Semantik und Ethik des Wortfeldes "Ergon" im Johannesevangelium: Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik / Contexts and Norms of New Testament ... Untersuchungen zum Neuen Testament 2. Reihe) 3161546601, 9783161546600

In dieser Studie stellt Alexander Drews den Gebrauch, die Semantik und die moralische Signifikanz des Wortfeldes Ergon i

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German Pages 343 [345] Year 2017

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Table of contents :
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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abbildungen und Tabellen
Abbildungen
Tabellen
Einleitung
I. Teil: Grundlagen
1. Kapitel: Thematische Hinführung
1. Besonderheiten johanneischer Sprache
2. Vorläufige Beobachtungen zu ἔργον κτλ.
2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick
1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv
1.1 Allgemeines
1.1.1 R. Bultmann (1958): Die Werke sind ῥήματα Jesu
1.1.2 G. Delling (1966): Jesu Werk ist zentral im JohEv
1.2 Studien im Kontext der johanneischen σημεῖα
1.2.1 W. Wilkens (1969): σημεῖον und ἔργον als literarisches Trennmittel
1.2.2 Chr. Welck (1994): σημεῖα als spezifische ἔργα Jesu
1.2.3 Chr. Karakolis (2012): Die ethische Wirkung von σημεῖον und ἔργον
1.3 Herausragende Untersuchungen über ἔργον κτλ.
1.3.1 J. Riedl (1973): Das Standardwerk über ἔργον κτλ. im JohEv
1.3.2 S. Pancaro (1975): Die ‚Werke tunʻ als nomistischer Begriff
1.3.3 R. Heiligenthal (1983): ἔργον im Judentum und paganen Griechentum
1.3.4 F. Grob (1986): Das Tun der Werke drückt sich im Liebesgebot aus
1.3.5 G. van Belle (1994): Semantische Vielfalt von ἔργον
1.3.6 P. W. Ensor (1996): ἔργον als verbaler Ausspruch Jesu
1.3.7 A. J. Köstenberger (1998): Mission im JohEv und ἔργον
1.4 Zusammenfassung
2. Die Debatte um eine Ethik im JohEv
2.1 Zweifel an einer Ethik im JohEv
2.2 Deutungsversuche und -ansätze einer johanneischen Ethik
2.2.1 Die Einheit von Theologie und Ethik
2.2.2 Die Gattung ‚Evangeliumʻ transportiert eine Ethik
2.2.3 Methodische Überlegungen bei der Analyse johanneischer Ethik
2.2.4 Zusammenfassung
3. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. aus ethischer Perspektive
3.1 H. Löhr (2012): Die ethische Wirkung von ἔργον
3.2 K. Weyer-Menkhoff (2012): Handelsdimensionen johanneischer Ethik
4. Ertrag und Grenzen bisheriger Forschungsbeiträge
3. Kapitel: Der eigene Ansatz
1. Hermeneutische Grundlegung
2. Lesesituation: Eigene Annahmen im Lesevorgang
2.1 Die Metapher der ‚Wurzeln und Flügelʻ beim Lesen
2.2 Lesen mit einer Perspektive der Einheit des JohEv
3. Entstehungssituation: Historische Verortung des JohEv
3.1 Minimalaussage über die historische Situation
3.2 Die Sprach- und Denkwelt des JohEv
4. Text: Linguistische Basis begriffsgeschichtlicher Studien
4.1 Sprachwissenschaftliche Grundlegung
4.2 Zur methodischen Umsetzung eines sprachwissenschaftlichen Ansatzes
4.2.1 Beschreibung einer semantischen Wortfelduntersuchung
4.2.2 Beschreibung eines korpuslinguistischen Zugangs
5. Sache: Methodische Überlegungen zur ethischen Fragestellung
5.1 Zur Methodologie einer impliziten Ethik im Allgemeinen
5.2 Fünf Analyseschritte einer ‚impliziten Ethik‘
5.2.1 Das Medium der Sprache: Sprachformen
5.2.2 Knotenpunkte der Ethik: Normen.
5.2.3 Reflexionsformen der Ethik: Moralische Signifikanz
5.2.4 Das Subjekt der Ethik: Ethische Urteilsträger
5.2.5 Die Reichweite der Ethik: Geltungsbereich
II. Teil: Ἔργον und ἐργάζεσθαι aus semantischer Perspektive
4. Kapitel: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles
1. Der Argumentationsgang des ἔργον-Arguments
1.1 Prämissen des ἔργον-Arguments
1.2 Der Argumentationsgang
2. Die Semantik des ἔργον-Arguments
2.1 Zur Übersetzung von ἔργον in der Nikomachischen Ethik
2.1.1 Diskussion verschiedener Übersetzungsvarianten
2.1.2 Übersetzungsvorschlag von P. Stemmer und seine Konsequenz
2.2 Sprachliche Phänomene im ‚Text des Aristoteles‘
3. Aristoteles und Johannes – ein intertextueller Brückenschlag
3.1 Die universalistische Prämisse und ihr Anspruch
3.2 Ethik ohne konkreter materialethischer Impulse
3.3 Die Einheit eines tugendhaften Charakters
3.4 Indirekte Anspielungen zwischen Aristoteles und Johannes
4. Zusammenfassung
5. Kapitel: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte
1. Konkretisierung eines korpuslinguistischen Zugangs
1.1 Die Verwendung repräsentativer Korpora
1.1.1 Geschichtsepoche und Sprache
1.1.2 Die Korpusgröße
1.1.3 Die Texttypen des (hellenistischen) Griechisch
1.1.4 Die Textgattung
1.1.5 Digitale Verfügbarkeit in annotierter Form
1.2 Die Notwendigkeit einer Annotation
1.3 Quantitative und qualitative Analyseverfahren
1.4 Fazit und Korpusüberblick
2. Zur Frequenz und Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι
2.1 Tabellarische Übersicht
2.2 Interpretativer Ertrag
2.2.1 Allgemeine Beobachtungen zur Signifikanz
2.2.2 Zusammenhang zwischen dem Nomen und dem Verb
2.2.3 Beobachtungen zum Numerus- und Kasusgebrauch
3. Sprachformen rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι
3.1 Kollokationen von ἔργον und ἐργάζεσθαι
3.2 Korrelation zwischen ἔργον und den gebrauchten Verben
3.3 Semantisch-orientierte Kollokationsanalyse
3.3.1 Allgemeine Beobachtungen
3.3.2 Beobachtungen zur moralischen Signifikanz
4. Zusammenfassung
6. Kapitel: Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv
1. Relation zwischen literarischem und semantischem Wortfeld
2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen
2.1 Kasus- und Numerus-Gebrauch von ἔργον im JohEv
2.2 Grammatikalischer Gebrauch von ἐργάζεσθαι
2.3 Syntaktische Verbindungen von ἔργον und ἐργάζεσθαι
2.3.1 Gattungsspezifische Aspekte
2.3.2 Monosemierung von ἔργον und ἐργάζεσθαι
2.3.3 Die mit ἔργον verknüpften Verben
2.4 Zusammenfassung
3. Semantische Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι
3.1 Angebote semantischer Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι
3.1.1 „Du bist, was du tust“
3.1.2 „An den Taten scheiden sich die Geister“
3.1.3 „Ich werde den Auftrag erfüllen“
3.1.4 „Ich und wir leisten etwas Besonderes“
3.1.5 „Prüfe mich und meine Werke. Und glaube mir“
3.2 Kohärenzgrade innerhalb semantischer Wortfelder
3.2.1 Synonyme im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι
3.2.2 Oppositionen im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι
3.2.3 Affinitäten, ‚typische Objekteʻ und Assoziationen
3.2.4 Motivzusammenhänge
4. Übersetzungsangebote von ἔργον im JohEv
5. Zusammenfassung
III. Teil: Ἔργον und ἐργάζεσθαι aus ethischer Perspektive im JohEv
7. Kapitel: Der Modus Vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21
1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι
1.1 Joh 3,18–21 als literarisches Echo des Prologs
1.2 Zum Stellenwert von Joh 3,1–21
1.3 Die Einführung und Entfaltung der Werksterminologie in Joh 3,18–21
1.4 Die Metaphorik in Joh 3,18–21
1.5 Die kognitivistische Metapherntheorie als Zugang zu Joh 3,18–21
1.6 Meine Leseperspektive: Joh 3,18–21 als Basistext der ἔργα
2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα
2.1 Sprachformen der Moral in Joh 3,18–21
2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 3,18–21
2.1.2 Zur Grammatik: Das γάρ in Joh 3,19d
2.1.3 Sprachformen moralischer Signifikanz?
2.2 Normen in Joh 3,18–21
2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von ‚die Wahrheit tun‘
2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
2.3 Reflexionsformen: Metaphorische Ethik
2.4 Der ethische Urteilsträger
2.5 Die Reichweite der Ethik
8. Kapitel: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘
1. Joh 4,31–34; 17,1–5: Der Menschensohn und sein ἔργον
1.1 Sprachformen der Moral in Joh 4,31–34; 17,1–5
1.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 4,31–34; 17,1–5
1.1.2 Grammatik: Das καὶ in Joh 4,34b–c
1.1.3 Sprachformen moralischer Signifikanz?
1.2 Normen in Joh 4,31–34 und Joh 17,1–5
1.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von τὸ βρῶμα
1.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
1.3 Reflexionsformen: Mimethische Ethik
1.4 Der ethische Urteilsträger
1.5 Die Reichweite der Ethik
2. Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31: Die Wirktätigkeit des Vaters mit dem Sohn
2.1 Sprachformen der Moral in Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31
2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31
2.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz?
2.2 Normen in Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31?
2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte der ‚Ausbildung des Sohnes‘
2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
2.3 Fazit zu Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31
3. Joh 8,37–41a: Ein Mensch (Abraham) des Lichts und seine ἔργα
3.1 Sprachformen der Moral in Joh 8,37–41a
3.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 8,37–41a (41b–47)
3.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz?
3.2 Normen in Joh 8,37–41a
3.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte der Figur des Abraham
3.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
3.3 Reflexionsformen: Mimetische Ethik
3.4 Der ethische Urteilsträger
3.5 Die Reichweite der Ethik
4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag
4.1 Sprachformen der Moral in Joh 9,1–5; 14,12
4.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 9,1–5; 14,12
4.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz?
4.2 Normen in Joh 9,1–5; 14,12
4.2.1 Zur Normendiskussion im Einzelnen
4.2.1.1 Zur Punktation in Joh 9,3–4
4.2.1.2 Der bezeichnete Gegenstand der ἔργα τοῦ θεοῦ
4.2.1.3 Joh 14,12 als exegetisches Problem
4.2.1.4 Was sind die außersprachlichen Referenten von ἡμέρα und νὺξ in Joh 9,4?
4.2.1.5 Wie ist das Lexem ὅταν in Joh 9,5 zu verstehen?
4.2.1.6 Wie ist die Metaphorik – „Jesus ist Licht“ – in Joh 9,5 zu deuten?
4.2.2 Konvention und Traditionsgeschichte des ‚Arbeitens bei Tag‘
4.2.3 Wertehierarchie einzelner Normen
4.3 Reflexionsformen: Metaphorische Ethik
4.4 Der ethische Urteilsträger
4.5 Die Reichweite der Ethik
9. Kapitel: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘
1. Joh 8,37f.41b–47: Der ‚Herr der Dunkelheitʻ und seine ἔργα
1.1 Sprachformen der Moral in Joh 8,37f.41b–47
1.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 8,37f.41b–47
1.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz?
1.2 Normen als Knotenpunkte der Ethik
1.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte ‚Gott ist unser Vater‘
1.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
1.3 Reflexionsformen: Mimetische Ethik am negativen Beispiel
1.4 Der ethische Urteilsträger
1.5 Die Reichweite der Ethik
2. Joh 15,18–25: Die ἔργα Jesu als Erweis der ‚Dunkelheit‘
2.1 Sprachformen der Moral in Joh 15,18–25
2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 15,18–25
2.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz?
2.2 Normen als Knotenpunkte der Ethik
2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte des Weisheitsspruches
2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
2.3 Reflexionsformen: Deontologische Argumentation
2.4 Der ethische Urteilsträger
2.5 Die Reichweite der Ethik
10. Kapitel: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘
1. Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘
1.1 Sprachformen der Moral in Joh 6,26–35
1.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 6,26–35
1.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz?
1.2 Normen in Joh 6,26–35
1.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von ἔργον τοῦ θεοῦ
1.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
1.3 Reflexionsformen: Metaphorische Ethik
1.4 Der ethische Urteilsträger
1.5 Die Reichweite der Ethik
2. Joh 7,2–9: Licht oder Dunkelheit in der Familie Jesu?
2.1 Sprachformen der Moral in Joh 7,2–9
2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 7,2–9
2.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz
2.2 Normen in Joh 7,2–9?
2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte eines ‚öffentlichen Wirkens‘
2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
2.3 Reflexionsformen: Narrative Ethik
2.4 Der ethische Urteilsträger
2.5 Die Reichweite der Ethik
3. Joh 7,15–24: Appell an die Gegner: Urteilt gerecht!
3.1 Sprachformen der Moral in Joh 7,15–24?
3.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 7,15–24
3.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz?
3.2 Normen in Joh 7,15–24
3.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von a minore ad maius
3.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
3.3 Reflexionsformen: Deontologische Logik
3.4 Der ethische Urteilsträger und Geltungsbereich
3.5 Die Reichweite der Ethik
4. Joh 10,32–42; 14,8–11: Der Appell zum Glauben um der ἔργα willen
4.1 Sprachformen der Moral in Joh 10,32–42; 14,8–11
4.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 10,32–42; 14,8–11
4.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz?
4.2 Normen in Joh 10,32–42; 14,8–11
4.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von ἔργα καλὰ
4.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen
4.3 Reflexionsformen: Teleologische Logik
4.4 Der ethische Urteilsträger
4.5 Die Reichweite der Ethik
Zusammenfassung
1. Zur Methodologie einer impliziten Ethik
2. Zur sprachwissenschaftlichen Methodik
3. Zur Semantik von ἔργον κτλ. im JohEv
3.1 Aristoteles über ἔργον
3.2 Ἔργον κτλ. im antiken Korpus
3.3 Ἔργον κτλ. im JohEv
4. Zur Ethik von ἔργον κτλ. im JohEv
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Altes Testament und Apokryphen
Neues Testament
Autorenregister
Sachregister
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Semantik und Ethik des Wortfeldes "Ergon" im Johannesevangelium: Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik / Contexts and Norms of New Testament ... Untersuchungen zum Neuen Testament 2. Reihe)
 3161546601, 9783161546600

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL) · Tobias Nicklas (Regensburg) J. Ross Wagner (Durham, NC)

431

Alexander Drews

Semantik und Ethik des Wortfeldes „Ergon“ im Johannesevangelium Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik/ Contexts and Norms of New Testament Ethics Band VIII

Mohr Siebeck

Alexander Drews, geboren 1976; 1999–2005 Studium der Ev. Theologie; 2005–16 u. a. Berufsberater; seit 2014 zugleich Leiter der Schulsozialarbeit, August-Hermann-FranckeSchulen in Lippe (Detmold); 2015 nebenberufl. Promotion in Ev. Theologie, Universität Siegen; seit 2016 u.a. Lehrer im Feststellungsverfahren für Ev. Religion am AHF-Gymnasium (Detmold).

e-ISBN PDF 978-3-16-154912-0 ISBN 978-3-16-154660-0 ISSN 0340-9570 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Meiner Frau

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015/2016 von der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen als Dissertation im Fach Evangelische Theologie (Exegese und Theologie des Neuen Testaments) angenommen. Sie erscheint in einer für den Druck überarbeiteten Form. Das afrikanische Sprichwort – „Wenn du schnell gehen willst, gehe allein. Wenn du weit gehen willst, geh mit anderen“ – umschreibt treffend die Begleitumstände dieser Studie. Denn sie ist nebenberuflich in einem Zeitraum von acht Jahren entstanden. Es war also ein langer Weg, der u. a. vom Familienzuwachs, einem Jobwechsel und damit verbundenen Wohnortwechsel inklusive einer umfangreichen Haussanierung geprägt war. Gleichwohl fanden sich auf dieser langen Wegstrecke viele Begleiter und Unterstützer, so dass die nun vorliegende Studie gerade dieser sozialen Interdependenz ihre Fertigstellung verdankt. Ich danke zunächst Prof. Dr. Bernd Kollmann (Siegen), der die Betreuung übernahm, die Fertigstellung mit konstruktivem Feedback begleitete und das Erstgutachten erstellt hat. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Ruben Zimmermann (Mainz). Er nahm noch zur Zeit seiner Bielefelder Lehrtätigkeit die Anfrage eines akademisch interessierten Berufstätigen positiv auf und regte die Idee für das Projekt an. Seine Begeisterung für das Johannesevangelium und seine Ermutigung zum Forschen am Text nehme ich gerne für meinen weiteren Lebensweg mit. Hervorheben möchte ich seine fachliche und menschlich-wohltuende Begleitung, die mir stets den passenden Freiraum wie auch den notwendigen Ansporn gegeben hat. Mein Dank gilt Prof. Dr. Jörg Frey als Herausgeber der Reihe „Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament“ für die positive Würdigung und die Aufnahme meiner Studie in die 2. Reihe. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Ulrich Volp, Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Horn und Prof Dr. Ruben Zimmermann für die Berücksichtigung in der Mainzer Reihe „Kontexte und Normen der neutestamentlichen Ethik/Contexts and Norms of New Testament Ethics“. Den Mitarbeitern von Mohr Siebeck danke ich für die kompetente und freundliche Betreuung bei der Drucklegung der Studie, insbesondere Philipp Henkys und Rebekka Zech für ihre sachdienlichen und geduldigen Rückmeldungen.

VIII

Vorwort

Vielen anderen Unterstützern auf dieser Wegstrecke gehört ebenfalls mein Dank: Meinen Eltern und Geschwistern danke ich für ihre vielfältigen und wohltuenden Hilfeleistungen. Theologisch interessierte Freunde regten immer wieder einen Austausch an und motivierten mich mit ihren Fragen. Die Begegnungen mit den Mitgliedern des Mainzer Zentrums für „Ethik in Antike und Christentum“ der Evangelischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz haben mich stets inspiriert und ermutigt, als externer Promovend an meinem Forschungsprojekt dran zu bleiben. Für unsere Kinder Sophia, Melissa, Vivien und Niklas bin ich dankbar. Sie haben in ihrer Kindlichkeit die Freude und die Schönheit des Lebens spürbar gemacht. Gewidmet ist dieses Buch meiner Frau Olga Drews, die über die Jahre hinweg den unzähligen Enttäuschungen und Frustrationserlebnissen mit Zuhören und Ermutigung begegnet ist. Sie war und ist mir eine liebevolle Gefährtin und Freundin. In allem Danken ist zuletzt an den zu erinnern, dem ich im Sinne der autobiographischen Notiz des Paulus – „χάριτι δὲ θεοῦ εἰμι ὅ εἰμι …“ (1Kor 15,10) – buchstäblich alles zu verdanken habe. Detmold, Februar 2017

Alexander Drews

Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................... 1 I. Teil:

Grundlagen 1. Kapitel: Thematische Hinführung ..................................................11 1. Besonderheiten johanneischer Sprache ....................................................11 2. Vorläufige Beobachtungen zu ἔργον κτλ....................................................14

2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick ...........................20 1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv ........................................20 1.1 Allgemeines............................................................................................21 1.1.1 R. Bultmann (1958): Die Werke sind ῥήματα Jesu .........................22 1.1.2 G. Delling (1966): Jesu Werk ist zentral im JohEv .........................23 1.2 Studien im Kontext der johanneischen σημεῖα ........................................24 1.2.1 W. Wilkens (1969): σημεῖον und ἔργον als literarisches Trennmittel .....................................................................................25 1.2.2 Chr. Welck (1994): σημεῖα als spezifische ἔργα Jesu .....................27 1.2.3 Chr. Karakolis (2012): Die ethische Wirkung von σημεῖον und ἔργον .......................................................................................28 1.3 Herausragende Untersuchungen über ἔργον κτλ. ....................................29 1.3.1 J. Riedl (1973): Das Standardwerk über ἔργον κτλ. im JohEv ........29 1.3.2 S. Pancaro (1975): Die ‚Werke tunʻ als nomistischer Begriff .........31 1.3.3 R. Heiligenthal (1983): ἔργον im Judentum und paganen Griechentum ...................................................................................32 1.3.4 F. Grob (1986): Das Tun der Werke drückt sich im Liebesgebot aus ..............................................................................33 1.3.5 G. van Belle (1994): Semantische Vielfalt von ἔργον .....................34

X

Inhaltsverzeichnis

1.3.6 P. W. Ensor (1996): ἔργον als verbaler Ausspruch Jesu..................35 1.3.7 A. J. Köstenberger (1998): Mission im JohEv und ἔργον ...............36 1.4 Zusammenfassung ..................................................................................36 2. Die Debatte um eine Ethik im JohEv ........................................................37 2.1 Zweifel an einer Ethik im JohEv .............................................................38 2.2 Deutungsversuche und -ansätze einer johanneischen Ethik .....................42 2.2.1 Die Einheit von Theologie und Ethik .............................................43 2.2.2 Die Gattung ‚Evangeliumʻ transportiert eine Ethik .........................44 2.2.3 Methodische Überlegungen bei der Analyse johanneischer Ethik ...45 2.2.4 Zusammenfassung ..........................................................................47 3. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. aus ethischer Perspektive ...............47 3.1 H. Löhr (2012): Die ethische Wirkung von ἔργον ...................................47 3.2 K. Weyer-Menkhoff (2012): Handelsdimensionen johanneischer Ethik ..48 4. Ertrag und Grenzen bisheriger Forschungsbeiträge .................................49

3. Kapitel: Der eigene Ansatz ..............................................................51 1. Hermeneutische Grundlegung ..................................................................51 2. Lesesituation: Eigene Annahmen im Lesevorgang ....................................55 2.1 Die Metapher der ‚Wurzeln und Flügelʻ beim Lesen ..............................56 2.2 Lesen mit einer Perspektive der Einheit des JohEv .................................57 3. Entstehungssituation: Historische Verortung des JohEv ...........................58 3.1 Minimalaussage über die historische Situation .......................................58 3.2 Die Sprach- und Denkwelt des JohEv .....................................................59 4. Text: Linguistische Basis begriffsgeschichtlicher Studien .........................60 4.1 Sprachwissenschaftliche Grundlegung ....................................................60 4.2 Zur methodischen Umsetzung eines sprachwissenschaftlichen Ansatzes .................................................................................................63 4.2.1 Beschreibung einer semantischen Wortfelduntersuchung ...............63 4.2.2 Beschreibung eines korpuslinguistischen Zugangs .........................65 5. Sache: Methodische Überlegungen zur ethischen Fragestellung ..............67 5.1 Zur Methodologie einer impliziten Ethik im Allgemeinen ......................68 5.2 Fünf Analyseschritte einer ‚impliziten Ethik‘ .........................................70

Inhaltsverzeichnis

XI

5.2.1 Das Medium der Sprache: Sprachformen .......................................70 5.2.2 Knotenpunkte der Ethik: Normen. ..................................................73 5.2.3 Reflexionsformen der Ethik: Moralische Signifikanz .....................74 5.2.4 Das Subjekt der Ethik: Ethische Urteilsträger .................................74 5.2.5 Die Reichweite der Ethik: Geltungsbereich ....................................75

II. Teil:

Ἔργον und ἐργάζεσθαι aus semantischer Perspektive 4. Kapitel: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles .............79 1. Der Argumentationsgang des ἔργον-Arguments ........................................81 1.1 Prämissen des ἔργον-Arguments .............................................................81 1.2 Der Argumentationsgang ........................................................................83 2. Die Semantik des ἔργον-Arguments...........................................................85 2.1 Zur Übersetzung von ἔργον in der Nikomachischen Ethik ......................85 2.1.1 Diskussion verschiedener Übersetzungsvarianten ...........................86 2.1.2 Übersetzungsvorschlag von P. Stemmer und seine Konsequenz .....89 2.2 Sprachliche Phänomene im ‚Text des Aristoteles‘ ..................................90 3. Aristoteles und Johannes – ein intertextueller Brückenschlag ..................92 3.1 Die universalistische Prämisse und ihr Anspruch ....................................94 3.2 Ethik ohne konkreter materialethischer Impulse .....................................96 3.3 Die Einheit eines tugendhaften Charakters .............................................97 3.4 Indirekte Anspielungen zwischen Aristoteles und Johannes ...................99 4. Zusammenfassung................................................................................... 101

5. Kapitel: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte..... 104 1. Konkretisierung eines korpuslinguistischen Zugangs..............................105 1.1 Die Verwendung repräsentativer Korpora ............................................. 105 1.1.1 Geschichtsepoche und Sprache .....................................................107 1.1.2 Die Korpusgröße .......................................................................... 107 1.1.3 Die Texttypen des (hellenistischen) Griechisch ............................ 108 1.1.4 Die Textgattung............................................................................ 109

XII

Inhaltsverzeichnis

1.1.5 Digitale Verfügbarkeit in annotierter Form .................................. 110 1.2 Die Notwendigkeit einer Annotation .................................................... 110 1.3 Quantitative und qualitative Analyseverfahren ..................................... 111 1.4 Fazit und Korpusüberblick....................................................................112 2. Zur Frequenz und Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι ........................ 116 2.1 Tabellarische Übersicht ........................................................................ 116 2.2 Interpretativer Ertrag ............................................................................ 118 2.2.1 Allgemeine Beobachtungen zur Signifikanz .................................119 2.2.2 Zusammenhang zwischen dem Nomen und dem Verb ..................120 2.2.3 Beobachtungen zum Numerus- und Kasusgebrauch .....................121 3. Sprachformen rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι ......................................... 121 3.1 Kollokationen von ἔργον und ἐργάζεσθαι ............................................. 122 3.2 Korrelation zwischen ἔργον und den gebrauchten Verben ....................125 3.3 Semantisch-orientierte Kollokationsanalyse ......................................... 127 3.3.1 Allgemeine Beobachtungen .......................................................... 129 3.3.2 Beobachtungen zur moralischen Signifikanz ................................129 4. Zusammenfassung................................................................................... 131

6. Kapitel: Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv ................................................................................................. 134 1. Relation zwischen literarischem und semantischem Wortfeld ................. 135 2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen ................................................... 137 2.1 Kasus- und Numerus-Gebrauch von ἔργον im JohEv ............................ 137 2.2 Grammatikalischer Gebrauch von ἐργάζεσθαι ...................................... 138 2.3 Syntaktische Verbindungen von ἔργον und ἐργάζεσθαι ........................ 139 2.3.1 Gattungsspezifische Aspekte ........................................................ 139 2.3.2 Monosemierung von ἔργον und ἐργάζεσθαι ................................. 144 2.3.3 Die mit ἔργον verknüpften Verben ............................................... 145 2.4 Zusammenfassung ................................................................................ 147 3. Semantische Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι .................................148 3.1 Angebote semantischer Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι ............. 148 3.1.1 „Du bist, was du tust“ ................................................................... 149 3.1.2 „An den Taten scheiden sich die Geister“ ..................................... 150 3.1.3 „Ich werde den Auftrag erfüllen“ ................................................. 151

Inhaltsverzeichnis

XIII

3.1.4 „Ich und wir leisten etwas Besonderes“ ........................................ 152 3.1.5 „Prüfe mich und meine Werke. Und glaube mir“.......................... 152 3.2 Kohärenzgrade innerhalb semantischer Wortfelder ............................... 153 3.2.1 Synonyme im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι ........................ 153 3.2.2 Oppositionen im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι ...................154 3.2.3 Affinitäten, ‚typische Objekteʻ und Assoziationen ....................... 156 3.2.4 Motivzusammenhänge .................................................................. 156 4. Übersetzungsangebote von ἔργον im JohEv ............................................ 157 5. Zusammenfassung................................................................................... 159

III. Teil:

Ἔργον und ἐργάζεσθαι aus ethischer Perspektive im JohEv 7. Kapitel: Der Modus Vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21........................................................................................ 163 1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι .......................... 165 1.1 Joh 3,18–21 als literarisches Echo des Prologs ..................................... 165 1.2 Zum Stellenwert von Joh 3,1–21 ..........................................................167 1.3 Die Einführung und Entfaltung der Werksterminologie in Joh 3,18–21 .......................................................................................... 167 1.4 Die Metaphorik in Joh 3,18–21.............................................................169 1.5 Die kognitivistische Metapherntheorie als Zugang zu Joh 3,18–21 ....... 173 1.6 Meine Leseperspektive: Joh 3,18–21 als Basistext der ἔργα ................. 175 2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα .........................177 2.1 Sprachformen der Moral in Joh 3,18–21 ............................................... 177 2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 3,18–21................................... 178 2.1.2 Zur Grammatik: Das γάρ in Joh 3,19d .......................................... 179 2.1.3 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................182 2.2 Normen in Joh 3,18–21 .........................................................................185 2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von ‚die Wahrheit tun‘ ......186 2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 188 2.3 Reflexionsformen: Metaphorische Ethik ............................................... 190 2.4 Der ethische Urteilsträger ..................................................................... 193 2.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 193

XIV

Inhaltsverzeichnis

8. Kapitel: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘ ....................................196 1. Joh 4,31–34; 17,1–5: Der Menschensohn und sein ἔργον .......................196 1.1 Sprachformen der Moral in Joh 4,31–34; 17,1–5 .................................. 197 1.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 4,31–34; 17,1–5 ......................197 1.1.2 Grammatik: Das καὶ in Joh 4,34b–c ............................................. 198 1.1.3 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................199 1.2 Normen in Joh 4,31–34 und Joh 17,1–5 ................................................203 1.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von τὸ βρῶμα .................... 204 1.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 204 1.3 Reflexionsformen: Mimethische Ethik .................................................. 205 1.4 Der ethische Urteilsträger ..................................................................... 206 1.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 207 2. Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31: Die Wirktätigkeit des Vaters mit dem Sohn ....................................................................................................207 2.1 Sprachformen der Moral in Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31 .................... 208 2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31 .......208 2.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................209 2.2 Normen in Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31? ............................................211 2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte der ‚Ausbildung des Sohnes‘.........................................................................................212 2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 213 2.3 Fazit zu Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31 ..................................................213 3. Joh 8,37–41a: Ein Mensch (Abraham) des Lichts und seine ἔργα ........... 214 3.1 Sprachformen der Moral in Joh 8,37–41a ............................................. 214 3.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 8,37–41a (41b–47) .................. 214 3.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................215 3.2 Normen in Joh 8,37–41a .......................................................................216 3.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte der Figur des Abraham ...... 217 3.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 218 3.3 Reflexionsformen: Mimetische Ethik ................................................... 219 3.4 Der ethische Urteilsträger ..................................................................... 221 3.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 222 4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag .................. 222 4.1 Sprachformen der Moral in Joh 9,1–5; 14,12 ........................................ 223 4.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 9,1–5; 14,12 ............................223 4.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................223 4.2 Normen in Joh 9,1–5; 14,12 ..................................................................225

Inhaltsverzeichnis

XV

4.2.1 Zur Normendiskussion im Einzelnen ............................................225 4.2.1.1 Zur Punktation in Joh 9,3–4 ................................................... 225 4.2.1.2 Der bezeichnete Gegenstand der ἔργα τοῦ θεοῦ .....................226 4.2.1.3 Joh 14,12 als exegetisches Problem ........................................ 227 4.2.1.4 Was sind die außersprachlichen Referenten von ἡμέρα und νὺξ in Joh 9,4? ................................................................ 230 4.2.1.5 Wie ist das Lexem ὅταν in Joh 9,5 zu verstehen? ................... 232 4.2.1.6 Wie ist die Metaphorik – „Jesus ist Licht“ – in Joh 9,5 zu deuten? ..............................................................................232 4.2.2 Konvention und Traditionsgeschichte des ‚Arbeitens bei Tag‘ ..... 232 4.2.3 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 233 4.3 Reflexionsformen: Metaphorische Ethik ............................................... 233 4.4 Der ethische Urteilsträger ..................................................................... 235 4.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 236

9. Kapitel: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘ ............................ 237 1. Joh 8,37f.41b–47: Der ‚Herr der Dunkelheitʻ und seine ἔργα ................. 238 1.1 Sprachformen der Moral in Joh 8,37f.41b–47 ....................................... 238 1.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 8,37f.41b–47 .......................... 238 1.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................239 1.2 Normen als Knotenpunkte der Ethik ..................................................... 240 1.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte ‚Gott ist unser Vater‘ ........ 241 1.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 242 1.3 Reflexionsformen: Mimetische Ethik am negativen Beispiel ................ 243 1.4 Der ethische Urteilsträger ..................................................................... 244 1.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 246 2. Joh 15,18–25: Die ἔργα Jesu als Erweis der ‚Dunkelheit‘ ......................247 2.1 Sprachformen der Moral in Joh 15,18–25 ............................................. 247 2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 15,18–25 ................................. 247 2.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................247 2.2 Normen als Knotenpunkte der Ethik ..................................................... 249 2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte des Weisheitsspruches....... 249 2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 250 2.3 Reflexionsformen: Deontologische Argumentation .............................. 250 2.4 Der ethische Urteilsträger ..................................................................... 251 2.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 251

XVI

Inhaltsverzeichnis

10. Kapitel: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘ .........253 1. Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘ ................... 256 1.1 Sprachformen der Moral in Joh 6,26–35 ............................................... 256 1.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 6,26–35................................... 256 1.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................256 1.2 Normen in Joh 6,26–35 .........................................................................258 1.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von ἔργον τοῦ θεοῦ ...........260 1.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 262 1.3 Reflexionsformen: Metaphorische Ethik ............................................... 263 1.4 Der ethische Urteilsträger ..................................................................... 265 1.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 266 2. Joh 7,2–9: Licht oder Dunkelheit in der Familie Jesu? ..........................266 2.1 Sprachformen der Moral in Joh 7,2–9 ................................................... 266 2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 7,2–9 ...................................... 266 2.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz ......................................... 266 2.2 Normen in Joh 7,2–9? ...........................................................................269 2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte eines ‚öffentlichen Wirkens‘ .......................................................................................270 2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 270 2.3 Reflexionsformen: Narrative Ethik .......................................................271 2.4 Der ethische Urteilsträger ..................................................................... 273 2.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 274 3. Joh 7,15–24: Appell an die Gegner: Urteilt gerecht! .............................. 274 3.1 Sprachformen der Moral in Joh 7,15–24? ............................................. 275 3.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 7,15–24................................... 275 3.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................275 3.2 Normen in Joh 7,15–24 .........................................................................276 3.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von a minore ad maius ...... 277 3.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 277 3.3 Reflexionsformen: Deontologische Logik .............................................277 3.4 Der ethische Urteilsträger und Geltungsbereich .................................... 278 3.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 279 4. Joh 10,32–42; 14,8–11: Der Appell zum Glauben um der ἔργα willen ....279 4.1 Sprachformen der Moral in Joh 10,32–42; 14,8–11 .............................. 280 4.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 10,32–42; 14,8–11 ..................280 4.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? .......................................280 4.2 Normen in Joh 10,32–42; 14,8–11 ........................................................ 281

Inhaltsverzeichnis

XVII

4.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von ἔργα καλὰ................... 283 4.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen ............................................... 283 4.3 Reflexionsformen: Teleologische Logik ...............................................283 4.4 Der ethische Urteilsträger ..................................................................... 284 4.5 Die Reichweite der Ethik ...................................................................... 284

Zusammenfassung ................................................................................ 286 1. Zur Methodologie einer impliziten Ethik................................................. 287 2. Zur sprachwissenschaftlichen Methodik ................................................. 289 3. Zur Semantik von ἔργον κτλ. im JohEv .................................................... 290 3.1 Aristoteles über ἔργον ........................................................................... 291 3.2 Ἔργον κτλ. im antiken Korpus .............................................................. 292 3.3 Ἔργον κτλ. im JohEv ............................................................................ 293 4. Zur Ethik von ἔργον κτλ. im JohEv ..........................................................295

Literaturverzeichnis.............................................................................. 299 Stellenregister ........................................................................................ 317 Autorenregister ...................................................................................... 321 Sachregister ............................................................................................ 323

Abbildungen und Tabellen Abbildungen Abb. 1: Gebrauch von ἔργον und ἐργάζεσθαι im NT ........................................ 15 Abb. 2: Modell des Lesevorgangs und des methodischen Aufbaus .................. 54 Abb. 3: Überblick der Analyseschritte einer impliziten Ethik ..........................70 Abb. 4: Die Einheit einer tugendhaften Person ................................................. 98 Abb. 5: Graphische Darstellung der Argumentation zu Joh 3,18–21 .............. 175 Abb. 6: Wertehierarchie in Joh 3,18–21.......................................................... 189 Abb. 7: Die Sphäre des Kosmos...................................................................... 273

Tabellen Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5:

Verteilung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv ...........................17 Die Handlungsträger von ἔργον und ἐργάζεσθαι ........................... 18 Grammatische Imperativformen im Koiné-Griechisch .................. 72 Übersetzungsangebote von ἔργον in der Nikomachischen Ethik ... 86 Anspielungen zwischen der Nikomachischen Ethik und dem JohEv ............................................................................................ 100 Tabelle 6: Texttypen mit Beispielen ............................................................. 109 Tabelle 7: Überblick über einen repräsentativen Korpus .............................. 110 Tabelle 8: Korpusüberblick mit Details zu den einzelnen Texten................. 114 Tabelle 9: Frequenz und Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι.................. 117 Tabelle 10: Kollokationen von ἔργον und ἐργάζεσθαι bei vier Token links und rechts ..................................................................................... 122 Tabelle 11: Kookkurrierende Verben mit ἔργον ............................................. 125 Tabelle 12: Systematische Übersicht der Verbformen .................................... 126 Tabelle 13: ἔργον und ἐργάζεσθαι nach semantischen Bereichen geordnet .... 128 Tabelle 14: Kollokationen mit einem ethischen Sinngehalt ............................ 130 Tabelle 15: Kasus- und Numerus-Gebrauch von ἔργον .................................. 137 Tabelle 16: Genera verbi, Tempus und Modi von ἐργάζεσθαι ........................ 139 Tabelle 17: ἔργον und ἐργάζεσθαι im ‚Textʻ des Evangeliums ...................... 141 Tabelle 18: Monosemierung von ἔργον und ἐργάζεσθαι................................. 144 Tabelle 19: Kookkurierende Verben mit ἔργον im gleichen Bibelvers ........... 146

Abbildungen und Tabellen

XIX

Tabelle 20: Kookkurierende Verben mit ἔργον im selben Satz....................... 146 Tabelle 21: Wichtige Begriffe rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι ...................... 148 Tabelle 22: Oppositionen im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι .................. 154 Tabelle 23: Akteure gegenüber Christus ......................................................... 155 Tabelle 24: Angebote außersprachlicher Referenten von ἔργον ..................... 157 Tabelle 25: Normen in Joh 3,18–21 ................................................................ 185 Tabelle 26: Normen in Joh 4,31–34; 17,1–5 ................................................... 203 Tabelle 27: Normen in Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31 .................................... 211 Tabelle 28: Textstruktur von Joh 8,37–47....................................................... 214 Tabelle 29: Normen in Joh 8,37–41a .............................................................. 216 Tabelle 30: Normen in Joh 9,1–5; 14,12 ......................................................... 225 Tabelle 31: Metaphorische Ethik in Joh 9,1–5; 14,12 ..................................... 234 Tabelle 32: Die Textstruktur von Joh 8,37–47 ................................................ 238 Tabelle 33: Normen in Joh 8,41b–47 .............................................................. 241 Tabelle 34: Die Dualität zwischen der Welt und Jesus in Joh 15,18–25 ......... 248 Tabelle 35: Normen in Joh 15,18–25 .............................................................. 249 Tabelle 36: Normen in Joh 6,26–35 ................................................................ 259 Tabelle 37: Normen in Joh 7,2–9 .................................................................... 269 Tabelle 38: Normen in Joh 7,15–24 ................................................................ 276 Tabelle 39: Normen in Joh 10,32–42; 14,8–11 ............................................... 282

Einleitung μὴ γίνου θρασὺς ἐν γλώσσῃ σου καὶ νωθρὸς καὶ παρειμένος ἐν τοῖς ἔργοις σου. Sei nicht übermütig in deiner Sprache und träge und schlaff in deinen Werken (Ben Sira).1

Die Gegenüberstellung von Werken und Worten kommt in Sprichwörtern und Redewendungen verschiedener Kulturen vor. Zu denken ist etwa an das deutsche Sprichwort „große Worte, kleine Werke“. Und auch die englischen Redewendungen „action speaks louder than words“ und „deeds are fruits, words are but leaves“ heben die Bedeutung der Taten hervor, während das tatarische Sprichwort – „Sprich nicht samtene Worte, wenn du nur steinerne Taten ausführen kannst“ – eine Zurückhaltung in Worten anmahnt, wenn positiven sprachlichen Äußerungen nicht qualitativ entsprechende Taten folgen. Der aus Uganda stammende Spruch – „Freundliche Worte sind leicht, Freundschaft ist schwer“2 – weist auf die Bürde hin, die Handlungen der Freundschaft im Gegensatz zu leicht daher gesagten Worten in sich tragen. Und so lässt auch J. W. von Goethe (1749–1832) den Theaterdirektor in der Tragödie Faust eloquent sagen: „Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehen! Indes ihr Komplimente drechselt, kann etwas Nützliches geschehen.“3 J. W. von Goethe bringt damit die Priorität der Handlungen auf den Punkt. Der Leichtigkeit, mit der viele Worte über die Lippen gehen, steht die Ernsthaftigkeit, die durch Werke erwiesen wird, gegenüber. Werke sind demnach gewichtiger als Worte. Deshalb ist das Reden immer wieder mit einem skeptischen Unterton belegt und kann zum Gerede verkommen. Die ethische Wirkung vieler Sprichwörter in diesem Themenfeld zielt darauf ab, das eigene Handeln am Gesagten auszurichten bzw. den Werken an sich den Vorzug zu geben. Die Werke sollen kultiviert werden und damit an Qualität zunehmen. Wer das beherzigt, erweist sich als integer. Und die getätigten Werke fallen auf den Menschen zurück, denn sie offenbaren seinen eigentlichen Charakter. „Sie 1

Sir 4,29. SCHEFTER 2012; KROHN 2006–2012. In pagan-griechischen Texten sind Worte „nur Schatten oder Abbilder der Werke“ (HEILIGENTHAL 1983:14). 3 G OETHE 2010:14. Für weitere literarische Beispiele zur Hochschätzung der Tat und eine zeitgenössische Einordnung im 19.–20. Jahrhundert sowie diesbezügliche Haltung R. Bultmanns vgl. HAMMANN 2012:210–212. 2

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Einleitung

sind Mittel zur Beurteilung des ἦθος.“4 Und beständig praktiziert werden sie noch viel mehr als das. Denn sie wirken identitätsstiftend, so wie es J. G. Van der Watt prägnant formuliert: „deeds confirm identity“5. Die Bedeutung der tätigen Werke ist auch in der Theologiegeschichte gut bekannt und es haben sich hierbei diverse Diskurse ergeben.6 Zu erwähnen sind die Ausführungen des Paulus auf dem Hintergrund seiner Rechtfertigungslehre (Gal 2,16; Röm 2,14–16; 3,20.27; 15,18 u. a.) und die Forderung des Jakobus nach einem Glauben mit Werken (Jak 2,14–26). Die Rezeption dieser Texte, die nicht zuletzt in der Interpretation M. Luthers7 und im 20. Jahrhundert in der Debatte um die „new perspective on Paul“ gipfelt, ist in ihrer Fülle nur mit Mühe zu überblicken. Auch der Diskurs um das Syntagma ‚Werke des Gesetzesʻ hat hier in letzter Zeit eine Art Vorrangstellung erfahren.8 In der Geschichte der kirchlichen Arbeit ist im Blick auf die Werke an J. H. Wichern (1808–1881) zu erinnern, der im 19. Jahrhundert „Werke der helfenden, rettenden Liebe an den sittlich Verlorenen, Verirrten und Verlassenen im Volke“9 durch die Kirche einfordert und in der Folge als Begründer der ‚Inneren Mission‘ in der evangelischen Kirche gesehen wird. Wie M. Luther sieht J. H. Wichern die „Werke der Barmherzigkeit“ als eine folgerichtige „Betätigung des (...) gewonnenen Glaubens“10 an. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass er die Interrelation zwischen Glauben und Werken im zitierten Vortrag mit dem Vorbild Jesu nach dem Johannesevangelium (JohEv) – „so glaubet mir doch um der Werke willen“ (Joh 14,11) – begründet: „Die Aufgabe der Kirche und ihrer wahren Glaubensgenossen bleibt es, (...) in der Förderung der mannigfaltigen Werke der Liebe nicht zu ermüden.“11 Solche und ähnliche wirkungsgeschichtlichen Interpretationen über die theologische Bedeutung der Werke sind besonders aus dem Corpus Paulinum bzw. dem Jakobusbrief abgeleitet worden. Demgegenüber ist der Bezug auf das JohEv bzw. das Corpus Johanneum kaum – und J. H. Wichern ist hier eine 4 HEILIGENTHAL 1983:2. Ähnlich formuliert der chinesische Philosoph Konfuzius (551– 479 v. Chr.): „Ein edler Mensch beurteilt niemanden nur nach seinen Worten. In einer kultivierten Welt blühen Taten, in einer unkultivierten Welt Worte“ (bei KROHN 2006–2012). 5 V AN DER WATT 2009a:14. Für eine Hommage auf die Sprache (des Menschen) siehe SCHWANKL 1995:8–10. 6 Ähnliche Ausführungen siehe LÖHR 2012:229f. 7 Im theologischen Wörterbuch RGG wird der Leser beim Nachschlagen des Begriffs Werk auf den Artikel ‚Gute Werkeʻ – „ein metasprachlicher Begriff, der aus der christl. konfessionellen Theologiediskussion des 16. Jh. stammt“ – verwiesen (BELTZ, KRÖTKE & ULRICH 2007:1343). 8 Vgl. BACHMANN 2013:30; FREY 2012:466–469; W OLTER 2013:358–360. 9 WICHERN 1969:160f (Hervorhebung im Original). Siehe auch LAEPPLE 2008:112. J. H. Wicherns Engagement für die ‚Schwachenʻ wird u. a. durch die negativen Folgen der Industrialisierung in Hamburg hervorgerufen. 10 W ICHERN 1969:152. 11 W ICHERN 1969:163.

Einleitung

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Ausnahme – erprobt worden. Und dies geschah trotz des Umstandes, dass die griechischen Entsprechungen ἔργον und ἐργάζεσθαι, die sprachgeschichtlich wie das deutsche Wort Werk auf dieselbe Wurzel zurückgehen12, sich im Text des vierten Evangeliums besonders häufen. Deshalb ist notwendig zu untersuchen, wofür diese zentralen Begriffe antiker Ethik13 in einem allgemein als unethisch empfundenem und viele Reden enthaltenden Evangelium14 stehen und inwiefern sie Rückschlüsse auf eine Ethik im JohEv erlauben. Die Hauptthese15 dieser Arbeit ist, dass das JohEv mit ἔργον und ἐργάζεσθαι zwei mehrdeutige Lexeme einführt, die neben theologischen gerade auch ethische Perspektiven eröffnen. Johannes gebraucht diese Begriffe zweckbestimmt 16, die je nach textlichem Zusammenhang ihre eigene Semantik erhalten, polysem in Erscheinung treten und das Verständnis einer Ethik im vierten Evangelium vertiefen. Es geht folglich um eine zweifache Annahme, die im Verlauf dieser Studie zu begründen ist. (1) Die Lexeme ἔργον und ἐργάζεσθαι kommen weder zufällig noch beiläufig vor, sondern sind zentral mit der Textwelt des Evangeliums verbunden. Sie werden deshalb für eine exegetische Untersuchung als relevant betrachtet. (2) Zum anderen eröffnet ihre semantische Mehrdeutigkeit vielversprechende Perspektiven für eine Theologie und Ethik des JohEv. Denn die von Jesus an seine Jünger aufgetragenen Werke sollen seinem Vorbild entsprechend gewirkt werden (Joh 14,12). Und auch die Menge fragt an zentraler Stelle: „Was sollen wir machen, damit wir die Werke Gottes erfüllen?“17 Im Hinblick auf eine Ethik des vierten Evangeliums haben diese Begriffe das Potenzial, das Verständnis einer „ethischen Theologie“ (U. Schnelle) bei Johannes zu bereichern.18 Aus dieser Hauptthese mit ihren Annahmen ergibt sich eine doppelte Aufgabe für die Exegese. (1) Der Exeget19 wird, wenn er an diesen in der antiken Ethik geprägten Begriffen interessiert ist, Fragen zur Semantik stellen: Welche semantischen Perspektiven ergeben sich bei der Verwendung der bezeichneten Begriffe? Ist 12

Vgl. BACHMANN 2005:83; THAYER 1998–2000:Nr. 2173; WEINGART 1997:2. Vgl. HEILIGENTHAL 1983:viii. 14 Zu den Besonderheiten des JohEv im Vergleich zu den Synoptikern siehe KOLLMANN 2014b:141f. 15 Zur Abgrenzung des Begriffs These vgl. R OSERT 2011:1f. 16 Vgl. GROB 1986:20f. 17 Gefragt wird Jesus: τί ποιῶμεν ἵνα ἐργαζώμεθα τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ; (Joh 6,28). 18 Angeregt wurde diese Themenstellung zuerst von Prof. Dr. R. Zimmermann im August 2006 in Bielefeld. Auch Prof. Dr. J. G. van der Watt bestätigte in einem am 08. Juli 2009 in Mainz geführten Gespräch, dass seine eigene Durchsicht einschlägiger Kommentare zum JohEv kaum brauchbare Erkenntnisse zum Begriff ἔργον liefern konnte und eine Studie darüber wünschenswert sei. 19 Maskuline bzw. feminine Formulierungen sind stets inklusiv gemeint. Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichte ich auf die explizite Nennung des jeweils anderen Geschlechts. 13

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Einleitung

ἔργον ein terminus technicus, ein ‚Allerweltswortʻ oder ein ‚Bildbegriff‘? Inwieweit werden verschiedene Sememe20 im JohEv deutlich? Was ist der im jeweiligen Kontext bezeichnete Gegenstandsbereich? Wie werden ἔργον und ἐργάζεσθαι in anderen antiken Texten verwendet und welche Perspektiven ergeben sich daraus für das Vorkommen dieses Wortfeldes bei Johannes? (2) Und der Exeget wird danach fragen, welchen Beitrag diese Begriffe zur Ethik bei Johannes leisten: Inwieweit kann die untersuchte Wortfamilie für das Verständnis einer johanneischen Ethik Impulse geben? Was lässt sich aus der semantischen Untersuchung für die Ethik des JohEv ableiten bzw. wie ethisch ist die Theologie des JohEv? Sind die Lexeme ein Indiz für eine implizite Ethik bei Johannes? Hat z. B. die Rede von den „größeren Werken“ (Joh 14,12) eine ethische Wirkung für die Sendung der Jünger? Wozu möchte Johannes seine Leser durch die Verwendung der Begriffe herausfordern? Und zu welcher Art Bewertung wird der Leser als ethisches Subjekt angeleitet? Eine an der Ethik interessierte Studie sollte nach F. W. Horn eine breite Herangehensweise21 umsetzen, die sowohl den historisch-sozialgeschichtlichen als auch den theologischen Hintergrund der neutestamentlichen Texte würdigt: Die Aufgabe muss meines Erachtens lauten, die Ethik des NT im Kontext antiker Diskurse in hellenistisch-römischer Zeit und innerhalb der sozialen Wirklichkeit der frühen Kaiserzeit wahrzunehmen und ihre Einbindung in die frühchristliche Theologie zu bedenken.22

Diese berechtigte Erwartung widerspricht aber nicht einer sachgemäßen Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes, die schon allein aus methodischen Gesichtspunkten bei einer wissenschaftlichen Fragestellung stets vorzunehmen ist. Zudem soll nicht die Ethik des JohEv, sondern die moralische Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι im Evangelium nach Johannes untersucht werden. Dementsprechend geben die Lexeme ἔργον und ἐργάζεσθαι selbst die Grenzen dieser Arbeit vor. Ihre Begrenzung konkretisiert sich in dreifacher Weise. (1) Andere Begriffe der Wortfamilie (ἐργάτης und ἐργασία) und andere Schriften des Corpus Johanneum sowie des NT werden als eigene Untersuchungsgrößen nicht berücksichtigt.23 (2) In der neutestamentlichen Forschung ist ἔργον häufig im Schatten des Begriffs σημεῖον interpretiert worden. Letzterer hat ein starkes, an der Literarkritik und Semantik orientiertes Forschungsinteresse hervorgerufen. Aufgrund einer solchen Forschungssituation und wegen einer inhaltlichen Abgrenzung wird der σημεῖον-Begriff in dieser Arbeit nicht eigenständig untersucht. Nur 20

Bedeutungsvarianten eines Wortes sind Sememe (vgl. SCHIPPAN 1975:30). Siehe als Anschauungsbeispiel dafür HAYS 1996:3–7; 2006:3–19. 22 H ORN 2011:Pkt. 3. 23 Der Gebrauch von ἔργον und ἐργάζεσθαι in den Johannesbriefen und der Apokalypse wird nur einmal als Vergleich herangezogen. Eine Untersuchung dieser neutestamentlichen Schriften erfordert wegen der unterschiedlichen Literaturgattungen ein anderes methodisches Vorgehen und wird daher ausgeblendet. 21

Einleitung

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dort, wo in der exegetischen Arbeit am Text der σημεῖον-Begriff „in close connection with ἔργον“24 erscheint, gehe ich auf die kontextuelle Bedeutung von σημεῖον ein. (3) Schließlich ist wegen der Beschränkung auf die beiden Lexeme eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Ethik des JohEv nicht leistbar. Gewiss werden Teilaspekte der jüngsten Forschungsdiskussion aufgenommen – insbesondere die Methodologie einer impliziten Ethik – und für meinen eigenen Untersuchungsgegenstand fruchtbar gemacht. Die Arbeit verbleibt jedoch bei der Frage, ob und inwiefern die beiden Lexeme im Text des vierten Evangeliums eine moralische Signifikanz transportieren und beim Leser bewirken. Die vorliegende Untersuchung teilt sich das Forschungsvorhaben folgendermaßen auf. Im I. Teil: Grundlagen führt das erste Kapitel inhaltlich in die Fragestellung ein, indem es die Besonderheiten der johanneischen Sprache und einige phänomenologische Beobachtungen über ἔργον und ἐργάζεσθαι skizziert. Eine solche inhaltliche Annäherung sensibilisiert für die sprachlichen Besonderheiten des Evangeliums und bereitet zudem die Basis für eine sachgemäße Einschätzung der im zweiten Kapitel folgenden Forschungsbeiträge vor. Besonderes Augenmerk liegt hier auf der Darstellung der jüngsten Debatte um eine johanneische Ethik und der Forschungsbeiträge, die sich um eine Untersuchung der Ethik bei Johannes sowie der Analyse von ἔργον und ἐργάζεσθαι bemühen. Das dritte Kapitel schließt den Grundlagenteil ab, indem es die wesentlichen Ergebnisse der ersten zwei Kapitel auswertet, Rechenschaft über den eigenen methodischen Ansatz gibt und Leitlinien für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand entwickelt. Im II. Teil: Ἔργον und ἐργάζεσθαι aus semantischer Perspektive nehme ich die Forderung nach einer breiten Herangehensweise im „Kontext antiker Diskurse“ (F. W. Horn) auf und untersuche die sprachliche Verwendung von ἔργον und ἐργάζεσθαι in ausgewählten antiken Texten und im JohEv. Damit wird nicht eine direkte intertextuelle Relation zum JohEv postuliert. Vielmehr soll dieses Unterfangen die semantische Vielfalt der untersuchten Begriffe verdeutlichen. Zudem bilden andere antike Texte eine Vergleichsgröße zum Evangelium nach Johannes. Eröffnet wird dieser Teil im vierten Kapitel mit der Darstellung und Würdigung des ἔργον-Arguments von Aristoteles, das in der Wirkungsgeschichte des Nomens eine breite Rezeption erfahren hat. Dabei liegt der Fokus auf der sprachlichen Verwendung von ἔργον und den sich daraus ergebenden ethischen Perspektiven der Nikomachischen Ethik. Und auch hier schränke ich mich insofern ein, als dass ich nicht die aristotelische Ethik en bloc darstelle, sondern nur die Semantik des ἔργον-Arguments analysiere sowie die ethische Reflexion bei Aristoteles mit der im JohEv in Beziehung setze. Ziel einer solchen Analyse 24

KÖSTENBERGER 1998:29.

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Einleitung

ist es also, das spezifisch-semantische Verständnis von Aristoteles über ἔργον darzustellen und eine intertextuelle Anbindung des ἔργον-Arguments mit dem JohEv auf dem Hintergrund antiker Tugend- und Lebenskunstethik zu erörtern. Im fünften Kapitel untersuche ich ἔργον und ἐργάζεσθαι mit Hilfe der computerunterstützten Korpuslinguistik, weil dieser neuere Zugang der Sprachwissenschaften methodische Schwächen früherer begriffsgeschichtlicher Studien überwinden kann, indem er eine empirisch-induktive Herangehensweise begünstigt. Dabei wird diese Methode der Sprachwissenschaften, die im dritten Kapitel der Arbeit in Ansätzen skizziert wird, zunächst umfassend dargestellt und für meine Fragestellung angepasst. Danach ist eine Sammlung schriftlicher Texte (Korpus) festzulegen, die die Basis für die im nächsten Schritt folgende Auswertung der sprachlichen Verwendung von ἔργον und ἐργάζεσθαι bilden. Im Fokus steht die Semantik von ἔργον und ἐργάζεσθαι im betreffenden Korpus, die empirisch-induktiv analysiert und dargestellt wird. Das sechste Kapitel schränkt sich auf den Text des Evangeliums ein und untersucht die Semantik von ἔργον und ἐργάζεσθαι. Damit bildet es indirekt einen Vergleichspunkt zu den Ergebnissen des korpuslinguistischen Zugangs. Auf der Grundlage neuerer sprachwissenschaftlicher Ergebnisse wird aber nicht allein eine Untersuchung auf der Wort-Ebene angestrebt, sondern auch die syntaktische Einbettung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im Text des vierten Evangeliums analysiert. Beginnend also bei ἔργον als terminus technicus in der Nikomachischen Ethik und der anschließenden induktiven Analyse von ἔργον und ἐργάζεσθαι in einem ca. 788.000 Worte umfassenden Korpus folgt die Frage nach der Bedeutung der beiden Lexeme im JohEv selbst. Der III. Teil: Ἔργον und ἐργάζεσθαι aus ethischer Perspektive im JohEv erprobt eine modifizierte Methodologie von R. Zimmermann zur impliziten Ethik in Textabschnitten, in denen ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv vorkommen. Dabei konzentriere ich mich im siebten Kapitel auf einen zentralen Text über die ἔργα, nämlich Joh 3,18–21. Denn in diesem Abschnitt – so die These – wird ein zentrales Bildfeld über die menschlichen ἔργα entfaltet. In Anlehnung an den Prolog geht es sozusagen um einen Raum des Lichts und einen Raum der Dunkelheit. Im Verlauf des Evangeliums sind diese beiden Dimensionen prägend. Darüber hinaus impliziert die Metaphorik in Joh 3,18–21 aber auch einen ambivalenten Handlungsraum, in dem der Leser zu einer bestimmten Haltung motiviert wird. Deshalb werden die Belegstellen über ἔργον und ἐργάζεσθαι in den Kapiteln acht bis zehn diesen drei metaphorischen Dimensionen zugeordnet. Beim ‚Raum des Lichtsʻ (achtes Kapitel) geht es um Textabschnitte, die die Wirkungstätigkeit von Jesus und dem Vater betonen (Joh 4,31–34; 17,1–5; 5,16– 23.31–38; 10,22–31), die Figur des Abraham als Lichtgestalt der Werke einführen (Joh 8,37–41a) und die Handlungsgemeinschaft von Jesus und seinen Jüngern (Joh 9,1–5; 14,12) hervorheben.

Einleitung

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Mit der Umschreibung ‚Raum der Dunkelheitʻ (neuntes Kapitel) werden Textabschnitte interpretiert, die die Figur des Teufels als Herrscher der Dunkelheit mit seinen Werken (Joh 8,37f.41b–47) und die moralische Verwerflichkeit der Werke (Joh 15,18–25) thematisieren. Das zehnte Kapitel untersucht schließlich den ambivalenten Handlungsraum, in dem verschiedene Akteure in der Auseinandersetzung, im Konflikt bzw. in der Debatte mit dem Licht stehen und die ἔργα Objekt dieser Dialoge sind (Joh 6,26–35; 7,2–9; 7,15–24; 10,32–42; 14,8–11). Damit ergibt sich zwischen dem Kontrast von Licht und Dunkelheit eine Zuspitzung hin zu einem Handlungs- und Glaubensimpuls, der sich in diesem imaginären Raum ereignet. Ziel des III. Teils ist die Erprobung der Methodologie zur impliziten Ethik von R. Zimmermann und die Darstellung der moralischen Signifikanz von Textabschnitten, in denen ἔργον und ἐργάζεσθαι verwendet werden. Der Schlussteil der Arbeit bündelt die Ergebnisse und fasst die wesentlichen Leitlinien zusammen.

I. Teil:

Grundlagen

1. Kapitel:

Thematische Hinführung διὰ τί τὴν λαλιὰν τὴν ἐμὴν οὐ γινώσκετε; Weswegen versteht ihr meine Sprache nicht? (Jesus)1

1. Besonderheiten johanneischer Sprache 1. Besonderheiten joh. Sprache

Die Sprache des JohEv hat ganze Forschergenerationen herausgefordert. Sie erscheint ambivalent und wird von J. Becker einerseits als ein ‚Lieblingskindʻ der Theologen und andererseits als ein ‚Schmerzenskindʻ der neutestamentlichen Wissenschaft bezeichnet.2 Darin ist die Wahrnehmung vieler Exegeten gleich: Die johanneische Sprach- und Denkwelt ist einerseits simpel und andererseits hoch komplex. Both in the past and present, those who have seriously studied John’s Gospel have had to wrestle with what the Fourth Evangelist seems to say denotatively and with the significance of his statements connotatively. The profound expressions in this Gospel often seems to be in one’s grasp moments before they once again slip away.3

Im Vergleich zu den anderen Evangelien stellt K. Scholtissek fest: „Zu den besonders charakteristischen Eigenschaften, die das JohEv von den synoptischen Evangelien abhebt, gehört die eigengeprägte joh Sprache“.4 Und C. Urban beobachtet, dass „mit Begriffen wie fremd, rätselhaft, unbestimmt, unklar, unscharf, unpräzise, allgemein, zweideutig die Sprache des Joh (zumeist mit einem negativen Impetus) bewertet wurde“, und plädiert daher für das Konzept der Vagheit nach D. Wolf, die einen besseren Zugang zum JohEv eröffnet.5 Ein 1

Joh 8,43; vgl. dazu FÖRSTER 2016:163. Zitiert bei KUMLEHN 2007:1. 3 H AMID-K HANI 2000:4.41. 4 SCHOLTISSEK 2001:284. Ähnlich BEUTLER 2013:47; FREY 2013d:3; MARXSEN 1989:248; SCHWANKL 1995:3; ZIMMERMANN 2004:78–81. Zum Phänomen siehe besonders HAMID-KHANI 2000:33–35. Für „unterschiedliche Grade der Bildlichkeit“ in der johanneischen Sprache siehe ZIMMERMANN 2004:91–104. Einen lesenswerten Überblick über die grundsätzliche Beurteilung des JohEv in der Auslegungsgeschichte bietet FREY 2010:449– 451. 5 URBAN 2001:52f; vgl. THISELTON 1977:93f. Es gibt nach KUMLEHN 2007:149f aber auch positive Einschätzungen zur johanneischen Sprache durch die Forscher: J. G. Herder, 2

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1. Kap.: Thematische Hinführung

solcher Zugang würde die Unbestimmtheit johanneischer Sprache grundsätzlich positiv bewerten. Und mit einer solchen positiven Haltung resümiert M. Kumlehn ihrerseits: Die Voten von Herder und Hirsch deuten bereits an, dass die johanneische Sprache Kunstfertigkeit mit semantisch-syntaktischer Einfachheit, Elementarität mit Sublimität verbindet, und gerade in ihrer Schlichtheit Deutungsoffenheit produziert, die Exegeten und Hermeneuten vor große Herausforderungen stellt.6

Dieser Umstand führe dazu, dass die Hermeneutik des JohEv „nur den schon Glaubenden einleuchtend, stärkend und wohlbegründet vorkommen könne, Außenstehenden dagegen ‚willkürlich und grundlosʻ erscheinen müsse“.7 In eine ähnliche Richtung denkt S. Hamid-Khani, wenn er in seiner Dissertation zu der weitreichenden These kommt: Therefore, the author insists that in order to understand the language of the world of Jesus and to perceive its reality, one must be born anew spiritually from above (3:3, cf. 3:6, 12– 13; 15:19; 16:28; 17:14, 16, 18; 18:36, 37) – that is, born ‚not of blood, nor of the will of the flesh, nor of the will of man, but of Godʻ (Jn. 1:13). And this is also central thesis of the present work.8

Konkret wird die Besonderheit der johanneischen Sprache in ihren verschiedensten semantischen Netzwerken und Beziehungsgeflechten, in ihrem Gegenüber von Erzählung und Rede, in ihrer Bildhaftigkeit und in ihrem „Moment des Verharrens oder besser gesagt des Kreisens um ein und den selben Gedanken“ beobachtet.9 Eine umfassende Darstellung dieses Phänomens legt S. Hamid-Khani vor, welches er mit dem englischen Terminus „ambiguity“ umschreibt. Er unterscheidet zwischen einer linguistischen und literarischen Mehrdeutigkeit, auf die jeweils der Textzusammenhang Einfluss nimmt. 10 Folgende Aspekte dieser Mehrdeutigkeit werden für das JohEv systematisch von S. Hamid-Khani dargestellt11:

R. Schnackenburg, U. Schnelle, J. Frey, E. Hirsch u. v. a. Mit einer Untersuchung der johanneischen Sprache verband man auch die Hoffnung, „die strittigen Fragen zu Herkunft und Ort des Johannesevangeliums genauer beantworten zu können“ (KUMLEHN 2007:150; vgl. URBAN 2001:48.53). 6 KUMLEHN 2007:150. SCHWANKL 1995:2f attestiert dem JohEv eine Vielschichtigkeit sondergleichen. 7 E. Schlink bei KUMLEHN 2007:150; vgl. URBAN 2001:54. 8 HAMID-K HANI 2000:4. Einige kritische Rückfragen zur Studie äußern SCHOLTISSEK 2001:285f; ZIMMERMANN 2004:81. 9 KUMLEHN 2007:153–155; vgl. CULLMANN 1975:27f; HENGEL 1993:266f; STUHLMACHER 1999:201; WEYER-MENKHOFF 2012a:60. Siehe insbesondere den Sammelband VAN BELLE, LABAHN & MARITZ 2009, der sich der stilistischen Technik der „Repetitions and Variations in the Fourth Gospel“ widmet. 10 Vgl. HAMID-K HANI 2000:34–41. 11 Vgl. für das Folgende HAMID-KHANI 2000:43–120.

1. Besonderheiten joh. Sprache

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(1) The Linguistic Fabric of Johannine Ambiguity: (a) Grammatical and Syntactical Ambiguity; (b) Lexical Amphibologia (Double Meaning); (c) Conceptual Amphibologia (Double Reference); (d) Use of Cluster Concepts12. (2) The Literary Fabric of Johannine Ambiguity: (a) Johannine Symbolism and Metaphor; (b) Johannine Irony. (3) Figurative versus Plain Speech. (4) Johannine Allusions to the Old Testament.

Diese umfassende Übersicht ist noch um den Aspekt der Figuren zu ergänzen. Auch in der Figurenanalyse zeigt sich eine Mehrdeutigkeit, die dem JohEv inhärent ist. Deshalb kommt C. M. Conway in seinem lesenswerten Artikel zu dem Fazit: Certainly, it [das Evangelium] is a starkly drawn world of contrasts – above and below, day and night, light and dark. But it is also a world filled with colorfully drawn characters that resist the Gospel’s binary categories. If there is no clarity regarding these minor characters it is because they do not line up on either side of the belief/unbelief divide.13

Aus diesem Konsens zur Sprache des vierten Evangeliums in der neutestamentlichen Forschung ergeben sich für meine eigene Untersuchung zwei Schlussfolgerungen: (1) Die Charakteristik der johanneischen Sprache sensibilisiert dafür, eine vorschnelle Einordnung der gebrauchten Lexeme zu einer bestimmten Kategorie zu meiden. Ihre Einfachheit und gleichzeitige Komplexität erweist sich gerade auch in der semantischen Variationsbreite der verwendeten Termini. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung, die sich allein auf eine deduktiv-lexikalische Zusammenstellung stützt, wird daher dem zu untersuchenden Text kaum gerecht, wenn sie die sprachlichen Besonderheiten des JohEv nicht ausreichend berücksichtigt.14 Zudem ist – angeregt durch das Konzept der Vagheit – eine

12

Unter „cluster concepts“ versteht S. Hamid-Khani „several theologically pregnant words (...), each one covers a spectrum of abstract meanings“ und nennt u. a. auch den Begriff „work“ (2000:60–62). Diesem Tatbestand hat die neutestamentliche Forschung insofern Rechnung getragen, als das sie immer wieder johanneische Vorzugswörter im Einzelnen untersucht hat. Keineswegs umfänglich und nur beispielhaft sind hier zu nennen: AUGENSTEIN 1993; CHIBICI-REVNEANU 2007; IBUKI 1972; KIERSPEL 2006; LATTKE 1975; METZNER 2000; PANCARO 1975; POPKES 2005; SCHOLTISSEK 2000; THÜSING 1979; THYEN 2007b; WEISS 1995; WELCK 1994. Für eine Aufzählung bedeutender Substantive und Verben vgl. STUHLMACHER 1999:201f. Für grammatikalische Besonderheiten johanneischer Sprache vgl. JAROŠ 2008:108–114; KEENER 2012:49; RUCKSTUHL & D SCHULNIGG 1991; STUHLMACHER 1999:201f. 13 CONWAY 2002:339f. Zur Mehrdeutigkeit einzelner Figuren siehe besonders HUNT, TOLMIE & ZIMMERMANN 2013; WAGENER 2015:70–73. F. Wagener zählt 59 Einzelfiguren (davon 17 nicht in der erzählten Welt) und bis zu 50 Kollektivgruppen im JohEv (2015:65). 14 Vgl. HAMID-KHANI 2000:60; ähnlich WEYER-MENKHOFF 2012a:80. Zur „Doppeldeutigkeit und Mehrdimensionalität zahlreicher Begriffe“ siehe HENGEL 1993:266.

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1. Kap.: Thematische Hinführung

Zuordnung in allgemein dogmatisch-theologische Konzepte (z. B. prädestinatianisch, eschatologisch usw.) nicht weiterführend. Deshalb ist auch in der augenscheinlichen Einfachheit des Gebrauchs von ἔργον und ἐργάζεσθαι mit einer semantischen Tiefe und Mehrdeutigkeit zu rechnen. Selbstredend ist ein solches Postulat noch in der exegetischen Arbeit am Text nachzuweisen. (2) Das JohEv selbst intendiert eine Leseweise der „zweiten Ebene“, nämlich eine ‚geschichtlicheʻ und eine ‚bildhafte‘.15 Dazu führt R. Hirsch-Luipold aus: Die geschichtliche Darstellung der Taten und Worte Jesu wird in diesem Evangelium stets durchsichtig auf eine in ihr zum Ausdruck kommende ‚wahreʻ Realität hin, die Realität Gottes. Hinter den geschichtlichen Ereignissen leuchtet bildhaft eine tiefere Bedeutung auf.16

Wenn also das JohEv eine Bildhaftigkeit von Begriffen betreibt, ist zu fragen, inwieweit ἔργον und ἐργάζεσθαι auf einer anderen Verstehensebene weitere Bedeutungen implizieren. In jedem Fall ist Vorsicht angebracht, ἔργον allzu schnell als Beiwort zu σημεῖον zu klassifizieren und damit im Blick auf eine potenzielle Mehrdeutigkeit abzuwerten.

2. Vorläufige Beobachtungen zu ἔργον κτλ.17 2. Vorläufige Beobachtungen zu ἔργον κτλ.

Der Gebrauch von ἔργον und ἐργάζεσθαι ist mit 210 Belegen im NT häufig. Und auch wenn beide Begriffe zusammen am häufigsten im Corpus Paulinum verwendet werden (86x, davon ἔργον 68x und ἐργάζεσθαι 18x), weist das JohEv im Vergleich zu den anderen Schriften des NT das höchste absolute Vorkommen auf.

15 Vgl. HIRSCH-LUIPOLD 2006:65–68, der verschiedene expliziten Hinweisen nachgeht und schließlich einige Begriffe untersucht, die unterschiedliche Seins- und Verständnisebenen implizieren (Siehe auch HAMID-KHANI 2000:42f; HENGEL 1993:266; SCHWANKL 1995:4). 16 HIRSCH-LUIPOLD 2006:65; ähnlich HAYS 1996:73f. Zur sogenannten ‚zweiten Sinnebeneʻ bei der Metaphorizität von Parabeln siehe ZIMMERMANN 2009a:247f. 17 Diese Beobachtungen sind nicht neu, sondern sind in den Analysen über den Begriff ἔργον immer wieder beobachtet worden (Vgl. insbesondere LÖHR 2012:232–236; RIEDL 1973:40–42; WEYER-MENKHOFF 2012a:66.81–99).

2. Vorläufige Beobachtungen zu ἔργον κτλ.

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Mt (9 von 1068) Mk (2 von 673) Lk (3 von 1149) Joh (28 von 878) Apg (11 von 1002) Röm (19 von 432) 1 Kor (10 von 437) 2 Kor (4 von 256) Gal (7 von 149) Eph (5 von 155) Phil (3 von 104) Kol (4 von 95) 1 Thess (4 von 89) 2 Thess (6 von 47) 1 Tim (5 von 113) 2 Tim (6 von 83) Tit (7 von 46) Phlm (0 von 25) Hebr (10 von 103) Jak (14 von 108) 1 Petr (2 von 105) 2 Petr (2 von 61) 1 Joh (3 von 105) 2 Joh (2 von 13) 3 Joh (2 von 15) Jud (1 von 25) Apk (20 von 405)

Abb. 1: Gebrauch von ἔργον und ἐργάζεσθαι im NT

Die Grafik zeigt, dass sich im quantitativen Gebrauch das vierte Evangelium deutlich von den Synoptikern unterscheidet. Allein ein solcher Umstand deutet auf eine inhaltliche Steigerung bei Johannes hin, wie sie bei den Synoptikern nicht vorzufinden ist.18 Bei den Synoptikern finden sich für das Nomen ἔργον 10 und für das Verb ἐργάζεσθαι 6 Belege. In überwiegender Zahl gebrauchen die Synoptiker das Nomen im Plural (6x: Mt 5,16; 11,2.19; 23,3.5; Lk 11,48). Ebenfalls gehäuft wird das Nomen mit Genitivattributen verbunden: - τὰ ἔργα τοῦ Χριστοῦ (Mt 11,2) - τοῖς ἔργοις τῶν πατέρων (Lk 11,48) - das Pronomen αὐτός (Mt 11,19; 23,3.5; Mk 13,34) In Mt 11,2 bzw. Lk 24,19 werden sie christologisch gedeutet, während die anderen acht Belege auf fiktive Größen Bezug nehmen: - Vorfahren/Ahnen, „die Väter“ (Lk 11,48) - „Knechte“ im Gleichnis (Mk 13,34)

18 „The synoptics speak of τὰ ἔργα τοῦ Χριστοῦ only once, but in Jn the works of Jesus are one of the principal themes of the gospel“ (FORESTELL 1974:49–50).

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1. Kap.: Thematische Hinführung

- Menschen bzw. Einzelpersonen (Mt 5,16; 11,19; 23,3.5; Mt 26,10 par. Mk 14,6) Aus der Analyse wird deutlich, dass sechs Belege über die Werke eine positive und vier Belege eine negative Konnotation besitzen. Insgesamt lässt sich aufgrund des spärlichen Gebrauchs mit F. Hahn festhalten. „Bei den Synoptikern ist eine gezielte theol. Verwendung der Wortgruppe nicht klar zu erkennen.“19 Allerdings ist es für die Semantik des Nomens vielsagend, wenn es immer wieder mit Adjektiven zusammensteht, die eine moralische Wertung implizieren. - ἔργον bzw. ἔργα mit dem Adjektiv καλός (Mt 5,1620; 26,10 par. Mk 14,6) - τὰ ἔργα offenbaren einen fragwürdigen Lebensstil der Pharisäer und Schriftgelehrten (Mt 23,3.5; Lk 11,48; vgl. besonders Mt 23,1–1221) Diese Belegstellen zeigen, dass neben dem sporadischen Gebrauch von ἔργον bei den Synoptikern dem Nomen in syntaktischen Verbindungen ein ethischmoralischer Sinn anhaftet. Ist also eine eigens theologische Verwendung von ἔργον nicht auszumachen, bleibt mindestens eine ethische Dimension in der Semantik des Begriffs wahrnehmbar. Aufgrund der geringen Anzahl der Belege ist aber eine eigenständige Untersuchung von ἔργον und ἐργάζεσθαι in den ersten drei Evangelien entbehrlich. Im JohEv zählt der Leser 27x das Nomen und 8x das Verb. Andere Lexeme der Wortfamilie kommen nicht vor. In den johanneischen Briefen werden das Nomen und das Verb insgesamt 7x (Nomen: 5x; Verb: 2x) und in der Apokalypse 21x (Nomen: 20x; Verb: 1x) gebraucht. Nun rechtfertigen allein quantitative Belege nicht eine wissenschaftliche Untersuchung.22 Aus einer phänomenologischen Perspektive heraus sind insbesondere die qualitativen Beobachtungen maßgebend. Und zudem ist die Verteilung der Begriffe in der Struktur des Evangeliums ausschlaggebend. Und hier zeigt sich, dass das Nomen und das Verb wiederholt im ersten Teil des Evangeliums (Joh 1–12) und in den Abschiedsreden (Joh 13–17) erscheinen und völlig mit der Erzählstruktur des JohEv verwoben sind.23

19

HAHN, AVEMARIE & THIELE 1997:59. Siehe auch zum Gebrauch bei den Synoptikern BROWN 2008a:526; ENSOR 1996:91–94. 20 Siehe „Werke als ‚Werbungʻ im Dienste frühchristlicher Missionspropaganda“ bei HEILIGENTHAL 1983:115–126. 21 Siehe dazu den Abschnitt bei H EILIGENTHAL 1983:59–64 „Die Werke als Zeichen für das Auseinandertreten von richtiger Lehre und falscher Praxis: Mt 23,1–12“. 22 Zu den sogenannten „statistical statements“ äußert sich THISELTON 1977:97, dass diese gelegentlich methodische Schwächen offenbaren. 23 Vgl. W EYER-MENKHOFF 2012a:81. „Die Begriffe ἔργον und ἔργα umfassen insbesondere auch die in Joh 13 sowie in Joh 18–19 geschilderten Ereignisse...“ (WEIDEMANN 2004:53–54).

2. Vorläufige Beobachtungen zu ἔργον κτλ.

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Tabelle 1: Verteilung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv24 Kapitel ἔργον ἐργάζεσθαι

1–2 – –

3 4 5 6 7 8 9 10 11–13 14 15 16 17 18–21 3x 1x 3x 2x 3x 2x 2x 6x – 3x 1x – 1x – 1x – 2x 3x – – 2x – – – – – – –

Es fällt auf, dass das Verb stets im unmittelbaren Kontext zum Nomen steht (Joh 3,19–21; 5,17–20; 6,28–30; 9,4). Diese Verbindung wird dreimal in einer Figura etymologica gesteigert (Joh 3,21; 6,28; 9,4).25 Das Nomen erscheint überwiegend im Plural (21x) und kommt meist im Mund Jesu vor.26 Dabei steht es häufig in Genitivverbindungen bzw. in relativen Satzkonstruktionen.27 Neben diesen Beobachtungen ist vorläufig festzuhalten, dass ἔργον und ἐργάζεσθαι ein breites Spektrum der grammatikalischen Subjekte bzw. der Handlungsträger aufweisen. Der Begriff Handlungsträger deutet an, wer jeweils als handelnder Akteur des Nomens bzw. des Verbs gesehen wird. Diese Akteure gehen im JohEv in der Verrichtung der Werke immer wieder eine Kooperation mit einem anderen ‚Partnerʻ ein, was in der Spalte Relation dargestellt wird. So sagt z. B. Jesus in Joh 4,34, dass er das Werk des Vaters zu tun sucht. Jesus verrichtet in der Partnerschaft mit seinem Vater das Werk. Die Handlungstätigkeit wird beim Genitivattribut mitgedacht. Die fett markierten Belegstellen beziehen sich auf das Verb, die kursiven Belegstellen auf das Nomen. Grau markierte Felder fassen die Stellen zusammen, in denen die Wirkungstätigkeit allein auf den jeweiligen Handlungsträger zu beziehen ist. Als der Protagonist des Evangeliums nimmt Jesus hier im Vergleich zu den anderen Akteuren eine Vorrangstellung ein.

24 Vgl. einen ähnlichen Umstand für δόξα und δοξάζειν bei CHIBICI-REVNEANU 2007:514. 25 Vgl. V AN BELLE 2009:37–38. Zu den zahlreichen Belegen dieser Stilfigur in der LXX und im NT vgl. HEILIGENTHAL 1992a:121. 26 Vgl. ENSOR 1996:89f; THYEN 2007b:699 – „Wie erklärt es sich, daß Jesus im JohEv eine andere Sprache spricht als bei den Synoptikern?“ (SCHWANKL 1995:3). 27 Für diese und andere Analysen siehe Teil II., 6. Kapitel.

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1. Kap.: Thematische Hinführung

Tabelle 2: Die Handlungsträger von ἔργον und ἐργάζεσθαι Handlungsträger/ Relation Jesus

Gott-Vater allgemein: Menschen Abraham Teufel

Jesus

Gott-Vater

allgemein: Abraham Menschen28 7,7; 14,12

Teufel29

7,3.21; 10,33; 4,34; 5,20.36; 15,24; 6,30 10,25.32.37f; 14,10f; 17,4 5,17 6,29; 9,3 6,28; 9,4 6,27 3,21; 6,28; 9,4 3,19–21; 9,4

8,39 8,41(44)

Die Tabelle verdeutlicht, dass sich die meisten Belegstellen auf die Wirkungstätigkeit des Vaters und des Sohnes beziehen.30 Daneben gibt es aber auch eine Reihe von Stellen, in denen allein die Wirkungstätigkeit von Jesus beschrieben wird. Und schließlich werden auch Verbindungen sichtbar, in denen der Vater bzw. Jesus mit seinen Anhängern gemeinsam tätig sind. Hervorzuheben sind neben solchen theologischen, christologischen und ekklesiologischen Bezugnahmen die Stellen, in denen Johannes die Werke der Menschen, die Werke Abrahams und die Werke des Teufels erwähnt. J. Riedl stellt dazu fest, dass „sich nur zwei Werk-Träger-Gruppen unterscheiden, in denen sich die Werkaussagen nicht überschneiden. Bezeichnender Weise sind das die Werkaussagen in Joh 3 und in Joh 8, wo Menschen und der Teufel als Werkträger aufscheinen.“31 Eine Untersuchung der Begriffe ἔργον und ἐργάζεσθαι wird sich auch daran messen lassen, inwieweit sie diese Polysemie32 und dahinterstehende Konzepte wahrgenommen und reflektiert hat. In dieser thematischen Hinführung habe ich argumentiert, dass die johanneische Sprache mit ihrer augenscheinlichen Einfachheit nicht zu unterschätzen ist. Die Stimmen aus der neutestamentlichen Forschung sind sich darin einig. Neben seiner Einfachheit offenbart sich das Evangelium als ein komplexer und für den Leser herausfordernder Text. Dieser Tatbestand soll sensibel für die 28 Unter dem Begriff Menschen fasse ich verschiedene anthropologische Figuren zusammen, nämlich die Menschheit (Joh 3,19–21), die Welt (Joh 7,7) sowie die Jünger (Joh 14,12). Zu den Begriffen ‚Figur‘ sowie ‚Kollektivfigur‘ vgl. WAGENER 2015:67–78. 29 K. Weyer-Menkhoff subsummiert die Größen Abraham und Teufel zu der Kategorie „Sonstige“. Er tut dies, weil beide Größen „im Johannesevangelium keine eigenständigen Rollen spielen“ (vgl. 2012a:83f). Dies scheint mir wenig einleuchtend, weil beide Größen eine traditionsgeschichtliche Bedeutung in sich tragen und wenigstens der Teufel in Bezug auf Judas Iskariot eine aktive Rolle einnehmen kann (vgl. Joh 6,70; 13,2). 30 So auch SCHWANKL 1995:166f. 31 R IEDL 1973:41 (Hervorhebung im Original). 32 Vgl. B ACHMANN 2005:94f, der (auch) erhebliche voneinander abweichende Bedeutungen von ἔργον bei Paulus beobachtet.

2. Vorläufige Beobachtungen zu ἔργον κτλ.

19

Variationsbreite und die Polysemie der johanneischen Sprache machen und ist in der Exegese zu berücksichtigen. Deshalb wird in Bezug auf ἔργον und ἐργάζεσθαι eine vorschnelle Zuordnung – z. B. in dogmatische Kategorien – dem johanneischen Text nicht gerecht. Vielmehr ist mit einer semantischen Vielfalt und Mehrdeutigkeit zu rechnen. Zudem ist in Bezug auf die beiden Lexeme ihre hohe quantitative Frequenz, der regelmäßig wiederkehrende Gebrauch im ersten Teil des Evangeliums (Joh 1–12), sowie in den Abschiedsreden (Joh 13–16; 17) und die syntaktische Verknüpfung mit den unterschiedlichsten Handlungsträgern auffallend. Allein diese Beobachtungen rechtfertigen eine eigenständige Untersuchung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv. Hinzu kommt, dass ἔργον in seinem Bedeutungsspektrum die Tat, die Handlung, die Arbeit, die Verrichtung derselben, ihr Ergebnis und ἐργάζεσθαι das Arbeiten, Wirken, Tätig sein umfassen und damit auf der semantischen Ebene grundsätzlich das Handeln an sich mitschwingt33 und die Frage nach der moralischen Signifikanz dieses Wortfeldes rechtfertigt. Nach dieser Sensibilisierung für das Phänomen sind nachfolgend die relevanten Studien der neutestamentlichen Forschung in Bezug auf ihren Ertrag für den Untersuchungsgegenstand hin zu befragen und zu würdigen.

33 Vgl. B AUER 1988:623f; HAHN, AVEMARIE & T HIELE 1997:56; KARAKOLIS 2012:198; LOUW & NIDA 1988:Pkt. 42.11–12.

2. Kapitel:

Forschungsgeschichtlicher Überblick In New Testament scholarship what true is is not new and what new is is not true (W. C. van Unnik).1

Jede neutestamentliche Studie steht auf dem Fundament anderer Arbeiten, denen sie ihre Entstehung und Befruchtung verdankt. Selbstverständlich hatten bisherige Forschungsarbeiten über ἔργον κτλ. ihre jeweils eigenen Fragestellungen und Prämissen, so dass erst durch eine differenzierte Würdigung der eigene Ansatz präzisiert und im Dialog ein kreativer Forschungsprozess entstehen kann. In diesem Kapitel sollen die Beiträge johanneischer Forschung, die für sich das Wortfeld ἔργον untersucht haben, überblicksartig dargestellt und ausgewertet werden. Demzufolge bespreche ich die Forschungsbeiträge, die sich (1) mit dem Verständnis von ἔργον κτλ. im JohEv, (2) mit der Untersuchung einer Ethik im JohEv im Allgemeinen und (3) mit der Interpretation von ἔργον κτλ. im JohEv in Relation zu einer johanneischen Ethik beschäftigen.

1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv 1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv

Der Überblick über die am Begriff orientierten Arbeiten verteilt sich auf drei Schwerpunkte. Zunächst werden allgemeine Artikel und Beiträge in Kommentaren über ἔργον κτλ. ausgewertet (1.1). Danach bespreche ich die Publikationen, die ἔργον im Kontext der johanneischen σημεῖα untersuchen (1.2). Und schließlich werden Studien gewürdigt, die sich umfassend dem Lexem ἔργον κτλ. widmen und einen eigenständigen Beitrag zum Untersuchungsgegenstand leisten (1.3).

1

Bei HENGEL 1993:3.

1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv

21

1.1 Allgemeines2 Gemäß einigen sprachwissenschaftlichen Wörterbüchern ist die semantische Variationsbreite der Lexeme in antiken Quellen enorm.3 Biblisch-theologische Lexika heben mit einigen Abweichungen vier inhaltliche Aspekte hervor: (1) „God’s Work and Works“, (2) „Human Labor“, (3) „Human Religious Works“ und (4) „Evil Works“.4 Nach G. Bertram ist ἔργον vor allem auf die „Heilstaten Gottes durch Christus“, konkret „auf die einzelnen Wundertaten, die Jesus tut“, bezogen. „Als Wunder sind die Werke Zeugen Jesu und Zeugen des Heils, das er bringt“. Die guten Werke (Joh 10,32) „sind Beweis des Wirkens Gottes in Jesus und entsprechend auch in den Gläubigen“. Das Heilswerk wird nach G. Bertram „in noch mehr umfassendem Sinn“ in Joh 6,29 verwendet. „Die aktive Teilnahme am Heilswerk besteht also nicht in einem Tun, sondern im gottgewirkten Glauben“, wobei die Werke von Christus sowie der Gläubigen „nicht begrifflich voneinander zu trennen sind“.5 Neben solchen hauptsächlich theologischen und christologischen Deutungen werden den ἔργα vereinzelt anthropologische Bezüge im JohEv zugestanden. Demnach können die Werke mit einer „Nichtigkeit und Sündigkeit“ belegt sein (Joh 3,19; 7,7; 8,41; 1 Joh 3,8.12; 2 Joh 11) und Maßstab im Gericht Gottes werden. Neben der Verantwortlichkeit des Menschen bleibt das letztendliche Wirken Gottes aber stets gegenwärtig (Joh 3,21).6 So umfassend die Ausführungen G. Bertrams auch sind, bleiben sie doch – wie es für theologische Wörterbücher charakteristisch ist – stets nur eine erste Annäherung an das Thema, ohne einen spezifischen und eigenständigen Beitrag zu liefern. Nahezu alle Kommentare würdigen den Begriff ἔργον κτλ. im JohEv nicht im Einzelnen.7 Das auffallend häufige Vorkommen der untersuchten Lexeme 2

Der Gebrauch von ἔργον und entsprechenden Syntagma ist Gegenstand einer weitläufigen Diskussion in der Literatur zum Corpus Paulinum (vgl. BACHMANN 2005:60–112; 2010:95–118; 2013:30–34; BULTMANN 1984:280.532.540.546f; HOFIUS 2006:272–306; HÜBNER 1985:129–132; WOLTER 2013:358–360 u. v. m.) und zum Jakobusbrief (vgl. u. a. BULTMANN 1984:514; insb. KLEIN 1995 und KONRADT 1998:171–176.239f.267–274 u. a.). 3 BERTRAM 1957:632; CREMER 1915:433. Für eine überblicksartige Zusammenstellung vgl. BAUER 1988:623–625; HEILIGENTHAL 1992b:123–127; THAYER 1998–2000:Nr. 2173. 4 Nach HOLLOMAN 2005:589–592. Vgl. BERTRAM 1957:633–649. 5 1957:639. Vgl. HAHN, AVEMARIE & THIELE 1997:60; HEILIGENTHAL 1992b:124f; VAN BELLE 1994:384. 6 Siehe BERTRAM 1957:642.646f. Zum „Gericht nach den Werken“ vgl. H EILIGENTHAL 1992b:125; bei Paulus siehe. FREY 2013c:477. 7 Zu den Ausnahmen zählen BARRETT 1990:91f; BROWN 2008a:525–532 und DIETZFELBINGER 2004:137–140. Allerdings widmet sich C. K. Barrett in seinem Wunder-Exkurs den ἔργα und ihren christologischen Implikationen nur auf wenigen Zeilen. Sein Hauptaugenmerk richtet sich auf den Begriff σημεῖον (vgl. BARRETT 1990:91–94; so auch KEENER 2012:275–279).

22

2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

ist für die meisten Kommentatoren kein Indiz für eine besondere Intention des Verfassers. Vielmehr handelt es sich um einen Begriff, den Johannes ohne besondere Reflexion in sein Evangelium aufnimmt. Stellvertretend stelle ich hier die Position von C. Dietzfelbinger vor, wie sie im Exkurs „Die Wunder im Johannesevangelium“ erscheint.8 Ἔργον ist nach Ansicht des Verfassers „die einzelne Wundertat Jesu (…); meistens aber ist das Ganze des Wirkens Jesu gemeint“. Qualifiziert werden die Werke durch den Vater, während der Inhalt der Sendung wie in Joh 5,21f „Leben verleihen und Gericht ausüben“ ist und zuletzt auch die Sendung umfasst. Das JohEv hat diesen Begriff – nach Ansicht des Verfassers – vermutlich Gen 2,2 sowie Ex 34,10; Ps 66,3.5; 77,12 entliehen, wonach dort Gott und hier Jesus das „göttliche Schöpfungswerk ebenso wie das Werk der Rettung Israels durch Gott aufnimmt, weiterführt und in seinem Sterben zur Vollendung bringt“. Auf eine exakte Abgrenzung zwischen „Zeichen“ und „Werk“ legt das Evangelium keinen Wert, worin sich auch ein enges Verhältnis andeutet (vgl. z. B. Joh 7,3.21; 9,3f; 10,32f). Das Werk meint dann eher „das Ganze des Auftretens und Tuns Jesu“. Σημεῖα ist der spezifische Gebrauch für Wunder, die im JohEv Glauben wecken wollen. Ἔργον bleibt ein allgemeiner Begriff, der traditionsgeschichtlich gefüllt ist, aber die eigentliche Reaktion der Menschen nach C. Dietzfelbinger wollen die σημεῖα hervorrufen. Positiv hervorzuheben ist, dass der Verfasser eine biblisch-theologische Anknüpfung der Werke berücksichtigt und auch in seinen Beobachtungen über den Begriff ἔργον überzeugend argumentiert. Allerdings greift die Interpretation zu kurz und ist hier paradigmatisch für viele andere Untersuchungen. So werden neben dem christologischen Bezug andere ‚Handlungsträgerʻ nicht thematisiert. Ἔργον ist danach nur eine allgemeine Umschreibung für das gesamte Wirken Jesu. Eine semantische Zuspitzung im jeweiligen Kontext und die Annahme eine Mehrdeutigkeit des Begriffs fehlt vollständig. 1.1.1 R. Bultmann (1958)9: Die Werke sind ῥήματα Jesu R. Bultmann fragt in seiner Theologie des Neuen Testaments: „…welches sind die Werke, die Jesus vollbringt, und die für ihn ‚zeugenʻ (5,36; 10,25)? Sind es d ie σ ημεῖ α, die Wunder, die in Mt 11,2 die ἔργα τοῦ Χριστοῦ genannt werden?“ Und er kommt zur folgenden Schlussfolgerung: …d i e W e r k e J e s u – als Ganzes einheitlich gesehen: sein Werk – s i n d s e i n e W o r t e . Wenn Jesus sagt: τὰ γὰρ ἔργα ἃ δέδωκέν μοι ὁ πατὴρ ἵνα τελειώσω αὐτά, αὐτὰ τὰ ἔργα ἃ

8

Für das Folgende vgl. DIETZFELBINGER 2004:137–139. Wegen einer chronologischen Anordnung ist im Forschungsüberblick stets das Erscheinungsjahr der Studie genannt. 9

1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv

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ποιῶ, μαρτυρεῖ περὶ ἐμοῦ ὅτι ὁ πατήρ με ἀπέσταλκεν (Joh 5,36), so zeigen ja die vorhergehenden Worte (5,19ff. ), welches die eigentlichen Werke Jesu sind, nämlich das κρίνειν und ζωοποιεῖν, und wie sie gewirkt werden, nämlich durch sein Wort.10

Für R. Bultmann ist also ein Glaube, der sich auf Werke bzw. Zeichen beruft, nicht tragfähig. Er nimmt auch an, dass das Wort (ὁ λόγος) zentral für die Wirkungstätigkeit Jesu ist, und dass allein das Wort und nichts Anderes sonst sein „Arbeitsmittel“11 ist. Deshalb deutet er die Werke als ῥήματα Jesu.12 Der semantischen Erweiterung – die ἔργα Jesu sind nicht nur seine Wunder, sondern insbesondere seine Worte – sind auch andere Interpreten gefolgt.13 Es ist allerdings aus exegetischen Gründen kaum einleuchtend, die Werke pauschal als Worte auszulegen. Denn manche Belegstellen begründen gerade eine Differenzierung in der Semantik der ἔργα. „From 10,32–38 and 14,8–12 it appears that the evangelist clearly distinguishes both meanings.“14 Ferner ist es fraglich, ob Johannes eine Wertigkeit zwischen Worten und Werken überhaupt beabsichtigt. Ist es nicht vielmehr so, dass gerade auch die Handlungen aus Glauben ihre eigene Daseinsberechtigung im JohEv erhalten (vgl. Joh 14,12)? Deshalb ist mit H.-U. Weidemann gegen R. Bultmann festzuhalten, dass im Begriffskonzept der ἔργα sich „das gesamte ‚Heilswirkenʻ Jesu – vor wie nach Ostern“15 niederschlägt. 1.1.2 G. Delling (1966): Jesu Werk ist zentral im JohEv In seiner populärwissenschaftlichen „Hilfe für solche (...), die sich den Inhalt des Johannes-Evangeliums an Hand des Evangeliums selbst erarbeiten wollen,“16 räumt G. Delling dem Terminus ‚Werkʻ ein breiten Raum ein. Nicht nur, dass er den Begriff als eines der johanneischen Vorzugswörter kennzeichnet, er sieht ihn auch zentral für das JohEv an und interpretiert im Einzelnen die jeweiligen Bezüge. Sein Fazit ist: „Im Johannes-Evangelium tritt das Werk Jesu als Ganzes vor uns hin.“17

10

BULTMANN 1984:412–414 (Hervorhebung im Original). Vgl. R. Bultmann bei URBAN 2001:24. Vgl. dazu THOMPSON 1991:90–93. 12 Vermittelnd und die Werke bzw. Zeichen als „‚Ansatzpunktʻ for faith“ verstehend siehe PANCARO 1975:152f. 13 In der Bedeutungsklärung der ἔργα stellt W. Thüsing fest: Zunächst scheinen es an den meisten Stellen die Wunder Jesu zu sein (Joh 7,3.21; 9,3f; 5,36; 10,25.32.37f; 14,10f; 15,24). Der Begriff geht jedoch weiter. So gehören die Worte Jesu in Joh 5,31–40; 8,28; 14,10; 15,22–24 ebenfalls dazu (vgl. THÜSING 1979:58f; HAHN 1985:59f). 14 Gegen die These R. Bultmanns siehe VAN BELLE 1994:384. Vgl. FREY 2000:156; FRICKENSCHMIDT 1997:433f; MOLONEY 2005:143; SCHNELLE 1987:166; WEIDEMANN 2004:58f.161. Indirekt auch KARAKOLIS 2012:197. 15 W EIDEMANN 2004:58f. 16 D ELLING 1966:5. 17 D ELLING 1966:29. Für den Terminus Werk vgl. insb. 1966:32.46.70–74.129f.143f. 11

24

2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

Überblicksartig seien einige seiner wesentlichen Aussagen über die Werke zusammengefasst: Die Offenbarung Jesu ereignet sich nicht nur im Wort Jesu, sondern erweist sich auch in den Werken, in die das gesamte Handeln Jesu einzubeziehen ist (Joh 14,10–12; 15,24).18 Damit sieht der Verfasser die Handlungen von Jesus – im Gegensatz zu R. Bultmann – gleichberechtigt zu seinen Reden im Evangelium und mit dem Theologumenon der Offenbarung verbunden. Sie sind für ihn nicht minderer Natur. Auf der anthropologischen Ebene sind die Werke der Menschheit „arg“, wie G. Delling aus Joh 7,7; 14,27; 17,25 schlussfolgert.19 Der Verfasser nimmt den Plural der Werke wahr, die das JohEv auch als Zeichen bezeichnet. Seiner Ansicht nach ist die einzig angemessene Reaktion auf die Werke der Glaube.20 In der strittigen Stelle Joh 14,12 ist nach Auffassung von G. Delling nicht an Wundertaten gedacht, „sondern an alles machtvolle Geschehen in der Gemeinde überhaupt, nicht zuletzt an ihr Wachsen durch die Verkündigung“21. Aufgrund seines eigenen Ansatzes, der im Wesentlichen nur deskriptiv die Inhalte des JohEv wiedergibt, sind die Ausführungen von G. Delling für meine Fragestellung nur bedingt brauchbar. Es ist jedoch sein Verdienst, meines Wissens zum ersten Mal in der jüngeren Forschungsgeschichte die besondere Bedeutung des Lexems für das JohEv in einer Monographie zu berücksichtigen und darzustellen. 1.2 Studien im Kontext der johanneischen σημεῖα Eine Reihe der Forschungsbeiträge nehmen Bezug auf ἔργον im Zusammenhang mit der Analyse des σημεῖον-Begriffs. Verursacht durch die Annahme einer johanneischen Schule und der verschiedenen Quellen hinter dem johanneischen Text verhalf R. Bultmann der Hypothese einer ‚Semeia-Quelleʻ eine herausragende Prominenz. Damit hat er „nicht nur einzelne Ansichten, sondern auch die Arbeitsweise der Folgezeit nachhaltig (...) bestimmt“.22 Allerdings mehren sich in jüngster Zeit zu den an der Literarkritik orientierten Arbeiten solche Studien, die die Semantik, Theologie und Pragmatik der σημεῖα unabhängig von den fragwürdigen Prämissen einer Semeia-Quelle untersuchen.23

18

Vgl. DELLING 1966:32. Vgl. DELLING 1966:56. 20 Vgl. DELLING 1966:71f. 21 D ELLING 1966:129. 22 W ELCK 1994:13. 23 Vgl. BECKER 2004; BITTNER 1987; GROB 1986:46–74; HIRSCH-LUIPOLD 2006:89–91; HOFIUS & K AMMLER 1996; SALIER 2004; THOMPSON 1991:93–107; VAN BELLE 1994:379– 404; WEISS 1995; WELCK 1994. Vereinzelt lassen sich hier auch ältere Arbeiten nennen: DAVIES 1977:91–115; GUTHRIE 1967:72–78; DE JONGE 1978:107–121; LOHSE 1975:68–73. 19

1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv

25

Demgegenüber ist die ‚Werksterminologieʻ eine ungleiche Größe. Sie fand in der Forschung – trotz einer „close connection“ mit den σημεῖα24 – vergleichsmäßig wenig Beachtung und wenn, dann meist als eine Randbemerkung zum Begriff der Zeichen.25 Für A. Richardson ist ἔργον im Vergleich zum genuin johanneischen Begriff σημεῖον ein „colorless term“26. Und bei D. Frickenschmidt haben beide Begriffe dieselbe (biographische) Funktion im Evangelium: „Und sie besteht vor allem darin, in jeder erzählten öffentlichen Handlung Jesu die Einheit zwischen Vater und Sohn als Hauptkennzeichen der Identität Jesu unabweisbar zu verdeutlichen.“27 In diesem Sinne werden die ἔργα manchmal gleichgesetzt28 oder sie werden als eine unbestimmte allgemeine Größe den σημεῖα übergeordnet.29 Exemplarisch ist die Arbeit von W. Loader anzuführen, der zwischen dem Werk (Singular) und den Werken (Plural) im Blick auf die Semantik differenziert: „The work refers to the commission to be the revealer envoy and to return to the father“.30 Dies beinhaltet die Bekanntmachung des Vaters und die Absicht, dass Menschen glauben. Sie sollen darauf vertrauen, dass er der Gesandte Gottes ist, wenigstens auf der Basis seiner Werke, wenn nicht schon aufgrund seiner Behauptungen. „The works refer to Jesus’ deeds. They include in particular Jesus’ miracles.“31 Weil die Wunder für sehende Augen offenbaren können, wer Jesus ist, werden sie als Zeichen bezeichnet. Der Plural ἔργα ist also nach W. Loader dem σημεῖον-Begriff zugeordnet. Insgesamt ergibt sich, dass die meisten Ausleger den Begriff ἔργον zwar berücksichtigen, ihre Ausführungen jedoch vage und allgemein bleiben. Eine ausführliche Darstellung verdienen dagegen die folgenden drei Studien.32 1.2.1 W. Wilkens (1969): σημεῖον und ἔργον als literarisches Trennmittel Im Gefolge R. Bultmanns R. Bultmann hat die im Jahr 1969 von W. Wilkens veröffentlichte Arbeit Zeichen und Werke das Ziel, „die theologischen Akzente von Erzählungsstoff und Redestoff herauszuarbeiten und voneinander abzuheben (…). Index dieser unterschiedlichen Nuancierung ist das Nebeneinander der Begriffe Semeion und Ergon.“33 Diese stellen für den Verfasser die Zent24

KÖSTENBERGER 1998:29; vgl. VAN BELLE 1994:383.386. Vgl. HIRSCH-LUIPOLD 2006:92; OKURE 1988:142; SCHRÖDER 2003:102–106.152f; WELCK 1994:55–57; WILKENS 1969:83–85. 26 Bei MORRIS 2008:611; vgl. THYEN 2007b:697. 27 FRICKENSCHMIDT 1997:434. 28 So BERNARD 1985:clxxvii. 29 Vgl. z. B. B ECKER 2004:248; B ROWN 2008a:528; NICOL 1972:116. 30 L OADER 1992:80. 31 L OADER 1992:80. 32 W. J. Bittner (1987) geht in seiner Dissertation nicht explizit auf ἔργον κτλ. ein. 33 W ILKENS 1969:10; vgl. NICOL 1972:11f. 25

26

2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

ralbegriffe der johanneischen Theologie dar, wobei ἔργον vor allem im Redestoff verortet ist (außer in Joh 7,3) und „das Jetzt-Evangelium vom Redestoff her verstanden und interpretiert werden will“34. Da für W. Wilkens das JohEv auf einen Verfasser zurückgeht, setzt er eine unterschiedliche Nuancierung bei den Begriffen ‚Zeichenʻ und ‚Werkeʻ voraus. Aber es gibt auch eine austauschbare Verwendung der beiden Lexeme, wie z. B. in Joh 5,1–23; 7,3; 7,21–24; 10,32f. Nichtsdestotrotz ist ἔργον nach W. Wilkens ein eigenständiger Begriff, der ein theologisches Gehalt unabhängig von σημεῖον besitzt. W. Wilkens argumentiert hier gegen G. Bertram und W. Thüsing, die die Begriffe Zeichen und Werke allzu schnell harmonisieren. Das kann er aber nur deshalb so vehement vertreten, weil seine anfängliche Prämisse von zwei unterschiedlichen Stoff-Einheiten (Erzählungs- und Redestoff) ausgeht, die von einem Verfasser zu einer Komposition (JohEv) zusammengefasst worden sind. Er schlussfolgert dann: „Die Exegese der Erga Jesu sollte auf eine Heranziehung der Semeia verzichten, es sei denn, es liege eine offenkundige Beziehung vor.“35 Die besondere Nuancierung der Werke ist gegeben, weil „der Evangelist Ergon gern durch einen nachfolgenden Genetiv qualifiziert“ (vgl. Joh 7,7; 9,4; 10,37 u. a.) oder „das ‚Woherʻ der Werke zum Ausdruck gebracht“ hat (vgl. Joh 5,36; 10,25; 17,4 u. a.) sowie der Plural im Singular zusammengefasst werden kann (vgl. 4,34; 17,4).36 Ist das σημεῖον „christologisch reflektiert“, beinhaltet ἔργον dagegen mehr: „Ergon stellt vor den inneren Zusammenhang von Christologie und Theologie. (…) Hinzu kommt der andere Unterschied, daß die Erga nicht so sehr die Taten (Semeia), sondern die Worte Jesu bezeichnen.“37 Jedoch dürfen die Taten und Worte nicht zu stark voneinander getrennt bzw. abgewertet werden.38 Es ist das Verdienst von W. Wilkens, dass er die Eigenart des ἔργον-Begriffs erkennt, diese Nuancierung vereinzelt entfaltet und eine eigenständige Untersuchung über das Lexem befürwortet. Allerdings sind seine Ausführungen auch kritisch zu hinterfragen. (1) W. Wilkens’ Prämisse eines Erzählungs- und Redestoffs ist insofern hinderlich, als dass sie die Werke – mit einigen wenigen Einschränkungen – nur

34

Vgl. WILKENS 1969:83f.167. WILKENS 1969:84; Zur Kritik vgl. WELCK 1994:16. 36 W ILKENS 1969:85. 37 WILKENS 1969:86. Die ἔργα Jesu „qualifizieren nämlich Jesus in dem Woher seines Handelns. Die Christologie wird nun in der Theologie begründet. (...) Die Erga bezeugen Jesus als den, der vom Vater gesandt ist. Sein Werk ist das Werk des Vaters und ist darum dem Zugriff der Welt entzogen. So ist der Begriff Ergon ganz vom Offenbarungsgedanken her bestimmt“ (:143). 38 Vgl. WILKENS 1969:86–88. 35

1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv

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als Worte Jesu bzw. Redestoff qualifiziert, statisch wirkt und nicht im Konkreten nach der tatsächlichen Semantik fragt.39 Im Blick auf die literarkritischen Prämissen übt H. Thyen scharfe Kritik, indem er den Beitrag von W. Wilkens als „nur einen der vielen Holzwege einer hochspezialisierten ‚interpretative communityʻ der Exegeten sehen [kann], der keinem normalen Leser zugänglich ist“40. (2) Trotz des programmatischen Titels Zeichen und Werke wird ἔργον nur auf wenigen Seiten untersucht und bedarf einer vertieften Analyse. Auf den Seiten 27–80 werden die Zeichen untersucht, die Ausführungen zu den Werken verteilen sich dagegen nur auf sechs Seiten (S. 83–88).41 Allein diese quantitative Verteilung verweist darauf, dass der Begriff ἔργον trotz der spezifischen Zielsetzung der Monographie dem Begriff σημεῖον untergeordnet bleibt. 1.2.2 Chr. Welck (1994): σημεῖα als spezifische ἔργα Jesu Die bisherige johanneische Literarkritik ablehnend untersucht C. Welck den σημεῖον-Begriff im Zusammenhang mit den johanneischen Wundergeschichten. Über ἔργον stellt der Verfasser fest: Ἔργον bezeichnet demnach sowohl die einzelne Tat, speziell auch die Wundertat Jesu (σημεῖον), als auch das durch Jesu einzelne ‚Werkeʻ insgesamt heraufgeführte und in seiner ‚Erhöhungʻ gipfelnde (Heils-)‚Werk‘, das sich seinerseits in zu Jesu Taten analogen ‚Werkenʻ derer, die nunmehr an ihn glauben, auswirkt und so gewissermaßen eine Fortführung erfährt.42

C. Welck beschränkt sich auf das „soteriologische Gepräge des johanneischen Begriffs ἔργον/ἔργα“.43 Weitergehende Präzisierungen des Zeichen- sowie des Werksbegriffs z. B. in eschatologisch-christologische bzw. soteriologischekklesiologische Kategorien44 lehnt er aufgrund des textlichen Befundes ab. Für ihn nehmen die Zeichen Jesu insofern eine besondere Stellung ein, als dass das σημεῖα ποιεῖν nur Jesus zugeschrieben wird. „Die σημεῖα sind also Jesu spezifische ἔργα.“45 39 Auch WELCK 1994:15f kritisiert die Literarkritik, die für ihn „wenig überzeugend“ erscheint. Weiterhin wird das entstehungsgeschichtliche Gesamtbild und die These, „daß ἔργον ein anderes, umfassenderes Bedeutungsfeld als σημεῖον aufweist“, hinterfragt. 40 T HYEN 2015:697–699. 41 Die verbleibenden Seiten reflektieren „das Ego eimi Jesu“ (WILKENS 1969:89–99), „die Verherrlichung Jesu“ (:100–113), „die prädestinatianische Begründung des Glaubens“ (:114–121), „das Verhältnis zum Alten Testament“ (:122–128), „die Bedeutung des Prologs für die johanneische Theologie“ (:129–133) und „die heilsgeschichtliche Konzeption des Evangelisten“ (:134–140), ohne eine Verbindung zu den ‚Werkenʻ herzustellen. 42 W ELCK 1994:56. Vgl. POPLUTZ 2013:664. 43 W ELCK 1994:55f.285. 44 Gegen S. Hofbeck vgl. W ELCK 1994:56. 45 W ELCK 1994:56f.

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

Auch wenn sich C. Welck der Interrelation von ‚Zeichenʻ und ‚Werkenʻ durchaus bewusst ist, bleibt er in den Bahnen seiner eigenen Fragestellung und leistet kaum einen verwertbaren Beitrag für die Semantik des Begriffs ἔργον.46 Es bleibt sein Verdienst, die besondere Wirkungstätigkeit Jesu, die sich im σημεῖα ποιεῖν kund tut, hervorzuheben. Andere mögliche semantische Bedeutungsgehalte von ἔργον κτλ. ordnen sich diesem Ertrag unter. 1.2.3 Chr. Karakolis (2012): Die ethische Wirkung von σημεῖον und ἔργον In seinem Artikel Semeia Conveying Ethics in the Gospel According to John erörtert C. Karakolis (1) die semantische Bedeutung der σημεῖα, (2) ihre Interrelation zu ἔργον und (3) die Verbindung beider Termini zur Familienmetaphorik und zum ethischen Hauptthema Liebe. Schließlich wendet er die erarbeiteten Thesen auf die σημεῖα-Erzählungen im Evangelium an.47 Er nimmt eine weitgehende Parallelität beider Begriffe an. Zu diesem Schluss kommt er, weil er zum einen ein weites Verständnis der σημεῖα zugrunde legt48 und zum anderen die Besonderheit von ἔργον darin sieht, dass der Begriff nahezu ausschließlich von Jesus gebraucht wird.49 „While signs refer to the hidden meaning of Jesus’ deeds that has not yet been fully revealed, (...) works refer to the already revealed meaning of Jesus’ deeds.“50 Eine ethische Dimension bei ἔργον erkennt er dort, wo sich der Begriff auf Menschen bezieht. „The works as ethical actions reveal the moral character of the people who perform them.“51 Jedoch erscheint die ethische Wirkung auf dem Hintergrund der Familienmetaphorik, die das gesamte Evangelium durchdringt, indem „these new members on their part also have to be united, to love each other, to love the Father and to perform the works that Jesus has already done and even greater works than his (14:12).“52 C. Karakolis überzeugt darin, dass er semantische Gemeinsamkeiten und Differenzen der Begriffe σημεῖον und ἔργον solide interpretiert. Der Begriff der Werke erscheint als eine eigenständige semantische Kategorie, die er skizzenhaft darstellt. Vage bleiben seine Ausführungen dort, wo er die sich auf den Vater und Jesus beziehenden ἔργα als „miracles“ versteht, ihnen aber wegen 46 Das anachronistische Wir und die ἔργα in Joh 9 bilden die Taufe vor, die ‚größeren Werkeʻ in Joh 14,12 die Predigt und Sakramente (vgl. WELCK 1994:187.285). 47 K ARAKOLIS 2012:193. 48 „Johannine signs are not just ordinary miracles performed by Jesus. I would define signs in the Fourth Gospel as referring to any deeds of Jesus that even slighty bear a supernatural character and, therefore, are an indirect call towards people to believe in him“ (KARAKOLIS 2012:196.212). 49 Vgl. KARAKOLIS 2012:198f. 50 K ARAKOLIS 2012:199. 51 K ARAKOLIS 2012:199f. 52 KARAKOLIS 2012:203. So wie bei Jesus selbst sollen die Werke der Nachfolger Jesu von Gehorsam und Liebe geprägt sein (:208).

1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv

29

der Semantik von ἔργον eine bestimmte ethische Stoßrichtung, die dem „implied author“ klar ist, zugesteht.53 Hier bleiben Fragen offen, welcher Art von von Ethik diese ἔργα konkret vermitteln. Und wie kommt der „implied author“ zu seinem ethischen Verständnis? Können hier textimmanente oder außertextliche Kriterien als heuristisches Inventar für eine moralische Signifikanz dienen? Hier hätte man sich konkretere Ausführungen gewünscht. 1.3 Herausragende Untersuchungen über ἔργον κτλ. Folgende einschlägige Monographien setzen sich umfassend mit dem Untersuchungsgegenstand auseinander und sollen im Folgenden gewürdigt werden: J. Riedl (1973), S. Pancaro (1975), R. Heiligenthal (1983), F. Grob (1986), G. van Belle (1994)54, P. W. Ensor (1996) und A. J. Köstenberger (1998). 1.3.1 J. Riedl (1973): Das Standardwerk über ἔργον κτλ. im JohEv In seiner im Jahr 1973 veröffentlichten Habilitation Das Heilswerk Jesu nach Johannes untersucht J. Riedl „alle über das JE [JohEv] verstreut vorkommenden ἔργον-ἔργα und ἔργάζεσθαι-Aussagen, um in kritischer Exegese ihren Aussagegehalt zu heben“55. Dabei ordnet der Verfasser seine Untersuchung „systematisch nach dem Werk-Träger, also nach dem Subjekt, von dem die einzelnen Werk-Aussagen gemacht werden“ (Gott-Vater, Jesus, Menschen und der Teufel).56 J. Riedl beobachtet „eine begriffliche Überschneidung der joh Werkterminologie mit anderen joh Grundbegriffen wie Semeion und Doxa“, geht aber in seiner Interpretation nicht über W. Wilkens hinaus.57 Weil ἔργον mit dem σημεῖον verbunden, aber auch übergeordnet ist bzw. einen (semantischen) Mehrwert hat, „ist der Aussagecharakter der Werkterminologie mehr christologisch-theologisch-soteriologisch-ekklesiologisch orientiert“58. Im Gegensatz zu W. Wilkens eruiert J. Riedl aber diese Sichtweise „nicht auf Grund der schematischen Zweiteilung des Evangelium-Stoffes“, sondern „nur der konsequent durchgehaltene eschatologische Standpunkt des Evangelisten“ liefert aus seiner Sicht eine Interpretationshilfe für die Werkterminologie.59

53

Vgl. KARAKOLIS 2012:200.212. Die Monographie von G. van Belle skizziert lediglich in einem „Anhang“ die Bedeutsamkeit von ἔργον im JohEv. 55 R IEDL 1973:16 (Akzent-Fehler so im Original). 56 Vgl. RIEDL 1973:16f. 57 Vgl. RIEDL 1973:406–418. 58 R IEDL 1973:410. 59 RIEDL 1973:416f. In seiner Behandlung der johanneischen Eschatologie (:31–40) stützt er sich im Wesentlichen auf die Arbeit von J. Blank (Zur Kritik an J. Blanks Studie (1964) vgl. FREY 1997:236–238). 54

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

Die Arbeit von J. Riedl leistet – wie keine andere Untersuchung vor oder nach ihm – auf dem Hintergrund der damaligen Forschungssituation eine exegetische und theologische Würdigung aller Werkaussagen und kann daher als Standardwerk bezeichnet werden. So analysiert der Verfasser – als einer der wenigen Exegeten – auch die Belegstellen zum Verb ἐργάζεσθαι. Weiterhin untersucht er nicht nur die theologischen und christologischen ‚Handlungsträger‘, sondern befasst sich auch mit anthropologischen Hinweisen der Werke. Seine Studie endet mit einer theologischen und christologischen Zusammenfassung, in der er auf den Vater als Urinitiator und eigentlichen Träger des Heilswerkes, auf den in Abhängigkeit vom Vater wirkenden Sohn und auf den gläubigen Menschen und das in ihm und durch Jesus wirkende Heilswerk Gottes zu sprechen kommt. Schließlich werden auch der ungläubige Mensch und seine Haltung zum Teufel skizziert.60 (1) Trotz dieses umfassenden Entwurfs bringt die allein systematische Vorgehensweise von J. Riedl einige Nachteile mit sich. Insbesondere entgeht dem Leser die Vorstellung, inwieweit ἔργον κτλ. in der narrativen Struktur des Evangeliums verortet ist. Um diesem Phänomen Rechnung zu tragen, hat N. Chibici-Revneanu zum Beispiel in ihrer Studie auf ca. 250 Seiten den Gebrauch der Lexeme δόξα und δοξάζειν nachgezeichnet.61 Ihr Ziel ist es darzustellen, dass „die unterschiedlichen Kontexte, in denen δόξα und δοξάζειν im Joh begegnen, im Joh nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern sich bei näherer Betrachtung gut ineinander fügen“.62

Nun ist zustimmend festzustellen, dass jeweils die spezifische Untersuchungsfrage über Aufbau und Konzeption einer wissenschaftlichen Darstellung entscheidet. Deshalb ist die gewählte Darstellung von J. Riedl legitim. Gleichwohl wäre auch eine am Erzählverlauf des Evangeliums orientierte Darstellung wünschenswert. Ethische Implikationen von ἔργον κτλ. werden bei J. Riedl nicht besprochen. Auch in den Schlussfolgerungen in Bezug auf den gläubigen bzw. ungläubigen Menschen bleiben die Ergebnisse stark theologisch bzw. christologisch geprägt. Andererseits bemüht sich hier J. Riedl im Gefolge von J. Blank, den Glaubensakt stets als freie Selbstentscheidung des Menschen darzustellen63, wodurch nach der Einschätzung von J. Frey die „prädestinatianisch klingenden Aussagen des Johannesevangeliums (…) eher zurückgedrängt bzw. sachlich aufgrund der dogmatischen Voraussetzung des liberum arbitrium außer Kraft gesetzt“64 werden.

