als Referenzmodell, da seine grundsätzliche Legitimität, insbesondere was die Beschränkung der vertraglichen Inhaltsfreiheit anbelangt, kaum in Frage gestellt wird.412 Einer der maßgebenden Rechtfertigungsgründe für die AGB-Kontrolle ist die „Überforderung der Selbstvorsorge“ 413 in der Person des Kunden. Wie bereits betont,414 handelt der Kunde rational, wenn er bei Vertragsschluss dem Inhalt des Klauselwerks keine Beachtung schenkt bzw. bei Kenntnis des ungünstigen Regelungsinhalts keine Anstrengungen unternimmt, einen Leistungsanbieter mit günstigeren Konditionen ausfindig zu machen. Der Aufwand für die Suche nach AGB, die den Kundenpräferenzen und -interessen besser entsprechen, stünde außer Verhältnis zu den potenziellen Vorteilen. Würde die Rechtsordnung zum Schutz der materialen Entscheidungsfreiheit des Kunden nicht eingreifen, steht dieser vor zwei Verhaltensalternativen, die beide rechtspolitisch fragwürdig sind: Entweder handelt er weiterhin wirtschaftlich vernünftig, unterwirft sich den AGB des Gegners, ohne auf deren Inhalt zu achten, und nimmt dafür in Kauf, an unangemessene Vertragsbedingungen gebunden zu sein – oder er ergreift Maßnahmen der Selbstvorsorge, indem er den Inhalt des „Kleingedruckten“ studiert und im 411
Ebenso MünchKommBGB/Lorenz § 475 Rn. 9. Zu dieser Einschätzung gelangen Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 513. 413 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 86. 414 Oben § 5 I. 4. a) cc). 412
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Fall ungünstiger Regelungen den Vertragsschluss ablehnt. Die zuletzt genannte Verhaltensoption ist aus Sicht der Rechtsordnung deswegen nicht wünschenswert, da sie zu einem ineffizienten Ressourceneinsatz führt (Aufwand und Erfolg der Kundenanstrengungen sind unausgewogen). Sie kann in letzter Konsequenz sogar dazu führen, dass Kunden überhaupt nicht mehr bereit sind, einen Vertrag unter Einbeziehung von AGB einzugehen, was de facto das Ende der – volkswirtschaftlich prinzipiell sinnvollen – Verwendung von AGB bedeuten würde. Dank der Klauselkontrolle sind diese Folgen nicht zu befürchten: Die Kunden können darauf vertrauen, dass ihnen keine schwerwiegenden Nachteile drohen, wenn sie das „Kleingedruckte“ unbesehen akzeptieren, und die Praxis der Verwendung von AGB ist nicht gefährdet. Wie verhält es sich demgegenüber beim individualvertraglichen Haftungsausschluss zugunsten des Leistungsanbieters? Hier fehlt eine der AGB-Konstellation vergleichbare „Überforderung der Selbstvorsorge“ in der Person des Kunden. Im wirtschaftlichen Massenverkehr werden individualvertragliche Haftungsausschlüsse realistischerweise nur in zwei Formen vorkommen: entweder auf Initiative des Kunden (wie etwa in dem bereits genannten Beispiel des sachkundigen Gebrauchtwagenkäufers) oder im Rahmen eines Tarifwahlmodells, bei dem der Anbieter den Kunden vor die Wahl stellt, ob er die Leistung zu einem höheren Tarif unter Wahrung seiner Haftungsansprüche oder zu einen niedrigeren Tarif unter Verzicht auf die Haftungsansprüche beziehen möchte.415 Vereinbart nämlich der Anbieter auf eigene Initiative und außerhalb eines Tarifwahlmodells routinemäßig Zusatzabreden über den Haftungsausschluss, werden regelmäßig die Tatbestandsmerkmale von AGB i. S. d. § 305 BGB erfüllt sein. Vor diesem Hintergrund befindet sich der Kunde in beiden Konstellationen des individualvertraglichen Haftungsausschlusses in einer weniger hilflosen Position als bei der Unterwerfung unter fremde AGB. Erstens steht ihm der Inhalt der Regelung, auf die er sich einlässt, deutlicher vor Augen als bei AGB. Zweitens kann sich der Kunde viel eher der Vereinbarung eines Haftungsausschlusses entziehen, ohne dadurch den Vertragsschluss insgesamt aufs Spiel zu setzen. Dies gilt nicht nur in den Fällen, in denen der Haftungsausschluss auf seine Initiative zurückgeht, sondern auch beim Tarifwahlmodell, da sich der Kunde hier nur für die (teurere) Leistungsalternative zu entscheiden braucht, die seine gesetzlichen Rechte unberührt lässt. Aus den vorstehenden Überlegungen ist der Schluss zu ziehen, dass dem Kunden die Selbstvorsorge durchaus zugemutet werden kann. Anders als im Fall der AGB kann nicht behauptet werden, die Zustimmung zur Ausschlussvereinbarung sei ein vernünftiges Verhalten. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Der auf die Anbieterhaftung verzichtende Kunde begibt sich trotz „echter“ Verhaltensalternativen bewusst auf unsicheres Terrain. Wenn sich nun herausstellt, dass der Kunde 415
Siehe zur individualvertraglichen Natur einer solchen Tarifwahl oben § 5 IV. 1. c).
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eine verfehlte Risikoprognose getroffen hat und infolge des invidualvertraglichen Haftungsausschlusses ein „schlechtes Geschäft“ gemacht hat, erscheint es nicht unvertretbar, dass er die Folgen tragen muss.416 Rechtspolitisch erweisen sich die Folgen aus der Zulassung individualvertraglicher Haftungsausschlüsse insgesamt als sinnvoll: Der Kunde wird – getreu dem alten Grundsatz des caveat emptor – zu sorgsamer Prüfung veranlasst, bevor er sich auf derartige Abreden einlässt. Gleichzeitig werden in der Geschäftspraxis Tarifwahlmodelle ermöglicht, die den Verbrauchern größere Flexibilität und Auswahlfreiheit bieten, ohne seine materiale Selbstbestimmung zu gefährden.417 Insbesondere bleibt auch die Vertragsfreiheit jener Kunden unangetastet, die aufgrund besonderer Sachkunde oder Erfahrung zu einer richtigen Risikoprognose in der Lage und damit auf den Schutz durch den Gesetzgeber nicht angewiesen sind. Die Interessen der informierten und der uninformierten Kunden werden somit in einen angemessenen Ausgleich gebracht. Anders als im Zusammenhang mit der Verwendung von AGB überwiegen hier somit die Argumente für die Vertragsfreiheit. c) Die schützende Wirkung AGB-fester dispositiver gesetzlicher Regelungen Ein zusätzliches Argument dafür, dass zum Schutz vor verfehlten Risikoeinschätzungen kein striktes Dispositionsverbot erforderlich ist, liefern neuere Erkenntnisse der oben erwähnten „Behavioral Law and Economics“-Forschung. Mithilfe von Experimenten wurde nachgewiesen, dass auch „AGB-feste“ dispositive Normen durchaus geeignet sind, Individuen vor unüberlegten selbstschädigenden Entscheidungen abzuhalten.418
416 Hier lässt sich eine Parallele zu den Grundsätzen der sog. Risikoerklärung (zum Begriff vgl. Siegel AcP 111 [1914], 1, 93) ziehen: Gibt jemand eine Erklärung bewusst in Unkenntnis ihres Inhalts ab, ist er an sie gebunden (vgl. statt aller MünchKommBGB/Armbrüster § 119 Rn. 50.). Der Zurechnungsgrund ist hier darin zu sehen, dass der Erklärende gewissermaßen weiß, dass er nichts weiß. 417 In der rechtspolitischen Diskussion ist der Ruf nach Tarifwahl- bzw. Optionsmodellen in jüngerer Zeit lauter geworden. So wird vom Gesetzgeber beispielsweise gefordert, das Widerrufsrecht des Verbrauchers im Fernabsatz nicht mehr zwingend, sondern lediglich optional auszugestalten: Der Unternehmer soll in die Lage versetzt werden, den Verbraucher vor die Wahl zu stellen, ob er den Vertrag mit Widerrufsmöglichkeit oder – gegen einen Preisnachlass – ohne Widerrufsmöglichkeit abschließen möchte, s. etwa Eidenmüller, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Zimmermann, Revision des Verbraucher-aquis, S. 109, 134 ff.; Wagner, ebd., S. 1, 29 f. 418 Vgl. z. B. Sunstein/Thaler U. Chi. L. Rev. 70 (2003), 1159 ff.; Camerer/Issacharoff/Loewenstein/O’Donoghue/Rabin U. Pa. L. Rev. 151 (2003), 1211, 1224; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 234 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; van Aaken, in: Anderheiden/Bürkli/Heinig/Kirste/Seelmann (Hrsg.), Paternalismus und Recht, S. 109, 126 f.; vgl. auch bereits Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 306 ff.
