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German Pages 431 [432] Year 2019
Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 6
Sachrichtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit Ein Vergleich der Rechtsschutzmöglichkeiten bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren im deutschen und englischen Rechtssystem
Von
Maren Klinsing
Duncker & Humblot · Berlin
MAREN KLINSING
Sachrichtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit
Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 6
Sachrichtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit Ein Vergleich der Rechtsschutzmöglichkeiten bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren im deutschen und englischen Rechtssystem
Von
Maren Klinsing
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung
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A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Das Verwaltungsverfahren und seine Spannungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Drei Systementscheidungen des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Terminologische Anmerkungen und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . 23 I. Verwaltungsverfahren und administrative process . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Verfahrensbegriff des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes . . . . . . . . . . . 23 2. Verwaltungsverfahren im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Der Begriff des administrative process . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4. Der vorliegend zu Grunde gelegte Verwaltungsverfahrensbegriff . . . . . . . . . . . 27 5. Verschiedenartigkeit von Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Verwaltungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Verfahrensrechtsverletzung und Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Zur Methodik der Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Bedeutung der Rechtsvergleichung im und für das Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . 32 II. Wahl des englischen Rechtssystems als Referenzgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Kapitel 2 Die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
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A. Umfassende gerichtliche Überprüfbarkeit oder weite Entscheidungsspielräume der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I. Die Betonung des umfassenden gerichtlichen Rechtsschutzes und der gebundenen Verwaltung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Die Betonung exekutiver Entscheidungsspielräume und die zurückgenommene Gerichtskontrolle in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
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Inhaltsverzeichnis
B. Auswirkungen der Systementscheidungen und deren Durchbrechung . . . . . . . . . . . . . 44 I. Der gerichtliche Rechtsschutz und die interne Verwaltungskontrolle in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihre Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . 44 a) Kontrollumfang der Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 aa) Konzept der „einzig richtigen Verwaltungsentscheidung“ . . . . . . . . . . . 46 bb) Einschränkungen des gerichtlichen Kontrollumfangs . . . . . . . . . . . . . . . 47 (1) Kontrollumfang bei Ermessensentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (2) Kontrollumfang bei unbestimmten Rechtsbegriffen . . . . . . . . . . . . . 52 (3) Kontrollumfang bei Planungs-, Abwägungs- oder Prognoseentscheidungen der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (4) Kontrollumfang bei Regulierungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 cc) Bedeutung der Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung für die gerichtliche Überprüfung des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . 58 (1) Der Kompensationsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (2) Abwägungskontrolle als besondere Verfahrenskontrolle? . . . . . . . . . 62 b) Grundsätzliche Pflicht zur Herbeiführung der Spruchreife und des Entscheidens in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Die interne Verwaltungskontrolle und ihre Rolle für den Rechtsschutz in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Einschalten der Aufsichtsbehörden und sonstige Formen interner Verwaltungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Bedeutung des Widerspruchsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Mediation und alternative Streitbeilegung im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . 71 II. Der gerichtliche Rechtsschutz und die interne Verwaltungskontrolle in England
73
1. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihre Kontrollkompetenz . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Entwicklung des Administrative Court an der Queen’s Bench Division of the High Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Das judicial review proceeding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Entstehung des judicial review proceedings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (1) Bedeutung der Industrialisierung und der Entwicklung des Sozialstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (2) Mittelalterliche Klagearten – writs und remedies . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Reform und modernes Verständnis des judicial review . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Kontrollumfang des Administrative Court im Rahmen des judicial review proceedings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 aa) Ausschluss des gerichtlichen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (1) Gerichtliche Überprüfbarkeit – justiciability und policy decisions 79 (2) Ausschlussklauseln – exclusion oder ouster clauses . . . . . . . . . . . . . 81
Inhaltsverzeichnis bb) Beschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs und Ausweitung durch die Entwicklung der Klagegründe – grounds of judicial review
7
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(1) Ronald Dworkins one right answer thesis und Unterscheidung zwischen Entscheidungs- und Interpretationsspielraum in der gerichtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (2) Traditionelle Beschränkung auf die Kontrolle der Zuständigkeit und des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (3) Die einschlägigen Klagegründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (a) Der Klagegrund der Rechtswidrigkeit – illegality . . . . . . . . . . . . 88 (aa) Unrechtmäßige Delegierung der Ermessensausübung . . . . . . 89 (bb) Ermessenseinschränkung – fettering of discretion . . . . . . . . . 89 (cc) Einbeziehung fehlerhafter Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . 91 (b) Der Klagegrund der Unvernunft oder Unzumutbarkeit – unreasonableness oder irrationality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 d) Überprüfung der behördlichen Sachverhaltsermittlung, Grundsatz des Zurückverweisens an die Verwaltungsbehörde und fehlende Befugnis zur eigenen Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 e) Erweiterungen des gerichtlichen Kontrollumfangs durch europäische Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 aa) Einfluss des Human Rights Act 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Der Klagegrund der Unverhältnismäßigkeit – disproportionality . . . . . . 100 (1) Verhältnismäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen mit unionsrechtlichem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) Verhältnismäßigkeit bei Eingriffen in fundamentale Rechte . . . . . . . 102 (3) Disproportionality als allgemeiner Test zur inhaltlichen Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (4) Auswirkung der erweiterten Inhaltskontrolle auf die Kontrolle des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Die interne Verwaltungskontrolle und ihre Bedeutung für den Rechtsschutz in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Rechtsschutz vor den administrativen Tribunalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Entwicklung des tribunal systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Kontrollkompetenz der administrativen Tribunale und Kontrolle des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) System der ombudsmen und weitere Formen alternativer Streitbeilegung . . 117 c) Behördeninterne Kontrolle – internal review . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 C. Ergebnis: Die heutige Bedeutung der Systementscheidungen – Annäherung des englischen und des deutschen Rechtssystems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Die Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Der Prüfungsumfang der Verwaltungsgerichte und die Kontrolle des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Die deutsche Abwägungskontrolle und der englische Klagegrund der illegality
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 3 Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens innerhalb der Verwaltungsrechtsordnung
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A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens oder die Betonung der Verfahrensgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Der Ausgangspunkt der grundsätzlich dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Stellung des Verfahrensrechts innerhalb des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . 128 a) Funktionaler Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Funktionaler Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und materiellem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Veränderung der funktionalen Zusammenhänge durch Abnahme der Steuerungsfähigkeit des materiellen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Klassisches Verständnis von der dienenden Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Grenzen des klassischen Verständnisses von der dienenden Funktion . . . . . 136 3. Der Eigenwert des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Der Begriff des „Eigenwerts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Richtigkeitsgewähr durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 c) (Grund-)Rechtsschutz durch Verfahren und (Grund-)Rechtsschutz im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Terminologische Klarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Vorgelagerter (Grund-)Rechtsschutz durch das Verwaltungsverfahren
145
d) Kompensationsfunktion bei tatsächlichen Wissensdefiziten . . . . . . . . . . . . . 148 e) Akzeptanz- und konsensstiftende Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 f) Demokratische Legitimation durch Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 154 g) Effizienzsteigerung durch Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4. Zwischenfazit zu dienender Funktion und Eigenwert des Verwaltungsverfahrens in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Der Ausgangspunkt der Verfahrensgerechtigkeit in England . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Die Rolle der Verfahrensgarantien im englischen Rechtssystem . . . . . . . . . . . . 159 a) Bedeutung des Ermessens im englischen Verwaltungsrecht – die discretion 160 aa) Verwaltungsermessen – administrative discretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Grundsätzlich eingeschränkte Steuerungsdichte formeller Gesetze . . . . 164 b) Bedeutung der Verfahrensrechte im System der administrative discretion 166 aa) Instrumentale Funktion von Verfahrensrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Nicht-instrumentale Funktion von Verfahrensrechten . . . . . . . . . . . . . . . 169 cc) Existenz eines Kompensationsgedankens im englischen Rechtssystem 171 c) Natural justice im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
Inhaltsverzeichnis
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2. Die Reichweite der Hinwendung zu einer materiellen Rechtmäßigkeitsvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Einschränkung des Verwaltungsermessens durch vermehrte Kodifikation und Verrechtlichung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Einschränkung des Verwaltungsermessens und materielle Vorgaben durch schützenswertes Vertrauen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3. Zwischenfazit zu materieller Rechtmäßigkeit und Verfahrensgerechtigkeit in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Verfahrensrechte und ihre Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Die Anerkennung von Verfahrensrechten im deutschen Verwaltungsverfahren 182 a) Verfassungsrechtliche Vorgaben und Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Grundrechtlich verbürgtes Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (1) Ablehnung des grundrechtsverbürgten Verfahrensrechts . . . . . . . . . . 185 (2) Kategorisierung von Verwaltungsverfahren mit Grundrechtsbezug 188 (3) Allgemeine grundrechtliche Verfahrensgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (4) Einzelheiten grundrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (5) Vom Grundrechtsschutz durch Verfahren unabhängige grundrechtsverbürgte Verfahrensrechte im deutschen Recht? . . . . . . . . . . . . . . . 196 (6) Bedeutung der Prozessgrundrechte für das Verwaltungsverfahren 198 bb) Verfahrensgrundsätze aus allgemeinen Verfassungsprinzipien . . . . . . . . 199 (1) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (2) Objektivität und Gleichbehandlung im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 200 (3) Transparenz und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 cc) Unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Verfahrensrecht . . . . . . . . 202 (1) Äquivalenzprinzip und Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (2) Inhaltliche Verfahrensregelungen durch das Unionsrecht . . . . . . . . . 204 b) Verfahrensrechte im einfachen Verwaltungsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . 205 aa) Rechte unmittelbar Betroffener, Drittbetroffener und der Öffentlichkeit 205 bb) Das Recht eines Dritten auf Hinzuziehung zum Verwaltungsverfahren
206
cc) Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (1) Das Recht auf Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (2) Das Recht auf Beteiligung an der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . 210 (3) Weitergehende Beteiligungsrechte aus besonderem Verfahrensrecht und Planfeststellungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (a) Individualbeteiligung und Verbandsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . 211 (b) Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (c) Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (4) Bedeutung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
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Inhaltsverzeichnis dd) Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (1) Das Recht auf Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (2) Der freie Zugang zu behördlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 ee) Das Recht auf eine hinreichende Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 ff) Rolle der Umweltverträglichkeitsprüfung im System der Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Die Anerkennung von Verfahrensrechten im englischen Verwaltungsverfahren 220 a) Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht im englischen Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Verfahrensrechte des natural justice-Prinzips und der duty to act fairly . . . . 222 aa) Traditioneller Inhalt des natural justice-Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 (1) Das Recht auf ein unvoreingenommenes Verfahren . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Das Recht auf eine faire Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Heutige Reichweite des natural justice Prinzips und der duty to act fairly 224 (1) Beteiligungs- und Anhörungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (a) Anwendbarkeit der duty to act fairly – Anerkennung eines Beteiligungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (b) Unterscheidung nach der Rolle des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . 227 (c) Beteiligungsrechte aufgrund einer legitimate expectation . . . . . . 227 (d) Reichweite eines bestehenden Beteiligungsrechts . . . . . . . . . . . . 228 (aa) Vorherige Bekanntgabe der geplanten Verwaltungsentscheidung und das Recht auf Einwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (bb) Das Recht auf ein Anhörungsverfahren – oral hearing . . . . . 230 (e) Informations- und Beteiligungsrechte aufgrund gesetzlicher Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (2) Das Recht auf eine hinreichende Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (a) Das Recht auf Entscheidungsbegründung aufgrund eines schützenswerten Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (b) Das Recht auf Entscheidungsbegründung aus einzelnen Gesetzen 233 (c) Das Recht auf Entscheidungsbegründung aus der duty to act fairly . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (d) Entstehung eines allgemeinen Rechts auf Begründung von Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 cc) Öffentlichkeitsbeteiligungsrechte und die Beteiligung Dritter im Planungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 dd) Die Rolle der Umweltverträglichkeitsprüfung im System der Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Inhaltliche Anforderungen europäischer Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 aa) Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . 242 bb) Allgemeine Begründungspflicht des europäischen Rechts . . . . . . . . . . . 244
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3. Zwischenfazit: Die Reichweite von Verfahrensrechten innerhalb des Verwaltungsverfahrens im deutschen und englischen Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . 245 II. Verfahrensfehlerfolgen und Verletzung von Verfahrensrechten . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Die Regelung der Verfahrensfehlerfolgen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Auswirkung der dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . 246 b) Nichtigkeit als Fehlerfolge von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 c) Relativierung von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 aa) Heilung von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 bb) Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (1) Bedeutung und Reichweite des § 46 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (a) Anwendung der Unbeachtlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (b) Rechtsfolgen der Anwendung des § 46 VwVfG . . . . . . . . . . . . . 254 (2) Bedeutung des § 75 Abs. 1a VwVfG und entsprechender Regelungen des Fachplanungsrechts für Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . 256 (3) Bedeutung des § 214 BauGB für Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . 257 cc) Grenzen und Einschränkungen der Fehlerfolgenregelung . . . . . . . . . . . . 257 (1) Auswirkungen der Annahme eines Eigenwerts des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (a) Eingeschränkte Anwendung der Unbeachtlichkeitsregelungen bei instrumentalem Eigenwert der Verfahrensvorgabe . . . . . . . . 258 (b) Eingeschränkte Anwendung der Unbeachtlichkeitsregelungen bei selbständigem Eigenwert der Verfahrensvorgabe . . . . . . . . . 261 (c) Begrenzte Heilungsmöglichkeit bei Annahme eines Eigenwerts 269 (2) Auswirkungen der Annahme grundrechtsverbürgten Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (3) Auswirkungen unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (a) Mögliche Divergenzen im Umgang mit Verfahrensfehlerfolgen 275 (b) Auswirkungen der Bewertungen des Eigenverwaltungsrechts der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 dd) Bedeutung von Präklusionsregelungen für die Geltendmachung von Verfahrensrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 d) Verbot der isolierten Geltendmachung von Verfahrensrechten – Bedeutung und Reichweite des § 44a VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 aa) Die grundsätzliche Anwendung des § 44a VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 bb) Ausschluss von „Partizipationsbegehren“ durch § 44a Satz 1 VwGO . . 286 cc) Isolierte Geltendmachung absoluter Verfahrensrechte? . . . . . . . . . . . . . 288 dd) Wirkungsweise im Zusammenspiel mit § 46 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . 290 ee) Möglichkeit der gerichtlichen Feststellung der Verfahrensfehlerhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Die Regelung der Verfahrensfehlerfolgen in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Grundsätzliche Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
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Inhaltsverzeichnis b) Mögliche Begrenzung der Verfahrensfehlerfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 aa) Heilung von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 bb) Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (1) Verwaltungsvorgaben mit nicht-zwingendem Charakter . . . . . . . . . . 299 (2) Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im Falle eines nicht möglichen anderen Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (3) Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im Ermessensbereich . . . . 302 (4) Einzelfallabwägung bei Unangemessenheit der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 c) Die Möglichkeit isolierter Geltendmachung eines Verfahrensfehlers . . . . . . 307
C. Ergebnis: Die heutige Bedeutung der Systementscheidungen – Annäherung des englischen und des deutschen Rechtssystems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 I. Die allgemeine Bedeutung verfahrensrechtlicher Garantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 II. Verfahrensrechtliche Garantien in der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle . . . . . . 310
Kapitel 4 Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
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A. Subjektiver Rechtsschutz oder objektive Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 I. Die grundsätzliche Ausrichtung auf subjektiven Rechtsschutz in Deutschland . . . 315 1. Die Bedeutung des subjektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Historische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 b) Grundsätzlicher Ausschluss der Popularklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 c) Grundsätzlicher Ausschluss der Interessentenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 d) Weitere Folgen der deutschen Systementscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Individualrechtsschutz unter europäischem Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 II. Systementscheidung für objektive Rechtskontrolle oder subjektiven Rechtsschutz in England? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle . . . . . . . . . . . 325 I. Der Zugang zu den Verwaltungsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1. Die Zulassung verwaltungsgerichtlicher Klagen in Deutschland . . . . . . . . . . . . 326 a) Grundsatz der möglichen Verletzung eigener Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 b) Mögliche Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 aa) Anderweitige gesetzliche Bestimmungen gemäß § 42 VwGO . . . . . . . . 328 bb) Antragsbefugnis bei der Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 c) Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 aa) Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 bb) Bedeutung subjektiver öffentlicher Rechte des Verwaltungsrechtskreises bei Adressaten- und Nichtadressatenklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
Inhaltsverzeichnis
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cc) Entwicklung der Lehre von den subjektiven öffentlichen Rechten – die Schutznormtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 (1) Ausgangspunkt der Schutznormtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 (2) Einzelne Elemente der Schutznormtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 (a) Rechtssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 (b) Schutz eines Individualinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 (c) Rechtsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 (3) Kritik an der Schutznormtheorie und Europäisierung . . . . . . . . . . . . 342 (a) Grundsätzliche Kritik an der Schutznormtheorie . . . . . . . . . . . . 343 (b) Schutznormtheorie unter europäischem Einfluss . . . . . . . . . . . . . 344 d) Verfahrensvorschriften als subjektive öffentliche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . 349 aa) Absolute Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 bb) Relative Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 (1) Schutz einer materiellen Rechtsposition durch das Verfahrensrecht 355 (2) Möglichkeit der konkreten Auswirkung des Verfahrensfehlers auf eine materielle Rechtsposition des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (3) Weitere Möglichkeiten der Herleitung subjektiver Verfahrensrechte 360 cc) Zwischenfazit zu subjektiven Verfahrensrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 2. Die Zulassung einer judicial review Klage in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 a) Die Klagebefugnis – standing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 b) Zulassung einer Klage und sufficient interest test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 aa) Grundsätzlich weite Zulassung von ausreichenden Interessen . . . . . . . . 364 bb) Zulassung bei der Geltendmachung von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . 368 c) Zulassung im Bereich des Human Rights Act 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3. Zwischenfazit zu der Zulassung zu den Verwaltungsgerichten . . . . . . . . . . . . . 371 a) Einschränkungen der Klagemöglichkeiten an verschiedenen Punkten der verwaltungsgerichtlichen Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 b) Keine eindeutige Systementscheidung in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 II. Die Begründetheit einer verwaltungsgerichtlichen Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 1. Die Begründetheit verwaltungsgerichtlicher Klagen in Deutschland . . . . . . . . . 374 a) Verletzung subjektiver Rechte nach § 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO . . . . . . 374 aa) Einschränkung des gerichtlichen Kontrollmaßstabs durch die Systementscheidung für subjektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 bb) Verfahrensfehler und die Verletzung subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . 378 cc) Bedeutung des § 46 VwVfG für die Begründetheit der Anfechtungsklage und das Erfordernis der Verletzung in materiellen Rechten . . . . . . . . 378 dd) Sonstige Geltendmachung von verletztem Verfahrensrecht . . . . . . . . . . 384 b) Ausnahme im Rahmen des Normenkontrollantrags nach § 47 Abs. 2 VwGO 385 2. Die Begründetheit verwaltungsgerichtlicher Klagen in England . . . . . . . . . . . . 386 a) Überprüfung der Verwaltungsentscheidung anhand der Klagegründe . . . . . . 387
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Inhaltsverzeichnis b) Anwendung des sufficient interest test im weiteren Verfahren . . . . . . . . . . . 387 aa) Klagen unmittelbar Betroffener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 bb) Klagen Dritter oder Nichtadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 cc) Klagen von Interessensgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
C. Ergebnis: Die heutige Bedeutung der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle – Annäherung des englischen und des deutschen Rechtssystems? . . . . . . . . . . . . . . . . 394 I. Die Auswirkung des Individualrechtsschutzsystems auf die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 II. Die Beschränkung des Zugangs zu Gericht, des gerichtlichen Prüfumfangs und der Aufhebbarkeit allein formell rechtswidriger Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . 395
Kapitel 5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und abschließendes Fazit
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A. Zum Umgang mit externen Einflüssen auf das Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 B. Der Eigenwert des Verfahrens in seiner instrumentalen und nicht-instrumentalen Erscheinungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 C. Die direkte und indirekte Bedeutung des Verfahrensrechts in der gerichtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 D. Möglichkeit einer Konsolidierung der Verfahrenskontrolle im deutschen und englischen Rechtssystem – auf dem Weg zu einem gesamteuropäischen Verwaltungsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
Abkürzungsverzeichnis AöR CLJ CLP DÖV DVBl. Env.L.R. EuR EurUP EuZöR GewArch JA JLS JPL JR JURA JuS JZ LQR MLR MMR NJW NLJ NordÖR NuR NVwZ NZLR OLJS PAR PL UPR VBlBW VerwArch VVDStRL ZRP ZUR
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Kapitel 1
Einleitung Die Diskussion um die Rolle des Verwaltungsverfahrens wird unter sich teilweise wandelnden Vorzeichen seit geraumer Zeit nicht nur in Deutschland geführt. Im Zentrum stehen dabei zum einen die Funktion, die dem Finden einer materiellen Sachentscheidung dient, zum anderen aber auch die Anerkennung eigener Verfahrensrechte und deren eigenständiger Schutz. Erkennt man eine eigenständige Funktion der Verfahrensrechte an, hängt dies eng mit der Frage zusammen, inwieweit dem Einzelnen bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren Rechtsschutz gegen die fehlerhaft getroffene, wenn auch nicht zwingend im Sinne des materiellen Rechts fehlerhafte, Entscheidung zustehen soll. Wie die Funktion des Verwaltungsverfahrens in Deutschland und England in der aktuellen Diskussion eingeschätzt wird und inwiefern diese beiden Rechtssysteme1 dem Einzelnen bei Fehlern innerhalb des Verfahrens gerichtliche und außergerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten bieten, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
A. Problemaufriss Zunächst wird an dieser Stelle ein Überblick über die Problematik des Rechtsschutzes bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren gegeben sowie das in der Arbeit zugrunde gelegte Verständnis der für die Untersuchungsfrage relevanten Rechtsinstitute erläutert. Sodann wird die im Rahmen dieser Arbeit angewandte Methodik der Rechtsvergleichung dargestellt.
I. Das Verwaltungsverfahren und seine Spannungsfelder Das Verfahren, nach dem die Verwaltung bestimmte Entscheidungen fällt und dem Einzelnen oder auch der Öffentlichkeit kenntlich macht, muss stets mehrere teilweise divergierende Aufgaben erfüllen. Zum einen soll es möglichst effektiv und 1
Behandelt wird im Schwerpunkt das englische Recht, in welches das walisische Recht eingegliedert ist; unterschieden werden hiervon das schottische und das irische Recht, die jeweils zwar in weiten Teilen große Ähnlichkeiten mit dem englischen Recht aufweisen, jedoch als Rechtsordnung hiermit nicht gleichzusetzen sind; teilweise wird auf Präzedenzfälle oder Literatur aus anderen Rechtsordnungen des Commonwealth verwiesen.
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Kap. 1: Einleitung
effizient sein. Es soll nicht unnötig „bürokratisch“ vonstattengehen und im Idealfall zu einer schnellen Entscheidung führen. Auf der anderen Seite hat das Verwaltungsverfahren aber auch seinem Rechtsschutzauftrag in hinreichender Weise nachzukommen. Die Entscheidung soll nicht allein zügig, sie soll auch rechtmäßig und in einem die Rechte des Einzelnen wahrenden Verfahren getroffen werden. Hinzu kommt das hiermit zusammenhängende Interesse – zumeist des Einzelnen oder bestimmter Interessensgruppen – in die Entscheidungsfindung der Verwaltung eingebunden zu sein oder gar an ihr mitzuwirken. Der Einzelne möchte, gerade im Rahmen großer ihn aber betreffender Planungsvorhaben, nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, so wichtig die getroffene Entscheidung der Verwaltung auch für die Allgemeinheit sein mag. Hier ist es Aufgabe der Rechtsordnung, eine Lösung zu finden, die einen Ausgleich zwischen den beteiligten Interessen ermöglicht – eine Lösung also, die weder die Verwaltung lähmt noch den Bürger dort ausschließt, wo seine Einbeziehung notwendig ist, auch um die Akzeptanz der zu treffenden Entscheidung in der Bevölkerung sicherzustellen oder zumindest zu fördern. Aber nicht nur bei Großprojekten stellt sich die Frage nach der notwendigen Einbeziehung des Bürgers in den Entscheidungsprozess der Verwaltung. Vielmehr gilt es auch bei „normalen“ Genehmigungsverfahren – etwa im Baurecht –, die Interessen betroffener Bürger nicht außer Acht zu lassen. Hier wird eine weitere Schwierigkeit deutlich: Eine Entscheidung der Verwaltung berührt regelmäßig nicht allein die Interessen des unmittelbar von der Entscheidung betroffenen Bürgers, des Adressaten einer jeweiligen Maßnahme, etwa des Bauherren im Falle einer Baugenehmigung. Vielmehr werden häufig zusätzlich die Interessen einer Vielzahl weiterer Bürger, wie die der Nachbarn eines Vorhabens, betroffen. So treten nicht nur Bürger- und Staatsinteressen einander gegenüber, sondern auch divergierende Interessen verschiedener Gruppen von Bürgern, also Privatinteressen. Auch hier kann ein entsprechend geregeltes Verwaltungsverfahren zum Schutz der jeweiligen Interessen beitragen und für die Akzeptanz der am Ende des Verwaltungsverfahrens stehenden Verwaltungsentscheidung sorgen. Zunächst gilt es also festzustellen, welche Rechte dem Bürger – oder verschiedenen Bürgern – überhaupt innerhalb des Verwaltungsverfahrens zustehen. Von besonderem Interesse sind hierbei die Bürgerbeteiligungsrechte. Eine Verwaltungsverfahrensordnung muss ebenso entscheiden, welche Gruppen von Bürgern in den Gang der Entscheidungsfindung einbezogen werden, wie sie festlegen muss, wie weit diese Einbeziehung des Bürgers geht. Ist eine schlichte Anhörung eines betroffenen Bürgers ausreichend, sollen gewisse genauer zu bestimmende Teile der Bevölkerung aktiv in den Entscheidungsprozess einbezogen werden oder soll es gar eine abschließende Abstimmung der Bürger über eine bereits getroffene oder zu treffende Verwaltungsentscheidung geben können? Bereits hier wird deutlich, dass es zumeist keine allgemeine Regelung für das Verwaltungsverfahren geben können wird. Vielmehr wird das Verwaltungsverfahrensrecht bei der Entscheidung für das Ausmaß der Bürgerbeteiligung ebenso wie für deren Zeitpunkt den Eigenheiten bestimmter Verwaltungsentscheidungen gerecht werden müssen.
A. Problemaufriss
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Die aufgezeigten Spannungsfelder verschiedenster Interessen lassen sich weiter auch auf den Rechtsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen ausdehnen. Wenn die Rechte der Bürger – insbesondere darauf, an der Entscheidungsfindung beteiligt zu werden – erst einmal festgelegt sind, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage danach, inwieweit diese Rechte auch als solche, gerichtlich oder außergerichtlich durchzusetzen sind. Sind der Verwaltung etwa Fehler bei der Beteiligung der Bürger unterlaufen, wie soll sich dies auf die gerichtliche Überprüfung der sodann getroffenen Verwaltungsentscheidung auswirken, zumal wenn diese ansonsten im Ergebnis fehlerlos sein mag? Auf der einen Seite steht hier das Bedürfnis der Verwaltung, aber auch der allgemeinen Öffentlichkeit nach Rechtssicherheit und möglichst eindeutig geregelten Zuständen. Auf der anderen Seite steht jedoch häufig das Interesse des Einzelnen, der mit bestimmten Entscheidungen der Verwaltung nicht einverstanden ist und sich gegebenenfalls durch sie sogar in seinen Rechten verletzt sieht, etwa weil er bei Fehlern im Rahmen der Bürgerbeteiligung im Entscheidungsfindungsprozess übergangen wurde. Hier muss sich ein Rechtssystem die Frage stellen, wem es und wie weit die Möglichkeit zugestehen will, vor den Gerichten gegen Entscheidungen der Verwaltung vorzugehen. Diese Fragen stellen sich somit einerseits auf der Ebene des möglichen Zugangs zu Gericht, der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs. Wem soll es überhaupt möglich sein, eine mutmaßlich fehlerhafte oder fehlerhaft getroffene Verwaltungsentscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen? Andererseits berühren die aufgeworfenen Themen die Ebene der Begründetheit: Sollen sich Fehler, die während der Entscheidungsfindung gemacht wurden, auf das gerichtliche Urteil über die Aufhebbarkeit der Verwaltungsentscheidung auswirken, insbesondere wenn das Gericht die getroffene Verwaltungsentscheidung im Ergebnis für rechtmäßig hält? Im Lichte des aufgezeigten Spannungsfelds von Interessen des Staats einerseits und des Einzelnen andererseits wird deutlich, dass gerade wenn es gegebenenfalls „nur“ zur Verletzung von Normen, die das Verwaltungsverfahren regeln, kommt, eine befriedigende Lösung nicht einfach zu finden ist. Besonders in diesen Fällen ist genau darauf zu achten, inwiefern dem Einzelnen Rechtsschutz zustehen soll, aber auch, inwiefern er Verfahrensfehler gerade bei materiell rechtmäßigen Entscheidungen, die einen anderen begünstigen mögen, hinnehmen muss. Wiederum gilt dies sowohl bei großen Planfeststellungsverfahren als auch bei der Erteilung einer Baugenehmigung für ein „einfaches“ Einfamilienhaus. Inwiefern sich ein Bürger gegen den Planfeststellungsbeschluss für einen Flughafen, einen Bahnhof oder eine Fernstraße wehren können soll, gerade weil er bei dem Verfahren, das zu dem Beschluss geführt hat, nicht hinreichend beteiligt worden ist, muss ebenso diskutiert werden wie die Klagemöglichkeit des Nachbarn gegen eine Baugenehmigung, die ohne seine Beteiligung an der Entscheidungsfindung erteilt wurde.
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Kap. 1: Einleitung
II. Drei Systementscheidungen des Verwaltungsrechts Die Beantwortung der aufgezeigten Fragen kann in verschiedenen Rechtssystemen auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. Wie dies im deutschen und im englischen Rechtssystem erfolgt und inwieweit unionsrechtliche Vorgaben zu einer Änderung und gegebenenfalls Annäherung beider Rechtsordnungen geführt haben, soll hier untersucht werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen drei durch ein Rechtssystem zu treffende Entscheidungen, die hier zur Veranschaulichung des Grundsatzes als „Systementscheidungen“ bezeichnet werden. Wie zu zeigen sein wird, können diese Systementscheidungen nur bis zu einem gewissen Grade getrennt voneinander betrachtet werden – häufig zieht die eine als notwendige Konsequenz eine andere nach sich, oder es besteht zumindest eine enge Verbindung zwischen den verschiedenen Konsequenzen der Systementscheidungen.2 Es handelt sich hier zunächst um die Frage nach der Rolle und der Kompetenz der Gerichte bei der Kontrolle des Inhalts von Verwaltungsentscheidungen. Es ist auf der einen Seite denkbar, diese eher zurückhaltend zu gestalten und im Rahmen des Rechtsschutzes die exekutive Selbstkontrolle3, etwa durch innerhalb des Verwaltungsaufbaus angesiedelte Tribunale, aber auch durch von der entscheidenden Verwaltung selbst strikt einzuhaltende Verfahrensregeln in den Mittelpunkt zu stellen. Kommt es in einem solchen System doch zu einer gerichtlichen Kontrolle, wird es häufig das Verwaltungsverfahren an sich sein, das einer Kontrolle unterzogen wird. In die materielle Entscheidungsfindung der Exekutive soll ein der Judikative zuzurechnendes Organ grundsätzlich nicht eingreifen können. Dem gegenüber steht ein System, bei dem die Letztentscheidungskompetenz des Gerichts über die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung als wichtigstes Instrument der Verwaltungskontrolle angesehen wird. Die Entscheidungsspielräume der Verwaltung sind grundsätzlich eingeschränkt und es wird von einer vollkommenen gerichtlichen Kontrolle des Inhalts von Verwaltungsentscheidungen ausgegangen. Ein solches System ist dann vordergründig mit der Frage befasst, inwieweit die Entscheidung der 2
Siehe zu einigen Aspekten des Zusammenhangs der hier aufgeworfenen Systementscheidungen das deutsche und amerikanische Rechtssystem gegenüberstellend bereits Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 28 ff.; auch Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (289), betont die Notwendigkeit, verschiedene Grundentscheidungen eines Rechtssystems nicht isoliert voneinander zu betrachten; zu den verschiedenen Grundentscheidungen europäischer Rechtssysteme Schmidt-Aßmann, Eberhard, Administrative Law in Europe: Between Common Principles and National Traditions, in: Ruffert (Hrsg.), Administrative Law in Europe: Between Common Principles and National Traditions, S. 3 (8); mit Hinweisen zum französischen Rechtssystem von Danwitz, Thomas, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, S. 64 ff. und insbesondere S. 75 ff. 3 Selbstkontrolle meint hier die innerhalb der Exekutive stattfindende Kontrolle, sie kann sowohl die behördliche Eigenkontrolle als auch die Fremdkontrolle durch eine andere, etwa übergeordnete Behörde erfassen; vgl. Schmidt-Aßmann, Eberhard, Verwaltungskontrolle – Einleitende Problemskizze –, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungskontrolle, 2001, S. 9 (18 ff.).
A. Problemaufriss
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Exekutive im materiellen Sinne, das heißt also inhaltlich, rechtmäßig ist, und weniger mit dem Verfahren, das zu einer solchen Entscheidung geführt hat. Schon hier wird deutlich, dass sich zwei weitere wichtige Entscheidungen eines Rechtssystems anschließen. Die erste befasst sich mit der Frage nach der Funktion, der Rolle oder der Bedeutung, die dem Verwaltungsverfahren an sich in Bezug auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Verwaltung zugeschrieben wird.4 So kann dem Verfahren eine dem materiellen Recht in seiner Bedeutung untergeordnete Rolle zugewiesen werden – es wird dann lediglich als notwendig zu gehender Weg hin zu einer materiell rechtmäßigen Entscheidung angesehen. Das bedeutet auch für die gerichtliche Überprüfung, dass die Befassung mit dem materiellen Gehalt, den materiellen Rechtspositionen der Betroffenen, im Vordergrund steht. Wechselseitig bedingt aber auch die zuvor genannte Systementscheidung für eine umfassende gerichtliche Verwaltungskontrolle den Umgang mit dem Verwaltungsverfahrensrecht. Ein Rechtssystem, das es dem Verwaltungsgericht ermöglicht, eine Verwaltungsentscheidung etwa bei nicht umfassend aufgeklärtem Sachverhalt oder bei einer unterbliebenen notwendigen Beteiligung Betroffener selbst zu treffen und nicht an die Verwaltung zurückzuverweisen, weist dem originären Verwaltungsverfahren selber eine untergeordnete Bedeutung zu.5 Ist es hingegen gerade das Verfahrensrecht, dem die entscheidende Bedeutung im Rahmen des Verwaltungsrechts zugeschrieben wird, etwa mit einem Hinweis auf eine essentiell zu wahrende und von der materiellen Entscheidung unabhängige Verfahrensgerechtigkeit, dann ist es wiederum diese, die im Falle einer gerichtlichen Überprüfung der Verwaltungsentscheidung in den Mittelpunkt rückt. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung wird also, vereinfacht gesagt, entweder auf ihre Entstehung, ihr Zustandekommen – auf das Verfahren selber – geblickt oder aber das materielle Ergebnis – die Entscheidung als solche – steht hierbei im Vordergrund. Zuletzt6 stellt sich die Frage nach der allgemeinen Ausrichtung der Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Ausgestaltung eines verwaltungsrechtlichen Rechtsschutz- oder gerichtlichen Kontrollsystems kann insbesondere auf zweierlei Weise vollzogen werden: Es wird zwischen zwei Grundkonzeptionen unterschieden – dem Individualrechtsschutz (contentieux subjectif), bei dem die Rechte des Ein4 Den Begriff der „Systementscheidung“ für diese Frage verwenden auch Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1286); ähnlich Kokott, Juliane, Die Verwaltung 31 (1998), 335 (336). 5 Zu diesem Zusammenhang zwischen gerichtlichem Kontrollumfang und Bedeutung des Verwaltungsverfahrens Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (176). 6 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 35, nennt umgekehrt die hier zuletzt genannte Systementscheidung der gerichtlichen Ausrichtung als einen wesentlichen Faktor für den Stellenwert des Verwaltungsverfahrens; gerade die deutsche Betonung des subjektiven Rechtsschutzes sei danach maßgeblich für die nachrangige Bedeutung des Verfahrensrechts. Diese zunächst divergierend wirkende Einschätzung zeigt, wie sich die verschiedenen Systementscheidungen bedingen und gegenseitig beeinflussen; eine genaue Festlegung, welche systematische Herangehensweise aus einer jeweils anderen folgt, ist kaum möglich und auch nicht notwendig.
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Kap. 1: Einleitung
zelnen und deren Verletzung im Mittelpunkt der gerichtlichen Überprüfung stehen, und der objektiven Rechtskontrolle (contentieux objectif), bei der es der Verwaltungsgerichtsbarkeit schwerpunktmäßig um eine allgemeine und umfassende objektiv-rechtliche Kontrolle der Exekutive geht.7 Aus dieser Entscheidung für eine subjektiv oder objektiv ausgelegte verwaltungsgerichtliche Kontrolle folgen weitreichende Konsequenzen für den Zugang Einzelner oder bestimmter Gruppen zu Gericht und für das Programm, das das Gericht im Rahmen seiner Überprüfung der Verwaltungsentscheidung anwendet. Damit ergeben sich auch für den Rechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren erhebliche Konsequenzen. In einem auf den subjektiven Rechtsschutz ausgelegten System bedarf es für die Sanktionierung von Verfahrensfehlern zunächst des Nachweises, dass hierdurch auch subjektive Rechte des Einzelnen verletzt worden sind; nur auf eine solche Verletzung ist der Rechtsschutz ausgelegt. Steht die objektive Rechtskontrolle im Vordergrund, so ist die Einhaltung verfahrensrechtlicher Vorgaben ebenso zu überprüfen wie die sonstiger Voraussetzungen, die das Rechtsystem für die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung aufgestellt hat. Die soeben als zu treffende „Systementscheidungen“ betitelten Fragen werden von verschiedenen Rechtssystemen unterschiedlich eindeutig beantwortet und es sind durchaus auch „Mischsysteme“ denkbar. Es soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden, ob im deutschen und englischen Rechtssystem tatsächlich in der Rechtstradition, aber auch in der aktuellen Entwicklung von jeweils getroffenen Systementscheidungen in Bezug auf die drei genannten Fragen gesprochen werden kann. Es spielt hierbei die weitere Frage eine große Rolle, ob gegebenenfalls gerade die Öffnung des Verwaltungsrechts gegenüber anderen Rechtssystemen und insbesondere gegenüber Vorgaben der Europäischen Union eine Relativierung traditioneller Systementscheidungen bewirkt.8 Zudem soll aufgezeigt werden, inwiefern Veränderungen innerhalb einer dieser Systementscheidungen Auswirkungen auf die jeweils anderen haben. Zuletzt bleibt einleitend festzustellen, dass die Rede von einer Systementscheidung in einem Rechtssystem wie dem englischen, das ohne geschriebene Verfassung auskommt und eine stete Entwicklung im Rahmen des case law durchläuft, eine grundlegend andere sein muss als in einem von Gesetzesrecht und systematischen
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Kadelbach, Stefan, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischen Einfluss, 1999, S. 379; Baumgartner, Ulrich, Die Klagebefugnis nach deutschem Recht vor dem Hintergrund der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 17; Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 29. 8 Für eine Gegenüberstellung der Systementscheidungen des europäischen Rechts in den genannten Fragen zu denen des deutschen Rechtssystems siehe u. a. und m.w.N. Kahl, Wolfgang, VerwArch 95 (2004), 1 (19); speziell zu der sich nicht allein durch europäische Vorgaben verändernden Rolle des Verwaltungsverfahrens in Deutschland Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 3.
B. Anmerkungen und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
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Kodifikationen geprägten Rechtssystem wie dem deutschen.9 Dennoch wird im Folgenden gleichsam von „Systementscheidungen“ beider Rechtssysteme gesprochen. Hiermit ist das jeweils traditionelle Verständnis der deutschen und englischen Rechtsordnung in Bezug auf die Rolle der Gerichte bei der Verwaltungskontrolle, auf die Rolle und Bedeutung des Verwaltungsverfahrens und der Verfahrensrechte bei der behördlichen Entscheidungsfindung sowie auf die grundsätzliche Ausrichtung des gerichtlichen Rechtsschutzes gemeint.
B. Terminologische Anmerkungen und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Um die in der Arbeit verwendete Terminologie zu verdeutlichen, werden zunächst die zugrunde gelegten Begriffe des „Verwaltungsverfahrens“, der „Verwaltungsentscheidung“ und des „Verfahrensfehlers“ erläutert. Hierbei bleibt zu bedenken, dass speziell im Hinblick auf die Untersuchung des englischen Rechtssystems nicht stets der in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft jeweils dafür gebrauchte rechtsdogmatische Begriff zugrunde gelegt werden kann.
I. Verwaltungsverfahren und administrative process Zunächst bedarf es einer näheren Beschreibung dessen, was vorliegend sowohl im englischen als auch im deutschen Recht als „Verwaltungsverfahren“, in dessen Rahmen sich möglicherweise durchsetzbare Rechte Einzelner eröffnen, bezeichnet werden kann. 1. Verfahrensbegriff des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes Das Verwaltungsverfahren ist in Deutschland heute überwiegend, aber nicht ausschließlich, im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) des Bundes und den entsprechenden Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder kodifiziert. In § 9 VwVfG wird das Verwaltungsverfahren definiert als die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsakts oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist. Der Erlass des Verwaltungsakts und der Abschluss des öffentlichen Vertrags selber sollen eingeschlossen sein. Die entsprechenden Vorschriften der VwVfG der Länder sind entweder gleichlautend, wie in den Artikel des 9 Zu dem Begriff der „tradition“ im englischen Rechtssystem Le Sueur, Andrew, „Tradition“ in English Administrative Law, in: Ruffert (Hrsg.), Administrative Law in Europe: Between Common Principles and National Traditions, 2013, S. 19.
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Kap. 1: Einleitung
BayVwVfG, oder sie verweisen auf die Definition des VwVfG des Bundes, wie in § 1 Abs. 1 des VwVfG Berlin geschehen. Im Verwaltungsverfahrensgesetz sind drei Formen des Verwaltungsverfahrens geregelt – das nichtförmliche Verfahren (§§ 10 ff. VwVfG), das förmliche Verfahren (§§ 63 ff. VwVfG) und das Planfeststellungsverfahren (§§ 72 ff. VwVfG). Das förmliche Verwaltungsverfahren findet immer dann statt, wenn seine Anwendung gesetzlich angeordnet ist, wie etwa in § 36 und § 105 BBergG. Das Planfeststellungsverfahren ist auf den Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses, mithin eines Verwaltungsakts,10 gerichtet, was seine Regelung im VwVfG rechtfertigt. Es findet Anwendung, wenn dies durch besondere Rechtsvorschriften angeordnet wird, § 72 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwVfG, und soweit die jeweiligen Spezialgesetze keine verdrängenden Regelungen treffen. Es soll vor allem die Zulassung großer und raumbedeutsamer Vorhaben, etwa Flughäfen (§§ 8 ff. LuftVG), Eisenbahnen (§ 18 AEG) oder Bundesfernstraßen (§ 17 FStrG), einheitlich regeln. Jedoch wurden in einigen Fällen bedeutende verfahrensrechtliche Regelungen – insbesondere solche, die der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben dienen – nicht in das VwVfG integriert, sondern eigene Fachgesetze geschaffen.11 Auch in diesen Fällen verweisen zahlreiche Fachgesetze jedoch teilweise umfassend auf die Vorgaben des VwVfG zum Planfeststellungsverfahren.12 Mit dem VwVfG ist lediglich eine Teilkodifikation des Verwaltungsverfahrens vorgenommen worden.13 Sonstiges Handeln der Verwaltung, wie schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln, Verwaltungsprivatrecht, die Privatisierung öffentlicher Aufgaben oder der Erlass von Rechtsverordnungen und Satzungen werden von den Verfahrensvorschriften des VwVfG nicht erfasst.14 Für Handlungen der Verwaltung in diesen Bereichen kann im Einzelfall allenfalls an eine analoge Anwendung bestimmter Vorschriften des VwVfG gedacht werden.15
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Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 74 Rdnr. 15. Burgi, Martin, JZ 2010, 105 (107, 109), insbesondere in Bezug auf die Umsetzung der im Umweltrecht ergangenen europäischen Richtlinien; Kahl, Wolfgang, NVwZ 2011, 499 (456); demgegenüber wurden die verfahrensrechtlichen Vorgaben der Dienstleistungsrichtlinie 2006/ 123/EG, durch das 4. Gesetz zur Änderung verwaltungsrechtlicher Vorschriften vom 11. 12. 2008, BGBl. I, 2418, weitgehend in das VwVfG integriert. 12 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 72 Rdnr. 18. 13 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, Einführung I Rdnr. 1; Grünewald, Benedikt, Die Betonung des Verfahrensgedankens im deutschen Verwaltungsrecht durch das Gemeinschaftsrecht, 2009, S. 86. 14 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 6. Kapitel Rdnr. 139; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, Einführung I Rdnr. 1; Schwarz, Kyrill-Alexander, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 9 VwVfG Rdnr. 2; Sachs, Michael, in: Brandt/Sachs (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kapitel A Rdnr. 3. 15 Siehe nur Detterbeck, Steffen, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 37 Rdnr. 167 – 174; Schwarz, Kyrill-Alexander, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Hand11
B. Anmerkungen und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
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2. Verwaltungsverfahren im weiteren Sinne Die Definition des Verwaltungsverfahrens in § 9 VwVfG gilt jedoch nur im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Vorschriften dieses Gesetzes. Auch andere Formen des Handelns der Verwaltung können durchaus als Verwaltungsverfahren (im weiteren Sinne)16 bezeichnet werden, jedoch nicht mit der Folge ihrer „Abwicklung“ nach dem VwVfG.17 Unter dem Begriff des „Verwaltungsverfahrens“ werden in Deutschland allgemein die planvoll geordneten Vorgänge der Informationsgewinnung und -verarbeitung, die in der Verantwortung eines Trägers öffentlicher Verwaltung ablaufen, verstanden.18 Entgegen der älteren Vorstellung von dem Begriff wird heute nicht mehr notwendigerweise davon ausgegangen, dass am Ende dieses Prozesses eine konkrete rechtsförmige Entscheidung stehen muss.19 Vermehrt wird insoweit darauf hingewiesen, dass nicht alles Handeln der Verwaltung als Entscheidung definiert werden kann. Dennoch läuft dieses Handeln in einem Verfahren, etwa einem Verfahren der realen Leistungsbewirkung ab.20 Trotz dieses weiten Ausgangspunkts wird das Verwaltungsverfahren weiterhin vor allem dort Bedeutung erlangen, wo es an der Verwaltung liegt, eine bestimmte Einzelentscheidung zu fällen. Das Verfahren bildet den Weg, der zu dem Ziel einer materiellen Entscheidung führt;21 es beschreibt die Art und Weise der Entscheidungsfindung.22 Der Begriff des „Verwaltungsverfahrens“ bezieht den gesamten Entscheidungsprozess der Verwaltung ein – das Verwaltungsverfahren umfasst zu dessen Beginn die Wissensgenerierung und die kommentar, § 9 VwVfG Rdnr. 2; vgl. auch die Begründung des Gesetzesentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/910, S. 42. 16 So u. a. Sachs, Michael, in: Brandt/Sachs (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kapitel A Rdnr. 2. 17 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 48 ff.; Grünewald, Benedikt, Die Betonung des Verfahrensgedankens im deutschen Verwaltungsrecht durch das Gemeinschaftsrecht, 2009, S. 86. 18 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 6. Kapitel Rdnr. 47; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 1; ähnlich Sachs, Michael, in: Brandt/ Sachs (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kapitel A Rdnr. 1 f.; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, Einführung I Rdnr. 13. 19 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 1. 20 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft: Perspektiven der Systembildung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, 2000, S. 409 (420). 21 So schon Merkl, Adolf, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 313. 22 Schmidt-Preuß, Matthias, Das Allgemeine des Verwaltungsrechts, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Maurer, 2001, S. 777 (785).
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Kap. 1: Einleitung
Informationsverarbeitung, die im Anschluss notwendigen Kommunikationsprozesse sowie den eigentlichen Entscheidungsprozess.23 3. Der Begriff des administrative process Auch mit Blick auf die Betrachtung des englischen Verwaltungsrechts ist es geboten, ein weites Verständnis des Verwaltungsverfahrens zu Grunde zu legen. Eine erste Schwierigkeit bei der Bestimmung dessen, was in England unter einem durch die Verwaltung durchzuführenden Verfahren zu verstehen ist, entsteht nämlich dadurch, dass es kein formelles Konzept des Staats oder staatlicher Macht gibt.24 Es handelt sich bei der englischen Verwaltung um ein teilweise schwer zu durchblickendes Geflecht aus verschiedenen agencies, tribunals, councils und anderen public office holders, ohne dass diese oder die dort Beschäftigten selbst auf einer abstrakten Ebene dem übergeordneten Staat zugeschrieben werden. Um jedoch einen Vergleich mit dem deutschen Recht zu ermöglichen, wird im Folgenden vereinfacht auch in Bezug auf das englische Rechtssystem von Entscheidungen „der Verwaltung“ gesprochen, ohne zwischen den verschiedenen in England existierenden Erscheinungsformen zu differenzieren. Auch eine grundlegende Definition des Verwaltungsverfahrens findet man im englischen Recht zwar nicht, doch wird regelmäßig der Begriff des „administrative process“ verwendet, um allgemein den Vorgang zu beschreiben, in dem die verschiedenen Einrichtungen der Verwaltung zu einer Entscheidung gelangen. Der administrative process besteht wiederum aus einzelnen administrative procedures. Hierunter werden die verschiedenen Einzelhandlungen verstanden, die ein Entscheidungsträger der Exekutive auf dem Weg zu seiner Maßnahme – administrative act oder decision – unternimmt. Erfasst werden hierbei sowohl alle Handlungen auf dem Weg zu einer Entscheidung, von der Informationsgewinnung bis hin zu der Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen, als auch die im Anschluss hieran ergehende Mitteilung der Entscheidung.25 Auch der Begriff des „administrative act“ oder der „decision“, auf deren Erzielung sich die Verfahrensregeln beziehen, ist denkbar weit gefasst und es existiert keine Beschränkung etwa auf Verwaltungsakte im deutschen Sinne.26 Da im englischen Rechtssystem auch innerhalb der Exekutive zahlreiche Entscheidungsverfahren ähnlich den gerichtlichen Verfahren ausgestaltet sind, wurde zunächst in 23
Derart zusammenfassend Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2010), 227 (231) m.w.N. Le Sueur, Andrew, „Tradition“ in English Administrative Law, in: Ruffert (Hrsg.), Administrative Law in Europe: Between Common Principles and National Traditions, 2013, S. 19 (30 f.); auch zu Folgendem. 25 Endicott, Timothy, Administrative Law, S. 631. 26 Ridley, Frederick, Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts – Länderbericht Großbritannien: England ist anders? in: Hill/Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 205; Kleve, Guido/Schirmer, Benjamin, England und Wales, in: Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht in Europa, 2007, Bd. I, S. 35 (92). 24
B. Anmerkungen und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
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Bezug auf bestimmte Rechte Einzelner innerhalb des Verwaltungsverfahrens noch zwischen gerichtsähnlichen und rein administrativen Entscheidungsverfahren unterschieden.27 Diese Unterscheidung wurde allerdings nunmehr aufgegeben und die im Folgenden diskutierten Rechte gelten für alle Formen der administrativen Entscheidungsfindung.28 Oftmals wird auch nicht isoliert allein über Verwaltungsverfahren der Exekutive gesprochen, sondern es werden staatliche Verfahren – etwa auch Gerichtsverfahren – insgesamt in den Blick genommen, um die innerhalb dieser Verfahren zu gewährenden Rechte darzustellen. Ein allgemeines Gesetz, das den Ablauf von Verwaltungsverfahren im englischen Rechtssystem regelt, gibt es nicht. Die Mehrheit der Regeln, die einzelne Behörden bei ihrer Entscheidungsfindung anwenden, existiert nicht in formeller gesetzlicher Form, sondern basiert häufig auf behördeninternen Regularien und ist zumeist auch nicht gerichtlich einklagbar.29 Die Diskussionen um bestimmte Vorgaben, die eine Behörde bei ihrer Entscheidungsfindung einhalten muss, dreht sich daher auch vornehmlich nicht um formale Vorgaben, wie ein administratives Verfahren abzulaufen hat, sondern um die grundlegenden Rechte, die denjenigen, die von der Entscheidung berührt werden, während des Entscheidungsprozesses zu gewähren sind, um ein gerechtes Verfahren zu garantieren.30
4. Der vorliegend zu Grunde gelegte Verwaltungsverfahrensbegriff Eine gemeinsame Betrachtung des Verwaltungsverfahrens der beiden Rechtssysteme muss die funktionale Gemeinsamkeit der beiden Begriffe einbeziehen. Als „Verwaltungsverfahren“ bezeichnet wird im Rahmen dieser Arbeit daher allgemein die Tätigkeit der Exekutive auf dem Weg zu einer Entscheidung, die selbst hingegen nicht zwingend eine rechtsförmige Entscheidung oder eine Entscheidung im rechtlichen Sinne sein muss.31 Obwohl so im Rahmen der Arbeit ein sehr weites Verständnis des Verwaltungsverfahrens zu Grunde gelegt wird, um grundsätzliche 27 Zu den verschiedenen Unterscheidungsversuchen Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 355 ff. Rdnr. 6 – 031 ff. 28 Ridge v Baldwin (1964) AC 40; R v Gaming Board, ex parte Benaim und Khaida (1970) 2 QB 417 (430); O’Reilly v Mackman (1983) AC 23 Rdnr. 279; zu dieser Entwicklung noch Kapitel 3 A. II. 1. c). 29 Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 191 ff. 30 Endicott, Thomas, Administrative Law, S. 111 ff. 31 Siehe zu dem Bereich des „informellen“ Verwaltungshandelns zur Informationsgewinnung in diesem Zusammenhang unter anderem Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 157 ff.; Hill, Hermann, Verwaltungskommunikation und Verwaltungsverfahren unter europäischem Einfluss, in: Hill/Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 273 (295 ff.); ausführlich zu den Herausforderungen des Verwaltungsverfahrensrechts durch neue Informationstechniken Schmitz, Heribert, Änderung des Verwaltungsverfahrensrechts durch moderne Informationstechniken, in: Schmidt-Aßmann/ Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 677 ff.