60

Vgl. RIEDL 1973:418–433. CHIBICI-REVNEANU 2007:59–324. 62 C HIBICI-REVNEANU 2007:515. 63 Vgl. RIEDL 1973:427f.430f. 64 FREY 1997:238f. 61

1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv

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Die Wortfamilie wird allein im Kontext des JohEv behandelt. Ein Vergleich des Sprachgebrauchs von ἔργον κτλ. mit der Literatur der neutestamentlichen Umwelt vollzieht J. Riedl nicht, was R. Heiligenthal zu folgendem Urteil verleitet: Aus diesem Mangel erklärt sich auch das unzutreffende Ergebnis der Untersuchung. Riedl kommt zu einem summarischen Verständnis von ἔργον als ‚Heilswerk‘, was der joh Technik der Aufnahme und Verschränkung verschiedener traditioneller Verwendungsformen des Begriffes ἔργον nicht entspricht.65

Die Arbeit von J. Riedl gibt detaillierte exegetische Einsichten in Bezug auf ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv, vernachlässigt jedoch die Analyse einer ethischen Wirkung dieser beiden Lexeme auf den Leser. 1.3.2 S. Pancaro (1975): Die ‚Werke tunʻ als nomistischer Begriff In seiner Studie The Law in the Fourth Gospel fragt S. Pancaro: „In describing the activity of Jesus as τὸ ἔργον (τὰ ἔργα) τοῦ θεοῦ ποιεῖν, is Jn [John] once again reflecting ‚nomisticʻ terminology and giving it a radically new scope and breadth of meaning?“66 Er kommt zu dem Schluss, dass das Werk Jesu in gewisser Weise das Gesetz erfüllt, aber nicht im traditionellen Verständnis der Gesetzesfrömmigkeit. The ‚worksʻ Jesus does are not those of a pious Jew, fulfilling the ‚preceptsʻ of the Law, but part of the one ‚workʻ which he alone, as Son of God who acts in total unity with the Father, can accomplish: the gift of life (τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ), the end towards which the Law tended. In this sense the ‚work(s)ʻ of Jesus is (are) the fulfilment of the Law.67

Der Verfasser bleibt aber nicht nur bei dieser christologischen Deutung, sondern sieht auch anthropologische Konsequenzen. Inwieweit ist das ‚Werk Gottes‘, zu dem Menschen beauftragt werden (vgl. Joh 6,28f; 8,39), als Gesetzeserfüllung aufzufassen? Hier plädiert er für eine Kontinuität als auch Diskontinuität im Blick auf das Gesetz: He [John] seems to be trying to present faith as that which absorbs and surpasses the works of the Law, rather than as something radically distinct and even opposed to the ‚works of the Law‘. For Jn[John] the Law should lead to Jesus, the ‚works of the Lawʻ to faith in Jesus!68

Weiter stellt S. Pancaro die jüdische Denkart heraus, wonach ‚Werkʻ stets eine doppelte Herkunft bzw. Wirkungstätigkeit impliziert: „God and man“.69 Hier entsteht ein Synergismus, der nicht aufzulösen ist.70 Zur ethischen Implikation 65

HEILIGENTHAL 1983:136. PANCARO 1975:385. 67 PANCARO 1975:389; ähnlich SCHROEDER 2002:196. 68 PANCARO 1975:392f. 69 PANCARO 1975:399. 70 Zum Synergismus bei Paulus siehe DREWS 2006:69f. 66

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

des JohEv schreibt er: „Jn[John] does not divorce faith and discipleship from the overall ‚Heilswerkʻ of Christ. (...) By remaining in Christ the disciples are given an active part in his ἔργον.“71 Im Gegensatz dazu stehen die ‚schlechten Werkeʻ (Joh 3,19; 7,7), die nicht nur im ethischen Sinn, sondern insgesamt die radikale Opposition gegen das Heilswerk Gottes offenbaren.72 Es ist das Verdienst von S. Pancaro, den zutiefst jüdischen Charakter des JohEv in die Interpretation um τὰ ἔργα einzubinden und gleichzeitig die theologische Neuerung aufzunehmen, welche das Christus-Ereignis mit sich bringt. Auf meine Fragestellung bezogen sind seine Ausführungen von ihrem Umfang her beschränkt, was sich z. B. auch darin zeigt, dass er die Studie von J. Riedl nicht rezipiert. 1.3.3 R. Heiligenthal (1983): ἔργον im Judentum und paganen Griechentum In der Dissertation Werke als Zeichen: Untersuchungen zur Bedeutung der menschlichen Taten im Frühjudentum, Neuen Testament und Frühchristentum (1983) will der Verfasser den „sowohl im Judentum als auch im paganen Griechentum so wichtigen Begriff wie ἔργον“ unter Berücksichtigung außerchristlicher Texte untersuchen und „die biblische Rede von den menschlichen Taten in ihrer jeweiligen konkreten Situation“ erfassen.73 Von besonderer Bedeutung ist diese Arbeit deshalb, weil R. Heiligenthal grundsätzlich die Beziehung zwischen ἔργον und ἦθος behandelt74, das Verständnis der menschlichen Werke im pagan-griechischer Literatur herausarbeitet75, methodisch auf Wortverbindungen von ἔργον achtet76 und auf diesem Hintergrund relevante johanneische Texte untersucht.77 Insbesondere die tradi-

71

PANCARO 1975:399f. PANCARO 1975:401. 73 H EILIGENTHAL 1983:xiii–xiv. 74 Neben der allgemeinen ‚Erfahrungsregelʻ – ein Mensch ist nur aufgrund seiner Werke zu beurteilen – werden die Sichtweise des Aristoteles (Aristoteles leugnet „das Vorhandensein von Tugenden, die sich nicht in Werken manifestieren“) und der Stoiker („Die Tat ermöglicht keinen direkten Rückschluß auf das Ethos“) dargestellt (siehe HEILIGENTHAL 1983:1–6). 75 Die Wortfamilie kommt insbesondere in den Gattungen des Enkomions, der Prosopographie, der Gerichtsrede, des Hymnus und der ‚fiktiven Selbstanklageʻ vor (vgl. HEILIGENTHAL 1983:8–14). Werke sind dort „Mittel der Charakterbezeichnung; sie offenbaren die inneren Eigenschaften des Menschen. In Gerichtsreden dienen sie vornehmlich der Beurteilung des Menschen“ (:24f). Im Vordergrund steht jeweils der Erkenntniswert der Taten im Gegensatz zu deren Leistungscharakter (:25). 76 Vgl. HEILIGENTHAL 1983:21–24. 77 Es werden folgende Texte in dieser Reihenfolge untersucht: Joh 8,31–47; 10,31–39; 5,19f; 4,34 und 17,4; 5,20.36; 6,28; 7,3.21; 10,32–38; 3,16–21 (vgl. HEILIGENTHAL 1983:84–87.87–92.135–142.217–234). 72

1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv

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tionsgeschichtlichen Ergebnisse und der Aufweis einer semantischen Mehrdeutigkeit von ἔργον machen die Studie von R. Heiligenthal zu einem wertvollen Gesprächspartner für meine Fragestellung. Allerdings kann seine Untersuchung wegen der breiten Fragestellung den spezifisch johanneischen Gebrauch von ἔργον nicht ausreichend erörtern. 1.3.4 F. Grob (1986): Das Tun der Werke drückt sich im Liebesgebot aus Die Studie von F. Grob Faire l’œuvre de Dieu: christologie et éthique dans l’Évangile de Jean widmet sich dem bedeutungsvollen Gebrauch von ἔργον im JohEv. Der Autor beobachtet, dass Johannes den Begriff σημεῖον häufig zugunsten von ἔργον austauscht (vgl. Joh 2 und 3; 6; 9) und stellt fest: Notre thèse est celle-ci: Jean nous fait passer du signe à l’œuvre délibérément, et non par hassard ou par une négligence dans l’emploi des mots. Le changement de vocabulaire correspond à un dessein théologique. Il est au cœur de un des aspects de la pensée johannique.78

Anhand exegetischer Ausführungen zu Joh 3 und 9 stellt der Autor dieses johanneische Paradigma fest. Es geht Johannes darum, das Wirken des Vaters und des Sohnes mit dem Begriff der Werke (genauer: Gotteswerke), nicht mit dem der Zeichen, literarisch zu entfalten.79 Denn die Zeichen drücken im JohEv die verkehrte messianische Erwartung der Menge aus.80 Andererseits beobachtet F. Grob aber auch, dass Johannes keineswegs den terminus σημεῖον wegen seiner ‚theologischen Schwächeʻ aufgibt. Daher untersucht er im zweiten Kapitel die Bedeutung der Zeichen im JohEv (Die zentralen Stellen sind für ihn Joh 2,1–11; 12,27; 20,30; 4,48 und 6,26.).81 Es schließen sich eine Untersuchung des Gesetzes (Joh 4), eine Interpretation der Werke des Vaters (Joh 5,21–30) und der Zeugenqualität der Werke anhand von Joh 5,31–47 an.82 Die ethische Implikation der Studie ist, dass die Jünger von Jesus sein Werk fortführen werden. La seule réponse à l’action de Jésus, la seule façon pour les destinataires de la mission de considérer l’accomplissement de la mission, c’est de croire: non seulement accueillir celui qui la fait comme l’envoyé du père, mais aussi accueillir la mission elle-même comme œuvre

78

GROB 1986:19f. GROB 1986:47. Hier klagt er (zu Recht) die johanneische Forschung an, die im Gefolge R. Bultmanns gerade σημεῖον als Verstehenshilfe für das JohEv ins Zentrum gerückt hat (:46f). Dagegen bieten gerade die ‚Werkeʻ eine theologische Vertiefung: „…l’œuvre de Dieu n’est pas unique, elle est multiple. Ainsi, dans la guèrison, se manifeste non une œuvre unuque mais plusieurs à des niveaux différents, la guèrison elle-même, le jugement, le passage de l’homme des ténèbres à la lumière du Christ“ (:38). 80 Vgl. GROB 1986:49. 81 Vgl. GROB 1986:47f. 82 Vgl. 3. Kapitel: „De la loi à la moisson“ (GROB 1986:75–112); 4. Kapitel: „L’œuvre du Père“ (:113–154) und 5. Kapitel: „Le témoignage des œuvres“ (:155–195). 79

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

créatrice de vie pour eux. (...) Toutes les œuvres de Jésus, guérisons, rassasiement, rencontres, actions de salut, deviennent tout à coup autant d’exemples pour ceux qui, à sa suite, vont non seulement donner leur vie, mais faire ce qu’il a fait, créer des conditions pour la vie nouvelle et éternelle. (...) Pour suggérer quelles sont les œuvres porteuses de vie que les croyants auront à faire dans la ligne de l’œuvre parfaite du fils, pour décrire l’éthique de la communauté croyante mandatée pour faire l’œuvre du fils au milieu d’un monde généralement peu bienveillant, l’Evangile de Jean n’a qu’un mot, un commandement, un principe éthique: ‚Comme je vous ai aimés, aimez-vous les uns les autres‘.83

Die Arbeit von F. Grob weist einige Vorzüge auf: (1) Der Verfasser rechnet mit einer Mehrdeutigkeit bei ἔργον κτλ.84 (2) Er geht grundsätzlich von der Einheitlichkeit des JohEv. Literarische Brüche und Spannungen sieht er als gewollten Stil und Absicht des Evangelisten an.85 (3) Die Verbindung von Theologie und Ethik und ihre Zuspitzung auf den Begriff des ἔργον stellen die Arbeit in einen engen Kontext zu meiner eigenen Fragestellung. Allerdings überzeugen manche Thesen von F. Grob kaum, was P. W. Ensor zu dem Urteil veranlasst: „Grob’s treatment is less thorough [im Vergleich zur Arbeit von J. Riedl], contains questionable exegesis in a number of places, and again ignores the question of ‚authenticity‘.“86 So lässt auch die teils bildhafte Sprache durchblicken, dass es dem Verfasser um ein populärwissenschaftliches Publikum geht. 1.3.5 G. van Belle (1994): Semantische Vielfalt von ἔργον Einen hervorragenden Beitrag zur Begriffsanalyse von ἔργον leistet G. van Belle in seiner forschungsgeschichtlichen Studie zur Semeia-Quellenhypothese. In einem Anhang untersucht er „the relationship between σημεῖον and ἔργον, the unity of signs and discourses, the characteristics of the Johannine σημεῖα, the theme of seeing signs and believing, and the meaning of σημεῖα in Jn 20,30–31“.87 Sein Beitrag ist trotz des überschaubaren Umfangs durch eine gründliche Aufarbeitung der Sekundärliteratur und der Annahme – „ἔργον has a wider meaning“88 – geprägt. So enthält der Terminus im JohEv je nach Kontext eine christologische und theologische, soteriologische, ekklesiologische und ethische Implikation. Hierin ist G. van Belle einer der wenigen Exegeten, der eine ethische Wirkung von ἔργον κτλ. in die neutestamentliche Forschung einführt.

83

Vgl. jeweils GROB 1986:184f.189.195. Für Zeichen vgl. GROB 1986:48, für Werke siehe 1986:77. 85 Vgl. GROB 1986:184. 86 E NSOR 1996:2. 87 V AN BELLE 1994:379.379–404. 88 V AN BELLE 1994:385. 84

1. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. im JohEv

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1.3.6 P. W. Ensor (1996): ἔργον als verbaler Ausspruch Jesu P. W. Ensor interessiert in seiner Arbeit Jesus and His ‚Worksʻ (1996) die Frage, inwiefern das vierte Evangelium authentisches Material in den Reden Jesu bietet. Nach Klärung einiger Einleitungsfragen (Verfasserschaft, Beziehung des JohEv zu den Synoptikern, religionsgeschichtliche und literarkritische Fragestellungen) stellt der Verfasser fest: Alongside these tentative results, however, it has also been argued that there is nothing in the theories which have been examined which necessarily damages the case that the Fourth Gospel may contain some sayings of Jesus which stand in close relation to what he actually said and others which faithfully summarise the general thrust of his teaching.89

Aus dieser positiven Annahme heraus wird das Konzept der ‚Authentizitätʻ definiert90 und die Verwendung der alttestamentlichen Zitate durch den Evangelisten als „a clue to the way he may well have handled the tradition of the sayings of Jesus which he possessed“91 untersucht. Diesen Ansatz – die authentische Rede Jesu im JohEv zu erheben – verfolgt der Autor anhand einer exegetischen Untersuchung der Vorkommen von ἔργον und ἐργάζεσθαι. „Our more modest aim will be to apply these ideas to just one theme which occurs at various places in Jesus’ teaching throughout the Gospel, namely the theme of his doing the ‚workʻ or the ‚worksʻ of God.“92 Die Arbeit von P. W. Ensor liefert einen kenntnisreichen Forschungsüberblick zum ἔργον-Begriff im JohEv und bietet im Rahmen ihrer eigenen methodischen Begrenzung solide exegetische Ergebnisse.93 Nichtsdestotrotz sind aber auch einige Grenzen angezeigt: (1) Der Autor wird von einer ganz anderen Fragestellung als ich geleitet. (2) „Rather our plan will be to concentrate mainly on those sayings in which Jesus himself is represented as speaking explicitly about his own activities“.94 Insbesondere Texte, die eine ethische Implikation nahelegen, werden also in dieser Monographie nicht behandelt. (3) Vereinzelt stellt sich dem Leser die Frage, weshalb der Verfasser die Darstellung der Wirkungsgeschichte der betreffenden Texte in der patristischen Literatur vornimmt. In seinen Ausführungen wird nicht deutlich, inwieweit die Wirkungsgeschichte in Verbindung steht mit der eigentlichen Frage nach authentischem Material der Reden Jesu im JohEv.

89

ENSOR 1996:25; siehe auch (:14–33). P. W. Ensor unterscheidet drei graduelle Ebenen der Authentizität in den Evangelien: (1) die ipsissima verba von Jesus; (2) eine wörtliche Übersetzung der Worte Jesus aus dem Aramäischen in die griechische Sprache und (3) die Wiedergabe des allgemeinen Inhalts der Rede bzw. Worte Jesu (1996:32f). 91 E NSOR 1996:83. 92 E NSOR 1996:83. 93 Vgl. CARSON 1999:3. 94 ENSOR 1996:2: Joh 3,19–21; 6,27–30; 7,3.7; 8,39.41 und 14,12 werden nicht behandelt. 90

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

1.3.7 A. J. Köstenberger (1998): Mission im JohEv und ἔργον A. J. Köstenberger untersucht The missions of Jesus and the disciples according to the Fourth Gospel (1998). Mit der Absicht eine Missionstheologie bei Johannes zu beschreiben, geht er von zwei semantischen Feldern aus: „The first (…) denote an activity involving movement from one place to another (…), the second (…) appears to include terms for the task, or the work, that one is sent (or has come) to carry out“.95 Zum Letzteren gehört bei ihm auch die Wortfamilie ἔργον. Dem Autor gelingt es, methodisch durchdacht das Gemeinsame und das Besondere der Mission Jesu und seiner Jünger zu erheben. Dabei bekommt die Mission der Jünger im zweiten Teil des Evangeliums ein stärkeres Gewicht.96 Und auch wenn A. J. Köstenberger nicht explizit nach der Ethik im JohEv fragt, bleibt es untersuchen, inwieweit die Mission der Jünger eine moralische Signifikanz in sich trägt. Die Arbeit hat ihre Grenzen, weil sie (1) nicht alle Textstellen mit dem Vorkommen der Wortfamilie ἔργον untersucht und (2) ἔργον als einen allgemeinen Begriff unter die Tätigkeit Jesu subsummiert.97 (3) Die Arbeit ist darin angreifbar, als dass sie mit einem vorgefertigten Konzept von ‚Missionʻ an das JohEv herantritt.98 1.4 Zusammenfassung Die bisherigen Ausführungen haben sich sich auf Erträge neutestamentlicher Forschung konzentriert, die im Rahmen exegetischer Fragestellungen die Begriffe ἔργον und ἐργάζεσθαι untersucht haben. Dabei zeigt sich ein breites Spektrum. Während manche Exegeten das häufige Vorkommen der Lexeme kaum würdigen, haben andere ἔργον als Synonym zum spezifisch johanneischen und in der Forschung bedeutsamen ‚Zeichen‘-Begriff interpretiert. Das Lexem ἔργον wurde dann meist als der umfassendere Begriff zu den Zeichen

95

KÖSTENBERGER 1998:27f. Vgl. KÖSTENBERGER 1998:197f. Wesentlich für diese Untersuchung ist die Stelle Joh 14,12, die anderen Einzeltexten die Grundlage für die ‚Mission der Jüngerʻ bietet. 97 KÖSTENBERGER 1998:73. Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, wird aufgrund einer einzelnen Detailarbeit am JohEv exegetisch zu untersuchen sein. 98 OKURE 1988:37. KÖSTENBERGER 1998:40f sieht diese Gefahr, wirft jedoch seinen Kritikern vor, dass sie trotz Verneinung einer expliziten Definition ein implizites Verständnis von Mission ebenfalls an das JohEv herantragen (vgl.). Für ihn besteht die Lösung darin, zunächst mit „a working definition“ eine Untersuchung des JohEv durchzuführen (:41), um anschließend diese Definition zu bestätigen bzw. zu korrigieren (:199f). Sein Ergebnis lautet schließlich: „The working definition in Chapter 2 thus proved to be generally valid in the study of the missions of Jesus and of the disciples in Chapters 3 and 4 and can therefore be adopted permanently“ (:200). 96

2. Debatte um eine Ethik im JohEv

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gesehen.99 Ἔργον wirkt unspezifisch und entfaltet demgemäß keine eigene theologische Bedeutung im Text des Evangeliums. Die Mehrheit der bedeutendsten Monographien hat allein nur das Nomen im Blick. Die Relevanz dieser Arbeiten für meine Forschungsfrage divergiert und ist ganz von der jeweiligen Fragestellung der Studien abhängig. Auch in ihrer Qualität und Ausführlichkeit unterscheiden sie sich. Zumeist dominiert eine theologisch-soteriologische Deutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι wie sie etwa J. Riedl vorgelegt hat. Eine Ausnahme ist die Studie von R. Heiligenthal, die sich auf die Bedeutung menschlicher Taten im Frühjudentum, NT und Frühchristentum bezieht. Sie kann aber wegen ihres umfassenden Ansatzes nur einen Teil des Phänomens im JohEv erfassen. Darüber hinaus haben neuere Forschungsbeiträge die Frage nach einer Ethik im vierten Evangelium wiederholt gestellt und entscheidende Einsichten angestoßen. Daher sind im Folgenden zunächst diese Impulse zur Ethik im JohEv und ihre Relevanz für meine eigene Fragestellung zu würdigen.

2. Die Debatte um eine Ethik im JohEv 2. Debatte um eine Ethik im JohEv

Wenn Glauben und Handeln bzw. Theologie und Ethik aufs engste aufeinander bezogen sind100, wäre eigentlich anzunehmen, dass bei so viel Glauben101 im JohEv auch das ethische Handeln häufig in der johanneischen Forschung untersucht worden ist. Das Gegenteil ist aber der Fall. J. van der Watt stellt nach einem kurzen Forschungsüberblick zur Ethik bei Johannes fest: „When Johannine ethical material is considered in publications, it is usually done in a restricted manner“.102

99 Vgl. BECKER 2004:248. Aus der wissenschaftlichen Perspektive der Semantik handelt es sich dann um Hyperonymie (vgl. BUSSE 2009:105). 100 So etwa CHANG 1995:201; KANAGARAJ 2001:34; LÖHR 2005:151f; 2013:440; SCHNACKENBURG 1988:160f; SCHRAGE 1989:302; WEYER-MENKHOFF 2012a:58. 101 Allein das Verb πιστεύειν kommt im JohEv 98x vor (241x im NT). Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang auch noch andere Lexeme wie ἰδεῖν (82x im JohEv; 483x im NT), εἰδέναι (84x im JohEv; 318x im NT) usw., die dann eine enorme Bandbreite an ‚Glaubensaussagenʻ im JohEv zu Tage bringen (vgl. ZIMMERMANN 2004:51–55; für eine differenzierte Sicht zwischen πιστεύειν und ἰδεῖν siehe jüngst TAM 2015:10f). 102 VAN DER WATT 2006c:147. Zur neuesten forschungsgeschichtlichen Aufarbeitung dieser Fragestellung vgl. WAGENER 2015:48–51; WEYER-MENKHOFF 2012a:7–33; ZIMMERMANN 2012c:133–146.

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

2.1 Zweifel an einer Ethik im JohEv Immer wieder wurde eine Ethik im JohEv – unter der Prämisse einer bestimmten Theorie-Perspektive103 – gänzlich bestritten104 oder lediglich in einzelnen Konzepten wie Liebe, Gesetz oder Sünde wahrgenommen, dann aber häufig als sogenannte „Konventikelethik“ (E. Käsemann) oder Binnenethik abgewertet.105 Allenfalls das Liebesgebot nimmt einen herausragenden Platz in den verschiedenen Arbeiten zur johanneischen Ethik ein106. Aber auch hier wird z. B. „Joh 13,34f. oftmals als Indiz einer strikten Sektenmentalität der johanneischen Gemeinde gewertet“.107 So sieht J. Becker in den johanneischen Schriften die Aufkündigung eines mit dem Begriff Liebe verbundenen Außenverhältnisses hin zum Rückzug in die begrenzte Kleingruppe als gegeben an.108 Er kann zu diesem Urteil kommen, weil er im Corpus Johanneum einen ausgeprägten Dualismus, der ihm wie eine argumentative Abfolge erscheint, verortet: A) Gott ist Liebe. B) Der Teufel und die Welt stehen dem mit ihrem ‚Wesenʻ entgegen. C) Göttliches Handeln richtet sich an die Erwählten. D) Also werden die Erwählten zum Bleiben in der Liebe aufgefordert, die sich in der Bruderliebe äußert. E) In der Folge hält die Gemeinde Abstand zu den teuflischen Werken, was sich in Angst vor der Welt äußert. „Ein Übersteigen der Gemeindegrenze durch Akte der Liebe ist nicht eingeplant.“109 J. Becker postuliert selbst, dass einer solchen Denkstruktur bzw. einem solchen theologischen Weltbild die Überwindung des Rückzugs aus der Welt ‚systemfremdʻ ist. Es hilft dann nur bedingt, wenn man der Disqualifizierung der Bruderliebe „als vermeintlich gnostische Minimalisierung der Weltbezie103

Vgl. z. B. die Definition von RENDTORFF 1990:13: „Ethik ist die Theorie der menschlichen Lebensführung. Sie fragt nach der Notwendigkeit und Möglichkeit der Stellungnahme des Menschen zu seiner Lebensführung“. Zur Kritik einer solchen Prämisse in der Ethik vgl. ZIMMERMANN 2012c:141–144. 104 So etwa HOULDEN 2004:35–37; MEEKS 1996:317–320; SCHULZ 1987:237; J. T. Sanders sowie E. E. James bei KANAGARAJ 2001:33f. Dieselbe Beobachtung äußern BURRIDGE 2007:330f; HAYS 2006:139; KANAGARAJ 2001:33f; PLANT 2012:7–13; SCHNELLE 2006:309f; VAN DER WATT 2006c:149; 2013:135; WANNENWETSCH 2013:113f; WEYERMENKHOFF 2012a:7–10; ZIMMERMANN 2012a:45f. 105 LATTKE 1975:24. „E. Käsemann speaks of the community as a ‚Konventikel mit gnostisierenden Tendenzen‘“ (bei NISSEN 1999:195). Vgl. dazu FREY 2013b:767; POPKES 2005:5.41–45; WANNENWETSCH 2013:121–123; ZIMMERMANN 2012a:48. 106 Vgl. u. a. AUGENSTEIN 1993; DETTWILER 1990; HOULDEN 2004:36; LATTKE 1975; MARXSEN 1989:247–256; MEEKS 1996:324; NISSEN 1999:200–205; PLANT 2012:14; POPKES 2005; SCHRAGE 1989:301–324; SCHULZ 1987:240f; WANNENWETSCH 2013:117–119. Für weitere Quellen siehe WAGENER 2015:49f; ZIMMERMANN 2012a:47f. 107 POPKES 2005:265.365. Paradigmatisch siehe LATTKE 1975:22–26. 108 Vgl. BECKER 1995:393. 109 B ECKER 1995:393.

2. Debatte um eine Ethik im JohEv

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hungen eines Konventikelchristentums“ mit dem Verständnis für eine natürliche Reaktion im Kontext von Anfeindungen von Außen oder mit dem Verweis auf „ganz beträchtliche missionarische Aktivität“ begegnet.110 Vielmehr wird man bei der Theologie selbst ansetzen. Ist denn im göttlichen Handeln in seinem Sohn tatsächlich eine Eingrenzung nur auf die Seinen vorgegeben? Und hat der Gesandte des Vaters nicht gerade mit seinem Kommen in das Seine – τὰ ἴδια kosmologisch interpretiert (Joh 1,11) – eine Grenzüberschreitung paradigmatisch vorgegeben? Und deutet schließlich im Liebesgebot selbst die angedeutete Außenwirkung nicht auf Kommunikation mit der Welt (Joh 13,34f)? Die Schlussfolgerungen, die in Teilen älterer neutestamentlicher Forschung aus einem markanten Dualismus in den johanneischen Schriften gezogen wurden, haben die johanneische Exegese auch in Fragen der Ethik beeinflusst. Neuere Studien hinterfragen zurecht diese Dualität und die von der Gnosis geprägte historische Sichtweise, indem sie stärker als bisher die komplexen Strukturen diverser Motive in johanneischen Texten, also die johanneische Sprache selbst, wahrnehmen.111 Studien zur Liebe bei Johannes tun sich obendrein schwer, konkrete Beispiele für Liebe im Korpus des ganzen Evangeliums herauszuarbeiten bzw. die gebotene Liebe zu ‚erden‘.112 Dies ist natürlich einerseits dem Charakter des Evangeliums selbst geschuldet113, andererseits aber werden z. B. in Joh 13,34f die Intention und der Gesamtzusammenhang des vierten Evangeliums verkannt.114 Andere Konzepte wie etwa das Gesetz115 oder die Sünde sind „without aiming at a more comprehensive treatment of the full scope of ethics in the Gospel“116 geblieben. Diese Forschungssituation wird bis zum Jahr 1995 auch von H. Chang bestätigt, der in seiner forschungsgeschichtlichen Studie Neuere Entwürfe zur Ethik des Neuen Testaments im deutschsprachigen Raum nur

110

So THYEN 2007a:39f. Vgl. die Problematisierung von Dualismus und Gnosis bei BERGMEIER 2015:33–37. Zur Wirkung des linguistic turn auf eine Ethik im JohEv vgl. WAGENER 2015:51–53. 112 Kritisch gegenüber einer Ablehnung einer materialen Ethik in der existentialen Auslegung, wie sie R. Bultmann vorgetragen hat, äußert sich SCHELKLE 1970:38f. 113 Vgl. z. B. Joh 15,1–8 und Joh 15,16 mit dem Ausdruck καρπὸν φέρειν, der nicht explizit von dem Evangelisten erläutert wird. „Dieser Sachverhalt ist jedoch keineswegs ein Indiz ‚einer gewaltigen Reduktion ethischer Fragen und Aussagenʻ [H.-D. Wendland] in der johanneischen Theologie“ (POPKES 2005:307). 114 Vgl. MLAKUZHYIL 2011:421; POPKES 2005:265f. Das Bemühen um die Konkretisierung des Konzepts Liebe ist aber auch feststellbar (vgl. PLANT 2012:16f; SCHRAGE 1989:301). 115 So etwa K ANAGARAJ 2001; SCHNACKENBURG 1988:161f. 116 V AN DER WATT 2006c:147–149. 111

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

zwei Literaturquellen, nämlich die von A. Lindemann (1980) und J. Augenstein (1993), zur johanneischen Ethik anführen kann.117 H.-J. Wachs untersucht die johanneische Ethik am Bild des Menschen, „wie es sich im Urteile Gottes nach johanneischer Sicht zeigt“.118 Dabei hat er ein strukturalistisches Verständnis von Ethik, wonach sich die christliche Ethik nach dem Zurückbleiben der Naherwartung mit stoischen Bürgertugenden und jüdischem Nomismus vermischt hat und erst bei Johannes die urchristliche Ethik „in ihrer ursprünglichen Reinheit und von dem in jener Zeit anhebenden Eindringen außerchristlichen Gedankengutes formal und inhaltlich unberührt ist“.119 Auch wenn einzelne Aussagen der Studie nicht pauschal zurückzuweisen sind, werden die historischen Prämissen mit ihren Implikationen den neutestamentlichen Texten sowie dem JohEv nicht gerecht. W. Wittenberger kann auch damals nur wenige (französische) Monographien zur johanneischen Ethik nennen, so z. B. die Arbeiten von N. Lazure und O. Prunet. Die Arbeit von H.-J. Wachs ist W. Wittenberger nicht zugänglich.120 Seiner Ansicht nach wirken die historische Situation und das Kerygma auf die Ausformung der johanneischen Ethik ein.121 Das Proprium der johanneischen Ethik wird vor allem im Gebot der Nachfolge gesehen, ist am Vorbild Jesu orientiert und durch die Agape-Aussagen bestimmt.122

Was sind Gründe für die Negierung einer Ethik im JohEv bzw. das vermehrte Interese an einer johanneischen Ethik in den letzten Jahren? Folgende Annahmen der neutestamentlichen Wissenschaft könnten eine solche Einschätzung zum JohEv begünstigt haben. (1) Die Annahme einer zu starren Trennung zwischen Glauben und Handeln bzw. Theologie und Ethik und eine damit einhergehende Verengung der Theologie auf eine Art wissentliche Erkenntnis, der dann im zweiten Schritt die Ethik folgt, ist bzw. war eine leitende Prämisse.123 Beispielhaft ist hier E. E. James anzuführen, der schreibt: „John’s main concern is the doctrine of salvation and not ethics.“124

117

Vgl. CHANG 1995:4. H.-K. Chang übersieht in seiner Arbeit zwei ältere Monographien, nämlich die Arbeiten WACHS 1952 und von WITTENBERGER 1970, die aber die Forschung im Hinblick auf eine Ethik bei Johannes kaum voranbringen (vgl. ZIMMERMANN 2012a:45). Deutlich zurückhaltender in seinem Urteil ist K. Weyer-Menkhoff , der beide Arbeiten ausführlich rezipiert (siehe 2012a:11–17). 118 W ACHS 1952:4. 119 W ACHS 1952:1.106. 120 W ITTENBERGER 1970:9f. 121 W ITTENBERGER 1970:14–16. 122 WITTENBERGER 1970:97f.177 u. a. Plakativer formuliert es auch W. Marxsen, „daß für Johannes Ethik und Christologie identisch sind“ (MARXSEN 1989:250). 123 Für Beispiele zur Unvereinbarkeit von Theologie und Ethik in neutestamentlicher Forschung vgl. ZIMMERMANN 2007b:260f. Siehe auch eine Andeutung über R. Bultmanns Abweisung einer normierenden Ethik bei H AMMANN 2012:211. 124 Bei KANAGARAJ 2001:34; vgl. BOERSMA 2003:105. Zum forschungsgeschichtlichen Überblick in einem ähnlichen Sachverhalt (Indikativ und Imperativ) siehe ZIMMERMANN 2007b:260–265.

2. Debatte um eine Ethik im JohEv

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(2) Wenn die johanneische Theologie als gnostisches System mit ihrem schroffen Dualismus interpretiert wird, wie es etwa L. Schottroff im Gefolge von R. Bultmann R. Bultmann und E. Käsemann getan hat, bleibt wenig Raum für eine ethische Reflexion.125 H. Thyen hat diese Forschungsrichtung eindrücklich zusammengefasst: ‚Himmelʻ und ‚Erde‘, ‚obenʻ und ‚unten‘, ‚Lichtʻ und ‚Finsternis‘, ‚Geistʻ und ‚Fleisch‘, ‚Wahrheitʻ und ‚Lüge‘, ‚Gottʻ und ‚Kosmosʻ sind in ihm derart auseinandergetreten, daß es keinerlei Brücken mehr gibt. Das Erlösungsziel besteht darum in der totalen ‚Entweltlichungʻ des Menschen und seinem schließlichen Auszug aus dem gottfeindlichen Kosmos in die vom Erlöser bereiteten himmlischen Wohnungen.126

Mit der Prämisse eines solchen Erlösungsziels ist die ethische Umsetzung des Glaubens in der realen Welt nur störend und hinderlich. Dann wird alle moralische Reflexion – wie oben beispielhaft an J. Beckers Interpretation zur Bruderliebe gezeigt – allenfalls nur als eine Binnenethik angesehen. (3) Eine eingeschränkte Methodologie, die das Fehlen materialethischer Weisungen im JohEv bestätigte und damit eine Ethik im JohEv per se ablehnte, begünstigte die Abwertung einer Ethik im JohEv.127 (4) In der johanneischen Literarkritik, die die Forschung im 20. Jahrhundert dominierte,128 interessierten andere Fragestellungen. Die ethische Wirkung des Evangeliums rückte dann erst ins Blickfeld, als vermehrt die am Leser orientierten Ansätze (readers response criticism) in der Forschung an Bedeutung gewannen. (5) Schließlich ist in sämtlichen gesellschaftlichen Diskursen der Ruf nach Orientierung und Sinnstiftung deutlich hörbar, so dass S. Waldow Ethik als „Phänomen der Jahrtausendwende“129 bezeichnet hat. So hat sich seit den 1980er Jahren in den Geisteswissenschaften die Rede vom ethical turn eingebürgert, die den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Paradigmenwechsel prägnant auf den Puntk bringt.130 Durch diese gesamtgesellschaftliche Wende rückte im Speziellen auch der ethische Beitrag des JohEv in den Vordergrund. Konsens der neutestamentlichen Wissenschaft ist, dass das NT weder eine Ethik mit einer bestimmten Theorie-Perspektive entfaltet, noch eine TheorieDiskussion über die Ethik führt (Meta-Ethik) oder eine philosophische Ethik im engeren Sinn liefert.131 Weiterhin sind sich die Gegner als auch Befürworter 125

Vgl. SCHNELLE 1987:98f. Diesen Aspekt hat B. Kollmann in einem Gespräch am 16.02.2015 in Bielefeld angeregt. 126 Bei BERGMEIER 2015:33f. 127 Vgl. KANAGARAJ 2001:34. 128 Zur Kritik solcher Annahmen bei R. Bultmann vgl. K OLLMANN 2014b:143f. 129 Bei WAGENER 2015:3. 130 Vgl. dazu WAGENER 2015:3.53f. 131 Vgl. LÖHR 2005; R ENDTORFF 1990:50f; WANNENWETSCH 2013:113f; Z IMMERMANN 2007b:272f.

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

einer Ethik bei Johannes mit E. Käsemann einig, dass „das Johannesevangelium [grundsätzlich] keine konkreten materialethischen Anweisungen enthält“132. Demgegenüber wird aber festgestellt: „Alle neutestamentlichen Zeugnisse haben immer auch einen ethischen Sinn.“133 Welche Art von Ethik ist nun dem JohEv inhärent? In der neutestamentlichen Forschung zeichnen sich in jüngster Zeit die folgenden Lösungsansätze ab. 2.2 Deutungsversuche und -ansätze einer johanneischen Ethik Gegenwärtig versuchen neuere Arbeiten das negative Urteil im Blick auf eine Ethik bei Johannes zu überwinden, indem sie ihre Interpretation auf ein breiteres methodisches Fundament stellen. Einen jüngst diskutierten Lösungsversuch stellt hier die Unterscheidung zwischen Ethik und Ethos dar.134 Neben einem synonymen Gebrauch beider Begriffe wird ‚Ethosʻ in der Literatur auch häufig auf „the habitual – often unreflected – behaviour of a group“135 bezogen und ist deshalb als eine sachgemäße Kategorie für das NT bzw. das JohEv heranzuziehen. Allerdings ist dieser Versuch in der letzten Zeit vermehrt hinterfragt worden. So urteilen H. Löhr, J. van der Watt und R. Zimmermann, dass hier nur ein Austausch zweier Begriffskonzepte erfolgt, die methodologischen Fragestellungen nicht wirklich gelöst werden, ein historisch wenig plausibler Idealtyp postuliert und eine nur soziologische Betrachtungsweise der Ethik im NT nicht gerecht wird.136 Neuere Zugänge, die für eine johanneische Ethik plädieren, verfolgen einen anderen Ansatz. J. Frey fasst diese Entwicklung prägnant zusammen: Thus, the search for ethics in the New Testament not only includes explicit exhortations as given in the ‚ethicalʻ sections of the New Testament Epistles, but also the elements of group ethos as reflected in the narrative of the Gospels, in the metaphors and imaginative worlds and in the implicit values and norms conveyed by the argument of New Testament texts.137

Diese Forschungsrichtung nimmt in Bezug auf die johanneische Ethik drei Aspekte besonders in den Blick. 132

Bei SCHNELLE 2006:310. Vgl. MARXSEN 1989:247.252. RENDTORFF 1990:52. 134 R. Zimmermann nennt daneben noch drei weitere Zugänge: „Genealogische Begründungen: Traditionsgeschichte statt Ethik?“, „Theologische Begründungen: Christologie und Pneumatologie statt Ethik?“ und „Sprachliche Begründungen: Paränese und Argumentation statt Ethik?“ (2007b:265–271). 135 VAN DER WATT 2006c:150; Vgl. MEEKS 1996:322; SCHELKLE 1970:33. Prägend für die Einführung dieser Kategorie waren vor allem die Arbeiten von W. Kluxen, M. Wolter und Th. Schmeller (so FREY 2013b:768; LABAHN 2012:3f). 136 Vgl. LÖHR 2005:151; 2013:440; VAN DER WATT 2006c:150f; ZIMMERMANN 2012a:12. 137 FREY 2013b:768; vgl. V AN DER WATT 2013:136. 133

2. Debatte um eine Ethik im JohEv

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2.2.1 Die Einheit von Theologie und Ethik Diese Forscher plädieren im Grundsätzlichen für den „sachliche[n] Zusammenhang von ‚Theologieʻ und ‚Ethikʻ im ntl. Denken“138. Demzufolge sind in jüngster Zeit eine Reihe von Umschreibungen dieser Denkrichtung in die neutestamentliche Forschung eingeführt worden:139 -

Prinzipiell-theologische Ethik140 (R. Hirsch-Luipold) Ethische Theologie141 (U. Schnelle) Responsorische Ethik (K. Scholtissek) Applied ethics (J. van der Watt) Implizite Ethik (R. Zimmermann)

Maßgebend für diese Interpretationsvorschläge ist die Annahme, dass ethische Aussagen in den johanneischen Schriften innerhalb eines prinzipiellen Denkens verstanden werden müssen, das auf die grundlegende Ausrichtung des Lebens zielt, dabei aber einzelne Verhaltensweisen nicht genau festlegt.142 Für das JohEv stellt H. Löhr deshalb fest: In der joh Theologie werden zwei fundamentale und fundamental unterschiedliche Existenzweisen herausgearbeitet: aus dem Kosmos zu stammen und dementsprechend zu handeln oder – in Entsprechung zu Christus – nicht.143

Es fällt auf, dass die hier angedeutete Dualität keineswegs zu einer Absage an die Ethik führt. Vielmehr wird aus einem entsprechenden Modus Vivendi eine Lebensweise abgeleitet. In der exegetischen Umsetzung werden einzelne Texte bzw. Themen des JohEv untersucht und ihre Aussagen zur Ethik bzw. ihre moralische Signifikanz erhoben.144

138 LÖHR 2005:153f. Er kommt zum Ergebnis, „dass die ntl. Ethik wie die jüd. Literatur des Zweiten Tempels einschließlich Philos keine systematische Unterteilung des Ganzen der Philosophie (...) wie auch der Ethik vorgenommen hat“ (:155). Und schließlich: „Gottes Wirken und dasjenige des Menschen bilden für die ntl. Ethik keinen Gegensatz“ (:164; vgl. BOERSMA 2003:105; ähnlich NISSEN 1999:199f; POPKES 2005:307f). 139 Vgl. HIRSCH -LUIPOLD 2009; SCHNELLE 2006:310; SCHOLTISSEK 2004:436f; VAN DER WATT 2006a:612; ZIMMERMANN 2007b; 2009b; 2010 u. a. 140 Zur Kritik dieser Bezeichnung siehe WAGENER 2015:53. 141 Zum Begriff vgl. RENDTORFF 1990:44. Aus systematisch-theologischer Sicht diskutiert SEIBERT 2014:76 dieses Konzept und definiert es „als einen besonderen systematischtheologischen Denkstil“. Und er postuliert: „Im Prozess der Bedeutungsbildung [bei einem solchen Denkstil] ist nämlich ein genuin ethischer Faktor wirksam. Das liegt daran, dass die Aussage ‚etwas ist so und soʻ in sich selbst bereits die Referenz auf ein zukünftiges Verhalten trägt, in dem sie eine erwartungsstiftende Funktion übernimmt“ (:80). 142 Vgl. SCHNELLE 2006:327. 143 L ÖHR 2005:158. 144 Vgl. z. B. den Sammelband von VAN DER WATT & ZIMMERMANN 2012:143–263; so auch WANNENWETSCH 2013.

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

2.2.2 Die Gattung ‚Evangeliumʻ transportiert eine Ethik Die literarische Gattung ‚Evangeliumʻ ist schon aus sich selbst heraus moralisch signifikant. „Schon von der Gattung her sind somit ethische Orientierungen im Johannesevangelium zu erwarten“.145 Ethik ist der narrativen Erzählung inhärent. Die erzählte Geschichte vermag es, eine ethische Reflexion und Handlungsweise beim Leser zu erwecken. Das ist mit dem Erzählen von Geschichten allgemein so. Dieser Interpretationsansatz wird in der Forschungsliteratur als ‚narrative Ethikʻ bezeichnet.146 Deshalb geht J. van der Watt folgendermaßen vor: By analyzing the functional relationship that exists between commandments and behaviour a clearer picture of the moral profile of this Gospel evolves. What follows next is an effort to ‚enterʻ into the ‚narrative worldʻ of this Gospel and to follow the lines of behaviour of the characters therein.147

Die hier verorteten Studien beziehen sich auf das vierte Evangelium als „a worldview that invites us to enter into the story of Israel and Jesus“ (H. Boersma)148 oder als Drama zwischen einem Protagonisten und den Antagonisten (J. Bolyki). Es geht um „ethics in the Gospel of John (…) within the theological framework“ (J. Nissen, A. J. Köstenberger). Desweiteren wird Bezug genommen auf „the functional relationship that exists between commandments and 145

SCHNELLE 2006:310.312; vgl. BOERSMA 2003:105; BURRIDGE 2007:330–332; SCHROEDER 2002:189. Allgemein für diese Funktion bei der Gattung Evangelium vgl. BERGER 1984a:87. Einen vielversprechenden Ansatz versucht A. J. Köstenberger in seinem Artikel „The Moral Vison of John“. Aber wenn auch seine grundsätzlichen Überlegungen zur Methodik (2006:8–10) und sein narrativer Ansatz anhand von Joh 3 und Joh 4 innovativ wirken (:12– 14), bleibt er doch mit seiner These in den alten Bahnen stehen: „The literary exploration of John’s moral vision in the Johannine narrative is also rendered more difficult by the seeming delay of the full expression of John’s ethic until fairly late in the Gospel. The first twelve chapters of John’s Gospel are primarily designed to show the Jewish rejection of Jesus’ messianic mission (see esp. John 12:36–41); only in John 13 does Jesus seem to turn his attention more explicitly to the ethical instruction of his followers“ (:10). Mit dieser Einschränkung lässt er wenig Wirkung für eine ethische Reflexion in Joh 1–12 zu und neigt zu einer in der früheren Forschung bekannten Trennung zwischen Theologie („important spiritual truths“) und Ethik („ethical instruction“; vgl. :9f). 146 Für eine forschungsgeschichtliche Grundlegung dieses Konzepts und des methodischen Ansatzes an sich vgl. LABAHN 2012:38–43; WAGENER 2015:8–14; ZIMMERMANN 2012a:64–76; 2012c:146–169. 147 V AN DER WATT 2006c:151. Für einen ähnlichen Ansatz siehe BURGE 2006:236f. 148 Ähnlich WANNENWETSCH 2013:117–119.127, der die Konzepte „Zugehörigkeit“ und Bleiben im „Raum“ der Liebe Gottes einführt: „Für Johannes jedoch sind Zugehörigkeit und das Bleiben keineswegs vage: Die Einladung und Herausforderung des Vierten Evangeliums besteht spezifisch darin, in Christus und seinen Worten (Geboten) zu bleiben, und sich damit im Kraftfeld der Liebe des Vaters aufzuhalten, um so am Werk des Dreieinigen Gottes selbst teilzuhaben“ (:121).

2. Debatte um eine Ethik im JohEv

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behaviour“ (G. Mlakuzhyil, J. van der Watt) bzw. auf die ethische Wirkung der Akteure und Charaktere im JohEv (M. Labahn, R. Plant, F. Wagener, J. van der Watt und U. Schnelle).149 Gerade die Arbeit von F. Wagener über vier ausgewählte Figuren des JohEv ist hier wegen ihrer ausführlichen methodischen Fundierung150 hervorzuheben. 2.2.3 Methodische Überlegungen bei der Analyse johanneischer Ethik Der methodologischen Erhebung einer johanneischen Ethik wird aufgrund einiger Versäumnisse in der Vergangenheit neue Bedeutung zugemessen.151 Hier kann insbesondere R. Zimmermann einen umfassenden methodischen Zugang zur Erhebung einer impliziten Ethik (bei Paulus) vorlegen. ‚Implizitʻ soll diese Ethik heißen, weil Paulus selbst [und andere neutestamentliche Autoren] keine systematische Rechenschaft über Handlungsnormen und Begründungszusammenhänge (...) ablegt, und im Rahmen von Einzelbegründungen nur Mosaiksteine des dahinter liegenden ‚ethischen Überbaus‘, zu erkennen gibt. Die ‚implizite paulinische Ethikʻ kann also erst retrospektiv aus den konkreten ethischen Argumentationen und Urteilen rekonstruiert werden.152

Was der Verfasser im Jahr 2007 in einem Artikel kurz skizziert hat, wurde von ihm seither in vielen weiteren Publikationen weiterentwickelt und ausdifferenziert. Geblieben sind acht Fragerichtungen, mit deren Hilfe er eine neutestamentliche Ethik erheben will, welche als „Organon der ‚impliziten Ethik‘“ mit einem „pluralistisches und pragmatisches Begründungskonzept“153 bezeichnet worden sind. Zu jedem Aspekt hat R. Zimmermann wichtige Leitfragen formuliert.154 Sprachform: In welcher sprachlichen Gestalt begegnet die ethische Aussage? Normen und Maximen: Welche leitenden Normen werden genannt? Traditionsgeschichte einzelner Normen/Moralinstanzen: In welchem traditions- und zeitgeschichtlichen Zusammenhang stehen

149

Vgl. in derselben Reihenfolge wie oben BOERSMA 2003:105f; BOLYKI 2004:99f; NIS1999:200f; KÖSTENBERGER 2006:9f.12–14; MLAKUZHYIL 2011:422; VAN DER WATT 2006c:151–157; LABAHN 2012:38f; PLANT 2012:14f; WAGENER 2015:53–56; VAN DER WATT 2006c:158–166; SCHNELLE 2006:322–325. 150 Siehe W AGENER 2015:83–201. 151 „In the past not enough attention was given to the development of categories specifically suitable for analysing the ethical material in the Gospel according to John“ (VAN DER WATT 2006c:150; Vgl. auch die kurze hermeneutische Reflektion bei WANNENWETSCH 2013:115–117). 152 ZIMMERMANN 2007b:273f. Zum Begriff ‚implizitʻ siehe jüngst ZIMMERMANN 2016a:16–18. 153 Z IMMERMANN 2016a:37. 154 Für das Folgende siehe ZIMMERMANN 2007b:274–276; 2009b; 2012a:62f; 2013b:436–439; 2016a:40–123. SEN

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

diese Normen?155 Wertelogik: Welcher innere Zusammenhang verschiedener Normen wird hergestellt und welche Gewichtung der Normen ist erkennbar? Ethische Argumentation/Begründungsform: Nach welcher internen Begründungsstruktur bzw. ethischen Argumentationsweise erfolgt das ethische Urteil? Ethische Urteilsträger: Wer ist ethisches Subjekt? Durch welche Faktoren wird das ethische Subjekt konstituiert? Gelebtes Ethos/Wirkung: Welchem konkreten Ethos korrespondiert oder widerspricht die ethische Argumentation? Geltungsbereich: Welcher Geltungsbereich einer Norm wird genannt?

Vertiefend zu diesen acht heuristischen Fragestellungen einer impliziten Ethik, die natürlich miteinander verbunden sind, aber aus Gründen der Effektivität je für sich angewandt werden,156 hat der Verfasser im Blick auf die Untersuchung der sprachlichen Form weitere Aspekte ins Gespräch gebracht, „which may be helpful for the interpretation of concrete New Testament texts“157. Er unterscheidet zwischen einer intra-, inter- und extratextuellen Ebene: Die intratextuelle, die nach der grammatischen Form ethischer Äußerungen fragt, die intertextuelle, bei der die moralische Qualität eines Textes durch Zuordnung zu einer bestimmten Textsorte beschrieben wird, und die extratextuelle Ebene, bei der der Text über sich selbst hinaustritt und Handlungsimpulse für seine Leser setzt.158

Diese unterschiedlichen Betrachtungsebenen sprachlicher Äußerungen verdeutlichen, dass Ethik sich mittels und in der Sprache (Text) vollzieht, aber allein eine grammatikalische Untersuchung z. B. der Imperative einer neutestamentlichen Ethik nicht gerecht wird. Der Text ist als ein Kommunikationsgeschehen aufzufassen.159 Es ist das Verdienst von R. Zimmermann, eine Methodologie zur Erforschung der neutestamentlichen Ethik im umfassenden Sinne durchdacht und entwickelt zu haben. Zukünftige Studien zur Ethik im NT werden seine Vorbehalte gegenüber bisherigen Entwürfen und die methodische Gesamtheit seines Ansatzes kaum vernachlässigen können. Es lässt sich aber auch beobachten, dass R. Zimmermann seine Methodik bisher hauptsächlich an der paulinischen Ethik mit der Gattung der Briefe erprobt hat. Für die Untersuchung der Evangelien bzw. für eine an einem Wortfeld orientierte Studie ist eine Modifizierung seiner Methodologie erforderlich.160

155

„Statt monokausaler Ableitungen sollte das Ziel dieses Methodenschrittes nicht mehr – aber auch nicht weniger – als die Erarbeitung von Bedeutungspotenzialen und Verstehenshorizonten sein“ (ZIMMERMANN 2007b:275). Dies kann als Konsens der johanneischen Forschung angesehen werden, „daß eine einseitige religionsgeschichtliche ‚Ableitungʻ dem Evangelium kaum gerecht zu werden vermag“ (FREY 1997:400; so schon WITTENBERGER 1970:94f). 156 Z IMMERMANN 2010:28. 157 Z IMMERMANN & LUTHER 2010:3f. 158 Z IMMERMANN 2009a:243. 159 Vgl. ZIMMERMANN 2016a:43–50. 160 Vgl. dazu 3. Kapitel, Pkt. 1.4.

3. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. aus ethischer Perspektive

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2.2.4 Zusammenfassung Die neutestamentliche Forschung hat in den letzten Jahren viele Impulse für die Untersuchung einer Ethik bei Johannes hervorgebracht. Allen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie mit einer Ethik im JohEv rechnen bzw. eine moralische Signifikanz des Evangeliums postulieren. Weiterhin geht das Forschungsinteresse weg von konkreten material-ethischen Anweisungen hin zu einer ‚implizitenʻ Ethik, die man mit anderen heuristischen Parametern entdecken möchte. Zudem wird die unsachgemäße Trennung von antiker Philosophie und Ethik bzw. Theologie und Ethik kritisiert und zu überwinden versucht. Es geht deshalb bei der ‚impliziten Ethik‘ keineswegs um ein Modell, bei dem die theologische Basis der frühchristlichen Ethik untergraben werden soll – im Sinne von Ethik versus Theologie. Es soll jedoch sichtbar werden, dass z. B. Gnade, Worte Jesu etc. als Handlungsnormen benannt sind, die neben und im Verbund mit anderen Normen verwendet werden.161

Neuere Arbeiten zur johanneischen Ethik möchten bei ihren exegetischen Grabungen methodisch durchdacht und dem NT sachgemäß die ‚Schätzeʻ einer johanneischen Ethik bergen. Dies kann dort gelingen, wo sich entsprechende Untersuchungen an antiken Kategorien der Ethik orientieren. Theoretische Modelle aus der ‚Moderneʻ können dies naturgemäß nicht leisten.162 Andererseits kommt dem heuristischen Methodeninventar und dem Verständnis, was unter Ethik verstanden wird, größere Bedeutung zu. Denn nur mit Hilfe einer sachgemäßen Methodologie und der Klärung fundamentaler Grundfragen kann eine Untersuchung der johanneischen Ethik gelingen.

3. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. aus ethischer Perspektive 3. Exegetische Arbeiten über ἔργον κτλ. aus ethischer Perspektive

Die Debatte um eine Ethik im JohEv hat einige Studien angeregt, die sich ausdrücklich mit dem Begriff ἔργον κτλ. aus ethischer Perspektive auseinandersetzen. Es handelt sich hierbei um einen Artikel in einem Sammelband und eine Dissertation. 3.1 H. Löhr (2012): Die ethische Wirkung von ἔργον In seinem 2012 erschienen Artikel untersucht H. Löhr die mit dem Begriff ἔργον verbundenen ethischen Implikationen. Nach einer kurzen methodischen Erörterung nimmt er verschiedene phänomenologische Beobachtungen vor, bevor er dann einige wichtige Textstellen, in denen ἔργον als „human deeds“

161 162

ZIMMERMANN 2016a:37f. Vgl. VAN DER WATT 2006b:421f.

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2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

erscheint, untersucht: Joh 3,19; 6,28; 7,3; 8,39.41; 10,32f und 14,12.163 Aus seiner Interpretation ergeben sich folgende Detailpunkte, die für meine Untersuchung relevant erscheinen. (1) Der Autor beobachtet eine semantische Vielfalt des Begriffs ἔργον („breadth of meaning“164), deren Bedeutungen auch untereinander verbunden sind. (2) Zudem stellt er fest: „‚workʻ and ‚faithʻ are not understood as theological or anthropological antipodes, but in some instances they are closely connected.“165 Gerade die Verbindung zwischen göttlicher und menschlicher Wirkungstätigkeit, wie sie mit dem Begriff ἔργον im JohEv entfaltet wird, ist eine bedeutende Präzisierung. (3) Die Interpretation von H. Löhr, die „Jesus as a role model for human morality“166 deutet, veranschaulicht die jüngsten Entwicklungen in der Exegese, die nach einer moralischen Signifikanz des vierten Evangeliums fragt. 3.2 K. Weyer-Menkhoff (2012): Handelsdimensionen johanneischer Ethik In einer detailreichen Arbeit untersucht K. Weyer-Menkhoff die johanneische Ethik, indem er danach fragt, wie „das Johannesevangelium menschliches Handeln und Verhalten einbettet“167. Methodisch möchte er das Evangelium als Erzählung ernst nehmen und gleichzeitig „das systematische Konzept einer narrativen Ethik“168 verfolgen. Statt jedoch einer „narratologischen“ Methodik zu folgen, „wird der Gesamttext nach anderen, besser greifbaren Strukturen untersucht. Längs des Gesamttextes und quer zur szenischen Einteilung in Perikopen werden diejenigen Wörter und Syntagmen gesichtet, die das semantische Merkmal ‚handelnʻ erkennen lassen“169. Unter „Formen des Handelns“ untersucht K. Weyer-Menkhoff dann u. a. den Begriff ἔργον κτλ.170 Wesentlich für die Bedeutung der menschlichen Taten ist, dass die Menschen in die Handlungsgemeinschaft des Vaters und des Sohnes hineingenommen werden. „Dabei handelt es sich dann allerdings um keine autonome menschliche Leistung, sondern um die Teilnahme am Handeln Jesu und damit

163

LÖHR 2012:236–245. LÖHR 2012:249. 165 L ÖHR 2012:249. 166 L ÖHR 2012:241. 167 W EYER -MENKHOFF 2012a:57. 168 W EYER -MENKHOFF 2012a:59. 169 WEYER-MENKHOFF 2012a:60. Hier wird allerdings nicht deutlich, inwiefern die Studie mit diesem methodischen Vorgehen tatsächlich das Evangelium als Erzählung ernst nimmt. Schließlich ist mit H. Löhr festzuhalten: „Narratives, one may object, are not primarily structured by lexemes, ‚Begriffe‘, but by characters, conflicts, complexities, tensions, climaxes, or turning points“ (LÖHR 2012:231). Und auch wenn H. Löhr diese These nachfolgend einschränkt, bleibt sie grundsätzlich richtig. 170 W EYER -MENKHOFF 2012a:79–144. 164

4. Ertrag und Grenzen bisheriger Forschungsbeiträge

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auch am Handeln Gottes.“171 Die ἔργα sind in ein Beziehungsgeflecht eingebunden: „Die entscheidenden Fragen lauten daher, mit wem man sich durch sein Handeln verbindet, oder johanneisch formuliert, wessen ἔργα man ausführt.“172 Für die ἔργα τοῦ Θεοῦ schlägt er die Übersetzung, „die Aufgaben, die Gott stellt“173, vor. Der Verfasser gibt eine Fülle von Einzelbeobachtungen zu ἔργον κτλ. in seiner Studie wieder. Dabei ordnet er „seine Ausführungen in den dogmatischen Diskurs um die Werkgerechtigkeit“ ein, distanziert sich von narratologischen Fragestellungen und Methoden und bleibt damit im „dogmatischen Horizont der Werkgerechtigkeit“ verhaftet.174 Damit unterscheidet sich seine Untersuchung wesentlich von meiner eigenen Herangehensweise. Während ihn die Frage nach einer johanneischen Ethik interessiert, die er neben anderen Beobachtungen im ‚sprachlichen Feld des Handelnsʻ durch die Form ἔργον zu entdecken sucht, untersuche ich die Lexeme im Blick auf ihre moralische Signifikanz. Prägnant formuliert: Bei K. Weyer-Menkhoff erscheint das JohEv als Ethik, während ich ethische Impulse rund um das Wortfeld ἔργον im JohEv analysiere.175

4. Ertrag und Grenzen bisheriger Forschungsbeiträge 4. Ertrag und Grenzen bisheriger Forschungsbeiträge

Aus dem Forschungsüberblick scheinen mir vier Aspekte für meine eigene Arbeit wichtig zu sein. (1) In der neutestamentlich Forschung wird zwar mancherorts auf den bezeichneten Gegenstand von ἔργον κτλ. rekurriert. Es fehlt aber bisher eine eigene fundierte Untersuchung dieses Wortfeldes, die auch die ethischen Sinnlinien berücksichtigt. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass ἔργον und ἐργάζεσθαι in diesen Arbeiten als ‚Allerweltsworteʻ betrachtet werden, die Johannes unreflektiert in sein Evangelium aufnimmt. Dies wird dadurch bestätigt, dass der Begriff ἔργον nur im Kontext des johanneischen Zeichen-Begriffs überhaupt Beachtung findet. Dort erscheint ἔργον meist als Sammelbegriff für die Wirksamkeit Jesu und σημεῖον übergeordnet, ohne dass dabei eine spezifische Bedeutung mitgedacht wird.

171

WEYER-MENKHOFF 2012a:142. WEYER-MENKHOFF 2012a:294. 173 W EYER -MENKHOFF 2012a:295. 174 Vgl. HENTSCHEL 2005:Sp. 1101–1103; ähnlich WAGENER 2015:36. 175 Vgl. WAGENER 2015:36: „Hier wird ein anderer Weg eingeschlagen: Das Joh erscheint nicht als narrative Ethik, sondern es wird von narrativer Ethik im Joh gesprochen.“ 172

50

2. Kap.: Forschungsgeschichtlicher Überblick

(2) Die Studien, die ἔργον κτλ. im Einzelnen untersuchen, haben ihre je eigene Fragestellung und haben daher für meinen Ansatz ihre Grenzen.176 Einzig der Artikel von G. van Belle verbindet im Wesentlichen die theologische Bedeutung der Werke mit einer möglichen ethischen Intention (für die Jünger) anhand des Lexems ἔργον. Seine Ausführungen gleichen, weil lediglich in einem Anhang seiner Monographie erörtert, aber eher einer Skizze und bedürfen einer weiteren Präzisierung. Hervorzuheben ist desweiteren die Arbeit von R. Heiligenthal, die das Phänomen der menschlichen Taten auf dem Hintergrund pagan-griechischer Texte untersucht. (3) Die Untersuchung einer johanneischen Ethik hat durchaus ihren Wert, wie verschiedene Ansätze in der jüngsten neutestamentlichen Forschung zeigen. Bei einem solchen Unterfangen ist auf einen Zusammenhang zwischen Theologie und Ethik zu achten, der narrative Charakter des Evangeliums zu berücksichtigen und eine solide methodologische Basis sicherzustellen. Hervorzuheben und besonders zu berücksichtigen sind hier die Arbeiten von K. Weyer-Menkhoff und H. Löhr, die sowohl eine Untersuchung von ἔργον κτλ. anstreben als auch die Frage nach der Ethik im JohEv stellen. (4) Die Debatte um eine Ethik bei Johannes ist besonders durch den Beitrag von R. Zimmermann geprägt und befruchtet worden. Sein Entwurf einer Methodologie kann als umfassendes und methodisches ausgereiftes Konzept angesehen werden. Gleichwohl muss für meine Fragestellung ein eigener Ansatz gefunden werden, der im folgenden Kapitel dargelegt werden soll.

176

W. Wilckens (Werke als Offenbarungsworte), J. Riedl (Eschatologie), S. Pancaro (Gesetzesverständnis), R. Heiligenthal (menschliche Werke als Zeichenhandlungen), P. W. Ensor (Authenzitität der Worte Jesu), A. J. Köstenberger (Missionsverständnis).

3. Kapitel:

Der eigene Ansatz Der Text ist die Basis der Auslegung, ihre Primärquelle (M. Labahn).1

In den letzten Jahrzehnten hat die Interpretation des JohEv einen enormen Auftrieb erlebt. „Neue Fragestellungen führen zu neuen, hochinteressanten Textbeobachtungen und -interpretationen, die jahrzehntelang verbreitete Auslegungsperspektiven erheblich in Frage stellen.“2 So positiv diese Entwicklung auch ist, umso größere Herausforderungen stellt sie an den Forschenden selbst. Inmitten mannigfacher methodischer Ansätze ist dieser verpflichtet, sachgemäße methodische Schritte für die eigene Fragestellung zu finden. Es gilt, aus den vielfältigen und teils wenig ergiebigen3 Methoden und Grundannahmen den geeigneten Zugang für die eigene Fragestellung zu wählen. Ziel dieses Kapitels ist deshalb eine Fundierung des eigenen methodischen Ansatzes, indem ich zunächst mein hermeneutisches Modell darstelle und anschließend die vier Dimensionen meines Ansatzes für diese Untersuchung konkretisiere.

1. Hermeneutische Grundlegung 1. Hermeneutische Grundlegung

Die Auslegung eines (historischen) Textes ist ein höchst komplexer Prozess. Und während in der Auslegungsgeschichte seit der Aufklärung bis in die Moderne hinein die Annahme, die richtigen Auslegungsregeln bzw. Methoden entschieden über Erfolg bzw. Misserfolg der Interpretation, prägend war, wird in jüngster Zeit die Hermeneutik eines Textes als Verstehens- bzw. Kommunikationsvorgang verstanden, dessen Gelingen nicht (nur) über die Steuerung der 1

LABAHN 1999:44. SCHOLTISSEK 2001:267; vgl. POPKES 2005:52; SCHWANKL 1995:6. J. McGrath vergleicht die johanneische Forschung mit „the vast Atlantic ocean as viewed from Europe before the time of Columbus: it appears deep, stormy, treacherous and uncrossable“ (SCHNELLE 2001:1). 3 Der Gang durch die Forschungsgeschichte gibt hinsichtlich der Methoden Anlass zur Ernüchterung (so FREY 1997:427). S. Hamid-Khani bezeichnet sogar einige methodische Ansätze abwertend als „modern, fantastic proposals” (2000:23; dagegen SCHOLTISSEK 2001:285). Für die neutestamentliche Forschung allgemein siehe GUTHRIE 1999:25f. Eine fundierte Darlegung einer Methodologie zur Exegese findet sich bei DÜBBERS 2005:26–83. 2

52

3. Kap.: Der eigene Ansatz

‚richtigen Methodenʻ abläuft, sondern „sich als umfassendes, geschichtlich bedingtes Geschehen“ ereignet.4 Dieses Geschehen wird in der Literatur durch modellhafte Schaubilder abgebildet, so zum Beispiel in den hermeneutischen Entwürfen von M. Zimmermann und R. Zimmermann sowie von M. Oeming. M. Zimmermann und R. Zimmermann betonen in ihrem Modell den Kommunikationsvorgang (das „Gespräch“ – H.-G. Gadamer) und unterscheiden aus heuristischen Gründen drei unterschiedliche Dimensionen, die miteinander in einer Wechselbeziehung stehen: Entstehungssituation (Autor), Text und Lesesituation (Leser).5 Die Stärke dieses Kommunikationsmodell liegt in der von den Autoren angestrebten Ausgewogenheit aller drei Dimensionen. Jede Dimension hat ihren Eigenwert, steht aber zugleich in einer Wechselbeziehung zu den anderen Dimensionen, die sich in einem zirkulären bzw. spiralförmigen Prozess beeinflussen. Verstehen ereignet sich insofern erst im reziproken Zusammenwirken aller drei Komponenten.6

‚Verstehenʻ bei M. Oeming ereignet sich ebenfalls in einem Kommunikationsprozess, der neben Autor, Text und Leser um den Faktor „Sache“ erweitert ist und daher als ‚hermeneutisches Viereckʻ bezeichnet wird. Die Sache ist hierbei eine Art Konzept, „auf die Autor als auch Text als auch Leser rekurrieren“7. Sie ist bei M. Oeming aber nicht nur ein Gegenstand oder ein Thema, sondern „eine übergeordnete Sachkenntnis, eine Einsicht in die Hauptsache der Bibel, von der her sich alle weiteren Auslegungsschritte kritische Anfragen gefallen lassen müssen“8. Deshalb ringen alle biblischen Stimmen in all ihrer Menschlichkeit darum, „die Sache, um die es geht, nämlich Gottes Offenbarung in Jesus Christus, angemessen zum Ausdruck zu bringen“9. Beide Entwürfe haben ihre Gemeinsamkeiten und jeweils ihre Stärken. In beiden Modellen wird der Aspekt der Kommunikation in der Auslegungspraxis akzentuiert, wie zum Beispiel M. Zimmermann und R. Zimmermann explizit betonen: „Verstehen ereignet sich insofern erst im reziproken Zusammenwirken aller drei [bzw. vier] Komponenten“.10 Und es ist ihnen Recht zu geben, wenn sie die Umschreibungen Entstehungs- und Lesesituation anstatt Autor

4 Vgl. ZIMMERMANN & ZIMMERMANN 2005:75f; ZIMMERMANN 2008:7–13. Ähnlich WAGENER 2015:14f. 5 ZIMMERMANN & ZIMMERMANN 2005:77f; ZIMMERMANN 2008:9–12. Zur differenzierten Betrachtung des Lesers im Interpretationsprozess vgl. MOLONEY 2005:18–20; WAGENER 2015:16.18–20. 6 Z IMMERMANN 2008:13. 7 O EMING 2013:5; vgl. V ETTE 2007. 8 O EMING 2013:140. 9 O EMING 2013:141. 10 Z IMMERMANN & ZIMMERMANN 2005:78; OEMING 2013:6.

1. Hermeneutische Grundlegung

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und Leser verwenden, da diese auch explizit die Möglichkeit einer kollegialen Verfasserschaft bzw. einer Leser- bzw. Hörerschaft zulassen.11 Aus dem Modell von M. Oeming übernehme ich die Kategorie der Sache, fülle sie inhaltlich jedoch anders. Während M. Oeming darin eine vom Text abzulösende Wirklichkeit versteht und damit eine Meta-Ebene zum Text einnimmt bzw. voraussetzt, verschafft mir diese Kategorie die methodische Möglichkeit, eine Auslegung mit einer bestimmten Fragestellung zu betreiben. Für mich ist die Sache also eine bestimmte Frageperspektive, die ich bei der Erforschung des Textes anwende. Sie ist also ein konstruktiver Akt meiner Interpretation, die sich aber nach wie vor dem Text verpflichtet weiß und jegliche überzogene positivistische Erwartung von sich weist.12 Dadurch wird mein Ansatz in der Kategorie der Sache transparent.13 Und im Unterschied zu M. Oeming ordne ich die Kategorie des Textes bzw. der Texte in die Mitte des Modells ein und deute damit die Zentralität des Textes an. Von diesem Zentrum aus werden – das ist zumindest der Anspruch – die anderen Kategorien mitgeprägt. Denn schließlich ist ohne Text eine Auslegung historischer Texte überhaupt nicht möglich.14 Auch M. Oeming räumt selbst ein: Zugleich wird deutlich, daß es zwischen Autor und Rezipienten keine direkte Verbindung geben kann: Verstehen ist nur mittelbar über das Medium Sprache [bzw. Text(e)] möglich. In jedem Fall aber ist ein gemeinsamer Bezug von Autor und Rezipient auf die Sache als gemeinsam erschlossene Welt notwendig.15

Insofern erscheint es mir sachgemäß, den Text zentral anzuordnen und in der eigenen Hermeneutik in dieser Weise zu berücksichtigen. Damit werden die anderen Kategorien oder damit verbundene Zugänge16 nicht abgewertet, aber die Kategorie des Textes bekommt dort ihren Platz, wo sie meines Erachtens 11 Zur gemeinschaftlichen Verfasserschaft paulinischer Briefe vgl. DREWS 2006:20 und zur Lesesituation neutestamentlicher Texte siehe u. a. Apk 1,3. 12 Zum Aspekt eines ‚konstruktiven Aktsʻ in der Untersuchung der Ethik vgl. ZIMMERMANN 2013b:434. „Solange hierbei die Quellenbasis ausgewertet wird, kann man von einer Korrelation zwischen der Ethik des Paulus [oder eines anderen Verfassers] und dem Produkt der exegetischen Deskription ausgehen“ (:434). 13 So ist ZIMMERMANN 2016a:39 in seiner Darlegung einer impliziten Ethik daran interessiert, „sprachliche, rhetorische, sozio-historische etc. Analysen (...) mit ethischem Erkenntnisinteresse“ durchzuführen. 14 Außersprachliche Quellen, wie z. B. archäologische Artefakte, sind zwar wichtige Bausteine, die den Verstehensvorgang fördern können. Sie allein können sprachliche Quellen kaum ersetzen. Erst vom Text aus können Rückschlüsse auf Autor, Zeit usw. gezogen werden (vgl. EGGER & WICK 2011:57f). 15 O EMING 2013:6. 16 M. Oeming gliedert seine Hermeneutik nach diesem ‚hermeneutischen Viereckʻ und ordnet den einzelnen Kategorien die jeweils in der Forschung bekannte Auslegungsmethoden zu, z. B. „1. An den Autoren und ihren Welten orientierte Methoden – a) Historischkritische Methode“ usw. (vgl. OEMING 2013:31–46).

54

3. Kap.: Der eigene Ansatz

hingehört. Es passt gut zu einer solchen Vorgehensweise, wenn R. Zimmermann „von der Textgebundenheit der impliziten Ethik“17 schreibt und dann an anderer Stelle formuliert: „Der einzelne Text (ggf. mehrere Texte) ist deshalb der Haftpunkt und das Nadelöhr, über das das historische Ethos rekonstruiert werden muss.“18 Die nachfolgende Abbildung stellt den zu leistenden Verstehens- und Kommunikationsvorgang dieser Studie modellhaft dar. Sie veranschaulicht, dass ein unmittelbarer Bezug auf die Entstehungssituation und die Sache nicht möglich ist und dies nur mittelbar über die Texte geschehen kann (fett markierte Pfeile). Daher sind Aussagen über die Entstehungssituation und über die Sache nur so weit möglich, wie es die Texte selbst andeuten bzw. der Leser es mit seiner Fragestellung wahrnimmt und konstruiert. Die grauen Pfeile veranschaulichen die Vagheit des Lesevorgangs: Der Leser nähert sich den Texten mit einer Haltung der Demut, ist sich seiner eigenen Leseperspektive und seiner Begrenzung bewusst und wird bedachte Urteile über die Sache bzw. die Entstehungssituation treffen wollen.

Entstehungssituation: 1. Jh. n. Chr.

Text(e): Joh 1–21

Sache: Ethische Wirkung von ἔργον κτλ.?

Lesesituation: Dissertation

Abb. 2: Modell des Lesevorgangs und des methodischen Aufbaus

17 18

ZIMMERMANN 2016a:42. ZIMMERMANN 2016a:114.

2. Lesesituation: Eigene Annahmen im Lesevorgang

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Umgesetzt wird dieser Vorgang im Allgemeinen unter Zuhilfenahme verschiedener Zugänge, die nicht als Auslegungsschritte bzw. -regeln verstanden werden, sondern im wahrsten Sinne des Wortes als Zu-Gänge, die das Sinngeschehen unterstützen: „Methoden sind als Hinweis zu verstehen, in welcher Richtung Beobachtungen am Text zu sammeln sind und wie der Sinn des Textes möglichst angemessen erschlossen werden kann.“19 Und die Durchführung des hermeneutischen Gesprächs unter einer jeweils bestimmten Perspektive hat auch einen heuristischen Wert.20 Ausgehend von der Sprach- und Denkweise des Evangeliums hält R. Zimmermann „eine methodische Pluralität für angebracht, die es erlaubt den verschiedenen Gestaltungsformen bildlicher Christologie aus je unterschiedlicher Perspektive gerecht zu werden“.21 Dieses Prinzip scheint mir nicht nur im Blick auf eine Untersuchung der Christologie sachgemäß. Es ist abschließend H. Schürmann beizupflichten: Selten kann ein Methodenmonismus einen Sachverhalt erklären; es bedarf eines Methodenpluralismus. Methoden pflegen sich – in sachbezogener Ausrichtung auf ihr Forschungsobjekt – untereinander auf immer größere Sachlichkeit hin zu korrigieren.22

Natürlich ist dabei einschränkend festzuhalten, dass ist meine Arbeit durch die eigene Fragestellung, nämlich die Untersuchung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv, begrenzt wird. An dem in Abb. 2 dargestellten Modell orientierend stelle ich nun den Aufbau und Fortgang der Untersuchung dar.

2. Lesesituation: Eigene Annahmen im Lesevorgang 2. Lesesituation: Eigene Annahmen im Lesevorgang

Es ist Allgemeingut der heutigen Bibelauslegung, dass es keine voraussetzungslose Exegese gibt.23 Daher ist auch mein Lesevorgang durch bestimmte Annahmen, meinen (kulturellen) Kontext, persönliche (Lebens-)Situation usw. geprägt, die ich im Sinne eines wissenschaftlichen Anspruchs transparent mache.

19

EGGER & WICK 2011:33. Vgl. ZIMMERMANN & ZIMMERMANN 2005:80. 21 Z IMMERMANN 2004:101. 22 SCHÜRMANN 1989:530. Einschränkend sei hinzugefügt, dass der Autor unter Methode wohl ein Auslegungssystem versteht, wie es gerade in der jüngsten Forschung hinterfragt worden ist: „Nicht die genannten exakten wissenschaftlichen Methoden sind verderblich, sondern eine unzulängliche Methoden-Handhabung derselben“ (:530). 23 Das war nicht immer so, wie BOCKMUEHL 2006:76 schreibt: „Until not so very long ago, academic gatherings of biblical scholars witnessed regular recitations of the mantra that biblical exegetes must ‚set aside their presuppositionsʻ and read the Bible ‚like any other ancient book.ʻ Quite how or why one might achieve either the former or the latter was never made entirely clear“. 20

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3. Kap.: Der eigene Ansatz

2.1 Die Metapher der ‚Wurzeln und Flügelʻ beim Lesen Die Metapher ‚roots and wingsʻ hat in unterschiedlichen Kontexten eine breite Rezeption erfahren und wird als erstrebenswerter Wert von der theologischen Fakultät der University of South Africa (UniSA, Pretoria) geprägt.24 „This delightful paradox of being both rooted and winged at the same time can help us to be Christian in creative new ways.“25 Und weiter präzisiert J. N. J. Kritzinger: This means that the affirmation of distinct religious and cultural identities – and the resultant confidence to bear respectful witness to others – goes hand in hand with the free and confident exploration of the views of others.26

Der Aspekt der ‚Wurzelnʻ hebt die eigene Herkunft, die kulturelle „Geworfenheit“ (M. Heidegger) und die eigenen Werte hervor. Es platziert den Exegeten in eine Lesegemeinschaft mit anderen: Ich bin mit meinem Lesen nicht allein, sondern einer, der aus einer Lesegemeinschaft27 kommend und im Gespräch mit anderen die Interpretation beginnt bzw. kontinuierlich fortsetzt. Der Aspekt der Wurzeln konkretisiert sich auch in dem Grundwert der Redlichkeit, die sich z. B. in dem sachgemäßen Wiedergeben von Quellen und ihrer Zitierweise wiederspiegelt. Dieser Grundwert bezieht sich aber nicht nur auf das wissenschaftliche Arbeiten selbst, sondern hat im Allgemeinen die Auslegungsgeschichte der Bibel geprägt28 und umfasst die gesamte Lebenshaltung des Exegeten. Die ‚Flügelʻ symbolisieren das sich Einlassen auf Neues, das Kreative, das Offen-Sein für andere Denk- und Forschungsrichtungen. Sie verleihen der Forschung die Freude am Entdecken und dem ‚Überführt-Werdenʻ. „Subjektbezogenes Verstehen ist also nie bloße Meinung, sondern eine An-Eignung, die zugleich die Chance einer Ent-Eignung in sich birgt.“29 So wirbt J. N. J. Kritzinger in diesem Zusammenhang auch für eine Theologie in einem ‚öffentlichen

24 Vgl. für das Folgende KRITZINGER 2002:145–147. Siehe auch K RITZINGER 2012:247; PRINSLOO 2003:5. Die Metapher von den ‚Wurzeln und Flügelʻ wird regelmäßig auf ein jüdisches sowie indisches Sprichwort bzw. einen Spruch von J. W. von Goethe zurückgeführt. Auch in der Musik (vgl. die Interpreten Jill Johnson, Stefanie Heinzmann [„roots to grow“] u. a.), in der Kunst und im Film (vgl. www.withrootsandwingsfilm.com, Stand: 20.10.2014) wird diese bildliche Sprachäußerung rezipiert. 25 K RITZINGER 2002:145f. 26 K RITZINGER 2012:247. 27 Diesen Aspekt betont der Ethiker J. H. Yoder: „The individual is not left alone to make private analogical applications of Scripture; rather, the gathered community of believers deliberates, expecting to receive guidance from Holy Spirit“ (bei HAYS 1996:249). 28 Für ein Plädoyer auch die frühe Auslegungsgeschichte als solche zu betrachten vgl. DREWS 2004:29. Fest steht, dass der „Geist der Wahrheit“ (Joh 14,17) „kein Feind der Redlichkeit“ ist (MAIER 1990:178). 29 Z IMMERMANN & ZIMMERMANN 2005:86.

2. Lesesituation: Eigene Annahmen im Lesevorgang

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Raumʻ der Universitäten und das Einlassen des Theologen auch auf andere gegensätzliche Thesen und Positionen.30 Diese Metapher der ‚Wurzeln und Flügelʻ bedingt meinen Lesevorgang des JohEv. Denn ich bin mir meines subjektbezogenen Lesens bewusst, was sich zum einen in einer Haltung der Demut gegenüber dem Text und zum anderen gegenüber den Ergebnissen anderer zeigt. Bei meinem Lesen erlaube ich dem Text und anderen Forschern, mich in meinem Lesevorgang zu leiten. Gleichzeitig bringe ich aber auch eigene Fragen mit und möchte die Texte in eigenständiger Weise interpretieren. Das bedeutet also, dass meine Ergebnisse einen Zugang, nicht den Zugang zum Text darstellen.31 2.2 Lesen mit einer Perspektive der Einheit des JohEv „Unerläßlich scheint es daher für jeden, der sich an die Auslegung des 4. Evangeliums wagt, in der literarkritischen Frage ein begründetes Urteil zu gewinnen.“32 Andere haben hier bereits beachtliche Untersuchungsergebnisse vorgelegt,33 so dass ich diesen Forschern folgend von der Einheitlichkeit des JohEv ausgehe und es in der bestmöglichen vorliegenden Endgestalt auslege.34 Die Besonderheiten der johanneischen Textwelt (J. Frey) mit ihrem Bezug auf die Sache werden als Aufgabe wahrgenommen, das intendierte ‚kommunikative Geschehenʻ zwischen Entstehungs- und Lesesituation zu dekodieren und in einer sachgemäßen Interpretation zu kommunizieren. „Insofern verlangt dieses Werk [das JohEv] nach einer Lektüre, die für die literarischen Subtilitäten und metaphorischen Tiefendimensionen des Textes sensibel ist.“35 30

Vgl. KRITZINGER 2012:246–248. Ähnlich FREY 2012:470. Ähnlich H. Thyen im Vorwort seines Johanneskommentars (2015:VI) . 32 FREY 1997:402. Die literarkritische Beurteilung des Evangeliums ist nach Ansicht von J. Frey nach wie vor das Kernproblem (1997:429; vgl. BEUTLER 1998b:191). 33 So auch CHIBICI-REVNEANU 2007:50f. Insbesondere die Arbeiten von E. Ruckstuhl und P. Dschulnigg haben anhand der johanneischen Sprachmerkmale den Trend zur synchronen Auslegung in der Forschung begünstigt: „Das vierte Ev[angelium] ist ein durchaus einheitliches Werk“ (1987:218; vgl. RUCKSTUHL & DSCHULNIGG 1991:25). Dieser Trend zur Synchronie ist in der jüngeren Forschungsgeschichte auch in Kommentaren von z. B. R. E. Brown und H. Thyen nachvollzogen worden (vgl. FREY 2013b:769f; 2013d:21). BACHMANN 2005:83 betont „einen sachlichen Vorrang der Synchronie“ auch und gerade für eine begriffsgeschichtliche Studie, die davor bewahrt, durch einen diachronen Zugang Bedeutungsgehalte in den jeweiligen Text hineinzutragen wie es u. a. G. Bertram (1957) teilweise tut (vgl. auch DÜBBERS 2005:79–81). 34 Siehe insbesondere THYEN 2015:3–5; vgl. BEUTLER 2013:58f; MOLONEY 2005:13. Eine kurze Forschungsgeschichte dieses Ansatzes findet sich bei FREY 2010:456f; 2013d:22–26. Die für diese Untersuchung relevanten textkritischen Stellen beziehen sich auf Joh 3,19.20; 6,28f; 7,3; 8,39?; 9,4; 10,32; 10,38; 14,10.11 (für Joh 8,39; 9,4; 14,11 siehe METZGER 1994:192–194.207). 35 FREY 2010:460. 31

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3. Kap.: Der eigene Ansatz

3. Entstehungssituation: Historische Verortung des JohEv 3. Entstehungssituation: Hist. Verortung des JohEv

J. Frey stellt fest, dass in der ‚Verlags- und Publikationsmaschinerie‘ rund um das JohEv, deren Fülle der Fachliteratur auch für Spezialisten nicht mehr zu verarbeiten ist, historische und theologische Grundfragen (immer mehr) zurücktreten.36 Doch gerade auch diese Dimensionen sind neben literarischen Aspekten nach wie vor im Blick zu behalten.37 3.1 Minimalaussage über die historische Situation Die neuere johanneische Forschung hat gezeigt, was hinsichtlich historischer Grundannahmen (wieder) alles möglich ist.38 Gelegentlich entsteht aber auch der Eindruck, als ob es aussichtslos ist, über historische Fragen gute Argumente und begründete Lösungen zu suchen, da die wenigen vorhandenen Quellen am Ende doch in die Relativität führen. J. Frey spitzt dies zu, indem er z. B. „das johanneische Verfasserproblem als historisches Problem nach wie vor rätselhaft und letztlich wohl unlösbar“39 beschreibt. Andererseits wird literaturwissenschaftlichen Ansätzen immer wieder eine Ausblendung historischer Fragen – und damit eine Verkürzung der Exegese – vorgeworfen.40 Ohne die Bedeutung historischer Fragestellungen schmälern zu wollen, scheint es mir für meine Fragestellung nicht zielführend zu sein, einzelne historische Grundannahmen zu sehr in den Vordergrund zu rücken. Andererseits ist neben aller gebotenen Vorsicht die historische Dimension des Evangeliums nicht gänzlich zu vernachlässigen, sondern sie könnte allgemein „als Frage nach dem für die ersten Rezipienten eines Textes erkennbaren Sinn“41 formuliert werden. Deshalb gehe ich von einer historischen Minimalaussage aus, dass vor Ende des 1. Jh. n. Chr. ein Autor (Johannes) unter hellenistischem und

36 Vgl. FREY 2013d:3f. Dies lässt im 794seitigen hervorragenden Kommentar von H. Thyen zeigen, der allein nur mit einer fünfseitigen Einleitung auskommt (2015:1–5). Im Blick auf die historischen Fragen formuliert der Verfasser: „Als literarisches Werk ist unser Evangelium kein an eine vermeintliche johanneische Gemeinde gerichteter Brief, aus dem Irrungen und Wirrungen erschlossen werden können, sondern ein Buch für Leser, für Menschen aller Generationen, die des Lesens fähig sind“ (:4; zur Kritik vgl. FREY 2013d:24f). 37 Vgl. FREY 2013d:37–40. 38 Siehe 1997:395f. Für eine um Ausgewogenheit bemühte Einordnung ‚historisierender Auslegungʻ zum JohEv vgl. ebenfalls FREY 2013d:8–12. Scharfe Kritik z. B. an den „kühne[n] Konstrukteure[n] einer Geschichte des johanneischen Kreises“ übt M. Hengel (vgl. 1993:10–12). 39 FREY 2013d:33. 40 So FREY 2010:456. Für ein Plädoyer zur Mitberücksichtigung der ‚Geschichteʻ und die Einbeziehung des eigenen gesellschaftlichen Ortes bei der Textlektüre vgl. BEUTLER 1998a:239f; FREY 2013d:4. 41 FREY 2013d:38.

3. Entstehungssituation: Hist. Verortung des JohEv

59

jüdischem Kultur- und Traditionseinfluss stehend mit wahrscheinlicher Kenntnis anderer Evangelien sein Evangelium für eine mit sich und ihrer Umwelt ringende inhomogene (christliche) Gemeinschaft verfasst hat.42 Diese Minimalaussage hat den Zweck einer groben Orientierung und prägt meine Auslegung der relevanten Belegstellen über das Wortfeld ἔργον im Sinne des hermeneutischen Modells, in dem die zentrale Kategorie der Text einnimmt. 43 3.2 Die Sprach- und Denkwelt des JohEv Es ist ohne Zweifel so, dass auch der Verfasser des vierten Evangeliums in eine Traditions- und Denkgemeinschaft eingebunden war. Der Evangelist steht „im breiten Strom antiker Sprach- und Denkwelt“.44 Das schließt neben primär christlichen Quellen45 sekundär auch andere antike Quellen ein, was allgemein als kultur-historischer Rahmen46 bezeichnet werden kann. Eine solche Verortung wird insofern umgesetzt, als das zum einen das ἔργον-Argument der Nikomachischen Ethik von Aristoteles und zum anderen sonstige antike Texte bei der Präzisierung der Semantik von ἔργον κτλ. untersucht werden. Natürlich wird damit keine literarische Abhängigkeit zwischen diesen Texten und dem johanneischen Text postuliert, noch die sogenannte Homogenitätsprämisse vertreten – „mit ‚Bedeutungʻ wäre überall da, wo man diesen Begriff anwendet, dasselbe gemeint“47. Vielmehr wird damit behauptet, dass jedes Texterzeugnis auf etwas aufbaut, was ihm vorausgeht. Deshalb ist die Annahme eines kultur-historischen Rahmens, den man allgemein auch als Kontext bezeichnen könnte, plausibel und in der Breite zielführend. Zum anderen wird bei der Frage nach der moralischen Signifikanz von Normen ihr möglicher traditionsgeschichtlicher Kontext dargestellt. Sowohl der Einbezug anderer Texte als auch die Behandlung traditionsgeschichtlicher Aspekte verweisen darauf, dass auch das vierte Evangelium mit Sprach- und Denkkategorien seiner Zeit vernetzt ist.

42 Für einen kurzen Überblick zur Forschungssituation hinsichtlich historischer Grundannahmen vgl. FREY 1997:395–400; 2010:454–460. Andere Beispiele historischer Grundannahmen stellen E. Ruckstuhl und P. Dschulnigg dar (1991:18f). Eine sachkundige Bündelung sämtlicher Einleitungsfragen findet sich bei HENGEL 1993:264–266 sowie ein Plädoyer für die historische Zuverlässigkeit („historical reliability“) des vierten Evangeliums jüngst bei BENNEMA 2014:10–16. 43 Siehe 3. Kapitel, Pkt. 1. 44 Z IMMERMANN 2004:74. 45 Siehe dazu FREY 2010:456–458. 46 Diese Bezeichnung hat Manfred Lang in einem am 14.07.2010 in Mainz (3. MainzMoral-Meeting) geführten Gespräch als Kategorie vorgeschlagen. 47 B USSE 2009:112.

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3. Kap.: Der eigene Ansatz

4. Text: Linguistische Basis begriffsgeschichtlicher Studien 4. Text: Linguistische Basis begriffsgesch. Studien

Begriffsgeschichtliche bzw. lexikal-semantische Untersuchungen haben in den letzten Jahrzehnten vielfältige Kritik erfahren. Die Kritiker hinterfragen nicht so sehr den Ansatz an sich, sondern vielmehr ihre Methodik und ihre Gewichtung im Rahmen einer exegetischen Arbeit.48 Wegen dieser vielfältigen Kritik ist eine sprachwissenschaftlich verantwortete Methodik umso bedeutender49, auch wenn nach wie vor manche Studien auf eine methodische Grundlegung komplett verzichten.50 4.1 Sprachwissenschaftliche Grundlegung Der Schwierigkeitsgrad einer solchen Untersuchung ist aber vom Wort selbst vorgegeben, wo sich „die phonetische Ebene (der Sprechlaut), die phonologische Ebene (der Sprachlaut), die morphologische Ebene (das Morphem), die lexikalische Ebene (das Lexem), die syntaktische Ebene (das Syntagma) und die stilistische Ebene“ treffen.51 G. R. Osborne hat die Richtung, in die es für eine semantische Untersuchung gehen soll, aufgezeigt: „Meaning is determined on the basis of the congruence of two factors, semantic field … and context.“52 Und K. Berger plädiert dafür, dass beides (Wortfeld und Kontext) nach wie Gültigkeit besitzt: Die Alternative besteht nun freilich nicht einfach darin, statt der ‚Begriffeʻ die ‚Aussage des Textes zur Kenntnis zu nehmen‘. (…) Und die Alternative ‚Begriffsgeschichteʻ oder ‚Kontextʻ ist verfehlt und weckt vor allem den Eindruck, die Beschäftigung mit dem Kontext sei höheren Rechts als die historische, textvergleichende Arbeit.53

48 Vgl. besonders BARR 1965:12–15. Und weiter BERGER 1991:140f; BUSSE 2009:111– 114; COTTERELL 1986:63f; ERICKSON 1983:257–259; KÖSTENBERGER 2001b:126; LOUW 1991:126–128; O’DONNELL 2005:211–214.314.321–324; PORTER & O’DONNELL 2000:155f.164f; SCHNABEL 2000:44; SIEBENTHAL 2000a:127. 49 H. von Siebenthal plädiert für die Einhaltung von zwei Grundbedingungen: „(a) Wortstudien müssen mit der notwendigen methodischen (…) Sorgfalt durchgeführt werden; (…) (b) Den Wortstudien sollte nicht größeres Gewicht beigemessen werden, als sie im Rahmen der Exegese verdienen: der Schwerpunkt (…) muss auf der Textanalyse liegen“ (SIEBENTHAL 2000a:127; vgl. KÖSTENBERGER 1998:19; O’D ONNELL 2005:211; PORTER & O’DONNELL 2000:158f). 50 Siehe z. B. die Habilitation von WEISS 1995. 51 M. Lehnert bei SCHIPPAN 1975:29 (Hervorhebung im Original). Die Schwäche früherer begriffsgeschichtlicher Studien besteht vielfach darin, dieses Netzwerk um das Wort nicht zu sehen und von einer „wort-isolierenden Betrachtungsweise der Semantik“ (BUSSE 2009:113) auszugehen. Für falsche Prämissen früherer semantischer Entwürfe vor J. Barr vgl. THISELTON 1977:76–78. 52 Bei KÖSTENBERGER 1998:19; vgl. B ACHMANN 2005:112f. 53 B ERGER 1991:141; vgl. B USSE 2009:113.

4. Text: Linguistische Basis begriffsgesch. Studien

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Mit einer etwas anderen Betonung, aber dem Bemühen nach zu harmonisieren, schreibt A. J. Köstenberger: „Among these two factors, context must have priority.“54 Und auch wenn diese beiden Positionen wie ein Widerspruch wirken und beide einem unterschiedlichen Standpunkt aus argumentieren, möchten beide Forscher auf dasselbe hinaus. K. Berger rechnet mit einer völligen Negierung begriffsgeschichtlicher Studien und betont daher die beidseitige Legitimität von Begriff und Kontext. A. J. Köstenberger hat die vielen methodischen Fehlversuche im Sinn und betont deshalb die Vernetzung des jeweiligen Begriffs. Von der Prämisse ‚Wort und Kontextʻ kommend entwickelt K. Berger in seinem Methodenbuch „eine textbezogene Methode der Erforschung von Wort- und Sprachinhalten, die nicht hinter die Ergebnisse der Textlinguistik zurückfällt“.55 Auch A. Köstenberger erprobt einen sprachwissenschaftlich verantworteten Ansatz. K. Berger bezieht sich im Wesentlichen auf das semantische Feld.56 (1) „Wortwahl und Einschränkung der Wortwahl sind Erstursache für mögliche Wirkungen, die der Sprecher mit dem Text erzielen will.“ (2) „Bedeutungen entstehen nur aus dem Gebrauch, der der Praxis einer Sprach- und Handlungsgemeinschaft zugrunde liegt. (…) Ebenso wichtig wie die Feststellung der [sprachlichen] Konvention ist freilich die der individuellen Bedeutungsabweichung.“ (3) Neben dem literarischen Kontext (Worte, Sätze, Passagen untereinander) ist eine Kontextualität zu beachten, die semantisch organisiert ist, „als Wortgeflecht“, sozusagen ein semantisches Feld.57 „Semantische Felder sind mehr oder weniger konventionelle Wortverbindungen“ bzw. „regelmäßig wiederkehrende Wortverbindungen“.58 (4) Die Verbindung wird „allein nach dem faktischen Vorkommen“ klar (empirisch-induktive Vorgehensweise). (5) „Durch den literarischen Kontext, in dem sich das semantische Feld stets jeweils findet, kann freilich die Feldbedeutung aufgefüllt und partiell verändert werden. (…) Die Gefahr einer systematisierenden Vereinfachung ist dann gebannt, wenn man mit einer Vielzahl von Feldern und mit verschiedenen Graden von Fixiertheit rechnet, vor allem aber dann, wenn man diese Felder empirisch-induktiv durch Konkordanzarbeit und Textvergleich ermittelt.“ (6) Es ist daher nicht so sehr das Wort, das sich auf Außersprachliches bezieht (sog. Referenz59), sondern „die jeweilige Trägergruppe verständigt sich mit Hilfe konventioneller, aber 54

KÖSTENBERGER 1998:19f; vgl. LOUW 1991:132.137.139. BERGER 1991:137. 56 Die nachfolgenden Zitate finden sich bei BERGER 1991:137–140. Für semantische Felder vgl. auch THISELTON 1977:90–93. Die Anwendung dieser Methodik ist bereits von mehreren Forschern erprobt worden. Siehe BOHLEN 2011:16f; DU TOIT 1997:44–47.261–272; FINSTERBUSCH 1996:108; FLÜCHTER 2010:78–81. 57 Vgl. E GGER & W ICK 2011:115f.138–140.163–173, die zwischen einer sprachlich-syntaktischen und semantischen Analyse in ihrem Methodenbuch unterscheiden. 58 Diese Bezeichnung ist in der Forschung keineswegs einheitlich noch unumstritten (siehe hierzu SIEBENTHAL 2000a:137). 59 „Der Referent eines Wortes oder eines Ausdrucks ist der ‚Sachverhalt in der Realität‘, worauf durch sprachliche Ausdrücke mit entsprechender Absicht Bezug genommen wird“ (H. Bußmann bei SCHNABEL 2000:45; siehe auch DÜBBERS 2005:30f; SIEBENTHAL 2000a:131–133). 55

62

3. Kap.: Der eigene Ansatz

veränderbarer Felder über Außersprachliches“. (7) „Leistung und Intention des Autors können speziell dann bestimmt werden, wieweit er das je ‚erwartbareʻ semantische Feld verändert hat.“ Eine etwas anderen Schwerpunkt nimmt A. J. Köstenberger ein, indem er für die Vermeidung einer „wort-isolierenden Betrachtungsweise“ (D. Busse) folgende Lösung vorschlägt. „Part of the solution to this kind of reductionism is an expansion of one’s focus beyond words to concepts. (…) Thus attention is paid to the different possible meanings of a given word in different contexts, to the different uses of one and the same word by different language users, and to the various occurrences of a set of terms.“60 Hierbei möchte er aber mehr die „discourse concepts“ statt „lexical concepts“ berücksichtigen, also „here the fundamental insight applies that a given word in context may resonate with connotations it acquiered by its previous associations in earlier discourse contexts“.61 Die Hermeneutik von K. Berger und A. J. Köstenberger divergiert in ihrer jeweiligen Perspektive, die man mit G. Fritz als funktionale Perspektive und lexikalische Perspektive bezeichnen kann.62 K. Berger betont den Begriff in seinem semantischen Feld, A. J. Köstenberger das semantische Konzept („discourse concept“) und die darin verwendeten Begriffe.63 Letzterer zieht die Untersuchung eines Konzepts („concept field“) gegenüber der Analyse eines einzelnen Begriffs vor. Er fürchtet nämlich: „The exploration of Johannine mission teaching on a conceptual rather than merely verbal level is all the more important since the fourth evangelist frequently uses synonyms and stylistic variation. A study of ‚sendingʻ alone therefore would run the risk of missing certain aspects of the mission concept.“64 Das leuchtet nicht so recht ein, ist es doch auch möglich und sachgemäß – sofern eine grundsätzliche Erwartungshaltung dafür besteht, anhand eines Begriffs durch eine empirisch-induktive Arbeitsweise am Text Synonyme, stilistische Eigenheiten usw. auszumachen. Zudem wird auch A. J. Köstenberger eine Begrenzung auf bestimmte Termini vornehmen müssen, wenn er nicht will „that terminology itself is just expansive as the Gospel material“.65 Dies sieht er im Verlauf seiner Arbeit auch selbst.66 Nicht bedacht sind hier dann auch noch andere literarische Formen (Parabeln, narrative Handlungen der Protagonisten usw.), die bezugnehmend auf die Studie von A. J. Köstenberger ebenfalls ein (implizites) Verständnis von Mission transportieren können.

Die dargestellten Thesen geben die Richtung vor, in die sich eine an Lexemen orientierte Studie zu bewegen hat. Prägend für meine Untersuchung ist (1) die empirisch-induktive Vorgehensweise der Untersuchung, die das anti-empirisch

60

KÖSTENBERGER 1998:20.23. KÖSTENBERGER 1998:24. 62 FRITZ 2005:34f: „Aus der funktionalen Perspektive fragen wir, welche Ausdrücke in welchen kommunikativen Funktionen verwendet werden, wie neue Ausdrücke für bestimmte Funktionen gefunden werden... (…) Aus der lexikalischen Perspektive fragen wir, welche Verwendungsweisen ein Ausdruck hat, wie neue Verwendungsweisen entstehen, wie das Verwendungspotenzial eines Ausdrucks ausgeschöpft wird.“ 63 Zur Bedeutung des Kontextes als Minimalkonsens vgl. B ACHMANN 2005:112f. 64 K ÖSTENBERGER 1998:26f. 65 O KURE 1988:53; vgl. K ÖSTENBERGER 1998:18. 66 Vgl. KÖSTENBERGER 1998:27. 61

4. Text: Linguistische Basis begriffsgesch. Studien

63

ausgerichtete Chomsky’sche Paradigma ein Stück weit hinter sich lässt.67 (2) Dem Wortgeflecht bzw. dem semantischen Feld wird eine maßgebende Bedeutung zugestanden, ohne die Eigenleistung eines Autors oder die bedeutungsstiftende Funktion des literarischen Kontextes zu schmälern. (3) Es ist mit der Veränderbarkeit bei gleichzeitig festgelegter Konvention von Bedeutungen zu rechnen, die durch die Sprach- und Handlungsgemeinschaft intendiert werden kann. Daraus ergibt sich, dass eine Untersuchung aus lexikalischer Perspektive nach wie vor ihre Berechtigung und Relevanz hat. Auch etymologische Überlegungen müssen nicht vollends aufgegeben werden.68 Allerdings gilt es, eine solche Untersuchung auf ein sachgemäßes methodisches Fundament zu stellen. 4.2 Zur methodischen Umsetzung eines sprachwissenschaftlichen Ansatzes Nach G. Fritz kann der Forscher bei der Untersuchung von Lexemen zwei Blickrichtungen einnehmen. Die Mikroperspektive nehmen wir ein, wenn wir das sprachliche Handeln einzelner Sprecher betrachten... (…) Die Makroperspektive nehmen wir ein, wenn wir die Entwicklung des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke in einer ganzen Sprechergemeinschaft, in einer bestimmten Region oder einer bestimmten Sprachstufe betrachten.69

Eine solche Unterscheidung ist im Sinn, wenn im II. Teil der Arbeit einerseits das ἔργον-Argument des Aristoteles sowie ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv aus der Mikroperspektive und andererseits ἔργον und ἐργάζεσθαι in einem ausgewählten antiken Korpus aus der Makroperspektive untersucht werden.70 Bei der methodischen Umsetzung beziehe ich mich beim Ersteren auf die semantische Wortfeldforschung und beim Letzteren auf die Methode der Korpuslinguistik, die nachfolgend an dieser Stelle zu skizzieren sind. 4.2.1 Beschreibung einer semantischen Wortfelduntersuchung Trotz dieser sprachwissenschaftlichen Fundierung wurde der Ansatz auch im expliziten Rückgriff auf K. Berger mancherorts missverstanden. Gründe für diese Irritationen liegen im inflationären Gebrauch und der unterschiedlichen

67

STEFANOWITSCH 2005:141. Auch EGGER & WICK 2011:109 folgen diesem Ansatz. „Rather than seeking to study abstract general concepts, this approach gives greater room to the actual phenomena in the text under consideration“ (KÖSTENBERGER 1998:23). Gerade diese Prämisse kommt meinem hermeneutischen Modell entgegen, das den ‚Textʻ zentral einordnet. 68 Vgl. BERGER 1991:140.149f. 69 FRITZ 2005:35f. 70 Es erfolgt aber auch ein Brückenschlag zwischen der Mikro- und Makroperspektive, indem der Gebrauch von ἔργον bei Aristoteles mit dem JohEv im 4. Kapitel verglichen wird.

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3. Kap.: Der eigene Ansatz

inhaltlichen Füllung des Begriffs ‚Feld‘71 sowie einer mangelnden Präzisierung, wie eine solche semantische Analyse praktisch umgesetzt werden kann.72 Im Blick auf die methodische Umsetzung bleibt auch K. Berger vage. Zwar stellt er im Verlauf seiner Ausführungen „verschiedene Kohärenzgrade“ innerhalb eines semantischen Feldes dar.73 Diese sind: (1) „Komposita und wurzelverwandte Worte“ (z. B. ἔργον, ἐργάζεσθαι usw.). (2) „Synonyme“ und die Frage nach dem „Normalwort“ (z. B. σημεῖον?). (3) „Oppositionen“ (z. B. Joh 3,19–21). (4) „Affinitäten und ‚typische Objekte‘“ (z. B. ποιεῖν, θεός usw.). (5) „Assoziationen“, die mit gewisser Regelmäßigkeit begegnen, „bei denen aber kein sehr enger inhaltlicher Bezug zu bestehen scheint“ (z. B. Sünde – Joh 15,24). (6) „Die Beschränkung der Feldforschung lediglich auf Felder oder Höfe, die je ein Wort um sich hat, ist spätestens in den Fällen aufzugeben, in denen ein Wort stereotyp mit fremden Feldern und Sachzusammenhängen verbunden ist.“ Weiterhin zählt K. Berger wichtige Prinzipien für eine semantische Felduntersuchung auf (in Auswahl):74 (1) „Bestimmte Formen sind typisch für bestimmte semantische Felder.“ (2) Die Neubildung semantischer Felder „geschieht nach dem Prinzip der (partiellen) Synonymität und der Opposition“. (3) „Im Zweifelsfall geht Kontextsynonymität vor Feldzugehörigkeit.“ (4) Will man die Ergebnisse der Textlinguistik angemessen berücksichtigen, so kann man sich nicht mehr an der inhaltlichen Abgestimmtheit einzelner Begriffe orientieren, sondern muß von deren faktischem Vorkommen in Texten ausgehen.“ Als eine sprachwissenschaftlich verantwortete Studie, die auch noch Anschauungspotenzial für semantische Wortfeldanalysen besitzt, kann die Arbeit von A. J. Köstenberger gelten. Sein methodisches Vorgehen orientiert sich an der Frage Mission in the Fourth Gospel und kann folgendermaßen zusammengefasst werden75: a) b)

c)

Analyse des JohEv mit besonderer Beachtung expliziter Ausdrücke zum Konzept ‚Mission‘. Darstellung bedeutungsmäßig zusammengehörender Begriffe in semantische Wortfelder. Ein Wortfeld ist hier eine Art Überschrift, die die jeweiligen Unter-Kategorien umspannt. Nur bei W. Egger & P. Wick: Herausarbeitung semantischer Oppositionen, „die zwischen den Bedeutungsinhalten des Textes bestehen“76.

71 Dass K. Berger einen anderen ‚Feldbegriffʻ im Sinn hat, postuliert FINSTERBUSCH 1996:108. 72 So auch SIEBENTHAL 2000a:137. Zur Kritik und Grenze der Wortfeldtheorie vgl. DÜBBERS 2005:42f.45f: „Semantische Felder konstituieren daher nicht die Bedeutung eines Wortes, sondern sie können diese lediglich beschreiben und gegebenenfalls präzisieren helfen“ (:43). 73 Für das Folgende vgl. BERGER 1991:144–147, der in vielem sich an J. Trier orientiert (so auch KÖSTENBERGER 1998:26; SIEBENTHAL 2000a:131–139). Zum Aspekt der Synonymität und Oppositionen siehe auch THISELTON 1977:90–93. 74 Vgl. BERGER 1991:154f.157. Ergänzend zu nennen ist M. Bachmanns Beobachtung, dass in der heutigen Methodenforschung es anerkannt sei, „sich dem semantischen Gehalt eines Lexems oder Syntagmas aufgrund syntagmatischer und paradigmatischer Analysen zu nähern“ (2005:83). 75 Vgl. für das Folgende K ÖSTENBERGER 1998:27–37. Ein ähnliches methodisches Vorgehen beschreiben EGGER & WICK 2011:143–151. 76 E GGER & WICK 2011:147.

4. Text: Linguistische Basis begriffsgesch. Studien d)

65

Darstellung der semantischen Wortfelder mit Stellennachweisen und unter Berücksichtigung anderer Ordnungskategorien wie z. B. Was wird über die ‚Mission von Jesusʻ gesagt? Was sagt Johannes über die ‚Mission der Jünger‘? Darstellung semantischer Cluster im Text. Durch diese Art der Darstellung wird die Häufung der vorkommenden Begriffe im Text dargestellt. W. Egger & P. Wick bringen zuletzt die Kategorie des „semiotischen Vierecks“ ins Spiel, um „jene Bedeutungseinheit (‚Sem‘) nennen [zu können], die den ganzen Text durchzieht und die im Text angeführten Umwandlungen erklärt“77.

e) f)

Der dargestellte Ansatz einer semantischen Wortfelduntersuchung bildet eine ausreichende Basis für eine Untersuchung der Lexeme im JohEv und wird im sechsten Kapitel umgesetzt. 4.2.2 Beschreibung eines korpuslinguistischen Zugangs Die Korpuslinguistik78 ist „kein Teilgebiet der Linguistik wie Syntax oder Semantik; vielmehr stellt sie eine Methode zur Erforschung dieser Teilgebiete dar“79. Die Anfänge dieser sprachwissenschaftlichen Disziplin lassen sich mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückdatieren, wobei sie erst durch das Interesse an empirischen Methoden und den technologischen Fortschritt in der elektronischen Datenverarbeitung eine Breitenwirkung erfahren hat.80 Heute gehört die computerunterstützte Korpuslinguistik zum aufstrebenden Zweig in den Sprachwissenschaften.81 Nachfolgend beschreibe ich die markanten Leitlinien dieses Zugangs. Eine Konkretisierung dieser Methode wird dann im fünften Kapitel fortgeführt. Statt einer Definition nennt M. B. O’Donnell sechs Schlüsselelemente eines korpuslinguistischen Zugangs in er einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung:

77

EGGER & WICK 2011:148. Gute Einführungen bieten BAKER 2010:1–30; BUBENHOFER 2006–2015; LEMNITZER & ZINSMEISTER 2006:6–8; PAPROTTÉ 2002:364–381; RAYSON 2002:8–59; REISSE 2006:17– 30; SCHERER 2006:3f; STEFANOWITSCH 2005:141–155. Siehe insbesondere das Standardwerk von O’DONNELL 2005. 79 REISSE 2006:17; vgl. PAPROTTÉ 2002:366; RAYSON 2002:3. Inwieweit „corpus linguistics is a methodology or a theory of language (or both)“, ist umstritten (BAKER 2010:6). 80 STEFANOWITSCH 2005:141; vgl. BAKER 2010:5; O’DONNELL 2000:257; 2005:26f. Daher wird die Korpuslinguistik gelegentlich als „computational linguistics“ bezeichnet (vgl. RAYSON 2002:10). 81 BAKER 2010:1. Dies gilt (noch) nicht für die neutestamentliche Wissenschaft. Ein überaus informativer Überblick über die Anwendung korpuslinguistischer Verfahren in der neutestamentlichen Forschung findet sich bei O’DONNELL 2005:38–76, der auch gleichzeitig die methodischen Mängel mancher Studien aufzeigt. 78

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3. Kap.: Der eigene Ansatz

1. The Use of a Representative Corpus. 2. The Use of Linguistic Annotation. 3. The Interpretation of Frequency. 4. The Discovery of Linguistic Variables. 5. The Identification of Patterns. 6. Quantitative Analysis and Statistical Methods.82

In einer korpuslinguistischen Untersuchung wird zunächst „das Wie der Phänomene korrekt und möglichst vollständig (beobachtungsadäquat) beschrieben, erst danach wird das Warum in einer Erklärung formuliert“83. Sowohl das Wie als auch das Warum spiegeln einen hermeneutischen Prozess wider. So ist auch die Korpuslinguistik trotz ihrer empirisch-induktiven Vorgehensweise auf eine sachgemäße Analyse des Forschenden angewiesen: „…large corpora and powerful retrieval programs are not a substitute for an intelligent linguist and a close reading of the text.“84 Bei der Interpretation – also dem Warum – geht es nicht um genealogische Herleitungen zwischen den verschiedenen Korpora, sondern um die Darstellung möglicher Sinn-Potenziale. Immer dann, wenn dem Forscher unterschiedliche Korpora vorliegen, sind diachrone und synchrone Untersuchungen und eine Kombination beider denkbar.85 Erstere haben es vor allem mit geschriebenen Texten zu tun, untersuchen die sprachlichen Veränderungen auf dem Hintergrund des Zeitablaufs und versuchen, diese Veränderungen durch Hypothesen oder „by trying to relate the results to real-world events“ zu erklären.86 Letztere vergleichen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Korpora aus derselben oder unterschiedlichen Zeitperiode. Das Hauptaugenmerk hier sind nicht die zeitgeschichtlichen Veränderungen, sondern die unterschiedlichen Gebrauchsweisen, die kulturell oder örtlich bedingt sind.87 Die allgemeine methodische Umsetzung der Korpuslinguistik konzentriert P. E. Rayson auf fünf einzelne Schritte:

82

Vgl. O’DONNELL 2005:26–30. Definitionsbemühungen finden sich u. a. bei BAKER 2010:5; LEMNITZER & ZINSMEISTER 2006:10; STEFANOWITSCH 2005:143–146. 83 PAPROTTÉ 2002:364. „The final and most difficult stage of a corpus-based analysis is the interpretation of the results obtained from the study“ (O’DONNELL 2005:169.247–249). 84 O’D ONNELL 2005:209. 85 Vgl. BAKER 2010:30, 57; O’DONNELL 2005:210. 86 Vgl. BAKER 2010:57f.68f. „Diachronic studies will therefore become more credible if they use multiple corpora, with shorter time periods between them. (…) We should not, however, become paralysed into not being able to make any claims when comparing frequencies within diachronic corpora“ (:80). Hier hilft zum einen die Konkordanz-Methode und zum anderen die Berücksichtigung historischer und sozialer Kontexte der untersuchten Zeitabschnitte als Absicherung (:80). 87 Vgl. BAKER 2010:30.81.

5. Sache: Meth. Überlegungen zur ethischen Fragestellung

67

In all of these various areas of linguistic study, there are five main steps when we examine the corpus-based approach: 1. Question: A research question or model is devised 2. Build: Corpus design and compilation 3. Annotate: Computational analysis of the corpus 4. Retrieve: Quantitative and qualitative analyses of the corpus 5. Interpret: Manual interpretation of the results or confirmation of the accuracy of the model.88

Die Sprachwissenschaftler unterscheiden bei der Anwendung der Methodik zwei wesentliche Perspektiven: „Firstly, we can focus on the use of a particular linguistic feature, possibly a word or grammatical construction. (…) Secondly, we can examine the characteristics of whole texts or varieties of language (…).“89 P. E. Rayson schlägt zudem eine dritte Perspektive vor, die er als „datadriven linguistics“ bezeichnet: „decisions on which linguistic features are important or should be studied are made on the basis of information extracted from the data itself; in other words, it is data-driven.“90 Dies hat methodologisch zur Folge, dass bei ihm die eigentliche Forschungsfrage („1.Question“) nach dem Datenabruf („4. Retrieve“) gestellt wird und aufgrund erster Einsichten aus der quantitaven und qualitativen Analyse eine Re-Formulierung erfolgt: „…with iteration back from step 4 to step 3, which enables refinement of the research question following a retrieval step.“91 Ein solches zirkuläres Vorgehen hebt die Bedeutung des Korpus und eine induktive Analyse der Texte hervor. Die korpuslinguistische Methode überzeugt, weil sie ein empirisch-induktives Arbeiten mit Texten fördert und eine Untersuchung des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke aus einer Makroperspektive heraus ermöglicht. Im fünften Kapitel wird das methodische Vorgehen konkretisiert, eine Sammlung schriftlicher Texte (Korpus) definiert und die sprachliche Verwendung von ἔργον und ἐργάζεσθαι ausgewertet.