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Im Einzelnen wurden folgende Beobachtungen gemacht: Sieht das dispositive Recht eine Schutzregelung zugunsten einer Vertragspartei vor, ist diese auch gegen großzügige Kompensationsleistungen des Gegners tendenziell nicht dazu bereit, auf den gesetzlichen Schutz zu verzichten. Ist hingegen das dispositive Recht nicht zu ihren Gunsten ausgestaltet und gewährt den betreffenden Vorteil nicht, legt dieselbe Partei nicht den gleichen Wert auf die Schutzregelung und unternimmt folglich auch keine entsprechenden Anstrengungen, sie privatautonom im Vertrag zu vereinbaren. Dem Dispositivrecht wohnen somit gewisse Beharrungskräfte inne,419 es kann „in vielen Fällen ebenfalls zu einem faktisch zwingend wirkenden Vertragsrecht werden.“ 420 In der „Behavioral Law and Economics“-Literatur wird dieses Phänomen als „status quo bias“ 421 bzw. als „endowment“-Effekt422 (sog. „Besitzeffekt“) bezeichnet. Anzumerken ist, dass der Effekt allerdings stets eine „AGB-feste“ Ausgestaltung des dispositiven Rechts voraussetzt: Kann die fragliche gesetzliche Schutzregelung über vertragliche Standardklauseln, denen die geschützte Partei keine nähere Aufmerksamkeit schenkt, ausgeschlossen werden, kommen die Beharrungskräfte nicht zur Entfaltung. Der „status quo bias“ manifestiert sich nur im Rahmen von Individualverhandlungen.423 Für den vorliegenden Kontext ist der Schluss zu ziehen, dass auch ein auf AGB beschränktes Verbot von Haftungssausschlüssen ein gewisses Maß an Schutz für den Kunden verspricht. Sehen die gesetzlichen Vorschriften die Haftung des Leistungsanbieters vor und kann von dieser Regelung nur aufgrund einer Individualabrede abgewichen werden, ist die psychologische Hemmschwelle für den Kunden hoch, auf die für ihn günstige Haftungsregel zu verzichten. Damit reduziert sich die Gefahr, dass er unüberlegt ein unkalkulierbares Risiko eingeht. 4. Zusammenfassung Die Untersuchung hat ergeben, dass bei individualvertraglichen Haftungsausschlüssen zugunsten des Leistungsanbieters die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ zum Nachteil des Kunden gestört sein kann, da dieser das übernommene Risiko nicht zu quantifizieren vermag. Dieser Umstand rechtfertigt allerdings nicht, derartige Vereinbarungen ausnahmslos zu verbieten, wie es 419
Siehe auch Bachmann JZ 2008, 11, 14; Möslein, Dispositives Recht, S. 317. Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 237. 421 Camerer/Issacharoff/Loewenstein/O’Donoghue/Rabin U. Pa. L. Rev. 151 (2003), 1211, 1224. 422 Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 226 ff.; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 323 ff.; Eidenmüller JZ 2005, 216, 218. 423 So bereits Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 306 ff. 420
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das Gesetz für bestimmte Haftungsansprüche bislang vorsieht. Ein solches striktes Dispositionsverbot greift unverhältnismäßig in die Vertragsfreiheit ein und berührt insbesondere die Interessen solcher Kunden, die auf den gesetzlichen Schutz nicht angewiesen sind und nun ohne Grund in ihren vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Bei individualvertraglichen Haftungsausschlüssen kann den Kunden die Selbstvorsorge gegen eine verfehlte Abschlussentscheidung grundsätzlich zugemutet werden: Sie können sich einer solchen Vereinbarung einfach verweigern. Begeben sie sich dennoch auf das unsichere Terrain eines Haftungsausschlusses, müssen sie die Folgen einer Fehlspekulation tragen. Im Interesse eines angemessenen Ausgleichs zwischen der Vertragsfreiheit einerseits und dem Schutz der materialen Selbstbestimmung andererseits sollte der Gesetzgeber folglich Abweichungen von der gesetzlichen Haftung des Anbieters nur in AGB verbieten. Dispositive „AGB-feste“ Haftungsregeln haben den Vorteil, dass sie ein gewisses Maß an Schutz gegen eine leichtfertige Risikoübernahme bieten und gleichzeitig die Möglichkeit nicht ausschließen, unter bestimmten engen Voraussetzungen von den gesetzlichen Regelungen abzuweichen (z. B. im Rahmen eines Tarifwahlmodells oder auf Initiative des Kunden selbst).
II. Epilog: Zwingende Anbieterhaftung als Zwangsversicherung zugunsten des Kunden? Es hat sich gezeigt, dass die Störung der „Richtigkeitsgewähr“ das strikte Verbot invididualvertraglicher Haftungsausschlüsse nicht legitimieren kann. Möglicherweise bietet sich jedoch ein anderer Rechtfertigungsansatz: Im Schrifttum ist verbreitet davon die Rede, die zwingende Haftung des Leistungsanbieters komme in ihrer wirtschaftlichen Wirkung einer Zwangsversicherung für den Kunden gleich.424 Der Vergleich beruht auf folgender Überlegung: Die Haftungsregeln weisen das wirtschaftliche Risiko einer Schlechtleistung dem Anbieter zu.425 Da dieser das fragliche Geschäft regelmäßig viel häufiger abschließt als der Kunde, kann er nach dem stochastischen Gesetz der großen Zahl verlässlicher prognostizieren, in welchem Umfang tatsächlich Schäden eintreten werden. Die auf ihn zukommende wirtschaftliche Belastung kann er dann auf die Stückpreise umle424 Zu diesem Aspekt Schinkels ZGS 2003, 310, 313 (speziell zum Verbrauchsgüterkauf); Franck, Europäisches Absatzrecht, S. 215 (Fn. 130); Engel JZ 1995, 213, 217; Streissler, in: Bydlinski/Mayer-Maly (Hrsg.), Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, S. 131, 152. Vgl. allgemein zur Versicherungsfunktion der Anbieterhaftung Priest Yale L. J. 90 (1981), 1297, 1308; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 478; Wehrt, in: Schermaier (Hrsg.), Verbraucherkauf in Europa, S. 111, 112 ff.; Rühl AcP 207 (2007), 614, 624; vgl. auch Erhardt, Vermeidung und Umgehung im Verbrauchsgüterkaufrecht, S. 196 und 198. 425 Im Rahmen der Produkthaftung geht es entsprechend um das wirtschaftliche Risiko eines Produktfehlers.