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Kap. 1: Einleitung
Entscheidungen der Rechtssysteme zu erläutern und aktuelle Entwicklungen aufzuzeigen, bleibt das Hauptaugenmerk doch zumeist auf Einzelfallentscheidungen der Träger öffentlicher Gewalt gelegt, insbesondere in Bezug auf untersuchte gesetzliche Regelungen. Ähnliches gilt für die heute häufig betonte32 Bedeutung des internen Verfahrens der Verwaltung, also der innerhalb der Verwaltung ablaufenden Verfahrensschritte der Koordinierung. Zwar wurde die notwendige Aufmerksamkeit für derlei intra- oder interadministrative Verfahrenselemente vielfach herausgearbeitet.33 Im Rahmen der hier angestellten Überlegungen zum Rechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren werden jedoch zuvörderst Verfahrensgarantien im Außenverhältnis zum Bürger, wie vor allem Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte, dargestellt. In diesem Bereich können zum einen die verschiedenen – teilweise unmittelbar auf die Findung einer materiellen Entscheidung gerichteten und teilweise hiervon unabhängigen – Funktionen des Verwaltungsverfahrens besonders deutlich aufgezeigt werden. Zum anderen gewinnt die Betrachtung von individuellen Verfahrensrechten dann eine besondere Bedeutung, wenn es um die deutsche Systementscheidung für den Individualrechtsschutz geht. 5. Verschiedenartigkeit von Verwaltungsverfahren Aufgrund der vielschichtigen Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung ist es zudem schwierig, von „einem“ oder „dem“ Verwaltungsverfahren zu sprechen.34
32 Zum staatlichen Innenbereich als wichtigen Bereich des verfahrensrechtlichen Denkens schon Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (20 ff.); siehe auch Hoffmann-Riem, Wolfgang, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz – Einleitende Problemskizze, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 9 (40 f.), der eine stärkere Verzahnung interner und externer Verfahrenselemente fordert; Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (317), bezeichnet den Bedeutungsgewinn des inneren Verfahrens als eine bedeutende Facette der heutigen Diskussion über den Eigenwert des Verwaltungsverfahrens; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 231 ff., nennt die Stärkung von Regelungen des inneren Verfahrens und die damit korrespondierende Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle desselben eine Erscheinungsform gegenwärtig stattfindender Prozeduralisierung; hierzu auch Held, Jürgen, Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht der Rechtsanwender: Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Hill/Sommermann/Stelkens/Ziekow (Hrsg.), 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven, 2011, S. 69 (71); entscheidend für den Begriff des „inneren Verfahrens“ Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 286, und ders, Verwaltungskommunikation und Verwaltungsverfahren unter europäischem Einfluss, in: Hill/Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 273 (274, 297). 33 Vgl. bereits Fn. 32. 34 U. a. von Mutius, Albert, Gerichtsverfahren und Verwaltungsverfahren, in: Erichsen/ Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 575 (581); Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1286).
B. Anmerkungen und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
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Vielmehr bestimmt sich die Art des angewendeten Verfahrens in einem konkreten Fall nach der Art der zu erzielenden Entscheidung. So lassen sich sowohl Verfahren, die auf den Erlass einer Genehmigung, also nach deutschem Verständnis eines Verwaltungsakts, gerichtet sind, als auch Planungsverfahren, an deren Ende etwa ein Flächennutzungs- oder ein Bebauungsplan in wiederum unterschiedlichen Rechtsformen entsteht, als „Verwaltungsverfahren“ bezeichnen. Es bestehen nicht nur Unterschiede im Gang dieser verschiedenen Verwaltungsverfahren; auch die möglicherweise während des Verfahrens auftretenden Fehler können verschiedenster Art sein und verschiedenste Fehlerfolgen nach sich ziehen.35 Ferner sind aber auch solche Vorschriften dem Verwaltungsverfahrensrecht zuzuordnen, die sich nicht auf den Gang eines konkreten Entscheidungsprozesses beziehen, sondern als Vorschriften für „anlassunabhängige Verfahren“36 zu beachten sind. Hierzu zählen vor allem Vorschriften des Datenschutzes, insbesondere § 30 VwVfG, oder des im IFG geregelten Informationszugangs, welche die Verwaltung nicht nur innerhalb eines konkreten Verfahrens und nicht nur gegenüber den an einem Verwaltungsverfahren Beteiligten verpflichten. Diese Weite im Anwendungsbereich verfahrensrechtlicher Vorgaben gilt für das englische ebenso wie für das deutsche Recht.37 Die Vielfältigkeit von Verfahren, die als „Verwaltungsverfahren“ bezeichnet werden können, wird in England darüber hinaus dadurch deutlich, dass es ein sehr bedeutendes administratives Rechtsschutzsystem gibt – das administrative tribunal system. Obgleich Verfahren vor diesen Tribunalen stark an gerichtliche Verfahren angelehnt sind, so sind sie doch im weitesten Sinne administrative Entscheidungsverfahren. Dass sich dadurch eine erhebliche Reichweite des Verwaltungsverfahrensbegriffs ergibt, bedeutet jedoch nicht, dass es nicht allgemeine Aussagen darüber geben kann, welchen Vorgaben ein jedes Verwaltungsverfahren zu genügen hat und welche Rechte dem einzelnen von einem Verwaltungsverfahren Betroffenen gegebenenfalls zustehen. Es muss jedoch auf die besonderen Gegebenheiten des speziell in Rede stehenden Verwaltungsverfahrens ankommen, wenn es um die genaue Ausgestaltung solcher Rechte und deren eventuell mögliche gerichtliche Durchsetzung geht. Die Rolle eines einzelnen Bürgers ist in einem ihn unmittelbar betreffenden Verwaltungsverfahren, das etwa auf die Erteilung einer Bau- oder sonstigen Genehmigung an diesen Bürger gerichtet ist, eine andere als in einem großen Planverfahren, etwa bei der Planung einer Fernstraße oder eines sonstigen größeren Bauvorhabens. Diese Unterschiede gilt es bei der Untersuchung von Aufgabe und Funktion des Verwaltungsverfahrens, aber auch bei der Untersuchung der Rechte des Einzelnen innerhalb 35
Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 86 ff. Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 51, auch zum Folgenden. 37 Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedure: A Study of administrative procedures, 1996, S. 230 ff. 36
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Kap. 1: Einleitung
eines solchen Verfahrens und deren – gegebenenfalls gerichtlicher – Durchsetzung im Auge zu behalten. Andererseits schließen die beschriebenen Unterschiede nicht aus, dass es allgemeine Verfahrensgrundsätze auch für das Verwaltungsverfahren geben kann, insbesondere wenn diese sich aus dem Verfassungsrecht des jeweiligen Staats herleiten lassen.38
II. Verwaltungsentscheidung Wie bereits angeklungen, wird vorliegend in Anlehnung an den verwendeten weiten Begriff des „Verwaltungsverfahrens“ auch ein weites Verständnis der „Verwaltungsentscheidung“ zu Grunde gelegt. Es werden hierunter alle materiellen Ergebnisse verstanden, zu denen die Verwaltung nach oder während der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens gelangt. Auf die Rechtsform dieses Ergebnisses soll es bei der Betrachtung der Bedeutung des Verwaltungsverfahrens als solchen zunächst nicht ankommen, auch um einen möglichst umfassenden Vergleich der Herangehensweise beider Rechtssysteme an die damit verknüpften Fragen sicherstellen zu können. Um das grundsätzliche Verständnis der Bedeutung verfahrensrechtlicher Vorgaben und des Rechtsschutzes gegen Verfahrensfehler im deutschen und im englischen Rechtssystem darzustellen, wird jedoch größtenteils auf Einzelfallentscheidungen der Verwaltung und auch auf die Rechtsschutzmöglichkeiten bei Verfahrensfehlern in diesem Bereich abgestellt. Um den allgemeinen Umgang mit Verfahrensfehlern sowie dessen Entwicklung darzustellen, wird teilweise allerdings auch auf in anderer Rechtsform ergehende Verwaltungsentscheidungen, wie planungsrechtliche Satzungen oder den englischen development plan, einer Mischung aus Bebauungs- und Flächennutzungsplan nach deutschem Verständnis, verwiesen.
III. Verfahrensrechtsverletzung und Verfahrensfehler Als „fehlerhaft zustande gekommen und mit einem Verfahrensfehler behaftet“ werden in der vorliegenden Arbeit allein solche Verwaltungsentscheidungen bezeichnet, die zum Zeitpunkt der Beendigung des Verwaltungsverfahrens – in der auf den deutschen Verwaltungsakt bezogenen Terminologie damit mit der Bekanntgabe39 – unter Nichtbeachtung einer Verfahrensvorgabe getroffen worden sind. Eine zunächst unterlassene vorgesehene Verfahrenshandlung, die noch unmittelbar innerhalb des laufenden Verwaltungsverfahrens durchgeführt wird, führt dem hier 38 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 71 ff., Rdnr. 86 ff., Rdnr. 498 f.; Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedure: A Study of administrative procedures, 1996, S. 229. 39 Vgl. Stelkens, Ulrich, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 41 Rdnr. 1.
C. Zur Methodik der Rechtsvergleichung
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zugrunde gelegten Verständnis nach nicht zu einer verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Verwaltungsentscheidung. Wo vereinzelt auf Fehler innerhalb eines Abwägungsvorgangs eingegangen wird, gilt dies der Verdeutlichung des Umgangs mit allgemeinen prozeduralen Vorgängen und soll nicht nahelegen, dass im Rahmen der Arbeit Fehler des Abwägungsvorgangs, entgegen dem herkömmlichen deutschen Verständnis,40 als Verfahrensfehler verstanden werden.41 Überdies wird davon ausgegangen, dass eine verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Verwaltungsentscheidung eine formell rechtswidrige Entscheidung ist. Nicht vertieft eingegangen werden kann in diesem Zusammenhang daher auf die inzwischen wohl allgemein positiv beantwortete Frage, ob ein Verfahrensfehler die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung überhaupt zwingend zur Folge hat.42 Es soll zuvörderst untersucht werden, wie die Rechtsordnung mit einer in diesem Ausmaße rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung umgeht, ob sie also „Sanktionsmöglichkeiten“ in Bezug auf die fehlerhafte oder unterbliebene Verfahrenshandlung selbst oder aber in Bezug auf die fehlerhaft zustande gekommene Entscheidung als solche zulässt. Einschränkend wird schließlich das Hauptaugenmerk auf Verfahrensfehler gelegt, die durch die Verletzung eines Verfahrensrechts entstanden sind, das dem einzelnen durch ein Verwaltungsverfahren Betroffenen oder der Öffentlichkeit eingeräumt wurde. Sonstige Verfahrens- oder Formfehler, insbesondere Zuständigkeitsfehler, müssen hingegen weitgehend außer Betracht bleiben.
C. Zur Methodik der Rechtsvergleichung Rechtsvergleichung bedeutet, zwei oder mehrere Rechtsordnungen wissenschaftlich zu betrachten und sie miteinander zu vergleichen.43 Ausgangspunkt einer solchen Analyse muss es sein festzulegen, welches Ziel oder welche Ziele mit der Untersuchung angestrebt werden. In der modernen Rechtswissenschaft wird es nicht mehr allein als Ziel der Rechtsvergleichung angesehen, Kenntnisse über andere Rechtssysteme zu erlangen. Vielmehr dient der Vergleich mit den Lösungen anderer Rechtsordnungen auch der Weiterentwicklung des eigenen Rechtssystems sowohl 40 Vgl. dazu nur Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 10 f. 41 Siehe zu der Möglichkeit eines solchen Vorgehens Kapitel 2 B. I. 1. a) cc) (2). 42 Für eine Darstellung der Diskussion dieser Frage in Bezug auf den Verwaltungsakt siehe mit zahlreichen Nachweisen nur Baumeister, Peter, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsaktes, 2006, S. 127 ff.; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 801, sprechen von einem „Konsens“ darüber, dass Verfahrensfehler als unmittelbare Rechtsfolge die (formelle) Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung auslösten. 43 Hasse, Florian, JA 2005, 232.
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Kap. 1: Einleitung
bei der Entwicklung neuer Gesetzesvorhaben als auch bei der genauen Auslegung der Herangehensweise an ein bereits geregeltes Rechtsproblem.44 Gerade im Rahmen der Europäischen Union dient der Vergleich verschiedener Lösungsansätze in den verschiedenen europäischen Rechtsordnungen schließlich auch der Vorbereitung einer Vereinheitlichung und Harmonisierung des Rechts.45 Hier hilft die rechtsvergleichende Vorarbeit zunächst dabei festzustellen, inwiefern die Lösungen der Mitgliedstaaten sich bereits gleichen. In einem zweiten Schritt unterstützt der Vergleich bei unterschiedlichen Ansätzen in den Mitgliedstaaten dabei, die bestmögliche Lösung für eine vereinheitlichende Richtlinie oder Verordnung zu finden.
I. Bedeutung der Rechtsvergleichung im und für das Verwaltungsrecht Besondere Bedeutung hatte die Rechtsvergleichung lange Zeit vor allem im Bereich des Privatrechts.46 Gerade in den letzten Jahren ist darüber hinaus jedoch auch das Öffentliche Recht und in dessen Rahmen besonders das Verwaltungsrecht immer mehr in den Fokus rechtsvergleichender Untersuchungen gerückt. Dies liegt nicht zuletzt an der wachsenden tatsächlichen Internationalisierung und Globalisierung auf der einen und der rechtlichen europäischen Integration auf der anderen Seite. Immer stärker verwobene wirtschaftliche Beziehungen über Ländergrenzen hinaus sowie die Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten mit den Organen der Europäischen Union, verstärkt auch auf verwaltungsrechtlicher Ebene, machen einheitliche Verwaltungs- und Gerichtsverfahren notwendig.47 Andere europäische Rechtsordnungen haben – ebenso wie die deutsche – Einfluss auf das europäische Recht, das wiederum einen großen Einfluss auf die nationalen Rechtsordnungen und vermehrt auf deren Verwaltungsrecht ausübt. So müssen auch die Rechtstraditionen anderer europäischer Länder verstärkt bei der Entwicklung oder Auslegung des jeweiligen nationalen Verwaltungsrechts Beachtung finden.48 Seit geraumer Zeit können deshalb die verschiedenen europäischen Rechtssysteme und die innerhalb 44
Zweigert, Konrad/Kötz, Hein, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 15. Zweigert, Konrad/Kötz, Hein, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 23 f.; Schneider, Jens-Peter, Einleitende Bemerkung zur Verwaltungsrechtsvergleichung, in: Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht in Europa, 2007, Bd. I S. 25 (29), auch zum Folgenden. 46 Ebert, Kurt Hanns, Rechtsvergleichung – Einführung in die Grundlagen, 1978, S. 22; Sommermann, Karl-Peter, DÖV 1999, 1017 f. 47 Nehl, Hanns Peter, Administrative Law, in: Smits, Jan, Elgar Encyclopedia of Comparative Law, S. 19; Sommermann, Karl-Peter, DÖV 1999, 1017 (1019). 48 Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1286); allgemein zu Fragen der Methode bei der Betrachtung verschiedener europäischer Rechtssysteme und deren Einflüsse aufeinander Ruffert, Matthias, The Transformation of Administrative Law as a Transnational Methodological Project, in: Ruffert (Hrsg.), The Transformation of Administrative Law in Europe, 2007, S. 3 (4 ff.). 45
C. Zur Methodik der Rechtsvergleichung
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der Systeme getroffenen Regelungen weder vollkommen isoliert voneinander noch ohne Berücksichtigung unionsrechtlicher Einwirkungen betrachtet werden. Der beschlossene Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union („Brexit“) und der European Union (Withdrawal) Act 2018 beenden zwar zunächst die unmittelbare Einwirkung europäischer Gesetzgebung auf das nationale englische Recht. Ob hierdurch jedoch eine vollkommene Herausnahme englischen Rechts aus dem Einfluss anderer europäischer Rechtssysteme und auch des europäischen Rechts einhergeht, ist nicht zwingend49 und bleibt abzuwarten. Eine schon lange akzeptierte Aufgabe der Rechtsvergleichung im Verwaltungsrecht ist es, die bestmögliche und effizienteste Lösung für Fälle zu finden, in denen eine Berührung mit mehreren Ländern und Rechtssystemen gegeben ist. Ein Rückgriff auf an sich fremde Rechtsinstitute aus anderen Rechtssystemen kann aber auch dabei helfen, das eigene Verwaltungs- und insbesondere das Verwaltungsverfahrensrecht effizienter zu gestalten.50 Ebenso ist es durch eine rechtsvergleichende Untersuchung möglich aufzudecken, ob es effektivere oder wirksamere Modelle des Rechtsschutzes gibt, deren Einbeziehung in das deutsche Rechtssystem denkbar ist. Derlei Überlegungen zu effektiveren, effizienteren, kostengünstigeren oder auch wirksameren Modellen des Verwaltungsverfahrens oder des verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes werden zunehmend mit Verweis auf einen „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ bei der Schaffung möglichst innovations- und wettbewerbsfreundlicher Strukturen angeführt.51 Hier werden nationale Rechtsordnungen und insbesondere die Funktionsfähigkeit der Verwaltung52, aber auch die Rechtssicherheit und die Möglichkeit, Rechtsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen53 zu erlangen, zu wesentlichen Standortfaktoren. Über die Einwirkungen hinaus, welche die immer mehr miteinander in Berührung gelangenden europäischen Rechtssysteme aufeinander ausüben, gehen, wie bereits angeklungen, innerhalb der Europäischen Union die Einflüsse des europäischen Rechts auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Eine Untersuchung der oben aufgezeigten Systementscheidungen beider hier betrachteten Rechtssysteme ist danach ohne einen Blick auf die von Seiten des europäischen Rechts kommenden oder mit Blick auf den bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zumindest zurzeit noch bestehenden Einflüsse nicht möglich. Wurde zu 49
Vgl. nur die Einschätzung von Forrester, Ian, JR 2018, 45. Nehl, Hanns Peter, Administrative Law, in: Smits, Jan, Elgar Encyclopedia of Comparative Law, S. 20 f. 51 Meessen, Karl Matthias, Souveränität im Wettbewerb der Systeme, in: Götz/Selmer/ Wolfrum (Hrsg.), Liber amicorum Günther Jänicke, 1998, S. 667 (668 f.); Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 151; siehe auch Püttner, Günter/Guckelberger, Annette, JuS 2001, 218. 52 Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 152. 53 Höffe, Otfried, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 1999, S. 1 ff., beschreibt insbesondere Demokratie, Grundrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit als wichtige Standortfaktoren. 50
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Kap. 1: Einleitung
Beginn der „Europäisierung“54 des mitgliedstaatlichen Rechts und insbesondere des Verwaltungsrechts noch von „rein punktuellen Einwirkungen“ des europäischen Rechts auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gesprochen, die es auch als solche punktuell umzusetzen galt, wird zunehmend von einem weiter gehenden, gar systematischen Einfluss des europäischen Rechts auf die Verwaltungsrechtsordnungen ausgegangen.55 Hierbei geht es nicht allein um die Umsetzung europäischer Rechtsakte unmittelbar in das nationale Recht, sondern ebenso um den Einfluss, den das Unionsrecht durch die vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Prinzipien der Äquivalenz und der Effektivität auf die nationalen Rechtsordnungen ausübt. Bedeutung erlangt die rechtsvergleichende Untersuchung, die eine Betrachtung der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben in den einzelnen Mitgliedstaaten umfasst, damit auch bei der Beantwortung der Frage, inwieweit europäische Einflüsse zu einer gewissen Vereinheitlichung verschiedener Rechtssysteme geführt haben.56 Auch im Falle eines Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union lassen sich die bereits bestehenden Veränderungen des englischen Rechts aufgrund europäischer Einflüsse in dieser Form darstellen. Hierbei kann zurzeit noch nicht abgesehen werden, inwieweit der „Brexit“ zu einer – vollständigen oder teilweisen – Entflechtung des nationalen englischen Rechts von den bereits erfolgten Einflüssen des Unionsrechts führt57 und so auch Auswirkungen auf die im Folgenden zu zeigende teilweise Angleichung des englischen und deutschen Rechtssystems haben wird. Rechtsvergleichende Untersuchungen im Verwaltungsrecht können auch das Aufdecken von universellen oder zumindest europäisch einheitlichen Prinzipien des Verwaltungsrechts voranbringen. Ob und inwiefern es derlei Prinzipien oder gemeinsame Traditionen gibt, ist bedeutender Bestandteil der europäischen verwaltungsrechtlichen Diskussion.58 Auf gemeinsame Verfassungs- oder Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten greift auch der Gerichtshof der Europäischen Union ausweislich seiner Rechtsprechung zurück, die sowohl Prinzipien der Mitgliedstaaten 54 Zu Bedeutung und Entwicklung dieses Begriffs nur Schmidt-Aßmann, Eberhard, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1. Kapitel Rdnr. 50 ff. 55 Kahl, Wolfgang, Die Verwaltung 42 (2009), 463 (467 f.); grundlegend hierzu von Danwitz, Thomas, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996. 56 Insbesondere in Bezug auf das Umweltrecht Epiney, Astrid, NVwZ 2014, 465. 57 Zu den diesbezüglichen Schwierigkeiten Goran, Richard/Moffatt, Rowena, Brexit: The Immediate Legal Concequences, 2016, 19 ff. 58 Vgl. dazu nur Chiti, Mario, European Public Law 1995, 241; Himsworth, Chris, Convergence and Divergence in Administrative Law, in: Beaumont/Lyons/Walker (Hrsg.), Convergence and Divergence in European Public Law, 2002, S. 99; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Administrative Law in Europe: Between Common Principles and National Traditions, in: Ruffert (Hrsg.), Administrative Law in Europe: Between Common Principles and National Traditions, 2013, S. 3 (8); sowie die verschiedenen Werke zu den Verwaltungssystemen Europas, hierunter Bogdandy/Cassese/Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, 2010; Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht in Europa, 2007; Schwarze, Jürgen, Europäisches Verwaltungsrecht, 2005; Axer/Grzeszick/Kahl/Mager/Reimer (Hrsg.), Das Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase, 2010.
C. Zur Methodik der Rechtsvergleichung
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übernimmt als auch teilweise hieran angelehnt eigene Prinzipien zum Verhältnis zwischen Einzelnem und Staat aufstellt.59 Auch in Bezug auf die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens für das Treffen einer rechtmäßigen Verwaltungsentscheidung und damit zusammenhängend in Bezug auf die Reichweite eines Rechtsschutzes gegen verfahrensfehlerhaft getroffene Verwaltungsentscheidungen ermöglicht es die vergleichende Betrachtung, denkbare gemeinsame Herangehensweisen des deutschen und englischen Rechtssystems, aber auch des europäischen Rechts aufzudecken.
II. Wahl des englischen Rechtssystems als Referenzgebiet Das englische Rechtssystem und insbesondere das englische Verwaltungsrecht60 sind für einen Vergleich mit dem deutschen Recht zunächst bereits deshalb von Interesse, weil sowohl die Systeme an sich als auch die vorliegend untersuchten traditionellen Herangehensweisen zu den Fragen der Bedeutung der Gerichtskontrolle, des Werts der Verfahrensgerechtigkeit und des subjektiven Rechtsschutzes auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten. Ein grundlegender Unterschied zwischen dem deutschen und dem englischen Rechtssystem ergibt sich bereits aus deren jeweiliger Zuordnung zu der Rechtsordnung des Civil Law auf der einen und des Common Law auf der anderen Seite. Es gilt daher, im Rahmen der Untersuchung den Grundsatz im Auge zu behalten, dass allgemeine Lösungen für ein bestimmtes Problem untersucht werden sollen, das sich einer jeden – zumindest einer jeden europäischen – Rechtsordnung in ähnlicher Weise stellt.61 Ausgangspunkt der Untersuchung ist das Grundprinzip der Funktionalität, also die Annahme, dass die zu untersuchenden Instrumente sich in ihrer Funktion und Aufgabe derart ähneln, dass ein Vergleich sinnvoll möglich ist.62 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Analyse voraussetzt, dass die zu vergleichenden Rechtsordnungen über dieselben Rechtsinstitute zur Lösung eines Problems verfügen. Vielmehr muss die Frage lauten, wie verschiedene Rechtsordnungen mit einem Problem umgehen und ob sie für dieses Problem grundlegend verschiedene oder doch ähnliche Lösungsansätze bieten. Unter den soeben dargestellten Gesichtspunkten der rechtsvergleichenden Untersuchung im Verwaltungsrecht ist es Ziel der vorliegenden Arbeit, zunächst die verschiedenen traditionellen Lösungen bezogen auf das Problem des Rechtsschutzes 59 Zu der hierbei angewendeten Methode des EuGH Bleckmann, Albert, DÖV 1993, 837 (838 ff.). 60 Zu der in England zögerlichen Entwicklung hin zu einem eigenständigen Rechtsgebiet des Verwaltungsrechts Kapitel 3 B. II. 2. a). 61 Zweigert, Konrad/Kötz, Hein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, S. 33. 62 Zweigert, Konrad/Kötz, Hein, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 33; Schneider, Jens-Peter, Einleitende Bemerkung zur Verwaltungsrechtsvergleichung, in: Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht in Europa, 2007, Bd. I S. 25 (30 f.).
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Kap. 1: Einleitung
bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren darzustellen und sodann zu untersuchen, inwieweit sich diese ursprünglichen Systementscheidungen im Laufe der Zeit und insbesondere im Zuge der zumindest in Vergangenheit und Gegenwart noch bestehenden Europäisierung verändert haben. Es werden daher stets zu Beginn eines jeden Kapitels die Herangehensweisen im Rahmen der dargestellten Systementscheidungen der beiden Rechtssysteme einander gegenübergestellt. Zum anderen sollen diese Systementscheidungen jedoch auch im Lichte aktueller Entwicklungen und Veränderungen betrachtet werden, um eine mögliche Annäherung beider Rechtssysteme zu untersuchen. So wird im Anschluss unter Darstellung aktueller Entwicklungstendenzen herausgearbeitet, ob insoweit noch von der Aufrechterhaltung dieser Systementscheidungen ausgegangen werden kann. Im Rahmen dessen soll überdies aufgezeigt werden, wie eng verknüpft einzelne solcher Entscheidungen eines jeden Rechtssystems sein können und wie sich daher Veränderungstendenzen innerhalb des gesamten Systems auswirken. Ob und wie das englische und das deutsche Verwaltungsrecht bestimmte Veränderungstendenzen und -diskussionen insbesondere in Bezug auf die drei eingangs beschriebenen Systementscheidungen aufnehmen und wie sich diese Veränderungen auf die jeweils anderen Systementscheidungen auswirken, ist daher ebenfalls Gegenstand der folgenden Kapitel.
Kapitel 2
Die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen Innerhalb eines Rechtssystems, das auf der Trennung der Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative beruht, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Entscheidungen zu kontrollieren, die innerhalb der verschiedenen Gewalten getroffen werden.1 Auf der einen Seite steht hierbei die Selbstkontrolle oder interne Kontrolle – die Kontrolle innerhalb einer Gewalt als solcher. Gewisse Entscheidungen sollen gerade im Hinblick auf die Gewaltenteilung grundsätzlich innerhalb einer Gewalt getroffen werden und dort auch verbleiben. Auf der anderen Seite muss es, gerade um den Einfluss einer einzelnen Gewalt nicht zu groß werden zu lassen, auch zwischen den Gewalten zu gewissen Kontrollmöglichkeiten kommen. Wie ausgeprägt jedoch ein solcher zwischen den Gewalten stattfindender Kontrollmechanismus ist, kann in verschiedenen Rechtssystemen unterschiedlich beantwortet werden.
A. Umfassende gerichtliche Überprüfbarkeit oder weite Entscheidungsspielräume der Verwaltung Gegen mutmaßlich fehlerhafte Entscheidungen der Verwaltung kann auf unterschiedliche Weise vorgegangen werden. Zum einen gibt es die Möglichkeit, solchen Entscheidungen außergerichtlich abhelfen zu lassen, etwa durch informales Herantreten an die handelnde Behörde, aber auch durch formalisierte außergerichtliche Verfahren wie die Mediation. Zu einem außergerichtlich organisierten Rechtsschutzapparat sind auch solche Gremien zu zählen, die innerhalb der Verwaltung häufig zur Kontrolle bestimmter Behörden geschaffen werden und an die sich Betroffene unmittelbar wenden können. Daneben tritt ergänzend oder auch vordergründig der gerichtliche Rechtsschutz – die Überprüfung exekutiver Entscheidungen durch ein unabhängiges und der Judikative zuzuordnendes Organ. Die Art des gewährten Rechtsschutzes gegen Verwaltungsentscheidungen, die ein Rechtssystem in 1
Auch zu Folgendem Kahl, Wolfgang, Begriffe, Funktionen und Konzepte von Kontrolle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III § 47 Rdnr. 70 ff.; zu dem Aspekt der Kontrolle in Bezug auf die Gewaltenteilung Poscher, Ralf, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 8 Rdnr. 24.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
den Vordergrund stellt – ob innerhalb der Exekutive oder durch die Judikative –, trifft so auch eine Aussage über das Verständnis des Verhältnisses beider Gewalten. Im Falle der Betonung des gerichtlichen Rechtsschutzes soll der Judikative die grundsätzliche Letztentscheidungsbefugnis über die Rechtmäßigkeit exekutiver Entscheidung zukommen.2 Ein weiter autonomer und gerichtlich nicht zu kontrollierender Entscheidungsbereich der Exekutive wird nicht anerkannt. Wird hingegen die exekutive Selbstkontrolle in den Vordergrund gestellt, wird dadurch auch deutlich, dass bestimmte Entscheidungskompetenzen der Verwaltung final zugeordnet und durch die Gerichte auch nicht in Frage gestellt werden sollen.3 Hieraus folgt wiederum eine Bestimmung dazu, wie weit der Kontrollumfang der Gerichte geht und welche Bereiche der Entscheidung er umfasst. Liegt es an den Gerichten, die Rechtmäßigkeit einer solchen Entscheidung final festzustellen und zu garantieren, ist es sodann auch diese materielle Rechtmäßigkeit, die der Überprüfung standhalten muss. Das Verfahren, das zu der Entscheidung geführt hat, tritt in den Hintergrund.4 Ist diese Art der Kontrolle den Gerichten hingegen weitestgehend entzogen, da sie sich in die der Exekutive zugeordnete Angelegenheiten weitgehend nicht einmischen sollen, bleibt es zumeist bei einer detaillierten Überprüfung des Verfahrens, das zu der Entscheidung in der Sache geführt hat.5
I. Die Betonung des umfassenden gerichtlichen Rechtsschutzes und der gebundenen Verwaltung in Deutschland Art. 19 Abs. 4 GG garantiert demjenigen, der von der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt worden ist, die Möglichkeit, hiergegen um Rechtsschutz vor Gericht nachzusuchen. Neben dieser verfassungsrechtlich geschützten Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes treten ergänzend6 Möglichkeiten, eine Selbst- oder Eigenkontrolle der Verwaltung durch die entscheidende Behörde selber oder eine übergeordnete Stelle7 zu veranlassen, sowie vermehrt auch außergerichtliche Modelle der Streitschlichtung. 2 Im Speziellen für das deutsche gerichtszentrierte Kontrollsystem Schoch, Friedrich, Gerichtliche Verwaltungskontrolle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III § 50 Rdnr. 4 f., 9, 257, 263. 3 In Bezug auf das englische verwaltungsinterne Kontrollsystem dazu Spoerr, Wolfgang, VerwArch 82 (1991), 25 (33). 4 So für das deutsche Rechtssystem Rupp, Hans Heinrich, Bemerkungen zum verfahrensfehlerhaften Verwaltungsakt, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 151 (161 f.). 5 Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. 241. 6 Hufen, Friedhelm, Verwaltungsprozessrecht, § 1 Rdnr. 23. 7 Siehe zur Einteilung von Kontrollmöglichkeiten der Verwaltung in Eigen- und Fremdkontrolle Schmidt-Aßmann, Eberhard, Verwaltungskontrolle – Einleitende Problemskizze –, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungskontrolle, 2001, S. 9 (18 ff.).
A. Gerichtliche Überprüfbarkeit oder weite Entscheidungsspielräume
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Verfassungsrechtlich also vor allem durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützt, bietet die Möglichkeit, eine Verwaltungsentscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen, zunächst die wichtigste Art des Rechtsschutzes gegen eine Verwaltungsentscheidung.8 Der Schutz des Einzelnen und seiner individuellen Freiheit ohne ungerechtfertigte staatliche Einflüsse steht in Deutschland im Zentrum der Rechtsordnung.9 Dies verdeutlicht die herausragende Bedeutung der Grundrechte, exemplarisch die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG und die Möglichkeit der unmittelbaren Durchsetzung dieser Rechte mittels der Verfassungsbeschwerde. Als Korrelat hierzu sichert Art. 19 Abs. 4 GG jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt worden ist, die Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes zu. Zwar wird auch die rechtsschützende Funktion des Verwaltungsverfahrens als solches vermehrt diskutiert,10 doch bleibt der gerichtliche Rechtsschutz gerade durch seine verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 19 Abs. 4 GG die grundlegende Rechtsschutzmöglichkeit. Vornehmlich diese wird dem traditionellen und grundsätzlichen Verständnis nach als wirksamer Rechtsschutz verstanden.11 Mit der Fokussierung auf den gerichtlichen Rechtsschutz einher geht die Vorstellung einer umfassenden gerichtlichen Kontrollierbarkeit von Verwaltungsentscheidungen und damit auch der Letztentscheidungskompetenz des Verwaltungsgerichts über weitgehende originär der Exekutive zugeordnete Entscheidungsbereiche.12 Das deutsche Verwaltungsrecht zeichnet sich, blickt man auf die systemische Grundentscheidung, durch eine gewisse „Phobie“13 gegenüber nicht gerichtlich kontrollierbaren Beurteilungs- und Ermessensspielräumen der Verwaltung aus. Insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und damit auch gerade als 8 Kahl, Wolfgang, Begriff, Funktionen und Konzepte von Kontrolle, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III § 47 Rdnr. 127. 9 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 14, auch zu Folgendem. 10 Dass dies keine ganz neue Entwicklung ist, zeigen die Ausführungen bei Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz 1974, insbesondere S. 57, zu der Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG bei einer möglichen „Verschiebung“ des gebotenen Rechtsschutzes von dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren in das Verwaltungsverfahren; zur rechtsschützenden Funktion des Verwaltungsverfahrens näher Kapitel 3 A. I. 3. c). 11 In Abgrenzung zu dem im amerikanischen Rechtssystem vorherrschenden System der Selbstkontrolle der Verwaltung Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 28. 12 Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 31. 13 Wahl, Rainer, Das deutsche Genehmigungs- und Umweltrecht unter Anpassungsdruck, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel: Bilanz und Perspektive aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Gesellschaft für Umweltrecht (GfU), 2001, S. 237 (258), Fn. 64; Kahl, Wolfgang, Die Europäisierung des Verwaltungsrechts als Herausforderung an Systembildung und Kodifikationsidee, in: Axer/Grzeszick/Kahl/Mager/Reimer (Hrsg.), Das Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase, 2010, S. 39 (69).
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
Reaktion auf die Erfahrungen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes wurden gerichtlich nicht überprüfbare Entscheidungsfreiräume der Verwaltung weitgehend begrenzt14 und die Bindung der Verwaltung an das Gesetz als eine der Errungenschaften des Rechtsstaats bezeichnet. Das materielle Recht sollte dementsprechend Entscheidungen der Verwaltung möglichst genau im Sinne eines konditionalen Normenprogramms15 vorgeben. Verwaltungsentscheidungen wurden als weitgehend reine Vollzugsentscheidungen angesehen. Auch eine anschließend auf die materielle Rechtmäßigkeit ausgerichtete vollständige Ergebniskontrolle durch die Gerichte wird damit ermöglicht. Vergleichbar mit der Anwendung von Normen des Straf- oder Zivilrechts sollen die Auslegung eines Tatbestands und die Subsumtion des Einzelfalls hierunter auch im Verwaltungsrecht gerichtlich nachzuvollziehende Rechtsfragen darstellen.16 Auch wenn im Normenprogramm verwendete Begriffe verschiedene Auslegungen zulassen, hat die Verwaltung bei dieser Auslegung rechtliche Maßstäbe anzulegen, die eine umfassende gerichtliche Kontrolle wiederum möglich machen.17 Es sind deshalb die Gerichte, die schlussendlich mit der Fest- und Sicherstellung der materiellen Rechtmäßigkeit exekutiver Entscheidungen beauftragt werden.
II. Die Betonung exekutiver Entscheidungsspielräume und die zurückgenommene Gerichtskontrolle in England Der Schutz vor fehlerhaften Verwaltungsentscheidungen ist in England aufgeteilt in einen außergerichtlichen Kontrollmechanismus, der insbesondere von den administrative tribunals getragen wird, und den gerichtlichen Rechtsschutz im Rahmen des judicial review. Anders als in Deutschland steht in England traditionell nicht die gerichtliche Überprüfung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen im Zentrum der Rechtsschutzmöglichkeiten. Vielmehr sind es vornehmlich nicht der Gerichtsbarkeit zu14 Siehe zu dieser Entwicklung m.w.N. Bullinger, Martin, JZ 1984, 1001 (1003 f.); Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (150 f.). 15 Eingehend zu der vornehmlichen konditionalen Normstruktur des deutschen Verwaltungsrechtssystems auch im Vergleich zu der eher finalen Rechtsetzung in anderen Verwaltungsrechtssystemen Breuer, Rüdiger, AöR 127 (2002), 523 ff. 16 Zur Dichotomie des Verfahrensgedankens und der Vorstellung von materieller Gesetzestatbestandlichkeit Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (15); dass eine vollkommen automatisierte Subsumtion eines Lebenssachverhaltes unter eine Norm oder ein reiner Vollzug ohnehin nicht denkbar ist, sondern auch konditional formulierte Normen im Allgemeinen der Umsetzung bedürfen, darf hingegen nicht übersehen werden; dazu m.w.N. Dreier, Horst, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 159 ff. 17 Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 83.
A. Gerichtliche Überprüfbarkeit oder weite Entscheidungsspielräume
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zuordnende, zumeist auf einzelne Behörden und deren Entscheidungen spezialisierte Tribunale, welche die Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen übernehmen. Auch das Beschwerdesystem der ombudsmen18 stellt eine Form der alternativen, nicht der gerichtlichen Kontrolle zuzuordnenden Verwaltungskontrolle dar. Im Gegensatz zu der Kontrolle der Verwaltung vor Gericht ist es den innerhalb der Verwaltung angesiedelten Kontrollinstanzen möglich, Verwaltungsentscheidungen umfassend zu kontrollieren und diese gegebenenfalls nach Aufhebung auch durch eigene zu ersetzen.19 Die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen ist demgegenüber ihrem Inhalt nach grundsätzlich eingeschränkt. Regelmäßig wird bis heute betont, dass es nicht in der Macht des Gerichts stehe, eine eigene Entscheidung an die Stelle derjenigen der zunächst mit der Entscheidung betrauten Verwaltung zu setzen.20 Es ist ein traditioneller Grundsatz der mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vergleichenden Rule of Law, der insbesondere durch den Oxfordprofessor und wohl bedeutendsten viktorianischen Verfassungsrechtler Albert Venn Dicey geprägt wurde, dass vor dem Gesetz alle Rechtssubjekte gleich zu behandeln sind und es damit auch ein Sonderrecht der Verwaltung nicht geben kann – „In England the idea of legal equality, or of the universal subjection of all classes to one law administered by the ordinary courts, has been pushed to its utmost limit. With us every official, from the Prime Minister down to a constable or a collector of taxes, is under the same responsibility for every act done without legal justification as any other citizen.“21 Somit war lange Zeit auch die Entwicklung einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht denkbar. Vielmehr wurden Streitigkeiten zwischen Individuen und dem Staat von den ordentlichen Gerichten behandelt.22 Gerade auch weil spezielle Verwaltungsgerichte nicht existierten, war die Entwicklung der spezialisierten Tribunale entscheidend für das englische Kontrollsystem in Verwaltungssachen.23 Daneben bildet ein weiterer Verfassungsgrundsatz des englischen Rechtssystems einen Grund für die Zurückhaltung der Gerichte bei der Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen – das Prinzip der sovereignty oder supremacy of parliament. Obgleich die Macht der Gerichte innerhalb eines Systems des Common Law und der Möglichkeit der Gerichte, durch Präzedenzfälle selbst bindendes Recht zu setzen, 18 Eingeführt als Parliamentary Commissioner for Administration durch den Parliamentary Commissioner Act 1967. 19 Hierzu erläuternd Spoerr, Wolfgang, VerwArch 82 (1991), 25 (33). 20 Vgl. nur Craig, Paul, Administrative Law, S. 634 Rdnr. 21 – 002; Grey, Julian, Osgoode Hall Law Journal 17 (1979), 107 (113). 21 Dicey, Albert Venn, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 193; siehe hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 3 B. I. 2. a). 22 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 22; Baumgartner, Ulrich, Die Klagebefugnis nach dem deutschen Recht vor dem Hintergrund der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 36; Schwarze, Jürgen, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 133. 23 Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 669 f.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
vergleichsweise groß erscheint, ist diese Macht stets der des Parlaments untergeordnet.24 Nach dem Prinzip der supremacy of parliament kann nicht nur das Parlament jederzeit die Kontrollkompetenz oder die Macht der Gerichte beschränken, sondern es ist überdies auch das Parlament, das der Exekutive die Entscheidungsmacht zugewiesen hat,25 dem sich die Exekutive in letzter Instanz zu verantworten hat und nicht etwa der Gerichtsbarkeit.26 Auch Einzelne können sich demnach mittelbar nach der Weiterleitung durch einen Abgeordneten des Parlaments mit ihren Beschwerden wegen der fehlerhaften Verwaltung – maladministration – an den Parliamentary Ombudsman wenden. Diese besondere Bedeutung der Verantwortlichkeit vor dem Parlament gilt weiterhin, auch wenn die Rolle der Gerichte, im Rahmen des judicial review proceedings Entscheidungen der Exekutive kontrollieren zu können, in den letzten Jahren durchaus zugenommen hat.27 Wird daher im Folgenden von einer weiter reichenden Entscheidungsfreiheit der Verwaltung gesprochen, bezieht sich dies zumeist auf eine Freiheit gegenüber gerichtlicher Kontrolle. Demgegenüber ist die unmittelbare Verantwortlichkeit des einzelnen Ministers für Entscheidungen der ihm unterstellten Exekutive auf lokaler Ebene sehr viel stärker ausgeprägt als in Deutschland. So ist beispielsweise im Planungsrecht in Section 78 des Town and Country Planning Act 1990 als Rechtsmittel gegen einen Entwicklungsplan – development plan – einer lokalen Planungsbehörde zunächst die Beschwerde an den zuständigen Minister und erst gegen dessen Entscheidung der Antrag auf gerichtliche Überprüfung durch den High Court vorgesehen. Umgekehrt bedeutet dies, dass auch die innerhalb des Verwaltungsaufbaus vorgenommene Kontrolle und Verantwortlichkeit der lokalen Verwaltung
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Dicey, Albert Venn, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 60 f. Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 222, beschreibt es als ein „Dilemma“ der Gerichte bei der Überprüfung von Entscheidungen der Verwaltung, einerseits die Rule of Law und die Rechte Einzelner schützen zu müssen, aber andererseits den souveränen Willen des Parlaments, das der Verwaltung eine bestimmte Aufgabe zur Entscheidung übertragen hat, zu achten. 26 Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. xi, S. 11 ff., S. 205, hier insbesondere im Vergleich zur amerikanischen Herangehensweise der gerichtlichen Kontrolle administrativer Entscheidungen; Thomas, Robert, Legitimate Expectations and Proportionality in Administrative Law, 2000, S. 16 f.; Ridley, Frederick, Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts – Länderbericht Großbritannien: England ist anders? in: Hill/ Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 205 (208); auf diese große Bedeutung der politischen Verantwortlichkeit vor dem Parlament nimmt auch das House of Lords zur Rechtfertigung zurückgenommener verwaltungsgerichtlicher Kontrolle zuweilen Bezug, so in den Entscheidungen Local Government Board v Arlidge (1915) AC 120 (132 ff.) und Griffin v Lord Advocate (1950) SC 448 (451). 27 Masterman, Roger, Parliamentary Affairs 62 (2009), 476 (483 f., 489 f.); Goodwin, James, PL 2012, 445 (454); zu der Bedeutung der Verantwortlichkeit vor dem Parlament auch Lord Hoffmann in Secretary of State for the Home Department v Rehman (2003) 1 AC 153 Rdnr. 62. 25
A. Gerichtliche Überprüfbarkeit oder weite Entscheidungsspielräume
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gegenüber der zentralen Regierung betont wird.28 Gerade im Bereich der Planung wird damit die politische Verantwortlichkeit und Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen vor eine gerichtliche Kontrolle gestellt. Ein Eingreifen der Judikative in Planungsentscheidungen durch eine inhaltliche Kontrolle derselben wird grundsätzlich abgelehnt.29 Ist ein bestimmter Bereich der Verwaltung hingegen unabhängig, das heißt nicht der Verantwortung eines Ministers unterstellt, so ist die Kontrolle von deren Entscheidungen durch administrative tribunals umso bedeutender.30 Überdies wird allgemein der informelle Umgang zwischen der Verwaltung, die oftmals nicht mit Juristen besetzt ist, und dem Einzelnen betont. Unmittelbar in dieser Beziehung werden so auch regelmäßig Divergenzen über Entscheidungsinhalte ausgeräumt, ohne dass es der Anrufung eines Tribunals oder gar des Gerichts bedarf.31 Die herausragende Bedeutung der administrative tribunals, der ombudsmen und der informellen Beilegung von Streitigkeiten bedeuten hingegen nicht, dass es nicht auch Aufgabe der Gerichte ist, die Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat zu schützen. Es ist vielmehr ebenfalls ein bedeutender Aspekt der Rule of Law, dass sich die Exekutive an Recht und Gesetz zu halten hat, in Rechte des Einzelnen nicht eingreifen darf und dies auch durch die Gerichte abgesichert werden soll.32 Innerhalb dieser Grenzen kommt der Verwaltung jedoch grundsätzlich ein gewisser Entscheidungsspielraum zu. Die Annahme eines solchen Spielraums – einer discretion – ist die Regel und nicht die Ausnahme des englischen Verwaltungsrechts.33 Kommt es bei der Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen zu einer gerichtlichen Kontrolle, ist diese wiederum ihrem Inhalt nach entsprechend auf die Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Entscheidungsspielraums beschränkt, während eine in28 Loughlin, Martin, Großbritannien, in: Bogdandy/Cassese/Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, 2010, Bd. III, § 44 Rdnr. 28 ff. 29 Deutlich etwa Lord Hoffmann in Tesco Stores v Secretary of State for the Environment (1995) 2 All ER 636 (659): „No English court would countenance having the merits of a planning decision judicially examined […]. The result may be some lack of transparency, but that is a price that the English planning system, based upon central and local political responsibility, has been willing to pay for its relative freedom from judicial interference.“ 30 Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. 147 f. 31 Vgl. hierzu die Darstellung von Ridley, Frederick, Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts – Länderbericht Großbritannien: England ist anders? in: Hill/Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 205 (210 f.); Le Sueur, Andrew, Administrative justice and the rise of informal dispute resolution in England, in: Ruffert (Hrsg.), The Transformation of Administrative Law in Europe, 2007, S. 243 (245 ff.). 32 Besonders deutlich betont von Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 4, wo Verwaltungsrecht als das Recht definiert wird, das sich auf die Kontrolle exekutiver Macht bezieht. 33 „[…] no system of general rules can prescribe for every case. There must be discretionary power.“; so Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 4; „discretion lies at the heart of administrative activity“; vgl. Cane, Peter, Administrative Law, S. 132; zu der Bedeutung der administrative discretion noch Kapitel 3 A. II. 1. a) aa).
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
haltliche Überprüfung der eigentlichen Entscheidung im Ermessensbereich traditionell nicht denkbar ist.34 Auch hier wird das Bestreben deutlich, Entscheidungen der Exekutive inhaltlich nicht zu solchen der Gerichte zu machen. Das Gericht hat sich hingegen auf das Gebiet zu beschränken, in dem es nach englischem Verständnis „Experte“ ist – auf die Kontrolle des fairen Verfahrens.35
B. Auswirkungen der Systementscheidungen und deren Durchbrechung In ihren jeweiligen Systementscheidungen die Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems betreffend, muten das deutsche und das englische Rechtssystem gegensätzlich an. Im Folgenden werden die Auswirkungen der Systementscheidung, aber auch gewisse „Aufweichungen“ der traditionellen Herangehensweise innerhalb der einzelnen Rechtsschutzinstitute des Verwaltungsrechts dargestellt. Hierbei wird das Hauptaugenmerk auf den gerichtlichen Rechtsschutz und die Kontrollkompetenz der Verwaltungsgerichte gelegt. Überdies werden Möglichkeiten der internen Verwaltungskontrolle dargestellt. Ein zwischen diesen beiden Bereichen liegendes Kontrollsystem stellt das englische administrative tribunal system dar.
I. Der gerichtliche Rechtsschutz und die interne Verwaltungskontrolle in Deutschland Wie bereits gesehen, ist es in Deutschland vornehmlich die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung, die als Garant für deren rechtmäßiges Handeln angesehen wird. Daneben oder dem Gerichtsverfahren vorgelagert gibt es aber auch in Deutschland Möglichkeiten der exekutiven Selbstkontrolle, die für den Rechtsschutz des Bürgers bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren von Bedeutung sein können. 1. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihre Rechtsschutzgarantie Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtbarkeit als eines unabhängigen Bestandteils der Judikative des deutschen Rechtssystems reicht bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Sie ist damit eine relative junge Gerichtsbarkeit, insbe34 Vgl. Grey, Julian, Osgoode Hall Law Journal 17 (1979), 107 (113): „The rule that no review on the merits is possible and that the courts will not substitute their opinions for those of competent authorities is well-established“, unter Verweis auf u. a. Gana v MMI (1970) S.C.R. 699 und Bhadauria v MMI (1978) 1 F.C. 229 (231 f.). 35 Deutlich bei Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. 241: „They are experts in fair procedure, and in insisting on it they are in no way interfering with the substance of executive decisions“.