5. Sache: Methodische Überlegungen zur ethischen Fragestellung 5. Sache: Meth. Überlegungen zur ethischen Fragestellung

Die Festlegung einer Definition von Ethik ist nur mit Bedacht vorzunehmen. Ansonsten könnte sie zu ähnlichen Aporien wie bisher kommen, als eine Ethik im JohEv aufgrund einer bestimmten theorie-geleiteten Definition abgelehnt

88

RAYSON 2002:12f. RAYSON 2002:13: Beide Perspektiven werden manchmal auch als „microscopic (type I)“ und „macroscopic (type II)“ bezeichnet. 90 R AYSON 2002:14. 91 R AYSON 2002:14. 89

68

3. Kap.: Der eigene Ansatz

worden ist.92 Allgemein kann mit R. Zimmermann folgende Beschreibung angenommen werden: Ethik ist die reflexive Durchdringung von Handlungsentscheidungen hinsichtlich ihrer leitenden Normen mit dem Ziel der Bewertung. Damit ist dreierlei gesagt: Wer Ethik betreibt, denkt darüber nach, warum Menschen in einer bestimmten Weise handeln. (…) Das Erkennen, Benennen oder auch Erzeugen der moralischen Signifikanz erfolgt mittels Sprache. (…) Die Nennung von Normen wird erst dann zur Ethik, wenn damit zugleich eine Wertung verbunden ist.93

Damit ist im Blick auf eine Ethik im JohEv die Aufgabe bereits angedeutet. Eine in dieser Sache sich interessierende Untersuchung wird folgende Fragen stellen: Welcher Art sind die johanneischen Sprachäußerungen in Bezug auf grundsätzliche menschliche Verhalten? Welche Normen werden benannt? Und wird konkretes Verhalten als besser oder schlechter bewertet, welches durch die Nennung von Normen begründet wird? Wird etwa auch eine allgemeine Geltung beansprucht, die intersubjektiv kommuniziert wird? Entsteht ein ‚moralischerʻ Impuls an die Adressaten bzw. Leser des Evangeliums, woraus sich ein präskriptiv normativer Anspruch erhebt?94 Die Untersuchung einer johanneischen Ethik ist also in der jeweiligen Begegnung mit der sprachlichen Form des Textes durchzuführen. Der praktische Lebensbezug einer antiken Ethik ist dabei stets mitzudenken. Denn die antike Philosophie ist „von allem Anfang an als eine Lebensform und nicht als eine rein systematische oder theoretische Disziplin verstanden“95 worden. Umso bedeutender ist also die Festlegung einer Methodologie zur Erhebung einer Ethik. Der methodische Ansatz zur ‚implizitenʻ Ethik soll nachfolgend besprochen und angepasst werden. 5.1 Zur Methodologie einer impliziten Ethik im Allgemeinen Eine Modifizierung der von R. Zimmermann vorgelegten Methodologie zur impliziten Ethik ist unbedingt vorzunehmen. Folgende Gründe sprechen dafür. (1) R. Zimmermann ist an der Erhebung einer impliziten Ethik im Allgemeinen interessiert, mir geht es aber um die semantische Bedeutung zweier Lexeme und ihre kontextuelle Einbettung im JohEv. Während also dort ethische Aussagen und z. B. ihre sprachliche Form an sich untersucht werden, frage ich nach einer möglichen moralischen Signifikanz, die im Kontext von ἔργον und 92 Dies scheint W. Meeks zu tun (1996:317–320; vgl. VAN DER WATT & ZIMMERMANN 2012:46f) . 93 ZIMMERMANN 2013c:3; 2007b:272. R. Zimmermann hat jüngst den Begriff „Handlungsentscheidungen“ durch „Lebensweisen“ ersetzt (vgl. 2016a:12). Für eine ausführliche Besprechung dieser Definition vgl. WAGENER 2015:37–41. 94 Die Fragen sind in Anlehnung an ZIMMERMANN 2013b:433 von mir formuliert worden. 95 NEHAMAS 2007:163; Vgl.HORN 1998:65.124; MORGAN 2009:49; WOLF 2007:15; ZIMMERMANN 2012a:59f; 2016a:10f.

5. Sache: Meth. Überlegungen zur ethischen Fragestellung

69

ἐργάζεσθαι wahrnehmbar ist. Daher ist nicht jede Fragerichtung im Organon der impliziten Ethik für meine Zwecke gleichermaßen brauchbar. (2) Bisherige Erprobungen dieser Methodologie liegen mehrheitlich für die paulinischen Briefe vor, insbesondere zum 1. Korintherbrief.96 Ein Brief bringt aber eine andere Kommunikationssituation hervor als es ein Evangelium mit seiner Gattung tun kann. So ergeben sich mehrere Anhaltspunkte in Bezug auf den Ort, die Adressaten und ihre Situation, die das Präskript eines Briefes oftmals liefert. Damit ist in einem Evangelium nicht zu rechnen. Gesteigert wird diese Ausgangsposition auch noch durch den 1.Korintherbrief, in dem Paulus wahrscheinlich Zitate der Adressaten zu ethischen Fragen aufnimmt (z. B. 1Kor 6,12a) und in seinen Ausführungen reflektiert. Kurzum: Die Gattung des Briefes ist transparenter in Bezug auf die „reflexive Durchdringung von Handlungsentscheidungen“ als es die Gattung des Evangeliums sein kann.97 Erschwerend kommt in Bezug auf das JohEv hinzu, dass hier die historische Abfassungssituation aufgrund fehlender Quellen (und nicht vorhandener Andeutungen im Evangelium selbst) umstritten ist und mit Hypothesen auskommen muss.98 (3) Da sich meine Arbeit grundsätzlich an zwei Lexemen orientiert, kann es folgerichtig nicht um eine johanneische Ethik an sich gehen. Vielmehr wird untersucht, ob das Verständnis über eine Ethik im JohEv sich durch ἔργον und ἐργάζεσθαι vertiefen lässt bzw. die beiden Begriffe moralisch signifikant wirken. Daher ist als Fazit festzuhalten. Das von R. Zimmermann entwickelte Organon der impliziten Ethik ist im Blick auf meinen Untersuchungsgegenstand anzupassen. Konkret bedeutet dies eine Veränderung hin zu einem FünfSchritt-Verfahren.

96

ZIMMERMANN 2007b; 2009b; 2010; 2012b; 2016a. Ähnlich in Bezug auf eine zeitgeschichtliche Auslegung des JohEv FREY 2013d:16f. 98 Vgl. WAGENER 2015:16. Zu den strittigen historischen Grundannahmen siehe FREY 1997:395–401. Die Einschätzung von SASSE 2000:26, es bestünde eine opinio communis in Bezug auf die Situation der Adressaten – „Gegenwärtige Erfahrungen der Gemeinde mit der jüdischen Synagoge werden in die Geschichte Jesu zurückprojiziert“ – geht an der derzeitigen Forschungssituation vorbei. Für diese als „‚mirror readingʻ nicht unproblematische Lektüre...“ vgl. auch FREY 2013d:12–17. 97

70

3. Kap.: Der eigene Ansatz

1. Das Medium der Ethik: Sprachformen

5. Die Reichweite der Ethik: Geltungsbereich

4. Das Subjekt der Ethik: Ethische Urteilträger

a) Kontext: Traditionsgeschichte einzelner Normen

2. Knotenpunkte der Ethik: Normen b) Wertekategorie: Wertehierarchie einzelner Normen

3. Reflexionsformen der Ethik: Moralische Signifikanz

Abb. 3: Überblick der Analyseschritte einer impliziten Ethik

Neben einer veränderten Anordnung der Aspekte „Kontext“ und „Wertekategorie“, die ich als untergeordnete Größen zu den Normen (Schritt Nr. 2) sehe, verzichte ich auf den Aspekt „Ethik und soziale Wirklichkeit: Gelebtes Ethos“99. Denn auch wenn eine „textlich manifeste Ethik-Reflexion (...) von ihrer Referenz auf die außersprachliche Wirklichkeit“ kaum zu scheiden ist, geschieht eine entscheidende methodische Ausweitung in diesem Schritt: Waren die bisherigen Perspektiven im Organon der impliziten Ethik primär text-, begriffsoder konzeptgebunden, so geht es nun um die hinter dem Text liegende geschichtliche Realität, die mit Hilfe historischer und besonders sozio-historischer Methoden zu untersuchen ist.100

Dies scheint mir aber im Blick auf das JohEv ein allzu unsicheres Terrain.101 Damit ist der Exeget auf zu viele Hypothesen angewiesen, die er vom Text her nicht eindeutig absichern kann. 5.2 Fünf Analyseschritte einer ‚impliziten Ethik‘ 5.2.1 Das Medium der Sprache: Sprachformen Aufbauend auf die oben genannten sprachwissenschaftlichen Prinzipien und mit Berücksichtigung der Annahme – moralische Signifikanz ereignet sich 99

ZIMMERMANN 2016a:109–117. ZIMMERMANN 2016a:109. 101 Die Komplexität dieser Frage besteht auch darin, wo die Grenze dieses „mirror reading“ (J. Frey) zu ziehen ist. Für einen zeitgeschichtlichen Zugang zum JohEv vgl. FREY 2013d:12–17. 100

5. Sache: Meth. Überlegungen zur ethischen Fragestellung

71

durch Sprache – ist hier nach Sprachformen zu fragen, die in besonderer Weise eine ethische Wirkung transportieren. In welcher sprachlichen Gestalt mit moralischer Signifikanz begegnet die Wortfamilie ἔργον und ἐργάζεσθαι? Welche Impulse gehen von ihrer Semantik und ihrer kontextuellen Einbettung auf die Ethik im JohEv aus? In Untersuchungen zur Ethik haben Imperative ein besonderes Augenmerk.102 R. Hirsch-Luipold stellt fest, dass „die Häufung von Imperativen und imperativischen Sprachformen innerhalb des Johannesevangeliums“ überrascht, und resümiert, „dass Einzelgebote nicht völlig fehlen“. Zwar „sind viele dieser Aufforderungen im Erzählkontext an Erzählfiguren gerichtet“. Es ist jedoch vorauszusetzen, dass auch ein narrativer Text „‚ethische Aussagenʻ im Sinne reflektierter Handlungsorientierungen“103 entfalten kann. Dabei ist zu bedenken, dass nicht allein formale Imperative zu berücksichtigen sind, sondern die Sprache des NT eine Fülle an anderen imperativischen Formen verwendet. Es ist deshalb „zwischen der grammatischen Form eines Imperativs und einem imperativischen Sprechakt“104 zu unterscheiden. „While a grammarian can decide formalistically which sentences or verb forms are categorized as ‚imperativ‘, for the ethicist it depends more on the mood, on the inner logic that makes a statement appear imperativ or indicative.“105 Daher zählt R. Zimmermann einige Phänomene auf, die allein auf der intratextuellen Ebene im Koiné-Griechisch imperativisch wirken. Folgende Sprachformen sind hier relevant.106

102 In der Forschungsgeschichte wurde immer wieder „ein zeitliches, logisches und qualitatives Gefälle von der Dogmatik zur Ethik hin postuliert, indem man die Ethik als etwas Sekundäres betrachtet, das der Soteriologie nachgeordnet ist“ (KOLLMANN 2014b:333; vgl. SEIBERT 2014:81). Eine latente oder offene Abwertung der Ethik bzw. die Priorität des Indikativs gegenüber dem Imperativ war die Folge. „Demgegenüber setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass diese maßgeblich von der lutherischen Tradition geprägten Deutekategorien dem komplexen Textbefund und den vielfältigen Begründungsmustern der neutestamentlichen Ethik nicht gerecht werden“ (KOLLMANN 2014b:333). 103 H IRSCH-LUIPOLD 2009:293. 104 Z IMMERMANN 2016a:43. 105 Z IMMERMANN 2010:30. Vgl. H IRSCH -LUIPOLD 2009:295. R. Zimmermann führt im Gefolge R. M. Hares aus, wie diese sprachliche Analyse geschehen kann: R. M. Hare unterscheidet indikative („something is the case“) und imperative („to make something the case“) Aussagen/Sprechakte. Hier wird nun klar, dass grammatikalische Imperative einen imperativischen Charakter haben können oder auch nicht, genauso wie auch indikativische Formen eine imperativische Wirkung implizieren (ZIMMERMANN 2010:30). Kritisch zur Sicht der Texte als Sprechakte äußert sich BERGER 1991:131. 106 Vgl. für das Folgende ZIMMERMANN 2016a:44–47.127–132.

72

3. Kap.: Der eigene Ansatz

Tabelle 3: Grammatische Imperativformen im Koiné-Griechisch Form Imperativ

Beschreibung bzw. Besonderheit Imperativformen der zweiten und dritten Person, die sowohl im Präsens als auch im Aorist107 vorkommen. 2./3. Pers. Indikativ Futur Diese Form hat ihren Hintergrund in der „Gesetzessprache des AT“108. Infinitiv Es finden sich aber nur wenige Formen dazu im NT und im JohEv überhaupt nicht. „Only if an infinitive is obviously not dependent on any other verb can it be treated as an imperatival infinitive. But the following three instances (in two verses) are apparently the only examples of this in the NT.“109 Partizip Auch das Partizip mit imperativischem Sinn kommt im JohEv nicht vor. Die wenigen relevanten Stellen sind im Corpus Paulinum und im 1. Petrusbrief anzutreffen.110 Hortativer oder prohibitiver Im Wesentlichen handelt es sich hier um Formen mit der Konjunktiv ersten Person Plural und gelegentlich den Singular.111 Konjunktiv Aorist mit μή als Im NT wird diese Form nicht selten mit einem Imperativ Ersatz für den negierten Im- wie z. B. ὁρᾶτε eingeleitet.112 perativ Aorist Konjunktiv bei Finalsätzen Gelegentlich wird diese Form auch mit Verben der Aufformit ἵνα bzw. ἵνα μή derung und des Wünschens verbunden.113 3. Person Konjunktiv Als Beispiel nennt R. Zimmermann hier 1Kor 16,11.114

Die Tabelle zeigt die Fülle imperativischer Sprachformen im NT. Es zeigt sich aber auch, dass manche Sprachformen im JohEv gar nicht vorkommen. Neben dieser intratextuellen Ebene sind bei Sprachformen moralischer Signifikanz auch die extra- und intertextuellen Dimensionen mitzudenken, die an dieser Stelle keiner weiteren Erklärung bedürfen.115

107

„With the aorist, the force generally is to command the action as a whole (...). With the present, the force generally is to command the action as an ongoing process“ (WALLACE 1996:485; vgl. BLASS & D EBRUNNER 2001:274–276; WALLACE 1996:714–717). 108 B LASS & D EBRUNNER 2001:292; siehe W ALLACE 1996:723. 109 Röm 12,15; Phil 3,16; W ALLACE 1996:608; siehe BLASS & D EBRUNNER 2001:315f. 110 Vgl. WALLACE 1996:650–652; BLASS & D EBRUNNER 2001:397. 111 B LASS & D EBRUNNER 2001:293f. 112 Vgl. BLASS & D EBRUNNER 2001:294. 113 B LASS & D EBRUNNER 2001:313f. 114 Z IMMERMANN 2016a:46. 115 Siehe 2. Kapitel, Pkt. 2.2.3.

5. Sache: Meth. Überlegungen zur ethischen Fragestellung

73

5.2.2 Knotenpunkte der Ethik: Normen. „Eine ‚Normʻ ist eine Äußerung, die in einem ethischen Satz bzw. Diskurs einen Sollensanspruch an das Verhalten eines Einzelnen bzw. einer Gruppe begründet oder die eine Wertzuschreibung vollzieht.“116 Diese Definition betont den kommunikativen Aspekt, der dem mit vielen Reden angereicherten JohEv zugutekommt, und die potentielle Vielfalt, wie sich Normen ausdrücken lassen. Im Blick auf narrative Texte ist z. B. auch an eingeführte Figuren zu denken, die zu einer Norm im Text werden können. Hier ist überdies zu fragen: Welche Normen werden mit ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv verknüpft? Welche Figuren führt der Verfasser ein, um dadurch Äußerungen mit einem Sollensanspruch auszudrücken? Usw. R. Zimmermann differenziert den Begriff Norm aus heuristischen Gründen in „formalethische Prinzipien und Maximen und materialethische Güter und Werte“.117 Ein Prinzip soll dabei (…) eine Norm sein, die dem Handeln vorausliegt und aus der dann das richtige Tun abgeleitet wird. (…) Eine Maxime kann z.B. auch als Ziel des Handelns induktiv bestimmt werden. (…) Man könnte ein Gut als eine in bestimmter Weise inhaltlich festgelegte Norm betrachten. (…) Chr. Horn unterscheidet zwischen ‚Grundgüternʻ (Leben, Gesundheit, körperliche und psychische Integrität), ‚Bedarfsgüternʻ (Nahrung, Kleidung, Medizin. Grundversorgung etc.) sowie einer inhomogenen Gruppe weiterer Güter (Rechte, Kompetenzen, Vermögen, Bildung etc.). (…) Während dem Begriff des Guten traditionell ein ontologischer oder gar metaphysischer Status anhaftet, impliziert der Wertbegriff den Aspekt des subjektiven Wertempfindens.118

In der Normenanalyse folge ich dieser Differenzierung und nehme eine Zuordnung der Normen zu diesen vier Kategorien vor. Mir scheint es sachgemäßer, die „Konvention und Traditionsgeschichte“ einzelner Normen und ihre „Wertehierarchie“ der Normenanalyse selbst unterzuordnen. Denn schließlich werden bei der Interpretation der Normen diese Aspekte von Anfang an mitbedacht. Zum anderen sind diese beiden Kategorien ohne Interpretation der Normen für sich gar nicht durchzuführen. Die markanten Leitfragen dieses Analyseschrittes sind: - Zum Kontext: Was lässt sich zur Traditionsgeschichte einzelner Normen sagen? Welche im Text vorkommenden Normen wirken durch ihre Traditionsgeschichte moralisch signifikant bzw. bekommen eine moralische Zuspitzung? - Zur Wertekategorie: Wie führt Johannes ἔργον und ἐργάζεσθαι in sein Evangelium ein und welche anderen Normen ordnet er über bzw. unter diese bei-

116

ZIMMERMANN 2016a:56. ZIMMERMANN 2016a:58. 118 Z IMMERMANN 2016a:58–61. 117

74

3. Kap.: Der eigene Ansatz

den Lexeme? Lassen sich Verbindungen etwa zum Liebesgebot, zum Gesetz, zur Herrlichkeit usw. aufzeigen? In welchem Verhältnis stehen diese Normen zueinander? 5.2.3 Reflexionsformen der Ethik: Moralische Signifikanz Die Benennung von Normen allein macht noch keine Ethik. Es ist vielmehr die Frage, wie diese Normen in Anspruch genommen und ihre Geltung behauptet und eingefordert wird.119 Daher geht es hier um argumentative Strukturen, wie moralische Signifikanz erzeugt wird. In welche Begründungsstruktur ist ἔργον und ἐργάζεσθαι jeweils eingebettet? Erfolgt eine Bewertung des ἔργον? Wenn ja, wie ist diese Argumentationsweise aufgebaut? Die Erzählebene betrachtend – welche Handlungen werden als gut und richtig eingeschätzt? Mit welcher erzählerischen Begründung? Die Interpretations-/Leser-Ebene betrachtend – aus welchen Handlungen lernt der Leser für sich selbst? Welche Fehler soll er vermeiden? R. Zimmermann stellt sieben Reflexionsformen in zwei Bereichen dar, die in Texten eine Begründung des Handelns bewirken wollen: Bereich A: deontologische Ethik; teleologische Ethik; Güterabwägung. Bereich B: metaphorische Ethik, narrative Ethik, mimetische Ethik und doxologische Ethik.120 Gerade die Reflexionsformen des zweiten Bereichs sind für eine Untersuchung des JohEv interessant, da sie mittels Sprache nicht „primär argumentativen oder imperativen Charakter haben, aber dennoch (…) auf eigene Weise moralische Signifikanz“121 erzeugen. 5.2.4 Das Subjekt der Ethik: Ethische Urteilsträger Der reflexive Aspekt der hier angewandten Ethik-Definition „setzt ein handlungsfähiges Subjekt voraus, das in einem Handlungs- oder Wertekonflikt eine bewusste Entscheidung fällen kann und auch fällt“122. Dabei kann es sich um ein Subjekt innerhalb der Erzählwelt (z. B. implizierter Autor, Erzähler, Erzählfigur usw.) und/oder außerhalb der Textwelt (z. B. realer Leser, intendierter Leser, zeitgenössischer Leser usw.)123 handeln. Wichtig ist auch anzumerken, dass als ethisches Subjekt auch ein Kollektiv gemeint sein kann.124 In Bezug auf meine Fragestellung ergeben sich hier folgende Fragen: Wer erscheint in Beziehung zu ἔργον und ἐργάζεσθαι als ethisches Subjekt? Wie wird dieses Subjekt beschrieben: schwach-stark/sozial unten – sozial oben? Lässt Johannes für das ἔργον-ausführende-Subjekt überhaupt Raum zu einer 119

ZIMMERMANN 2016a:79f. Vgl. ZIMMERMANN 2016a:81. 121 Z IMMERMANN 2016a:81. 122 Z IMMERMANN 2016a:97. 123 Vgl. WAGENER 2015:19–27. 124 Vgl. ZIMMERMANN 2016a:106–108. 120

5. Sache: Meth. Überlegungen zur ethischen Fragestellung

75

Entscheidung zu? Ist ein ethisches Subjekt imstande, seine personale Entscheidungsinstanz auszunutzen oder ist alles im JohEv prädestinatianisch vorgegeben? Welche Empfindung nimmt ein Leser in Bezug auf das ethische Subjekt (z. B. Erzählfigur) ein – Sympathie oder Antipathie? 5.2.5 Die Reichweite der Ethik: Geltungsbereich Bei der Reichweite ethischer Aussage geht es um ihren Anwendungsbereich, der sich zwischen Partikularität und/oder Universalität ereignet. Die erste entscheidende Frage ist hier: Wer ist im Blick auf die Anwendung konkret gemeint? Welcher Geltungsbereich wird hier nahegelegt? Ist zum Beispiel das ἔργον der Jünger (Joh 14,12) nur auf die ‚Zwölfʻ zu beziehen oder auch und gerade auf die Leser auszuweiten? Dabei ist es für neutestamentliche Texte nicht ungewöhnlich, dass die Anwendung ethischer Weisungen von konkreten Adressaten auf eine andere größere Gruppierung übertragen wird. Selbst die kanonische Gestalt der Texte trägt dazu bei bzw. intendiert eine solche Lesart.125 Der Ausleger wird im Text auf sprachliche Signale achten, die zum einen Begrenzungen und Abstraktionen zur Partikularität bzw. Universalität transportieren und zum anderen Hinweise zur Übertragung ethischer Aussagen auf andere Situationen nahelegen, was mit dem Konzept der Kontextualisierung126 umschrieben werden kann. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf alle Stellen im JohEv, in denen der Autor die Wortfamilie ἔργον und ἐργάζεσθαι verwendet. Das Ziel dieses Kapitels bestand darin, eine ausreichende hermeneutische Grundlage zu legen, die eine sachgemäße Interpretation sicherstellen kann. Deshalb sind sowohl eigene Annahmen als auch methodische Zugänge beschrieben worden. Zu den eigenen Prämissen zählen das Paradox der ‚Wurzeln und Flügel‘-Metapher, die Annahme der Einheitlichkeit des JohEv als Text, die Minimalaussage über die historische Entstehungssituation sowie die Annahme eines kultur-historischen Rahmens in Bezug auf die Sprach- und Denkwelt des Evangeliums. Auf der Meta-Ebene prägen diese Annahmen den Verlauf und den Gang der Studie. Auf der Ebene der eigentlichen Umsetzung sind die methodischen Zugänge maßgebend. Im Blick auf die Semantik von ἔργον und ἐργάζεσθαι finden die 125 Vgl. ZIMMERMANN 2009b:416. HAYS 2006:6 kritisiert die allein deskriptiven Zugänge einer neutestamentlichen Ethik und wirbt für eine Applikation: „However, when the correlation of New Testament and ethics arises as a practical existential issue for the church, it is impossible to defer normative questions indefinitely. We must decide how to order our communities in response to the Word“. Gegen einen biblizistischen Rekurs im Grundsätzlichen vgl. HORN 2011:Pkt. 3. 126 Zum vernachlässigten Ansatz der Kontextualisierung in der Exegese vgl. SCHMIDT 2000:326–334, der sich aber im Wesentlichen auf missionswissenschaftliche Veröffentlichungen bezieht.

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3. Kap.: Der eigene Ansatz

sprachwissenschaftlichen Prinzipien der Wortfeldforschung und die Methodik der computergestützen Korpuslinguistik Anwendung (II. Teil). In Bezug auf die Ethik und die moralische Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι wird mit Hilfe einer modifizierten Methodologie zur impliziten Ethik von R. Zimmermann der intepretative Weg beschritten (III. Teil).

II. Teil:

Ἔργον und ἐργάζεσθαι aus semantischer Perspektive

4. Kapitel:

Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles Was also ist das ergon eines Menschen? (…) Es ist aber ein spezifisches Leben, ein Leben, das den für den Menschen charakteristischen Logos-Besitz verwirklicht. (Peter Stemmer)1

Dieses Kapitel untersucht die sprachliche Verwendung des Begriffs ἔργον in der Nikomachischen Ethik. Gerade die Linguistik seit den 1970er Jahren hat betont, dass die „Sprache als Phänomen des Alltagslebens (…) in situationsund kontextgebundenen Äußerungen“2 vorkommt. Indem also hier die sprachliche Äußerung von ἔργον bei einem antiken Autor dargestellt wird, ist diese kontextuelle Einbettung von vornherein mitgedacht. Es ist deshalb nicht die Absicht, die Bedeutung von ἔργον bei Aristoteles zu erfassen und diese dann bewusst bzw. unbewusst in das Lesen anderer Texte hineinzutragen. Vielmehr werden hierbei zwei Absichten verbunden, die die eigentliche Zielsetzung meiner Arbeit betreffen. (1) Die Semantik eines Begriffes in einem konkreten Text wird stets durch den jeweiligen Kontext geprägt. Dieser sprachliche Zusammenhang kann aber unterschiedlich weit definiert werden. So kann sich der Interpret sowohl für eine Mikro- als auch für eine Makroperspektive bzw. einen intertextuellen Vergleich zwischen zwei oder mehreren Texten entscheiden.3 Indem das ἔργονArgument von Aristoteles als Vergleichstext zum Gebrauch im JohEv gesetzt wird, trägt ein solches Vorhaben zu einem besseren Verständnis der Semantik von ἔργον selbst bei. Es wird aber gleichzeitig bedacht, dass sprachliche Realität „immer nur eingebettet in Verständigungssituationen und Wissenskontexte“4 sein kann, intertextuelle Vergleiche stets ihre Grenzen haben und mit Bedacht vorzunehmen sind.

1

STEMMER 2005:75. BUSSE 2009:111. 3 Siehe 3. Kapitel, Pkt. 4.2. Unter ‚intertextuell‘ verstehe ich an dieser Stelle indirekte Bezüge und Anspielungen zwischen zwei oder mehreren Texten. Ihre Gemeinsamkeiten ergeben sich nicht primär aus einer literarischen Abhängigkeit, sondern sind vielmehr in einem kulturellen Gemeinsinn (kultur-historischer Rahmen) zu verorten. Vgl. ähnlich C. Bennema in seiner Untersuchung der Tugendethik im JohEv (vgl. 2013b:10). 4 B USSE 2009:112. 2

80

4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

(2) Ein anderes Ziel der Arbeit ist die Untersuchung der moralischen Signifikanz von ἔργον κτλ. im JohEv. Indem an dieser Stelle der Begriff ἔργον bei einem Gewährsmann der antiken Ethik dargestellt wird, können sich auch auf der Ebene der ethischen Reflexion Impulse für die Interpretation des JohEv selbst ergeben. Weil es sich bei der Nikomachischen Ethik explizit und unbestritten um einen antiken ethischen Text handelt, ist ein Vergleich mit dem vierten Evangelium, das in Bezug seine Ethik bisher umstritten war, reizvoll. Damit kann auch einen Brückenschlag zur Tugend- und Lebenskunstethik vollzogen werden, wie er von manchen Forscher bereits für beide Texte jeweils expliziert wurde.5 Gerade die Aristoteles-Renaissance seit den achtziger Jahren und die folgenden Debatten in der politischen Philosophie6 machen ein solches Unterfangen relevant. Aristoteles verwendet in der an seinen Sohn Nikomachos gewidmeten Ethik7 ἔργον als einen Fachausdruck. Damit hat er den Begriff systematisch ausgebaut.8 In diesem Kapitel stelle ich zunächst die Argumentationslinie dieses Arguments dar und untersuche die semantische Bedeutung von ἔργον bei Aristoteles. Zuletzt werden diese Erträge mit dem Phänomen im JohEv verglichen und zur Rezeption des Aristoteles in der Tugend- bzw. Lebenskunstethik in Beziehung gesetzt. Dabei begrenze ich diese Untersuchung allein auf die Nikomachische Ethik.9 Die Umsetzung erfolgt also in vier Schritten. (1) Zuerst wird der argumentative Verlauf des ἔργον-Arguments diskutiert. (2) Danach wird die Semantik von ἔργον bei Aristoteles dargestellt und ein Ertrag für meine eigene Fragestellung skizziert. (3) Danach folgt eine Diskussion möglicher intertextueller Vergleichspunkte zwischen Aristoteles und Johannes. (4) In der Zusammenfassung werden schließlich die wesentlichen Ergebnisse zusammengetragen und weitere Perspektiven für den weiteren Verlauf der Arbeit eröffnet.

5 Vgl. für die Nikomachische Ethik DENEULIN 2011:32f; RIESENKAMPFF 2005:5f u. a.; für das JohEv vgl. BENNEMA 2013b:9f; für das NT insgesamt vgl. MACINTYRE 2007:184. 6 Siehe bes. RIESENKAMPFF 2005:5.112f.144f; Vgl. auch R APP 2010:10f, der sechs plausible Gründe für die Popularität von Aristoteles nennt. 7 Vgl. MACINTYRE 2007:147. 8 Vgl. BERTRAM 1957:632. 9 Vgl. RIESENKAMPFF 2005:13, die aufgrund der literarischen Einheitlichkeit des Werkes das gleiche Vorgehen wählt. Für andere aristotelischen Belege als auch den Gebrauch bei Platon siehe ANGIER 2008:81–86; HORN 1998:217f; KORSGAARD 2008:129; MÜLLER 2003:522–524; STEMMER 2005:70; WEYER-MENKHOFF 2012a:122. Der Rezeption des ἔργον-Arguments in der Eudemischen Ethik fällt in der Forschung deutlich geringer aus, während die Beziehung der beiden ἔργον-Argumente zueinander in den beiden Büchern zur Ethik noch weniger erforscht wurde (MÜLLER 2003:513f).

1. Der Argumentationsgang des ἔργον-Arguments

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1. Der Argumentationsgang des ἔργον-Arguments 1. Der Argumentationsgang des ἔργον-Arguments

Die Plausibilität des ἔργον-Arguments ist in der Forschung zu Aristoteles nicht unumstritten: „Many scholars dislike this argument and consider it either fallacious or useless.“10 Zudem veranlasste die Fülle an Forschungsliteratur zu dieser am intensivsten erforschten Passage des gesamten Corpus Aristotelicum J. Annas 1993 zu dem Urteil, „das Argument sei mittlerweile ‚over-studied‘“11. Aufgrund dieser beiden Umstände ist hier nicht eine Auseinandersetzung mit dem Argument an sich noch ein umfassender Überblick über diverse Forschungsergebnisse beabsichtigt. Es interessiert allein die sich in groben Zügen abzeichnende Argumentationslinie und die daraus folgende semantische Bedeutung von ἔργον, die der Ethik des Aristoteles inhärent ist. Davor ist aber zu klären, welche Prämissen dem aristotelischen Argument vorausgehen. 1.1 Prämissen des ἔργον-Arguments Aristoteles beabsichtigt, mit Hilfe des Terminus ἔργον die εὐδαιμονία näher zu präzisieren. Dabei wird dieser Grundbegriff der aristotelischen Ethik von allen Menschen als das oberste Strebensziel angesehen. Aristoteles geht davon aus, dass alle lebendigen Wesen sich auf das Gute hin entwickeln möchten. Ihr gemeinsamer Nenner ist das Strebensziel nach ‚Glück‘ (εὐδαιμονία). Uneinigkeit besteht darin, „worin die eudaimonia besteht und welche Lebensform die beste ist“12. Hier setzt Aristoteles an und schreibt: …ποθεῖται δ᾽ἐναργέστερον τί ἐστιν ἔτι λεχθῆναι. τάχα δὴ γένοιτ᾽ ἂν τοῦτ᾽, εἰληφθείη τὸ ἔργον τοῦ ἀνθρώπου. …aber es steht noch aus, deutlicher zu bestimmen, was es ist. Dies dürfte gelingen, wenn man die charakteristische Hervorbringung (to ergon) des Menschen ins Auge faßt.13

10 JIRSA 2013:9f; vgl. ACHTENBERG 1989:37.46; BRÜLLMANN 2011a:135; 2011b:236; WOLF 2007:40. Für eine positive Würdigung des Arguments bzw. ‚richtige Einordnungʻ vgl. ANGIER 2008:60f; GOMEZ-LOBO 1989; JIRSA 2013; STEMMER 2005. Eine umfassende Darstellung und (positive) Würdigung bietet KORSGAARD 2008:130–132. 11 Bei MÜLLER 2003:513. 12 R APP 2002:69. 13 EN I, 6 1097b 22–25 (zitiert nach BYWATER 1962; Übersetzung von STEMMER 2005:65). Ähnlich sehen es ANGIER 2008:59; BRÜLLMANN 2011b:233; JIRSA 2013:10; KORSGAARD 2008:129; MÜLLER 2003:517; STEMMER 2005:69; WOLF 2007:38. Im Gegensatz zur Eudemischen Ethik (dort: ἔργον der Seele) ist hier explizit vom ἔργον τοῦ ἀνθρώπου die Rede (MÜLLER 2003:517), ohne das jedoch eine Sinnveränderung wahrnehmbar wird (:519f).

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4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

Er befasst sich also mit der Frage, was das „höchste und letzte Ziel“ (τὸ ἀγαθόν) des Menschen „als Mensch“ sei.14 Ein Gut (τὸ ἀγαθόν) hat, um es als höchstes Ziel bezeichnen zu können, formale Kritetieren zu erfüllen, die er in der εὐδαιμονία erfüllt sieht. Daher kann als das höchste Gut die εὐδαιμονία betrachtet werden.15 Die Erlangungen des Guten bzw. die Verwirklichung des Glücks verbindet Aristoteles sodann mit dem Begriff der Tugend.16 In seinen ethischen Schriften möchte Aristoteles ‚Glückʻ näher bestimmen. „Es gehört zu den Grundüberzeugungen der antiken Philosophie, dass sich auf diese Fragen [Was ist Glück? bzw. Wie soll man leben?] eine Antwort geben lässt“.17 Dass dies für die Antike nicht verallgemeinert werden kann, beobachtet T. Morgan, die in Sprichwörtern, Fabeln, Geschichten usw. die Popular morality in the early Roman Empire untersucht hat. In Bezug auf die εὐδαιμονία stellt sie im Vergleich zum populären Ethikverständnis fest: „In this discussion, one term has been conspicuous by its absense: eudaimȏn in Greek, felix in Latin, ‚happyʻ in the broad sense which incorporates goodness, blessednes, good fortune and success. This prime aim of an ethical life for many philosophers is rare in popular sayings and stories, and when it appears, it is virtually always with its narrow meaning of ‚fortunate‘. (…) In general, the aim of popular ethics is to be good, in certain well-defined senses; it is not to be happy.“18

Τὸ ἀγαθόν ist für Aristoteles dabei ein ‚Über-Begriff‘, der nicht nur das Gute in diesem speziellen Sinn umfasst, sondern auch andere Möglichkeiten des allgemein Guten einschließt. P. Stemmer macht auch noch auf ein anderes dahinterliegendes Axiom bei Aristoteles aufmerksam: „Wenn Aristoteles nach dem agathon für den Menschen fragt, fragt er also nach dem einen höchsten Ziel für alle Menschen.“19 Chr. Horn hat dies als „These vom umfassenden Ziel allen Handelns“ in handlungsteleologischen Ethiken bezeichnet. Es ist die Annahme, „daß jeder Akteur mit allen seinen Handlungen auf ein umfassendes letztes Ziel gerichtet ist“20. Es ist aber nicht in dem Sinne universell, dass jeder Mensch es auch zu erstreben sucht. Sondern das ἀγαθόν ist „das letzte Ziel, das jeder anstrebt, wenn er

14

STEMMER 2005:67. Aristoteles fragt danach um zu klären, was dann das Spezifische des menschlichen Lebens in Abgrenzung zu den anderen Lebewesen ist. „The argument devotes itself to analysis of the capacities of human beings, asking which are and are not shared with other living creatures; its conclusion is only that a distinctively human life involves the exercise of practibal reason“ (NUSSBAUM 1978:101f). 15 Vgl. RAPP 2002:71. Die drei Kriterien sind: Das Gut muss (1) autark, (2) nur um seiner selbst willen erstrebenswert und (3) nicht steigerungsfähig sein (:71f). 16 Vgl. HORN 2007:130; RAPP 2002:69; STEMMER 2005:67. 17 B RÜLLMANN 2011b:232. 18 MORGAN 2009:199f. 19 STEMMER 2005:68. Nach MACINTYRE 2007:150 setzt ein Verständnis der aristotelischen Tugendethik eine Unterscheidung zwischen dem partikular und dem universell Guten voraus. 20 H ORN 2007:129.

1. Der Argumentationsgang des ἔργον-Arguments

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sich über das, was das Gute ist, nicht täuscht“ bzw. sich täuschen lässt.21 Ein solcher Universalismus schließt den Irrtum des Einzelnen mit ein, wird damit nach Aristoteles aber nicht hinfällig. 1.2 Der Argumentationsgang Vom Allgemeinen schließt Aristoteles dann auf das Konkrete. Das Glück nämlich, das ein anderes Wort für „das Gute für den Menschen“ meint, ist „eine bestimmte Art des Lebens“22. Und die Präzisierung eines solchen Lebens versucht er mit dem ἔργον-Argument nachzuweisen. T. P. S. Angier fasst den Verlauf des Arguments in einem Fünf-Schritte-Ablauf zusammen: As I construe the function argument, it moves through five basic stages, which can be summarised as follows: (1) Craftsmen [technitai] and bodily organs have functions [erga], so it is reasonable to think that ‚manʻ (viz. any human) has a function (1097b25–33); (2) This function must be peculiar [idion] to man (1098a1); so (3) Man’s function cannot be selfnutrition or perception, which are common to other forms of life. Rather, it must be ‚activity of the soul in accordance with, or not without, rational principleʻ (1097b34–8a8); (4) Being a good or virtuous man consists in performing this function well (1097b26–7, 1098a8–12); (5) If a man is virtuous, he will ipso facto attain the human good [to anthrōpinon agathon] (1098a16–17).23

Man kann dies auch noch präziser mit folgendem Ablauf nachzeichnen: - Prämisse I: Die Präzisierung des Glücks – was unbestritten das höchste erstrebenswerte Gut ist – wird in der Beobachtung und Untersuchung des ἔργον des Menschen deutlich. - Prämisse II: Weil allgemein das Gute (τὸ ἀγαθόν) und das Auf-gute-Weise (τὸ εὖ) der Fachleute in ihrem spezifischen ἔργον liegen, ist dies beim Menschen auch anzunehmen.24 Frage: Was aber ist nun τὸ ἔργον τοῦ ἀνθρώπου? Es muss also etwas dem Menschen Eigentümliches sein (τὸ ἴδιον). Denn „das ergon eines x ist die für ein x charakteristische Hervorbringung“.25

21

STEMMER 2005:68. Das könnte man als „These von der Erfolgsbindung des Handelns“ umschreiben: „Jede Handlung müsse sich auf ein Gut richten oder zumindest auf etwas (subjektiv) für gut Gehaltenes“ (HORN 2007:129). 22 STEMMER 2005:69. 23 A NGIER 2008:60. Siehe auch G OMEZ-LOBO 1989:172–174; RAPP 2002:72f. 24 Aristoteles bekräftigt dies mit einer Reihe rhetorischer Fragen, die er aus der Beobachtung spezieller Fachleute bzw. Körperteile ableitet (siehe EN I, 6 1097b 28ff; vgl. WOLF 2007:40). Ähnlich hat schon Platon argumentiert (vgl. RAPP 2002:71). 25 STEMMER 2005:70. Oder präziser ausgedrückt: „For any x, if x has an ergon y, then x will be a good x if and only if x produces good instances of y“ (GOMEZ-LOBO 1989:173; vgl. BRÜLLMANN 2011b:233).

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4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

- Ausschluss I: Das Sich-Ernähren und Wachsen – wie bei den Pflanzen – ist es nicht.26 - Ausschluss II: „Ein Leben der Wahrnehmung“ (P. Stemmer) bzw. „die rein sinnliche Wahrnehmung“ (J. Müller) ist es – da gemeinsam mit anderen Tieren praktizierend – auch nicht.27 Fazit: „Übrig bleibt somit unter Zugrundelegung der hier vorausgesetzten Tripartition der Seele ein praktisches Leben (πρακτικὴ ζωή) des vernunftbegabten Seelenteils.“28 - Zwischenresultat: „Das ἔργον des Menschen soll (…) eine vernünftige bzw. der Vernunft nicht entbehrende Aktualität bzw. Aktivität (ἐνέργεια) der Seele sein (1098a 7–8).“29 Das dem Menschen eigentümliche ἔργον ist also „ein spezifisches Leben, ein Leben, das den für den Menschen charakteristischen Logos-Besitz verwirklicht“30. Es ist hier genau genommen nicht an die Vernunfttätigkeit gedacht, sondern „die Aktivierung (energeia) dieser Fähigkeit, d.h. die Aktivität des vernünftigen und des auf die Vernunft hörenden Teils der Seele“31. Frage: Welcher Art ist nun τὸ ἔργον τοῦ ἀνθρώπου? Prämisse III: Es gibt gute und weniger gute Kitharaspieler, die sich nicht in ihrem ἔργον, als vielmehr in der Art der Ausführung unterscheiden.32 Mit dieser Annahme steigert Aristoteles sein Verständnis über das gesuchte ἔργον des Menschen. Hat er bisher festgestellt, dass nicht allein die Vernunftfähigkeit, sondern erst die Aktivität der Vernunft entscheidend ist, folgert er nun: Es reicht nicht allein irgendeine Art von Aktivität der Vernunft, sondern anzustreben ist Aktivität in ihrer größtmöglichen Vortrefflichkeit (ἀρετή).

26

EN I, 6 1098a 1. EN I, 6 1098a 2. 28 MÜLLER 2003:518. Dieser Teil ist wiederum zweigeteilt: Der eine Teil gehorcht lediglich der Vernunft, der andere hat und denkt sie (:518). „Diese Unterscheidung liegt der Einteilung der Tugenden in ‚ethischeʻ und ‚dianoetischeʻ zu Grunde: EN I 13; EE II 1, 1219b26– 1220a12“ (BRÜLLMANN 2011b:234; vgl. HORN 1998:138; RAPP 2002:72f). Zur Tripartition der Seele und den aristotelischen Belegen in De anima siehe MÜLLER 2003:519. 29 MÜLLER 2003:518. 30 STEMMER 2005:75; vgl. RAPP 2002:71f. 31 R APP 2002:72. 32 Vgl. auch ACHTENBERG 1989:40; WOLF 2007:39.42. 27

2. Die Semantik des ἔργον-Argument

85

Resultat: „Folglich hat ein Mensch aretē, wenn er so beschaffen ist, dass er das menschliche ergon gut realisieren kann, wenn er also seine Logos-Begabung nicht nur irgendwie, sondern in besonderer Weise zu verwirklichen vermag.“33 Abschlussbemerkung: Ein punktuelles oder zeitweises Tätig-Sein hilft aber nicht weiter, „… man müsse, um das Glück zu erlangen, seinen Logos-Besitz über ein ganzes Leben gemäß der aretē verwirklichen“.34 Indem ein Mensch seinen eigentümlichen λόγος-Besitz auf die bestmögliche Art und Weise verwirklicht, was man als das ἔργον τοῦ ἀνθρώπου bezeichnen kann, erreicht er das höchste Gut der εὐδαιμονία. Anders gesagt: Er wird glücklich. Dabei ist nicht ein punktueller ‚Nutzenʻ der λόγος-Begabung im Sinn, als vielmehr ein stetiger Prozess. Dieses ἔργον des Menschen ist wie ein Grundton in einer Melodie. Er begleitet das Lied von Anfang bis zum Ende. Indem ein Mensch sich den Tugenden zuwendet und diese eingewöhnt, entsteht erst ein tugendhafter Charakterzug. „Und nur wenn man daran gewöhnt ist und tugendhafte Handlungen gerne tut, kann die Tugend als konstitutiver Teil des eigenen Glücks verstanden werden.“35

2. Die Semantik des ἔργον-Arguments 2. Die Semantik des ἔργον-Argument

Die semantische Bedeutung von ἔργον in der Nikomachischen Ethik ist umstritten, was sich z. B. an den Angeboten zur Übersetzung zeigt. Deshalb stelle ich zunächst die verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten vor, die von verschiedenen Forschern ins Feld geführt wurden. Danach sollen die kontextuellen Hinweise im Text erörtert und die Bedeutung des Begriffs präzisieren. 2.1 Zur Übersetzung von ἔργον in der Nikomachischen Ethik Die Bedeutsamkeit der Semantik von ἔργον zeigt sich in der Diskussion um die Übersetzung. Dabei gibt Aristoteles selbst einen Hinweis, wie er diesen terminus technicus versteht: In der parallelen Argumentation in der EE weist Aristoteles ausdrücklich darauf hin, dass wir in zwei Bedeutungen vom ergon reden, erstens so, dass es ein Produkt des Tuns gibt, zweitens aber auch so, dass die Ausübung der Tätigkeit selbst das ergon sein kann (1219a13ff).36

33

STEMMER 2005:77. Vgl. ACHTENBERG 1989:40.43f; BRÜLLMANN 2011b:234; GOMEZ-LOBO 1989:174; MÜLLER 2003:518; WOLF 2007:43. Aristoteles: ἕκαστον εὖ κατὰ τὴν οἰκείαν ἀρετὴν ἀποτελεῖται (EN I, 6. 1098a 15, zitiert nach STEMMER 2005:78). 34 STEMMER 2005:78; vgl. WOLF 2007:42. 35 R APP 2002:74. 36 W OLF 2007:40; vgl. A DKINS 1984:43; K ORSGAARD 2008:134f; S TEMMER 2005:71.

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4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

Bei der Frage nach dem ἔργον des Menschen geht es Aristoteles also nicht nur um einen erreichten Zustand im Sinne eines Produkts. Vielmehr wird in der Semantik dieses Begriffs für ein Tätigsein der vernunftbegabten Seele im Sinne einer konstitutiven Haltung argumentiert. „Das ergon braucht also nicht ein Produkt zu sein, sondern kann auch in der Haltung selbst bestehen (1097b26).“37 2.1.1 Diskussion verschiedener Übersetzungsvarianten Die Bedeutung im Sinne einer Tätigkeit überwiegt offensichtlich im ἔργονArgument der Nikomachischen Ethik. Nichtsdestotrotz ist die Übersetzung strittig.38 Tabelle 4: Übersetzungsangebote von ἔργον in der Nikomachischen Ethik39 Autor (Jahr der Veröffentlichung)

Übersetzung

Gigon (1967); Clark (1971, 1975); Dirlmeier (1983); Horn (1998) Kenny (1977); Rolfes (1985); GomezLobo (1989); Angier (2008) Tricor (1967); Thompson (1976); Ross/Urmson (1984); Irwin (1985); Rowe (2002); Wolf (2007); Angier (2008); Korsgaard (2008); Jirsa (2009) Gábor Betegh (?); Horn (1998) Nagel (1972)

„eigentümliche Leistung“

Achtenberg (1989) Stemmer (2005)

„eigentümliche Tätigkeit“ bzw. „characteristic activity“ „Funktion“ bzw. „function“

„product“ „that which we do which makes us what we are“ „defining capacity or activity“ „charakteristische Hervorbringung“

Die Tabelle zeigt, dass die Übersetzung mit „Funktion“ am häufigsten verwendet wird. Allerdings ist diese Interpretation40 von A. W. H. Adkins kritisiert

37 WOLF 2007:38. Gelegentlich kann der Tugend doch ein Produkt (ἔργον) zugeschrieben werden (vgl. hierzu H ORN 1998:139). 38 Diese Arbeiten setzen sich explizit mit der Übersetzung von ἔργον auseinander (JIRSA 2013:10; STEMMER 2005:71–73; WOLF 2007:38). 39 Vgl. die Diskussion bei ACHTENBERG 1989:37; JIRSA 2013:10f; STEMMER 2005:71– 73 und die Übersicht bei WOLF 2007:260 sowie RIESENKAMPFF 2005:176. Bei WOLF 2007:38 selbst ist es die „…eigentümliche Leistung, eigentümliche Tätigkeit, Aufgabe, Funktion“. Auch wenn T. P. S. Angier sich kritisch zur Übersetzung mit „function“ äußert (vgl. 2008:60), verwendet er diesen Terminus laufend in seinen Ausführungen (vgl. :61–72). 40 Jede Übersetzung ist zugleich immer Interpretation. Zur Kritik vgl. bes. STEMMER 2005:71–73.

2. Die Semantik des ἔργον-Argument

87

und überzeugend zurückgewiesen worden. Er betont, dass der zeitgeschichtliche Hintergrund des Aristoteles beim Interpretieren seiner Werke unbedingt zu berücksichtigen ist und dass die Semantik des ἔργον-Arguments nicht allein aus den „technical, scientific connotations“, wie sie in den Werken De Anima und Metaphysik vorkommen, begründet werden kann: „…the argument may not be derived from these sources alone; its plausibility for a member of Aristotle’s audience may be derived from elsewhere.“41 A. W. H. Adkins begründet dies damit, dass der Begriff ἔργον in der Ethik, Politik und Rhetorik doppelt so häufig wie in der Metaphysik und in den wichtigsten Werken der Biologie gebraucht wird.42 Und auch in biologischen Zusammenhängen führt die konsequente Übersetzung mit ‚Funktionʻ zu Schwierigkeiten. Daher wird die Übersetzung mit „task, work“ als sachgemäße Lösung vorgeschlagen.43 Als Fazit stellt A. W. H. Adkins fest: It is evident (…) that the sense of ‚task, workʻ is frequently appropriate; and that in the contexts in which the translators render ergon as ‚function‘, that sense is felt as being derived from the sense that the word has in ordinary Greek.44

Deshalb sind die Bedenken, die Kommentatoren gegenüber dem ἔργον-Argument entgegengebracht haben, zwar philosophisch begründet, jedoch wird übersehen, dass Aristoteles „needs for his argument not merely ergon as it appears in metaphysics and biology but ergon as it appears in politics and ordinary life, and chooses examples that will keep the full range of ergon before the mind“45. Durch die Verwendung dieses mehrdeutigen Begriffs ἔργον nutzt Aristoteles einen Terminus, „whose usage ranges from technical biological contexts to completely unphilosophical ones“46. Damit wird die enorme semantische Bandbreite und die Vielfalt der Anknüpfungsmöglichkeiten deutlich. Die sprachwissenschaftliche Argumentation von A. W. H. Adkins legt also nahe, die Ethik von Aristoteles in der Nähe einer praktischen Philosophie zu suchen. Aristoteles geht es ingesamt – entgegen dem Verständnis von Ethik in der Moderne – um eine Lebenskunstethik.47 Chr. Horn stellt allgemein fest:

41

ADKINS 1984:30.34. Vgl. ADKINS 1984:34. 43 Siehe Beispiele bei ADKINS 1984:34. Als Fazit stellt er fest: „At all events, a Greek who knew no Aristotelian philosophy at all could assign a meaning to Aristotle‘s words here [in biologischen Sachverhalten]; and this suffices for my argument“ (:35). Und P. Stemmer postuliert, die Übersetzung mit ‚Funktionʻ „passt allenfalls in den Fällen, in denen das ergon eine Tätigkeit ist“ (2005:71f). 44 A DKINS 1984:36. 45 A DKINS 1984:37. Der Frage, worauf sich das ἔργον-Argument traditionsgeschichtlich gründet, widmet sich auch T. P. Angier, der Analogien zu den technai sehen will (vgl. 2008:86), sich aber mit den Thesen von A. W. H. Adkins nicht auseinandersetzt. 46 A DKINS 1984:37. 47 Zum Begriff antiker Philosophie und Lebenskunst vgl. HORN 1998:12–17. 42

88

4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

„Der Inhalt der antiken Ethik scheint an der lebenspraktischen Anwendung orientiert zu sein. Wir lesen etwa nichts über Ethikbegründungen, Güterabwägungen oder moralische Dilemmata.“48 Nach der Untersuchung der Interrelation der zentralen Begriffe wie ἔργον, ἀρετή und εὐδαιμονία bei anderen Autoren (u. a. Homer und Platon), kommt A. W. H. Adkins dann zu folgenden Schlussfolgerungen: (1) Die Bedeutung von ἔργον – wie Aristoteles es verwendet – wird nicht durch eine metaphysische Biologie bestimmt, sondern „ergon is defined by the society“49. (2) Nimmt man den kulturellen Hintergrund des Aristoteles ernst, so ist das ἔργον τοῦ ἀνθρώπου auf eine begrenzte Gruppe von Menschen zu beziehen: „The ergon of a human being (anthropos) has become the ergon of some men (aner): there is no ergon that human beings as such can all perform, and that is constitutive of human eudaimonia attainable by all.“50 Eine solche kulturelle Einschränkung erlaubt es ihm im Folgenden sein ἔργον-Argument in Beziehung zur ἀρετή zu setzen. Ein solcher Gedankengang und diese personale Einschränkung war gängige philosophische Praxis seit Homer.51 Was die Semantik von ἔργον bei Aristoteles angeht, ist mit A. W. H. Adkins festzuhalten: Ergon in Aristotle, then, has a wide range of usage; but its uses in ordinary language have a significant effect on its usage in technical contexts. (…) Ergon is one of the terms and concepts that bind together Aristotle’s ethical and political thought, and link both with the values and attitudes of the culture. (…) The arete of the good citizen is, for Aristotle, merely relative to the role or task he performs in his particular polis. If arete is based on this conception of ergon, it must be relative to a constitution.52

Damit wird der Begriff ἔργον mit seinem semantischen Bezug zur Alltagssprache eine Art Umschreibung für den Modus Vivendi des Menschen in der πόλις. Auch darin zeigt sich die Neigung antiker Philosophie hin zu einer Lebenskunst bzw. Lebenstechnik, die aber bei Aristoteles deutlich mißverständlicher ausfällt.53 Zu dieser Zielsetzung sind die Ausführungen von J. Sellars über die in Handlungen offenbarte Philosophie kompatibel.54 Demnach geht es um Philosophie, die als die Kunst verstanden wird und die die Herstellung einer idealen 48

HORN 1998:13. ADKINS 1984:41f. Das Verständnis von ἔργον „is derived not from metaphysical biology but from Greek political practice from Homer onwards. It is also evident that Aristotle can be confident that his definition of the ergon, thus defined, will not be challenged“ (:44). 50 A DKINS 1984:45. Vgl. dazu EN I, 6 1097b 24 und 1098a 14. 51 Vgl. ADKINS 1984:45f. 52 A DKINS 1984:46.47.47f. Über den alltäglichen Gebrauch von ἔργον siehe ENSOR 1996:86f. 53 Vgl. HORN 1998:15–29. 54 Vgl. für das Folgende SELLARS 2007:114. 49

2. Die Semantik des ἔργον-Argument

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Disposition der Seele anstrebt. Gegenstand dieser Kunst ist die Seele (ψυχή), ihr Ziel (τέλος) die Veränderung der Seele oder auch die Sorge um die Seele. Das Werk (ἔργον) – hier aus seiner Semantik als ‚Produkt von etwasʻ verstanden – ist dann eine veränderte seelische Dispotion. „Diese veränderte Disposition wirkt qua interner Ursache notwendig auf das Verhalten des Individuums ein und drückt sich in Handlungen aus.“55 Alternativ wäre es auch denkbar, den Gegenstand dieser Kunst mit Leben (βίος) und die Veränderung des Lebens als Ziel (τέλος) aufzufassen. „Das érgon dieser Kunst wären dann die das Leben konstituierenden Handlungen (érga), wodurch ihr Status als performative Kunst hervorgehoben würde, deren Werk oder Produkt in der Ausübung selbst besteht.“56 Dieser zweite Aspekt scheint sich in diesem Zusammenhang bei Aristoteles anzudeuten. Die Handlungen des Menschen – sein ἔργον ausgedrückt in vielen einzelnen ἔργα – konstituieren ein Leben der ἀρετή, was als universelles erstrebenswertes Gut gesehen wird.57 2.1.2 Übersetzungsvorschlag von P. Stemmer und seine Konsequenz Gegen die beliebte Übersetzungsvariante in der Forschung, die mit ‚Funktion‘ bzw. ‚function‘ umschrieben wird, steht nach P. Stemmer die Tatsache, dass ein solches Übersetzungsangebot das Verständnis von ἔργον bei Aristoteles – nämlich ἔργον könne die Tätigkeit und das Produkt von etwas sein – nicht vollumfassend wiedergeben kann. So sind Schuhe zwar das Produkt, können aber – semantisch gesehen – nicht die „Funktion der Schuhmacherei“58 sein. Daher plädiert P. Stemmer für die Übersetzung des Begriffs ἔργον mit „charakteristische Hervorbringung“ in der Nikomachischen Ethik.59 Aus den angeführten Gründen empfiehlt es sich, wie ich meine, to ergon in der Passage des Ergon-Argumentes wie auch sonst wörtlich mit ‚charakteristische Hervorbringungʻ oder 55

SELLARS 2007:114. SELLARS 2007:114. 57 Inwieweit Aristoteles über diese ‚praktischeʻ Lebenskunst hinaus eine ‚theoretischeʻ Lebensführung als das höchste intrinsisch wählenswerte Gut ansieht, bleibt strittig (vgl. HORN 1998:28). M. E. klar ist, dass er für Menschen allgemein eine ‚praktischeʻ Lebenskunst beschreibt. Zur Unterscheidung der besten und zweitbesten Lebensform und zur Einschränkung der Erreichbarkeit einer besten Lebensform siehe RAPP 2002:72. 58 Zur Kritik vgl. STEMMER 2005:71. Ähnlich differenzierend argumentiert C. M. Korsgaard, auch wenn sie bei der Übersetzung mit „function“ bleibt und nicht so weit wie P. Stemmer geht (vgl. 2008:137f). Es ist zum einen „function with a purpuse“, was z. B. in der Aussage ‚das Sehen ist Funktion des Auges‘ wahrnehmbar wird. Und zum anderen: „Function can refer to the way a thing functions or how it works, to it function-ing“. 59 Kritisch sieht P. Stemmer auch die Übersetzung mit „Aufgabe“, da sich auch dieser Begriff zu „voraussetzungsreich“ ergibt: „Ist es die Aufgabe einer Seele, Leben zu machen?“ Besser ist da schon die Übersetzung mit „Werk“, wobei auch hier die Assoziation „mit einem Produkt als mit einer Tätigkeit“ dominiert (vgl. STEMMER 2005:72). 56

90

4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

einer ähnlichen Formulierung zu übersetzen, so wie es der Zusammenhang mit den Verben ergazesthai und apergazesthai ohnehin nahelegt.60

Folgt man der Argumentation von P. Stemmer, dann wird deutlich, wie weitreichend die Übersetzung eines Begriffs für das Verstehen des Aristoteles bzw. irgendeines Autors ist. Damit deutet P. Stemmer auf einer Meta-Ebene etwas an, was auch für das JohEv im Blick auf die Verwendung von ἔργον unbedingt zu berücksichtigen ist. Zum einen ist bei der Übersetzung der Kontext eines Abschnitts maßgebend. Dabei präzisieren syntaktische Verbindungen die Übersetzungsrichtung. Zum anderen – und das ist für das JohEv mit der postulierten Komplexität der Sprache ebenfalls wichtig – kann in einem Werk ein Terminus je nach Kontext unterschiedlich verstanden bzw. übersetzt werden. Gerade im Bezug auf ἔργον mit seiner vielschichtigen Semantik ist dieser Tatbestand für eine sachgemäße Interpretation maßgebend. 2.2 Sprachliche Phänomene im ‚Text des Aristoteles‘ Es geht hier nicht vorrangig um eine inhaltliche Auseinandersetzung der aristotelischen Argumentation, sondern vielmehr um die Frage, wie Aristoteles ἔργον in seinem Text verwendet und diesen ethischen Begriff semantisch füllt. Deshalb sollen an dieser Stelle die sprachlichen Phänomene rund ἔργον dargestellt werden. Aristoteles verwendet ἔργον in der betreffenden Passage61 in der Regel im Singular. Eine solche „heraushebende, singularisierende Funktion“ nutzt er auch für andere Begriffe im selben Kontext, z. B. τὸ ἄριστον, τὸ ἀγαθόν, τὸ εὖ usw.62 Dadurch werden diese Begriffe zu zentralen Themen des Abschnitts. Die singuläre Form verstärkt auch den Eindruck, dass es Aristoteles um grundlegende Fragen an das Gute und an den Menschen geht. Syntaktisch wird dies insbesondere durch den bestimmten Artikel umgesetzt. Der Singular verdeutlicht aber auch, dass Aristoteles diese Termini als Konzept-Begriffe versteht, etwa so, wie wenn Aussagen über das Abstraktum „die Zeit“ getroffen werden.63 Mit Hilfe des Genitivs τοῦ ἀνθρώπου erfolgt eine Näherbestimmung, konkret das dem Menschen ‚zu-gehörende‘ Tätigsein. Es geht Aristoteles um das Wesenhafte des Menschen in Abgrenzung zu den anderen Lebewesen, so wie es P. Stemmer festellt: „Aristoteles verbindet den Begriff des ergon mit dem des Wesens.“64 Interessant ist die Beobachtung, dass der Begriff selbst „aus

60

STEMMER 2005:73. EN I, 6 1097b 22 – 1098a 20. 62 Vgl. STEMMER 2005:67.70. 63 Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung von ‚Konzept‘ siehe K ÖSTENBERGER 1998:22f. 64 STEMMER 2005:71. 61

2. Die Semantik des ἔργον-Argument

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dem Bereich der Kultur, nicht der organischen Natur“ stammt. Aristoteles wendet jedoch „den Begriff des Organischen (ἔργον!) auf die gesamte Natur an“65. Damit ist in der Bedeutung von ἔργον impliziert, was im Zusammenhang noch explizit ausgedrückt wird: Ἔργον ist ein ganzes Leben lang auszuüben und betrifft den ‚Kern des Menschen‘, nämlich sein Wesen bzw. seine Identität. Es ist weiterhin bedeutsam, dass Aristoteles an zwei Stellen seinem terminus technicus das griechische Wort für ‚Handlungenʻ beiordnen kann. Und auch nur hier kommt einmal der Plural vor: ὥσπερ γὰρ αὐλητῇ καὶ ἀγαλματοποιῷ καὶ παντὶ τεχνίτῃ, καὶ ὅλως ὧν ἔστιν ἔργον τι καὶ πρᾶξις, (…). πότερον οὖν τέκτονος μὲν καὶ σκυτέως ἔστιν ἔργα τινὰ καὶ πράξεις, ἀνθρώπου δ᾽οὐδέν ἐστιν, ἀλλ᾽ ἀργὸν πέφυκεν; Denn wie bei einem Flötenspieler, einem Bildhauer und jedem Fachmann und überhaupt bei allen, die eine charakteristische Hervorbringung und Handlung haben (…). Gibt es also charakteristische Hervorbringungen und Handlungen des Schreiners und des Schusters, aber nicht des Menschen? Ist er vielmehr von Natur aus untätig?66

Aus der Analyse des Textes wird klar, dass Aristoteles dies nur dann tut, wenn es um Analogien aus der Arbeits- und Berufswelt geht. Sobald er sich auf Körperteile des Menschen und den Menschen an sich bezieht, wird dann nur noch ἔργον im Singular verwendet. Die Beiordnung der πράξεις unterstreicht, dass es Aristoteles hier vermehrt um die Tätigkeiten als das Produkt des jeweiligen Berufsstandes geht. Der Plural impliziert aber auch an, dass er hier die Summe der Tätigkeiten und nicht die singulär-konzeptionelle Bedeutung im Blick hat. Auffallend ist zudem, dass ἔργον bei Aristoteles nicht durch wertende Adjektive begleitet ist. Zwar kann er im Verlauf des Arguments zwischen der Art und Weise der Ausführung des ἔργον differenzieren: „… τὸ δ᾽ αὐτό φαμεν ἔργον εἶναι τῷ γένει τοῦδε καὶ τοῦδε σπουδαίου.“67 Aber seinem Verständnis nach erfolgt dadurch keine (moralische) Wertung des ἔργον an sich, sondern es ist eine Unterscheidung eines Menschen von einem als gut lebenden Menschen. Die Art und Weise, wie ein Mensch seine charakteristische Hervorbringung leistet, wird bewertet, aber nicht τὸ ἔργον selbst. „In der Wendung ‚ein guter Flötenspielerʻ ist ‚gutʻ ein Adjektiv, das attributiv und graduierend gebraucht wird, das Dinge oder Personen mit Bezug darauf bewertet, ob sie ihr ergon gut ausführen.“68 Andererseits lässt sich aus der charakteristischen Hervorbringung des Menschen die Lebensweise bzw. sein Charakter bewerten.

65

BERTRAM 1957:632. EN I, 6 1097b 25f (zitiert nach BYWATER 1962; Übersetzung von STEMMER 2005:65). 67 EN I, 6 1099a 8f. 68 W OLF 2007:39. 66

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4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

Hier ist Aristoteles nach R. Heiligenthal ein energischer Verfechter der sogenannten Erfahrungsregel,69 wonach die Tugend erst durch entsprechende Handlungen konstituiert werden kann. „Indem Aristoteles in dieser Weise die ethische Tugend fast ausschließlich von den Handlungen her bestimmt, leugnet er das Vorhandensein von Tugenden, die sich nicht in Werken manifestieren.“70 A. Dihle fasst dieses Verständnis von Aristoteles folgendermaßen zusammen: Nach Aristoteles’ Meinung handelt man nicht habituell tapfer, nachdem man die Tapferkeit als sittlich zu bewertende Eigenschaft erworben hat. Vielmehr entsteht diese Verhaltensweise auf der Basis entsprechender Veranlagung durch einen Übungseffekt, in und durch eine Sequenz tapferer Einzelhandlungen, deren jede in dem Sinn vorsätzlich ist, als sie durch ein Verstandesurteil in der jeweiligen Situation gelenkt wird. Wegen dieser Vorsätzlichkeit unterliegt sowohl jede einzelne solcher Handlungen als auch die dabei entstehende Neigung, immer tapfer zu handeln, einem sittlichen Werturteil, dem sich z. B. der Mut als natürliche Veranlagung entzieht.71

Damit bekommt die einzelne und beständig ausgeübte Tat eine enorme Bedeutung bei Aristoteles. Denn sie vermag es, die erstrebenswerten Tugenden überhaupt hervorzubringen. Dem entspricht die im Wesentlichen singuläre Verwendung von ἔργον. Im Blick auf die Semantik fällt schließlich auf, dass Aristoteles das natürliche Tätig-Sein der Seele nicht durch negative Begriffe wertet. Es geht um eine aus der normalen Lebensweise gesteigerte gute bzw. die bestmögliche Lebensweise. Durch die Maxime des Guten (τὸ εὖ) wird ein positiver Anspruch erhoben. Das ἔργον des Menschen verwirklicht ein Leben im besten Sinne.

3. Aristoteles und Johannes – ein intertextueller Brückenschlag 3. Aristoteles und Johannes – ein intertextueller Brückenschlag

Der Rückbezug auf die antike Ethik – im Speziellen auf die Ethik des Aristoteles – ist wieder modern in der Forschung. Dabei ist das, was in diesem Zusammenhang häufig mit Tugendethik umschrieben wird, eine Forschungsrichtung, die vor ungefähr 50 Jahren von E. Anscombe angestoßen wurde.72

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„Das Erkenntnisprinzip, daß die menschlichen Handlungen Zeichen sowohl der Gesamtwirksamkeit (ἐνέργεια) als auch der inneren Eigenschaften des Menschen sind, gehört zu bestimmenden Grundlinien ethischen Denkens im paganen Griechentum und beeinflußte in nicht unerheblichem Maß auch die Bewertung der menschlichen Taten im Neuen Testament“ (HEILIGENTHAL 1983:1). 70 H EILIGENTHAL 1983:3. 71 D IHLE 1991:225. 72 Vgl. RAPP 2010:21, der auf ihren Aufsatz Modern Moral Philosophy rekurriert. Einen lesenswerten Überblick über die Rezeption des Aristoteles und die Entwicklung einer politischen Philosophie, in der die Tugendethik eine Rolle spielt, leistet RIESENKAMPFF 2005:112–120.

3. Aristoteles und Johannes – ein intertextueller Brückenschlag

93

Dass die Tugendethik mit dem ἔργον-Argument inhaltlich zusammenhängt, ist in der Darstellung der Semantik des ἔργον-Arguments deutlich geworden. Sowohl Platon als auch Aristoteles haben gemäß C. M. Korsgaard eine konzeptionelle Verbindung zwischen ἔργον und ἀρετή vorausgesetzt. „A virtue is not merely an admirable or socially useful quality: it is quite specifically a quality that makes you good at performing your function.“73 C. M. Korsgaard präzisiert ihre Einsicht, indem sie moralisches und rationales Handeln als ein untrennbares Ganzes in der Argumentation des Aristoteles sieht. An important part of Aristotle’s task in the Nicomachean Ethics is therefore to show that the characteristics that we commonly think of as the moral virtues really are virtues in this technical sense – qualities that make us good at rational activity. So Aristotle needs the conclusion of the function argument not only to support his views about what sort of life is best, but also in order to give us a theoretical basis for the claim that certain qualities are virtues. The key to Aristotle’s theory of the virtues rests in the connection Aristotle establishes between moral virtue and practical rationality, in the claim that phronesis or practical wisdom cannot be achieved without moral virtue. To understand why that is so is to understand what moral virtue really is and why it matters.74

Damit legt Aristoteles einen Gedankengang vor, der das höchste Strebensziel nicht an einen mentalen bzw. emotionalen Zustand knüpft, so wie es Platon getan hat: „For Plato, knowledge is virtue.“75 Aristoteles denkt hier anders. Es geht ihm um die tatsächliche Verwirklichung der ἀρετή, indem die Logos-Begabung des Menschen im bestmöglichen Sinne sein Handeln prägt und sich in einübenden Handlungen erweist. Und folgt man der These von C. M. Korsgaard, dann ist nicht die Unterscheidung zwischen ethischen und dianoetischen Tugenden zugunsten den Letzteren die aristotelische Pointe in seiner Ethik, sondern vielmehr die Verknüpfung zwischen ethischem Handeln und praktiziertem Denken. Es ist die Einsicht, dass ohne tugendhaftem Handeln, das sich in ethischen Tugenden ausdrückt, die bestmögliche ἀρετή nicht erreicht werden kann.76 Auch wenn keineswegs eine literarische Abhängigkeit zwischen der Nikomachischen Ethik und dem JohEv angenommen wird, ist unter der Annahme eines allgemeinen kultur-historischen Rahmens zu fragen, welche gemeinsamen Perspektiven im ἔργον-Argument des Aristoteles im Vergleich zum JohEv zutage treten. Lassen sich ähnliche Prämissen zwischen Aristoteles und Johannes beobachten? Welche Perspektiven ergeben sich im Vergleich des ἔργον-

73

KORSGAARD 2008:133. KORSGAARD 2008:134f. Vgl. BENNEMA 2013b:11. Ähnliches ist für das JohEv anzunehmen, insofern dass Glauben nicht Erkenntnis sondern Handeln impliziert. 75 B ENNEMA 2013b:9; vgl. H ORN 1998:139. 76 Anders wie Sokrates vollzieht er die Trennung zwischen ethischen und dianoetischen Tugenden zwar, betont aber, dass es nicht allein um das Wissen guter Tugenden geht, sondern erst das Handeln zur εὐδαιμονία führt (vgl. HORN 1998:134f.138f). 74

94

4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

Arguments des Aristoteles und dem ἔργον im JohEv? Skizzenhaft werden nun einige intertextuelle Anhaltspunkte nachgezeichnet. 3.1 Die universalistische Prämisse und ihr Anspruch In der Nikomachischen Ethik erhebt Aristoteles den Anspruch, dass Menschen, Pflanzen und Tiere ein Strebensziel (τὸ τέλος), nämlich die εὐδαιμονία, zu erlangen suchen. Dieser universale Anspruch wird von vornherein postuliert, nicht diskutiert. „Aristotle thus sets himself the task of giving an account of the good which is at once local and particular – located in and partially defined by the characteristics of the polis – and yet also cosmic and universal.“77 Damit wird eine Unterscheidung zwischen dem selbst gewählten Gut eines Individuums zu einer bestimmten Zeit und dem höchsten Gut für das Individuum als Mensch impliziert. Aristoteles interessiert Letzteres. Er fragt danach, „what is really good for him [das Individuum] as a man“78. In diesem Sinne hatte bereits M. C. Nussbaum festgestellt: Aristotle commends to his reflective audience a life that (1) involves the exercise of all our human capacities, and is thus a truly human life (…), and that (2) is governed and planned in such a way as to give both shared and non-shared capacities their appropriate role – and this means governed and planned by practical reason.79

Bereits in diesen Formulierungen von 1978 deutet sich an, was M. C. Nussbaum in späteren Veröffentlichungen als Fähigkeitenansatz (capabilities approach) beschrieben hat. Vom aristotelischen Denken geprägt – die Ethik ist die Propädeutik der Politik und Glück ist ein Strebensziel aller Menschen in der Verwirklichung ihres ἔργον80 – erklärt sie ihren Ansatz folgendermaßen: Die intuitive Idee hinter dem Ansatz ist zweigeteilt: Erstens, dass es bestimmte Tätigkeiten gibt, die im Leben eines Menschen so zentral sind, dass ihr Dasein oder Fehlen als Merkmal dafür herangezogen wird, ob es sich um menschliches Leben handelt oder nicht. Zweitens, und das ist es, was Marx bei Aristoteles gefunden hat, dass uns etwas daran liegt, diese Tätigkeiten auf eine wirklich menschliche Weise auszuüben, nicht nur wie ein Tier.81

Der gemeinsame Nenner dieser Autoren ist die Annahme einer universalen ‚Idee‘, was lebenswertes Leben bzw. das gute Leben ist und was nicht. Ähnlich wie Aristoteles fragen sie nach dem menschlichen Leben in Abgrenzung zu anderen Lebewesen und setzen eine Allgemeingültigkeit voraus. Dabei kann

77 MACINTYRE 2007:148 (kursive Hervorhebung von mir). A. MacIntyre selbst hinterfragt den universalistischen Ansatz (vgl. RIESENKAMPFF 2005:140–142). 78 M ACINTYRE 2007:150. Zur Kritik des Universalismus in der Kommunitarismus-Liberalismus-Debatte vgl. RIESENKAMPFF 2005:140–143. 79 N USSBAUM 1978:106. 80 Vgl. NUSSBAUM 2007:946; 1978:100–106; RIESENKAMPFF 2005:144f. 81 N USSBAUM 2003:18; vgl. 2011:18f.

3. Aristoteles und Johannes – ein intertextueller Brückenschlag

95

es durch Kultur, die jeweilige Prägung und ein gewisses Lokalkolorit individuelle Eigenheiten geben. Aber diese Unterschiede sind nicht gravierend. Mit Aristoteles postulieren diese Ethiker, dass alle Lebewesen nach der εὐδαιμονία streben und dieses Streben für den Menschen universal ist.82 Auch im JohEv tritt ein Universalismus zutage, indem der Autor mit dem Protagonisten Jesus die Erzählung über den gesamten Kosmos beansprucht, was sich gleich zu Beginn im Johannesprolog niederschlägt (Joh 1,1–18). Dieser Anspruch wird aber – anders als bei Aristoteles – mit dem Kommen des Logos in die Welt begründet und expliziert (Joh 1,4–10).83 In Rückbindung an den Prolog wird dann in Joh 3,16 der Universalismus auch theologisch sowie anthropologisch ausgeführt: Die Liebe des Schöpfers zum Kosmos beansprucht eine Reaktion aller Menschen.84 Über die einzelnen Belege hinaus kann das universalistische Motiv des JohEv auch auf der literarischen Meta-Ebene verortet werden. Damit kommt das Evangelium als story in den Blick. Instead of creating a detailed system of norms, the author tried to formulate a kind of ‚moral story‘ for his community, in order to characterize it vis-á-vis the Graeco-Roman morals. This must have happened earlier than the setting up of a detailed moral system. The moral story of the GJ [JohEv] is a ‚dualistic universality‘.85

Universalistisch ist das JohEv nach J. Bolyki in seinem missionarischen Anspruch: „regardless of how small the Community behind the moral story was, it held a message for the whole Roman Empire and for all the Hellenistic inhabitants of the Oecumene“.86 Es transportiert daneben aber auch dualistische Tendenzen, da manche das Heil annehmen und andere es ablehnen werden (Joh 3,18–21; 15,24). Darüber hinaus verweist auch die Hamartiologie auf einen Universalismus im JohEv. Denn im Text des vierten Evangeliums wird nicht eine Sündenlehre 82 In der aktuellen Übersicht nennt M. C. Nussbaum 10 zentrale menschliche Fähigkeiten: (1) Leben; (2) Körperliche Gesundheit (3) Körperliche Unversehrtheit; (4) Wahrnehmung, Vorstellungskraft und Denkvermögen; (5) Gefühle; (6) Praktische Vernunft; (7) Soziale Zugehörigkeit; (8) Beziehung zu anderen Arten (Tiere und Pflanzen); (9) Spiel; (10) Gestaltung des eigenen Umfeldes (vgl. NUSSBAUM 2003:19–21). „Unter den Fähigkeiten treten zwei – nämlich praktische Vernunft und soziale Zugehörigkeit – durch ihre besondere Wichtigkeit hervor, da sie beide alle anderen organisieren und durchdringen, wodurch das Streben danach erst wirklich menschlich wird“ (:21). Vgl. RIESENKAMPFF 2005:149–154. 83 Vgl. BEUTLER 2013:91. 84 „Die Übereinstimmung in den universalistischen Aussagen (alles was ist; jeder, der glaubt) ist ein weiteres Argument dagegen, daß es sich im JohEv um eine ‚insider-group‘ handelt (…), denn hier ist erkennbar, daß der universalistische Zug nicht zufällig ist, sondern traditionsinhärent und mit dem Schöpfungsglauben selbst verbunden“ (BERGER 1991:182f; vgl. THYEN 2015:213f). 85 B OLYKI 2004:106. 86 B OLYKI 2004:106.

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4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

einzelner Vergehen, sondern die eine große Sünde herausgestellt: περὶ ἁμαρτίας μέν, ὅτι οὐ πιστεύουσιν εἰς ἐμέ (Joh 16,9). „The GJ [JohEv] thus made sinning a universal phenomenon, just as the Greek tragedies had done.“87 Sowohl das ἔργον-Argument als auch das JohEv weisen universalistische Züge auf, wenngleich ihre Konkretionen unterschiedlich sind. Während bei Aristoteles das Streben nach Glück und die damit verbundenen Tugenden einen Universalismus voraussetzen, ist das JohEv als Erzähltext universalistisch angelegt.88 Und während in der Nikomachischen Ethik nirgends Hinweise auf eine göttliche Vorsehung oder einen universalen Plan (der Götter) anklingen89, wird im JohEv durch das Kommen des Lichts (Joh 1,4f) in die Welt der Universalismus transzendiert. Der Universalismus des JohEv speist sich gerade aus diesem übernatürlichen Eintritt und der Gestaltwerdung Gottes in die Welt (Joh 1,14). Aber beide Texte erheben für sich den Anspruch, zentrale Sachverhalte zu beschreiben und setzen in ihren Ausführungen einen Universalismus voraus. 3.2 Ethik ohne konkreter materialethischer Impulse Es ist vielfach in der Forschung zur Nikomachischen Ethik beobachtet worden, dass Aristoteles keine konkreten Gebote bzw. Weisungen in seiner Ethik formuliert. Die tugendhafte Praxis erfordert ein Urteilungsvermögen des Urteilsträgers selbst. Und auch die μεσότης-Lehre wird von ihm nicht als „methodische Regel zur Auffindung des Richtigen, eine Regel, die sich abstrakt formulieren ließe“90, verstanden. Hence perhaps the most obvious and astonishing absence from Aristotle’s thought for any modern reader: there is relatively little mention of rules anywhere in the Ethics. Moreover Aristotle takes that part of morality which is obedience to rules to be obedience to laws enacted by the city-state – if and when the city-state enacts as it ought.91

Auf die Frage, wie Aristoteles ohne konkreter Gebote und Regeln auskommt, stellt A. MacIntyre fest, dass Aristoteles die Erfüllung einzelner Tugenden nicht nur beim Individuum sieht, sondern das Individuum grundsätzlich in eine 87 BOLYKI 2004:106. Weiterhin verweist J. Bolyki auf den interessanten Umstand, dass das JohEv im Gegensatz zu den Synoptikern über keine Exorzismen berichtet, sondern auch den Konflikt mit der übernatürlichen Welt universalistisch formuliert: Der Hauptkontrahent von Jesus ist der Satan, nicht die Dämonen (:106). 88 „Insofern ist dem Johannesevangelium eine erhebliche kultur- und zeitübergreifende ‚ökumenische‘ Reichweite eigen, die sich der hohen Inkulturationsleistung der johanneischen Theologie verdankt, und die bis in die Gegenwart keineswegs ausgeschöpft ist“ (SCHOLTISSEK 2004:439). 89 Vgl. NUSSBAUM 1978:102: „Even when we are invited to strive for divinity and to identify ourselves with the divine in ourselves, it is never with the end of serving the gods or a divine plan.“ 90 H ORN 1998:140. 91 MACINTYRE 2007:150.

3. Aristoteles und Johannes – ein intertextueller Brückenschlag

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politische Gemeinschaft verortet.92 Eine solche Gemeinschaft betätigt sich beispielsweise in einem gemeinsamen Projekt und strebt ein Gut an, das ihre Mitglieder als erstrebenswert und als τὸ ἀγαθόν bewerten. Im modernen Leben ist etwa an eine Schule, ein Krankenhaus oder eine Kunstgalerie zu denken. Durch die Verknüpfung der Tugenden mit diesem gemeinschaftlichen Sinn ergibt sich nach A. MacIntyre in zweifacher Hinsicht eine ethische Reglementierung. Auf der einen Seite würden die Mitglieder der Gemeinschaft diejenigen Werte und Tugenden identifizieren, die zur Realisierung des gemeinschaftlichen Guten förderlich sind. Auf der anderen Seite würden sie Rechtsverletzungen benennen und sanktionieren, die einer Gemeinschaft bzw. dem Erreichen des gemeinschaftlichen Guten abträglich erscheinen. Es ist umstritten, inwiefern in der antiken Tugendethik die Gemeinschaft mitgedacht ist. R. Zimmermann formuliert hier zugespitzt: „In der Tugendethik stehen der Einzelne und seine Charakterbildung im Vordergrund“, nicht die Gemeinschaft.93 Die Antwort auf diesen Streitpunkt wird meines Erachtens irgendwo dazwischenliegen. Darüber hinaus bleibt die Feststellung unbenommen, dass Aristoteles seine Ethik ohne konkreter Gebote bzw. Regeln entfaltet. Auch im Blick auf das JohEv ist in der Forschung immer wieder beobachtet worden, dass das vierte Evangelium – anders als die Synoptiker – über kaum verwertbares ethisches Material verfügt.94 Damit ist eine deutliche Parallele des JohEv zur Nikomachischen Ethik gegeben. Nichtsdestotrotz haben gerade in jüngster Zeit beide Schriften eine vielfältige ethische Diskussion hervorgerufen. So ist in Anlehnung an Aristoteles z. B. zunehmend die johanneische Freundschaftsethik diskutiert worden.95 Das Fehlen materialethischer Impulse in beiden Texten ist für den ethischen Diskurs offensichtlich nicht hinderlich. Es verdeutlicht erneut, dass seit dem ethical turn sich die Perspektiven in Bezug auf das Verständnis von Ethik verschoben haben. 3.3 Die Einheit eines tugendhaften Charakters Im Allgemeinen geht die antike Tugendethik von einer Einheit der einzelnen Tugenden aus, die von der Tugend der praktischen Einsicht (φρόνησις) zusam-

92

Vgl. für das Folgende MACINTYRE 2007:150f. dieser These ausgehend kommt er zu dem Schluss, dass die paulinische Ethik ihren Blick primär auf die Gemeinschaft richtet und somit eine Tugendethik nicht der Hauptfokus des Apostels ist (:287f). 94 Vgl. VAN DER WATT 2011:432; WEYER -MENKHOFF 2012b:159. 95 Vgl. SCHOLTISSEK 2004:425–437. Dass im JohEv Unterschiede im Vergleich zum antiken Freundschaftsideal gesehen werden, ist offenkundig (vgl. dazu z. B. SCHOLTISSEK 2004:436; THYEN 2015:646f). 93 ZIMMERMANN 2016a:287. Von

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4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

mengehalten wird. „Daraus folgt, daß es unmöglich sein soll, daß jemand tapfer, aber zugleich habgierig und geizig ist.“96 Diese Prämisse setzt auch Aristoteles voraus, indem er nach dem ἔργον τοῦ ἀνθρώπου fragt. According to Aristotle then excellence of character and intelligence cannot be separated. Here Aristotle expresses a view characteristically at odds with that dominant in the modern world. (…) So for Kant one can be both good and stupid; but for Aristotle stupidity of a certain kind precludes goodness.97

Die Einheit eines tugendhaften Charakters wird indirekt damit begründet, dass die Ausbildung der Tugenden ein lebenslanges Unterfangen darstellen und nicht ein einzelner Akt sind. „Aristotle emphasizes that moral virtue is primarly a quality of a person rather than an act“.98 Gleichzeitig macht Aristoteles unmißverständlich klar, dass die betreffende Tugend erst durch das Handeln entsteht. „Indem Aristoteles in dieser Weise die ethische Tugend fast ausschließlich von den Handlungen her bestimmt, leugnet er das Vorhandensein von Tugenden, die sich nicht in Werken manifestieren.“99 Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild zur Konstitution eines Individums nach Aristoteles:

Individuum

Charakter mit φρόνησις als Grundtugend

Einzelne Tugenden (ohne Beschränkung des Tugendkatalogs)

Werke und Taten (ἔργα καὶ πράξεις EN I, 6 1097b 26)

Abb. 4: Die Einheit einer tugendhaften Person

Gemäß dieser Konzeption besteht also eine stringente Abfolge zwischen dem Selbstverständnis des Individuums und seinen Werken. Diese ‚Kette‘ wird nicht unterbrochen. Daraus folgt, dass jedes ‚Kettenglied‘ (der Charakter, die Tugenden, die Werke) Auskunft über das Individuum insgesamt geben kann.100 Das JohEv folgt einer ähnlichen Denkrichtung. So wird in Joh 5,28–29 zwischen τὰ ἀγαθὰ ποιήσαντες und τὰ φαῦλα πράξαντες unterschieden. Dabei wird auf die Qualität der Handlungen rekurriert, auf deren Basis das eschatologische Urteil gesprochen wird. „In seems that a theological framework is presupposed where the quality of a person leads to the quality of his deeds.“101

96

HORN 1998:132. MACINTYRE 2007:154f: „This connection between practical intelligence and the virtues of character is invoked by Aristotle in the course of his argument that one cannot possess any of the virtues of character in a developed form without possessing all the others.“ 98 B ENNEMA 2013b:12. 99 H EILIGENTHAL 1983:3f. 100 Hier könnte man kritisch einwenden, dass in der aristotelischen Konzeption „Teiltugenden niemals miteinander in Konflikt geraten können“ (HORN 1998:132). 101 V AN DER WATT 2009a:14. 97

3. Aristoteles und Johannes – ein intertextueller Brückenschlag

99

Ähnliche Belege finden sich in Joh 3,18–21; 5,19f; 7,7; 15,24 u. a. Es dominiert dabei die Bewertung der Werke, die dann Rückschlüsse auf die gesamte Dispotition des Individuums bzw. der literarischen Figur gibt. In Joh 8,37–47 spricht Jesus seinen Kontrahenten die Nachkommenschaft von Abraham ab und behauptet, der Teufel sei ihr eigentlicher Vater. Und er begründet dies mit der Äußerung ihrer bösen Werke. Eine andere Denkrichtung zeigt sich in Joh 2,23–25. Wenn man mit C. Bennema πιστεύω als tugendhafte Handlung anerkennt102, dann berichtet Joh 2,23 zunächst positiv über die Tugend einiger Nachfolger: Viele glauben an Jesus. Die Reaktion von Jesus überrascht aber in Joh 2,24f. Weil er das Innere dieser Menschen kennt, wird vom Erzähler erklärend ihre Handlung als nicht ausreichend bewertet. Johannes weist hier auf ein Wissen des Protagonisten hin, das auf einer anderen Ebene liegt als die aristotelische Konzeption. Jesus kann nämlich in das Innere des Menschen schauen. Damit wird Joh 2,23– 25 ein Beleg dafür, dass das JohEv gelegentlich von der ‚allgemeinen Erfahrungsregel‘ (R. Heiligenthal) abweichen kann. Ingesamt kann aber anerkannt werden, dass sowohl Aristoteles als auch Johannes von einer ähnlichen Position in der Beurteilung des Menschen ausgehen und die Einheit eines tugendhaften Charakters voraussetzen. 3.4 Indirekte Anspielungen zwischen Aristoteles und Johannes C. Bennema setzt in einem lesenswerten Artikel die Tugendethik des Aristoteles in Beziehung zum JohEv. Und während es ihm darum geht, „[to] use this Aristotelian lens to look at the Gospel of John in order to determine whether we can speak of Johannine virtue ethics“103, interessieren mich lediglich die inhaltlichen Parallelen zwischen der Nikomachischen Ethik und dem JohEv. Die Tabelle stellt daher nicht die johanneische Tugendethik an sich vor, sondern konzentriert sich auf mögliche indirekte Anspielungen, die zwischen dem ἔργον-Argument des Aristoteles und der johanneischen Konzeption zutage treten.

102

BENNEMA 2013b:14: „πιστεύειν refers to a person’s initial adequate belief-response, expressed in an allegiance to Jesus that is then sustained in discipleship.“ 103 B ENNEMA 2013b:13.

100

4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

Tabelle 5: Anspielungen zwischen der Nikomachischen Ethik und dem JohEv104 Inhaltlicher Aspekt Strebensziel des Menschen (τέλος)

Konkretisierung der εὐδαιμονία Notwendige Umstände für die εὐδαιμονία Grundeigenschaft bzw. -tugend Aktivität eines ganzen Lebens

Nikomachische Ethik

JohEv

Glück (εὐδαιμονία)

Teilhabe an der ζωή des Vaters und des Sohnes (Joh 1,4; 5,21 u. a.) – „...hence the ultimate good or εὐδαιμονία (‚salvation‘) is to know God and partake in the divine life that the Father and Son share (17:3).“ Glauben als Tätigkeit und ein Werk Gottes (τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ; Joh 6,29)

Charakteristische Hervorbringung (ἔργον) unter Nutzen der λόγοςBegabung „external goods“ gute Herkunft, Freunde (EN I, 8) usw. praktischen Einsicht (φρόνησις) Schwalbe-Sommerbzw. Tag-Leben-Metapher (EN I, 6 1098a 19f)

Geburt durch den Geist (Joh 1,12f; 3,5), Freundschaft mit Jesus (Joh 15,13–15) usw. Glauben105 an Jesus (πιστεύω; Joh 6,27– 29), ergänzt durch andere Synonyme (z. B. ἰδεῖν) Kommen zu (Joh 1,39.46; 3,20f) und Bleiben in Jesus (Joh 15,4–6); Weg-Metapher (Joh 3,18–21; 14,6)

Fragt man nach den markanten Unterschieden, die die Konzeption des Aristoteles und im Vergleich zum JohEv offenbart, so scheinen mir zwei Aspekte besonders ausgeprägt. (1) Das ἔργον-Argument des Aristoteles ist von immanenten Annahmen geprägt. Es geht um die charakteristische Hervorbringung des Menschen hin zu einem guten Leben. Die johanneische Konzeption ist transzendent mit der Christologie im Zentrum, wie es J. G. van der Watt pointiert formuliert: „The ethical system of John proved to be primarily relational, grounded in Christology.“106 (2) Im ἔργον-Argument des Aristoteles fehlt der Aspekt der Sünde gänzlich. Aristoteles urteilt nicht moralisch. Vielmehr unterscheidet er zwischen einem guten und bestmöglichen Tätig-Sein des Menschen. Die johanneische Ethik weist dagegen dualistische Motive auf und kann sogar das moralisch verwerfliche Handeln auf die eine Sünde zuspitzen. „The essence of sin in the Gospel is not necessarily doing wrong things, but doing the wrong thing, that is, not 104

Vgl. für die folgenden Ausführungen und Zitate BENNEMA 2013b:13f. „Salvific faith in the Gospel of John is therefore a self-sacrificing, intellectual, and existential acceptance of the message and person of Jesus to the extent that it completely transforms a person’s thoughts and deeds in accordance with this message and leads to an obedient life of doing what a child of God should do“ (VAN DER WATT 2011:436). 106 V AN DER WATT 2011:444; vgl. WAGENER 2015:410f. 105

4. Zusammenfassung

101

accepting Jesus as the Christ, the Son of God.“107 Bei der ethischen Frage – was sollen wir tun (Joh 6,28)? – wird also bei Johannes die Hamartiologie mitgedacht. Trotz dieser Unterschiede sind gemeinsame Prämissen und Perspektiven zwischen der Nikomachischen Ethik und dem JohEv nicht von der Hand zu weisen. In vielen oben dargestellten Aspekten scheinen die beiden Schriften von ähnlichen Voraussetzungen auszugehen. Deshalb stimme ich dem harmonisierenden Urteil von A. MacIntyre zu: The New Testament’s account of the virtues, even if it differs as much as it does in content from Aristotle’s (…) does have the same logical and conceptual structure as Aristotle’s account. A virtue is, as with Aristotle, a quality the exercise of which leads to the achievement of the human telos. The good for man is of course a supernatural and not only a natural good, but supernature redeems and completes nature. Moreover the relationship of virtues as means to the end which is human incorporation in the divine kingdom of the age to come is internal and not external, just as it is in Aristotle. It is of course this parallelism which allows Aquinas to synthesize Aristotle and the New Testament.108

4. Zusammenfassung 4. Zusammenfassung

Es ist unbestritten so, dass Aristoteles ἔργον als terminus technicus zum Erlangen des Strebensziels der εὐδαιμονία einführt. Die semantische Variationsbreite dieses Begriffs ἔργον, die sich von der Verwendung im alltäglichen Leben bis hin zu naturwissenschaftlich-technischen Sachverhalten erstreckt, ermöglicht es ihm, in seinem Konzept unterschiedliche Felder seines ethischen und politischen Denkens zu subsummieren (A. W. H. Adkins). Gleichwohl ist auch U. Wolf zuzustimmen, dass „während das Wort telos (…) jedes Ziel bezeichnet, das jemand gerade erstrebt, wird der Ausdruck ergon immer dort verwendet, wo eine technē oder Handlungsweise, aber auch ein Werkzeug oder Organ usw. (…) durch ein bestimmtes Ziel oder Gut definiert ist“.109 Daher wird τὸ ἔργον zu einem Konzept-Begriff bei Aristoteles, wofür die breite Rezeptionsgeschichte des Arguments nur ein Indiz ist. Argumentativ erörtert wird die ‚charakteristische Hervorbringungʻ (P. Stemmer) des Menschen, die ähnlich wie die Frage nach der εὐδαιμονία zentral für ein gelingendes Leben ist. Das ἔργον des Menschen ist demnach ein spezifisches Leben, das den Menschen innewohnenden λόγος-Besitz realisiert. Dabei geht es Aristoteles nicht primär um den Besitz als statische Größe, sondern die Umsetzung dessen in einem tugendhaften Tätig-Sein.110 107

VAN DER WATT 2011:443. MACINTYRE 2007:184f. 109 W OLF 2007:38. 110 Vgl. STEMMER 2005:75. 108

102

4. Kap.: Ἔργον als terminus technicus bei Aristoteles

Durch die Zuordnung der ἀρετή zu ἔργον verstärkt sich die moralische Signifikanz, denn schließlich geht es nicht nur um das „Tätigsein der Seele mit logos“, sondern „das eu (kai kalōs) dieses Tätigseins“: „Wer sein ergon auf gute Weise vollzieht, der ist gemäß der aretē tätig.“111 P. Stemmer geht sogar so weit, dass Aristoteles – seiner Ansicht nach – „den guten Kitharaspielern ein eigenes ergon zuspricht“.112 Auch wenn man dies bestreiten mag, ist die wesentliche Aussage über das ἔργον bei Aristoteles: Das Strebensziel des Menschen ist die charakteristische Hervorbringung bzw. die Realisierung des ἔργον gemäß dem Gutsein. Was die Semantik von ἔργον angeht, ist die Übersetzung als „charakteristische Hervorbringung“ von P. Stemmer überzeugend, die sowohl den Aspekt der Tätigkeit als auch das Produkt bzw. den Ertrag einer solchen Tätigkeit umfasst. Nimmt man die Ausführungen von A. W. H. Adkins ernst, ist als außersprachlicher Referent an männliche Bürger im Kontext der πόλις zu denken, die gemäß der ἀρετή ihr ἔργον erwirken sollen. Bei der sprachlichen Verwendung von ἔργον dominiert der Singular mit einem bestimmten Artikel. Damit begründet sich die Einsicht, dass Aristoteles ἔργον in seiner Ethik als terminus technicus verwendet und damit das Wesenhafte des Menschen umschreibt. Da Aristoteles nicht moralisch, sondern ethisch argumentiert, ist ἔργον nirgends durch negative Adjektive syntaktisch verbunden. Vielmehr unterscheidet er einen Menschen von einem als gut lebenden Menschen. Es geht um eine aus einer Lebensform gesteigerte gute bzw. die bestmögliche Lebensform. Die Maxime des Guten (τὸ εὖ) verdeutlicht diese beste Lebensform. Neben der Semantik des Begriffs ἔργον erfolgte ein intertextueller Vergleich zwischen einem ethischen Text des Aristoteles und dem in Bezug auf die Ethik umstrittenen JohEv. Diese Gegenüberstellung hat verdeutlicht, dass sowohl Aristoteles als auch Johannes für sich eine Universalität beanspruchen. Sie unterscheiden sich lediglich in der Begründung eines solchen Universalismus. Während Aristoteles das Strebensziel der εὐδαιμονία bei allen Lebewesen voraussetzt, erhält der johanneische Universalismus seine Dynamik durch die Inkarnation von Jesus Christus in die Welt. Im JohEv wird dies dann durch dualistische Motive eingeschränkt, da nur ein Teil der Menschen das Licht annehmen (Joh 1,12). Bedeutend ist die Beobachtung, dass sowohl Aristoteles als auch Johannes kaum materialethische Impulse in Form von Regeln und konkreten Weisungen bieten. Beide Verfasser überlassen die einzelne Tat dem Leser bzw. dem Urteilsträger. Nichtsdestotrotz scheint dies für die moralische Signifikanz der beiden Texte kein Nachteil zu sein. Beide Texte haben schließlich in jüngster Vergangenheit eine breite Rezeption erfahren. 111 112

Vgl. STEMMER 2005:76. STEMMER 2005:76.

4. Zusammenfassung

103

Zentral für die Konzeption des Aristoteles ist die Prämisse der Einheit eines tugendhaften Charakters. Damit ist er ein bedeutender Vertreter der Erfahrungsregel, wonach einzelne Taten auf den Charakter des Individuums insgesamt zurückschließen lassen. Ergänzt wird dies, indem Aristoteles auch die einzelnen Tugenden aufeinander bezogen sieht. Eine solche Einheit wird auch auch im JohEv grundsätzlich vorausgesetzt. Es dominiert aber der Rückschluss von den einzelnen Werken auf die Disposition des Individuums. Markant ist dabei, dass die Werke vielerorts in Beziehung zum Verhältnis zu Jesus gesetzt werden. Die Figur Jesus Christus ist „die höchste Bewertungsinstanz für alle normativen Maßstäbe“113. Eine solche Verankerung der johanneischen Ethik in der Christologie haben auch die indirekten Anspielungen zwischen der Tugendethik der Nikomachischen Ethik und dem JohEv offenbart. Hinzu kommt die Beobachtung, dass das JohEv – anders als die Nikomachische Ethik – die Taten moralisch bewertet und sie in einer zugespitzten Hamartiologie der einen Sünde verankert. Nachdem nun die Semantik und die ethische Reflexion des bekannten ἔργονArguments untersucht und in Relation zum JohEv dargestellt worden ist, ist im Folgenden der literarische Kontext auf andere antike Autoren auszuweiten. Leitend ist die Frage, welche Bedeutung ἔργον und ἐργάζεσθαι in anderen antiken Texten erhalten und wie dies im Verhältnis zur johanneischen Sprachverwendung steht.

113

WAGENER 2015:411.

5. Kapitel:

Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte Ich will also untersuchen, welchen Sinn diese Begriffe in der Vorgeschichte und in der Umwelt des Evangeliums hatten, um so die Bedingungen zu schaffen, unter denen ein Verständnis des Evangeliums möglich wird. (R. Bultmann)1

Eine begriffsorientierte Untersuchung, die nach der Differenzierung von G. Fritz eine Makroperspektive einnimmt, konzentriert sich auf den Gebrauch sprachlicher Ausdrücke einer ganzen Sprechergemeinschaft. In der historischen Semantik interessiert man sich hierbei für den Bedeutungswandel von Begriffen, der sich in einer bestimmten Zeit bzw. Region ereignet hat.2 Gerade ein solcher Ansatz bestimmt dieses Kapitel, wenn ἔργον und ἐργάζεσθαι mit Hilfe einer korpuslinguistischen Methode analysiert werden. Allerdings liegt der Fokus nicht auf dem Bedeutungswandel als vielmehr auf dem semantischen Spektrum der Lexeme. Im Forschungsüberblick3 habe ich gezeigt, dass ἔργον und ἐργάζεσθαι häufig als unspezifische Begriffe – sozusagen als ‚Allerweltsworte‘4 – oder allein nur mit theologischen Bedeutungsnuancen in der johanneischen Forschung interpretiert worden sind. Auch war eine semantische Klärung kaum von Interesse, weil das Bedeutungsspektrum bekannt schien und/oder nur wenig inhaltliche Aussagekraft vermuten ließ. Zudem hat die Untersuchung zu ἔργον bei Aristoteles gezeigt, dass der Begriff einen weiten semantischen Spielraum in sich birgt und mit seiner Polysemie nicht zu unterschätzen ist.5 Daher ergeben sich für die Interpretation hier folgende Leitfragen: Welche semantischen Bedeutungsgehalte des Begriffs lassen sich beobachten? Können ἔργον und ἐργάζεσθαι als Allerweltsworte in antiken Texten betrachtet werden? Oder

1

BULTMANN 1928:113. Vgl. FRITZ 2005:36; 3. Kapitel, Pkt. 4.2. 3 Für die Einführung in antike Quellen vgl. SCHOLL & HOMANN 2009; STENGER 2004. Für die Arbeit mit der EDV und philologischen Hilfsmitteln (sowie Einführung in die Arbeit mit dem Thesaurus Linguae Graece (TLG) usw.) siehe KREBS 2003. Für diverse in diesem Zusammenhang nützliche Software siehe RAYSON 2002:60–87. 4 K. Berger umschreibt es ähnlich mit dem Begriff ‚Normalwort‘, der unter den Synonyma „häufiger als die anderen gebraucht wird“ (BERGER 1991:144). 5 Vgl. 4. Kapitel, Pkt. 2.1.1. 2

1. Konkretisierung eines korpusling. Zugangs

105

welche spezifischen Bedeutungen werden erkennbar? Und inwiefern werden ἔργον und ἐργάζεσθαι mit Ethik verknüpft? Mit diesem Kapitel soll zum einen meine spezifische Fragestellung zum JohEv in einen breiteren Zusammenhang gestellt werden. Zum anderen soll gerade durch eine empirisch-induktive Vorgehensweise die Semantik von ἔργον und ἐργάζεσθαι abgesichert werden.6 Ziel ist eine überblicksartige Darstellung. Deshalb stehen nicht die Einzelheiten, sondern die prägenden Linien und Bedeutungsstrukturen im Vordergrund.

1. Konkretisierung eines korpuslinguistischen Zugangs 1. Konkretisierung eines korpusling. Zugangs

Die Methode der Korpuslinguistik ist – wie im dritten Kapitel angedeutet – noch zu konkretisieren. Denn bevor eine Interpretation erfolgen kann, ist noch die Sammlung der Texte festzulegen und die Notwendigkeit einer Annotation sowie die relevanten Analyseverfahren zu besprechen. 1.1 Die Verwendung repräsentativer Korpora Das Korpus bei dieser Methode sollte in „natürlichen Sprachverwendungssituationen entstanden (d.h., die nicht speziell zum Zweck der Korpuserstellung erzeugt worden sind)“7 sein, einen realistischen Querschnitt über die verschiedenen sprachlichen Erscheinungsformen darstellen und sozusagen eine Stichprobe des Sprachgebrauchs sein. Diese idealen Voraussetzungen lassen sich in antiken Texten kaum realisieren.8 Und was N. Bubenhofer in Bezug auf moderne Korpora schreibt, gilt umso mehr für antike Texte: „Es ist wichtig, sich sorgfältig Gedanken darüber zu machen, welche Daten man für das Korpus nutzen möchte. Praktisch immer muss man dabei einen Kompromiss zwischen Wünschbarem und Machbarem eingehen.“9 Die historische Korpuslinguistik ist auf die verfügbaren Texte angewiesen. Und weil ich mir dieser Einschränkungen bewusst bin, wird die Interpretation

6

Zur Unterscheidung zwischen deduktiver und induktiver Vorgehensweise, ihre beidseitige Berechtigung und ihre historische Einordnung siehe O’DONNELL 2005:11–18. Zum „corpus-based approach“ als sinnvollen Zugang in der Lexikographie vgl. 2005:329f. 7 STEFANOWITSCH 2005:142; so auch O’DONNELL 2005:26f.39.103f.115–121. 8 „Natürlich vorkommende, authentische Sprache, die nicht extra zum Zwecke der Anwendung oder einer in Frage stehenden Theorie produziert wurde, ist die wichtigste Quelle korpuslinguistischer Evidenz“ (PAPROTTÉ 2002:364.368). Dies bleibt aber für historische Korpora eine Utopie, weil nur ca. 20–30 % der mit Wohlstand ausgestatteten Männer einer existierenden Gesellschaft sich als Kandidaten für eine Textproduktion eignen (vgl. O’DONNELL 2005:111). 9 B UBENHOFER 2006–2015.

106

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

der Phänomene nicht per sé auf die Sprachwirklichkeit im Allgemeinen bezogen, sondern auf das hier erstellte Korpus.10 Genau genommen nutze ich einige ‚specialised corporaʻ bzw. ‚historical or diacronic corporaʻ (P. Baker), also mit Bedacht gewählte Texte aus der Antike.11 Freilich kann eine solche Auswahl immer einer Kritik unterzogen werden. Demgegenüber ist aber festzuhalten, dass auch bei einer deduktiven Vorgehensweise der Forscher eine Selektion von Texten vornimmt, mit dem vorteilhaften Unterschied, dass bei einem korpuslinguistischen Verfahren die Reflektion über das Korpus transparent gemacht wird. Zurückhaltung bei der Interpretation und die Bezugnahme der Ergebnisse allein auf das vorher definierte Korpus legitimieren eine solche Vorgehensweise. M. B. O’Donnell unterscheidet zwischen einem ‚elektronischen Textarchivʻ und einem Korpus. Er resümiert, „that the use of all available literature from the Hellenistic period is not necessarily the best option for the corpus-based linguistic analysis of the Hellenistic Greek. Instead, the use of sampling procedures and well-defined compilation criteria is necessary“12. Dabei sind textkritische Urteile und Entscheidungen in der Regel nicht von Interesse. Deshalb werden hier nur die zur Verfügung stehenden Texteditionen verwendet.13 Welche Texte gehören nun zu einem zuverlässigen Korpus? Nach welchen Kriterien sollte eine Auswahl getroffen werden? Allgemein kann – sofern nach ‚selection by choiceʻ gewählt wird14 – zwischen internen und externen Kriterien der Textauswahl unterschieden werden. Internal criteria are linguistically defined in terms of the lexicogrammatical features (lexical and grammatical choices) [z. B. Thema des Textes, Stil]. External criteria are primarily nonlinguistic and focus on features similar to those studied by sociaolinguists, e. g. age, nationality and gender of author, geographic region, communicative function, etc.15

Interne Kriterien können für antike Texte aufgrund fehlender Annotation in Texten außerhalb des NT nicht berücksichtigt werden. Und auch eine konse-

10

So auch P. Baker: „As long as we bear this in mind [nämlich die Beschränkung des Korpus und die Vermeidung einer Generalisierung], there is no reason why we shouldn’t use corpus linguistics on smaller texts“ (BAKER 2010:7). 11 B AKER 2010:12.14; O’DONNELL 2005:105. 12 O’D ONNELL 2005:108. Für ihn stellt der TLG eher „a comprehensive archive“ dar und ist als relevanter Korpus nur bedingt geeignet (:105–07; vgl. 2000:260). Für Möglichkeiten und Grenzen des TLG mit weiteren Literaturhinweisen siehe auch 2005:331. Siehe auch für antike Texte das Archiv Perseus Digital Library (CRANE 2011). 13 Welchen Beitrag die korpuslinguistische Methode für die Textkritik leisten kann, siehe dazu O’DONNELL 2005:274–293. 14 Der Gegensatz wäre ‚selection by chance‘, was beinhaltet, „bringing together texts and language samples as one comes across them with little regard to their linguistic and sociolinguistic properties, and adding them to the existing corpus“ (O’DONNELL 2005:112). 15 O’D ONNELL 2005:115.

1. Konkretisierung eines korpusling. Zugangs

107

quente Anwendung externer Kriterien ist aufgrund fehlender historischer Informationen über viele antike Texte kaum durchführbar.16 Trotz dieser Einschränkungen erscheinen mir die folgenden von M. B. O’Donnell beschriebenen Kriterien für eine korpuslinguistische Untersuchung antiker Texte maßgebend:17 (1) Geschichtsepoche und Sprache, (2) die Korpusgröße („Size of a Corpus“), (3) die Texttypen des (hellenistischen) Griechisch („Language Formality“), (4) die Textgattung („Genre“) und (5) digitale Verfügbarkeit in annotierter Form. 1.1.1 Geschichtsepoche und Sprache Als äußerer Rahmen für die Zusammenstellung des Korpus sind in erster Linie griechische Texte der hellenistischen Epoche bedeutsam: Hellenistic Greek can be defined as the extant Greek written by native and non-native language users throughout the Hellenistic and Roman worlds from approximately the fourth century BCE to the fourth century CE.18

Allerdings ist dieser zeitliche Rahmen für meine Untersuchung zu erweitern bzw. einzuschränken: Erweitert werden soll das Korpus um einige Auswahltexte aus der archaischen und klassischen Epoche (8. bzw. 5./4. Jahrhundert v. Chr.). Beschränkt wird das Korpus auf die spätestens im 2. Jahrhundert n. Chr verfassten Texte. Insgesamt bilden die vor oder neben dem JohEv entstandenen Texte einen Schwerpunkt. 1.1.2 Die Korpusgröße Die Korpusgröße kann in korpuslinguistischen Untersuchungen stark variieren. Moderne Korpora umfassen mehrere Millionen Token.19 Für eine korpuslinguistische Untersuchung zum NT stellt M. B. O’Donnell fest:

16

Vgl. O’DONNELL 2005:132. Für eine ausführliche Diskussion vgl. O’DONNELL 2005:104–137. 18 O’D ONNELL 2005:2f. 19 Vgl. z. B. den DWDS-Kerncorpus (das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache des 20. Jh.) mit 100.600.993 Token (ohne Zahlen und Satzzeichen; G EYKEN 2011). Die Begriffe ‚Tokenʻ oder ‚Typeʻ sind aus dem Forschungszweig der Statistik in die Korpuslinguistik eingeführt worden. Das Worttoken „bezeichnet das Vorkommen eines Wortes an einer bestimmten Stelle im Korpus“, während im Worttype die Worttoken eines Korpus, die nach einem festgelegten Kriterium ähnlich oder gleich sind (z. B. mit gleicher orthographischer Form), zusammengefasst werden (vgl. LEMNITZER & ZINSMEISTER 2006:198; aus semantischer Perspektive siehe BUSSE 2009:96). Ein Token ist grundsätzlich aber nicht an die fassbare Größe ‚Wortʻ gebunden, sondern es ist „das konkrete Vorkommen einer sprachlichen Einheit“ und könnte z. B. auch eine Personenbezeichnung mit dem Suffix -er sein (Diener, Ritter, usw.) (vgl. SCHERER 2006:33f). Ein kleiner Korpus ist nach P. E. Rayson ein Korpus mit bis zu 100.000 Token (vgl. 2002:90). 17

108

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

Initially, it is suggested that 20,000 words be adopted as the ideal sample size for works of considerable length (…), but that, where possible, complete texts or at least sections of texts be included (…). In the case of works of less than 100,000 words by authors of considerable importance, the complete text should be included.20

Gerade bei lexikographischen und semantischen Untersuchungen spielt die Korpusgröße eine besondere Rolle, auch wenn der Umfang des Korpus nicht proportional mit seiner ‚Qualitätʻ zusammenhängt.21 Das bedeutet, dass ich für einzelne Autoren bzw. Sprach-/Handlungsgemeinschaften mindestens eine Textgröße zwischen 15.000 und 20.000 Worttoken anstrebe. Bedeutende Texte berücksichtige ich ebenfalls bis zu einer Größe von 100.000 Worttoken. Einzelne Texte können aber auch über diese Grenze hinausreichen. 1.1.3 Die Texttypen des (hellenistischen) Griechisch Die Einordnung in verschiedene sprachliche Erscheinungsformen „Types of Hellenistic Greek“22 ist in der Forschung umstritten. Die folgende Darstellung orientiert sich an S. E. Porter, der thesenhaft feststellt: „Written Hellenistic Greek, therefore, can be divided into various stylistic groupings along a broad continuum.“23 Daher ist bei der Erstellung eines repräsentativen Korpus auf eine in sich stimmige Sammlung und ein breites Spektrum aller Texttypen bzw. Textsorten zu achten, so dass eine gewisse Bandbreite abgedeckt und relevante Vergleiche gemacht werden können.24 Freilich ist eine solche Einteilung subjektiv, kann sprachliche Nuancen eines Textes übergehen und ist stets anfechtbar. Andererseits gehört „eine Sammlung schriftlicher und gesprochener Äußerungen“ immer zum erstrebenswerten Gut eines repräsentativen Korpus.25 Manchmal geben dabei die Autoren selbst Hinweise zum Texttyp.26

20

O’DONNELL 2005:114. Vgl. BUBENHOFER 2006–2015; O’DONNELL 2005:328f. 22 O’D ONNELL 2005:121–124 (Übersetzung von mir). 23 PORTER 1993:152f; vgl. O’D ONNELL 2005:123. „Es muss allerdings gesagt werden, dass bis heute kein wasserdichtes Verfahren existiert, die Textsorten einer Sprache zu einer gewissen Zeit zu ermitteln“ (LEMNITZER & ZINSMEISTER 2006:52). Ich differenziere hier zwischen Texttypen (literarische Erscheinungsform eines Textes) und Textsorten (konkrete Textarten innerhalb eines Texttyps). M. B. O’Donnell spricht sich gegen eine Unterteilung „between spoken and written texts“ aus, sowie gegen andere Unterteilungen wie „private and public language and official and colloquial language“. Diese sind nicht ausreichend „to cover the complete range of the language“ (O’DONNELL 2005:122f). 24 O’D ONNELL 2005:124. 25 Vgl. LEMNITZER & ZINSMEISTER 2006:40.52f; O’D ONNELL 2005:121. 26 Beispielsweise L. F. Arrianus, der behauptet die Diskurse mit Epiktet wörtlich wieder gegeben zu haben (vgl. O’DONNELL 2005:121). 21

1. Konkretisierung eines korpusling. Zugangs

109

Tabelle 6: Texttypen mit Beispielen27 Texttyp

Beispiele von Autoren und Textsorten

„vulgar“

Persönliche Angelegenheiten behandelte Papyri, monetäre Berichte und Rechnungen, Briefe usw. Offizielle Papyri mit Geschäftsangelegenheiten, Inschriften, wissenschaftliche Texte, längere Texte; z. B. Epiktet, Apollodor, Pausanias Philo, Josephus, Polybius, Strabo, Arrian, Appian Dionysios von Halikarnassos, Plutarch, Lukian

„non-literary“ „literary“ „Atticistic“

1.1.4 Die Textgattung Ein repräsentativer Korpus verlangt auch einen Querschnitt sämtlicher literarischer Gattungen. Auch wenn der Begriff Gattung („genre“) nicht einheitlich in der Forschung verwendet wird und die Festlegung antiker Dokumente als literarische Gattung diskutabel ist, bleibt eine grobe Einteilung doch möglich. Im Neuen Testament lassen sich im Wesentlichen drei literarische Gattungen ausmachen: die Briefe, die Biographie (βίος) bzw. die Evangelien und Geschichtsgattungen.28 Um die Repräsentativität zu erhöhen, sollten weitere Gattungen hinzugefügt werden, z. B. Texte aus „philosophy, prophecy and geography“.29 Neben ihrer literarischen Gattung lassen sich Texte unterschiedlichen Sprachstilen bzw. sprachlichen Formen zuordnen. M. B. O’Donnell führt in Bezug auf das antike Griechisch vier Unterscheidungskriterien an: „vulgar, non-literary, literary, Attistic“. Dabei geht es nicht um statische Kategorien, sondern um eine gefühlte Zuordnung, die sich dem Kenner der griechischen Sprache beim Lesen erschließt. „As discussed above, these are not fixed categories, but represent points on a continuum.“30 Die Darstellung in der Tabelle orientiert sich an der Übersicht von M. B. O’Donnell.31 Die sprachliche Form („language formality“) ist als eine Skalierung ‚von ... bis‘ gedacht, da hier die Grenzen fließend sind.