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gen. Der zu erwartende wirtschaftliche Schaden wird auf diese Weise zu gleichen Teilen auf die Gesamtheit der Kunden gestreut. Da die Haftung des Anbieters nicht ausgeschlossen werden kann, wird der Kunde zum Abschluss der „Versicherung“ gezwungen. Kann aus der Idee der „Zwangsversicherung“ die Rechtfertigung für die zwingende Anbieterhaftung abgeleitet werden? Der Rechtsordnung ist zwar die Idee des Versicherungszwangs grundsätzlich nicht unbekannt. Führt man sich allerdings die Bereiche vor Augen, in denen das Gesetz eine Versicherungspflicht anordnet,426 wird rasch klar, dass dort ganz andere Erwägungen maßgebend sind als bei der zwingenden Anbieterhaftung. So sind Pflichtversicherungen einerseits zum Schutze Dritter vorgesehen. Dies trifft etwa auf die Pflicht-Haftpflichtversicherungen zu, die für die Ausübung bestimmter gefahrgeneigter Tätigkeiten verhindern sollen, dass Geschädigte ihre Haftungsansprüche wegen der Zahlungsunfähigkeit des Schädigers nicht durchsetzen können.427 Die aus den Haftungsregeln folgende „Zwangsversicherung“ schützt hingegen den Kunden und damit – um bei der Versicherungsanalogie zu bleiben – den Versicherungspflichtigen selbst. Einen Versicherungszwang zum eigenen Schutz des Versicherungsnehmers kennt die Rechtsordnung vor allem im Bereich der Sozialversicherung.428 Dort geht es allerdings um die Absicherung gegen existenzielle Bedrohungen wie etwa Krankheit oder den Verlust der Erwerbsbeschäftigung.429 Auf der Grundlage des Sozialstaatsgebots erscheint es in diesem Zusammenhang legitim, Individuen zu verpflichten, eine Solidargemeinschaft miteinander zu bilden. Die Regeln der Anbieterhaftung beziehen sich demgegenüber auf Risiken, die keine vergleichbare Bedeutung für die menschliche Existenz besitzen: Die Einbußen aus der Lieferung einer mangelhaften Ware lässt sich mitnichten mit den Belastungen gleichsetzen, die Krankheit oder Arbeitslosigkeit mit sich bringen.430 Eine „Zwangsversicherung“ für wirtschaftlich geringfügige Risiken ist 426
Siehe hierzu die umfassende Untersuchung von Hedderich, Pflichtversicherung. Beispiele sind die Pflichtversicherungen für den Betrieb gefährlicher Verkehrsmittel und Anlagen, vgl. etwa § 1 PflVG (Kfz), §§ 43, 50 LuftVG (Flugzeuge); Art. 12 VO (EG) 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr, ABl. 2007 L 315/14; § 13 AtG (i. V. mit der Atomrechtlichen Deckungsvorsorge-VO); § 19 UnweltHG. Eine Versicherungspflicht besteht auch für bestimmte Berufsträger in Bezug auf professionelle Fehler, vgl. etwa z. B. § 51 BRAO (Rechtsanwälte); § 19a BNotO (Notare); für Ärzte vgl. z. B. § 21 Berufsordnung für die Ärzte Bayerns. 428 Hierzu zählen die Krankenversicherung (SGB V), die Arbeitslosenversicherung (SGB III), die Rentenversicherung (SGB VI), die Unfallversicherung (SGB VII) und die Pflegeversicherung (SGB XI). 429 Nach Hedderich sind obligatorische Eigenversicherungen grundsätzlich nur zum Schutz vor „großen allgemeinen Lebensrisiken“ gerechtfertigt, s. Hedderich, Pflichtversicherung, S. 415. 430 Zur Ausnahmerolle der Sozialversicherungen vgl. auch Wagner ZEuP 2007, 180, 209. 427
256 3. Teil: Anwendungsfälle des marktkonstitutiven zwingenden Vertragsrechts
abzulehnen. Hier sollte es im Einklang mit dem Prinzip der Selbstverantwortung dem Ermessen des einzelnen Kunden unterliegen, ob und inwieweit er sich gegen Vertragsrisiken versichern möchte. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass die untersuchten zwingenden Haftungsregeln in ihrer ökonomischen Wirkung einer „Zwangsversicherung“ für den Kunden zu seinem eigenen Schutz gleichkommen. Diese Versicherungsfunktion bietet indessen keine Legitimation für die Beschränkung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit.
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Ergebnisse zu § 2 1. Der Marktprozess ist eine Kombination aus Kooperation und Konkurrenz: Anbieter und Nachfrager stehen jeweils im Wettbewerb miteinander, um Tauschgeschäfte mit der jeweiligen Gegenseite zu schließen. 2. Der ideal funktionierende Markt erzeugt positive Wohlstandseffekte in Form allokativer, produktiver und dynamischer Effizienz. Der freiwillige Austausch von Gütern und Leistungen ermöglicht insbesondere eine Art gesellschaftlichen Wohlstands, die mit den Wertvorstellungen einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaftsordnung im Einklang steht. Der soziale Wohlstand richtet sich nämlich zum einen nach dem individuellen Nutzenniveau der einzelnen Gesellschaftsmitglieder (sog. individualistisches Wohlstandskonzept). Darüber hinaus bedingt das Konsensprinzip, auf dem Markttransaktionen beruhen, dass Wohlstandsgewinne für die Mehrheit der Gesellschaft nicht zum Nachteil einzelner Weniger erzielt werden können. 3. Die Marktwirtschaft räumt dem Individuum wirtschaftliche Handlungsfreiheit ein. Der Einzelne ist nicht einem fremden Plan unterworfen, sondern darf nach seinen eigenen Präferenzen bestimmen, was er produzieren und konsumieren möchte. Der Preismechanismus übt eine disziplinierende Wirkung aus. Er sorgt dafür, dass die individuellen Freiheitsräume zum Wohle der Gesellschaft ausgenutzt werden. Dies geschieht dadurch, dass sozial nützliche Aktivitäten mit Gewinnen belohnt werden. 4. Differenziert fällt das Urteil über die Verteilungsgerechtigkeit der Marktwirtschaft aus. Für die Verteilung des Kooperationsgewinns im Verhältnis zwischen den Transaktionspartnern bietet der Marktmechanismus ein Verfahren, das die Chancen auf ein „gerechtes“ Ergebnis fördert: Das Konsensprinzip stellt zum einen sicher, dass beide Parteien vom Geschäft profitieren („Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“); darüber hinaus bewirkt der Wettbewerb als „Entmachtungsinstrument“, dass die Parteien annähernd gleiche Verhandlungsmacht besitzen und die Kooperationsrente folglich in ausgewogener Weise untereinander aufteilen. Hingegen vermag der Marktmechanismus keine gerechte Wohlstandsverteilung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene sicherzustellen. Das Verteilungsergebnis hängt hier maßgeblich von der anfänglichen Ausstattung der Individuen mit Ressourcen und Talenten ab. Der Markt kann die individuellen Ausgangspositionen selbst nicht beeinflussen. Um konkrete verteilungspolitische Ziele zu verwirklichen, sind Eingriffe in den Markt unumgänglich.