B. Auswirkungen der Systementscheidungen und deren Durchbrechung
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sondere wenn man die Zeit ihrer vollkommenen Bedeutungslosigkeit während der nationalsozialistischen Herrschaft berücksichtigt.36 Spätestens aber die Institutionalisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Art. 95 GG und die Zusicherung eines (weitgehend) lückenlosen Rechtsschutzes gegen rechtsverletzende Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG haben die Bedeutung der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Bestandteil der Judikative für den deutschen Rechtsstaat unmissverständlich betont. a) Kontrollumfang der Verwaltungsgerichte In Deutschland wird die Befugnis der Gerichte, Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen, traditionell,37 jedenfalls aber unter der Geltung des Grundgesetzes, als weitgehend vollumfänglich angesehen.38 Es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass es der Verwaltung möglich war, eine richtige Entscheidung zu fällen, und dies auch durch das Verwaltungsgericht überprüft wird. Den Gerichten wird die grundsätzliche Letztentscheidungsbefugnis39 zugestanden und so auch die Letztverantwortung für die inhaltliche Richtigkeit einer Verwaltungsentscheidung.40 Dieses Verständnis ist verfassungsrechtlich durch die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Rechtsgebundenheit der Verwaltung in Zusammenspiel mit Art. 19 Abs. 4 GG belegt, der dem Einzelnen einen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz im Falle einer Rechtsverletzung durch den Staat zusichert.41 Dem Rechtsschutz des Einzelnen wird insoweit auch ein Vorrang vor dem Interesse der Verwaltung eingeräumt, in exekutiven Entscheidungsbereichen nicht inhaltlich durch die Judikative kontrolliert zu werden.42 Das Leitbild des Art. 19 Abs. 4 GG als eine Garantie grundsätzlicher 36 Ramsauer, Ulrich, Die Wahrung des Verwaltungsrechtsschutzes aus gerichtlicher Sicht, in: Erbguth (Hrsg.), Verwaltungsrechtsschutz in der Krise: Vom Rechtsschutz zum Schutz der Verwaltung?, 2010, S. 71 (72). 37 Siehe für eine Darstellung der geschichtlichen Entwicklung dieser Herangehensweise Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 2 ff.; m.w.N. auch Breuer, Rüdiger, AöR 127 (2002), 523 (527 ff.); Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (147 ff.). 38 Zu der Einschränkung des Kontrollumfangs in Bezug auf den subjektiven Rechtsschutz siehe wiederum gesondert Kapitel 4 A. I. 1. und Kapitel 4 B. II. 1. a) aa). 39 Hierzu schon BVerwGE 5, 153 (162). 40 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 44; Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (176 f.); Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 31, auch mit einer Gegenüberstellung mit der Herangehensweise des amerikanischen Rechtssystems. 41 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 183. 42 Diesen Vorrang setzt Hirsch, Günter, VBlBW 2000, 71 (73), in Kontrast zu der europäischen Herangehensweise, die durch die Anerkennung weiter exekutiver Entscheidungsspielräume den effizienten administrativen Vollzug in den Vordergrund stelle.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
Vollkontrolle der Verwaltung durch die Gerichte, um der Durchsetzung des materiellen Rechts des Einzelnen sinnvoll dienen zu können, beschreibt auch das Bundesverfassungsgericht.43 Eine umfassende gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht44 ist danach die Grundvorstellung des deutschen Rechtssystems mit dem Grundgesetz im Mittelpunkt. Es ist insbesondere die vollkommene Kontrolle auch der tatsächlichen Seite einer Entscheidung, also der Sachverhaltsermittlung und Tatsachenfeststellung, welche die deutsche Gerichtskontrolle der Verwaltung sowohl von der Herangehensweise der europäischen45 als auch von der der englischen Gerichte unterscheidet. aa) Konzept der „einzig richtigen Verwaltungsentscheidung“ Besonderer Ausdruck der traditionellen deutschen Herangehensweise der gerichtlichen Vollkontrolle ist die Vorstellung, dass die Verwaltung durch Anwendung des Gesetzesprogramms eine rechtmäßige und sachrichtige46 Entscheidung treffen kann. Dem deutschen Rechtssystem ist mithin der Gedanke immanent, dass die Sachrichtigkeit einer durch die Verwaltung getroffenen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht überprüft werden kann, dass es also überhaupt möglich ist, eine allein richtige Entscheidung zu treffen. Dass diese Vorstellung der Möglichkeit einer einzig richtigen Entscheidung nicht nur in Bezug auf Entscheidungsspielräume, sondern ganz allgemein an Grenzen stößt, ist vielfach diskutiert worden und kann hier nicht vollumfänglich aufgezeigt werden.47 Doch soll von der „einzig richtigen Entscheidung“ hier als einem Konzept ausgegangen werden, ohne dass der Begriff
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Vgl. u. a. BVerfGE 84, 34 (49) – Staatsexamenentscheidung. BVerfGE 101, 106 (122 f.); BVerfGE 103, 142 (156). 45 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1985, Rs. 42/84, Remia, Slg. 1985, 2545 (2575), Rdnr. 34; EuGH, Urteil vom 10. 10. 1985, Rs. 183/84, Rheingold, Slg. 1985, 3351 (3361), Rdnr. 24 ff.; EuGH, Urteil vom 5. 10. 1988, Rs. C-277/85, Canon gegen Rat, Slg. 1988, 5731 (5802), Rdnr. 22. 46 Die Unterscheidbarkeit zwischen Rechtmäßigkeit im engeren Sinne und Richtigkeit im weiteren Sinne spielt insbesondere im Zuge des Strebens nach einer „neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ eine Rolle; vgl. u. a. Hoffmann-Riem, Wolfgang, Methoden einer anwendungsorientierten Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 9 (46 ff.); Schmidt-Aßmann, Eberhard, Verwaltungskontrolle – Einleitende Problemskizze, in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem (Hrsg.), Verwaltungskontrolle, 2001, S. 9 (10). 47 Siehe dazu nur Schmitt Glaeser, Walter, VVDStRL 31 (1973), 179 (245); ders., Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (38 f.); Pitschas, Rainer, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 36, S. 106; Ramsauer, Ulrich, Zur Kontrolldichte im Verwaltungsprozess, in: Heckmann (Hrsg.), Gedenkschrift für Ferdinand O. Kopp, 2007, S. 72 (78 f.); Hwang, ShuPeng, VerwArch 101 (2010), 180 (189 ff.). 44
B. Auswirkungen der Systementscheidungen und deren Durchbrechung
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eine tatsächliche Wahrheit beschreiben soll.48 Als Konzept dient die Vorstellung der „einzig richtigen Entscheidung“ vor allem dazu, das dem deutschen Rechtsschutzsystem innewohnende Leitbild einer vollumfänglichen gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen zu beschreiben. Auswirkungen hat die Annahme einer vollkommenen inhaltlichen Kontrolle besonders für die Bedeutung der Verfahrenskontrolle durch das Gericht. Ist eine vollumfängliche auf den materiellen Gehalt einer Sachentscheidung gerichtete Kontrolle möglich, und steht den Verwaltungsgerichten die Letztentscheidungskompetenz über die Sachrichtigkeit einer Entscheidung zu, dann bedarf es einer eigenständigen Kontrolle des Entscheidungsprozesses der Verwaltung nicht. Solange das Gericht das Ergebnis dieses Verfahrens gänzlich auf seine Richtigkeit hin überprüfen kann, kommt es auf mögliche Verfahrensfehler, die für das Ergebnis nicht relevant wurden, nicht mehr an.49 In einem System wie dem deutschen, in dem den Verwaltungsgerichten grundsätzlich eine vollumfängliche Sachprüfung von Verwaltungsentscheidungen zugestanden und zur Aufgabe gemacht wird, muss die Verfahrenskontrolle damit zwangsläufig eine geringe Bedeutung erhalten. bb) Einschränkungen des gerichtlichen Kontrollumfangs Die grundsätzliche Letztentscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte findet dort ihre Grenze, wo das materielle Recht der Verwaltung Entscheidungen ohne hinreichend bestimmt vorgegebene Entscheidungsprogramme abverlangt50 und ihr so gerade die Letztentscheidungskompetenz zuweist. Ausgenommen von der umfassenden Kontrolle der Verwaltungsgerichte sind daher zunächst solche Entscheidungen der Verwaltung, bei denen ihr auf Rechtsfolgenseite ein Entscheidungsspielraum – ein Ermessen – zugestanden wird oder wo nach einzelnen anerkannten Fallgruppen die Subsumtion unter unbestimmte Rechtsbegriffe wegen des daraus folgenden Beurteilungsspielraums nur als eingeschränkt überprüfbar angesehen wird.51 48
Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 44 ff., spricht von einer „Idee“ oder einer „Fiktion“; Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (150), benennt dieses Konzept als „die für Deutschland typische Illusion“; Alexy, Robert, Theorie der juristischen Argumentation: Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, 1991, S. 414, gibt der Richtigkeit allein als „regulativer Idee“ einen absoluten Charakter; vgl. auch Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 2, die von der „methodisch überholten Vorstellung“ der Findung einer einzig richtigen Entscheidung sprechen; kritisch zu der Heranziehung einer solchen Fiktion der einzig richtigen Entscheidung, welche die gerichtliche Kontrollintensität allein im Wege eines Zirkelschlusses zu begründen fähig sei, Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/ Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 113 Rdnr. 24. 49 Rupp, Hans Heinrich, Bemerkungen zum verfahrensfehlerhaften Verwaltungsakt, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 151 (161 f.). 50 BVerfGE 103, 142 (156 f.); siehe auch BVerfGE 88, 40 (56); BVerfGE 116, 1 (18). 51 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 46; Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (177).
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
Wie genau die somit vorgenommene Einteilung von Verwaltungsentscheidungen in Bezug auf ihre gerichtliche Nachprüfbarkeit erfolgen soll, ist nicht eindeutig zu beantworten. Namentlich Eberhard Schmidt-Aßmann hat im Rahmen der durch ihn geprägten, aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefolgerten „normativen Ermächtigungslehre“ deutlich gemacht, dass es die jeweilige Norm selbst ist, durch die der Gesetzgeber die grundsätzlich den Verwaltungsgerichten zustehende Letztentscheidungskompetenz durch das Einräumen von Verwaltungsspielräumen in besonderen Fällen der Verwaltung zuweist.52 Ob eine Norm der Verwaltung einen Spielraum durch ein Ermessen auf Rechtsfolgenseite, einen Beurteilungsspielraum bei unbestimmten Rechtsbegriffen des Tatbestands oder der Rechtsfolge oder durch einen sonstigen Prognose- oder Abwägungsspielraum einräumen soll, muss sich unmittelbar aus ihr ergeben oder zumindest durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein.53 Hiervon ist also immer dann auszugehen, wenn rechtliche und damit gerichtlich überprüfbare Maßstäbe des Verwaltungshandelns nicht vorgegeben sind. Verbreitet wird auch die Notwendigkeit eines funktionell-rechtlichen Ansatzes bei der „Aufteilung“ der Letztentscheidungskompetenz auf die Gerichtsbarkeit oder die Verwaltung betont. Danach sei die Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung insbesondere dann zugewiesen, wenn es nach den tatsächlichen Umständen die Verwaltung selbst und nicht die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei, der aufgrund der ihr zustehenden Ressourcen, ihres besonderen vor allem außerrechtlichen Sachverstands, des spezifischen Entscheidungsverfahrens oder sonstiger spezieller Kategorien die Befugnis zur verbindlichen Letztentscheidung zustehen solle.54 Ein solcher funktionell-rechtlicher Ansatz kann vor allem als Auslegungshilfe zur Klärung
52 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 185 ff., unter Verweis auf BVerfGE 61, 82 (111). 53 Zuletzt deutlich BVerfGE 129, 1 (22); dazu Eichberger, Michael, NVwZ-Beilage 2013, 18 (20 ff.). 54 Hierzu und zu weiteren Faktoren, die für eine Zuordnung der Letztentscheidungskompetenz zur Verwaltung sprechen, Schuppert, Gunnar Folke, DVBl. 1988, 1192 (1200); Hill, Hermann, NVwZ 1989, 401 (403); Wahl, Rainer, NVwZ 1991, 409 (411); ähnlich im Ergebnis auch Ramsauer, Ulrich, Rechtsschutz durch nachvollziehende Kontrolle, in: Schmidt-Aßmann/ Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 699 (700), der den verwaltungsgerichtlichen Kontrollmaßstab von der Steuerungsleistung der einzelnen jeweils angewendeten Norm abhängig machen und auch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle einheitlich gestalten will, so dass das Gericht nur in der konkreten von ihm zu kontrollierenden Situation entscheide, ob dem durch die Verwaltung anzuwendenden Recht eine eindeutige Regelung nicht zu entnehmen gewesen sei und es ihr daher einen Entscheidungsspielraum zuerkenne; Herzog, Roman, NJW 1992, 2601 (2604), will die gerichtliche Ersetzung einer Verwaltungsentscheidung hingegen immer dann zulassen, wenn „von einer gerichtlichen Entscheidung die gleiche Sachqualität zu erwarten ist wie von der Verwaltungsentscheidung“.
B. Auswirkungen der Systementscheidungen und deren Durchbrechung
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der Frage dienen, welcher Staatsgewalt die Letztentscheidungsbefugnis durch eine bestimmte Norm zugeteilt worden ist.55 Während das Ermessen auf der Rechtsfolgenseite und dessen Einhergehen mit einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit als verfassungsrechtlich unbedenklicher Freiraum der Verwaltung angesehen wird,56 auch weil es hier eindeutiger möglich sei, den gesetzgeberischen Willen für einen Entscheidungsspielraum der Verwaltung zu erkennen, werden der Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfangs im Rahmen von auslegungsbedürftigen Tatbestandsmerkmalen größere Bedenken entgegengebracht.57 Allein die Unbestimmtheit einer Norm soll nicht zwingend auf einen Beurteilungsspielraum der Verwaltung und eine damit einhergehende Letztentscheidungskompetenz schließen lassen. Vielmehr bleibe es zunächst bei der grundsätzlich vollständigen gerichtlichen Überprüfbarkeit. Nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen sei auch ein behördlicher und gerichtlich nicht vollständig überprüfbarer Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite denkbar. Zwar ist die ursprüngliche Aufteilung von Spielräumen der Verwaltung58 in Rechtsfolgeermessen und tatbestandliche Beurteilungsspielräume durch die Betrachtung der durch eine konkrete Norm zugewiesenen Letztentscheidungskompetenz59 und durch die neuere Rechtsprechung, die weitere Kategorien behördlicher Spielräume, wie das Regulierungsermessen,60 anerkennt, mittlerweise teilweise
55 Siehe dazu Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 95, 102. 56 Zur Verfassungsmäßigkeit des behördlichen Ermessens bereits BVerfGE 8, 276 (325); BVerfGE 9 (1), 137 (147). 57 Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielräume, 2001, S. 9; vgl. auch die Ablehnung der Einführung eines allgemeinen Beurteilungsspielraumes der Verwaltung bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die im Rahmen der Beschleunigungsgesetzgebung der 1990er-Jahre eingesetzte Schlichtungs-Kommission, Bundesministerium der Wirtschaft (Hrsg.), Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren, Bericht der unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung von Planungsund Genehmigungsverfahren, 1994, Rdnr. 1023; zu den Unterschieden beider Kategorien schon Bachof, Otto, JZ 1955, 97 ff.; Bachof, Otto, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht und Verfahrensrecht, 1963, S. 231 f. 58 Historisch betrachtet wurde eine solche Unterscheidung allerdings nicht seit jeher vorgenommen; dazu Ramsauer, Ulrich, Zur Kontrolldichte im Verwaltungsprozess, in: Heckmann (Hrsg.), Gedenkschrift für Ferdinand O. Kopp, 2007, S. 72 (74 ff.); Bullinger, Martin, JZ 1984, 1001 (1002 ff.); die Unterscheidung zwischen tatbestandlichen Spielräumen und Rechtsfolgenermessen aufgegriffen und vorangetrieben hat insbesondere Otto Bachof; siehe u. a. Bachof, Otto, JZ 1955, 97 ff.; zu der erfolgten Unterteilung und dessen Entwicklung auch Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 11 ff. und 33 ff. 59 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 186 m.w.N. 60 Vgl. u. a. BVerwGE 130, 39 (48); BVerwGE 131, 41 (45 ff.), zum Telekommunikationsrecht.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
aufgehoben worden.61 Es ergeben sich dennoch noch immer nach der Art des eingeräumten Spielraums unterschiedliche Konsequenzen für die Dichte der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. (1) Kontrollumfang bei Ermessensentscheidungen Eindeutig eingeschränkt ist der verwaltungsgerichtliche Kontrollmaßstab, wenn das materielle Recht der Verwaltung ein Entscheidungsermessen, das heißt einen auf die Bestimmung der Rechtsfolgen der Verwirklichung einer vom Gesetzgeber festgelegten Norm gerichteten Freiraum, gewährt. Der Verwaltung wird bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Norm die Wahl zwischen verschiedenen gesetzlich in Betracht kommenden Rechtsfolgen eröffnet.62 Grenzen gesetzt werden dem behördlichen Ermessen zunächst durch § 40 VwVfG, welcher der Behörde vorgibt, ein ihr eingeräumtes Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Verwaltungsermessen ist in Deutschland somit als rechtlich stets in gewisser Weise gebundenes Ermessen zu verstehen.63 Dies kommt erneut in § 114 Satz 1 VwGO zum Ausdruck, der die verwaltungsgerichtliche Überprüfbarkeit der Einhaltung der gesetzlichen Ermessensgrenzen und des Zwecks der ermessenseinräumenden Norm anordnet. Auch im Bereich administrativer Entscheidungsspielräume geht das deutsche Recht dementsprechend nicht von einer vollkommenen Freiheit der Verwaltung aus. Vielmehr hat diese sich an die Vorgaben der ermächtigenden Norm sowie an sonstiges für die Entscheidung zu beachtendes Recht zu halten, insbesondere an die aus dem Grundgesetz ableitbaren Vorgaben.64 Die Kontrolle des Verwaltungsgerichts beschränkt sich dann aber darauf, ob diese Grenzen des Ermessens eingehalten wurden; eigene Zweckmäßigkeitserwägungen soll das Gericht nicht anstellen. Im Einzelnen hat das Gericht zu überprüfen, ob die Behörde ihr Ermessen überhaupt ausgeübt hat, ob sie sich hierbei innerhalb der 61 Zu der Diskussion um die gemeinsame Betrachtung der verschiedenen Kategorien behördlicher Letztentscheidungskompetenz ausführlich u. a. und m.w.N. Ludwigs, Markus, JZ 2009, 290 (291, 293); Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 66, 94; auch Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 188 ff., der die dort getroffene Aufteilung der Letztentscheidungsbefugnisse der Verwaltung „nicht als streng getrennte Institute, sondern als der Orientierung und Typenbildung dienende Begriffe“ beschreibt; eine ähnliche Formulierung findet sich schon bei Schmidt-Aßmann, Eberhard, NVwZ 1993, 617 (624); ders., Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Festschrift für Rupert Scholz, 2007, S. 539 (548 ff.); Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 457 f.; Kahl, Wolfgang, NVwZ 2011, 449 (450). 62 Statt vieler zu dem Begriff des „Ermessens“ Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdnr. 7 ff. 63 Vgl. nur Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdnr. 17. 64 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 40 Rdnr. 22 und 115 f.
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Vorgaben der ermächtigenden Norm bewegt, ihr Ermessen also nicht überschritten hat, und ob sie das ihr verliehene Ermessen nicht fehlgebraucht, indem sie es, insbesondere durch den Einfluss unzureichender oder sachwidriger Erwägungen, nicht im Sinne des Gesetzes einschließlich des Gesetzeszwecks ausgeübt hat.65 Besonders der im deutschen Recht durch seine Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist als gerichtlich überprüfbare Grenze der Ermessensausübung anzusehen. Eine Entscheidung der Verwaltung muss damit stets ein legitimes Ziel verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet und erforderlich und zuletzt auch angemessen oder im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Selbst dort also, wo der Verwaltung ein bestimmter Ermessensspielraum zugebilligt wird, haben die Gerichte mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen bedeutenden rechtlichen Maßstab zur Verfügung, anhand dessen sie die Entscheidung der Verwaltung überprüfen können.66 Dies gilt umso mehr, wenn die Verwaltungsentscheidung in grundgesetzlich geschützte Rechte eingreift. Eine Verwaltungsentscheidung muss sich auch im Ermessensbereich stets daran messen lassen, dass sie die Grundrechte des Einzelnen nicht unrechtmäßig und damit auch nicht unverhältnismäßig einschränkt. Zu keiner Einschränkung des Kontrollumfangs der Verwaltungsgerichte kommt es hingegen, wenn das Entscheidungsermessen der Behörde als auf Null reduziert angesehen wird. In einem solchen Fall ist es der Verwaltung wieder möglich gewesen, eine einzig richtige Entscheidung zu treffen, was wiederum durch die Verwaltungsgerichte überprüft werden kann.67 Das Ermessen kann dabei zunächst dadurch reduziert sein, dass sich die Verwaltung durch eine stetige Praxis selbst gebunden hat. Eine willkürlich andere Verhaltensweise – ohne einen die Differenzierung rechtfertigenden Grund – wäre dann als Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot anzusehen.68 Auch dadurch, dass sich nach der Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung allein eine zulässige Entscheidung als verhältnismäßig erweist, kann das Ermessen der Behörde im Ergebnis auf Null reduziert sein, so dass auch das Verwaltungsgericht die Sachrichtigkeit der Entscheidung umfassend nachprüfen kann. Dadurch, dass es grundsätzlich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts selbst ist, die eine derartige Reduzierung des Verwaltungsermessens festlegt, offenbart sich die Flexibilität der „normativen Ermächtigungslehre“, aber auch des funktionell-rechtlichen Ansatzes: Es obliegt dem Verwaltungsgericht, im
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Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 114, Rdnr. 15 und Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 7 ff., fassen die Anknüpfungspunkte verwaltungsgerichtlicher Kontrolle gemeinsam unter die Begriffe „Ermessensüberschreitung“ und „Ermessensfehlgebrauch“. 66 Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 6, 40; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 40 Rdnr 48. 67 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 40 Rdnr. 69. 68 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 40 Rdnr. 70 ff., auch zum Folgenden.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
Einzelfall darüber zu entscheiden, ob ihm oder der Verwaltungsbehörde die Letztentscheidungskompetenz in der konkreten Entscheidung zusteht.69 (2) Kontrollumfang bei unbestimmten Rechtsbegriffen Während die gerichtliche Überprüfbarkeit von Ermessenentscheidungen schon von Gesetzes wegen in § 114 Satz 1 VwGO als eingeschränkt angesehen wird, werden Auslegungsspielräume auf Tatbestandsseite hiervon in Deutschland unterschieden und eine volle gerichtliche Überprüfbarkeit ist insoweit noch immer grundsätzlich vorgesehen. Obgleich es hier der Verwaltung obliegt, einen Rechtsbegriff auszulegen und über seine Anwendung im Einzelfall durch Subsumtion zu entscheiden, wird zunächst grundsätzlich davon ausgegangen, dass es der Verwaltung möglich war, eine richtige und im Ergebnis kontrollierbare Entscheidung zu treffen.70 Ob es diese Entscheidung ist, die tatsächlich getroffen worden ist, kann das Verwaltungsgericht vollständig nachprüfen. Den Gerichten obliegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe; sie haben „die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden uneingeschränkt nachzuprüfen“.71 Allerdings geht das Bundesverwaltungsgericht mittlerweile davon aus, dass auch durch die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs auf Tatbestandsseite der Verwaltung ein nicht vollkommen gerichtlich überprüfbarer Beurteilungsspielraum zuerkannt werden kann.72 Zunächst bereitet es jedoch Schwierigkeiten, im Einzelnen eindeutig zu beurteilen, welche Fälle unter den Topos des „unbestimmten Rechtsbegriffs“ zu fassen sind, und damit zusammenhängend, in welchen Konstellationen der Kontrollumfang der Verwaltungsgerichte als unter Umständen eingeschränkt angesehen wird. Hierin zeigt sich wiederum die pragmatische Anwendbarkeit der normativen Ermächtigungslehre und des funktionell-rechtlichen Ansatzes: Ob in einem bestimmten Fall die Letztentscheidungskompetenz der Verwaltungsbehörde oder aber dem Verwaltungsgericht zugewiesen wird, ist nicht immer eindeutig und im Vorfeld einer Entscheidung zu beurteilen.73 In Bezug auf die Kontrollintensität 69
Ramsauer, Ulrich, Rechtsschutz durch nachvollziehende Kontrolle, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 699 (708). 70 Redeker, Konrad, NVwZ 1992, 305 (306 ff.); Schmidt-Aßmann, Eberhard/Schenk, Wolfgang, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Einleitung Rdnr. 183. 71 BVerfGE 84, 34 (49 f.); auch BVerfGE 7, 129 (154); BVerfGE 64, 261 (279); BVerwGE 94, 307 (309). 72 Deutlich BVerwGE 129, 27 (32 f.); welcher Bereich der Rechtsanwendung es genau ist, der in die Freiheit der Verwaltung gestellt wird – ob Subsumtion, Auslegung oder Sachverhaltsermittlung –, wird nicht einheitlich beurteilt; zu dieser hier nicht darstellbaren Diskussion siehe ausführlich Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 42 ff. 73 Ramsauer, Ulrich, Rechtsschutz durch nachvollziehende Kontrolle, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 699 (707 f.).
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bedeutet dies, dass oftmals nicht im Vorhinein feststeht, ob der Verwaltung ein Entscheidungsspielraum zugestanden wird oder nicht. Es liegt vielmehr in den Händen der Verwaltungsgerichte, zu beurteilen, ob ein bestimmtes Gesetz der Verwaltung die Letztentscheidungskompetenz zuweisen wollte oder diese grundsätzlich der Judikative zustehen soll.74 Ob ein Verwaltungsgericht sich in der Sache somit zu einer Kontrolle und damit auch zu einer Letztentscheidung in der Sache ermächtigt sieht, wird zu einer Einzelfallentscheidung des Gerichts selbst. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Einschränkung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle nur dort denkbar, wo unbestimmte Rechtsbegriffe „wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig“ sind, dass „die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt.“75 In solchen Fällen enthalte das anzuwendende Gesetz einen „begrenzten Entscheidungsspielraum“ der ermächtigten Behörde. Grundsätzlich bleibe es also vor allem im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz jedoch auch im Fall der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bei einer umfassenden Überprüfung der Verwaltungsentscheidung durch die Verwaltungsgerichte.76 Unter dieser Prämisse hat das Bundesverwaltungsgericht Gesetzen, die unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, insbesondere dann einen der ermächtigten Behörde eingeräumten Entscheidungsspielraum entnommen, wenn „der zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das weisungsfrei, mit besonderer fachlicher Legitimation und in einem besonderen Verfahren entscheidet; dies zumal dann, wenn es sich um ein Kollegialorgan handelt, das mögliche Auffassungsunterschiede bereits in sich zum Ausgleich bringt und die zu treffende Entscheidung damit zugleich versachlicht.“77 Gesetze weisen also vor allem dort der Verwaltung die Letztentscheidungskompetenz zu, wo deren besonderer Sachverstand ihr eine Wertung oder Prognose ermöglicht, die durch das Verwaltungsgericht nicht in gleichem Maße angestellt werden könnte und wo die Verwaltungsentscheidung zusätzlich dadurch eine besondere Legitimation erfährt, dass sie ihrerseits bereits in einem pluralistisch besetzten Gremium getroffen wurde. Wie im Bereich der eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle bei Ermessensentscheidungen ist die Verwaltung aber auch im Bereich des gerichtlich nicht voll überprüfbaren Beurteilungsspielraums nicht gänzlich frei. Vielmehr muss 74 Ossenbühl, Fritz, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Bender/Breuer/Ossenbühl/Sender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 55 (64). 75 BVerfGE 84, 34 (50), auch zum Folgenden. 76 BVerfGE 15, 275 (282); BVerfGE 37, 339 (373); BVerfGE 84, 34 (49). 77 BVerwGE 192, 27 (33); so auch BVerwGE 39, 197 (203); BVerwGE 59, 213 (217); BVerwGE 72, 195 (201); BVerwGE 91, 211 (215).
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auch der Beurteilungsspielraum in den rechtlichen Grenzen ausgeübt werden.78 Vergleichbar mit der Überprüfung von Ermessensentscheidungen nach § 114 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht also überprüfen, ob die Behörde sich mit ihrer Entscheidung im Rahmen der gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums bewegt und die Beurteilungsermächtigung im Sinne des Gesetzes ausgeübt hat.79 Trotz eines anerkannten Beurteilungsspielraums sind es damit bis zu einem gewissen von der Entscheidungsfreiheit umfassten Grad materiell-rechtliche Gesetzesmaßstäbe, die das Handeln der Verwaltung leiten. (3) Kontrollumfang bei Planungs-, Abwägungs- oder Prognoseentscheidungen der Verwaltung Auch außerhalb allgemeiner Ermessensnormen oder Normen mit unbestimmten Rechtsbegriffen80 kann der Verwaltung die Letztentscheidungskompetenz zugewiesen werden und die gerichtliche Kontrolle der Sachentscheidung dementsprechend eingeschränkt sein. Ob eine Norm die Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung zuordnen will, ist wiederum durch ihre Auslegung zu ermitteln und wird dadurch zumeist zu einer Einzelfallentscheidung. Es lassen sich jedoch bestimmte Verwaltungsbereiche abgrenzen, im Rahmen derer typischerweise von einer breiteren Zuweisung von Letztentscheidungskompetenzen an die Verwaltung ausgegangen werden kann. Im Falle von Plangesetzen ist ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung und damit einhergehend die Zuweisung einer gewissen Letztentscheidungskompetenz dann zu bejahen, wenn der Verwaltung eine administrative – insbesondere planerische – Gestaltungsfreiheit eingeräumt wird.81 Planung ohne gewisse planerische 78
Für das Prüfungsrecht etwa BVerfGE 84, 34 (55). Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 47 ff.; Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 23, gehen von einer analogen Anwendung der Norm aus; näher zum Umfang der gerichtlichen Überprüfung auch in Rdnr. 28 ff.; Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 3, lehnt die Rede von einer „entsprechenden Anwendung“ ab, überträgt aber die Rechtsgedanken der Ermessenskontrolle. 80 Vgl. Schmidt-Aßmann, Eberhard, NVwZ 1993, 617 (624): „Beurteilungsermächtigung und Rechtsfolgenermessen bilden die Ausgangstypen. Prognose-, Einschätzungs- und planerische Abwägungsermächtigungen treffen komplexe Entscheidungssituationen. Die ihnen zugeordneten Kontrollraster sind dem Grundmodell gegenüber weiter ausdifferenziert, gleichen ihm aber in den Grundstrukturen“; so auch Schwarz, Kyrill-Alexander, in: Fehling/ Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 114 VwGO Rdnr. 56 ff. 81 Ossenbühl, Fritz, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Bender/Breuer/Ossenbühl/Sender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 55 (64); Hoppe, Werner, Planung und Pläne in der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, in: Erichsen/Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedriche Menger, 1985, S. 747 (774 f.); umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob das Planfeststellungsverfahren selbst als Planung in diesem Sinne und damit der Planfeststellungsbeschluss als eine Planungsentscheidung mit Gestaltungsspielraum eingestuft werden kann; hierzu Beckmann, Martin, Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung, in: Erbguth/Kluth (Hrsg.), Kol79
B. Auswirkungen der Systementscheidungen und deren Durchbrechung
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Gestaltungsfreiheiten wird als „Widerspruch in sich“ angesehen.82 Sind der Verwaltung planungsrechtliche Instrumente an die Hand gegeben, ist es gerade nicht das materielle Recht, das den Inhalt der Planungsentscheidung in einem herkömmlich konditionalen „Wenn-dann-Schema“ vorgibt.83 In einem solchen Fall nähert sich die Aufgabe der Verwaltung der der Legislative derart an, dass auch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle solcher Entscheidungen an die Kontrolle von Legislativentscheidungen angenähert wird.84 Ähnlich liegt es allgemein bei Prognoseentscheidungen85 beispielsweise in der Risikoverwaltung, bei denen eine klare und eindeutige Subsumtion eines Sachverhalts unter eine Norm gerade nicht möglich ist. Auch hier muss die gerichtliche Kontrolle in Bezug auf die Sachentscheidung dementsprechend eingeschränkt sein.86 Gerade bei technisch oder naturwissenschaftlich komplexen Entscheidungen, die mit einem hohen Maß an Unsicherheit und der Notwendigkeit, eine Prognose zu treffen, einhergehen, kann die Verwaltungsgerichtsbarkeit an die Grenzen ihrer Kontrollmöglichkeiten gelangen,87 will sie nicht das bereits stattgefundene Verwaltungsverfahren im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kopieren und so die Entscheidungsfindung vollkommen neu aufrollen. Nicht nur, aber insbesondere in unionsrechtlich vorgegebenen Bereichen wird darum mit Verweis auf eine allgemein immer häufiger angenommene Einschätzungsprärogative der Verwaltung ein Trend inner-
loquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 123 (130 ff.); dies verneint u. a. Erbguth, Wilfried, DVBl. 1992, 398 (399). 82 Vgl. nur BVerwGE 34, 301 (304); BVerwGE 48, 56 (59). 83 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 238. 84 Scholz, Rupert, VVDStRL 34 (1976), 146 (184); Ossenbühl, Fritz, Die richterliche Kontrolle von Prognoseentscheidungen der Verwaltung, in: Erichsen/Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian Menger, 1985, S. 731 (734). 85 Prognoseentscheidungen als eigenständige Kategorie von Entscheidungen mit administrativem Spielraum zu behandeln, lehnen Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 40 Rdnr. 32, ab: Die Entscheidungen, die bislang als Prognoseentscheidungen mit Entscheidungsspielraum anerkannt worden seien, seien vielmehr entweder der Kategorie des Beurteilungsspielraums oder der Planungsentscheidung zuzuordnen. 86 Schwarz, Kyrill-Alexander, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 114 VwGO Rdnr. 9; dazu auch Ossenbühl, Fritz, Die richterliche Kontrolle von Prognoseentscheidungen der Verwaltung, in: Erichsen/Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 731 (734); aus der Rechtsprechung etwa BVerwGE 72, 300 (312), im Falle der Risikoprognose bei der Baugenehmigung für das Atomkraftwerk Whyl. 87 Ramsauer, Ulrich, Rechtsschutz durch nachvollziehende Kontrolle, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 699 (717); Herzog, Roman, NJW 1992, 2601 (2603); speziell in Bezug auf Gefahrenprognosen der Verwaltung die Fabio, Udo, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 460 ff.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
halb der Europäischen Union und der deutschen Rechtsprechung88 hin zu mehr Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Verwaltung gesehen.89 Nichtsdestotrotz kann von einer vollkommenen Freiheit der Verwaltung von materiell-rechtlichen und einer Gerichtskontrolle zugänglichen Vorgaben auch im Rahmen von Planungsentscheidungen oder im Bereich der Risikoverwaltung in Deutschland nicht ausgegangen werden. Zunächst sind auch in Bereichen behördlicher Letztentscheidung zwingende Gesetzesvorgaben zu beachten; insbesondere müssen die Grenzen der ermächtigenden Norm eingehalten werden.90 Darüber hinaus wird auch das Gebot sachgerechter Abwägung als materiell-rechtliche Bindung der Verwaltung bei Planungs- oder vergleichbaren Gestaltungsentscheidungen angesehen. In § 4a Abs. 2 UmwRG war bis zu dessen Aufhebung für Klagen nach diesem Gesetz der Prüfungsmaßstab des Gerichts im Falle eines eingeräumten Beurteilungsspielraums der entscheidenden Verwaltung gesetzlich festgelegt. Hiernach war eine derartige Entscheidung gerichtlich nur daraufhin zu überprüfen, ob der Sachverhalt richtig erfasst wurde, das Verfahrensrecht sowie die rechtlichen Bewertungsgrundsätze eingehalten wurden, das anzuwendende Recht verkannt wurde oder sachfremde Erwägungen in die Entscheidung einbezogen wurden. In Bereichen, für die es keine derartige gesetzliche Regelung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabs gibt, werden regelmäßig die allgemeinen Regeln der Ermessenskontrolle angewendet. Insbesondere wird trotzdem noch eine Abwägungskontrolle durchgeführt.91 (4) Kontrollumfang bei Regulierungsermessen Als weitere Kategorie behördlicher Letztentscheidungskompetenz hat das Bundesverwaltungsgericht im Telekommunikationsrecht die Rechtsfigur des Regulierungsermessens entwickelt.92 Wo es der Verwaltung – namentlich der Bundesnetzagentur – obliege, den Zugang zu Netzinfrastrukturen im Telekommunikationsbereich sowie deren Nutzung und Entgeltfragen zu regulieren, sei ihr eine komplexe
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Beispielhaft genannt wird die Rechtsprechung des BVerwG zur Einschätzungsprärogative der Verwaltung im Europäischen Naturschutzrecht; vgl. BVerwGE 118, 15 (20), BVerwGE 121, 72 (84), BVerwGE 131, 274 (296), im Rahmen der Richtlinie des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung vom 24. 9. 1996, RL 96/ 61/EG, später RL 2008/1/EG, ABl. EU 2008 Nr. L 24/8, heute integriert in der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 über Industrieemissionen, RL 2010/ 75/EU, ABl. EU 2010 Nr. L 334/17 und der Richtlinie des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik vom 23. 10. 2000, RL 2000/60/EG, ABl. EG 2000 Nr. L 327/1 (Wasserrahmen-Richtlinie). 89 Gärditz, Klaus Ferdinand, JZ 2010, 198 (200); Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1085); Kahl, Wolfgang, NVwZ 2011, 449 (450). 90 Hierzu nur Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 4. 91 Hierzu sogleich Kapitel 2 B. I. 1. a) cc) (2). 92 BVerwGE 130, 39; BVerwGE 131, 41.
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Gestaltungsaufgabe übertragen worden.93 Bei deren Erfüllung wird ihr laut der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch verschiedene Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes (TKG), das die Befugnisse und Aufgaben der Bundesnetzagentur regelt, sowohl auf Tatbestandsseite als auch in den Rechtsfolgen ein Entscheidungsspielraum eingeräumt. Eine Aufteilung in die Bereiche des Beurteilungsspielraums und des Ermessens sei hier nicht möglich; vielmehr müsse von einer einheitlichen Ermessensbetätigung ausgegangen werden.94 Trotz der weiten Entscheidungsspielräume der Bundesnetzagentur könne aber auch im Regulierungsrecht nicht von einem allgemeinen und umfassenden Ermessen für sämtliche Entscheidungen ausgegangen werden. Das durch Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebene Grundmodell der umfassenden verwaltungsgerichtlichen Überprüfung und Letztentscheidungskompetenz ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts selbst im Regulierungsrecht maßgebend.95 Es soll bei einer Auslegung der einzelnen ermächtigenden Normen dahingehend bleiben, ob diese der Verwaltung für die konkrete Entscheidung die Letztentscheidungsbefugnis zuweisen.96 In der Literatur trifft die Zubilligung derart weiter Entscheidungsspielräume der Bundesnetzagentur und der damit einhergehenden zurückgenommenen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle trotz der behaupteten Beibehaltung des Grundsatzes der verwaltungsgerichtlichen Letztentscheidungskompetenz auf Kritik und Bedenken: Obwohl sich eine Zuweisung von Entscheidungsspielräumen durch einzelne Normen des TKG, welche die Befugnisse und Entscheidungsermächtigungen der Bundesnetzagentur regelten, auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu finden scheine,97 gleiche der nicht verwaltungsgerichtlich kontrollierbare Entscheidungsspielraum der Bundesnetzagentur einem umfassenden Ermessen, dessen Einräumung das Bundesverfassungsgericht gerade als nicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ansehe.98 Nicht allein einzelne Normen des TKG verliehen der Bundesnetzagentur einen gewissen Entscheidungsspielrum; es werde vielmehr von einem Gestaltungsspielraum derselben ausgegangen, der gerade in ihrer allgemeinen Aufgabe wurzele. 93 Trute, Hans-Heinrich, Das Telekommunikationsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/ Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 857 (858 f.). 94 BVerwGE 131, 41 (62); vgl. aber BVerfG, NVwZ 2012, 694, wo die erste Kammer des Bundesverfassungsgerichts das „planungsähnliche […] Ermessen“ der Rechtsfolgenseite einer Entscheidung zuordnet. 95 Unter Verweis auf BVerfG, NVwZ 2012, 694. 96 Ludwigs, Markus, JZ 2006, 290 (294 f., 297); Burgi, Martin, NJW 2006, 2439 (2444); Attendorn, Thorsten, MMR 2009, 238 (239). 97 Vgl. u. a. BVerwGE 130, 39, zu § 9 Abs. 2 TKG; BVerwGE 139, 226, zu § 55 Abs. 9 Satz 1 und § 61 Abs. 1 Satz 1 TKG; BVerwG, NVwZ 2011, 1339 L, zu § 61 Abs. 2 Satz 1 und 2 TKG. 98 Sachs, Michael/Jaspers, Christian, NVwZ 2012, 649 (650 ff.); siehe für eine umfassende Erläuterung der Entscheidungsspielräume der Bundesnetzagentur und deren gerichtlicher Kontrolle auch Gärditz, Klaus Ferdinand, NVwZ 2009, 1005.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
Insgesamt steht die Behandlung des Regulierungsermessens durch das Bundesverwaltungsgericht damit in einem gewissen Widerspruch zu der ansonsten in Deutschland angenommenen grundsätzlichen „Vollkontrolle“ der Verwaltung und zu der Annahme, dass die allgemeine Letztentscheidungskompetenz den Verwaltungsgerichten zustehen soll, außer eine spezifische einzelne Norm weist sie der Verwaltung zu. cc) Bedeutung der Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung für die gerichtliche Überprüfung des Verwaltungsverfahrens Die grundsätzliche Garantie einer vollumfänglichen gerichtlichen Verwaltungskontrolle und das Leitbild der gerichtlichen Letztentscheidungskompetenz auch in Verbindung mit der Vorstellung einer einzig richtigen Verwaltungsentscheidung lassen die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens und der Kontrolle von dessen rechtmäßigem Ablauf in den Hintergrund treten. Die verfassungsrechtliche Garantie umfassenden Rechtsschutzes bezieht sich zunächst auf das Ergebnis oder den Inhalt der Verwaltungsentscheidung – entscheidend ist, dass dieses Ergebnis den Kläger nicht in seinen materiellen Rechten verletzt.99 Anders ist dies allerdings, wenn die Sachentscheidung als solche gerade nicht vollumfänglich auf ihre materielle Rechtmäßigkeit hin kontrolliert werden kann, weil der Verwaltung ein Entscheidungsspielraum eingeräumt wurde. (1) Der Kompensationsgedanke Ist der gerichtliche Prüfungsumfang in Bezug auf die Sachentscheidung der Verwaltung eingeschränkt, weil dieser die Letztentscheidungskompetenz zugewiesen worden ist, stellt sich die Frage, ob hierin eine Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG gesehen werden kann, die dann möglicherweise etwa durch eine verstärkte Kontrolle des Verwaltungsverfahrens gerechtfertigt werden muss. Eine rechtfertigungsbedürftige Einschränkung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG durch nicht überprüfbare Verwaltungsspielräume nimmt das Bundesverwaltungsgericht an. Denn im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes sei es Aufgabe des Gesetzgebers, unter Beachtung der Grundrechte die Rechtspositionen zuzuweisen und auszugestalten, deren gerichtlichen Schutz Art. 19 Abs. 4 GG voraussetze und gewährleiste.100 Hiergegen wird eingewendet, dass eine gerichtliche Kontrolle nicht weiter gehend sein könne als die materiellrechtliche Bindung der Verwaltung. Art. 19 Abs. 4 GG garantiere damit eine „ge-
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Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (858). BVerwGE 100, 221 (225), wo das Gericht daher zu der Ablehnung eines Beurteilungsspielraums kommt; die in BVerwGE 94, 307, geäußerte Ablehnung eines nicht kontrollierbaren Beurteilungsspielraums einer Weinprüfungskommission wurde indes in BVerwGE 129, 27, ausdrücklich aufgegeben und insoweit ein Beurteilungsspielraum anerkannt. 100
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setzesakzessorische“101 verwaltungsgerichtliche Kontrolle behördlicher Entscheidungen. Nur wo es rechtliche Maßstäbe des Handelns der Verwaltung gebe, könne das Verwaltungsgericht auch anhand dieser Maßstäbe das Handeln der Verwaltung kontrollieren.102 Auch wird einer rechtfertigungsbedürftigen Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG durch behördliche Entscheidungsspielräume entgegengehalten, Art. 19 Abs. 4 GG garantiere den effektiven Rechtsschutz allein bei der Verletzung subjektiver Rechte. Dadurch schaffe er nicht selbst subjektive Rechte, sondern setze deren Existenz voraus; sie müssten also durch den Gesetzgeber zunächst konstituiert werden. Diesem stehe es dann aber auch frei, ein subjektives Recht derartig auszugestalten, dass sich der Anspruch des Betroffenen im Rahmen von Verwaltungsspielräumen nur auf eine beurteilungsfehlerfreie Entscheidung beziehe.103 Demgegenüber wird jedoch wiederum angeführt, der Gesetzgeber bleibe hierbei stets an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden, sei also in seiner Ausgestaltung subjektiver Rechte nicht vollkommen frei.104 In demselben Ausmaß gäben grundgesetzliche Vorgaben – etwa der Parlaments- oder Gesetzesvorbehalt, das Rechtsstaatsgebot oder das Demokratieprinzip – dem Gesetzgeber auf, nicht uneingeschränkt materiell-rechtlich nicht determinierte Entscheidungsspielräume der Verwaltung zu schaffen.105 Auch das Bundesverfassungsgericht lehnt eine vollkommene oder im Rahmen einer „vagen […] Generalklausel“106 erfolgende Einräumung von Verwaltungsspielräumen, die dann nicht mehr gerichtlich kontrolliert werden können, ab.107 Es würde der Gehalt der Garantie effektiven Rechtsschutzes somit durchaus ausgehöhlt, wenn der Verwaltung immer weitere nicht überprüfbare Entscheidungsspielräume eingeräumt würden, ohne hierfür eine Kompensation – etwa durch eine Stärkung der Überprüfung des Verwaltungsverfahrens selbst – zu schaffen. Wo es nicht mehr, wie es dem herkömmlichen Leitbild des deutschen Rechtssystems entspricht, die Sachentscheidung ist oder sein kann, die einer vollständigen gerichtlichen Überprüfung standhalten muss, muss sich der effektive Rechtsschutz auf 101
Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 462. Schmidt-Aßmann, Eberhard, NVwZ 1993, 617 (620); näher zu der Voraussetzung rechtlicher Bindung und der oftmals schwierigen Unterscheidung zwischen rechtlichen und nicht-rechtlichen Maßstäbe Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 81 ff., auch schon Rdnr. 10. 103 Ramsauer, Ulrich, Rechtsschutz durch nachvollziehende Kontrolle, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 699 (715); Ramsauer, Ulrich, Zur Kontrolldichte im Verwaltungsprozess, in: Heckmann (Hrsg.), Gedenkschrift für Ferdinand O. Kopp, 2007, S. 72 (83 ff.). 104 Sachs, Michael/Jaspers, Christian, NVwZ 2012, 649 (651), auch unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. u. a. BVerfGE 129, 1 (22). 105 Nunmehr BVerfGE 129, 1 (22 f.). 106 So schon BVerfGE 6, 32 (42). 107 U. a. auch BVerfGE 9, 83 (87); BVerfGE 78, 214 (226). 102
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eine Kontrolle des Verfahrens verlagern, das zu dieser Entscheidung geführt hat. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass insbesondere dort, wo es gerade die besondere Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens sei, welche die Einschränkung des gerichtlichen Überprüfungsumfangs in Bezug auf die materielle Entscheidung rechtfertigen könne oder gar erst verfassungsrechtlich zulässig mache, die gerichtliche Kontrolle des Verfahrens dann auch an besonderer Bedeutung gewinne.108 Bei verringerter materiell-rechtlicher Steuerungsfähigkeit109 sei es gerade das Verfahren selbst, das hinreichend komplex ausgestaltet werden müsse, um dies zu „kompensieren“.110 Das Bundesverfassungsgericht sieht eine Ausgestaltung verfahrensrechtlicher Garantien mithin umso mehr als grundrechtlich geboten an, desto weniger der Grundrechtsschutz durch die nachträgliche gerichtliche Kontrolle gewährleistet werden kann.111 Auch die Gerichtskontrolle muss danach dann auf die Kontrolle des Verfahrens ausgerichtet sein, soll eine derartige Kompensation ausbleibender materiell-rechtlicher Steuerungsfähigkeit durch komplexe Verwaltungsverfahren nicht leerlaufen. Diesen Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht schon früh betont.112 Auch im Sondervotum der Richter Simon und Heußner im Mühlheim-Kärlich-Beschluss113 des Bundesverfassungsgerichts kommt ein solcher Gedanke der Verlagerung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf die Einhaltung des Verwaltungsverfahrens zum Ausdruck: Eine faire Anwendung des Verfahrensrechts könne es danach der Verwaltungsgerichtsbarkeit ermöglichen, den Schwerpunkt ihrer Nachprüfung von der schwierigen Beurteilung technischer und naturwissenschaftlicher Streitfragen mehr auf eine Verhaltens- und Verfahrenskontrolle der eigentlichen Entscheidungsträger zu verlagern und damit auf eine Aufgabe, für welche die Gerichte besser gerüstet seien und deren sorgfältige Erfüllung zugleich dem Bürger angemessenen Rechtsschutz gewährleiste.114
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So u. a. BVerfGE 84, 59 (77 f.), das zum Beurteilungsspielraum im Prüfungsrecht anmerkt, eine Aufgabe, die diese Merkmale nicht erfülle, verletze maßgebende Verfahrensvorschriften und sei deshalb rechtsfehlerhaft. Solche Fehler im Streitfall – gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen aufzuklären, sei Sache der Verwaltungsgerichte, die dabei an die Auffassung der Prüfungsbehörde nicht gebunden seien. 109 Dazu Kapitel 3 A. I. 1. c). 110 Beispielhaft für das Telekommunikationsrecht Trute, Hans-Heinrich, Das Telekommunikationsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 857 (864 f., 868); Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (866); Schenke, Wolf-Rüdiger, DöV 1986, 305 (306); von Danwitz, Thomas, DVBl. 1993, 422 (425 f.); für eine gesteigerte Begründungspflicht der Verwaltung insbesondere im Bereich von Risikoentscheidungen und Gefahrenprognosen daher di Fabio, Udo, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 463. 111 BVerfGE 84, 34 (46); BVerfGE 84, 59 (72); ähnlich auch BVerwGE 92, 132 (140 f.). 112 Vgl. BVerfGE 33, 303 (341); BVerfGE 41, 251 (256); BVerfGE 44, 105 (116). 113 BVerfGE 53, 30. 114 BVerfGE 53, 30 (82).
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Ausgehend vom Eigenverwaltungsrecht der Europäischen Union115 wird mittlerweile auch von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz116 des „Kompensationsgedankens“ oder der „Kompensationsfunktion“ gesprochen.117 Allerdings ist im Rahmen des Eigenverwaltungsrechts der Europäischen Union davon auszugehen, dass dessen materiell-rechtliche Steuerungsfähigkeit ohnehin gegenüber derjenigen des deutschen Verwaltungsrechts reduziert ist.118 So ist die Kontrolle der Verwaltung der Europäischen Union schon ihrem Grunde nach vermehrt auf eine Kontrolle verfahrensrechtlicher Vorgaben ausgerichtet.119 Auch im Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs des Unionsrechts kann angenommen werden, dass unionsrechtliche Vorgaben entgegen der deutschen Rechtstradition grundsätzlich von einem gewissen Entscheidungsspielraum der Verwaltung ausgehen.120 In Bezug auf das deutsche Verwaltungsrecht kann hieran angelehnt von einer Kompensation durch verstärkte Verfahrenskontrolle immer dann gesprochen werden, wenn eine der traditionellen deutschen Vorstellung entsprechende materielle Vollkontrolle nicht möglich ist. Nach dem Kompensationsgedanken ist dann überall dort, wo das materielle Recht keine umfassenden Vorgaben trifft, nicht nur dem Verfahren ein gesteigerter Eigenwert zuzusprechen, sondern auch dessen gerichtlicher Kontrolle.121 Im Falle von gerichtlich nicht gänzlich überprüfbaren Beurteilungsspielräumen sieht das Bundesverwaltungsgericht die fehlerhafte 115 Vgl. u. a. EuGH, Urteil vom 21. 11. 1991, Rs. C-269/90, Technische Universität München, Slg. 1991 I-05469; EuG, Urteil vom 18. 9. 1995, Rs. T-167/94, Nölle gegen Rat und Kommission, Slg. 1995 II-2589, Rdnr. 73. 116 Schwarze, Jürgen, DVBl. 2010, 1325 (1326 und 1331 f.). 117 Hierzu und zu den davon ausgehenden Impulsen auf das deutsche Kontrollmodell Nehl, Hanns Peter, Europäisches Verwaltungsverfahren und Gemeinschaftsverfassung, 2002, S. 168 f.; siehe auch Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 397 und S. 506 ff.; Schwarze, Jürgen, Die Rechtsprechung des EuGH zur Relevanz von Fehlern im Verwaltungsverfahren, in: Heckmann/Schenke/Sydow (Hrsg.), Festschrift für Thomas Würtenberger, 2013, S. 1203 (1206); Kahl, Wolfgang, VerwArch 95 (2004), 1 (9 ff.); ders., NVwZ 2011, 449 (455); ders., Begriffe, Funktionen und Konzepte von Kontrolle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III § 47 Rdnr. 144; Gärditz, Klaus Ferdinand, NVwZ 2009, 1005 (1010). 118 Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (143); zu dieser Divergenz noch Kapitel 3 A. I. 1. c). 119 Siehe zu diesen systematischen Zusammenhängen auch von Danwitz, Thomas, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 261. 120 Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1085). 121 Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 100; Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 113 Rdnr. 20; ders., Funktionaler Zusammenhang oder Zusammenstoß zweier Rationalitäten? Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess am Beispiel der jüngeren Verfahrenslehre, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 413 (415); Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 456 (466); Schmidt-Aßmann, Eberhard/Krämer, Hannes, EuZöR, 1993, special number, S. 99 (108); Schmidt-Aßmann, Eberhard, DVBl. 1997, 281 (287 ff.); Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (149).