27

Vgl. PORTER 1993:153; O’DONNELL 2005:124 (Übersetzung von mir). O’DONNELL 2005:126.133. Auch wenn die Apokalypse des Johannes auch ‚Briefeʻ enthält, ist sie doch am besten als ‚Apokalyptikʻ zu umschreiben (:133). 29 Vgl. O’DONNELL 2005:133f. 30 O’D ONNELL 2005:133. 31 Vgl. O’DONNELL 2005:134f. 28

110

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

Tabelle 7: Überblick über einen repräsentativen Korpus MakroGattungen „letter“

„biography“

„history/ geography“ „apocalypse“ „philosophy“ Epik Hymnen/ Lyrik

Sonstige

Sprachstil bzw. Sprachliche Form („language formality“) „vulgar“ „non-literary“ „literary“ „Atticistic“ 1 Joh Corpus Paulinum Aristeasbrief 2 Joh 3 Joh 2 Petr Jud 1 Petr Hebr Jak Mk Mt Lk Vita (Jos) Joh Vit Mos (Philo) Antid (Isokr) Agesil (Xen) Sull (Plut) Pentateuch 1Sam Apg Esr/Neh (2Esdras) JosAsen Judit 1Makk Bell Jud (Jos.) Apokalypse Dan NE (Arist) Symp (Plat) Werke und Tage (Hes) Psalmen Ps Sal Sir Weish Hes Jes 4 Makk

1.1.5 Digitale Verfügbarkeit in annotierter Form Eine digitale Verfügbarkeit der Korpora in annotierter Form ist unabdingbar.32 Natürlich bedient sich die historische Korpuslinguistik auch prädigitaler Texte. Diese sind aber nur durch aufwendige (manuelle) Verfahren aufzubereiten und bei der Anwendung der Korpuslinguistik nicht praktikabel. Bei dem in diesem Kapitel erstellten Korpus nutze ich die heute schon zugänglichen Möglichkeiten im TLG und die Software BibleWorks8.33 1.2 Die Notwendigkeit einer Annotation Jede korpuslinguistische Untersuchung ist auf eine Annotation – also das Anreichern der Korpusdaten mit linguistischen Informationen34 – der Texte unbedingt angewiesen. Zu unterscheiden sind hier die morphosyntaktische, syntaktische, semantische und pragmatische Annotation.35 Diese Annotationsebenen 32 Für das Verhältnis zwischen prädigitalen und digitalen Korpora und die Vorteile der computerunterstützten Korpuslinguistik siehe STORRER 2011:16f. 33 University of California 2009; BUSHELL, TAN & WEAVER 1992–2008. 34 L EMNITZER & Z INSMEISTER 2006:62; vgl. O’DONNELL 2005:139. 35 Vgl. LEMNITZER & Z INSMEISTER 2006:65–86. Morphosyntaktisch: „Markierung der Wortart“ und der „Flexionsmorphologie“ (LEMNITZER & ZINSMEISTER 2006:65.70). Syntaktisch auch „Baumbank“ (englisch tree bank) genannt, werden hier die Informationen zur

1. Konkretisierung eines korpusling. Zugangs

111

sind bereits in vielen ‚modernenʻ Korpora vorhanden. In antiken Korpora befindet sich die Annotationsumsetzung noch am Anfang. Hier liegen meist nur morphosyntaktische Kennzeichnungen vor,36 die für meine Untersuchung angewandt werden.37 Leider gehört aber die automatische Disambiguierung von Lesarten im Kontext (engl. word sense disambiguation WSD) trotz langjähriger Forschung immer noch zu den noch nicht befriedigend gelösten Aufgaben der Sprachtechnologie.38

Diese „semantische Blindheit“ (Storrer) der verfügbaren Korpora erfordert ohnehin eine manuelle Nachbearbeitung. Auch muss dieser Umstand bei der Auswertung statistischer Daten mitbedacht werden, „denn auch die Statistiken operieren nicht über Bedeutungseinheiten, sondern über Formeinheiten“39. Für meine Untersuchung bedeutet dies, dass (1) nur bereits vorhandene annotierte Texte genutzt werden, (2) genuin syntaktische Fragestellungen (z. B. Satzlänge, häufiges Vorkommen von Fragesätzen usw.) außen vor bleiben müssen und (3) sowohl die Darstellung als auch die Auswertung eine manuelle Nachbearbeitung benötigt sowie statistische Daten nur mit aller Sorgfalt auszuwerten sind. 1.3 Quantitative und qualitative Analyseverfahren In der Korpuslinguistik werden grundsätzlich quantitative und qualitative Analyseverfahren unterschieden. Qualitative Korpusanalysen legen ihren Schwerpunkt auf die Ermittlung, die Klassifizierung, die Einordnung und Interpretation von bestimmten Phänomenen. (…) Das Bestimmen von Häufigkeiten im Korpus und die sich daraus ergebende Möglichkeit, Ergebnisse unmittelbar miteinander zu vergleichen, ist das Kennzeichen quantitativer Korpusuntersuchungen.40

Syntax auf der Satz- und Phrasenebene annotiert (:75–85). Semantisch: „Titel wie ‚Schlaflos in Seattleʻ erhalten ein eigenes, semantisch motiviertes Label“ (:84f). Pragmatisch: Hier werden z. B. Anaphern wie Pronomen oder definite Nominalphrasen mit ihrem Antezedens in Bezug gesetzt (:85f). Für einen ausführlichen Überblick diverser Annotationsverfahren siehe O’DONNELL 2005:142–158; R AYSON 2002:19–21. 36 Vgl. dazu O’DONNELL 2005:160–162. Für eine beispielhafte und umfassende DiskursAnnotation (discourse annotation) siehe 2005:169–201. Der Annotation auf der syntaktischen Ebene widmet sich das Opentext.org-Projekt (siehe O’DONNELL, PORTER & R EED 1998–2013). 37 M. B. O’Donnell beklagt den Umstand, dass trotz vorhandener Hilfsmittel wie GRAMCORD (Accordance), BibleWorks und Logos nur wenige Forscher einen umfassenden und systematischen Gebrauch davon gemacht haben (2005:397). 38 STORRER 2011:221f. 39 STORRER 2011:222. 40 SCHERER 2006:36; vgl. O’DONNELL 2005:23f.

112

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

Allgemein gilt: „Frequency is the bedrock of corpus linguistics.“41 Solche Häufigkeiten werden jedoch erst dann bedeutend, wenn eine vergleichende Analyse vorgenommen oder bedingte Häufigkeiten analysiert werden.42 Dabei sind „Signifikanztests sehr wichtig, um z. B. zu überprüfen, ob ein bestimmtes Lexem in einem Korpus A wirklich signifikant häufiger vorkommt als in Korpus B“43. Hier eignen sich standardisierte statistische Berechnungsverfahren, die umfänglich in der Forschung beschrieben worden sind.44 Sowohl quantitative als auch qualitative Analyseverfahren bedingen sich gegenseitig und kommen ohne einander nicht aus. Und so sinnvoll eine methodische Unterscheidung auch ist, favorisiere ich hier eine Kombination beider Untersuchungsansätze ohne eine besondere Abgrenzung. 1.4 Fazit und Korpusüberblick Die Korpuslinguistik stellt einen interessanten und innovativen Zugang für bibelwissenschaftliche und an einzelnen Lexemen orientierte Arbeiten dar. Und auch wenn antike Texte den Forschenden vor größere Herausforderungen stellen, als es bei einem zeitgenössischen Korpus der Fall ist, lohnt sich ein solches methodisches Unterfangen. Als Grundlage für die Auswertung dient der nachfolgende Korpus, der einen annähernden Querschnitt verschiedener Sprachformen nach den obigen Kriterien abbildet. Bei der eigentlichen Textauswahl orientiere ich mich bei mindestens der Hälfte der Texte an M. B. O’Donnell, der insgesamt 512.301 Token in seinem Korpus zählt.45 Einzelne Texte berücksichtige ich wegen ihrer inhaltlichen Thematik (Werke und Tage, Hesiod46), ihrer sprachlichen Besonderheiten (Symposion, Platon47) und ihrer gattungsspezifischeren Aspekte (Agesilaus, 41

BAKER 2010:19; Vgl. R AYSON 2002:3f.34–37. Vgl. O’DONNELL 2005:28; STEFANOWITSCH 2005:147–149. Frequenz-Analysen führen manchmal auch zu Fehlinterpretationen, vgl. RAYSON 2002:35f. 43 B UBENHOFER 2006–2015. 44 Vgl. BUBENHOFER 2006–2015; O’D ONNELL 2005:229–251. 45 Vgl. O’D ONNELL 2005:164f. In einem etwas älteren Artikel enthält sein repräsentativer Korpus 596.049 Token (vgl. O’DONNELL 2000:294f). 46 „Interessanter aber ist der erste Teil des Epos“, es geht u. a. um die Arbeit (vgl. D IHLE 1991:36f). „Die Griechen haben Hesiod in der Folgezeit große Achtung entgegengebracht, trotz der formalen Unzulänglichkeiten seines provinziellen Stiles“ (:39). 47 Angemessene Würdigung fällt schwer, weil „einige der Platonischen Dialoge zu den vollkommensten literarischen Gebilden zu rechnen [sind], die in griechischer Sprache geschaffen wurden“ (DIHLE 1991:207). „Das Symposion darf man ohne Einschränkung als die vollkommenste literarische Schöpfung Platons bezeichnen“ (:213). „Den Riesenbau des Staates betrachten wir heute als das eigentliche Hauptwerk Platons“ (:215). Nach A. Dihle sollten jüngere Werke herangezogen werden, da ältere Schriften in der sprachlich-stilistischen Gestaltung ärmer sind (vgl.:217). „Platon beherrschte virtuos alle ihm vorgegebenen Arten und Formen des Prosa-Ausdrucks“ (:221). 42

1. Konkretisierung eines korpusling. Zugangs

113

Xenophon48; De vita Mosis, Philo49). Texte aus der LXX50 werden vermehrt aus biblisch-theologischen Gesichtspunkten miteinbezogen. Das NT wird komplett berücksichtigt, weil mir ein Vergleich des JohEv mit den anderen 26 Schriften reizvoll erscheint. Manche Texte werden dagegen nicht in den Korpus aufgenommen, weil sie mir in annotierter Form nicht zur Verfügung stehen (z. B. Cato Minor, Plutarch; eine Papyrus- und Ostrakasammlung usw.). Die Auswahl der Texte für einen Korpus wird stets anfechtbar sein. So kann auch hier angefragt werden, warum gewisse Texte überhaupt nicht vorkommen. Hier werden Leser jeweils andere literarische Schriften im Sinn haben. Solchen Einwänden ist zu entgegnen, dass (1) die korpuslinguistische Methode von ihrem Selbstverständnis her die zufällige Sammlung von Texten methodisch legitimiert (‚selection by chance‘). (2) Eine Rechtfertigung der Auswahl kann sich primär nur auf Texte beziehen, die auch tatsächlich Eingang in den Korpus gefunden haben. Eine Begründung, warum gewisse Texte nicht aufgenommen worden sind, ist nicht leistbar, denn das hieße ja, dass man zu allen erdenklichen Möglichkeiten Stellung beziehen müsste. Das wäre aber – abgesehen von der notwendigen Expertise zu nahezu allen literarischen Werken der Antike – auch vom Umfang nicht leistbar. (3) Rückschlüsse aus der Auswertung von ἔργον und ἐργάζεσθαι werden stets nur auf die ausgewählten Texte, nicht die sprachliche Wirklichkeit an sich bezogen. Die Angaben in der Tabelle zu der Gattung, dem Texttyp, der Abfassungzeit und zur Länge der Texte orientieren sich im Wesentlichen an M. B. O’Donnell bzw. anderen Forschern. Einleitungsfragen werden in der tabellarischen Auflistung der Texte naturgemäß nicht diskutiert.

48

Vgl. BURRIDGE 1997:375.386f. BURRIDGE 1997:377. 50 Die Anfänge der LXX-Übersetzung liegen wohl in der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. und die „Übersetzung aller Schriften der Septuaginta zog sich wahrscheinlich ca. 100 Jahre hin, vielleicht auch bis zu 150 Jahre“ (KREUZER 2007:44f). 49

114

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

Tabelle 8: Korpusüberblick mit Details zu den einzelnen Texten Text(e)

Gattung

Archaische/ Klassische Zeit Werke und Tage Epik (Hesiod) Symposion (Platon) Dialog, Kunstprosa Antidosis (Isokrates) (Auto)Biographie Nikomachische Philosophie Ethik (Aristoteles) Agesilaus (XenoBiographie phon)

Texttyp

Abfassungszeit

Länge/ Token

non-literary/ literary Atticistic

8./7. Jh. v. Chr.

5.900

5./4. Jh. v. Chr.

17.530

Atticistic

4. Jh. v. Chr.

18.731

literary51

4. Jh. v. Chr.

58.040

literary/ Atticistic

ca. 360 v. Chr.

7.55952

3.–1. Jh. v. Chr.

124.513

3.–1. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr.

20.131 34.964

3.–1. Jh. v. Chr.

11.164

3.–1. Jh. v. Chr.

13.262

3.–1. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr. 2. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr. 3.–1. Jh. v. Chr.

27.075 29.658 10.781 18.424 6.943 18.292 7.859 4.926 9.174 8.224 12.932

1. Jh. n. Chr.

15.635

1. Jh. n. Chr.

2.605

Septuaginta (LXX) und Pseudepigraphen Pentateuch Geschichte/ non-literary Gesetz 1. Samuelbuch Geschichte non-literary Psalmen Hymnen vulgar/ non-literary Sprüche Weisheitslitenon-literary ratur Esra/ Nehemia Geschichte non-literary (2. Esdras) Jesaja Sonstige non-literary Hesekiel Sonstige non-literary Daniel Apokalyptik non-literary Sirach Weisheit non-literary Weisheit Weisheit non-literary 1. Makkabäer Geschichte non-literary 4. Makkabäer Rede53 literary Psalmen Salomos Lieder non-literary Judit Lehrerzählung non-literary Josef und Asenat Geschichte literary Aristeasbrief Brief literary NT JohEv

Biographie

1.–3. Johannesbriefe

Briefe

51

vulgar/ non-literaty vulgar/ non-literaty

Vgl. DIHLE 1991:223. Auswahl aus Xen Agesilaus, (1.1–11.16). 53 D OBBELER 2006:8. 52

1. Konkretisierung eines korpusling. Zugangs

115

Text(e)

Gattung

Texttyp

Abfassungszeit

Apokalypse Matthäusevangelium Markusevangelium

Apokalyptik Biographie Biographie

1. Jh. n. Chr. 1. Jh. n. Chr. 1. Jh. n. Chr.

Lukasevangelium Apostelgeschichte

Biographie Geschichte

1. Jh. n. Chr. 1. Jh. n. Chr.

19.482 18.450

Corpus Paulinum 1. Petrusbrief

Briefe Brief

1. Jh. n. Chr. 1. Jh. n. Chr.

32.408 1.684

2. Petrusbrief Judasbrief Hebräerbrief

Brief Brief Brief/ Homilie Brief

vulgar non-literary vulgar/ non-literaty non-literary non-literary/ literary non-literary non-literary/ literary non-literary non-literary non-literary/ literary non-literary

Länge/ Token 9.851 18.346 11.304

1. Jh. n. Chr. 1. Jh. n. Chr. 1. Jh. n. Chr.

1.099 461 4.953

1. Jh. n. Chr.

1.742

literary

1. Jh. n. Chr.

15.789

literary

1. Jh. n. Chr.

125.285

literary Atticistic

1. Jh. n. Chr. 1. Jh. n. Chr.

31.375 11.958

Jakobusbrief

Parallelliteratur zum NT Vita (Josephus) (Auto) Biographie De bello Judaico Geschichte (Josephus) Moses (Philo) Biographie Sulla (Plutarch) Biographie

Summe Token:

788.509

Interpretierte Ergebnisse werden nicht per se auf die allgemeine Sprachwirklichkeit übertragen. Andererseits impliziert die Korpuslinguistik den Anspruch, die empirische Wirklichkeit abzubilden. Die Tragfähigkeit der Interpretation ist dabei von den methodischen Vorarbeiten – insbesondere vom Korpus selbst – abhängig. Im günstigsten Fall kann die Interpretation Tendenzen der allgemeinen Sprachwirklichkeit andeuten, zumal der verwendete Korpus in seinem Umfang das 50fache der Token des JohEv umfasst. Im ungünstigsten Fall leistet die Interpretation lediglich ein Verständnis über die Sprachverwendung von ἔργον und ἐργάζεσθαι in diesen Texten. Gemäß dieser Minimalaussage wollen die nachfolgenden Ergebnisse verstanden werden, die sich auf die Häufigkeit und Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι im ausgewählten Korpus sowie die Kollokation und regelmäßig wiederkehrende Wortverbindungen (literarische Felder) mit semantischen Deutungsmöglichkeiten von ἔργον und ἐργάζεσθαι analysiert.

116

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

2. Zur Frequenz und Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι 2. Zur Frequenz und Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι

Das Frequenzaufkommen von ἔργον und ἐργάζεσθαι wird mit Hilfe allgemeiner statistischer Verfahren untersucht. G. Walser plädiert für die Anwendung statistischer Untersuchungen und fasst ihren Zweck zusammen: Die Statistik ist ein sehr gutes, aber in der wissenschaftlichen Theologie immer noch viel zu selten verwendetes Hilfsmittel. Die Vorteile, welche die Statistik bietet, sind vielfältig. Mit Hilfe der Statistik ist es möglich sowohl die Anzahl als auch die Frequenz der Beispiele zu berücksichtigen. Dadurch kann beispielsweise festgestellt werden, ob Unterschiede zwischen zwei verschiedenen Texten tatsächlich statistisch signifikant sind. Die Statistik ermöglicht es außerdem exakt zu definieren, was mit einem signifikanten Unterschied gemeint ist. (…) Grundsätzlich versucht man in den Geisteswissenschaften eine 95%ige Sicherheit zu erreichen, um einen statistisch signifikanten Unterschied zu beweisen.54

In meiner Untersuchung stellt das JohEv den Vergleichstext dar, so dass in einer Signifikanzberechnung55 der Frequenzunterschied zwischen dem JohEv und dem jeweils anderen Text berechnet wird. Im Blick auf das Nomen analysiere ich zusätzlich das Singular-Plural-Verhältnis und die Kasus-Verwendung. Im Blick auf das Verb beschränke ich mich auf die Häufigkeit des Vorkommens. 2.1 Tabellarische Übersicht Die Tabelle stellt das Vorkommen des Lemmas, den Log-likelihood-Wert (LLWert), die Anzahl der Token insgesamt, den Singular- bzw. Pluralgebrauch und den Numerus- und Kasus-Gebrauch im jeweiligen Text dar. Der Signifikanzwert schlägt in der Vergleichsbetrachtung des JohEv jeweils nach oben und nach unten aus. Das bedeutet: Ein grau markierter Wert verdeutlicht, dass das Frequenzaufkommen von ἔργον im jeweiligen Text niedriger ist als im JohEv. Ist ein Wert in der Spalte ‚Signifikanz‘ ohne eine Markierung gesetzt, dann handelt es sich um einen Text, in dem ἔργον häufiger vorkommt als im JohEv. Je höher der Wert dabei ausfällt, desto signifikanter ist der Unterschied zwischen dem jeweiligen Text und dem JohEv. Von einer Signifikanz in der Statistik ist die Rede, wenn der LL-Wert über dem kritischen Wert von 3,84 liegt.56 Dann ist nämlich ein Frequenzunterschied mit 95%iger 54

WALSER 2008:259f. Für ein Plädoyer zur Untersuchung der Frequenz und Verteilung spezifischer Begriffe in Wortstudien vgl. auch PORTER & O’DONNELL 2000:160. 55 Siehe BUBENHOFER 2006–2015. Es wird das Verfahren nach Log-likelihood gewählt, da dieses robuster gegenüber niedrigeren Werten ist (BUBENHOFER 2006–2015, Zu den Vorteilen dieses Berechnungsverfahrens vgl. RAYSON 2002:58f). Die eigentliche Berechnung der Signifikanz ist mit dem „log-likelihood calculator“ von P. E. Rayson durchgeführt worden (vgl. 2012:1). 56 Grundlegend für die Interpretation sind die sogenannten „kritischen Werte“, die definieren, „ob der berechnete Wert signifikant ist“ (vgl. BUBENHOFER 2006–2015). Hierbei

117

2. Zur Frequenz und Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι

Sicherheit gegeben. Ein geringerer Signifikanzwert macht umgekehrt deutlich, dass die Verwendung von ἔργον ungefähr der Frequenz des JohEv entspricht: Wenn also die biographische Schrift Agesilaus von Xenophon einen Wert von 0,18 aufweist, dann entspricht die Frequenz von ἔργον ungefähr der des JohEv. Eine besondere Signifikanz liegt in diesem Vergleich dann nicht vor. Tabelle 9: Frequenz und Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι Text(e)

ἔργον betreffend ἔργον ἐργά- Signi- Token Numerus ζομαι fikanz insges. Sg. Pl.

Archaische/ Klassische Zeit Werke und Tage 38 (Hesiod) Symposion (Platon) 14 Antidosis (Isokrates) 17 Nikomachische Ethik 80 (Aristoteles) Ages. 1.1–11.16 15 (Xenophon) LXX und Pseudepigraphen Pentateuch 149 1. Samuelbuch 3 Psalmen 54 Sprüche 18 Esra/Nehemia 29 (2. Esdras) Jesaja 29 Hesekiel 4 Daniel 4 Sirach 65 Weisheit 18 1. Makkabäer 11 4. Makkabäer 4 Psalmen Salomos 13 Judit 1 Josef und Asenat 3 Aristeasbrief 5

Kasus N/V G

D

A

11

27,45

5.900 16

22

9

9

3

17

8 5 2

5,82 4,46 0,99

17.530 8 18.731 9 58.040 54

6 8 26

3 4 20

– 3 8 13 10

8 5 37

1

0,18

7

8



3

8

27 – 23 5 –

2,83 28,65 0,22 0,05 0,78

124.513 67 20.131 2 34.964 4 11.164 2 13.262 24

82 1 50 16 5

11 – 14 8 7

14 18 – – 5 8 1 2 4 2

106 3 27 6 16

10 5 – 12 5 1 – – – – 8

3,15 37,01 11,66 10,58 1,73 9,71 2,64 1,50 18,31 9,72 12,74

27.075 7 29.658 1 10.781 1 18.424 24 6.943 1 18.292 1 7.859 – 4.926 1 9.174 – 8.224 2 12.932 2

22 3 3 41 17 10 4 12 1 1 3

8 1 3 16 2 2 – 3 – – 1

4 3 – – – – 10 18 4 5 1 2 3 1 1 3 – – – – 3 1

14 3 1 21 7 6 – 6 1 3 –

7.559

4

sind folgende Werte maßgebend: „3.84146 (Signifikanzniveau 0.05), 6.63490 (Signifikanzniveau 0.01), 10.828 (Signifikanzniveau 0.001)“ (MANN 2011; vgl. BUBENHOFER 2006– 2015). D. h. liegt der Chi-Quadrat-Wert oder der LL-Wert über 3,84, „dann sind die Frequenzunterschiede mit 95%iger Sicherheit signifikant (also nicht zufällig)“ (BUBENHOFER 2006–2015).

118

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

Text(e)

Neues Testament JohEv 1.–3. Johannesbriefe Apokalypse Matthäusev. Markusev. Lukasev. Apostelgeschichte Corpus Paulinum 1. Petrusbrief 2. Petrusbrief Judasbrief Hebräerbrief Jakobusbrief

ἔργον betreffend ἔργον ἐργά- Signi- Token Numerus ζομαι fikanz insges. Sg. Pl.

27 5 20 6 2 2 10 68 2 2 1 9 15

Parallelliteratur zum NT Vita (Josephus) 5 De bello Judaico 120 (Josephus) Moses (Philo) 42 Sulla (Plutarch) 12

Kasus N/V G

D

A

8 2 1 4 1 1 3 18 – – – 1 2

– 0,05 0,30 18,04 18,31 31,52 11,19 0,75 0,29 0,01 0,05 0,02 20,03

15.635 6 2.605 1 9.851 1 18.346 1 11.304 2 19.482 1 18.450 6 32.408 34 1.684 1 1.099 – 461 – 4.953 1 1.742 2

21 4 19 5 – 1 4 34 1 2 1 8 13

9 1 3 – – – 1 6 – 1 – 1 –

1 1 – 2 3 – 1 – – – – 2 1 2 26 14 1 – – 1 1 – 7 – 9 1

16 2 14 5 2 – 6 22 1 – – 1 5

– 18

16,86 6,75

15.789 4 125.285 41

1 79

– 15

1 – 28 30

4 47

12 2

1,05 2,60

31.375 23 11.958 5

19 7

3 1

14 5

18 4

Gesamt (ohne JohEv) 895 188 LL-Wert nur ἔργον berücksichtend LL-Wert mit ἔργον und ἐργάζεσθαι

7 2

772.874 3,70 6,46

2.2 Interpretativer Ertrag Bei der Auswertung ist zu bedenken, dass zum einen die Ergebnisse dann verlässlicher sind, wenn eher größere Texte miteinander verglichen werden. Und zum anderen ist der Chi-Quadrat-Test bzw. der LL-Test nicht verlässlich, wenn der ‚erwartete Wertʻ weniger als fünf beträgt.57 Sowohl die Textgröße als auch der erwartete Wert korrelieren miteinander. Aufgrund dieser Einschränkungen sind folgende Texte im Blick auf die Frequenz des untersuchten Begriffs nur eingeschränkt miteinander vergleichbar: 1.–3. Johannesbriefe, 1. Petrus-, 2. Petrus-, Judas- und Jakobusbrief. Es betrifft besonders die neutestamentlichen Briefe, wobei der Jakobusbrief eine Ausnahme darstellt, denn hier zu bedenken: Im Vergleich zum JohEv weist er einen hochsignifikanten Frequenzunterschied auf und hätte – denselben Gebrauch von ἔργον vorausgesetzt – ein 57 MANN 2011. Die Berechnung der ‚erwarteten Werteʻ ist ein Zwischenschritt in der Signifikanzfeststellung. Näheres dazu siehe bei BUBENHOFER 2006–2015.

2. Zur Frequenz und Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι

119

Auftreten von 8610,79 pro eine Million Token. Dies zeigt, welche bedeutende Rolle der Terminus ἔργον im Jakobusbrief einnimmt, was aber schon beim flüchtigen Lesen des Briefes nicht überrascht.58 2.2.1 Allgemeine Beobachtungen zur Signifikanz Vergleicht man den Gebrauch von ἔργον im gesamten NT mit den restlichen Texten dieses Korpus, ergibt sich ein LL-Wert von 0,43.59 Das bedeutet, dass ein besonderer Frequenzunterschied zwischen dem NT und den anderen Texten nicht feststellbar ist. Umgekehrt steht damit fest, dass das NT mit seinem Gebrauch des Begriffs ἔργον sich nicht besonders abhebt und die ungefähre Sprachwirklichkeit der Vergleichstexte abbildet. Wird dagegen allein das JohEv mit den anderen Texten dieses Korpus (inklusive des NT) verglichen, ergibt sich ein LL-Wert von 3,70.60 Damit erscheint diese Berechnung knapp unter dem kritischen Wert von 3,84, bei dem per Definition mit 95%iger Sicherheit eine Signifikanz – also ein nicht zufälliger Gebrauch – angenommen werden kann. Allein die Texte Werke und Tage (Hesiod), Sirach und eingeschränkt der Jakobusbrief verwenden das Lexem ἔργον viel häufiger als das JohEv. Wegen eines ähnlichen Umfangs der Token ist besonders das Buch Sirach für einen Vergleich mit dem JohEv relevant. Damit zeigt sich, dass die Frequenz von ἔργον im JohEv zwar häufig ist, jedoch bei Weitem auch durch einzelne Schriften übertrumpft werden kann. Denn der LL-Wert von Sirach liegt bei 10,58. Eine Besonderheit innerhalb des Pentateuchs stellt das Exodus-Buch dar, in dem ἔργον 75x und ἐργάζεσθαι 9x in der LXX verwendet wird. Verglichen mit dem JohEv ergibt sich ein LL-Wert von 6,73.61 Damit überragt das zweite Buch des Pentateuchs auch noch deutlich das JohEv in der Verwendung von ἔργον. Setzt man den Gebrauch von ἔργον in einzelnen Texten in Beziehung zum JohEv, ergibt sich, dass viele Texte das Nomen signifikant seltener als das JohEv verwenden. Anhand des kritischen Wertes von 3,84 ist bei den folgenden Texten das Verhältnis nicht zufällig: Symposion (Platon), Antidosis (Isokrates), 1. Samuelbuch, Hesekiel, Daniel, 1. Makkabäer, Judit, Josef und Asenat, Aristeasbrief, die Synoptiker, die Apostelgeschichte, Vita (Josephus)

58

Siehe dazu die Studie von KLEIN 1995. Vorausgesetzte Werte: NT (138.020 Token mit 169x ἔργον) zu anderen Texten dieses Korpus (650.489 Token mit 753x ἔργον). 60 Vorausgesetzte Werte: JohEv (15.635 Token mit 27x ἔργον) zu anderen Texten dieses Korpus (772.874 Token mit 895x ἔργον). 61 Vorausgesetzte Werte: JohEv (15.635 Token mit 27x ἔργον) zum Exodus-Buch (24.816 Token mit 75x ἔργον). 59

120

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

und De bello Judaico (Josephus). Die Summe der Token dieser Schriften entspricht ca. 45 % des Korpus (ohne Berücksichtigung des JohEv).62 Es bleibt also festzuhalten, dass das JohEv ἔργον häufiger als das NT und die meisten anderen Texte des Korpus verwendet. Eine Signifikanz in der Frequenz von ἔργον kann nicht mit Sicherheit behauptet werden, da der kritische Wert von 3,84 geringfügig unterschritten wird (JohEv: 3,70). Die Sachlage ändert sich jedoch schlagartig, wenn die Verwendung von ἔργον und ἐργάζεσθαι analysiert wird. Dann ergibt sich ein LL-Wert von 6,46. Damit liegt für das Wortfeld eine eindeutige Signifikanz vor. Denn der Gebrauch von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv ist im Vergleich zum Korpus zu 99% nicht zufällig.63 Diese Beobachtung legt es deshalb nahe, bei einer Untersuchung der Werke im JohEv das Verb ἐργάζεσθαι in die Interpretation miteinzubeziehen. 2.2.2 Zusammenhang zwischen dem Nomen und dem Verb Die Verwendung des Verbums ἐργάζεσθαι ist regelmäßig seltener als das Nomen. Lediglich der Aristeasbrief weicht von diesem Tatbestand ab. Das Verhältnis zwischen dem Nomen und dem Verb ist dabei überwiegend 3:1 bzw. 4:1 (siehe z. B. Werke und Tage, Antidosis, JohEv u. a.). Für den gesamten Korpus liegt das Verhältnis zwischen Nomen und Verb bei 4,76:1. Besonders markant ist der Unterschied im Gebrauch zwischen dem NT und den übrigen Texten. Hier besteht ein LL-Wert in Höhe von 25,29.64 Es kann hier also mit 99,9% Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass es sich nicht um eine zufällige Schwankung handelt und im NT der Gebrauch von ἐργάζεσθαι signifikant ist.65 Verantwortlich für diesen Umstand sind besonders das Corpus Paulinum und das JohEv, die sehr häufig das Nomen und das Verb verwenden. Einzelne Texte heben sich mit ihrem Nominalgebrauch ab. Hier fällt besonders die Nikomachische Ethik von Aristoteles auf (vergleiche auch De bello Judaico; Esra/Nehemia), während in einigen wenigen Texten das Verb immerhin ein Nomen-Verb-Verhältnis von 2:1 erreicht (siehe z. B. die Psalmen).

62

Berechnung: 354.109 Token (Summe der Token dieser Schriften) multipliziert mit 100 und dividiert mit 772.874 (Anzahl Token des gesamten Korpus ohne JohEv). 63 Vorausgesetzte Werte: JohEv (15.635 Token mit 35x ἔργον und ἐργάζεσθαι) zu anderen Texten dieses Korpus (650.489 Token mit 753x ἔργον). 64 Vorausgesetzte Werte: NT (138.020 Token mit 41x ἔργον) zu anderen Texten (772.874 Token mit 1083x ἔργον und ἐργάζεσθαι). Der kritische Wert für eine 99%ige Wahrscheinlichkeit liegt bei 6,64 (vgl. BUBENHOFER 2006–2015). Dieser hohe LL-Wert hier wird vor allem durch das NT erreicht. 65 Vgl. BUBENHOFER 2006–2015 für den kritischen Wert von mindestens 10,83.

3. Sprachformen rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι

121

2.2.3 Beobachtungen zum Numerus- und Kasusgebrauch Im Blick auf die grammatikalischen Phänomene überwiegt der Pluralgebrauch des untersuchten Nomens. Nahezu alle Texte weisen dabei eine höhere Frequenz auf, so dass die ἔργα allem Anschein nach als Kollektivbezeichnung für x verwendet werden.66 Nur einige wenige Texte weichen von dieser Regel ab. Es sind die Nichomachische Ethik (Aristoteles) und das Esra/Nehemia-Buch (2Esdras). Beim Kasus sind der Genitiv (Ausnahmen: Corpus Paulinum, Hebräerbrief und Jakobusbrief) und Dativ unterrepräsentiert. Auffällig ist der häufige Akkusativgebrauch (besonders im Pentateuch). Dies ist in Bezug auf das antike Griechisch nicht überraschend. „The accusative case in syntactically restricted (oblique) contexts expresses an idea without defining it. This fundamental meaning accounts for its several syntactical and contextual uses.“67

3. Sprachformen rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι 3. Sprachformen rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι

In der qualitativen Analyse werden die syntagmatischen (sogenannte Kollokationen bzw. Kookkurrenzen68) und die paradigmatischen (Synonyme, Oppositionen, Hyperonyme, Hyponyme69 usw.) Beziehungen einzelner Termini in der Korpuslinguistik untersucht.70 Dadurch lassen sich die außersprachlichen Referenten eines Begriffs konkretisieren.71 Ziel ist eine semantische Annäherung an die untersuchten Begrifflichkeiten. Nach M. B. O’Donnell hat sich die Einschränkung der Untersuchungsweite auf vier Token bewährt, wobei ich im Allgemeinen über die Satzgrenzen hinweggehe.72 Im Folgenden stelle ich zunächst ganz allgemein die Kollokationen

66

Dies wird im Griechischen im „Schema Atticum“ auch grammatikalisch nachvollzogen, wenn ein Neutrum im Plural mit einem Prädikat im Singular gebildet wird (vgl. dazu PRESTEL 2008:83f). 67 PORTER 1999:88. 68 „Sind zwei oder mehrere Wörter überdurchschnittlich oft benachbart, spricht man von Kollokationen oder Kookkurrenzen“ (SCHERER 2006:46; vgl. BUBENHOFER 2006–2015; BUSSE 2009:103; LEMNITZER & ZINSMEISTER 2006:30; SIEBENTHAL 2000a:138). 69 Vgl. SIEBENTHAL 2000a:137. 70 Zu beachten sei, „daß jedes Lexem im Schnittpunkt paradigmatischer und syntagmatischer Beziehungen steht. Seine Bedeutungselemente bewirken den Zusammmenschluß auf paradigmatischer Ebene (Synonymi, Feld), ermöglichen aber auch seine syntagmatische Einbettung (semantische Valenz).“ (SCHIPPAN 1975:133; vgl. O’DONNELL 2005:23). Zur Methodik dieser qualitativen Erhebung vgl. EGGER & WICK 2011:167f. 71 Vgl. O’DONNELL 2005:331f. 72 Vgl. O’D ONNELL 2005:332.347; BAKER 2010:24. Für eine eine Kollokationsuntersuchung anhand semantischer Cluster siehe O’DONNELL 2005:336–340.

122

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

von ἔργον und ἐργάζεσθαι vor. Anschließend soll das Spektrum der erscheinenden Verben rund um ἔργον und eine semantisch-orientierte Kollokationsanalyse nichtflektierter Worte beschrieben werden. Zuletzt werden die erörterten Ergebnisse in Bezug auf die eigentliche Untersuchungsfrage eingeordnet und ausgewertet. 3.1 Kollokationen von ἔργον und ἐργάζεσθαι Die folgende Übersicht zeigt die am meisten verwendeten flektierten Worte neben ἔργον und ἐργάζεσθαι, wobei die Begrenzung bis auf Zeile 40. willkürlich gewählt ist. Tabelle 10: Kollokationen von ἔργον und ἐργάζεσθαι bei vier Token links und rechts Nr.

ἔργον

Anzahl (Links/ Rechts)

Nr.

ἐργάζεσθαι

Anzahl (Links/ Rechts)

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29.

καὶ τὰ ἐν τῶν τὸ αὐτοῦ δὲ τοῖς τοῦ αὐτῶν σου εἰς γὰρ ὁ δ’ μὲν κατὰ πάντα οὐ τὴν πρὸς ἐπὶ τῆς τὸν χειρῶν τῷ μὴ τῇ πᾶν

508 – L: 220; R: 288 306 – L: 262; R: 44 185 – L: 100; R: 85 182 – L: 111; R: 71 178 – L: 142; R: 36 139 – L: 31; R: 108 110 – L: 46; R: 64 103 – L: 78; R: 25 93 – L: 24; R: 69 73 – L: 21; R: 52 71 – L: 24; R: 47 71 – L: 41; R: 30 69 – L: 33; R: 36 56 – L: 20; R: 36 52 – L: 26; R: 26 50 – L: 18; R: 32 50 – L: 32; R: 18 49 – L: 37; R: 12 48 – L: 16; R: 32 46 – L: 19; R: 27 46 – L: 28; R: 18 45 – L: 32; R: 13 43 – L: 14; R: 29 43 – L: 11; R: 32 41 – L: 2; R: 39 41 – L: 21; R: 20 40 – L: 15; R: 25 36 – L: 10; R: 26 35 – L: 34; R: 1

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29.

καὶ ἐν τὴν δὲ οἱ τὸ τῶν τὰ τῆς τοῖς ὁ ἀνομίαν τῷ μὴ γὰρ οὐκ τοῦ τοὺς εἰς μὲν ἔργον τὸν εἰ δ’ ὅτι ἔργα πρὸς γῆν ἐκ

116 – L: 57; R: 59 43 – L: 14; R: 29 42 – L: 7; R: 35 41 – L: 23; R: 18 30 – L: 20; R: 10 28 – L: 11; R: 17 22 – L: 11; R: 11 21 – L: 8; R: 13 20 – L: 11; R: 9 19 – L: 11; R: 8 18 – L: 11; R: 7 18 – L: 0; R: 18 18 – L: 9; R: 9 18 – L: 9; R: 9 18 – L: 10; R: 8 17 – L: 10; R: 7 16 – L: 6; R: 10 15 – L: 12; R: 3 15 – L: 7; R: 8 14 – L: 9; R: 5 12 – L: 9; R: 3 12 – L: 4; R: 8 11 – L: 5; R: 6 11 – L: 3; R: 8 10 – L: 5; R: 5 10 – L: 2; R: 8 10 – L: 3; R: 7 10 – L: 1; R: 9 9 – L: 4; R: 5

3. Sprachformen rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι

123

Nr.

ἔργον

Anzahl (Links/ Rechts)

Nr.

ἐργάζεσθαι

Anzahl (Links/ Rechts)

30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40.

ὅτι ἡ τοὺς κυρίου ἀπὸ οὐκ ὡς θεοῦ οἱ ἐξ ἢ

34 – L: 11; R: 23 34 – L: 15; R: 19 30 – L: 15; R: 15 30 – L: 8; R: 22 29 – L: 21; R: 8 29 – L: 14; R: 15 28 – L: 11; R: 17 28 – L: 9; R: 19 27 – L: 11; R: 16 26 – L: 21; R: 5 24 – L: 9; R: 15

30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40.

τε ταῖς οὖν διὰ τις πόλιν πάντες οὐ αὐτοῦ ἢ ἡ

9 – L: 4; R: 5 9 – L: 2; R: 7 9 – L: 3; R: 6 9 – L: 3; R: 6 8 – L: 4; R: 4 8 – L: 4; R: 4 8 – L: 8; R: 0 8 – L: 2; R: 6 8 – L: 4; R: 4 7 – L: 3; R: 4 7 – L: 3; R: 4

Die Häufung der für die Semantik wenig aussagenden Token wie καὶ oder den Artikeln überrascht nicht. Untersuchungen haben ergeben, „that over half of any text or corpus consists of forms of a small set of lexical items“.73. Bedeutender dagegen sind die Nomen, Verben, Adjektive und Präpositionen. Auffallend häufig wird neben ἔργον das Genitivattribut αὐτός verwendet. Es ist anzunehmen, dass hier der possessive Gebrauch als semantische Funktion dominiert.74 Insgesamt erscheinen αὐτοῦ und αὐτῶν zusammen 160x als nachfolgendes Attribut zu ἔργον. Berücksichtigt man eine Untersuchungsweite von nur einem Token, folgt das Genitivattribut insgesamt 135x direkt auf das Nomen ἔργον (87x im Singular; 48x im Plural). Wenigstens mit Bezug auf den Singular fällt auf, dass die feminine Form (αὐτῆς) kaum vorkommt und nur 3x im Korpus dem Begriff ἔργον folgt. Syntaktisch hat αὐτός eine anaphorische Funktion, d. h. es verbindet den Begriff ἔργον mit etwas zuvor Genanntem. Bedenkt man weiterhin, dass ἔργον mit dem Genitivattribut αὐτός sich häufig auf Figuren im Text bezieht, wird man insbesondere den maskulinen Gebrauch vermuten. Die geringe Ausprägung femininer Formen verdeutlicht, dass feminine Figuren im untersuchten Korpus kaum in Erscheinung treten. Ähnlich wie bei αὐτός kann bei den beiden Genitivattributen κυρίου und θεοῦ ein Genitivus possessoris angenommen werden. Nimmt man diese drei Attribute zusammen, lässt sich Folgendes mit Wahrscheinlichkeit resümieren: (1) In vielen Fällen steht αὐτός als anaphorisches Element für κυρίος und θεός. (2) Wenigstens auf die LXX und das NT bezogen verweisen κυρίος und θεός auf das Werk bzw. die Werke Gottes bzw. des Herrn. Aus biblischtheologischer Perspektive ist also das Handeln Gottes als außersprachlicher Referent dominierend, das mit dem Begriff ἔργον in Relation gesetzt wird. Nach L. Morris ist ἔργον das Vorzugswort zur Bezeichnung der Werke Gottes 73

O’DONNELL 2005:329; vgl. MEYER & STEINTHAL 1973:3. Grammatikalisch ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass αὐτός als dritte Person des Personalpronomens fungiert (Vgl. PRESTEL 2008:39). 74

124

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

in der Schöpfung der Welt (z. B. Gen 2,2f; Ps 8,3; 104,24 u. a.) sowie bei der Befreiung seines Volkes aus der Sklaverei Ägyptens (Ps 44,1; 95,9 u. a.).75 Diese Interpretation deckt sich auch mit den Ergebnissen anderer begriffsgeschichtlicher Untersuchungen wie es etwa U. C. von Wahlde zusammenfasst: In the Septuagint ἔργα frequently refers to God’s wonders, his works which he performs on behalf of man. This includes his primary work which is creation but also works such as his freeing of the Israelites from slavery in the Exodus.76

Vereinzelt sind bei der Phrase ἔργα θεοῦ die Handlungen im Sinn, die Gott seinem Volk geboten hat. Diese semantische Bedeutung kommt in der LXX jedoch nur zwei Mal vor, nämlich in Jer 48(LXX 31),10 und Bar 2,9.77 In beiden Stellen sind jedoch keinesfalls einzelne Gebote der Tora im Sinn, sondern die Rede ist allgemein vom Ratschluss bzw. dem Willen Gottes. Eine anthropologische Komponente ist dem Nomen χειρῶν inhärent, das häufig als Konstruktion τὰ ἔργα τῶν χειρῶν in der LXX vorkommt. Je nach Kontext können bei dieser Sprachform euphemistisch auch ‚Gottʻ und seine Schöpfung gemeint sein (so z. B. Ps 8,7). Eine Wertung erhält ἔργον durch den Fachausdruck ἔργον λατρευτὸν, der 13x im Korpus erscheint und häufig in einem Gebot (οὐ ποιήσετε) verankert ist.78 Hier wird zwischen profaner Wirkungstätigkeit und dem ‚Ruhenʻ am Sabbat unterschieden. Weiterhin ist festzustellen, dass in der oben dargestellten Tabelle neben ἔργον kein Verb aufgeführt ist. In der Untersuchungsweite bei vier Token beschränkt sich das Vorkommen auf Artikel, Partikel, Präpositionen, Pronomina und einige Nomen. Allerdings ändert sich dieser Sachverhalt, wenn man nach lemmatisierten Verbformen sucht und diese zusammenzählt.79 Das häufig vorkommende Adjektiv πᾶς gibt im Plural (πάντα) die gesamte Wirkungstätigkeit wieder, während im Singular (πᾶν) neben einer generalisierenden Bedeutung auch jedes einzelne Werk gemeint sein kann (vgl. z. B. 2Kor 9,8). Bei ἐργάζεσθαι sind die Nomen ἀνομίαν, γῆν, ἔργα sowie ἔργον und πόλιν auffällig. Die Akkusative ἔργα sowie ἔργον lassen eine Figura etymologica vermuten, denn diese Konstruktion findet sich in den verschiedensten Texten wieder, z. B. bei Hesiod, in der LXX, im NT, bei Plato und Xenophon. Der Bezug zur ‚Erdeʻ impliziert wie χειρῶν und λατρευτὸν eine handwerklichpraktische Tätigkeit bzw. die profane Arbeit und wird, da vor allem nur in der LXX vorkommend, im Kontext des Ackerbaus zu verorten sein. Die ‚Gesetzlosigkeit (oder Ähnliches) tunʻ ist eine nur in den biblischen Schriften bekannte 75

MORRIS 2008:613; vgl. THYEN 2007b:700. WAHLDE 1980:308. 77 PANCARO 1975:382; WAHLDE 1980:308. 78 Für einen wirkungsgeschichtlichen Überblick dieses terminus technicus aus katholischer Perspektive vgl. QUIGLEY 1957:145–153. 79 Vgl. in diesem Kapitel, Pkt. 3.2. 76

3. Sprachformen rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι

125

Kollokation. Zusammenfassend ist zu beobachten, dass bei einer Grenzziehung in der 40. Zeile die Kollokationen mit einer hohen Frequenz aus der LXX (hier Pentateuch) und dem NT dominieren. Das ist in Bezug auf den biblischen Kanon auch damit erklärbar, dass dort oftmals sprachliche Ausdrucksformen wiederholend gebraucht werden. 3.2 Korrelation zwischen ἔργον und den gebrauchten Verben80 Der semantische Gehalt einer Aussage wird wesentlich über das Verbum transportiert. Insofern ist es nicht unerheblich zu fragen, mit welchen Verben ἔργον zusammensteht. Tabelle 11: Kookkurrierende Verben mit ἔργον Textgruppen LXX; Pseudepigraphen81 (Joseph und Asenath sowie der Aristeasbrief)

Philo Josephus

Verben mit ἔργον ab einer Frequenz von mindestens drei Vorkommen ποιέω (113), εἰμί (66), λέγω (21), ἐργάζεσθαι (17), δίδωμι (17), ἔχω (15), ὁράω (15), γίνομαι (12), πιστεύω (11), δικαιόω (9)82, οἶδα (9), εὑρίσκω (8), κλώθω (8)83, τελειόω (6), συντελέω (6), ἀποδίδωμι (5), δείκνυμι (5), εὐλογέω (5), θαυμάζω (5), φυλάσσω (5), καταπαύω (5), λειτουργέω (5), ἀναγγέλλω (4), ἀναστρέφω (4), δεῖ (4), ἐσθίω (4), μετανοέω (4)84, μιμνῄσκομαι (4), νήθω (4)85, πράσσω (4), συνίημι (4), συντάσσω (4), ᾄδω (3), ἀνακαλύπτω (3), ἀποκρίνομαι (3)86, ἀφίημι (3), δοκιμάζω (3), δοξάζω (3), εἰσπορεύομαι (3), ἐμβλέπω (3), ἐπιλανθάνομαι (3), ἐπιτίθημι (3), ἔρχομαι (3), καθαιρέω (3), καθίστημι (3), καλέω (3), καταλύω (3), κατευθύνω (3), κρίνω (3), λαλέω (3), μένω (3), οἰκοδομέω (3), ὀνειδίζω (3), παιδεύω (3), παλαιόω (3), παρέχω (3), πληρόω (3), συμπλέκω (3), τελέω (3), τίθημι (3) εἰμί (9), δημιουργέω (3), ἐπιδείκνυμι (3), ἀνέχω (2), δικαιόω (2), ἐθέλω (2), ἵστημι (2), κρίνω (2) εἰμί (16), ἐπιδείκνυμι (5), ἔχω (5), δοκέω (4), ποιέω (4), πράσσω (4), ἄρχω (3), καταφλέγω (3), λέγω (3), ἀναπαύω (2), ἀναχωρέω (2), διαιρέω (2), δύναμαι (2), ἐπαληθεύω (2), θαυμάζω (2), κατασκευάζω (2), μέλλω (2), πάσχω (2), σώζω (2), τέμνω (2), τρέπω (2), χρή (2)

80 Die Texte der archaischen/ klassischen Zeit (Hesiod, Plato, Isokrates, Aristoteles und Xenophon) und der Text von Plutarch werden bei dieser Fragestellung ausgenommen, da der TLG eine dafür notwendige Annotation nicht bietet. Lediglich für die drei in den anderen Texten häufigsten Verben kann eine Aussage gemacht werden: ποιέω (24) , εἰμί (14; (3; 2; 3; 5; 1; 0)) und λέγω (4; (0;1;0;1;1;1)). Siehe zum Vergleich das 6. Kapitel, Pkt. 2.3.3. 81 Nur in Bezug auf die hier berücksichtigten Pseudepigraphen werden folgende Verben verwendet: ποιέω (3) , εἰμί (2), λέγω (2), ἀναστρέφω (1), ἀποστέλλω (1), γίνομαι (1), διαχέω (1), κακοποιέω (1), κελεύω (1), νομίζω (1). 82 Nur Röm, Gal und Jak. und Ps. Salomos 1x. 83 Nur Exodus, im Kontext des Baus der Stiftshütte und 1x im Buch Sirach. 84 Nur Apokalypse des Johannes. 85 Nur Exodus. 86 Stets nur in anhängenden Sätzen bzw. im direkten Anschlusssatz nach dem Punkt.

126 Textgruppen JohEv

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte Verben mit ἔργον ab einer Frequenz von mindestens drei Vorkommen ποιέω (13), πιστεύω (7), εἰμί (4), λέγω (3), τελειόω (3), ἀποκρίνομαι (2), δείκνυμι (2), δίδωμι (2), ἐργάζομαι (2), θαυμάζω (2), λιθάζω (2), φανερόω (2), γινώσκω, δεῖ, θεωρέω, μαρτυρέω, μένω, μισέω, πέμπω, ἐλέγχω

Besonders markant ist der Gebrauch von ποιέω im Zusammenhang mit ἔργον. Dies scheint ein regelmäßiges semantisches Feld in den biblischen Schriften zu sein. Im Kontext der LXX ist hier als Referenz an das Schöpfungswirken Gottes zu denken87 und an das Verbot zu Arbeiten am Sabbat. Beachtlich ist, dass auch das JohEv ein ähnliches Gebrauchsmuster des Nomens und des Verbs aufweist (siehe z. B. Joh 7,21), wobei dort das Wirken von Jesus Christus bzw. des Vaters für den außersprachlichen Referenzbereich steht. Regelmäßig und eigentlich nicht besonders verwunderlich ist die hohe Frequenz von εἰμί. Dominiert wird das Vorkommen durch den Infinitiv εἶναι (30x), worauf dann die Formen in der dritten Person folgen: ἔσται (20x), ἐστιν (19x), ἦν (13x), ἔστιν (13x), ἐστὶν (9x), ἔστι (8x) und ἦσαν (4x). Der Infinitiv lässt auf die Verwendung einer Periphrase (Partizip und Form von εἶναι) schließen und kann damit die Schlagzahl der dritten Person auch noch erhöhen.88 Allerdings kann die Verbform in der dritten Person auch Rückschlüsse auf den bezeichneten Gegenstand von ἔργον zulassen, insbesondere dann, wenn εἰμί als Kopula mit einem thematischen und rhematischen Nomen im Nominativ erscheint (vgl. Joh 3,19).89 Herausragend ist der häufige Gebrauch von πιστεύω im Zusammenhang mit ἔργον im JohEv. Dieses Phänomen ist signifikant, weil von den elf Erwähnungen dieses Verbs sich allein sieben im vierten Evangelium finden. Nimmt man eine systematische Einteilung der Verben vor90, zeigt sich folgender Befund über die Verwendung der Verben: Tabelle 12: Systematische Übersicht der Verbformen Verbklasse

Verbformen, nach Anzahl sortiert

Verben der Wahrnehmung (verba percipiendi) (18x; 3,66%)

ὁράω (15), ἐμβλέπω (3)

87

ENSOR 1996:87f. zur obligatorischen und fakultativen Periphrase, die sich in der LXX und NT häuft PRESTEL 2008:45.136. 89 Vgl. PRESTEL 2008:78f. 90 Ich folge hier einer Sechsteilung der Verben und beschränke mich auf die Formen die vier Mal und häufiger verwendet werden. Für diese Verbklassifikation vgl. WAGENER 2015:108–112. Die Einleitung ist bei manchen Verben aufgrund ihrer mehrdeutigen Semantik und des fehlenden Kontextes diskutabel. 88 Vgl.

3. Sprachformen rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι

127

Verbklasse

Verbformen, nach Anzahl sortiert

Verben des Denkens und Fühlens (46x; 9,35%)

πιστεύω (11), οἶδα (9), θαυμάζω (5), μετανοέω (4), μιμνῄσκομαι (4), συνίημι (4), δοκιμάζω (3), ἐπιλανθάνομαι (3), κρίνω (3) καταπαύω (5), ἔρχομαι (3), μένω (3), ἀφίημι (3), εἰσπορεύομαι (3), καθίστημι (3) ποιέω (113), ἐργάζεσθαι (17), δίδωμι (17), δικαιόω (9), εὑρίσκω (8), κλώθω (8), συντελέω (6), τελειόω (6), ἀποδίδωμι (5), δείκνυμι (5), φυλάσσω (5), λειτουργέω (5), ἐσθίω (4), πράσσω (4), ἀναστρέφω (4), δεῖ (4), νήθω (4), συντάσσω (4), παιδεύω (3), ἀνακαλύπτω (3), ἐπιτίθημι (3), καθαιρέω (3), καταλύω (3), κατευθύνω (3), οἰκοδομέω (3), παρέχω (3), πληρόω (3), συμπλέκω (3), τελέω (3), τίθημι (3) λέγω (21), εὐλογέω (5), ἀναγγέλλω (4), ἀποκρίνομαι (3), καλέω (3), λαλέω (3), ᾄδω (3), δοξάζω (3), ὀνειδίζω (3), παλαιόω (3) εἰμί (66), ἔχω (15), γίνομαι (12)

Verben der Fortbewegung (20x; 4,07%) Verben der objektbezogenen Handlung (264x; 53,65%)

Kommunikationsverben (51x; 10,37%) Zustandsbeschreibungen (93x; 18,90%)

Eine signifikant hohe Verwendung finden Verben der objektbezogenen Handlung. F. Wagener beschreibt diese Verbklasse wie folgt: Sie [die Verben] bewirken die Veränderung einer Entität in der Erzählten Welt und wenn es nur der eigene Körper ist. Insgesamt machen Körperbewegungen und Gesten einen wesentlichen Anteil aus – auch fast alle typisch beruflichen Tätigkeiten fallen in diesen Bereich. (…) Das Subjekt (…) solcher Verben wird besonders in Aktion gezeigt, da die körperliche Dimension einer Handlung bei diesen Verben i. d. R. betont ist.91

Dementsprechend werden neben allgemeinen Beschreibungen des Handelns (z. B. ποιέω, πράσσω usw.) Fachtermine aus der Berufs- und Arbeitswelt wie κλώθω, νήθω, οἰκοδομέω u. a. verwendet. 3.3 Semantisch-orientierte Kollokationsanalyse Das Lexikon von J. E. Louw und E. A. Nida ist im Gegensatz zu vielen anderen Lexika anhand semantischer Bereiche organisiert und stellt damit eine Besonderheit in der neutestamentlichen Lexikographie dar.92 Die semantischen Bereiche lassen sich in vier semantische Klassen gliedern:

91

WAGENER 2015:110. LOUW & NIDA 1988:vi; vgl. O’DONNELL 2005:336. S. E. Porter und M. B. O’Donnell bemängeln den Umstand, dass das Potenzial einer anhand semantischer Bereiche durchgeführte Analyse in der neutestamentlichen Forschung noch nicht vollends ausgeschöpft wurde und bieten ein Anschaungsbeispiel für den Römerbrief (vgl. PORTER & O’DONNELL 2000:158–164). 92

128

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

(1) entities (domains 1–12), (2) activities (domains 13–57), (3) characteristics (domains 58–88) and (4) relations (domains 89–90).93

Die nachfolgende Übersicht zeigt die Zuordnung aller Kollokationen neben ἔργον und ἐργάζεσθαι in diese semantischen Bereiche.94 Dabei werden nur die Bereiche aufgelistet, die im Blick auf das Nomen eine Frequenz von mindestens 25x und im Blick auf das Verb eine Frequenz von mindestens 5x aufweisen. Viele Begriffe werden wegen im Lexikon von J. E. Louw und E. A. Nida ihrer semantischen Vielschichtigkeit mehreren semantischen Bereichen zugeordnet. Die folgende Darstellung ordnet solche Begriffe jeweils dem ersten semantischen Bereich zu.95 Tabelle 13: ἔργον und ἐργάζεσθαι nach semantischen Bereichen geordnet ἔργον 92: Discourse Referentials 89: Relations 83: Spacial Positions 59: Quantity

Anzahl 1598 934 404 215

84: Spacial Extensions 90: Case 58: Nature, Class, Example 69: Affirmation, Negation 13: Be, Become, Exist, Happen

214 165 154 129 122

12: Supernatural Beings and Powers 33: Communication 88: Moral and Ethical Qualities and Related Behaviour 91: Discourse Markers 8: Body, Body Parts and Body Products 67: Time 93

Anzahl 235 156 40 36

98

ἐργάζεσθαι 92: Discourse Referentials 89: Relations 69: Affirmation, Negation 88: Moral and Ethical Qualities and Related Behaviour 83: Spacial Positions 84: Spacial Extensions 42: Perform, Do 59: Quantity 1: Georgraphical Objects and Features 90: Case

87 86

58: Nature, Class, Example 67: Time

11 9

68 48

71: Mode 91: Discourse Markers

9 7

47

61: Sequence

7

34 22 19 19 16 12

O’DONNELL 2005:337. Die Domäne 93 (Namen von Personen und Orten) ist nach M. B. O’Donnel am besten in der ersten semantischen Klasse zu verorten (:337f). Die Domäne „91 Discourse Markers“ und teilweise „89 Relations“ umfassen im Wesentlichen Konjunktionen bzw. sogenannte Binde-Wörter (LOUW & N IDA 1988:vi; zu den Konjunktionen vgl. PRESTEL 2008:167–172), während die „Domain 92 Discourse Referentials includes pronominal and deictic expressions“ (LOUW & NIDA 1988:vi). 94 Berücksichtigt wurden alle Worte, die im Abstand von jeweils vier Token links und rechts von ‚xʻ stehen und die mindestens 3x im Korpus vorkommen. 95 Ähnlich O’DONNELL 2005:347.

3. Sprachformen rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι ἔργον 57: Possess, Transfer, Exchange 9: People 64: Comparison 7: Constructions 42: Perform, Do 48: Activities involving Clothes

Anzahl 45 44 42 38 27 25

ἐργάζεσθαι 64: Comparison

129 Anzahl 5

Bei der Auswertung ist nicht die Anzahl der Okkurrenzen entscheidend als vielmehr die Rangfolge der semantischen Bereiche in der Übersicht.96 3.3.1 Allgemeine Beobachtungen Beim Verb ἐργάζεσθαι sind die meisten Domänen dem Bereich „characteristics“ zuzuordnen, während beim Nomen zwar dieser Bereich – sofern man die Domänen 89–92 ausklammert – überwiegt, sich jedoch auch Domänen in den Bereichen „entities“ und „activities“ wiederfinden. Die hohe Verwendung von Begriffen der Kommunikation (33: Communication) überrascht nicht, handelt es sich doch um den Einfluss des Hebräischen97 auf das Griechisch der LXX und des NT, aber auch die regelmäßige Verwendung von ἔργον und λόγος nebeneinander. Letzteres ist eine semantische Verknüpfung, die nach R. Heiligenthal im pagan-griechischen im Allgemeinen augenscheinlich ist. „Dabei gilt grundsätzlich, daß die Worte niedriger eingeschätzt werden als die Taten: Sie sind nur Schatten oder Abbilder der Werke.“98 Auffällig ist auch die Verwendung von ἔργον im Kontext der Domäne „48: activities involving clothes“. Diese semantische Verbindung kommt regelmäßig im Kontext des Stiftshüttenbaus im Pentateuch vor. Und schließlich ist der Zusammenhang mit den „12: Supernatural Beings and Powers“ (98x) und „8: Body, Body Parts and Body Products“ (48x) beachtenswert. Diese hohe Anzahl in diesen Feldern wird durch den Genitiv von κύριος, θεός und χείρ verursacht, ein bereits oben beschriebenes Phänomen. 3.3.2 Beobachtungen zur moralischen Signifikanz Für meine Fragestellung sind die ethische Dimension bzw. das Wirken und Tun (Abteilung 88. und 42.) von besonderem Interesse. Die dazu gehörigen Lexeme 96

O’DONNELL 2005:348. Die Verwurzelung des JohEv im Alten Testament und Frühjudentum ist in der Forschung in den letzten Jahrzehnten zunehmend erkannt und erprobt worden (vgl. z. B. den Kommentar von WENGST 2000:26–28). Für eine Übersicht hebräischer Begriffe, die in der LXX mit ἔργον und ἐργάζεσθαι übersetzt worden sind vgl. ENSOR 1996:87. 98 H EILIGENTHAL 1983:14–18. 97

130

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

werden häufig im Zusammenhang mit ἔργον und ἐργάζεσθαι gebraucht. Dabei fällt auf, dass das Verb im Vergleich zum Nomen deutlich häufiger im Kontext einer Sprache mit moralischer Signifikanz erscheint.99 Folgende Kollokationen, die eine ethische Wirkung aufgrund ihrer Semantik implizieren, werden neben ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus verwendet: Tabelle 14: Kollokationen mit einem ethischen Sinngehalt Semantischer Bereich 88: Moral and Ethical Qualities and Related Behaviour

42: Perform, Do

ἔργον ἀρετὴ, τελειώσω, καλῶν, καλὰ, καλὸν, ἀγαθὸν, ἀγαθῷ, τἀγαθὸν, πονηρὰ, πονηροῖς, εὖ, ἁγίου, δικαίων, δικαιοσύνης, δικαιοσύνην, θυμὸν, κακῶς, σχέτλια ἐργάζεσθαι, πρᾶξις, πράξεις, ἐνεργείᾳ, πρακτικοῖς

ἐργάζεσθαι καλὸν, καλὰ, κακὸν, δικαιοσύνην, ἀνομίαν, ἀδικίαν

ἔργα, ἔργον

Diese Übersicht zeigt, dass die Verbindung zwischen ἔργον bzw. ἐργάζεσθαι und den in der Tabelle dargestellten Begriffen sich nur auf wenige moralisch signifikante Lexeme bezieht: ἀρετή, καλός, ἀγαθός, πονηρός, εὖ, ἅγιος, δίκαιος bzw. δικαιοσύνη, κακός, θυμός, σχέτλιος, τελειόω, ἀνομία, ἀδικία, πρᾶξις und ἐνέργεια.100 Sieben dieser Begriffe sind Adjektive, die ein positives (z. B. καλός) bzw. negatives (z. B. πονηρός) Werturteil ausdrücken. Damit wird deutlich, dass die Werke bzw. die Wirkungstätigkeit häufig bewertet und damit präzisiert werden. Andererseits ist auch anzunehmen, dass durch Verbindungen mit ἔργον, πρᾶξις und ἐνέργεια über eine Tätigkeit ‚neutralʻ berichtet wird. R. Heiligenthal hat in seiner Studie wichtige Wortbindungen von ἔργον in pagan-griechischen Texten aufgelistet, ohne im Einzelnen die Auflistung näher zu begründen.101 Vergleicht man seine Übersicht mit den Ergebnissen hier, sind folgende Überschneidungen zu nennen: ἀρετή, ἀγαθός, πονηρός, καλός, κακός und πρᾶξις. Eine hohe Übereinstimmung findet sich auch in der

99

Vgl. beim Nomen insgesamt 113 ethische Kollokationen und beim Verb insgesamt 55 Kollokationen. Bedenkt man, dass das Verb deutlich seltener im Korpus verwendet wird, ist diese Beobachtung umso signifikanter. 100 In ihrem Kapitel „The language of morality“ stellt T. Morgen in Bezug auf die ‚populäre Ethikʻ fest: „The most basic words for ‚goodʻ and ‚badʻ are, in Greek, agathos and kakos. (…) The most popular of these [auch Synonyme von ἀγαθός und κακός], like the basic terms ‚goodʻ and ‚bad‘, are used for a wide variety of people, qualities and actions“ (2009:191f). 101 H EILIGENTHAL 1983:21–24.

4. Zusammenfassung

131

Textpassage der Nikomachischen Ethik zum ἔργον-Argument. Dabei verwendet Aristoteles Begriffe wie ἀρετή, καλός, ἀγαθός, εὖ, πρᾶξις und ἐνέργεια, die allesamt eine positive Semantik aufweisen.102

4. Zusammenfassung 4. Zusammenfassung

In diesem Kapitel habe ich einen in der modernen Linguistik neueren Zugang zur Analyse sprachlicher Phänomene erprobt. Da diese Methode der Korpuslinguistik in neutestamentlichen Studien bisher kaum zur Anwendung gekommen ist, war ihre Beschreibung und Konkretisierung in Bezug auf meine Forschungsfrage notwendig. Ziel dieser breiten Darstellung war die Erstellung eines tragfähigen Korpus, der Texte aus unterschiedlichen Zeiträumen, Regionen, Sprachstilen usw. beinhaltet. Das verbindende Element war die griechische Sprache, womit auch eine Begrenzung korpuslinguistischer Zugänge deutlich wird: Es können nur Texte ein und derselben Sprache miteinander verglichen werden. Weil aber das Ziel der Untersuchung nicht eine begriffsgeschichtliche Darstellung von ἔργον und ἐργάζεσθαι ist und eine empirisch-induktive Vorgehensweise gegenüber einer deduktiven Arbeitsweise vorzuziehen war, hat sich die Korpuslinguistik als lohnender Zugang erwiesen. Freilich kann die Auswahl der Texte in einem Korpus stets angefochten werden. Allerdings ist dagegen zu halten, dass die Auswahl der Texte – wie oben dargestellt – gewissen praktischen Zwängen unterworfen war, sich im Wesentlichen am Standardwerk zur Korpuslinguistik von M. B. O’Donnell orientierte und aus den gewonnenen Interpretationsergebnissen nicht beansprucht wird, die sprachliche Wirklichkeit der Antike an sich abbilden zu wollen. Vielmehr sind die Ergebnisse primär auf den dargestellten Korpus bezogen. Mit Hilfe der korpuslinguistischen Methode sind folgende Ergebnisse in Thesenform festzuhalten. (1) Eine signifikante Frequenz des Nomens ἔργον im JohEv im Verhältnis zum gesamten Korpus kann nicht mit Sicherheit behauptet werden. Anders verhält sich der Sachverhalt, wenn man beide Lexeme, nämlich ἔργον und ἐργάζεσθαι, berücksichtigt. Hier ist der Gebrauch zu fast 99% signifikant bzw. nicht zufällig. Allein ein solches Ergebnis legt es nahe, in einer Untersuchung zum JohEv neben dem Nomen auch das Verb miteinzubeziehen. Die überaus hohe Frequenz des Verbs ἐργάζεσθαι ist auch zu beobachten, wenn man das NT mit den anderen Texten des Korpus vergleicht. Daran ist neben dem JohEv besonders das Corpus Paulinum maßgeblich beteiligt. (2) Ungefähr 45 % der Texte im Korpus verwenden das Nomen ἔργον im Vergleich zum JohEv signifikant selten. Demgegenüber gibt es einige wenige

102

Vgl. EN I, 6 1097b 22–1098a 20 sowie 4. Kapitel, Pkt. 2.2.

132

5. Kap.: Ἔργον und ἐργάζεσθαι im Korpus antiker Texte

Texte, in denen ἔργον noch häufiger gebraucht wird, als es im JohEv der Fall ist (siehe Werke und Tage von Hesiod, das Sirachbuch und den Jakobusbrief). (3) In der Verwendung des Nomens nimmt die Nikomachische Ethik des Aristoteles eine besondere Rolle ein. Zwar ist die Frequenz mit der des JohEv vergleichbar, allerdings benutzt Aristoteles wie kein anderer allein das Nomen und verzichtet nahezu komplett (bis auf zwei Belege) auf die Verwendung des Verbs. Auffällig ist zudem, dass im Kontext des ἔργον-Arguments des Aristoteles nur positiv besetzte Begriffe gebraucht werden, während das JohEv und andere Texte im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι auch Begriffe, die eine negatives ethisches Urteil implizieren, verwenden.103 (4) Der Plural- und Akkusativgebrauch von ἔργον dominieren – ähnlich wie im JohEv – im Allgemeinen die grammatikalische Form des Nomens. (5) Wenn man die Häufung des Pronomens αὐτός in anaphorischer Funktion und die oftmals verwendeten Genitivattribute von κυρίος und θεός gemeinsam betrachtet, kann eine starke theologische Bezugnahme für die LXX, das NT und die frühjüdischen Texte festgestellt werden. (6) Andererseits legen andere Begriffe (wie z. B. χειρῶν und λατρευτὸν) eine anthropologische Dimension nahe, die auch einen Bezug zur profanen Arbeit mit ihren unterschiedlichen Gewerken implizieren. Als terminus technicus erscheint ἔργον regelmäßig, wenn es um den Bau der Stiftshütte geht und dort spezielle handwerkliche Leistungen gemeint sind. (7) Hervorgerufen durch die LXX ist das Nomen häufig in eine GebotVerbot-Struktur eingebettet, die sich im Zusammenhang mit den Gesetzen zum Sabbath äußert. Nur selten wird dabei ἐργάζεσθαι im Futur-Tempus gebraucht (Ex 20,9; 34,21). Sehr häufig konnotiert ἔργον mit dem Verb ποιέω. (8) Betrachtet man das Nomen ἔργον und die in Verbindung stehenden Verben, so sind über 50 % der Verbklasse „Verben der objektbezogenen Handlung“ zuzuordnen. Hier verteilt sich die Bedeutung auf allgemeine Verben des Handelns sowie auf Fachausdrücke aus der Berufs- und Arbeitswelt der Antike. (9) Ἔργον und ἐργάζεσθαι stehen häufig im Zusammenhang mit Begriffen der semantischen Bereiche „Moral and Ethical Qualities and Related Behaviour“ und „Perform, Do“.104 Dabei kommt das Verb signifikant häufiger in Kontexten moralischer Signifikanz vor als das Nomen. Der Bezug zu ethischen Werturteilen hat sich bestätigt. Das Nomen steht dann nicht für sich allein, sondern geht eine Verbindung mit einem ‚wertendenʻ Adjektiv oder anderen Nomen ein.

103

Vgl. Pkt. 3.3.2 und zum Vergleich der Nikomachischen Ethik und dem JohEv das 4. Kapitel, Pkt. 2.2 sowie Pkt. 4. 104 L OUW & NIDA 1988:512–516.743–777.

4. Zusammenfassung

133

Gemäß J. E. Louw und E. A. Nida, die aus sprachwissenschaftlichen Gründen in ihrem Lexikon Definitionen statt Übertragungen verwenden105, sind folgende Bedeutungen für ἔργον und ἐργάζεσθαι prägend: Ἔργον – „that which is done, with possible focus on the energy or effort involved“ oder „the result of someone’s activity or work“ oder „that which one normally does“.106 Und für ἐργάζεσθαι – „to engage in an activity involving considerable expenditure of effort“ bzw. „to be involved in business, with focus upon the work which is involved“ oder „markers of an agent relation with numerable events, with the probable implication of comprehensiveness“.107

105

Vgl. dazu LOUW & NIDA 1988:vii. LOUW & NIDA 1988:512.515. 107 L OUW & NIDA 1988:515.580.804. 106

6. Kapitel:

Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv Study of the ἔργα-passages leads us to the heart of the matter and the centre of Johannine christology and theology. (M. de Jonge)1

In diesem Kapitel analysiere ich den Textbefund von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv unter verschiedenen systematischen Gesichtspunkten. Dabei interessiert mich im Besonderen die Semantik der Lexeme. Ein System ist „ein Ganzes aus gleichartigen od. ungleichartigen Teilen od. Gliedern, die in geordneter Verbindung stehen od. als bloße Anhäufung gegeben sind“2. Im Gegensatz zum fünften Kapitel nehme ich eine Mikroperspektive ein und betrachte das sprachliche Handeln des Evangelisten aus gewissen Ordnungskriterien.3 Das Hauptaugenmerk liegt auf diesen Fragen: Mit welcher Intention verwendet Johannes ἔργον und ἐργάζεσθαι? Wird ἔργον zum terminus technicus und/oder zu einem ‚Bildbegriffʻ im JohEv? Inwiefern ist eine Polysemie wahrnehmbar? Was ist der im jeweiligen Kontext bezeichnete Gegenstandsbereich von ἔργον und ἐργάζεσθαι? Die methodische Grundlage dieser Analyse geben die linguistischen Prinzipien vor, die sich an der semantischen Wortfeldforschung orientieren.4 Da der Begriff semantisches Feld inflationär verwendet wird, erscheint mir an dieser Stelle (1) eine Präzisierung und eine Differenzierung zwischen dem literarischen und semantischen Wortfeld sinnvoll. (2) Danach werden die sprachlichsyntaktischen Verbindungen von ἔργον und ἐργάζεσθαι dargestellt und analysiert. Denn „eine Semantik der konkreten Sprachphänomene muss also die Wechselwirkung zwischen dem, was man ‚Lexembedeutungʻ (…) nennt, und der Satzbedeutung untersuchen“5. (3) Schließlich werden die Semantik von

1

DE JONGE 1978:122. HÖHN 2000:1216. In der antiken Literatur wird ein System in unterschiedlichen Kontexten gebraucht: „Aristoteles verwendet ihn in der Poetik (1456a 11), um die spezif. Beziehung v. Teil u. Ganzem im Epos gegenüber dem in der Tragödie gegebenen Verhältnis beider zu kennzeichnen“ (:1217). Bei Platon ist es ein Staatenbund. In der Nikomachischen Ethik ist die πόλις „ein zusammengesetztes Gebilde“, in der Stoa ist sie „ein durch Gesetze geordnetes Ganzes“ (:1217). 3 Zur Unterscheidung zwischen einer Mikro- und Makroperspektive vgl. FRITZ 2005:35f. 4 Siehe dazu das 3. Kapitel, Pkt. 4. 5 B USSE 2009:113. 2

1. Relation zw. literarischem und semantischem Wortfeld

135

ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv beschrieben und danach Angebote außersprachlicher Referenten vorgestellt.

1. Relation zwischen literarischem und semantischem Wortfeld 1. Relation zw. literarischem und semantischem Wortfeld

J. P. Louw weist auf viele außersprachliche Signale („extra-linguistic signs“) hin, die sprachliche Äußerungen mit ihrem Kontext begleiten.6 Deshalb kann die Semantik von Begriffen niemals nur im Wort selbst liegen. „They [die Worte] do contribute to understanding, yet in and out of themselves they contribute far less than is often assigned to them.“7 Deshalb ist die Interrelation, die zwischen dem Begriff selbst und seinem Kontext besteht, entscheidend für eine sachgemäße semantische Untersuchung: „It is extremely important in semantics to determine what comes from a lexical item and what comes from the context.“8 Darüber hinaus ist es aber nicht damit getan, für synonym wirkende Begriffe die gleiche Bedeutung anzunehmen und so etwa σημεῖον und ἔργον gleich zu setzen. Denn J. P. Louw argumentiert: One of the most far-reaching consequences involved the insight that meaning is not ‚another word‘. (...) Since words hardly ever overlap completely in semantic range, one cannot rely on a synonym as ‚another wordʻ to explain meaning. (...) Meaning is a definition and can only rarely be used as such to translate an utterance. We, therefore, use words as representatives to capture as much of the definition as is necessary or possible. Words are, in fact, concise representatives of meaning. (...) Having a number of words available as synonyms to represent a meaning allows for subtleties of style and diction.9

Diese Sensibilität für die Unzulässigkeit, Bedeutung allein in einem Wort zu suchen und auf andere Zusammenhänge zu übertragen, führte quer durch alle sprachwissenschaftlich orientierten Disziplinen seit den 1970er Jahren zur Beachtung semantischer Felder bzw. der Erweiterung von der Wort- auf die Satzbzw. Textsemantik.10 Nach K. Berger „gehören zu den semantischen Feldern außer verschiedensten Wortarten auch Formeln und ganze Satzteile. Vor allem aber sind auch die

6

Vgl. LOUW 1991:130; BUSSE 2009:120; DÜBBERS 2005:30; THISELTON 1977:79. LOUW 1991:130; vgl. BAXTER 2010–2011:7f. 8 L OUW 1991:133.137. 9 LOUW 1991:138.140; vgl. BAXTER 2010–2011:21f; DU T OIT 1997:41. Der Hinweis, dass es keine Synonyme gibt, ist nicht im absoluten Sinn gemeint. Vielmehr geht es um die Annahme, dass „no two lexical items ever have completely the same meanings in all of the contexts in which they might occur“ (LOUW & N IDA 1988:xvi; vgl. auch BUSSE 2009:104). 10 B USSE 2009:112–115. 7

136

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

Beziehungen zwischen literarischen Formen und semantischen Feldern zu beachten.“11 Allgemein kann gesagt werden: „Eine adäquate semantische Theorie (…) muß auf die Gebrauchszusammenhänge von Sprache eingehen.“12 Bei der Untersuchung der Semantik eines sprachlichen Ausdrucks fragt man nach seinem Vorkommen im Text (Performanz). Dabei geht es „um eine Deskription des Gebrauches eines Wortes bzw. Ausdrucks und um eine Darstellung des Beziehungsgeflechts, in dem seine Bedeutung konstituiert wird“13. In der Interpretation ist hierbei zwischen einem literarischen und semantischen (Wort-)Feld zu differenzieren. Ein [literarisches] Wortfeld ist daher eine paradigmatisch und syntagmatisch strukturierte Subklasse des Wortschatzes einer bestimmten Sprache. (…) Als ‚semantisches Feldʻ wird eine Gruppe von Lexemen bezeichnet, die konventionell miteinander assoziiert werden und infolgedessen regelmäßig in ‚clustersʻ in Texten begegnen. Es gibt jedoch nicht notwendigerweise Beziehungen zwischen ihnen, die auf formale Relationen reduziert werden können.14

Ihre Zusammengehörigkeit wird durch Assoziationen hervorgebracht, d. h. ein solches Feld kann über rein literarische Bezüge hinausgehen und beim Leser weitere Assoziationen erwecken.15 Aufgrund des inflationären Gebrauchs des Begriffs Feld ist eine solche Differenzierung sicher hilfreich. Bei der exegetischen Arbeit selbst werden beide Aspekte – sowohl das literarische als auch das semantische Wortfeld – einander bedingen.

11

BERGER 1991:159. DÜBBERS 2005:48. M. Dübbers plädiert in der Folge überzeugend für eine „kontextuelle Semantik“, die mit dem „textuellen“, dem „kommunikativen“ und dem „epistemische[n] Kontext als sinnkonstituierende Größe“ rechnet (:49–61). 13 DU TOIT 1997:40. Die semantische Theorie von J. Lyons, die D. S. Du Toit beschreibt und anwendet, soll kurz skizziert werden. Danach ‚produziertʻ jeder Ausdruck bei seiner Verwendung eine Beziehung zur außersprachlichen Welt und ebenso eine Relationen zu anderen Wörtern der betreffenden Sprache (innersprachliche Beziehungen; vgl. 1997:41; ähnlich URBAN 2001:94). Dieses Geflecht besteht aus Referenz, Denotation und Sinn. Referenz umschreibt die Relation zwischen einem sprachlichen Ausdruck und der außersprachlichen Realität in einer konkreten Äußerungssituation. Konkrete Arten referierender Ausdrücke sind Nominalphrasen, Eigennamen und Personalpronomen. Denotation bezeichnet das Verhältnis zwischen Lexemen und den Entitäten unabhängig von ihrer Funktion und Verwendung in einer sprachlichen Äußerung. Es ist hier z. B. an die Bedeutungsangebote zu einem konkreten Ausdruck in einem Lexikon von J. E. Louw und E. A. Nida zu denken. Mit Sinn ist ein System von Beziehungen zwischen einem Ausdruck und anderen Wörtern gemeint. Sinn und Denotation bestimmen einander gegenseitig und entsprechen den oben verwendeten Ausdrücken Kontext und Wortfeld gedacht (vgl. DU TOIT 1997:41–43). 14 D U T OIT 1997:44; Zum Begriff ‚Wortfeldʻ siehe auch M USSNER 1989:246. 15 D U TOIT 1997:44f; vgl. BUSSE 2009:108. Der Verfasser nennt die Lexeme „Professor“, „Student“, „Universität“, „Vorlesung“ – auch wenn in keiner literarischen Beziehung stehend, sind sie doch semantisch verwandt ( DU TOIT 1997:44). 12

2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen

137

2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen 2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen

Weil der Kontext eines Begriffs die Semantik desselben bedingt, untersuche ich zunächst die sprachlich-syntaktischen Verbindungen von ἔργον und ἐργάζεσθαι. Es geht in erster Linie um einen textinternen Fokus, der fragt, „wie der Text als ein in sich ganzes ‚Kunstwerkʻ oder sogar als kleine Welt für sich aufgebaut ist“16. 2.1 Kasus- und Numerus-Gebrauch von ἔργον im JohEv Das Verhältnis des Singular-Plural-Gebrauchs von ἔργον im JohEv ist bereits von mehreren Exegeten beobachtet worden:17 Der Überhang des Plurals sowie des Akkusativs findet sich auch in den anderen johanneischen Schriften wieder. Tabelle 15: Kasus- und Numerus-Gebrauch von ἔργον Nominativ JohEv: Sing. Joh 6,29 JohEv: Pl. Joh 3,19.20; 5,36; 7,7; 9,3; 10,25 JohBr: Sing. JohBr: Pl. Apk18: Sing. Apk: Pl.

16 EGGER &

– 1 Joh 3,12 Apk 22,12 Apk 14,13; 15,3

Genitiv Joh 10,33 –

Dativ – Joh 10,38

Akkusativ Joh 4,34; 7,21; 10,32; 17,4 Joh 5,20; 6,28; 7,3; 8,39.41; 9,4; 10,32.37; 14,10–12; 15,24 – 1 Joh 3,18 – – 2 Joh 1,11 1 Joh 3,8; 3 Joh 1,10 – – Apk 2,22; – Apk 2,2.5f.19(2).23.26; 9,20; 16,11 3,1f.8.15; 18,6; 20,12f

WICK 2011:107. Im Gegensatz dazu wird in kommunikationsorientierten Zugängen (z. B. bei der rhetorischen Analyse) gefragt, „was ein Text mit welchen Mitteln außerhalb von sich selbst (textextern) bewirken will“ (:107). „Beiden Perspektiven aber ist gemeinsam, dass sie untersuchen, wie sich ein Text organisiert“ (:108). 17 Vgl. KARAKOLIS 2012:194; RIEDL 1973:40–42; WEYER -MENKHOFF 2012a:81f. H. Löhr sieht darin jedoch keine semantische Vertiefung (2012:232; anders MOLONEY 2005:143). Der determinierte Singular in Joh 4,34 und 17,4 wird häufig als inclusio der anderen Werke Jesu interpretiert (vgl. FORESTELL 1974:50.56; LÖHR 2012:232; RIEDL 1973:43; THÜSING 1979:58; WEYER-MENKHOFF 2012a:82). Für eine traditionsgeschichtliche Einordnung von ἔργον und τελειόω als „Aufgabe eines Gesandten“ siehe HEILIGENTHAL 1983:136–138. 18 In der Apokalypse fallen neben dem sonstigen Plural einige formelhafte Sprachformen auf: Eine häufige Verbindung ist οὐ μετενόησαν ἐκ τῶν ἔργων αὐτῶν (Apk 16,11), die aus einer Verneinung, diesem Verb und dem Plural von ἔργον mit einem Pronomen besteht. Vgl. auch die formelhafte Ansprache des vor der Gemeinde auftretenden Christus: οἶδά σου τὰ ἔργα (Apk 2,2.19; 3,1.8.15. Christus bzw. der Sprecher „weiß um ihr Verhalten“ (HOLTZ 1989:426).

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6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

Dabei erscheint der Akkusativ in der Regel als einfacher Akkusativ des Objekts, also als der bezeichnete Gegenstand19, und ist zumeist mit Artikel determiniert (Joh 4,34; 6,28; 7,3; 8,39.41; 9,4; 10,37; 14,10–12; 15,24; 17,4).20 In seiner syntaktischen Funktion erhält der Akkusativ seine Handlung aus dem Verb und begrenzt es zugleich.21 Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, dass sich eine solche syntaktische Verbindung – ein Verb und der Akkusativ ἔργον – nur auf einige wenige Belegstellen im JohEv bezieht. - Das Wortfeld Handeln und Vollbringen: 9x ποίεω (Joh 7,21; 8,39.41; 10,37; 14,10.12(3x); 15,24); 2x τελειόω (Joh 4,34; 17,4) und 2x ἐργάζομαι (Joh 6,28; 9,4). Während τελειόω mit dem Singular ἔργον die Gesamtwirksamkeit Jesu im Evangelium umfasst22, meinen die anderen Verben grundsätzlich das Verrichten einzelner Handlungen. - Das Wortfeld Sehen und Zeigen: 2x δείκνυμι23 (Joh 5,20; 10,32) und 1x θεωρέω (Joh 7,3). - Das Wortfeld Glauben bzw. Vertrauen: 1x πιστεύω (Joh 14,11). Im Vergleich dieser drei Wortfelder ist der hohe Überhang des Handelns für das JohEv bedeutend. Der Plural von ἔργον kann hier semantisch betrachtet eine subsummierende (Joh 10,32) oder eine generalisierende (Joh 3,19; 7,3) Funktion einnehmen. 2.2 Grammatikalischer Gebrauch von ἐργάζεσθαι Das Deponens Medium ἐργάζεσθαι wird meist aktiv verwendet. Die tabellarische Übersicht zeigt, dass der Gebrauch des Präsens, d. h. ein unabgeschlossener Verbalaspekt, dominiert. Der Aorist fehlt völlig. 19

Vgl. WEYER-MENKHOFF 2012a:86. Zu den Unterschieden zwischen dem klassischen Griechisch und Koiné beim Kasus-Gebrauch vgl. WALLACE 1996:177. Korrespondierend zum Begriff ἔργον erscheint auch σημεῖον meist im Akkusativ (16x von insgesamt 17x). 20 In den verbleibenden Stellen erfolgt eine Näherbestimmung durch Adjektive (Joh 5,20; 10,32), ein Zahlwort (Joh 7,21) oder ein Interrogativpronomen (Joh 10,32). S. E. Porter schränkt die Bedeutung des Artikels für das hellenistische Griechisch ein, indem er schreibt: „…in Greek the presence or the absence of an article does not determine wether the substantive is particular or non-particular, categorial or individual“ (1999:105; vgl. in Bezug auf ἔργον LÖHR 2012:243). 21 „It receives the action of the verb. In this way it limits the verbal action“ (WALLACE 1996:179). 22 Vgl. MOLONEY 2005:143. Nach R. Heiligenthal eine typische Wortverbindung in pagan-griechischen Texten: „Hiermit wird die Gesamtwirksamkeit eines Menschen als vollständig auf die Tugend ausgerichtet beschrieben“ (1983:24). 23 R. Heiligenthal nennt diese Wortverbindung als typisches Kennzeichen in pagan-griechischen Texten „für den Rückschluß von Außen und Innen: Sie heben die Beweisfunktion menschlicher Werke besonders in Literaturgattungen des Genus epideiktikon hervor“ (1983:11f.22).

2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen

139

Tabelle 16: Genera verbi, Tempus und Modi von ἐργάζεσθαι Indikativ Präsens Konjunktiv Präsens Imperativ Präsens Infinitiv Präsens Partizip Perfekt

Medium 5,17(2); 6,30 6,28 6,27 9,4(2)

Passiv – – – – 3,21

Beachtenswert ist der Imperativ Präsens in Joh 6,27, wodurch Jesus die Menge auffordert, für eine bis ins ewige Leben bleibende Speise zu sorgen. Grammatikalisch hat dieser Imperativ Präsens die Vorliebe, „allgemeine Vorschriften (auch an einem Einzelnen) über das Verhalten und Tun“24 auszudrücken. Dass die Menge hieraus eine ernst gemeinte Aufforderung erkennt, verrät der nachfolgende Konjunktiv: τί ποιῶμεν ἵνα ἐργαζώμεθα τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ; (Joh 6,28). Eine Selbstaufforderung erscheint sodann auch in Joh 9,4 mit dem unpersönlichen Ausdruck δεῖ. Der Infinitiv drückt dort „die Richtung oder das Ziel“ der verpflichtenden Handlung aus.25 Die einzige Passiv-Form in Joh 3,21 hat Gott als wirkenden Akteur im Sinn. Das Tempus des Perfekt gehört „wegen des feierlichen, nachdrücklichen Stils“ elementar zum JohEv dazu und „vereinigt Perfekt und Aorist in sich“26. Die Rede von Gott als Handelnden und ‚letzte Ursacheʻ der als gut bewerteten Werke erinnert an Eph 2,10. Dort wie hier steht Gott hinter der Aktion und wird nachträglich so interpretiert.27 Gott ist „Urheber und Urgrund“ der Werke. „Damit werden diese Werke dem Menschen in keiner Weise abgesprochen. Im Gegenteil. Sie werden erst recht dem Menschen zugeeignet.“28 2.3 Syntaktische Verbindungen von ἔργον und ἐργάζεσθαι29 2.3.1 Gattungsspezifische Aspekte In Bezug auf die Lexeme ἔργον und ἐργάζεσθαι lassen sich gewisse gattungsspezifische Charakteristika im JohEv beobachten. Wenn man mit H.-U. Weidemann die „Erzählung (über Jesus)“ und die „Reden (durch Jesus selbst)“ als die „beiden grundlegenden Gattungen“ des Evangeliums anerkennt30, ist es bezeichnend, dass ἔργον und ἐργάζεσθαι zu einem signifikant hohen Anteil in der Rede-/Dialog-Gattung verwendet werden.31 Zu bedenken ist allerdings, dass 24

BLASS & D EBRUNNER 2001:274. BLASS & D EBRUNNER 2001:322. 26 B LASS & D EBRUNNER 2001:279. 27 Zu Joh 3,21 vgl. T HEOBALD 2009:277. 28 R IEDL 1973:395. 29 E GGER & WICK 2011:129f. 30 W EIDEMANN 2004:42. 31 Vgl. ENSOR 1996:89; WEIDEMANN 2004:53. 25

140

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

die johanneischen Dialoge oft in Monologe übergehen und ihre gegenseitige Abgrenzung kaum möglich ist.32 Daher plädiert H.-U. Weidemann im Verlauf seiner Studie für die Aufhebung des bipolaren Modells „Rede- vs. Erzählstoff“ und für die Kategorie „direkte Rede“ bzw. für die „unter dem Gesichtspunkt der Mimesis vorgenommene Unterscheidung der ‚Erzählung von Ereignissenʻ von der ‚Erzählung von Worten‘“33. Eine solche Präzisierung ist insofern beachtenswert, als dass mit der Bezeichnung Erzählung und den damit verbundenen Bezügen zu einer narrativen Ethik eine Perspektive eröffnet wird, die auch der Gattung Erzählung von Worten moralische Signifikanz narrativer Reflexionsformen zubilligt. Freilich setzt dies eine bestimmte Deutung narrativer Ethik voraus, in der Erzählungen als „Forschungsreisen durch das Reich des Guten und Bösen“34 und/oder „als Grundkonzept menschlichen Seins“35 aufgefasst werden. Die beteiligten Redepartner in der Erzählung von Worten beschränken sich auf die Jünger, die Volksmenge, die Brüder Jesu und die Juden36. Die Tabelle stellt alle Belege von ἔργον und ἐργάζεσθαι in chronologischer Reihenfolge37, die Bezeichnung der Makro-Gattung (Erzählung oder Rede), einen Auszug des betreffenden Textes und die Zuordnung zu einem thematischen Sinnbereich dar. Alle grammatischen Formen der untersuchten Wortfamilie sind unterstrichen, unmittelbare und wichtige syntaktische Verbindungen werden punktiert. Erstgenannte sind hier stets Initiatoren des Dialogs. Trotz der oben ausgeführten Präzisierung bleibe ich der Einfachheit halber in der tabellarischen Übersicht bei der Differenzierung Erzählung und Rede.

32

Vgl. WEIDEMANN 2004:46. WEIDEMANN 2004:47f. 34 K. Joisten bei WAGENER 2015:9. 35 WAGENER 2015:10. Vgl. zu den verschiedenen Deutungen narrativer Ethik die übersichtliche Darstellung und Diskussion bei 2015:8–14 und das 2. Kapitel, Pkt. 2.2.2. 36 Zur facettenreichen Semantik („multifaceted semantic“) des Terminus οἱ Ἰουδαῖοι vgl. ZIMMERMANN 2013a:73f. 37 Vgl. ein ähnliches Vorgehen mit einer ausführlicheren Darstellung von „clusters“ bei KÖSTENBERGER 1998:31–37; TAM 2015:5–27. 33

141

2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen

Tabelle 17: ἔργον und ἐργάζεσθαι im ‚Textʻ des Evangeliums Joh

MakroGattung 3,19–21 Erzählung (Kommentar): Evangelist38

4,34

5,17

5,20.36

Rede (Dialog): JüngerJesus Rede (Spruch): Jesus

Rede: Jesus

6,27–30 Rede (Dialog): VolksmengeJesus

7,3.7

7,21

38

Rede (Dialog): Brüder-Jesus

Rede (Dialog): VolksmengeJesus

Textauszug (...) ἠγάπησαν οἱ ἄνθρωποι (...) ἦν γὰρ αὐτῶν πονηρὰ τὰ ἔργα (...) πᾶς γὰρ ὁ φαῦλα πράσσων (...) οὐκ ἔρχεται πρὸς τὸ φῶς, ἵνα μὴ ἐλεγχθῇ τὰ ἔργα αὐτοῦ (...) ὁ δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν ἔρχεται πρὸς τὸ φῶς, ἵνα φανερωθῇ αὐτοῦ τὰ ἔργα ὅτι ἐν θεῷ ἐστιν εἰργασμένα. (...) (...) λέγει αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς ἐμὸν βρῶμά ἐστιν ἵνα (...) καὶ τελειώσω αὐτοῦ τὸ ἔργον οὐχ ὑμεῖς λέγετε ὅτι (...) ὁ θερισμὸς ἔρχεται (...) ἐδίωκον οἱ ἰουδαῖοι τὸν Ἰησοῦν (...) ὁ δὲ Ἰησοῦς ἀπεκρίνατο αὐτοῖς ὁ πατήρ μου ἕως ἄρτι ἐργάζεται κἀγὼ ἐργάζομαι διὰ τοῦτο οὖν μᾶλλον ἐζήτουν αὐτὸν οἱ ἰουδαῖοι ἀποκτεῖναι (...) (...) ὁ γὰρ πατὴρ φιλεῖ τὸν υἱὸν (...) καὶ μείζονα39 τούτων δείξει αὐτῷ ἔργα, ἵνα ὑμεῖς θαυμάζητε (...) ὑμεῖς δὲ (...) ἐγὼ δὲ (...) τὰ γὰρ ἔργα ἃ δέδωκέν μοι ὁ πατὴρ ἵνα τελειώσω αὐτά, αὐτὰ τὰ ἔργα ἃ ποιῶ μαρτυρεῖ περὶ ἐμοῦ ὅτι ὁ πατήρ με ἀπέσταλκεν (...) καὶ εἶπεν (...) ἐργάζεσθε (...) τὴν βρῶσιν τὴν μένουσαν εἰς ζωὴν αἰώνιον, ἣν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ὑμῖν δώσει (...) εἶπον οὖν πρὸς αὐτόν τί ποιῶμεν ἵνα ἐργαζώμεθα τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ·(...) ἀπεκρίθη ὁ Ἰησοῦς (...) τοῦτό ἐστιν τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ, ἵνα πιστεύητε εἰς ὃν ἀπέστειλεν ἐκεῖνος (...) εἶπον οὖν αὐτῷ τί οὖν ποιεῖς σὺ σημεῖον, ἵνα ἴδωμεν καὶ πιστεύσωμέν σοι·τί ἐργάζῃ·οἱ πατέρες ἡμῶν τὸ μάννα ἔφαγον ἐν τῇ ἐρήμῳ (...) εἶπον οὖν (...) οἱ ἀδελφοὶ αὐτοῦ (...) ὕπαγε εἰς τὴν ἰουδαίαν, ἵνα καὶ οἱ μαθηταί σου θεωρήσουσιν σοῦ τὰ ἔργα ἃ ποιεῖς (...) οὐ δύναται ὁ κόσμος μισεῖν ὑμᾶς, ἐμὲ δὲ μισεῖ, ὅτι ἐγὼ μαρτυρῶ περὶ αὐτοῦ ὅτι τὰ ἔργα αὐτοῦ πονηρά ἐστιν (...) (...) ἀπεκρίθη ὁ ὄχλος δαιμόνιον ἔχεις (...) ἀπεκρίθη Ἰησοῦς (...) ἓν ἔργον ἐποίησα καὶ πάντες θαυμάζετε (...)

Sinnbereich

Ethik

Christologie, Ekklesiologie

Theologie, Christologie

Theologie, Christologie

Ethik, Soteriologie

Ethik

Christologie, Soteriologie

Wer hier redet, ist strittig. Siehe dazu 7. Kapitel, Pkt. 2.1.1. Indirekt ist auch Joh 5,36 anzuführen, wonach das Zeugnis von Jesus größer ist als das von Johannes. Der qualitative ‚Überhang‘ liegt nämlich in den Werken (τὰ γὰρ ἔργα ἃ δέδωκέν μοι ὁ πατὴρ). 39

142

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

Joh

MakroGattung Rede (Dialog): Juden-Jesus

Textauszug

(...) ἀπεκρίθησαν (...) ὁ πατὴρ ἡμῶν ἀβραάμ ἐστιν λέγει (...) ὁ Ἰησοῦς εἰ τέκνα τοῦ ἀβραάμ ἐστε, τὰ ἔργα τοῦ ἀβραὰμ ἐποιεῖτε (...) τοῦτο ἀβραὰμ οὐκ ἐποίησεν ὑμεῖς ποιεῖτε τὰ ἔργα τοῦ πατρὸς ὑμῶν εἶπαν οὖν (...) (...)·ἀπεκρίθη Ἰησοῦς οὔτε οὗτος ἥμαρτεν οὔτε 9,3f Rede οἱ γονεῖς αὐτοῦ, ἀλλ᾽ ἵνα φανερωθῇ τὰ ἔργα (Dialog): Jünger-Jesus τοῦ θεοῦ ἐν αὐτῷ (...) ἡμᾶς δεῖ ἐργάζεσθαι τὰ ἔργα τοῦ πέμψαντός με ἕως ἡμέρα ἐστίν ἔρχεται νὺξ ὅτε οὐδεὶς δύναται ἐργάζεσθαι (...) (...) ἀπεκρίθη αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς εἶπον ὑμῖν καὶ 10,25 Rede (Dialog): Juden- οὐ πιστεύετε τὰ ἔργα ἃ ἐγὼ ποιῶ ἐν τῷ ὀνόματι Jesus τοῦ πατρός μου ταῦτα μαρτυρεῖ περὶ ἐμοῦ ἀλλὰ ὑμεῖς οὐ πιστεύετε (...) (...) ἀπεκρίθη αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς πολλὰ ἔργα 10,32f.3 Rede (Dia7f log): Juden- καλὰ ἔδειξα ὑμῖν ἐκ τοῦ πατρός διὰ ποῖον Jesus αὐτῶν ἔργον ἐμὲ λιθάζετε· (...) ἀπεκρίθησαν αὐτῷ οἱ ἰουδαῖοι περὶ καλοῦ ἔργου οὐ λιθάζομέν σε ἀλλὰ περὶ βλασφημίας, καὶ ὅτι σὺ ἄνθρωπος ὢν ποιεῖς σεαυτὸν θεόν (...) εἰ οὐ ποιῶ τὰ ἔργα τοῦ πατρός μου, μὴ πιστεύετέ μοι (...) εἰ δὲ ποιῶ, κἂν ἐμοὶ μὴ πιστεύητε, τοῖς ἔργοις πιστεύετε, ἵνα γνῶτε καὶ γινώσκητε ὅτι ἐν ἐμοὶ ὁ πατὴρ κἀγὼ ἐν τῷ πατρί (...) (...) τὰ ῥήματα (...) ἀπ᾽ ἐμαυτοῦ οὐ λαλῶ, ὁ δὲ 14,10– Rede (Dia12 log): Jünger- πατὴρ ἐν ἐμοὶ μένων ποιεῖ τὰ ἔργα αὐτοῦ (...) Jesus πιστεύετέ μοι ὅτι ἐγὼ ἐν τῷ πατρὶ καὶ ὁ πατὴρ ἐν ἐμοί εἰ δὲ μή, διὰ τὰ ἔργα αὐτὰ πιστεύετε (...) ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ τὰ ἔργα ἃ ἐγὼ ποιῶ κἀκεῖνος ποιήσει καὶ μείζονα τούτων ποιήσει, ὅτι ἐγὼ πρὸς τὸν πατέρα πορεύομαι (...) 15,24 Rede: Jesus (...) ὁ ἐμὲ μισῶν καὶ τὸν πατέρα μου μισεῖ εἰ τὰ ἔργα μὴ ἐποίησα ἐν αὐτοῖς ἃ οὐδεὶς ἄλλος ἐποίησεν, ἁμαρτίαν οὐκ εἴχοσαν νῦν δὲ καὶ ἑωράκασιν καὶ μεμισήκασιν καὶ ἐμὲ καὶ τὸν πατέρα μου 17,4 Rede (Ge(...) ἐγώ σε ἐδόξασα ἐπὶ τῆς γῆς τὸ ἔργον bet): Jesus τελειώσας ὃ δέδωκάς μοι ἵνα ποιήσω (...) 8,39.41

Sinnbereich

Ethik

Ekklesiologie, Soteriologie, Christologie

Christologie, Soteriologie

Christologie, Soteriologie, Ethik

Theologie, Christologie, Ekklesiologie

Soteriologie, Ethik

Soteriologie

Die Tabelle verdeutlicht, dass ἔργον und ἐργάζεσθαι häufig in der Gattung der Rede bzw. der Erzählung von Worten vorkommen. „Nowhere (if 3.16–21 is excluded) is the word ἔργον [und ἐργάζεσθαι] used in the narrative sections of the Gospel.“40 40

ENSOR 1996:89.

2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen

143

Folgt man der These, dass Joh 3,19–21 dem Kommentar des Evangelisten entspricht, dann bekommt dieser Abschnitt die Funktion einer deskriptiven Grundlegung, dem dann der Gebrauch in den Reden folgt. Dieser Tatbestand sowie die Ersterwähnung von ἔργον κτλ. in Joh 3,19–21 sind Indizien für die herausragende Besonderheit dieses Abschnitts im JohEv.41 Die Beobachtung, wonach ἔργον und ἐργάζεσθαι zumeist in Reden verwendet werden, verstärkt sich, wenn man ἔργον mit σημεῖον vergleicht. Knapp über die Hälfte der Vorkommen von σημεῖον kommt ebenfalls in der Gattung Rede vor (Joh 2,18; 3,2; 4,48; 6,26.30; 7,31; 9,16; 10,41; 11,47). Dagegen wird der Ausdruckt 8x in der Gattung Erzählung gebraucht (vgl. Joh 2,11.23; 4,54; 6,2.14; 12,18.37; 20,30).42 H. Thyen hat sich in einem kurzen Artikel über die σημεῖον- und ἔργονTerminologie vehement gegen eine Unterschätzung von ἔργον κτλ. ausgesprochen.43 Nach dem Überblick sämtlicher Belege kommt er zu dem Schluss, dass „die eigentlich johanneische Pointe des Gebrauchs dieser Lexeme darin [besteht], daß die ,guten Werke‘, die etwa 6,28f als ,Werke Gottesʻ bezeichnet werden können, ihren Ursprung in Gott selbst und nicht im Menschen haben“44. Er unterscheidet zwischen einer „eher konventionellen“ und einer christologischen bzw. theologischen Verwendung von ἔργον κτλ., hebt die christologische bzw. theologische Verwendung aber als die eigentlich wichtigere johanneische Pointe hervor. Dagegen haben U. Schnelle und jüngst G. van Belle alle johanneischen Vorkommen von ἔργον κτλ. ohne Wertung in drei Sinnbereiche unterteilt: Es kann das gesamte Heilswerk Jesu bezeichnen, habe aber vor allem die Funktion eines Zeugnisses für die göttliche Sendung Jesu. Die Einheit des Vaters und des Sohnes zeigt sich in den ἔργα, die ihrerseits diese Einheit bezeugen. Erscheint ἔργα hier als soteriologische Größe, so wird eine ekklesiologische Bedeutung in den Werken der Jünger, eine ethische in den ἔργα πονηρά bzw. ἔργα ἀγαθά der Menschen sichtbar.45

Eine Abwertung der ekklesiologischen bzw. ethischen Bedeutung scheint mir nicht überzeugend. Vielmehr ist gerade die Polysemie der Lexeme wegen der besonderen johanneischen Forschungstradition häufig vernachlässigt worden. Die Zuordnung der Belegstellen in diese drei Sinnbereiche verdeutlicht eine

41

Siehe 7. Kapitel, Pkt. 1. Vgl. ENSOR 1996:90. 43 T HYEN 2007b:697–700. 44 T HYEN 2007b:697. 45 SCHNELLE 1987:167 (Hervorhebung von mir). Vgl. VAN BELLE 1994:385. Zu bedenken ist hier weiterhin, dass in der soteriologischen Größe die theologischen und christologischen Bezüge mitgedacht sind. Weiterhin ist im Sinne einer ‚ethischen Theologieʻ zu postulieren, dass in den dogmatischen Bezeichnungen (theologisch, christologisch, soteriologisch und ekklesiologisch) stets auch ein genuin ethischer Faktor wirksam ist (vgl. SEIBERT 2014:80). 42

144

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

semantische Überlappung. Und auch wenn die soteriologische (bzw. theologische und christologische) Bedeutung überwiegt, nimmt die ethische sowie ekklesiologische Bedeutung einen nicht unerheblichen Teil ein. Die tabellarische Übersicht zeigt zudem, dass alle Sinnbereiche mit der Gesamtstruktur des Evangeliums verwoben sind und auch untereinander ein semantisches Netzwerk bilden. 2.3.2 Monosemierung von ἔργον und ἐργάζεσθαι Bei polysemen Begriffen folgt in der Regel durch den sprachlichen und außersprachlichen Kontext die Monosemierung.46 Die folgenden Aspekte, die verschiedene Exegeten bereits beobachtet haben, tragen jeweils zu diesem Monosemierungsprozess von ἔργον und ἐργάζεσθαι bei. Tabelle 18: Monosemierung von ἔργον und ἐργάζεσθαι Syntaktische Verbindungen mit Gott (...θοῦ θεοῦ48)

Genitiv-Verbindungen von ἔργον und einem mit Menschen oder Welt Substantiv, einem submit Jesus stantivierten Partizip oder mit Abraham Pronomen47 mit dem Teufel mit πονηρός mit καλός Adjektivische Verbinmit μείζων (Komparativ) dungen49 mit ἕν Rückbezüge durch Relativkonstruktionen50

46

Stelle(n) u. a. in Joh 4,34; 6,28.29, 9,3.4; 10,37; 14,10 Joh 3,19.20.21; 7,7 Joh 7,3 Joh 8,39 Joh 8,41(44) Joh 3,19; 7,7 Joh 10,32.33 Joh 5,20; 14,12 Joh 7,21 Joh (5,20?), 5,36(2x); 7,3; 10,25; 14,12; 15,24; 17,4

BACHMANN 2005:95. Vgl. VAN BELLE 1994:384f; KARAKOLIS 2012:196; LÖHR 2012:235; WEYER-MENKHOFF 2012a:83f. 48 J. Frey analysiert die sprachlichen Parallelen zwischen der johanneischen Phrase τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ und den jeweiligen Belegen in den Qumran-Texten (vgl. 2004:133–135). Sein Fazit lautet: Die Liste der Parallelen erscheint eindrucksvoll, ließe sich noch verlängern und bezieht sich vor allem auf die dualistische Rede. Jedoch ist der Formel ἔργα τοῦ θεοῦ „kein exklusiv qumranischer Hintergrund aufgedrängt“, da diese Ausdrucksweise sich auch vielfach im AT wiederfindet (vgl. Ex 34,10; Ps 107,24; Dan 11,7; Jer 51,10; Ps 111,2 u. a.; vgl. FREY 2004:134). 49 Vgl. WEYER-MENKHOFF 2012a:85. 50 Subjekte der Relativsätze sind – bis auf die strittige Stelle in Joh 15,24 – Gott (3x) und Jesus (4x) (vgl. WEYER-MENKHOFF 2012a:84). 47

2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen Syntaktische Verbindungen

Determinierter Artikel: Singular und Plural

Überaus häufige Objektstellung im Satz51 Jesus

Das regierende Subjekt zu τὰ ἔργα52

Menschen Gott τὰ ἔργα aktiv τὰ ἔργα passiv

145

Stelle(n) Joh 4,34; 6,29; 17,4 (3x im Singular) Joh 3,19ff; 5,36; 6,28; 7,3.7; 8,39.41; 9,3f; 10,25.37f; 14,10ff; 15,24 (18x im Plural) Joh 4,34; 5,20; 5,36(3x); 6,28; 7,3 (2x).21; 8,39.41; 9,4; 10,25.32.37(.38); 14,10.12(2x); 15,24(2x); 17,4(2x) 14x: Joh 4,34; 5,36(2x); 7,3.21; 9,4; 10,25.32.37(.38); 14,12; 15,24; 17,4 (2x) 9x: Joh (3,21); 6,28; 7,3; 8,39.41; 9,4; 14,12(2x); (15,24) 6x: 5,20(3x).36; 14,10; 17,4 2x: 5,36; 10,25 4x: 3,20; 3,21(2x); 9,3)

Die Tabelle veranschaulicht den Monosemierungsvorgang der ἔργα in verschiedensten syntaktischen Beziehungen. Die Genitiv-Attribute sowie die Relativsätze verorten ihre Zugehörigkeit bei Gott bzw. Jesus. Andererseits kann es sich auch an einigen Stellen um die Werke der Welt bzw. einiger Einzelpersonen handeln. Das grammatische Subjekt umfasst sowohl Jesus als auch den Vater und die Menschen. Insgesamt verbinden sich die Lexeme sehr häufig mit anderen attributiven Ausdrücken und werden damit im Text des Evangeliums genauer qualifiziert. 2.3.3 Die mit ἔργον verknüpften Verben53 Mit welchen Verben ist das Substantiv verbunden? Welche Charakteristika lassen sich dadurch ableiten? Und welche Phänomene sind besonders auffallend? Gerade die valenzorientierte Satzsemantik hat die Zentralität des Verbs und seine Bedeutung für eine semantische Untersuchung betont.54 Die folgende Tabelle stellt die syntaktischen Verknüpfungen zwischen ἔργον und den betreffenden Verben dar.55

51 K. Weyer-Menkhoff zählt unter Berücksichtigung der sich auf ἔργον beziehenden Pronomina bis zu 23x Belege, in denen die ἔργα Patiens einer Verbalhandlung und somit „Gegenstand einer Handlung“ sind (vgl. 2012a:86). 52 Vgl. WEYER-MENKHOFF 2012a:87. 53 Siehe V AN BELLE 1994:386–389; L ÖHR 2012:236; W EYER-MENKHOFF 2012a:87f. 54 Vgl. BUSSE 2009:116–121. 55 Siehe zum Vergleich mit dem antiken Korpus 5. Kapitel, Pkt. 3.2.

146

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

Tabelle 19: Kookkurierende Verben mit ἔργον im gleichen Bibelvers Verb und Anzahl λέγω (11); ἀποκρίνομαι (7)

Belegstelle Joh 4,34; 6,28f; 7,3.21; 8,39.41; 10,25; 14,10.12; 6,29; 7,21; 8,39; 9,3; 10,25.32f ποιέω (19) Joh 3,21; 4,34; 5,20.36; 6,28; 7,3.21; 8,39.41; 10,25.33.37f; 14,10.12; 15,24; 17,4 εἰμί (11) Joh 3,19.21; 4,34; 6,29; 7,7; 8,39; 9,4; 10,33; 14,10 πιστεύω (9) Joh 6,29; 10,25.37f; 14,10ff ἐργάζεσθαι (4) Joh 3,21; 6,28; 9,4 ἔρχομαι (4) Joh 3,19ff; 9,4 μισέω (4) Joh 3,20; 7,7; 15,24 δείκνυμι (3) Joh 5,20; 10,32 ἔχω (3) Joh 5,36; 8,41; 15,24 μαρτυρέω (3) Joh 5,36; 7,7; 10,25 τελειόω (3) Joh 4,34; 5,36; 17,4 Verb und Anzahl (ohne Stellennachweis) ἀποστέλλω (2), γινώσκω (2), δίδωμι (2), δύναμαι (2), θαυμάζω (2), πέμπω (2), φανερόω (2), λιθάζω (2), ἀγαπάω (1), ἁμαρτάνω (1), γεννάω (1), δεῖ (1), δοξάζω (1), ἐλέγχω (1), θεωρέω (1), λαλέω (1), μένω (1), μεταβαίνω (1), ὁράω (1), πορεύομαι (1), πράσσω (1), ὑπάγω (1), φιλέω (1), ἀπόλλυμι (1)

Die Übersicht verdeutlicht, dass ἔργον überaus häufig in Dialogstrukturen vorkommt, was die Verben λέγω und ἀποκρίνομαι nachweisen. Auch stehen Verben des Handelns und Vollbringens (ποιέω (19) , ἐργάζεσθαι (4), τελειόω (3) und πράσσω (1)) und Verben wie πιστεύω und μισέω, die eine innere Reaktion nahelegen, im Kontext von ἔργον. Beim Verb πιστεύω ist zu beobachten, dass der Gebrauch mit ἔργον im Verlauf des Evangeliums zunimmt (vgl. Joh 10; Joh 14) und dass dieses Verb oftmals in Beziehung zu den getätigten Werken (ποιέω) steht. Die Verben μισέω (4), θαυμάζω (2), λιθάζω (2) und ἐλέγχω (1) deuten mit ihrer Semantik den Konflikt bzw. die Auseinandersetzung an, die sich immer wieder im Evangelium ereignet. Fragt man nach den Verben, die im selben Satz mit ἔργον verwendet werden, zeigen sich keine nennenswerten Unterschiede: Tabelle 20: Kookkurierende Verben mit ἔργον im selben Satz56 Verb, nach Anzahl sortiert

56

ποιέω (19), εἰμί (7), πιστεύω (7), ἐργάζεσθαι (4), μισέω (3), δείκνυμι (3), μαρτυρέω (3), τελειόω (3), δίδωμι (3), ἀποστέλλω (2), γινώσκω (2), θαυμάζω (2), λιθάζω (2), πέμπω (2), ἔρχομαι (2), φανερόω (2), ἁμαρτάνω (1), δεῖ (1), ἐλέγχω (1), θεωρέω (1), λαλέω (1), μένω (1), μεταβαίνω (1), πορεύομαι (1), πράσσω (1), ὑπάγω (1), φιλέω (1), ἀπόλλυμι (1), λέγω (1), ἔχω (1), δοξάζω (1), δύναμαι (1)

Als Satz definiere ich hier aus heuristischen Gründen syntaktische Formen, die im Griechischen mit Punkt, Hochpunkt oder Semikolon enden. Zum ‚Satzʻ aus sprachwissenschaftlicher Sicht siehe BUSSE 2009:115–121.

2. Sprachlich-syntaktische Verbindungen

147

Vergleicht man diese tabellarische Übersicht mit den Wortverbindungen pagan-griechischer Texte bei R. Heiligenthal, kommen die Verben δείκνυμι, μαρτυρέω, τελειόω, γινώσκω und ἐλέγχω dort wie hier vor. Nach Ansicht von R. Heiligenthal sind diese Wortverbindungen häufig der Gerichtssprache und der Bewertung des menschlichen Verhaltens entlehnt.57 2.4 Zusammenfassung Die Untersuchung der syntaktischen Beziehungen hat deutlich gemacht, dass (1) das Nomen als allgemeiner Terminus häufig eine Konkretisierung durch syntaktische Verbindungen nach sich zieht, was durch Attribute, Relativsätze und Adjektive im Text des Evangeliums vollzogen wird. (2) Bis auf zwei aktivische Verwendungen, in denen wiederkehrend τὰ ἔργα ... μαρτυρεῖ (Joh 5,36; 10,25) erscheint, nennt Johannes unterschiedlich handelnde Subjekte. Das Besondere ist nun nicht, dass mit dem Nomen ein Subjekt als Handlungsträger der Werke eingeführt wird, sondern dass im JohEv unterschiedliche Figuren als Subjekt fungieren und die Werke nicht allein auf die Hauptfigur Jesus begrenzt sind. Die Werke werden unterschiedlichen Akteuren zugeordnet, insbesondere durch Attribute im Genitiv und in Relativsätzen. Die Vielfalt der Bezüge erstaunt. Diese Zuordnung geschieht durch Selbstzuschreibung – der Akteur selbst deutet auf seine Werke hin – und durch Fremdzuchreibung – eine dritte Person nimmt Bezug auf die Werke eines Anderen. Im JohEv ist es nur Jesus, der selbst über seine Werke redet. (3) Das Nomen wird in Joh 3,19; 7,7; 10,32f mit den wertenden Adjektiven πονηρός und καλός verbunden. Im Gegensatz zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles urteilt der johanneische Text negativ über die Werke der Menschen bzw. der Welt (Joh 3,19; 7,7).58 Der Komparativ μείζων könnte sowohl eine quantitaive als auch qualitative Bedeutung implizieren. (4) Bis auf die Konstruktion einer Figura etymologica erscheint das Verb als ‚Synonymʻ zu ποιέω (besonders in Joh 6,30). Andere sprachliche Beobachtungen lassen sich wegen des gelegentlichen Gebrauchs des Verbs kaum ausmachen. (5) Die Werksterminologie ist mit der Gesamtstruktur des Evangeliums verwoben und kommt zumeist im ‚Reden-Stoffʻ vor. Sie impliziert einen soteriologischen (theologisch-christologischen), ethischen und ekklesiologischen Sinnbereich.

57 58

Vgl. HEILIGENTHAL 1983:22–24. Vgl. 4. Kapitel, Pkt. 2.2.

148

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

3. Semantische Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι 3. Semantische Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι

In welchen semantischen Wortfeldern kommen nun ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv vor? Bereits J. Riedl stellte in seiner Habilitationsschrift fest: „Die johanneischen Werk-Aussagen berühren und durchziehen ein gewaltiges theologisches Begriffsfeld, das zum großen Teil die theologischen Hauptbegriffe des JEs umfaßt.“59 Im Folgenden folge ich dieser Leitfrage und untersuche das semantische Wortfeld von ἔργον κτλ. 3.1 Angebote semantischer Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι Semantische Wortfelder beziehen sich ja nicht allein auf literarische Relationen im Text. Nichtsdestotrotz beginnt eine semantische Untersuchung mit der Interpretation dieser Verbindungen. Überblickt man alle Texte, in denen ἔργον und ἐργάζεσθαι vorkommen, und nimmt man den unmittelbaren Kontext hinzu, konzentriert sich der Sachverhalt auf folgende Begriffe, die im Wesentlichen die Wortarten Nomen, Verben und Adjektive umfassen (stets in der Grundform dargestellt und immer nur 1x erwähnt). Tabelle 21: Wichtige Begriffe rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι Belegstelle Joh 3,18–21

Joh 4,31–38

Joh 17,1–5

Joh 5,16–18 Joh 5,19–20 Joh 5,31–38

59

Begriffe rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι πιστεύω, κρίνω, ὄνομα, μονογενής υἱός, θεός, κρίσις, φῶς, ἔρχομαι, κόσμος, ἀγαπάω, ἄνθρωπος, μᾶλλον, σκότος, πονηρός, ἔργον, πᾶς, φαῦλος, πράσσω, μισέω, ἐλέγχω, ποιέω, ἀλήθεια, φανερόω, ἐργάζομαι μαθητής, ἐσθίω, βρῶσις, οἶδα, βρῶμα, ποιέω, θέλημα, πέμπω, τελειόω, ἔργον, λέγω, θερισμός, ἔρχομαι, ἐπαίρω, ὀφθαλμός, θερίζω, μισθός, λαμβάνω, συνάγω, καρπός, ζωή αἰώνιος, ἀληθινός, ἀποστέλλω, κοπιάω, κόπος λαλέω, Ἰησοῦς, ὀφθαλμός, οὐρανός, πατήρ, ἔρχομαι, ὥρα, δοξάζω, υἱός, δίδωμι, ἐξουσία, σάρξ, πᾶς, ζωή αἰώνιος, γινώσκω, ἀποστέλλω, Χριστός, γῆ, ἔργον, τελειόω, ποιέω, δόξα, ἔχω, κόσμος διώκω, Ἰουδαῖος, Ἰησοῦς, ποιέω, σάββατον, πατήρ, ἄρτι, ἐργάζομαι, μᾶλλον, ζητέω, ἀποκτείνω, λύω, θεός Ἰησοῦς, ἀμήν, δύναμαι, υἱός, ποιέω, βλέπω, πατήρ, ὁμοίως, φιλέω, πᾶς, δείκνυμι, μέγας, ἔργον, θαυμάζω μαρτυρέω, μαρτυρία, ἀληθής, οἶδα, ἀποστέλλω, Ἰωάννης, ἀλήθεια, ἄνθρωπος, λαμβάνω, σῴζω, λύχνος, καίω, φαίνω, θέλω, ἀγαλλιάω, ὥρα, φῶς, ἔχω, μέγας, ἔργον, δίδωμι, πατήρ, τελειόω, ποιέω, πέμπω, φωνή, ἀκούω, εἶδος, ὁράω, λόγος, μένω, πιστεύω

RIEDL 1973:42.