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5. In der Realität weichen Märkte häufig von den perfekten Funktionsbedingungen des idealtypischen Modells ab. Die Störungen können sowohl das Konkurrenz- als auch das Kooperationselement betreffen. Anders als die neoklassische Lehre beschäftigt sich die Neue Institutionenökonomik vor allem mit den Fällen des „Kooperationsversagens“. 6. Die Neue Institutionenökonomik geht davon aus, dass Individuen lediglich eingeschränkt rational sind und dass der Abschluss und die Durchführung von Transaktionen mit Kosten verbunden sind. Eine wesentliche Folge dieser Annahmen ist, dass die Parteien das Verhalten der jeweiligen Gegenseite nur lückenhaft kontrollieren können. Daraus erwächst die Gefahr opportunistischen Verhaltens: Die Parteien suchen bisweilen mithilfe von List ihren Vorteil auf Kosten ihrer Vertragsgegner. Opportunismus bedroht im Verhältnis zwischen den Transaktionspartnern (Mikroebene) die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene (Makroebene) untergräbt er das Vertrauen in Markttransaktionen und vereitelt so die Realisierung von Kooperationsgewinnen. 7. Institutionen im Sinne der Institutionenökonomik sind Verhaltensregeln, die die Interaktion von Individuen koordinieren und insbesondere die Gefahr opportunistischer Handlungen ausschalten sollen.
Ergebnisse zu § 3 1. Die deutsche und europäische Rechtsordnung wirken in zweifacher Weise auf das Wirtschaftssystem ein. Zum einen legitimieren sie die Einrichtung einer Marktwirtschaft. Die Vorgaben des europäischen Primärrechts und die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende objektive Wertordnung treffen eine grundsätzliche Systementscheidung zugunsten des Marktmodells. Vor diesem Hintergrund kann von einer „wirtschaftspolitischen Neutralität“ der Wirtschaftsverfassung nicht die Rede sein. Allerdings zieht die Rechtsordnung der Implementierung des Marktsystems auch Grenzen: Wertungen wie beispielsweise das Sozialstaatsgebot oder die Menschenwürdegarantie entziehen bestimmte Lebensund Gesellschaftsbereiche von vornherein der Domäne des Marktes. Teilweise machen diese Vorgaben auch Korrekturen des Marktergebnisses im Interesse der Verteilungsgerechtigkeit erforderlich. 2. Zum zweiten unterstützt das Recht das Wirken der „unsichtbaren Hand“: Die Funktionsbedingungen des Marktmechanismus werden durch Verhaltensregeln und Institutionen abgesichert. Das Institut des Privateigentums gewährleistet beispielsweise, dass die verfügbaren Ressourcen jeweils einzelnen Individuen zur ausschließlichen Nutzung zugewiesen sind und aufgrund freiwilliger Austauschverträge übertragen werden können. Das Kartellrecht sorgt für die Offenhaltung der Märkte und garantiert so den Wettbewerb. Das Vertragsrecht zielt auf die Überwindung von Kooperationsstörungen.
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Ergebnisse zu § 4 1. Zwingendes Vertragsrecht dient teils marktkonstitutiven, teils marktkompensatorischen Zwecken. In seiner marktkonstitutiven Rolle sichert es die Funktionsbedingungen des Marktmechanismus. Demgegenüber schränkt die marktkompensatorische Funktion die Domäne der Marktwirtschaft aus rechtsethischen und sozialpolitischen Gründen ein. 2. Das marktkonstitutive zwingende Recht kann zum einen die Erhaltung des Wettbewerbs zum Ziel haben. Dies trifft vor allem auf kartellrechtliche Regelungen zu, die bestimmte Vereinbarungen im Horizontalverhältnis zwischen konkurrierenden Unternehmen und im Vertikalverhältnis zwischen den Partnern in der Absatzkette verbieten. Diese Schranken der Vertragsfreiheit beruhen auf der Idee des sog. Freiheitsparadoxons, wonach ungezügelte Freiheit zu ihrer eigenen Aufhebung führen kann: Unkontrollierte Vertragsfreiheit kann zur Ausschaltung des Wettbewerbs missbraucht werden, wodurch der Marktmechanismus seine Entmachtungswirkung verliert. 3. Ferner sichert das marktkonstitutive zwingende Recht die Voraussetzungen für die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“. Es schützt die tatsächliche (materiale) Entscheidungsfreiheit der Vertragsparteien, indem es den Inhalt von Vereinbarungen kontrolliert, bei denen typischerweise anzunehmen ist, dass ein Beteiligter von Informations- oder Rationalitätsdefiziten betroffen ist. Beispiele für derartige Regelungen sind die Inhaltskontrolle von AGB, das Zinseszinsverbot (§ 248 BGB) und bestimmte Anwendungsfälle des § 138 BGB. Zwingende Regeln, die den wirtschaftlich Schwachen vor Ausbeutung schützen sollen, gehören hingegen nicht zum marktkonstitutiven Recht, da die ungleiche Verteilung wirtschaftlicher Macht grundsätzlich kein Funktionsdefizit des Marktmechanismus ist; der Schwächerenschutz ist zu den marktkompensatorischen Eingriffen zu rechnen. Die Inhaltskontrolle zum Schutz der faktischen Selbstbestimmung trägt zur „Materialisierung“ der Vertragsfreiheit bei und kommt insbesondere dort zum Zug, wo der Regulierungsansatz des Informationsmodells an seine Grenzen stößt. Charakteristisch für den marktkonstitutiven Eingriff in die Vertragsfreiheit ist die grundsätzliche Achtung des subjektiven Äquivalenzprinzips. 4. Eine weitere Form des Vertragsversagens, die das marktkonstitutive zwingende Vertragsrecht abzuwehren sucht, sind ex-post-opportunistische Handlungen in Langzeitverträgen. Die Opportunismusgefahr kann sich insbesondere aus Leistungsänderungs- und -anpassungsklauseln ergeben, die in derartigen Verträgen häufig enthalten sind. Zwar besteht prinzipiell ein berechtigtes Bedürfnis nach einer Lockerung der Vertragsbindung, um auf unvorhergesehene Veränderungen der Rahmenumstände reagieren zu können. Die Flexibilisierung des Vertrags darf aber nicht soweit gehen, dass die anpassungsberechtigte Partei die Möglichkeit erhält, sich einen größeren Anteil an der Kooperationsrente anzueig-
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nen als ursprünglich vorgesehen. Die Inhaltskontrolle muss sicher stellen, dass die Änderungsklausel nicht über das legitime Anpassungsinteresse der Parteien hinausgeht und so den Grundsatz von pacta sunt servanda illusorisch macht. In seltenen, besonders gelagerten Fällen ist auch eine Kontrolle von ad-hoc-Anpassungsverträgen geboten, um ex-post-opportunistische Ausbeutungen von Vertragsparteien abzuwenden, die transaktionsspezifisch investiert haben und auf eine Fortsetzung des Vertrags unbedingt angewiesen sind. 5. Das marktkonstitutive zwingende Recht sichert zusätzlich zu Konkurrenz und Kooperation noch weitere Funktionsbedingungen des Marktmechanismus. Eine wichtige Aufgabe ist die Bekämpfung negativer externer Effekte: Verträge, die die Interessen unbeteiligter Dritter beeinträchtigen, können unter bestimmten Voraussetzungen nichtig sein. Nicht jede Form von Drittbeeinträchtigung rechtfertigt allerdings eine Einschränkung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit: Nachteile, die die „natürliche“ Folge des Wettbewerbsprozesses sind, sowie psychologische Effekte sind grundsätzlich unbeachtlich. Hingegen sind Verträge zulasten Dritter, die unmittelbar Rechtspflichten für vertragsfremde Personen ohne deren Mitwirkung begründen, per se unwirksam. Bei allen übrigen externen Effekten hängt der Drittschutz von einer Interessenabwägung ab. Betrachtet man die Konstellationen, in denen die Rechtsprechung die Vertragsfreiheit zum Schutz unbeteiligter Personen einschränkt, zeigt sich eine einheitliche Linie: Der Transaktion wird die Anerkennung verweigert, wenn der Dritte zur selbständigen und eigenverantwortlichen Verteidigung seiner Interessen nicht in der Lage ist, etwa weil das fragliche Rechtsgeschäft geeignet ist, den Dritten zu täuschen. Vor diesem Hintergrund ist auch beim drittschützenden zwingenden Vertragsrecht eine Materialisierungstendenz zu erkennen: Der Dritte wird vor einer faktischen Fremdbestimmung bewahrt. 