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Anwendung des Verwaltungsverfahrens bereits als einen entscheidenden Aspekt möglicher gerichtlicher Überprüfung an.122 Es wird dann nicht von einem Übergang zu einer grundsätzlichen Verfahrenskontrolle an Stelle einer weitreichenden materiellen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle ausgegangen, wie dies namentlich Friedrich Schoch warnend anmerkt123 oder Klaus-Peter Dolde insbesondere zur Umsetzung unionsrechtlicher Einflüsse vorschlägt,124 sondern allein dann, wenn eine derartige materielle Kontrolle nicht länger möglich ist, ist auf eine verstärkte Verfahrenskontrolle zurückzugreifen. Nicht die Stärkung des Verwaltungsverfahrens hat eine Rücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte zur Folge, sondern – umgekehrt – die eingeschränkte materiell-rechtliche Steuerung muss zu einem kompensierenden Bedeutungszuwachs des Verwaltungsverfahrens einschließlich dessen gerichtlicher Kontrolle führen. (2) Abwägungskontrolle als besondere Verfahrenskontrolle? Die gerichtliche Überprüfung von Beurteilungsspielräumen ist weitgehend darauf beschränkt festzustellen, ob die vorgenommene Beurteilung den allgemeinen rechtlichen Wertungsmaßstäben entspricht,125 in sich schlüssig und nachvollziehbar ist und den Erfordernissen rationaler Abwägung nicht widerspricht,126 also nicht durch sachfremde oder willkürliche Erwägungen beeinflusst worden ist.127 Vergleichbar erfolgt die gerichtliche Überprüfung von Planungsentscheidungen anhand des Gebots gerechter Abwägung, das dann verletzt ist, „wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat, wenn in die Abwägung nicht alles an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge hätte eingestellt werden müssen, wenn das Gewicht der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt worden oder aber der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Weise vorgenommen worden ist, die zur objektiven Bedeutung der Belange außer Verhältnis gestanden hat.“128 Ähnliche Aussagen lassen sich in Bezug auf die Fehlerfolgen bei Entscheidungen im Rahmen des Regulierungsermessens treffen.129 122
U. a. für das Prüfungsrecht BVerwGE 91, 256 (266); BVerwG, NVwZ 1995, 494. Schoch, Friedrich, Die Verwaltung 25 (1992), 20 (28 f.); ähnlich Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/ Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (14), wenn er anmerkt, es solle auch bei Annahme eines Bedeutungszuwachses des Verfahrensgedankens in Deutschland nicht darum gehen, Sachrichtigkeit durch Verfahrensrichtigkeit schlicht zu ersetzen. 124 Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (863). 125 BVerfGE 84, 34 (54); BVerwGE 68, 330 (337); BVerwGE 73, 376 (378); BVerwGE 91, 262 (266). 126 BVerfGE 85, 36 (56 f.); BVerfGE 88, 42 (60). 127 BVerwGE 60, 245 (246); BVerwGE 77, 75 (85); BVerwGE 103, 200 (204). 128 BVerwGE 34, 301 (309). 129 BVerwGE 131, 41 (62); zu der Ähnlichkeit der Entscheidungsspielräume der Regulierungsbehörde zur planungsrechtlichen Abwägung näher Mayen, Thomas, NVwZ 2008, 835. 123
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Eine strikte Trennung zwischen dem Beurteilungs- oder Abwägungsvorgang und der eigentlichen Entscheidung wird im Rahmen der Anforderungen des Abwägungsgebots diesen Formulierungen nach damit zwar nicht vorgenommen – es wird dem Grunde nach anerkannt, dass sich der gesamte zu der Verwaltungsentscheidung führende Prozess auf den Inhalt der Entscheidung gestaltend auswirkt. Dennoch betont das Bundesverwaltungsgericht in stetiger Rechtsprechung, dass sich die Abwägungsanforderungen sowohl einerseits auf den Abwägungsvorgang als auch hiervon getrennt auf dessen Ergebnis beziehen,130 und lässt so die Möglichkeit einer derartigen Aufteilung bestehen. Ebenso geht die Literatur weiterhin von einer strikten Trennung der Kontrolle von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis aus.131 Allerdings bleibt zu bedenken, dass es in Bereichen planerischer Abwägung zumeist gerade der Abwägungsvorgang ist, der das eigentliche Ergebnis bestimmt. Eine in Bezug auf die Fehlerfolgen sowie die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Abwägung vorgenommene Aufteilung in den Vorgang der Abwägung und dessen Ergebnis verkennt diesen engen funktionalen Zusammenhang.132 Um der Realität der Entstehung von Abwägungsentscheidungen gerecht zu werden, muss damit vielmehr an eine einheitliche Kontrolle der Abwägung gedacht werden, die insbesondere am Abwägungsvorgang anknüpft, ohne die an dessen Ende stehende Entscheidung von diesem zu isolieren. Das Abwägungsgebot selbst wird weiterhin sowohl in seinem Bezug auf den Abwägungsvorgang als auch auf das Abwägungsergebnis als materiell-rechtliche Anforderung an die Planung angesehen.133 Der Abwägungsvorgang ist gerade ein die innere Willensbildung der Behörde betreffender Prozess, in dem die durch das Verwaltungsverfahren gewonnenen Informationen – etwa durch die Beteiligung Betroffener oder anderer Behörden – geordnet und gewichtet werden.134 „Klassische“ Verfahrensfehler sind diesem Verständnis nach strikt von Fehlern im Abwägungsvorgang getrennt.135 Jedoch wurden Fehler bei der Ermittlung und Bewertung der abwägungserheblichen Belange durch § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB und §§ 2 130
Ständige Rechtsprechung des BVerwG: BVerwGE 34, 301 (308 f.); BVerwGE 45, 309 (315); BVerwGE 47, 144 (146); BVerwGE 48, 56 (64); BVerwGE 59, 253 (257 f.); BVerwGE 64, 33 (36). 131 Kraft, Ingo, UPR 2004, 331 (333). 132 Vgl. Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 38, der dies aber allein auf den Ausgangspunkt der gerichtlichen Abwägungskontrolle bezieht, ohne die beispielsweise durch § 214 Abs. 3 BauGB vorgenommene Aufteilung in Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis in Bezug auf die Fehlerfolgen mit in die Kritik einzubeziehen. 133 Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 10 f. 134 Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 19 f.; ders., NVwZ 2012, 461 (462). 135 Deutlich Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 11; Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 214.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
Abs. 3, 4a Abs. 1 BauGB zumindest im Bauplanungsrecht vom Gesetzgeber mittlerweile zu Verfahrensfehlern erklärt. Die Einordnung des Ermittelns und Bewertens abwägungserheblicher Belange als Verfahrensanforderungen sollte laut der unabhängigen Expertenkommission für die Novellierung des Baugesetzbuchs durch das Europarechtsanpassungsgesetz136 gerade die Betonung des Verfahrens im Rahmen der planerischen Abwägung ausdrücken.137 Ob darüber hinausgehende Fehler im Abwägungsvorgang die materiell-rechtliche Seite des Abwägungsgebots betreffen oder ebenfalls als Verfahrensfehler anzusehen sind, wird nicht einheitlich beurteilt. Anstatt Elemente des Abwägungsvorgangs dem materiellen Recht zuzuweisen – also insoweit von einer „Prozeduralisierung des materiellen Rechts“, die dazu führen soll, dass die Verfahrenskontrolle als solche zurücktritt,138 oder von der Regelung des § 214 Abs. 3 BauGB als einer Verlagerung an sich materiell-rechtlicher Vorgaben in das Verfahrensrecht139 zu sprechen –, kann der gesamte Abwägungsvorgang auch als Verfahren und seine Kontrolle dann als besondere Verfahrenskontrolle angesehen werden. Ob die Verwaltung innerhalb des Abwägungsprozesses die trotz eines nicht gänzlich determinierten Entscheidungsprogramms ohne Zweifel bestehenden materiellen Abwägungsdirektiven hinreichend beachtet hat, kann sodann Teil einer einheitlichen Abwägungskontrolle werden. Eine derartige Einordnung der Abwägungskontrolle würde insbesondere auch der Erkenntnis gerecht, dass weder eine klare Trennung von innerem und äußerem Entscheidungsprozess140 noch von Ent136 Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuches an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau – EAG Bau) vom 24. 6. 2004, BGBl. I, 1359, insbesondere zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom 27. 6. 2001, RL 2001/42/EG, ABl. EU 2001 Nr. L 197/30 und Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme vom 26. 5. 2003, RL 2003/35/EG, ABl. EU 2003 Nr. L 156/17. 137 Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Hrsg.), Novellierung des Baugesetzbuches – Bericht der Unabhängigen Expertenkommission, Berlin 2002, Rdnr. 136 ff.; vgl. auch die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks. 15/2250, S. 63; diese Erkenntnis der Expertenkommission darf hingegen nicht als gesetzgeberischer Wille zur Aufwertung der verfahrensrechtlichen Garantien gewertet werden; vielmehr sollte „die europarechtlich vorgegebene Stärkung des Verfahrensrechts mit entsprechenden Regelungen zur Bestandssicherheit der städtebaulichen Pläne und Satzungen verbunden werden“; siehe insoweit die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/2250, S. 31. 138 Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 113 Rdnr. 14. 139 Erbguth, Wilfried, Die planerische Abwägung und ihre Kontrolle – aus rechtsstaatlicher Sicht, in: Erbguth/Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle: Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 103 (114 f.), der etwa allein die Regelung der Beteiligung an sich als Verfahrensregelung ansieht, während die anschließende Bewertung und Gewichtung der gewonnenen Informationen materiell-rechtliche Vorgänge seien. 140 Zu der Entwicklung einer stärkeren Verzahnung innerer und äußerer Verfahrenselemente Hoffmann-Riem, Wolfgang, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz – Einleitende Problemskizze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 9 (40 f.); Quabeck, Christian, Dienende Funktion
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scheidungsprozess und -ergebnis bei materiell-rechtlich gerade nicht weitgehend determinierten Entscheidungen in herkömmlicher Weise möglich ist. Dem Unionsrecht liegt bereits ein dahingehendes Verständnis des „Verfahrens“ zu Grunde: Informationsgewinnung und -abwägung werden hier als prozedurale Mittel dem Bereich des Verfahrens zugerechnet.141 Die von der deutschen Rechtsprechung in Bereichen eingeschränkter materiell-rechtlicher Determination und anerkannter Entscheidungsspielräume der Verwaltung insbesondere im Planungsrecht eingesetzte Abwägungskontrolle ist bereits weitgehend eine auf prozedurale Elemente der Abwägung konzentrierte Kontrolle.142 Dies wird allerdings durch die Rechtsprechung nicht stets ebenso deutlich formuliert.143 Selbstverständlich muss eine ausdrückliche Einordnung des Abwägungsvorgangs als Verfahren dann weitreichende Folgen für das Verständnis der Rolle des Verwaltungsverfahrens sowie für die Verfahrensfehlerregelungen in solchen Fällen behördlicher Letztentscheidungskompetenz haben. Am Beispiel des Bauplanungsrechts bedeutet dies, dass nicht die Einordnung verschiedener Elemente des Abwägungsvorgangs als Verfahrensbestandteile als problematisch anzusehen ist, sondern vielmehr die weitgehende Kompensation dieser eigentlichen Stärkung des Verfahrensrechts im Rahmen der Unbeachtlichkeitsregelung des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 BauGB. Dessen ungeachtet hat die Zuordnung der Ermittlung und Bewertung der abwägungserheblichen Belange als systematisch dem Verfahrensrecht oder dem materiellen Abwägungsgebot angehörend auf die gesetzliche Bewertung der Beachtlichkeit eines hier liegenden Fehlers kaum praktische Auswirkung. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB lässt wie § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB Fehler im Abwägungsvorgang nur dann beachtlich sein, wenn sie offensichtlich und auf das Ergebnis der Abwägung von Einfluss gewesen sind. Auch in Bezug auf die Fehlerfolgen trennt das Gesetz demnach bei Abwägungsentscheidungen weiterhin zwischen dem Verfahren bzw. dem Abwägungsvorgang und der Sachentscheidung. Es wird nicht davon ausgegangen, dass in einem Bereich wie der Abwägung, in dem die Verwaltung erst durch den Einsatz prozeduraler Mittel zu einem Ergebnis gelangt ist, des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 231 ff; Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (317). 141 Zum weiteren Verfahrensbegriff im europäischen Recht etwa Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 120 f.; Held, Jürgen, NVwZ 2012, 461 (462). 142 Zum vordergründigen Ansetzen am Abwägungsvorgang bzw. an der Entscheidungsfindung vgl. u. a. BVerwGE 70, 143 (148); ausführlich zur Abwägungskontrolle und ihrer vordergründig prozeduralen Anknüpfungspunkten Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/ Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 113 Rdnr. 20; in Bezug auf die Ausweitung einer Abwägungskontrolle auch auf tatbestandliche Entscheidungsspielräume Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 497 f. 143 Ähnlich Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 210 und S. 240; Berkemann, Jörg, Die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht, in: Erbguth/Kluth (Hrsg.), Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 11 (20).
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
dieser Einsatz gleichsam automatisch auch das Ergebnis beeinflusst hat. Insgesamt wird hieran deutlich, wie das deutsche Verwaltungsrecht, selbst in Bereichen anerkannter behördlicher Beurteilungs- oder Abwägungsspielräume, am Ausgangspunkt der Ergebniskontrolle festzuhalten versucht. Die Auftrennung der Abwägung in einen Vorgang und ein hiervon zunächst unabhängiges Ergebnis und die damit im Rahmen der Fehlerfolgenregelung einhergehende Konsequenz, dass ein Fehler im Abwägungsvorgang – unabhängig von dessen Einordnung als Verfahrensfehler oder materiell-rechtlicher Fehler der Abwägung – allein bei seiner Ergebnisrelevanz beachtlich ist, erlauben es, selbst die Abwägungskontrolle als eine Ergebniskontrolle erscheinen zu lassen.144 Ob und inwiefern die dennoch angenommene Bedeutungserhöhung der gerichtlichen Kontrolle des Verfahrens bei einer Eingrenzung der Kontrolle der Sachrichtigkeit einer Entscheidung sich konkret auf Verfahrensrechte und Fehlerfolgenregelungen auswirkt oder auswirken muss, ist Gegenstand des Kapitels 3. b) Grundsätzliche Pflicht zur Herbeiführung der Spruchreife und des Entscheidens in der Sache Grundsätzlich hat das Verwaltungsgericht bei ungenügender Sachverhaltsaufklärung der Verwaltungsbehörde selbst in der Sache zu ermitteln und sodann über sie zu entscheiden. Eine Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde ist für die Anfechtungsklage nur im Rahmen der Ausnahme des § 113 Abs. 3 VwGO für Einzelfälle vorgesehen. Es steht nur dort im Ermessen des Gerichts, den Fall an die entscheidende Behörde zurückzuverweisen.145 Auch bei der Verpflichtungsklage kann das Gericht nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO grundsätzlich die Spruchreife herstellen und selbst eine Entscheidung fällen. Gerade auf ein Verpflichtungs- oder Leistungsurteil müsste regelmäßig verzichtet werden, wenn es dem Verwaltungsgericht nicht möglich wäre, eigene Sachverhaltsermittlungen anzustellen und insoweit auch im behördlichen Verfahren unterlassene Verfahrenshandlungen nachzuholen.146
144 Dies begrüßt Gerhardt, Michael, Funktionaler Zusammenhang oder Zusammenstoß zweier Rationalitäten? Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess am Beispiel der jüngeren Verfahrenslehre, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 413 (426 f.). 145 Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 113 Rdnr. 49. 146 Pietzcker, Jost, Verfahrensrechte und Folgen von Verfahrensfehlern, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Maurer, 2011, S. 695 (706 f.).
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Aus dem in Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf eine tatsächlich wirksame und vollständige gerichtliche Nachprüfung folgert das Bundesverfassungsgericht, dass die Verwaltungsgerichte an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Wertungen grundsätzlich nicht gebunden sind.147 Aufgrund dieser „Durchentscheidungsbefugnis“ des Verwaltungsgerichts und der Befugnis zu eigenen Sachverhaltsermittlungen wird insoweit von dem gerichtlichen Verfahren als dem „besseren“148 oder „verlängerten“149 Verwaltungsverfahren gesprochen. Es werden von der Behörde begangene Verfahrensfehler durch die vom Gericht als rechtmäßig angesehene Entscheidung korrigiert oder überdeckt.150 Die verfahrensrechtlichen Garantien des Verwaltungsverfahrens sind dadurch, dass Verstöße gegen sie durch die gerichtliche Entscheidung ohnehin kompensiert werden können, weniger entscheidend für den Rechtsschutz des Einzelnen.151 Im Rahmen der Ausnahme des § 113 Abs. 3 VwGO kann das Gericht jedoch auch, ohne die Sache spruchreif zu machen, die Entscheidung wegen ungenügender Sachverhaltsaufklärung aufheben und an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und eine erneute Sachverhaltsaufklärung sachdienlich ist – auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten. Insbesondere bei Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen der Verwaltung kann es als sachdienlich angesehen werden, ihr die Sache zur Entscheidungsfindung erneut vorzulegen.152 Von den genannten Fällen zu unterscheiden sind jedoch Situationen, in denen bereits ein von der Verwaltungsbehörde begangener (Verfahrens-)Fehler zu einer Aufhebung der Entscheidung führen muss, etwa weil durch die fehlende Sachverhaltsaufklärung ab-
147 BVerfGE 15, 275 (282); BVerfGE 61, 82 (110 f.); BVerfGE 78, 214 (226); BVerfGE 84, 34 (49). 148 Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (303); im Ergebnis auch Gerhardt, Michael, Funktionaler Zusammenhang oder Zusammenstoß zweier Rationalitäten? Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess am Beispiel der jüngeren Verfahrenslehre, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 413 (420 f.). 149 Schoch, Friedrich, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 279 (300); Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 46. 150 Hierzu Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 113 Rdnr. 17, der von dem Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang als „Reparaturbetrieb der Verwaltung“ spricht. 151 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 46; Ossenbühl, Fritz, NJW 1981, 375 (377 f.); Krebs, Walter, DVBl. 1984, 109 (113); Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (303). 152 BVerwGE 90, 18 (24); Emmenegger, Sigrid, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 113 VwGO Rdnr. 176; Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (303).
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
solute Verfahrensrechte153 verletzt worden sind. In diesem Fall besteht kein Aufklärungsbedarf im Sinne des § 113 Abs. 3 VwGO, sondern der Verwaltungsakt ist ohnehin als nicht rechtmäßig und dadurch verletzend aufzuheben.154 So führt ein gänzlicher Ausfall der einer Verwaltungsbehörde überantworteten Abwägung zur Aufhebung der Entscheidung ohne Rückgriff auf § 113 Abs. 3 VwGO und die gerichtliche Möglichkeit einer eigenen Abwägung.155 2. Die interne Verwaltungskontrolle und ihre Rolle für den Rechtsschutz in Deutschland Wie gesehen, ist das deutsche Rechtsschutzsystem im Verwaltungsrecht stark auf die nachträgliche gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns ausgerichtet. Insbesondere jedoch dann, wenn es um die Behebung von Verfahrensfehlern geht, kann die interne Verwaltungskontrolle eine entscheidende Rolle übernehmen. Zwar wird auch hier das einzelne fehlerhaft durchgeführte Verwaltungsverfahren bereits abgeschlossen sein; doch befindet sich die Entscheidung im Gegensatz zu dem Fall der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung weiterhin im Entscheidungsbereich der Exekutive. Zudem kann die intern erfolgende Kontrolle des Verwaltungshandelns regelmäßig am gesamten objektiven Recht ausgelegt und so im Vergleich zur gerichtlichen Überprüfung weiter führend sein, vor allem auch, was das angewendete Verwaltungsverfahren anbelangt.156 a) Einschalten der Aufsichtsbehörden und sonstige Formen interner Verwaltungskontrolle Im Folgenden werden verschiedene Wege der verwaltungsinternen Kontrolle vorgestellt. Neben das formalisierte Widerspruchsverfahren und die Mediation treten zahlreiche weitere nicht-gerichtliche Abhilfemöglichkeiten. Zunächst kann der Betroffene sich in Form der Gegenvorstellung an diejenige Behörde richten, welche die Entscheidung erlassen hat, und so eine Selbstkontrolle der Verwaltung anstoßen.157 Eine wichtige Kontrollfunktion übernimmt im hierarchisch gegliederten Verwaltungssystem überdies die Behörde, die mit der Aufsicht – ob Rechts- oder Fachaufsicht – über das Handeln einer anderen Behörde betraut ist. Dem Einzelnen 153
Hierzu vertiefend Kapitel 3 B. II. 1. c) cc) (1) (b) und Kapitel 4 B. I. 1. d) aa). Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 113 Rdnr. 47; hierzu Kapitel 4 B. II. 1. a) bb). 155 Gaentzsch, Günter, Ermittlungs- und Bewertungsdefizite im Verwaltungsverfahren, in: Bender/Breuer/Ossenbühl/Sender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 405 (409 f.). 156 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 831; zur Begrenzung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle auf den Individualrechtsschutz Kapitel 4 A. I. 157 Hufen, Friedhelm, Verwaltungsprozessrecht, § 1 Rdnr. 46. 154
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steht ein Anspruch auf ein Einsetzen der verwaltungsinternen Kontrolle hier jedoch zunächst nicht zu. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, die Aufsichtsbehörde zum Einschreiten zu bewegen, beispielsweise in Form einer Aufsichtsbeschwerde.158 Auch oder gerade in Bezug auf fehlerhaft durchgeführte Verwaltungsverfahren kommt aufsichtsrechtlichen Maßnahmen jedoch eine entscheidende Bedeutung zu. Wo eine gerichtliche Sanktionierung einer Verletzung von Verfahrensrecht durch Vorschriften wie § 46 VwVfG oder § 44a VwGO weitgehend eingeschränkt ist,159 liegt es entscheidend an der Aufsichtsbehörde, das Umgehen von Verfahrensvorgaben durch andere Behörden zu unterbinden.160 Zuletzt kann gegen Verwaltungsentscheidungen im Wege einer Petition oder einer Anfrage an einen Bürgerbeauftragten vorgegangen werden.161 b) Bedeutung des Widerspruchsverfahrens Das Widerspruchsverfahren ist zunächst selbst ein besonderes Verwaltungsverfahren, dessen Durchführung zugleich gemäß § 68 VwGO grundsätzlich eine Sachurteilsvoraussetzung zumindest für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage darstellt. Es kann in diesem Rahmen auch eine Rolle für den Rechtsschutz gegen verfahrensfehlerhaft ergangene Verwaltungsentscheidungen spielen. Zunächst gibt es der erlassenden Behörde selbst die Möglichkeit, ihre Entscheidung zu kontrollieren. Die Widerspruchsbehörde hat sodann eine grundsätzlich umfassende Kompetenz zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit sowie der Zweckmäßigkeit des ergangenen Verwaltungsakts. Dies schließt also eine Ermessenskontrolle ein, wenn nicht im Einzelfall eine Ausnahme die Prüfungskompetenz der Widerspruchsbehörde insoweit einschränkt.162 Zum einen bietet sich im Widerspruchsverfahren die Möglichkeit, eine zunächst unterlassene oder fehlerhaft durchgeführte Verfahrenshandlung nachzuholen.163 Von der Möglichkeit, unterlassene Verfahrenshandlungen nachzuholen, kann vor allem deshalb in weitem Umfang auch von der Widerspruchsbehörde Gebrauch gemacht werden, weil gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in Bezug auf eine mögliche Klage gegen den Verwaltungsakt das Ausgangsverfahren und das Widerspruchsverfahren
158 Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, Anhang § 42 Rdnr. 76; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 833; Hufen, Friedhelm, Verwaltungsprozessrecht, § 1 Rdnr. 47. 159 Hierzu Kapitel 3 B. II. 1. c) und d) und Kapitel 4 B. II. 1. a) bb) und dd). 160 Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1082). 161 Hufen, Friedhelm, Verwaltungsprozessrecht, § 1 Rdnr. 48. 162 Dolde, Klaus-Peter/Porsch, Winfried, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 68 Rdnr. 37 ff. 163 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 834 ff.; Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 68 Rdnr. 11.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
in gewissem Sinne als eine Einheit anzusehen sind.164 Durch die Regelung des § 45 Abs. 2 VwVfG, nach der Verfahrensfehler sogar bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Verfahren geheilt werden können, hat jedoch das Widerspruchsverfahren als Ort der Heilung von Verfahrensfehlern an Bedeutung eingebüßt.165 Es stellt für die Verwaltung nicht länger die letzte Möglichkeit dar, nur etwa den Betroffenen anzuhören und so die Aufhebung ihrer Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers zu verhindern. Auf der anderen Seite können im Rahmen des Widerspruchsverfahrens aber auch Verwaltungsentscheidungen wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben werden. Dies gilt vor allem, wenn die betreffende Verfahrenshandlung allein von der Ausgangsbehörde vorgenommen werden kann, dies trotz Widerspruch nicht geschehen ist und so auch eine Heilung durch ihre Nachholung bei der Widerspruchsbehörde nicht in Betracht kommt.166 Die Entscheidung wird dann durch die Widerspruchsbehörde aufgehoben und an die Ausgangsbehörde zurückverwiesen, die das beanstandete Verfahren erneut in rechtmäßiger Weise auszuführen hat.167 Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die Ausrichtung des deutschen Rechtssystems auf den subjektiven Rechtsschutz168 auch für das Widerspruchsverfahren gilt. So kann die Widerspruchsbehörde einen (verfahrens-)fehlerhaften Verwaltungsakt insbesondere nur dann aufheben oder ändern, wenn der Antragsteller hierdurch in seinen Rechten verletzt oder – etwa in Bezug auf Ermessensentscheidungen, in deren Rahmen die Widerspruchsbehörde eigenes Ermessen ausübt und nicht an eine Kontrolle nach § 114 VwGO gebunden ist – zumindest belastet ist.169 Seit geraumer Zeit werden allerdings neben den bundesrechtlichen Ausschlussregelungen in den Bundesländern vermehrt Vorschriften eingeführt, welche die notwendige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens vor Erhebung einer Klage auf bestimmte Ausnahmefälle beschränken oder zumindest für weitgehende Bereiche die Pflicht eines Vorverfahrens ausschließen.170 Teilweise wurde somit das 164
BVerwGE 27, 295 (299 ff.); BVerwGE 54, 276 (280); BVerwGE 58, 80 (81 ff.); BVerwGE 62, 108 (112 ff.); BVerwGE 66, 111 (114 f.). 165 Steinbeiß-Winkelmann, Christine, NVwZ 2009, 686 (688); einschränkend Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 837, siehe aber Rdnr. 835 f. 166 Dolde, Klaus-Peter/Porsch, Winfried, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 68 Rdnr. 43 f.; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 838. 167 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 838. 168 Dazu Kapitel 4 A. I. 169 Dolde, Klaus-Peter/Posch, Winfried, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 68 Rdnr. 41 ff.; Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 68 Rdnr. 12. 170 Das zwingende Widerspruchsverfahren schließen etwa Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO für die meisten Bereiche, § 110 NWJustG (zunächst befristet, aber inzwischen mehrmals verlängert) und § 8a Abs. 1 NdsAGVwGO grundsätzlich aus; beispielsweise § 16a Abs. 1 HessAGVwGO nimmt weite Rechtsgebiete aus dem verpflichtenden Vorverfahren aus.
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zunächst in § 68 VwGO vorgesehene Regel-Ausnahme Verhältnis sogar umgekehrt, so dass ein Widerspruchsverfahren grundsätzlich nicht länger durchzuführen ist. Allgemein wird im Zuge dieser Tendenz von einem Bedeutungsverlust des Widerspruchsverfahrens gesprochen.171 Die Selbstkontrolle der Verwaltung anhand des Widerspruchsverfahrens kann damit als weitaus weniger bedeutsam für den Rechtsschutz des Einzelnen bezeichnet werden als die gerichtliche Verwaltungskontrolle. c) Mediation und alternative Streitbeilegung im Verwaltungsrecht Ein gegenwärtig an Bedeutung gewinnender Bereich der internen Verwaltungskontrolle oder zumindest der nicht-gerichtlichen Verwaltungskontrolle ist in der Mediation zu sehen. Alternative Möglichkeiten, Streitigkeiten zwischen Verwaltung und Bürger außerhalb eines formalisierten Gerichtsverfahrens zu lösen, werden insbesondere dort diskutiert, wo größere Planungsverfahren und aufwändige Genehmigungsverfahren immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit treten.172 Vor allem die Mediation wird zum einen als „neue Form“ eines informellen, konsensualen oder kooperativen Verwaltungsverfahrens angeregt,173 aber auch als nachträgliche Konfliktlösungsmöglichkeit vorgeschlagen. Insbesondere in der gesetzlichen Anerkennung der Mediation auch im Verwaltungsrecht durch das Mediationsgesetz174 kann ein Impuls hin zu mehr alternativer Streitbeilegung auch bei Streitigkeiten zwischen dem Staat und dem Bürgern gesehen werden. Möglich ist die Mediation im Rahmen des Verwaltungsprozesses nunmehr in zwei verschiedenen Formen: Zum einen kann das Gericht gemäß § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 278a Abs. 1 ZPO den Parteien die Mediation oder eine andere Form der Konfliktbeilegung vorschlagen. Die Mediation richtet sich dann nach den Vorgaben des zeitgleich mit Einführung des § 278a ZPO erlassenen Mediationsgesetzes, auf das zwar nicht ausdrücklich, aber doch konkludent verwiesen wird, und ist
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Steinbeiß-Winkelmann, Christine, NVwZ 2009, 686 (687). Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 13; Guckelberger, Annette, NVwZ 2011, 390; Pitschas, Rainer, DÖV 2011, 333; von Bargen, Jan Malte, ZUR 2012, 468 (469 f.); Siegel, Thorsten, DVBl. 2012, 1003; umfassend zu den Möglichkeiten der Mediation im Verwaltungsverfahren bereits Hoffmann-Riem, Wolfgang/ Schmidt-Aßmann, Eberhard, Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. I und Bd. II, 1990. 173 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 13 ff., Rdnr. 159 f. 174 Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vom 21. 7. 2012, BGBl. I, 1577, das die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen vom 21. 5. 2008, RL 2008/52/EG, ABl. EU 2008 Nr. L 136/8, insoweit überschießend umsetzt, als es die Möglichkeit der Mediation auch auf das nicht grenzüberschreitende Gerichtsverfahren und vor allem auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren erstreckt. 172
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damit privatrechtlicher Natur.175 Zum anderen kann das Verwaltungsgericht über § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 278 Abs. 5 VwGO die Parteien an einen nicht entscheidungsbefugten Richter oder Güterichter verweisen, der wiederum als Methode der Konfliktschlichtung die Mediation anwenden kann. Funktional ist diese Form der gerichtlichen Mediation dann der Rechtsprechung zuzuordnen.176 Vor allem Konflikte im Bereich der Ermessensverwaltung oder planerischen Abwägung bieten sich für eine Lösung im Rahmen eines Mediationsverfahrens an. Zum einen können so Verwaltungsentscheidungen in einen Konfliktlösungsprozess eingebracht werden, die sich einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle wegen eines auf geltend gemachte Rechtsverletzungen beschränkten Überprüfungsumfangs nicht stellen müssten. Die besondere Flexibilität des Mediationsverfahrens, das in §§ 2 ff. MediationsG nur ansatzweise vorgegeben ist, erlaubt es zudem, dass auch Fehler, die allein das Verwaltungsverfahren betreffen – beispielsweise eine fehlerhafte oder ausgebliebene Beteiligung – in höherem Maße geltend gemacht und in die Konfliktschlichtung eingebracht werden können, als dies bei einem verwaltungsgerichtlichen Prozess, der stark auf die Kontrolle der materiellen Entscheidung ausgelegt ist, möglich gewesen wäre. Dem Betroffenen werden so Möglichkeiten eröffnet, einer Verwaltungsentscheidung entgegenzutreten, die seinen Interessen nicht entspricht oder sogar in seine Rechte eingreift, ohne dass er hierbei den Grenzen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes unterliegt. Allerdings wird das weitaus größere Potenzial der Mediation oder allgemein der Kommunikation zwischen dem Staat und dem Bürger im Bereich des Vorfelds einer Verwaltungsentscheidung, mithin also im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, gesehen. Sei der Bürger bereits innerhalb dieses Verfahrens hinreichend in den Entscheidungsprozess einbezogen worden, so die Hoffnung, könne sich ein anschließendes Streitverfahren über diese Entscheidung erübrigen.177 Gerade im Hinblick auf den Bedeutungsverlust des Widerspruchsverfahrens als Bestandteil der internen Verwaltungskontrolle könnte ein kooperatives Mediationsverfahren an dessen Stelle treten oder dieses zumindest ergänzen.178 Bislang ist von einer solchen weitreichenden Bedeutung des Mediationsverfahrens für den Rechtsschutz des Bürgers jedoch noch nicht auszugehen. 175 Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 1 Rdnr. 35a und Rdnr. 43 f. 176 Hufen, Friedhelm, Verwaltungsprozessrecht, § 3 Rdnr. 11; Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 1 Rdnr. 43 f. 177 Zu der akzeptanzsteigernden Funktion des Verwaltungsverfahrens im Allgemeinen vgl. Kapitel 3 A. I. 3. e) und zu der Bedeutung der Beteiligungsrechte im Besonderen Kapitel 3 B. I. 1. b) cc). 178 Vetter, Stefan, Mediation und Vorverfahren: ein Beitrag zur Reform des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens, 2004, S. 131 ff. und S.185 ff.; Pitschas, Rainer, NVwZ 2004, 396 (401); ders., DÖV 2011, 333; Bargen, Jan Malte, ZUR 2012, 468 (473 f.); vgl. auch den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung, BR-Drucks. 60/11, S. 18.
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II. Der gerichtliche Rechtsschutz und die interne Verwaltungskontrolle in England Dem gerichtlichen Rechtsschutz gegen fehlerhafte Entscheidungen der Verwaltung wurde in England lange Zeit keine eigenständige Bedeutung zugemessen. Die Gerichtsbarkeit war traditionell nur in Zivil- und Strafgerichte aufgegliedert, und die gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der Verwaltung erfolgte zunächst vor allem im Rahmen des judicial review innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit.179 Gleichzeitig ist die Rolle der internen, innerhalb der Exekutive stattfindenden Überprüfung behördlichen Handelns im englischen Rechtssystem, das auf weite Spielräume der Verwaltung und eine zurückgenommene gerichtliche Verwaltungskontrolle ausgerichtet ist, von jeher ungleich größer gewesen. Jedoch ist gerade im Zuge der Entwicklung hin zu einem Rechtsgebiet des Verwaltungsrechts die Tendenz zu erkennen, aus der faktisch bereits bestehenden verwaltungsgerichtlichen Kontrolle eine eigenständige Gerichtsbarkeit entstehen zu lassen. Andererseits gleicht sich auch das formal nicht der Judikative zuzuordnende tribunal system immer mehr einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle an. 1. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihre Kontrollkompetenz Die zunächst untergeordnete Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle hängt eng mit der Vorstellung zusammen, der Exekutive weitgehende in eigener Verantwortung liegende Bereiche zu überlassen, die einer inhaltlichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zunächst nicht zugänglich sein sollen. Dennoch ist es gerade das gerichtliche judicial review procedure, dessen Entwicklung – wie im Folgenden zu zeigen sein wird – in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt wurde und dessen Bedeutung für die Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen nicht länger bestritten wird. Als Aufgabe der Gerichte wird es insbesondere verstanden, die Einhaltung der rechtlichen Grenzen administrativer Entscheidungsspielräume zu kontrollieren. Im Rahmen dieser Kontrolle sind die Gerichte auch mit dem Schutz individueller Rechte180 und in neuerer Zeit vor allem mit dem Schutz der durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierten Grundrechte betraut. Dieser Fokus auf den Schutz der Rechte Einzelner hat die englische Rechtstradition entscheidend verändert, die im Übrigen grundsätzlich von der Freiheit auch staatlichen Handelns ausgeht, wonach alles nicht explizit Verbotene erlaubt ist, und es damit dem Einzelnen aufbürdet darzulegen, dass eine bestimmte
179 Aus der deutschen Literatur hierzu etwa Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 22; Schwarze, Jürgen, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 133 f.; Baumgartner, Ulrich, Die Klagebefugnis nach dem deutschen Recht vor dem Hintergrund der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 36. 180 Schmidt-Aßmann, Eberhard/Krämer, Hannes, EuZöR, 1993, special number, S. 99.
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Verwaltungshandlung pflichtwidrig ist.181 Auch bedeutet dieser neue Stellenwert der Rechte des Einzelnen, auf die man sich unmittelbar berufen kann, um gegen eine Verwaltungsentscheidung vorzugehen, in Teilen eine Abkehr von der traditionellen Annahme des englischen Rechts, dass es die vordergründige Aufgabe der gerichtlichen Kontrolle der Exekutive sei, die Verwirklichung des parlamentarischen Willens sicherzustellen und zunächst allein als Konsequenz dessen – mittelbar – auch den Einzelnen vor Eingriffen der Verwaltung zu schützen.182 a) Entwicklung des Administrative Court an der Queen’s Bench Division of the High Court Lange Zeit hat es in England keinen eigenständigen Verwaltungsgerichtszweig neben den ordentlichen Gerichten gegeben. Gegen Entscheidungen von öffentlichen Einrichtungen musste entweder vor den Tribunalen vorgegangen werden, oder es konnte das Verfahren des judicial review – seit 1977 unter diesem Namen – vor dem ordentlichen High Court angestrengt werden. Nach langer Diskussion über die Notwendigkeit eines eigenständigen Verwaltungsgerichts wurde schließlich im Oktober 2000 der Teil des High Courts und dort der Queen’s Bench Division, der sich auch zuvor mit dem judicial review befasst hatte, in Administrative Court umbenannt.183 Die judicial review-Fälle, die zuvor unter der so genannten „Crown Office List“ behandelt wurden, gingen auf den Administrative Court über. Über die Bedeutung dieser Umbenennung herrscht bislang allerdings keine Einigkeit. Zwar wird einerseits betont, dass nun entgegen der Rechtstradition Albert Venn Diceys ein eigenständiger Gerichtszweig für Verwaltungssachen zuständig sei;184 andererseits bleibt der Administrative Court weiter ein Zweig des ordentlichen High Court, an dessen Zuständigkeit sich insoweit nichts geändert hat.185 b) Das judicial review proceeding Die wichtigste Möglichkeit des Bürgers, Verwaltungsentscheidungen von einem Gericht überprüfen zu lassen, wird ihm durch das judicial review proceedings ein181 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 139; Miles, Joanna, CLJ 2000, 133 (148); Lairg, Lord Irvine of, PL 2003, 308 (309, 324); Hickman, Tom, CLJ 2004, 166 (186); Goodwin, James, PL 2012, 445 (461 f.); deutlich zu dieser Rechtstradition beispielsweise Sedley J in R v Somerset County Council, ex parte Dixon (1998) Env L.R. 111 (121): „Public law is not at base about rights; it is about wrongs – that is to say misuses of public power“. 182 Le Sueur, Andrew, JR 2005, 32 (33 f.); zu der Ausrichtung der englischen Verwaltungskontrolle Kapitel 4 A. II. 183 Practice Direction (Administrative Court: Establishment) (2000); hierzu Bradley, Anthony/Ewing, Keith; Constitutional and Administrative Law, S. 633. 184 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 26 Rdnr. 2.4.19. 185 Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 633.
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geräumt. Zwar reichen die Wurzeln des judicial review bis in das Mittelalter zurück; doch ist die Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen gerade in den letzten Jahren grundlegenden Änderungen unterzogen worden. Das judicial review proceeding sieht sich stetig andauernden Reformen ausgesetzt.186 aa) Entstehung des judicial review proceedings Die Entstehung des judicial review proceeding im modernen Kontext ist maßgeblich auf die Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zurückzuführen, obgleich die Grundzüge bereits in der Rechtsprechung des Court of King’s Bench im 16. und 17. Jahrhundert gefunden werden können.187 (1) Bedeutung der Industrialisierung und der Entwicklung des Sozialstaats Vor allem seit Beginn der Industrialisierung hat die staatliche Regulierung auch in England eine immer größere Rolle gespielt.188 Der Bedarf an behördlich kontrolliertem Städtebau, Eisenbahnbau und anderen Infrastrukturmaßnahmen auf der einen, aber auch an einer Regulierung der Arbeitsbedingungen in der Industrie auf der anderen Seite wuchs.189 Das Parlament konnte diese Aufgabe immer weniger zentral übernehmen, wodurch es zu einer Ausweitung der delegierten Gesetzgebung bestimmter Behörden oder regionaler Regierungen kam.190 Darüber hinaus trug die Einführung eines staatlichen Sozialsystems mit Gesundheits- und Arbeitslosenversorgung und die Schaffung des National Health Service dazu bei, dass das Verhältnis von Bürger zu Staat oder zu staatlichen Einrichtungen immer häufiger in den Mittelpunkt rechtlicher Streitigkeiten trat. Die wachsende Bedeutung der Exekutive – durch Delegierung von Gesetzgebungskompetenzen, Einrichtung neuer Behörden und Sozialsystemen – führte auch zu einem wachsenden Bedürfnis, die staatlichen Befugnisse kontrollieren zu können.191 Wo der Staat eine immer wichtigere Rolle einnimmt, wird es auch immer bedeutender, diese Rolle klar zu definieren und im Zweifel einen Mechanismus zur Kontrolle staatlicher Kompetenzen zu etablieren. Dies führte neben der Einrichtung 186
Beatson, Jack/Mathews, Martin/Elliot, Mark, Administrative Law, S. 6 Rdnr. 1.3.1. Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 9 f. Rdnr. 2.1.3 f.; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 10 ff. 188 Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 605 f.; Bradley, Anthony/ Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 636, die von einer „explosion of government“ in dieser Zeit sprechen. 189 Vgl. zu Gesetzen aus dieser Zeit beispielhaft: Artisans’ and Labours’ Dwelling Improvement Act 1875; Housing of the Working Classes Act 1890; Public Health Acts 1848, 1872, 1875, Factory Act 1833; Workmen’s Compensation Acts 1897, 1906. 190 Schwarze, Jürgen, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 135; hierzu auch Loughlin, Martin, Großbritannien, in: Bogdandy/Cassese/Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, 2010, Bd. III, § 44 Rdnr. 37 ff. 191 Schwarze, Jürgen, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 135. 187
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der administrative tribunals dementsprechend zu einer wachsenden Bedeutung des judicial review proceedings.192 (2) Mittelalterliche Klagearten – writs und remedies Obwohl das Verständnis von judicial review in Bezug auf administrative Entscheidungen also dementsprechend jung ist, gehen die Prinzipien, die noch heute grundlegend für das judicial review proceeding sind, auf mittelalterliche Rechtsmittel – remedies – und Titel oder Klagearten – writs – vor dem Court of King’s Bench zurück.193 Zunächst diente das Verfahren vor dem Court of King’s Bench lediglich dazu, die Macht der in den verschiedenen Landkreisen wirkenden justices of the peace – im frühen Mittelalter eingesetzte Richter, die in ihren jeweiligen Bezirken für die Einhaltung der Gesetze zuständig waren – zu regulieren.194 Es entwickelte sich jedoch zu einem allgemeinen Mechanismus zur Kontrolle örtlicher staatlicher Einrichtungen.195 Zwar waren es zumeist Bürger, die durch einen Antrag beim Court of King’s Bench die Überprüfung einer gegen sie gerichteten Maßnahme anstrebten. Ziel des hier entwickelten Überprüfungsmechanismus war es aber vor allem, im öffentlichen Interesse die Befolgung der Gesetze des Königs im gesamten Land sicherzustellen und den Missbrauch dieser Gesetze durch örtliche Gerichte oder öffentliche Stellen zu unterbinden.196 Es sind vor allem die drei Klagearten writs of certiorari, prohibition und mandamus, die im Laufe ihrer Entwicklung zusammenfassend prerogative writs genannt wurden, prägend für das moderne Verständnis des judicial review.197 Der Terminus prerogative – Vorrecht oder Privileg – bezieht sich darauf, dass diese Klagearten in ihrer historischen Gestalt als Rechte des Königs oder der Krone angesehen wurden oder ihre Ausübung zumindest der Zustimmung des Königs bedurfte und sie damit nicht den ordentlichen oder privatrechtlichen Klagearten zugeordnet wurden.198 Zum Teil wird der auf die Befreiung eines unrechtmäßig Inhaftierten gerichtete writ of habeas corpus zusätzlich als einer der prerogative writ genannt.199 Der writ of certiorari – vergleichbar mit einer Anfechtungsklage – war in seiner ursprünglichen Form auf die Erlangung einer Information gerichtet, entwickelte sich jedoch alsbald zu einem weiter reichenden Recht auf Überprüfung von Verwaltungsentscheidun192
Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 635. Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 729; Riedel, Eibe, Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem, 1976, S. 23. 194 Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 635. 195 Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 730. 196 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 14 Rdnr. 2.2.10; Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 729. 197 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 13 Rdnr. 2.2.5 ff. 198 Riedel, Eibe, Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem, 1976, S. 23. 199 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 970, Rdnr. 17 – 008 ff. 193
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gen.200 Er wurde von dem Court of King’s Bench im 13. Jahrhundert entwickelt, vor allem um die steigende Macht der justices of the peace zu regulieren.201 Der writ of prohibition – entsprechend einer Unterlassungsklage – zielte darauf ab, eine rechtswidrige bevorstehende oder andauernde Handlung zu unterbinden. Er wurde wiederum vom Court of King’s Bench entwickelt, vor allem um die Zuständigkeit anderer Gerichte, wie des Admirality Courts oder des Ecclesiastical Courts, zu begrenzen.202 Der writ of mandamus – entsprechend einer Verpflichtungsklage – richtete sich darauf, eine öffentliche Stelle zur Vornahme einer bestimmten Handlung zu verpflichten. Dem Court of King’s Bench wurde es so ermöglicht, die örtlichen Behörden oder Tribunale zur Einhaltung ihrer gesetzlichen Pflichten zu zwingen.203 Der writ of habeas corpus schließlich war speziell darauf gerichtet, eine Inhaftierung zu überprüfen und die Befreiung eines rechtswidrig Inhaftierten zu erreichen. Bis heute sind die beschriebenen prerogative orders als quashing order (Aufhebung), prohibiting order (Unterlassen) und mandatory order (Verpflichtung) die wesentlichen dem Gericht zur Verfügung stehenden Maßnahmen. bb) Reform und modernes Verständnis des judicial review Bis zur Einführung des modernen judicial review in den 1970er-Jahren war die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen durch die verschiedenen zur Verfügung stehenden Abhilfemöglichkeiten und deren unterschiedliche Voraussetzungen geprägt. Neben den aus den mittelalterlichen writs entstandenen prerogative orders, die dem öffentlichen Recht zugeordnet werden, konnten die allgemeinen privatrechtlichen Rechtsbehelfe einstweilige Verfügung (injunction), eine Feststellung über die fraglichen rechtliche Beziehungen (declaratory judgment oder declaration) oder Schadensersatz (damages) angestrebt werden.204 Ein gemeinsamer Antrag auf beide Arten von Rechtsbehelfen – prerogative order oder privatrechtliche Klagearten – war nicht vorgesehen. Auch die Voraussetzungen für den Zugang des Einzelnen zum High Court und den dortigen Verfahrensgang waren je nach der Wahl des Antrags verschieden.205 200
Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 509 f. Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 13 Rdnr. 2.2.6; Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 635. 202 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 883, Rdnr. 15 – 017 f.; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 510 f.; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 13 Rdnr. 2.2.7. 203 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 520; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 14 Rdnr. 2.2.8 ff. 204 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 477 f., S. 549 ff. 205 Zum Ganzen Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 734; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 477 f., S. 549 f.; Law 201
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Der Gesetzesentwurf der für die Beratung zu notwendigen Reformen eingesetzten Law Commission206 sah vor, ein einheitliches Verfahren für den Antrag auf judicial review zu schaffen. Dies wurde zunächst in der Order 53 der Rules of the Supreme Court eingeführt und ist nach weiteren Änderungen nunmehr in Part 54 der Civil Procedure Rules zu finden.207 Es ist danach jetzt möglich, eine der Klagearten der prerogative orders oder eine declaration oder injunction zu wählen sowie die verschiedenen Abhilfemöglichkeiten miteinander zu verbinden.208 Darüber hinaus kann das Gericht gemäß Section 31 (4) Supreme Court Act 1981 zusätzlich Schadensersatz gewähren, wenn ein Antrag hierauf gestellt wurde. All diese Möglichkeiten sind nun in einem einzigen Verfahren – dem judicial review proceeding nach Section 31 des Supreme Court Act 1981 vor dem High Court – zusammengefasst. Der Supreme Court Act 1981 ist mittlerweile durch den Constitutional Reform Act 2005 in Senior Court Act 1981 umbenannt worden. Wo es zuvor notwendig war, sich für den öffentlich-rechtlichen oder den privatrechtlichen Weg der Abhilfe zu entscheiden, gibt es nun ein einheitliches öffentlich-rechtliches Verfahren. Diese Neuerung führte zu der Diskussion, ob es dennoch weiter möglich sein könne, auf privatrechtlichem Wege und ohne die durch Section 31 Senior Court Act 1981 i.V.m. Part 54 Civil Procedure Rules vorgegebenen Formalia gegen Entscheidungen öffentlicher Einrichtungen vorzugehen. Ursprünglich hatte die Law Commission eine solche Möglichkeit noch ausdrücklich begrüßt und einen Ausschluss der privatrechtlichen Vorgehensweise durch das neu geregelte judicial review proceeding abgelehnt.209 Das House of Lords210 erteilte diesem Vorgehen jedoch 1982 in dem Fall O’Reilly v Mackman (1982)211 eine Absage. Das Gericht entschied, dass Section 31 Supreme Court Act 1981 – heute Senior Court Act 1981 – und Order 53 der Rules of the Supreme Court – heute Part 54 CPR – mit dem judicial review proceeding ein exklusives Verfahren eingeführt habe, das nicht dadurch umgangen werden könne, dass auf ordentliche privatrechtliche Abhilfemöglichkeiten ausgewichen werde. Seither kann das judicial review proCommission Report on Remedies in Administrative Law (Law Commission No. 73), Cmnd. 6407, 1976. 206 Gegründet als The Law Commission for England and Wales durch den Law Commissions Act 1965. 207 Eingeführt durch Section 2 Civil Procedures Act 1997. 208 In der Order 53 rule 2 der Rules of the Supreme Court wurde dies noch explizit erwähnt. Part 54 der Civil Procedure Rules setzt die alternative Geltendmachung verschiedener Klagearten und deren mögliche Verbindung nur noch implizit voraus; siehe hierzu Wade, William/ Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 555, Fn. 70. 209 Law Commission Report on Remedies in Administrative Law (Law Commission No. 73), Cmnd. 6407, 1976, Rdnr. 34. 210 Im Jahre 2009 sind durch den Constitutional Reform Act 2005 die zuvor durch das House of Lords ausgeübten Rechtsprechungskompetenzen auf den Supreme Court übergegangen, im Folgenden wird immer dann von House of Lords gesprochen, wenn der Fall durch das Gericht noch unter dieser Bezeichnung entschieden wurde. 211 [1982] 2 AC 237.
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ceeding vor dem heute so genannten Administrative Court als das einzige Verfahren für die gerichtliche Überprüfung behördlicher Entscheidungen auf ihre öffentlichrechtliche Rechtmäßigkeit hin angesehen werden.212 c) Kontrollumfang des Administrative Court im Rahmen des judicial review proceedings Zunächst wird im englischen Rechtssystem von einer strengen Trennung zwischen den Entscheidungsbefugnissen der Verwaltung und denjenigen des Gerichts ausgegangen. Den Verwaltungsbehörden wird ein weitreichender Ermessensspielraum – discretion – eingeräumt, dessen Ausübung sodann auch gerichtlich nicht inhaltlich überprüft werden soll. Dem englischen Rechtssystem liegt dabei die Vorstellung zu Grunde, dass Handlungen der Verwaltung zu respektieren sind,213 soweit sie sich in bestimmten rechtlichen und auch gerichtlich zu überprüfenden Grenzen bewegen. Die gerichtliche Nachprüfung ist traditionell primär auf eine Kontrolle des Verfahrens und nicht auf dessen Ergebnis ausgelegt.214 aa) Ausschluss des gerichtlichen Rechtsschutzes In bestimmten Fällen werden Entscheidungen der Exekutive als derart ungeeignet für eine Überprüfung durch die Gerichtsbarkeit angesehen, dass die Möglichkeit des judicial review gänzlich ausgeschlossen wird. (1) Gerichtliche Überprüfbarkeit – justiciability und policy decisions Einige Fragen, die von der Verwaltung zu entscheiden sind, werden als nicht geeignet für eine gerichtliche Überprüfung durch das judicial review proceeding angesehen. Dazu gehören vor allem Entscheidungen, welche die nationale Sicherheit betreffen, aber auch solche, die als rein politische Entscheidungen der Exekutive angesehen werden. Eine – nicht als abschließende Aufzählung anzusehende – Zusammenfassung der Fallkonstellationen, in denen eine Frage als gerichtlich nicht überprüfbar anzusehen ist, findet sich in dem Fall Council of Civil Service Unions v Minister for the Civil Service (1985),215 der auch als „GCHQ-Fall“ bekannt ist. Hiernach werden das Unterzeichnen von Abkommen, die Verteidigung des Staats, die staatliche Befugnis, Ehrungen zu verleihen, das Recht der Gnade, die Auflösung 212 Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 734; siehe für eine ausführliche Diskussion der Reichweite der neuen Exklusivität des judicial review proceedings Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 568 ff. 213 Goodwin, James, PL 2012, 445 (455), spricht von einem „built-in respect“ für Ermessensentscheidungen der Verwaltung; vgl. auch Ip, Eric, Oxford Journal of Legal Studies 34 (2014), 481 (482 f.). 214 von Danwitz, Thomas, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 47. 215 [1985] AC 374.