3. Semantische Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι Belegstelle Joh 10,22–31

Joh 8,37–41

Joh 9,1–5

Joh 14,8–14

Joh 6,26–30

Joh 7,2–9

Joh 7,20–24

Joh 10,32–42

Joh 15,22–24

149

Begriffe rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι γίνομαι, ἐγκαίνια, Ἱεροσόλυμα, χειμών, περιπατέω, Ἰησοῦς, ἱερόν, στοά, Σολομών, κυκλόω, Ἰουδαῖος, ψυχή, αἴρω, Χριστός, παρρησία, πιστεύω, ἔργον, ποιέω, πατήρ, μαρτυρέω, πρόβατον, φωνή, ἀκούω, γινώσκω, ἀκολουθέω, δίδωμι, ζωή αἰώνιος, ἀπόλλυμι, αἰών, ἁρπάζω, αὐτός, χείρ, πᾶς, μέγας, δύναμαι, βαστάζω, λίθος, λιθάζω οἶδα, σπέρμα, Ἀβραάμ, ζητέω, ἀποκτείνω, λόγος, χωρέω, ὁράω, πατήρ, λαλέω, ἀκούω, ποιέω, Ἰησοῦς, τέκνον, ἔργον, ἄνθρωπος, ἀλήθεια, θεός, πορνεία, γεννάω, ἔχω παράγω, ὁράω, ἄνθρωπος, τυφλός, γενετή, μαθητής, ῥαββί, ἁμαρτάνω, γονεύς, γεννάω, Ἰησοῦς, φανερόω, ἔργον, θεός, ἐργάζομαι, πέμπω, ἡμέρα, ἔρχομαι, νύξ, δύναμαι, κόσμος, φῶς κύριος, δείκνυμι, πατήρ, ἀρκέω, Ἰησοῦς, χρόνος, γινώσκω, Φίλιππος, ὁράω, πιστεύω, ῥῆμα, μένω, ποιέω, ἔργον, ἀμήν, μέγας, πορεύομαι, αἰτέω, ὄνομα, δοξάζω, υἱός Ἰησοῦς, ἀμήν, ζητέω, ὁράω, σημεῖον, ἐσθίω, ἄρτος, χορτάζω, ἐργάζομαι, βρῶσις, ἀπόλλυμι, μένω, ζωή αἰώνιος, υἱός, ἄνθρωπος, δίδωμι, πατήρ, σφραγίζω, θεός, ποιέω, ἔργον, πιστεύω, ἀποστέλλω ἐγγύς, ἑορτή, Ἰουδαῖος, σκηνοπηγία, ἀδελφός, μεταβαίνω, ὑπάγω, Ἰουδαία, μαθητής, θεωρέω, ἔργον, ποιέω, κρυπτός, ζητέω, παρρησία, φανερόω, κόσμος, πιστεύω, Ἰησοῦς, καιρός, πάρειμι, δύναμαι, κόσμος, μισέω, μαρτυρέω, πονηρός, ἀναβαίνω, πληρόω, μένω, Γαλιλαία ὄχλος, δαιμόνιον, ἔχω, ζητέω, ἀποκτείνω, Ἰησοῦς, εἷς, ἔργον, ποιέω, πᾶς, θαυμάζω, Μωϋσῆς, δίδωμι, περιτομή, πατήρ, σάββατον, περιτέμνω, ἄνθρωπος, λαμβάνω, λύω, νόμος, χολάω, ὅλος, ὑγιής, κρίνω, ὄψις, δίκαιος, κρίσις Ἰησοῦς, πολύς, ἔργον, καλός, δείκνυμι, πατήρ, ποῖος, λιθάζω, Ἰουδαῖος, βλασφημία, ἄνθρωπος, ποιέω, θεός, γράφω, νόμος, λέγω, λόγος, γίνομαι, δύναμαι, λύω, γραφή, ἁγιάζω, ἀποστέλλω, κόσμος, βλασφημέω, υἱός, πιστεύω, γινώσκω, ζητέω, πιάζω, ἐξέρχομαι, χείρ, ἀπέρχομαι, Ἰορδάνης, τόπος, Ἰωάννης, βαπτίζω, μένω, ἔρχομαι, σημεῖον, πᾶς, ἀληθής, πολύς ἔρχομαι, ἁμαρτία, ἔχω, πρόφασις, μισέω, πατήρ, ἔργον, ποιέω, ἄλλος, ὁράω

Nach der Analyse dieser Textabschnitte scheinen mir folgende ‚Sinnlinienʻ (W. Egger und P. Wick) in Bezug auf ἔργον und ἐργάζεσθαι prägend zu sein. 3.1.1 „Du bist, was du tust“ Die ‚Werkeʻ sind Erweis des Wesens, des Charakters, der Vorlieben ihrer Subjekte. - κρίνω, κρίσις, φῶς, ἔρχομαι, κόσμος, ἀγαπάω, ἄνθρωπος, μᾶλλον, σκότος, πονηρός, ἔργον, πᾶς, φαῦλος, πράσσω, μισέω, ἐλέγχω, ποιέω, ἀλήθεια, φανερόω, ἐργάζομαι (Joh 3,18–21)

150

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

- σπέρμα, Ἀβραάμ, ζητέω, ἀποκτείνω, πατήρ, ποιέω, Ἰησοῦς, τέκνον, ἔργον, θεός (Joh 8,37–41) - ἄνθρωπος, τυφλός, γενετή, μαθητής, ῥαββί, ἁμαρτάνω, γονεύς, γεννάω (Joh 9,1–5) - κόσμος, μισέω, μαρτυρέω, ἔργον, πονηρός (Joh 7,2–9) - ἔρχομαι, ἁμαρτία, ἔχω, πρόφασις, μισέω, πατήρ, ἔργον, ποιέω, ἄλλος, ὁράω (Joh 15,22– 24)

Nicht was der Mensch sagt, sondern was er tut, entscheidet über sein Wesen. Ganz im Sinne antiker Philosophie bilden die ‚Werkeʻ die Grundlage der (charakterlichen) Beurteilung.60 „Wie noch oft im 4. Ev bezeichnet τὰ ἔργα τινός das gesamte Verhalten eines Menschen, sofern es unter den Gegensatz von gut und böse fällt.“61 Bedeutend ist dabei, dass das betreffende Verhalten stets negativ bewertet wird. Begriffe aus der Gerichtssprache betonen, dass hier Menschen beurteilt werden. Und auch die Sicht, dass für moralisch verwerfliche Taten eine Strafe durch Gott zu erwarten ist, wird aufgenommen und in einer konkreten Situation bewertet (siehe auch Joh 5,14). Dieses semantische Feld findet eine Überschneidung mit dem Nächstfolgenden. Allerdings ist hier im besonderen Maße das innere Wesen eines Subjekts im Blick, dort die ‚Konfliktsituation‘, die auch durch τὰ ἔργα herbeigeführt wird. 3.1.2 „An den Taten scheiden sich die Geister“ Die ‚Werkeʻ stehen im Kontext heftigster Opposition, die durch erregte Emotionen begleitet wird und in Gewalt übergehen kann. - διώκω, Ἰουδαῖος, Ἰησοῦς, ποιέω, σάββατον, πατήρ, ἄρτι, ἐργάζομαι, μᾶλλον, ζητέω, ἀποκτείνω, λύω, θεός (Joh 5,16–18) - θαυμάζω (Joh 5,19–20) - φωνή, ἀκούω, εἶδος, ὁράω, λόγος, μένω (Joh 5,31–38) - Ἱεροσόλυμα, περιπατέω, Ἰησοῦς, ἱερόν, Ἰουδαῖος, ψυχή, αἴρω, Χριστός, ἔργον, ποιέω, πρόβατον, φωνή, ἀκούω, γινώσκω, ἀκολουθέω (Joh 10,22–31) - σπέρμα, Ἀβραάμ, ζητέω, ἀποκτείνω, λόγος, χωρέω, ὁράω, πατήρ, λαλέω, ἀκούω, ποιέω, Ἰησοῦς, τέκνον, ἔργον, θεός (Joh 8,37–41) - Ἰησοῦς, ἀμήν, ζητέω, ὁράω, σημεῖον, ἐσθίω, ἄρτος, χορτάζω, ἐργάζομαι, βρῶσις, ἀπόλλυμι, μένω, ζωή αἰώνιος, υἱός, ἄνθρωπος, δίδωμι, πατήρ, σφραγίζω, θεός, ποιέω, ἔργον, πιστεύω, ἀποστέλλω (Joh 6,26–30) - ἀδελφός, Ἰησοῦς, καιρός, πάρειμι, δύναμαι, κόσμος, μισέω, μαρτυρέω, ἔργον, πονηρός (Joh 7,2–9) - ὄχλος, δαιμόνιον, ἔχω, ζητέω, ἀποκτείνω, Ἰησοῦς, εἷς, ἔργον, ποιέω, πᾶς, θαυμάζω, σάββατον, ἄνθρωπος, λύω, νόμος (Joh 7,20–24)

60

Vgl. HEILIGENTHAL 1983:1–6. ZAHN 1983:210. Th. Zahn spricht in der Folge vom sittlichen Charakter, der das gesamte Handeln der Menschen umfasst (:210). 61

3. Semantische Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι

151

- Ἰησοῦς, πολύς, ἔργον, καλός, δείκνυμι, πατήρ, ποῖος, λιθάζω, Ἰουδαῖος, βλασφημία, ἄνθρωπος, ποιέω, θεός, ἁγιάζω, βλασφημέω, υἱός, ζητέω, πιάζω, ἐξέρχομαι, χείρ (Joh 10,32–42)

Dieses semantische Feld ist in der johanneischen Konzeption des Evangeliums emotional aufgeladen. Die jeweils handelnden Personen sind provoziert, wünschen sich den Tod von Jesus. Mehrfach ist auch die Art der Tötung durch Steinigung62 genannt. Bedeutend ist, dass eindeutig nur Jesus der ‚Konfliktauslöserʻ ist. Die Sorge um eine mögliche Opposition im Zuge eines Bekenntnisses zu Christus kennt das JohEv aber auch bei anderen Figuren (z. B. Joh 12,22f). Jesus wiederum fordert seinerseits die Menge heraus und kritisiert sie für ihr Verhalten sowie ihr Wesen. Gelegentlich steht hier die Einladung im Raum, statt in der Dunkelheit zu verharren, sich dem Licht zu nähern (vgl. Joh 6,27f). Manchmal ist aber unklar, ob überhaupt eine negative Bewertung vorliegt (z. B. θαυμάζω in Joh 5,19–20). Erwartungsgemäß verteilen sich diese Stellen auf die ersten zwölf Kapitel des Evangeliums. 3.1.3 „Ich werde den Auftrag erfüllen“ Die ‚Werkeʻ werden im Sinne eines mission statements erörtert. Sie sind Teil eines Lebensauftrags und deuten auf die Sendung des Sohnes durch den Vater hin. - ἐσθίω, βρῶσις, βρῶμα, ποιέω, θέλημα, πέμπω, τελειόω, ἔργον (Joh 4,31–34) - Ἰησοῦς, πατήρ, ὥρα, δοξάζω, υἱός, δίδωμι, ἐξουσία, ἀποστέλλω, Χριστός, γῆ, ἔργον, τελειόω, ποιέω, δόξα, (Joh 17,1–5) - Ἰησοῦς, δύναμαι, υἱός, ποιέω, βλέπω, πατήρ, φιλέω, δείκνυμι, μέγας, ἔργον (Joh 5,19– 20) - ἀποστέλλω, δίδωμι, πατήρ, τελειόω, ποιέω, πέμπω (Joh 5,31–38) - πατήρ, δίδωμι, ζωή αἰώνιος, μέγας, δύναμαι (Joh 10,22–31) - ἀποστέλλω, κόσμος (Joh 10,32–42)

Hier ist Jesus ganz der Gesandte, der einen Auftrag des Vaters hat und diese mit allen Umständen erfüllen will. Die Ausdrücke über das Essen und die Speise verstärken nur die Einschätzung, dass dieser Auftrag ihm so wichtig und fundamental wie das ‚tägliche Brotʻ ist.63 Immer wieder wird hier die Verbindung des Vaters zum Sohn deutlich, die von Liebe, Zuneigung und Reziprozität geprägt ist.64 Ganz in der Rolle eines Gesandten wird dieser Auftrag zu Beginn (Joh 4,34) sowie am Ende (Joh 17,5) der Wirkungstätigkeit vorgestellt. 62

Dies war eine verbreitete Form der Lynchjustiz in der Antike (vgl. KOLLMANN 1998:47). 63 Die Verbindung zu Dtn 8,3 ist offenkundig. „No-one has ever exemplified the truth of Deuteronomy 8:3 in anything like the degree Jesus has“ (CARSON 1994:228). 64 Zur reziproken Immanenz von Vater und Sohn vgl. SCHOLTISSEK 1999:446f.

152

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

3.1.4 „Ich und wir leisten etwas Besonderes“ Die ‚Werkeʻ stehen für die messianische und missionarische Tätigkeit des Rabbi und seiner Schüler. - λέγω, θερισμός, ἔρχομαι, ἐπαίρω, ὀφθαλμός, θερίζω, μισθός, λαμβάνω, συνάγω, καρπός, ζωή αἰώνιος, ἀληθινός, ἀποστέλλω, κοπιάω, κόπος65 (Joh 4,35–38) - Ἰησοῦς, φανερόω, ἔργον, θεός, ἐργάζομαι, πέμπω, ἡμέρα, ἔρχομαι, νύξ, δύναμαι, κόσμος, φῶς (Joh 9,1–5) - ποιέω, ἔργον, ἀμήν, μέγας, πορεύομαι, αἰτέω, ὄνομα, δοξάζω, υἱός (Joh 14,8–14) - Ἰησοῦς, εἷς, ἔργον, ποιέω, πᾶς, θαυμάζω, σάββατον, ὑγιής (Joh 7,20–24)

Dass Jesus Wunder tut und damit im Gegensatz zu Johannes dem Täufer auffällt, wird im Text des Evangeliums mehrfach hervorgehoben (vgl. u. a. Joh 10,41f). Das Besondere ist, dass der Evangelist in seiner Erzählung immer wieder auch die Jünger von Jesus in diese Tätigkeit hineinnimmt bzw. ihnen sogar ‚größere Werkeʻ zugesichert werden. Das beginnt bereits keimhaft im Ernte-Gleichnis in Joh 4,35–38, als es noch primär um Jesu eigenen Auftrag geht. Aber schon hier deutet sich an, was im Verlauf der Evangeliums konkretisiert wird: Die Jünger sollen in die gemeinschaftliche Wirkungstätigkeit des Sohnes und des Vaters hinein kommen. Die Vater-Sohn-Beziehung wird auf die Jünger übertragen. Christsein im Sinne des JohEv ist Leben in einem Lebens- und Wohnraum, einer vita communis, die Jesus durch seine Lebenshingabe für die an ihn Glaubenden zugänglich gemacht hat, in der und aus der er selbst schon immer gelebt hat und weiterhin lebt.66

3.1.5 „Prüfe mich und meine Werke. Und glaube mir“ Die ‚Werkeʻ gelten als Einladung, die Wahrheit zu suchen, zu finden und um der Werke willen bei Ihm zu bleiben. - μαρτυρέω, μαρτυρία, ἀληθής, ἀποστέλλω, Ἰωάννης, ἀλήθεια, σῴζω, λύχνος, καίω, φαίνω, θέλω, ἀγαλλιάω, ὥρα, φῶς, ἔχω, μέγας, ἔργον, δίδωμι, πατήρ, τελειόω, ποιέω, πέμπω, πιστεύω (Joh 5,31–38) - πιστεύω, ἔργον, ποιέω, πατήρ, μαρτυρέω (Joh 10,22–31) - κύριος, δείκνυμι, πατήρ, ἀρκέω, Ἰησοῦς, χρόνος, γινώσκω, Φίλιππος, ὁράω, πιστεύω, ῥῆμα, μένω, ποιέω, ἔργον (Joh 14,8–14) - βρῶσις, ἀπόλλυμι, μένω, ζωή αἰώνιος, υἱός, ἄνθρωπος, δίδωμι, πατήρ, σφραγίζω, θεός, ποιέω, ἔργον, πιστεύω, ἀποστέλλω, σημεῖον (Joh 6,26–30) - ἀδελφός, μεταβαίνω, ὑπάγω, Ἰουδαία, μαθητής, θεωρέω, ἔργον, ποιέω, κρυπτός, ζητέω67, παρρησία, φανερόω, κόσμος (Joh 7,2–9) 65

In der Apk gehört κοπιάω und κόπος zum semantischen Bereich der Bewährung in der Bedrängnis (vgl. HOLTZ 1989:432); In der paulinischen Terminologie an die Mühe der Evangeliumsverkündigung gedacht (Röm 16,2.6.12; vgl. DREWS 2006:38.76; HOLTZ 1989:432). 66 SCHOLTISSEK 1999:447. 67 Es liegt eine deutliche Ambivalenz beim Verb ζητέω im JohEv vor. Während dieses Verb häufig negativ konnotiert ist und die Tötungsabsicht der Juden verdeutlicht (Joh 5,18;

3. Semantische Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι

153

- κρίνω, ὄψις, δίκαιος, κρίσις (Joh 7,20–24) - ἔργον, πιστεύω, γινώσκω, ἔρχομαι, σημεῖον, πᾶς, ἀληθής, πολύς (Joh 10,32–42)

Die ‚Werkeʻ sind häufig ein Untersuchungstatbestand, der von den Menschen geprüft werden soll. Der Protagonist Jesus erhofft sich, dass dabei Glauben und Vertrauen zu ihm bzw. zum Vater entstehen. Deshalb sind es gelegentlich die Werke selbst, denen die Menschen zunächst Glauben schenken sollen. Und darüber hinaus geht es um den Erweis, was wahr (Joh 5,31ff) und bedeutend bzw. wirklich verlässlich (Joh 6,26ff) ist. 3.2 Kohärenzgrade innerhalb semantischer Wortfelder Verschiedene Kohärenzgrade innerhalb eines semantischen Feldes zeigen, wie eng „die inhaltliche Beziehung der einzelnen miteinander verbundenen Wörter zueinander ist“68. Sie vertiefen damit die semantische Struktur des einzelnen Wortes mit seinem Kontext. Komposita und wurzelverwandte Worte – normallerweise wesentlicher Bestandteil dieses Analyseschrittes – werden nicht untersucht, da neben den beiden Lexemen ἔργον und ἐργάζεσθαι keine anderen Komposita oder wurzelverwandte Begriffe im JohEv vorkommen. 3.2.1 Synonyme im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι „Wichtig ist, dass Synonymität oft nicht Identität, sondern leichte Verschiedenheit bedeutet. (…) Ersetzungen durch Synonyma sind demnach ein Grundprinzip der Konstitution und Kontinuität semantischer Felder.“69 Andererseits stellt das JohEv den Exegeten vor eine besondere Herausforderung. Perhaps the most notable [significant stylistic feature] is the tendency in the Gospel of John to employ close synonyms with essentially the same meaning. (...) John seems to be very fond of varying his diction for the sake of aesthetic embellishment.70

Die Begriffe σημεῖον und ἔργον erscheinen vielen Exegeten im JohEv weitgehend synonym (vgl. Joh 6,27–30; 7,3.31; 9,3f.16; 10,25.32.37f.41; 12,37; 15,24).71 Diese Synonymität erweist sich insbesondere am „dritten Begriff“

7,1.11.19.20.25 u. a.), finden sich auch positive Belege (Joh 1,38; 12,20–22; 20,15; vgl. zum Sachverhalt im Allgemeinen KURICHIANIL 2010:38–40). 68 B ERGER 1991:144. 69 BERGER 1991:144.147 (Hervorhebung im Original); LOUW & NIDA 1988:xvi. „Ersetzungen durch Synonyma sind demnach ein Grundprinzip der Konstitution und Kontinuität semantischer Felder“ (BERGER 1991:147). 70 J. P. Louw bei KÖSTENBERGER 2001b:137. 71 DE JONGE 1978:121; V AN BELLE 1994:380.386. Dabei ist hier ein ganzes Spektrum an Forschungsmeinungen vorzufinden. Während die einen neben einer gewissen Synonymität die semantische Verschiedenheit beider Termini anerkennen (z. B. WILKENS 1969:84), plädieren die anderen für eine semantische Gleichsetzung beider Begriffe (KÖSTENBERGER

154

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

(K. Berger) ποιέω: Von den 17 Belegen geht σημεῖον 15x eine Verbindung mit ποιέω ein72, wie es ἔργον an vielen Stellen ebenfalls tut. Diese Verbindung kann sich syntaktisch verstärken, wenn das betreffende Lexem in einer Relativsatz-Konstruktion und dem Verb ποιέω verwendet wird (mit σημεῖον vgl. Joh 2,23; 3,2; 6,2.14; 7,31; mit ἔργον vgl. Joh 5,36; 7,3; 10,25; 14,12; 15,24). Auch die Verben ἐργάζεσθαι und ποιέω werden synonym verwendet, während beide häufig Jesus bzw. der Vater als Subjekt haben (ἐργάζεσθαι: 4x von 8x; ποιέω: 60x von 109x).73 Als weiteres Synonym zu ἐργάζεσθαι erscheint τελειó ω, das aufgrund seiner Semantik das Vollbringen des Werkes betont (Joh 4,34; 5,36; 17,4). Zu berücksichtigen ist auch das Verb πράσσω, das in Joh 3,20 parallel zu ποιέω und im JohEv stets negativ mit ὁ φαῦλα verwendet wird (Joh 3,20; 5,29). Schließlich lässt Joh 14,10 den Schluss zu, dass die ῥήματα synonym zu den Werken verwendet werden. 3.2.2 Oppositionen im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι Aufbauend auf der Theorie einer „semantischen Achse“ von A. J. Greimas in der modernen Linguistik, kommt F. Mußner zu dem Schluss, dass die semantische Grundposition bzw. -achse im JohEv das „Verhalten (der Menschen) dem Logos-Christus gegenüber“ ist und dass die oppositionellen Wortfelder mit „annehmen“ bzw. „nicht annehmen“ umschrieben werden können.74 Indem ich seinen Ausführungen folge, lassen sich die Oppositionen im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι wie folgt darstellen: Tabelle 22: Oppositionen im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι Verhalten dem Logos-Christus gegenüber „annehmen“ – Adjuvanten „nicht annehmen“ – Opponenten ...wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht ...jeder, der Böses tut, haßt das Licht und (Joh 3,21) kommt nicht zum Licht (3,20) Die Welt... haßt mich (Joh 7,7) Die Welt kann euch [Brüder Jesu] nicht hassen (Joh 7,7) Ich [Jesus] (Joh 7,20) Ihr [Juden] (Joh 7,20) Licht (Joh 3,19) Dunkelheit (Joh 3,19) Glauben (Joh 14,11f) Nicht glauben (Joh 14,11f)

1998:53f.72). Gerade in jüngster Zeit nehmen einige Exegeten den Tatbestand differenzierter war und würdigen eine Synonymität sowie Unterschiedlichkeit von σημεῖον und ἔργον (vgl. VAN BELLE 1994:383–389; WEYER-MENKHOFF 2012a:96f). 72 Joh 2,11.18.23; 3,2; 4,54; 6,2.14.30; 7,31; 9,16; 10,41; 11,47; 12,18.37; 20,30; vgl. WEYER-MENKHOFF 2012a:96. G. van Belle zählt 14 Belege, weil er Joh 2,18 nicht dazu rechnet (vgl. 1994:387). 73 RIEDL 1973:206–208. P. W. Ensor rechnet mit dem gleichen aramäischen Begriff hinter diesen beiden Verben (vgl. 1996:92). 74 MUSSNER 1989:247–251.

3. Semantische Wortfelder von ἔργον und ἐργάζεσθαι „annehmen“ – Adjuvanten Wer Jesus liebt, tut Werke Abrahams (Joh 8,37ff)

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„nicht annehmen“ – Opponenten Wer Jesus sucht zu töten, tut Werke des Teufels (Joh 8,37ff)

Bemerkenswert ist, dass die Werke im Allgemeinen Indiz dafür sind, ob es sich um einen „Adjuvanten“ bzw. „Opponenten“ des Christus handelt (so insbesondere in Joh 3,19–21). F. Mußner sieht in der Rede von der κρίσις im Sinne einer „Scheidung“ den Tatbestand beschrieben, dass das „Christusereignis“ eine „positive und negative Reaktion der Menschen“ hervorruft. Das semantische Wortfeld kann dann mit „Verhalten (der Menschen) dem Logos-Christus gegenüber“ beschrieben werden.75 Dahinter stehen (menschliche) Subjekte, die in der Feldforschung als „Akteure“ bezeichnet werden. Nur anders als bei F. Mußner sind diese Figuren nicht in ‚schwarz und weißʻ bzw. in „belief or unbelief“ einzuteilen.76 Viele Figuren im JohEv können nicht in ein EntwederOder eingeordnet werden. Trotz der dualistischen Sprache des Evangeliums erscheinen sie weniger stabil und eindeutig. „The stubborn resistance of the Johannine characters to be flattened into a particular type warns against the temptation to flatten our own lives into an over simplified, unambiguous posture.“77 Berücksichtigt man die im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι vorkommenden Figuren, stellt sich folgendes Bild dar. Tabelle 23: Akteure gegenüber Christus Akteur: Adjuvanten Der Vater Die Jünger Der Blindgeborene Abraham

CHRISTUS ‚Handlungssraum‘

Akteur: Opponenten

Nikodemus Brüder Jesu Die Menge (Joh 6) ‚Wankendeʻ Jünger bzw. Leser

Die Welt Die Juden Die Pharisäer Der Teufel (Fürst dieser Welt)

Die ‚Werkeʻ sind Indiz dafür, wohin die jeweilige Figur tendiert. Im ambivalenten Handlungsraum wird zur Erbringung geeigneter Werke (vgl. Joh 3;

75

Vgl. auch für das Folgende MUSSNER 1989:247–249. Vgl. besonders CONWAY 2002:324–328. 77 CONWAY 2002:340f; ähnlich BENNEMA 2009:377; Zur Konsistenz der Figuren siehe WAGENER 2015:70f. F. Wagener ordnet alle Figuren des JohEv in einem instruktiven Soziogramm an (2015:79). Bezeichnend ist, dass er um die Hauptfigur Jesus herum zwei zentrale Kollektive, nämlich die Jünger und die Feinde Jesu, sieht. „Dies suggeriert eine schlichte Bewertungslinie in ‚gute‘ und ‚böse‘ Figuren. Ein solches Unterfangen durchbricht das Joh jedoch. Einzelfiguren (...) positionieren sich zum Teil entgegengesetzt“ (:77). 76

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6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

6,28ff; Joh 14) und zur richtigen Interpretation der christologischen ἔργα (Joh 7) herausgefordert. 3.2.3 Affinitäten, ‚typische Objekteʻ und Assoziationen Diese Relationen bilden „den näheren semantischen Kontext“78. Als Assoziationen bezeichnet K. Berger „Wörter, die zwar mit einer gewissen Regelmäßigkeit in semantischen Feldern (...) begegnen, bei denen aber kein sehr enger inhaltlicher Bezug zu bestehen scheint“.79 In diesem Zusammenhang sind folgende Aspekte zu beobachten: - Werke werden offenbar gemacht (Joh 3,21; 9,3f) bzw. es kommt darauf an, sie sichtbar werden zu lassen (Joh 7,3f) - Werke werden im Zusammenhang mit Speise (Joh 4,34) und dem sich Sorgen um beständige Speise erwähnt (Joh 6,27f) - Die Anzahl bzw. Qualität der Werke kann vergrößert werden (Joh 5,20; 14,12) - Werke rufen eine Verwunderung hervor (Joh 5,20b; 7,20) 3.2.4 Motivzusammenhänge Sieht man genauer hin, so handelt es sich bei den ‚Motivenʻ um weiterab liegende semantische Felder, die unter sich wieder durch Synonyma etc. verbunden sind und nur von außen den Eindruck erwecken, es handle sich um nur inhaltlich, aber nicht weiter sprachlich faßbare Gemeinsamkeiten.80

Als mögliche Motiv-Konzepte sind neben ἔργον und ἐργάζεσθαι folgende Begriffe zu nennen: Gericht bzw. ‚Scheidungʻ (Joh 3,19; vgl. 9,39), Wahrheit (Joh 3,21; 8,40), ewiges Leben (Joh 6,27; 10,28), Brot des Himmels bzw. Manna (Joh 6,32), Judäa (Joh 7,3), günstiger Augenblick bzw. Zeit (Joh 7,6), Mose als Traditionsfigur (Joh 6,32; 7,22ff), Schafe (10,26f), Sünde (Joh 9,1– 3; 15,24) usw. Der erste Eindruck täuscht nicht, dass ἔργον und ἐργάζεσθαι mit vielen elementaren Motiv-Konzepten des JohEv verbunden sind.81 Demgegenüber fällt aber auf, dass im unmittelbaren Kontext der Bezug zum verheißenen Geist fehlt. Innerhalb des Evangeliums wird die Beziehung des Geistes zu den Werken nicht explizit erörtert. Allein das ist höchst erstaunlich. Allenfalls im Kontext von Joh 14,10–12 ist die Wirkung des heiligen Geistes nach dem Verständnis des Evangelisten mitzudenken.82

78

BERGER 1991:145. BERGER 1991:145. 80 B ERGER 1991:146. 81 Vgl. auch die instruktive Übersicht bei RIEDL 1973:42. 82 Man könnte ebenfalls vermuten, dass in Joh 3,21 die Wirkungen des Geistes mitgedacht sind. Es bleibt aus exegetischer Sicht aber strittig. 79

4. Übersetzungsangebote von ἔργον im JohEv

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4. Übersetzungsangebote von ἔργον im JohEv 4. Übersetzungsangebote von ἔργον im JohEv

Die Sprache des JohEv und der Gebrauch von ἔργον weisen je nach Kontext unterschiedliche außersprachliche Referenten auf. Die folgende Übersicht deutet an, welche semantische Bedeutung in der jeweiligen Belegstelle angedeutet ist. Grundlegend für diese Darstellung ist die Annahme, dass sprachliche Ausdrücke entsprechend der oben dargestellten semantischen Theorie durch ein Geflecht von Referenz, Denotation und Sinn geprägt werden. The most serious mistake which people make in dealing with the meanings of Greek terms is to presume some kind of one-to-one correspondence in meaning. This may be due to the fact that when people first learn the meanings of Greek words, they tend to latch on to only one meaning, so that for the Greek term σάρξ, most people assume that it simply means ‚flesh‘.83

Und bezugnehmend auf das Plädoyer von J. P. Louw und E. A. Nida werden bewusst mehrere Begriffe zur Umschreibung der Bedeutung dargestellt. Diese Übersicht hat den Zweck, die Polysemie des Begriffes ἔργον im JohEv darzustellen.84 Die „Angebote eines außersprachlichen Referenten“ stellen einen Versuch dar, die Semantik in der jeweiligen Belegstelle zu umschreiben.85 Tabelle 24: Angebote außersprachlicher Referenten von ἔργον Stelle JohEv 3,19 3,20 3,21 4,34 5,20 5,36 6,28

83

korrespondierende Begriffe im Text ἠγάπησαν οἱ ἄνθρωποι μᾶλλον τὸ σκότος ἢ τὸ φῶς πᾶς γὰρ ὁ φαῦλα πράσσων ὁ δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν ἐμὸν βρῶμά μείζονα ἃ δέδωκέν μοι ὁ πατὴρ ἃ ποιῶ μαρτυρεῖ (περὶ ἐμοῦ) τί ποιῶμεν (...) τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ;

Angebote eines außersprachlichen Referenten Motive, Handlungen, Taten (der Menschen) moralisch verwerfliche Handlungen moralisch ‚erstrebenswerteʻ Handlungen Lebenswerk, Auftrag, mission statement86 Wunder, Zeichentaten Wunder, Aufträge?, Taten, vorbereitete Handlungen? Regeln, Richtlinien, Leitlinien, Prinzipien, Gesetze, Vorschriften

LOUW & NIDA 1988:xiv–xv. Zur Mehrdeutigkeit von ἔργον aus sprachwissenschaftlicher Sicht vgl. BACHMANN 2005:93f. 85 Wie zentral die Bestimmung eines (außersprachlichen) Referenten für die Exegese ist, zeigt die Debatte zwischen M. Bachman und O. Hofius. Während Ersterer das Syntagma ἔργα νόμου explizit auf Gebote bzw. Regelungen des Gesetzes bezieht (vgl. BACHMANN 2005:89–92.105.112; BERGMEIER 2005:164f), plädiert Letzterer für die allgemeinere Umschreibung als ‚das von der Tora gebotene Verhaltenʻ (vgl. HOFIUS 2006:279.285). 86 „Ἔργον meint also die Aufgabe, durch deren Erfüllung der Gesandte den Willen des Sendenden ausführt“ (HEILIGENTHAL 1983:135). 84

158

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

Stelle JohEv 6,29

korrespondierende Begriffe im Text τοῦτό ἐστιν (...) ἵνα πιστεύητε

7,388

σοῦ τὰ ἔργα ἃ ποιεῖς

7,7

ὁ κόσμος

7,21 8,39.41

ἓν τοῦ Ἀβραὰμ τοῦ πατρὸς ὑμῶν89 φανερωθῇ ... τοῦ πέμψαντός με

9,3.4

10,25

ταῦτα μαρτυρεῖ

10,32.33 10,37.38

πολλὰ ἔργα καλὰ πιστεύετε

14,10 14,11 14,12

τὰ ῥήματα πιστεύετε κἀκεῖνος ποιήσει καὶ μείζονα τούτων ποιήσει

15,24

μὴ ἐποίησα ἐν αὐτοῖς

17,4

τελειώσας

Angebote eines außersprachlichen Referenten Gesetz, Weisung, Gebot, „charakteristische Hervorbringung“87 ‚PR-Werke‘, werbende Handlungen, sichtbare Wunder Charakter, (moralische?) Handlungen, Taten (der (Menschen) in der Welt Wunder, Zeichen Lebensweise, Verhalten, Wesenszüge, ‚Herz‘ eschatologisch und heilsgeschichtlich terminierte Werke/Taten mit einem einmaligen Charakter Werke, Zeichentaten (die Jesus im Namen des Vaters tut) Werke, Zeichentaten Zeichentaten, die Glauben hervorbringen sollen verbale Werke des Vaters Werke/Worte, die zu glauben sind begleitende Wunder in der missionarischen Verkündigung, übernatürliche Werke, missionarischer Erfolg oder allgemein Werke der Jünger nach der Erhöhung Christi90 Zeichen, Wunder, bisher verrichtete Handlungen insgesamt Lebenswerk, Auftrag, Mission

Nach G. van Belle, der sich auch auf andere Forscher bezieht, benutzt Johannes von den 27 Belegen 17 Mal die Bedeutung Wunder, in denen Jesus immer Subjekt ist.91 R. Heiligenthal stellt fest, dass gegenüber anderen antiken Autoren92

87 P. Stemmer plädiert im Zusammenhang mit dem ἔργον-Argument des Aristoteles für diese Übersetzung (vgl. 4. Kapitel, Pkt. 2.1.2). „Das ergon eines Menschen liegt nicht im Besitz des logos, sondern in einem Leben, das diesen Besitz in Tätigkeit umsetzt und auf diese Weise realisiert“ ( STEMMER 2005:75). 88 Vgl. 10,25: In beiden Fällen geht es um die Verwirklichung von Werken, die äußerlich eine Wirkung haben sollen. Aber in Joh 7 wird es negativ gefüllt, in Joh 10 positiv, weil Jesus selbst darüber berichtet. 89 Es wird eine Skala suggeriert mit den beiden entgegengesetzten Polen ‚Abraham‘ und ‚Teufel‘. Beide stehen für eine Lebenswirklichkeit, einen modus vivendi. 90 K ÖSTENBERGER 1998:171–175. 91 VAN BELLE 1994:384. Die Belegstellen sind: Joh 5,20.36.36; 7,3.21; 9,3.4; 10,25.32a.32b.33.37.38; 14,10.11.12; 15,24). 92 Z. B. Sir 48,14; Philostrat, Vit. Apoll. 8,12; Philo, Mos. 1,180; Spec. 2,188 u. a.

5. Zusammenfassung

159

Johannes ἔργον „zur Bezeichnung von ‚Wunderʻ absolut ohne erklärende Hinzufügungen“ verwendet.93 Bei den anderen Belegen wechseln die Subjekte und die Semantik, so dass G. van Belle resümiert: „Thus ἔργον does not mean ‚miracleʻ only and it is not restricted to Jesus’ activity.“94

5. Zusammenfassung 5. Zusammenfassung

Die Bedeutung eines Lexems sachgemäß zu erfassen, bedarf einer den neueren Erkenntnissen verantworteten Methodik der Sprachwissenschaften, da es sich bei diesem Unterfangen um ein komplexes Geschehen handelt. Nach einer ausführlichen Darstellung95 wurden in diesem Kapitel Prinzipien der semantischen Wortfeldforschung angewandt. Welche Ergebnisse lassen sich in Bezug auf ἔργον und ἐργάζεσθαι zusammenfassen? Thesenartig fasse ich den inhaltlichen Ertrag im Folgenden zusammen. (1) In syntaktischen Verbindungen kommt das Nomen häufig als AkkusativObjekt im Plural vor. Dabei verteilt sich der Bedeutungsumfang in diesen Sätzen im Wesentlichen auf die Verben der objektbezogenen Handlung, auf Verben des Denkens und Fühlens und auf Verben der Wahrnehmung.96 Regelmäßig verwendete personale Genitivattribute (Joh 3,20f; 6,28f; 7,7 u. a.) sowie Relativsätze (Joh 5,36; 7,3; 10,25; 14,12; 15,24; 17,4) erklären die Zugehörigkeit bzw. die Herkunft der Werke: „The value of the ἔργα is signalled by reference to their origin.“97 (2) Die Bedeutung des Verbs verteilt sich jeweils auf das menschliche Handeln (Joh 3,21; 6,27f) und auf das Wirken von Gott und Jesus (Joh 5,17).98 In Joh 6,30 wird Jesu Wirken von der Menge direkt thematisiert, während in Joh 9,4 die Pluralform auch die Jünger in das Handeln inkludiert. (3) Das Vorkommen von ἔργον κτλ. in der Gattung Erzählung von Worten (H.-U.Weidemann) ist signifikant hoch. Beteiligte Redepartner in diesen Stellen sind neben Jesus die Jünger, die Menge, die Brüder Jesu und die Juden. (4) Ordnet man die Belegstellen über ἔργον κτλ. sogenannten Sinnbereichen zu, zeigt sich ein variationsreiches Muster. Die Lexeme kommen nicht nur in theologischen, christologischen, soteriologischen, ekklesiologischen und ethischen Sinnabschnitten vor, sondern sie sind auch mit der Gesamtstruktur des Evangeliums verwoben. Die Tabelle 16 veranschaulicht, dass auch ethische 93

HEILIGENTHAL 1983:139. VAN BELLE 1994:385. „But when it refers to the works of the disciples, it is used in an ecclesiological sense. Finally, when speaking of the ἔργα πονηρά/ἀγαθά of the people, the evangelist uses it in an ethical sense“ (:385). 95 Siehe 3. Kapitel, Pkt. 4.1 und 4.2.1 sowie in diesem Kapitel Pkt. 1. 96 Zur Verbklassifikation vgl. WAGENER 2015:108–111. 97 L ÖHR 2012:234f. 98 L ÖHR 2012:236. 94

160

6. Kap. Die Bedeutung von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv

Aspekte rund um die ἔργα ab Joh 3 laufend im Evangelium thematisiert werden.99 (5) Im Blick auf die semantischen Felder lassen sich fünf Sinnlinien rund um ἔργον und ἐργάζεσθαι beobachten. - „Du bist, was du tust“ – Erweis des Wesens und des Charakters - „An den Taten scheiden sich die Geister“ – im Kontext heftigster Opposition - „Ich werde den Auftrag erfüllen“ – im Kontext eines mission statements - „Ich und wir leisten etwas Besonderes“ – gemeinsame Wirkungstätigkeit des Rabbi und seiner Schüler - „Prüfe mich und meine Werke. Und glaube mir“ – eine Einladung, die Wahrheit zu finden und um der Werke willen bei Jesus zu bleiben (6) Angebote außersprachlicher Referenten zu ἔργον, die in der Exegese zu verifizieren sind, zeigen die Variationsbreite des Lexems im JohEv. Dabei kann das Nomen sich auf menschliche Handlungen, Wunder und Zeichentaten, „Aufgaben, die Gott stellt“100, werbende Taten, Regeln und Prinzipien des Gesetzes, das Verhalten eines Menschen an sich, die soteriologische Tat Christi usw. beziehen. Deshalb ist ἔργον nicht nur „the alternative word [in Bezug auf σημεῖον] for miracle in Jn“101.

99 Gegen KÖSTENBERGER 2006:9f.14, der ethische Themen erst ab Joh 13ff in „full expression“ wahrnimmt. 100 W EYER -MENKHOFF 2012a:295. 101 V AN BELLE 1994:383.

III. Teil:

Ἔργον und ἐργάζεσθαι aus ethischer Perspektive im JohEv

7. Kapitel:

Der Modus Vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21 Licht und Raum sind unzertrennlich. (O. Schwankl)1

Nach Übersicht sämtlicher Standardwerke zur neutestamentlichen Ethik kommen R. Zimmermann und S. Luther zu dem Schluss: The language and the linguistic form of ethics is not considered on its own because ethics relate completely to particular contents of individual writings, to one sociologically-definable community situation or to statements of faith or a theological concept in its entirety.2

Diesen Mangel auszugleichen bemühen sich die Herausgeber des Sammelbands, indem sie von der Prämisse – „the ethics of the New Testament is linguistically constituted; it occurs in and through language“3 – ausgehend, ihren Ansatz wie folgt beschreiben: „We are concerned with ‚moral languageʻ in an extended sense, with linguistic statements in the New Testament that possess an ethical dimension in both context and effect.“4 Dieses Untersuchungsvorhaben ist insofern beachtenswert, als dass sprachliche Äußerungen des untersuchten Textes in den Mittelpunkt gerückt, gewohnte aber dem Untersuchungsgegenstand gegenüber zweifelhafte Kategorien wie z. B. das Indikativ-Imperativ-Schema5 überwunden und die ethische Wirkung sprachlicher Zeichen methodisch in den Blick genommen werden. Es geht also um nichts Geringeres als die Analyse einer ‚grammar of ethical statements‘6. Die grundlegende Fragestellung lautet deshalb: „How does an ethical judgement arise, which strategy of argumentation is employed here?“7

1

SCHWANKL 1995:341. ZIMMERMANN & LUTHER 2010:2. Im Gegensatz dazu steht der Ansatz von R. M. Hare (1952): „Language has always been ethical“ (bei ZIMMERMANN & LUTHER 2010:2). 3 Z IMMERMANN & LUTHER 2010:3. 4 Z IMMERMANN & LUTHER 2010:3. 5 Zur Kritik vgl. Z IMMERMANN 2007b:260–265. 6 Z IMMERMANN 2010:30. 7 Z IMMERMANN 2010:34. 2

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

Während aber R. Zimmermann die sprachlichen Besonderheiten ethischer Aussagen in den Mittelpunkt rückt8, interessiert mich primär, inwieweit sprachliche Äußerungen im Kontext von ἔργον und ἐργάζεσθαι eine ethische Wirkung erzeugen.9 Inwieweit beeinflussen die untersuchten Lexeme das Verständnis über eine Ethik im JohEv? Wie ethisch sind ἔργον und ἐργάζεσθαι? Und wozu möchte Johannes seine Leser durch die Verwendung der Begriffe herausfordern? Umgesetzt wird diese exegetische Aufgabe, indem ich die Stellen, in denen ἔργον und ἐργάζεσθαι verwendet wird, anhand der Methodologie der impliziten Ethik von R. Zimmermann analysiere. Daher ist nicht eine exegetische Ausarbeitung im Sinne eines Kommentars beabsichtigt, sondern vielmehr erprobe ich eine bisher an einem Evangelium nicht durchgeführte Methodik zur Untersuchung einer impliziten Ethik. Auch wenn das JohEv als (literarischer) Text eine Einheit darstellt, ist es aus pragmatischen Gründen angebracht, die relevanten Passagen abzugrenzen und separat zu untersuchen. Als relevant sehe ich die Abschnitte an, in denen die Begriffe ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv vorkommen. Demzufolge ist der johanneische Text anhand sachgemäßer Gliederungsmerkmale in solche Abschnitte zu unterteilen. Generell entstehen Absätze dadurch, daß die innere Kohärenz eines Teilbereichs enger ist als die Kohärenz mit dem umgebenden Kontext. (...) Für die Exegese handelt es sich um vorläufige und untergeordnete Schritte, welche hingeordnet sind auf die Erfassung der Intention, welche der Autor mit dem Text verbunden hat.10

Anders als bei den Synoptikern ist dieser Analyseschritt im JohEv bedeutend schwerer.11 Das mit langen Reden und Dialogen sich entfaltende Evangelium bietet z. B. kaum Summarien, Parallelismen und prägnante Aussprüche. Die Vielfalt der Abgrenzungs- und Gliederungsvorschläge innerhalb der exegetischen Fachliteratur liegt in der literarischen Gestalt des Textes selbst begründet. Der Text des JohEv lässt sich nicht in ‚Perikopenʻ aufteilen, sondern ist ein literarisches Gewebe, bei dem der Verfasser durch ‚Überlappungs- und Vernetzungstechnikʻ eine zusammenhängende Textur geschaffen hat. Die Abgrenzung bestimmter Textabschnitte ist somit im gewissen Maße 8

Vgl. insbesondere ZIMMERMANN 2010. Hier ist H. Löhr zuzustimmen, der sich mit der Kritik auseinandersetzt, ob es überhaupt lohnenswert und berechtigt ist, die Frage nach einer ethischen Wirkung allein auf bestimmte Lexeme bzw. „Begriffe“ aufzubauen (vgl. 2012:232). Sein Einwand gegen diese Kritik ist: „In a narrative text, the conscious and consistent use of core motifs or ideas (even represented by single lexemes) can very well be part of its structure and strategy“ (:232). Und ἔργον gehört zu diesen geplanten und verwendeten Begriffen, auch wenn es im JohEv andere Lexeme gibt, die als noch gewichtiger einzuordnen sind (:232). 10 B ERGER 1991:26. 11 „Ferner darf man Zeit- und Ortsangaben im JohEv weder im historischen noch im literarischen Sinne (...) als Hinweis auf sichere Perikopengrenzen überbewerten“ (ZIMMERMANN 2004:246). 9

1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι

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durch eine perspektivische Verengung und exegetischen Pragmatismus begründet und beansprucht keine absolute Gültigkeit. Gleichwohl lassen sich Einschnitte von stärkeren oder schwächeren Gewicht differenzieren.“12

Aus heuristischen Gründen folge ich – soweit möglich – den sprachlichen Signalen im Text und versuche, die jeweilige Unterteilung argumentativ abzusichern. Alle untersuchten Abschnitte werden den drei gedachten Raumdimensionen – Raum des Lichts, Raum der Dunkelheit und ambivalenter Handlungsraum – zugeordnet. Die Begründung für diese Anordnung sehe ich in dem Basistext Joh 3,18–21 verortet. Eine solche Leseperspektive, die freilich einen „konstruktiven Akt“ (R. Zimmermann) darstellt, ist im Folgenden argumentativ darzulegen.

1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι 1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι

Der in eine Erzählung eingebettete Textabschnitt Joh 3,18–21 ist ein Text der Werke par excellence. Das Ziel ist es nun zu zeigen, inwiefern Joh 3,18–21 als ein Basistext über die ἔργα fungiert und eine raumsemantische Leseperspektive eröffnet. 1.1 Joh 3,18–21 als literarisches Echo des Prologs Immer wieder ist der Johannesprolog als eine Art Kommentar13, als „eine hermeneutische Eingangshalle, ein Metatext“14 oder als programmatischer Text15 zum JohEv in der Forschung beurteilt worden.16 In jüngster Zeit setzt sich in Bezug auf seine Funktion die Sicht einer „gezielte[n] Leseanweisung“17 durch.

12

ZIMMERMANN 2004:249f.243. Dagegen argumentiert M. Theobald, es fehle nämlich etwas Entscheidendes: „Über die Zeichenhandlungen, die Jesus vollbringen, und über die Reden, die er halten wird, verliert der Prolog kein Wort; auch von seinem Tod und seiner österlichen Verherrlichung spricht er nicht ausdrücklich“ (2009:103). 14 SCHOLTISSEK 2000:174f.180; vgl. CARSON 1994:111. Als „Proömium des Werkes“ sieht ihn H. Thyen (2015:61) . 15 STUHLMACHER 1999:232, der diese Bezeichnung von H. G. Gadamer übernimmt. 16 Für eine Fülle weiterer Deutungsmöglichkeiten vgl. SCHNELLE 2004:29; Für einen forschungsgeschichtliche Einordnung des Prologs vgl. KIERSPEL 2006:113–123. 17 THEOBALD 2009:103; vgl. FREY 2010:465; GEBAUER 2000:236; WENGST 2000:42f. K. Scholtissek hinterfragt aber begründend die literarkritische These M. Theobalds – „der Johannesprolog sei ein späterer orthodoxer Kommentar und Leseschlüssel für das JohEv“ (vgl. SCHOLTISSEK 2000:180). 13

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

In einer solchen Funktion führt er „in die Thematik ein, indem er zentrale Inhalte der folgenden Darstellung bereits behandelt und damit das Verständnis des Evangeliums vorbereitet und zugleich wesentlich bestimmt“18. Infolge einer solchen Annahme und wegen sprachlicher Aspekte ist eine intertextuelle Relation den Texten in Joh 1,4–13 und Joh 3,19–21 deutlich anzumerken.19 Während jedoch der Prolog-Text (Joh 1,4f.9–13) die „Dramatik und Tragik familienmetaphorisch“ vertieft20, verwendet Joh 3,18–21 andere sprachliche Mittel. Es ist aber unbestritten, dass beide Texte von einer ähnlichen oder gleichen ‚semantischen Achse‘21 bzw. einer gemeinsamen Sinnlinie ausgehen. Die gemeinsame Schnittmenge beider Texte zeichnet sich daher in folgenden Gesichtspunkten ab: - Die Licht-Finsternis-Metaphorik (Joh 1,4f.9; 3,19) - Die Welt als Wirkungsort bzw. Handlungsraum des Logos bzw. Gottes (Joh 1,9f; 3,17) - Annehmen bzw. Nicht-Annehmen und Glauben bzw. Nicht-Glauben (Joh 1,7.11f; 3,19) - Der Hinweis auf eine Geburt aus Gott bzw. von oben (Joh 1,13; 3,3.5) - Das Licht hebt die Dunkelheit nicht vollends auf (Joh 1,5; 3,20f) - In Joh 1,13 sind Menschen aus „Gott geboren“, in Joh 3,21 werden Werke in „Gott gewirkt“.22 Beide Texte haben aber auch neben diesen verbindenden Elementen einen weiterführenden Überhang. Im Prolog wirkt das Licht als Schöpfer (Joh 1,10). Es findet sich hier eine ausgeprägte Familienmetaphorik (Joh 1,11–13). In Joh 1,5 bleibt die LichtDunkelheit-Sphäre statisch und der Autor stellt schließlich fest: „und die Finsternis hat es nicht erfasst“. In Joh 3,16–21 ist eine ausgeprägte Gerichtsmetaphorik (Joh 3,17–19) und eine Einführung moralischer Kategorien wie der bösen Werke, des falschen und rechten Handelns und der ethisch konnotierten Verben Lieben und Hassen

18

SCHNELLE 2004:30. Ähnlich KÖSTENBERGER 2007:19; WENGST 2000:42. besonders SCHWANKL 1995:148. Andere Belege finden sich bei BECKER 1973:85; BUSSE 2002:99; CARSON 1994:111; FORD 2013:11; FREY 2013e:441; LINCOLN 2005:155; MOLONEY 2005:96; SCHNELLE 2004:30; WENGST 2000:141. 20 SCHOLTISSEK 2000:179. 21 „Nach Algirdas Julien Greimas ist die ‚semantische Achseʻ der gemeinsame Nenner zweier oppositioneller Terme, z. B. weiß vs. schwarz; groß vs. klein.“ (MUSSNER 1989:246). Für inhaltliche Beispiele im JohEv siehe SCHWANKL 1995:16. 22 Für weitere sprachliche Übereinstimmungen siehe SCHWANKL 1995:150. 19 Vgl.

1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι

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(Joh 3,19–21) prägend. Der Abschnitt Joh 3,20f impliziert zudem eine Bewegung, mindestens bei demjenigen, der „die Wahrheit tut“ und zum Licht kommt.23 1.2 Zum Stellenwert von Joh 3,1–21 Die Bedeutung von Joh 3 ist unumstritten.24 So bezeichnet R. Schnackenburg das Kapitel als „Konzentrat des joh Kerygmas, (...) W. Rebell kennzeichnet (...) 3,10–21 noch einmal verstärkt als Evangelium en miniature“25. Und J. Becker formuliert die steile Aussage: „...wenn ein Stück des Evangeliums geeignet ist, als Grundriß johanneischer Theologie zu gelten, dann ist es 3,1–21.“26 Auch K. Berger sieht darin ein Stück der Auseinandersetzung mit den Grundbedingungen und Anforderungen christlichen Lebens: „Die Begebenheit mit Nikodemus Joh 3,1–21 ist der Anlaß, eine Belehrung über die unabdingbaren Bedingungen christlichen Lebens im Munde Jesu zu verankern.“27 Zuletzt hat B. Kollmann diesen Abschnitt in seiner Skizze zum JohEv treffend gewürdigt: „Das Lehrgespräch mit dem Pharisäer Nikodemus (Joh 3,1–21) entfaltet grundlegende Fragen des Glaubens und führt in das Zentrum johanneischer Theologie. Es geht um ein Neuwerden des Menschen und den Zugang zum Heil.“28 Bedeutend ist Joh 3 also deshalb, weil der Text an den Prolog anklingt, dabei wesentliche Leitthemen des Gesamtevangeliums aufnimmt und weil – für eine Untersuchung der ἔργα elementar – ἔργον und ἐργάζεσθαι zum ersten Mal in diesem Text vom Verfasser aufgenommen und mit einer spezifischen Semantik ausgeführt werden. 1.3 Die Einführung und Entfaltung der Werksterminologie in Joh 3,18–21 Es fällt auf, dass ungewöhnlich viele Begriffe, die erstmals im JohEv auftauchen, in dem Abschnitt Joh 3,18–21 anzutreffen sind: „πονηρός (V.19d), ἔργον (19d.20c.21c), φαῦλος, πράσσω (20a; beide sonst nur in 5,29), μίσεω (20b), 23 Vgl. auch SCHWANKL 1995:157f, der die Unterschiede markant herausarbeitet. A. Hammes postuliert ebenfalls die ethische Dimension dieses Abschnitts und nimmt auch die räumlichen Kategorien wahr (vgl. 1997:67). M. Theobald beobachtet auch eine Interrelation von Joh 3,18–21 nach vorne hin, zu Joh 12,35f (vgl. 2009:269; HAMMES 1997:67). 24 H OFIUS 1996:33; SCHWANKL 1995:149f. 25 Bei SCHWANKL 1995:150. Vgl. FREY 2013e:441f. 26 B ECKER 1973:85; vgl. L INCOLN 2005:156; RÖHSER 1994:196; S CHNELLE 1987:196. 27 B ERGER 1991:123. 28 KOLLMANN 2014b:142. D. F. Ford postuliert darüber hinaus, „that the account of Jesus’ meeting with Nicodemus is in several respects an ideal test case for the theological interpretation of the Gospel, raising many of the most important and fascinating questions, and in particular challending today’s Christian theologians to measure up to John’s theology“ (2013:2).

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

ἐλέγχω (20d), ἐργάζομαι (21d).“29 Und es ist weiter bemerkenswert, dass – bis auf μίσεω und ἐλέγχω – alle anderen Begriffe syntaktisch mit ἔργον und ἐργάζεσθαι verbunden sind. Nicht minder wichtig ist, dass der Text teils durch einen generalisierenden Sprachstil, teils aufgrund übergreifender Themenkonzepte eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Grundbedingungen und Anforderungen des christlichen Lebens darstellt. Daher schreibt K. Berger: Der typische Doppelschluß V. 18–21 verrät den Text bereits als appellative Textsorte. (...) Der Inhalt der Rede ist einfach und umfaßt als erste Rede im JohEv die elementarsten Bedingungen des Christseins. Man beachte das verknüpfende Stichwort von ‚glauben‘. Die ‚instructio rudiumʻ wird am Anfang des Lebens Jesu verankert. Das Evangelium selbst ist so in einem Verlauf eine fortschreitende Einführung in die christliche Lehre.30

Ähnlich argumentiert auch U. Busse, der „die Nikodemusepisode als eine exemplarische Illustration der Konditionen für einen tragfähigen Glauben“31 liest. Durch die gewählten Sprachäußerungen zeigt Johannes die Grenzen auf, innerhalb derer sich die menschliche Existenz in Bezug auf das Licht zubewegen kann. Über die Zuschreibungen von Licht und Dunkelheit hinaus gibt es keine andere Dimension, noch existiert eine Ausflucht. Mit Joh 3,20f und den Reaktionsweisen auf das Licht ist alles gesagt. Dabei wird man mit J. Frey die „Licht/Finsternis-Terminologie weniger aus externen religionsgeschichtlichen Einflüssen als vielmehr in ihrer dramaturgischen Funktion im Gesamttext und d. h. aus dem sprachlichen Gestaltungswillen des Evangelis\ten zu erklären“32 suchen. Auf der funktinalen Ebene wird man mit E. E. Popkes konstatieren, dass Joh 3 eine Doppelperspektive bietet. Der Text umschreibt die Situationen innerhalb der Erzählwelt des Evangeliums und möchte auch die textexternen Adressaten (zu einem gelingenden Leben) anleiten.33

29 SCHWANKL 1995:152, der eine „vom sonstigen johanneischen Sprachgebrauch abweichende Terminologie“ sieht. J. Frey argumentiert aber dagegen, dass Joh 3,19–21 „zum sachlichen Schlüssel des ganzen Evangeliums“ gemacht wird (vgl. FREY 2000:291; explizit gegen RÖHSER 1994:207f und indirekt gegen GROB 1986:21). Andererseits billigt J. Frey diesem Abschnitt wegen terminologischer Eigentümlichkeiten eine „traditionelle Formulierung“ aus dem Umfeld des Evangelisten zu (2000:294). Zum eigentümlichen Wortschatz dieses Abschnitt vgl. auch HAMMES 1997:102–105. 30 BERGER 1991:123f. „Typisch für Paränesen und Gebotsverkündigung ist ein doppelteiliger Schluß, der sich auf Gute und Böse bezieht, auf solche, die die vorher genannte Botschaft annehmen und auf solche, die sie ablehnen“ (:22). 31 B USSE 2002:100. 32 FREY 2013e:422 (Kursiv und Schreibweise im Original). Der Verfasser beobachtet zudem, das es eine „Asymmetrie der Verwendung“ der dualistischen Antithese im Evangelium gibt: Der negative Aspekt der Finsternis erscheint weniger häufig wie das Licht (vgl. :422; vgl. auch Teil III. dieser Arbeit). 33 Vgl. POPKES 2005:193f.

1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι

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Nun wird man diesen Abschnitt aber nicht so simplizistisch und plakativ sehen, wie es etwa O. Schwankl tut: Wird die Reaktion der Menschen in V. 16–18 ‚pistologischʻ dargestellt, so in V. 19–21 ‚ergologisch‘; an der Position des Glaubens stehen nunmehr die Werke. Erscheint das Gericht auf der ersten Tafel als ein ‚Gericht nach dem Glauben‘, so auf der zweiten als ein Gericht nach den Werken.34

Zu komplex erscheinen mir die intertextuellen Beziehungen über die ἔργα in Joh 3,18–21, so dass eine solche Zuschreibung diesen Textabschnitt nicht sachgemäß umschreibt. Und auch die Differenzierung in ‚Glaubeʻ und ‚Werkeʻ erinnert an das in der Forschung bekannte Indikativ-Imperativ-Schema, das die Komplexität und Vielschichtigkeit der Texte nicht abzudecken vermag.35 Die theologische Anbindung in Joh 3,21c und die inkludierende Aufnahme des Anfangs des Nikodemusgesprächs36 lassen auch eine schlichte Zuordnung dieses Abschnitts zum Theologumenon Gericht nach den Werken als fraglich erscheinen. Aber dass hier zum ersten Mal im Evangelium im bedeutenden Maße die Rede von ἔργον und ἐργάζεσθαι ist37, lädt dazu ein, dieser Spur weiter zu folgen und weiter zu dieser metaphorischen Sprache vorzudringen. 1.4 Die Metaphorik in Joh 3,18–21 Eine Metapher ist als eine „Übertragung von Bedeutung [zu] verstehen, und zwar von einem semantischen Feld auf ein anderes“38. Dabei wird zwischen einem bildspendenden und bildempfangenden Bereich (H. Weinrich) unterschieden, die in einer „interaktionalen Relation“ stehen und von einer „semantischen Spannung“ geprägt werden. „Es bedarf aber eines Rezipienten, der zum einen aufgrund seiner Sprachprägung die Spannung wahrnimmt, zum anderen aber zugleich den ‚Widersinnʻ auf eine höhere ‚Sinnebeneʻ überführt.“39 Metaphern haben sodann das Potenzial, einen „kollektiven Kommunikations- und 34 SCHWANKL 1995:161. Eine solche ‚Vereinfachungʻ hat in der Vergangenheit sodann zu literarkritischen Hypothesen geführt: „Das beweist [Joh 3,19–21 im Widerspruch zur Zeugung durch den Geist], daß dieser Text überarbeitet ist“ (HAENCHEN 1980:215f). 35 Zur Kritik vgl. insb. Z IMMERMANN 2007b:260–265. 36 FREY 2000:285; 2013e:442. 37 Bisher wurde nur über Jesus gesprochen und die Aussagen über ihn waren kurz. Aber diese Perikope „bietet jedoch die erste dezidierte Entfaltung und Reflexion der Botschaft Jesu durch ihn selbst“ (POPKES 2005:192f). 38 Vgl. für die folgenden Ausführungen ZIMMERMANN 2016b:5. Ein Indiz beim Aufspüren von Metaphern ist, wenn „zwei üblicherweise nicht kompatible Größen aufeinander bezogen werden“ und „der Literalsinn durchbrochen wird“ (2004:105). O. Schwankl differenziert zwischen „Metaphorik im weiteren Sinn“ – „Sprache ist von Grund auf immer metaphorisch“ und „Metaphorik im engeren Sinn“ – also eine bestimmte Redeform bzw. „Gebrauchsform der Sprache“ (vgl. 1995:18). 39 ZIMMERMANN 2016b:16. Vgl. SCHWANKL 1995:21–24 („das metaphorische Gespann“).

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

Deutungsprozess in Gang“ zu setzen, „mobilisieren neben den semantisch-kognitiven auch psychologisch-emotionale Sinnpotenziale“ und schaffen mit ihrer Deutungsoffenheit „Spielräume des Verstehens“.40 Ein drastisches Beispiel für diese pragmatische Funktion von Metaphern bringt O. Schwankl: „Wenn die Angehörigen eines Volkes als ‚Ungezieferʻ bezeichnet werden, bleibt dies, wie die Geschichte beweist, nicht ohne Folgen für das Verhalten.“41 Welche ‚metaphorischen Spannungenʻ sind aber in Joh 3,18–21 erkennbar? Wo erweisen sich aufgrund der verwendeten Metaphern Spielräume des Verstehens? Erstens42, es ist das Licht, das in die Welt gekommen ist (τὸ φῶς ἐλήλυθεν εἰς τὸν κόσμον; Joh 3,19) und bei den Menschen – den Bewohnern der Welt – eine Reaktion (hin zur Finsternis) auslöst.43 Der Leser des Evangeliums hat zwar eine Erstinformation, dass es sich bei dem Licht um den Logos (Joh 1,1– 5.9ff) handelt, erkennt aber doch eine Spannung. Das Licht ist in die Welt gekommen (ein Verb der Bewegung). Licht ist entweder da oder es ist nicht da. Für das menschliche Auge ist ein allmähliches Erscheinen des Lichts kaum wahrnehmbar. Inwiefern kann es kommen? Und wer oder was ist das Licht? Das Verb ἔρχομαι44 impliziert eine Art Bewegung des Lichts, von oben nach unten (vgl. Joh 3,13). Das Perfekt-Tempus überwindet auch den zeitlichen Abstand des Lesers zu diesem Ereignis. Es ist gekommen und seitdem ist alles anders. Auch auf einer anderen Ebene entsteht ein Spannungsverhältnis: Warum lehnen die Menschen das Licht zugunsten der Dunkelheit ab? Was stört sie an dem Licht? In allen Kulturen in der Antike ist Licht ein wertvolles Gut, wird der Dunkelheit vorgezogen und kann allgemein als gut bzw. brauchbar bewertet werden.45 Hier ist – für Menschen der ‚westlichen Weltʻ mit viel Anstrengung nur vorstellbar – an die Alltagswirklichkeit mit den dunklen und wenig ausgeleuchteten Nächten im Mittelmeerraum zu erinnern. Was veranlasst also 40 ZIMMERMANN 2016b:17f. „Was eine hochkarätige, lebendige Metapher auszeichnet, ist vorrangig ihr kreatives Moment“ (SCHWANKL 1995:29). 41 SCHWANKL 1995:32. 42 Zu überlegen ist, ob es sich beim verwendeten Begriff ‚Gerichtʻ (ἡ κρίσις) nicht um eine (dritte) Metapher handelt. „Sie läßt die ganze Menschheitsgeschichte zu einem Gerichtsverfahren werden. Es gipfelt im Prozeß Jesu, wie ihn das Evangelium darstellt (...); das ganze im Evangelium beschriebene Geschehen kann als Gerichtsakt verstanden, das ganze Evangelium als Gerichtsakte gelesen werden“ (SCHWANKL 1995:162). Da jedoch die Erfahrung eines letzten Gerichts nicht zur alltäglichen Wirklichkeit des Menschen gehört, ist dies keine Metapher nach den Kriterien der kognitivistischen Metapherntheorie. 43 Zur Licht-Dunkelheit-Metapher vgl. FREY 2013e:441f; S CHWANKL 1995:148–185. 44 Siehe zu diesem Lexem ZIMMERMANN 2004:232–236. 45 Vgl. z. B. SCHWANKL 1995:38; ZIMMERMANN 2004:223. Gewisse Ausnahmen sind in der Moderne einzuräumen, z. B. wenn es um Folterpraktiken im Zusammenhang mit Licht geht: Der Betroffene wird über Tage und Wochen permanentem Licht ausgesetzt. Zur Empirie des Lichts siehe SCHWANKL 1995:38–41.

1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι

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die Menschen, bei der Dunkelheit zu bleiben? Und wer oder was ist der bildempfangene Bereich für die Dunkelheit? Zweitens deuten sich in Joh 3,20f diverse Spielarten der Bewegung in einem Raum an. Der Umfang des Raumes ist hier nicht mehr von oben nach unten wie noch in Joh 3,12f gedacht.46 Es ist vielmehr der Raum in der Welt bzw. die Welt ist der Raum, was z. B. durch das πᾶς und die substantivierten Partizipien im Präsens (Joh 3,20f) deutlich wird. Jeder Mensch ist betroffen und ist ungefragt Teil dieses Raumes. Bereits in Joh 3,18 klingt eine Zweiteilung an. Es geht um den, der glaubt und den, der nicht glaubt. Hierbei handelt es aber nicht um eine „bloße Illustration oder bildliche Umschreibung des allen bekannten ‚Glaubensaktes‘“47. Innerhalb dieses Raumes gibt es, wenn man den imperfektiven Aspekt des Präsens bedenkt, laufende Bewegungen zum Licht (besonders Joh 3,21a) oder zu einem statischen Verharren in der Dunkelheit (Joh 3,20b). Eine Bewegung hin zur Dunkelheit ist nicht ausdrücklich beschrieben, weil die Welt als solche als Dunkelheitsort verstanden wird. R. E. Brown weist auf die Entschiedenheit der sich in der Dunkelheit befindenden Menschen hin. „The one who turns away is not an occasional sinner but one who ‚practices wickedness‘.“48 Beide Metaphern-Konzepte greifen ineinander und bedingen einander. Das eindeutig Verbindende ist das Licht, das nun da ist und eine Reaktion hervorruft. Die verbleibende Spannung – wer oder was das Licht sowie die Dunkelheit ist – hat der Leser für sich aufzulösen. Der Unterschied zwischen den beiden Metaphern liegt in ihrer Bewegung. Bei der ersten Metapher ist das Licht gekommen (Joh 3,19), im zweiten Metaphern-Konzept kommen Menschen bzw. sie verweigern das Kommen zum Licht (Joh 3,20f). Dort ist es eine Bewegung von oben nach unten, hier ist es eine Annäherung bzw. ein Fernhalten auf der horizontalen Ebene. Und während in der Forschung die Licht-Dunkelheit-Metapher in Joh 3,18– 21 immer wieder untersucht wurde, ist die Raum-Metapher49 dieses Textes

46 Vgl. hier die beiden Konzeptbegriffe τὰ ἐπίγεια und τὰ ἐπουράνια (Joh 3,12; dazu ausführlich HOFIUS 1996:58f). 47 ZIMMERMANN 2004:235 (gegen R. Bultmann) . Das JohEv selbst macht es seinem Leser nicht ganz einfach, zwischen Glauben und Nicht-Glauben, schwarz und weiß ein Urteil zu fällen (Joh 2,23–25). Gerade diese Spannung fordert heraus, verunsichert und lädt zur Beurteilung ein. Die Funktion dieses Abschnitts kann aber nicht allein nur deskriptiv gemeint sein – gegen D. A. Carson, der schreibt: „These verses do not tell us how one moves from the darkness to the light, i. e. how one becomes a true disciple, a ‚Christian‘, but simply focuses on the fundamental distinction…“ (1994:208). 48 B ROWN 2008a:149. 49 Für eine religionsgeschichtliche Einordnung raummetaphorischer Sprache im JohEv vgl. FREY 2013e:431.

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

meist verkannt worden.50 Dies mag auch mit den bis vor einiger Zeit vernachlässigten Raumkategorien in den Geisteswissenschaften zusammenhängen. Denn seit den 1980er Jahren ist die Rede von einem spatial turn, der eine Fülle an Publikationen quer durch sämtliche wissenschaftlichen Disziplinen hervorgebracht hat.51 Gerade in der deutschsprachigen theologischen Forschung finden sich erst in den letzten Jahren vermehrt Publikationen, die den Orts- und Raumkategorien im theologischen Denken mehr Beachtung schenken. Es ist aber M. Wütthrich zuzustimmen, wenn er dafür plädiert, den „turn-Charakter stark zu relativieren und ihn nicht im Sinne einer ‚Wende‘, einer ‚Kehreʻ auszulegen, sondern im Sinne einer wissenschaftlichen Aufmerksamkeitssteigerung.“52 Unter spatial turn in der Theologie ist sodann die „gesteigerte wissenschaftlich-theologische Aufmerksamkeit für die räumliche Seite der Praxis, der Symbolisierung und Reflexion des Christentums in seinen verschiedenen Gestalten in Geschichte und Gegenwart“53 verstanden. Man merkt dieser Definition ihre Verortung in der systematischen Theologie an. Im Blick auf die Bibelwissenschaften ist die Aufmerksamkeitssteigerung hin zu einer Würdigung der Dimension des Raumes im narrativen Verlauf der Erzählungen bzw. des Erzählsettings wahrzunehmen. „Erst vereinzelt finden sich bislang Arbeiten, die räumliche Aussagen noch grundlegender als theologisches Strukturprinzip im JohEv anerkennen.“54 In einem lesenswerten Artikel hat J. H. Neyrey das Konzept „territoriality“, also „the main spatial references in the Fourth Gospel“55, anhand einer Klassifizierung aus der Kulturanthoropologie ausgeführt. In Bezug auf Joh 3 stellt er die These auf: „Jesus divided the world into two antithetical halves. (…) This antithesis of two different worlds truly serves as a classification of groups, that is, insiders and outsiders.“56 Allerdings scheint mir J. H. Neyrey eine zu strikte und zu statische Trennung („boundary making and separation“) im narrativen Verlauf des Evangeliums anzunehmen. Denn allein manche Figuren im JohEv 50 Siehe z. B. POPKES 2005:225ff, der explizit nur von der „Licht-Finsternis-Metaphorik“ schreibt. Ganz allgemein für den Sprachgebrauch bei Johannes stellt K. Weyer-Menkhoff fest: „Offensichtlich denkt das Johannesevangelium ‚Seinʻ nicht begrifflich, sondern räumlich“ (2012a:127). 51 Vgl. WÜTHRICH 2015:28. In der Theologie ist von einem spatial turn erst seit der Jahrtausendwende auszugehen (:97). 52 W ÜTHRICH 2015:97. 53 W ÜTHRICH 2015:97. 54 So die Feststellung im Jahr 2004 in ZIMMERMANN 2004:227. M. Wüthrich sieht diesen Forschungstrend „in den Bibelwissenschaften, v.a. im Alten Testament, und in der Praktischen Theologie“ am ausgeprägtesten an (2015:97). Für weitere Impulse zum Thema vgl. SCHWANKL 1995:341–347 und ZIMMERMANN 2004:226–236. Zum ‚Raumʻ in Joh 3,1–21 vgl. NEYREY 2002:652–655. 55 N EYREY 2002:633.658. 56 N EYREY 2002:652f.

1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι

173

erscheinen als ‚in beiden Welten zu Hause‘, wie es etwa D. F. Ford exemplarisch für Nikodemus ausdrückt: „In my opinion he [Nikodemus] is best interpreted as being in the in-between position.“57 Zudem schränkt J. H. Neyrey die Rede von den zwei verschiedenen Welten bzw. Räumen auch wieder ein: „Two different worlds, then, are not so much about space as about welcome to and acceptance of Jesus and disciples.“58 Und auch wenn eine solche Umdeutung der metaphorischen Rede von den Welten bzw. Räumen hin zur Frage nach der Haltung zu Jesus gerechtfertigt ist, gibt Joh 3,18–21 durch die oben dargestellten räumlichen Kategorien eine Leseperspektive vor, die die Licht-Metapher mit der Raum-Metapher verbindet. Das Fazit von J. H. Neyrey ist mit der hier vorgeschlagenenen Leseperspektive uneingeschränkt kompatibel. Eine andere Erklärung für die Vernachlässigung der Dimension des Raumes in Joh 3,18–21 kann auch mit dem Konzept der Metapher selbst zusammenhängen. Denn Metaphern sind nach der kognitivistischen Metapherntheorie alltägliche Sprachbilder, „deren metaphorischer Gehalt in der Regel nicht wahrgenommen wird“59. Es erscheint mir daher vielversprechend, hier als theoretiche Deutekategorie die kognitivistische Metapherntheorie zugrunde zu legen. 1.5 Die kognitivistische Metapherntheorie als Zugang zu Joh 3,18–21 Die These der kognitivistischen Metapherntheorie lautet: „In vielen Fällen wird die unmittelbare physische Erfahrung (...) genutzt, um Metaphernkonzepte zu bilden.“60 G. Lakoff und M. Johnson haben in ihren Studien die Sicht geprägt, dass Metaphern nicht allein eine Sonderform der Sprache sind, sondern wesentlich zur Kognition des Menschen gehören. For this reason, most people think they can get along perfectly well without metaphor. We have found, on the contrary, that metaphor is pervasive in everyday life, not just in language but in thought and action. Our ordinary conceptual system, in terms of which we both think and act, is fundamentally metaphorical in nature.61

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wir denken in bildlichen Konzepten. Metaphern helfen uns eine komplizierte Wirklichkeit greifbar und verstehbar zu machen. „Die Grundthese (...) besteht darin, dass der Mensch zur Erfassung und Strukturierung einer komplexen Wirklichkeit auf konkrete und elementare Erfahrungen zurückgreift.“62 Ferner ist in der Forschung erkannt worden, dass sich (kühne und lebendige) Metaphern im Gebrauch immer mehr abschleifen, 57

FORD 2013:15. NEYREY 2002:655. 59 SCHMITT 2004:2. 60 ZIMMERMANN 2004:220. Vgl. zur sogenannten kognitivistischen Metapherntheorie die Seiten 219–237. Siehe auch SCHWANKL 1995:35–37. 61 L AKOFF & JOHNSON 1980:3. Vgl. BUSSE 2009:130; SCHWANKL 1995:23. 62 Z IMMERMANN 2004:222. 58

174

7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

erkalten oder lexikalisieren „bis sie unbewusst im Metaphernschatz der Alltagssprache aufgenommen“63 werden. Gemäß einer solchen Leseperspektive ist das Konzept ‚hell – dunkelʻ in Joh 3,18–21 wahrnehmbar. Licht ist POSITIV, tritt als PERSON auf, gibt ORIENTIERUNG und kann – mit personalen Kategorien ausgedrückt – abgelehnt bzw. gewählt werden.64 Und nur in der Dualität des Dunklen wird „das Licht wahrnehmbar und de-finierbar“65. Im Hinblick auf dem Raum ist in Joh 3,1–21 neben dem Konzept „HEIL ist OBEN“ insbesondere „KOMMEN ist GLAUBEN“66 grundlegend. Beim Letzteren stellt das Konzept des Weges den allgemeinen Erfahrungshintergrund der Menschen dar. Ein Teil verharrt in der Dunkelheit. Dabei ist keine Aktivität in Joh 3,18–21 erwähnt, außer man versteht das Meiden des Lichts als aktive Handlung. Andere machen erste Schritte auf den Weg, setzen sich in Bewegung zum Licht. Dabei deutet der Präsens von ἐ ́ρχομαι (Joh 3,21a) ein andauerndes Geschehen an. Das „Weg-Schema“ (R. Zimmermann) enthält die Annahme, dass die Beteiligten in unterschiedlicher Entfernung zum Ziel stehen. Der Eine mag schon am Ziel sein, der Andere hat sich gerade auf dem Weg gemacht. In der johanneischen Forschung ist Joh 3,18–21 im letzten Jahrhundert gerade nicht als eine „Anleitung zum Handeln“ gesehen und damit eine Bewegung impliziert worden.67 R. Bultmann R. Bultmann hat diesen Abschnitt dagegen als eine Beschreibung der Entscheidung des Menschen verstanden: In der Entscheidung gegenüber der Frage Gottes kommt zutage, was der Mensch ist, indem er sich entscheidet. Deshalb ist die Sendung Jesu das eschatologische Geschehen, durch das aller Vergangenheit ihr Urteil gesprochen wird.68

Für R. Bultmann war der Begriff der Entscheidung zentral. „E.[ntscheidung] gehöre als verantwortliche Tat zum gesch.[ichtlichen] Sein des Menschen; in der E. des Glaubens werde der verkündigte Jesus Christus immer wieder eschatologisches Ereignis.“69 Damit war die Entscheidung für ihn ein punktuelles Ereignis, das über Sein oder Nicht-Sein beurteilte. Dementgegen steht die Metapher des Weges, die sich im Verb ἔρχομαι ausdrückt und eine Entwicklung in einem Raum andeutet bzw. dem ethischen Urteilsträger zugesteht.70 Das deckt sich auch mit der Vielschichtigkeit, mit der Figuren im JohEv gezeichnet werden. Hier ist Nikodemus ein Beispiel par excellence. Nachdem 63

ZIMMERMANN 2016b:16f. Vgl. hierzu ZIMMERMANN 2004:223–226. 65 SCHWANKL 1995:41 (so im Original). 66 Z IMMERMANN 2004:228. 67 Vgl. BULTMANN 1986:116. 68 B ULTMANN 1986:115; vgl. R ÖHSER 1994:206. 69 Z EHNER 2007:1334 über R. Bultmanns Verständnis von Entscheidung. 70 Zum Konzept der Entscheidung, gezeigt mit Beispielen im Text des Evangeliums vgl. KURICHIANIL 2010:55–59. Siehe auch HAMMES 1997:155. 64

1. Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι

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C. M. Conway die Forschungsliteratur zur Figur gesichtet hat und dort kaum Einheitlichkeit in der Beschreibung wiederfindet, stellt er thesenartig fest: „Perhaps he is a more ambiguous character than the representative approach to Johannine characters would allow.“71 Die Untersuchung der Figur des Nikodemus bringt J. Basler zu dem Urteil: „He ‚moves through the narrative with one foot in each world‘.“72 So wirbt U. Busse dafür, „in Nikodemus [statt einer negativen Charakterisierung] eine Säulenfigur eines Reflexionsraumes zu sehen“73. Der Autor des Evangeliums macht es seinen Lesern nicht einfach, Nikodemus in diesem Raum einzuordnen. Aber gerade eine solche Spannung vermag, eine ethische Reflexion zu initiieren. Nimmt man also beide Konzepte zusammen, ist es sachgemäß, anhand von Joh 3,18–21 einen Raum des Lichts und einen Raum der Dunkelheit als Deutekategorie anzunehmen. Die Dimension des Raumes bzw. die Metapher des Weges impliziert, dass Menschen auf diesem ‚Glaubenswegʻ unterschiedlich nahe bzw. weit vom Licht sich befinden, so dass sich hier eine Art ambivalenter Handlungsraum eröffnet.74 1.6 Meine Leseperspektive: Joh 3,18–21 als Basistext der ἔργα Aus den bisherigen Annahmen bzw. Ausführungen kann meine Argumentation zu Joh 3,18–21 folgendermaßen veranschaulicht werden: ἔργα im Raum des Lichts Prolog – Leseanweisung des JohEv

Joh 3,1–21 – Vertiefung des Prologs und Evangelium en miniature

Joh 3,18–21 – ein Basistext über ἔργον und ἐργάζεσθαι

ἔργα im Handlungsraum ἔργα im Raum der Dunkelheit

Abb. 5: Graphische Darstellung der Argumentation zu Joh 3,18–21

71 CONWAY 2002:329. „Over the past forty years interpreters have turned repeatedly to ambiguity as the byword for Nicodemus’s role in John“ (CULPEPPER 2013:251f). 72 Bei CONWAY 2002:330. 73 BUSSE 2002:99. „Dunkelmann oder Lichtmensch? das ist die rhetorische Frage, die Jesus appellativ an den Schluß seines Monologs stellt“ (BUSSE 2002:105). 74 Einen ähnlichen Weg bestreitet B. Wannenwetsch (2013:117–127), der die Liebe Gottes und das Liebesgebot des JohEv in einem Raum denkt und interpretiert: „...durch ihre Charakterisierung von Gottes Liebe als einen Raum, in dem die menschliche Liebe befähigt wird, ihre natürlichen Grenzen zu überwinden und so zur ‚politischen Liebe‘ zu werden, die mit dem Anderen umgeht, wie man mit seinem Bruder oder seiner Schwester umgehen würde“ (:127). Auch die Ausführungen von A. Hammes die Wechselwirkung beider Metaphern in diesem Abschnitt (vgl. HAMMES 1997:150–153).

176

7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

(1) Der Prolog ist also unbestritten die ‚Eingangshalleʻ in das Evangelium. Er bietet dem Hörer bzw. Leser eine Leseanweisung. (2) In Joh 3,1–21 knüpft der Evangelist explizit an den Prolog an und entfaltet die theologischen Leitthemen weiter. Daher kann dieser Text als „Grundriß johanneischer Theologie“ (J. Becker) angesehen werden, zumal es sich hier um die erste Rede (bzw. Erklärung) im Evangelium handelt. (3) Im Unterabschnitt Joh 3,18–21 führt der Autor des Evangeliums die Konsequenzen, die mit der Sendung des Sohnes Gottes verbunden sind, weiter aus und kommt dabei auf die Lexeme ἔργον und ἐργάζεσθαι und andere korrespondierende Begriffe zu sprechen. Aufgrund des generalisierenden Sprachstils, der Ersterwähnung beider termini, der Bedeutung dieses Textes im Evangelium und der verwendeten Metaphern kann Joh 3,18–21 als ein Basistext über die Lexeme ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv angesehen werden.75 „Ungewöhnlich und nicht ohne weiteres plausibel ist aber die Verbindung zwischen dem menschlichen Tun und dem Licht oder der Finsternis.“76 Ähnlich argumentiert R. Heiligenthal, wenn er in dem Abschnitt Joh 3,16–21 das „Schema einer Umkehrpredigt“ annimmt und durch den Gebrauch von ἔργον κτλ. die eschatologische Rettung dem verheißen wird, „der sein Tatverhalten geändert hat“77. (4) In Joh 3,18–21 dominiert die Licht-Dunkelheit-Metaphorik, die wiederum mit der Raum-Metaphorik verbunden wird. Hier ist die Finsternis der unheilvolle Umraum des Lichtes, jedoch nicht so, daß er das Licht gefangenhält und sozusagen abwürgt, sondern umgekehrt so, daß er vom Licht aufgebrochen wird und sich so ein neuer Raum eröffnet: ein Raum und Reich des Heils im Machtbereich des Unheils.78

Bei beiden Metaphern handelt es sich um elementare Aspekte menschlicher Existenz, die Wirklichkeiten abbilden, nämlich den Raum des Lichts (Joh 3,21) und den Raum der Dunkelheit (Joh 3,20). Daneben findet sich ein ambivalenter Handlungsraum, der in Joh 3,18–21 mitzudenken ist und die pragmatische Funktion von Metaphern begünstigt. Schließlich können viele Figuren im JohEv nicht ohne weiteres den offensichtlichen Räumen des Lichts bzw. der Finsternis zugeordnet werden.79 Die jeweiligen Abschnitte, in denen ἔργον und ἐργάζεσθαι gebraucht werden, ordne ich den drei Kategorien des Raumes zu und interpretiere die Text-

75

Dagegen FREY 2000:291; gegen R ÖHSER 1994:207. SCHWANKL 1995:166. 77 HEILIGENTHAL 1983:231f. Ansonsten dominiert in den Ausführungen von R. Heiligenthal der Entscheidungsdualismus, wie ihn R. Bultmann geprägt hat, und die Betonung der Licht-Dunkelheit-Metapher. 78 SCHWANKL 1995:345. 79 Ähnlich differenziert zum Stichwort οἱ ἄνθρωποι vgl. ZAHN 1983:210. 76

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

177

stellen nach dieser systematischen Anordnung. Diese Zuordnung der jeweiligen Stellen zu den genannten Raumdimensionen erfolgt auf der Grundlage einer inhaltlichen Beurteilung. Semantisch verknüpfte Stellen werden zusammengefasst und untersucht. Die Einordnung der Belegstellen ist keine These im strengen Sinne und soll nicht implizieren, der reale Autor des Evangeliums habe diese Zuordnung entsprechend dargestellt. Sie ist vielmehr ein aus meiner Sicht schlüssiges Angebot bzw. ein konstruktiver Akt, die zu untersuchenden Lexeme auf dem Hintergrund des räumlichen Konzepts zu lesen. Das Hauptaugenmerk meiner Auslegung liegt darin, beide Metaphern-Konzepte in einem zu sehen und sie miteinander zu verknüpfen. Das Licht des Logos kommt in die Dunkelheit des Raumes. Menschen nehmen eine Haltung ein und betreten diesen Raum des Lichts oder verbleiben im Raum der Dunkelheit. Die Annahme einer Raumdimension impliziert eine Bewegung des Subjekts zum Licht oder das aktive Verharren in der Dunkelheit. Darüber hinaus entfaltet das Evangelium einige ambivalente Situationen, in denen nicht gleich klar ist, wo sich die betreffende Figur befindet. Der Hörer bzw. Leser des Evangeliums wird in diese Ambivalenz hineingeführt. Damit wird eine Spannung erzeugt, die den Leser fragen lässt, was es bedeutet zum Licht zu kommen und was nicht. Und welche Rolle spielen dabei die Werke? In eine ähnliche Stoßrichtung geht auch das Fazit von R. Heiligenthal, wenn er schreibt: Johannes will durch den Gegensatz von Licht und Finsternis zur Umkehr motivieren und „ἔργον bezeichnet den Modus der Zugehörigkeit zu dem dualistisch gefassten Heils- bzw. Unheilsbereich“80.

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα 2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

Mein Modell zur Untersuchung einer impliziten Ethik im JohEv orientiert sich an fünf Analyseschritten, die aus der Untersuchung der Sprachformen, der Normen, der Reflexionsformen, der Urteilsträger und der Reichweite der Ethik bestehen. In dieser Reihenfolge wird nun die Methodologie einer impliziten Ethik auf Joh 3,18–21 angewandt. 2.1 Sprachformen der Moral in Joh 3,18–21 Für die Untersuchung der Sprachformen der Moral sind gewisse Vorbemerkungen erforderlich. Diese sind nötig, um den Untersuchungsgegenstand zu bestimmen und bestimmte Vorentscheidungen zu rechtfertigen. Es handelt sich konkret um (1) eine strukturelle Abgrenzung des Textes und mögliche Gliederungshypothesen und (2) syntaktisch-grammatikalische Vorentscheidungen.

80

HEILIGENTHAL 1983:233.

178

7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

(3) Daran schließt sich eine Untersuchung der Sprache des Abschnitts über ihre moralische Signifikanz an. 2.1.1 Struktur81 und Abgrenzung von Joh 3,18–21 Anfang (Joh 3,1) und Schluss (Joh 3,21) der Nikodemus-Szene sind klar erkennbar.82 Das bei Johannes häufig für die Fortführung einer Handlung verwendete Ἦν δὲ (Joh 3,1.23; 7,2; 11,1.55; 18,25), der Subjekt- und Tempuswechsel, die ausführliche Vorstellung des Nikodemus (Joh 3,1), die Zeitangabe νυκτὸς83 sowie der Beginn der wörtlichen Rede in 3,2 leiten unmissverständlich eine neue Erzählung ein. Ihr Ende ist durch das beliebte μετὰ ταῦτα (vgl. Joh 5,1.14; 6,1; 7,1; 21,1), einen Subjektwechsel und die Einführung einer neuen Handlung samt Ortswechsel durch Jesus und seine Jünger (Joh 3,22) begründet. Innerhalb dieser Szene ist in der johanneischen Forschung umstritten, (1) wo der Dialog zwischen Jesus und Nikodemus endet84 und (2) inwieweit dieser letzte Teil ein Monolog Jesu oder ein Kommentar des Evangelisten ist.85

81

Siehe insbesondere FREY 2000:283–285. Vgl. auch FREY 2000:243f. Zwar immer seltener und doch wiederkehrend werden in der Forschung andere literarische Umstellungen erprobt und durchgeführt. So z. B. KEIL 1997:61–63; J. Blank und R. Schnackenburg bei SCHWANKL 1995:149; dagegen FREY 2000:244; RÖHSER 1994:195; SCHNELLE 1987:197. 83 M. Theobald sieht hier allenfalls ein literarisches Interesse, „die anfängliche Nachtszene in die Rede vom Licht zu überführen“, nicht jedoch ein inhaltlich-theologisches Motiv: Nikodemus käme aus der Finsternis zum Licht, das Jesus ist (Joh 3,21; so R. Schnackenburg bei THEOBALD 2009:247). 84 Für einen Überblick vgl. FREY 2000:243f. Hier eine Übersicht der Gliederungsvorschläge der jeweiligen Interpreten: - Der Dialog endet in Joh 3,11. Ab Joh 3,12ff beginnt ein Monolog Jesu bzw. ein Kommentar des Evangelisten (vgl. B USSE 2002:98; SCHNELLE 1987:197;). - Eine Trennung besteht zwischen Joh 3,12 und Joh 3,13ff (vgl. BECKER 1973:88f; BEUTLER 2013:134; BEASLEY-MURRAY 1999:46; MOLONEY 2005:90f; RIEDL 1973:381; WITHERINGTON 1995:99). - Der Evangelist beginnt ab Joh 3,16ff (vgl. BURGE 2006:117f; CARSON 1994:185.203; KÖSTENBERGER 2007:113; THEOBALD 2009:243f; WITHERINGTON 1995:99). - Die Rede Jesu endet mit Joh 3,21 (BARRETT 1990:225; BROWN 2008a:136f; HOFIUS 1996:35; LINCOLN 2005:147f; MOLONEY 2005:90; RESSEGUIE 2005:245.249). 85 Für einen Monolog bzw. die Rede Jesu sind: BARRETT 1990:225; BERGER 1991:22; BUSSE 2002:98; FREY 2000:243; HAMMES 1997:80.89; HOFIUS 1996:35.54–56; RÖHSER 1994:196; SCHNELLE 1987:197; THYEN 2015:203. Dagegen sehen diese Interpreten es als Kommentar des Evangelisten an: BEASLEY-MURRAY 1999:46; BECKER 1973:93; BURGE 2006:117f; KÖSTENBERGER 2006:12; RIEDL 1973:381; WITHERINGTON 1995:99. G. R. BEASLEY-MURRAY sieht darin „self-conscious reproductions of kerygmatic declarations which circulated in the Johannine churches as the essence of the Gospel“ (1999:46). Unentschieden zwischen diesen beiden Positionen ist HAENCHEN 1980:221. Andere sehen 82

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

179

Am wahrscheinlichsten scheint es mir, dass eine Zäsur zwischen V. 15 und V. 16 vorliegt und ab Joh 3,16ff der Evangelist selbst den Gedankengang fortführt. „Bei V. 16ff handelt es sich demnach um eine theologische Erklärung auf Metaebene, was die Form des Stückes bestätigt.“86 Unabhängig davon, wo eine Zäsur vorzunehmen ist und ob es sich um einen Monolog Jesu oder einen Kommentar des Evangelisten handelt, erscheint mir die Tatsache wichtiger, dass sich die Worte primär an die Hörer des Evangeliums richten und dass es „auf der Bühne des Geschehens Nikodemus als ‚stummen Hörerʻ weiterhin“87 voraussetzt. Joh 3,16–21 teilt sich „als eine zusammenhängende Sequenz“88 in Joh 3,16– 17 und Joh 3,18–21 auf. In Joh 3,16–17 ist Gott Subjekt und der Aorist prägend. Ab Joh 3,18ff folgt ein Wechsel ins Präsens und ein Subjektwechsel. Der Sprachstil wirkt generalisierend. Mit ἐν θεῷ in Joh 3,21d knüpft der Autor wieder an die Gottesrede aus Joh 3,16 an, so dass man von einer „Inklusion, die das Gesamtbild zusätzlich rahmt“89, sprechen kann. 2.1.2 Zur Grammatik: Das γάρ in Joh 3,19d Durch den Artikel von J. van der Watt und C. Caragounis angeregt, die fundierte grammatische Analysen in vielen Artikeln und Kommentaren zum JohEv vermissen bzw. als vernachlässigt einschätzen90, widme ich mich in diesem Abschnitt einer bedeutenden grammatischen Fragestellung, die für meine Auslegung von erheblichem Interesse ist. Hierzu zählt in Joh 3,18–21 das γάρ in Joh 3,19.91 es so, dass die Rede Jesu in die Erklärung des Evangelisten übergeht (vgl. BEUTLER 2013:134f). 86 THEOBALD 2009:243. Eine solche Position ließe auch die Möglichkeit zu, dass es sich in Joh 3,13–15 um einen Monolog Jesu handelt. 87 L. Schenke bei FREY 2000:243. Dagegen H AENCHEN 1980:223. 88 Vgl. SCHWANKL 1995:159, der diese beiden Hälften „als ein Parallelismus membronum oder als Diptychon“ betrachtet. Allerdings unterteilt er die Passage in Joh 3,16–18 und 3,19–21. Gerade die ab Joh 3,18 einsetzende „Reaktion des Menschen“ (O. Schwankl) scheint mir Beleg genug zu sein, die Trennung der beiden Hälften in Joh 3,16–17 und 3,18– 21 anzunehmen. 89 SCHWANKL 1995:160. 90 V AN DER WATT & CARAGOUNIS 2008:91f. 91 Andere grammatische Phänomene in Joh 3,18–21 sind: (1) Indikativ mit μή in einem Begründungssatz ist im NT selten (vgl. BURTON 1903:Nr. 474). (2) Das seltene Vorkommen eines gnomischen Perfekts κέκριται und πεπίστευκεν in Joh 3,18 (BLASS & D EBRUNNER 2001:281; ROBERTSON 1919:897; WALLACE 1996:580). „The aspectual force of the perfect is usually intact, but now it has a distributive value, viz. [videlicet], something that is envisioned on many occasions or for many individuals. (…) It is gnomic in that a generic subject is in view, extensive in that the focus is on the decisive act of judgment having been carried out“ (WALLACE 1996:580). (3) Das erklärende ὅτι, das sich auf ein vorhergehendes Wort oder einen Satz bezieht wie in Joh 3,19 (vgl. STEVENS 1997:Nr. 1519). (4) Der Komparativ

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

Die entscheidende Frage ist, welche semantisch-syntaktische Rolle das γάρ im letzten Satz in Joh 3,19 einnimmt. Ist es begründend (kausal) eingeführt oder ist es wie ein konsekutives bzw. explikatives ὅτι zu werten? Im ersten Fall wäre es eine moralische92, im zweiten Fall eine bezeichnende ‚Verkehrtheitʻ der Menschen. Dabei ist als Voraussetzung grundsätzlich A. T. Robertson zu folgen, der feststellt: „It is a mistake, therefore, to approach the study of γάρ with the theory that it is always or properly an illative, not to say causal, particle. It is best, in fact, to note the explanatory use first.“93 Nach Sichtung diverser Studien fällt auf, dass die meisten Exegeten theologisch-inhaltliche und kontextuelle Gründe für ihre Auslegung anführen. Die eigentliche Grammatik des Satzes wird kaum explizit besprochen. J. Blank stellt fest, dass Joh 3,19d gewöhnlich als Begründung aufgefasst wird.94 Demgegenüber möchte er es konsekutiv bzw. explikativ verstehen, indem Joh 3,19c seiner Meinung nach als Folge zu 3,19d anzusehen ist: Beides gehört demnach zusammen: der Unglaube und die bösen Werke; und beide, in der Einheit ihrer Ablehnung gesehen, verwirken das Heil und erwirken das Gericht, wobei der Plural (böse Werke) noch ein Hinweis darauf sein kann, dass dem vom Unglauben dirigierten Handeln eine zersplitternde und zerstörende Tendenz innewohnt.95

Welche Argumente sprechen jeweils für die eine oder andere Sinnrichtung? Und was ist hier im Besonderen hinsichtlich der griechischen Grammatik zu μᾶλλον … ἤ wird mit zwei Substantiven verwendet (vgl. ROBERTSON 1919:663) und bezeichnet „nicht einen Gradunterschied, sondern einen Gegensatz“ in Anlehnung an das Hebräische (BLASS & DEBRUNNER 2001:197; vgl. HOFIUS 1996:69). Die Schwierigkeit der Auslegung dieses Textes zeigt sich an den vielen versuchen in der Forschungsgeschichte, vgl. dazu THEOBALD 2009:275–277. 92 „Diese Entscheidung aber führt Jesus nicht auf eine intellektuelle Schwäche, sondern auf eine moralische Verkehrtheit zurück“ (ZAHN 1983:210; ähnlich THEOBALD 2009:273). 93 ROBERTSON 1919:1190. Grundsätzlich weicht die Bedeutung von γάρ im NT nicht von der des klassischen Griechisch ab (vgl. BLASS & DEBRUNNER 2001:382; ROBERTSON 1919:1190). Für kurze Hinweise zu Bedeutungsmöglichkeiten von γάρ im Satz vgl. BLASS & DEBRUNNER 2001:382; und besonders J. Blank bei SCHWANKL 1995:168f. 94 BLANK 1964:100; vgl. z. B. DAVIES 1977:98. Siehe zum Phänomen auch FREY 2000:300; POPKES 2005:227f; RÖHSER 1994:201. O. Schwankl fragt in welchem logischen Verhältnis dieser Satz zu V. 19c steht. Für ihn es nicht ein kausaler, sondern ein erklärender bzw. explikativer Gebrauch: „Sachlogisch liegt V. 19d nicht ‚unterʻ oder ‚über‘, sondern ‚nebenʻ 19c, also auf demselben logischen Niveau (...). Gemäß der deutschen Konjunktion ‚nämlichʻ signalisiert das γάρ, daß das eben beschriebene Phänomen noch einmal anders namhaft gemacht und so tatsächlich näher erklärt wird“ (1995:168). 95 BLANK 1964:102; vgl. HAMMES 1997:150f; METZNER 2000:242f; THYEN 2015:219f; WENGST 2000:141. Dabei sieht J. Blank Joh 7,7 als Parallele, so dass „die ‚bösen Werkeʻ nicht im rein moralischen Sinne, als von der Glaubensentscheidung gegenüber Christus unabhängige, gleichsam in sich selber stehende und vorausliegende sittliche Verfehlungen aufzufassen“ sind (1964:101).

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

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beachten? Die grammatische Struktur des Abschnitts stellt sich folgendermaßen dar: αὕτη96 δέ ἐστιν ἡ κρίσις97 ↖ὅτι τὸ φῶς ἐλήλυθεν εἰς τὸν κόσμον καὶ98 ἠγάπησαν οἱ ἄνθρωποι μᾶλλον τὸ σκότος ἢ τὸ φῶς ↖ἦν γὰρ αὐτῶν πονηρὰ τὰ ἔργα.99 πᾶς ↖γὰρ ὁ φαῦλα πράσσων μισεῖ τὸ φῶς καὶ100 οὐκ ἔρχεται πρὸς τὸ φῶς, ↖ἵνα μὴ ἐλεγχθῇ τὰ ἔργα αὐτοῦ· ὁ ↖δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν ἔρχεται πρὸς τὸ φῶς, ↖ἵνα φανερωθῇ αὐτοῦ τὰ ἔργα ὅτι101 ἐν θεῷ ἐστιν εἰργασμένα.

Die Aussage ist in ihrer Funktion einem ‚Brückensatzʻ gleich. Das γάρ knüpft an das anaphorisch ausgeführte Verhalten der Menschen und das kataphorisch überraschende Momentum an, dass die Menschen „Schutz vor dem Licht suchten“102, an. Das αὐτῶν (Joh 3,19d) weist explizit zurück, die πονηρὰ τὰ ἔργα verbinden sich mit dem synonymen Ausdruck ὁ φαῦλα πράσσων (Joh 3,20a) nach vorne hin. Das γάρ verknüpft Joh 3,19c103 mit Joh 3,20a. Grammatikalisch bedeutungsvoll scheint mir das vorangestellte und betonte Verb ἦν in Joh 3,19d zu sein. Das Präsens, die Semantik des Verbs und seine Vorrangstellung betonen den schon immer währenden Tatbestand böser Werke bei den Menschen. Dieser Umstand herrschte auch schon vor dem Kommen des Lichts.104 Insofern ist ein begründender Aspekt in diesem Satz unbedingt enthalten. G. Röhser formuliert es prägnanter und versteht diesen Abschnitt 96

Siehe P. Stuhlmacher, der diese Konstruktion als eine johanneische Stileigentümlichkeit interpretiert (1999:202). 97 Nach M. Theobald handelt es sich hier um eine „alte Streitfrage“: Scheidung oder Verdammnis? Der Autor entscheidet sich für Ersteres (vgl. 2009:272). Dagegen übersetzt J. Frey mit „Verurteilung“, da das Wort nicht neutral als ‚Scheidungʻ zu verstehen ist (vgl. 2000:296). 98 Es ist hier ein „καί adversativum (‚und dochʻ)“ (HOFIUS 1996:69; siehe BLASS & D EBRUNNER 2001:367). 99 Die Struktur selbst ist bereits eine Wertung. Wollte man diesen Satz explikativ, also als eine Aussage zu Joh 3,19c beiordnen, müsste man es so darstellen: καὶ ἠγάπησαν οἱ ἄνθρωποι μᾶλλον τὸ σκότος ἢ τὸ φῶς ἦν γὰρ αὐτῶν πονηρὰ τὰ ἔργα. 100 Zu überlegen ist, ob es sich hier um ein „καί consecutivum“ handelt, das das Vorhergehende weiterführt: „und so“ (vgl. BLASS & D EBRUNNER 2001:367). 101 Diese Konjunktion hat hier nicht kausalen, sondern explikativen Sinn: „nämlich: daß sie in Gott getan sind“ (HOFIUS 1996:71). 102 T HEOBALD 2009:272f. 103 Vgl. auch schon Joh 3,16a mit Joh 3,14f; siehe dazu THEOBALD 2009:268. 104 Vgl. MOLONEY 2005:96.

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

eindeutig als Begründung: „Die jeweilige Beschaffenheit der Werke setzt notwendig eine bestimmte Willensrichtung und damit ein bestimmtes Verhalten zu Jesus aus sich heraus.“105 Weil jedoch weitere grammatische Gründe für das Eine oder Andere nicht angeführt werden können, ist mit J. Frey vermittelnd festzuhalten: Die ‚bösen Werkeʻ sind nicht nur Folge der Liebe zum Dunkel, so daß sich an ihnen zeigt, was der Mensch schon immer war, vielmehr geht das sündige Tun der konkreten Abweisung des Lichtes voraus als der Grund, aus dem die Menschen in der Sünde verhaftet und von ihr versklavt bleiben und also in der Finsternis verharren.106

2.1.3 Sprachformen moralischer Signifikanz? Welche Sprachformen moralischer Signifikanz erscheinen in Joh 3,18–21 auf der intratextuellen Ebene107? In Joh 3,18f kommt keine imperativische Form vor. Dagegen stehen in Joh 3,20f zwei substantivierte Partizipien, die in attributiver Stellung das πᾶς (Joh 3,16) erläutern, aber nicht im imperativischen Sinn fungieren. Außerdem schließen beide Verse mit einem Finalsatz (ἵνα μὴ bzw. ἵνα; (Joh 3,20f), die jeweils das Fernbleiben vom Licht bzw. das Kommen zum Licht erläutern. Das Fazit ist: Auf der intratextuellen Ebene weist dieser Text keine Sprachformen moralischer Signifikanz aus. F. Grob verkennt die Intention des Textes, wenn er Joh 3,20f im Wesentlichen christologisch deutet. Die Metapher des Lichts versteht er als Wirkungstätigkeit Jesu in der Öffentlichkeit (nach Joh 7,1–13). Das Subjekt, das die Wahrheit tut (Joh 3,21), ist Jesus selbst. „Dans notre hypothèse, ce seraient les œuvres de Jésus; c’est le seul cas où les œuvres sont attribuées à Jésus (…) Cette constatation renforce encore la portée du ‚en Dieu‘: les œuvre de Jésus opérées en Dieu, c’est une paraphrase pour ‚les œuvres de Dieu opérées par Jésus‘.“108 Seine Schlussfolgerungen überzeugen nicht. Die dualistisch aufgebaute Struktur und die Rede von

105 RÖHSER 1994:202 (Gegen einen „Moralismus“ vgl. HAENCHEN 1980:225). „Mit den ‚in Gott gewirktenʻ Werken der ‚Wahrheitʻ von Joh 3,21 sind die auch vor- und außerchristlich, im Rahmen des ‚Gesetzesʻ (oder zumindest eines bestimmten Aspekts desselben) möglichen und geforderten Werke gemeint, die die grundsätzliche Zugehörigkeit eines Menschen zu Gott ausmachen und die die Voraussetzung für seinen Weg zu Jesus sind“ (RÖHSER 1994:204f). Dieses Verständnis wird von A. Schlatter nahe gelegt: „Tut er [Nikodemus] sein Werk in Gott, so wird der Glaube an Christus in ihm erwachsen und das belebende Werk des Geistes in ihm geschehen“ (SCHLATTER 1928:54; vgl. RÖHSER 1994:206; ähnlich KEENER 2012:573). 106 FREY 2000:297 (Kursiv im Original). Ähnlich: „The reason was fundamently moral: their deeds were evil” (CARSON 1994:207). 107 Zu den drei Ebenen der Textualität siehe 2. Kapitel, Pkt. 2.2.3. Wegen der in diesem Abschnitt verwendeter Begriffe spricht C. S. Keener von „the language of ethics“ (2012:574). 108 G ROB 1986:26–29.

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

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dem in den Kosmos eintretenden Licht (Jesus) sowie die Reaktion (der Menschen) auf dieses Licht, sprechen gegen die These, Jesus sei Subjekt von Joh 3,21.109

Eine ethische Wirkung kann aber auch durch einen imperativischen Sprechakt hervorgerufen werden (extratextuelle Ebene). Und hier ist mit Hilfe der Sprechakttheorie, die neben einem „propositionalen Aussagegehalt“ einer Äußerung auch die so genannte „Illokution“ betont, eine moralische Signifikanz auszumachen. Denn im Rahmen einer illokulativen Funktion wird „eine Sprechhandlung in einem Kommunikationskontext, wie z. B. Versprechen, Befehlen, Veurteilen“110 vollzogen. Wenn z. B. ein Lehrer die Aussage – „Es ist laut hier“ – vor einer Klasse tätigt, kann damit ein illokulativer Akt verbunden sein, die Schüler sollen ruhig werden. Joh 3,19–21 transportiert als ‚zusichernder Textʻ („Assertives“) ein Werturteil.111 Denn die substantivierten Partizipien beschreiben bei Johannes „faktisches Verhalten von Menschen, das bestimmte Wirkungen zeitigt“112. F. Grob zeichnet diese Sinnlinien des Gegensatzes durch andere Belege im JohEv sehr gut nach (vgl. Joh 6,46; 7,18; 8,34; 9,31; 10,1f.18f).113 - Joh 3,20: πᾶς114 γὰρ ὁ φαῦλα πράσσων μισεῖ τὸ φῶς - Joh 3,21: ὁ δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν ἔρχεται πρὸς τὸ φῶς Dabei verlangen Joh 3,20 und 3,21 eine Zuordnung. Das πᾶς in Verbindung mit dem Partizip Präsens bewirkt eine universale und fortdauernde Wirkung: „The idea seems to be both gnomic and continual: ‚everyone who continually believes‘.“115 Und insbesondere das Tempus als auch die Partizipform verstärken diese Einschätzung. The present occurs six times as often (43 times [als der Aorist]), most often in soteriological contexts (…). Thus, it seems that since the aorist participle was a live option to describe a ‚believer‘, it is unlikely that when the present was used, it was aspectually flat. The present was the tense of choice most likely because the NT writers by and large saw continual belief

109

Ähnlich ENSOR 1996:286f. ZIMMERMANN 2016a:47. 111 Vgl. zur Sprechakttheorie und zur Darstellung der fünf illokutionärer Akte in sprachlichen Äußerungen Z IMMERMANN 2016a:48f. 112 H IRSCH-LUIPOLD 2009:295. 113 G ROB 1986:25. 114 „So ist es beispielsweise nicht möglich, daß Konditionalsätze, die mit ‚Jeder, der ...ʻ beginnen, Handlungsanweisungen enthalten, die exklusiv nur den singulären Empfänger der Offenbarung betreffen. Sätzen dieser Art ist vielmehr ein latenter Universalismus eigen, der sie für die Verwendung in der Mission oder bei Übertritt und Bekehrung besonders geeignet macht“ (BERGER 1991:33). „Wegen des πᾶς und des Präsens werden jetzt diese Vorgänge „als generelles, ‚omnipräsentesʻ Verhalten des Menschen deklariert. Ob man diesen zusätzlichen Schritt als Begründung auffaßt, ist Ermessenssache“ (SCHWANKL 1995:169). 115 W ALLACE 1996:621, explizit zu Joh 3,16. 110

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

as a necessary condition of salvation. Along these lines, it seems significant that the promise of salvation is almost always given to ὁ πιστεύων (cf. several of the above-cited texts), almost never to ὁ πιστεύσας (…).116

Diese prozesshafte und vom Text initiierte Haltung sieht F. J. Moloney in Joh 3,20f markiert: „Ongoing commitment to good deeds is required to become more deeply involved in the light and to be part of the ongoing revelation of that light.“117 Die pragmatische Funktion dieser auf einem Urteil basierenden Zusicherung geschieht dann so, dass der Text beim Leser wiederum eine Wertung hervorruft. Der Leser kann der johanneischen Beschreibung von Wirklichkeit zustimmen, er kann sie aber auch hinterfragen. Gibt es z. B. nur diese beiden Zustände? Sind denn wirklich alle Menschen miteinbezogen? Sollte er eher zur Zustimmung neigen, wird er sich fragen, was sein Standpunkt ist. Und wie kann er in den Bereich des Lichts vordringen? Und was bedeutet es schon, die ‚Wahrheit zu tun‘? Gerade weil der Text eine Schwarz-Weiß-Wirklichkeit behauptet, lädt er zu einer inneren Stellungnahme ein, die aus Widerspruch oder Zustimmung bestehen kann.118 Auf der intertextuellen Ebene ist dann zu fragen, ob im Text Gattungen einer Kommunikationsgemeinschaft wahrnehmbar sind.119 Gemeint sind hier auch bildhafte oder narrative Texte. Auf dieser Ebene scheint dieser Text kaum moralisch signifikant zu wirken, da z. B. Nikodemus als mögliche Leitfigur zum Ende dieser Passage zurücktritt.

116

WALLACE 1996:622. MOLONEY 2005:96. Gegen eine einseitige präsestinatorische Deutung formuliert C. S. Keener: „The Fourth Gospel explicitly requires a point or process of turning rather than simply being invested with a particular nature at oneʻs natural birth“ (KEENER 2012:573). 118 O. Schwankl hat den Begriff „‚ergopraktischeʻ Anthropologie“ geprägt: „Im Tun des Bösen oder ‚der Wahrheitʻ (V. 21a) zeigt sich, und dann kann man auch sagen: entscheidet sich das Sein des Menschen; in seinen Werken ‚erwirktʻ er sein Wesen und darin sein Geschick, sein Heil wie auch sein Unheil“ (SCHWANKL 1995:170). „Er kann von sich aus keinesfalls sein Heil erwirken, sondern nur als Gabe annehmen, aber er kann die Annahme verweigern und dadurch sein Heil verwirken und in diesem Sinn sein Unheil bewirken. (...) Das Kommen des Lichtes hat in dieser Sicht nur den Effekt, daß es die Werke und darin die Wesensart des Menschen aufdeckt, das Latente evident macht und in diesem Sinn ‚klare Verhältnisse schafftʻ“ (:171). „Der Widerspruch also, daß der Mensch eigenverantwortlich handelt und zugleich darin von Gott vorherbestimmt ist, läßt sich logisch nicht auflösen. Es sind zwei inkommensurable Aussagen und Tatbestände, die beide, je in ihrer Ordnung, zutreffen“ (:173). Zum Verb ‚kommenʻ sagt er: „...aber auffallend oft ist dabei mehr gemeint als eine bloße Bewegung im Raum“ (:174). 119 Vgl. ZIMMERMANN 2016a:50–54. 117

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

185

2.2 Normen in Joh 3,18–21 R. Zimmermann unterscheidet beim Meta-Konzept der Normen vier Unterkategorien, nämlich Prinzipien, Maximen, Güter und Werte.120 - „Ein Prinzip soll dabei (…) eine Norm sein, die dem Handeln vorausliegt und aus der dann das richtige Tun abgeleitet wird.“ - Eine Maxime kann als Ziel des Handelns mit einem teleologischen Aspekt verstanden werden. - Ein Gut ist eine inhaltlich festgelegte Norm, die in sich einen Wert hat. Ihr ‚Gutseinʻ („Gutheit“, P. Stemmer) ist in der Regel unstrittig. Ein Gut richtet sich an die Bedürfnisse seiner Subjekte und braucht daher im Allgemeinen nicht geboten werden. - Ein Wert ist dem ‚Gut-Begriffʻ ähnlich, impliziert jedoch den Aspekt des subjektiven Empfindens. Hierbei wird es um Phänomene gehen, die vom jeweiligen Subjekt unterschiedlich bewertet werden können. Allein aus heuristischen Gründen ist diese Präzisierung und Umschreibung des Begriffes Norm hilfreich. Normen sollen aus der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Text generiert werden. Die vier Unterkategorien helfen bei der Bewertung möglicher Normen. Sie verstehen sich als Angebote einer Interpretation und lassen sich nicht immer eindeutig bestimmen. Tabelle 25: Normen in Joh 3,18–21 Differenzierung Normen Prinzip Prinzip Wert Prinzip

Gut Prinzip Wert

120

Der Glaubende (ὁ πιστεύων)121 Urteil bzw. Be- und Verurteilung der Werke der Name des Sohnes Gottes (τὸ ὄνομα τοῦ μονογενοῦς υἱοῦ τοῦ θεου) Liebe der Menschen zur Finsternis; Hass des Lichts (ἠγάπησαν οἱ ἄνθρωποι μᾶλλον τὸ σκότος ἢ τὸ φῶς) Licht (τὸ φῶς), als Gegensatz zur Dunkelheit mit all ihren Nachteilen Wer die Wahrheit tut (ὁ δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν) Gott gewirkte Werke (τὰ ἔργα ὅτι ἐν θεῷ ἐστιν εἰργασμένα)

Bibelstelle Joh 3,18 Joh 3,18ff Joh 3,18c Joh 3,19f

Joh 3,19.20.21 Joh 3,21 Joh 3,21

Vgl. für das Folgende ZIMMERMANN 2016a:58f. Auch wenn völlig parallel im Text dargestellt, erscheint mir die negative Formulierung ὁ δὲ μὴ πιστεύων nicht als Norm, sondern gilt für die Ersthörer des Textes als eine ‚Bezeichnungʻ. Soziologisch gesehen, wirkt eine solche Formulierung abgrenzend. Sie vermag zu trennen zwischen drinnen und draußen (vgl. NEYREY 2002:653–655). 121

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

Es fällt auf, dass in diesem Abschnitt die Prinzipien überwiegen. Allein nur das Licht kann als ein undiskutables Gut gesehen werden, das im Allgemeinen Menschen anzieht. Bezieht man Joh 3,16–17 mit ein, kämen einige Normen zur ethischen Reflexion hinzu: der Sohn als Gabe Gottes an die Welt, das ewige Leben und wohl allgemein die Zuwendung Gottes zur Welt. Allerdings wäre hier kritisch zu fragen, ob – außer dem Gut ewiges Leben – die anderen Aspekte Teil einer ethischen Reflexion sein können. Denn schließlich ist es Gottes souveränes Handeln und seine Initiative in der Hinwendung zur Welt. Die Welt bzw. die Menschen sind Empfangende der Liebe Gottes.

Zentral für diesen Text ist die Frage nach den Kriterien der Verurteilung. Inwiefern haben die Menschen die Finsternis mehr geliebt? Wer gibt den Maßstab vor, wonach sich die beiden Gruppen von Akteuren aus Joh 3,20f unterscheiden? Eine mögliche Größe ist τὸ ὄνομα τοῦ μονογενοῦς υἱοῦ τοῦ θεου. Der Bezug auf den Namen wird semitischen Hintergrund haben und damit eine traditionsgeschichtliche Dimension aufweisen. Oder gibt es neben dem Nichtglauben an den Sohn eine Kategorie, die darüber bestimmt, was gut und böse ist? Ist hier das Gesetz impliziert, wie z. B. einige das Partizip ὁ δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν mit die „Weisungen-des-Gesetzes-befolgen“ gleichsetzen. 2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte122 von ‚die Wahrheit tun‘ Es ist nicht nötig, stets alle Normen auf ihre Traditionsgeschichte hin zu untersuchen. Die Norm ὁ δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν123 soll hier exemplarisch erörtert werden. Bei der Untersuchung des ethischen Begriffs ἀγαθός im JohEv kommt J. van der Watt auf die Relation zwischen ἀγαθός und ἀλήθεια zu sprechen.124 Die Parallele zwischen Joh 3,21 und 5,29 ist augenscheinlich.

122

R. Heiligenthal untersucht ebenfalls die traditionsgeschichtlichen Bezüge dieses Abschnitts und sieht hier (1) „das Offenbarwerden der Taten im göttlichen Gericht nach den Werken“ und (2) „Ἔργον als Bezeichnung des Modus der Zugehörigkeit innerhalb des ethischen Dualismus ‚Licht-Finsternisʻ“ (vgl. 1983:220–233). 123 HOULDEN 2004:37f, der grundsätzlich kritisch gegenüber einer johanneischen Ethik ist, schreibt: „In iii, 21, though there is reference to ‚deedsʻ, the object of the verb ‚to doʻ is not ‚the goodʻ or ‚the rightʻ, as we might expect (to balance ‚evilʻ in the preceding verse), but ‚the truthʻ – a surprising word in an ethical context, whatever the nuance of the word here, but less surprising if ‚the truthʻ is one of John’s words for denoting the life and status which Christ confers. The alternative to evil is a way whose meaning transcends the ethical sphere. For John, the all-important thing is for a man to become one with the Son whom the Father has sent.“ 124 Vgl. für das Folgende VAN DER WATT 2009b:320–322; siehe auch GEBAUER 2000:235–241.