5. Schließlich kann dem marktkonstitutiven zwingenden Recht die Aufgabe zufallen, spezifische Funktionen besonderer Märkte zu sichern. Einzelne zwingende Regeln des Versicherungsvertragsrechts verhindern, dass der Versicherungsmarkt für Geschäfte spekulativer oder wettähnlicher Natur missbraucht wird. Das kapitalmarktrechtliche Verbot des Insiderhandels zielt darauf, das Vertrauen einer möglichst breiten Schar von Anlegern in den Kapitalmarkt zu schützen. 6. Das marktkompensatorische zwingende Vertragsrecht umfasst zum einen Kommerzialisierungsverbote. Diese beruhen auf der Erwägung, dass für bestimmte Güter und Leistungen (Körperorgane, das elterliche Umgangs- und Sorgerecht) der Marktmechanismus kein angemessenes Allokationsinstrument ist. 7. Daneben gehören zum marktkompensatorischen zwingenden Recht Mechanismen der Marktergebniskontrolle. Hier geht es in erster Linie darum, eine grob ungleiche Aufteilung der Kooperationsrente zwischen den Transaktionspartnern zu verhindern. Charakteristisch für diese Art zwingenden Rechts ist die Abkehr
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vom Prinzip der subjektiven Äquivalenz sowie der Versuch, eine annähernde objektive Gleichwertigkeit zwischen Leistung und Gegenleistung zu gewährleisten. Die Marktergebniskontrolle ist zum Teil darauf gerichtet, ein im Einzelfall bestehendes Machtgefälle (situatives Monopol) zwischen den Parteien auszugleichen. In anderen Fällen sollen unabhängig von einer Ausbeutungsgefahr in der konkreten Vertragssituation bestimmte gesellschaftliche Gruppen (Wohnungsmieter, Arbeitnehmer) aus sozialpolitischen Gründen gezielt privilegiert werden. Hier benutzt die Rechtsordnung den Vertrag als Vehikel für eine Umverteilung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands.
Ergebnisse zu § 5 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen erfüllen eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion. Sie rationalisieren und vereinfachen die Geschäftsabwicklung und senken auf diese Weise die Transaktionskosten. 2. In der Praxis ist zu beobachten, dass der Inhalt von AGB häufig einseitig zugunsten des Verwenders ausgestaltet ist und die Kunden unangemessen benachteiligt. Die ökonomische Analyse liefert eine plausible Erklärung dafür, warum die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ bei der Verwendung von AGB gestört ist. Die Ursache liegt in der ungleichen Verteilung der Transaktionskosten zwischen den Vertragsparteien. Für den Verwender lohnt es sich, ein detailliertes Klauselwerk zur wiederholten Verwendung aufzustellen, das auf die eigenen Interessen zugeschnitten ist. Die einmalig anfallenden Aufstellungskosten können nämlich auf eine Vielzahl von Transaktionen verteilt werden. Der Kunde hingegen schließt die betreffende Transaktion in deutlich geringerer Zahl ab. Unter diesen Voraussetzungen lohnt es sich für ihn nicht, den Inhalt der Klauseln zu studieren und gegebenenfalls einen Anbieter mit günstigeren AGB auf dem Markt zu suchen. Der Aufwand eines solchen Verhaltens stünde außer Verhältnis zum Ertrag. In der Folge unterwirft sich der Kunde den AGB, ohne ihren Inhalt zu kennen (Informationsasymmetrie). Selbst wenn er ausnahmsweise den ungünstigen Inhalt einzelner Regelungen zur Kenntnis nimmt, lehnt er nur selten den Vertragsschluss deswegen ab (Motivationsgefälle). 3. Das Informations- und Motivationsgefälle gefährdet zum einen die faktische Entscheidungsfreiheit des Kunden. Da er bei der Abschlussentscheidung den ungünstigen Nebenbedingungen keine Aufmerksamkeit schenkt, besteht die Gefahr einer verfehlten Äquivalenzbewertung. Der Kunde bindet sich in der Folge häufig an einen Vertrag, den er bei Kenntnis des AGB-Inhalts gar nicht oder zumindest nicht zu dem vereinbarten Preis eingegangen wäre. 4. Auf überindividueller Ebene hat das Vertragsversagen negative Folgen für den Wettbewerb insgesamt. Der Inhalt der AGB nimmt nicht am positiven Konditionenwettbewerb teil. Anbieter haben sogar einen Anreiz, möglichst kundenfeindliche Klauseln zu verwenden, um Kosten zu sparen. Als Konsequenz droht
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ein negativer Leistungswettbewerb. Im Ergebnis setzen sich so die kundenfeindlichsten AGB am Markt durch (sog. adverse Selektion). 5. Zur Korrektur des Marktversagens setzt die Rechtsordnung in den §§ 305 ff. BGB auf drei unterschiedliche regulatorische Ansätze: das Informationsmodell, die Inhaltskontrolle und die Prävention. 6. Die auf Transparenz zielenden Vorschriften des Informationsmodells können dem Kunden lediglich die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom AGB-Inhalt erleichtern. Der Gesetzgeber verfolgt nicht die Absicht, die tatsächliche Kenntnisnahme sicherzustellen. Die dafür nötigen prozeduralen Anforderungen würden nämlich die Rationalisierungseffekte weitgehend beseitigen, die durch die Verwendung von AGB ermöglicht werden. 7. Die Inhaltskontrolle garantiert einen materiellen Mindeststandard für den Inhalt von AGB. Dieser engt die Spielräume des Verwenders ein, durch eine kundenfeindliche Ausgestaltung der standardisierten Nebenbedingungen den Wert der vertraglichen Hauptleistung auszuhöhlen. Für den Kunden mindert sich auf diese Weise das Risiko einer Fehlbewertung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses. Die Inhaltskontrolle dämmt ferner den Prozess der Negativauslese ein, d.h. sie verhindert, dass die Qualität der im Rechtsverkehr verwendeten AGB immer weiter absinkt. Im Ergebnis bewirkt sie, dass die unterschiedlichen Anbieter einer bestimmten Branche ihren Verträgen ähnliche Nebenbedingungen zugrunde legen. Die dadurch eintretende Homogenisierung des Marktangebots erhöht die Markttransparenz und fördert den Leistungswettbewerb in Bezug auf die vertraglichen Hauptmerkmale. 8. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion dient der Disziplinierung des AGB-Verwenders. Je weiter er in den AGB zulasten des Kunden vom dispositiven Recht abweicht, desto größer ist für ihn das Risiko, dass die Klausel für unwirksam befunden und insgesamt kassiert wird. Die Sanktion der Totalunwirksamkeit fungiert als Ersatz für die Disziplinierungsfunktion des Wettbewerbs. Unterlägen nämlich AGB dem Konditionenwettbewerb, würde der Konkurrenzdruck den Verwender dazu veranlassen, auf die Interessen der Kunden bei der Gestaltung der AGB Rücksicht zu nehmen. 9. Unter Rückgriff auf den Schutzzweck der AGB-Kontrolle lassen sich verschiedene Anwendungsfragen im Rahmen der §§ 305 ff. BGB sachgerecht lösen. Dies gilt vor allem für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Klauselkontrolle. Beispielsweise ist für das Vorliegen einer kontrollfreien Individualvereinbarung i. S. d. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB zu verlangen, dass der Kunde den Klauselinhalt in seiner Bedeutung erfasst und der Verwender die Regelung ernsthaft zur Disposition stellt. Nur so ist das Informations- und Motivationsgefälle aufgehoben. Eine „Tarifwahl“, bei der der Kunde zwischen verschiedenen Regelungsalternativen eine „echte“ Auswahlmöglichkeit genießt, kann die Voraussetzungen einer Individualvereinbarung erfüllen.