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des Parlaments sowie die Ernennung der Minister als gerichtlich nicht überprüfbare Entscheidungsbereiche genannt.216 Um eine Frage als non-justiciable einzustufen, wird zuweilen auch allgemein auf ihren vornehmlich politischen Charakter verwiesen. Beispielsweise wurde die Entscheidung, Strafzahlungen für örtliche Einrichtungen, die ihr Budget überschreiten, vorzusehen, als nicht gerichtlich überprüfbar angesehen, da hier Angelegenheiten der nationalen Wirtschaftspolitik betroffen seien, die allein von der Exekutive entschieden werden könnten.217 Eine gerichtliche Überprüfung solcher Entscheidungen wird als Eingriff in den Gewaltenteilungsgrundsatz verstanden und daher oftmals abgelehnt.218 Allerdings hat es auch immer wieder Fälle gegeben, in denen die Gerichte durchaus bereit waren, eine Entscheidung der Exekutive, die als rein oder vornehmlich politisch eingestuft werden kann, zu überprüfen. So wurde beispielsweise entschieden, dass auch eine ansonsten nicht überprüfbare Frage dann kontrolliert werden kann, wenn die Entscheidung der Exekutive arglistig oder unter unzulässigen Motiven getroffen wurde oder offensichtlich und schwerwiegend fehlerhaft ist.219 Darüber hinaus wird vor allem in jüngerer Zeit vermehrt die These vertreten, dass es keine Entscheidungen gebe, die an sich nicht der gerichtlichen Überprüfung unterlägen. Vielmehr seien allein einzelne Aspekte einer Entscheidung – insbesondere solche von politischer Natur oder bei einem weiten Ermessensspielraum der Verwaltung – nur einer begrenzten inhaltlichen Kontrolle zugänglich.220 Eine gänzliche Beschränkung der gerichtlichen Überprüfungsfunktion sei aber insbesondere in Bereichen, die in den Anwendungsbereich des Human Rights Act 1998 fielen, nicht denkbar. Sobald die hiermit in das englische Recht übernommenen, durch die Europäische Menschenrechtskonvention anerkannten Grundrechte berührt würden, sei für eine Zurückhaltung der Gerichte und einen vollkommenen 216
Council of Civil Service Unions v Minister for the Civil Service (1985) AC 374 (418). R v Secretary of State for the Environment, ex parte Hammersmith and Fulham London Borough Council (1991) 1 AC 521, der jedoch auch als Beleg für eine eingeschränkte Anwendung des unreasonableness tests in wirtschaftlichen Fragen herangezogen wird; hierzu Kapitel 2 B. II. 1. c) bb) (3) (b); vgl. auch Nothinghamshire CC v Secretary of State for the Environment and another appeal (1986) AC 240; R (Abbasi) v Foreign Secretary and Home Secretary (2002) EWCA Civ 1598. 218 County Council v Secretary of State for the Environment (1986) AC 240; R v Parliamentary Commissioner for Administration, ex parte Dyer (1994) 1 WLR 621; A v Secretary of State for the Home Department (2005) 2 AC 68. 219 R v Parliamentary Commissioner for Administration, ex parte Dyer (1994) 1 WLR 621; siehe auch R v Home Secretary, ex parte Ruddock (1987) 1 WLR 1482; hier wurde entschieden, dass allein die Betroffenheit der nationalen Sicherheit an sich eine Entscheidung nicht zwingend unüberprüfbar macht; in R v Home Secretary, ex parte Bentley (1994) QB 349, war ein Gnadengesuch Gegenstand eines judicial review proceedings. 220 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 20 Rdnr. 1 – 034; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 295; King, Jeff, MLR 70 (2007), 197 (198); dieses neuere Verständnis der justiciability wird auch als secondary justiciability bezeichnet; vgl. Daly, Paul, PL 2010, 160 (162 f., 166 f.). 217
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Ausschluss der gerichtlichen Überprüfbarkeit einer Entscheidung kein Raum mehr.221 Teilweise wurden in älteren Fällen auch solche Fragen als non-justiciable bezeichnet, die von einem weiten Ermessensspielraum der Verwaltung erfasst werden. Der Terminus wurde dann dazu verwendet, um zu beschreiben, dass es nicht die Aufgabe der Gerichte sei, den Inhalt von Entscheidungen, die der Verwaltung überlassen worden seien, zu überprüfen.222 Durchgesetzt hat sich jedoch die Ansicht, derartige Entscheidungen nicht als von vorneherein ungeeignet für eine gerichtliche Überprüfung zu beschreiben, sondern allein den Umfang der gerichtlichen Prüfung bezogen auf den Inhalt der Entscheidung zu beschränken.223 Allgemein ist somit der Bereich von Verwaltungsentscheidungen, die keinerlei gerichtlicher Überprüfung unterzogen werden können, mittlerweile verschwindend gering.224 (2) Ausschlussklauseln – exclusion oder ouster clauses In einigen Gesetzen, welche die Verwaltung zu gewissen Entscheidungen ermächtigen, ist der Weg des judicial review hingegen explizit ausgeschlossen. Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass die Entscheidung eines bestimmten administrative tribunal als „final“ bezeichnet wird. Der bedeutendste Fall bezüglich der Möglichkeit, die gerichtliche Überprüfbarkeit einer Verwaltungsentscheidung gesetzlich auszuschließen, ist Anisminic Ltd. v Foreign Compensation Commission (1969).225 In diesem Fall ging es um eine Vorschrift des Foreign Compensation Act (1950). Das Gesetz regelt die Ausgleichszahlungen im Falle der Beschlagnahmung englischen Besitzes im Ausland und ermächtigt die Foreign Compensation Commission (FCC) zu der Zuteilung solcher Zahlungen. Entscheidungen dieser Kommission sollten dem Gesetz entsprechend nicht vor Gericht in Frage gestellt werden. Das House of Lords entschied jedoch, dass eine solche Vorschrift nicht die Fälle erfasse, in denen die Behörde – hier also die FCC – schon das sie ermächtigende Gesetz falsch angewendet habe. Ihre Entscheidung könne dann auch nicht als eine Entscheidung im rechtlichen Sinne angesehen werden. Eine Ausschlussklausel
221 King, Jeff, MLR 70 (2007), 197 (220 ff., insbes. S. 223 f.); zu den Einflüssen des Human Rights Act 1998 auf das englische Verwaltungsrecht noch Kapitel 2 B. II. 1. e). 222 So beispielsweise in Liversidge v Anderson (1942) AC 221; dazu Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 241. 223 Vgl. schon die Entscheidung Padfield v Minister for Agriculture, Fisheries and Food (1968) AC 997; grundlegend hierzu auch der Supreme Court of Canada in Roncarelli v Duplessis (1959) SCR 121; Daly, Paul, PL 2010, 160 (163); Kavanagh, Aileen, LQR 2010, 222 (241 ff.). 224 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 230 Rdnr. 4 – 057. 225 [1969] 2 AC 147.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
könne dem Gericht also nicht die Möglichkeit nehmen zu überprüfen, ob die beantragte Entscheidung überhaupt getroffen worden sei.226 Solche Klauseln, die eine Überprüfung im Rahmen des judicial review ausschließen oder zumindest begrenzen sollen, werden gerade im Anschluss an diese Entscheidung durch die Gerichte mit Berufung auf deren Aufgabe, die Rule of Law aufrechtzuerhalten, regelmäßig sehr restriktiv ausgelegt.227 bb) Beschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs und Ausweitung durch die Entwicklung der Klagegründe – grounds of judicial review Die gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen war lange darauf begrenzt festzustellen, ob die Verwaltung die eindeutigen Grenzen der ihr eingeräumten Befugnisse eingehalten und insbesondere ein faires Verfahren zu ihrer Entscheidung geführt hat. Die Gerichte sollten sich mit der Entscheidungsfindung und nicht mit dem Ergebnis der Entscheidung selbst befassen.228 Seit geraumer Zeit ist jedoch die Tendenz erkennbar, die inhaltliche Kontrolle der Sachentscheidung über diese Grenzen hinaus auszuweiten. So wird vermehrt durchaus auch der Inhalt einer Verwaltungsentscheidung, insbesondere wenn es um Abwägungsentscheidungen geht, auf seine Richtigkeit und unter Einfluss des europäischen Rechts auch auf seine Verhältnismäßigkeit hin überprüft. Ferner ist zu bedenken, dass es zwar eine traditionelle Regel der gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen ist, dass deren Inhalt gerichtlich nicht überprüft wird; allerdings ist es gerade das Gericht, das im Einzelfall entscheidet, welche Grenzen dem Ermessen der Verwaltung zu setzen sind und ob diese eingehalten wurden.229 Überdies hat es auch in England durchaus Bestrebungen gegeben, eine weitgehende Kontrolle von bestimmten Entscheidungsspielräumen der Verwaltung zu begründen. (1) Ronald Dworkins one right answer thesis und Unterscheidung zwischen Entscheidungs- und Interpretationsspielraum in der gerichtlichen Kontrolle In Bezug auf rechtliche Fragen wird auch im englischen Recht davon ausgegangen, dass es eine „richtige“ Antwort hierauf geben muss und dass es das Gericht und nicht die Verwaltung ist, die diese Antwort in letzter Instanz geben kann.230 226
Lord Reid in Anisminic Ltd. v Foreign Compensation Commission (1969) 2 AC 147 bei 171 B-E. 227 Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 628 ff.; dies erfolgt allerdings auch nicht erst seit der Entscheidung im Anisminic Fall; vgl. beispielsweise Lord Denning in R v Medical Appeal Tribunal, ex parte Gilmore (1957) 1 QB 586. 228 Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. 241; Grey, Julian, Osgoode Hall Law Journal 17 (1979), 107 (113); Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 639 f. 229 Grey, Julian, Osgoode Hall Law Journal 17 (1979), 107 (117). 230 Cane, Peter, Administrative Law, S. 181 f.
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Allerdings wird in England von einer weitaus geringeren Steuerungsdichte des formellen Gesetzesrechts ausgegangen231 und damit von weiteren Entscheidungsbereichen, die nicht in den rechtlichen Bereich einer einzig richtigen Antwort fallen. Auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis hat es jedoch darüber hinaus eine Diskussion darüber gegeben, ob dort, wo die Verwaltung nicht einen solchen Entscheidungsspielraum zuerkannt bekommt, bei dem sie sich zunächst eigene Handlungsmaßgaben setzen kann, sondern wo gewisse gesetzliche Vorgaben existieren, die von der Verwaltung ausgelegt und angewendet werden müssen, noch von einem wahren Ermessen der Verwaltung ausgegangen werden kann oder ob hier gerade rechtliche Fragen entschieden werden müssen, die einer vollständigen gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind. Der prominenteste Vertreter der one right answer thesis, Ronald Dworkin, begegnet dieser Frage durch eine Unterscheidung zwischen starker und schwacher discretion – einem starken oder schwachen Ermessen oder Entscheidungsspielraum. Stark in diesem Sinne ist der Entscheidungsspielraum, wenn dem Entscheidungsträger selbst aufgegeben wird, Maßgaben für das eigene Handeln festzulegen, während von einem schwachen Entscheidungsspielraum dann gesprochen wird, wenn der Entscheidungsträger die von einem anderen gesetzten Maßgaben für sein Handeln interpretieren und auslegen muss.232 Ronald Dworkin geht – ähnlich der deutschen Vorstellung von einer möglichen allein richtigen und gerichtlich vollständig kontrollierbaren Entscheidung – im Falle eines nach seiner Definition schwachen Ermessens von der Möglichkeit aus, eine einzig richtige Entscheidung zu treffen. Dort also, wo es eine gesetzliche Vorgabe für das Handeln der Verwaltung gibt, deren Voraussetzungen durch den Rechtsanwender auszulegen sind, soll kein wahrer Entscheidungsspielraum vorliegen, sondern eine einzig richtige Auslegung der Vorgaben gerade möglich sein. Bei der Herleitung einer solchen Entscheidung greift Dworkin auf einen fiktiven allwissenden „Richter Herkules“ zurück.233 Dieser Richter könne, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Normen, die ein Rechtssystem ausmachten, die in diesem Rechtssystem allein richtige Auslegung einer bestimmten Regel finden und anwenden. Auch Dworkin geht somit bei seiner Theorie der einzig richtigen Entscheidung von einer Fiktion oder einem Konzept aus. In der heutigen Diskussion werden Fälle des schwachen Ermessens nach Dworkins Verständnis zumeist als judgment-Entscheidungen – urteilende Entscheidungen – bezeichnet und teilweise von Entscheidungen unter discretion abgegrenzt.234 Bei derartigen Fragen des judgments sei entscheidend, dass das Gericht die behördliche Auslegung der Gesetzesvorgaben auf ihre Richtigkeit hin überprüfen könne. In Abgrenzung zu ihrer Rolle bei einem eingeräumten Ent231
Hierzu Kapitel 3 A. II. 1. a) bb). Dworkin, Ronald, Taking Rights Seriously, 1977, S. 31 ff., S. 68 ff., vordergründig jedoch in Bezug auf gerichtliche Entscheidungsspielräume; vgl. auch die Darstellung bei Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 14. 233 Insbesondere Dworkin, Ronald, Taking Rights Seriously, 1977, S. 105 ff. 234 Bennion, Francis, PL 2000, 368; ders., PL 2005, 707; Jeff, King, MLR 70 (2007), 197 (204 ff.). 232
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scheidungsspielraum sei die Verwaltung bei der Auslegung von Rechtsbegriffen gerade nicht frei, sondern müsse, ebenso wie das Gericht im Falle der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung, rechtliche Auslegungsregeln anwenden, die zu einem allein richtigen Ergebnis führen könnten.235 Im Gegensatz zum deutschen Rechtssystem, wo das Konzept der einzig richtigen Entscheidung Eingang in das System der gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen und insbesondere von Entscheidungen mit tatbestandlich offenem Gesetzesprogramm gefunden hat,236 ist es in England weitgehend bei einer rechtstheoretischen Beschäftigung mit selbigem Konzept geblieben.237 Die Gerichte gehen nicht etwa systematisch davon aus, dass Fragen der Auslegung inhaltlich vollkommen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen seien. Vielmehr ist der Umgang mit der Kontrolle von Auslegungsfragen stark einzelfallabhängig.238 Auch Befürworter einer Unterscheidung zwischen einem Entscheidungs- und einem Beurteilungsspielraum fordern zudem nicht notwendigerweise, dass ein Gericht die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals der Verwaltung durch seine eigene ersetzen können soll. Vielmehr wird verbreitet davon ausgegangen, dass die Gerichte im Einzelfall entscheiden sollten, ob von der durch die Verwaltung zu Grunde gelegten Auslegung abgewichen werde. So könne zum einen der Vorrang der Verwaltung in deren Entscheidungsbereich geachtet, aber dennoch eine wirkungsvolle rechtliche Kontrolle sichergestellt werden.239 Diese Forderung spiegelt sich auch im tatsächlichen Umgang der Gerichte mit Auslegungsfragen wieder. Regelmäßig wird der Auslegung und Einzelfallanwendung der entscheidenden Behörde gefolgt, wenn diese rational, also vernünftig, ist.240 (2) Traditionelle Beschränkung auf die Kontrolle der Zuständigkeit und des Verfahrens Ursprünglich wurde es als Aufgabe des judicial review angesehen zu überprüfen, ob die öffentliche Einrichtung, deren Entscheidung angegriffen wird, sich innerhalb der ihr durch Gesetz zugestandenen Zuständigkeiten bewegte. Im Gegensatz zu 235
Bennion, Francis, PL 2000, 368 (368 f.). Vgl. hierzu Kapitel 2 B. I. 1. a) aa) und bb) (2). 237 Vgl. hierzu u. a. die Darstellung bei Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 14 ff.; starker Befürworter der one right answer thesis und Kritiker der Herangehensweise der Gerichte ist gegenwärtig vor allem Francis Bennion; vgl. Bennion, Francis, PL 2000, 368; ders., PL 2005, 707. 238 Deutlich wird dies beispielsweise an den Ausführungen von Lord Keith in Devon County Council v George (1988) AC 573 (604), wo die Auslegung eines Rechtsbegriffes als „discretion“ in der Form eines „judgments“ bezeichnet wurde; vgl. auch Henry L.J. in Storer v British Gas plc (2000) 2 All E.R. 440 (445). 239 Craig, Paul, Administrative Law, S. 493 Rdnr. 16 – 033; King, Jeff, MLR 70 (2007), 197 (207). 240 South Yorkshire Transport Ltd. v Monopolies and Mergers Commission (1993) 1 WLR 23 (32); R v Ministry of Defence, ex parte Walker (1999) 3 All E.R. 935 (942). 236
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einem Rechtsmittel – appeal – gegen eine Entscheidung, das sowohl innerhalb des Systems der administrativen Tribunale als auch gegen Entscheidungen unterer Gerichte zulässig sein kann, sollte das judicial review nicht jeden faktischen und rechtlichen Fehler der Entscheidung aufdecken, sondern lediglich sicherstellen, dass die öffentliche Einrichtung die Befugnis zu einer solchen Entscheidung auch tatsächlich hatte.241 Diese Konzeption der auf eine ultra-vires-Prüfung beschränkten Begründetheitsprüfung bedeutete, dass den Einrichtungen innerhalb der ihnen zugewiesenen Zuständigkeiten eine weitreichende Autonomie gewährt wurde. Solange die Einrichtung hierbei innerhalb ihrer Zuständigkeit blieb, konnten Rechtsfehler oder Fehler bei der Ermittlung von Fakten, die nicht vollkommen offensichtlich waren, nicht im Rahmen des judicial review überprüft werden.242 Dies war vor allem der Einstellung gegenüber dem Verhältnis der Judikative zu den anderen beiden Staatsgewalten geschuldet. Der Wille des Parlaments, der Verwaltung eine Entscheidung zu überlassen, sollte von den Gerichten nicht in Frage gestellt werden, und die Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit einer solchen Entscheidung war damit nicht Aufgabe des Gerichts.243 Das Gericht sollte nur dort einschreiten können, wo der klare Wille des Gesetzgebers, also die von diesem auf eine Behörde übertragene Entscheidungsbefugnis, nicht eingehalten worden war. Neben der Prüfung der Frage nach der Zuständigkeit wird es als originäre Aufgabe des Gerichts angesehen, die Einhaltung eines fairen Verfahrens zu kontrollieren. Ist es das Verfahren, das der Kontrolle zugänglich ist, besteht nicht die Gefahr, dass sich das Gericht in den Inhalt der Verwaltungsentscheidung selbst einmischt.244 Zitiert wird in diesem Zusammenhang zumeist der von Lord Brightman in dem Fall Chief Constable of the North Wales Police v Evans (1982) ausgesprochene Grundsatz „Judicial review is concerned, not with the decision, but with the decision-making process.“245 Im Gegensatz zu dem Inhalt der Verwaltungsentscheidung sollen die zu beachtenden Verfahrensgarantien nicht im Ermessen der Behörde stehen, und die Einhaltung eines gerechten Verfahrens soll einer vollkommenen gerichtlichen
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Lord Brightman in Chief Constable of the North West Police v Evans (1982) 1 WLR 1156 (1174); Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 13 Rdnr. 1 – 019; Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 641 ff.; Craig, Paul, Administrative Law, S. 472 Rdnr. 16 – 002. 242 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 206 Rdnr. 4 – 002; Craig, Paul, Administrative Law, S. 472 Rdnr. 16 – 002. 243 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 119 f. Rdnr. 6.2.1; Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 221 ff.; vgl. zu diesem Verständnis der Rolle der Gerichte auch die Entscheidung des House of Lords in Local Government Board v Arlidge (1915) AC 120. 244 Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. 241; Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 222. 245 Chief Constable of the North Wales Police v Evans (1982) 1 WLR 1155 (1173); siehe u. a. auch Lord Fraser in Council of Civil Service Unions v Minister for the Civil Service (1985) AC 374 (401).
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Überprüfung unterliegen.246 Traditionell ist damit der Klagegrund des fehlerhaften Verfahrens – procedural impropriety – einer der wichtigsten Zugangsmöglichkeiten zu der gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen. Da sich insbesondere aus dem Klagegrund der procedural impropriety oder procedural fairness erst die materiellen Vorgaben ergeben, die das englische Rechtssystem an ein rechtmäßig durchgeführtes Verwaltungsverfahren stellt, wird aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit mit dem deutschen Verständnis der Bedeutung des Verfahrensrechts innerhalb des Rechtssystems der Klagegrund der procedural impropriety genauer erst in Kapitel 3 untersucht. Zunächst werden an dieser Stelle die Entwicklung der verschiedenen Klagegründe und die hiermit zusammenhängende Ausweitung des judicial review proceedings auch zu einer in Teilen inhaltlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen dargestellt. (3) Die einschlägigen Klagegründe Die mit dem judicial review von Verwaltungsentscheidungen betrauten Gerichte lassen schon seit geraumer Zeit eine wachsende Bereitschaft erkennen, insbesondere im Namen des Rechtsstaatsprinzips – im englischen Rechtssystem der Rule of Law – die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen öffentlicher Einrichtungen allgemein sicherzustellen und nicht mehr allein deren Handeln im Rahmen der ihnen übertragenen Zuständigkeit.247 Weitgehend eingeleitet wurde diese Änderung durch die Entscheidung des House of Lords im Fall Anisminic v Foreign Compensation Commission (1969).248 Das House of Lords stellte hier fest, dass auch eine Entscheidung, die innerhalb der Zuständigkeit einer Einrichtung getroffen wurde, aber aus anderen Gründen fehlerhaft ist, der Aufhebung durch ein Gericht im Rahmen des judicial review unterliegen können muss. Die Entwicklung hin zu verschiedenen Gründen für den Erfolg einer judicial review-Klage und weg von der reinen Überprüfung des parlamentarischen Willens geht auch mit der Erkenntnis einher, dass nicht jede Entscheidung, die im Rahmen des judicial review überprüft werden soll, unmittelbar auf einer parlamentsgesetzlichen Vorgabe beruht249 oder zumindest der 246 Grundlegend Lloyd L.J. in R v Panel on Take-overs and Mergers, ex parte Guinness PLC (1990) 1 QB 146 (183 f.). 247 Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 251 ff.; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/ Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 207 Rdnr. 4 – 006; zu der hier nicht näher darstellbaren Diskussion um die heutige verfassungsrechtliche Herleitung des judicial review aus der alten ultra-vires-Doktrin und damit im Ergebnis aus der Doktrin der parliamentary sovereignty oder aber aus der verfassungsrechtlichen Pflicht der Gerichte zur Kontrolle staatlichen Handelns, die durch die Gerichte selbst im Rahmen des common law entwickelt wird, Lloyd LJ in R v Panel on Takeovers and Mergers, ex parte Datafin (1987) 1 QB 815 (824); Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review S. 13 ff. Rdnr. 1 – 019 ff.; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 30 ff.; Forsyth, Christopher, CLJ 1996, 122; Laws, Sir John, PL 1995, 72. 248 [1969] 2 AC 147. 249 In R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Bentley (1994) QB 349, wurde beispielsweise eine so genannte prerogative power Gegenstand des judicial review –
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parlamentarische Wille bezüglich der Grenzen der ausgeübten Entscheidungsbefugnis nicht vollkommen deutlich wird.250 Auch solche Entscheidungen sollen aber, unabhängig von der Herkunft der Vorgabe, welche die öffentliche Stelle zu ihr ermächtigt, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden können.251 So haben sich verschiedene Gründe entwickelt, aufgrund derer eine Klage im Rahmen des judicial review erfolgreich sein kann – die grounds of judicial review. Der hier verwendete Terminus der „Klagegründe“ oder „grounds of judicial review“ beschreibt damit die Gründe, nach denen eine Entscheidung der Verwaltung aufgehoben werden kann. Lord Diplock hat diese Klagegründe in dem Fall Council of Civil Service Unions v Minister for the Civil Service (1985),252 auch bekannt als „GCHQ-Fall“, unter die Begriffe illegality (Rechtswidrigkeit), unreasonableness oder irrationality (Unvernunft, aber auch Unzumutbarkeit) und procedural impropriety (Verfahrensfehlerhaftigkeit) zusammengefasst. Diese Aufteilung legen die Gerichte auch weiterhin zu Grunde. Nicht nur der Klagegrund der procedural impropriety, der teilweise auch als procedural fairness bezeichnet wird, befasst sich mit dem rechtmäßigen Zustandekommen einer Entscheidung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens. Auch der Klagegrund der illegality ist stark an prozeduralen Vorgaben orientiert und nach seiner ursprünglichen Formulierung nicht etwa auf das Ergebnis der Entscheidung als solcher gerichtet.253 Erst mit Entwicklung des Klagegrunds der unreasonableness einer Entscheidung ist die Möglichkeit formuliert worden, auch das Ergebnis einer Verwaltungsentscheidung im Bereich des Ermessens einer Überprüfung zu unterziehen. Insbesondere unionsrechtlichen Vorgaben und dem Human Rights Act 1998 ist es geschuldet, dass sich inzwischen ein vierter Grund entwickelt hat, den jedoch auch Lord Diplock im oben genannten Fall bereits erwähnt hat, nämlich der der disproportionality (Unverhältnismäßigkeit). Hierdurch wird erstmalig über die sehr eingeschränkte Kontrolle der unreasonableness hinaus explizit auch das Ergebnis einer Ermessensentscheidung selbst gerichtlich überprüfbar gemacht.
hierunter wird ein natürliches Vorrecht der Krone verstanden, das ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage besteht; in R v Panel on Take-overs and Mergers, ex parte Datafin (1987) QB 815, wurde die Entscheidung einer Einrichtung, die nicht durch Gesetz geschaffen wurde und zu diesem Zeitpunkt (heute: Titel 28 Kapitel 1 Companies Act 2006) daher keine gesetzliche Grundlage hatte, im Rahmen des judicial review überprüft. 250 Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 238 f. 251 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 119 Rdnr. 6.1.6; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 226 f. Rdnr. 4 – 050. 252 [1984] AC 374. 253 Einige der hier im Rahmen der illegality angesprochenen Rechtwidrigkeitsgründe werden daher etwa bei Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review S. 515 ff. Rdnr. 9 – 001 ff., als Bestandteil der procedural fairness diskutiert.
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(a) Der Klagegrund der Rechtswidrigkeit – illegality Im Rahmen der illegality als Klagegrund wird geprüft, ob die entscheidende Behörde insbesondere das Gesetz richtig interpretiert und angewendet hat, das ihr die Befugnis zu der in Frage stehenden Entscheidung einräumt. Die Rechtswidrigkeit wird also nicht als Überbegriff aller Voraussetzungen für das Eingreifen des Gerichts in eine Verwaltungsentscheidung verwendet, sondern stellt vielmehr einen von mehreren Klagegründen dar. Zentral ist hier die Voraussetzung, dass die öffentliche Einrichtung, der durch das Parlament eine bestimmte Entscheidungsbefugnis zugestanden wurde, sich auch innerhalb dieser Entscheidungsbefugnis bewegt. Diese Voraussetzung wird in England zum einen aus der dem Rechtsstaatsprinzip entsprechenden Rule of Law abgeleitet, zum anderen aber auch aus einem anderen obersten Verfassungsprinzip – der Allmacht des Parlaments oder parliamentary sovereignty. Nur solche Entscheidungen der öffentlichen Einrichtungen, die von den gesetzlichen Vorgaben – also im Falle einer Ermächtigung durch formelles Gesetz vom Willen des Parlaments – gedeckt werden, können rechtmäßig sein. Somit ist der Grund der Rechtswidrigkeit stark an die ursprüngliche ultra-vires-Doktrin angelehnt, die ebenfalls vor allem darauf gestützt wurde, dass eine öffentliche Einrichtung sich innerhalb der ihr durch den Willen des Parlaments aufgegebenen Entscheidungsbefugnis zu halten hatte.254 Häufig werden daher die vormals unter der ultravires-Doktrin diskutierten Probleme als solche des heutigen Klagegrunds der illegality behandelt.255 Die Einhaltung eindeutiger gesetzlicher Vorgaben ist mithin ein Aspekt der illegality, in deren Rahmen durchaus auch der Inhalt oder das Ergebnis der Verwaltungsentscheidung geprüft wird.256 Darüber hinaus wird dem modernen Verständnis des judicial review proceedings entsprechend der Klagegrund der illegality jedoch nicht länger allein als die Sicherung des parlamentarischen Willens verstanden, sondern als die allgemeine Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung und vor allem der rechtmäßigen Ermessensausübung. Es können verschiedene Gründe, auch im Zusammenhang miteinander, zur Rechtswidrigkeit einer Entscheidung führen.257 Unrechtmäßig im Sinne der illegality ist eine Verwaltungsentscheidung vornehmlich dann, wenn die Grenzen des Ermessens nicht eingehalten wurden. Es ist zwar eine Grundregel des judicial review, dass das Gericht nicht sein eigenes Ermessen stellvertretend für die Behörde ausübt. Jedoch ist es ebenso eine im englischen Recht verankerte Regel, dass das Gericht überprüfen kann, ob die Behörde das ihr zugewiesene Ermessen den 254 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 119 Rdnr. 6.2.1, S. 121 Rdnr. 6.2.4. 255 So u. a. Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 117 ff.; Künnecke, Martina, Tradition and Change in Administrative Law, 2006, S. 32 f. 256 Lester, Anthony/Jowell, Jeffrey, PL 1987, 368 (369 f.). 257 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 245 Rdnr. 5 – 003 ff.; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 165 Rdnr. 7.13.1 f.
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Gesetzen entsprechend ausgeübt hat.258 Der grundsätzlichen Einzelfallabhängigkeit des englischen Rechtssystems entsprechend, gibt es allerdings keine allgemeingültig formulierte Regel, wann eine Einrichtung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Es haben sich jedoch nunmehr insbesondere drei Fallgruppen herausgebildet, in denen die Ausübung des Ermessens fehlerhaft im Sinne der illegality ist.259 Als Ermessensprüfung ist der Klagegrund der illegality hierbei stark am Entscheidungsprozess der Behörde orientiert. (aa) Unrechtmäßige Delegierung der Ermessensausübung Eine Entscheidung ist zunächst fehlerhaft und im Rahmen des judicial review aufzuheben, wenn die Behörde unberechtigterweise Dritte mit der Entscheidungsfindung betraut oder diese in den Entscheidungsprozess eingebunden hat. Die Delegierung von Entscheidungsbefugnissen wird allgemein dann als rechtswidrig angesehen, wenn die eigentlich mit der Entscheidung betraute öffentliche Einrichtung keinen oder nur noch einen nicht mehr ausreichenden Einfluss auf den Entscheidungsprozess hat.260 Die Entscheidung muss als eine solche der öffentlichen Einrichtung bewertet werden können, die gesetzlich hierzu eingesetzt wurde.261 Darüber hinaus ist ein Ermessen dann fehlerhaft ausgeübt worden, wenn einem Dritten zwar nicht die Entscheidungsbefugnis übertragen wurde, die öffentliche Einrichtung, die gesetzlich mit der Entscheidungsfindung betraut ist, sich jedoch hierbei durch Vorgaben eines Dritten leiten ließ.262 Dies kann auch dort der Fall sein, wo die Vorgaben durch eine hierarchisch übergeordnete Stelle gemacht wurden.263 (bb) Ermessenseinschränkung – fettering of discretion Ein Entscheidungsträger, dem ein Ermessensspielraum eingeräumt wurde, darf diesen nicht allgemein und für jeden Einzelfall bindend einschränken.264 Dieser Grundsatz des englischen Verwaltungsrechts wird als Prinzip des non-fettering of discretion bezeichnet. 258
Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 699. Die Aufteilung wurde entnommen bei Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 165 Rdnr. 7.13.2. 260 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 166 f. Rdnr. 7.14.1; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 259 f. 261 Hall v Manchester Corp. (1915) 84 L.J. Ch. 734 (741); Cohen v West Ham Corp. (1933) Ch. 814 (826 f.); R v Race Relations Board, ex parte Selvarajan (1975) 1 WLR 1686; R v Commission for Racial Equality, ex parte Cottrell and Rothon (1980) 1 WLR 1580. 262 U. a. Mc Loughlin v Minister for Social Welfare (1958) IR 1 (27); Wade, William/ Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 269; Supperstone, Michael/Goudie, James/ Walker, Paul, Judicial Review, S. 166 f. Rdnr. 7.14.1. 263 Simms Motor Units Ltd. v Minister of Labour and National Service (1946) 3 All ER 201; Roncarelli v Duplessis (1959) SCR 121; Rowjee v State of Andhra Pradesh (1964) SC 962; R v Police Complaints Board, ex parte Madden (1983) 2 All ER 353. 264 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 271 f.; Bradley, Anthony/ Ewing, James, Constitutional and Administrative Law, S. 703. 259
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Zwar ist es einer öffentlichen Einrichtung grundsätzlich erlaubt, sich regelmäßig an eine gewisse Verfahrensweise oder selbst gesetzte Richtlinien zu halten. Davon zu unterscheiden sind jedoch Fälle, in denen die Einrichtung durch bestimmte Verfahrensweisen oder Richtlinien ihren eigenen Ermessensspielraum derartig einschränkt, dass Abweichungen im Einzelfall nicht mehr möglich werden.265 Die Grenze zwischen beiden Fällen ist fließend und wird in England einzelfallabhängig bewertet. Nicht eindeutig geklärt ist hierbei die Frage, ob eine Regel explizit ein flexibles Vorgehen im Einzelfall vorsehen muss oder ob sie ein von der Regel abweichendes Vorgehen nur nicht ausschließen darf.266 Allgemein ist es zulässig, einer ansonsten rechtmäßigen – vor allem nicht willkürlichen – Verfahrensweise zu folgen, solange die öffentliche Einrichtung bei besonderen Sachverhaltskonstellationen bereit bleibt, dem Einzelfall gerecht zu werden und die allgemeine Verfahrensweise zu verlassen.267 Entscheidend ist, dass es der Einrichtung auch unter den aufgestellten Richtlinien möglich bleiben muss, eine flexible Lösung zu finden, und dass die Behörde auch den Willen zeigt, unter besonderen Umständen von ihren internen Richtlinien abzuweichen. Diese Bereitschaft muss sich auch in dem tatsächlichen Handeln der Behörde und nicht allein in dem Wortlaut der Regel widerspiegeln. Die Gerichte untersuchen mithin selbst bei einer ausreichend offen formulierten Regel, ob die Behörde auch tatsächlich in besonderen Einzelfällen von ihrer eigenen Richtlinie abzurücken bereit ist.268 Das Ermessen gilt dann nicht als unzulässig beschränkt. Unter diese Fallgruppe der illegality werden teilweise auch solche Fälle gefasst, in denen ein schützenswertes Vertrauen – legitimate expectation – in seiner materiellen 265 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 176 Rdnr. 7.21.3; Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 703; zu der Bedeutung interner Richtlinien für Entscheidungsspielräume der Verwaltung Kapitel 3 A. II. 1. a) bb). 266 In dem Fall British Oxygen Co Ltd. v Minister of Technology (1971) 3 All ER 165, wurde die Verfahrensweise einer Behörde, nur Anträge auf Zuschüsse von über £ 25 anzunehmen, beispielsweise als rechtmäßig anerkannt, solange es eine Möglichkeit gab, im Einzelfall von dieser Regelung abzuweichen; ähnlich R v Torquay Licensing Justices, ex parte Brockmann (1951) 2 KB 784; während in dem Fall R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Venables (1998) AC 403, eine Verfahrensweise zur Festlegung der Arrestdauer bei bestimmten Verstößen ohne eine Möglichkeit der Abweichung oder der Abänderung während des Arrests als unrechtmäßig angesehen wurde; auch in AG, ex rel. Tilley v Wandsworth LBC (1981) 1 WLR 854, wurde eine strikt formulierte Regel ohne die Möglichkeit einer Ausnahme als unrechtmäßig angesehen. 267 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 176 f. Rdnr. 7.21.6, mit einer Auflistung weiterer Entscheidungen, die diese Einschätzung bestätigen; mit ähnlichem Ergebnis auch Hilson, Chris, PL 2002, 111 (115 ff.). 268 Hierzu wird vor allem die Statistik darüber herangezogen, ob und in welchen Fällen eine Ausnahme von der allgemeinen Regel zugelassen wurde. In R v Warwickshire C.C., ex parte Collymore (1995) E.L.R. 217, wurde beispielsweise eine Behördenpraxis als unrechtmäßig angesehen, weil in keinem Fall der letzten drei Jahre von der allgemeinen Regel abgewichen wurde.
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Ausprägung269 zu einer Ermessensreduktion der Verwaltung geführt hat, so dass ihr alleine das Treffen einer Entscheidung verbleibt, die dem geschützten Vertrauen des Betroffenen gerecht wird.270 Allerdings geht es hier gerade nicht um die Kontrolle der rechtmäßigen Ermessensausübung im Sinne des prozedural geprägten Klagegrunds der illegality. Der Test, den die Gerichte in diesem Fall mittlerweile anwenden, nämlich, ob die handelnde Verwaltung einen hinreichenden Grund hatte, der das Abweichen von der schützenswerten Erwartung rechtfertigen konnte, bezieht sich vielmehr gerade auf den Inhalt der Entscheidung. Wo traditionell allein die begrenzte inhaltliche Prüfung der unreasonableness angewendet wurde, führt die heutige Anerkennung materiell-rechtlich zu schützenden Vertrauens zu einer Art Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich des Inhalts der Verwaltungsentscheidung.271 (cc) Einbeziehung fehlerhafter Entscheidungsgründe Zuletzt werden Fälle als ermessensfehlerhaft im Sinne der illegality angesehen, in denen die Behörde irrelevante Erwägungen berücksichtigt beziehungsweise relevante und somit einzubeziehende Erwägungen nicht mit in ihre Abwägung hat einfließen lassen. Hierunter werden auch Fälle gefasst, in denen die Behörde eine Entscheidung aus einem Grund getroffen hat, der von dem ermächtigenden Gesetz nicht erfasst oder sonst unzulässig ist.272 Wiederum werden die Maßstäbe dafür, welche Erwägungen relevant sind und welche Gründe für eine Entscheidung als zulässig angesehen werden, für die jeweiligen Einzelfälle nach flexiblen Gesichtspunkten entschieden.273 Erwägungen, die in eine Entscheidung einzubeziehen sind, können sich vor allem aus dem zu der Entscheidung ermächtigenden Gesetz beziehungsweise aus anderen Gesetzen, aus dem Common Law, aus dem Recht der Europäischen Union oder aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben.274 Solange das ermächtigende Gesetz jedoch nicht explizit vorschreibt, dass bestimmte Belange in eine Entscheidung einzubeziehen sind, kommt eine Aufhebung der Entscheidung nur in Betracht, wenn die Relevanz des außer Acht gelassenen Belangs so wesentlich ist, dass seine Nichtbeachtung offensichtlich gegen die Obliegenheit der Einrichtung verstößt. Ansonsten ist von einem weiten Ermessen der Behörde bei der Ermittlung 269
Hierzu Kapitel 3 A. II. 2. b). So Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 175 Rdnr. 7.21.1 und S. 183 Rdnr. 7.24.7; Hilson, Chris, PL 2002, 111. 271 Zu der erweiterten Inhaltskontrolle im Rahmen der disproportionality sogleich Kapitel 2 B. II. 1. e) bb). 272 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 188 f. Rdnr. 7.25.1. 273 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 188 Rdnr. 7.25.1; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 327; Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 652 ff. 274 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 188 Rdnr. 7.25.1. 270
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relevanter Belange auszugehen.275 Unzulässige Gründe für eine Entscheidung liegen allgemein vor, wenn sie mit den Zielsetzungen des ermächtigenden Gesetzes nicht übereinstimmen oder die gesetzlich vorgesehene Entscheidungsbefugnis lediglich vorgeschoben wird, um ein außerhalb des gesetzlich vorgesehenen Ziels liegendes, verdecktes Ziel zu erreichen.276 Das als unzulässig angesehene Ziel muss der hauptsächliche Beweggrund – dominant purpose – für die angegriffene Entscheidung gewesen sein, um zu deren Aufhebung führen zu können.277 Wurde es jedoch lediglich als nebensächlicher Vorteil zu einer ansonsten rechtmäßigen Entscheidung erreicht, muss die Entscheidung nicht aufgehoben werden.278 Bemerkenswert ist, dass eine in die Abwägung einbezogene, jedoch als irrelevant angesehene Erwägung, die sich auf das Ergebnis der Abwägung nicht ausgewirkt hat, die Entscheidung nicht immer rechtswidrig im Sinne der illegality werden lässt.279 In der Entscheidung R v Broadcasting Complaints Commission, ex parte Owen (1985)280 beispielsweise hatte die für die Verteilung von Sendezeit für politische Parteien während des Wahlkampfs zuständige Stelle bei der Ablehnung eines Antrags auf mehr Sendezeit einige irrelevante Gesichtspunkte – wie den erhöhten Arbeitsaufwand im Falle der nachträglichen Bewilligung der Sendezeit – in die Entscheidungsfindung einbezogen. Allerdings sprach auch die Mehrheit der rechtmäßig einzubeziehenden Gründe für die Entscheidung der Behörde, so dass die Entscheidung als rechtmäßig angesehen wurde. Schon an dieser Stelle wird eine gewisse Bereitschaft der Gerichte deutlich, durchaus auch das Ergebnis der Verwaltungsentscheidung zu betrachten und nicht jedweden Fehler im Entscheidungsprozess zu einer Aufhebung der Entscheidung führen zu lassen. (b) Der Klagegrund der Unvernunft oder Unzumutbarkeit – unreasonableness oder irrationality Selbst in Fällen, in denen die Einrichtung sich innerhalb der gesetzlichen Vorgaben gehalten, keine relevanten Erwägungen bei der Entscheidungsfindung ausgelassen oder irrelevante einbezogen und die Entscheidung nicht aus einem unzu275 CREEDNZ Inc. v Governor General (1981) 1 NZLR 172 (183); Re Findlay (1985) AC 318 (333 f.); R (Aldard) v Secretary of State for the Environment, Transport and the Regions (2002) 1 WLR 2315; R (Khatun) v Newham London Borough Council (2004) QB 37; R (Coghlan) v Chief Constable of the Greater Manchester Police (2004) 2 All ER 890. 276 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 195 Rdnr. 7.27.1. 277 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 197 Rdnr. 7.28.1. 278 Westminster Corpn. v London and North Western Rly Co. (1905) AC 426; Webb v Minister of Housing and Local Government (1965) 2 All ER 193; R v Governor of Brixton Prison, ex parte Soblen (1963) 3 All ER 641; R v Inner London Education Authority, ex parte Westminster City Council (1986) 1 All ER 19. 279 U. a. Hanks v Minister of Housing and Local Government (1963) 1 QB 999; Re Walker’s Decision (1944) 1 KB 644. 280 [1985] QB 1153.
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lässigen Motiv heraus getroffen hat, kann es vorkommen, dass die Entscheidung so unvernünftig ist, dass eine rechtmäßig handelnde Einrichtung sie nicht getroffen hätte. Dies stellt nach englischem Recht ebenfalls einen Grund für die Aufhebung der Entscheidung dar. Hierbei geht es also nicht allein um den Entscheidungsfindungsprozess, sondern gerade auch um die am Ende getroffene Entscheidung als solche. Der bis heute grundsätzlich in diesem Rahmen anzuwendende Test281 zur Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen entstammt der Court of AppealEntscheidung in dem Fall Association Provincial Houses Ltd. v Wednesbury Corp (1948).282 Angelehnt an diesen Fall wird der Aufhebungsgrund auch „Wednesburyunreasonableness“ genannt. Hierunter wird die von Lord Greene ausgegebene Formel verstanden, dass nicht nur die in den Entscheidungsprozess einbezogenen Erwägungen die richtigen gewesen sein müssen, sondern dass auch eine Entscheidung, die ihrem Inhalt nach so unvernünftig ist, dass keine vernünftig handelnde Behörde sie getroffen hätte („a conclusion so unreasonable, that no reasonable authority could ever have come to it“283), aufgehoben werden darf. Lord Diplock hat die Voraussetzungen für diese Untersuchungs- und Aufhebungsbefugnis des Gerichts später in ähnlicher Weise unter dem Begriff der irrationality einer Entscheidung zusammengefasst.284 Das Gericht soll hiernach die Befugnis haben einzugreifen, wenn die Entscheidung die Vorgaben der Logik oder Rationalität oder die anerkannten Moralvorstellungen auf so unerhörte Weise missachtet, dass keine vernünftige Person zu einer solchen Entscheidung gelangt wäre („a decision which is so outrageous in its defiance of logic or of accepted moral standards that no sensible person who had applied his mind to the question to be decided could have arrived at it“285). Diese sehr engen Grenzen, wann das Gericht eine behördliche Entscheidung als unvernünftig oder unzumutbar aufheben kann, sollen sicherstellen, dass ein Gericht nicht eine schlicht als falsch angesehene Verwaltungsentscheidung durch die nach seiner Einschätzung richtige ersetzt, wenn es hierfür nicht einen außergewöhnlichen Grund gibt.286 Es besteht zunächst eine Vermutung dafür, dass die Verwaltungsentscheidung sich innerhalb der Grenzen der Vernunft oder Zumut-
281
Zu der Diskussion inwieweit der unionsrechtlich vorgegebene Aufhebungsgrund der proportionality den Wednesbury-unreasonableness Test auch in Fällen ohne unionsrechtlichen Bezug verdrängt, Kapitel 2 B. II. 1. e) bb) (3). 282 [1948] 1 KB 223. 283 Association Provincial Houses Ltd. v Wednesbury Corp. (1948) 1 KB 223 (233). 284 Council of Civil Service Unions v Minister for the Civil Service (1985) AC 374. 285 Council of Civil Service Unions v Minister for the Civil Service (1985) AC 374 (410). 286 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 207 Rdnr. 8.3.5; Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 704 f.; Halliday, Simon, Judicial Review and Compliance with Administrative Law, 2004, S. 132; Craig, Paul, Administrative Law, S. 634 f. Rdnr. 21 – 002 f.
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barkeit befindet, und es ist an dem Kläger darzulegen, dass und warum sie dies im Einzelfall doch nicht tut.287 Während die Ermittlung relevanter Belange bei abwägenden Ermessensentscheidungen der Verwaltung, wie gesehen, als im Rahmen der illegality zu überprüfende Bestandteile einer Verwaltungsentscheidung angesehen werden, muss die Gewichtung der ermittelten Belange sich grundsätzlich nur dem Wednesbury-Test unterziehen. Im Gegensatz zu der Ermittlung der relevanten, in die Entscheidung einzubeziehenden Faktoren, wird deren Gewichtung somit als Teil des grundsätzlich nicht zu kontrollierenden Inhalts der Entscheidung angesehen. Werden die einzelnen Erwägungsgründe mithin rechtmäßig als relevant bewertet, hat die entscheidende Einrichtung bei der Gewichtung der einzelnen Belange einen weiten Spielraum, solange das Ergebnis der Gewichtung nicht im Wednesbury-Sinne unreasonable ist.288 Eine vollkommene Trennung zwischen der Überprüfung des Entscheidungsprozesses und der Entscheidung als solcher wird jedoch nicht vorgenommen. Es besteht vielmehr ein Zusammenhang mit der Prüfung im Rahmen der illegality, ob alle relevanten und keine irrelevanten Erwägungen in den Entscheidungsprozess einbezogen wurden und die Entscheidung nicht aus unrechtmäßigen Motiven heraus getroffen wurde.289 Die grundsätzliche Herangehensweise der Gerichte, die Bewertung der ermittelten Belange der entscheidenden Verwaltungsbehörde zu überlassen, soll insbesondere im Planungsrecht dazu führen, dass nur solche Entscheidungen gerichtlich aufgehoben werden können, die eine vollkommen unvernünftige und offensichtliche Überbewertung eines einzelnen Belangs erkennen lassen.290 Die Einzelfallbezogenheit und flexible Anwendung des Tests hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass die Möglichkeit der Gerichte, den Inhalt von Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen, über die wohl selten anzutreffenden Grenzen der ursprünglichen Wednesbury-unreasonableness hinaus ausgeweitet wurden. Besonders im Falle von Entscheidungen, die in Grundrechte der Betroffenen eingreifen, 287 Zu diesem Grundsatz nur Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 597 Rdnr. 11 – 012 f. 288 Association Provincial Houses Ltd. v Wednesbury Corp. (1948) 1 K.B. 223 (230); Tesco Stores v Secretary of State for the Environment (1995) 2 All ER 636; R v Cambridge Health Authority, ex parte B (1995) 2 All ER 129. 289 Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 705; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 604 f. Rdnr. 11 – 032 ff.; vgl. auch Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 292 f., wo sowohl die Ermittlung aller relevanten Belange, die Rechtmäßigkeit der Entscheidungsgründe, aber auch die vernünftige Abwägung der Belange unter die Voraussetzung der rechtmäßigen Ermessensausübung gefasst werden. 290 So beispielsweise in Simpson v Edinburgh Corp. (1960) S.C. 313; Niarchos (London) v Secretary of State for the Environment (1977) 35 P.C.R. 259; R v Derbyshire CC, ex parte Woods (1997) J.P.L. 958, wegen des „sklavenhaften“ Festhaltens der für die Plangenehmigung zuständigen Behörde an Entwicklungsplänen der Regierung, und etwa in London Residuary Body v Lambeth LBC (1990) 1 WLR 744 und R (on the application of Mount Cook Land Ltd.) v Westminster CC (2003) EWCA Civ 1346, wegen der übermäßigen Gewichtung der jetzigen Nutzung des Planbereichs bei der Ablehnung einer Plangenehmigung.
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wurde eine niedrigere Grenze für das mögliche Eingreifen des Gerichts angenommen, und der Spielraum für Entscheidungen, die der entscheidenden Verwaltung zustehen, ist enger begrenzt, als dies in der ursprünglichen Formulierung der Wednesbury-unreasonableness oder der irrationality vorgesehen war.291 So wird vor allem im Falle eines Eingriffs in Grundrechte nicht länger von der Vermutung der Zumutbarkeit der Entscheidung ausgegangen, sondern es soll an der Behörde liegen, den Eingriff mit Verweis auf gewichtige Allgemeinwohlinteressen zu rechtfertigen.292 Hierauf lassen beispielsweise die Formulierungen in R v Ministry of Defence, ex parte Smith (1996)293 schließen, wo von einer notwendigen Rechtfertigung – justification – für den jeweiligen Eingriff in das Recht auf Gleichberechtigung gesprochen wurde. Anstatt allein vollkommen unvernünftige oder absurde Verwaltungsentscheidungen als gerichtlich aufhebbar anzusehen, müsse es den Gerichten danach möglich sein, Entscheidungen aufzuheben, wenn nach einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Interessen der Eingriff in das Recht des Einzelnen nicht gerechtfertigt erscheine.294 Sogar schon vor der Geltung des Human Rights Act 1998, der die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention in das englische Recht umsetzt, haben die Gerichte mithin eine gewisse Bereitschaft gezeigt, das Ergebnis einer Verwaltungsentscheidung dann genauer zu überprüfen, wenn ihnen eine Verletzung von Grundrechten möglich schien. Allerdings wurde andererseits teilweise auch davor gewarnt, in Fällen mit Grundrechtsberührung eine erweiterte Inhaltskontrolle zuzulassen. Gerade die Entscheidung über den Schutz von Grundrechen oder den notwendigen Eingriff in Grundrechte sei eine hochkomplexe und von der Exekutive mit ihrer Ermächtigung durch die Legislative zu treffende Abwägungsentscheidung, die gerade nicht einer näheren Inhaltkontrolle durch die Gerichte zugänglich sei, als dies durch den Test der Wednesbury-unreasonableness
291 Halliday, Simon, Judicial Review and Compliance with Administrative Law, 2004, S. 135; Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 661; Lord Ackner in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Brind (1991) 1 AC 697 (757); Simon Brown L.J. in R v Coventry Airport, ex parte Phoenix Aviation (1995) 3 All E.R. 37 (62); teilweise wurde diese Herangehensweise sogar als ein neuer, neben die klassische Wednesburyunreasonableness zu stellender Test bezeichnet; so u. a. Laws, John, PL 1993, 59 (69); Sir Thomas Bingham in R v Ministry of Defence, ex parte Smith (1996) QB 517 (554); Lord Bridge in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Brind (1991) 1 AC 697 (748 f.). 292 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 646 f. Rdnr. 11 – 094. 293 [1996] QB 517. 294 Dahingehend bereits Lord Bridge in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Bugdaycay (1987) AC 514 (531); Steyn L.J. in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Leech (1994) QB 198 (213 f.); Lord Steyn in Boddington v British Transport Police (1999) 2 AC 143 (175); Lord Cooke in R v Chief Constable of Sussex, ex parte International Trader‘s Ferry Ltd. (1999) 2 AC 418 (452 f.); hierzu und mit zahlreichen weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung Craig, Paul, Administrative Law, S. 635 f. Rdnr. 21 – 004 ff., sowie Beatson, Jack/Mathews, Martin/Elliot, Mark, Administrative Law, S. 262 f. Rdnr. 9.3.5.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
möglich wird.295 Demzufolge gibt es auch aus neuerer Zeit Fälle, in denen eine erweiterte Inhaltskontrolle zurückgewiesen und die Aufgabe der Gerichte, nur dann einzugreifen, wenn eine Entscheidung im Sinne des Wednesbury-Tests unvernünftig sei, betont wurde.296 In Fällen, in denen es um die Kontrolle von wirtschaftlichen Entscheidungen der Verwaltung ging, wurde gar verlangt, dass ein noch strengerer Maßstab als die Unvernunft oder Unzumutbarkeit anzulegen sei. Nur solche Entscheidungen, die etwa arglistig oder böswillig getroffen worden seien, könnten in diesem Bereich einer Aufhebung durch das Gericht unterliegen.297 Ebenso lassen sich jedoch auch Fälle finden, in denen ohne expliziten Verweis auf eine mögliche Verletzung fundamentaler Rechte die gesamte Abwägungsentscheidung der Verwaltung mitsamt der Gewichtung einzelner Belange inhaltlich kontrolliert wurde, ohne dass die strengen Grenzen der Wednesbury-unreasonableness erreicht wurden.298 Auch die erweiterte inhaltliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen, die von einem schützenswerten Vertrauen des Betroffenen abweichen, wird teilweise nicht etwa als ein Beispiel des nunmehr auch im nationalen Recht angewendeten Verhältnismäßigkeitstests angeführt, sondern als Bestandteil der flexiblen Ausweitung des Wednesbury-Tests verstanden.299 Allgemein ist die Bereitschaft der Gerichte, auch das Ergebnis einer Ermessensausübung einer genauen Kontrolle zu unterziehen, somit nicht erst seit der Geltung des Human Rights Act 1998 zu beobachten und auch nicht allein auf europäische Einflüsse zurückzuführen. Gerade in planungsrechtlichen Fällen wird nicht selten die gesamte Abwägung trotz des aufgezeigten Grundsatzes überprüft, dass die eigentliche Bewertung relevanter Belange der entscheidenden Behörde in ihrem Ermessen verbleiben soll.300 Ob in diesen Fällen der gerichtlichen Kontrolle
295 Neil L.J. in R v Secretary of State for the Environment, ex parte NALGO (1993) Admin. L.R. 785 (798); Irvine, Lord of Lairg, PL 1996, 59 (65). 296 So u. a. Lord Diplock in CCSU v Minister for the Civil Service (1985) AC 374 (410); ProLife Alliance v BBC (2004) 1 AC 185. 297 Lord Bridge in R v Secretary of State for the Environment, ex parte Hammersmith and Fulham London Borough Council (1991) 1 AC 521 (597). 298 U. a. R v Secretary of State for Health, ex parte Wagstaff (2001) 1 WLR 292; R (O) v London Borough of Hammersmith and Fulham (2011) EWHC 679; teilweise wurde dann auf die Irrelevanz des fraglichen Belangs verwiesen und die Entscheidung aufgrund von illegality aufgehoben; vgl. R (Sainsbury’s Supermarkets Ltd.) v Wolverhampton City Council (2011) 1 AC 437; hierzu Craig, Paul, CLP 66 (2013), 131 (135 f., 140). 299 Moules, Richard, Actions against Public Officials: Legitimate Expectations, Misstatements and Misconduct, 2009, S. 122 ff. Rdnr. 2 – 108 ff. und insbes. S. 134 Rdnr. 2 – 122. 300 Zu sehen war das bereits an Fällen wie Hall and Co Ltd. v Shoreham-by-Sea Urban District Council (1964)1 WLR 240 (insbesondere 247 f., 255, 260); R v Hillingdon London Borough Council, ex parte Royco Homes Ltd. (1974) QB 720 (729 ff.); Bradford City Council v Secretary of State for the Environment (1987) 53 P & CR 55 (65 ff.); dazu auch Herdegen, Matthias, Landesbericht Großbritannien, in: Frowein (Hrsg.), Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, 1992, S. 56; eine gesteigerte gerichtliche Kontrolle von Abwägungsentscheidungen im Umweltrecht ergibt auch die Recht-
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von Planungsentscheidungen stets die Grenze der Wednesbury-unreasonableness in ihrer ursprünglichen Formulierung erreicht wurde, ist sehr zweifelhaft.301 Die Anwendung einer erweiterten inhaltlichen Kontrolle des strengeren Wednesbury-Tests oder gar einer noch stärker eingeschränkten Ergebniskontrolle ist somit stark einzelfallabhängig.302 Zu dieser bereits bestehenden Unsicherheit in Bezug auf die Reichweite der gerichtlichen Inhaltskontrolle kommt noch hinzu, dass auch die Anwendung eines allgemeinen Tests der Unverhältnismäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen mittlerweile diskutiert wird, wie sogleich in Kapitel 2 B. II. 1. e) bb) (3) dargelegt wird. d) Überprüfung der behördlichen Sachverhaltsermittlung, Grundsatz des Zurückverweisens an die Verwaltungsbehörde und fehlende Befugnis zur eigenen Sachverhaltsaufklärung Nach einer lang anhaltenden Grundsatzdiskussion über die Frage, ob auch solche Fehler einer Verwaltungsbehörde, die nicht die Anwendung des Rechts, sondern die Ermittlung des Sachverhalts betreffen, durch die Gerichte überprüft werden können,303 werden derartige Fehler nach der Entscheidung des Court of Appeal in dem Fall E v Secretary of State for the Home Department (2004)304 nunmehr als innerhalb des Klagegrunds der Verfahrensfehlerhaftigkeit – procedural impropriety – überprüfbar angesehen. Dem Gericht soll hierbei allerdings nicht entgegen der englischen Tradition die Möglichkeit gegeben werden, das Verwaltungsverfahren vollkommen neu aufzurollen und so die eigene Entscheidung an die Stelle derjenigen der Verwaltungsbehörde zu setzen. Vielmehr werden nur offensichtliche und eindeutig nachweisbare Fehler bei der Sachverhaltsaufklärung als Gründe für die Rechtswidrigkeit einer Verwaltungsentscheidung anerkannt.305 Eine dem deutschen Verständnis entsprechende vollständige gerichtliche Überprüfung der Verwaltungsentscheidung auch in tatsächlicher Hinsicht geht damit also nicht einher. Das Gericht sprechungsanalyse von Bender, Bettina, Die Rolle der englischen Gerichte im Umweltrecht unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 144 f. 301 So auch Craig, Paul, Unreasonableness and Proportionality in UK Law, in: Ellis (Hrsg.), The Principle of Proportionality in the Laws of Europe, 1999, S. 85 (95); Fisher, Elizabeth/ Lange, Bettina/Scottford, Eloise, Environmental Law, S. 894. 302 Lester, Anthony/Jowell, Jeffrey, PL 1987, 368 (372), zu der Bereitschaft der Gerichte lange vor dem Human Rights Act 1998 Entscheidungen aufzuheben, die alles andere als irrational waren, aber dennoch nicht aufrechterhalten werden sollten; Thomas, Robert, Legitimate Expectations and Proportionality in Administrative Law, 2000, S. 86 f.; Elliott, Mark, JR 2002, 97 (102); Le Sueur, Andrew, JR 2005, 32 (39 ff.); Taggart, Michael, NZLR 2008, 423 (435); Goodwin, James, PL 2012, 445 (447); Craig, Paul, CLP 66 (2013), 131 (161 ff.). 303 Hierzu nur Craig, Paul, Administrative Law, S. 471 ff. Rdnr. 16 – 001 ff. und S. 503 ff. Rdnr. 17 – 001 ff. 304 [2004] QB 1044 (insbesondere 1062 ff.). 305 W v Staffordshire County Council (2006) EWCA Civ 1676; Phelps v First Secretary of State (2009) EWHC 1676; Bubb v Wandsworth (2011) EWCA Civ 1285.