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

Joh 3,20–21: ὁ δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν Joh 5,29: οἱ τὰ ἀγαθὰ ποιήσαντες εἰς

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ὁ φαῦλα πράσσων οἱ δὲ τὰ φαῦλα πράξαντες εἰς

Das lexikalische Bedeutungsspektrum von Wahrheit umfasst folgende Aspekte: „facts that may be true or trustworthy (...); more commonly, the ‚truth as the attribute of a person‘, i. e. the faithfulness of a person (...); referring to that which is true, real, genuine, the authentic, or that one could rely on.“125 In der Forschungsgeschichte war es Teil einer Debatte, ob ἀλήθεια im Evangelium dem griechisch-hellenistischen oder hebräischen Hintergrund zuzuordnen ist.126 Während in der Mitte des letzten Jahrhunderts insbesondere die griechisch-hellenistische Lesart dominierte, wird heute der Sachverhalt differenzierter betrachtet. In most cases the Hebrew meaning seems to dominate, linking truth to God (and his revelation) being faithful. There are, however, other cases like 15,1 (...) or 6,55 (...) where the Greek sense of genuine or real is a semantic possibility and even preferable.127

Bedeutsam für meine Argumentation ist, dass die hebräische Deutung explizit eine ethische Wirklichkeit inkludiert. „For the Hebrews, truth was moral and relational, not intellectual.“128 Im Hebräischen repräsentiert ἀλήθεια „firmness, stability, and of persons, steadfastness or trustworthiness“.129 „Wahrheit ist somit nicht ‚von außen‘, aus objektivierender Distanz erkennbar..., sondern nur, wenn man sich in ihrem ‚Innenraumʻ befindetʻ (vgl. 18,37).“ 130 Es ist also mit großer Wahrscheinlichkeit so, dass Joh 3,21 auch den praktischen Lebensvollzug miteinschließt. Zumindest lässt sich dies aus der traditionsgeschichtlichen Einordnung ableiten. „For in John truth becomes the norm which governs human lives; human beings must ‚do the truthʻ by practising love in daily life (3:21; 1 Jn. 1:6; 3:18).“131 Die Wendung ὁ δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν (Joh 3,21) wird in der jüngeren Forschung häufig mit ‚glaubenʻ identifiziert.132 M. Theobald kritisiert mit Recht 125

VAN DER WATT 2009b:323f. Ersterer betont die ‚faktische Repräsentation von Ereignissenʻ, das, was ist und wirklich existiert, die Wirklichkeit schlechthin. Letzterer betont die Glaubwürdigkeit, Treue und Zuverlässigkeit einer Person oder Sache (vgl. VAN DER WATT 2009b:324; GEBAUER 2000:238f). Zum Verständnis von ‚Wahrheitʻ im Hebräischen allgemein siehe SIEBENTHAL 2000b:221–231 und zum Vergleich zwischen Platon und Johannes siehe RICHERT 2014:9– 44. 127 V AN DER WATT 2009b:325; Ähnlich B EUTLER 2013:141. 128 J. Dewey bei VAN DER WATT 2009b:324f; vgl. KANAGARAJ 2001:57f; KEENER 2012:574; SCHNACKENBURG 1988:157. 129 B EASLEY-MURRAY 1999:14; vgl. G EBAUER 2000:249 130 M. Hasitschka bei GEBAUER 2000:250. 131 K ANAGARAJ 2001:58. 132 Die Wahrheitstat ist bei Johannes der Glaube (vgl. BLANK 1964:106; ähnlich FREY 2000:289–300; HOFIUS 1996:72). 126

188

7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

diese These u. a. mit dem Verweis auf „den traditionellen Charakter der Wendung“ und eine bei dieser Auslegung vorliegende Tautologie in Joh 3,21.133 „Die Pointe von V. 21 lautet demnach: ‚Wer aber gottgemäß handelt, drängt zum Licht, damit sein Tun (das sich in Werken äußert) auf Gottes zuvorkommende Gnade hin durchsichtig wird‘.“134 2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen „Normen stehen nicht unverbunden nebeneinander. Um moralische Signifikanz zu erzeugen, müssen sie in eine Ordnung und vor allem auch eine Gewichtung und Bewertung gesetzt werden.“135 Zu klären ist gerade diese Verbundenheit oben genannter Normen in Joh 3,18–21. Dabei impliziert eine solche Fragestellung zum einen, wie eine bestimmte Norm zu bewerten ist. Eine solche Wertung hat die einzelne Norm im Fokus.136 Zum anderen ist zu untersuchen, in welchem Verhältnis einzelne Normen zueinander stehen.137 Die Aussage über die ‚bösen Werkeʻ (Joh 3,19) impliziert noch keinen moralischen Sinn. Im Gefolge von F. v. Kurschera ist mit dem Merksatz zu urteilen: „Es ist gut, dass A, wobei für ‚Aʻ Aussagen eingesetzt werden können“.138 In Bezug auf Joh 3,19ff ist also zu formulieren: Es ist gut, dass (einige) Menschen zum Licht kommen und ihre Werke offen legen. Es ist nicht gut, dass (einige) Menschen, böse Werke tun, den Schutz der Dunkelheit suchen und sich nicht ins Licht stellen. Eine explizite komparativische Wertaussage liegt durch μᾶλλον … ἤ vor. Das Licht ist – pauschal betrachtet – der Dunkelheit vorzuziehen. Und während Joh 3,19 allein nur den überraschenden Tatbestand – die Menschen ziehen die Dunkelheit dem Licht vor – betrachtet, werden die Aussagen in Joh 3,20f moralisch signifikant. Das in seiner Bedeutung emotional wirkende Verb im Präsens μισεῖ betont eine durative und willentliche Haltung (der Einzelnen).139 „Damit wird die besprochene Sache auf eine neue, weitere Sinnebene verlagert,

133 THEOBALD 2009:275f; gegen METZNER 2000:163f.244. Für einen forschungsgeschichtlichen Überblick sämtlicher Erklärungsversuche von Joh 3,21 siehe 2009:275–277. 134 T HEOBALD 2009:274. Vermittelnd formuliert H. Thyen, der auf den Glauben mit seiner Praxis verweist (2015:220). 135 Z IMMERMANN 2016a:69. 136 Vgl. ZIMMERMANN 2016a:70f, der F. v. Kurschera folgend zwischen „klassifikatorische, komparative und metrische Wertaussagen“ unterscheidet. Die „metrischen“ Aussagen können hier vernachlässigt werden (vgl. 2016a:71). 137 Vgl. dazu ZIMMERMANN 2016a:77f. 138 F. v. Kutschera bei ZIMMERMANN 2016a:70: „Als Beispiel formuliert Kutschera, Grundlagen, 14: ‚So kann man statt ‚Die Absicht von Fritz, Hans zu helfen, ist gutʻ auch sagen ‚Es ist gut, daß Fritz beabsichtigt, Hans zu helfen.ʻ“ 139 Vgl. BROWN 2008a:149.

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

189

und zwar auf die des Tuns, näherhin der Handlungsqualität. (...) Das Geschick des Lichtes hängt mit dem Handeln der Menschen zusammen.“140 Die ethische Wirkung betreffend erscheint mir wichtig, dass der Text mit einer positiven Haltung in Joh 3,21 endet. Wären Joh 3,20 und Joh 3,21 vertauscht, bliebe auf der pragmatischen Ebene der Eindruck des Unentrinnbaren zurück. Durch den positiven Schluss, der auch noch das Ende eines Sinnabschnitts darstellt, überwiegt beim Hörer der appelativ-gewinnende Aspekt mit seiner theologischen Zuspitzung. Es ist eine Einladung, die Wahrheit zu tun und damit die in Gott gewirkten Werke zu vollbringen.141 Wollte man die Interrelation einzelner Normen entsprechend ihrer Wertigkeit in einem Schaubild darstellen, liesse es graphisch folgendermaßen anordnen.

Gut: τὸ φῶς

Wert: τὸ ὄνομα... Prinzip: ὁ πιστεύων / ὁ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν...

Wert: ἐν θεῷ ἐστιν εἰργασμέ να...

ὁ φαῦλα πράσσων...

Abb. 6: Wertehierarchie in Joh 3,18–21

Das Licht erscheint als ein dem ganzen Kosmos zukommendes Gut. Für einige Bewohner des Kosmos ist das Licht zu einem Wert geworden. Sie haben Vertrauen gefunden in den Namen des Gesandten vom Vater. Im Text werden sie als die Glaubenden, deren Handeln sich durch das Tun der Wahrheit auszeichnet, beschrieben. Die von ihnen verrichteten Werke bekommen das Prädikat: von Gott gewirkt. Daneben gibt es eine andere Größe, die dem Licht fern bleibt. 140 141

SCHWANKL 1995:166. Für den Aspekt der Einladung vgl. KEENER 2012:573.

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

Über das zahlenmäßige Verhältnis dieser beiden Gruppen schweigt der Text (einen Hinweis gibt nur Joh 1,11f).142 Fest steht, dass ein Teil der Menschen dem Licht fernbleiben und ihre bösen Werke fortsetzen. O. Schwankl hat diesen Umstand als Skotophilie bezeichnet. Demgemäß spricht der Satz V. 19c von der Liebe der Menschen. Inhaltlich (materialiter) läuft ihre Reaktion aber der Logik der Liebe zuwider. (...) Wenn die Menschen statt des Lichtes die Finsternis liebten, steht also ihre Reaktion zur Aktion, dem Kommen des Lichtes, in einem krassen Mißverhältnis. (...) Weil diese tragische Grunderfahrung widersinnig anmutet, verlangt sie nach weiterer Erklärung.143

2.3 Reflexionsformen: Metaphorische Ethik Bedeutende Fragen in Bezug auf die Reflexionsformen impliziter Ethik sind: In welche Begründungsstruktur ist ἔργον und ἐργάζεσθαι jeweils eingebettet? Erfolgt eine Bewertung des ἔργον? Wenn ja, wie ist diese Argumentationsweise aufgebaut? Die Erzählebene betrachtend – welche Handlungen werden als gut und richtig eingeschätzt? Mit welcher erzählerischen Begründung? Und die Interpretations-/Leser-Ebene berücksichtigend, aus welchen Handlungen lernt der Leser für sich selbst? Welche Fehler soll er vermeiden? Usw. Zunächst ist festzuhalten, dass Joh 3,18–21 auch als eine Art Zustandsbeschreibung gelesen werden könnte. Aus einer solchen Leseperspektive würde Johannes sein dualistisches Konzept beschreiben, das die gesamte Wirklichkeit umfasst. Alles ist vorherbestimmt. Es gibt Solche und Solche. Determination und Prädestination beherrschen dann die Textwelt. Nun ist aber fraglich, ob der Text wirklich so gelesen werden sollte. Dafür spricht allein schon die Tatsache, dass „die zweite ‚Stropheʻ des ‚Lehrstücks‘“ in der Forschung seit langem als sperrig empfunden wurde und Exegeten mit einer „einschneidenden Uminterpretation“ in Joh 3,18–21 im Gegensatz zu Joh 3,16–17 gerungen haben.144 Es fällt zunächst auf, dass Johannes die allgemeine Aussage in Joh 3,19 zur Situation in der Welt mit zwei konkreten Aussagen umklammert: Sowohl Joh 3,18 als auch Joh 3,20f beinhalten jeweils parallele Aussagen, die mit substantivierten Partizipien den Einzelnen, also einen Teil vom Ganzen, meinen.145 Das πᾶς in Joh 3,20, das in Joh 3,21 wohl mitzudenken ist, betont noch diesen Umstand und hebt das einzelne Subjekt aus der unpersönlichen Masse hervor. Durch das Verb ἔρχομαι ist eine Bewegung impliziert.146 A. J. Kurichianil 142 „Daß das Licht auf Gegenliebe stößt, also daß Jesus angenommen wird, mag quantitativ der Ausnahmefall sein; dennoch ist es der eigentliche, der vorherrschende Fall des JohEv“ (SCHWANKL 1995:175). 143 SCHWANKL 1995:165. 144 Vgl. THEOBALD 2009:269.275–277. 145 „Ancient moralists might recognize that not everyone ‚loved the truthʻ, but emphasized that people should“ (KEENER 2012:572). 146 Zu den Verben der Bewegung im JohEv siehe SCHWANKL 1995:345–347.

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

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macht beim 156x im Evangelium verwendeten, aus der Alltagssprache entlehnten Verb ἔρχομαι drei übertragene Bedeutungen bei Johannes aus. (i) There are number of texts, which speak of people coming to Jesus. (…) (ii) In a second category of texts people refuse to come to Jesus, meaning that they refuse to believe in him. (…) (iii) In yet a third category of texts people go away from Jesus (…) and going away from him means giving up faith in him.147

Es handelt sich gerade nicht um einen unwandelbaren Zustand. Die Zustandsbeschreibung der Wirklichkeit ist statisch: Es gibt Licht und Dunkelheit. Aber die Hörer bzw. die Leser des Evangeliums können sich auf das Licht zubewegen. Ohne die Spannung, die Joh 3,21 erzeugt, aufheben bzw. harmonisieren zu wollen, ist dann mit M. Theobald festzuhalten: Allerdings benutzt 3,21 im Unterschied zu 18,31 und 8,47 (…) keine ontische Sprachform, sondern – singulär im Buch – eine ethische: Wahrheitsgemäßes Handeln – die frühchristliche Formel ‚die Wahrheit tunʻ (…) lässt an torakonformes Handeln denken (…) – scheint also für den Autor des Textes vor und außerhalb Christi denkbar.148

Dabei bleibt der Text ganz allgemein. Der Hörer bzw. Leser erfährt nicht, um welche Art von Werken es sich konkret handelt149, die das Prädikat „die Wahrheit tun“ umschreibt. Aber traditionsgeschichtlich betrachtet könnte es sich hier um „die auch vor- und außerchristlich, im Rahmen des ‚Gesetzesʻ (oder zumindest eines bestimmten Aspekts desselben) möglichen und geforderten Werke“150 handeln. In der Sinnlinie des Johannes wird man an Joh 5,37b–40 denken können. Die Schrift wahrnehmen, hören und halten, indem man – und das ist die Zuspitzung – zum Gesandten Gottes kommt. R. Zimmermann stellt in Bezug auf die ethische Reflexion dar, dass die Benennung von Normen allein macht noch keine Ethik ausmacht. Es ist vielmehr 147

KURICHIANIL 2010:40–43. THEOBALD 2009:277; gegen den Determinismus im JohEv vgl. BROWN 2008a:148f. 149 „Die ‚bösen Werkeʻ sind die ‚Untatenʻ und dunklen Machenschaften, die zum Tod Jesu führen. Und ‚die Menschenʻ, die das be-werk-stelligen, sind demnach die Gegner Jesu, näherhin die in der Passionsgeschichte handelnden Personen und Gruppen. (...) Die konkreten Akte der Tötung Jesu (...) stehen nicht nur für sich selbst, sondern für mehr; sie sind typisch und repräsentativ für die Reaktionen, die Jesus mit seinem Wirken ausgelöst hat; und damit verdichtet sich noch einmal das typische menschlich-allzumenschliche Verhalten insgesamt“ (SCHWANKL 1995:168). 150 RÖHSER 1994:204; ähnlich KEENER 2012:574. R. Metzner umschreibt die Situation ganz allgemein als Glaube und Unglaube: „Für Johannes sind also die bösen Werke und Taten identisch mit der Sünde und dem Unglauben. Demgegenüber ist das ‚Werk Gottes‘ der Glaube an den Gesandten (6,28f.), den es – wie die Wahrheit in 3,21 – zu ‚tun‘ gilt. (...) In der Rede vom ‚Tun des Bösen‘ und vom ‚Tun der Wahrheit‘ verbirgt sich also der joh Gegensatz von Glaube und Unglaube. Er ist in der Gerichtsaussage von 3,18 bereits dispositionsartig benannt“ (2000:244). Eine solches Urteil führt in der Tendenz dazu, eine Ethik im JohEv zu negieren, sofern nicht „Glaube und Unglaube“ aus dem johanneischen Text näher bestimmt werden. 148

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7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

die Frage, wie diese Normen in Anspruch genommen und wie ihre Geltung behauptet und eingefordert wird.151 Daher geht es primär um die Frage, wie moralische Signifikanz erzeugt wird. Es gibt seiner Ansicht nach sieben Reflexionsformen.152 Aufgrund der ‚metaphorischen Dichteʻ dieses Abschnitts scheint die Reflexionsform der metaphorischen Ethik vorgegeben zu sein. Bei der metaphorischen Ethik werden „vertraute Handlungsmuster in sachfremde Kontexte übertragen bzw. der bildempfangende Bereich [erzeugt] ein ethisches Konfliktfeld“.153 In Bezug auf die Norm Licht im Raum des Kosmos stellt sich folgende argumentative Linie dar. (1) Traditio und Innovatio: Im Rückgriff weiß der Leser: das Licht ist gut. Das Lichte ist positiv. Es wärmt und ist ein erstrebenswertes Gut. Im Vorgriff wird das Licht in einen innovativen Verstehenszusammenhang eingeordnet: Es ist möglich, das Licht zu hassen. (2) Appellstruktur: Die auftretende metaphorische Spannung drängt zu einem eigenen ethischen Urteil im Prozess der Rezeption.154 Die einen verbleiben in der Dunkelheit, andere kommen zum Licht. Wenn das Licht gut ist, aber aus bestimmten Gründen auf Ablehnung stößt, wird der Leser aufgefordert, ein ethisches Urteil zu fällen. (3) Metaphorische Handlungsreflexion und Ethico-Ästhetik: Man könnte hier den letzten Gliedsatz von Joh 3,21 heranziehen. Es geht um mehr als nur die Wahrheit tun. Vielmehr geht es um eine göttliche Dimension der Werke, die als die im Leser wirkenden Handlungen Gottes erkennbar werden. „Entsprechend soll der Leser selbst emotional berührt werden.“155 Er kann für sich fassen, dass Gott selbst sich auf seine Seite stellt. Und dies ist ein Topos, der zentral für das Selbstverständnis des Volkes im AT ist. Beachtet man dann die Anknüpfung zu Joh 3,2, so wird deutlich: Der, der die Wahrheit tut, ist nicht nur im Licht, Gott ist mit ihm. Dieselbe Qualifikation erhält auch Christus von Nikodemus. Aber auch die Metapher des Lichts selbst kann ethico-ästhetisch wirken. Denn Licht bezieht sich auf „the positive quality of deeds done within the space occupied by the light. Behaviour in the light is correct behaviour“156. Und J. G. van der Watt formuliert zugespitzt: „In the presence of Jesus, as light, one can see where to walk, yes, how to live. Light represents the revelation to people concerning how to behave (live) as a member of those who have life, in other words, who belong to God’s family.“157 151

Vgl. ZIMMERMANN 2016a:79f. Siehe 3. Kapitel, Pkt. 5.2.3. 153 Z IMMERMANN 2016a:90. 154 Z IMMERMANN 2016b:10. 155 Z IMMERMANN 2016b:11. 156 MLAKUZHYIL 2011:447. 157 V AN DER WATT 2010:158f. 152

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

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(4) Deutungsoffenheit: R. Zimmermann wertet die metaphorische Ethik als „non-direktive Ethik“158. Wie genau das Verhalten zu organisieren ist, wird in Joh 3,18–21 nicht gesagt. Aber das überrascht bei Johannes nicht. „In der Deutungsoffenheit der Metapher liegt somit zugleich der Keim der ‚Allgemeingültigkeitʻ der metaphorischen Ethik.“159 2.4 Der ethische Urteilsträger Beim ethischen Urteilsträger kann man zwischen einem handelnden und reflektierenden Subjekt unterscheiden: Ersteres unterzieht die eigene Handlung bzw. Entscheidung retrospektiv oder prospektiv einer kritischen Beurteilung. Letzteres bewertet die Handlung eines anderen. Beiden Subjekten ist gemeinsam, dass sie Kommunizierbarkeit und Vermittelbarkeit der Ethik anstreben und „auf Verallgemeinerbarkeit der Handlungsurteile ausgerichtet“ sind.160 Zentral für diese Perikope ist der Hörer bzw. Leser des Evangeliums. Der in dieser Komposition vorliegende Text will durch das „Mittel des konfrontativen Dialogs und des kerygmatischen Monologs zum richtigen Glaubensverständis“ führen und in den Fragen des Nikodemus wird „das Glaubens-,Wissenʻ der Leser selbst zur Disposition gestellt“161. Der Leser wird sich selbst beurteilen müssen, ob sein Handeln im Raum einem ‚Dunkelmannʻ oder ‚Lichtmenschenʻ (U. Busse) entspricht. Die verwendeten Pluralformulierungen im Text verstärken die moralische Signifikanz des Abschnitts (vgl. Joh 3,2.11).162 G. Röhser spitzt diese Interpretation noch zu, indem er bezogen auf die Innenwelt des Textes hier an Menschen denkt, die sich bereits wie Nikodemus auf den Weg zu Jesus gemacht haben und vor bösen Werken und deren Folgen (nämlich einem Rückfall in den alten Zustand) gewarnt sowie zu einem konsequenten Tun der Wahrheit aufgerufen werden. Ob man den Glauben tatsächlich als „logische Folge einer Grundorientierung des Menschen (in ‚Werkenʻ der ‚Wahrheit‘) an Gott“163 bezeichnen kann, erscheint mir jedoch zu gewagt. 2.5 Die Reichweite der Ethik Das dritte Kapitel des JohEv hat mit einem einzelnen Menschen begonnen, der bei Nacht kommt, und endet in Joh 3,18ff mit der gesamten Menschheit. Der Geltungsbereich der moralisch signifikanten Aussagen könnte sich über zwei denkbare Szenarien erstrecken.

158

ZIMMERMANN 2016b:10. ZIMMERMANN 2016b:13. 160 Z IMMERMANN 2016a:98. 161 FREY 2000:247f; vgl. MOLONEY 2005:97. 162 FREY 2000:259. 163 RÖHSER 1994:207. „Nicodemus is an example of a character who demonstrates a partial faith“ (MOLONEY 2005:97). 159

194

7. Kap.: Der modus vivendi der Menschen mit ihren ἔργα in Joh 3,18–21

Zum einen werden in Bezug auf die Leserschaft bzw. die johanneische Gemeinde Grenzen markiert. Innerhalb einer solchen Gemeinschaft wird zu entscheiden sein, wer zu denen gehört, die Arges tun, und wer denen zuzuordnen ist, die die Wahrheit tun. Gerade Letzteres kann dann als Prinzip gemeindlichen Handelns interpretiert werden. Die Strategie nach außen hin zielt einerseits darauf, mögliche Überläufer auf die eigene Seite zu ziehen, andererseits darauf, diejenigen, die dem Appell nicht folgen, umso entschiedener zu disqualifizieren. (...) Die Strategie nach innen hat Ähnliches zum Ziel: Sie will einerseits die Mitglieder des eigenen Kreises ‚positiv verstärkenʻ und den Zusammenhalt fördern, andererseits die unsicheren Elemente davon abhalten, sich der Gegenseite zuzuwenden oder auch nur ‚unterzutauchen‘.164

Zum anderen umfasst die Textwelt in Joh 3,18–21 den gesamten Kosmos. Der Text beansprucht für sich, eine Beurteilung über alle Menschen zu bieten. Alle werden entsprechend ihrer Haltung zum Licht beurteilt bzw. bewertet. Insofern ist es eine κρίσις (Verurteilung), die gemäß dem JohEv universal gilt.165 Glaube und Unglaube finden ihre Entsprechung im ethischen Verhalten der Menschen. Sie sind nicht Verhängnis, sondern resultieren auch aus dem sittlichen Tun der Menschen. Das Zusammenwirken von Gott und Mensch beim Zustandekommen des Glaubens erhält damit keine hinreichende Erklärung, aber die Ethik erscheint als Forderung und Folge des Glaubens, so wie das böse Tun dem Unglauben entspringt.166

In diesem Kapitel habe ich in einem ersten Teil eine Deutung begründet, die ausgehend vom Basistext Joh 3,18–21 die implizierte Licht-Dunkelheit-Metaphorik und die Raum-Metaphorik ernst nimmt. Aufgrund der zentralen Bedeutung des Abschnitts im Evangelium und der erstmaligen Verwendung von ἔργον und ἐργάζεσθαι ist eine Leseperspektive vorgeschlagen worden, die die ἔργα im Raum des Lichts, im Raum der Dunkelheit und in einem ambivalenten Handlungsraum verortet. Hierbei ist im Besonderen die Metapher der Bewegung im Raum herausgestellt worden. Akteure, die dem Licht begegnen, wirken nicht statisch. Sie sind unterwegs zu ihm oder von ihm. Und manche – wie Nikodemus – lassen sich nicht ohne weiteres einem Schwarz-Weiß-Denken zuordnen. In ihrer Figur zeigt sich die eigentliche Ambivalenz. Das Licht löst eine Spannung (κρίσις) im Kosmos aus. Und es gibt solche, die sich vor diesem Licht verbergen, und andere, die sich der Lichtquelle annähern. Manche aber befinden sich in einem Prozess. Es ist noch nicht eindeutig, (ob und) wie sie sich positionieren werden. Der weitere Verlauf der Erzählung wird es dem Leser offenbaren.

164

SCHWANKL 1995:179. Zum Universalismus siehe 4. Kapitel, Pkt. 3.1. 166 SCHNELLE 2004:77. 165

2. Joh 3,18–21: Implizite Ethik im Basistext über die ἔργα

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In einem zweiten Teil des Kapitels habe ich die Methodik zur impliziten Ethik auf Joh 3,18–21 angewandt. Dieselben Analyseschritte sind auf die weiteren Textabschnitte, in denen ἔργον und ἐργάζεσθαι verwendet werden, anzuwenden.

8. Kapitel:

Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘ Sein Beruf ist, Gottes Werk fertig zu machen. (A. Schlatter)1

Im Raum des Lichts regiert das Licht, das nach dem JohEv Christus ist (u. a. Joh 1,41; 9,5). Insofern dominieren hier der Abgesandte vom Vater und seine gewirkten Werke. Hier zeigt sich ein deutliches semantisches Feld: Die Werke sind der Erweis des Gesandten. Die relevanten Belegstellen werden thematisch geordnet und – sofern inhaltlich vertretbar – zusammengefasst. Dabei ist die Anordnung teils am Verlauf des Evangeliums und teils an inhaltlichen Kriterien orientiert. (1) Es geht zunächst um den Sohn selbst, der explizit auf das Werk Bezug nimmt und damit dem Begriff eine eigene semantische Prägung gibt (Joh 4,31–34; 17,1–5). (2) Eine im Text des Evangeliums vorkommende und dem Leser des Evangeliums auffallende Behauptung ist, dass der Vater und der Sohn gemeinsam wirken (Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31). (3) Wie hat ein Mensch zu sein, der sich im Raum des Lichts aufhält? Was zeichnet ihn aus? Welche Werke kann er vorweisen? Abraham ist ein solcher ‚Modell-Mensch‘, der im Text des Evangeliums als eine literarische Figur eingeführt wird und dessen Werke über sein Wesen Aufschluss geben (Joh 8,37–41a). (4) Schließlich ist zu fragen, welche Rolle die Werke bei den Jüngern spielen. Inwieweit werden die Jünger in die Werke des Gesandten hinein genommen? Hierbei geht es um den ekklesiologischen Sinnbereich der Werke (Joh 9,1–5; 14,12).2

1. Joh 4,31–34; 17,1–5: Der Menschensohn und sein ἔργον 1. Joh 4,31–34; 17,1–5: Der Menschensohn und sein ἔργον

Immer wieder sind die wenigen Singularstellen des Begriffs ἔργον in der Exegese thematisiert worden (Joh 4,34; 6,29; 7,21; 10,32f; 17,4). Dabei wurde besonderes Gewicht auf Joh 4,34 und Joh 17,4 gelegt, weil in beiden Belegstellen Jesus selbst ἔργον als einen Konzept-Begriff einführt. So werden diese beiden

1 2

SCHLATTER 1928:77 über Jesus in Joh 4,34. Siehe 6. Kapitel, Pkt. 2.3.1 sowie 3.1.4.

1. Joh 4,31–34; 17,1–5: Der Menschensohn und sein ἔργον

197

Aussagen Jesu immer wieder als Inklusion zu den Werken bewertet.3 Allerdings ist im Zuge der Mehrdeutigkeit des Begriffs ἔργον hier zu präzisieren: Gemeint kann nur eine Inklusion sein, die in ihrer Semantik christologisch gefüllt ist. Neben dieser Bedeutung lassen sich im Evangelium andere semantischen Stränge zeigen, die parallel bzw. auf einer anderen Ebene neben Joh 4,34 und Joh 17,4 verlaufen. 1.1 Sprachformen der Moral in Joh 4,31–34; 17,1–5 1.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 4,31–34; 17,1–5 Joh 4,1–3 gibt eine Begründung wieder, warum Jesus Judäa verlässt und sich nach Galiläa begibt, was nach Joh 4,4 eine Durchreise durch Samarien notwendig macht. In Joh 4,7b–26 erlebt der Leser „am hellen Mittag“4 einen Dialog zwischen Jesus und einer Samaritanerin in Abwesenheit der Jünger (Joh 4,8). Der relevante Text in Joh 4,31–38 wird durch die Zwischenbemerkungen in Joh 4,27–30 und Joh 4,39f eingerahmt.5 Inhaltlich ist der Abschnitt Joh 4,31– 38 in Joh 4,31–346 (Thema: Essen) und Joh 4,35–38 (Thema: Saat – Ernte) zu gliedern, wobei durch den Beginn der wörtlichen Rede in Joh 4,34 beide Teile aufeinander bezogen bleiben.7 Formal werden beide Abschnitte durch einen Dialog und durch die einsetzende Unterweisung mit Hilfe einer Parabel in Joh 4,35ff getrennt.8 Trotz der gegenseitigen Bezogenheit untersuche ich bei meiner Fragestellung nur den Abschnitt Joh 4,31–34. Es ist in der Forschung strittig, wann Jesu Abschiedsreden genau enden und wo wegen des angedeuteten Ortswechsels in Joh 14,31 die Kapitel 15–17 zu verorten sind.9 Das vorangestellte ταῦτα, eine explizit angedeutete Gebetsrichtung und die Anrede πάτερ grenzen Joh 17 vom vorhergehenden Abschnitt ab. 3 So z. B. CARSON 1994:229; HAMID-KHANI 2000:391; KÖSTENBERGER 2007:161; THÜSING 1979:58. Für G. R. Beasly-Murray ist ‚das Werkʻ in Joh 17,4 nicht nur rückblickend, sonder auch vorausblickend auf das Kreuz und die Auferstehung zu verstehen: „From Chrysostom onward most writers have included the death with the works of the ministry as a unity, and it is difficult to avoid that conclusion“ (BEASLEY-MURRAY 1999:297; ähnlich LOADER 1992:80; THEOBALD 2009:333; WENGST 2001:178). 4 FREY 2013e:443, der überzeugend die Beziehung zur Nikodemus-Perikope („bei Nacht“, Joh 3,2) herstellt und somit die Samaritanerin „zur Zeugin Jesu und zum Paradigma für die positive Aufnahme seiner [Jesu] Offenbarung“ wird (vgl. THYEN 2015:273). 5 Siehe zur Struktur THEOBALD 2009:302–305. 6 „...folgt dem Muster eines einfachen ‚Schulgesprächsʻ, wie wir es von den Synoptikern her kennen (...), mit einem autoritativen Wort Jesu als Pointe (v. 34) (...) ein sog. ‚Apophthegmaʻ“ (THEOBALD 2009:332; vgl. ENSOR 1996:134). Für A. J. Köstenberger ist Joh 4,31– 38 „a remarkable concatenation of mission terminology“ (KÖSTENBERGER 1998:113; vgl. DIETZFELBINGER 2004:115). 7 Vgl. ZIMMERMANN 2007a:737; ähnlich T HEOBALD 2009:333; THÜSING 1979:53f. 8 Vgl. THEOBALD 2009:333. 9 Vgl. Joh 14,31; ENSOR 1996:154f.

198

8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Nach P. W. Ensor lässt sich Joh 17,1–5 als einleitender Abschnitt des Gebets betrachten.10 Daher berücksichtige ich für meine Fragestellung nur den Abschnitt Joh 17,1–5. 1.1.2 Grammatik: Das καὶ in Joh 4,34b–c Ist das καὶ im ἵνα-Satz in Joh 4,34 kopulativ oder explikativ gemeint? Sind die Satzglieder b und c in ihrer Bedeutung synonym oder führt das zweite Glied semantisch über das Erste hinaus? Joh 4,34 ist folgendermaßen strukturiert: a b c

ἐμὸν βρῶμά ἐστιν ἵνα11 ποιήσω12 τὸ θέλημα τοῦ πέμψαντός με καὶ τελειώσω αὐτοῦ τὸ ἔργον.

Allein von der Grammatik lässt sich diese Frage nicht eindeutig bestimmen. Der nahezu parallele Aufbau – eine Abweichung in der Syntax ist nur in der Stellung des Genitivattributs auszumachen – rechtfertigt sowohl die synonyme als auch die synthetische Interpretation.13 b Verb (Aor. Konj.14) Ellipse (1.P. Sg.) ἵνα... καὶ c Verb (Aor. Konj.) Ellipse (1.P. Sg.)

Akkusativobjekt

Genitivattribut

Genitivattribut

Akkusativobjekt

Eine Entscheidung wird an dieser Stelle meistens semantisch begründet.15 Und während manche Forscher von einer Synonymität ausgehen16, plädieren andere für eine epexegetische bzw. explikative Funktion des zweiten Gliedsatzes, „wodurch dann die zweite Aussage über die Werkvollendung die erste über die Erfüllung des Vaterwillens erklären“ bzw. weiterführen würde17. Syntaktisch wäre Joh 4,34c dann dem vorhergehenden Gliedsatz untergeordnet.

10

ENSOR 1996:156; vgl. besonders ZINGG 2006:256–263. Die Konjunktion hier ist nicht final, sondern als Ersatz für ein Substantiv in einem „Predicate Nominative Clause“ verwendet (WALLACE 1996:475; vgl. BARRETT 1990:258; ROBERTSON 1919:994). 12 Manche Exegeten favorisieren die textkritisch seltener vorkommende und in ihrer Interpretation schwierigere ποιῶ-Lesart im Präsens (vgl. BULTMANN 1986:143; THÜSING 1979:51; RIEDL 1973:62). 13 Bemerkenswerterweise gebraucht Johannes das Verb τελειόω im aktiven Sinn stets in Verbindung mit ποιέω (vgl. Joh 4,34; 5,36; 17,4; RIEDL 1973:59). 14 Gelegentlich wird bei den Verbformen die Möglichkeit eines Indikativs Futur diskutiert (vgl. MOLONEY 2005:143; Im Falle eines Konjunktivs rechnet F. J. Moloney mit einer Prolepsis, aber der Aorist Konjunktiv ist doch naheliegender (vgl. ENSOR 1996:150; Allein für das Verb τελειώσω siehe RIEDL 1973:62). 15 So z. B. RIEDL 1973:59. 16 Vgl. BULTMANN 1986:143. Dagegen ENSOR 1996:149f; R IEDL 1973:61f. 17 RIEDL 1973:62. Vgl. ENSOR 1996:150; THÜSING 1979:51; ähnlich ZAHN 1983:257. Zur dieser Funktion von καὶ siehe grds. BLASS & DEBRUNNER 2001:368. 11

1. Joh 4,31–34; 17,1–5: Der Menschensohn und sein ἔργον

199

1.1.3 Sprachformen moralischer Signifikanz? Die intratextuelle Ebene berücksichtigend erscheinen in Joh 4,31–34; 17,1–5 die Imperativformen φάγε (Joh 4,31) und δόξασόν (Joh 17,1.5). Andere Formen mit einer imperativischen Funktion kommen nicht vor. In Joh 17,1–5 ist die Verherrlichungsbitte auffallend, die einen Rahmen um „die Erläuterung (V 2) und den Rechenschaftsbericht (V 4)“ bildet18. Der Imperativ von δοξάζω ist aber der jeweils kontextbedingten Sprechsituation geschuldet und bleibt wegen seiner theologischen Anbindung für eine ethische Fragestellung zweitrangig. Durch die Kommunikationssituation eines Gebets zwischen dem Sohn und dem Vater lassen sich in Joh 17,1–5 keine illokutionären Aspekte begründen. Auch die Bitte um Verherrlichung ist christologisch geprägt, was der Bezug auf die ‚präexistente δόξαʻ in Joh 17,5 noch verstärkt.19 In Joh 4,31–34 ist die Aufforderung der Jünger – ῥαββί, φάγε (Joh 4,31) – markant. Und auch wenn diese Aufforderung explizit mit der Erzählung verbunden ist, birgt sie durch das nachfolgende johanneische Stilmittel des Missverständnisses (Joh 4,32f) und die definitorische Formel ἐμὸν βρῶμά ἐστιν... (Joh 4,34) das Potenzial, eine moralische Wirkung zu erzeugen. Denn auf der extratextuellen Ebene handelt es sich in Joh 4,31–34(35–38) um einen illokutionären Sprechakt. Eine solche Leseperspektive bzw. Auslegung ist besonders von dem eigenen Vorverständnis abhängig. Betrachtet man Jesus im JohEv nicht als bloßen Menschen, sondern als „über die Erde schreitende[n] Gott“20, wird man Joh 4,31ff als eine exklusive christologische Beschreibung werten. Jesu Speise besteht dann darin, „in dem das eine und einmalige Gotteswerk zur Vollendung geführt wird“21. In einer solchen Auslegung ist dann nur noch Platz für den Vater, der gemeinsam mit seinem Sohn das Werk ausführt.22 Mit dieser Perspektive wurde der Abschnitt auch immer wieder gelesen. Welche Annahmen prägten diese Leseperspektive? (1) Der Hinweis auf die Inklusion von Joh 4,34 und Joh 17,4. In Joh 17,4 bzw. in Joh 17 sind Kreuz und Auferstehung explizit angedeutet. Indem Joh 4,34 von Joh 17,4 aus gelesen wird, kann es sich hier allein um das eine Werk des Christus handeln.23 „Durch die Erfüllung des Vaterwillens in den Einzelheiten seines Lebens vollbringt Jesus also ‚das Werkʻ des Vaters. Also wohl auch durch das, was in Joh 4 berichtet ist. Dadurch dürfte man den ersten konkreten Anhaltspunkt dafür haben, den näheren Inhalt dieses ‚Werkesʻ bestimmen zu können“ (RIEDL 1973:63). 18 Vgl. ZINGG 2006:262. 19 Das bedeutet nicht, dass das ‚hohepriesterliche Gebetʻ Jesu als solches nicht auch eine illokutionäre Wirkung beinhalten kann. Vgl. hierzu Joh 17,24 und eine Leseanweisung bzw. eine Leserhandlung über den Begriff der δόξα, die Johannes beabsichtigt (FREY 2013a:659f). 20 E. Käsemann bei F REY 2013a:645. 21 T HÜSING 1979:51. 22 So z. B. RIEDL 1973:63. In seiner kenntnisreichen Auslegung auf 24 Seiten kommt die pragmatische Wirkung dieses Abschnitts auf die Jünger nicht vor. 23 Vgl. THEOBALD 2009:333, nach dessen Auslegung die Verbindung zu Jesu Tod zwar gegeben ist, aber „hier indes im Dunkeln“ bleibt.

200

8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

(2) Das Verb τελειόω (Joh 4,34) wird in Beziehung gesetzt mit τελέω und dem Gebrauch im Evangelium (vgl. Joh 5,36; 17,4.23; 19,28.30). Gerade die Passivformen in Joh 19 führen dann zum Fazit: „So müssen wir annehmen, daß hier die Schrifterfüllung in einen größeren Zusammenhang hineingestellt ist. Dieser Zusammenhang ist die Vollendung des Werkes von 4,34 und 17,4, die ja durch τελειοῦν ausgedrückt wird.“24 Welche Argumente sprechen aber für die Auffassung, Joh 4,31ff biete Raum für einen illokutionären Sprechakt? (1) Ist die Annahme einer Inklusion wirklich zwingend? Freilich ist eine Interrelation zwischen Joh 4,34 und Joh 17,4 erkennbar. Aber sie ist nicht anders zu gewichten, wie die intertextuellen Verbindung zu anderen Stellen auch. Es scheint mir – vom Aufbau des Evangeliums gesehen – überzeugender, Joh 17,4 als einen Rechenschaftsbericht25 zu lesen und Joh 4,34 aus der Kommunikationssituation mit den Jüngern auszulegen. (2) Es ist zuerst der unmittelbare Kontext von Joh 4,34 zu berücksichtigen. Und hier ist der Ausspruch über ‚das Werkʻ eingebunden in ein Lehrgespräch der Jünger mit ihrem Meister über die Art der Speise. Das Personalpronomen (4,35.38), die Parabel über die Ernte, die Teilhabe der Jünger an diesem Gemeinschaftswerk, das dem ἔργον semantisch nahestehende Verb κοπιάω (Joh 4,38), in das die Jünger explizit einbezogen sind, sind Argumente aus dem unmittelbaren Kontext, die eine Einbeziehung der Jünger bzw. der Leser in dieses Werk der Mission Jesu rechtfertigen.26 (3) Der Ausspruch Jesu in Joh 4,34 hat die Mission des Sohnes im Blick, in die die Jünger im späteren Verlauf hineingenommen werden. So schreibt D. A. Carson: „This sense of the mission of the Son (...) becomes a dominant theme in 5:19–47, making the present page an anticipatory link.“27

Der pointierte Spruch Jesu in Joh 4,34 fungiert als eine „Verpflichtung des Sprechers, etwas zu tun“.28 Moralische Signifikanz liegt vor, „wenn der Sprecher damit ein Vorbild aufzeigt, dem die Adressaten folgen sollen“29. Das könnte man wiederum bezweifeln, wenn man das betonte ἐμὸν βρῶμά als alleiniges Merkmal Jesu gewichtet. Fest steht aber: Im Gegensatz zu den Gedanken der Jünger an Essen als natürliche Handlung ist er an der Verrichtung einer anderen Tätigkeit interessiert. „Just as ordinary food is a sine qua non of our existence, so doing God’s will and accomplishing his work was a sine qua non of Jesus’ existence.“30 Und auch im späteren Erzählverlauf ab Joh 4,39ff spielen die Jünger in der Mission der Samaritaner keine Rolle. Allerdings ist die Funktion eines Vorbilds nicht von der Hand zu weisen, weil die Jünger Jesus mit ῥαββί (Joh 4,31) ansprechen 24 THÜSING 1979:67. Ähnlich RIEDL 1973:58–60; W. A. Meeks bei POIRIER 1996:293; WENGST 2000:171; ZINGG 2006:274. 25 Z INGG 2006:260. Vgl. BERGER 1984a:244.267.270; ähnlich WENGST 2001:173. 26 Ähnlich überlegt M. Theobald, der diesen Gliedsatz auch als eine Überschrift für den folgenden Monolog über die Ernte sehen kann (vgl. THEOBALD 2009:333.338; Für eine ähnliche Argumentation siehe KÖSTENBERGER 2007:161). 27 C ARSON 1994:229. 28 Z IMMERMANN 2016a:48. 29 Z IMMERMANN 2016a:49. 30 E NSOR 1996:151.

1. Joh 4,31–34; 17,1–5: Der Menschensohn und sein ἔργον

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und der Text die Funktion einer Unterweisung bekommt.31 Aus der Sozialpsychologie ist die Unterscheidung zwischen „symmetrischen“ und „komplementären“ Beziehungen unter Menschen bekannt. Im letzteren Fall „nimmt ein Partner ‚die sogenannte superiore, primäre Stellung ein, der andere die entsprechende inferiore, sekundäre‘“.32 In einem Lehrer-Schüler-Verhältnis bildet sich in der Regel eine solche komplementäre Beziehung aus,33 die bei Jesus und seinen Jüngern nicht anders war. Weit instruktiver aus der Forschungsdisziplin der Sozialpsychologie ist für Joh 4,31–38 die Frage nach der Macht. Macht ist dabei als Terminus wertfrei gemeint und darf nicht negativ verstanden werden. Hier haben J. R. P. French und B. Raven maßgeblich die Forschung geprägt. Sie unterscheiden fünf Typen der Macht.34 Die ῥαββί-Anrede, das johanneische Missverständnis und die Gleichnis-Unterweisung sind gute Argumente, bei Jesus in Bezug auf seine Jünger eine Macht durch Sachkenntnis anzunehmen. Bei diesem Typus der Macht hat die Macht-habende-Person bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten auf einem Gebiet bzw. diese werden ihr vom Interaktionspartner zugeschrieben.35 Gerade diesen Machtüberhang beschreibt der Text: Jesus beansprucht für sich ein anderes Verständnis von Nahrung und seine Jünger sollen für diese Art der Erkenntnis gewonnen werden. Eine solche Sinnrichtung ist in Joh 4,31–38 deutlich erkennbar. So ordnet K. Berger diese Stelle der Gattung „Offenbarungsdialog“ zu, bei der „eine von den Menschen unverstandene Offenbarung vorangeht, die im Dialog erläutert werden muß“ und typisch für das JohEv mit johanneischen Grundmetaphern einhergeht.36 Unter ethischer Perspektive wird aber auch zu fragen sein, ob hier eine ‚Macht durch Identifikationʻ (referent power) erkennbar wird. Diese „besteht darin, daß eine Person (bzw. Gruppe) einer anderen Person (bzw. Grupppe) Gehorsam leistet, weil sie sie schätzt und sich mit ihr identifiziert, m. a. W.: weil sie ihr gleich werden möchte oder sich ihr gleich fühlt“.37 Das kommt der Reflexionsform einer mimetischen Ethik nahe. Der Text selbst bleibt hier vage, weil weder die Jünger nach Joh 4,33 noch einmal zu Wort kommen noch der Evangelist erklärend eingreift. Bedeutend ist auch, dass durch die Pronomen 31

ZAHN 1983:256. P. Watzlawik bei REBELL 1986:44. 33 Vgl. REBELL 1986:44. 34 Siehe bei REBELL 1986:97: „reward power (Macht durch Belohnung)“, „coercive power (Macht durch Zwang; Macht zu bestrafen)“, „legitimate power (Macht durch Legitimation)“, „referent power (Macht durch Identifikation; Macht als Identifikationsvorbild)“ und „expert power (Macht durch Sachkenntnis)“. 35 Vgl. REBELL 1986:97. 36 BERGER 1984a:249.252f. Was in Joh 4,31–38 fehlt, ist die für diese Gattung typische Schelte, der die Jünger durch das Fragen untereinander (Joh 4,32) entgehen (vgl. ZAHN 1983:256f). 37 R EBELL 1986:97. 32

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

der ersten Person (ἐμός, ἐγώ) und der zweiten Person im Plural (ὑμεῖς) in Joh 4,34–38 ein Kontrast zwischen Jesus und den Jüngern gezeichnet ist. Es kann also nur vermutet werden, dass hier zwischen Jesus und Jüngern keimhaft vorhanden ist, was im Verlauf des Evangeliums noch entfaltet wird: Die Jünger sollen nach dem Vorbild Jesu Frucht bringen (vgl. Joh 15,16). So wie jetzt der Vater und der Sohn die Arbeit aus Sähen und Ernten verrichten, werden die Jünger explizit durch Joh 4,38 in diese Arbeit (in der Zukunft?) hineingenommen.38 Diese ethische Intention kann noch gesteigert werden, wenn man mit H. Thyen die „schiedlich-friedliche Aufteilung des Erlösungswerkes auf den ‚Vaterʻ [der Vater säht] und den ‚Sohnʻ [der Sohn erntet]“39 hinter sich lässt und die Samaritanerin als die ‚Säendeʻ begreift. She is Jesus’ co-worker in an unprecedented way, more concretely even than John the baptist, in the sense that John merely pointed to Jesus as the ‚Lamb of God who takes away the sins oft he worldʻ (1.29). The woman participates actively with Jesus in doing the will of his Father.40

Damit ist die Indienstnahme in die Mission von Jesus für die Jünger und den Leser vorgegeben. Die Zusammenarbeit zwischen dem Gesandten Gottes und seinen Nachfolgern ist in Joh 4,31–38 nicht allein dem Vater und dem Sohn vorbehalten, sondern bezieht seine Nachfolger mit ein. Dem Leser wird klar: Die Samaritanerin vermag mit deutlich schlechteren Voraussetzungen als die Jünger als Mitarbeiterin von Jesus zu wirken und den Willen Gottes zu erfüllen.41 Die Rolle der Jünger im Werk Gottes wird im Verlauf des Evangeliums noch gewichtiger vorgestellt (vgl. Joh 9,3f; 14,12). Die Rede von der Speise in Joh 4,31–34 ist daher für die Leser des Evangeliums motivierend, der Selbstverpflichtung ihres Meisters zu folgen.42

38 Vgl. KÖSTENBERGER 1998:181; MOLONEY 2005:140f; RIEDL 1973:66f; SCHENKE 2013:75f; ZIMMERMANN 2007a:742. Nach R. E. Brown könnte hier auch eine Missionstätigkeit der Jünger gemeint sein, die parallel zum Dienst Jesu geschieht und von der die Synoptiker berichtet wird (2008a:183). 39 So THYEN 2015:273, der es mit Joh 1,3; 10,30 begründet. F. J. Moloney führt Johannes den Täufer als eine andere Option an (2005:141). 40 Boers bei T HYEN 2015:273. 41 „The role they play in the story is to show their ignorance, providing Jesus with the opportunity to comment on the meaning of the story. The ignorance they show is highlighted by their presumption that someone else must have provided him with something to eat. Ironically, someone did, the woman through her conversation with Jesus, but it was not the type of food they had in mind“ (Boers bei THYEN 2015:271). 42 „According to the fourth evangelist, the believing response of the first disciples to Jesus functions as a model for the discipleship of later generations of believers“ (KÖSTENBERGER 1998:149). Eine Wirkung auf den Leser – allerdings inhaltlich in eine andere Richtung – sieht auch THEOBALD 2009:332.

1. Joh 4,31–34; 17,1–5: Der Menschensohn und sein ἔργον

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Auf der intertextuellen Ebene vermag wiederum allein die Parabel von Saat und Ernte (Joh 4,35–38) eine ethische Wirkung zu entfalten, was z. B. durch die Betonung der Missionsarbeit als „Gemeinschaftswerk“ deutlich wird.43 R. Heiligenthal sieht in diesem Abschnitt gattungsmäßig „eine Jüngerbelehrung über die Mission“.44 Joh 4,38 ist mit Joh 17,18; 20,21 überdies die einzige Stelle im JohEv, in der explizit von der Sendung der Jünger die Rede ist.45 Bemerkenswert ist die Verbindung zu Joh 4,34: Hier erklärt sich Jesus als der Gesandte des Vaters (τοῦ πέμψαντός με). In Joh 4,38 deutet er die sich in Joh 20,21 konkretisierende Sendung der Jünger an (ἐγὼ ἀπέστειλα ὑμᾶς).46 Der Abschnitt Joh 4,31–38 illustriert im Kontext von Joh 4 zwei bedeutende Prinzipien über die Mission von Jesus und seiner Jünger: First, that with Jesus’ coming the eschatological harvest had dawned and was already here (…) and, second, that in this harvest there would be a collaboration between ‚sowersʻ and ‚reapersʻ (…). In a further development of this principle, Jesus then envisions his sending of his disciples who in turn would enter into the labor of their predecessors (cf. 4:38).47

1.2 Normen in Joh 4,31–34 und Joh 17,1–5 Nach der Analyse der Sprachform sind folgende Normen zu nennen, die eine ethische Signifikanz im Text entwickeln. Tabelle 26: Normen in Joh 4,31–34; 17,1–5 Differenzierung Wert Prinzip Gut Gut Gut

Normen Rabbi, Lehrer (ῥαββί) „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein...“ Speise, Essen (ἐσθίω, βρῶσις, βρῶμα) der Wille Gottes (τὸ θέλημα τοῦ πέμψαντός με) bzw. das Werk Gottes (αὐτοῦ τὸ ἔργον) das ewige Leben (ἡ αἰώνιος ζωὴ)

Bibelstelle Joh 4,31.33 Dtn 8,3; Joh 4,34 Joh 4,31.34 Joh 4,34 Joh 17,3

Die Tabelle zeigt einen Überhang der Güter48 (und Werte). Die Anrede ‚Rabbiʻ wird als Wert klassifiziert, weil hier die subjektive Einschätzung des Schülers

Zur zeitlichen Präsenz der eschatologischen Ernte vgl. LINCOLN 2005:180 und einem kontinuierlichen Prozess des Erntens vgl. KEENER 2012:624. 43 Z IMMERMANN 2007a:742f. 44 H EILIGENTHAL 1983:135. 45 K ÖSTENBERGER 1998:180. 46 Vgl. KÖSTENBERGER 1998:181, der zwischen Joh 4,34 und Joh 4,38 eine inclusio annimmt. 47 K ÖSTENBERGER 1998:183f. 48 Das Gut ‚Herrlichkeit, Ruhm (δόξα, δοξάζω; Joh 17,1.4f)ʻ ist ebenso als Normgröße denkbar. Andererseits wird „das profangriechische Bedeutungsspektrum“ des Konzepts dem JohEv kaum gerecht und auch die anthropologischen Schemas von z. B. ‚honor and shameʻ

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

maßgebend ist: Nicht jeder Lehrer wird per se als Norm im Sinne eines Wertes anerkannt, sondern nur der in den Augen des Schülers gute Lehrer. Das Prinzip „der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Dtn 8,3) ist in Joh 4,34 mitgedacht49 und korrespondiert mit dem Gut der Speise. Der Wille Gottes ist eine bekannte Größe (vgl. Joh 6,38; 7,17; 9,31; siehe auch Mt 7,21; 21,31; Mk 3,35 par. Mt 12,50; Lk 12,47) und wird traditionell mit der Tora bzw. allgemein den Schriften des AT zu verbinden sein. Und was ist der bezeichnete Gegenstand von ἔργον? „So the ‚workʻ of Jesus (...) is conceived of as being primarily the work of leading those who believe in him to a knowledge of God. In other words, it is primarily a work of revelation.“50 1.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von τὸ βρῶμα Jüdische Quellen machen deutlich, dass die Tora bzw. das Gesetz als Speise angesehen worden ist (Dtn 8,3).51 So kann Philo über Mose berichten, der 40 Tage lang sich „weder um Speise noch um Trank [kümmerte], da er offenbar bessere Speise im Anschauen Gottes fand“.52 Auch wenn dies traditionsgeschichtlich im Hintergrund steht, wird man hier zurückhaltender interpretieren, dass Jesus sich hier auf die natürliche Nahrung des Menschen bezieht, von der er sich nährt.53 1.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen In Joh 4,31–34 wird explizit eine Werte-Diskussion geführt. Unstrittig ist das menschliche Gut der Nahrung, das Jesus sich selbst und seinen Jüngern in den Evangelien zugesteht. Zu denken ist hier an das Ährensammeln der Jünger (Mk 2,23–28 par. Mt 12,1–8; Lk 6,1–5) und den Vorwurf, Jesus verkehre bei den Mahlfeiern der Sünder und Zöllner (Lk 15,1–2). Allerdings geht es Jesus hier um eine Speise auf einer anderen Ebene. Johannes bringt es in einem seiner typischen Missverständnisse auf den Punkt: Die Jünger haben die alltägliche Nahrung im Sinn (vgl. Joh 4,6), Jesus dagegen lebt von der Speise, dass er den Willen des Vaters tut. Das Erste wird nicht gänzlich abgelehnt, das Letzte aber als vorzuziehender Maßstab des Gesandten vom Vater bezeichnet.

verkürzen „den johanneischen Vorstellungsrahmen“ (FREY 2013a:642). Aufgrund der starken christologischen Prägung erscheint mir dieser Begriff für eine ethische Reflexion im JohEv nicht relevant. 49 C ARSON 1994:228; T HEOBALD 2009:333. 50 E NSOR 1996:153. 51 E NSOR 1996:152. 52 RIEDL 1973:48. Siehe „…σιτίων δὲ καὶ ποτῶν ἐπὶ ἡμέρας τεσσαράκοντα ἑξῆς ἠλόγησε, δηλονότι τροφὰς ἔχων ἀμείνους τὰς διὰ θεωρίας…“ (Philo VitMos II 69). 53 Vgl. BULTMANN 1986:143f; K ÖSTENBERGER 2007:161; RIEDL 1973:48.

1. Joh 4,31–34; 17,1–5: Der Menschensohn und sein ἔργον

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1.3 Reflexionsformen: Mimethische Ethik Bei der ethischen Begründungsform ist hier eine metaphorische oder mimetische Ethik anzunehmen. Für beide Formen bieten sich im Text Anknüpfungspunkte.54 Es soll aber hier nur die mimetische Ethik behandelt werden. Bei der mimetischen Ethik wird ein Vorbild nachgeahmt. Es sind bestimmte Kriterien zwingend, damit eine moralische Signifikanz gelingt:55 - Die Leitfigur wird als gut und nachahmenswert (implizit oder explizit) bewertet. - Sowohl positive als auch negative Vorbilder entfalten eine Wirkung. - Entscheidend ist nicht das Kopieren einer Handlung, sondern die bestmögliche Nachahmung in einem veränderten Kontext im Sinne des Vorbildes. Hier spielt der Aspekt des Kreativen und des situativen Aneignung eine bedeutende Rolle. - Mimetische Ethik weckt Emotionen, weil sie an eine ‚lebendige Personʻ anknüpft. Im Positiven werden Emotionen wie Freude, Empathie und Liebe sichtbar, bei negativen Vorbildern kann Furcht eine Handlung begründen. - Auch Handlungen, die rational nicht nachvollziehbar sind bzw. die negative Konsequenzen mit sich bringen, werden angestrebt, weil hier die nachzuahmende Person diese Normen überragt. - „Die Anerkennung des Vorbilds, in diesem Fall Jesus, ist die Voraussetzung für die Stichhaltigkeit der Begründung.“56 Alle diese Aspekte einer mimetischen Ethik können in Joh 4,31–38 nachgewiesen werden. Die entscheidende Frage ist jedoch: Wird hier ethisch begründet, indem Jesus als das nachzuahmende Vorbild für die Jünger dargestellt wird?57 Dies lässt sich am Text selbst nicht eindeutig zeigen, sondern ist außerhalb des Textes der Interpretation des Exegeten vorbehalten. Auch wird dies wesentlich davon geprägt sein, wie man zum Doketismus des JohEv steht bzw. die Christologie einordnet.58 So ist es andererseits möglich, zu der Einschätzung zu kommen, dass „the whole portrait (...) is full of ethical implications if we want to know that truth and live in that love“59. Und diese ethischen 54

Auch hier zeigt sich, dass die Grenzen zwischen den Begründungsformen fließend

sind. 55 Vgl. für das Folgende ZIMMERMANN 2016a:92–94. C. Bennema sieht die Untersuchung der mimetischen Ethik im JohEv als ein Desiderat in der Forschung und definiert diese Reflexionsform folgendermaßen: „person B represents or emulates person A in activity or state X“ (2016:206). 56 Z IMMERMANN 2016a:94. 57 So etwa ENSOR 1996:153: „...insofar as ‚doing the will of Godʻ meant doing things (...) applicable to the behaviour of his disciples, then Jesus is also claiming to set an example which his disciples are invited to follow“. 58 Vgl. BURRIDGE 2007:305f, der auf E. Käsemann rekurriert. 59 B URRIDGE 2007:307.

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Impulse sind insbesondere mit „Jesus as an example for imitation“ verbunden.60 Jesus fordert in Joh 4,31–38 eindeutig heraus. Durch den Erzählverlauf wäre sogar eine Missgunst auf Seiten der Jünger verständlich. Immerhin macht der Erzähler deutlich, dass die Jünger auch wegen Jesus in die Stadt gehen und Essen kaufen (Joh 4,6.8). Jesus war zu diesem Zeitpunkt müde (Joh 4,6) und wäre durch das Essen sicher gestärkt worden. Nun sind die Jünger zurück, erwarten eine gemeinsame Mahlzeit und werden auf eine andere Nahrung aufmerksam gemacht. Diese narrative Einrahmung und der Verweis auf eine andere Nahrung fordern die Jünger heraus, die Priorität im Willen Gottes und seinem Werk zu sehen. Auch macht das Verhalten Jesu – die Jünger bringen auch ihre Verwunderung explizit zum Ausdruck (Joh 4,27) – deutlich, dass er ein anderer Rabbi ist. Allein die Ansprache der Samaritanerin hebt diese Tatsache deutlich hervor. Gerade weil er anders ist, werden auch sie mit einem anderen Anspruch konfrontiert. Sie sind seine Schüler und werden seine Art zu Handeln auch in anderen Situationen anwenden müssen. Sie werden damit auch andere Schüler sein, nicht wie die der Pharisäer und Schriftgelehrten. 1.4 Der ethische Urteilsträger Der ethische Urteilsträger ist nach Joh 4,38 die Gruppe der Jünger (und mit ihnen die späteren Leser des Evangeliums). Die Perfektformen lassen erkennen, dass es hier offenbar um mehr als nur um eine vergangene Erzählung geht. Vielmehr hat sich mit ihrer Indienstnahme durch Jesus auch ihr Lebenslauf verändert. Ihre Lebensweise hat eine andere Richtung bekommen, auch sie werden nun von einer anderen Art der Speise getragen. „Jesus makes clear that his followers will be called to enter into their predecessors’ labor and to reap the fruit of their efforts.“61 Manche Interpreten haben eine narrative Gegenüberstellung zwischen der Samaritanerin und den Jüngern postuliert. „Although the Samaritan woman’s curiosity and bold questions lead to the faith of her whole community, the disciples hesitate to ask Jesus their questions (4:27).“62 Betont man die Partizipation der Samaritanerin im Werk von Jesus, bekommt der Abschnitt für die Jünger und die intendierten Leser ein stärkeres Gewicht. Die Samaritanerin hat trotz der deutlich schlechteren Voraussetzungen63 am Werk Jesu partizipiert.

60

BURRIDGE 2007:343–345. KÖSTENBERGER 2006:12. 62 H YLEN 2013:223. 63 Damit ist auf ihren sozialen Status als Frau und ihre ‚moralischeʻ Lebensführung angespielt. H. Förster argumentierte jüngst, die Samaritanerin als vollwertiges Mitglieder der Stämme Israels zu sehen und die Perikope nicht – wie in der Forschung oft geschehen – im Sinne einer Heidenmission, sondern als eine Mission unter dem Volk Gottes (vgl. 2015:215– 61

2. Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31: Die Wirktätigkeit des Vaters mit dem Sohn

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Es kommt also nicht auf die Herkunft bzw. die eigenen Voraussetzungen an, sondern auf die Partizipation mit Jesus. Schließlich ist Jesus stets der Säende. „Stets ist der Anfang durch einen anderen bereits gemacht. So ist ihre [der Jünger bzw. der Samaritanerin] Arbeit leicht.“64 1.5 Die Reichweite der Ethik Der Dialog zwischen Jesus und den Jüngern impliziert, dass hier insbesondere die Verkündiger in der Mission angesprochen sind. Dafür spricht auch der terminus technicus κοπιάω (Joh 4,38). Moralische Signifikanz entfaltet sich im ekklesiologischen Sinnbereich. Denn allein die Jünger von Jesus können seine Gesandten sein. Der Geltungsbereich dieses Abschnitts wirkt universell. Darauf deutet auch schon der Plural hin. „Und Jesus selbst und seine Schüler stehen ihrerseits in der Traditionskette Israels (…). Diese Traditionskette ist nicht abgebrochen, sondern neben der Kirche weitergegangen und sollte von ihr wahrgenommen und nicht ignoriert werden.“65 Nach P. W. Ensor wirkte Joh 4,34 wirkungsgeschichtlich in der patristischen Ära als Ermahnung zum Fasten, zur Zurückhaltung beim Essen oder allgemein zum Tun des Willen Gottes.66

2. Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31: Die Wirktätigkeit des Vaters mit dem Sohn 2. Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31: Die Wirktätigkeit des Vaters mit dem Sohn

Jesus macht im Text des Evangeliums unmissverständlich klar, dass er in einer Wirkungsgemeinschaft mit dem Vater steht. Insofern konzentrieren sich die nachfolgenden Belegstellen auf die theologischen und christologischen Aussagen über ἔργον und ἐργάζεσθαι.

218). B. Kollmann konstatiert, dass die Samaritaner trotz der frühjüdischen Polemik erstaunlich positivem Licht in der Jesustradition erscheinen (vgl. 2014a:21). 64 SCHENKE 2013:75f. 65 WENGST 2000:173. Johannes Chrysostomos vermutet, dass Jesus mit der metaphorischen Rede der weißen Ernte, die er auf die Samaritaner deutet, eine Erinnerungskultur bei seinen Jüngern bewirkt: „Because, by making use in this way oft he objects around them, he gave greater vividness and power to his words and brought the truth home to them. He also spoke in this way so that his discourse might be more pleasant and might sink deeper into their memories“ (Hom. Jo. 34,1–2 bei ELOWSKY 2007:168). 66 So etwa bei Johannes Chrysostomos; vgl. E NSOR 1996:161; E LOWSKY 2007:167.

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2.1 Sprachformen der Moral in Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31 2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31 Das αὐτοῖς in Joh 5,17 verbindet den Text mit dem Vorgehenden und schafft eine fiktive Dialogsituation: Nur Jesus redet in wörtlicher Rede. Dem geht die Beschreibung eines sich zuspitzenden Konflikts über den Sabbat voraus (Joh 5,9b–15). Joh 5,16 fungiert als ‚Brückenvers‘, der durch die Verben im Imperfekt andeutet „that the sabbath story related in vv. 2–15 was just one in a series of similar happenings“67. Es macht Sinn, zwischen Joh 5,15 und Joh 5,1768 eine zeitliche Lücke anzunehmen.69 Der Abschnitt Joh 5,19–30 wird durch das dreifache betonte ἀμὴν ἀμὴν70 λέγω ὑμῖν in Vers 19, 24 und 25 unterteilt. In Joh 5,19f wird nach der Betonung einer vollständigen Wirkungseinheit zwischen Vater und Sohn ihr Motiv (Die Liebe des Vaters zum Sohn) und ihr Umfang (Der Vater zeigt alles, was er tut und wird noch größere Werke zeigen) entfaltet. Es folgen zwei beispielhafte Konkretisierungen dieser Einheit (Joh 5,21–22) mit einer Zielangabe in Joh 5,23.71 Für meine Untersuchung der impliziten Ethik konzentriere ich mich daher auf den Abschnitt in Joh 5,16–23. In Joh 5,31–47 geht es um das Hören von Zeugen: „The interrogation of witnesses was central to Jewish legal procedure.“72 Entgegen der üblichen Einteilung dieses Abschnitts73 nimmt M. Theobald eine Zäsur zwischen Joh 5,38 67 ENSOR 1996:169. Für eine kontinuierlich wachsende Feindschaft vgl. KÖSTENBERGER 2007:184. In einem lesenswerter Artikel über Joh 5,1–16 von J. C. Thomas wird die überwiegend negative Deutung der Figur des Kranken am Teich in der Forschung kritisiert und ein Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit (im Gegensatz zu Joh 9,3) behauptet (THOMAS 1995:3–19). „…This story must have been a powerful reminder for the Johannine community of the seriousness of sin and the power of God“ (:19f). 68 Beachte, dass nur hier und in Joh 5,17 das Verb ἀπεκρίνατο im Aorist medium verwendet wird, ansonsten stets im Aorist passiv. Forscher meinen zu glauben, „it carries the connotation of a public, formal defence to a charge“ (ENSOR 1996:169; vgl. THYEN 2015:305). 69 ENSOR 1996:169f. „Das Übergangsbild V. 17f., das szenisch blass bleibt (wo und unter welchen Umständen trifft Jesus auf die ‚die Judenʻ?), öffnet den Text hin zu Jesu großem Monolog V. 19–30“ (THEOBALD 2009:365; Strittig ist die Zuordnung und Gliederung von Joh 5,16.17–18; vgl. ZINGG 2006:54). 70 Die Amen-Formel im JohEv markiert regelmäßig keinen Neuansatz, sondern fungiert „fast ausschließlich inmitten von Jesusreden und -dialogen“ als „Fortsetzungs- oder Gliederungsformel“ (vgl. ZIMMERMANN 2004:243). 71 Vgl. THEOBALD 2009:386; Eine ausführliche Auseinandersetzung unterschiedlicher Gliederungsvorschläge findet sich bei ZINGG 2006:71f. 72 KÖSTENBERGER 2007:190. Für das Erfordernis mehrerer Zeugen siehe Dtn 17,6; 19,15; weitere Belege bei KÖSTENBERGER 2007:191. 73 In Joh 5,31–40 und Joh 5,41–47 (vgl. THYEN 2015:319.327).

2. Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31: Die Wirktätigkeit des Vaters mit dem Sohn

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und Joh 5,39 an.74 Das Zeugnis des Johannes (Joh 5,32–34) wird durch das Zeugnis der Werke (Joh 5,36) sowie das des Vaters gesteigert (Joh 5,37–38). Relevant für meine Fragestellung ist der Abschnitt Joh 5,31–38. Joh 10,22–42 ist der zweite Teil einer Rede (Joh 9,39–10,42) und lässt sich wiederum in zwei Redegänge gliedern: Joh 10,22–31 sowie Joh 10,32–42. Beide Redegänge gliedern sich in eine „dreiteilige Redesequenz (Einleitung, Rede Jesu, Hörerreaktion)“.75 An dieser Stelle soll der Abschnitt Joh 10,22–31 untersucht werden.76 2.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? In Joh 5,16–23 lassen sich nur zwei Indizien moralischer Signifikanz ausmachen. Der im NT wohl singulär ausgeführten Wirkungsgemeinschaft zwischen Vater und Sohn folgen jeweils zwei ἵνα-Konstruktionen (Joh 5,20d.23), die eine Reaktion der beteiligten Menschen nahelegen bzw. beschreiben.77 Und während das ἵνα ὑμεῖς θαυμάζητε (Joh 5,20d) ein zukünftiges Momentum beinhaltet und wohl konsekutiv gedeutet werden muss78, liegt auf der intratextuellen Ebene in Joh 5,23 moralische Signifikanz vor. Denn hier wird das ethisch gewichtige Verb τιμάω eingeführt, das indirekt der Vater und Sohn für sich beanspruchen. Dies wird sprachlich noch zugespitzt, wenn in Joh 5,20a von der Reaktion aller (πάντες) in Joh 5,23b mit einer partizipialen Konstruktion der Einzelne in den Blick genommen wird (ὁ μὴ τιμῶν).79 Joh 5,31–38 legt ein fiktives Gerichtsverfahren nahe, bei dem der Angeklagte – entsprechend der damaligen juristischen Praxis – verschiedene Zeugen zu seiner Verteidigung heranführt.80 Für diese Untersuchung ist erneut die ἵναKonstruktion bedeutend (Joh 5,34: ἵνα ὑμεῖς σωθῆτε). Allerdings deutet die passive Verbform die Absicht und die Aktivität Jesu an, nicht die seiner Zuhörer. Im Kontrast zu den Motiven Jesu werden aber die Wesenszüge der Zuhörer dargestellt: Sowohl im Hören der Stimme Gottes, im Sehen seiner Gestalt81 als auch im Umgang mit dem Wort Gottes haben sie versagt, weil (ὅτι; kausal) sie

74 THEOBALD 2009:408; so auch BECKER 1979:300f. Für eine Trennung zwischen Joh 5,40 und Joh 5,41 vgl. ZINGG 2006:54. 75 Vgl. zur Struktur ZIMMERMANN 2004:254–258. E. Zingg sieht ab Joh 10,40ff eine Abgrenzung zum Vorhergehenden und gliedert daher bis Joh 10,39 (2006:134). Allerdings ist die Hörerreaktion erst in Joh 10,42 verwirklicht. 76 Siehe für Joh 10,32–42 das 10. Kapitel, Pkt. 4. 77 Z INGG 2006:82f. 78 ZINGG 2006:76. Etwas vorsichtiger BLASS & D EBRUNNER 2001:391f, da mit einer „Verwischung des Unterschiedes zwischen Absicht und Folge“ auch zu rechnAristst. 79 Z INGG 2006:83. 80 Vgl. ZINGG 2006:92–95. 81 Vgl. zur traditionsgeschichtlichen Einordnung dieses Topos Z INGG 2006:97.

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

dem (Dativ!) Gesandten des Vaters nicht glauben (Joh 5,38). „Damit ist ein zentrales Thema der Rede angesprochen: ὑμεῖς οὐ πιστεύετε.“82 Bei dem Tempelweihfest, das bei Josephus als das ‚Lichtfestʻ bezeichnet wird,83 entsteht ein Dialog zwischen den Juden und Jesus (Joh 10,22–24). Erneut kommt Jesus auf seine Werke und ihre Funktion eines ausreichenden Zeugnisses zu sprechen (Joh 10,25b; vgl. 5,36). Der Nichtglaube wird in Joh 10,26 aufgenommen und beachtenswerter Weise mit der Nichtzugehörigkeit zu den Schafen Jesu begründet. Die in der Parabel des Hirten und seiner Schafe „enorme Intensität und Dichte der Beziehung zwischen Jesus und den ‚Schafen‘“ vermag bei den Lesern moralische Signifikanz zu erzeugen (Joh 10,27ff). Auf der intratextuellen Ebene werden keine weiteren Sprachformen sichtbar. Die extratextuelle Dimension verstärkt die bisherigen Ausführungen. Der Hinweis auf die Ehre des Sohnes und des Vaters in Joh 5,23 kommt nach der Sprechakttheorie einer Deklaration (declaration) nahe. Denn der Sohn erscheint nicht als ein unbeteiligter Dritter, der eine Aussage über einen Sachverhalt macht (vgl. Zusicherung; assertives), sondern ist nach Joh 5,22 mit der Vollmacht zum Richten ausgestattet. Deshalb kann er deutlich die ‚Spielregelnʻ respektive die Tatbestände möglicher Verfehlungen erklären. Joh 5,36–38 und Joh 10,25ff fungieren eindeutig als Anweisungen (directives), die eigene Haltung zum Gesandten des Vaters zu überdenken und ihm Vertrauen zu schenken. „Die direkte Anrede (‚ihrʻ [in Joh 10,25]) und das πιστεύετε im Präsens können bei den Lesenden auch die Frage nach der eigenen Haltung aufwerfen.“84 Bedeutsam ist hier, dass die Werke für sich sprechen.85 Sie führen zum Glauben an Jesus. Sie zeugen für den Gesandten des Vaters. Dabei ist mit J. T. Forestell festzustellen, dass das offenbarende Werk Jesu seine Worte, seine Handlungen und seine Person insgesamt umfasst: „This work is accomplished by his words, his works and his person. The three are inextricably associated in 14,9–11.“86 Auf der intertextuellen Ebene werden unterschiedliche Perspektiven sichtbar. Zum einen ist „die Rechtfertigung von Sabbatheilungen“ nach K. Berger „ein alter und wichtiger Ansatzpunkt für apologetische Argumentation“87. Allerdings ist im JohEv aus der „rhetorischen Frage nach der Erlaubtheit [der

82

ZINGG 2006:98. Josephus Ant. XII 325; Vgl. ZINGG 2006:136, die in der Zeitangabe auch einen inhaltliche Rekurs zum „Licht der Welt“ sieht. 84 Z INGG 2006:141. 85 Auch wenn H. Thyen diese Intention den Werken zugesteht, sieht er in den Werken auch ein pars pro toto verwirklicht (vgl. THYEN 2015:496). 86 FORESTELL 1974:56. 87 BERGER 1984a:106–108. Er mutmaßt weiterhin dann auch über den ‚Sitz im Lebenʻ solcher Auseinandersetzungen (vgl. 1984a:107). Unabhängig davon, ob man seinen Ausfüh83

2. Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31: Die Wirktätigkeit des Vaters mit dem Sohn

211

Sabbatheilung] ein Problem der Legitimation Jesu selbst geworden”88. Und in dieser Sinnlinie sind sodann auch die apologetischen Texte zu verorten.89 Zum anderen gibt es neben verschiedenen Merkmalen wie Ich-Stil, antithetischer Stil usw. „eine Reihe wirklich judizialer Restelemente, die derartige Texte überdies als apologetisch-dikanisch ausweisen“90. Dikanische Elemente in Joh 10,24–39 sind: „der Hinweis auf das Tun in der Öffentlichkeit (10,24), auf das Zeugnis der Werke (10,25) und die kritische Gegenfrage (10,32)“. Weitere Elemente dieser Gattungsform sind: „Eingehen auf Vorwürfe, die Rede von ‚Zeugen‘, ‚Zeugnisʻ und ‚Bezeugen‘, Zeugenanrufungen, ‚Richten‘, ‚Apologie‘, kritische Gegenfragen und Unschuldserklärungen“91. 2.2 Normen in Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31? Die hier zu untersuchenden Abschnitte enthalten vielfältige theologische Themen, die sich insbesondere auf die Wirkungsgemeinschaft zwischen Vater und Sohn beziehen. Da sich meine Fragestellung besonders auf zwei Lexeme konzentriert, ist hier nicht eine Auseinandersetzung im Grundsätzlichen beabsichtigt. Deshalb werden im Folgenden lediglich die Normen dargestellt. Die eigentliche Untersuchung beschränkt sich jedoch auf die Aspekte, in denen die Werke eine herausragende Rolle spielen. Tabelle 27: Normen in Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31 Differenzierung Prinzip

Gut Prinzip Maxime Prinzip

Normen Die Arbeitsgemeinschaft eines Vaters mit seinem Sohn, die auch emotional geprägt ist (ὁ πατὴρ φιλεῖ…) Die Auferweckung der Toten und die lebenmachende Tat (ἐγείρει τοὺς νεκροὺς ... ζῳοποιεῖ) Die Voraussetzung eines Gerichts (κρίνει ... τὴν κρίσιν) Erwartete Ehre gegenüber einer ranghöheren Person bzw. einem Gott (τιμῶσιν u. a.) Anrufung von Zeugen, Zeugnis-Sprache (μαρτυρῶ), Voraussetzung der Wahrheit beim Zeugnis geben (ἀληθής)

Bibelstelle Joh 5,17–23

Joh 5,21 Joh 5,22 Joh 5,23 Joh 5,31–38

rungen hier folgen mag, stellen sie ein Anschauungsbeispiel einer möglichen Ethos-Reflexion dar, die im Rahmen einer impliziten Ethik nach R. Zimmermann zu leisten ist (vgl. 2016a:114–117). 88 B ERGER 1984a:107. 89 Nach K. Berger (1984a:361) finden sich diese im NT „vor allem in Röm 9.11; im JohEv und in 2 Kor“. 90 B ERGER 1984a:361. 91 B ERGER 1984a:361.

212 Differenzierung Wert

Wert Wert Prinzip

Gut Maxime

Gut

8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘ Normen Johannes der Täufer (Ἰωάννην) und die Parabel der Leuchte, die eine nur kurzzeitige Wertschätzung deutlich macht Handlungen bzw. Werke als Erweis der Wahrhaftigkeit (τὰ ἔργα) Der Vater als Zeuge (ὁ πέμψας με πατὴρ…) Fehlender Glaube gegenüber dem Gesandten Gottes als Begründung für das Gott-nicht-Kennen (ὅτι ὑμεῖς οὐ πιστεύετε) Der Messias (ὁ χριστός...) Die Metapher der Schafe, die ihren Hirten kennen, hören und ihm folgen (τὰ πρόβατα τὰ ἐμὰ τῆς φωνῆς μου ἀκούουσιν…) Ewiges Leben (ζωὴν αἰώνιον)

Bibelstelle Joh 5,33.35

Joh 5,36; 10,25 Joh 5,37 Joh 5,37f; 10,25

Joh 10,24f.26 Joh 10,26f

10,28

2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte der ‚Ausbildung des Sohnes‘ In der Rede der Wirkungsgemeinschaft zwischen Vater und Sohn fällt auf, dass der Verfasser statt des sonst üblichen ποιέω (für Gottes Schöpfungs-Handeln) das üblicherweise für menschliches Handeln benutzte Verb ἐργάζομαι einführt (Joh 5,17).92 Es mag sein, dass hier schon das Gleichnis von Joh 5,19f vorweg genommen wird oder aber der Verfasser eine erste Irritation beabsichtigt: „Von welchem ‚Vaterʻ spricht hier Jesus?“93 Joh 5,19ff reagiert auf den Vorwurf aus Joh 5,18. Es folgt ein Gleichnis94 aus der Lebenswelt der Hörer: Auf dem Hintergrund der sozialen Verhältnisse, in denen die Ausbildung des Sohnes in der Verantwortung des Vaters lag, ist hier ein Sohn beschrieben, der den Vater

92 Vgl. ZINGG 2006:65f. Gegen J. T. Forestell, der Joh 5,17 allein auf dem Hintergrund johanneischer Theologie deutet und daher diesen Text auch losgelöst vom Sabbat-Konflikt sehen will (1974:51). 93 Z INGG 2006:66. Zu Joh 5,17: „Nicht Jesu persönliche Mächtigkeit und schon gar nicht anmaßende Willkür hat sich in jener Heilung manifestiert, sondern im Gehorsam gegenüber dem, was ihm der Vater gezeigt hat, hat er jenes Werk als des Vaters eigenes Werk getan (5. 17)“ (DIETZFELBINGER 1989:29). Einen interessanten biblisch-theologischen Hinweis beschreibt J. T. Forestell, der bezugnehmend auf Num 16,28 eine Parallele zur Figur des Mose erkennt (FORESTELL 1974:51). 94 BROWN 2008a:218; KEENER 2012:648; THYEN 2015:309. Dagegen BARRETT 1990:275, der sowohl gegen die Auslegung als Gleichnis und auch als ‚gnostischer Mythosʻ (R. Bultmann) feststellt: „Die gesamte historische Erscheinung Jesu von Nazareth ist der Ort, an dem Gott erkannt wird“ (Für eine allein theologische Deutung des Gleichnisses vgl. FORESTELL 1974:52).

2. Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31: Die Wirktätigkeit des Vaters mit dem Sohn

213

beobachtet (βλέπῃ95) und ihm alles nachmacht.96 Gesteigert wird diese (Arbeits-)Beziehung durch die Aussage über die Liebe des Vaters zum Sohn und die fortwährende Verbindung. Der Vater wird auch in der Zukunft dem Sohn größere Werke97 zeigen (Joh 5,19ff). Und gerade die Leben erweckenden Handlungen und die richterliche Vollmacht erinnern an alttestamentliche Aussagen, die allein Gott vorbehalten waren (vgl. Dtn 32,39).98 Das Gleichnis eines beim Vater lernenden Sohnes wird den Zuhörern sofort bekannt gewesen sein. Auf ihrem Erfahrungshintergrund war es etwas Alltägliches und Banales. Diese Parabel bekommt in Joh 5,23 ihre ethische Zuspitzung. Weil Vater und Sohn denselben ‚Standʻ innehaben, kommt ihnen beiden gemeinsam auch die Ehre zu. Denn das ehrenvolle Umgehen orientiert sich am Berufsstand bzw. den Werken beider. 2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen Die untersuchten Abschnitte deuten vereinzelt eine Wertehierarchie an. Am deutlichsten zeigt sich dieser Umstand in der Herbeirufung der verschiedenen Zeugen (Joh 5,31–38). Es scheint mir aber keine moralische Signifikanz vorzuliegen, denn schließlich geht es allein um die Legitimation des Gesandten Gottes. 2.3 Fazit zu Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31 Im Zentrum der untersuchten Abschnitte steht die Wirkungsgemeinschaft des Vaters und des Sohnes. Im Gespräch mit den Juden möchte er sich als der Gesandte des Vaters erweisen. Zwar kommen auch eine Reihe von Normen im Text vor, aber es scheint mir um Texte zu gehen, die keine ethische Begründung liefern. Es wird erneut ein fehlender Glaube respektive fehlende Ehrerbietung gegenüber dem Sohn beschrieben. Die inhaltlichen Ausführugen verbleiben jedoch dabei. Eine ethische Reflexion ist zwar in einigen Metaphern erkennbar, diese zeigen aber lediglich die Unfähigkeit der Gesprächspartner Jesu, Gott und ihn zu hören, zu kennen und zu folgen (vgl. Joh 10,26f).99 In diesen Abschnitten dominieren die Aussagen zur Wirkungsgemeinschaft von Vater und Sohn.

95 Vgl. dazu die Ausführungen bei E. Zingg, da nur hier der Sohn als Subjekt dieses Verbs einer „sinnlichen Wahrnehmung“ erscheint (2006:75). 96 Vgl. MLAKUZHYIL 2011:426. 97 Das „Lebenspenden und das Richten, das der Vater dem Sohn überträgt“ sind die größeren Werke in 5,20. Es sind „ausschließlich die Werke des Erhöhten“ (THÜSING 1979:61). 98 Vgl. FORESTELL 1974:52f. 99 Auch W. Loader ist hier unentschieden, inwieweit eine ethische Reflexion vorliegt (vgl. 2012:148).

214

8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

„Man könnte dann sagen, daß es zu der Zeit, als Joh schrieb, eine zeitgenössische Exegese der Sabbathruhe Gottes gab, die ausreichte, das Argument des Evangelisten zu stützen. Gott ist wesenhaft und unveränderlich schöpferisch (ἐργάζεται); was Gott tut, tut auch Jesus (V. 19); deshalb ἐργάζεται auch Jesus.“100

3. Joh 8,37–41a: Ein Mensch (Abraham) des Lichts und seine ἔργα 3. Joh 8,37–41a: Ein Mensch (Abraham) des Lichts und seine ἔργα

Im Raum des Lichts erscheint ein Mensch, der eine andere Qualität von ‚Werkenʻ als die Juden aufweist. Es ist einer, ὁ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν (Joh 3,21). Gerade weil er auch bei den Gegnern Jesu Autorität genießt, ist seine Figur für eine ethische Reflexion bedeutend. 3.1 Sprachformen der Moral in Joh 8,37–41a 3.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 8,37–41a (41b–47) In 8,12 und 8,21 beginnen – durch das πάλιν signalisiert – zwei Redeabschnitte mit den Pharisäern bzw. Juden. In 8,30 gibt der Evangelist einen Zwischenbericht: Viele glaubten ihm, woran sich eine ‚Paräneseʻ Jesu an die Glaubenden anschließt (8,31–36). In der Forschung wird besonders der Umstand diskutiert, dass ab Joh 8,37ff der Ton sich ändert, aber Johannes nicht explizit einen Adressatenwechsel vollzieht. Allein Joh 8,37c deutet eine Zäsur an.101 Das Thema des Abschnitts Joh 8,37–47 liefert das Wort Jesu: ζητεῖτέ με ἀποκτεῖναι (Joh 8,37b). Die Struktur dieses Abschnitts lässt sich folgendermaßen gliedern. Tabelle 28: Textstruktur von Joh 8,37–47102 Übergang, Thema des Abschnitts (Joh 8,37) Leitsatz: καὶ ὑμεῖς οὖν ἃ ἠκούσατε παρὰ τοῦ πατρὸς ποιεῖτε (Joh 8,38) Erster Einwand der Gegner: Zweiter Einwand der Gegner: „Unser Vater ist Abraham!“ (Joh 8,39a.b) „Als einzigen Vater haben wir Gott!“ (Joh 8,41b-d) Antwort Jesu: Antwort Jesu: „Wenn Gott euer Vater wäre...“ (Joh 8,42– „Wenn ihr Kinder Abrahams wäret...“ 47) (Joh 8,39c–41a)

In diesem Kapitel soll der Abschnitt Joh 8,37–41a und die Figur des Abraham analysiert werden.103 100

BARRETT 1990:271. Vgl. THEOBALD 2009:564f, der den gesamten Abschnitt übersichtlich und überzeugend ordnet. Siehe auch ZIMMERMANN 2013a:89. 102 Vgl. THEOBALD 2009:598. 103 Der Abschnitt Joh 8,37f.41b–47 wird im 9. Kapitel, Pkt. 1 untersucht. 101

3. Joh 8,37–41a: Ein Mensch (Abraham) des Lichts und seine ἔργα

215

3.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? Sprachformen mit einem imperativischen Sinn kommen in diesem Abschnitt nicht vor. Dagegen ist auf der extratextuellen Ebene deutlich die Deklaration (declaration) in Form einer Ver- bzw. Beurteilung wahrnehmbar. Auf die Behauptung der Juden – Unser Vater ist Abraham (Joh 8,39) – folgt eine logische Argumentationsabfolge Jesu, die schließlich in einem Urteil bzw. einer Entscheidung mündet: Protasis: Apodosis: Realität: Vergleich: Urteil:

real – εἰ Wenn ihr Kinder des Abraham seid, irreal – (ἂν) (dann) ihr die Werke des Abraham tätet.104 νῦν δὲ… Beschreibung der Werke (Tötungsabsicht; für das Wort Jesu nicht empfänglich105, vgl. Joh 8,37.40) diametraler Unterschied (τοῦτο Ἀβραὰμ οὐκ ἐποίησεν) Die Werke der Juden lassen auf einen anderen Vater schließen (Joh 8,41a).

Durch eine solche Argumentationskette legt Jesus das ganze Gewicht auf die Werke, wobei allein die Werke Abrahams als erstrebenswert erscheinen. Die Juden werden nicht mehr nach ihrer Abstammung beurteilt, sondern an ihren Handlungen gemessen. Neu ist laut R. Heiligenthal hier, „wie er [Johannes] diesen aus der edlen Abstammung hergeleiteten Anspruch zurückweist“, nämlich durch den Bezug auf die im paganen Griechentum bekannte Erfahrungsregel. Die Taten bzw. Handlungen entscheiden über das Wesen bzw. den Charakter.106 Und die betreffenden Handlungen der Juden schließen hier eine Nachkommenschaft durch Abraham aus. „Es geht nicht darum, sich auf Abraham zu berufen, sondern darum, dessen Werke nachzuahmen.“107 Indem Jesus dieses Urteil ausspricht, wird ein Maßstab ethischen Verhaltens definiert. Und es geht um nicht weniger als den Topos ‚Nachahmen der Werke der Väter‘, womit sich auch der paränetische Charakter des Abschnitts erweist.108

Bemerkenswert ist, dass die Gestalt des Abraham im gesamten Abschnitt Joh 8,31–59 präsent ist (Joh 8,33.37.39f.52f.56–58; vgl. THEOBALD 2009:565). 104 Die Satzstellung der Apodosis ist dem griechischen Text nachempfunden. Die Modalpartikel fehlen häufig im NT (vgl. BLASS & D EBRUNNER 2001:290f; PRESTEL 2008:159). 105 Mit dem Verb χωρέω ist möglicherweise eine Raumdimension impliziert. Das Verb kann bedeuten: „to be a quantity of space – ‚to have room for, to be space for, to containʻ.“ (LOUW & N IDA 1988:707; vgl. MOLONEY 2005:276). 106 HEILIGENTHAL 1983:85; vgl. 4. Kapitel, Pkt. 3.3. Ein ähnlicher Maßstab wird auch auf den Gesandten des Vaters angewandt. Auch er legitimiert sich durch die Werke, die er tut (vgl. Joh 8,38 u. a.). In der Apokalypse dominiert ebenfalls dieses Verständnis: „Tatsächlich setzt die Apk auch sonst voraus, daß das eschatologische Urteil sich auf ‚das Werkʻ des Menschen gründet“ (HOLTZ 1989:428). 107 H EILIGENTHAL 1983:86. 108 So HEILIGENTHAL 1983:86.

216

8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Auf der intertextuellen Ebene dominiert die Figur des Abraham das Geschehen und besonders die moralische Signifikanz des Abschnitts. Denn er erscheint nicht nur im Dialog zwischen den Juden und Jesus als achtbare Größe, sondern mit aller Wahrscheinlichkeit auch bei den Lesern des JohEv. Nach Th. Hieke ist Abraham im NT „eine identitätsstiftende Figur, eine Chiffre für die Zugehörigkeit zum Volk Israel“.109 Allerdings ist zu bezweifeln, dass es sich hier nicht „um die historische Gestalt Abrahams“ handelt.110 Schließlich argumentiert Jesus von den Werken her. R. Heiligenthal führt an, dass diese Art von Texten die „‚Werke der Väterʻ als ‚exempla majorumʻ verwendet und „dabei zumeist auf Verhaltensänderung, zu der angeregt werden soll, gerichtet“ ist.111 3.2 Normen in Joh 8,37–41a In diesem Abschnitt werden vier Normen genannt, die in die Diskussion eingeführt werden. Tabelle 29: Normen in Joh 8,37–41a Differenzierung Wert Gut

Prinzip Wert

Normen Das Wort Jesu im Sinne einer Lehre; ggf. auch Inhalt der Rede (ὁ λόγος ὁ ἐμὸς) Nachkommenschaft von bzw. Verwandtschaft mit einer bedeutenden Größe der Vergangenheit (σπέρμα Ἀβραάμ, ὁ πατὴρ ἡμῶν Ἀβραάμ, τέκνα τοῦ Ἀβραάμ) das Tun der Werke Abrahams (τὰ ἔργα τοῦ Ἀβραὰμ ἐποιεῖτε) ein die Wahrheit sagender Mensch, der Gott hört (ἄνθρωπον ὃς τὴν ἀλήθειαν ... ἣν ἤκουσα παρὰ τοῦ θεοῦ)

Bibelstelle Joh 8,37 Joh 8,37.39

8,39 8,40

Während die Werte in der Tabelle stark christologisch geprägt sind und sich dadurch im Text des Evangeliums als Werte erweisen – Ein Wert hat gegenüber einem Gut mit einer subjektiven Bewertung zu tun, ist das Gut über die Nachkommenschaft bzw. Verwandtschaft mit einer bedeutenden Größe der Vergangenheit ein bekannter jüdischer Topos. Das Bedeutende ist nun, dass Jesus in diesem Dialog das Prinzip der Werke Abrahams ins Gespräch bringt. Damit wirkt diese Aussage moralisch signifikant.

109

HIEKE 2005:Pkt. 5.1. Gegen H IEKE 2005:Pkt. 5.1.2. 111 H EILIGENTHAL 1983:83. 110

3. Joh 8,37–41a: Ein Mensch (Abraham) des Lichts und seine ἔργα

217

3.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte der Figur des Abraham Es gibt wohl kaum eine Figur, die traditionsgeschichtlich einen so herausragenden Platz für sich beanspruchen kann wie Abraham. Auch biblisch-theologisch steht er noch vor Mose (vgl. Gen 18,19).112 Abraham ist der „ideale Israelit“ (vgl. Gen 22,15–18), der die Stimme Gottes hört, ihr gehorsam ist und die „Anordnungen, Gebote, Satzungen und Weisungen Gottes (Begriffe, die sonst für die Offenbarung der Weisung Gottes am Sinai bzw. für die Tora stehen) gehalten“ hat (Gen 26,5).113 In der Prophetie ist Abraham „der Freund Gottes (Jes 41,8, wörtlich eigentlich: ‚der mich [Gott] Liebende‘.“114 In Sir 44,19–22 kommen die wesentlichen Züge der deuterokanonischen Schriften über Abraham exemplarisch vor: Abraham war der hochberühmte Vater vieler Völker und wurde geehrt wie kein andrer. Er hielt das Gesetz des Höchsten, und Gott schloss mit ihm einen Bund und bestätigte diesen Bund an seinem Fleisch; und er wurde für treu befunden, als er versucht wurde. Darum verhieß ihm Gott mit einem Eid, dass durch sein Geschlecht die Völker gesegnet werden sollten … (LU, Sir 44,20–22a).

Seine Treue in der Erprobung, ein Vater von vielen, der Ehre für würdig gehalten, sein Halten des Gesetzes usw. sind Aspekte, die hier hervorgehoben werden.115 Bei Philo kann Abraham „zum Vorbild und Urbild aller Proselyten (…) werden: Nicht die genealogische Abstammung entscheidet, sondern die moralische Hinwendung zum einen Gott, dem Schöpfer der Welt, und die Befolgung des sittlichen Naturgesetzes.“116 Die Unstrittigkeit und Größe Abrahams kann als allgemeines Gut angenommen werden. Der Rekurs auf die ‚Werke Abrahams‘ lässt sich traditionsgeschichtlich aus zwei Strängen ableiten. Zum einen ist hier mit R. Heiligenthal an die allgemeine Erfahrungsregel im paganen Griechentum zu erinnern: Von daher wird der Rückschluß von den Handlungen auf die tugend- oder lasterhafte Gesamthaltung zu einem typischen Beweisverfahren innerhalb des Genus epideiktikon, wobei der Hinweis auf die Taten zumeist ein Werturteil untermauern soll. Die Werke sind der Beweis für das empirisch nicht Faßbare.117

112

„Keine Person des Alten Testaments begegnet im Neuen Testament derart häufig wie Abraham“ (KOLLMANN 2010:49). Zur Bedeutung von Abraham vgl. KEENER 2012:754– 756; THYEN 2015:437f. 113 Vgl. H IEKE 2005:Pkt. 2.1.4. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es auch in Joh 8,37–41a um den Umstand des Hörens geht. 114 HIEKE 2005:Pkt. 2.4.1. Beachte hier den Hinweis in Joh 8,42 auf die fehlende Liebe zu Jesus. 115 Vgl. HIEKE 2005:Pkt. 2.4.3; 4.1.1; KOLLMANN 2010:63; LINCOLN 2005:276; MOLONEY 2005:284. 116 H IEKE 2005:Pkt. 4.1.4. 117 H EILIGENTHAL 1983:9f.

218

8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Damit wird betont, dass auch Abraham sich nur aufgrund seiner Werke als achtbare Größe erwiesen hat. Zum anderen kennt auch die rabbinische Tradition einen Bezug auf sittliches Verhalten im Zusammenhang mit der Nachkommenschaft Abrahams. So kann ein Jude in Babylon, der von seinen reichen Landsleuten weder Beschäftigung noch Nahrung erhält, sagen: Diese (Leute) kommen von dem Völkergemisch her; denn es steht geschrieben: ‚Und er wird dir Erbarmen geben und sich deiner erbarmenʻ (Dtn 13,18) . Alle, die sich über die Menschen erbarmen, sind gewiss von der Nachkommenschaft Abrahams, unseres Vaters; und alle, die sich nicht über die Menschen erbarmen, sind gewiss nicht von der Nachkommenschaft Abrahams, unseres Vaters.118

Es zeigt sich also, dass die Traditionsgeschichte den Bezug auf das Verhalten bzw. die fassbaren Handlungen billigt und vermutlich sogar einfordert. Wenn dem so ist, dann bekommt der Bezug auf die ‚Werke Abrahamsʻ eine starke moralische Signifikanz. „Anders als bei Paulus ist hier nicht vom Glauben, sondern von den Werken Abrahams und davon die Rede, daß einer tut, was sein Vater tat, denn der Glaube und die im Liebesgebot gipfelnde Ethik sind bei Johannes untrennbar miteinander verbunden.“119 3.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen In Joh 8,37–41b ist eine Wertehierarchie deutlich wahrnehmbar. Dem Gut der Nachkommenschaft auf Abraham wird das Prinzip des Tuns seiner Werke zur Seite gestellt. Dabei wäre die Nennung des Prinzips gar nicht zwingend. Denn es liegt eigentlich in der Natur der Sache, dass Kinder ihren Eltern bzw. ihrem Vater gleichen. Impliziert ist nicht eine Kopie des Vaters, sondern eine wesenhafte Entsprechung. Diesem Naturprinzip hätten auch die Juden zugestimmt, da sie ja selbst Abraham in die Diskussion einführen. Erst die Diskrepanz aus Worten (σπέρμα Ἀβραάμ ἐσμεν, Joh 8,33) und Werken (z. B. ἀλλὰ ζητεῖτέ με ἀποκτεῖναι, Joh 8,37) veranlasst Jesus das Prinzip der ‚erkennbaren Werkeʻ einzuführen. In einem Konflikt entscheidet nicht mehr das Wort, sondern das Werk.120 „A person’s nature is revealed by deeds; action is the implementation of character, and individuals are disclosed through their deeds no less than through their words.“121 Entsprechend dem Duktus des Evangeliums wird dieses Prinzip der Werke Abrahams weitergeführt und christologisch implementiert. Jesus will sagen: Wäre Abraham hier, so hätte er sich mir gegenüber nicht so verhalten wie ihr. Abraham hatte eine andere Haltung zum Gesandten des Vaters. Und er hat ihn 118

bBes 32b bei WENGST 2000:333f. THYEN 2015:437; vgl. BROWN 2008a:363. 120 Ähnlich M OLONEY 2005:276f. 121 Bar Efrat bei STIBBE 2006:187; vgl. V AN DER WATT 2010:153. 119

3. Joh 8,37–41a: Ein Mensch (Abraham) des Lichts und seine ἔργα

219

nicht nur akzeptieren können, sondern er war emotional ergriffen und freute sich über den Tag Christi (Joh 8,56). Mit dieser Spitzenaussage bekommen die Werke einen emotionalen Zug, der sich auch schon in Joh 8,42 mit der Liebe zum Sohn andeutet.122 3.3 Reflexionsformen: Mimetische Ethik Bisherige Ausführungen haben eine Grundlage moralischer Signifikanz in Joh 8,37–41a gelegt. Hier gilt es nun zu zeigen, ob und wie in diesem Abschnitt ethisch reflektiert und begründet wird. Betrachtet man die von R. Zimmermann in die Diskussion eingebrachten Reflexionsformen, erscheinen mir für diesen Abschnitt die metaphorische, die mimetische und die narrative Ethikform relevant. Und auch wenn es unbestreitbar so ist, dass die Grenzen zwischen diesen Formen fließend sind und daher nie nur die eine Begründungsform zu finden ist, ist abzuwägen, welche Reflexionsform für eine ethische Plausibilisierung in Joh 8,37–41a als geeignet erscheint. Für eine narrative Ethik spielt die Einführung von Figuren eine wichtige Rolle.123 Entscheidend für diese Begründungsform ist aber auch der Plot – der Erzählverlauf, den es zu erfassen gilt und anhand dessen sich eine moralische Signifikanz abzeichnen kann. Genau dieser Umstand wirkt gegen die Annahme einer narrativen Ethik in Joh 8,37–41a. Wenn auch die Figur des Abraham viele Facetten im Abschnitt Joh 8,31–59 anzubieten hat, wird der Handlungsverlauf nur knapp entfaltet. Es ist auch nicht eine erzählte Geschichte von Abraham, die im Zentrum steht, sondern seine Reaktion auf den Messias, die sich in seinen Werken abgezeichnet hat. Bei der metaphorischen Begründungsform ist Voraussetzung, dass „Normen und Handlungsmuster in sachfremde Kontexte übertragen“ werden.124 Auch sind die beiden Komponenten einer Metapher – der bildspendende sowie der bildempfangende Bereich – maßgebend, die eine Irritation beim Leser auslösen und somit das Verständnis auf eine andere Ebene heben. Eine solche Übertragung ist in Joh 8,37–41b durchaus angedeutet, wenn Jesus der Nachkommenschaft aus Abraham das Prinzip der Werke beiseite stellt. Allerdings erscheint mir dies nicht als eine ‚Verfremdungʻ im eigentlichen Sinne, so dass grundsätzlich offen bleibt, was denn in Joh 8,37–41a überhaupt metaphorisch ausgesagt wird. Allein die ‚Werke Abrahamsʻ könnten als eine Metapher fungieren. Aber auch dieser Sinnrichtung fehlt die Übertragung in einen sachfremden Kontext. 122 R. Metzner übersieht meines Erachtens weitere Hinweise im Text, wenn er im Bezug die Werke Abrahams vereinfachend resümiert: „Der Inhalt dieser ‚Werkeʻ ist nicht explizit genannt. Er erschließt sich vom Kontext her. Zunächst ist deutlich, daß die Tötungsabsicht der ‚Judenʻ (V40) im Gegensatz zu den Abrahamswerken steht. Sie ist die Konsequenz dessen, daß ihnen die entsprechenden positiven Werke Abrahams fehlen. Bei diesen Werken handelt es sich um ein ‚Werkʻ, nämlich das des Glaubens an den Sohn Gottes (V31.43.45.46)“ (METZNER 2000:181f; dagegen BROWN 2008a:363). Dieses Fazit lässt aber offen, welcher Art nun dieses eine Werk des Glaubens ist. Und hier ist es sachgemäß, vom Kontext her an die genannten Handlungen Abrahams zu denken. 123 Vgl. BOLYKI 2004:99f; SCHNELLE 2006:322f; VAN DER WATT 2006c:151; ZIMMERMANN 2012c:155–157. 124 Z IMMERMANN 2016b:9.

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Es bleibt also zu untersuchen, inwieweit Johannes hier mimetisch argumentiert wird. Für diese Reflexionsform spricht eine Reihe von Beobachtungen. Zwar erscheint Abraham als eine erzählte, nicht-aktive Figur. Jedoch hat diese Gestalt der Vergangenheit das Potenzial, als Vorbild zu fungieren. Jesus nimmt in seiner Rede auch erst Bezug auf ihn, nachdem die Juden ‚Abrahamʻ in die Diskussion eingebracht haben. Dadurch wird die Wirkung nochmals verstärkt. Abraham ist für alle beteiligten Gesprächspartner eine achtbare Größe.125 Wie verläuft die ethische Reflexion in Bezug auf Abraham? Die Konfliktursache stellt das Wort Jesu (ὁ λόγος ὁ ἐμὸς, also im übertragenen Sinn die Lehre, die Weisung usw.) und damit Jesus selbst dar. Auf dieser Bewertung seiner Person gründet sich die Tötungsabsicht (Joh 8,37.40). Dieses Wort Jesu geht auf den Vater zurück (vgl. Joh 8,38.40), ist Wahrheit (Joh 8,40), wird bewertet (Joh 8,37) und kann bzw. kann nicht den ‚Innenraumʻ des Menschen ausfüllen (οὐ χωρεῖ ἐν ὑμῖν, Joh 8,37). Gerade der Ausdruck ἐν ὑμῖν setzt eine innere Auseinandersetzung voraus, die sich in der Folge in sichtbaren Taten des Menschen äußert. Und diese Sinnlinie zeigt sich in Joh 8,40– 41a: Das Wort Jesu findet keinen Platz im ‚Innenraumʻ der Dialogpartner, weil sie durch etwas anderes ‚ausgefülltʻ werden. Dieses ‚Andereʻ offenbart sich in ihrer Tötungsabsicht. Dieses Werk wiederum ist Indiz dafür, wer oder was ihr Innenleben beherrscht: ὑμεῖς ποιεῖτε τὰ ἔργα τοῦ πατρὸς ὑμῶν (Joh 8,41a). Abraham unterscheidet sich von ihnen. Er ist anders: Er war „a father who did not kill his son“126. Auch in der Bewertung der Figur des Abraham in der Traditionsgeschichte ist nichts Negatives über ihn bekannt. Vielmehr wird sein Gehorsam, sein Standhalten in der Erprobung usw. gelobt. Die negative Umschreibung der Werke Abrahams (τοῦτο Ἀβραὰμ οὐκ ἐποίησεν, Joh 8,40) wird im späteren Verlauf des Dialogs positiv gefüllt und gesteigert: Ἀβραὰμ ὁ πατὴρ ὑμῶν ἠγαλλιάσατο … καὶ ἐχάρη über den ‚Tag Jesuʻ (Joh 8,56).127 Das Frohlocken und das sich Freuen beschreiben die Affekte eines Menschen, die aus dem Innenleben des Menschen – oftmals spontan und ungefiltert – kommen. Sie sind Früchte der inneren Reflexion bzw. des Innenlebens. Die Werke Abrahams lassen also auf ein anderes ‚Innenlebenʻ als das der Juden schließen. Durch diese Dynamik im Text bekommt das Vorbild des Abraham einen besonderen Auftrieb. Nicht nur, dass er schon als traditionsgeschichtliche Leit-

125

Die Einschätzung von J. Bolyki – wonach Joh 7–8 „the ethical conflict between the primitive, tribal ‚Abraham’s childrenʻ (8.39, 8.53) concept of the Jewish religious leaders versus Jesus’s ‚God’s childrenʻ (8.38, 8.49) concept“ darstellt – ist nicht einleuchtend, weil ja Jesus im ersten Argumentationsgang Abraham als Vorbild der Werke darstellt und erst im zweiten Argumentationsgang (Joh 8,41ff) die Kindschaft Gottes herausstellt (gegen 2004:102). 126 Z IMMERMANN 2013a:90.103. 127 In jüdischen Tradition wurde das Frohlocken Abrahams mit dem Lachen in Gen 17,17 in Verbindung gebracht (vgl. LINCOLN 2005:276).

3. Joh 8,37–41a: Ein Mensch (Abraham) des Lichts und seine ἔργα

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figur Vorbild genug ist. Die Beschreibung seiner Affekte macht ihn, eine Gestalt der Vergangenheit, zu einer Person aus Fleisch und Blut im Hier und Jetzt. Auf der Kontrastfolie der Tötungsabsicht der Juden – die Tötungsabsicht eines Menschen ist an sich schon ethisch verwerflich – erscheint er umso deutlicher als einer, der eine andere Haltung offenbart.128 Und während bei der Beschreibung der Juden ein negativer Unterton vorherrschend ist, ist bei Abraham und seinen Werken eine positive Stimmung prägend. Durch eine solche Darstellung werden beim Leser selbst Emotionen geweckt. Die Sympathie liegt eindeutig bei Abraham. Mit ihm möchte sich jeder Leser identifizieren. Ein anderer Umstand scheint mir für die ethische Reflexion wichtig zu sein. Es wird zwischen einer Gruppe von Juden und einer Einzelperson Abraham unterschieden. Während es dort um eine unpersönliche Größe geht, wird hier eine einzelne Person in den Mittelpunkt gestellt. In einer mimetischen Ethik ist das Nacheifern einer Gemeinschaft bzw. Gruppe selbstverständlich möglich. Aber durch diesen Kontrast vom Plural zum Singular, von einer Gruppe zu einer einzelnen Person wird die ethische Wirkung nur noch verstärkt. Die Werke des Abraham werden zum Leitbild der Leserschaft. 3.4 Der ethische Urteilsträger Auf der Erzählebene können die Juden als ethische Urteilsträger fungieren. Durch die Herausstellung einer Einzelfigur bleibt für einige der Dialogpartner die Möglichkeit des Überdenkens ihrer Handlungen. Andererseits erscheinen die Aussagen Jesu über die Juden doch recht statisch. Sie werden nicht nur wegen ihrer bösen Werke beschuldigt, sondern auch wegen ihres Innenlebens. Ihr Weltbild verrät ihre eigentliche Herkunft. Allein die rhetorische Frage – διὰ τί τὴν λαλιὰν τὴν ἐμὴν οὐ γινώσκετε; (Joh 8,43a) – könnte man als Angebot werten, was aber sogleich durch Joh 8,43b ausgeschlossen wird.129 Durch die Werke des Abraham werden besonders die Leser animiert, diesem Vorbild nachzueifern. Joh 8 macht dann nicht nur deutlich, was die Werke Abrahams nicht sind, sondern worin sie sich auszeichnen. Ob man das Frohlocken bzw. das Freuen über den Messias als Werk oder als deren Früchte ansehen wird, bleibt unklar. Aber das ist für eine Ethik bei Johannes unerheblich. Entscheidend wird für den Leser sein, in welcher Haltung er zu Jesus steht. Welchen Raum nimmt sein Wort bei ihm ein bzw. welche Bedeutung hat es für ihn? Liebt er die Wahrheit, d. h. stellt er sich der Wahrheit? Und erweisen sich seine Handlungen von gleicher Qualität wie die des Abraham? Auf der pragmatischen Ebene bekommt die Beschreibung des Abraham einen motivierenden Zug. Der explizite Bezug auf die Affekte des Abraham, der 128

Vgl. MOLONEY 2005:284. Gegen den johanneischen Anti-Judaismus und für die Perspektive, die Figur der „Juden“ als Entsprechung zur Figur der „Welt“ im JohEv zu sehen vgl. KIERSPEL 2006:153; LINCOLN 2005:272–274). 129

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Kontrast zu den Juden und die auf Seiten des Abraham liegende Sympathie regen den Leser an, sich an Abraham und seinen Werken zu orientieren.130 Das Frohlocken des Abraham über den Gesandten Gottes macht Jesus zum Ziel- und Ausgangspunkt allen Verhaltens.131 Das erinnert an 1Petr 1,10–12, wonach die Propheten bzw. die Glaubenden des AT den Tag des Messias gesucht, geforscht und ihn erwartet haben.132 In der johanneischen Darstellung der Figur des Abraham treten alle anderen historischen Umstände zugunsten dieser Lebens- und Zielperspektive zurück. Allein die Begegnung mit und die Ausrichtung auf den Gesandten Gottes erscheinen als das Hauptmotiv der Werke des Abraham. Entsprechend sollen die Leser des Evangeliums ihr Leben gestalten, dass Jesus ihnen „alles in allem“ (1Kor 15,28) wird. 3.5 Die Reichweite der Ethik Der Geltungsbereich in Joh 8,37–41a erscheint universal. Jeder, der Gott auf seiner Seite haben möchte, wird sich an der Leitfigur des Abraham orientieren müssen. Als identitätsstiftende Größe kann die Figur des Abraham eine ethische Dynamik auslösen, die über jegliche kulturelle Grenzen aus Juden und Nichtjuden hinausgeht. Menschen werden sich an seinen Werken bzw. seiner Haltung zum Messias messen lassen müssen. Damit findet sich in der Figur des Abraham ein Anschauungsbeispiel für einen Menschen, wie ihn Johannes bereits in Joh 3,21 beschrieben hat. Es ist einer, der die Wahrheit tut (vgl. Joh 8,40), zum Licht kommt bzw. eine positive Haltung zum Licht findet und dessen Werke damit als in Gott gewirkte deutlich werden. Abraham ist – anders wie etwa die Figur des Nikodemus im JohEv133 – der ‚Modell-Mensch‘ im Raum des Lichts.

4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag 4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag

Das, was sich in Joh 4,31–38 andeutet, wird im Abschnitt Joh 9,1–5 erzählerisch aufgenommen und in Joh 14,12 mit Blick auf Jesu Weggang zum Vater reflektiert. Die Jünger werden in die Mission des Gesandten hineingenommen.

130

Der Leser wird nicht nur auf der kognitiven Ebene zu einem ethischen Urteil herausgefordert, sondern er wird förmlich in den Konflikt hineingenommen und muss sich für oder gegen Jesus entscheiden (VAN DER WATT 2010:153f). 131 Ähnlich W AGENER 2015:411 in Bezug auf die Samaritanerin (Joh 4). 132 Ein ähnlicher Topos liegt m. E. auch in Hebr 11 vor. 133 Vgl. das 7. Kapitel, Pkt. 2.4 und 2.5.

4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag

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4.1 Sprachformen der Moral in Joh 9,1–5; 14,12 4.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 9,1–5134; 14,12 Ab Joh 9,1ff folgt ein Szenenwechsel. Jesus und seine Jünger sehen einen Blindgeborenen, den Jesus heilt (Joh 9,1–7). Ab Joh 9,8ff schildert Johannes die Deutung dieses Ereignisses und die Konsequenzen. In Joh 9,1–7 grenzt sich neben der Heilungsbeschreibung ein Dialog zwischen Jesus und den Jüngern ab (Joh 9,2–5). Für meine Untersuchung lege ich mich auf Joh 9,1–5 fest. Joh 14,12 ist zwar auf das vorherige Gesprächsthema in Joh 14,8–11 bezogen, hebt sich aber durch die betonte Form Ἀμὴν ἀμὴν davon ab. Der Vers wird wegen seiner Wirkungsgeschichte für sich betrachtet, auch wenn er mit Joh 14,13f in Beziehung steht. 4.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? Die Verse in Joh 9,2–5 weisen einige hochkomplexe semantische sowie grammatikalische Probleme auf, die in der johanneischen Forschung diskutiert werden. Überblickshalber sollen diese Fragestellungen, die im Verlauf der unten stehenden Ausführungen jeweils am geeigneten Ort besprochen werden, kurz skizziert werden. - Wohin gehört syntaktisch der ἵνα-Satz aus Joh 9,3b? Ist er mit Joh 9,3a verbunden und mit einem Komma – wie in der Nestle-Aland28 dargestellt – abzugrenzen? Oder ist Joh 9,3b mit Joh 9,4 zu verbinden? In einem solchen Fall müsste Joh 9,3a mit einem Punkt enden und Joh 9,3b und Joh 9,4 könnten dann durch ein Komma verbunden werden. - Was ist der bezeichnete Gegenstand des Plurals τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ? - Wie sind mit Hilfe der Textkritik die Personalpronomen ἡμᾶς und με, für die es auch andere Varianten gibt, in Joh 9,4 zu lesen? Ist insbesondere der erste Person Plural tragfähig? - Kann es sein, dass es sich bei der Phrase τὰ ἔργα τοῦ πέμψαντός in Joh 9,4 um einen christologischen Einschub handelt und Joh 9,4 eigentlich auf einen weisheitlichen Spruch zurück geht? - Was sind die außersprachlichen Referenten von ἡμέρα und νὺξ in Joh 9,4? Und in welchem semantischen Verhältnis steht dann Joh 9,5 dazu? - Wie ist das Lexem ὅταν in Joh 9,5 zu übersetzen bzw. welche Bedeutung intendiert der Verfasser? - Welche christologische Bedeutung hat dann die Rede von dem ‚Lichtʻ in Joh 9,5?

134

Bedenke hier die inhaltliche und literarisch angedeutete Verbindung von Joh 9 und Joh 10. Keineswegs darf meine Gliederung zur Annahme von zwei losgelösten Reden bzw. Erzählungen führen (vgl. dazu ZIMMERMANN 2004:243f.244–249).

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Diese Übersicht zeigt, welche Komplexität der Abschnitt Joh 9,2–5 in sich birgt. Es macht in methodischer Hinsicht Sinn, diese Fragen im Verlauf der Gliederung zur impliziten Ethik zu untersuchen. Auf der intratextuellen Ebene ist in Joh 9,1–5135 die Selbstaufforderung – ἡμᾶς136 δεῖ ἐργάζεσθαι – auffallend. Die meisten Ausleger plädieren dabei für den Text, wie er im Nestle-Aland28 abgedruckt ist, und damit für eine „gemischte Lesart“137. Durch die temporale Eingrenzung (ἕως ἡμέρα ἐστίν, Joh 9,4) und den Hinweis auf die unbedingt kommende Nacht (Joh 9,5) bekommt dieser Ausspruch Jesu eine zeitliche Dringlichkeit, die die Aktivität der Handlung nochmals unterstreicht.138 Betont am Anfang steht ἡμᾶς (Joh 9,4): „‚Wir‘, d. h. wir Jesusjünger, müssen die Werke Gottes tun, solange uns die Zeit dazu gegeben ist.“139 Eine solche Handlungsaufforderung ist nicht weniger als das Offenbar-machen der Werke Gottes (Joh 9,3c). Damit bekommt die Indienstnahme der Jünger eine Zuspitzung, die sich schon in Joh 4,31–38 angedeutet hat.140 Neben der zeitlichen Dimension bleibt hier der Ton eines ‚göttlichen Imperativs‘141 prägend. Durch ein substantiviertes Partizip, das bei Johannes „faktisches Verhalten von Menschen, das bestimmte Wirkungen zeitigt“142, und einen in die Zukunft gerichteten Blick (zwei Mal ποιήσει im Futur) wird in Joh 14,12 an die Leser des Evangeliums gedacht.143 Der Vers erhält die Funktion eines Appells zum Handeln. Dabei ist auf der Ebene des Sprechakts eine Zusicherung (assertives) im Blick, die eine ethische Dimension eröffnet: Wer glaubt, kann mit ähnlichen 135 O. Schwankl sieht einen deutlichen Bezug dieses Textes zu Joh 3,19–21, was sich im Terminus Gericht (vgl. Joh 9,39) sowie den Pharisäern bzw. des Blinden als Modell-Typen von Joh 3,20 und 3,21 zeigt (vgl. SCHWANKL 1995:225). 136 Die Personalpronomen ἡμᾶς sowie με sind textkritisch umstritten. 137 Vgl. THEOBALD 2009:635f, der für diese Variante auch noch eine inhaltliche Begründung heranführt. Für ἡμᾶς sind ebenfalls BEUTLER 2013:287; BROWN 2008a:372; ENSOR 1996:110–112; THYEN 2015:455; WENGST 2000:355. Nach B. M. Metzger sprechen zwei Gründe für das plurale ἡμᾶς: „(a) because of its somewhat superior external support, and (b) because it is slightly more probable that copyists would have altered ἡμᾶς to ἐμέ than vice versa“ (1994:194). 138 Nach K. Berger haben Dialoge in wunderhaften Erzählungen eine „kommunikative und dramatisierende Funktion“ bzw. „die Funktion eines retardierenden Elements“ (1984a:255.307). Die meisten Kommentaroren beziehen den Hinweis in Joh 9,5 auf das irdische Wirken Jesu (vgl. ENSOR 1996:105). Dementgegen rechnet F. Grob mit keiner zeitlichen Einschränkung (1986:42). 139 SCHWANKL 1995:231; vgl. WENGST 2000:355; dagegen ENSOR 1996:113f; Zum ‚Wirʻ in Bezug auf Joh 1,14–18 siehe MOTYER 2006:203–205. 140 B ROWN 2008a:372. 141 Vgl. E NSOR 1996:123, der dies (allein) auf Jesus bezieht. Mit dieser christologischen Perspektive nennt der Verfasser dann noch „a consciousness of prophetic vocation“ und „the brevity of the time available for him to fulfill his calling“ (:123). 142 H IRSCH-LUIPOLD 2009:295. 143 B ACK 2012:68.