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10. Verständigen sich die Parteien im C2C- bzw. im B2B-Bereich darauf, ihrem Vertrag ein von dritter Hand entworfenes Vertragsmuster zugrundezulegen, ist die das Formular einführende Partei nicht „Verwender“ im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, sofern der Gegner an der Auswahl der Standardbedingungen beteiligt wurde und selbst ein eigenes Klauselwerk hätte einführen können. In einem solchen Fall sind die Transaktionskosten für die Gestaltung der vertraglichen Nebenbedingungen annähernd gleich verteilt, so dass kein strukturelles Informations- und Motivationsgefälle zulasten des „Gegners“ besteht. 11. Die essentialia negotii sind typischerweise wirksame Wettbewerbsparameter. Folgerichtig sind sie gemäß Art. 4 Abs. 2 der europäischen Klauselrichtlinie und § 307 Abs. 3 BGB von der Inhaltskontrolle ausgenommen. Die Kontrollausnahme ist auf produktprägende Nebenbestimmungen auszuweiten, die die Abschlussentscheidung des Kunden beeinflussen und damit ebenfalls am Konditionenwettbewerb partizipieren. Derartige kontrollfreie Nebenbestimmungen spielen insbesondere im Zusammenhang mit „Rechtsprodukten“ wie Versicherungs- und Finanzdienstleistungsverträgen eine Rolle. Essentialia negotii und produktprägende Nebenbestimmungen unterliegen allerdings der Transparenzkontrolle. Ein wirksamer Leistungswettbewerb kann sich nur entfalten, wenn Markttransparenz gewährleistet ist. Das Transparenzgebot soll nicht nur sicherstellen, dass der Kunde Klarheit über den Inhalt und die wirtschaftliche Tragweite des eingegangenen Vertrags besitzt, es soll darüber hinaus die Vergleichbarkeit konkurrierender Leistungsangebote ermöglichen. 12. Da die Störung der „Richtigkeitsgewähr“ bei der Verwendung von AGB ihre Ursache in den Umständen des Vertragsschlusses und nicht in persönlichen Merkmalen der Vertragsparteien hat, kann grundsätzlich auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr ein Bedürfnis nach einer Klauselkontrolle bestehen. Schließt der Unternehmer-Kunde Verträge außerhalb seiner gewöhnlichen professionellen Tätigkeit ab, ist er in Bezug auf die AGB nicht anders als ein Verbraucher mit prohibitiv hohen Transaktionskosten konfrontiert und damit in ähnlicher Weise schutzbedürftig. Anders verhält es sich hingegen beim Abschluss von Verträgen, die zu seinem Kerngeschäft gehören und die er folglich laufend abschließt. Hier besteht regelmäßig kein Transaktionskostenhindernis und damit keine Veranlassung, in die Vertragsfreiheit einzugreifen. Für die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB ist ein unterschiedlich strenger Prüfungsmaßstab anzulegen, je nachdem, wie schutzbedürftig der Unternehmer-Kunde im Einzelfall ist. 13. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung des § 307 Abs. 1 BGB kann ein günstiger Vertragspreis für den Kunden die rechtlichen Nachteile aus der zu beurteilenden Klausel nicht kompensieren. Fände das sog. Preisargument Berücksichtigung, würde die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle auf eine Prüfung der objektiven Äquivalenz des Vertrags hinauslaufen, was dem Zweck der AGB-Kontrolle widerspräche. Ließe man zu, dass ein niedriger Preis materiell unangemes-
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sene Klauseln „heilt“, würde zudem der negative Konditionenwettbewerb bei der Verwendung von AGB nicht eingedämmt. 14. Die §§ 305 ff. BGB stellen Marktverhaltensregeln gemäß § 4 Nr. 11 UWG dar, da sie nicht nur individualschützende Wirkung zugunsten der konkret betroffenen Verwendungsgegner entfalten, sondern darüber hinaus auf überindividueller Ebene die negative Auslese von vertraglichen Nebenbedingungen eindämmen sollen. Die Verwendung unzulässiger Klauseln ist folglich unlauter im Sinne des Wettbewerbsrechts. Dies gilt insbesondere auch im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern, wo sich die Wettbewerbswidrigkeit am Maßstab der (vollharmonisierenden) UGP-Richtlinie beurteilt: Der Vertragsschluss unter Einbeziehung unwirksamer Klauseln erfüllt die Merkmale einer unlauteren Geschäftspraxis im Sinne der Richtlinie, da sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht des Unternehmers widerspricht und den Verbraucher bei seiner geschäftlichen Entscheidung wesentlich beeinflusst. Das Verdikt der Wettbewerbswidrigkeit erweitert das Sanktionsinstrumentarium zur Durchsetzung der §§ 305 ff. BGB: Der Verwender unangemessener AGB kann auch von Mitbewerbern auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann.
Ergebnisse zu § 6 1. Bei der Kontrolle von Haftungsausschlussvereinbarungen zugunsten gewerblicher Leistungsanbieter bedient sich der Gesetzgeber je nach Vertragstyp zwei unterschiedlich strenger Formen zwingenden Vertragsrechts. Teilweise belegt er die gesetzliche Haftung des Anbieters mit einem strikten Dispositionsverbot und untersagt auch individualvertragliche Ausschlüsse. Teilweise sind die Haftungsnormen lediglich „AGB-fest“ ausgestaltet, d.h. von ihnen kann in Individualvereinbarungen abgewichen werden, nicht jedoch in AGB. Das Nebeneinander von strikt zwingenden und bloß „AGB-festen“ Haftungsvorschriften findet sich nicht nur auf der Ebene des nationalen Rechts. Auch der Unionsgesetzgeber macht im Verordnungsentwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht von der gleichen Regelungstechnik Gebrauch. 2. Das Verbot von Haftungsausschlüssen zulasten des Kunden in AGB lässt sich angesichts des Vertragsversagens bei der Verwendung vorformulierter Standardbedingungen ohne weiteres rechtfertigen. Anders fällt hingegen das Urteil über die Untersagung individualvertraglicher Haftungsausschlüsse aus. Zwar ist die „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ bei derartigen Abreden zum Nachteil des Kunden gestört, da dieser das übernommene Risiko aufgrund struktureller Informationsmängel nicht zu quantifizieren vermag. Dieser Umstand legitimiert allerdings die Beschränkung der vertraglichen Inhaltsfreiheit nicht. Der Kunde, der sich auf spekulativer Basis auf eine Haftungsausschlussvereinbarung einlässt, handelt unvorsichtig und muss nach dem Grundsatz der Eigenverantwor-
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tung die daraus resultierenden Nachteile selbst tragen. Die Situation unterscheidet sich insofern grundlegend von der „blinden“ Unterwerfung unter fremde AGB. Hier handelt der Kunde nämlich nicht unvorsichtig, sondern wirtschaftlich vernünftig. 3. Die im strikten Sinne zwingenden Haftungsvorschriften werden auch nicht dadurch legitimiert, dass sie aus ökonomischer Sicht die Funktion einer „Zwangsversicherung“ zugunsten des Kunden erfüllen. Die Rechtsordnung schreibt Zwangsversicherungen zum eigenen Schutz des Versicherungsnehmers nur ausnahmsweise zur Absicherung gegen existenzielle Risiken vor. Um derart schwerwiegende Risiken geht es im Rahmen der untersuchten zwingenden Haftungsvorschriften regelmäßig nicht.