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soll die eigene Entscheidung nicht an die Stelle von derjenigen der Verwaltung setzen. Es kann lediglich die verfahrensfehlerhaft zustande gekommene oder ansonsten rechtswidrige Verwaltungsentscheidung aufheben und die Entscheidung an die Behörde zurückverweisen.306 Selbst dort, wo beispielsweise ein schützenswertes Vertrauen – legitimate expectation – geschaffen wurde und die Behörde daher teilweise gebunden ist, verweist das Gericht an diese zurück. Ihre Entscheidung hat sodann unter der Maßgabe zu erfolgen, das schützenswerte Vertrauen, wie durch das Gericht festgestellt, mit in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.307 Allerdings hat der Court of Appeal festgestellt, dass es denkbar sei, dass im Einzelfall die durch das Gericht festgestellten Vorgaben der Verwaltung allein eine mögliche Entscheidung ließen. In diesen besonderen Umständen könne dann auch das Gericht eine abschließende Entscheidung in der Sache treffen.308 Dieses Vorgehen ist aber wohl den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet, und es bleibt bei dem Grundsatz der Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde, der die Entscheidungsbefugnis unter Zugrundelegung der Vorgaben des Gerichts verbleiben soll.309 Das Verwaltungsgericht ist überdies in England grundsätzlich nicht befugt, eigene Bemühungen zur Sachverhaltsaufklärung anzustrengen.310 Auch hierin kann ein bedeutender Grund für die traditionelle Zurückhaltung der Gerichte bei der inhaltlichen Kontrolle insbesondere von Abwägungsentscheidungen, die nicht alleine einen Einzelnen auf der einen und den Staat auf der anderen Seite betreffen, gesehen werden.311 Das Gericht muss sein Urteil auf die vorgebrachten Fakten stützen und hat traditionell kaum Möglichkeiten, auch die Interessen zunächst nicht in das gerichtliche Verfahren integrierter Dritter einzubeziehen.312 Allerdings werden unter Part 54 Rule 17 der Civil Procedure Rules, die es dem Gericht erlaubt, auf Antrag das Vorbringen eines jeden innerhalb des Verfahrens einzubeziehen, vermehrt Dritte zu einem Eintritt in laufende judicial review proceedings zugelassen, so dass auch sie Aussagen machen und Beweise anbieten können.313 Die Gerichte sind aber allein unter besonderen Umständen bereit, die zugrunde gelegten Fakten eines Falls in Frage zu stellen und selbst zu ermitteln. So hat das House of Lords in Khawaja v 306 Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 646 ff.; Endicott, Timothy, Administrative Law, S. 261; von Danwitz, Thomas, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 43; Kleve, Guido/Schirmer, Benjamin, England und Wales, in: Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht in Europa, 2007, Bd. I, S. 35 (129, 133 ff.); so auch der Court of Appeal in E v Secretary of State for the Home Department (2004) QB 1044. 307 R (Bibi and Al-Nashed) v Newham London Borough Council (2002) 1 WLR 237 Rdnr. 46 ff. 308 A v Secretary of State for the Home Department (2003) I.N.L.R. 249 Rdnr. 33. 309 Craig, Paul, PL 2004, 788 (805). 310 Craig, Paul, PL 2004, 788 (801 f.). 311 Schønberg, Søren, Legitimate Expectations in Administrative Law, 2000, S. 160 f. 312 Vgl. etwa Western Fish Products v Penwith DC (1981) 2 All ER 204 (221). 313 Beispielsweise R v North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan (2001) QB 213 (223 f.).
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Home Secretary (1984),314 einem Fall, in dem es um den Arrest eines mutmaßlich illegalen Einwanderers ging, entschieden, dass das Gericht die Fakten, welche die Verwaltungsbehörde der Arrestentscheidung zu Grunde gelegt hat, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen habe. In einem solchen Fall müsse die Pflicht des Gerichts über die Feststellung hinausgehen, dass die Behörde bei den von ihr zu Grunde gelegten Fakten vernünftigerweise von dem Vorliegen eines Arrestgrunds ausgehen gekonnt habe. Die Unionsrechtskonformität dieser weitgehenden gerichtlichen Zurückhaltung, die Sachverhaltsaufklärung der entscheidenden Behörde in Frage zu stellen, wurde teilweise bezweifelt. Diese Zweifel wurden jedoch durch den Europäischen Gerichtshof in seinem Upjohn-Urteil315 beseitigt. Danach verlange das Unionsrecht kein gerichtliches Überprüfungsverfahren, in dem das Gericht seine Sachverhaltsermittlung an die Stelle von derjenigen der mit der Entscheidung betrauten Verwaltung setzen kann. e) Erweiterungen des gerichtlichen Kontrollumfangs durch europäische Einflüsse Bereits bei der Untersuchung der Entwicklung der englischen Klagegründe wird deutlich, dass von einer grundsätzlichen und vollkommenen Einschränkung der inhaltlichen gerichtlichen Kontrolle und von einem stets weiten Ermessen der Behörden nicht mehr ohne Weiteres ausgegangen werden kann. Deutlicher wird dies zudem bei einer Betrachtung des insbesondere aus unionsrechtlichen Impulsen entwickelten Klagegrunds der Unverhältnismäßigkeit – disproportionality. Überdies kommt es – ebenfalls häufig in Zusammenhang mit unionsrechtlichen Vorgaben – vermehrt zur Kodifikation spezifischer behördlicher Ermächtigungen und im Zuge dessen zu einer gewissen Eingrenzung oder zumindest genaueren Bestimmung behördlicher Entscheidungsspielräume.316 Auch hiermit kann eine Erweiterung des gerichtlichen Kontrollmaßstabs einhergehen. aa) Einfluss des Human Rights Act 1998 Allgemein hat der Human Rights Act 1998, der die durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützten Menschenrechte in das englische Rechtssystem übernommen hat, zu einem durchaus bedeutenden Umbruch in mehreren Bereichen des englischen Verwaltungsrechts geführt. Zum einen hat der Human Rights Act 1998 erhebliche Auswirkungen auf Fragen der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen – justiciability – 314
[1984] AC 74 (HL). EuGH, Urteil vom 21. 1. 1999, Rs. C-120/97, Upjohn Ltd. gegen The Licencing Authority Established by the Medicines Act 1968 and others, Slg. I-00223, Rdnr. 37. 316 Hierzu gesondert Kapitel 3 A. II. 2. a). 315
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im Rahmen des judicial review proceedings. Section 6 (1) des Human Rights Act 1998 verlangt, dass jedwede Handlung einer öffentlichen Stelle unter Beachtung der durch die Konvention verliehenen Rechte erfolgt. Es ist mithin nicht länger denkbar, dass eine Entscheidung, die nach der Konvention geschützte Rechte berührt, aus politischen Gründen von einer gerichtlichen Überprüfung gänzlich ausgeschlossen wird.317 Sogar an dem grundlegenden Prinzip der supremacy of parliament gegenüber gerichtlichen Entscheidungen wird ein Stück weit gerüttelt: Section 3 des Human Rights Act 1998 ermöglicht es den Gerichten, auch formelle Parlamentsgesetze auf ihre Übereinstimmung mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention zu überprüfen. Eine Aufhebung eines hiergegen verstoßenden Gesetzes ist allerdings weiterhin nicht möglich; den Gerichten wird kein Verwerfungsrecht zugestanden. Vielmehr sieht Section 4 des Human Rights Act 1998 vor, dass das überprüfende Gericht dem Parlament seine Bedenken gegen das erlassene Gesetz mitteilt. Es bleibt also das Parlament selbst, das über den weiteren Umgang mit dem Gesetz entscheidet. Dennoch ist in der formellen Anerkennung gewisser Menschenrechte, die der Einzelne gerichtlich gegenüber staatlichem Handeln durchsetzen kann, insgesamt ein deutlicher Bedeutungszuwachs der Rolle der Gerichte bei der Durchsetzung rechtmäßigen staatlichen Handelns zu sehen.318 Da der Human Rights Act 1998 die Umsetzung der Garantien aus der Europäischen Menschenrechtskonvention des Europäischen Rats zum Inhalt hat, hat der beschlossene Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zunächst keine unmittelbare Auswirkung auf die Gültigkeit oder Reichweite des Human Rights Act 1998.319 bb) Der Klagegrund der Unverhältnismäßigkeit – disproportionality320 Vor allem unionsrechtlichen Impulsen – ob EU-Recht oder der Europäischen Menschenrechtskonvention – ist es geschuldet, dass die gesetzlichen Grenzen, in denen insbesondere Abwägungsentscheidungen der Verwaltung in England inhaltlich überprüft werden können, als zu streng angesehen werden. So werden mittlerweile administrative Ermessensentscheidungen in verschiedenen Bereichen daraufhin überprüft, ob auch ihr Ergebnis als verhältnismäßig angesehen werden kann. Unter einer verhältnismäßigen Entscheidung wird in England ähnlich wie nach dem 317 King, Jeff, MLR 70 (2007), 197 (220 ff., insbes. S. 223 f.); Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 623 f. 318 Bevir, Mark, Parliamentary Affairs 61 (2008), 559 (570 f.). 319 Markakis, Menelaos, PL 2019, 82 (99); O’Cinneide, Colm, Centre for International Governance Innovation, Brexit: The International Legal Implications, Paper No. 16, 2018, S. 7; Bindman, Geoffrey, NLJ 7787 (2018), 15; ob demgegenüber künftig ein Austritt Großbritanniens auch aus dem Europarat und der Europäischen Menschenrechtskonvention folgen könnte, ist zurzeit nicht absehbar. 320 Es wird auch verbreitet, positiv formuliert, von proportionality – Verhältnismäßigkeit – gesprochen.
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deutschen oder dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip und angelehnt an diese321 eine solche verstanden, deren Mittel zum Erreichen des angestrebten legitimen Ziels geeignet und erforderlich sind und die im Rahmen einer Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – proportionality stricto sensu – den Einzelnen nach Abwägung der verschiedenen Interessen nicht über Gebühr belastet.322 (1) Verhältnismäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen mit unionsrechtlichem Bezug Zum einen werden administrative Entscheidungen, die aufgrund einer Verletzung eines durch europäische Vorgaben verliehenen Rechts oder allgemein aufgrund der Missachtung einer unionsrechtlichen Norm angegriffen werden, auch von englischen Gerichten auf ihre Verhältnismäßigkeit hin und nicht allein auf ihre Zumutbarkeit im Sinne des Wednesbury-Tests überprüft.323 Zur Begründung heißt es, das Unionsrecht verlange es in diesen Fällen, seinem allgemeinen Prinzip der Verhältnismäßigkeit staatlicher Entscheidungen Rechnung zu tragen.324 So wurde beispielsweise in R v Chief Constable of Sussex, ex parte International Trader’s Ferry Ltd. (1999)325 die Entscheidung einer englischen Behörde, die Betreiber eines Viehtransportes wegen eingeschränkter Mittel nur an bestimmten Tagen gegen Proteste schützen zu können, sowohl unter dem Klagegrund der unreasonableness unter nationalem Recht als auch wegen des Verstoßes gegen das unionsrechtliche Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen aus dem heutigen Art. 35 AEUV angegriffen. Sowohl unter dem Klagegrund der unreasonableness als auch unter dem der disproportionality sah das Gericht die Entscheidung der Verwaltung allerdings als rechtmäßig an. Zu einer ausgeweiteten inhaltlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen muss es auch im Zusammenhang mit dem unionsrechtlichen Prinzip des schützenswerten Vertrauens kommen. In Fällen mit unionsrechtlichem Bezug, in denen die Verwaltung durch ihr Verhalten eine entsprechende Erwartung des Einzelnen 321 Vgl. zu der Entstehung der proportionality aus dem deutschen und dem europäischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Supperstone, Michel/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 256 ff. Rdnr. 9.2.2 ff.; Thomas, Robert, Legitimate Expectations and Proportionality in Administrative Law, 2000, S. 85 ff. 322 BAA Ltd. v Competition Commission (2009) CAT 35 (137); Huang v Secretary of State for the Home Department (2007) UKHL 11; Craig, Paul, Administrative Law, S. 645 f. Rdnr. 21 – 016 f. 323 Vgl. nur R v Minister of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Bell Lines (1984) 2 C.M.L.R. 502 QBD; R v Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Roberts (1990) 1 C.M.L.R. 555; R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Adams (1995) All E.R. (EC) 177; R v Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Astonquest Ltd. (2000) Eu. L.R. 371; R (Hoverspeed Ltd.) v Customs and Excise Commissioners (2002) EWHC 16 (Admin). 324 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 637 Rdnr. 11 – 077 f.; Craig, Paul, Administrative Law, S. 644 Rdnr. 21 – 014; Beatson, Jack/Mathews, Martin/Elliot, Mark, Administrative Law, S. 262 f. Rdnr. 9.3.5. 325 [1999] 2 AC 418.
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hervorgerufen hat, haben die englischen Gerichte diese sodann unionsrechtlich geschützte Position zu wahren.326 Selbst bevor der Court of Appeal in R v North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan (2001),327 auch für rein nationale Sachverhalte die gerichtliche Ergebniskontrolle von Entscheidungen der Verwaltung, die von einem schützenswerten Vertrauen eines Einzelnen abweichen, über den Wednesbury-Test hinaus ausgeweitet hat, hatten die Gerichte in derartigen Fällen mit Unionsrechtsbezug schon eine der Verhältnismäßigkeitsprüfung ähnliche Kontrolle der Verwaltungsentscheidung angewendet. (2) Verhältnismäßigkeit bei Eingriffen in fundamentale Rechte Bedeutende Ausweitung hat die Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen auf ihre Verhältnismäßigkeit hin in Fällen erfahren, in denen die Verletzung fundamentaler Rechte geltend gemacht wird. Einige Gerichtsentscheidungen haben bereits vor der Einführung des Human Rights Act 1998 die Inhalte von Verwaltungsentscheidungen einem über die engen Grenzen der Wednesbury-unreasonableness hinausgehenden Test unterzogen und diesen Schritt an das Verhältnismäßigkeitsprinzip angelehnt.328 Die allgemeine Existenz eines über die Unvernunft oder Unzumutbarkeit hinausgehenden, auf den Inhalt der Verwaltungsentscheidung abzielenden, Klagegrunds im Rahmen des judicial review proceedings wurde jedoch regelmäßig abgelehnt.329 Spätestens mit der Verabschiedung des Human Rights Act 1998 und damit einhergehend mit der formellen Übernahme der Europäischen Menschenrechtskonvention in das englische Recht musste jedoch die unter dem Test der Wednesbury-unreasonableness sehr eingeschränkte Möglichkeit englischer Gerichte, Verwaltungsentscheidungen auch ihrem Inhalt nach zu überprüfen, ausgeweitet werden. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in Smith and Grady v United Kingdom (1999)330 von den englischen Gerichten eine genauere Kontrolle der Verwaltung auf mögliche Menschenrechtsverletzungen hin gefordert und auch den bereits zuvor bei der Verletzung fundamentaler Rechte angewendeten erweiterten Wednesbury-Test als unzureichend angesehen.331 In Reaktion auf dieses Urteil wird nunmehr davon ausgegangen, dass im Rahmen von Klagen, die sich auf Section 6 (1) des Human Rights Act 1998 beziehen, ein neuer,
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Schønberg, Søren, Legitimate Expectations in Administrative Law, 2000, S. 149 f. [2001] QB 213. 328 R v Barnsley Metropolitan B.C., ex parte Hook (1976) 1 WLR 1052; Attorney General v Jonathan Cape Ltd. (1976) QB 752; zu Erweiterungen bei der Ergebnisprüfung auch Kapitel 2 B. II. 1. c) bb) (3) (b). 329 Irvine, Lord of Lairg, PL 1996, 59 (74); R v Secretary of State for the Environment, ex parte NALGO (1993) Admin. L.R. 785 (798); R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Brind (1991) 1 AC 697 (757); Beatson, Jack/Mathews, Martin/Elliot, Mark, Administrative Law, S. 266 f. Rdnr. 9.4.1. 330 [1999] 29 E.H.R.R. 493. 331 Smith and Grady v United Kingdom (1999) 29 E.H.R.R. 493 Rdnr. 138. 327
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von dem erweiterten Wednesbury-Test zu unterscheidender Maßstab der Verhältnismäßigkeit anzulegen ist. Die Reichweite des nunmehr anzuwendenden disproportionality-Tests beschreibt Lord Steyn in dem Fall R (Daly) v Secretary of State for the Home Department (2001).332 Danach kann das Gericht in Fällen mit Menschenrechtsbezug nicht mehr allein bestimmen, ob sich die Verwaltungsentscheidung innerhalb eines Bereichs der vernünftigen Entscheidungen befindet, sondern kontrolliert selbst die durch die Verwaltung vorgenommene Abwägung zwischen dem Recht des Einzelnen und dem Allgemeinwohlinteresse, das dessen Einschränkung rechtfertigen soll. Weitestgehend konzentriert sich die Diskussion über den Klagegrund der disproportionality damit auf diejenigen – qualifizierten – Konventionsrechte, für die eine Einschränkung aus bestimmten zu dieser Einschränkung verhältnismäßigen Gründen vorgesehen ist.333 Die Rechtfertigung der Einschränkung von Konventionsrechten aufgrund konfligierender Konventionsrechte Dritter wird im Verwaltungsrecht bislang kaum diskutiert. Vielmehr wird darauf verwiesen, dass diese Problematik Teil des Privatrechts sei und die Gerichte in privatrechtlichen Streitigkeiten aufgrund ihrer eigenen Verpflichtung aus Section 6 (1) Human Rights Act 1998 den Konventionsrechten beider Parteien Rechnung tragen müssten.334 Im Rahmen der nunmehr unter dem Klagegrund der disproportionality durchzuführenden Kontrolle wird auch das Gewicht, das die Verwaltung den verschiedenen Interessen innerhalb der Abwägung zugesprochen hat, gerichtlich bewertet. Die gerichtliche Kontrolle bezieht sich nicht allein darauf, ob die entscheidende Behörde vernünftigerweise davon ausgehen durfte, dass ihre Entscheidung keine Konventionsrechte verletzt, sondern ob tatsächlich im Ergebnis keine derartigen Rechte verletzt wurden.335 Die ein Recht des Einzelnen einschränkende Verwaltung wird dazu angehalten, ihr Verhalten zu rechtfertigen, dessen Rechtmäßigkeit nicht (mehr) als zunächst gegeben und als durch den Betroffenen zu widerlegen angesehen wird.336 332 [2001] 2 AC 532 Rdnr. 26 ff.; ähnlich auch bereits de Freitas v Permanent Secretary of the Ministry of Agriculture, Land and Housing (1999) 1 AC 69 (80). 333 Allerdings wird diese Unterscheidung zwischen einschränkbaren und sonstigen Konventionsrechten oftmals nicht eindeutig vorgenommen; vgl. hierzu Leigh, Ian, PL 2002, 265 (insbes. 287), der klarstellt, dass disproportionality als Klagegrund nur bei qualifizierten Konventionsrechten überhaupt eine Rolle spielen kann, wobei im Falle der nicht einschränkbaren Rechte eine vollkommen inhaltliche Überprüfung anhand der illegality vorgesehen sein muss. 334 Dies wird als „horizontal effect“ des Human Rights Act 1998 bezeichnet: Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 152 f. 335 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 293 Rdnr. 9.16.2; Lord Steyn in R (Daly) v Secretary of State for the Home Department (2001) 2 AC 532 (547). 336 Taggart, Michael, NZLR 2008, 423 (438 f. und 465), sieht dies als bedeutendsten Unterschied der proportionality im Vergleich zur unreasonableness an, wobei, wie in Kapitel 2 B. II. 1. c) bb) (3) (b) gesehen, auch unter dem erweiterten Wednesbury-Test bereits die Tendenz zu erkennen war, dass die Verwaltung, will sie fundamentale Rechte einschränken, dies zu rechtfertigen hat; Harlow, Carol, Proceduralism in English Administrative Law, in: Ladeur
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Auch um den Grundsatz des judicial review proceedings aufrechtzuerhalten, dass das Gericht seine Entscheidung nicht an die Stelle des zunächst mit dieser betrauten administrativen Entscheidungsträgers setzen können soll, weisen die englischen Gerichte allerdings immer wieder darauf hin, dass trotz der Anwendung eines Verhältnismäßigkeitstests der Verwaltung in vielfältigen Bereichen ein Ermessensoder Entscheidungsspielraum verbleibe.337 In bestimmten Bereichen müsse das Gericht der Verwaltung einen Entscheidungs- oder Ermessensspielraum – margin of discretion – überlassen oder unter dem Stichwort des „notwendigen Respekts“ – due deference – die Expertise der zunächst mit der Entscheidung betrauten Einrichtung respektieren. Ob damit zusammenhängend das Gericht selbst die notwendige Abwägung als originäre durchführt oder sich gänzlich an derjenigen der Behörde orientiert, bleibt allerdings unklar. Ebenso unklar bleibt, wie das Bestreben der Gerichte, weiterhin Abstand davon zu halten, eine eigene Entscheidung an die Stelle von derjenigen der Verwaltung zu setzen, im Lichte des Human Rights Act 1998 zu bewerten ist, und vor allem, welche Bedeutung diese Anerkennung behördlicher Entscheidungsmacht für die Durchführung des Verhältnismäßigkeitstests hat.338 Zum einen betonen die Gerichte regelmäßig, dass sie den Annahmen des administrativen Entscheidungsträgers ein besonderes Gewicht bei der eigenen Abwägung zukommen lassen würden.339 Der Human Rights Act 1998 habe es zur Aufgabe des Gerichts gemacht, die Verhältnismäßigkeit und damit die Rechtmäßigkeit des Er(Hrsg.), The Europeanisation of Administrative Law, 2002, S. 54 f.; Jowell, Jeffrey, Judicial Deference and Human Rights: A Question of Competence, in: Craig/Rawlings (Hrsg.), Law and Administration in Europe: Essays in Honor auf Carol Harlow, 2003, S. 67 (75); ähnlich auch Laws J in R v Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte First City Trading (1997) 1 CMLR 250 (279). 337 So u. a. Lord Hope in R v Director of Public Prosecutions, ex parte Kebilene (2000) 2 AC 326 (380 f.); Lord Hoffmann in R (Alconbury Development Ltd.) v Secretary of State for the Environment, Transport and the Regions (2001) 2 AC 295 Rdnr. 72; Schieman L.J. in R (Isiko) v Secretary of State for the Home Department (2001) H.R.L.R. 295 (308 f.); South Bucks District Council v Porter (2003) 2 AC 558, wo einer Planungsbehörde ein weiter Spielraum im Rahmen ihrer allgemeinen Planungspolitik zugesprochen wurde; Laws L.J. legt in International Transport Roth GmbH v Secretary of State for the Home Department (2003) QB 728 (765 ff.), einige Prinzipien fest, wann eine Entscheidung dem ursprünglichen Entscheidungsträger als eigene verbleiben soll; siehe auch R (on the application of L) v Commissioner of Police for the Metropolis (2009) 1 AC 410; Huang v Secretary of State for the Home Department (2007) UKHL 11 (16); selbiges gilt bei der Anwendung des einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ähnelnden Tests im Rahmen der legitimate expectations; vgl. R v Secretary of State for Education, ex parte Begbie (2001) 1 WLR 1115 (1131); R (Bibi and Al-Nashed) v Newham London Borough Council (2002) 1 WLR 237 Rdnr. 40 ff.; R (on the application of Robert) v Secretary of State for Communities and Local Government (2008) EWHC 677 Admin. Rdnr. 86. 338 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 296 f. Rdnr. 9.18.1. und S. 298 f. Rdnr. 9.18.3; Rivers, Julian, CLJ 2006, 174 (192); Kavanagh, Aileen, LQR 2010, 222 (225). 339 Siehe beispielsweise A v Secretary of State for the Home Department (2005) 2 AC 68 Rdnr. 29 und Rdnr. 112; R (Begum) v Denbigh High School Governors (2007) 1 AC 100 Rdnr. 33, 63 ff. und 97 ff.; Belfast City Council v Miss Behavin’ Ltd. (2007) 1 WLR 1420 Rdnr. 16 ff. und Rdnr. 44 ff.
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gebnisses einer Verwaltungsentscheidung sicherzustellen. Damit sei es auch eine rechtliche, durch das Gericht zu entscheidende Frage, ob es im Einzelfall die Abwägung der Verwaltung allein auf Fehler hin überprüfe und den Ansichten der entscheidenden Behörde weiterhin ein besonderes Gewicht zuweise340 oder sogar so weit gehe, den Entscheidungs- und insbesondere den Abwägungsprozess vollkommen neu zu beginnen.341 Zwar ist es danach gerade das Gericht, das diesen Ermessensfreiraum festlegen und die Verhältnismäßigkeit und damit die Richtigkeit der Abwägung in letzter Instanz feststellen kann. Dennoch lässt die Betonung der Gerichte, den Begründungen der entscheidenden Verwaltung auch bei der gerichtlichen Abwägung zu folgen, wo diese „besser geeignet“342 sei, eine solche vorzunehmen, das immer noch verbreitete Bestreben erkennen, die Entscheidungsmacht der Verwaltung weiterhin so wenig wie notwendig zu beschränken. Teilweise wurde darüber hinaus sogar angenommen, dass, vergleichbar mit der traditionellen Anwendung des judicial review proceedings, bestimmte Entscheidungsbereiche vollkommen der Exekutive verbleiben sollten, so dass eine wahre Verhältnismäßigkeitsprüfung gar nicht erst vorgenommen werde.343 Ein solches Vorgehen ist im Anwendungsbereich des Human Rights Act 1998 jedoch gerade nicht vorgesehen. Vielmehr soll es das Gericht sein, das feststellt, ob in Konventionsrechte eingegriffen wurde und die Entscheidung damit rechtswidrig ist.344
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So beispielsweise in R (Begum) v Denbigh High School Governors (2007) 1 AC 100 Rdnr. 33, 63 ff. und 97 ff. 341 Craig, Paul, Administrative Law, S. 618 f. Rdnr. 20 – 054, u. a. mit Verweis auf Huang v Secretary of State for the Home Department (2007) 2 AC 167 Rdnr. 11 ff., wo es allerdings um die Kontrollbefugnisse eines Tribunals ging; vgl. auch die Ausführungen von Lord Mance in Belfast City Council v Miss Behavin’ Ltd. (2007) 1 WLR 1420 Rdnr. 44 ff. 342 So Baroness Hale in Belfast City Council v Miss Behavin’ Ltd. (2007) 1 WLR 1420 Rdnr. 37. 343 R (Farrakhan) v Secretary of State for the Home Department (2002) QB 1391 Rdnr. 71 ff.; Laws L.J. in International Transport Roth GmbH v Secretary of State for the Home Department (2003) QB 728 (765 ff.). Danach muss dies sogar bei unqualifizierten Konventionsrechte gelten, wenn auch schwächer ausgeprägt als bei einschränkbaren Konventionsrechten; R v Secretary of State for the Environment, ex parte Spath Home Ltd. (2001) 2 AC 349 (359 f.); Lord Hoffmann in R (Pro Life Alliance) v BBC (2004) 1 AC 185 Rdnr. 75, der es zwar als rechtliche und damit von den Gerichten zu beantwortende Frage ansieht, wem das Parlament die Entscheidungsmacht zugewiesen hat – insoweit vergleichbar mit der deutschen Formel von der Letztentscheidungskompetenz; falls diese allerdings der Exekutive zugewiesen worden sei, könne auch kein Verhältnismäßigkeitstest zur Überprüfung einer solchen Entscheidung vorgenommen werden; Lord Walker in R (Pro Life Alliance) v BBC (2004) 1 AC 185 Rdnr. 139 ff. 344 Jowell, Jeffrey, Judicial Deference and Human Rights: A Question of Competence, in: Craig/Rawlings (Hrsg.), Law and Administration in Europe: Essays in Honor of Carol Harlow, 2003, S. 67 (74); Clayton, Richard, JR 2002, 124 (135); Leigh, Ian, PL 2002, 265 (287), insbesondere wenn es um eine Verletzung von unqualifizierten Konventionsrechten geht; Jowell, Jeffrey, JR 2003, 592 (601); Allan, Trevor, CLJ 2006, 671 (insbes. 688 ff.); Knight, Christopher, JR 2007, 221 (224).
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(3) Disproportionality als allgemeiner Test zur inhaltlichen Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen? Mittlerweile wird die Anwendung des Verhältnismäßigkeitstests über Fälle mit unionsrechtlichem Bezug hinaus als allgemeiner Klagegrund des judicial review proceedings diskutiert. Auch außerhalb einer Klage, die sich auf Unionsrecht oder die Verletzung eines Konventionsrechts stützt, solle es den Gerichten danach möglich sein, den Inhalt einer Ermessensentscheidung der Verwaltung derartig zu kontrollieren, dass sie eine eigene Verhältnismäßigkeitsprüfung ansetzen. Die Grenze zwischen Fällen, in denen die mögliche Verletzung eines durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützten Rechts geltend gemacht wird, und solchen, in denen es um sonstige Interessen der Beteiligten geht, sei oftmals schwierig zu ziehen, und die Genauigkeit der gerichtlichen Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung solle hiervon nicht abhängen dürfen.345 Ebenso schwierig sei eine vollkommene Abgrenzung zwischen Fällen mit unionsrechtlichem Bezug und solchen, die allein das nationale Recht beträfen.346 Darüber hinaus sei der Wednesbury-Test in seiner vollkommenen Offenheit und Einzelfallabhängigkeit kein rationaler Test für die Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung und damit weder für den Einzelnen noch für die handelnde Behörde verlässlich.347 Der Verhältnismäßigkeitstest als dazu vergleichsweise klar strukturierte Vorgehensweise der Gerichte gegenüber Verwaltungsentscheidungen gibt der Verwaltung dagegen vor, dass und inwiefern sie ihre Entscheidung dem Einzelnen gegenüber, vor allem innerhalb des judicial review proceedings zu verteidigen hat.348 Zudem haben die englischen Gerichte im Bereich der legitimate expectations, also wenn das Ermessen der Verwaltung durch ein geschaffenes schützenswertes Vertrauen eines Betroffenen eingeschränkt ist, mittlerweile auch außerhalb direkter europäischer Einflüsse eine dem Test der disproportionality im Rahmen des Human Rights Act 1998 nicht unähnliche Überprüfung des Inhalts einer Verwaltungsentscheidung entwickelt.349 Besonders im Zusammenhang mit umweltrechtlichen Klagen gegen
345 Craig, Paul, Administrative Law, S. 652 Rdnr. 21 – 026 und S. 660 Rdnr. 21 – 037 ff.; Knight, Christopher, JR 2007, 117 (119). 346 Thomas, Robert, Legitimate Expectations and Proportionality in Administrative Law, 2000, S. 110. 347 So schon Lester, Anthony/Jowell, Jeffrey, PL 1987, 368 (372 f.). 348 Craig, Paul, Unreasonableness and Proportionality in UK law, in: Ellis (Hrsg.), The Principle of Proportionality in the Laws of Europe, 1999, S. 85 (99 f.); Jacobs, Francis, PL 1999, 232 (239). 349 Craig, Paul, Administrative Law, S. 681 f. Rdnr. 22 – 017; Knight, Christopher, JR 2007, 117 (118 f.); allerdings wird nicht in allen Fällen, die eine legitimate expectation betreffen, eine auf die Verhältnismäßigkeit ausgerichtete Inhaltsprüfung der Verwaltungsentscheidung durchgeführt; dazu Steele, Iain, LQR 2005, 300 (317); Elliott, Mark, JR 2006, 281 (287 f.), und Kapitel 3 A. II. 2. b).
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Planungsentscheidungen, bei denen auch die Vorgaben der Aarhus-Konvention350 über die Rechte Einzelner auf Information, Partizipation und Klagemöglichkeiten im Umweltrecht und der entsprechenden europäischen Umsetzungsakte beachtet werden müssen, wird die begrenzte inhaltliche Kontrollkompetenz der englischen Gerichte als problematisch beschrieben und eine in diesem Bereich weiter gehende materielle Kontrollkompetenz des Gerichts diskutiert.351 Der Weg hin zu einer allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung des Inhalts von Verwaltungsentscheidungen als Ablösung des strengen Wednesbury-Tests könnte damit als geebnet angesehen werden. Andererseits wird jedoch auch davor gewarnt, den traditionellen WednesburyTest allgemein und für alle Fälle der Kontrolle administrativer Entscheidungen durch eine Überprüfung der Verhältnismäßigkeit zu ersetzen. Vielmehr solle der Test der Verhältnismäßigkeit immer nur dann angewendet werden, wenn dies unionsrechtlich oder aufgrund des Human Rights Act 1998 gefordert sei. Ansonsten solle es bei den strengen Grenzen der Wednesbury-unreasonableness bleiben. Da es gerade nicht die grundsätzliche Aufgabe der Gerichte im Rahmen des judicial review sei, die durch das Parlament auf einen administrativen Entscheidungsträger übertragene Abwägungsbefugnis als eigene zu übernehmen, müsse ein allgemeiner Test der Verhältnismäßigkeit, der dies gerade zulässt, gegen allgemeine Grundsätze des Common Law verstoßen.352 Eine Änderung dieses grundlegenden Verständnisses der Gewaltenteilung in England könne nur durch ein Gesetz des Parlaments erreicht werden, wie es auch im Falle des Human Rights Act 1998 in Verbindung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention geschehen sei.353 Traditionell ist das Verständnis des Common Law von der Aufgabe der gerichtlichen Verwaltungskontrolle überdies geprägt von der Verhinderung von Gesetzesverletzungen des Staats – von public wrongs – und hierbei zwar mittelbar, aber nicht vordergründig mit dem Schutz individueller Rechte.354 Nur wo es nunmehr ausdrücklicher Wille des parlamentarischen Gesetzgebers sei, dass dieser Individualrechtsschutz die entscheidende Rolle des judicial review proceedings einnehmen solle, mithin vor allem innerhalb des Geltungsbereichs des Human Rights Act 1998, solle daher der Verhältnismäßigkeitstest, als ein diese Grundrechte des Einzelnen in den Mittelpunkt stellender Test, auch von den Gerichten des Common Law angewendet werden.355 Den Grundrechten 350
Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. 6. 1998. 351 Carnwath, Robert, Journal of Environmental Law, 2004, 315 (322); Lidbetter, Andrew/ Depani, Nehal, JR 2014, 30 (35, 37); Stech, Radoslaw, Env. L. R. 2013, 139 (141); vgl. auch den Report der Aarhus Compliance Committee, Dezember 2010. 352 Sales, Sir Philip, LQR 2013, 223 (234); Goodwin, James, PL 2012, 445 (454). 353 Goodwin, James, PL 2012, 445 (456). 354 Ausführlich zu der objektiv-rechtlichen oder individualschützenden Ausrichtung des englischen Verwaltungsgerichtssystems Kapitel 4 A. II. und Kapitel 4 B. I. 3. b). 355 Taggart, Michael, NZLR 2008, 423 (425).
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des Einzelnen – es werden insoweit ohne erkennbare inhaltliche Unterscheidungen die Begriffe fundamental rights, human rights, civil rights oder civil liberties verwendet – werden damit nicht etwa alle individuellen Rechte im Ergebnis zugeordnet oder aus diesen abgeleitet. Vielmehr werden derartige fundamentale Rechte von sonstigen individuellen Rechten abgegrenzt.356 Es wird somit davon ausgegangen, dass es weiterhin Fälle gibt, in denen die traditionelle Aufgabe des judicial review proceedings gefragt ist, rechtswidriges staatliches Handeln zu verhindern, ohne dass hierbei der Schutz von Grundrechten Einzelner die bedeutende Rolle spielt. Zahlreiche Gerichtsentscheidungen lassen darauf schließen, dass disproportionality bislang nicht als allgemeiner Maßstab für die inhaltliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen angenommen wird. In neuerer Zeit betonen die Gerichte insbesondere im umweltrechtlichen Bereich, dass sich die Inhaltskontrolle von Entscheidungen grundsätzlich auf die traditionelle Wednesbury-Kontrolle beschränke und der Test der disproportionality in diesem Bereich unpassend sei. In R (Jones) v Mansfield District Council (2003)357 heißt es beispielsweise ausdrücklich, dass die Entscheidung einer Planungsbehörde, ob ein bestimmtes Vorhaben schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt habe, in einen Bereich freier Entscheidungsmacht falle, der allein durch einen Wednesbury-Test kontrolliert werden könne. Zuletzt wurde in R (Evans) v Secretary of State for Communities and Local Government (2013)358 einer Verhältnismäßigkeitsprüfung von Verwaltungs- und insbesondere Planungsentscheidungen mit umweltrechtlichtem Bezug – und damit im Anwendungsbereich der Aarhus-Konvention und ihrer europarechtlichen Umsetzung – eine Absage erteilt. Zwar hat der Court of Appeal in einigen Fällen auch die Möglichkeit einer Ersetzung des traditionellen Wednesbury-Tests durch einen der Verhältnismäßigkeit in allen Bereichen der gerichtlichen Verwaltungskontrolle angemahnt, jedoch ebenso klargestellt, dass es nicht an ihm liege, eine solch gravierende Änderung vorzunehmen.359 Bislang wird daher noch immer von der Aussage des House of Lords in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Brind (1991)360 als geltendem Recht ausgegangen, dass es die Aufgabe des Gerichts sei, Verwaltungsentscheidungen dahingehend zu überprüfen, ob sie sich innerhalb eines Rahmens von vernünftigen Entscheidungen bewegten. Dass das Gericht eine 356
Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 6 f. [2003] EWCA Civ 1408 Rdnr. 17; ähnlich auch R (Flash) v Southwark London Borough Council (2004) EWHC (Admin) Rdnr. 19; Morgan and Baker v Hinton Organics (Wessex) Ltd. (2009) EWCA Civ 107; R (Bowen-West) v Secretary of State (2012) EWCA Civ 321 Rdnr. 11 f.; R (Loader) v Secretary of State for Communities and Local Government (2012) EWCA Civ 869 Rdnr. 31. 358 [2013] EWCA Civ 115 Rdnr. 38 ff.; zu der gerichtlichen Kontrolle der Entscheidung, ob im Rahmen des Plangenehmigungsverfahrens für ein bestimmtes Vorhabens eine Umweltverträglichkeitsprüfung zwingend durchzuführen ist, noch Kapitel 3 B. I. 2. b) dd). 359 Lord Slynn in R (Alconbury Development Ltd.) v Secretary of State for the Environment, Transport and the Regions (2001) 2 AC 295 Rdnr. 27; R (Association of British Civilian Internees: Far East Region) v Secretary of State for Defence (2003) QB 1397 Rdnr. 34 ff. 360 [1991] 2 AC 696. 357
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gänzlich eigene Abwägung vornimmt und sodann die Verwaltungsentscheidung durch eine eigene ersetzt, ist damit innerhalb des nationalen Rechts bislang nicht vorgesehen.361 Die Akzeptanz des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als allgemeinen Tests für die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung hätte grundlegende Auswirkungen auf das traditionelle Verhältnis der Gerichte zur Exekutive. Wie gesehen, wird angenommen, dass im Rahmen des Verhältnismäßigkeitstests das Gericht je nach Einzelfall bestimmen kann, inwieweit es den Annahmen und Abwägungen des administrativen Entscheidungsträgers folgt und inwieweit es eine gänzlich eigene Abwägungsentscheidung trifft. Dies könnte im Ergebnis eine Verabschiedung von dem traditionell weiten und gerichtlich nicht zu kontrollierenden Ermessensspielraum der Verwaltung bedeuten. Wo zuvor der Inhalt einer Verwaltungsentscheidung in einer nachvollziehenden Kontrolle allein auf grobe und vollkommen unzumutbare Fehler hin überprüft und eine Entscheidung nur dann aufgehoben wurde, wenn sie außerhalb eines Rahmens von vernünftigen Entscheidungen fiel, würde dann die gesamte Abwägungsentscheidung Sache des Gerichts. Die Verhältnismäßigkeit in diesem Sinne würde zu einer rechtlichen Anforderung an die Verwaltungsentscheidung, die demnach vollkommen gerichtlich überprüft werden könnte.362 Dieses Verständnis der Verhältnismäßigkeit als rechtlicher und damit gerichtlich vollkommen zu überprüfender Voraussetzung der Rechtmäßigkeit einer Verwaltungshandlung hat sich jedoch bislang nicht durchgesetzt.363 Die Diskussion um die Einführung eines allgemeinen Tests der Verhältnismäßigkeit wird vielmehr stets mit dem Verweis auf die Notwendigkeit eines bei der Verwaltung verbleibenden Ermessensspielraums geführt, der gerade nicht Teil einer auf rechtliche Fragen bezogenen Kontrolle sei. Selbst von Befürwortern der Aufnahme einer allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung in den „Aufgabenkatalog“ des Gerichts und sogar innerhalb seiner Anwendung im Rahmen des Human Rights Act 1998 wird unter den Schlagwörtern deference und margin of discretion deutlich gemacht, dass eine vollkommene inhaltliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen in England nicht vorgesehen und auch nicht erwünscht ist.364 Die besondere Rolle, die auch die 361
Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 312. Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 259 Rdnr. 9.3.2; Leigh, Ian, PL 2002, 265 (265 und 287), nennt dieses Verständnis den „radical approach“; dahingehend auch die Ausführungen von Simon Brown LJ in B v Secretary of State for the Home Department (2000) 2 CMLR 1086 (1098); Jowell, Jeffrey, Judicial Deference and Human Rights: A Question of Competence, in: Craig/Rawlings (Hrsg.), Law and Administration in Europe: Essays in Honor of Carol Harlow, 2003, S. 67 (76 f.), weist darauf hin, dass die gerichtliche Kontrolle sodann unter dem Klagegrund der illegality erfolgen müsste. 363 Vgl. u. a. Rivers, Julian, CLJ 2006, 174 (180); Goodwin, James, PL 2012, 445 (454 f.). 364 Vgl. aus der umfassenden Literatur hierzu nur Craig, Paul, Unreasonableness and Proportionality in UK Law, in: Ellis (Hrsg.), The Principle of Proportionality in the Laws of Europe, 1999, S. 85 (103 ff.) und später ders., CLP 66 (2013), 131 (141), der ein starker Befürworter der Einführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist; Jowell, Jeffrey, Judicial Deference and Human Rights: A Question of Competence, in: Craig/Rawlings (Hrsg.), Law and 362
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Gerichte im Rahmen des judicial review proceedings den Entscheidungsfreiräumen der Verwaltung zuschreiben, bleibt somit bestehen – unabhängig davon, ob die Verwaltungsentscheidung unter dem traditionellen Wednesbury-Test oder im Rahmen eines Verhältnismäßigkeitstests kontrolliert wird.365 Auch wenn ein englisches Gericht eine Verwaltungsentscheidung anhand ihrer Verhältnismäßigkeit inhaltlich überprüft, muss diese Prüfung an rechtlichen Maßstäben orientiert sein. Diese aber bleiben, auf das formelle Recht bezogen, nach wie vor weit und lassen der Verwaltung einen beträchtlichen Spielraum. Die grundsätzliche Herangehensweise der englischen Gerichte könnte sich demnach erst durch eine Zunahme der Steuerungsdichte des formellen Rechts oder durch die Anerkennung der Verhältnismäßigkeit als materiell-rechtlicher Anforderung an eine Verwaltungsentscheidung ändern, die bislang nicht vorgesehen ist. Auch der Test der disproportionality ist damit keine umfassende materielle Ergebniskontrolle, sondern bleibt Ermessenskontrolle, wenn auch eine im Vergleich zu der der Wednesbury-unreasonableness weiter gehende. (4) Auswirkung der erweiterten Inhaltskontrolle auf die Kontrolle des Verwaltungsverfahrens Die Ausweitung der Inhaltskontrolle von Verwaltungsentscheidungen zumindest in Fällen, in denen die Verletzung von fundamentalen Rechten gerügt wird, wirft die Frage auf, inwieweit sich diese erweiterte Kontrolle des Abwägungsergebnisses auf die vormals uneingeschränkte Kontrolle des Entscheidungsfindungsprozesses auswirkt. Section 6 (1) Human Rights Act 1998 verlangt, dass die Entscheidung selbst die Konventionsrechte des Betroffenen nicht verletzt.366 Die Veränderung, die diese Vorgabe dem englischen Verwaltungsrecht und insbesondere der Behandlung der gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen gebracht hat, lässt sich deutlich an den Ausführungen von Lord Hoffmann in dem Fall R (Nasseri) v Secretary of State for the Home Department (2009)367 aufzeigen. Lord Hoffmann stellt hier ausdrücklich klar, dass das judicial review proceeding in einem Fall, in dem es um die mögliche Verletzung von Konventionsrechten gehe, nicht vordergründig auf die Kontrolle des Entscheidungsprozesses der Verwaltung gerichtet sein müsse, sondern darauf, ob die Entscheidung in ihrem Ergebnis die durch die Europäische
Administration in Europe: Essays in Honor of Carol Rawlings, 2003, S. 67 (80 f.); Steyn, Lord Johan, PL 2005, 346 (349 ff.); Rivers, Julian, CLJ 2006, 174 (175 ff.); Taggart, Michael, NZLR 2008, 423 (454 ff.); Goodwin, James, PL 2012, 445 (448). 365 So auch bereits Lester, Anthony/Jowell, Jeffrey, PL 1987, 368 (381); ebenso Cane, Peter, Administrative Law, S. 192; Sales, Sir Philip, LQR 2013, 223 (236 f.). 366 Leigh, Ian, PL 2002, 265 (283); Allan, Trevor, CLJ 2006, 671 (688). 367 [2009] 3 All ER 774.