4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag

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bzw. „größeren“ Werken wie Jesus rechnen. Joh 14,12 deutet einen Unterschied zwischen Glaube an die Werke selbst und Glaube an Jesus an. Wer nämlich an Jesus glaubt, wird auch seine Werke vollbringen.144 Das Objekt des Glaubens entscheidet über die Qualität bzw. die Auswirkungen des Glaubens. 4.2 Normen in Joh 9,1–5; 14,12 Folgende Normen werden in Joh 9,1–5 und Joh 14,12 verwendet: Tabelle 30: Normen in Joh 9,1–5; 14,12 Differenzierung Prinzip Gut Prinzip (oder Maxime?) Gut Prinzip Wert Wert

Normen vorausgesetzter Tun-Ergehen-Zusammenhang (Sünde = Krankheit) die Werke Gottes (τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ) „Arbeiten muß man, wenn’s Tag ist“145 (ἡμᾶς δεῖ ἐργάζεσθαι … ἕως ἡμέρα ἐστίν) Licht (φῶς εἰμι τοῦ κόσμου) Der Glaubende (ὁ πιστεύων) τὰ ἔργα ἃ ἐγὼ ποιῶ μείζονα τούτων

Bibelstelle 9,2 9,3 9,4 9,5 14,12 14,12 14,12

4.2.1 Zur Normendiskussion im Einzelnen 4.2.1.1 Zur Punktation in Joh 9,3–4 In Joh 9,2 ist durch die Frage der Jünger ein Tun-Ergehen-Zusammenhang impliziert, der wohl wegen Bezugnahme auf die Eltern auch auf das alttestamentliche Prinzip – Kinder und Enkelkinder haften für die Sünden der Eltern (Ex 20,5) – zurückgeht.146 Und auch wenn Jesus einen solchen Zusammenhang in Joh 9,3a zurückweist, ist zu fragen, wie Jesus in Bezug auf die Blindheit des Mannes verstanden werden will. Eine Antwort auf diese Frage hängt mit der Punktation des Gliedsatzes in Joh 9,3b zusammen. Folgende Konstellationen sind denkbar.

144 Es ist aus logischer Perspektive fraglich, dass Jesus sagen möchte: Wer um meiner Werke willen glaubt, wird auch die Werke tun, die ich tue. Siehe dazu Pkt. 4.2.1.3. 145 SCHWANKL 1995:228. 146 Vgl. ENSOR 1996:104; POIRIER 2006:113; R IEDL 1973:292.

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Variante A: 9,3a Weder dieser hat gesündigt noch seine Eltern, (Komma!) 9,3b sondern [Ellipse: er wurde blind geboren], (Komma!) damit die Werke Gottes an ihm147 offenbar werden. (Punkt!) 9,4 Wir müssen wirken die Werke… Variante B: 9,3a Weder dieser hat gesündigt noch seine Eltern. (Punkt!) 9,3b Vielmehr/aber damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden, (Komma!) 9,4 müssen wir wirken die Werke…

Die Problematik der Variante A (klassische Punktierung) liegt im kausalen Verständnis der Stelle. Eine solche Einschätzung der Theodizee-Frage ist schwierig: „The theology implicit in the traditional rendering is bizarre.“148 Gott habe die Gesundheit des Mannes geschadet, nur um zu einem späteren Zeitpunkt seine Herrlichkeit in der Heilung dieser Beeinträchtigung zu erweisen.149 Nach J. C. Poirier würde diese Lesart auch keine Erklärung Jesu für die Blindheit des Mannes geben. Und auch das folgende Verb φανερωθῇ ist sonst im JohEv mit der Licht-Dunkelheit-Metaphorik verknüpft (vgl. Joh 3,19–21), was auch für einen neuen ‚Sinnabschnittʻ ab Joh 9,3b spricht.150 Zwar lässt sich der zweite Vorschlag der Punktierung und Übersetzung grammatisch nicht erzwingen151, aber die inhaltlichen Argumente scheinen anderen Exegeten152 und mir überzeugend. In seiner Antwort an die Jünger möchte Jesus also gar nicht eine allgemeine Erklärung zum alttestamentlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang geben. Er sieht vielmehr den jeweiligen Menschen mit seinem Handicap. Es geht um das Wirken in diesem konkreten Fall, damit am Blindgeborenen die Werke Gottes sichtbar werden. Damit ist der Tun-Ergehen-Zusammenhang keine Norm, die in Joh 9 argumentativ aufgegriffen wird. 4.2.1.2 Der bezeichnete Gegenstand der ἔργα τοῦ θεοῦ Die mit den weiteren Normen zusammenhängende Frage ist die nach dem bezeichneten Gegenstand der ἔργα τοῦ θεοῦ in Joh 9,3b. In der johanneischen Forschung werden verschiedene außersprachliche Referenten diskutiert.

147

Zur Präposition und Pronomen im Dativ ἐν αὐτῷ siehe RIEDL 1973:293. POIRIER 1996:289. O. Schwankl möchte genau diese theologische Tendenz abschwächen, wenn er schreibt: „Dieser positive Grund ist aber kein kausaler, sondern ein finaler“ (1995:227; so auch RIEDL 1973:293). 149 Vgl. POIRIER 2006:114. 150 POIRIER 1996:290–293; 2006:115. 151 SCHWANKL 1995:227, ähnlich R IEDL 1973:293. 152 T HYEN 2015:456; Unentschieden K EENER 2012:778f. 148

4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag

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(1) „τὰ ἔργα bezeichnet vielmehr metonym die ganze Sendung, das gesamte ‚Wirken Jesu‘. Das zeitliche Limit, das dem ‚Tagwerkʻ Jesu ein Ende setzt, ist dann die Passion (vgl. 13,30).“153 (2) Bei P. W. Ensor handelt es sich sowohl um allgemeine Handlungen im Sinne Gottes als auch um das Wirken von Wundern in konkreten Situationen. „The word ‚worksʻ mentioned here is understood in the broadest sense to cover any kind of action which God may require, as it may be in the Fourth Gospel“.154 (3) W. Nicol nimmt eine Differenzierung zwischen den durch Jesus vollbrachten Wundern und den sogenannten ‚geistlichen Tatenʻ bei Jesus vor. „The miracles and the spiritual works are both called erga in v. 20 [Joh 5,20], and they are compared, but comparison implies distinction: the spiritual works are greater.“155 Aus dieser Unterscheidung, die er auch in Joh 5,36; 14,10–12 annimmt, kann er dann für Joh 9,4f schlussfolgernd sagen: „This is why v. 4 can say ‚weʻ have to do the works: the exalted Christ performs the spiritual works through the Church, a parallel to the erga of the disciples in 14:12.“156 Im Zusammenhang mit dem Verb scheint es mir am plausibelsten, darin Handlungen und gegebenfalls auch Wunder zu sehen, die gemäß Joh 3,21 ‚im Lichtʻ verrichtet werden und sich damit als Gott gewirkt erweisen. Es kann auch ein „Verallgemeinerungs-Plural vorliegen, in dem tatsächlich nur das eine Werk Gottes (…) gemeint sein soll, das aber alle derartigen Werke Gottes abspiegelt“157. Konkret wird es sich um Handlungen handeln, die eine Mitwirkung Jesu stets voraussetzen. Letztlich ist es „doch als Werk Jesu Christi, des Offenbarers, und schließlich als Werk Gottes selbst (vgl. 9,3: τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ) anzusehen“.158 4.2.1.3 Joh 14,12 als exegetisches Problem Der Rekurs auf die größeren Werke (14,12: μείζονα τούτων), die Jesus seinen Nachfolgern zuspricht, stellte die Exegeten seither vor die Frage, was hier gemeint ist. Die entscheidende Frage ist, was der außersprachliche Referent ist, den Jesus hier im Sinn hat. Wegen dieses exegetischen Problems und weil die Lösung zentral mit meiner Fragestellung zusammen hängt, möchte ich diese

153

SCHWANKL 1995:229. ENSOR 1996:112. „The ‚worksʻ then do not simply mean deeds or actions in general, but at least include the working miracles, of which the healing of the blind man is an example“ (:124). 155 N ICOL 1972:117. 156 N ICOL 1972:119. 157 R IEDL 1973:293. 158 O NUKI 1984:84. 154

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Frage im umfassenden Sinne darstellen. Damit einher geht auch die Beobachtung A. J. Köstenbergers, dass aus seiner Perspektive nur wenige neutestamentliche Publikationen sich Joh 14,12 gewidmet haben.159 In der neutestamentlichen Forschung sind insbesondere folgende Angebote gemacht worden: - Es geht um ‚Werkeʻ der Urgemeinde, wie sie besonders in der Apostelgeschichte dargestellt werden. Hier wird eine Auslegung in der Sinnlinie der Apostelgeschichte favorisiert.160 - Es sind allgemein ‚Zeichen und Wunder‘. - Es sind größere Werke, weil sie im Geist geschehen. „Es sind die Werke der Glaubenden, die in der Kraft des Geistes geschehen. Was die Glaubenden bei diesen Werken zu tun haben, ist zweierlei: sie haben Jesu Wort zu bezeugen (Joh 15,26f.), und sie haben das ‚neue Gebot‘, das Gebot der Liebe, zu erfüllen (Joh 13,34f.; 15,12–17)“161 - Es sind natürliche Handlungen der geistbegabten Nachfolger Jesu, wie sie besonders in der Verkündigung, der Taufe und des Abendmahls zu beobachten sind. Die größeren Werke Jesu kommen erst aufgrund des Wirkens des Geistes, durch den Glaubenden und sie besitzen soteriologische Qualität. „Alle diese Aspekte treffen insbesondere auf die Glauben weckende und damit das ‚Lebenʻ bewirkende Predigt der geistbegabten Jünger nach Jesu Weggang sowie auf die das Heil wirkenden Sakramente der Gemeinde, Taufe (s. 3,3–8 sowie 9,7) und Abendmahl (s. 6,48–58) zu.“162 - A. Schlatter sah darin die Sammlung der Kirche oder auch ihr Kampf gegen „Krankheit und Siechtum“.163 - Es sind in der Fülle bzw. Quantität mehr Werke als bei Jesus bei Jesus gemeint164 bzw. der missionarische Erfolg der Jünger.165 - „… the task of the disciples is the preaching of the Gospel. The erga of [1]4.12 are, in the first place, words.“166

159

KÖSTENBERGER 2001a:118. Dagegen KÖSTENBERGER 2001a:122f. 161 HAHN 1985:66. Für T. Onuki gehört die ständige Vergegenwärtigung des Offenbarungsgeschehens, die der Geist in der Gemeinde vollbringt, zu den ‚größeren Werkenʻ (vgl. 1984:77). 162 W ELCK 1994:285; vgl. LOHSE 1975:73. 163 Bei DIETZFELBINGER 1989:28. 164 Dagegen CARSON 1992:108; K ÖSTENBERGER 2001a:124 165 So etwa W. Bauer bei DIETZFELBINGER 1989:28; KÖSTENBERGER 2001a:119 nennt R. Buldmann und R. Schnackenburg als Gewährsmänner für diese These. Dagegen vgl. RODRIGUEZ RUIZ 1987:178. 166 N ICOL 1972:117. 160

4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag

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- Es sind die martyria besonderer Christen.167 - Es sind spektatukuläre Werke bzw. Wunder gemeint.168 - Es ist eine geographische Ausdehnung der Missionstätigkeit durch die Jünger.169 Sie sind viele und an mehreren Orten gleichzeitig. „Die Werke, die der an Jesus Glaubende tut, sind ‚größer‘, weil sie weder räumlich noch zeitlich begrenzt sind.“170 - Die größeren Werke beziehen sich auf einen neuen Anfang nach Jesu Weggang zum Vater, die auch „die Erneuerung der Welt und, in der Tat, der Schöpfung“ implizieren.171 Die überzeugendste Lösung für das Verständnis liegt meines Erachtens darin, den Begriff ‚größere Werkeʻ zu klären und den Komparativ ‚größerʻ im Zusammenhang mit dem Weggehen Jesu zum Vater zu sehen.172 So ist Joh 14,12 auch von Joh 5,20 aus zu lesen und zu deuten, wobei der Unterschied auffällt: „Jesus wird die größeren Werke vollbringen (5. 20) – den Jüngern werden sie aufgetragen (14. 12).“173 Zugleich wird man der Bedeutung von Joh 14,12 nicht nahe kommen, wenn man die Werke der Jünger in irgendeiner Konkurrenzsituation zu Jesus oder als Kopie sieht.174 „For John, the disciples’ mission consists, not in duplicating Jesus’ mission or task, but in bearing witness to it as Jesus’ representatives.“175 Was der bezeichnete Gegenstand der Werke ist, wird durch die Thesen von D. A. Carson, A. J. Köstenberger und Chr. Dietzfelbinger deutlich: In the same way, Jesus’ followers perform „greater things“ (the expression is am biguous enough to include more than miracles), precisely because they belong to the period of greater clarity, of less ambiguous witness to Jesus. In short, the argument is not unlike what we discover in Matthew 11.176 167

Dagegen RODRIGUEZ RUIZ 1987:177: „Mit den ‚größeren Werkenʻ sind ebenfalls nicht nur und in erster Linie die ‚Martyriaʻ mutiger joh Christen gemeint wie etwa im Falle des Blindgeborenen“. 168 Dagegen CARSON 1992:108; KÖSTENBERGER 2001a:118; RODRIGUEZ RUIZ 1987:177f. 169 Dagegen KÖSTENBERGER 2001a:124. 170 W EIDEMANN 2004:167. 171 Brodie bei WENGST 2001:123. 172 So DIETZFELBINGER 1989:28. „Ihre Werke sind nicht größer, weil sie selbst etwa größer wären, sondern weil das Werk Jesu nun vollendet ist“ (BARRETT 1990:450). 173 D IETZFELBINGER 1989:29f. 174 D IETZFELBINGER 1989:30f; B ACK 2012:69. 175 K ÖSTENBERGER 2001a:122. 176 CARSON 1992:109. „In short, the greater things that believers do include all their words and works empowered by the Spirit and performed this side of the Son’s exaltation. They are greater precisely because they bear witness most tellingly to who Jesus is (…).Doubtless they may include miracles, but there is not a scrap of evidence to restrict those ‚greater thingsʻ to miracles, and certainly not to miracles that are judged more spectacular than those of the Lord Jesus“ (:110; vgl. :496).

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8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

It may be concluded that the „greater works“ of John 14:12 are the activities of believers, still future from the vantage point of the earthly Jesus, that will be based on Jesus’ accomplished Messianic mission.177 Was den Jüngern in 14.12 verheißen wird, ist identisch mit dem, was der Vater Jesus laut 5. 20 f. geben wird. Von den Jüngern also wird Auferweckung der Toten und Gericht ausgehen; im Sein und Reden der Jünger wird den Menschen die Gabe eschatologischen Lebens gewahrt, werden sie vor das eschatologische Gericht gestellt.178

Allen drei Interpretationsansätzen ist gemeinsam, dass sie die größeren Werke der Jünger aus zeitlicher Perspektive nach Jesu Weggang zum Vater verstehen und die Wirkungsgemeinschaft zwischen Jesus und seinen Nachfolgern betonen.179 4.2.1.4 Was sind die außersprachlichen Referenten von ἡμέρα und νὺξ in Joh 9,4? Die metaphorische Rede vom Tag und Nacht hat diverse Vorschläge hervorgebracht, worauf sich der Spruch Jesu zu beziehen hat. Im Allgemeinen werden folgende Lösungen diskutiert. (1) Der Tag bildet das irdische Wirken Jesu ab, die kommende Nacht ist die sich anbahnende Passion. „Das zeitliche Limit, das dem ‚Tagwerkʻ Jesu ein Ende setzt, ist dann die Passion (vgl. 13,30).“180 Eine solche Auslegung ist dann prägend, wenn zu Joh 9,4 die Metaphorik von Joh 9,5 hinzugenommen wird.181 Zwar wird die Befremdung an dieser Deutung – der johanneische Jesus spricht von einer Zeitspanne, in der er „nicht zu wirken vermag“ – gesehen, aber ein solcher negativer Schluss nicht notwendigerweise gezogen. „Metaphorisch genommen kann der Spruch auch einfach sagen, daß das irdische Wirken Jesu seine Zeit hat und keinen Aufschub duldet.“182 Mit einer solchen Interpretation wird aber die Bedeutung des Personalpronomens ἡμᾶς bzw. die Indienstnahme der Jünger ausgehebelt: „for why would Jesus include himself in a group that he says will soon be experiensing nightfall if in fact his own departure is what constituted that nightfall?“183 Auch macht dann der Zuspruch der ‚größeren Werkeʻ in Joh 14,12 wenig Sinn. (2) Der Tag ist „die Lebensspanne, die dem Menschen zu seinem Tun zugemessen ist.“184 Die Nacht steht für den Tod, der unausweichlich jeden Men-

177

KÖSTENBERGER 2001a:126; vgl. NICOL 1972:118. DIETZFELBINGER 1989:31; vgl. BROWN 2008b:633; MOLONEY 2005:399f. 179 Ähnlich L INCOLN 2005:392. 180 SCHWANKL 1995:229; vgl. MENDEZ 2015:469–472, der Argumente gegen diese Interpretation aufführt. 181 Vgl. POIRIER 2006:118. 182 Vgl. SCHWANKL 1995:230. 183 POIRIER 2006:118. 184 T HEOBALD 2009:636; vgl. MENDEZ 2015:469.471 für Argumente gegen diese These. 178

4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag

231

schen treffen wird. Hier wird die bedeutende Parallele auch zu Joh 11,9f vermerkt: Auch dort geht es um eine zeitliche Dringlichkeit. Eine solche Auslegung baut ihr Fundament vor allem auf Joh 9,4 und auf den traditionsgeschichtlichen Hintergrund auf.185 (3) Der Tag und die Nacht stehen metaphorisch für zwei unterschiedlichen Seinsweisen menschlicher Existenz, wobei der Tag mit Sehen und die Nacht mit Nicht-Sehen (Blindheit) verknüpft sind (vgl. Joh 9,39; 3,18–21).186 Diese Interpretation bekräftigt die von mir vertretene intertextuelle Verknüpfung von Joh 3,18–21 und Joh 9,4f, verkennt jedoch den angedeuteten Dringlichkeitsaspekt187 und den Plural der Wirkungsgemeinschaft in Joh 9,4. (4) Auch wenn diese Auslegungsvarianten einiges für sich haben, scheint mir eine andere Sinnrichtung, wie sie von J. C. Poirier vorgeschlagen wurde, noch wahrscheinlicher, wenn man vor allem die Alltäglichkeit der Metaphern und ihre Nähe zur Arbeitswelt der Menschen mitdenkt: „‚dayʻ and ‚nightʻ refer to the literal transition of day into night, a transition that holds significance for the ensuing Sabbath controversy, as it is precisely that transition, within traditional Jewish understandings of the Sabbath, that allows one to resume working.“188 Jesus kehrt also die Verhaltensweise der Juden, am Sabbath jegliche Arbeit zu meiden und mit der Arbeit zu warten bis es Nacht wird, um. Dafür sprechen auch die genauen Instruktionen, die Jesus dem Blindgeborenen in Joh 9,7 aufträgt. Kurzum: „Jesus purposely healed the blind man in a way that made his violation of the Sabbath as conspicuous as possible. (…) Jesus basically instructed the blind man to violate the Sabbath in as visible and controversial a way as possible.“189 Eine solche Auslegung ist dann nicht nur bestens in den weiteren Erzählverlauf von Joh 9 eingebettet, sondern entfaltet auch eine moralische Signifikanz sondergleichen. Die Hinzunahme des Weisheitsspruchs, die sichtbare Heilung am Sabbat und Jesu Vorbild sollen die Leser darin bestärken, in Konfliktsituationen einen ähnlichen Mut und Entschiedenheit für das Verrichten der ‚Werke Gottesʻ an den Tag zu legen.

185

Vgl. THYEN 2015:455. Vgl. MENDEZ 2015:472–474. „Thus, the ‚night … when no one can work‘ is a reality that embraces ‚unbelievers alone‘, whereas ‚for the believers there will ever be day; there will never come any ‚night‘ for the believers, just as there will be no ‚death‘ for them (5,24)‘“ (:474). 187 Vgl. MENDEZ 2015:477f. 188 POIRIER 2006:116. 189 POIRIER 2006:117. 186

232

8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

4.2.1.5 Wie ist das Lexem ὅταν in Joh 9,5 zu verstehen? Entgegen der gängigen Meinung, wo ὅταν meist mit „so lange“ übersetzt wird, folge ich hier H. Thyen, der an ein „so oft“ oder „jedesmal wenn“ denkt.190 Es ist gerade das immer wiederkehrende ‚Hinzukommenʻ Jesu in das Werk der Jünger, das ihnen auch nach seinem Fortgang zum Vater verheißen wird. The ‚wheneverʻ (ὅταν) indicates repeated visits of the Light to the world. As often as Jesus is in the world, he is its light. The statement presupposes that Jesus was the Light-Word of Gen 1,3 who previously came in the world at creation. In the incarnation, he has again been sent into the world to be its light. On these and any other occasions when Jesus has been or will be in the world, he is its light.191

4.2.1.6 Wie ist die Metaphorik – „Jesus ist Licht“ – in Joh 9,5 zu deuten? Die christologische Aussage Jesu sollte nicht allgemein, sondern konkret auf dem Hintergrund der Heilungsgeschichte in Joh 9 gelesen werden. Es ist eine Einführung in das Wunder selbst, wonach Jesus dem Blindgeborenen ‚Licht bringt‘.192 Selbstverständlich kann darüber hinaus eine Bedeutung liegen, wonach Christus auch im Allgemeinen das Licht ist. „Jesus is the one who brings light into an otherwise dark world that will get darker with the coming night.“193 Joh 9,5 sollte aber nicht dazu verleiten, die Metaphern von Tag und Nacht allein nur christologisch auszulegen. 4.2.2 Konvention und Traditionsgeschichte des ‚Arbeitens bei Tag‘ Eine beachtenswerte These wird in der neutestamentlichen Forschung in Bezug auf Joh 9,4 disktutiert, die – sollte sie überzeugen – ein beachtliches ethisches Potenzial innehat. Dabei wird Joh 9,4 auf dem Hintergrund einer weisheitlichen Sentenz gelesen194: 4a ἡμᾶς δεῖ ἐργάζεσθαι 4c ἕως ἡμέρα ἐστίν 4b τὰ ἔργα τοῦ πέμψαντός με 4d ἔρχεται νὺξ 4e ὅτε οὐδεὶς δύναται ἐργάζεσθαι. Diese Anordnung des Verses zeigt seine chiastische Struktur (4a – 4e; 4c – 4d). Eine solche Leseweise stellt Joh 9,4 dann „als eine sehr allgemeine Weisheit, die ursprünglich im Alltags-, und zwar im Arbeitsleben verankert ist“, dar. Damit sei nicht gesagt, dass der ‚christologische Gliedsatzʻ (Joh 9,4b) nicht auf 190

Vgl. THYEN 2015:455. D. R. Burkett bei THYEN 2015:455. 192 Vgl. POIRIER 2006:118. 193 R EIMER 2013:431. 194 Siehe dazu SCHWANKL 1995:227–229; THEOBALD 2009:635f. Ein solcher Hintergrund ist zwar gegeben, aber für die Bedeutung des Textes nicht ausschlaggebend (THYEN 2015:455). 191

4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag

233

Jesus zurückgehen kann195, sondern dass die Hörer bzw. Leser des Evangeliums aufgrund ihrer traditionsgeschichtlichen Vorprägung den weisheitlichen Spruch gehört haben. Durch einen solchen traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Joh 9,4 wird die Appellstruktur verstärkt.196 Welche Werke genau zu verrichten sind, da bleibt Johannes in seinem gewohnten Stil verhalten. Es wird meines Erachtens auch kaum an Joh 6,28f zu denken sein197, da es sich dort um eine andere Adressatengruppe und einen anderen Kontext handelt. Ganz allgemein wird man hier an Worte (z. B. Verkündigung) und Werke (z. B. missionarische Handlungen) denken, die im Gefolge der Mission Jesu zu verrichten sind. Entscheidend ist der Aufruf zur Aktivität und zum Tätigsein, was durch Joh 14,12 in Verbindung mit Joh 5,20 bekräftigt wird. 4.2.3 Wertehierarchie einzelner Normen Die Diskussion einer Wertehierarchie wird in Joh 9,1–5 und Joh 14,12 kaum geführt. In Joh 9,1–5 stehen die ἔργα τοῦ θεοῦ als Objekt der Handlung. Das Prinzip ‚Wirken am Tagʻ bezieht sich sodann auf die Dringlichkeit und den besonderen Kontext (Sabbath) der Handlung. Beide Normen bedingen einander und können voneinander nicht abgelöst werden. In Joh 14,12 wird eine Folge konstatiert: Dem, der glaubt, werden bestimmte Werke zugesichert. Der ethische Appell liegt im Blick auf die Jünger auf der Glaubenstat, denn die Werke werden als passivum divinum den Jüngern in der Zukunft zugesprochen. 4.3 Reflexionsformen: Metaphorische Ethik Es scheint, dass Johannes hier im Sinne einer metaphorischen Ethik argumentiert. Dabei werden „Normen und Handlungsmuster in sachfremde Kontexte übertragen“198 Als metaphorische Elemente können in Joh 9,1–5 ‚die Werke Gottes‘, ‚Wirken bei Tag, bevor die Nacht kommtʻ und ‚Jesus als Licht der Weltʻ und in Joh 14,12 ‚die größeren Werkeʻ betrachtet werden. Aufgrund der Fülle der metaphorischen Rede soll hier tabellarisch und skizzenhaft die ethische Reflexion dargestellt werden.

195

Es gibt sogar gute Gründe, eine Authentizität anzunehmen (vgl. ENSOR 1996:108–

110). 196 Das beobachtet auch O. Schwankl, der eine Parallele zur paulinischen Paränese in 1Thess 5,1–11oder in Röm 13,11–14 sehen kann (vgl. SCHWANKL 1995:231). 197 Gegen SCHWANKL 1995:231. 198 Z IMMERMANN 2016b:9.

234

8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

Tabelle 31: Metaphorische Ethik in Joh 9,1–5; 14,12 Metapher und meta- BESCHREIBUNG phorisches Kriterium Die Werke Gottes Traditio

Der Leser (bzw. die Jünger) wird an die Ausführungen der Wirkungsgemeinschaft zwischen Vater und Sohn erinnert (Joh 5,16– 23.31–38). Damit wird seine Angewiesenheit auf Gott und Christus betont. Innovatio Er wird durch den Ausspruch Jesu und die Indienstnahme überrascht. Zwar hat sich die Sendung der Seinen schon in Joh 4,31–38 angekündigt, sie wird aber hier explizit in einer konkreten Situation vollzogen. Appellstruktur Der Sollensanspruch ist selten so deutlich wie hier in Joh 9,4 formuliert worden. Dass die Jünger wirken sollen, steht fest. Was genau zu verrichten ist, bleibt ihrer Handlungsreflexion vorbehalten. Handlungsreflexion Das Genitivattribut ist Bürde und Ermutigung zugleich. Einerseits und Ethico-Ästhetik kann es nicht um beliebige Handlungen gehen, sondern nur um solche, die dieses Prädikat auch verdienen. Andererseits ist Gott der ‚Besitzerʻ dieser Werke, d. h. er bewirkt diese wie er es auch schon im Sohn getan hat. Deutungsoffenheit Der Leser (bzw. die Jünger) erhalten keine klaren ethischen Anweisungen. In ihrer Reflexion und gemeinsamen Diskussion sind sie herausgefordert, den Werken Gottes auf die Spur zu kommen. Wirken am Tag Traditio

Johannes greift auf eine Binsenweisheit zurück: Arbeit wird im Hellen verrichtet.199 Innovatio Der überraschende Moment ist die besondere Konfliktsituation. Auf dem Hintergrund, dass auch die johanneische Gemeinde in eine Art Konflikt verwickelt ist, bekommt eine solche Binsenweisheit große Bedeutung. Appellstruktur Der weisheitliche Spruch motiviert, Gelegenheiten zu nutzen und sich nicht durch Druck von ‚außenʻ abbringen zu lassen. Handlungsreflexion Dass Christus selbst hier einen Konflikt provoziert und eine Zuund Ethico-Ästhetik spitzung beabsichtigt, kann die johanneische Gemeinde zu Mut und Geradlinigkeit motivieren. Die Orientierung an ihrem Vorbild gibt ihnen die Standfestigkeit für widrige Umstände. Deutungsoffenheit Wie weit die johanneische Gemeinde gehen soll, bleibt offen und ist je nach Situation abzuwägen.

199 In der Antike ist Nachtarbeit nicht völlig undenkbar, aber bei weitem eine deutliche Ausnahme, vgl. 1Thess 2,9.

4. Joh 9,1–5; 14,12: Jesus als Lehrer über das Wirken am Tag

235

Metapher und meta- BESCHREIBUNG phorisches Kriterium Jesus, das Licht Traditio

Der Topos der Gegenwart Gottes bzw. seines Gesandten ist die theologische Kategorie in diesem Abschnitt. Innovatio Wenn die Interpretation von H. Thyen richtig ist, dann können die Leser bzw. die Jünger auch nach Jesu Fortgang mit seinem Licht rechnen. Appellstruktur Hier ist grundsätzlich zu fragen, ob überhaupt ein Appell vorliegt? Joh 9,5 macht deutlich, dass die Nachfolger Jesu nicht über ihn verfügen können. Allerdings ermutigen andere Texte gerade dazu, mit den ‚Wirkungen des Lichtsʻ zu rechnen (vgl. etwa Joh 14,13). Handlungsreflexion Entscheidend ist nicht, ob die Leser etwas verrichten, sondern ob und Ethico-Ästhetik Christus in seinem Licht ihre Handlungen begleitet, ja durch sie wirkt. Deutungsoffenheit Wie genau das geschehen kann, bleibt offen. Die größeren Werke Traditio Joh 14,12 greift auf Joh 5,20 zurück. Innovatio Joh 14,12 führt in die Verlegenheit, „und verharrt man fragend in solcher Verlegenheit, dann wird die Rede von den größeren Werken zu einem Schlüssel, der die Tür zu einem weiten Raum aufschließt.“200 Appellstruktur Der Appell liegt eindeutig auf der Glaubenstat, denn nur dem Glaubenden wird eine Aussicht auf die größeren Werke zuteil. Handlungsreflexion Die Reflexion wird sogar noch durch Joh 14,12c verstärkt: Erst mit und Ethico-Ästhetik dem Fortgehen des Sohnes können die größeren Werke verrichtet werden. Während der Kontext die Jünger auf Jesu Weggang vorbereitet, wird diese Spannung umso deutlicher. Deutungsoffenheit Der Spielraum für das Verhalten zeigt sich auch ein Stück weit in der Forschungsgeschichte und an der Diskussion dieser Werke. Die johanneische Gemeinde ist herausgefordert, für sich zu klären, was denn nun mit diesen Werken gemeint sein kann.

4.4 Der ethische Urteilsträger Ethische Urteilsträger sind in Joh 9,1–5 und Joh 14,12 eindeutig die Jünger bzw. die Leser des Evangeliums, die sich in dieser Tradition sehen. Mit dem Plural in Joh 9,4 werden sie explizit in diese Handlungsgemeinschaft hineingenommen, während Joh 14,12 den so Wirkenden eine veränderte Wirklichkeit – wie noch in der Zeit vor Jesu Weggang zum Vater – verheißt.

200

DIETZFELBINGER 1989:27.

236

8. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum des Lichts‘

The presence of light in the world, as the Father continues to be revealed, will not be limited to the historical life of Jesus. (…) The disciples of Jesus continue the works of Jesus (v. 4a), but it is the presence of Jesus in the world that brings light into the world (v. 5).201

Entscheidend ist, dass die so Angesprochenen im Licht, d. h. in der Verbindung mit Jesus bleiben. Schließlich sind hier Handlungen mitgemeint, die sich nach Joh 3,21 als durch Gottes Kraft gewirkte Taten verstehen. Dabei ist mit Bezug auf Joh 3,21 auch die passive Sprachform wichtig. „Menschliche ‚Tatenʻ sind nach Joh 3,21 nicht nur das, was jemand aktiv tut, sondern auch das, was geschieht.“202 Die Hinweise über die Werke in Joh 9,4; 14,12 sind deshalb als eine Einladung zum Mitwirken in der Mission Gottes zu verstehen.203 Was der bezeichnete Gegenstand dieser Werke ist, wird – entsprechend dem sonstigen johanneischen Stil – nicht thematisiert und verbleibt in der Handlungsreflexion der Jünger. Indem Jesus aber den Tun-Ergehen-Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit kritisch hinterfragt (Joh 9,2f), schafft er einen imaginären Raum für das Handeln Gottes. Denkbar ist gemäß Joh 9,2–5, dass gerade die Zuwendung zu Kranken und Benachteiligten der Gesellschaft204 einen Deuterahmen für die Werke Gottes darstellt. 4.5 Die Reichweite der Ethik Der Geltungsbereich bezieht sich auf die johanneische Gemeinde und ihr Dasein in der Welt. In ihrer konkreten (konflikthaften) Situation ist sie herausgefordert, wie Jesus selbst zu wirken und mutig zu sein. Nach innen wird sie herausgefordert sein, die Bedeutung des tätigen Glaubens (Joh 14,12a) zu erkennen und sich auf die Qualität ihrer Werke zu besinnen, die erst mit Jesu Fortgang zum Vater möglich sind (Joh 14,12bc). Nach außen werden der johanneischen Leserschaft bedeutende Werke Gottes zugesprochen, wenn sie sich als Gemeinschaft in andauernde Wirkungsgemeinschaft des Vaters und des Sohnes stellt. Im Raum des Lichts dominieren die Werke Jesu und des Vaters. In diese Wirkungstätigkeit sollen die johanneischen Leser eintreten. Als Modell für ihr ethisches Verhalten wird die Figur des Abraham eingeführt und ist damit ein Vorbild, wie man sich dem Licht nähern kann. Die Jünger, die im Licht sind, erhalten sowohl eine Würdigung als auch einen Auftrag, Teil des göttlichen Wirkungsgemeinschaft zu werden: ὁ πατήρ μου ἕως ἄρτι ἐργάζεται κἀγὼ ἐργάζομαι (Joh 5,17).

201

MOLONEY 2005:292; vgl. WEYER-MENKHOFF 2012a:130. WEYER-MENKHOFF 2012a:130. 203 „…but more likely it is an invitation to the disciples (14:12), hence to John’s audience, to share in continuing Jesus’ mission from the Father“ (KEENER 2012:779). 204 Vgl. dazu KEENER 2012:777f. 202

9. Kapitel:

Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘ …καὶ τὰς ἐπιθυμίας τοῦ πατρὸς ὑμῶν θέλετε ποιεῖν. …und wollt die Begierden eures Vaters tun (Jesus).1

Im ‚Raum der Dunkelheitʻ dominieren die ἔργα πονηρά. Sie sind damit Ausdruck einer inneren Haltung und Erweis dessen, was aus der Innenwelt des Menschen nach Außen drängt. Damit stehen die Akteure dieses Raums diametral gegen den Gesandten Gottes. Zwar ist er in die Welt gekommen, um die Welt nicht zu richten, sondern zu retten (Joh 3,17). Aber sein Erscheinen und seine Wirkungstätigkeit offenbart auch das ἤδη κέκριται (Joh 3,18). Dabei offenbart sich die Feindschaft gegenüber dem Licht, die von Affekten des Hasses und der Abneigung begleitet wird. Im ‚Raum der Dunkelheitʻ sind zwei unpersönliche Größen präsent: Der Teufel (Joh 8) und die Welt (Joh 15). Selbstverständlich gehören auch Menschen in diesen Raum und werden mit diesen übernatürlichen Figuren sprachlich verbunden.2 Dort, wo sie als Gegner des Lichts eingeführt sind, wird ihre Zugehörigkeit zum Teufel bzw. zur Welt zwangsläufig vorausgesetzt. Dabei ist der Kosmos nicht in sich hoffnungslos verdorben. Denn Gott hat die Welt geliebt und seinen Sohn gesandt (Joh 3,16). Aber der Kosmos ist das Territorium des Teufels und entfaltet damit dieselben Wesenszüge, wie sie beim ὁ ἄρχων τοῦ κόσμου (Joh 12,31; 14,30; 16,11) von Anfang an erkennbar waren (ἀπ᾿ ἀρχῆς; Joh 8,44). Dieses Kapitel analysiert die beiden zentralen Texte, in denen der Rekurs auf die bösen Werke des Teufels (Joh 8,37f.41b–47) und der Welt (Joh 15,18– 25) vorgenommen wird. Lässt sich moralische Signifikanz aus dem Raum der Dunkelheit ableiten oder ist hier schon alles seinem eigenen Schicksal unterworfen? Ist eine Bewegung zur ‚Besserung‘, ein Sollensanspruch mitgedacht

1

Joh 8,44. Für die Gegner verwendet Johannes allgemein den Terminus οἱ Ἰουδαῖοι (Joh 7,12.40– 42; 9,16 u. a.), kann dann aber diese Gruppenbezeichnung auch präzisieren: Pharisäer, Bürger Jerusalems, Mitglieder des Hohen Rates usw. (vgl. KÖSTENBERGER 2007:231; VAN DER WATT 2012:178). Als menschliches Negativbeispiel in diesem Raum ist an Judas Israkariot zu denken. „Im Joh fungiert Judas als moralischer Trigger, als Abwertungsschlüssel, der sittliche Fehler markiert“ (WAGENER 2015:491). 2

238

9. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘

oder verbleiben der Teufel, die Welt und ihre Menschen im Raum der Dunkelheit (vgl. Joh 3,20)? Gibt es einen Entscheidungsraum ethischer Urteilsträger oder ist die umschriebene Situation determiniert? Das exegetische Urteil über diese Alternativfragen wird darüber mitentscheiden, ob eine implizite Ethik in diesen Textabschnitten sichtbar wird oder nicht.

1. Joh 8,37f.41b–47: Der ‚Herr der Dunkelheitʻ und seine ἔργα 1. Joh 8,37f.41b–47: Der ‚Herr der Dunkelheitʻ und seine ἔργα

Im Streitgespräch mit den Juden kontrastiert Jesus die Dimension des Lichts mit der Dimension der Dunkelheit. Im Licht stand Abraham, dessen Werke im Sinne von Joh 3,21 retrospektiv als von Gott gewirkt interpretiert werden. In der Dunkelheit stehen die Juden. Auch ihre Werke verraten sie. Sie verweisen damit aber auf einen anderen Einfluss, der über Jesu Gesprächspartner hinausgeht. Ihr Vater, ὁ διάβολος (Joh 8,44; vgl. Joh 6,70; 12,31; 13,2.27; 14,30; 16,11), wirkt auf sie ein. 1.1 Sprachformen der Moral in Joh 8,37f.41b–47 1.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 8,37f.41b–47 Ab Joh 8,41b beginnt ein „Neuansatz in der Auseinandersetzung“3. Die Textstruktur wurde in Kapitel 8, Pkt. 3.1.1 ausführlich dargestellt, soll aber hier aus pragmatischen Gründen nochmals wiederholt werden. Tabelle 32: Die Textstruktur von Joh 8,37–474 Übergang, Thema des Abschnitts (Joh 8,37) Leitsatz: καὶ ὑμεῖς οὖν ἃ ἠκούσατε παρὰ τοῦ πατρὸς ποιεῖτε (Joh 8,38) Erster Einwand der Gegner: Zweiter Einwand der Gegner: „Unser Vater ist Abraham!“ (Joh 8,39a.b) „Als einzigen Vater haben wir Gott!“ (Joh 8,41b-d) Antwort Jesu: Antwort Jesu: „Wenn Gott euer Vater wäre...“ (Joh 8,42– „Wenn ihr Kinder Abrahams wäret...“ 47) (Joh 8,39c–41a)

Das Thema des Abschnitts Joh 8,37–47 liefert das Wort Jesu: ζητεῖτέ με ἀποκτεῖναι (Joh 8,37b). Die Struktur dieses Abschnitts wird durch zwei Einwände und jeweilige Entgegnungen Jesu bestimmt. In diesem Kapitelabschnitt soll die Stelle Joh 8,37–41a und die Figur des Teufels analysiert werden.5

3

RIEDL 1973:402. Vgl. THEOBALD 2009:598; ZINGG 2006:112–114. 5 Der Abschnitt Joh 8,37–41a wurde in 8. Kapitel, Pkt. 3 besprochen. 4

1. Joh 8,37f.41b–47: Der ‚Herr der Dunkelheitʻ und seine ἔργα

239

1.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? Sprachformen mit einem imperativischen Sinn kommen in diesem Abschnitt nicht vor. Dagegen ist auf der extratextuellen Ebene wieder eine Deklaration (declaration) in Form einer Ver- bzw. Beurteilung wahrnehmbar. Auf die Behauptung der Juden – Wir haben einen Vater, Gott (Joh 8,41b) – folgt eine ‚logischeʻ Argumentationsabfolge Jesu, die schließlich in einem Urteil bzw. einer Entscheidung mündet: Protasis: real – εἰ Apodosis: irreal – ἂν Begründung I: Begründung II: Erklärung:

Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben denn ich bin von Gott… weil ihr mein Wort nicht hören könnt… Lüge (Teufel) und Wahrheit (Jesus) vertragen sich nicht. Ihr glaubt mir nicht, weil ihr den Lügner zum Vater habt.

Durch eine solche Argumentationskette wird die Grundprämisse des Abschnitts erneut verdeutlicht: „Aufgrund des Tuns kann auf den Vater, den Ursprung geschlossen werden.“6 Erneut kommt die im paganen Griechentum bekannte Erfahrungsregel zum Einsatz: Die Taten bzw. Handlungen entscheiden über das Wesen bzw. den Charakter.7 „Actions are in tandem with identity. Behaviour is determined by identity and identity is evidenced in behaviour.“8 Dabei ist diese zirkuläre Dynamik im Vorwurf Jesu an die Juden mitgedacht (Joh 8,41–44). Tun und Sein hängen unmittelbar zusammen. Der Abschnitt gibt keine psychologische Erklärung, was für die Konstitution der Juden vorrangig war. Objektiv betrachtet zeichnen sie sich durch ἔργα πονηρά aus (Joh 8,41a). Die Metapher von Vater und Kind deutet aber auch ihre Herkunft an, in die sie ‚hineingewachsenʻ sind. Und manchmal klingen im Text Aspekte an, als ob die Juden ihrem Schicksal auch gar nicht entfliehen können (Joh 8,43).9 Trotz dieser Anspielungen ist hier nicht an einen ontologischen Dualismus, sondern von einem epistemologischen und ethischen Dualismus auszugehen.10 Zur These – in diesem Abschnitt sei anstelle des Teufels Kain gemeint – siehe REIM 1984:620–623 (ähnlich HAENCHEN 1980:371), die aber nach Meinung anderer Exegeten kaum überzeugt (vgl. MOLONEY 2005:282 und besonders THYEN 2015:442–444). 6 Z INGG 2006:122. 7 HEILIGENTHAL 1983:85. Ein ähnlicher Maßstab wird auch auf den Gesandten des Vaters angewandt. Auch er legitimiert sich durch die Werke, die er tut (vgl. Joh 8,38 u. a.). 8 V AN DER WATT 2012:188. 9 Eine Steigerung des ‚Unentrinnbarenʻ zeigt sich in der Figur des Judas, der trotz der Nähe zu Jesus (=Licht) nicht rein war (Joh 13,10f) und sogar als Teufel bezeichnet wird (Joh 6,70; vgl. zur Figur des Judas VAN DER WATT 2012:188; WAGENER 2015:413–492). 10 Vgl. LINCOLN 2005:273, der Joh 1,1–12; 3,19–20 anführt.

240

9. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘

In Joh 8,43.46 kommen erneut drei rhetorische Fragen vor. Der Vers in Joh 8,43 („Weshalb versteht ihr meine Rede nicht?“) appelliert nicht nur an das Hören dem äußeren Sinn nach, sondern an das „Sich-zu-eigen-Machen“11 der Worte Jesu. Auch wenn der Sollensanspruch deutlich wahrnehmbar ist, wird er doch sogleich durch die Begründung abgeschwächt, „sie können es ja nicht“.12 Durch die rhetorische Frage („Wer kann mich wegen einer Sünde überführen?“ Joh 8,46) ist nicht eine Aufzählung von Sünden beabsichtigt, „sondern es wird die grundlegende Einstellung zu Gott angesprochen“13. Die Funktion dieser Frage ist die Bekräftigung der Integrität Jesu: Niemand kann ihn überführen. Die zweite rhetorische Frage gewinnt durch Wiederholung „an Dringlichkeit, und gleichzeitig ist dadurch eine Antwort bzw. eine Reaktion ‚der Judenʻ gefordert“14. Diese Erwartung schwellt in der Erzählstruktur des Textes nicht lange an, denn schon in Joh 8,47 wird erneut die Unfähigkeit der Juden bekräftigt: Sie sind ja nicht aus Gott, daher können sie auch nicht hören. Erneut wird das gesamte Gewicht auf die Herkunft verlagert. „Damit treffen die Aussagen des joh Jesus den religiösen Kern des jüdischen Glaubensverständnisses.“15 Folgt man jedoch der Argumentation von H. Förster, der die kausale Übersetzung von ὅτι in Joh 8,47 bestreitet16, müsste man übersetzen: „Wer von Gott ist, der hört Gottes Worte: Daraus folgt: Ihr hört nicht, deswegen seid ihr nicht von Gott“. Stimmt man dieser Übersetzung zu, ist es in Joh 8,47 „keine ontologische Verurteilung einer Gruppe, ‚weil sie nicht von Gott‘ wäre, sondern vielmehr die Konsequenz aus dem Weghören. Und gerade deswegen ist dieses Jesuswort ein besonderer Aufruf zur Umkehr.“17 1.2 Normen als Knotenpunkte der Ethik Auch wenn der Abschnitt Joh 41b–47 durch prädestinatorische Züge im Blick auf die Juden gekennzeichnet ist, bleibt trotzdem die Möglichkeit der Umkehr offen. „Es findet sich ein eher ethischer als absoluter Dualismus; es bleibt stets die Möglichkeit der Bekehrung…“.18 Insofern werden auch hier Normen eingeführt, die den Leser für die Seite der Wahrheit gewinnen wollen.

11

ZINGG 2006:122. Gegen Tendenzen, dies prädestinatorisch auszulegen siehe ZINGG 2006:123. 13 Z INGG 2006:125. 14 Z INGG 2006:126. 15 Z INGG 2006:127. 16 Vgl. FÖRSTER 2016:161f. 17 FÖRSTER 2016:162. 18 B EUTLER 2013:277; vgl. LINCOLN 2005:273. 12

1. Joh 8,37f.41b–47: Der ‚Herr der Dunkelheitʻ und seine ἔργα

241

Tabelle 33: Normen in Joh 8,41b–47 Differenzierung Maxime Prinzip Wert Gut

Gut Gut Prinzip

Normen Gott ... als Vater19 Jesus lieben (ἠγαπᾶτε ἂν ἐμέ) Worte von Jesus (τὸν λόγον τὸν ἐμόν) Begierden als Gegensatz z. B. für Tugenden (τὰς ἐπιθυμίας τοῦ πατρὸς ὑμῶν θέλετε ποιεῖν) Wahrheit versus Lüge (ἀλήθεια… ψεῦδος) Worte von Gott (τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ ἀκούει) Die eigene Identität bzw. Wesensart prägt die Taten und Handlungen des Menschen

Bibelstelle Joh 8,41b Joh 8,42 Joh 8,43 Joh 8,44

Joh 8,44 Joh 8,47 Joh 8,37–47

Grundlegend ist für diesen Abschnitt das Prinzip, wonach die eigene Wesensart über die Qualität der Taten entscheidet. Dabei liegt die Prämisse dahinter, dass eine gewisse Wesensart über kurz oder lang zum Vorschein kommt bzw. wahrnehmbar wird. Wäre dem nicht so, gäbe es keine moralisch-ethische Bewertung. Zumindest wäre die Reflexion über das Verhalten zwecklos. Eine solche Prämisse ist für einen ethischen Diskurs kaum zu überschätzen. Dort, wo diese Annahme nicht mitgedacht wird, ist eine Kommunikation über Ethik nur schwer vorstellbar. 1.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte ‚Gott ist unser Vater‘ Die in den Dialog eingebrachte Maxime ‚Gott ist unser Vaterʻ erinnert an das Schema Israels (Dtn 6,4ff). Durch eine solche Konvention wird der Bezug zum alttestamentlichen Volk erneut markiert. Wenn die Leser diese Behauptung der Juden wahrnehmen, merken sie, wenn man den Kontext in Joh 8,37ff mitdenkt, dass die Auseinandersetzung den Charakter eines ‚Alles oder Nichtsʻ erhält. Indem die Vaterschaft Gottes als Norm erscheint, bekommt die Debatte eine weitere Steigerung: Nun geht es um Gott oder Teufel, Wahrheit oder Lüge, Gottes-Volk-sein oder Nicht-sein-Volk-Sein usw. C. S. Keener verweist auf die Ironie einer solchen Behauptung, die dem idealen Leser aufgefallen sein muss: „They accuse Jesus of blasphemy for making the same claim (5:18; 10:36), and informed reader understands that those who lack the Spirit have not been born from God (3:1–8).“20

19

Jesus bezeichnet Gott als Vater und macht sich der Blasphemie schuldig (Joh 10,32ff). Interessant ist, dass die Juden dieselbe Behauptung für sich beanspruchen. 20 K EENER 2012:759.

242

9. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘

Aber auch die natürliche Konvention – Kinder entsprechen ihren Eltern – steht hier im Mittelpunkt der Normen.21 Mit dieser Konvention war auch häufig ein Status, Ehre und ein gesellschaftliches Ansehen verbunden. Gleichzeitig wurde in der antiken Literatur die charakterliche Fehlentwicklung von Kindern thematisiert.22 Ein Determinismus ist also von dieser Konvention nicht zwingend vorgegeben. G. Mlakushyil führt diesen familienmetaphorischen Aspekt im Blick auf seine ethische Wirkung aus. Ein Grund, warum Kinder ihrem Vater folgen, ist auf die Konvention der Erziehung aufgebaut. Jesus sagt, der Vater lehrte ihn, was er zu sagen habe (Joh 8,28; vgl. Joh 5,19ff; 8,26.38.40). Deshalb sind Jesu Worte wahr, weil die Worte des Vaters wahr sind (Joh 8,31). Gleiches wird auf die Gegner Jesu übertragen, wenn auch nicht mit der gleichen Intensität im Text ausgedrückt: So wie Jesus hören sie auf ihren Vater (Joh 8,28). 23 Sozialgeschichtlich wurden antike Personen auch im Blick auf ihre Erziehung hin beurteilt.24 Im jüdischen Kontext oblag die Erziehung den Eltern, konkret dem Vater. Das Lernen selbst bestand aus mündlicher Wiederholung mit dem Ziel des Auswendiglernens und könnte ein Hinweis darauf sei, was Jesus in Joh 8,26.4025anspricht. Der Vater formte den Charakter der Kinder bzw. ihr Verhalten und ehrwürdige Männer reflektieren in ihren Handlungen und mit ihrem Verhalten den Charakter und die Tradition ihrer eigenen Familie (Joh 8,33).26 „The filial imagery of the relation with one’s father on the basis of origin is also used rhetorically to motivate behaviour.“27 Dabei spielt die Kritik in Joh 8,44 nicht auf die Geburt als vielmehr auf die Identifikation mit dem jeweiligen Vater der Juden an.28 Diese Verhaltensänderung bei seinen Zuhörern möchte Jesus bewirken, wenn er bei der Metapher der Familie bleibt und sie der teuflischen Vaterschaft bezichtigt. Durch die Anknüpfung an die Vater-Metapher wird auch die affektive Dimension berührt. 1.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen Wie schon angedeutet, entsteht der Eindruck, dass die Norm „N ist unser Vater“ über allen Normen in diesem Abschnitt steht. Aus dieser Behauptung werden dann andere Normen zur Diskussion gebracht. Alle anderen Normen sind geprägt vom Kontrast, der diesem Abschnitt inhärent ist. 21

Vgl. MLAKUZHYIL 2011:423, der hier einen weisheitlichen Spruch erkennt mit besonderem figurativ-ethischen Sinnpotenzial. 22 Vgl. diverse Hinweise bei K EENER 2012:756. 23 Vgl. MLAKUZHYIL 2011:424. 24 MLAKUZHYIL 2011:425. 25 Vgl. MLAKUZHYIL 2011:426. 26 Vgl. MLAKUZHYIL 2011:426. 27 MLAKUZHYIL 2011:428. 28 Vgl. MLAKUZHYIL 2011:428; RIEDL 1973:404f.

1. Joh 8,37f.41b–47: Der ‚Herr der Dunkelheitʻ und seine ἔργα

243

Dabei spielen weder Gott noch der Teufel eine aktive Role in der Erzählung und werden von den eigentlichen Dialogpartnern eingeführt.29 „Thus, the primary role that the Devil plays in this section is to indicate the origin and character oft he religious leaders who oppose Jesus.“30 1.3 Reflexionsformen: Mimetische Ethik am negativen Beispiel Die erstrebenswerte Handlung in der mimetischen Ethik orientiert sich am jeweiligen Vorbild. Der Imperativ dazu lautet dann: „Handle so, weil Y auch so gehandelt hat.“31 Nun können in ethischen Sprachäußerungen positive sowie negative Gestalten angeführt werden. Dieser Imperativ drückt sich dann so aus: „Handle so, weil Y nicht so gehandelt hat.“32 Bezugnehmend auf Joh 8,37f.41b–47 lassen sich neben der mimetischen Ethik auch teleologische Aspekte wahrnehmen. Die Juden führen in den Dialog jeweils Abraham und Gott ein (Joh ), möchten ‚freiʻ sein (Joh 8,33) und offenbaren damit die Absicht, als moralisch untadelig bewertet zu werden.33 Eine teleologische Begründungsform kann demzufolge nur eingeführt werden, wenn das ethische Subjekt es als erstrebenswert betrachtet, tugendhaft handeln zu wollen. Chr. Horn beschreibt diesen Grundsatz teleologischer Ethik folgermaßen: „Das höchste Strebensziel muß also intrinsisch wertvoll sein, und es muß sich um ein nicht-ambivalentes Gut handeln.“34 Und es ist ja schon bei den Ausführungen zum ἔργον-Argument des Aristoteles deutlich geworden, dass das ἀγαθόν elementar jeglicher ethischen Reflexion zugrunde liegt.35 Der ethische Begründungszusammenhang dieses Textabschnitts kann also auf zwei Ebenen verlaufen. (1) Auf dem Hintergrund der mimetischen Ethik steht die negative Figur des Teufels, die aber im Evangelium selbst stets mit anderen Beteiligten verbunden ist. „The names the Devil and Satan are used in connection with other human

29

Diese Beobachtung für den Teufel äußert D. L. Mathewson (vgl. 2013:423). MATHEWSON 2013:423. 31 Z IMMERMANN 2016a:93. 32 Z IMMERMANN 2016a:93. 33 K. Wengst kann auf der Textebene Joh 8,44 nichts Positives abgewinnen und hat dabei die verheerende Wirkungsgeschichte des Verses im Blick (vgl. 2000:339). A. T. Lincoln schwächt diese Sichtweise etwas ab, wenn er den Text zurecht auf dem Hintergrund des 1. Jh. n. Chr. verstanden wissen will und auf ganz ähnliche Schriftzitate z. B. bei Jesaja verweist (vgl. LINCOLN 2005:272). Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Freiheit und Abstammung vgl. HEILIGENTHAL 1983:85. 34 H ORN 1998:217. 35 Siehe 4. Kapitel, Pkt. 1. 30

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9. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘

antagonists of Jesus.“36 In der Beschreibung in Joh 8,44 wirkt deutlich die Genesis-Geschichte nach (Gen 3,1ff), in der der Teufel den Menschen die Lüge37 einredet und als Initiator des Brudermords wirkt.38 Die Erinnerung an die Genesis-Erzählung vermag die mimetische Reflexionsform durch einen affektiven Zug zu verstärken. Denn die Mimesis hat die Absicht, Emotionen zu wecken.39 Indem die Hörer bzw. Leser des Evangeliums die Figur des Teufels aus Gen 3 mitdenken, bekommt der Handlungsappell einen Auftrieb. Es gilt, keineswegs so zu sein bzw. zu handeln, wie es Eva im Dialog mit der Schlange getan hatte. Vielmehr werden die Ausrichtung auf die Wahrheit, die der Sohn Gottes verkörpert (Joh 14,6), und ein wahrhaftiger Lebensstil zur Maxime. Keineswegs sollen die Leser in den Verdacht kommen, „des Teufels Werkzeuge“40 zu sein bzw. zu werden. (2) Sowohl die Juden als auch die Leser des Evangeliums haben in sich das intrinsische Ziel, als Nachkommen Abrahams bzw. als Söhne und Töchter von Gott beurteilt zu werden. Dieses Ziel erscheint ihnen nicht ambivalent, da sie rückgreifend auf die Traditionsgeschichte mit einer solchen Möglichkeit rechnen können. Um dieses Ziel aus der Sicht Jesu zu erreichen, sollen sie nun entsprechende Handlungen ausführen, die explizit im Text genannt werden: Sie sollen Jesus lieben (Joh 8,42), der Interpretion des AT durch Jesus folgen bzw. Jesu Wort hören (Joh 8,43), nach der Wahrheit streben und sowohl die Begierden meiden als auch die Tötungsabsicht aufgeben (Joh 8,44). Man könnte die Hinweise im Text auch noch auf einen anderen traditionsgeschichtlichen Hintergrund stellen: Sowohl die Juden als auch die Leser sollen sich an den Dekalog halten. Wie J. G. van der Watt ausführt, lassen sich hier einige Anspielungen auf die alttestamentliche Gebote im Text ausmachen.41 1.4 Der ethische Urteilsträger Ethische Reflexion macht keinen Sinn, wenn sich der ethische Urteilsträger nicht entscheiden kann bzw. in seinem Schicksal determiniert ist. Im Blick darauf rekurriert G. Mlakuzhyil auf das in Joh 8,33–36 eingeführte Bild, „namely, the imagery of freeing a slave“42. „A free person is a person who may do what he wants within the restrictions of the group where he wants to be – since 36

MATHEWSON 2013:425. „In Johannine dualism, lying is equivalent to darkness; it is part of the diabolic realm that is opposed to the truth and light of God. Thus, we are not to think here of occcasional deception but of fundamental perversion“ (BROWN 2008a:365). 38 B ROWN 2008a:365; K EENER 2012:760; MATHEWSON 2013:426; W ENGST 2000:338. 39 Z IMMERMANN 2016a:117. 40 R IEDL 1973:405. 41 Vgl. KANAGARAJ 2001:52.56f; V AN DER WATT 2012:185. 42 MLAKUZHYIL 2011:431. 37

1. Joh 8,37f.41b–47: Der ‚Herr der Dunkelheitʻ und seine ἔργα

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that defines good behaviour.“43 Der Aspekt der Freiheit ist seiner Ansicht nach in Joh 8,33ff mitgedacht. Ein Mensch ist zur Freiheit von der Sünde berufen und soll sich so verhalten, wie der Vater und der Sohn und damit den Charakter der Familie Gottes wiederspiegeln. „People will be set free, implying movement from a negative situation to a positive one. In this moment identity and ethics are integrated.“44 Die Verwendung von Bildern (imagery) und Metaphern bei Johannes „draws a whole world of latent and implicit social knowledge into the narrative“45. Deshalb können die Handlungen des ethischen Urteilsträgers in Joh 8 nicht von der Identität „by means of filial imagery“46 getrennt werden. In Bezug auf die ethischen Urteilsträger sind drei Szenarien denkbar. Zum einen wird innergemeindlich geklärt, wer dazu gehört und wer nicht. Dies kann nach Joh 8,41–44 nicht allein aufgrund von Worten und Behauptungen erfolgen, sondern wird sich in den Taten zeigen. Johannes argumentiert paränetisch und damit situationsbezogen. Dies wird durch die Beobachtung ergänzt, daß von ‚den Judenʻ im Johannesevangelium offenbar rückblickend aus einer späteren, an den wahren historischen Sachverhalten nicht interessierten Perspektive gesprochen wird. Auch stehen die Juden hier nicht als Paradigma oder Typos für die der christologischen Wahrheit entgegenstehenden Welt, sondern an ihnen verdeutlicht Johannes ganz im Sinne seines Entscheidungsdualismus die von der angesprochenen Gemeinde geforderte Haltung: die Anerkennung der Legitimität des göttlichen Gesandten (Joh 8,46).47

Die hier eingeführten Normen zielen aber nicht nur auf eine kognitive Anerkennung des Gesandten Gottes, sondern der Leser wird mit seinen Affekten angesprochen. Die Leser sollen Jesus lieben, seine Worte hören, in einer der Wahrheit entsprechenden Haltung leben. Zum anderen wird innergemeindlich vor der „Gefahr des Glaubensabfalls, die die erste christliche Gemeinde bedrohte“48 gewarnt. In diese Richtung äußert sich A. T. Lincoln, wenn er allgemein die Rede von der Teufelskindschaft in eine Sprache des Glaubensabfalls, die innergemeindlich diskutiert wird, einordnet. „So this sort of language could be employed for those who would have considered themselves Christian believers but whose stance other believers found objectionable. Precisely this appears to be the case here.“49 Schließlich ist mit J. G. van der Watt zu überlegen, inwieweit es sich hier um Mord oder eine rechtlich legitimierte Hinrichtung handelt.50 Wenn der Tötungsbeschluss die Folge eines rechtmäßigen juristischen Prozesses ist, kann 43

MLAKUZHYIL 2011:432. MLAKUZHYIL 2011:434. 45 MLAKUZHYIL 2011:446. 46 MLAKUZHYIL 2011:447. 47 H EILIGENTHAL 1983:86. 48 B EUTLER 2013:277. 49 L INCOLN 2005:273. 50 Vgl. für das Folgende VAN DER WATT 2010:151f. 44

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9. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘

die Handlung auf dieser Grundlage als ‚gut‘ bewertet werden. Entbehrt die Tötungsabsicht jeglicher gesetzlicher Grundlage, ist dann eine solche Handlung als ‚negativ‘ bzw. falsch zu bewerten. Es gibt nun Hinweise im Evangelium, wonach die Gegner ihre Handlung als Teil eines legitimen juristischen Prozesses bewertet haben.51 Jesus dagegen unterstellt ihnen eine Mordabsicht. Für den Leser bleibt hier dann die entscheidende Frage, die zu einem ethischen Urteil herausfordert: „is this an execution or a murder? In the end the reader is confronted with this very same question: murder or execution?“52 1.5 Die Reichweite der Ethik Die Reflexion über die ethischen Zusammenhänge umfasst hier den gesamten Kosmos, da der ideale Leser an die spätere Umschreibung des Teufels als ἄρχων τοῦ κόσμου (Joh 12,31; 14,30; 16,11) denken wird. Die ἔργα bezeichnen „den Modus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Macht bzw. Sphäre“53. R. Heiligenthal wendet diesen Topos des JohEv auf den Glaubensübertritt im Kontext missionarischer Verkündigung an: Ziel dieser für das jüdisch-hellenistische Schrifttum typischen Predigtschemata ist die Konfrontation der Rezipienten mit einer dualistischen Vermittlung von Aussagen über Heil oder Unheil. Hierdurch wird der Angeredete vor die Entscheidung gestellt, durch seine Werke die Wahl für oder gegen einen der beiden Bereiche zu treffen.54

Diese Universalität und Allgemeinheit der Aussagen sollte aber nicht dazu verleiten, die impliziten ethischen Aussagen für den Alltag der Leser als irrelevant zu werten. Dies ist ein Zug johanneischer Ethik, der sich auch in den anderen Textabschnitten niederschlägt. Es wird – wie von J. G. van der Watt formuliert – eine Kontextualisierung vom Leser erwartet: It should also be noted that the judgment of Jesus does not rest on an evaluation of the opponents’ ordinary everyday behavior in the market place or in their homes. The focus is narrowed down to a single sphere of reality that corresponds with the situation of conflict that forms the background for this Gospel. This should not be interpreted too narrowly. The implication seems to be that this smaller focus could, and indeed should, be applicable to life in general. In other words, if they become children of God, they would evaluate reality in that light and behave according to the needs of their community.55

51 So wird z. B. in Joh 7,30; 8,20 auf eine Festnahme angespielt. Schließlich deuten Joh 11,53; 18,31 darauf hin, dass sie die Verurteilung Jesu als einen rechtmäßigen juristischen Prozess bewertet haben (vgl. VAN DER WATT 2010:152). 52 V AN DER WATT 2010:152. 53 H EILIGENTHAL 1983:225. 54 H EILIGENTHAL 1983:230 (siehe auch :224–233). 55 VAN DER WATT 2012:189. K. Weyer-Menkhoff bezeichnet diesen Umstand als Leerstellen: „Vielmehr sieht sich der Leser unmittelbar in das von ihm zu Tuende als der angemessenen Antwort auf den fleischlichen Logos entlassen“ (2012a:303).

2. Joh 15,18–25: Die ἔργα Jesu als Erweis der ‚Dunkelheit‘

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2. Joh 15,18–25: Die ἔργα Jesu als Erweis der ‚Dunkelheit‘ 2. Joh 15,18–25: Die ἔργα Jesu als Erweis der ‚Dunkelheit‘

2.1 Sprachformen der Moral in Joh 15,18–25 2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 15,18–25 Der Abschnitt Joh 15,18–25 lässt sich klar abgrenzen. Nachdem Jesus das Liebesgebot in Joh 15,17 bekräftigt, redet er mit seinen Jüngern über Verhältnis zwischen ihm bzw. seinen Jüngern und der Welt. In Joh 15,26 wechselt das Thema, indem das Kommen des Heiligen Geistes verheißen wird. Bemerkenswert ist der sich wiederholende Beginn mit εἰ in diesem Abschnitt (vgl. Joh 15,18f.20(2x).22.24). Allein Jesus redet hier und ist daran interessiert, seine Jünger zu überzeugen. 2.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? Auf der intertextuellen Ebene erscheinen im imperativischen Sinne zwei Aufforderungen. Zum einen werden die Jünger aufgefordert, den zu erwartenden Hass der Welt ihnen gegenüber angemessen zu bewerten: γινώσκετε ὅτι ἐμὲ πρῶτον ὑμῶν μεμίσηκεν (Joh 15,18). Damit erweist sich das gesamte Gespräch als eine Lehrer-Schüler-Unterweisung. Es kommt in der Gattung der weistheitlichen Unterweisung zwischen Vater und Sohn nahe (vgl. Spr 1–9). Zum anderen erscheint die Aufforderung an die Jünger, sich an ein Wort zu erinnern, das Jesus ihnen bereits früher gesagt hatte (μνημονεύετε τοῦ λόγου; Joh 15,20). Dabei erinnert Jesus sie an Joh 13,16. Dort hat es die ethische Weisung, sich einander seinem Vorbild in der Fußwaschung entsprechend hinzugeben und einander zu dienen (Joh 13,14ff). „Inmitten des inzwischen lebensbedrohenden Konfliktes“ widmet sich Jesus in liebender Fürsorge seinen Nachfolgern „bis zum Ende“ (13,1; vgl. 19,25–27). So sichert der Protagonist „die Handlungsfähigkeit der Jünger in seiner Abwesenheit“, indem er sie über seinen Weg unterweist, ihnen die Verheißung des Geistes zuspricht und für sie betet (17,1f).56 Ginge es dort um eine Unterweisung nach innen, so geht es hier unter Verwendung desselben Spruches um Verfolgung57 bzw. einen unlösbaren und dauerhaften Konflikt mit der Welt. Insgesamt zeigt die Wiederholung des (weisheitlichen) Spruches mit unterschiedlichen Akzentuierungen, dass es Jesus um mehr, als um Einzelanweisungen in bestimmten Situationen geht. Nicht eine konkrete Situationsethik ist im Sinn, sondern eine grundsätzliche Haltung, die die Jünger verinnerlichen sollen. Denn ihnen steht dieselbe Reaktion der Welt bevor, wie es in Joh 1–12 in Bezug auf Jesus beschrieben worden ist: Sie müssen mit dem Hass der Welt rechnen (vgl. Joh 7,2–7). 56

FRICKENSCHMIDT 1997:448. CARSON 1994:525. Dabei kann mit D. A. Carson angenommen werden, dass Joh 15,20b sich auf die positive Annahme des Evangeliums bzw. Erfolg in der Verkündigung bezieht (vgl. zur Diskussion 1994:525f). 57

248

9. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘

Die extratextuelle Ebene betreffend werden ein scharfer Kontrast zwischen dem Kosmos auf der einen und Jesus respektive die Jünger auf der anderen Seite eingezeichnet. Die Dualität58 stellt sich – orientiert am Verlauf des Textes – folgendermaßen dar. Tabelle 34: Die Dualität zwischen der Welt und Jesus in Joh 15,18–25 Welt v18 v19

Die Welt hasst die Jünger. Die Welt hat Jesus zuerst gehasst.

Jesus bzw. Jünger

→ Die Jünger sollen es erkennen. Seid ihr aus der Welt,

v20

würde die Welt euch lieben. – weisheitlicher Spruch als allgemeines Prinzip –

v21

Haben sie Jesus verfolgt usw., werden sie euch verfolgen usw. – christologisches Prinzip: Das alles nur wegen Jesus –

v22 v23 v24 v25

Jesus ist gekommen und hat der Welt ihre Sünde vorgeführt. – kosmologisches Prinzip: Wer mich hasst, hasst auch den Vater. – Jesus hat besondere Werke getan, und hat damit die Welt Sünde überführt. – Schriftbeweis: Das alles geschieht, wie es in ihrem Gesetz steht. –

Die gesamte Unterweisung erscheint hier als Zusicherung (assertives)59 mit unterschiedlichen Graden an Gewissheit. Dafür werden verschiedene Belege bzw. Prinzipien angeführt. Jesus möchte damit seine Jünger überzeugen. Deshalb nutzt er verschiedene Sprüche, Prinzipien, allgemeine ontologische Aussagen und einen Schriftbeweis. Im Grunde ist der gesamte Abschnitt eine Anweisung (directives) und hat die Absicht, die Jünger auf die anstehenden Konfrontationen mit der ‚Weltʻ vorzubereiten. „This warning is not only a prediction of future persecution for the disciples but also an implicit exhortation to perseverance.“60 Dafür spricht auch der Imperativ γινώσκετε (Joh 15,18), der als eine Art Leitmaxime zu Beginn der Unterweisung erscheint. Durch diesen Zuwachs an Erkenntnis werden die Jünger nach dem Weggang Jesu standhaft bleiben. Sie können die Umstände sachgemäß beurteilen. Es geht prinzipiell 58

Vgl. SKINNER 2013:65. So ordnet K. Berger diesen Abschnitt der Gattung „Urteile und Beurteilungen“ zu. „Die Tendenz ist Warnung, Abschreckung, Abgrenzung oder auch Empfehlung als Vorbild.“ (1984a:365). 60 SKINNER 2013:65. 59

2. Joh 15,18–25: Die ἔργα Jesu als Erweis der ‚Dunkelheit‘

249

um eine Richtigstellung ihres Weltbildes, nicht um ein materiales ethisches Gebot. Durch die Zusicherung samt unterschiedlicher Belege macht Jesus deutlich, dass es nur diese beiden Sphären geben kann. Dunkelheit und Licht vertragen sich nicht. Es besteht eine unentrinnbare Differenz. K. Berger hat diesen Abschnitt als testamentarisches Vaticinium bezeichnet.61 Solche Vaticinien als Texte kürzeren Umfangs beziehen sich „auf zukünftiges Heil oder Unheil (…), sofern sie außerhalb des Tat-Folge-Zusammenhangs stehen“62. Die Bewältigung der Vaticinien für die frühchristlichen Gemeinden liegt (…) insgesamt darin, Leiden zu bewältigen. (…) Wenn Gott und Gottes Propheten um das Negative wissen, kann man daraus kein Argument gegen Gott und die Botschaft machen.63

Es geht somit allgemein um Stärkung der johanneischen Gemeinde in ihrer Nachfolge des Gesandten Gottes. Sie soll neben den widrigen Umständen von außen nicht auch noch in einen Zweifel über Gottes Handeln kommen. 2.2 Normen als Knotenpunkte der Ethik Im Dialog mit seinen Jüngern führt Jesus unterschiedliche Normen ein, die eine ethische Wirkung für die Jünger implizieren. Tabelle 35: Normen in Joh 15,18–25 Differenzierung Prinzip Prinzip

Prinzip Prinzip Gut

Normen Spruch: Knecht – Meister (οὐκ ἔστιν δοῦλος μείζων…) der Name Jesu; um der Person Jesu willen (διὰ τὸ ὄνομά μου); damit auch Erinnerung an Jesus Hass, Sünde als Kontrast zur Nachfolge (ὁ ἐμὲ μισῶν καὶ τὸν πατέρα μου μισεῖ) Schriftbeweis (πληρωθῇ ὁ λόγος: ἐμίσησάν με δωρεάν) Ihr Gesetz (ἐν τῷ νόμῳ αὐτῶν)

Bibelstelle Joh 15,20 Joh 15,21

Joh 15,18f.23 Joh 15,25 Joh 15,25

2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte des Weisheitsspruches Der Spruch scheint eine bekannte urchristliche Aussage zu sein. In Mt 10,24 kommt sie etwas verändert vor: „Kein Schüler ist seinem Lehrer über und kein

61

BERGER 1984a:80. BERGER 1984a:289. 63 B ERGER 1984a:290. 62

250

9. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘

Sklave seinem Herrn.“64 Damit greift Jesus auch auf eine allgemeine Alltagsregel der Gesellschaft zurück. Dieses Motiv lässt sich auch in den Berufungsgeschichten alttestamentlicher Propheten beobachten (Hes 3,7).65 Es ließen sich auch viele weitere Einzelbelege anführen.66 2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen Eine besondere Wertehierarchie ist in diesem Abschnitt nicht erkennbar. Entscheidend ist, dass der Schriftbeweis und der Hinweis auf die Erfüllung des Gesetzes als Bekräftigung und Bestätigung des bisher Gesagten dienen. Ironischerweise bezeichnet Johannes die Gesetzesquelle als ihr Gesetz (ἐν τῷ νόμῳ αὐτῶν; Joh 15,25). Mit Gesetz wird hier wohl allgemein die jüdische Bibel gemeint sein.67 Damit wird die Diskrepanz zwischen der eigenen Gesetzesforderung und den Handlungen der Juden zugespitzt. Sie werden durch ihr eigenes Gesetz überführt.68 2.3 Reflexionsformen: Deontologische Argumentation Im Abschnitt wird eine deontologische Argumentation verwendet. R. Zimmermann definiert diese Reflexionsform folgendermaßen: „Deontologisch heißt die ethische Argumentation, wenn aus einer vorgegebenen Norm (griech. τὸ δέον – das Erforderliche, die Pflicht) die sittlich richtige Handlung deduziert wird.“69 Der Argumentationsgang verläuft linear: „N als vorgegebene Norm ist gut/schlecht. > Tue N/Unterlasse N.“70 Im Fokus steht das Ziel, die Jünger im Glauben standfest zu machen. Deshalb wird ihnen geboten, sich durch Konflikte mit der Welt nicht überraschen zu lassen. Vielmehr sollten sie diese sogar erwarten. Man könnte das Gebot nach Joh 15,19 auch umkehren. Jesus will dann sagen. Seid besorgt, wenn es zu einer Auseinandersetzung mit dem Kosmos nicht kommt. Denn die Welt liebt ja das ihr Zugehörige. Aus einer anderen Perspektive hatte er in Joh 7 seine Brüder angesprochen: „Euch kann die Welt nicht hassen“ (Joh 7,7). „Sie sind offenbar der Welt eigen, weil sie deren Eigenheiten entsprechen. Nicht aus der Welt zu sein, beschreibt also nicht ein anderes ‚Wesen‘, sondern ein anderes Verhalten.“71 Weil aber die Jünger ein anderes Ethos haben, ist ihnen der Hass der Welt sicher. Aber

64

Zitiert nach WENGST 2001:97; vgl. T HYEN 2015:650. BROWN 2008b:696. 66 W ENGST 2001:97. 67 Vgl. THYEN 2015:651. 68 Vgl. dazu KÖSTENBERGER 2007:467. 69 Z IMMERMANN 2016a:85. 70 Z IMMERMANN 2016a:85. 71 W ENGST 2001:148; vgl. SCHNELLE 2004:269. 65

2. Joh 15,18–25: Die ἔργα Jesu als Erweis der ‚Dunkelheit‘

251

zentral scheint mir hier im Kontext der Abschiedsreden die folgende Sinnrichtung zu sein, die folgendermaßen paraphrasiert werden kann: ‚Erkennt, dass Hass und Verfolgung nicht der fehlenden Fürsorge Gottes zuzurechnen sind. Sondern erkennt, dass die Welt euch hassen wird‘. Dieses Gebot zur Standfestigkeit inmitten widriger Umstände wird durch unterschiedliche Aussagen bekräftigt. Jesus will seine Jünger von der Richtigkeit seiner Ausführungen überzeugen. 2.4 Der ethische Urteilsträger Ethischer Urteilsträger ist die Gemeinde, die sich in einer Konfliktsituation befindet oder damit rechnet. In solchen Umständen hat sie zwei Alternativen: Sie kann an Gott und seinem Gesandten verzweifeln. Sie kann womöglich ihren Glauben aufgeben. Gegebenenfalls ist sie versucht, einen ‚Mittelwegʻ zu finden, um dem Hass der Welt zu entgehen. Oder sie kann diese Umstände als Bestätigung ihrer wahrhaftigen Bindung an Jesus und den Vater deuten und bewerten. In dieser Erinnerungskultur an Jesus selbst und sein öffentliches Auftreten trotz des Hasses der Welt kann sie Mut und Hoffnung schöpfen.72 Im besten Falle wird sie ihre Identität in Gott bestätigt wissen. Denn schließlich hat die Welt auch Jesus und den Vater gehasst. 2.5 Die Reichweite der Ethik Der Geltungsbereich der Ethik ist ganz auf innergemeindliche Diskurse bezogen. Hier werden die jeweiligen Umstände bewertet. Schließlich geht es um eine bestimmte Haltung in einer Verfolgungssituation, nicht um konkrete Aktionen. Der Abschnitt beantwortet nicht, was konkret zu tun ist. Fasst man die erwähnten ἔργα (Joh 15,24) nicht nur christologisch auf, kann es für die Gemeinde auch bedeuten, sich durch besondere Werke – wie Christus trotz des Hasses der Welt – auszuzeichnen. Diese Leseperspektive ist aber eher unwahrscheinlich, weil Jesus auf sein spezifisches Offenbarungswirken gemäß Joh 3,17f rekurriert. Der Raum der Dunkelheit ist durch die Nennung der Teufels und die feindliche Welt markiert, die aber nur passiv in der Erzählung mitschwingen. In beiden Textabschnitten (Joh 8,37f.41b–47; 15,18–25) scheint die moralische Verwerflichkeit dieser beiden ‚Figurenʻ für die Gesprächspartner unstrittig. Der johanneische Christus fällt sein Urteil über die Welt und den Teufel und veranschaulicht damit, was in Joh 3,17–21 angedeutet war: Das in den Kosmos eintretende Licht ruft eine Krisis hervor und offenbart das, was dunkel ist.

72

„Der johanneische Text von der Erfahrung des Hasses und der Verfolgung durch die Jünger ist unter dem Einfluss der synoptischen Überlieferung entstanden (…) Der Hauptvergleichstext ist Mk 13,9–13“ (BEUTLER 2013:431).

252

9. Kap.: Die ἔργα im ‚Raum der Dunkelheit‘

Unterschiedliche menschliche Figuren werden in der Erzählung mit dem Teufel und der Welt verbunden. Die Leser des Evangeliums werden herausgefordert, ihren status quo in der Dunkelheit aufzugeben und Handlungen zum Licht hin zu vollbringen. Diejenigen, die dem Licht gefolgt sind, werden herausgefordert, trotz einer feindlichen Opposition im Licht zu bleiben. Schließlich ist das ein Schicksal, das die Jünger mit Jesus teilen. Der Hass der Welt gegen die Gemeinde offenbart zugleich ihre Verbundenheit und Zugehörigkeit Jesus.

10. Kapitel:

Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘ If there is no clarity regarding these minor characters it is because they do not line up on either side of the belief/unbelief divide (C. M. Conway).1

Die Betonung der dualistischen Motive war in weiten Teilen kennzeichnend für die johanneische Forschung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Prägende dieser Epoche war nicht allein die Wahrnehmung zweier entgegenstehender Entitäten im johanneischen Text, als vielmehr ihre unüberbrückbare Trennung und Gegensätzlichkeit, die wenig Raum für eine Wirklichkeit zwischen diesen beiden Größen übrig ließ. Es galt allein ein Entweder-Oder der jeweiligen Wirklichkeiten. So formulierte F. Mußner noch im Jahr 1989: …der Johannesevangelist sieht im Christusereignis den Beginn des eschatologischen ‚Weltprozesses‘, in dem die ‚Finsternisʻ einen Prozeß gegen das ‚Lichtʻ von oben führt und bei dem die Menschen in ein σχίσμα (vgl. Joh 7,43; 9,16; 10,19) geraten, in dem sich Annahme bzw. Nicht-Annahme des gottgesandten Logos-Christus manifestierten und bis heute manifestieren. Auf diese Grundopposition Annahme/Nicht-Annahme hat der Johannesevangelist die Stellungnahme der Menschheit zu Jesus Christus, dem Gottgesandten, gebracht; ihr verschiedenes Verhalten bildet die ‚semantische Achseʻ des vierten Evangeliums, um die sich alles dreht.2

Dieser Kontrast zwischen Glauben versus Unglauben ist gelegentlich auch in Studien jüngerer Zeit zu finden. So referiert K. Scholtissek über die im Jahr 2000 veröffentlichte Dissertation von F. Lozada A Literary Reading of John 5 und fragt dann kritisch an: Für den Rezensenten bleiben Einwände: Ist der Geheilte wirklich ein Beispiel für den Unglauben? Ist die Erzählstrategie dieses Abschnitts wie des ganzen JohEv wirklich so schablonenhaft, wie es der Autor suggeriert? Finden sich nicht doch subtilere Erzählverläufe in Joh 5?3

Anfragen gegenüber einem radikalen Dualismus blieben nicht aus4 und das Gespür für die Komplexität der johanneischen Sprach- und Denkwelt führte zu 1

CONWAY 2002:339f. MUSSNER 1989:254. 3 SCHOLTISSEK 2001:269. Betreut wurde die Dissertation von F. F. Segovia. 4 Als inadäquat für das johanneische Denken hat J. Blank bereits im Jahr 1964 den Dualismus bezeichnet (vgl. bei POPKES 2005:13). O. Schwankl wertet die Auseinandersetzung als „das leidige Problem des joh Dualismus“ (1995:355). Vgl. ONUKI 1984:49. 2

254

10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

einer differenzierteren Betrachtung und Auslegung. Infolgedessen meidet E. Popkes den terminus ‚johanneischer Dualismusʻ und wählt bewusst die Rede von den ‚dualistischen Motiven‘.5 Eine solche forschungsgeschichtliche Entwicklung lässt Raum für Phänomene zwischen den Entitäten, die nicht sogleich einer allzu schnellen Harmonisierung anheim fallen. So hatte bereits R. Kysar im Jahr 1994 im Blick auf die johanneische Forschung in der Zukunft vorhergesagt: Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘

Kysar suggests that in the midst of a culture where truth is experienced as ambiguity, the ambiguities and polyvalence of the Gospel of John may become even more relevant than they have been in the past. He predicts that in the twenty-first century the Gospel will speak more clearly through its ambiguities than it has been allowed to do in the twentieth century culture.6 10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

Im Blick auf meinen Ansatz ist R. Kysar zuzustimmen. Denn bedenkt man die Metaphorik von Licht und Dunkelheit, so kommt man unweigerlich zu der Einschätzung von F. Mußner über das Verhalten der Menschen gegenüber Christus. Nimmt man jedoch die metaphorische Ausdrucksweise von ἔρχομαι aus Joh 3,18–21 hinzu, wird man auch konstatieren können, dass ein WegSchema impliziert ist. Zwischen Annahme/Nicht-Annahme gibt es einen ‚Raum der Bewegung‘. Menschen können nicht in einem Augenblick zum nächsten eine sachgemäße Entscheidung in Bezug auf den den Logos-Christus treffen. Sie befinden sich auf dem Weg. Und dieser Weg ist ein Prozess, nicht ein punktueller Moment. Kurzum: Auch wenn durch das Kommen des Lichts vieles sogleich klar wird, was oder wer zum Licht bzw. zur Dunkelheit gehört. Es gibt – im Text des Evangeliums und insbesondere an den Randfiguren7 deutlich werdend – eine Art Zwischenkategorie des Sich-Bewegens in einer vagen Sphäre. Manche Figuren sind hier auf dem Weg. Ihre Beschreibung im Text erscheint ambivalent, zwiespältig und noch nicht ganz ‚fertig‘ in ihrer Disposition zum LogosChristus. Dieser Kategorie des Ambivalenten, des auf-dem-Weg-Seins widmet sich dieses Kapitel. In vier Unterkapiteln werden einzelne Situationen dargestellt, in denen Gruppen bzw. Einzelpersonen mit ihren Werken bzw. in Beziehung zu den Werken dieser Ambivalenz ausgesetzt sind, und im Blick auf eine implizite Ethik ausgewertet. Am Verlauf des Evangeliums orientierend geht es (1) um die Menge, die nach der Verrichtung des Werkes Gottes fragt. Damit 5

POPKES 2005:13. So CONWAY 2002:340 über R. Kysar. 7 Vgl. insbesondere den Artikel von CONWAY 2002; vgl. N OLETTE & HUNT 2013:238. Siehe auch ZIMMERMANN 2012c:162–166, der bei den Geschwistern aus Bethanien eine lesenswerte Differenzierung aufzeigt: „a) Marta – Modell der bekennend Glaubenden?“, „b) Maria – Modell der vertrauensvoll Glaubenden?“ und „c) Lazaraus – Modell des wahrhaft Glaubenden?“ 6

10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

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stellt sie sich einer ethisch höchst interessanten Frage, die in einem Dialog zwischen Jesus und der Menge entfaltet wird. (2) Danach werden die Brüder Jesu untersucht. In Joh 7 vermittelt der Autor eine ambivalente Beschreibung der Brüder Jesu. Gerade ihre Meinung zu den Werken und – aus sozialgeschichtlicher Perspektive – ihre enge Verbindung zu Jesus berechtigt, sie nicht sogleich der Opposition zu Christus zuzurechnen. (3) Auch wenn der Konflikt zwischen Jesus und seinen Gegnern sich immer weiter zuspitzt, ist das moralisch signifikante Gebot ‚eines gerechten Urteils (Joh 7,15–24) auffällig. Die Exegese des Abschnitts muss zeigen, inwieweit die Disposition der Dialogpartner Jesu bereits feststeht. (4) Es ist beachtlich, dass das JohEv den Dialogpartnern Jesu bzw. den Lesern einen Glauben um der Werke willen zugesteht. Zwar ist darin durchaus das Finden des Lichts impliziert, aber allein die Aufforderung macht deutlich, dass es einen Prozess in der Begegnung mit dem Licht gibt. Es gibt eine Ambivalenz, eine Bewegung im Raum auf dem Weg zum Licht und gegebenfalls auch ein willentliches Verharren in der Dunkelheit. Die Bezeichnung ambivalenter Handlungsraum umschreibt mehrere Aspekte der hier beschriebenen Perspektive. Das Adjektiv ‚ambivalentʻ deutet auf die Komplexität, Mehrdeutigkeit und Spannung hin, die in der johanneischen Textwelt zu beobachten ist. Der Begriff‚Raumʻ impliziert eine Sphäre, in die hinein das Licht wirkt. Diese Kategorie verdeutlicht, „daß sich die Glaubenserfahrung nicht mehr so stark an der Längsachse der Zeit ausrichtet. Stattdessen orientiert sie sich stärker an einem räumlichen Konzept.“8 Im Raum-Konzept ist nicht ein einmaliger Entscheidungspunkt Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, sondern die Bewegung aus vielen kleinen Schritten. Schließlich deutet der Begriff der ‚Handlungʻ an, dass das Sich-Bewegen im Raum eine Tat ist. Jesus selbst ist der Weg (Joh 14,6). Das Wandeln bzw. das Kommen knüpft an die Alltagserfahrung an und verdeutlicht, was Johannes in seinem Evangelium impliziert: Es geht nicht um einen Glaubensakt, sondern um einen Glaubensweg.9 „Faith has a practical outcome which is expressed as ‚life in his nameʻ (xx.31). (…) In that case ‚life in his nameʻ must mean life in accordance with his character.“10

8

SCHWANKL 1995:342f. Vgl. SCHWANKL 1995:345f; ZIMMERMANN 2004:235. 10 G UTHRIE 1967:73. 9

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

1. Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘ 1. Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘

1.1 Sprachformen der Moral in Joh 6,26–35 1.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 6,26–35 Der Subjektwechsel in Joh 6,22 bestimmt den Verlauf des Textes: Nun geht es (erneut) um die Menge und Jesus. Joh 6,22–25 schildert ausführlich ihre Suche nach Jesus, wobei Jesus darauf folgend ihre Motivation bei der Suche nach ihm kritisiert (Joh 6,26). Was dann folgt, ist ein Dialog über die Frage „Was sollen wir tun?“ (Joh 6,28). Und Jesus antwortet, indem er auf die wahrhafte Speise vom Himmel verweist (Joh 6,27–35). Ab Joh 6,36ff wird das bisher Ausgeführte ausgelegt und vertieft.1 Joh 6,59 beendet diese Aussprache durch die Ortsangabe. Ich begrenze mich bei der Untersuchung einer impliziten Ethik auf den Abschnitt Joh 6,26–35. 1.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? Als imperativisch ‚dichtesteʻ Aussage erscheint Joh 6,27–29.2 Jesus richtet eine direkte Aufforderung an die Menge: ἐργάζεσθε (...) τὴν βρῶσιν τὴν μένουσαν εἰς ζωὴν αἰώνιον (Joh 6,27a). Dabei klingt ein Paradox an. Die Menge soll sich um etwas bemühen, was allein er ihr geben kann bzw. wird (Futur!).3 Joh 6,26 konkretisiert, was Jesus mit ἐργάζεσθε nicht meint: Die Menge folgt Jesus nur, weil sie gesättigt worden ist. Die Aufforderung des Mühens um die angemessene Speise könnte als Synonym zum vorhergehenden ζητεῖτέ με verstanden werden.4 Bedeutsam ist, dass Jesus auf dem Hintergrund der Kritik aus Joh 6,14f das Sehen der σημεῖα als etwas Erstrebenswertes bezeichnet (vgl. Joh 6,26).5

1

Vgl. THEOBALD 2009:454f. Zum Kontext: „Nach diesem“ ging Jesus kurz vor Beginn des Passah-Festes in Galiläa in der Nähe des Sees Tiberias auf einen Berg (6,1–4). Am Fuße des Berges speist Jesus die Menge (6,5–13) und entschwindet wieder auf den Berg (6,14–15). Zur Abendzeit gehen die Jünger (hinab) an den See und macheen sich auf Richtung Kapernaum (6,16f). Jesus begegnet ihnen im Sturm und sie kommen an Land (6,18–21). Die Menge sucht ihn am nächsten Morgen, findet ihn in Kapernaum und Jesus fordert sie auf, die nicht vergängliche Speise zu suchen (6,22–27). 3 BRUNANSKY 2013:189. H. Thyen argumentiert jedoch für ein modales Futur, was er mit dem dominierenden Wortfeld im Abschnitt begründet (vgl. 2015:347). 4 Nach U. Schnelle weist der Imperativ ἐργάζεσθε voraus auf die Heilsaneignung, die in Joh 6,53–58 entfaltet wird, wobei Joh 6,27 und Joh 6,58 eine Klammer bilden (vgl. 1987:215). 5 Zum Versuch einer Harmonisierung vgl. CARSON 1994:283, der allerdings das Widersprüchliche nicht ganz auflösen kann, weil Jesus hier im Plural von den Zeichen redet. Zum unzureichenden Glauben der Menge vgl. NICOL 1972:99. 2

1. Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘

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Die Menge reagiert auf den Imperativ in Joh 6,28, indem sie mit dem Synonym τί ποιῶμεν nach einer Konkretisierung fragt, selbst aber an die Kategorie τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ denkt. Sie ist damit in ihrem „Verständnis der Worte Jesu jetzt wenigstens ein Stück weit nähergekommen“6. Und man wird D. A. Carson beipflichten: „The expression ‚the works of Godʻ does not refer to the works that God performs, but (…) to the works God requires.“7 Jesus definiert das Erwirken der rechten Speise als das Werk Gottes, indem er die Menge zum Glauben an den Gesandten Gottes auffordert, was bereits in Joh 6,27d angeklungen ist (Joh 6,29). Grammatikalisch ist zu beachten, dass Joh 6,29 in einem „nominalen Definitionssatz“8 steht und durch eine Prolepsis mit einem Demonstrativpronomen9 konstruiert wird. Auf der intratextuellen Ebene sind ebenfalls die Aufforderungen der Menge an Jesus bemerkenswert: κύριε, πάντοτε δὸς ἡμῖν τὸν ἄρτον τοῦτον (Joh 6,34). Sie erinnert den Leser an die Samaritanerin, die Jesus um das besondere Wasser bittet (vgl. Joh 4,15). Daran schließt Jesus eine Einladung in Joh 6,35 an: ὁ ἐρχόμενος πρὸς ἐμὲ… ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ… Dabei ist das Kommen zu Jesus als synonym mit ‚Glauben an Jesus’ auszulegen. Raummetaphorisch ist an Jesus glauben gleichzusetzen mit Sich-auf-Jesus-hin-Bewegen.10 Die extratextuelle Ebene betont den imperativischen Charakter des Textes. Jesus gibt eindeutige Anweisungen (directives), die durch die Dialogstruktur Imperativ-Frage-Aussage (vgl. Jo 6,27–29) für die Leser konkretisiert werden. Die rhetorische Frage der Menge hat eine pragmatische Funktion für die Leser. Moralisch nicht eindeutig bleibt für den Leser die Bitte der Menge nach einem Zeichen (Joh 6,31f; vgl. Joh 2,13–22; Mk 8,11–13; Mt 12,38f; 16,1–4). In diesem Abschnitt wird diese Bitte nicht weiter bewertet, vielmehr das Verständnis des Manna christologisch gefüllt (Joh 6,32–35).

6

THYEN 2015:348. CARSON 1994:285; vgl. HOFIUS 2006:282; MOLONEY 2005:209. Zum Genitiv Objektivus vgl. auch SCHNELLE 1987:216; Für einen Genitiv Subjektivus siehe BRUNANSKY 2013:189f. 8 W EYER -MENKHOFF 2012a:103. 9 LÖHR 2005:239 (vgl. auch Joh 6,40; 15,12f.17; 17,3). Zur Prolepsis im Allgemeinen siehe PRESTEL 2008:143 und im JohEv vgl. VAN BELLE 2001:334f.344–347. 10 R. E. Brunansky weist auf die Spannung hin, die dem Leser auffallen muss: Die Menge erlebt das Speisungswunder, sucht nach Jesus und ist bereit, alles zu tun, was Gott von ihnen erwartet. Aber sie versäumt es, zu Jesus zu kommen und zu glauben (2013:191; vgl. zum Aspekt ‚Kommenʻ ist Glauben ZIMMERMANN 2004:235). 7

258

10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

K. Berger ordnet „Joh 6,28–29 (Was sollen wir tun?)“ und „Joh 6,30ff (Bitte um Zeichen)“ der Gattung Chrie/Apoftegma zu.11 Die Gattung als solche hat „einen bedeutenden gesellschaftlichen Rang“ und „regulativen Charakter für eine Vielzahl von Menschen, die sich der jeweils genannten Autorität verpflichtet fühlen“.12 Insofern ist auf der intertextuellen Ebene auch durch diese Textsorte moralische Signifikanz zu erwarten. Es ist aber so, dass die Chrie in Joh 6,30ff den Blick auf Christus lenken will. Es wird folglich auch ein Schriftzitat angeführt, wobei dadurch ‚das Alte durch das Neueʻ überboten wird.13 Die ethische Aufforderung ist, das Manna der Gegenwart zu nehmen und zu essen. Joh 6,28f fällt in Bezug auf seine Gattung auf: „Eine eigene Gruppe mit deutlichen paganen Analogien (…) sind Chrien, deren Anfrage lautet: ‚Was sollen wir (was soll ich) tun?ʻ (…) Es handelt sich um die Frage an den Lehrer um den Weg des Lebens.“14 Dabei wirkt diese offene Frage über die erzählte Welt hinaus. Nach K. Berger werden „gemeindeinterne Probleme zur Sprache gebracht“, wobei es sich nicht nur um rein ethische, sondern auch christologische Fragestellungen (so Joh 6,30ff) handeln kann.15 1.2 Normen in Joh 6,26–35 Aufgrund der ethischen Konnotation werden im Abschnitt Normen angeführt, die in einer Wertehierarchie einander zugeordnet werden.

11 Weitere in dieser Arbeit untersuchen Texte sind: „Joh 4,31–34 (Über das Essen)“ und „Joh 7,1–9 (Öffentlichkeit des Wirkens)“ (siehe BERGER 1984a:82). „Als Chrie bezeichnet man veranlaßte, doch die Situation transzendierende Rede oder Handlung im Leben einer bedeutenden Person. (…) Das Apoftegma ist also eine Untergattung der Chrie. Und hier gibt es gewöhnlich nur eine fragende und eine antwortende Person“ (:82; Für eine fehlende Unterscheidung zwischen Chrie und Apoftegma in der Antike plädiert FRICKENSCHMIDT 1997:284). Diese Gattung hat einen hellenistisch-griechischen Ursprung und kommt im Frühjudentum als auch bei den Rabbinen kaum vor. „Der extensive Gebrauch der Gattung in den Evangelien weist daher auf einen gegenüber ‚palästinischemʻ Judentum sehr durchgreifenden Hellenisierungsprozeß“ (BERGER 1984a:83). 12 B ERGER 1984a:84. 13 Vgl. BERGER 1984a:115. 14 BERGER 1984a:91; Vgl. Mt 19,16–22; Mk 10,17–22; Lk 3,10f.12f.14f.; 10,25–28; 18,18–23; Apg 2,37–39; 16,30–31. Für antike Belege vgl. BERGER 1984b:1098. K. WeyerMenkhoff sieht einen sprachlichen Bezug zu Joh 3,21 (vgl. 2012a:102), wobei dort der Blick auf in der Vergangenheit bewältigte Werke und hier auf die zukünftigen Werke fällt. 15 B ERGER 1984a:86f.

1. Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘

259

Tabelle 36: Normen in Joh 6,26–35 Differenzierung Maxime Wert

Gut bzw. Wert

Prinzip Prinzip Wert Prinzip; Gut Wert

Gut Prinzip

Normen Suche nach Jesus aufgrund der gesehenen Zeichen (ζητεῖτέ με οὐχ ὅτι εἴδετε σημεῖα) Stillung des Hungers bzw. der natürlichen Bedürfnisse: Brot essen und satt werden (ἐφάγετε ἐκ τῶν ἄρτων καὶ ἐχορτάσθητε) Speise bzw. Nahrung besonderer Qualität (τὴν βρῶσιν τὴν μένουσαν εἰς ζωὴν αἰώνιον); Manna bzw. besondere Speise in der Wüste (τὸ μάννα … ἐν τῇ ἐρήμῳ) bzw. das wahre Manna, das wahre Brot des Himmels Regeln, Gebote, Weisungen Gottes, Wille Gottes (τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ) Herausragendes Gebot (τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ) Väter, Ahnen, Erinnerungskultur (οἱ πατέρες ἡμῶν) Schriftzitat (καθώς ἐστιν γεγραμμένον) Brot aus dem Himmel (τὸν ἄρτον ἐκ τοῦ οὐρανοῦ) – in unterschiedlichen Erscheinungsweisen (ewiges) Leben (ζωὴν) Der Kommende zu Jesus bzw. Glaubende an Jesus (ὁ ἐρχόμενος πρὸς ἐμὲ ... καὶ ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ)

Bibelstelle Joh 6,26 Joh 6,26

Joh 6,27.31–32.35

Joh 6,28 Joh 6,29 Joh 6,31 Joh 6,31 Joh 6,31–35

Joh 6,27.33 Joh 6,35

Ähnlich wie schon in Joh 4,31ff wird in Joh 6,26 ein natürliches Bedürfnis16, nämlich das Essen-Wollen diskutiert. Allerdings ist das Nahrungsbedürfnis nicht Mittelpunkt der Kritik, sondern die damit verbundenen Motive der Menge. Eine moralisch fragwürdige Haltung deutete sich schon in Joh 6,15 an (μέλλουσιν … ἁρπάζειν αὐτὸν ἵνα ποιήσωσιν βασιλέα). Die Menge möchte Jesus auch gegen seinen Willen zum König haben. In Joh 6,26 offenbart sich die Motivation dieser gewaltbereiten Absicht. Die Menge wünscht sich einen König, der ihre Bedürfnisse befriedigt. Insofern offenbart sich in ihrer Suche eine moralisch verwerfliche Haltung. „However, their intention to make him some sort of national leader is too worldly – ‚from below‘“.17 Moralisch signifikant ist, dass durch einen solchen Kontrast die innere Haltung eines Menschen als Leitmaxime für den Leser herausgestellt wird. Im gesamten Abschnitt dominiert die Metapher von der ‚rechten Nahrungʻ. Jesus selbst führt diese Metaphorik als Appell auf die fehlende Integrität der Menge in Joh 6,27 ein. Das ethisch Bemerkenswerte ist, dass Jesus nicht einfach die Haltung der Menge kritisiert, sondern das natürliche Bedürfnis nach 16 17

Für die Relation zu Joh 4,32–34 vgl. MOLONEY 2005:208. BENNEMA 2013a:348.

260

10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

Essen nutzt, um daran eine erstrebenswerte Handlung anzuknüpfen. Und als die Menge den Rückverweis auf das Manna heranführt – möglicherweise als ihre eigene Assoziation der wahrhaft bleibenden Speise –, nimmt Jesus dies erneut auf und steigert das in der Wüste erlebte Wunder, indem er es in die gegenwärtige Zeit auf sich selbst überträgt (Joh 6,30ff). Zwei Mal korrigiert der johanneische Text die Sichtweise der Menge mit metaphorischen Mitteln. Den Höhepunkt der Erzählung stellen Joh 6,34 und Joh 6,35 dar. Der Leser erkennt einen Erkenntniszuwachs der Menge in Joh 6,34 und erinnert sich womöglich, dass eine solche Aufforderung bei der Frau am Jakobsbrunnen der Beginn des Glaubensweges war. Joh 6,35 ist dann die christologische Antwort, wo das zu Jesus-Kommen bzw. -Glauben mit elementaren Nahrungsbedürfnissen des Menschen verbunden wird. 1.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von ἔργον τοῦ θεοῦ Als traditionsgeschichtlich18 interessante Norm erscheint hier der Rekurs auf die Werke bzw. das Werk Gottes. Und so vermutet Z. Garsky sogar, dass dieses Syntagma seine Entsprechung in den synoptischen Ausdrücken τὴν ἐντολὴν τοῦ θεοῦ (Mk 7,8; Mt 15,3) bzw. τὸν λόγον τοῦ θεοῦ (Mk 7,13; Mt 15,6b) hat.19 Exegetisch zu klären ist, wie dieses Syntagma zu deuten ist. Liegt – wie in der Forschung immer wieder behauptet20 – ein semantischer Unterschied zwischen dem Singular und Plural vor? Und überhaupt: Handelt es sich bei der Antwort Jesu an die Menge um eine inhaltliche Kritik bzw. einen bedeutungsvollen Unterschied zwischen τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ und τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ? U. C. von Wahlde stellt folgende Deutungen über Joh 6,28f dar:21 - Die Menge denkt mit τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ an die Verrichtung der Werke des Gesetzes. Jesus dagegen verurteilt diese Sicht und stellt durch den Singular τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ den Bezug zum Glauben her. - Andere Forscher sehen im Plural der Werke eine negative Konnotation. Jesus dagegen spricht sich deutlich gegen „diesen Plural“ aus.22 - Wiederum andere verstehen das Verb ἐργαζώμεθα als einen menschlichen Versuch, Taten und Handlungen zu vollbringen, die allein Gott tun kann. In seiner Antwort verurteilt Jesus auch diese Sicht- und Lebensweise.

18 Es gibt eine starke Tendenz in der Forschung, die Lebensbrotrede (Joh 6,27–71) als „directly dependent on Isa 55,1–3.10–11“ zu lesen (Burkett bei THYEN 2015:345f; vgl. BEASLEY-MURRAY 1999:92; BROWN 2008a:264.273f; KÖSTENBERGER 2007:210). 19 GARSKÝ 2012:203; vgl. VAN DER WATT 2013:137. Ebenfalls wird auch die ‚Zeichenforderungʻ als intertextuelle Parallele gesehen (GARSKÝ 2012:203). 20 W AHLDE 1980:304f. 21 Vgl. WAHLDE 1980:305. Dagegen kritisch vgl. ENSOR 1996:281. 22 So etwa K URICHIANIL 2010:37. Gegen diese Interpretation vgl. E NSOR 1996:281.

1. Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘

261

- Die meisten anderen Forscher nehmen einen qualitativen Unterschied und einen Dissens zwischen dem Plural der Menge und dem von Jesus verwendeten Singular des Begriffs ἔργον an. Alle diese Sinnrichtungen entsprechen sich darin, dass Joh 6,28f regelmäßig als johanneisches Missverständnis gesehen wird, das durch Jesus bzw. den Autor korrigiert wird.23 Bedenkt man mit U. C. von Wahlde, wie ἔργα τοῦ θεοῦ in der LXX und anderen frühjüdischen Texten verwendet werden, so wird dagegen Folgendes deutlich: „In this usage, the emphasis is not on specific works but on the general carrying out of the will of God.“24 Man wird aber auch – gegen U. C. von Wahlde – konstatieren können, dass der Terminus auch die von der Tora geforderten Werke impliziert. „Die Wendung ‚die Werke Gottesʻ bezeichnet hier nicht das, was Gott tut, sondern meint die Taten, von denen Gott will, dass sie getan werden.“25 Insofern ist K. Wengst beizupflichten, der sich gegen einen „jüdisch-christlichen Gegensatz“ in Joh 6,28f ausspricht und schlussfolgert: In Hinsicht auf das Verhältnis zwischen dem Vertrauen auf Gott und dem von Gott gebotenen Tun gibt es keinen Gegensatz zwischen dem rabbinischen Judentum und Johannes – nur dass sich für ihn das Vertrauen auf Gott in und durch Jesus erschließt.26

In diesem Sinne hat auch H. Thyen zuletzt das Schisma zwischen Jesus und Gesetz (Joh 1,17) bzw. τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ und τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ kritisiert. Der Plural der Werke wird im Singular des Werkes geradezu aktualisiert.27 Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Bezug auf die Werke Gottes impliziert wegen der Parallelen in der LXX und in anderen frühjüdischen Texten die in der Tora geforderten Werke. Freilich ist dabei nicht (nur) an konkrete Gebote zu denken, sondern an eine all umfassende Lebensweise, wie sie die Tora einfordert und erwartet.28 Wenn Jesus als Rabbi29 im Gespräch mit der Menge 23

Diese Deutung verstärkt sich dort, wo von Joh 6,28f ein Bezug zur paulinischen Rechtfertigungslehre und der Rede von den „Werken des Gesetzes“ und den „Werken des Glaubens“ geschlagen wird (andeutend THEOBALD 2009:458; gegen diese Deutung vgl. THYEN 2015:347f). 24 WAHLDE 1980:308. Zustimmend LÖHR 2012:239. Die Sicht, ἔργα τοῦ θεοῦ seien Wunder (vgl. HEILIGENTHAL 1983:139), stellt eine Ausnahmeposition dar und ist kaum überzeugend (so auch ENSOR 1996:281). 25 W ENGST 2000:233. 26 W ENGST 2000:234f. 27 Vgl. THYEN 2015:348; so auch KEENER 2012:677. 28 Vgl. das immer wiederkehrende Prinzip: „Ich bin heilig und ihr soll auch heilig sein“ (Lev 11,44; 19,2; 20,7.26 und 1. Petr 1,16). Es ist hier P. W. Ensor zuzustimmen, wenn er schreibt: „The difference between these two views [‚Werke, die das Gesetz verlangtʻ und ‚Werke als Wille Gottes im Allgemeinenʻ] cannot have been great for a first century Jew“ (1996:281). 29 Joh 6,25; vgl. VAN DER WATT 2006c:157. Dieser Titel im Kontext der Erzählung ist nicht zu unterschätzen. Johannes beschreibt damit die Situation eines Lehrgesprächs.

262

10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ benennt, dann schafft er damit nicht einen Kontrast,30 sondern er formuliert eine Zuspitzung, wie sie ganz ähnlich bei der Frage nach dem höchsten Gebot bei den Synoptikern erscheint31 (Mk 12,28–34 par. Mt 22,34–40). Das erwartete Werk ist eine Handlung, ein Gebot im Sinne des höchsten Gebotes. Faith in Jesus is therefore the first and most crucial action required to do the works of God. Without this deed of fully associating with Jesus, persons will morally stay in darkness and die in their sin (3,17ff.; 8,21.24).32

Und K. Weyer-Menkhoff sieht es richtig, wenn er πιστεύω nicht als rein intellektuellen Akt des Führ-Wahr-Haltens bestimmt, sondern schreibt: „Die Zuordnung von ἐργάζεσθαι und πιστεύειν bestimmt ‚glaubenʻ ethisch.“33 1.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen Die wechselseitige Beziehung der erwähnten Normen in diesem Abschnitt ist bemerkenswert. Der Abschnitt beginnt und endet jeweils mit einer erstrebenswerten Handlung: ‚Jesus suchen aus einer angemessenen Haltung herausʻ (Joh 6,26) und ‚zum Gesandten kommen und an ihn glaubenʻ (Joh 6,35). In beiden Handlungen geht es um eine ihm angemessene Annäherung. Und während die erste Handlung noch ganz im situativen Kontext der Erzählung formuliert wird (‚Die Menge hat Jesus aus falschen Motiven gesucht‘), ist die Zuspitzung in Joh 6,35 durch die substantivierten Partizipien allgemein gehalten. Sie ist damit eine Einladung an den Leser, diesem ethischen Verhalten zu folgen. Zwischen Joh 6,26 und Joh 6,35 erscheint ein wiederkehrendes Wechselspiel von Normen: Natürliches Nahrungsbedürfnis Gebote bzw. der Wille Gottes Väter, die für Vergangenheit stehen

vs. vs. vs.

Nahrung mit besonderer Qualität Herausragendes Gebot Der Gesandte Gottes, der für das Jetzt steht

30 Hier ist sorgsam darauf zu achten, dass Bezüge zur paulinischen Rechtfertigungslehre nicht in den johanneischen Text hineingetragen werden. Denn dann ist U. C. von Wahlde zuzustimmen: „But, we would suggest, to do that is to eisegete the text rather than exegete it“ (1980:315; vgl. THYEN 2015:348). 31 J. G. van der Watt assoziiert diesen Vers in Joh 6,28 mit der ethischen Frage des reichen Jünglings (vgl. Mk 10,37 par.; vgl. 2013:137), sieht aber einen Unterschied zu den Synoptikern: „The answer in the Synoptics focuses on the requirements of the Law. In John 6:29 the focus of the answer shifts from the Law to faith in Jesus…“ (2013:137). 32 VAN DER WATT 2006c:158; VAN DER WATT 2013:137. „In 3,36 belief is contrasted with disobedience (ἀπειθέω) and not unbelief“ (VAN DER WATT 2006c:158). 33 WEYER-MENKHOFF 2012a:103; vgl. VAN DER WATT 2013:137. Gegen das Verständnis – „that faith is work“ – wehrt sich M. Wahlberg ohne explizit auf Joh 6,26–35 einzugehen (2015:216). Sein Artikel setzt sich aber im Wesentlichen aus systematischer Perspektive mit dem protestantischen Konzept ‚Glaube und Werkeʻ auseinander (vgl. :202–216) und ist daher für meine These nicht relevant.

1. Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘ Das Manna in der Wüste Brot aus dem Himmel (Mose)

vs. vs.

263

Das wahre Manna vom Himmel Brot aus dem Himmel (Vater)

Diese Übersicht deutet an, dass einer konkreten Norm eine bessere Norm gegenüber gestellt wird. Wichtig ist dabei, dass die Normen auf der linken Seite im Text nicht prinzipiell negiert werden. Sie haben und behalten ihre jeweilige Berechtigung. Aber sie werden – wegen des Eintretens des Gesandten Gottes in die Welt – metaphorisch vertieft. So wird das Manna als ἄρτον ἐκ τοῦ οὐρανοῦ34 (Joh 6,31) umschrieben. Ihre johanneische Zuspitzung bekommt die aus Ex 16,4 stammende Phrase durch den Singular (ἄρτος). Auch die Präposition ἐκ befördert die christologische Umdeutung. Zuletzt wird dann durch das Adjektiv ἀληθινός in Joh 6,32 eine weitere Steigerung vollzogen: Es ist das wahre Brot aus dem Himmel (τὸν ἄρτον ἐκ τοῦ οὐρανοῦ τὸν ἀληθινόν). Erzähltechnisch scheint der Höhepunkt des Dialogs in Joh 6,34 zu liegen: κύριε, πάντοτε δὸς ἡμῖν τὸν ἄρτον τοῦτον … ἐγώ εἰμι ὁ ἄρτος τῆς ζωῆς. Dabei ist das Verlangen nach Brot in der Erzählung nicht neu. In Joh 6,26 war bereits die Rede von den Broten, hier jedoch wird im Singular ‚Brot einer anderen Qualitätʻ von der Menge erbeten. Damit ist die Menge in einer ähnlichen Disposition, wie es die Samaritanerin am Jakobsbrunnen war (vgl. Joh 4,15). 1.3 Reflexionsformen: Metaphorische Ethik Geht es in diesem Abschnitt eigentlich um Ethik, also um eine Handlungsreflexion oder doch nur um Theologie?35 Manche Exegeten haben in der Zuspitzung des singulären Werkes Gottes in Bezug auf Glauben ein Theologumenon ohne ethischer Implikationen gesehen.36 Jedoch expliziert Johannes in Joh 6,27 eine typisch ethische Fragestellung. Und die Antwort von Jesus in Joh 6,28 ist – wie oben dargestellt – nicht zwingend als Kontrast, sondern vielmehr als Steigerung zu deuten. Wie aber wird Ethik hier reflektiert? Der Abschnitt verdeutlicht, dass hier sowohl eine narrative als auch metaphorische Reflexionsform zur Anwendung kommt. Eine narrative Argumentation lässt sich dann überzeugend darstellen, wenn neben der Figurenanalyse auch der Plot erfasst und interpretiert wird.37 Dies würde aber die Auslegung des gesamten Kapitels voraussetzen und ist aufgrund der oben genannten Begrenzung nicht leistbar. Allein die Beschreibung der Menge zeigt das ethische Potenzial dieser Reflexionsform:

34 Vgl. Ex 16,4 (ἄρτους ἐκ τοῦ οὐρανοῦ), Neh 9,15 (ἄρτον ἐξ οὐρανοῦ), Weish 16,20 (ἄρτον ἀπ᾿ οὐρανοῦ). Ansonsten nur noch in Ps 77,24; 104,40 (ἄρτον οὐρανοῦ). 35 Vgl. ZIMMERMANN 2012c:166, der auf ähnliche Weise provokativ fragt. 36 „… der joh Gedanke ist eine enge Parallele zur paulinischen Rechtfertigungslehre, obwohl seine Formulierung dieses Gedankens durchaus davon verschieden ist“ (BARRETT 1990:299). 37 Z IMMERMANN 2012c:157.

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

The crowd’s main trait is its divisibility, while displaying various sub-traits: It is sympathetic, patriotic, enthusiastic, even sensationalist (…), has some determination and theological discernment, and shows potential for belief and discipleship; yet, it also displays misunderstanding, complaining, aggression, rejection, and unbelief. In sum, the crowd is complex, having multiple traits.38

Aufgrund der Begrenzung dieses Abschnitts ist die Anwendung der metaphorischen Reflexionsform angebracht. In welcher Weise wird hier ethisch argumentiert? (1) Traditio und Innovatio: Der johanneische Text greift auf vielfältige der Menge bekannte Motive der Alltagswirklichkeit und des AT zurück. Mindestens fünf Motive werden eingeführt, die neben dem natürlichen Nahrungsbedürfnis besonders in der alttestamentlichen Geschichte des Volkes Israel verortet sind. Damit bekommt dieser Abschnitt eine metaphorische Dichte sondergleichen. Im Vorgriff werden aber alle diese Motive in einen neuen Verstehenszusammenhang gebracht. Natürlicher Nahrung entspricht eine ewig bleibende Speise. Den Werken wird das eine Werk zugeordnet. Die Väter, das Manna und Mose werden nicht gänzlich abgewiesen, aber durch die Präsenz des Gesandten vom Vater gesteigert. (2) Appellstruktur: „Ethik wird besonders in Krisensituationen relevant.“39 Die Frage der Menge offenbart auch eine Unsicherheit bzw. das Bedürfnis zur Klärung. Gerade durch die permanente Steigerung sämtlicher von der Menge hervorgebrachter Normen entsteht eine appellative Spannung. (3) Metaphorische Handlungsreflexion und Ethico-Ästhetik: Der Abschnitt schließt mit dem Ich-bin-Wort Jesu: ἐγώ εἰμι ὁ ἄρτος τῆς ζωῆς (Joh 6,35). Die anfängliche Hoffnung der Menge war, in Jesus einen Leiter zu finden, der ihnen wie Mose in der Wüste Nahrung gibt bzw. ihre Bedürfnisse stillt. Durch die beiden an das Individuum gerichteten Partizipien in Joh 6,35b wird dem, der zum Licht kommt, dies zugesagt. Nur sind die Bedingungen auf dem Weg dahin durch Jesus neu interpretiert worden. (4) Deutungsoffenheit: Die Deutungsoffenheit und die ganze Spannung des Abschnitts wird besonders im Partizip ὁ ἐρχόμενος πρὸς ἐμὲ deutlich. Denn die Menge hat ja nichts anderes getan: Sie hat sich auf den Weg zu Jesus nach Kapernaum gemacht und hat ihn gesucht (Joh 6,24). Beim Leser führt diese Zuspitzung womöglich zu mehr Fragen als Antworten. Aber gerade darin ist das ethische Potenzial erkennbar. Fragen regen eine Reflexion an, die sich schließlich in konkreten Handlungsschritten niederschlägt.

38 39

BENNEMA 2013a:352. ZIMMERMANN 2012c:166.