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Sachwortverzeichnis Die kursiv gesetzten Seitenzahlen bezeichnen die Hauptfundstellen. Abschlussfreiheit 19 Abschlusskontrolle 102, 105 f. Abschlusstransparenz 166 ff., 204 Abwicklungstransparenz 166 ff., 184, 204 adverse Selektion 53, 70, 161 ff., 180, 227 f., 233 Äquivalenz – allgemein 66, 72 ff., 92 f., 95, 130 ff., 135 ff., 141, 198, 232 – Bewertung 161, 172, 232, 238, 245 f., 249 – objektive 82 ff., 126 f., 189, 225 ff. – subjektive 82 ff., 188, 225 ff. AEUV 20, 58, 67, 133, 135, 182, 189, 224 Allokationseffizienz 25 ff., 33, 36, 43, 52, 61, 70, 110, 123 Als-ob-Preis 136 ff., 225 Anfechtungsgesetz 117 Anpassungsrecht 88, 89 ff. Anpassungsvertrag 19, 89, 101 ff. Arbeitsrecht 19, 66, 98, 131, 129 f., 139 f., 159, 188 f. Arzneimittelhandel 131 atomistische Marktstruktur 24, 44, 149 Ausbeutungsmissbrauch 135 ff., 189, 224 Austauschgerechtigkeit 38 ff., 128 Ausübungskontrolle 93 f., 96 ff. battle of forms 221 Bausparvertrag 207, 209, 213, 218 Bazar-Theorie 154, 193 Bedarfsgerechtigkeit 39
Behavioral Law and Economics 242 ff., 252 f. Behinderungsmissbrauch 136 berufliche Sorgfaltspflicht 230 f. Besitzeffekt 253 bounded rationality 45 f., siehe auch irrationales Verhalten Bürgschaftsentscheidungen 66, 71, 76, 86 caveat creditor 116 caveat emptor 252 CESL 222, 236 f. cheapest cost avoider bzw. insurer 147, 177 f., 239 ff. Coase-Theorem 28, 177, 239, 244 contra-proferentem-Auslegungsregel siehe Unklarheitenregel dezentrale Koordination 18, 31 ff., 59, 62, siehe auch Preis dispositives Recht – als Prüfungsmaßstab der AGB-Kontrolle 178 ff., 197 f., 211, 214 – Beharrungskräfte 252 f, 254 – Ergänzungsfunktion 47, 55, 145 f. Doppelverkauf 110 ff. Drittinteressen 108 ff., 188, 255 dynamische Effizienz 30, 36, 71, siehe auch Innovation effektiver Jahreszins 207, 218 Eigentumsfreiheit 59, 63 Eigenverantwortung 100, 117 f., 121, 144, 245, 247 Einbeziehungskontrolle 163, 169
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Sachwortverzeichnis
„Entdeckungsverfahren“ 33, 36 Entgeltklauseln der Kreditwirtschaft 208 ff. Entscheidungsfreiheit – allgemein 69 ff., 232 f. – formale 77 ff. – materiale 77 ff., 81, 84, 86, 120 f., 160 f., 166, 173, 175 f., 188, 245 f., 250 ff. Erfahrungsgut 159 ff., 172 essentialia negotii 73, 84, 154, 155, 157, 167, 181 f., 196 ff., 208 ff., 217 EU-Grundrechtecharta 60, 124 Existenzminimum 44, 60 Externalitäten 27, 63 f., 106 ff., 125 Fernabsatz 19, 79, 208, 236, 252 Formfreiheit 19, 171 Freiburger Schule siehe Ordoliberalismus Freiheit – individuelle 30 ff. – negative 34 – positive 34 Freiheitsparadoxon 15 f., 69 fundamentale Transformation 50 f. Gebrauchtwagenkauf 161, 194, 247, 249 Gemeinsames Europäisches Kaufrecht siehe CESL Gesamtschuld 110 ff. Gläubigergefährdung 110 ff., 116 ff. Grenznutzen 26, 46 Größenvorteile 29 f., 155 GWB siehe Kartellrecht Haftungsausschluss 74, 98, 110, 112 ff., 152, 179, 234 ff. Haftungsprivilegierung 98, 111 ff. hold-up 50 ff., 87, 93, 99, 101 ff. homo oeconomicus 243 Honorarordnungen 131 Indexmiete 89
individualistischer Wohlstandsbegriff 28, 33 Individualvereinbarung 73, 98, 157, 164, 171, 188, 190 ff., 227, 234 ff., 247, 251 ff. Informationsasymmetrie 17, 48, 53, 73, 85, 92, 141, 154 ff., 161 ff., 171, 175, 191 Informationsintermediäre 92 Informationsmodell 79 ff., 164 ff., 171, 243 Informationspflichten 79, 207 ff., 217 Inhaltskontrolle – allgemein 20, 68, 81, 84, 93 ff., 100, 101 ff., 107, 116, – von Allgemeinen Geschäftsbedingungen 73, 78 f., 81, 84 f., 169 ff., 183, 188 f., 197 ff., 220 ff., 224 ff., 233 ff. Innovation 30, 36, 52, 71, siehe auch dynamische Effizienz Insiderhandel 123 Insolvenzordnung 111, 117 Institution 18, 54 f., 62 ff., 139 Interbrand-Wettbewerb 67 Intrabrand-Wettbewerb 67 irrationale Entscheidungen 17, 45 ff., 51, 54, 66, 69 f., 74 f., 81, 120, 141, 241, 243, siehe auch bounded rationality iustitia commutativa siehe Austauschgerechtigkeit iustitia distributiva siehe Verteilungsgerechtigkeit iustum pretium 82 ff., 127 Kapitalmarktrecht 123 Kartellrecht 18, 19, 20, 36, 45, 63, 67 f., 128 f., 135 ff., 182, 189, 224, 225 Kartellverbot 67, 182 Klauselrichtlinie 79, 85, 94, 145, 148, 151, 152, 153, 156 f., 164, 165, 167, 176, 184, 190, 194, 196 f., 198, 199, 200, 202, 203, 216, 219, 221, 222, 226 f., 231, 235 f., 237 Kollektivverhandlungen 139
Sachwortverzeichnis Kommerzialisierungsverbot 124, siehe auch Transaktionsverbot Komplementärgut 32 Konditionenempfehlung 182 Konditionenkartell 149, 182 Konkurrenz 23 f., 25, 29 f., 41 f., 44, 45, 63, 67 ff., 92, 146, 161 f., 166, 184 f., 188, 200 ff., 215 ff., 227 f., 233 Kontrahierungszwang 19 Kooperation 23 f., 40, 44 f., 47, 55, 63, 69 ff., 106 Kooperationsgewinn siehe Kooperationsrente Kooperationsrente 27, 38, 41 f., 47, 49 f., 71, 87, 93, 95, 98, 100, 102, 105, 127, 128, 132, 135, 138, 141, 144, 151, 160, 163, 173 Kooperationsversagen 45, 54, 63, 87, 106 laesio enormis 83 f., 86, 127, 134 f. Langzeitverträge 50, 87 ff., 98 Lauterkeitsrecht 17, 112, 207, 228 ff. Lebensversicherung 167, 206 Leihmutterschaft 125 Leistungsgerechtigkeit 39, 42 Liberalismus 34, 78 Lock-in-Effekt 49 f., siehe auch transaktionsspezifische Investition. Machtungleichgewicht 15 f., 41 f., 50, 66, 70 ff., 126 f., 128 f., 139, 148 ff., 188 f., 192, 223, 228 market for lemons 53, 161 f., 227, siehe auch adverse Selektion Markt – Definition 23 – Disziplinierungsfunktion 37, 41, 50, 87, 95, 97, 100, 104, 146, 153, 162, 182, 184 f., 203 – Entmachtungsfunktion 16, 41 f., 50, 72, 132, 153 – Grenzen 60 ff., siehe auch Transaktionsverbot, Marktergebniskontrolle