B. Auswirkungen der Systementscheidungen und deren Durchbrechung
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Menschenrechtskonvention geschützten Rechte des Klägers nicht verletze.368 Ähnliche Formulierungen lassen sich in anderen Urteilen, die unter Verweis auf den Human Rights Act 1998 getroffen wurden, finden.369 In dem etwas früher entschiedenen Fall R (Begum) v Denbigh High School Governors (2007)370 etwa hatte der Court of Appeal in seinem Urteil noch den Entscheidungsprozess der Verwaltung und im Rahmen dessen vor allem die Einbeziehung der Konventionsrechte in diesen Entscheidungsprozess in den Mittelpunkt seiner Überprüfung gestellt. Diese Begründung der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung wurde von dem House of Lords sodann entschieden zurückgewiesen. Nicht die verhältnismäßige und vernünftige Einbeziehung der Konventionsrechte in den Entscheidungsprozess der Verwaltung sei entscheidend, sondern ob deren Entscheidung im Ergebnis, so wie es durch das Gericht überprüft werde, tatsächlich keine Konventionsrechte verletze.371 Ganz im Gegensatz zu der herkömmlichen Herangehensweise der Gerichte an die Kontrolle der Exekutive im Rahmen des judicial review proceedings steht mithin nicht das rechtmäßige Verwaltungsverfahren in deren Mittelpunkt, sondern das Ergebnis der Verwaltungsentscheidung als solches. Ein nicht zu beanstandendes Verfahren kann in Fällen, in denen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt wird, ein dennoch unverhältnismäßiges Entscheidungsergebnis nicht vor der gerichtlichen Aufhebung bewahren. Andererseits wird zudem angemerkt, dass – wiederum im Gegensatz zu der traditionellen Herangehensweise des judicial review proceedings – ein fehlerhaftes Verfahren, das dennoch nach der Beurteilung des Gerichts zu einem nicht rechtsverletzenden Ergebnis geführt habe, eine Aufhebung der Entscheidung unter Section 6 Human Rights Act 1998 nicht notwendig mache.372 Auf der anderen Seite sollen jedoch die rechtmäßige Durchführung des Verwaltungsverfahrens und insbesondere die Frage, ob die Verwaltung bei ihrer Abwägung die Bedeutung der Konventionsrechte gesehen und zu Grunde gelegt hat, bedeutende Faktoren für die inhaltliche Bewertung der Entscheidung darstellen.373 368 „An impecable decision-making process […] will be of no avail if she actually gets the answer wrong“; Lord Hoffmann in R (NassWLReri) v Secretary of State for the Home Department (2009) 3 All ER 774 Rdnr. 14. 369 Lord Hoffmann in Belfast City Council v Miss Behavin’ Ltd. (2007) 1 WLR 1420 Rdnr. 13; Lord Bingham in R (Begum) v Denbigh High School Governors (2007) 1 AC 100 Rdnr. 31; Lord Hoffmann in R (Begum) v Denbigh High School Governors (2007) 1 AC 100 Rdnr. 68. 370 [2005] EWCA Civ 199 Rdnr. 75 ff. 371 Lord Bingham in R (Begum) v Denbigh High School Governors (2007) 1 AC 100 Rdnr. 29 ff.; Lord Hoffmann in R (NassWLReri) v Secretary of State for the Home Department (2009) 3 All ER 774 Rdnr. 68. 372 Kritisch hierzu vor allem Hickman, Tom, Public Law after the Human Rights Act, 2010, S. 228. 373 R (Ponting) v Governor of Whitemoor Prison (2002) EWCA Civ 224 Rdnr. 80; Lord Roger in Belfast City Council v Miss Behavin’ Ltd. (2007) 1 WLR 1420 Rdnr. 26, hier auch Baroness Hale Rdnr. 32 ff. und Lord Neuberger Rdnr. 91; dazu Craig, Paul, Administrative Law, S. 652 Rdnr. 21 – 026.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
Teilweise wird gar formuliert, dass nur dann, wenn die Verwaltung keine derartige Abwägung vorgenommen habe, das Gericht eine eigene im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung anstellen müsse.374 Auch dort also, wo eine verstärkte gerichtliche Kontrolle des Inhalts einer Verwaltungsentscheidung möglich wird, spielt die Durchführung eines fairen Verfahrens weiterhin eine bedeutende Rolle. Das faire Verfahren wird gleichsam zu einem Faktor bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Entscheidung und ist nicht nur ein Indiz für eine rechtmäßige Entscheidung. So deutlich allein auf die Verhältnismäßigkeit des Ergebnisses bedacht, wie das Vorgehen des Gerichts nach wiederholter Ansicht von Lord Hoffmann in Fällen mit Konventionsbezug sein sollte, ist es in der Anwendung damit nicht. Dies gilt insbesondere dort, wo das Gericht der Exekutive, selbst in Bereichen, in denen es um die mögliche Einschränkung von Konventionsrechten geht, die Entscheidungsmacht im Rahmen ihrer margin of discretion belässt.375 Darüber hinaus gibt es in der Literatur Stimmen, welche die vom House of Lords ausgerufene Konzentration der gerichtlichen Überprüfung auf das Entscheidungsergebnis kritisieren. Ein derartiges Abweichen von der traditionellen Kontrolle des Entscheidungsverfahrens durch das judicial review proceeding sei weder durch Section 6 Human Rights Act 1998 strikt vorgegeben noch anderweitig normativ zu begründen.376 Vielmehr könne ein adäquater und mit den traditionellen Prinzipien des judicial review proceedings zu vereinbarender Schutz der Konventionsrechte auch dadurch erreicht werden, dass es als gerichtlich zu überprüfende Pflicht der Verwaltung angesehen werde, in ihren Entscheidungen die Konventionsrechte der Betroffenen zu berücksichtigen und selbst vor diesem Hintergrund die Verhältnismäßigkeit ihrer Entscheidung zu prüfen.377 Aufgabe der Gerichte bleibt es dann wie bislang, das Entscheidungsverfahren und die durch die Verwaltung vorgenommene Abwägung zu kontrollieren, ohne in den Inhalt der Verwaltungsentscheidung selbst einzugreifen.378 2. Die interne Verwaltungskontrolle und ihre Bedeutung für den Rechtsschutz in England Obgleich die Bedeutung des gerichtlichen judicial review proceeding nicht zu leugnen ist, wird die Notwendigkeit eines alternativen und unter Umständen für die 374 So Lord Mance in Belfast City Council v Miss Behavin’ Ltd. (2007) 1 WLR 1420 Rdnr. 47. 375 Besonders kritisch gegenüber der neuen Theorie der deference oder margin of discretion Allan, Trevor, CLJ 2006, 671 (688), vor allem weil hierdurch der Entscheidungsprozess wiederum in den Fokus der gerichtlichen Kontrolle rücke und nicht wie eigentlich gefordert der nicht rechtsverletzende Inhalt der Verwaltungsentscheidung. 376 Mead, David, PL 2012, 61 (71 f.). 377 Mead, David, PL 2012, 61 (72); Hickman, Tom, Public Law after the Human Rights Act, 2010, S. 247 ff. 378 Mead, David, PL 2012, 61 (79 f.); Hickman, Tom Public Law after the Human Rights Act, 2010, S. 225.
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Lösung von Konflikten zwischen dem Bürger und der Verwaltung besser geeigneten – effektiveren – Kontrollsystems weiterhin stetig betont.379 Die bedeutendste Möglichkeit außergerichtlichen Rechtsschutzes bieten die administrativen Tribunale – administrative tribunals – als speziell auf die Entscheidungen einer Behörde ausgerichtete Kontrollmechanismen. Zwar gehören die Tribunale bei historischer und formeller Betrachtung nicht der Judikative an; doch haben gerade neuere Reformen sie in Funktion und Aufbau den Gerichten angenähert. Eine eindeutige Trennung zwischen dem System der Tribunale und der (Verwaltungs-)Gerichtsbarkeit ist kaum mehr möglich.380 a) Rechtsschutz vor den administrativen Tribunalen Administrative Tribunale werden durch Gesetz geschaffen, häufig in Zusammenhang mit der Einsetzung der Behörde, deren Entscheidungen sie kontrollieren sollen.381 Trotz ihrer Verankerung im Verwaltungssystem und ihrer formellen Zugehörigkeit zur Exekutive haben die Tribunale eine mit Verwaltungsgerichten vergleichbare Funktion. Sie sind unabhängig von dem jeweiligen Behördenaufbau und entscheiden nach geltendem Recht, angewandt auf die jeweilige Faktenlage.382 aa) Entwicklung des tribunal systems Die Entstehung der Tribunale geht mit der Entwicklung des Sozialstaats in England zu Beginn des 20. Jahrhunderts einher. Die wachsende Rolle des verwaltenden Staats zu dieser Zeit, vor allem in Zusammenhang mit der Steuererhebung, der Einführung des National Health Service, des öffentlichen Personenverkehrs, einer wachsenden Bedeutung des Asyl- und Einwanderungsrechts sowie mit dem gesteigerten Bedürfnis nach öffentlicher Städte- und Wohnungsbauplanung erhöhte die Berührungspunkte des Einzelnen mit dem Staat und damit auch das Risiko von Rechtsstreitigkeiten.383 So wuchs auch das Bedürfnis für ein System, das solche Rechtsstreitigkeiten lösen sollte. Im Zuge der Einführung verschiedener Behörden wurden somit spezielle Tribunale eingesetzt, welche die Entscheidungen der jeweiligen Behörden überwachen sollten.384 Es entstand ein weitreichendes System 379
Vgl. u. a. Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. xvi. Cane, Peter, Administrative Tribunals and Adjudication, 2009, S. 3 f.; vgl. auch bereits Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. 147, „tribunals which are in reality informal courts of law“. 381 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 762; Bradley, Anthony/ Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 669 f. 382 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 766 f.; Cane, Peter, Administrative Tribunals and Adjudication, 2009, S. 3 f. 383 Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 692. 384 Solche Tribunale wurden beispielsweise durch den Old Age Pensions Act 1908 oder den National Insurance Act 1911 eingesetzt; siehe hierzu Wade, William/Forsyth, Christopher, 380
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
verschiedener Tribunale, die jeweils auf ein besonderes Rechtsgebiet spezialisiert waren. Der Vorteil dieses von der gerichtlichen Überprüfung zunächst unabhängigen Systems wurde darin gesehen, dass der Zugang zu den Gerichten häufig viel Zeit und finanzielle Mittel in Anspruch nahm und auch heute noch nimmt. Die spezialisierten Tribunale sollten eine weniger formelle und auf die besonderen Umstände des jeweiligen Rechtsgebiets ausgerichtete Möglichkeit der Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen darstellen.385 Zur Zeit ihrer Einsetzung waren regelmäßig ausschließlich die Tribunale innerhalb ihres jeweiligen Aufgabenbereichs für die Kontrolle der speziellen Behördenentscheidungen zuständig. Ein Rechtsmittelmechanismus zu den Gerichten war zunächst nicht vorgesehen.386 Das heutige System der administrative tribunals ist auf eine Untersuchung unter Schirmherrschaft von Sir Oliver Franks aus dem Jahr 1955 zurückzuführen, die zu einer Reform des damaligen Systems unzähliger einzelner Tribunale durch den Tribunals and Inquiries Act 1958 führte.387 Damals wurde ein Council of Tribunals eingeführt, das als übergeordnete Einrichtung vor allem als beratendes Gremium fungieren und so zu einer Vereinheitlichung der höchst unterschiedlichen Prozesse vor den Tribunalen beitragen sollte. Eine weitere Untersuchung des ehemaligen Court of Appeal-Richters Sir Andrew Leggatt aus dem Jahr 2001 ergab jedoch, dass es zu dieser Zeit noch immer unzählige verschiedene Tribunale gab, jeweils mit einer sehr spezialisierten Überprüfungsbefugnis und eigenen Strukturen.388 In seinem Untersuchungsbericht prangert Sir Andrew Leggatt so auch vor allem die Menge an verschiedenen Tribunalen und die hiermit einhergehende fehlende einheitliche Systematik an. Die Kritik des „Leggatt Reports“ an dem damaligen unübersichtlichen System der Tribunale hat zu einer gewissen Vereinheitlichung der außergerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten durch den Tribunals, Courts and Enforcement Act (TCE Act) 2007 geführt.389 Zuvor war es kaum möglich, ein einheitliches Verfahren oder einheitliche Voraussetzungen für die Rechtsschutzmöglichkeit vor den verschiedenen Tribunalen auszumachen.390 Der TCE Act 2007 schuf zwei neue Tribunale – das First-Tier Tribunal und das Upper Tribunal –, auf welche die Zuständigkeit verschiedener Tribunale übertragen wurde oder in Zukunft übertragen werden soll. Bis heute sind allerdings nicht alle Zuständigkeiten der alten Tribunale
Administrative Law, S. 763 f.; Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 668. 385 Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 692. 386 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 764. 387 Franks, Oliver, Report of the Committee of Administrative Tribunals and Enquiries, 1957 („the Franks Report“). 388 Leggatt, Andrew, Tribunals for Users – One System One Service, 2001 („the Leggatt Report“). 389 Tribunals, Courts and Enforcement Act 2007, Explanatory Notes Part 1. 390 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 764; Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 694.
B. Auswirkungen der Systementscheidungen und deren Durchbrechung
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auf das First-Tier oder das Upper Tribunal übertragen worden.391 Weiterhin werden die zuvor auf spezialisierte Tribunale verteilten Rechtsgebiete in verschiedenen Kammern der neuen Tribunale behandelt. Es wurde also keine allgemeine Zuständigkeit für die Überprüfung von Behördenentscheidungen auf die neuen Tribunale übertragen, sondern vielmehr die bereits existierenden Zuständigkeiten der einzelnen Tribunale.392 So hat die Zusammenführung der Zuständigkeit in den beiden neu gegründeten Tribunalen zuvörderst zu einer Vereinheitlichung des Verfahrens vor den Tribunalen geführt. Zudem wurde in den Sections 9 ff. TCE Act 2007 ein ausdifferenziertes Rechtsmittelsystem geschaffen. Es ist nunmehr die Möglichkeit vorgesehen, gegen eine Entscheidung des First-Tier Tribunal Rechtsmittel zum Upper Tribunal einzulegen. Gegen dessen Entscheidungen kann ein Rechtsmittel zum Court of Appeal eingelegt werden.393 Daneben ist judicial review gegen eine solche Entscheidung grundsätzlich nicht möglich.394 Allerdings kann die Entscheidung des Upper Tribunal, ein Rechtsmittel gegen eine getroffene Entscheidung nicht zuzulassen, nach Rule 54.7 A Civil Procedure Rules im Rahmen des judicial review proceeding überprüft werden.395 Das Upper Tribunal hat überdies in den Sections 15 ff. TCE Act 2007 selbst gewisse Zuständigkeiten im Rahmen des judicial review proceedings zugewiesen bekommen. Gemäß Section 15 (4) TCE Act 2007 hat es im Rahmen dessen außerdem die allgemeinen Grundsätze des judicial review anzuwenden, wie sie auch in dem herkömmlichen Verfahren vor dem High Court zu Grunde gelegt werden. Der TCE Act 2007 rückt die Tribunale noch weiter in die Nähe einer speziellen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dazu trägt neben dem ausdifferenzierten Rechtsmittelsystem die Anerkennung der juristisch geschulten Mitglieder der von dem Gesetz erfassten Tribunale als Teil der unabhängigen Richterschaft, der judiciary of the United Kingdom, durch Section 1 TCE Act 2007 i.V.m. Section 3 Constitutional Reform Act 2005 bei. Im Rahmen dieser Annäherung kann die Frage aufkommen, inwiefern es eines eigenen Systems der Tribunale neben der Verwaltungsgerichtsbarkeit überhaupt noch bedarf und ob es möglich ist, beide Systeme miteinander zu verbinden. Ursprünglich waren die Tribunale eingerichtet worden, um einen informelleren, schnelleren und weniger kostenintensiven Zugang zu einer Verwaltungskontrolle zu ermöglichen. Die Zuordnung der Tribunale zu der jeweiligen Behörde, die sie kontrollieren sollten, stellte die besondere Stellung innerhalb des Rechtsschutzsystems dar.396 Gerade die aktuelle Entwicklung hin zu einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit und einem modernen judicial review-Ver391 So existiert das sehr bedeutende Employment Tribunal sowie das Employment Appeals Tribunal weiterhin außerhalb des neu geschaffenen Systems. 392 Cane, Peter, Administrative Tribunals and Adjudication, 2009, S. 193. 393 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 771 ff. 394 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 772. 395 Hierzu auch R (Cart) v Upper Tribunal (2011) UKSC 28. 396 Cane, Peter, Administrative Tribunals and Adjudication, 2009, S. 69 f.; Wade, William/ Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 765.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
fahren hat jedoch die Vorteile des administrative tribunal systems teilweise aufgehoben. Vermehrt wird dieses in seiner heutigen Form so auch nicht mehr als Alternative zum gerichtlichen Rechtsschutz angesehen, sondern vielmehr als Teil des gerichtlichen Rechtsschutzsystems.397 bb) Kontrollkompetenz der administrativen Tribunale und Kontrolle des Verwaltungsverfahrens Die Tribunale können einerseits selbst als administrative Entscheidungsträger angesehen werden, deren Entscheidungen und insbesondere das hierzu führende Verfahren wiederum einer dann gerichtlichen Kontrolle unterliegen können. Andererseits nehmen sie aber auch eine wichtige Kontrollfunktion gegenüber Entscheidungen der ihnen zugeordneten Behörden wahr. In dieser Rolle geht ihre Entscheidungs- und Kontrollkompetenz im Allgemeinen weiter als diejenige des Verwaltungsgerichts im Rahmen des judicial review proceedings, obgleich es auch hier Unterschiede zwischen den einzelnen Tribunalen gibt. Im Gegensatz zu den Gerichten ist es den Tribunalen traditionell jedoch nicht verwehrt, eine Verwaltungsentscheidung auch inhaltlich zu überprüfen und gegebenenfalls durch eine eigene Entscheidung zu ersetzen.398 Anders als das Gericht im Rahmen der externen Kontrolle ist das administrative tribunal als Teil der Exekutive dazu befugt, eine eigene, in seinen Augen korrekte Entscheidung zu treffen, und nicht allein darauf beschränkt, die bereits bestehende auf rechtliche Fehler hin zu überprüfen.399 Auch der TCE Act 2007 enthält keine Vorschrift, welche die Kontrollkompetenz des FirstTier Tribunals beschränkt. Allerdings sieht Section 11 TCE Act 2007 vor, dass ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen des First-Tier Tribunals zu dem Upper Tribunal nur auf die Rüge eines rechtlichen Fehlers gestützt werden kann. Das Upper Tribunal soll hiernach nicht länger als originärer Entscheidungsträger behandelt werden, sondern rückt in dieser Hinsicht in die Nähe eines kontrollierenden Gerichts. Dennoch bleibt es auch dem Upper Tribunal nach Section 12 TCE Act 2007 unbenommen, eine eigene Entscheidung in der Sache zu treffen und selbst Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, wenn es die Entscheidung des First-Tier Tribunals aufhebt. Wo ein administrative tribunal als originärer Entscheidungsträger der Verwaltung behandelt wird, ist es weder auf die Kontrolle des zuvor angewendeten Verfahrens beschränkt, noch bestehen sonstige Grenzen seiner Entscheidungskompetenz. Das Tribunal kann dann eine eigene Entscheidung in der Sache treffen, bei der es die in Kapitel 3 dargelegten Verfahrensrechte der Beteiligten selbst zu beachten hat. Ist die Kontrollkompetenz jedoch ähnlich der des Verwaltungsgerichts beschränkt oder geht 397 Cane, Peter, Administrative Tribunals and Adjudication, 2009, S. 72; ders., PL 2009, 479 (497 f.); Carnwath, Robert, PL 2009, 48 (50). 398 Spoerr, Wolfgang, VerwArch 82 (1991), 25 (33). 399 Cane, Peter, PL 2009, 479 (491).
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es gar um die eigene judicial review-Prüfung des Upper Tribunal, so ergeben sich auch dieselben Einschränkungen bezüglich der inhaltlichen Überprüfbarkeit der Verwaltungsentscheidung wie bei dem Verfahren vor dem High Court.400 Die Reichweite der Überprüfung beschränkt sich dann wiederum auf die verschiedenen Klagegründe. Dennoch wird die Befugnis der Tribunale, Verwaltungsentscheidungen auch inhaltlich zu überprüfen, im Allgemeinen und selbst in den Bereichen, in denen die Kontrolle auf die Klagegründe des judicial review beschränkt ist, als tiefer gehend beschrieben als diejenige des Verwaltungsgerichts. Auch wenn insbesondere das Upper Tribunal in seiner Funktion immer mehr einem Verwaltungsgericht, das auch formell der Judikative zugeordnet ist, gleicht, so lässt es doch der nunmehr vorgegebene Aufbau des Tribunalsystems zu, dass auch das mit der Funktion einer Kontrollinstanz betraute Tribunal durchaus verwaltungsspezifische Kenntnisse aufweist, die sich unmittelbar auf den Bereich der zu kontrollierenden Entscheidung beziehen.401 Obwohl es allein um die Kontrolle von Rechtsfragen gehen soll, wird der inhaltlichen Kontrolle und sogar der Ersetzung einer durch die Verwaltung zunächst getroffenen Entscheidung keine ebensolche Skepsis entgegengebracht, wie dies gegenüber der Reichweite der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Fall ist. Das Tribunal ist nicht wie das Gericht allein oder vor allem „Experte“ für Fragen des fairen Verfahrens,402 sondern ebenso für inhaltliche, durch die Verwaltung zu treffende Entscheidungen. b) System der ombudsmen und weitere Formen alternativer Streitbeilegung Neben den Tribunalen gibt es ein weiteres ausdifferenziertes Beschwerdesystem in England – das der ombudsmen. Im Gegensatz zu den Tribunalen sind die einzelnen ombudsmen, die jeweils durch Gesetz für die Beschwerden gegen bestimmte Behörden oder in bestimmten Bereichen geschaffen werden, eindeutig nicht Teil der Gerichtsbarkeit. Auf der anderen Seite werden sie auch nicht der internen Verwaltungskontrolle im engeren Sinne zugeordnet. Vielmehr handelt es sich um unabhängige Einrichtungen zur Überprüfung bestimmter Entscheidungen. Die bedeutendste Einrichtung dieser Art ist der Parliamentary Ombudsman, dessen Zuständigkeiten im Parliamentary Commissioner Act 1967 ergänzt durch den Parliamentary Commissioner Act 1994 geregelt sind. Jedermann, der durch einen Verwaltungsfehler – maladministration – der in diesem Gesetz aufgelisteten Behörden eine Ungerechtigkeit erfahren hat, kann sich über einen Abgeordneten des Parlaments an den Parliamentary Ombudsman richten. Wiederholte Initiativen, diesen „Filter“ über einen Abgeordneten des Parlaments abzuschaffen und den direkten Zugang zum Parliamentary Ombudsman zu ermöglichen, haben bislang keinen Erfolg gehabt. Was genau unter einer maladministration und einer hierdurch verursachten Ungerechtigkeit verstanden werden soll, wurde bewusst nicht definiert, 400 401 402
Craig, Paul, Administrative Law, S. 244 ff. Rdnr. 9 – 025 ff.; hierzu Kapitel 2 B. II. 1. c). Carnwath, Robert, PL 2009, 48 (58, 67 f.). Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. 241.
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so dass die Reichweite der Beschwerdegründe denkbar groß ist.403 Ein genaues Verfahren, wie mit einer Beschwerde umzugehen ist, ist nicht festgelegt; allerdings sind weitreichende Befugnisse des Parliamentary Ombudsman vorgesehen, die etwa die Befragung von Personen und die Einsicht in Akten oder sonstige Informationsquellen zulassen. Am Ende einer Untersuchung kann der Parliamentary Ombudsman allerdings keine zwingende Entscheidung treffen, sondern, falls er einen Verwaltungsfehler, der zu einer Ungerechtigkeit geführt hat, feststellt, gemäß Section 10 Parliamentary Commissioner Act 1967 lediglich eine Empfehlung geben, wie der Beschwerde abgeholfen werden kann. Regelmäßig können ombudsmen mittlerweile auch Mediatoren in die Konfliktlösung einschalten. Auch Section 24 Tribunals, Court and Enforcement Act 2007 sieht die Möglichkeit, einen Mediator einzuschalten, vor. Im judicial review proceeding selbst spielt die Mediation zwar bislang keine bedeutende Rolle. Der Grund hierfür ist jedoch vor allem darin zu sehen, dass vor einer Zulassung zum judicial review ohnehin bereits alle zumutbaren Möglichkeiten alternativer Streitbeilegung (erfolglos) unternommen worden sein müssen.404 c) Behördeninterne Kontrolle – internal review Das informelle Herantreten an eine Behörde, die eine bestimmte Entscheidung getroffen hat, spielt bei der Lösung von Streitigkeiten in England eine große Rolle. Die Verwaltung wird dazu angehalten, unmittelbar mit dem Bürger Divergenzen über Entscheidungsinhalte auszuräumen, ohne dass es der Anrufung eines Tribunals oder gar des Gerichts bedarf.405 Das Justizministerium unterstützt die nur in den seltensten Fällen mit Juristen besetzte Verwaltung bei ihrem Umgang mit dem Bürger und insbesondere bei der Ausübung ihres häufig weiten Ermessensspielraums mit der Broschüre „The judge over your shoulder“.406 Hier werden zum einen die durch die Gerichte entwickelten Kontrollmaßstäbe des judicial review proceedings erläutert. Vor allem werden der Verwaltung aber Hinweise zum guten Verwaltungshandeln – good administration – und zu einer Vermeidung gerichtlicher Streitigkeiten gegeben. Im Allgemeinen steht es der Verwaltung frei, über das genaue Verfahren bei dem Umgang mit und der Abhilfe von Beschwerden zu entscheiden. Daneben gibt es für Entscheidungen bestimmter Behörden jedoch auch formalisierte Mechanismen der 403 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 48 Rdnr. 1 – 082. 404 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 926 f. Rdnr. 16 – 022 f. 405 Vgl. hierzu die Darstellung von Ridley, Frederick, Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts – Länderbericht Großbritannien: England ist anders? in: Hill/Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 205 (210 f.); Le Sueur, Andrew, Administrative justice and the rise of informal dispute resolution in England, in: Ruffert (Hrsg.), The Transformation of Administrative Law in Europe, 2007, S. 243 (245 ff.). 406 Government Legal Services, The judge over your shoulder, 5. Auflage 2018.
C. Ergebnis
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Eigenkontrolle. So sehen etwa die Local Authority Social Services and National Health Service Complaints (England) Regulations 2009407 detaillierte Regelungen insbesondere zur Zulässigkeit von Beschwerden gegen Entscheidungen der Gesundheitsbehörden und das bei deren Bearbeitung anzuwendende Verfahren vor. Die Bemühung darum, dass die Behörde der Beschwerde eines Betroffenen im Rahmen einer internen Überprüfung der Entscheidung abhilft, ist Voraussetzung für die Zulassung zum judicial review proceeding. Mit der Neuregelung der Zugangsvoraussetzungen in Part 54 der Civil Procedure Rules wurde ein so genanntes pre action protocol408 eingeführt, nach dem der Kläger – vergleichbar mit dem deutschen Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO – zuvor der Behörde kenntlich gemacht haben muss, worauf sich seine Beschwerde bezieht und wie eine Anrufung des Gerichts vermieden werden könnte.
C. Ergebnis: Die heutige Bedeutung der Systementscheidungen – Annäherung des englischen und des deutschen Rechtssystems? Zusammenfassend können nach der Untersuchung der in Deutschland und England bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen getroffene Verwaltungsentscheidungen schwerpunktmäßig folgende Aspekte festgehalten werden:
I. Die Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung Es bleibt in Deutschland bislang trotz der – auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigten409 – Anerkennung gewisser funktioneller Grenzen der Rechtsprechung410 bei dem Grundsatz, dass die Letztentscheidungskompetenz bei den Verwaltungsgerichten liegt und insbesondere eine Überprüfung der materiellen Richtigkeit der Sachentscheidung notwendig ist. Bei der Auslegung einer Norm dahingehend, wem die Letztentscheidungsbefugnis zustehen soll, ist deswegen weiterhin von der Vermutung für die Letztentscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte auszugehen, die durch Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG verbürgt ist. Eine Einschränkung der gerichtlichen Überprüfungskompetenz bedarf auch heute einer besonderen Herleitung und Begründung.411 Das Bundesverfas407
SI 2009/309. Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, Appendix J. 409 BVerfGE 80, 257 (266); BVerfGE 85, 36 (58). 410 BVerfGE 84, 34 (50). 411 Diese Notwendigkeit wird auch in der Literatur weiterhin betont; vgl. u. a. SchulzeFielitz, Helmuth, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 128; Schwarz, 408
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sungsgericht sieht es sogar als Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG an, wenn die Verwaltungsgerichte die Letztentscheidungskompetenz zu Unrecht den Verwaltungsbehörden zusprechen und damit die eigene Befugnis, eine Verwaltungsentscheidung umfassend zu kontrollieren, ablehnen.412 Dass die Zielsetzung des deutschen Rechtssystems, das Verwaltungshandeln möglichst vollständig oder weitgehend durch konditionale Rechtssetzung zu steuern, aufgegeben würde, ist damit nicht zu beobachten und wohl trotz gegenteiliger Ansätze des europäischen Rechts zurzeit auch nicht angestrebt.413 Allerdings wird immer häufiger akzeptiert, dass es Bereiche gibt, in denen von der Verwaltung in tatsächlicher Hinsicht mehr Sachverstand als von dem kontrollierenden Gericht erwartet werden muss. In diesen Bereichen werden vermehrt Ausnahmen zu dem Grundsatz der Letztentscheidungskompetenz des Gerichts anerkannt, und diese wird der Verwaltung zugestanden. Demgegenüber bleibt das judicial review proceeding in England ein System zur gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen der Verwaltung, bei dem gerade von dem Grundsatz eines vergleichbar weiten Entscheidungsspielraums der Verwaltung ausgegangen wird. Grundsätzlich sind exekutive Entscheidungen von der Verwaltung und nicht von dem Gericht zu treffen, das diese Entscheidungen lediglich kontrolliert. Auch die vermehrte Kodifizierung des Verwaltungsrechts zieht nicht etwa eine vollkommene Konditionalisierung des Verwaltungshandelns im Einzelnen nach sich, sondern bewirkt vielmehr einen klarer umgrenzten Bereich der rechtmäßigen Ermessensausübung. Dennoch kann nicht länger davon ausgegangen werden, dass es Entscheidungsbereiche der Verwaltung gibt, die einer gerichtlichen Kontrolle überhaupt nicht zugänglich sind. Insbesondere wenn eine Exekutiventscheidung in fundamentale Rechte eingreifen könnte, liegt die Letztentscheidungsbefugnis über die auch inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung nicht mehr grundsätzlich bei der Verwaltung, sondern sie ist dem Gericht zugewiesen.
II. Der Prüfungsumfang der Verwaltungsgerichte und die Kontrolle des Verwaltungsverfahrens Die Veränderungen bei der Zuweisung der Letztentscheidungskompetenz haben in den genannten Bereichen, in denen von den traditionellen Grundsätzen der Systementscheidungen abgewichen wird, auch zu einer Annäherung der gerichtlichen Kyrill-Alexander, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht Handkommentar, § 114 VwGO Rdnr. 57; Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 70 ff.; Herzog, Roman, NJW 1992, 2601 (2603); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 874 (862 f.). 412 BVerwGE 129, 1, 4. Leitsatz. 413 Einschätzung von Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (162); siehe auch Schmidt-Aßmann, Eberhard, DVBl. 1997, 281 (289); warnend in Bezug auf die Aufgabe materiell-rechtlicher Steuerung im deutschen Recht auch Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (329); Held, Jürgen, NVwZ 2011, 461 (467).
C. Ergebnis
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Überprüfungsmaßstäbe in beiden Ländern geführt. Wurde in Deutschland traditionell von einer weitgehend rechtlich gebundenen Verwaltung und damit von Verwaltungsentscheidungen, die auf ihre Ergebnisrichtigkeit gänzlich überprüfbar sind, ausgegangen, werden Beurteilungsspielräume der Verwaltung in neuerer Zeit vermehrt anerkannt und die verwaltungsgerichtlichen Überprüfungskompetenzen in Bezug auf das Ergebnis der Sachentscheidung teilweise beschränkt. Damit einher geht die Erkenntnis, dass sich die Überprüfung in diesen Bereichen verminderter verwaltungsgerichtlicher Ergebniskontrolle auf die Einhaltung prozeduraler Garantien konzentrieren muss,414 wie dies im englischen Konzept des judicial review proceedings dem Grundsatz nach zum Ausdruck kommt. Auf der anderen Seite wächst in England die Bedeutung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle stetig, etwa durch eine Stärkung des eigentlichen Administrative Court, aber auch durch das immer stärker an ein gerichtliches Kontrollsystem angelehnte System der Tribunale. Entgegen dem traditionellen englischen Konzept, und damit der deutschen Herangehensweise angenähert, werden mittlerweile durchaus Bereiche akzeptiert, in denen auch eine inhaltliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen durch die Verwaltungsgerichte zugelassen wird. Die Rechtmäßigkeit des Verfahrens wird dann ein Indiz für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung; sie steht jedoch nicht länger im Mittelpunkt der gerichtlichen Kontrolle. Allerdings ist der besonders auf die Kontrolle des Inhalts einer Entscheidung abzielende Verhältnismäßigkeitstest bislang vor allem auf Bereiche, in denen eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention oder des Unionsrechts geltend gemacht wird, beschränkt. Überdies sind die englischen Gerichte sogar in diesen Bereichen stets darum bemüht zu betonen, dass die Ersetzung einer Verwaltungsentscheidung durch eine eigene nur unter sehr besonderen Umständen möglich sei.
III. Die deutsche Abwägungskontrolle und der englische Klagegrund der illegality Obgleich somit die traditionellen Systementscheidungen in beiden Rechtssystemen weiter als bestehende Grundsätze betont werden, sind in bedeutenden Bereichen Annäherungen zu erkennen. Dort also, wo eines der beiden Systeme oder gar beide nicht länger von dem Ausgangspunkt ihrer traditionellen Annahmen ausgehen können, sind die von den deutschen und englischen Verwaltungsgerichten angewendeten Überprüfungsmechanismen mittlerweile sehr ähnlich. 414 Besonders betont diese Veränderung Ulrich Ramsauer mit seinem Konzept der nachvollziehenden Verwaltungskontrolle oder Fehlerkontrolle; hierzu Ramsauer, Ulrich, Zur Kontrolldichte im Verwaltungsprozess, in: Heckmann (Hrsg.), Gedenkschrift für Ferdinand O. Kopp, 2007, S. 71 (71 ff., insbes. S. 84 f.); Ramsauer, Ulrich, Rechtsschutz durch nachvollziehende Kontrolle, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 699 ff.
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Kap. 2: Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen
Beispielhaft für diese Entwicklung lässt sich die Abwägungskontrolle vor allem im Planungsrecht anführen. In diesem Bereich wird in Deutschland nicht von einer vollkommen rechtlich gebundenen Verwaltung ausgegangen. Die Gerichte haben hierfür mit der Abwägungskontrolle oder der vergleichbaren Kontrolle etwa von Prüfungsergebnissen einen Mechanismus für die gerichtliche Verwaltungskontrolle, wie er in England der Normalfall ist, entwickelt. Das Bundesverwaltungsgericht stellt eine Überprüfung dessen an, ob die Behörde von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist,415 ob eine Verletzung allgemeiner Bewertungsmaßstäbe vorliegt,416 ob das Prüfungs- oder Abwägungsergebnis von sachfremden Erwägungen417 beeinflusst ist und ob die prüfungs- oder planungsrechtlichen Verfahrensgarantien – wie etwa die hinreichende Begründung der Entscheidung418 – beachtet worden sind. Die hier angelegten Maßstäbe erinnern stark an die durch das englische Verwaltungsgericht im Rahmen des judicial review-Verfahrens verwendeten Maßstäbe des Klagegrunds der illegality. Auch hier werden insbesondere die Faktoren, die in den Entscheidungsprozess einbezogen wurden, auf ihre Relevanz hin überprüft. Im Mittelpunkt steht also zunächst der Entscheidungsprozess, selbst wenn Fehler in diesem Rahmen in Deutschland zunächst nicht als Verfahrensfehler im eigentlichen Sinne bezeichnet werden. Auch hier kann jedoch zumindest im Bauplanungsrecht eine Annäherung dadurch beobachtet werden, dass angelehnt an unionsrechtliche Vorgaben Fehler bei der Ermittlung und Bewertung abwägungserheblicher Belange durch § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB und §§ 2 Abs. 3, 4a Abs. 1 BauGB nunmehr auch in Deutschland als Verfahrensfehler bezeichnet werden. Derartige Fehler werden in England, wo die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen gerade auf den Entscheidungsfindungsprozess beschränkt ist, schon traditionell als Verfahrensfehler angesehen. Interessant ist jedoch, dass derartige Fehler im Abwägungsprozess regelmäßig Gegenstand des Klagegrunds der illegality sind, während sonstige Verfahrensfehler im Rahmen der procedural impropriety überprüft werden. Vollkommen gleichgesetzt mit nach deutschem Verständnis tatsächlichen Verfahrensfehlern werden Fehler im Abwägungsprozess damit auch in England nicht; die Unterscheidung zwischen Verfahrensfehlern im engeren deutschen Sinne und Fehlern im Entscheidungs- oder Abwägungsvorgang wird jedoch auch nicht ebenso deutlich wie in Deutschland betont. Vielmehr wird klargestellt, dass es sich auch bei dem Klagegrund der illegality um eine prozedurale Kontrolle handelt, und teilweise werden bestimmte hier unter diesem Klagegrund behandelte Aspekte auch als Bestandteile des Klagerunds der eigentlichen Verfahrensfehlerhaftigkeit – procedural impropriety – untersucht.419 415
BVerwG, NVwZ 1995, 494. BVerwGE 70, 143 (151). 417 BVerwGE 91, 262 (266). 418 BVerwGE 91, 262 (265 ff.). 419 So insbesondere Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review S. 515 ff. Rdnr. 9 – 001 ff. 416
C. Ergebnis
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Im Anschluss an die Kontrolle des Abwägungsvorgangs geht die auf eine grundsätzliche Ergebniskontrolle ausgelegte verwaltungsgerichtliche Kontrolle in Deutschland jedoch einen Schritt weiter und prüft auch die eigentliche Abwägung der einbezogenen Belange. Diese Abwägung selbst ist es, die im englischen Rechtssystem noch grundsätzlich der Verwaltung verbleiben soll, solange sie nicht im Sinne der Wednesbury-unreasonableness vollkommen unvernünftig ist. Nunmehr ist jedoch im Zuge der Entwicklung eines Klagegrunds der disproportionality auch an dieser Stelle eine bedeutende Annäherung der angelegten Kontrollmaßstäbe zu erkennen. In England nehmen die Gerichte immer häufiger an, dass die Verwaltung das Ergebnis ihrer Ermessensausübung zu rechtfertigen hat, insbesondere, wenn es um Beschränkungen fundamentaler Rechte geht. Sie gehen damit ebenfalls den von den deutschen Gerichten schon traditionell eingegangenen Schritt und prüfen neben dem rechtmäßigen Zustandekommen der Abwägungsentscheidung zusätzlich, ob auch die im Ergebnis durch die Verwaltung gezogenen Schlüsse rechtmäßig sind. Sind die Ausgangspunkte beider Rechtssysteme in Bezug auf die grundsätzlichen Annahmen – in Deutschland also die grundsätzliche Letztentscheidungskompetenz der Gerichte und in England diejenige der Verwaltung420 – folglich noch immer deutlich zu unterscheiden, so ist das Ergebnis der gerichtlichen Kontrolle dann stark vergleichbar, wenn von diesen Prämissen abgewichen wird. Dort also, wo nach dem deutschen Verständnis eine gewisse Übertragung der Letztentscheidungskompetenz auf die Verwaltung stattgefunden hat und die gerichtliche Kontrolle sich damit auf eine Abwägungskontrolle oder damit zu vergleichende Kontrolle beschränkt, ist ein Unterschied zwischen der deutschen und der englischen Herangehensweise dem Inhalt der Kontrolle nach kaum mehr zu erkennen.421 Dasselbe gilt, wenn nach englischem Verständnis deshalb von dem Grundsatz der weiten behördlichen Entscheidungsspielräume abgewichen werden muss, weil fundamentale Rechte der Betroffenen berührt werden. Hier kann das Gericht, wie nach traditionellem deutschen Verständnis, eigene Verhältnismäßigkeitserwägungen anstellen.
420 Wegen der auch in England angenommenen Befugnis der Gerichte, die rechtlichen Grenzen des Ermessens zu bestimmen, lehnt von Danwitz, Thomas, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 34, den Begriff der „Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung“ für das englische Recht ab; so auch Brinktrine, Ralf, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 460; vorliegend soll mit dem Topos insbesondere der gegenüber dem deutschen Recht weiter gehende Entscheidungsspielraum der englischen Verwaltung angesprochen werden; zu deren Bedeutung und Grenzen noch Kapitel 3 A. II. 1. a) aa). 421 Zu einem ähnlichen Ergebnis in Bezug auf den Inhalt einer Verwaltungskontrolle im Ermessensbereich gelangt auch Brinktrine, Ralf, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 472 ff.
Kapitel 3
Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens innerhalb der Verwaltungsrechtsordnung Entscheidend für die Frage, inwieweit dem Einzelnen gegen eine verfahrensfehlerhaft getroffene Verwaltungsentscheidung Rechtsschutz zustehen soll oder ob gar eine isolierte Geltendmachung von Verfahrensrechten möglich ist, ist die Rolle oder Funktion, welche die Rechtsordnung dem Verwaltungsverfahren zugewiesen hat. Wird das Verwaltungsverfahren als ein weitgehend eigenständige Rechte verleihendes Instrument begriffen, so wird auch ein Verstoß gegen Verwaltungsverfahrensrecht in einer anderen Weise bewertet und zu ahnden sein als in einem System, das dem Verwaltungsverfahrensrecht eine in seiner Bedeutung dem materiellen Recht untergeordnete Funktion zuweist. Dann nämlich, wenn Rechte innerhalb des Verfahrens nur materiellen Rechtspositionen zu ihrer Verwirklichung verhelfen sollen, scheint eine Durchsetzung dieser Verfahrensrechte unabhängig von der materiellen Rechtsposition weniger notwendig. Wo hingegen das Verfahren als Verwirklichung der Gerechtigkeit wahrgenommen wird – die Verfahrensgerechtigkeit mithin ein wesentliches zu schützendes Rechtsgut ist –, ist auch eine Durchsetzung von Verfahrensrechten unabhängig von dem Entscheidungsergebnis einfacher zu begründen. Eine von der in Kapitel 2 behandelten Frage nach der Rolle der Verwaltungsgerichte bei der Kontrolle der Verwaltung und der mit der Beantwortung dieser Frage zusammenhängenden Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Verfahrens- oder Ergebniskontrolle unabhängige Untersuchung der Stellung des Verwaltungsverfahrensrechts innerhalb der Rechtsordnung ist nicht möglich und auch nicht erwünscht. Die Frage nach der Weite der gerichtlichen Kontrollkompetenz im Hinblick auf den materiellen Gehalt einer Verwaltungsentscheidung hängt vielmehr eng mit der Bedeutung zusammen, die dem Verwaltungsverfahren innerhalb der Verwaltungsordnung zugesprochen wird.1 Es wird daher an dieser Stelle auf bereits im Rahmen der Darstellung der Rolle der Gerichtsbarkeit bei der Verwaltungskontrolle aufgezeigte Entwicklungen erneut eingegangen, auch um die Verknüpfung der verschiedenen Systementscheidungen einer Rechtsordnung deutlich zu machen.
1
Siehe dazu Kapitel 2 A.
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens oder die Betonung der Verfahrensgerechtigkeit Der Schutz materieller Rechtspositionen steht in Deutschland im Zentrum der Rechtsordnung. Materielle Richtigkeit wird als Maßstab für das Handeln der Verwaltung herangezogen und nicht etwa das zu der Entscheidung führende Verfahren.2 Von Verfahrensrecht wird zunächst grundsätzlich als „dienend“ in Bezug auf eine materiell rechtmäßige Entscheidung, als „Verwirklichungsmodus“3 des materiellen Rechts gesprochen. Gleichzeitig ist die Gerechtigkeitsvorstellung stark materiell geprägt – entscheidend für die Einschätzung einer Entscheidung als „richtig“ oder „gerecht“ ist weitestgehend deren Ergebnis.4 In England und allgemein im angloamerikanischen Recht hingegen ist die Betonung der Verfahrensgerechtigkeit – der procedural justice im englischen Rechtssystem und des due process im amerikanischen5 – ein wesentlicher Grundgedanke des Rechtsschutzes. Das materielle Ergebnis wird dabei traditionell weitgehend als Sache der Exekutive angesehen und gerichtlich nicht überprüft.6 Obgleich diese beiden Grundkonzepte einander in ihrer extremen Form, also als Systementscheidungen, abgrenzend gegenüber gestellt werden können, wird sowohl in Deutschland von einer Prozeduralisierung7 als auch in England von einer neuen Hinwendung zur materiellen Überprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen gesprochen. Hierbei spielen jeweils auch Impulse aus dem europäischen Recht eine entscheidende Rolle.
2 Goerlich, Helmut, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, S. 343, mit einer Erläuterung der historischen Entwicklung dieser Herangehensweise; Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 31, stellt die deutsche Herangehensweise der amerikanischen gegenüber; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 16 f., und mit Erläuterung der rechtsgeschichtlichen Entwicklung auf S. 18 ff. 3 Diesen Begriff prägte vor allem Rainer Wahl; u. a. Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (153). 4 Siehe für eine Darstellung der verschiedenen Gerechtigkeitstheorien Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 26 ff. 5 Auch im englischen Rechtssystem wird teilweise von der due process-Garantie gesprochen, wenn es um die Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren geht. 6 Schon bei der Staatsrechtlehrertagung in Wien im Jahr 1958 machte Ernst Forsthoff darauf aufmerksam, dass das englische case-law geprägte Rechtssystem die Gewähr des Rechts im Verfahren betone, während das deutsche weitgehend mit abstrakt-generellen Normen operierende Rechtssystem stark an die Verwirklichung des materiellen Rechts anknüpfe; vgl. Forsthoff, Ernst, VVDStRL 16 (1958), 222 (Diskussionsbemerkung). 7 Zu einer Veränderung der Einstellung des deutschen Rechts gegenüber dem Verfahrensrecht siehe bereits Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 24, 32.
126
Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
I. Der Ausgangspunkt der grundsätzlich dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens in Deutschland Regelmäßig erfolgt im deutschen Rechtssystem eine Aufteilung des Rechts in materielles und formelles Recht. Innerhalb des Verwaltungsrechts können so drei verschiedene Regelungsgebiete unterschieden werden, die jeweils zueinander in Verhältnis gesetzt werden müssen – das „inhaltliche“ materielle Verwaltungsrecht, das in Abgrenzung dazu dem formellen Recht zuzuordnende Verwaltungsverfahrensrecht und schließlich das Verwaltungsprozessrecht. Das formelle Verwaltungsrecht befasst sich grundlegend mit der Organisation und dem Aufbau der Verwaltung sowie mit dem Verfahren, das die Verwaltung bei dem Treffen von Entscheidungen anzuwenden hat. Hiervon zu trennen ist dem Grundsatz nach das materielle Verwaltungsrecht, das sich zuvörderst mit der genaueren inhaltlichen Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat beschäftigt.8 Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen diesen beiden Regelungsgebieten des Verwaltungsrechts ist allerdings nicht möglich;9 so finden sich etwa auch in zunächst dem materiellen Recht zuzuordnenden Gebieten des Verwaltungsrechts Normen, die Vorgaben für das Verfahren enthalten.10 Grundsätzlich befasst sich das dem formellen Recht zuzuordnende Verwaltungsverfahren aber mit der Art und Weise der Entscheidungsfindung, während das materielle Verwaltungsrecht die inhaltlichen Anforderungen an die getroffene Entscheidung vorgibt. Das Verwaltungsprozessrecht ist demgegenüber mit der nachträglichen Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen durch die Verwaltungsgerichte, mit dem möglichen gerichtlichen Rechtsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen befasst. Wiederum ist eine vollkommene Trennung von Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht nicht möglich. Vielmehr kommt es zu Überschneidungen und sich gegenseitig bedingenden und ergänzenden Regelungen, wie sich beispielsweise an den Vorschriften zum Widerspruchsverfahren oder an der verwaltungsrechtlichen Mediation zeigt. Um die Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung bestimmen zu können, ist sowohl sein Zusammenhang mit dem materiellen Verwaltungsrecht als auch derjenige zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht näher zu beleuchten. Die grundsätzliche, konzeptionelle Bedeutung des Verfahrensrechts bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung und bei deren gerichtlicher 8 Zu dieser kategorialen Unterscheidung vgl. beispielsweise BVerwGE 100, 238 (243); Schmidt-Preuß, Matthias, DVBl. 1995, 485 ff. 9 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 65. 10 Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 26; Grünewald, Benedikt, Die Betonung des Verfahrensgedankens im deutschen Verwaltungsrecht durch das Gemeinschaftsrecht, 2009, S. 50.
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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Überprüfung wird in Deutschland mit Blick auf Vorschriften wie §§ 45, 46 VwVfG und § 44 a VwGO deutlich: Hier wird betont, was gemeinhin mit einer „dienenden Funktion“ des Verwaltungsverfahrens umschrieben wird. Die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung hängt von der Anwendung des materiellen Rechts ab Insbesondere die Gerichtskontrolle ist zunächst stark auf eine Ergebniskontrolle ausgelegt;11 eine isolierte Anfechtung von Verfahrensfehlern oder die Forderung nach Verfahrenshandlungen sind grundsätzlich nicht möglich. Auch die weithin verwendete Begrifflichkeit der „dienenden Funktion“ legt nahe, dass das Verwaltungsverfahren zunächst auf die Erlangung einer materiell rechtmäßigen, im Ergebnis die materiellen (Grund-)Rechte des Einzelnen nicht verletzenden Entscheidung gerichtet sein soll und keinen eigenständigen Selbstzweck erfüllt.12 Innerhalb des durch das Verwaltungsverfahrensrecht geregelten Entscheidungsprozesses der Verwaltung – der Generierung von Wissen, der Verarbeitung von Information, der Kommunikation mit Bürgern oder sonstigen Betroffenen sowie der eigentlichen Entscheidungsfindung13 – kommen dem Verwaltungsverfahren in seinen verschiedenen Stadien darüber hinaus auch in Deutschland verschiedene Aufgaben und Funktionen zu, die nicht allein mit Verweis auf eine rein dienende Funktion beschrieben werden können. Gewisse eigenständige Funktionen des Verwaltungsverfahrens werden daher heute verbreitet anerkannt und neben die dienende Funktion des Verfahrens gestellt oder als deren Ergänzung angesehen.14 Gerade wegen dieser Funktionen werden vermehrt auch eigenständige Verfahrensrechte diskutiert. Darunter sind solche Rechte zu verstehen, die dem Einzelnen nicht in Bezug auf die Sachentscheidung an sich, sondern vor allem aus seiner Stellung im Verwaltungsverfahren heraus zukommen. Eine solche Entwicklung des Verhältnisses zwischen materiellem Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht hat auch Auswirkungen auf den Zusammenhang mit dem gerichtlichen Rechtsschutz: Zum einen rückt die Bedeutung des Rechtsschutzes des Einzelnen bereits während des Verwaltungsverfahrens oder durch das Verwaltungsverfahren dort in den Vordergrund, wo das materielle Recht keine 11 Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 31; Goerlich, Helmut, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, S. 344; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Verwaltungskontrolle – Einleitende Problemskizze –, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungskontrolle, 2001, S. 9 (21); ders., NVwZ 2007, 40 (41); Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (866), spricht von der „traditionellen Ergebniskontrolle“. 12 U. a. Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 27; ders., NVwZ 2012, 461 (462); Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 202; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 8; Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 f.; Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078; Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (238). 13 Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (231). 14 Zusammenfassend Wolff, Heinrich Amadeus, Die dienende Funktion der Verfahrensrechte – eine dogmatische Figur mit Aussagekraft und Entwicklungspotential, in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Festschrift für Rupert Scholz, 2007, S. 977 (978); Burgi, Martin, DVBl. 2011, 1317 (1323 f.), fordert gar eine ausdrückliche Aufnahme solcher weiter gehenden Funktionen in eine Zweckbestimmungsregelung des VwVfG als ein „§ 9a VwVfG“.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
eindeutigen und die Sachentscheidung als solche gerichtlich vollkommen nachprüfbar machenden Vorgaben mehr gibt. Lässt das materielle Recht die entscheidenden Fragen derart offen, gerät das Entscheidungsverfahren selber in den Blickpunkt auch der gerichtlichen Kontrolle,15 da eine reine Ergebniskontrolle nicht mehr möglich ist oder zumindest zu kurz greift. In derartigen Konstellationen wird dann auch die Möglichkeit einer von der Sachentscheidung vollkommen unabhängigen, isolierten Kontrollierbarkeit oder Einklagbarkeit bestimmter Verfahrenshandlungen zu diskutieren sein. Aber auch die Annahme gewisser Verfahrensgarantien, die sich aus den materiellen Grundrechten ergeben könnten, kann zu einer stärkeren Betonung der Kontrolle des Verfahrens selber führen.16 Wiederum ist bei der Untersuchung im Auge zu behalten, dass trotz der grundsätzlichen Allgemeingültigkeit der Aussagen zu Aufgabe und Funktion des Verwaltungsverfahrens die einzelnen Funktionen in verschieden ausgestalteten Verwaltungsverfahren unterschiedlich stark im Vordergrund stehen.17 1. Stellung des Verfahrensrechts innerhalb des Verwaltungsrechts Die eigenständige Bedeutung des Verwaltungsverfahrens sowie diejenige der Rechte des Einzelnen innerhalb des Verfahrens wurden in Deutschland lange nicht als selbstverständlich vorausgesetzt.18 Durch die gesteigerte Aufmerksamkeit in Bezug auf den Rechtsschutz des Einzelnen, die sowohl dem materiellen öffentlichen Recht als auch dem dessen Einhaltung prüfenden Verwaltungsprozess zugesprochen wird, trat die Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts leicht in den Hintergrund. Die materielle Rechtmäßigkeit einer Entscheidung ist in Deutschland traditionell der Maßstab für das Handeln der Verwaltung; sie ist es auch, die primär gerichtlich nachgeprüft wird. Eine Betrachtung des funktionalen Zusammenhangs zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht wie auch zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und materiellem Recht lässt einerseits diese traditionelle Haltung des deutschen Rechtssystems erkennen, deckt aber auch die notwendigen Veränderungen in den genannten Zusammenhängen auf, die insbesondere durch eine Verschiebung wichtiger Abwägungsprozesse aus dem materiellen Recht in das Verwaltungsverfahren hinein entstehen.