1. Joh 6,26–35: Die Menge zwischen ‚Lichtʻ und ‚Dunkelheit‘

265

1.4 Der ethische Urteilsträger Die Besonderheit des ethischen Urteilsträgers in diesem Abschnitt ist seine „corporate personality“40. „The ancients did not portray character individually and psychologically as much as the moderns do in the Western world.“41 Auch ist ja beim antiken Lesen des Evangeliums an einen gemeinschaftlichen Akt zu denken (vgl. Apk 1,3). Insofern begünstigt dies die ethische Auseinandersetzung. Denn schließlich geht es hier um eine Gemeinschaft, die zur Dispositionen steht. „Besides, at the level of discourse, John ‚showsʻ the crowd in John 6–7 as grumbling Israel in the wilderness.“42 Ein solche Assoziation kann eine starke Identifikation mit der alttestamentlichen Geschichte hervorrufen und einer ethischen Reflexion weitere Dynamik verleiten (vgl. etwa Hebr 3,7–4,11). Der Abschnitt bekommt aber in Joh 6,35 eine individualisierende Wertung, wie auch die Differenzen in der Bewertung der Individualität zwischen der antiken und westlichen Welt „differences in emphases rather than kind“43 sind. Die ethischen Urteilsträger dieses Abschnitts sind innerhalb der Erzählwelt die Dialogpartner Jesu und außerhalb der Textwelt die realen Leser. A. T. Lincoln verortet aufgrund der Anmerkung des Erzählers in Joh 6,59 die Erzählung in die Nähe eines Synagogengottesdienstes. Dieser bestand aus einer Lesung der Tora („the seder“) und der Propheten („the haftarah“). „This would be followed by a midrashic homily in which it would be shown how the Scriptuere spoke to the circumstances in which the synagoge community found itself.“44 Auf einem solchen situativen Hintergrund wäre das Zitat in Joh 6,31 der ToraText, die Anspielung auf Jes 55,2–3 wäre der Text aus den Propheten, worauf dann die Lehrunterweisung Jesu folgen würde. Dabei konnte die Form dieser Homilie divergieren, war aber geprägt von einem Gespräch, in dem auch die Zuhörer in das Geschehen eingreifen konnten.45 Gerade dieser kommunikative Aspekt lässt einen Entscheidungsfreiraum offen. Die oben dargestellte Wertehierarchie verdeutlicht den argumentativen Charakter. Nichtsdestotrotz können die Hörer bei der Aktualisierung der Schrift eigene Entscheidungen für sich treffen. Die Menge und mit ihr die realen Leser werden durch die Worte Jesu in ihrer Lebensweise zur Disposition gestellt und zu einer neuen Wirklichkeit herausgefordert. „This new identity, expressed in an intimate relationship with Jesus, determines a person’s thoughts and deeds accordingly.“46

40

BENNEMA 2013a:353. BENNEMA 2009:394. 42 B ENNEMA 2013a:354. 43 B ENNEMA 2009:395. 44 L INCOLN 2005:223; vgl. K VARME 1984:184–186; M OLONEY 2005:207. 45 L INCOLN 2005:224. 46 V AN DER WATT 2013:137. 41

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

1.5 Die Reichweite der Ethik Der Geltungsbereich der Ethik hat universale Züge, auch wenn durch die starke Verankerung im AT hier besonders die mit der alttestamentlichen Geschichte vertrauten Leser zuerst angesprochen werden. Gerade die ethische Frage – „Was sollen wir tun?“ – wirkt allgemein und bezieht alle an einem gelingenden Leben interessierten Leser mit ein. Weil Jesus seine Antwort so pointiert formuliert, verstärkt sich der Eindruck, dass hier sowohl die innerhalb der johanneischen Gemeinde Glaubenden und die außerhalb der Gemeinschaft Interessierten gemeint sind. Die Universalität dieses Abschnitts ist zentral und zeigt sich auch in der undefinierten Größe ὁ ὄχλος.

2. Joh 7,2–9: Licht oder Dunkelheit in der Familie Jesu? 2. Joh 7,2–9: Licht oder Dunkelheit in der Familie Jesu?

2.1 Sprachformen der Moral in Joh 7,2–9 2.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 7,2–9 Mit Joh 7,1 leitet Johannes einen neuen Erzählabschnitt ein. Jesus wirkt wegen der Tötungsabsicht der Juden in Galiläa. Hieran schließt sich ein Streit Jesu mit seinen Brüdern über die Art und Weise, wie er aufzutreten hat (Joh 7,2– 9).47 Die Zäsur zwischen Joh 7,9 und Joh 7,10 wird durch den Orts- und den Zeitwechsel markiert. 2.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz In einem im NT singulären Dialog zwischen Jesus und seinen Brüdern richten diese drei deutliche Aufforderungen an ihn: μετάβηθι ἐντεῦθεν καὶ ὕπαγε εἰς τὴν Ἰουδαίαν (...) φανέρωσον σεαυτὸν τῷ κόσμω (Joh 7,3f). Zweck dieses Einredens ist, dass auch seine Jünger die Werke sehen, die er tut (Joh 7,3). Dabei impliziert das καὶ in Joh 7,3b, dass die Brüder Jesu in irgendeiner Form die besagten Werke kennen.

47 Wichtig scheinen mir folgende Vorbemerkungen. (1) Die Parallele zu Joh 2, wo Jesus durch seine Mutter zum Handeln aufgerufen wird und sich auf „seine“ Stunde bezieht, ist unverkennbar. (2) Trotz der gemeinsamen Herkunft und gleicher Sozialisation zeigt sich zwischen Jesus und seinen Brüdern eine erstaunliche Kluft (SKINNER 2013:64). (3) Interpretationsversuche müssten auch die kulturanthropologische Perspektive in der Auslegung mitbedenken (z. B. Ehre und Scham, Individualismus und korporativer Sinn für die Gruppe, dyadische Persönlichkeit; siehe dazu MALINA 1993:41–76).

2. Joh 7,2–9: Licht oder Dunkelheit in der Familie Jesu?

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Insgesamt erscheint die Figur der Brüder ambivalent.48 Ein Indiz dafür ist, dass sich die exegetische Forschung „vor erhebliche Interpretationsprobleme“49 gestellt sieht und die Bewertung der Brüder ganz unterschiedlich ausfällt. Noch in Joh 2,12 ist überhaupt keine Distanz zwischen Jesus und seiner Familie zu spüren. Sie sind wie seine Jünger seine Begleiter. Kulturanthropologisch gesehen waren Brüder „normally the closest and most trustworthy of allies“50. So ist über Joh 7,3f mit W. Pratscher festzuhalten: „Die Brüder stehen, wenigstens was ihr bewusstes Wollen betrifft, (hier) nicht gegen Jesus oder unbeteiligt fern von ihm, sondern hinter ihm.“51 Der Text lässt viele Fragen offen. Noch kurz zuvor hatte Jesus Judäa verlassen und ist nach Galiläa gezogen, da seine Gegner ihn zu töten suchten (Joh 7,1). Was wussten seine Brüder darüber? Ist diese Aufforderung auf Konfrontation angelegt und die Begründung mit den Werken gar ironisch gemeint? Das Gespräch findet kurz vor dem Laubhüttenfest statt (Joh 7,2). Geht es den Brüdern Jesu darum, die mosaische Weisung (vgl. Dtn 16,16f) einzuhalten? Oder geht es ihnen um die durch das Verlassen vieler Jünger beeinträchtigte Familienehre (Joh 6,60.67), die Jesus als Stellvertreter seiner Familie nach außen wiederherstellen soll?52 Zu fragen ist auch, warum es den Brüdern um Judäa geht. Schließlich könnte Jesus öffentlich auch in Galiläa wirken, was Joh 7,1 teilweise impliziert.53 Wenn seine Brüder ihm nicht glaubten (Joh 7,5), warum dann die Aufforderung zum öffentlichen Wirken? Und was sind die außersprachlichen Referenten dieser Werke? Beziehen sich die Brüder auf die bei Jesus erlebten Wunder?54 Die Brüder erwarten eine positive Reaktion durch den κόσμος – andernfalls würde die Aufforderung in Joh 7,4 keinen Sinn machen. Jesus dagegen erwartet eine ablehnende Haltung, weil er die schlechten Werke der Welt offenbart (Joh 7,7). „In v. 7 Jesus describes the world in two ways: (1) it is characterized 48 Zu einer anderen Einschätzung kommen NOLETTE & HUNT 2013:238: „The brothers of Jesus in the Gospel, however, are anything but ambiguous.” Zu diesem Urteil kommen sie, weil sie u. a. Joh 7,2–9 auf dem Hintergrund der synoptischen Perikopen lesen (Mt 13,54–58; Mk 6,1–6). 49 T HYEN 2015:383. 50 K EENER 2012:704f. 51 Bei T HEOBALD 2009:507. „Doch diese Fremde [in der Familie Jesu] resultiert nicht aus einem familienkritischen Ethos, sondern hat mit dem johanneischen Bild Jesu als dem aus dem Himmel stammenden präexistenten Gottessohn zu tun, das in Opposition steht zu einem viel bescheideneren Bild von ihm als dem eschatologischen Propheten und Messias, das wohl ‚judenchristlicheʻ Kreise pflegten“ (THEOBALD 2012:179). 52 So eine Vermutung von C. Kruse bei K ÖSTENBERGER 2007:229. 53 T HYEN 2015:383. 54 D. A. Carson resümiert, dass ihr Unglaube sich nicht im Zweifeln an Wundern niederschlagen muss. „But they (…) could not perceive the significance of what they saw…“ (1994:307).

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

by evil deeds, and (2) it hates Jesus because he bears witness to its evil deeds.“55 Bemerkenswert ist, dass die Brüder trotz des Nichtglaubens auf eine positive Rezeption bzw. den Zuwachs an Interessenten hoffen, während Jesus eine Steigerung im Konflikt zur Welt erwartet. Aber auch auf der Seite Jesu liegen einige Missverständnisse vor. So versteht er den Appell zum ‚Fortziehenʻ im Sinne eines dauerhaften Umzugs als Aufforderung zum ‚Hinaufziehenʻ zum Fest (vgl. Joh 7,3.8).56 Und während er in Joh 7,8f das Gehen zum Fest noch verweigert, ist er nach Joh 7,10 bereits im Verborgenen unterwegs. Ein ähnlicher „Gesinnungswandel“ (M. Theobald) lässt sich auch in Joh 2,4.7 und Joh 11,6.7 beobachten.57 Die Imperative selbst haben hier keine direkte ethische Wirkung auf den Leser, da sie doch Aufforderungen an Jesus selbst sind. Nichtsdestotrotz wirkt die angedeutete ambivalente Spannung nach. Hat der Gesandte Gottes genug getan? Die Haltung der Leser wird durch Joh 7,5ff gesteuert. Jesus hat einen tieferen Durchblick, während die Brüder in ihrer Rede nur ihre Zugehörigkeit zum κόσμος offenbaren. Der Anschluss Οὐδὲ γὰρ (Joh 7,5) impliziert, dass die Brüder wie andere auch auf der Linie des Unglaubens stehen. Indirekt wird der Leser herausgefordert, sich auf die Seite des Protagonisten Jesus zu begeben. D. A. Carson stellt den Glauben der Brüder in die Nähe der Beschreibung der zweifelhaften Jünger aus Joh 2,23–25.58 Auf der extratextuellen Ebene wirkt die Feststellung in Joh 7,5 (im Sinne einer Zusicherung = assertives) moralisch signifikant. Der Leser wird herausgefordert, Anhaltspunkte für den Nichtglauben der Brüder zu suchen, von denen es aber im Text gar nicht so viele gibt. Ebenso ist auch die Gegnerschaft der Welt zu Jesus eine Feststellung, die eine pragmatische Wirkung auf den Leser ausübt. Die intertextuelle Ebene berücksichtigend, kann dieser Abschnitt der Gattung Chrie zugeordnet werden.59 Dies führt zu einer Unsicherheit beim Leser. Wäre nicht die deutliche Negativqualifizierung in Joh 7,5, bliebe die Rede Jesu gänzlich unverständlich. Das zeigt sich auch darin, dass die Einschätzung der 55

SKINNER 2013:64. R. Metzner betont zu Joh 7,7 allein den Hass der Welt gegenüber Jesus: „Dieser Unglaube bzw. diese Sünde offenbart sich im Tun des Bösen: (...). Johannes denkt dabei nicht an konkrete moralische Verfehlungen. Es ist auffällig, daß der joh Jesus seinen Opponenten keine Gesetzesübertretungen und moralische Vergehen vorwirft. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Feindschaft der ungläubigen Welt gegenüber dem Gesandten Gottes, deren einzige Konkretion in der Absicht und Vollendung der Tötung Jesu besteht. (...) Ebenso in 7,7: die πονηρὰ ἔργα stehen für den Haß gegen Jesus“ (2000:242f; Hervorhebung im Original). Das ist meines Erachtens eine Verkürzung, denn der Hass der Welt offenbart sich in konkreten Handlungen, die moralisch verwerflich sind. 56 Vgl. THEOBALD 2009:507. 57 T HEOBALD 2009:508. 58 Vgl. CARSON 1994:307. 59 B ERGER 1984a:91.

2. Joh 7,2–9: Licht oder Dunkelheit in der Familie Jesu?

269

Brüder mit einigen Unwägbarkeiten behaftet ist. Die Untersuchung der Normen in diesem Abschnitt wird zu weiterer Klarheit führen. 2.2 Normen in Joh 7,2–9? Welche Normen erscheinen im von den Brüdern initiierten Dialog mit Jesus? Und wer führt sie ein? Gibt es gar eine Diskussion um unterschiedliche Normen? Tabelle 37: Normen in Joh 7,2–9 Differenzierung Normen Gut Ein Fest der Juden (ἡ ἑορτὴ τῶν Ἰουδαίων ἡ σκηνοπηγία) Wert Jünger sehen die Werke ihres Lehrers (θεωρήσουσιν σοῦ τὰ ἔργα ἃ ποιεῖς) Prinzip; Wert Transparentes bzw. öffentliches Wirken (οὐδεὶς γάρ τι ἐν κρυπτῷ ποιεῖ) Wert Ruhm, Zustimmung von anderen Menschen, Bekanntheit, die mit Einfluss einhergeht (ζητεῖ αὐτὸς ἐν παρρησίᾳ εἶναι) Wert Günstiger Augenblick, Zeitpunkt (ὁ καιρὸς ὁ ἐμὸς)

Bibelstelle 7,2 Joh 7,3 Joh 7,4a Joh 7,4b

7,6.8

Bemerkenswert ist, dass dieser Abschnitt durch Werte dominiert wird. Sie verleihen dem Abschnitt eine zusätzliche Subjektivität. Es wird die Innenwelt der Brüder umschrieben und exemplifiziert.60 Die Brüder orientieren sich an anderen Maßstäben, an menschlichem – in der johanneischen Sprache ‚weltlichenʻ – Werten.61 Zudem ist auch auffallend, dass allein nur der Wert des ‚günstigen Zeitpunktsʻ von Jesus selbst eingeführt wird. Alle anderen Normen – ausgenommen das Fest der Juden – werden durch die Brüder Jesu in den Dialog hinein gebracht. Allein diese Feststellung zeigt, dass sie das Verhalten Jesu bestimmen möchten bzw. Einfluss auf sein Handeln ausüben.62

60 J. G. Van der Watt umschreibt den komplizierten „Process of Action Creation“ mit aufeinander aufbauende Kategorien, die die Spannweite der ‚Innenweltʻ des Menschen und die eigentliche Tat umfassen: „Mental world of connotative perceptions“ – „Identity“ – „Values“ – „Principles/norms“ – „Preceptions for actions“ und schließlich die eigentliche Handlung (vgl. 2009a:1–13). 61 Theodor von Mopsuestia bei E LOWSKY 2007:250. 62 In der Forschung sind einige Parallelen von Joh 7,2–9 zu Jesu Dialog mit seiner Mutter beobachtet worden (Joh 2,3–9). Es erscheint ein ähnliches Muster: „request/command, refusal by Jesus, followed by subsequent performance of the request/command“ (NOLETTE & HUNT 2013:242; vgl. VAN DER WATT 2000:261).

270

10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

2.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte eines ‚öffentlichen Wirkens‘ Öffentlichkeit wird nach jüdischem Verhältnis durch die Anwesenheit von mindestens zehn israelitischen Männern herbeigeführt.63 Jüdische Feste haben durch das Gebot in Dtn 16,6.11.16 die größtmögliche Öffentlichkeit hergestellt.64 „Public knowledge was an important matter.“65 M. Theobald kennt den Appell zur öffentlichen Tätigkeit auch bei Philo: „wer aber gemeinnützig wirkt, der trete offen hervor“.66 Hier ist aber im eigentlichen Sinn die Transparenz im Blick: Wer nicht öffentlich wirkt, hat womöglich etwas zu verbergen. Auf einem kulturgeschichtlichen Hintergrund klang der Appell der Brüder wie ein guter politischer Rat, doch mehr die Öffentlichkeit zu suchen.67 Dem Leser bzw. Hörer des Evangeliums wird die Norm des ‚öffentlichen Wirkensʻ in Joh 18,20 wieder begegnen. Jesus wehrt sich dort gegen den Vorwurf, seine Lehre sei bisher niemandem zugänglich gewesen. Vielmehr macht Jesus dort klar, dass er – entsprechend der Maxime seiner Brüder in Joh 7,4 – nichts im Verborgenen geredet hat. 2.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen Es scheint, dass das Laubhüttenfest nur eine einleitende Funktion in dem Diskurs über den Wirkungsort hat. Mit dem Verweis auf das Fest wird allein der günstige zeitliche Augenblick betont. Denn auch die Brüder rekurrieren nicht auf das alttestamentliche Gebot (Dtn 16,16), als sie auf Jesus einwirken. Vielmehr ist das Fest eine günstige Gelegenheit ihres Ansinnens. Die eigentliche Werte-Diskussion entsteht um den richtigen Zeitpunkt (Joh 7,6). In seiner Kritik äußert sich Jesus nicht prinzipiell gegen die erwähnten Werte der Brüder, sondern gegen ihren Appell im eigentlichen Sinn. Das verdeutlicht sich auch im Kontrast zwischen ὁ καιρὸς ὁ ἐμὸς und ὁ δὲ καιρὸς ὁ ὑμέτερος. Entscheidend ist für Jesus ihre Haltung zu ihm. Die Erklärung des ‚Innenlebensʻ der Brüder in Joh 7,5 lässt deshalb die Deutung zu, dass eigentlich ihre Motive hier zur Disposition stehen. Ihre Äußerungen lassen auf ihr Innenleben schließen. Diese Sicht kommt der Sicht der stoischen Tradition nahe, der es „allein auf die ‚Gesinnung‘, auf die rechte geistige Einstellung zu den Dingen und Werten, auf eine vernunftgemäße Gesamthaltung ankam“.68 So antwortet Epiktet in einem fiktiven Schulgespräch:

63

WENGST 2000:271. WENGST 2000:271. 65 K EENER 2012:705. 66 T HEOBALD 2009:507. Siehe Philo Spec Leg I 321: τοῖς δὲ τὰ κοινωφελῆ δρῶσιν ἔστω παρρησία. 67 K EENER 2012:706. 68 H EILIGENTHAL 1983:5. 64

2. Joh 7,2–9: Licht oder Dunkelheit in der Familie Jesu?

271

Ist denn jede Handlung gut? Keineswegs, sondern was man an richtigen Anschauungen (δόγματα) tut, ist gut; was man hingegen an verkehrten Anschauungen tut, ist verkehrt. Lobe und tadle niemandes Handlung (ἔργον), bis du die Anschauung kennst, die ihn bei seinem Tun leitet. Eine Anschauung läßt sich aus dem äußeren Schein nicht leicht beurteilen.69

Bedeutend ist die Frage, worauf sich die Brüder mit der Phrase σοῦ τὰ ἔργα ἃ ποιεῖς beziehen. Was ist der außersprachliche Referent? Nahezu alle Exegeten diskutieren diese Frage kaum und nennen ‚Wunderʻ als Entsprechung zu ἔργον.70 Mir scheint dagegen eine solche Interpretation eine Verengung von ἔργον zu sein. Entscheidend ist, dass die Brüder etwas im Sinn haben, was beobachtbar ist (θεωρήσουσιν). Diese ἔργα sollen von anderen Jüngern von Jesus (οἱ μαθηταί σου) – gemeint ist hier wohl eine allgemeine Schar von Schülern und Interessenten – wahrgenommen werden. Nun ist aber fraglich, ob im JohEv Jesu Jünger Erstadressaten der Wunder Jesu waren. Daher scheint es mir naheliegender, τὰ ἔργα auf dem Hintergrund von Joh 1,37–39 zu interpretieren. In Joh 1,37ff kommt das Beziehungsgefüge Rabbi-Jünger vor. An fragende Jünger richtet Jesus die Aufforderung: ἔρχεσθε καὶ ὄψεσθε. Unter Berücksichtigung dieses literarischen Kontextes ist bei der Phrase der Brüder an eine Aufforderung zu denken, die Lehrtätigkeit im Allgemeinen in Judäa wieder aufzunehmen. Selbstverständlich sind hier alle typischen Handlungen eines Rabbi impliziert, bezogen auf Jesus können es dann auch besondere Taten sein. 2.3 Reflexionsformen: Narrative Ethik Dieser Abschnitt entfaltet seine moralische Signifikanz in der narrativen Erzählweise. Durch die Interpretation des Plots und der Erzählfiguren soll hier die ethische Wirkung der Perikope entfaltet werden. Es ist für die Interpretation der Erzählung nicht unerheblich, dass Joh 7,1–9 nach einer Krisenerfahrung steht. Gemäß Joh 6,66 hat sich eine beträchtliche Zahl von Jesus abgewandt (πολλοὶ; vgl Joh 6,60). Joh 6,60–66 berichtet von einem offenen Zerwürfnis. Allein die ‚Zwölfʻ bekräftigen mit dem Bekenntnis des Petrus ihre bleibende Treue zu ihm. Sogleich wird dieses feierliche Bekenntnis erzählerisch durch Joh 6,70 und den Verweis auf den Verräter überschattet. Aber auch ab Joh 7,10ff bekommt die Erzählung eine ungeahnte Wendung. War das Umziehen nach Judäa Auslöser des Konflikts mit den Brüdern, erfährt der Leser sogleich, dass Jesus nun doch zum Fest ἐν κρυπτῷ gegangen ist. In der Mikro-Struktur des Abschnitts dominieren am Anfang und Ende die Ortsbezeichnungen, um die es im Dialog geht (Joh 7,1f.9). Die Erzählung ist dann folgendermaßen konzipiert: 69 70

HEILIGENTHAL 1983:5. CARSON 1994:307; KÖSTENBERGER 2007:230; RIEDL 1973:346; THYEN 2015:383.

272

10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

Joh 6,60–66: Joh 6,67: Joh 6,68f: Joh 6,70f: Joh 7,1:

Krise Frage Bekenntnis Kritik Notiz I

Joh 7,2:

Exposition

Joh 7,3f: Joh 7,5: Joh 7,6–8: Joh 7,9: Joh 7,10:

Brüder Evangelist Jesus Notiz II Notiz III

Viele der Jünger wenden sich von Jesus ab. Wollt ihr auch gehen? Die Zwölf mit Petrus Einer von euch wird mich verraten. Umzug nach Galiläa wegen der Tötungsabsicht der Juden Das Laubhüttenfest ist nahe, Besuch des Festes ist impliziert. Aufforderung zum öffentlichen Wirken Erklärung über die Glaubensdisposition der Brüder Jesus erklärt sich. Verbleib in Galiläa Wallfahrt zum Fest im Verborgenen

Die Dynamik der Erzählung entsteht durch die vielen Überraschungsmomente in der Erzählstruktur. Der Leser kommt nicht zur Ruhe, sondern wird stets mit einer Wendung konfrontiert, die er so nicht erwartet hat. Der Abwendung vieler folgt die Provokation der Zwölf. Auf ein feierliches Bekenntnis hin setzt sogleich die Kritik in drastischen Worten ein: καὶ ἐξ ὑμῶν εἷς διάβολός ἐστιν (Joh 6,70). Dabei ist der Leser im Vorteil, wenn er in Joh 6,71 den Namen des Verräters erfährt. Ein nahendes Fest legt im jüdischen Kontext eine Wallfahrt nach Jerusalem nahe. Der Appell in Joh 7,3f wird sogleich durch die Beschreibung der inneren Haltung der Brüder durch den Evangelisten korrigiert. Und nachdem Jesus sich vehement gegen die Brüder ausspricht, findet ihn der Leser am Ende doch in Jerusalem. Die Krisenerfahrung Jesu mit seinen Jüngern (Joh 6,66) schlägt sich auch in der Erzählung nieder, in der sich in kurzer Erzählzeit überraschende Wendungen offenbaren. Die Begegnung der Erzählfiguren mit Jesus verlaufen fern jeglicher Harmonie.71 Nicht mal das Bekenntnis des Petrus führt dazu, dass eine Spannung abgebaut wird. Jesus wird kritisiert, missverstanden, geehrt und doch verraten, und schließlich um etwas gebeten, was er nicht tun kann. Am Ende wirkt er als eine einsame Gestalt, die nicht verstanden wird und allein im Verborgenen zum Fest zieht. Bemerkenswert ist auch, dass die Erzählung unterschiedliche Personengruppen wie konzentrische Kreise um Jesus herum einzeichnet:

71

Vgl. für Joh 11 eine ähnliche Beobachtung bei ZIMMERMANN 2012c:160. Dabei ist die Funktion der Figuren im JohEv stets mitzudenken: „Characters within John’s drama may (or may not) experience revelation through their encounter with Christ. John invites us to watch what results frome these encounters on his literary stage“ (BURGE 2006:236).

2. Joh 7,2–9: Licht oder Dunkelheit in der Familie Jesu?

273

Menge → Juden → viele Jünger → die Zwölf → Judas → die Brüder Jesu –– Jesus

Abb. 7: Die Sphäre des Kosmos

Damit wird der sich zuspitzende Konflikt, der bis in die eigene Familien reicht, verstärkt. Sowohl Menschen, die Jesus ‚flüchtigʻ kennen gelernt haben, als auch die ihm Nahestehenden verstehen ihn nicht. Der Hinweis auf den Jesus diametral entgegenstehenden Kosmos verdeutlicht, dass die Welt mit ihren bösen Werken sich inmitten unterschiedlicher Personengruppen wieder finden kann. „Wenn Johannes angesichts dessen die Brüder Jesu so seltsam formulieren lässt, gibt er seiner Leser- und Hörerschaft zu denken.“72 Aber auch andere Figuren im Text sind Anschauungspotenzial für ethisches Verhalten. Der Protagonist Jesus lässt in sein Innenleben schauen.73 Er ist sich des Konflikts mit der Welt bewusst, weil er in seinem öffentlichen Auftreten ihr den Spiegel vorhält. Damit kann er mit ihrem ganzen Hass rechnen. „Der Text reflektiert also das Problem der Herstellung oder Vermeidung von Öffentlichkeit in gefahrvoller Situation – und ist darin gewiss transparent für die Situation der Gemeinde.“74 2.4 Der ethische Urteilsträger Als ethische Urteilsträger kann man zum einen an verantwortliche Mitarbeiter in der johanneischen Gemeinde denken. Sie sind besonders in Krisensituationen herausgefordert, weise zu handeln. Ihre öffentliche Wirkung kann auch Konflikte nach sich ziehen bzw. bestehende noch weiter vertiefen. Sie werden sich daher an Jesus orientieren wollen und fragen, wie sie in gefahrvollen Situationen umzugehen haben. „Jesus’ example may encourage members of John’s audience to greater courage in the face of opposition.“75 Dabei kann gerade die Beschreibung eines unverstandenen und buchstäblich allein stehenden Jesus positiv auf den ethischen Urteilsträger wirken. Gerade in einer Krisenerfahrung, in der Leser des Evangelium stehen, liegt die Sympathie auf der Seite von Jesus. Da schon Jesus im engsten Kreis nur Unverständnis und ge-

72

WENGST 2000:270. „John’s narrative displays quite varied convictions about Jesus“, was den Leser immer wieder herausfordert, sich der wahren Identität Jesu anzunähern, ja um sie zu ringen (vgl. MOTYER 2006:208). 74 W ENGST 2000:271. 75 K EENER 2012:706. 73

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

fühlte Einsamkeit erlebt hat, führt den Leser dazu, in einer Entscheidungssituation des Glaubens sich auf die Seite von Jesus zu stellen, auch wenn dies mit persönlichen Nachteilen verbunden sein mag. Dieser Abschnitt könnte aber auch nach innen in die Gemeinde wirken. Auch hier wird es Menschen geben, die Situationen unterschiedlich bewerten und mit klugen Ratschlägen daher kommen. Damit offenbaren sie ihr Weltbild und die ihnen wichtigen Werte. Entsprechend dem Vorbild werden die Nachfolger von Jesus ermutigt, gemäß ihrer eigenen Überzeugung zu handeln und in ethischen Fragestellungen zu eigenen Urteilen zu kommen.76 2.5 Die Reichweite der Ethik Beim Geltungsbereich der Ethik wird man hier insbesondere an die johanneische Gemeindesituation denken. Die Gemeinde versteht sich als eine in die Welt wirkende Gemeinschaft. Damit muss sie mit Ablehnung und Hass der Welt rechnen. Entscheidend ist, dass sie dem Kairos Gottes nahe kommt und sich am Vorbild Jesu orientiert. Mit C. S. Keener ist auch die Anwendung und Übertragung auf den familiären Bereich der Christen zu überlegen. Die Funktion des Abschnitt ist dann, „challenging disciples to have deeper faith and to endure rejection by their families, a common early Christian situation (1 Cor 7:15–16; 1 Pet 3:1; Matt 10:21)“ 77. Desweiteren kann auch die Meidung jeglicher Vetternwirtschaft in der christlichen Gemeinde auf der pragmatischen Ebene des Textes nachwirken.78

3. Joh 7,15–24: Appell an die Gegner: Urteilt gerecht! 3. Joh 7,15–24: Appell an die Gegner: Urteilt gerecht!

Dieser Abschnitt ließe sich mit guten Argumenten auch dem ‚Raum der Dunkelheitʻ zuordnen. Der Vorwurf der Menge δαιμόνιον ἔχεις (Joh 7,20; vgl. 8,48.52; 10,20) hat eine Parallele zu den Synoptikern (Mk 3,22–30; par. Mt 12,24–32; Lk 11,14–23) und kommt dort einem öffentlichen Bruch gleich. Hier ist aber wohl noch nicht mit dem zugespitzten Sinn „dämonischer Besessenheit“ wie in Joh 8 zu rechnen, sondern im Sinne einer Umschreibung: „Du leidest unter Verfolgungswahn!“79 Auch lässt der Imperativ in Joh 7,24 den Akteuren Handlungsspielraum, so dass die Gesprächspartner gemäß meiner Systematik dem ambivalenten Handlungsraum zuzuordnen sind. 76

A. T. Lincoln beobachtet „an emerging pattern in the characterization fo Jesus. A request or suggestion is made to him and he rebuffs it, but then in a delayed response he accedes to it, yet on his own terms“ (2005:244f). 77 K EENER 2012:705. 78 Vgl. KEENER 2012:705. 79 T HEOBALD 2009:522.

3. Joh 7,15–24: Appell an die Gegner: Urteilt gerecht!

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3.1 Sprachformen der Moral in Joh 7,15–24? 3.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 7,15–2480 Schließlich geht Jesus im Verborgenen zum Fest (7,10). Nachdem er zu lehren beginnt, entfacht sich ein konfliktreicher Dialog um die Wahrhaftigkeit des Lehrers Jesus (Joh 7,14–18), um seine Heilung am Sabbath (Joh 7,20–24; vgl. 5,9bff) und um die Herkunft des Christus (Joh 7,25–29), der in Joh 7,30 vorerst beendet wird: ὅτι οὔπω ἐληλύθει ἡ ὥρα αὐτοῦ. 3.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? Auf der intratextuellen Ebene erscheint allein der Imperativ in Joh 7,24. Sprachlich hat dieser Appell Anklänge im AT (vgl. Dtn 16,18f; Jes 11,3f; Jer 21,12; Sach 7,9).81 Damit bekommt er ein besonderes pragmatisches Gewicht. Gott selbst richtet nicht dem Augenschein nach. In der Auseinandersetzung dominiert die Frage, wer für sich beanspruchen kann, die Schrift richtig zu interpretieren (Joh 7,15): Die Juden oder Jesus? Durch die Anspielung und Erinnerung an ein alttestamentliches Gebot, das sowohl in der Tora als auch bei den Propheten thematisiert wird, verstärkt Jesus den Druck auf die Juden: Wollen sie ein Urteil über ihn fällen, so sollen sie es der Schrift gemäß tun. Bei der Ebene der Sprechakte (extratextuell) fallen die rhetorischen Fragen auf: Οὐ Μωϋσῆς δέδωκεν ὑμῖν τὸν νόμον; … τί με ζητεῖτε ἀποκτεῖναι; … ἐμοὶ χολᾶτε ὅτι ὅλον ἄνθρωπον ὑγιῆ ἐποίησα ἐν σαββάτῳ; (Joh 7,19.23). Der suggestive Charakter einer rhetorischen Frage macht dem Leser bzw. Hörer einen Appell deutlich. „Obgleich kein direkter Imperativ formuliert wird, ist doch der Sollensanspruch der rhetorischen Frage offensichtlich. Sie setzt bereits ein Einvernehmen voraus, das aber erst durch die Zustimmung des Lesers/der Rezipientin tatsächlich eingelöst wird.“82 Auf der intertextuellen Ebene erinnert dieser Abschnitt an eine Gerichtsrede. „In Joh 7,14–24 ist der Schlußsatz: ‚Urteilt nicht nach Augenschein, sondern urteilt gerechtes Gericht‘, die typische peroratio einer forensischen Gerichtsrede.“83 Diese Gattungsform ist den dikanischen Gattungen zuzurechnen. Ziel der dikanischen Gattungen ist es, „den Leser die Entscheidung in einer strittigen Sache nachvollziehen zu lassen oder nahezulegen. (…) Dikanisch ist

80

M. Theobald trennt zwischen Joh 7,15–19 („die Juden“ – Jesus) und Joh 7,20–24 („die Menge“ – Jesus; vgl. 2009:520). Denkbar wäre auch, Joh 7,14 mit Joh 7,15–24 zu verbinden (vgl. KÖSTENBERGER 2007:232). 81 Vgl. CARSON 1994:316; KÖSTENBERGER 2007:234f; T HEOBALD 2009:524. 82 Z IMMERMANN 2016a:72. 83 B ERGER 1984a:361; vgl. K ÖSTENBERGER 2007:235.

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

ein Text, der zur Parteinahme und Entscheidung für oder gegen eine Sache hinführt, nicht aber dazu auffordert.“84 Apologetische Texte dieser Gattung haben eine Reihe von Merkmalen, die auch in Joh 7,15–24 in Erscheinung treten: „Selbstbericht über Verkündigungstätigkeit“ (Joh 7,16f), „rhetorische Fragen“ (Joh 7,19.23), „Argumentation mit dem alttestamentlichen Gesetz“ (Joh 7,19.22f), „Ausschluß von Verdächtigungen, bei der Verteidigung des Handeln Gottes“ (Joh 7,18), „Richten“ als Terminus (Joh 7,24).85 3.2 Normen in Joh 7,15–24 Im Abschnitt Joh 7,15–24 kommt eine Fülle von Normen vor, die sowohl die Menge als auch Jesus in das Gespräch einbringen. Tabelle 38: Normen in Joh 7,15–24 Differenzierung Gut Gut Wert Gut

Gut Gut

Gut Gut Gut Prinzip Prinzip

Normen Die Schrift (γράμματα) Bildung im Sinne schriftgelehrter Unterweisung (μὴ μεμαθηκώς) Lehre im Sinne von Einsicht und Interpretation der Schrift (ἡ διδαχὴ ... τοῦ θεοῦ) der Wille Gottes; Mit einem Sinn fürs Handeln gemäß dem Willen Gottes (τὸ θέλημα αὐτοῦ ποιεῖν) Eigene Ehre – Ehre eines Anderen (τὴν δόξαν τὴν ἰδίαν – τὴν δόξαν τοῦ πέμψαντος αὐτὸν) Wahrhaftigkeit, Integrität einer Person; im Gegensatz dazu: Ungerechtigkeit (ἀληθής – ἀδικία ἐν αὐτῷ) das Gesetz (τὸν νόμον) das konkrete Gebot der Beschneidung (τὴν περιτομήν) Heilung eines Menschen (ὅλον ἄνθρωπον ὑγιῆ) a minore ad maius; Vom Kleineren auf das Größere (περιτομήν … ἄνθρωπον) Richten nicht dem Schein nach; Streben nach einem gerechten vollumfänglichen Urteil (μὴ κρίνετε κατ᾿ ὄψιν, ἀλλὰ τὴν δικαίαν κρίσιν κρίνετε)

Bibelstelle Joh 7,15 Joh 7,15 Joh 7,16.17 Joh 7,17

Joh 7,18 Joh 7,18

Joh 7,19 Joh 7,22 Joh 7,23 Joh 7,22f Joh 7,24

84 BERGER 1984a:18f. Für die Frage nach der Ethik von Gattungen haben sogenannte symbuleutische Texte das größte Potenzial, denn sie zielen darauf, „den Hörer zum Handeln oder Unterlassen zu bewegen“ (1984a:18; vgl. ZIMMERMANN 2016a:51f). 85 Für die betreffenden Merkmale vgl. B ERGER 1984a:361.

3. Joh 7,15–24: Appell an die Gegner: Urteilt gerecht!

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Selten erscheint ein Abschnitt in den hier untersuchten Texten, der eine derartige Dichte an Normen aufweist. Bemerkenswert ist, dass die unstrittigen Güter das Gespräch dominieren. Neben einigen konkreten Grund- und Bedarfsgütern Gesundheit/Heilung und Bildung liegt der Schwerpunkt auf sogenannten inhomogenen Gütern86, die im Wesentlichen in der jüdischen Tradition zu verorten sind. Allein die Güter Ehre/Ruhm und Wahrhaftigkeit sind auch bekannte Größen im griechisch-römischen Kulturraum. Den Höhepunkt des Abschnitts aus der Perspektive der Normen bilden die Prinzipien in Joh 7,22–24. 3.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von a minore ad maius K. Wengst macht darauf aufmerksam, dass die Erfüllung der Beschneidung die Tora nicht annulliert, sondern sie vielmehr zur Geltung bringt. In derselben Logik argumentiert dann Jesus im Blick auf die Sabbatheilung. Die Heilung des Menschen am Sabbat steht nicht im Gegensatz zur Tora, sondern entspricht ihr sogar.87 Diese Interpretation entspricht dem Zusammenhang von Joh 7,15– 24: Jesus versucht durch die Nennung unterschiedlicher ‚Güterʻ den Erweis zu bringen, dass er damit den Willen Gottes erfüllt. Diese Argumentationsweise ist eine bekannte rabbinische Praxis.88 Und auch in der synoptischen Tradition wird dieser Argumentationsweg praktiziert (vgl. Lk 13,10–17; Mk 3,1–6; Mt 12,9–14).89 3.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen Eine Wertehierarchie alttestamentlicher Normen ist nicht erkennbar. In der Argumentation Jesu wirken diese Normen komplementär. Es wird allein eine Hierarchie zwischen einem Körperteil des Menschen und dem ganzen Menschen angenommen. Eine solche Hierarchie ist aber für den Leser bzw. Hörer des Textes unstrittig. 3.3 Reflexionsformen: Deontologische Logik In Joh 7,15–24 kommen besonders zwei Reflexionsformen zur Anwendung. Es ist zum einen die Begründungsform der Güterabwägung. Zum anderen wird deontologisch argumentiert. Allein die deontologische Logik in Joh 7,24 soll hier dargestellt werden, die folgendermaßen argumentativ entfaltet wird: - Es gibt moralisch verwerfliches und erstrebenswerten Richten/Beurteilen/ Bewerten einer Sache. 86

Zur Differenzierung vgl. Chr. Horn bei ZIMMERMANN 2016a:58. WENGST 2000:281; vgl. LOADER 2012:147. „Nach statistischem Durchschnitt werden also ca. 14% aller Knaben am Sabbat beschnitten, so dass Beschneidung am Sabbat in Jerusalem nichts Seltenes war“ (WENGST 2000:281). 88 W ENGST 2000:282. 89 B ERGER 1984a:107. 87

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

- Ein Richten dem Augenschein nach bzw. ein oberflächliches Urteilen ist schlecht! Im Gegensatz dazu steht ein gerechtes Urteil, das ein gründliches Überprüfen und Erforschen impliziert. Dies verlangt die Bereitschaft zur Wahrhaftigkeit (vgl. Joh 7,18). - Meide das oberflächliche Urteilen und treffe ein ‚gerechtes Urteil‘! R. Zimmermann macht deutlich, dass die „Gültigkeit einer solchen Ableitung (…) ganz und gar von der Anerkennung der deontologischen Norm ab[hängt]. Je höher die Übereinstimmung hinsichtlich der Gültigkeit einer normativen Prämisse, desto größer ist die Überzeugungskraft der Ableitung.“90 Diese Überzeugungskraft auf der logischen Ebene ist dem Imperativ in Joh 7,24 zuzugestehen, weil Jesus hier auf ein alttestamentliches Prinzip anspielt. Die Stärke des Appells liegt also in der Verknüpfung mit den anderen Gütern wie die Schrift, der Wille Gottes, das Gesetz des Mose usw. Von hieraus entfaltet sich die eigentliche Durchschlagskraft des Arguments. 3.4 Der ethische Urteilsträger und Geltungsbereich Das zentrale Thema dieses Abschnitts ist die Legitimation Jesu.91 Der Abschnitt ist in der situativen Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Juden beim Fest verortet. Insofern ist es nicht einfach, dafür den ethischen Urteilsträger und den Geltungsbereich der Ethik zu bestimmen. Schließlich steht die Frage im Hintergrund, ob dieser Abschnitt nur historisch gelesen wird oder ob der Ausleger diesem Abschnitt eine pragmatische Wirkung auf den Leser zugesteht. Interessanterweise kommt Augustinus genau auf diesen Aspekt zu sprechen in seinem Tractatus zum JohEv: It requires a lot of work in this world to stay clear of the vice our Lord has noted in this place. It is difficult to maintain sound judgement and stop judging by appearances. His admonition to the Jews is an admonition to us as well.92

Der Kirchenvater ermahnt dann im Folgenden seine Leser bzw. Hörer, nicht allzu schnell über dieses Gebot des Herrn hinweg zu gehen. Eine ethische Zuspitzung bekommt das Gebot bei ihm, indem er für eine unparteiische Liebe wirbt. In einem Gleichnis von einem Vater und Sohn sagt Augustinus, dass dem Vater aufgrund seines Standes zwar mehr Ehrerbietung gebührt, aber im Falle eines Urteils der Recht zu bekommen hat, der die Gerechtigkeit auf seiner Seite hat.93 Mit einer ähnlichen Pragmatik wird man bei den Lesern des Evangeliums rechnen können. Ethischer Urteilsträger ist die johanneische Gemeinde, die im 90

ZIMMERMANN 2016a:118. BERGER 1984a:107. 92 Bei ELOWSKY 2007:259. 93 Vgl. Augustinus Trac. Ev. Jo. 30.7–8. 91

4. Joh 10,32–42; 14,8–11: Der Appell zum Glauben um der ἔργα willen

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Blick auf den Glauben an Jesus zu einem gründlichen Urteil herausgefordert wird. 3.5 Die Reichweite der Ethik Der Geltungsbereich dieser ethischen Weisung wirkt universal, denn die geforderte Norm ist auch bei den Zuhörern Jesu unstrittig und ist Indiz für weisheitliche Bezüge dieses Abschnitts.94 „Jesus in v. 24 does not challenge traditional Jewish ethics, but echoes it against the behaviour of his critics: early Jewish teachers laid a heavy emphasis on righteous judgment.“95 Es wird aber im Allgemeinen auf die christliche Gemeinschaft beschränkt sein, weil im Abschnitt besonders mit Gütern aus der alttestamentlichen Tradition argumentiert wird, die auch die Christen für sich beanspruchten. In der christlichen Gemeinschaft kommt es sodann auf die sachgemäße Interpretation des Evangeliums um Jesus und des Gesetzes an. Denn schließlich wird nicht das Gesetz selbst in Frage gestellt, „but the way in which the Law is interpreted“96. Die realen Leser werden innerhalb ihrer Gemeinschaft herausgefordert, um eine sachgemäße Interpretation zu ringen.

4. Joh 10,32–42; 14,8–11: Der Appell zum Glauben um der ἔργα willen 4. Joh 10,32–42; 14,8–11: Der Appell zum Glauben um der ἔργα willen

In diesem Kapitelabschnitt sollen zwei Belegstellen untersucht werden, in denen Jesus jeweils selbst über die Werke spricht und zum Glauben um der Werke willen einlädt. D. Guthrie stellt fest: „…the theme of works and their connection with faith is a major one in this gospel.“97 Den Unterschied stellen jeweils die Gesprächspartner dar. In Joh 10 sind es die Juden, in Joh 14 sind es seine Jünger.98 Zu fragen ist, inwieweit im Fortgang der jeweiligen Erzählungen Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich werden. Und wie ist der Appell zum Glauben an die Werke überhaupt gemeint? Was ist hier der bezeichnete Gegenstand? Ist hier ein Entwicklungsprozess des Glaubens im Sinn? Aufgrund der Implikation eines Prozesses ordne ich diese Abschnitte dem ambivalenten Handlungsraum zu.

94

Vgl. MOLONEY 2005:246. KEENER 2012:717. Vgl. Jes 11,3; Sach 7,9; Dtn 26,8 (siehe BROWN 2008a:313). 96 V AN DER WATT 2012:183. 97 G UTHRIE 1967:79. 98 Mit M. Theobald ist aber sogleich zu fragen, wer die eigentlichen Adressaten dieser Abschnitte sind. Denkbar wären Zuhörer der Synagoge oder wohl viel wahrscheinlicher die „Leserschaft des Buches“ (vgl. 2009:692.704). 95

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

4.1 Sprachformen der Moral in Joh 10,32–42; 14,8–11 4.1.1 Struktur und Abgrenzung von Joh 10,32–42; 14,8–11 Joh 10,22–42 ist der zweite Teil einer Rede (Joh 9,39–10,42) und lässt sich wiederum in zwei Redegänge gliedern: Joh 10,22–31 und Joh 10,32–42. An dieser Stelle soll der Abschnitt Joh 10,32–42 wegen einer thematischen Überschneidung mit Joh 14,8–11 untersucht werden.99 In Joh 14,8 wünscht Philippus, den Vater zu sehen. Dies veranlasst Jesus, etwas Grundsätzliches über ihn und seinen Vater zu sagen. Nur wer dieser Beziehungsgemeinschaft vertraut, wird in sie hineingenommen und vollbringt Werke des Vaters bzw. Jesu (Joh 14,9–14). 4.1.2 Sprachformen moralischer Signifikanz? Die intratextuelle Ebene betreffend erscheint in Joh 10,37f der Imperativ πιστεύετε. Jesus formuliert hier drei mögliche Ausdrucksweisen, die als „logische Schlußfolgerung” (Apodosis)100 auf einen bedingten ‚wenn-Satzʻ (Protasis) folgen können: (1) Wenn er nicht die Werke seines Vaters tut, ist es legitim, ihm nicht zu glauben (μὴ πιστεύετέ μοι; Joh 10,37). (2) Wenn er die Werke seines Vaters tut, dann wäre die einleuchtende Schlussfolgerung, ihm zu glauben. Diese Folgerung ist in Joh 10,38 impliziert. Jesus rechnet nicht damit, dass seine Zuhörer sich zum Glauben an ihn entschließen (κἂν ἐμοὶ μὴ πιστεύητε; vgl. Joh 10,31–36). Der Evangelist gesteht aber eine solche Reaktion anderen zu (Joh 7,31; 10,42). (3) Wenn er die Werke seines Vaters tut,101 sollen die Zuhörer wenigstens102 den Werken glauben. Dieser Glaube an die Werke lässt Raum für eine (innere) Entwicklung in sich, was der Finalsatz mit ἵνα andeutet: Der-auf-diese-WeiseGlaubende gewinnt über kurz oder lang „die Einsicht, dass in Jesus der Vater ist, und kann dann auch anerkennen, dass Jesus seinerseits im Vater ist“.103 Hieraus wird klar, dass Glauben im JohEv ähnlich wie das Sehen104 unterschiedliche Bedeutungen erhalten kann und keineswegs monosem zu verstehen ist (vgl. schon Joh 2,23–25). In Joh 10,37f wird dem Glauben ein anderes Objekt als Jesus selbst zugestanden, nämlich seine Werke. Nicht zu unterschätzen 99

Siehe für Joh 10,22–31 8. Kapitel, Pkt. 2. Zur Parallele von Joh 10,37f und 14,10f vgl. THEOBALD 2009:704. 100 B LASS & D EBRUNNER 2001:301. 101 Dieser Glaube ist „(noch) nicht auf Jesus (im Sinne einer fides quae creditur)“ gerichtet (ZIMMERMANN 2004:273). 102 In der Partikel κἂν vereinigt sich die konditionale mit der konzessiven Bedeutung (vgl. BLASS & DEBRUNNER 2001:305). 103 Z IMMERMANN 2004:273. 104 Vgl. dazu ZIMMERMANN 2004:51–59.

4. Joh 10,32–42; 14,8–11: Der Appell zum Glauben um der ἔργα willen

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ist, dass das JohEv sprachlich nur das Verb (nicht das Substantiv) bemüht und das zum Glauben kommen – durch die Aorist- und Präsensform γνῶτε καὶ γινώσκητε angedeutet – ein Prozess sein kann.105 Der Imperativ in Joh 14,11 hat eine ähnliche Aussage wie der Sachverhalt in Joh 10,38. Wieder geht es um das Glauben an die Einheit von Vater und Sohn. Können die Jünger „dieser wechselseitigen Immanenz“106 (noch) nicht glauben, so werden sie aufgefordert, wegen der Werke selbst zu glauben (διὰ τὰ ἔργα αὐτὰ πιστεύετε). Joh 14,12 deutet einen Unterschied zwischen Glaube an die Werke und Glaube an Jesus an. Wer nämlich an Jesus glaubt, wird auch seine Werke vollbringen. Das Objekt des Glaubens entscheidet über die Qualität bzw. die Auswirkungen des Glaubens. Gegen diese Auslegung hat T. Onuki argumentiert: Jesu Wesen (…) und sein Werk sind nicht zwei voneinander getrennte Dinge. Die letztere ist vielmehr die Konsequenz des ersteren, so daß ‚die Judenʻ (10,37f) oder die Jünger (14,10f) aus letzterem auf ersteres schließen und an Jesus als Offenbarer glauben sollen.107

Auf der extratextuellen Ebene fallen erneut viele rhetorische Fragen auf, die in beiden Abschnitten vorkommen (Joh 10,32.34–36; 14,9f). Mit ihrem appellativen Charakter bereiten sie die Anweisung vor, die sich dann in einem direkten Imperativ äußert. Mit den Fragen wird der Leser aktiviert, seine Beurteilung auf eine tragfähige Basis zu gründen. Dabei wird in Joh 10 logisch argumentiert: Jesus hat – und das wird auch von den Gesprächspartnern nicht bestritten – viele gute Werke getan (πολλὰ ἔργα καλὰ). Auf welcher Grundlage besteht aber dann die Absicht der Steinigung (Joh 10,32)? Und wenn die Schrift die Bezeichnung ‚Götterʻ für Menschen kennt – auf welcher Grundlage steht dann der Vorwurf der Steinigung (Joh 10,34.36)? Die rhetorischen Fragen in Joh 14,9f bekommen einen mahnenden und vorwurfsvollen Unterton. Hier ist nicht primär die logische Beweisführung beabsichtigt, sondern die Mahnung des Lehrers an den Schüler. „In der Stunde seines Abschieds ringt Jesus hier um das Vertrauen seiner Jünger.“108 4.2 Normen in Joh 10,32–42; 14,8–11 Johannes hat wie andere antike Biographien das Ziel, „in Jesu ‚Zeichenʻ und ‚Werkenʻ dessen verborgene Identität erkennbar werden zu lassen“.109 Nach D. Frickenschmidt vollbringt der Autor diese Strategie auf drei Ebenen: 105 Diesen Aspekt eines entwicklungsfähigen Glaubens hat besonders F. J. Moloney in seinem Kommentar bedacht und schreibt an vielen Stellen von „partial faith“ bzw. „partial belief“ (vgl. 2005:91.107.131.146.275.453f.457.526 u. a. ; NICOL 1972:99). Figuren eines solchen Glaubens sind u. a. die Samaritaner, Nikodemus, die Juden, die Jünger, Maria usw. 106 Z IMMERMANN 2004:273; vgl. SCHOLTISSEK 1999:446f. 107 O NUKI 1984:127. 108 T HYEN 2015:625. 109 FRICKENSCHMIDT 1997:435.

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

(1) Zunächst berichtet Johannes von Ansätzen bei Menschen, die „das Wesen in seinen Werken und Zeichen erkennen. (…) Aber all diese im Ansatz richtigen Sichtweisen müssen aus der Sicht des Joh vertieft werden.“110 (2) Dann bezieht sich die zweite Ebene der Wahrnehmung „auf Jesu Handeln als Gesandtsein von Gott und sachgerechte Erfüllung des Sendungsauftrags“.111 Durch seine Taten beweist Jesus seine Treue zur Sendung (Joh 4,34; 17,4). (3) Auf der dritten Ebene sollen die Leser in Jesu Taten, „so wie sonst in griechischen Biographien den Charakter der Hauptperson“ erkennen. Jesu Charakter zeigt sich aber in der Immanenz mit dem Vater. Damit wird die Gesandten-Christologie noch einmal gesteigert: „Die Wahrnehmung dieses Einsseins“ ist Zielpunkt der Werke (Joh 10,38; 14,11).112 Ungeachtet dessen, ob man den Thesen D. Frickenschmidts in dieser Stringenz folgen mag, deutet sich darin eine Perspektive an, die dem Gedankengang von Joh 10,32–42; Joh 14,8–11 nahe kommt. Der Leser soll in der Auseinandersetzung über die Werke Jesu zu einem tieferen Verständnis über Jesus selbst kommen. Die verwendeten Normen fordern zu dieser Beurteilung des Gesandten Gottes heraus. Tabelle 39: Normen in Joh 10,32–42; 14,8–11 Differenzierung Gut Gut Gut Gut Prinzip Wert Wert

Normen Viele gute Werke (πολλὰ ἔργα καλὰ) Gesetz (ἐν τῷ νόμῳ ὑμῶν) Wort Gottes (ὁ λόγος τοῦ θεοῦ) Die Schrift als Autorität und unauflösbare Größe (ἡ γραφή) Glaube aufgrund der Werke (τοῖς ἔργοις πιστεύετε) das Zeugnis Johannes des Täufers (εἶπεν Ἰωάννης περὶ τούτου ἀληθῆ ἦν) die Worte, die Jesus redet vom Vater (τὰ ῥήματα)

Bibelstelle Joh 10,32f.38 Joh 10,34f Joh 10,35 Joh 10,35 Joh 10,38; 14,10 Joh 10,41 Joh 14,10

Beachtenswert ist der Rekurs auf viele gute Taten, die von Juden nicht bestritten werden (vgl. Joh 10,33a). Mit diesem Verweis ist das JohEv nahe bei der antiken Biographie einzuordnen, denn „das Grundgerüst des Mittelteils in antiken Biographien bestand in der Regel aus den Taten der Hauptperson“.113 Eine beachtliche Wendung stellt sich in Joh 10,41 dar: Während in Joh 5 das Zeugnis der Werke noch über das des Johannes gestellt worden ist und der explizite Hinweis, Johannes habe keine eigenen Zeichen getan (Ιωάννης μὲν 110

FRICKENSCHMIDT 1997:435f. FRICKENSCHMIDT 1997:436. 112 FRICKENSCHMIDT 1997:437. 113 FRICKENSCHMIDT 1997:281. 111

4. Joh 10,32–42; 14,8–11: Der Appell zum Glauben um der ἔργα willen

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σημεῖον ἐποίησεν οὐδέν; Joh 10,41), angeführt wird, finden sich einige, die Jesus um des Johannes willen glauben. War bisher noch die Rede von einem Glauben aufgrund von Werken, kommen hier „viele“ zum Glauben auf der Grundlage des wahrhaftigen Zeugnisses des Johannes, der selbst keine Wunder getan hat.114 4.2.1 Konvention und Traditionsgeschichte von ἔργα καλὰ Die Wendung ἔργον καλός war in antiken griechischen Texten verbreitet und bezeichnete „die positiv gewertete Handlung“ des Protagonisten.115 Dabei war es nicht ungewöhnlich, dass den Taten auch Chrien zuordnet wurden. „Denn es ging jeweils um das, wodurch eine Person in der Öffentlichkeit hervortrat und sich handelnd zeigte.“116 Ziel dieser Darstellung war es, etwas Positives über den Charakter und Wesen des Protagonisten durch den Bezug auf die Taten zu beschreiben. Wenn Jesus also in Joh 10,32 auf die guten Werke Bezug nimmt, wirbt er um die Glaubwürdigkeit und Integrität, die sich aus seinen Taten schließen lässt. 4.2.2 Wertehierarchie einzelner Normen Eine besondere Normen-Diskussion führt der Text nicht. Der Rekurs auf das AT hat im Diskurs begleitenden Charakter. Zentral geht es um die Werke und den Glauben aufgrund des Erweises guter Taten. Nimmt man den obigen Gedankengang von D. Frickenschmidt auf, wird man in der Erkenntnis der Einheit des Vaters und des Sohnes den Zielpunkt beider Abschnitte sehen. 4.3 Reflexionsformen: Teleologische Logik Es scheint mir, dass die Imperative in Joh 10,37f und Joh 14,10f teleologisch wirken und damit eine moralische Signifikanz erzeugen. Die ethische Argumentation lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: (a) Tragfähiger Glaube, d. h. Vertrauen in eine wahrhaftige Person (vgl. ἀληθῆ; Joh 10,41), ist erstrebenswert und gut. (b) Wenn das eine erstrebenswerte Norm ist, dann überprüfe die Qualität und Verlässlichkeit der Werke. „…Dann öffnet euch doch der Wirklichkeit meiner Werke (V. 38c), denn sie erschließt euch die Einsicht, dass ‚in mir der Vater (ist) und ich im Vater (bin)ʻ (V.38f.g).“117

114 THEOBALD 2009:707 bezweifelt die Standfestigkeit dieses Glaubens und sieht diese Notiz als Parallele zu Joh 2,23–25. 115 Vgl. HEILIGENTHAL 1983:23; FRICKENSCHMIDT 1997:436 (auch für antike Quellen). 116 FRICKENSCHMIDT 1997:281. 117 T HEOBALD 2009:703.

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10. Kap.: Die ἔργα im ‚ambivalenten Handlungsraum‘

4.4 Der ethische Urteilsträger Insofern sagt V. 25 etwas Paradoxes, nicht an die Adresse der historischen Gegenspieler Jesu gerichtet, auch nicht an die der zeitgenössischen Synagoge, die den johanneischen Christen feindlich gegenübersteht, sondern zu den Lesern: Nur sie, die aus der Erfahrung des Glaubens leben, vermögen an Jesu ‚Werkenʻ seine messianische Würde abzulesen, nur für sie bezeugt Jesu Heils-‚Wirkenʻ seine göttliche Hoheit.118

Folgt man dieser, so werden die ethischen Urteilsträger herausgefordert, den Glauben an Jesus als Entwicklungsprozess zu erfassen. Auf diesem Weg geht es „nicht um intellektuelle Begründung des Glaubens oder rationale Erfassung des gesamten Offenbarungsinhalts, sondern [um] wachsende Gewissheit, in Jesus Gemeinschaft mit Gott zu besitzen (…) und immer stärkere Betroffenheit von dieser einen Heilswahrheit“.119 Gerade das Zugestehen einer Entwicklung im Glauben lässt dem ethischen Urteilsträger einen Entscheidungsspielraum. 4.5 Die Reichweite der Ethik Der Geltungsbereich erstreckt sich auf die innergemeindlichen Situationen. Hier sollen die Glaubenden an Christus in ihrem Vertrauen zu ihm und zum Vater zunehmen. Denkbar wären aber auch missionarische Verkündigungssituationen. Indem die Leser selbst sich als Gesandte von Christus und des Vaters verstehen, werden sie Taten und Handlungen ausführen, die durch andere beurteilt werden können. Die guten Werke der Gemeinde können dann einen Glaubensprozess anstoßen, an dessen Ende die Erkenntnis über Christus selbst steht. „Es geht bei den Zeichen also nicht um irgend etwas Sachliches, das in ihnen zum Ausdruck kommen soll, sondern immer nur um Jesus selbst, um Glauben an ihn und sein verborgenes Einssein mit Gott.“120 Im ambivalenten Handlungsraum dominiert der prozesshafte Charakterzug des Glaubens. Betroffene sind in ihrer Haltung zum Licht noch nicht völlig festgelegt. Die Beschreibung der Figuren wirkt nicht statisch und lässt dem ethischen Urteilsträger Handlungsspielraum. Daher wirkt diese Dimension als eine Einladung, dem Gesandten Gottes doch vollends zu vertrauen. Das JohEv macht hier klar, dass es dabei um Tätigkeiten von Glauben geht. Zweifel und Unsicherheit in Bezug auf Christus können sogar die engsten Begleiter Jesu erfassen. Und sie können gefährdet sein, deshalb fordert der johanneische Jesus zu einem gerechten Urteil auf121 118

THEOBALD 2009:692.704. R. Schnackenburg bei THEOBALD 2009:704. 120 FRICKENSCHMIDT 1997:437. 121 Vgl. die Erzählung über Thomas in Joh 20,24–29: „Seine Einstellung, sein Verhalten, seine Schwierigkeiten in der Jüngerschaft bilden ein Modell, in dem sich der Leser wiederfinden kann“ (WAGENER 2015:551). 119

4. Joh 10,32–42; 14,8–11: Der Appell zum Glauben um der ἔργα willen

285

und zu einer Entwicklung des Glaubens, der sich zunächst allein auf die Werke des mit dem Vater verbundenen Christus beziehen kann.

Zusammenfassung There is a dynamic in the journey of faith from partial to full faith (F. J. Moloney).1

Diese Arbeit ist zwei miteinander verknüpften Fragestellungen verpflichtet: Erstens, was ist die Semantik von ἔργον und ἐργάζεσθαι im JohEv? Und zweitens, inwieweit wirken die beiden Lexeme mit ihrer kontextuellen Einbettung moralisch signifikant? In der Frage der Semantik von ἔργον und ἐργάζεσθαι galt es, die bisherigen Forschungsbeiträge zu diskutieren und die ganze Breite johanneischer Bedeutungsnuancen aufzunehmen und zu präzisieren. Dabei war es mein Bestreben, alle Belege des Nomens und des Verbs zu analysieren. Im Blick auf die Ethik von ἔργον und ἐργάζεσθαι war zunächst eine methodologische Grundlegung notwendig. Ausgehend von der Prämisse, dass das JohEv eine ethische Wirkung transportiert, wurde die moralische Signifikanz rund um die beiden Begriffe untersucht. Dabei habe ich (im Anschluss an R. Zimmermann) Ethik als „reflexive Durchdringung von Lebensweisen hinsichtlich ihrer leitenden Normen mit dem Ziel der Bewertung“2 verstanden. Insbesondere seine Annahme – moralische Signifikanz erfolgt mittels Sprache3 – wurde ernst genommen, indem die Fundierung einer ethischer Wirkung stets mittels des johanneischen Textes abgesichert wurde. In der Folge fasse ich nun die wesentlichen Leitlinien dieser Studie zusammen. Dabei strebe ich nicht eine kleinschrittige Wiederholung der einzelnen Untersuchungsergebnisse an, sondern beabsichtige die Darstellung der markantesten Konturen. Die Zusammenfassung bezieht sich auf Einsichten der verwendeten Methoden sowie auf die wichtigsten inhaltlichen Erträge zur Semantik und Ethik von ἔργον und ἐργάζεσθαι.

1

MOLONEY 2005:275. ZIMMERMANN 2016a:12 (Hervorhebung im Original). 3 ZIMMERMANN 2016a:12: „Allerdings kann man davon ausgehen, dass anhand von grammatischen, semantischen und pragmatischen Merkmalen ein Text schon als Text eine ethische Struktur aufweist, d. h. als ein Artefakt mit einem ethischen Anspruch erkannt werden kann.“ 2

1. Zur Methodologie einer impliziten Ethik

287

1. Zur Methodologie einer impliziten Ethik 1. Zur Methodologie einer impliziten Ethik

Die modifizierte Methodologie einer impliziten Ethik, wie sie R. Zimmermann in die Forschungsdiskussion eingebracht hat, erwies sich als hilfreiches Instrumentarium und wird wohl auch zukünftig die methodologische Debatte um eine Ethik im JohEv prägen. Die methodische Transparenz und das Erarbeiten möglicher ethischer Sinnpotenziale in Teilschritten war eine Hilfe bei der Umsetzung meiner Fragestellung. Es hat sich aber auch bewährt, das Organon von R. Zimmermann in ein Fünf-Schritte-Analyse-Verfahren umzuwandeln. Diese Modifizierung habe ich wegen meiner spezifischen Fragestellung und wegen der besonderen Eigenschaften der Gattung ‚Evangelium‘ vorgenommen.4 Insbesondere die Zuordnung der beiden Kategorien „Konvention und Traditionsgeschichte einzelner Normen“ sowie die „Wertehierarchie einzelner Normen“ unter die Kategorie „Normen“ erscheint mir plausibel und kann meines Erachtens auch für andere Gattungen des NT favorisiert werden. Positiv hervorzuheben ist die Zentralität des Textes im Modell von R. Zimmermann, die er an mehrfacher Stelle betont und methodisch durch die Einführung drei unterschiedlicher Ebenen der Textualität umgesetzt hat. Damit liegt eine ausreichende hermeneutische Grundlage vor, die eine johanneische Ethik retrospektiv erfassen kann. Nichtsdestotrotz wird die vorgeschlagene Interpretation vage und subjektbezogen bleiben, da sie ein konstruktiver Akt5 bleibt und eine objektive Lesart nur mittels einer dem Gegenstand verantworteten Hermeneutik und mittels einer Auslegungsgemeinschaft erreicht werden kann.6 Zudem hat die Rezeptionsgeschichte des JohEv gezeigt, dass das Evangelium selbst eine Lesart, die auf mehreren Ebenen ihre Wirkung entfaltet, intendiert.7 Und weil das JohEv „is simply theology embedded in a narrative“8 und Erzählungen natürlicherweise mehrere Sinnpotenziale anregen, kann es eine große Vielfalt johanneischer Ethik auftun.9 4

Siehe 3. Kapitel, Pkt. 5.1. Siehe 3. Kapitel, Pkt. 1. 6 Die Aussage – „Eine objektive Lesart gibt es nicht!“ – mildert F. Wagener ab, indem er der Willkür, der der Text durch die Exegeten ausgesetzt ist, eine verantwortete Hermeneutik der Auslegungsgemeinschaft entgegen stellt (vgl. 2015:573). Mir scheint das Ringen der Lese- und Auslegungsgemeinschaft um das Verständnis des Textes entscheidend zu sein, wenn die bestmögliche Lesart erreicht werden soll (vgl. 3. Kapitel, Pkt. 2.1). In diesem Sinne ist meine eigene Lesart subjektiv und vage und muss sich im Dialog mit der Auslegungsgemeinschaft als tragfähig erweisen. 7 Vgl. VAN DER WATT 2013:136; so auch HIRSCH-LUIPOLD 2006:65; HAYS 1996:73; ZIMMERMANN 2009a:247. 8 MOTYER 2006:195. 9 Mit W AGENER 2015:433 gegen W EYER-MENKHOFF 2012a:26–33. 5

288

Zusammenfassung

Als gewinnbringend sehe ich die Normenanalyse mit ihrer Differenzierung in Prinzipien, Maxime, Güter und Werte an, auch wenn die Zuordnung der jeweiligen Norm zu einer dieser Kategorien mancherorts verschiedene Deutungsmöglichkeiten offen liess. Das lag aber zum einen an der semantischen Überlagerung der vier Kategorien selbst und einer nicht erreichbaren Abrenzung voneinander. Und zum anderen fehlen an manchen Stellen schlichtweg sprachliche Hinweise, die eine Zuordnung abgesichert hätten. Nichtsdestotrotz führte dieser Analyseschritt dazu, den Sollensanspruch einzelner Textabschnitte gründlicher zu reflektieren. Die tabellarische Darstellung der Normen soll dem Leser den Zugang zur moralischen Signifikanz erleichtern. Als herausfordernd erwies sich die Untersuchung der Konvention und Traditionsgeschichte der Normen. Auch wenn dieser Aspekt in einer Normendiskussion nicht fehlen darf, kann in der Exegese doch nur eine begrenzte Auswahl einzelner Normen ausführlich untersucht und berücksichtigt werden. Wollte man alle Normen auf ihre Konvention und Traditionsgeschichte hin untersuchen, würde man die Stringenz und Zielorientierung der Studie einbüßen. Insofern ist der Exeget darauf angewiesen, eine verantwortete Auswahl prägnanter Normen auszuwählen. Dabei hat mich primär „der spezifische Gebrauch der Normen für die ethische Begründung“10 interessiert. Als Schwachpunkt dieser Methodologie erwies sich die Frage nach dem „ethischen Urteilsträger“ und der „Reichweite der Ethik“ in den jeweiligen Abschnitten zur impliziten Ethik. Das hat insbesondere mit der methodischen Ausweitung zu tun, wie sie auch schon in Bezug auf die „Ethos-Reflexion“ beschrieben und kritisch hinterfragt worden ist.11 Zudem stoßen diese Analyseschritte an Grenzen, die die Gattung ‚Evangelium‘ naturgemäß mit sich bringt. Diese methodische Ausweitung erforderte stets die Mutmaßung über eine geschichtliche Realität hinter dem Text, die aus dem Text selbst kaum zu ermitteln war. Im günstigsten Fall fanden sich manche Andeutungen (z. B. Joh 4,38; 8,37–47 u. a.), die eine ungefähre Interpretationsrichtung ermöglichen konnten. Insofern bleiben meine Ausführungen an diesen Stellen häufig nur vage und unbestimmt. Hier wird zukünftig zu fragen sein, inwieweit diese Rückfragen an den Urteilsträger und die Reichweite der Ethik für das JohEv methodisch abgesichert werden können. Und noch entscheidender: Wie kann durch Entwicklung methodischer Gegenproben ein Exeget vor einer Willkür und einer Eisegese ‚bewahrt‘ werden?12

10

ZIMMERMANN 2016a:68. Vgl. 3. Kapitel, Pkt. 5.1. 12 Diese Kritik von K. Weyer-Menkhoff (2012a:31) an die exegetische Forschung hat trotz ihrer prinzipiellen Infragestellung durchaus hier ihre Berechtigung. 11

2. Zur sprachwissenschaftlichen Methodik

289

Alles in Allem hat der hier eingeschlagene methodische Pfad in Bezug auf eine implizite Ethik interessante Perspektiven eröffnet und die moralische Signifikanz rund um die Begriffe ἔργον und ἐργάζεσθαι in ihrer Vielschichtigkeit zum Vorschein gebracht, der auch zukünftig bei der Untersuchung des JohEv beschritten werden kann. Wurde in der Vergangenheit eine johanneische Ethik auch aufgrund methodischer Versäumnisse bestritten13, so liegt jetzt eine akzeptable Methodologie vor, die die Beschreitung des Weges hin zu einer Ethik im JohEv verlässlicher macht.

2. Zur sprachwissenschaftlichen Methodik 2. Zur sprachwissenschaftlichen Methodik

Trotz einiger Kritik haben begriffsgeschichtliche und an einzelnen Lexemen orientierte Arbeiten nach wie vor ihren Platz und ihre Daseinsberechtitung in der exetischen Forschung. Entscheidend ist nur, dass in der Durchführung der Exeget sich neueren sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen öffnet und das Unterfangen möglichst interdisziplinär durchgeführt wird. Deshalb habe ich ausführlich die sprachwissenschaftlichen Prämissen dargestellt.14 Zudem wurden die Erkenntnisse aus der semantischen Wortfeldforschung aufgenommen und eine computerunterstützte korpuslinguistische Methode erprobt, die eine induktive Herangehensweise fördert. Gerade im Hinblick auf die Korpuslinguistik steht die neutestamentliche Forschung noch am Anfang. Insbesondere die amerikanischen Neutestamentler S. E. Porter und M. B. O’Donnell haben bereits eine beachtliche Vorarbeit geleistet.15 Nichtsdestotrotz sind noch einige Hürden zu nehmen, bevor korpuslinguistische Untersuchungen in antiken Texten von ähnlichen Rahmenbedingungen ausgehen können, wie es bereits jetzt für moderne Korpora der Fall ist. Die bedeutendsten Herausforderungen liegen hier auf drei Ebenen vor: (1) Es fehlen Datenbanken, die die vorhandenen digitalen Texte in annotierter Form zur Verfügung stellen. Auch der Thesaurus Linguae Graecae (TLG) ist dafür unzureichend programmiert. (2) Aufgrund dieser Sachlage ist die Erstellung eines Korpus vor besondere Herausforderungen gestellt. Lägen nämlich ausreichend Texte in annotierter Form in einer Datenbank vor, wäre eine Korpuserstellung by chance (M. B. O’Donnell) das sicherste Verfahren. Diese Strategie dominiert die moderne Korpuslinguistik. Da aber nicht ausreichend Texte in annotierter Form

13

VAN DER WATT 2006c:150; WANNENWETSCH 2013:115f. Siehe 3. Kapitel, Pkt. 4. 15 Vgl. das öffentlich zugängliche OpenText.org project, das die Annotation antiker Texte im Fokus hat (O’DONNELL, PORTER & R EED 1998–2013). 14

290

Zusammenfassung

vorliegen, kommt man um eine qualitative Korpuserstellung durch äußere Umstände nicht herum (selection by choice; M. B. O’Donnell).16 Ein solches Unterfangen muss sich dann aber einer Kritik stellen, weshalb manche Texte berücksichtigt werden und andere nicht. Um diesen Vorwurf der subjektiven Selektion zu entkräften und in methodischer Hinsicht zu sachgemäßen Urteilen zu gelangen, bleibt dann nur die Option, die jeweiligen Ergebnisse nicht auf die antike Sprachwirklichkeit per se, sondern allein auf den erstellten Korpus zu beziehen. Diese methodische Einschränkung wurde in dieser Studie favorisiert. D. h. der interpretative Ertrag über ἔργον und ἐργάζεσθαι bezieht sich allein auf den dargestellten Korpus.17 (3) Auch eine computerunterstützte Korpuslinguistik steht vor der Herausforderung, Ergebnisse interpretieren zu müssen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Dabei ist Umsicht und Sorgfalt des Interpreten gefragt. Hier können jedoch bereits erprobte quantitative, qualitative und an semantischen Verfahren orientierte Analyseverfahren vor Fehlschlüssen bewahren. Trotz dieser Herausforderungen hat sich die Korpuslinguistik als ein vielversprechender Zugang für die Bibelwissenschaften bewährt. Denn schließlich wird mit dieser Methode die empirisch-induktive Arbeitsweise des Exegeten und die Zentralität der Kategorie Text im Sinne meiner hermeneutischen Grundlegung gefördert.18

3. Zur Semantik von ἔργον κτλ. im JohEv 3. Zur Semantik von ἔργον κτλ. im JohEv

Die Semantik von ἔργον κτλ. erscheint – wie vorher als Hypothese angenommen – polysem und durchgehend mit dem Text des Evangeliums verwoben. Damit konnten bisherige Forschungstendenzen, die ἔργον κτλ. im Schatten des σημεῖον-Begriffs oder als den allgemeineren Begriff zu den ‚Zeichenʻ bewertet haben, widerlegt werden. In der der Untersuchung zur Semantik von ἔργον κτλ. wurde eine breite Herangehensweise gewählt, so dass unter der Annahme eines kulturhistorischen Rahmens nach der Bedeutung von ἔργον κτλ. bei Aristoteles, in einem antiken Korpus und im JohEv selbst gefragt worden ist. Gerade die Erträge, die für meine Fragestellung relevant erscheinen und auch entscheidende Perspektiven für die moralische Signifikanz eröffnen, sollen im Folgenden skizziert werden.

16

Siehe 5. Kapitel, Pkt. 1.1. Siehe 5. Kapitel, Pkt. 1.4. 18 Siehe 3. Kapitel, Pkt. 1. 17

3. Zur Semantik von ἔργον κτλ. im JohEv

291

3.1 Aristoteles über ἔργον19 Aristoteles erhebt den Anspruch, dass alle Lebewesen einem Strebensziel, nämlich der εὐδαιμονία, nacheifern. Er fragt dann, wie das gute Leben erlangt werden kann und führt in diesem Zusammenhang sein ἔργον-Argument ein.20 Und ähnlich wie in der modernen Tugendethik wird die Annahme einer universalen ‚Idee‘, was das gute Leben ist und was nicht, postuliert. Und auch im JohEv tritt ein Universalismus zutage, indem Jesus die Erzählbühne betritt und den gesamten Kosmos zu einer Reaktion herausfordert. Damit ist über die einzelnen Belege hinaus das universalistische Motiv literarisch auf der Meta-Ebene des Evangeliums verortet. Insbesondere der Johannesprolog und seine intertextuelle Verknüpfung mit Joh 3,18–21 bekräftigen einen Universalimus, in dessen Zentrum die Figur Jesus steht. Der Gesandte Gottes beansprucht Licht der Welt zu sein und die Menschen reagieren darauf, indem ein Teil in der Dunkelheit verharrt und ein anderer Teil sich diesem Licht aussetzt. Sowohl das ἔργον-Argument als auch das JohEv weisen universalistische Züge auf. Während bei Aristoteles das Streben nach Glück und die damit verbundenen Tugenden einen Universalismus voraussetzen, ist das JohEv als Erzähltext universalistisch angelegt. Während aber in der Nikomachischen Ethik nirgends Hinweise auf eine göttliche Vorsehung oder einen universalen Plan (der Götter) anklingen, wird im JohEv durch das Kommen des Lichts (Joh 1,4f) in die Welt der Universalismus transzendiert. Und wenn Aristoteles ἔργον als (wertneutrale) charakteristische Hervorbringung des Menschen versteht, kann der Terminus ἔργον im JohEv als zusammenfassende Umschreibung der Wirkungstätigkeit des Logos (Joh 17,4) oder als Beurteilungskategorie der Menschen (Joh 3,18–21) fungieren. Gerade diese anthropologischen Bezüge erinnern an die aristotelischen Ausführungen im Zusammenhang mit seinem ἔργον-Argument. Sowohl die Nikomachische Ethik von Aristoteles als auch das JohEv gleichen sich auch darin, dass in beiden Quellen im Zusammenhang mit dem Lexem ἔργον kaum materialethische Impulse vermittelt werden. Entscheidender ist jedoch, dass beiden das Verständnis der Einheit eines tugendhaften Charakters zugrunde liegt. So dominiert bei anthropologischen Bezügen die Bewertung der Werke im JohEv, die dann Rückschlüsse auf die gesamte Dispotition des Individuums bzw. der literarischen Figur gibt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass im Kontext des ἔργον-Arguments nur positiv besetzte Begriffe gebraucht werden, während das JohEv und andere Texte im Kontext

19

Siehe 4. Kapitel, Pkt. 3. In der Verwendung des Nomens fällt die Nikomachische Ethik des Aristoteles insofern auf, als dass das Nomen nahezu ohne das Verb ἐργάζεσθαι verwendet wird. 20

292

Zusammenfassung

von ἔργον und ἐργάζεσθαι auch Begriffe, die eine negatives ethisches Urteil implizieren, verwenden.21 3.2 Ἔργον κτλ. im antiken Korpus22 Der Terminus ἔργον erscheint als ein mehrdeutiger Begriff. Dabei hat die korpuslinguistische Untersuchung gezeigt, dass ἔργον und ἐργάζεσθαι zu fast 99% signifikant, d. h. nicht zufällig im Text des vierten Evangeliums vorkommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieser signifikante Wert durch die Verwendung des Nomens und des Verbs zustande kommt. Damit ist in der Exegese zu berücksichtigen, dass der Autor des Evangeliums die beiden Lexeme mit Absicht verwendet. Wegen ihrer Polysemie ist im jeweiligen Kontext zu entscheiden, welche Bedeutungsnuance jeweils dominiert. Biblisch-theologisch wird ἔργον häufig im Kontext der Genitivattribute κυρίος und θεός verwendet, die auf eine starke theologische Bezugnahme in der LXX, im NT und in den frühjüdischen Texte hindeuten. Auch die anthropologische Dimension ist wahrnehmbar, die einen Bezug zur profanen Arbeit mit ihren unterschiedlichen Gewerken aufweist. Als terminus technicus erscheint ἔργον regelmäßig, wenn es um den Bau der Stiftshütte geht und wenn dort spezielle handwerkliche Leistungen gemeint sind. Die Lexeme ἔργον und ἐργάζεσθαι transportieren häufig eine moralische Signifikanz. So ist das Nomen mehrfach in der LXX in eine Gebot-VerbotStruktur eingebettet, die im Zusammenhang mit den Gesetzen zum Sabbath zutage tritt. Sehr häufig konnotiert ἔργον dabei mit dem Verb ποιέω. Und auch in der Verbindung zu anderen Verben dominieren Verben des Handelns sowie Fachausdrücke aus der Berufs- und Arbeitswelt der Antike. Und schließlich stehen die beiden Begriffe mehrfach im Zusammenhang mit Begriffen der semantischen Bereiche „Moral and Ethical Qualities and Related Behaviour“ und „Perform, Do“23. Diese Beobachtung verdeutlicht wiederum, dass ἔργον und ἐργάζεσθαι als zentrale Begriffe antiker Ethik angesehen werden können.24 Mit Hilfe des korpuslinguistischen Zugangs konnte nachgewiesen werden, dass ἔργον und ἐργάζεσθαι überaus häufig im JohEv verwendet und in ethische Zusammenhänge eingebunden werden. Damit wurde der Boden für eine Untersuchung der Semantik von ἔργον κτλ. innerhalb des Evangeliums selbst vorbereitet.

21

Vgl. 5. Kapitel, Pkt. 2.2.2; 3.3.2; 4. Siehe 5. Kapitel, Pkt. 2.; 3. 23 Vgl. LOUW 1991:743–777.512–516. 24 Vgl. HEILIGENTHAL 1983:viii. 22

3. Zur Semantik von ἔργον κτλ. im JohEv

293

3.3 Ἔργον κτλ. im JohEv Allgemein gesprochen, kann die Semantik von ἔργον κτλ. im JohEv im soteriologischen25, ekklesiologischen und ethischen Sinnbereich verortet werden. Allerdings ist auch anzufragen, ob solche Bezeichnungen als Unterdisziplinen der Systematischen Theologie tatsächlich der Komplexität, der gedanklichen Wendigkeit und Vielschichtigkeit des johanneischen Textes gerecht werden können. Es schien mir daher angemessener, diese semantische Breite der Lexeme durch Aussage-Sätze zu umschreiben, die auch methodisch dem Ansatz von J. P. Louw und E. A. Nida näher kommen26 und von der semantischen Wortfeldforschung begründet werden. Folgende ‚Sinnlinienʻ (W. Egger & P. Wick) scheinen in Bezug auf ἔργον κτλ. im JohEv prägend zu sein. „Du bist, was du tust“ – ‚Werkeʻ als Erweis des Wesens, des Charakters, der Vorlieben ihrer Subjekte (Joh 3,18–21; 7,2–9; 8,37–47; 9,1–5; 15,22–24). Nicht was der Mensch sagt, sondern was er tut, entscheidet über sein Wesen. Ganz im Sinne antiker Philosophie bilden ‚Werkeʻ hier die Grundlage der Beurteilung. Auffallend für das JohEv ist, dass das betreffende Verhalten stets negativ bewertet wird. Begriffe aus der Gerichtssprache und die moralische Beurteilung von Menschen sind hier prägend. Und auch die Sicht, dass für moralisch verwerfliche Taten eine Strafe durch Gott zu erwarten ist, wird aufgenommen und entfaltet. Damit wird ἔργον mit der Gerichtsthematik des JohEv verbunden. Und weil das Gericht sich nach dem johanneischen Verständnis primär in der Gegenwart ereignet, werden auch die gegenwärtigen Menschen beurteilt und kritisiert. Andererseits wurde in der Diskussion in Joh 9,1–5 auch deutlich, dass mit Christus ‚lichte Momente‘ in den Kosmos gekommen sind. Wo der Gesandte Gottes agiert, da sind gute Werke wahrzunehmen, die wiederum Rückschlüsse über das Wesen von Jesus offenbaren. „An den Taten scheiden sich die Geister“ – ‚Werkeʻ im Kontext heftigster Opposition, die durch Emotionen begleitet wird und in Gewalt übergehen kann (Joh 5,16–20.31–38; 6,26–30; 7,20–24; 10,22–42; 8,37–47). Dieses semantische Feld ist in der johanneischen Konzeption des Evangeliums emotional aufgeladen. Die jeweils handelnden Personen wünschen sich den Tod von Jesus. Jesus ist dabei stets der Konfliktauslöser, sozusagen der Stein des Anstoßes. Jesus wiederum fordert seinerseits die Menge heraus und kritisiert sie für ihr Verhalten, ihre Reaktion und ihr inneres Wesen. Gelegentlich steht hier die Einladung im Raum, statt in der Dunkelheit zu verharren, die Werke Gottes zu tun (vgl. Joh 6,27f). Erwartungsgemäß verteilen sich diese Stellen auf die ersten zwölf Kapitel des Evangeliums. 25 26

Hier sind die christologischen und theologischen Motive des JohEv mitzudenken. LOUW & NIDA 1988:vii.

294

Zusammenfassung

„Ich werde den Auftrag erfüllen“ – ‚Werkeʻ im Kontext eines ‚mission statements‘, eines Lebensauftrags und einer Sendung des Sohnes durch den Vater (Joh ,31–34; 5,19–20; 10,22–42; Joh 17,1–5). Hier ist Jesus der Gesandte des Vaters. Seinen Auftrag wird er unter allen Umständen erfüllen. Die Metapher der Nahrung verstärkt die Einschätzung, dass dieser Auftrag für Jesus wie das ‚tägliche Brotʻ ist (Dtn 8,3). Immer wieder wird gerade hier die Verbindung des Vaters zum Sohn betont, die von Liebe, Zuneigung und Reziprozität geprägt ist. Ganz in der Rolle eines Gesandten wird dieser Auftrag zu Beginn des Evangeliums betont (Joh 4). In Joh 17,4 erinnert der Ausspruch an die Gattung eines Rechenschaftsberichts. „Ich und wir leisten etwas Besonderes“ – ‚Werkeʻ als messianische und missionarische Tätigkeit des Rabbi und seiner Schüler (Joh 4,31–38; 7,20–24; 9,1–5; 14,12). Dass Jesus Wunder tut und damit im Gegensatz zu Johannes dem Täufer auffällt, wird im Text des Evangeliums mehrfach thematisiert (vgl. u. a. Joh 10,41f). Das Besondere ist nun, dass auch die Jünger von Jesus – ähnlich wie bei den Synoptikern – in die Wirkungsgemeinschaft mit Jesus hineingenommen werden. Sie werden beauftragt, seine Sendung fortzuführen. Dabei werden sie nach Jesu Weggang zum Vater noch ‚größere Werkeʻ bewirken können. „Prüfe mich und meine Werke. Und glaube mir“ – ‚Werkeʻ als Einladung, die Wahrheit zu suchen, zu finden und um der Werke willen bei Ihm zu bleiben (Joh 5,31–38; 6,26–30; 7,2–9.20–24; 10,22–42; 14,8–11). Diese ‚Werkeʻ sind häufig ein Untersuchungsgegenstand, der von den Menschen als Überprüfungskriterium für Jesus verwendet werden soll. Der Protagonist Jesus erhofft sich, dass dabei Glauben und Vertrauen zu ihm bzw. zum Vater entstehen. Gelegentlich sind es die Werke selbst, denen die Menschen zunächst Glauben schenken sollen. Selbstverständlich deuten viele Stellen auf eine semantische Überlappung mit dem Begriff σημεῖον hin und beide Begriffe werden mancherorts synonym als Wunder bezeichnet. Und auch die Einschätzung einiger Forscher – ἔργον erscheine als der umfassendere Begriff, der die Handlungen, seine Worte und seine Person charakterisiert – ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings hat die Untersuchung gezeigt, dass im JohEv auf der semantischen Ebene neben dieser soteriologischer Sinnlinie auch die Bezüge zur Ekklesiologie, zur Anthropologie, zur Kosmologie und zur Ethik gegeben sind. Ἔργον κτλ. steht keinesfalls im Schatten des bekannten Lexems σημεῖον, sondern wird von Johannes mit verschiedenen Bedeutungsnuancen verwendet. Allein diese inhaltliche Breite begründet die Frage nach der moralischen Signifikanz von ἔργον und ἐργάζεσθαι.

4. Zur ethischen Wirkung von ἔργον κτλ. im JohEv

295

4. Zur Ethik von ἔργον κτλ. im JohEv 4. Zur ethischen Wirkung von ἔργον κτλ. im JohEv

Es gibt nicht die Ethik von ἔργον κτλ. Und auch wenn die beiden Lexeme in ihrer Grundbedeutung die Tat und das Verrichten einer Tätigkeit enthalten, entsteht moralische Signifikanz doch erst durch ihre Verknüpfung mit anderen sprachlichen Zeichen. Ein solches Netzwerkgefüge wird allgemein als Sprache bezeichnet. Und selbstverständlich vollzieht sich Ethik „mit und durch Sprache“27. Dabei begegnet uns bei der Untersuchung des NT allein die Schriftsprache, so dass bei allem Fragen nach moralischer Signifikanz von der Textgebundenheit der Ethik gesprochen werden kann.28 Und damit offenbart sich eine Gemeinsamkeit zwischen der Frage nach der Ethik und der Frage nach der Semantik: Dort wie hier prägt der sprachliche Kontext das Ergebnis bzw. die Beurteilung der moralischen Signifikanz. Eine solche Grundannahme macht es deshalb unmöglich, das Proprium der ethischen Wirkung von ἔργον κτλ. darzustellen. Das war in dieser Zuspitzung auch nicht der Anspruch meiner Arbeit. Vielmehr kann Ethik nur rund um die Begriffe ἔργον und ἐργάζεσθαι wahrgenommen werden. Es war also die Absicht, anhand der Begriffe ἔργον κτλ. und ihrem literarischen Kontext das Verständnis für eine johanneische Ethik zu erweitern bzw. zu vertiefen. Diese Einsicht führt zu notwendigen Abgrenzungen, so dass in dieser Arbeit nur einzelne Textabschnitte, wo ἔργον und ἐργάζεσθαι vorkommen, untersucht worden sind. Was lässt sich aber nun zur moralischen Signifikanz rund um die Lexeme ἔργον und ἐργάζεσθαι sagen? Inwieweit konnte die untersuchte Wortfamilie für das Verständnis einer johanneischen Ethik Impulse geben? Und zu welcher Art Bewertung wurde der Leser als ethisches Subjekt angeleitet? Im Folgenden gebe ich einen Überblick über die wesentlichen Ergebnisse, aber nicht in der Art und Weise einer Wiederholung, sondern indem ich die markanten Grundzüge darstelle. In der Darstellung der moralischen Signifikanz wurde eine Makro-Struktur gewählt29, die ihrerseits ethisches Potenzial inne hat. Begründet wurde diese Lesart mit Joh 3,18–21, dem Basistext über die Werke. So ist in Joh 3,20f eine horizontale Bewegung im Raum impliziert.30 Gemeint ist ein Raum in der Welt bzw. die Welt ist der Raum, was z. B. durch das πᾶς (Joh 3,20f) erkennbar wird. Innerhalb dieses Raumes gibt es offensichtlich laufende Bewegungen

27

ZIMMERMANN 2016a:42. Vgl. ZIMMERMANN 2016a:42. 29 Siehe dazu das 7. Kapitel. 30 In Joh 3,16f war noch eine vertikale Bewegung wahrnehmbar, nämlich das Kommen des Gesandten Gottes in die Welt. Dort ist es eine Bewegung von oben nach unten, hier ist es eine Bewegung im Raum der Welt. 28

296

Zusammenfassung

zum Licht (besonders Joh 3,21a) oder ein (statisches) Verharren in der Dunkelheit (Joh 3,20b). Eine Bewegung hin zur Dunkelheit ist nicht ausdrücklich beschrieben, weil die Welt als solche als Dunkelheitsort verstanden wird. So habe ich in dieser Makro-Struktur des Evangeliums einen Raum des Lichts und einen Raum der Dunkelheit angenommen. Die Dimension des Raumes bzw. die Metapher des Weges implizierte, dass Menschen auf diesem ‚Glaubenswegʻ unterschiedlich weit vom Licht entfernt sind, so dass als dritte Kategorie ein ambivalenter Handlungsraum eingeführt wurde. Und tatsächlich deuten gerade einzelne Figuren im JohEv auf diese Vielschichtigkeit hin. So wurde insbesondere Nikodemus von manchen Forschern als ein Figur zwischen den Welten beschrieben: „He ‚moves through the narrative with one foot in each world‘.“31 Eine solche Sicht hat auf der Makro-Ebene die Frage nach der Zuordnung von ἔργον κτλ. eröffnet und damit zentral die Frage nach der Ethik berührt. Im Raum des Lichts überragt die Wirkungsgemeinschaft des Vaters mit dem Sohn (Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31). Diese singulär im NT ausgeführte Beziehung zwischen Gott und Jesus knüpft zwar an einzelne ethische Normen an, konzentriert sich aber wesentlich auf ihre übernatürliche Reziprozität. Auffallend war, dass Johannes statt des sonst üblichen ποιέω (für Gottes SchöpfungsHandeln) das üblicherweise für menschliches Handeln benutzte Verb ἐργάζομαι einführt und damit die kontinuierliche Verbundenheit zwischen Vater und Sohn umschreibt (Joh 5,17). Jedoch verbleiben die Abschnitte bei der theologischen bzw. christologischen Beschreibung. Für eine ethische Fragestellung bedeutsamer waren die anderen Abschnitte, indem in Joh 8,37–41a ein ‚Modell-Mensch‘ – nämlich Abraham – in dieser Sphäre vorgestellt wurde, der solche charakteristischen Werke aufweist. Und wurde die Gemeinschaft zwischen Jesus und Gott in Joh 5 und in Joh 10 noch auf der vertikalen Linie umschrieben, verlagerte sich die Wirkungstätigkeit des Gesandten Gottes in anderen Abschnitten auf die horizontale Ebene. Dabei war eine graduelle Entwicklung feststellbar. Ging es in Joh 4,31–34; 17,1–5 noch wesentlich um den Sohn selbst, der explizit auf sein Werk Bezug nimmt, und in Joh 4,38 lediglich um eine Anspielung auf seine Nachfolger, ändert sich die Sachlage in Joh 9 und in Joh 14. Hier ist die Rede von einem ‚wir‘ (Joh 9,4) und der Verheißung der noch größeren Werke der Jünger nach Jesu Weggang (Joh 14,12). „Damit bedeutet menschliches Handeln nicht die Durchsetzung eigener Intentionen, sondern ein Geschehnis, in das der Gottessohn eingebunden wird.“32 Die moralische Signifikanz rund um die Begriffe ἔργον und ἐργάζεσθαι variiert also, indem in einige Abschnitten die theologischen bzw. christologi-

31 32

Bei CONWAY 2002:330. WEYER-MENKHOFF 2012a:298.

4. Zur ethischen Wirkung von ἔργον κτλ. im JohEv

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schen (Joh 5,16–23.31–38; 10,22–31) und in anderen Abschnitten die anthropologischen Bezüge (Joh 8,27–41a; 9,1–5; 14,12) erkennbar werden. Das Verbindende ist hier aber das Werk des Gesandten Gottes, in das Menschen im Raum des Lichts hineingenommen werden (Joh 4,34–38)33 und deren Handlungen als von Gott gewirkte Werke beurteilt werden (Joh 3,21). Im Raum der Dunkelheit bestimmen die ἔργα πονηρά das Geschehen. Damit stehen die Akteure dieses Raums diametral gegen den Gesandten Gottes. Dabei offenbart sich die Feindschaft gegenüber dem Licht, die von Affekten des Hasses und der Abneigung begleitet wird. Verdeutlicht wird diese entschiedene Opposition an der Figur des Teufels (Joh 8) und an der Figur der Welt (Joh 15). Selbstverständlich gehören aber auch Menschen in diesen Raum und werden mit diesen übernatürlichen Figuren in Text des Evangeliums verbunden. Dort, wo sie als Gegner des Lichts eingeführt werden, wird ihre Zugehörigkeit zum Teufel bzw. zur Welt zwangsläufig vorausgesetzt. Dabei ist der Kosmos selbst nicht hoffnungslos verdorben. Denn Gott hat die Welt geliebt und seinen Sohn gesandt (Joh 3,16). Aber der Kosmos ist das Territorium des Teufels und entfaltet damit die gleichen Wesenszüge, wie sie beim ὁ ἄρχων τοῦ κόσμου (Joh 12,31; 14,30; 16,11) von Anfang an erkennbar waren (ἀπ᾿ ἀρχῆς; Joh 8,44). Ethisch wirken diese Abschnitte, indem zum einen den Teufel als negatives Vorbild herausgestellt wird (Joh 8; mimetische Ethik) und zum anderen der Hass der Welt gegenüber den Jüngern als natürliche Reaktion ihres Wesens beschrieben wird (Joh 15). Damit markiert der Autor eine trennscharfe Grenze zwischen derjenigen, die in der Dunkelheit sind, und derjenigen, die sich im Licht sehen. Indirekt wird damit der Glaube der Jünger gestärkt und vor einem Glaubensabfall gewarnt. Die Sphäre eines ambivalenten Handlungsraumes ist eine Zwischenkategorie. In diesem Raum ist eine Bewegung impliziert. Johannes will seine Leser überzeugen, sich dem Licht zu nähern. Dabei nutzt er unterschiedliche ‚Techniken‘. In Joh 6 eröffnet er die ethische Auseinandersetzung mit der Frage der Menge: Was sollen wir tun? Mit dem Verweis auf τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ, das mit der Tätigkeit des Glaubens umschrieben wird, formuliert Jesus eine Zuspitzung, wie sie ganz ähnlich bei der Frage nach dem höchsten Gebot bei den Synoptikern erscheint (Mk 12,28–34 par. Mt 22,34–40). Das erwartete Werk ist eine Handlung, ein Gebot im Sinne des höchsten Gebotes. Freilich ist dabei nicht (nur) an konkrete Gebote zu denken, sondern an eine all umfassende Lebensweise, wie sie die Tora selbst einfordert und erwartet. In Joh 7,2–9 wurden die Brüder Jesu als höchst ambivalente Figuren vorgestellt. Dabei konnte diese Beschreibung indirekt Hinweise für die Gemeinde 33

„Durch die christologische Konzentration zeichnet das Johannesevangelium eine Ethik vor, die das menschliche Handeln strikt auf das Handeln Gottes in Jesus bezieht“ (WEYERMENKHOFF 2012a:302).

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Zusammenfassung

geben, wie in widrigen Umständen und auf Erwartungen von außen zu reagieren ist. Im Abschnitt Joh 7,15–24 wurde um ein gründliches Sich-Einlassen auf die Worte Jesu und ein Ringen um seine Lehre sowie die sachgemäße Interpretation des Gesetzes geworben. Das gerechte Urteil wird als Maxime jeglichen Handelns bewertet (Joh 7,24) und herausgestellt. Schließlich wurden die Leser in Joh 10,32–42; 14,8–11 aufgefordert, sich den Werken des Gesandten Gottes zuzuwenden und wenigstens ihnen Glauben zu schenken. Hier wurde der Glaube als ein Weg bzw. als ein Prozess beschrieben, der in sich entwicklungsfähig ist. Damit wird der Glaube als ein Verb (eine Tätigkeit) und nicht als ein Nomen im Sinne eines Konzepts gedacht. Somit hat der Evangelist das Zum-Glauben-Kommen vieler Leser viel realistischer abgebildet, als dies manchmal durch die Bultmannsche Betonung der punktuellen Entscheidung der Fall war. Gerade im Verständnis des Glaubens als einer Tätigkeit aus vielen einzelnen Handlungen wird die prozesshafte Dimension des Evangeliums offenkundig. Einzelne kleine Schritte begleiten den idealen Leser in seinem Zugewinn des Vertrauens an den Gesandten Gottes. Aus einer solchen Perspektive des Glaubensweges, der sich in kontinuierlichen Handlungen zum Licht hin ausdrückt, kann das JohEv nichts von seiner sprachlichen Vitalität verlieren und bleibt auch für die Postmoderne im 21. Jh. anschlussfähig.34

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Ähnlich CONWAY 2002:325.

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Stellenregister Altes Testament und Apokryphen Genesis 2,2f. 2,2 3,1ff. 18,19 22,15–18 26,5

124 22 244 217 217 217

Exodus 20,9 34,10 34,21

132 22 132

Deuteronomium 6,4ff. 8,3 13,18 16,6.11 16,16f. 16,16 16,18f.

241 204 218 270 267 270 275

Psalm 8,3 8,7 44,1

124 124 124

66,3.5 77,12 95,9 104,24

22 22 124 124

Jesaja 11,3f. 41,8 55,2–3

275 217 265

Jeremia 21,12 48,10

275 124

Hesekiel 3,7

250

Sacharja 7,9

275

Sirach 4,29 44,19–22

1 217

Baruch 2,9

124

Neues Testament Matthäusevangelium 5,16 15f. 7,21 204 10,24 249 11,2.19 15

11,2 11,19 12,1–8 12,24–32 12,50

15, 22 16 204 274 204

318

Stellenregister

15,3 15,6 21,31 22,34–40 23,1–12 23,3.5 26,10

260 260 204 262, 297 16 15f. 16

Markusevangelium 2,23–28 3,1–6 3,22–30 3,35 7,8 7,13 12,9–14 12,28–34 13,34 14,6

204 277 274 204 260 260 277 262, 297 15 16

Lukasevangelium 6,1–5 11,14–23 11,48 12,47 13,10–17 15,1–2 24,19

204 274 15f. 204 277 204 15

Johannesevangelium 1,1–18 95 1,4–13 166 1,4–10 95 1,4f. 96, 291 1,5 166 1,10 166 1,11–13 166 1,14 96 1,17 261 1,37–39 271 2,1–11 33 2,4.7 268 2,11.23 143 2,12 267 2,18 143 2,23–25 99, 268, 280 2,23 154 3 155, 160 3,1.23 178

3,1–21 3,2.11 3,2 3,12f. 3,16–21 3,16–17 3,16 3,17–21 3,17–19 3,18–21 3,19–21 3,19 3,20 3,21 4,4 4,6.8 4,6 4,7b–26 4,8 4,9–15 4,15 4,27–30 4,27 4,31–38 4,31–34 4,31ff. 4,34 4,35–38 4,35.38 4,38 4,39ff. 4,39f. 4,48 4,54 5,1–23 5,1.14 5,14 5,16–23.31–38 5,17–20 5,17 5,19ff. 5,19–20 5,20 5,21–30

167 193 143, 154 171 142, 166 179, 190 95 251 168 95, 99, 165–95, 231, 254, 291, 295 17f., 64, 143, 155, 166f., 183, 226 21, 32, 48, 126, 138, 147, 156, 166, 179 154 17, 21, 139, 156, 159, 222, 236 197 206 205 197 197 208 208, 257, 263 197 206 197, 203, 205 6, 151, 196–205 259 17, 26, 138, 151, 154, 156, 282 152, 197 200 207, 288 201 197 33, 143 143 26 178 149 6, 208–14 17 159, 208, 236 23 99, 151 138, 156, 229 33

Stellenregister 5,21f. 5,28–29 5,29 5,31–47 5,31ff. 5,36 5,37b–40 6,1 6,2.14 6,26–35 6,26.30 6,26 6,27–30 6,27f. 6,27 6,28–30 6,28f. 6,28 6,29 6,30 6,32 6,38 6,60.67 6,60–66 6,67ff. 6,70 7,1f. 7,2-9 7,2–7 7,3.31 7,3.21 7,3f. 7,3 7,6 7,7 7,15–24 7,17 7,20 7,21–24 7,21 7,22ff. 7,31 8,12 8,21

22 98 154, 186 33 153 22, 26, 147, 154, 159, 200 191 178 143, 154 7, 153, 256–63 143 33 153 151, 156 139, 156 17 31, 143, 156, 159, 233, 261 17, 48, 101, 138f., 256f., 263 21, 196 147, 159 156 204 267 271 271 18 178 7, 266–71 247 153 22 156 26, 48, 138, 154, 156, 159 156 18, 21, 24, 26, 32, 99, 147, 159, 250 7 204 156 26 126, 138, 196 156 143, 154, 280 214 214

8,28 8,30 8,31–36 8,31 8,33–36 8,33 8,37–47 8,37f.41b–47 8,37–41a 8,37 8,39.41 8,39 8,40 8,41 8,42 8,43 8,56 9,1–5 9,1–3 9,3f.16 9,3f. 9,4 9,7 9,16 9,31 9,39 10,22–42 10,22–31 10,25.32.37f.41 10,25 10,26f. 10,28 10,32–42 10,32–38 10,32f. 10,32 10,37 10,41f. 10,41 11,1.55 11,6f. 11,47 12,18.37 12,22f. 12,27 12,31 12,37

319 242 214 214, 237 242 244 218, 242f. 99, 214, 288 7, 238–42 6, 214–19 218 48, 138, 243 31, 215 156 21 219 11, 221 220, 220 6, 223–27, 230–33 156 153 22, 156, 202 17, 26, 138f., 159, 236 231 143 204 156, 231 209 6, 208–14 153 22, 26, 147, 154, 159 156 156 7, 280–83 23 22, 26, 48, 147, 196 21, 138 26, 138 152 143, 283 178 268 143 143 151 33 237, 246 153

320 13,2 13,14ff. 13,16 13,30 13,34f. 14,6 14,8–12 14,8–11 14,9–11 14,10–12 14,10 14,11 14,12

14,27 14,30 14,31 15,18–25 15,24 16,9 16,11 17,1–5 17,4.23 17,4 17,5 17,18 17,25 18,20 18,25 18,37 19,25–27 19,28.30 20,21 20,30–31 20,30 21,1

Stellenregister 18 247 247 230 38f., 228 244 23 7, 280–83 211 24, 138, 156, 227 154 2, 138 3f., 6, 18, 23f., 28, 48, 75, 154, 156, 159, 202, 227–30 24 237, 246 197 7, 247–50 24, 64, 95, 99, 138, 153f., 156, 159, 251 96 237, 246 6, 196–205 200 26, 138, 154, 159, 282, 291, 294 151 203 24 270 178 187 247 200 203 34 33, 143 178

Römerbrief 2,14–16 3,20.27 15,18

2 2 2

1. Korintherbrief 6,12a 7,15–16 15,28

69 274 222

2. Korintherbrief 9,8

124

Galaterbrief 2,16

2

Epheserbrief 2,10

139

1. Petrusbrief 1,10–12 3,1

222 274

Hebräerbrief 3,7–4,11

265

Jakobusbrief 2,14–26

2

1. Johannesbrief 1,6 3,8.12 3,18

187 21 187

2. Johannesbrief 11

21

Autorenregister

Bachmann, M. 2f., 18, 21, 57, 60, 62, 64, 144, 157 Barrett, C. K. 21, 178, 198, 212, 214, 229, 263 Bauer, W. 19, 21, 228 Becker, J. 11, 38, 41, 166f., 178, 209 Bennema, C. 59, 79f., 93, 98f., 100, 155, 205, 259, 264f. Berger, K. 44, 60–65, 71, 95, 104, 153, 156, 167f., 178, 183, 200f., 210f., 224, 248f., 258, 268, 275–78 Bertram, G. 21, 26, 91 Beutler, J. 11, 57f., 95, 178f., 187, 224, 240, 245, 251 Blass, F. & Debrunner, A. 72, 139, 179– 81, 198, 209, 215, 280 Boersma, H. 40, 43–45 Bolyki, J. 44f., 95f., 219f. Brown, R. E. 16, 21, 25, 57, 171, 178, 188, 191, 202, 212, 218f., 224, 230, 244, 250, 260, 279 Bubenhofer, N. 65, 105, 108, 112, 116, 117f., 120f. Bultmann, R. 21–25, 40f., 104, 171, 174, 204, 298 Burridge, R. A. 38, 44, 113, 206 Busse, D. 37, 59f., 79, 107, 121, 134, 135f., 145f., 173 Carson, D. A. 35, 151, 165f., 171, 178, 182, 197, 200, 204, 228f., 247, 256f., 267f., 271, 275 Conway, C. M. 13, 155, 175, 253f., 296, 298 Dietzfelbinger, Chr. 21f., 197, 212, 228– 30, 235

Ensor, P. W. 16f., 34f., 50, 88, 126, 129, 139, 142f., 154, 183, 197f., 201, 204f., 207f., 224, 227, 233, 260f. Frey, J. 2, 11f., 21, 23, 29f., 38, 42, 46, 51, 57–59, 69f., 144, 165–71, 176, 178–82, 187, 193, 197, 199, 204 Frickenschmidt, D. 23, 25, 247, 258, 281–284 Grob, F. 3, 24, 33–34, 168, 182f., 224 Hamid-Khani, S. 11–13, 51, 197 Hays, R. B. 4, 14, 38, 56 Heiligenthal, R. 1–3, 16f., 21, 31–33, 37, 50, 92, 98, 129, 130, 137f., 147, 150, 157, 159, 176f., 186, 203, 215–17, 239, 243, 245f., 261, 270, 283, 292 Hengel, M. 12–14, 20, 58f. Hirsch-Luipold, R. 14, 24f., 43, 71, 183, 224, 287 Hofius, O. 21, 24, 157, 167, 171, 178, 180f., 187, 257 Horn, Chr. 68, 80, 82–84, 86–89, 93, 96, 98, 243, 277 Kanagaraj, J. J. 37–41, 187, 244 Karakolis, Chr. 19, 23, 28–29, 137, 144 Keener, C. S. 13, 21, 182, 184, 187, 189–91, 203, 212, 217, 226, 236, 241f., 244, 261, 267, 270, 273f., 279 Kollmann, B. 3, 41, 71, 151, 167, 207, 217 Köstenberger, A. J. 5, 25, 36, 44f., 50, 60–64, 90, 140, 153, 158, 160, 166, 178, 197, 200, 202–04, 206, 208, 228–30, 237, 250, 260, 267, 271, 275

322

Autorenregister

Lincoln, A. T. 166f., 178, 203, 217, 220f., 239, 243, 245, 265, 274 Löhr, H. 2, 14, 37, 41–43, 48, 137, 159, 164 Louw, J. P. 19, 60f., 127f., 132f., 135f, 153, 157, 215, 292f. MacIntyre, A. 80, 82, 94, 96, 98, 101 Mlakushyil, G. 39, 45, 192, 213, 242, 244f. Moloney, F. J. 23, 138, 181, 184, 193, 198, 202, 215, 217f., 221, 230, 236, 257, 259, 265, 279, 281, 286 Neyrey, J. H. 172f., 185 Nida, E. A. 19, 127f., 132f., 135f., 153, 157, 215, 293 Nussbaum, M. C. 82, 94–96 O’Donnell, M. B. 60, 65f., 105–13, 121, 123, 127–29, 289 Pancaro, S. 13, 23, 31f. Poirier, J. C. 226, 230–32 Popkes, E. E. 13, 38f., 43, 51, 168f., 172, 180 Rayson, R. E. 65, 67, 104, 107, 111f., 116 Riedl, J. 14, 18, 29–32, 34, 37, 50, 137, 139, 154, 156, 178, 198, 199f., 202, 204, 225–27, 238, 242, 244, 271 Schnelle, U. 12, 23, 38, 41–45, 51, 143, 165–67, 178, 194, 219, 250, 257 Scholtissek, K. 11–13, 43, 51, 96f., 151f., 165f., 253, 281 Schwankl, O. 2, 11f., 14, 17f., 51, 163, 166–70, 172–74, 176, 178f. Siebenthal, H. v. 60f., 64, 121, 187 Stemmer, P. 80–90 Theobald, M. 178–81, 188, 190f., 197, 200, 203f., 208f., 214f., 224, 230,

232, 238, 256, 261, 267f., 270, 274f., 279f., 283f. Thiselton, A. C. 11, 16, 60f., 64, 135 Thüsing, W. 13, 23, 26, 137, 197–200, 213 Thyen, H. 13, 17, 25, 27, 39, 41, 57, 95, 97, 124, 143, 165, 178, 180, 188, 197, 202, 208, 210, 212, 217f., 224, 226, 231f., 239, 250, 256f., 260–62, 267, 271, 280 Van Belle, G. 12, 17, 21, 23–25, 33–34, 153, 159 Van der Watt, J. G. 2f., 37, 39, 42–45, 47, 68, 97, 98, 100, 186f., 192, 218f., 222, 239, 244–46, 260–62, 265, 269, 279, 287, 289 Wagener, F. 13, 18, 37–41, 43, 45, 69, 103, 126, 140 Wallace, D. B. 72, 138, 179, 183, 198 Wannenwetsch, B. 38, 43–45, 175, 289 Weidemann, H.-U. 16, 23, 139, 229 Welck, Chr. 13, 24–28 Wengst, K. 129, 165f., 180, 197, 200, 207, 218, 224, 229, 243f., 250, 261, 270, 273, 277 Weyer-Menkhoff, K. 12–14, 16, 18, 37f., 40, 48f., 80, 137f., 144f., 154, 160, 236, 246, 257, 262, 287f. Wilkens, W. 25–27, 153 Wolf, U. 68, 81, 83–86, 91, 101 Zimmermann, M. 52–56 Zimmermann, R. 3, 6, 11–14, 37–47, 50, 52–56, 59, 68, 70–75, 97, 140, 163– 65, 169–74, 183f., 188, 194f., 197, 200, 202f., 205, 208f., 211, 214, 219f., 223, 233, 243f., 250, 254f., 257, 263f., 272, 275–78, 280f., 286– 88, 295 Zingg, E. 198–200, 208–10, 212f., 238– 40

Sachregister

Abraham 6, 18, 99, 144, 155, 158, 196, 214f., 217–22, 236, 238, 243, 296 ἀγαθός 130, 186 ἀλήθεια 148f., 152, 186f., 241 Ambiguity 12 Ambivalenter Handlungsraum 255 ἀρετή 84, 88f., 93, 102, 130 Begriffsgeschichtliche Untersuchung 13, 60, 62 – Makroperspektive 63, 67, 79, 104, 134 – Mikroperspektive 63, 134 Charakter 32, 39, 50, 71, 74, 91, 98, 103, 150, 158, 188, 215, 239, 241f., 245, 257f, 265, 275, 281–83 Christologie 26, 40, 42, 55, 100, 103, 205, 282 Corpus Paulinum 14, 21, 120f., 131 Dualismus 38f., 41, 100, 172, 186, 239f., 248, 253 Einheitlichkeit des JohEv 34, 57, 75, 164 ἔργα τοῦ θεοῦ 3, 139, 141f., 144, 157, 223, 225–27, 233, 257, 259, 260f. ἔργον-Argument 5, 81–85 – Semantik 85–90 Ergopraktische Anthropologie 184 ἔρχομαι 170, 174, 190f., 254 Erzählstruktur 16, 240, 272 Ethical turn 41, 97 Ethik – antike 3, 68, 80, 88, 92, 292 – Definition 4, 67, 74 – deontologische 250, 277–78 – Imperative 46, 71–72, 182, 268, 283

– implizite 5, 43, 45–46, 68–75, 177, 190, 224, 238, 254, 256, 287, 288, 289 – johanneische 4f., 20, 38, 40, 42, 45, 47–50, 68f., 100, 103, 186, 287, 289, 295 – Konventikelethik 38f., 41 – Liebesgebot 38f., 74, 175, 218, 247 – metaphorische Reflexionsform 192, 219, 233–35 – mimetische Reflexionsform 205–6, 219–21, 243–44 – narrative 44–45, 49, 74, 219, 271–73 – Nikomachische 6, 59, 79f., 85–94, 96, 99, 101, 120, 131f., 147, 291 – Normen-Kategorien 185 – teleologische 283 – Textualität 46, 182, 287 – und Sprache 46, 59, 71, 163 Ethische Theologie 43 Ethos 32, 42, 46, 54, 70, 211, 250, 267, 288 εὐδαιμονία 81f., 85, 88, 93–95, 100–2, 291 Familienmetaphorik 242 Figura etymologica 17, 124, 147 Figurenanalyse 13 Freiheit 245 Gericht 169, 209, 211 Gesetz 31, 38f., 74, 182, 186, 204, 217, 248–50, 261, 276, 278f., 282 Glaube/glauben 23, 191 Glauben und Handeln 3, 34, 37, 40, 43, 218, 239 Glaubensakt 30, 171, 174, 254, 255

324

Sachregister

Glaubensweg/-prozess 175, 194, 254f., 260, 279, 281, 284, 296, 298 Handlungsträger 17–19, 22 Hermeneutik 12, 51, 53, 56, 62, 287 Johanneische Sprache 11–14, 59 Johannesprolog 27, 165–67, 176, 291 Kognitivistische Metapherntheorie 173– 75 Korpus 6, 39, 63, 67, 104–13, 115, 119f., 123f., 128, 130f., 145, 289f., 292 Korpuslinguistik 6, 65–67, 105–13 κρίσις 148f., 153, 155, 170, 181, 194 Lebenskunst 6, 80, 87–89, 168 Lichtmetaphorik 170–71, 176, 181, 189 Literarische Gattung 44, 109 LL-Wert 116f., 119f. Macht-Begriff 201 Metapher 169–70, 173, 176 Mission 36, 39, 200, 202f., 207, 233, 246 Modus Vivendi 43 Moralische Verkehrtheit 180 Nikodemus 168, 173f., 178f., 184, 192– 94 Opposition/Gegnerschaft 32, 150, 154, 160, 220, 252f., 255, 273, 293, 297 Partizipation mit Jesus 207 πᾶς 124, 141, 148–50, 152f., 157, 171, 181–83, 190, 295 πιστεύειν 37, 99, 126, 146, 184f., 210, 257, 262, 280 ποιέω 125–27, 132, 146f., 154, 198, 212, 292, 296 Polysemie/Mehrdeutigkeit 3, 12–14, 18f., 21f., 33f., 87, 104, 134, 143, 157–58, 197 Raummetaphorik 151, 171–73, 175, 215, 257 ῥήματα 23, 154

Samaritanerin 197, 202, 206, 222, 257, 263 Semantik – Außersprachlicher Referent 102, 121f., 126, 136, 144, 157–59, 160, 230 – Denotation 136, 157 – Literarisches Wortfeld 135–36 – Monosemierung 144f. – Semantisches Wortfeld 61–65, 134– 36, 148 – Sinn 136, 157 – Sinnlinien von ἔργον κτλ. 149–53, 160 σημεῖον 5, 14, 22, 24–28, 34, 153 Spatial turn 172 Sprechakttheorie 183, 210 Strebensziel 81, 93f., 100–2, 243, 291 Sünde 38f., 64, 96, 100f., 103, 156, 182, 191, 208, 225, 236, 240, 245, 248f., 268 Synoptiker 11, 15–16, 35, 97, 119, 164, 262, 274, 294, 297 Taten/Handlungen 37, 48, 50, 91, 98, 103, 129, 150, 157, 160, 215, 217, 220, 236, 239, 241, 245, 260f., 271, 282–84 Tat-Folge-Zusammenhang 249 τελειόω 125–27, 130, 137f., 146–48, 151f., 198, 200 Teufel 18, 29f., 38, 99, 144, 155, 158, 237–39, 241, 243f., 251, 297 Tugend 6, 80, 82, 85f., 92, 97–99, 138 Tugendethik 79, 82, 92f., 97, 99, 103, 291 Universalismus 83, 94–96, 102, 183, 194, 246, 291 Vagheit 11, 13, 54 Verhalten der Menschen 191 Wahrheit tun 191 Weg-Schema 174, 254 Werke Abrahams 18, 155, 215–21 Werke und Glauben 219 Wunder 22, 28, 158, 160, 228