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– idealtypischer Markt 23 ff. – Legitimation 57 ff. – realer Markt 44 ff. Marktergebniskontrolle 61, 66, 72, 75, 126 ff. Marktgegenmacht 139 marktkompensatorisches zwingendes Vertragsrecht 65 f., 72, 75 f., 84, 109, 123 ff., 188, 189, 223 f., 228 marktkonstitutives zwingendes Vertragsrecht 65 ff., 124, 125, 127, 133, 136, 141, 187 f., 189, 224, 228 Marktvergleich 205 ff. Materialisierung 77 ff., 120 Mieterhöhung 89 f., 94, 129 f., 138 f. Mietrecht 89 f., 129 f., 133, 138 f., 188 f., 228 Mietwucher 133, 138 Mindeststandard 172, 180 f., 228 Monopol – allgemein 17, 24, 30, 44, 50, 71, 135 ff., 148 ff. – natürliches 72, 132 – situatives 72, 128 Monopolrechtsprechung 148 moral hazard 49 more-economic-approach 36 f. Motivationsgefälle 156, 157, 162, 165, 175, 176, 177, 184, 188, 191, 192, 193, 199, 202, 219, 223, 238 Negativauslese siehe adverse Selektion Neue Institutionenökonomik 17, 44 ff., 54, 62, 87 Neutralitätsthese 58 ff. Neuverhandlungspflichten 102 ff. ökonomische Analyse des Rechts 17, 21, 125, 158, 177 f., 239 ff., 244 ff. – positive Analyse 21, 179 – normatives Programm 21, 179 Oligopol 44, 149 Opportunismus 17, 47 ff., 51 ff., 70, 87 ff.
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Sachwortverzeichnis
Optionsmodell siehe Tarifwahl Ordoliberalismus 16, 35, 44, 62, 69 Organhandel 60, 124 pacta sunt servanda 55, 88 f., 98, 106, 173 Pareto-Effizienz 27 ff., 33, 36, 43, 160, 177, 179, 239 passing-on-Effekt 140 f. pekuniäre Effekte 108 Präferenzautonomie 34, 40, 52, 82, 110, 130 Prävention 113, 115, 163, 182 ff. Preis – Kontrolle 33, 82, 100, 130 ff., 138, 139, 150 f., 208 ff. – Koordinationsfunktion 31 ff., 40, 44, 54, 59, 70, 82, 130, siehe auch dezentrale Koordination – Reservationspreis 26 f., 150 Preisangabenverordnung 90, 207 f., 217 f. Preisargument 224 ff. Preishauptabrede 210 ff. Preisnebenabrede 210 ff. „Primat der Rechtszwecke“ 21, 126, 179 Prioritätsprinzip 117, 119 Produkthaftungsrichtlinie 235, 246 produktive Effizienz 29 f. produktprägende Leistungsbestimmungen 196 ff. Prostitutionsgesetz 125 psychologische Effekte 108 f., 125 rationale Ignoranz 47, 158, 250 ff. Raubüberfall siehe hold-up Rechtsprodukt 201 Reiserecht 73, 90, 94, 234, 237 Relativitätsgrundsatz 111 ff. Reputationseffekte 55 Reservationspreis siehe Preis „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ 39 ff., 51 f., 69, 70 f., 100, 104, 106, 127, 147 ff., 165, 169, 172,
188, 190 f., 195, 219, 220 ff., 232, 238 ff., 245, 253 f. Risikoaversion 241 Risikoerklärung 252 Schadenserwartungswert 155, 241 f. Schönheitsreparaturklausel 186 f., 189 Selbstbestimmung siehe Entscheidungsfreiheit Sicherungsgeschäfte 110 ff., 116 ff. Sicherungsglobalzession 119 Skaleneffekte 155, siehe auch Größenvorteile soziale Kosten siehe Externalitäten Sozialrecht 61, 72, 130, 142, 255 Sozialstaatsgebot 60, 72, 255 spontane Ordnung 31, 54 Staffelmiete 89 status quo bias 253 Steuerrecht 61, 72, 130, 142 subjektive Werttheorie 26, 82 Substitutionsgut 32 Täuschung 51, 78, 116, 118, 119, 173 take ir or leave it 40, 152 f. Tarifwahl 192 ff., 227, 238, 251 f., 254 Taschenkontrolle 179 f. Telekommunikation 132 f., 205 ff. Transaktionskosten 17, 24, 27, 45, 46, 47 ff., 55, 80, 81, 95 f., 145, 155 ff., 171, 177, 184, 187 ff., 191, 195, 220 ff., 234, 238, 239 f. transaktionsspezifische Investition 49 ff., 87, 95, 102, 103 ff. Transaktionsverbot 60, 65, 124 ff., siehe auch Kommerzialisierungsverbot Transparenzgebot 91 f., 164 ff., 202, 203 ff., 216 ff. Überinformation 80 f. Überoptimismus 88, 243, 244 Überraschungsverbot 20, 163 f., 167, 169, 170, 174 f., 176, 180 f., 183, 199 f.
Sachwortverzeichnis Überversicherung 121 f. UGP-Richtlinie 229 ff. Umverteilung 43 f., 61, 128 ff., 141 ff. Unklarheitenregel 164 f., 182 f. unsichtbare Hand 31, 54, 62 unternehmerischer Verkehr 219 ff., 233 f. UWG siehe Lauterkeitsrecht Verbandsklage 97, 165, 174, 176, 229 Verbot der geltungserhaltenden Reduktion 182 ff. Verbraucherkreditrichtlinie 79, 207, 236 Verbraucherrechterichtlinie 237 Verbrauchsgüterkauf 73, 140, 143, 226, 231 ff., 234 ff., 244 ff., 247 ff., 254 verlängerter Eigentumsvorbehalt 119 Versicherungsfunktion des zwingenden Rechts 143, 254 f. Versicherungsrecht 92, 94, 114 ff., 121 f., 167 f., 173, 192, 201, 204 f., 206, 208, 217, 226 f., 255 Verteilungsgerechtigkeit 38 f., 42 ff., 126 ff., 189, 228 Vertikalvereinbarungen 67
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Vertrag zulasten Dritter 109 ff. Vertragsbruch 18, 102, 112, 113, 115, 119 f. Verursachungsprinzip 214 Vorsatzhaftung 98 Wegfall der Geschäftsgrundlage 55, 88, 104 ff. Wettbewerbsrecht siehe Kartellrecht, Lauterkeitsrecht Wettbewerbsverbot 67 ff. Wette 122, 246 Widerrufsrecht 79, 208, 252 Wirksamkeitskontrolle 163, 164, 167, 169 f., 181, 183, 228, 236 Wirtschaftsverfassung 57 ff., 72, 179, 244 Wucher 66, 74, 75 ff., 128, 133 ff., 138 Zahlungsdienste 94, 201, 209 f., 235 Zinseszinsverbot 74, 85 Zulieferverträge 223 f. Zwangsversicherung 254