15
Hierzu Kapitel 2 B. I. 1. a) cc). Dazu schon Goerlich, Helmut, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, S. 344. 17 Pitschas, Rainer, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 44. 18 U. a., allerdings für die Zeit vor der weitreichenden Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens, Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 17, 44, mit einer Kritik an der Tendenz, den gerichtlichen Rechtsschutz stetig optimieren zu wollen, ohne hierbei die Ausgestaltung der Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsverfahrens in Betracht zu ziehen. 16
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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a) Funktionaler Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht Das behördliche und das gerichtliche Verfahren sind dem deutschen Verständnis nach zunächst voneinander getrennte und unabhängige Regelungsbereiche.19 Trotz der grundsätzlichen Abgrenzbarkeit sind jedoch vielfältige Zusammenhänge zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht zu ziehen. Der enge funktionale Zusammenhang wird zunächst durch einen Blick auf das deutsche traditionell gerichtszentrierte Verständnis des Rechtsschutzes deutlich: Wegen der Annahme einer umfassenden gerichtlichen Kontrollierbarkeit von Verwaltungsentscheidungen im deutschen Rechtssystem sowie der Befugnis des Gerichts, im eigenen Verfahren aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes Sachverhaltsermittlungen anzustellen und in der Sache selbst zu entscheiden, wird von dem Gerichtsverfahren auch als der „Verlängerung des Verwaltungsverfahrens“20 gesprochen. Dies soll bedeuten, dass die Eigenständigkeit des Verwaltungsverfahrens und dessen Verfahrensgarantien und Problemlösungskapazitäten21 kaum anerkannt werden können und müssen,22 solange eine durch die Verwaltung durch ein geregeltes Verwaltungsverfahren getroffene Entscheidung ohnehin letztlich durch eine solche, die von dem Gericht als richtig anerkannt wird, ersetzt werden kann. Insbesondere die grundsätzliche Letztentscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte über die materielle Sachentscheidung führt zu einem Bedeutungsverlust verfahrensrechtlicher Garantien.23 Die Perspektive, die gegenüber Verwaltungsentscheidungen ein19
Zu diesem „Trennungsprinzip“ u. a. Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 26; siehe zu der geschichtlichen Entwicklung des Zusammenhangs beider Rechtsgebiete Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 19 ff. 20 Schoch, Friedrich, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 279 (300); Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 46; Gaentzsch, Günter, Ermittlungsund Bewertungsdefizite im Verwaltungsverfahren, in: Bender/Breuer/Ossenbühl/Sender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 405 (408), spricht vom gerichtlichen Verfahren als einem „Anhängsel“ des Verwaltungsverfahrens; Gerhardt, Michael, Funktionaler Zusammenhang oder Zusammenstoß zweier Rationalitäten? Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess am Beispiel der jüngeren Verfahrenslehre, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 413 (420): „die im Verwaltungsverfahren angelegte Richtigkeitsgewähr wird in das gerichtliche Verfahren hinein fortgedacht“. 21 So Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (303); ähnlich auch Schmidt-Aßmann, Eberhard, DVBl. 1997, 281 (288). 22 Gerhardt, Michael, Funktionaler Zusammenhang oder Zusammenstoß zweier Rationalitäten? Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess am Beispiel der jüngeren Verfahrenslehre, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 413 (420 f.). 23 Ramsauer, Ulrich, Rechtsschutz durch nachvollziehende Kontrolle, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 699 (712 f.); ders., Zur Kontrolldichte im Verwaltungsprozess, in:
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
genommen wird, ist auch im Zusammenhang mit der Gerichtszentriertheit des Rechtsschutzes eine grundsätzlich nachträgliche, stärker auf die Möglichkeit einer ex post erfolgenden Kontrolle als auf die Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung selbst gerichtete.24 Doch ist die Ausrichtung des Rechtsschutzes innerhalb oder durch das Verwaltungsverfahren eine andere als diejenige des sich eventuell anschließenden Gerichtsschutzes. Wo der Rechtsschutz im und durch das Verfahren vor allem auf eine Vermeidung von (Grund-)Rechtsverstößen gerichtet ist, hat der nachträgliche gerichtliche Rechtsschutz eine in erster Linie korrigierende oder kompensierende Komponente.25 Die von der entscheidenden Verwaltung innerhalb des Verwaltungsverfahrens einzunehmende Perspektive ist damit auch in Bezug auf den innerhalb des Verfahrens zu verwirklichenden Rechtsschutz eine vollkommen andere – nämlich eine der Entscheidung selber vorgelagerte, ex ante-Perspektive.26 Gerade diese nachträgliche Sichtweise des gerichtlichen Verfahrens kann es insbesondere in komplexen Großverwaltungsverfahren sein, die als ungenügend in Bezug auf die Rechtzeitigkeit und Reichweite des Rechtsschutzes angesehen wird27 und eine eigenständige Bedeutung des Rechtsschutzes bereits im Verwaltungsverfahren notwendig macht, wie sogleich in Kapitel 3 A. I. 3. c) näher dargestellt wird. b) Funktionaler Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und materiellem Recht Wie bereits einleitend festgestellt, ist dem deutschen Rechtssystem die traditionelle Vorstellung immanent, dass entscheidende Voraussetzung rechtmäßigen staatlichen Handelns dessen materielle Rechtmäßigkeit ist. Im Vordergrund steht zunächst der Schutz der materiellen Rechtsposition des Einzelnen. Eine den materiellen Vorschriften des Verwaltungsrechts entsprechende Entscheidung, die im Ergebnis keine materielle Rechtspositionen eines oder mehrerer Bürger verletzt, ist Heckmann (Hrsg.), Modernisierung von Justiz und Verwaltung: Gedenkschrift für Ferdinand O. Kopp, 2007, S. 72 (85 ff.); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (858). 24 Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (156); Schmidt-Aßmann, Eberhard, NVwZ 2007, 40 (41). 25 von Mutius, Albert, Gerichtsverfahren und Verwaltungsverfahren, in: Erichsen/Hoppe/ von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 575 (595); ebenso und daher den Begriff des „vorverlagerten Rechtsschutzes durch das Verwaltungsverfahren“ ablehnend Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (160); Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 118. 26 Degenhart, Christoph, DVBl. 1982, 872 (875); Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (156, 160). 27 Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (201 f.); Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (163), nennt insbesondere die besseren Erkenntnismöglichkeiten, die bessere Folgenabschätzung sowie die geeigneteren personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten für technische oder naturwissenschaftliche Entscheidungen als Vorteile behördlicher Entscheidungsprozesse.
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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nach diesem Verständnis höchstes Ziel des Entscheidungsprozesses der Verwaltung. Dieses Verständnis prägt auch den funktionalen Zusammenhang zwischen dem materiellen Verwaltungsrecht und dem Verfahrensrecht. Das Verwaltungsverfahren dient dabei dazu, eine materielle Entscheidung zu produzieren – es soll gewährleisten, dass das materielle Recht korrekt angewendet wird. Das Verwaltungsverfahren soll „Verwirklichungsmodus des Rechts“28 sein, also dem materiellen Recht zur Anwendung verhelfen. Zunächst war diese Vorstellung von einer weitgehend vollständigen Determinierung des Entscheidungsergebnisses durch das materielle Recht geprägt. Das Verfahren übernimmt dann allein die Aufgabe des „Vollzugs“29 einer durch den Gesetzgeber getroffenen Entscheidung. c) Veränderung der funktionalen Zusammenhänge durch Abnahme der Steuerungsfähigkeit des materiellen Rechts Geht das deutsche Verwaltungsrecht traditionell noch von einer grundsätzlich konditionalen Normstruktur aus, die der Verwaltung Handlungsanweisungen in Form von möglichst eindeutig anzuwendenden Rechtssätzen aufgibt, ist heute vermehrt die Rede von einer „abnehmenden Steuerungsfähigkeit des materiellen Rechts“.30 Als Grund für diesen – partiellen31 – Verlust der Steuerungsfähigkeit des materiellen Verwaltungsrechts werden insbesondere die „sich beschleunigende Entwicklung der Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Gesellschaft“32 genannt. Gleichzeitig muss die Verwaltung vermehrt gestalterische Aufgaben übernehmen.33 Auf der Ebene der Gesetzgebung können in vielen Fällen nicht mehr abstrakt alle in 28
Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (153). Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 37. 30 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 174. 31 Warnend vor einer pauschalen Diagnose zu Steuerungsverlusten des Parlamentsgesetzes u. a. Reimer, Franz, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 9 Rdnr. 84; Dreier, Horst, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 208; und insbesondere bezogen auf eine hieraus folgenden Schwächung des Rechtsschutzes Betroffener Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (329); Held, Jürgen, NVwZ 2011, 461 (467). 32 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 176; ähnlich u. a. Reimer, Franz, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 9 Rdnr. 84 ff.; Voßkuhle, Andreas, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 1 Rdnr. 11; Dreier, Horst, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 169 f.; Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 476; vgl. auch Wolfram, Dieter, Prozeduralisierung des Verwaltungsrechts, 2005, S. 27 ff. 33 Schmitt Glaeser, Walter, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (40 f.). 29
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
die Entscheidungsfindung einzubeziehenden Interessen mit- und gegeneinander abgewogen werden, so dass diese Abwägung für den Einzelfall vermehrt der Verwaltung überlassen wird. Die Steuerung der Entscheidungsfindung durch das materielle Recht ist dann, entgegen der traditionellen deutschen Vorstellung, häufig nicht mehr abschließend, sondern das materielle Recht gibt der Verwaltung mit Abwägungskriterien oder Zielvorgaben lediglich den Rahmen für das Treffen einer Entscheidung vor und greift somit vermehrt auf finale Rechtsätze zurück.34 Nicht allein, aber besonders auffällig hält eine solche final geprägte verwaltungsrechtliche Normstruktur in stark unionsrechtlich beeinflussten Bereichen wie beispielsweise dem Umweltrecht35 Einzug in das deutsche Verwaltungsrecht. Demgegenüber ging das deutsche Rechtssystem auch im Umwelt- und Technikrecht traditionell von einer konditionalen Normsetzung aus. Durch normativ festgelegte Standards wurden auch in diesen Bereichen die Verwaltungsentscheidungen weitgehend gerichtlich überprüfbar gemacht.36 Während das deutsche Verwaltungsrecht traditionell die weitgehende Steuerung des Verwaltungshandelns durch Rechtsnormen annahm, geht das europäische Recht mit seiner Betonung des Verfahrensgedankens von einem Konzept der Steuerung und Optimierung der Verwaltung durch Verfahren aus.37 Allgemein wird heute auf finale Normen aber auch unabhängig von direkten europäischen Vorgaben insbesondere im Planungsrecht zurückgegriffen.38 Es obliegt hier der planenden Verwaltung, anhand der – im Bauplanungsrecht etwa in § 1 Abs. 5 und 6 und § 1a BauGB normierten – Planungsziele und -leitlinien die abschließende In34 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 35 ff.; Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 17, 58; ders., Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz – Einleitende Problemskizze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 9 (19 f.); Calliess, Gralf-Peter, Prozedurales Recht, 1999, S. 73 ff.; von Danwitz, Thomas, DVBl. 1993, 422 (425 f., 428); dass dies wiederum keine vollkommen neue Entwicklung ist, lässt sich u. a. an den Diskussionen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Jahr 1982 erkennen; hier vor allem Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (293 f.); so auch Dreier, Horst, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 159 ff.; Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 476. 35 Wahl, Rainer, Das deutsche Genehmigungs- und Umweltrecht unter Anpassungsdruck, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel: Bilanz und Perspektive aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Gesellschaft für Umweltrecht (GfU), 2001, S. 237 (245); Classen, Claus Dieter, Die Verwaltung 31 (1998), 307 (321 f.); Breuer, Rüdiger, AÖR 127 (2002), 523 (556 ff.); vgl. hierzu auch die Aussagen des OVG Koblenz in einem Beschluss zur ausgebliebenen Öffentlichkeitsbeteiligung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, dass die die neuen technischen Verfahren regelnden Gesetze „nicht mehr stabile Individualsphären zuteilen, sondern nur noch die Koordinierung und Abwägung des Geflechts betroffener Belange organisieren können“; vgl. OVG Koblenz, NVwZ 2005, 1208 (1210). 36 Vgl. hierzu Pöcker, Markus, Stasis und Wandel der Rechtsdogmatik, 2007, S. 118 ff.; Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (151); Breuer, Rüdiger, AöR 127 (2002), 523 (534 ff.). 37 Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (143). 38 Haug/Schadtle, NVwZ 2014, 271 (273).
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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teressensabwägung im Planungsverfahren geleitet durch das Gebot gerechter Abwägung zu treffen. Wo sich eine Verlagerung der Entscheidungsfindung aus dem materiellen, durch den Gesetzgeber zwingend vorgegebenen Recht hinein in den Abwägungsprozess des Verwaltungsverfahrens beobachten lässt, muss auch die traditionelle Vorstellung des funktionalen Zusammenhangs zwischen dem materiellen Recht und dem diesem zur Geltung verhelfenden Verwaltungsverfahrensrecht ein Stück weit überdacht werden. Von einem eindeutigen Ergebnis nach Anwendung der materiell-rechtlichen Vorgaben ist hier nicht länger – auch nicht als Konzept oder Fiktion – auszugehen.39 Die Garantie für die Sachrichtigkeit einer Entscheidung ist dann auch gerade nicht mehr den Gerichten auferlegt, sondern es ist das durch die Verwaltung angewendete Verwaltungsverfahren, das die Richtigkeit der behördlichen Entscheidung zu garantieren hat.40 Dem Verwaltungsverfahren wird so vermehrt die Funktion eines „vorgelagerten Rechtsschutzes“ zugeschrieben oder, angelehnt an die im europäischen Recht vorherrschende Vorstellung, von einer verstärkten Richtigkeitsgewähr durch Verwaltungsverfahren gesprochen. Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren verändert sich hierdurch in zweierlei Weise: Die ordnungsgemäße Durchführung des Verwaltungsverfahrens soll zum einen ein gerichtliches Verfahren verhindern können, indem es bereits im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses der Verwaltung die Interessen und Rechte Einzelner berücksichtigt.41 Die nachträgliche gerichtliche Überprüfung der schlussendlich getroffenen Entscheidung kann sich dann als für den Rechtsschutz weniger bedeutend darstellen. Eine Entwicklung der Bedeutung verwaltungsverfahrensrechtlicher Garantien ist aber auch unabhängig von einer solchen des Inhalts verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht denkbar.42 Eine derartige Verlagerung des Rechtsschutzes in das Verwaltungsverfahren wirkt sich daher zum anderen auch auf die Ausrichtung des gerichtlichen Rechtsschutzes als solche aus. Konsequenz einer Ausweitung der allgemeinen Verlagerung des Rechtsschutzes in das Verwaltungsverfahren hinein ist dann ein Bedeutungsverlust des gerichtlichen Verfahrens oder zumindest der gerichtlichen Ergebniskontrolle, insbesondere wenn bei derlei Ver39
Di Fabio, Udo, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 460. Gerhardt, Michael, Funktionaler Zusammenhang oder Zusammenstoß zweier Rationalitäten? Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess am Beispiel der jüngeren Verfahrenslehre, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 413 (415). 41 U. a. schon Ule, Carl Hermann, DVBl. 1957, 597 ff., der die Notwendigkeit eines ausgestalteten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens als umso größer ansah, je formloser das Verwaltungsverfahren geregelt sei; wo hingegen bereits das Verwaltungsverfahren mit weitgehenden rechtsstaatlichen Garantien ausgestattet sei, könne ein mehrstufiges verwaltungsgerichtliches Verfahren überflüssig gemacht werden; Kopp, Ferdinand, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 60; Degenhart, Christoph, DVBl. 1982, 872 (876). 42 Zu der Notwendigkeit, das „Gesamtsystem: Verwaltungsverfahren und gerichtlicher Rechtsschutz“ in Betracht zu ziehen, Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1286). 40
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
waltungsentscheidungen von einer Einschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs in Bezug auf die Richtigkeit der Sachentscheidung als solche ausgegangen wird.43 Dies wirft wiederum die Frage auf, ob es in diesem Fall das angewendete Verfahren selbst sein muss, das gerichtlich zu überprüfen ist, insbesondere auch um der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG weiterhin genügen zu können. Wo in Bezug auf den gerichtlichen Rechtsschutz die Vorstellung des deutschen Rechtssystems, dass das Treffen einer einzig richtigen Verwaltungsentscheidung möglich war, das Gericht die zumindest tatbestandlich weitgehend gebundene Entscheidung also auch auf ihre Sachrichtigkeit hin vollständig überprüfen kann, vermehrt nicht mehr der Realität des Verwaltungshandelns entspricht,44 muss der Bedeutungsgewinn verfahrensrechtlicher Garantien auch den funktionalen Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und gerichtlichem Rechtsschutz verändern. Insbesondere dort, wo es der Verwaltung obliegt, innerhalb des Verfahrens divergierende Interessen gegeneinander abzuwägen und miteinander in Einklang zu bringen und hiernach eine dem materiellen Gesetzesprogramm nach nicht zwingend vorgegebene Entscheidung zu treffen, wird das eigentliche Treffen der Entscheidung vermehrt in das Verwaltungsverfahren hinein verlagert.45 Eine Trennung zwischen angewendetem Verfahren und getroffener Sachentscheidung ist dann auch in Bezug auf den Rechtsschutz kaum mehr möglich. Ist die Entscheidung der Verwaltung vornehmlich prozedural gesteuert, weil es an einer weitgehenden materiell-rechtlichen Konditionierung fehlt, muss sich auch die gerichtliche Kontrolle einer in diesem Rahmen getroffenen Verwaltungsentscheidung vermehrt auf diesen Prozess beziehen.46 Der funktionale Zusammenhang des Verwaltungsverfahrensrechts mit dem materiellen Verwaltungsrecht ist in seiner genauen Bedeutung im Folgenden näher zu 43 Zu dieser Einschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs bei Letztentscheidungsbefugnissen der Verwaltung Kapitel 2 B. I. 1. a) bb). 44 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 32; Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 455 und S. 458; Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 64; Rossen, Helge, Vollzug und Verhandlung, 1999, S. 97 ff.; Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (142 f.); vgl. auch die Stellungnahme von Wolfram, Dieter, Prozeduralisierung des Verwaltungsrechts, 2005, S. 52 ff. 45 Hierzu noch näher Kapitel 3 A. I. 3. b). 46 Ossenbühl, Fritz, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Bender/Breuer/Ossenbühl/Sender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 55 (60 f.); Schoch, Friedrich, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 279 (311 ff.); Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 113 Rdnr. 20; Schmidt-Aßmann, Eberhard, DVBl. 1997, 281 (287); Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (168 ff.); eine detaillierte Untersuchung der Auswirkungen dieser Zusammenhänge findet sich auch schon bei Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, insbesondere S. 35 ff., 65 ff.
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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erläutern. Ebenso gilt es darzulegen, inwieweit dem Verwaltungsverfahren innerhalb des funktionalen Zusammenhangs mit dem materiellen Recht, insbesondere im Rahmen der zu beobachtenden Abnahme der Steuerungsfähigkeit desselben, eigenständige Funktionen und Aufgaben zugerechnet werden können. Darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage, ob es solche eigenständigen Funktionen des Verfahrensrechts auch unabhängig von einem funktionalen Zusammenhang mit dem materiellen Recht – ausgedrückt in vollkommen eigenständige Verfahrenspositionen – geben kann. 2. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens Wie bereits angedeutet, wird bei der Beschäftigung mit dem Verwaltungsverfahren in Deutschland an erster Stelle auf die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung materieller Vorschriften verwiesen. Das Verfahren, mit dem eine Verwaltungsentscheidung getroffen werden soll, erfüllt zunächst keinen Selbstzweck, sondern dient dem Hervorbringen einer materiell rechtmäßigen Entscheidung.47 a) Klassisches Verständnis von der dienenden Funktion Die Vorschriften des Verwaltungsverfahrens sollen es der Verwaltung ermöglichen, alle entscheidungsrelevanten Informationen zu erlangen, zu ordnen und zu verwerten, um sodann eine den materiellen Vorschriften entsprechende Sachentscheidung treffen zu können. Betrachtet man allein die so beschriebene dienende Funktion, so ist das Verwaltungsverfahren lediglich der Rahmen für eine „richtige“48 Entscheidung der Verwaltung, ohne hingegen einen eigenen Einfluss auf die eigentliche Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung beanspruchen zu können. Entscheidend ist danach, dass die getroffene Verwaltungsentscheidung materiell rechtmäßig ist; das Verfahren ist lediglich der Weg zur Erreichung dieses Ziels. Auf diese Einordnung des Verwaltungsverfahrens können dann auch die unterschiedlichen Bedeutungen von Verfahrensfehlern und Fehlern in der materiellen Entscheidung – die verschiedenen
47
Vgl. nur Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 27; ders., NVwZ 2012, 461 (462); Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verfahren und seine Rolle im Verwaltungsrecht, 1986, S. 202; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 8; Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (465 f.); Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078; Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (238); Burgi, Michael, DVBl. 2011, 1317; auch die Rechtsprechung bedient sich dieser Terminologie; vgl. u. a. BVerfGE 105, 48 (60); BVerwGE 92, 258 (261). 48 Zu dem Konzept einer „richtigen“ oder „einzig richtigen“ Entscheidung Kapitel 2 B. I. 1. a) aa).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Fehlerfolgen – gestützt werden.49 Ausdrücklich geht auch das VwVfG selber besonders in seinem § 46 von dieser Funktion des Verwaltungsverfahrens aus: Ist ein Verwaltungsakt dem Ergebnis nach materiell rechtmäßig, soll dies und nicht ein eventuell begangener Fehler in der Entscheidungsfindung ausschlaggebend sein. Einer solchen Einordnung des Verwaltungsverfahrens muss die grundsätzliche Annahme zugrunde liegen, dass der Inhalt einer Verwaltungsentscheidung weitgehend durch das materielle Recht vorgegeben ist und gerichtlich intensiv kontrolliert werden kann.50 Die Verwaltung ist dann durch das materielle Recht gebunden; das Verfahren hat keine ergebnisrelevante Bedeutung.51 Wo hingegen der Verwaltung Ermessensspielräume oder die Pflicht zur Abwägung verschiedener Interessen aufgegeben werden, gelangt dieses klassische Verständnis vermehrt an seine Grenzen. b) Grenzen des klassischen Verständnisses von der dienenden Funktion Wo es Aufgabe der Verwaltung ist, innerhalb eines eindeutig geregelten Verwaltungsverfahrens Ermessensspielräume auszufüllen und widerstreitende Interessen Privater unter sich oder gegenüber dem öffentlichen Interesse miteinander in Ausgleich zu bringen, weil etwa das materielle Recht einen solchen Ausgleich nicht bereits vollständig vorgenommen hat und vornehmen kann, muss dem Verwaltungsverfahren an sich mehr als nur die dienende Funktion in ihrem klassischen Verständnis zukommen. Sehen lässt sich dies besonders dort, wo es Aufgabe der Verwaltung ist, nicht nur zu ordnen, was das materielle Recht ihr aufgibt, sondern eigens zu planen und zu lenken, ohne dass das Ergebnis dieser Planung bereits vorgegeben wäre.52 Je flexibler die Verwaltung so in ihrer Entscheidungsfindung wird, weil ihr Ermessensspielräume gewährt werden, sie unbestimmte Rechtsbegriffe derart auszulegen und unter sie zu subsumieren hat, dass ihr hierdurch ein Beurteilungsspielraum zuteil wird oder sie Interessen verschiedener Betroffener ohne zwingende materiell-rechtliche Vorgaben abzuwägen hat, desto größer wird auch die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens.53 Insbesondere in diesem Zusam49 Wolff, Heinrich Amadeus, Die dienende Funktion der Verfahrensrechte – eine dogmatische Figur mit Aussagekraft und Entwicklungspotential, in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Festschrift für Rupert Scholz, 2007, S. 977; Pietzker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (221). 50 Vgl. hierzu auch Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/ 910, S. 65; dies als „Philosophie eines engen Verfahrensverständnisses“ bezeichnend, SchmidtAßmann, Eberhard, NVwZ 2007, 40 (41); ders., Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 65; zur Bedeutung und Reichweite des § 46 VwVfG Kapitel 3 B. II. 1. c) bb) (1) sowie zu dessen Bedeutung für den Verwaltungsprozess Kapitel 4 B. II. 1. a) cc). 51 Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (866 f.). 52 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 31 und Rdnr. 35 ff.; Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (866). 53 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 38 ff.
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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menhang werden daher die als „Eigenwert des Verwaltungsverfahrens“ bezeichneten Funktionen diskutiert. 3. Der Eigenwert des Verwaltungsverfahrens Das Verwaltungsverfahren ist darauf gerichtet, eine Entscheidung der Verwaltung im weitesten Sinne herbeizuführen. Insoweit dient es der Verwaltung dabei, eine materiell rechtmäßige Entscheidung hervorzubringen. Dass ein Verwaltungsverfahren nicht isoliert und ohne auf ein bestimmtes Ziel – sei es eine Entscheidung im formellen Sinne oder etwa der Gewinn von Informationen oder eine Realhandlung – gerichtet zu sein existiert, bedeutet aber nicht, dass hieraus ein Nachrang des Verfahrensrechts gegenüber dem materiellen Recht folgen muss und dem Verfahren nicht dennoch ein gewisser eigenständiger Wert zukommt.54 Gemeinsam mit der Entwicklung und Veränderung des Verständnisses vom Zusammenhang des Verfahrensrechts zum materiellen Verwaltungsrecht sowie zum Verwaltungsprozessrecht haben sich die Vorstellungen von der rein dienenden Funktion und von den dieser gegenübergestellten Funktionen, aus denen ein Eigenwert des Verwaltungsverfahrens gefolgert werden kann, entwickelt. Um daher die Entwicklungen des funktionalen Zusammenhangs zwischen Verwaltungsverfahrensrecht, materiellem Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht näher zu erläutern, sollen an dieser Stelle die als Eigenwert diskutierten Funktionen des Verwaltungsverfahrens beschrieben werden. a) Der Begriff des „Eigenwerts“ Was genau hierbei unter dem Begriff des „Eigenwerts des Verfahrens“ zu verstehen ist und welche Folgen sich aus dessen Betonung insbesondere auch für den Rechtsschutz im Falle eines fehlerhaften Verwaltungsverfahrens ziehen lassen,55 wird nicht gänzlich einheitlich beantwortet. Zum einen wird als Eigenwert des Verwaltungsverfahrens der eigenständige Beitrag zur Erreichung des Ziels – der Verwaltungsentscheidung – angesehen.56 Eigenwert ist nach diesem Verständnis kein Gegenbegriff zur dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens, sondern bezeichnet auch und gerade innerhalb dieser 54
Vgl. Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 11, der dies als „positives“ und am anglo-amerikanischen due processGedanken orientiertes Verständnis der dienenden Funktion in Abgrenzung zu der klassischen Konzeption des dienenden Verwaltungsverfahrens beschreibt. 55 Siehe zur Bedeutung von „dienender Funktion“ und „Eigenwert“ des Verfahrens für den Rechtsschutz im Falle eines Verfahrensfehlers auch Kapitel 4 B. I. 1. d) und Kapitel 4 B. II. 1. a) bb). 56 So Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (234 f.); insbesondere für das allgemeine Verwaltungsverfahren nach dem VwVfG, Schoch, Friedrich, Die Verwaltung 25 (1992), 20 (24 f.).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
dienenden Funktion dasjenige, was das Verwaltungsverfahren zur Entscheidungsfindung beitragen kann. Eine gänzlich von der materiellen Entscheidung unabhängige Funktion wird dem Verwaltungsverfahren hierbei also nicht zugesprochen. Vielmehr beurteilt sich auch sein Eigenwert als dasjenige, was der Verwaltung auf dem Weg hin zu einer materiellen Entscheidung hilft. Insbesondere bei abnehmender Steuerung durch das materielle Recht – also dort, wo das materielle Recht keine zwingende Programmierung vorgibt – kommt dem Verwaltungsverfahren auch nach diesem Verständnis ein gesteigerter Eigenwert zu.57 Andererseits können als Eigenwert oder als eigenständige Funktion des Verwaltungsverfahrens in einem weiteren Verständnis auch diejenigen Zwecke bezeichnet werden, die über die eigentliche Sachentscheidung hinausgehen.58 Hier wird der Begriff des „Eigenwerts“ als von der dienenden Funktion grundsätzlich abzugrenzender Terminus verstanden. Das Verwaltungsverfahren soll in Bezug auf seinen Eigenwert dann gerade nicht allein auf die Erlangung einer materiellen Entscheidung gerichtet sein, sondern darüberhinausgehende eigenständige Zwecke erfüllen. Der Begriff des „Eigenwerts“ lässt sich auf beide Situationen aufteilen. Dem Verwaltungsverfahren kann so gleichsam ein instrumentaler Eigenwert – das heißt ein Eigenwert innerhalb seiner Rolle bei der Herbeiführung einer Entscheidung – und ein hiervon unabhängiger Eigenwert – ein vollkommen selbständiger, von der zu treffenden Entscheidung weitgehend gelöster Wert – zukommen.59 Die als „Eigenwert des Verwaltungsverfahrens“ beschriebene Bedeutung lässt sich also sowohl innerhalb der Funktion bei der Findung einer Verwaltungsentscheidung als auch als unabhängig von dieser Funktion existent verstehen. In der zweitgenannten Hinsicht kommen auch diejenigen Rechte des Einzelnen innerhalb des Verwaltungsverfahrens zum Tragen, die einzig aus der Subjektstellung im Verfahren heraus bestehen, ohne zugleich dem Schutz materiell-rechtlicher Rechtspositionen zu dienen, die durch die am Ende des Entscheidungsprozesses stehende Verwaltungsentscheidung betroffen sind. Gemeint ist hier also nicht die Funktion des Rechtsschutzes durch Verwaltungsverfahren, das zumeist auf den Schutz materieller Rechte insbesondere materiell ausgelegter Grundrechte anspielt. Vielmehr kommen schon innerhalb des 57
Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (238 f.). Wolff, Heinrich Amadeus, Die dienende Funktion der Verfahrensrechte – eine dogmatische Figur mit Aussagekraft und Entwicklungspotential, in: Pitschas/ Uhle (Hrsg.), Festschrift für Rupert Scholz, 2007, S. 977. 59 Auch zu Folgendem Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (282); hieran anschließend Burgi, Michael, DVBl. 2011, 1317 (1318); ders., JZ 2010, 105 (108); ähnlich bereits Ladenburger, Clemens, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und im deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S. 296; Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466); ähnlich auch und hieraus Konsequenzen für die Fehlerfolgenregelung andeutend Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/ Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 11; ders., Verfahrensfehler im Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 31 Rdnr. 107. 58
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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Verwaltungsverfahrens gewisse Verfahrensrechtspositionen zum Tragen, die unabhängig neben die materiellen Rechtspositionen treten. Im Einzelnen lassen sich folgende Funktionen des Verwaltungsverfahrens als über die dienende Funktion in ihrem klassischen Verständnis hinausgehende Funktionen beschreiben. Dies gilt dabei zunächst unabhängig von dem jeweiligen Verständnis eines Eigenwerts des Verwaltungsverfahrens. Ob daraus jedoch zugleich folgt, dass innerhalb der beschriebenen Funktionen dem Verwaltungsverfahren – oder genauer einzelnen Normen des Verwaltungsverfahrensrechts60 – ein von der getroffenen Verwaltungsentscheidung auch in Bezug auf den möglichen Rechtsschutz bei Missachtung der jeweiligen Norm unabhängiger Eigenwert zukommt, gilt es für die jeweilige Funktion und die entsprechende Verfahrensnorm gesondert zu entscheiden. b) Richtigkeitsgewähr durch Verfahren Wie bereits mehrfach betont, soll durch das Verwaltungsverfahren eine materiell rechtmäßige und sachrichtige Entscheidung, also eine solche, für die das Recht richtig ausgelegt und angewendet wurde, getroffen werden.61 Die das Verfahren regelnden Normen geben vor, welche Informationen für das Treffen einer Entscheidung eingeholt, welche Interessen hierbei berücksichtigt werden müssen und wer gegebenenfalls angehört werden muss. Das Verwaltungsverfahrensrecht gibt also ein „Arbeitsprogramm“62 auf, dessen Einhaltung eine Gewähr dafür sein soll, dass am Ende des Entscheidungsprozesses eine unter allen eingeholten und einzuholenden Informationen richtige Entscheidung63 getroffen wird. Dabei ist es das materielle Recht, das am Ende die „Richtigkeit“ der Entscheidung vorgibt; das Verwaltungsverfahren soll die Verwirklichung des materiellen Rechts sicherstellen.64 60 Die Notwendigkeit einer normativen Verankerung derartiger Funktionen betonen u. a. Schmidt-Aßmann, Eberhard, Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Erichsen/Hoppe/ von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 107; Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (234); Burgi, Martin, DVBl. 2011, 1317 (1318 f.). 61 Zu der Funktion des Verwaltungsverfahrens, das der Herbeiführung „gesetzmäßiger und unter diesem Blickpunkt richtiger, aber darüber hinaus auch im Rahmen dieser Richtigkeit gerechter Entscheidungen“ verpflichtet sein soll, siehe u. a. BVerfGE 42, 64 (73); BVerfGE 46, 325 (333); BVerfGE 52, 131 (53). 62 Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1079). 63 Zum diesem Begriff und dem hiermit zusammenhängenden Konzept einer „richtigen“ oder „einzig richtigen“ Verwaltungsentscheidung siehe Kapitel 2 B. I. 1. a) aa). 64 Dieses „Primat des materiellen Rechts“ wird wiederholt von Matthias Schmidt-Preuß betont, ohne, dass hieraus jedoch ein „Nachrang“ des Verfahrensrechts folge; siehe u. a. Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 495 ff., 520 ff.; ders., Das Allgemeine des Verwaltungsrechts, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Maurer, 2001, S. 777 (786); ders., DVBl. 1995, 485 (489); ders., NVwZ 2005, 489 (490); siehe auch Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (871); Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
In diesem Sinne könnte von der Funktion der Richtigkeitsgewähr durch das Verwaltungsverfahren als der „klassischen dienenden Funktion“ gesprochen werden. Die Verfahrensregeln existieren gerade, um die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung sicherzustellen, um die Anwendung und Verwirklichung materiellrechtlicher Vorgaben zu bewirken. Insbesondere dort jedoch, wo die Verwaltung vor die Aufgabe gestellt wird, nicht lediglich ein präzises und lückenlos formuliertes Gesetzesprogramm zu vollziehen,65 sondern ihr ein gewisser Entscheidungs- und vor allem ein Abwägungsspielraum zuerkannt wird oder eine Prognose- oder Planungsentscheidung zu treffen ist, kann das Verfahren eine über diese dem materiellen Recht zur Geltung verhelfende Funktion hinausgehende Wirkungsweise beanspruchen.66 Ein „richtiges“ Ergebnis wird nicht etwa mit Hilfe des angewendeten Verwaltungsverfahrens schlicht gefunden oder aufgedeckt, weil es durch die materiellrechtlichen Vorgaben bereits festgelegt ist, sondern durch Verarbeitung von eingeholten Informationen erst erzeugt. Besonders in Fällen, in denen eine Interessensabwägung innerhalb des Verwaltungsverfahrens vorgenommen werden muss, ist das Verwaltungsverfahren nicht allein dazu zu nutzen, bei der schlichten Anwendung des Gesetzes eine zwingend materiell rechtmäßige Entscheidung hervorzubringen. Vielmehr ist es hier mehr noch als bei exakt vorgegebenen Gesetzesprogrammen das interessenabwägende Verfahren selber, das die Richtigkeit der Entscheidung sicherstellt.67 Zwar ist auch in diesen Fällen selbstverständlich nicht von einer Abwesenheit materiell-rechtlicher Maßgaben auszugehen. Vielmehr existieren verbreitet normative Vorgaben zur Gewichtung unterschiedlicher Belange, Optimierungsgebote und Staatszielbestimmungen, welche die Abwägung beeinflussen. Hieraus jedoch zu folgern, dass auch etwa im Planungsrecht nicht von einer Veränderung des funktionalen Zusammenhangs zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht auszu65 Ob es ein solches vollkommen determiniertes Gesetzesprogramm überhaupt geben kann, ist ohnehin zweifelhaft; vgl. hierzu die Unwahrscheinlichkeit einer zweifelsfreien Konkretisierung von Rechtssätzen betonend u. a. Pitschas, Rainer, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 34 ff. 66 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 65. 67 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 65; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 78; Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 35; Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 485 f., 493, 504 ff.; Hoffmann-Riem, Wolfgang, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz – Einleitende Problemskizze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 9 (38 ff.); ders., ZRP 2007, 101 (102); Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466), der sehr weitgehend sogar anmerkt, Verfahrensrichtigkeit werde zur Sachrichtigkeit; Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (153, 159); Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (166 ff.); Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (238, 240); Haug, Volker/Schadtle, Kai, NVwZ 2014, 271 (272 f.).
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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gehen sei,68 unterschätzt die Bedeutung, die der konkreten Durchführung des Planungsverfahrens im Einzelfall zukommen muss. Die Gewichtung verschiedener Belange im Einzelnen muss nämlich trotz der genannten Abwägungsdirektiven in der konkreten Abwägung und unter Einbeziehung der Betroffenen innerhalb des Verfahrens stattfinden.69 Gerade wenn divergierende Interessen Privater miteinander kollidieren – etwa die eines Vorhabenträgers und die des oder der Nachbarn – und gegen- und miteinander abgewogen werden müssen, kommt der Funktion des Verwaltungsverfahrens bei der Entscheidungsfindung und damit auch bei der Gewähr der Rechtmäßigkeit der Entscheidung eine gesteigerte Bedeutung zu.70 Die Konfliktlösung kann dann nicht allein durch das materielle Recht bewältigt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in solchen Fällen betont, dass es die Pflicht des Gesetzgebers sei, derartige Konflikte unter Privaten innerhalb des öffentlichen Rechts zu regeln und dass er diese Konfliktschlichtung vornehmlich in ein gesetzlich geregeltes Verwaltungsverfahren verlagern könne, „in dem die berührten Interessen gegeneinander und untereinander abgewogen werden können“.71 Ein bereits materiell-rechtlich strikt vorgegebener Vorrang eines Interesses gegenüber dem anderen, ohne dass eine Abwägung im Einzelfall stattfinden kann, sei hingegen nur in Ausnahmefällen verfassungsgemäß.72 Obgleich dem Verwaltungsverfahren in den geschilderten Fällen nicht gänzlich festgeschriebener Gesetzesprogramme ohne Zweifel eine gesteigerte eigene Bedeutung zukommt, so ist sie hier dennoch unmittelbar mit der Erzielung einer materiellen Entscheidung verbunden. Anders jedoch als innerhalb der regelmäßig als dienende Funktion beschriebenen Anwendung des Verwaltungsverfahrens bei exakt formulierten Gesetzesprogrammen ist die Entscheidung nach der Anwendung des materiellen Rechts nicht gleichsam „automatisch“ rechtmäßig. Vielmehr ist es Aufgabe des Verwaltungsverfahrens, bei Entscheidungsspielräumen der Verwaltung oder Abwägungsgeboten die Rechtmäßigkeit der Entscheidung, die bestmögliche Verwirklichung des materiellen Rechts73 und hierbei die Grundrechtskonformität der getroffenen Entscheidung74 sicherzustellen – hierin liegt demnach sein Eigenwert. Versteht man unter einer dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens somit keine dem materiellen Recht gegenüber untergeordnete Funktion, sondern vielmehr die auf die Erzielung einer rechtmäßigen Entscheidung gerichtete Funktion des Verwaltungsverfahrens, so kann auch bei Ermessens- oder Abwägungsentscheidungen durchaus von einer „dienenden Funktion des Verfahrens“ gesprochen werden. Der 68
So aber Pöcker, Markus, Stasis und Wandel der Rechtsdogmatik, 2007, S. 43 f. Würtenberger, Thomas, VVDStRL 58 (1999), 139 (155 ff.). 70 Zu der Rolle des Verwaltungsverfahrens in solchen „multipolaren Konstellationen“ instruktiv und vertiefend Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, insbesondere S. 9 ff., 30 ff. und 497 ff.; ders., NVwZ 2005, 489 (490). 71 BVerwGE 81, 329 (343) – Moers-Kapellen-Urteil. 72 BVerwGE 81, 329 (343). 73 Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466). 74 Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (871). 69
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Eigenwert des Verfahrens ist nicht abzugrenzen von seiner dienenden Funktion; vielmehr ist unter dem Eigenwert gerade dasjenige zu verstehen, was das Verwaltungsverfahren zu der Erlangung einer Entscheidung beitragen kann.75 Dennoch darf im Falle der Beibehaltung einer solchen Terminologie nicht übersehen werden, dass im Gegensatz zu den Fällen ihrer klassischen Anwendung dem Verfahren gerade Ergebnisrelevanz zukommt und sie damit mit einer Veränderung des traditionellen Bildes von dem funktionalen Zusammenhang zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht einhergeht. Namentlich Eberhard Schmidt-Aßmann lehnt so auch in einem solchen Fall die Bezeichnung der Funktion des Verwaltungsverfahrens als „dienend“ gänzlich ab. Eine dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens könne nur dort angenommen werden, wo ein präzise formuliertes Gesetzesprogramm des materiellen Rechts anzuwenden sei.76 Unabhängig von diesen eher in der Terminologie liegenden Unterschieden bleibt zu beachten, dass in Fällen behördlicher Abwägungsentscheidungen eine Trennung zwischen dem Abwägungsprozess als Verfahren und der Abwägungsentscheidung als dessen Ergebnis nicht möglich ist. Wo es der Ablauf des Verfahrens ist, der den Inhalt der Entscheidung wesentlich beeinflusst, muss vielmehr von einem einheitlichen Abwägungsvorgang ausgegangen werden. Hier bedingt gerade die Durchführung des Verfahrens in erheblicher Weise den Inhalt der Entscheidung – zwischen dem Verfahren als dem Entscheidungsprozess und der Verwaltungsentscheidung als Ergebnis dieses Prozesses kann in diesem Fall keine strikte Trennung vorgenommen werden.77 c) (Grund-)Rechtsschutz durch Verfahren und (Grund-)Rechtsschutz im Verfahren Mit der Bedeutung des Verwaltungsverfahrens bei der Gewähr der Richtigkeit einer Entscheidung hängt die Frage nach dem Schutz der Rechte und insbesondere der Grundrechte durch das Verwaltungsverfahren zusammen. Dem vermehrt weiten Gestaltungsspielraum der Verwaltung ist es geschuldet, dass das Bedürfnis nach einem Rechtsschutz auch oder in bestimmten Fällen vor allem durch das Verwaltungsverfahren diskutiert wird. Wo der Verwaltung ein weiter Handlungsspielraum bleibt, ist es umso wichtiger, dass sie bei dessen Ausübung die Rechte des Bürgers oder der Bürger in Betracht zieht und gegebenenfalls miteinander in Einklang bringt oder sie gegeneinander abwägt. Je weiter die Entscheidungsmöglichkeiten der Verwaltung nach den materiell-rechtlichen Vorgaben sind, insbesondere auch dort, 75 Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 1; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 11 ff; Schmidt-Preuß, Matthias, NVwZ 2005, 489 (490); Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (234); Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (287). 76 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 65. 77 Pitschas, Rainer, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 30 ff.
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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wo eine Abwägung im Einzelfall in das Verwaltungsverfahren hinein verlagert worden ist, desto beschränkter ist auch die inhaltliche Gerichtskontrolle. In solchen Fällen kann es das genau ausgestaltete Verwaltungsverfahren sein, das diese Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte durch eigene Rechtsschutzgarantien kompensiert.78 Aus Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG folgt die Verpflichtung der Verwaltung, Entscheidungen nur im Rahmen der Grundrechte und des geltenden Rechts zu treffen. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung muss aber nicht nur durch eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung bereits getroffener Verwaltungsentscheidungen sichergestellt werden, sondern es ist bereits Aufgabe des Verwaltungsverfahrens, im Vorhinein diese Gesetzmäßigkeit sicherzustellen.79 aa) Terminologische Klarstellung Unter dem Stichwort des „Rechtsschutzes durch Verwaltungsverfahren“ werden verschiedene Funktionen und Wirkweisen des Verwaltungsverfahrens diskutiert, nicht immer mit klarer terminologischer und inhaltlicher Abgrenzung zueinander. Der Terminus „Rechtsschutz durch Verfahren“ sollte der Klarheit halber lediglich für die Überlegung gebraucht werden, nach der es eine Aufgabe beziehungsweise Funktion des Verwaltungsverfahrens ist, die materiellen (Grund-)Rechte der Bürger zu schützen. Darüber hinaus wird diskutiert, inwieweit Grundrechte auch für die Ausgestaltung und Durchführung des Verwaltungsverfahrens als solches ihre Wirkung entfalten. Hier geht es dann zunächst nicht primär um den auf materielle Rechtspositionen bezweckten Grundrechtsschutz, sondern darum, aus den (materiellen) Grundrechten gewisse Rechte für das Verfahren an sich abzuleiten – also um grundrechtlich verbürgte Verfahrensrechte. Diese beiden genannten Bereiche, in denen sich Grundrechte und Verwaltungsverfahren berühren – wo es das Verfahren ist, das die materiellen Grundrechte der Einzelnen schützen oder ihnen zu ihrer Verwirklichung verhelfen soll und dort, wo dieselben in das Verfahren hineinwirken, weil bereits das Verfahren ihren Schutzbereich berührt –, können und sollen nicht gänzlich voneinander abgegrenzt werden. Vielmehr bedingen sie sich gegenseitig, und es lassen sich gewisse Fallgestaltungen sowohl dem einen als auch dem anderen Bereich zuordnen. Dennoch kann zwischen beiden Wirkungsweisen des Grund-
78 Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 43; zu der problematischen Eingrenzung des gerichtlichen Rechtsschutzes bei Ermessensentscheidungen ohne Kompensation durch Rechtsschutzgarantien innerhalb des Verwaltungsverfahrens siehe bereits Schwarze, Jürgen, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und gerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 59; Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466); damit muss, wie in Kapitel 2 aufgezeigt, auch eine gesteigerte Bedeutung der gerichtlichen Überprüfung derartiger verfahrensrechtlicher Garantien einhergehen. 79 Kopp, Ferdinand, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 62.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
rechtsbezugs des Verwaltungsverfahrens unterschieden werden – dem Grundrechtsschutz im Verfahren und dem Grundrechtsschutz durch Verfahren.80 Der Terminus des „Grundrechtsschutzes im Verfahren“ wird vorliegend dazu verwendet, zu beschreiben, inwieweit die Grundrechte zwingende Vorgaben für die gesetzliche Ausgestaltung und die Durchführung des Verwaltungsverfahrens sowie für die Rechtsfolgen bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren geben,81 so dass gegebenenfalls bereits ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht einen Eingriff in Grundrechte darstellen kann. Nach diesem Verständnis kann in Zusammenhang mit einem Grundrechtsschutz im Verfahren somit nicht von einer „Funktion“ des Verwaltungsverfahrens – ob eigenständig oder nicht – gesprochen werden. Vielmehr geht es um die Möglichkeit einer Bestimmung gewisser Rechte innerhalb des Verfahrens, die als solche grundrechtlich verbürgt und demgemäß gegebenenfalls sogar unabhängig von der am Ende stehenden Sachentscheidung zu schützen sind.82 Trotz dieser möglichen terminologischen Differenzierung zwischen Grundrechtsschutz im und durch Verfahren bleibt es das Grundverständnis der Diskussion um den Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, dass auch eine eventuelle grundrechtliche Verbürgung des Verfahrensrechts lediglich oder vor allem dem Schutz materieller Grundrechtspositionen dient. Das bedeutet also, dass – in einem Beispiel ausgedrückt – gewisse Beteiligungsrechte bereits grundrechtlich vorgeschrieben sein mögen, dies aber nicht um ihrer selbst willen, sondern weil nur durch eine ordnungsgemäße Beteiligung ein hinreichender Schutz materieller Rechtspositionen gewährt werden kann. So bleibt selbst im Falle einer noch zu diskutierenden Annahme grundrechtlich verbürgter Verfahrensrechte eine dienende im Sinne einer auf die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung gerichtete Funktion. Diese Deutung grundrechtlich verbürgter Verfahrensrechte schlägt wiederum eine Brücke zu dem Begriff des „Rechtsschutzes durch das Verwaltungsverfahren“. Dem Einzelnen müssen im behördlichen Verfahren gerade solche Verfahrensrechte eingeräumt werden, die unbedingt notwendig sind, um grundrechtlich geschützte mate-
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Diese Unterscheidung hervorhebend schon Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (188); Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 64; siehe auch Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 32. 81 Wie hier Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 64; etwas anders formuliert bei Schmidt Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 32: Grundrechtsschutz durch Verfahren stellt danach die „spezifische verfahrensrechtliche Schicht der Grundrechte neben ihrem materiellen Grundrechtsgehalt“ dar, während unter dem Schutz im Verfahren lediglich Fragen „verfahrensverursachter Grundrechtseingriffe“ verstanden werden. 82 Siehe daher zu einer genaueren Beschreibung dieser „grundrechtlichen Verbürgung von Verfahrensrechten“ Kapitel 3 B. I. 1. a) aa).
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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rielle Rechtsgüter wirksam zu verteidigen oder ausüben zu können.83 Nur diese Verfahrensrechte sind dann gegebenenfalls auch grundrechtlich verbürgt und mithin im Verfahren zu schützen. Grundrechtsschutz im Verfahren wird dann nur notwendig, wenn hierdurch Grundrechtsschutz durch Verfahren garantiert werden soll. Darüber hinaus werden, so diesem Verständnis gefolgt wird, keine eigenständigen grundrechtlich verbürgten Verfahrensrechte anerkannt, oder – anders formuliert – es sollen keine allgemeinen Verfahrensrechte aus materiellen Grundrechten folgen. bb) Vorgelagerter (Grund-)Rechtsschutz durch das Verwaltungsverfahren Unter einer (grund-)rechtsschützenden Funktion des Verwaltungsverfahrens kann also das Bedürfnis verstanden werden, den materiellen (Grund-)Rechten der Bürger gerade durch das Verfahren zu ihrer Geltung zu verhelfen. Im Speziellen gewinnt dies dort an Bedeutung, wo der Schutz dieser Rechtspositionen nicht bereits in hinreichendem Maße im einfachen materiellen Gesetzesrecht angelegt ist, also gleichsam „automatisch“ durch eine korrekte Subsumtion unter das materielle Recht erreicht werden und sodann nachträglich gerichtlich überprüft werden kann. Das gilt insbesondere dort, wo es eines Ausgleichs verschiedener Grundrechtspositionen einzelner Bürger oder Gruppen von Bürgern oder Interessen der Allgemeinheit bedarf, der materiell-rechtlich nicht abschließend vorgenommen werden kann, sondern gerade innerhalb des Verfahrens oder durch das Verfahren erreicht wird. Erneut wird diese Funktion des Verfahrens mit einem Blick auf die Planung und Zulassung großer Vorhaben besonders deutlich. Wo ein solches Verfahren, von dem die Interessen und Rechte unzähliger Beteiligter und sonstiger Betroffener berührt werden, sich über Jahre hinziehen kann, ist ein hinreichender Schutz materieller Rechte bereits im Verwaltungsverfahren selbst von besonderer Bedeutung.84 Ebenso deutlich wird die rechtsschützende Funktion eines die Bedenken und Interessen möglichst aller Betroffenen einbeziehenden Verwaltungsverfahrens in Verfahren, die mit besonderen, häufig nicht gänzlich bekannten oder einzuschätzenden Risiken verbunden sind.85 Insbesondere die Beteiligung der Öffentlichkeit innerhalb des Verwaltungsverfahrens wird als dem gerichtlichen Verfahren vorgelagerter (Grund-)Rechtsschutz der Bürger bezeichnet.86 In dem für die Diskussion über einen Grundrechtsschutz im und durch das Verfahren vielfach herangezogenen und zitierten Mühlheim-Kärlich83
So etwa von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2156). Denninger, Erhard, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX § 193 Rdnr. 5; von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2151). 85 Denninger, Erhard, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX § 193 Rdnr. 8. 86 Pitschas, Rainer, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 658; Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466); zu dem Begriff des „vorgelagerten Rechtsschutzes“ auch schon Häberle, Peter, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), 43 (87 f.). 84
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts87 betonen vor allem die Richter Helmut Simon und Hermann Heußner in ihrem Sondervotum die für einen hinreichenden Rechtsschutz bestehende Notwendigkeit eines Kommunikationsprozesses zwischen Betroffenen und Verwaltung in bestimmten Verfahren – in dem Mühlheim-KärlichBeschluss das förmliche Genehmigungsverfahren für die Errichtung, den Betrieb und die wesentliche Änderung atomarer Anlagen.88 Insbesondere in Verfahren, die einen Ausgleich verschiedener Rechtspositionen herbeiführen müssten, weil dies nicht bereits durch die materiell-rechtliche Regelung ausreichend vorgenommen werden könne, sei es Aufgabe des Verfahrens sicherzustellen, dass die mit der Norm angestrebten Zwecke erreicht werde.89 Doch auch im Mehrheitsvotum spricht das Bundesverfassungsgericht von einer durch die verfahrensrechtlichen Anforderungen einer atomrechtlichen Genehmigung bezweckten „Vorverlagerung des Rechtsschutzes“.90 Dieser werde dadurch gewährleistet, dass schon im Verwaltungsverfahren die Einwendungen betroffener Bürger durch eine eigene Beteiligung an dem Verfahren in Betracht gezogen werden könnten. Dort also, wo die Rechtsschutzfunktion innerhalb des Verwaltungsverfahrens deshalb zum Tragen kommt, weil allein ein gerichtlicher, nachträglicher Rechtsschutz der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht werden würde, wird von einer derartigen „Vorverlagerung“ des Rechtsschutzes samt einer Vorwirkung des Art. 19 Abs. 4 GG gesprochen.91 Betont wird hingegen auch die grundsätzliche Unterscheidung zwischen gerichtlichem und durch das Verwaltungsverfahren zu leistendem Rechtsschutz unter Ablehnung des Topos des „vorverlagerten“ Rechtsschutzes. Unter der rechtsschützenden Funktion des Verwaltungsverfahrens solle nicht eine Verlagerung von eigentlich durch das gerichtliche Verfahren zu leistenden Rechtsschutzmaßnahmen verstanden werden. Vielmehr sei der durch das Verwaltungsverfahren zu leistende Rechtsschutz teilweise ein anderer, das heißt also spezifisch durch das Verwaltungsverfahren zu leistender, und teilweise ein die gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten ergänzender.92 Insbesondere wegen der unterschiedlichen Kontrollperspektive des behördlichen Verfahrens, das anders als das Gerichtsverfahren keine bereits getroffene Entscheidung auf möglicherweise von ihr ausgehende Rechtsverletzungen überprüfe und somit gegebenenfalls eine kompensatorische Rolle einnehmen könne, sondern vielmehr im Vorhinein eine solche Rechtsverletzung gerade verhindern solle und sich zudem an einen erweiterten Personenkreis wende, in dem es nicht nur den Schutz eigener subjektiver Rechte unmittelbar Betroffener beachte, sondern weitere Interessen anderer einbeziehen könne, sei der Schutzauf87
BVerfGE 53, 30 – Mühlheim-Kärlich-Beschluss. BVerfGE 53, 30 (77). 89 BVerfGE 53, 30 (75). 90 BVerfGE 53, 30 (60). 91 So Pitschas, Rainer, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 658. 92 Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (160); ähnlich auch Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 51 ff. 88
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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trag des Verwaltungsverfahrens ein anderer als der der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung.93 Solange man jedoch die rechtsschützenden Funktion des Verwaltungsverfahrens vor allem auf die Fälle bezieht, die namentlich von Rainer Wahl als „spezielle Fälle der schwach strukturierten Gesetzesregelungen“ bezeichnet werden,94 wird die zu dem gerichtlichen Rechtsschutz als ergänzend anzusehende rechtsschützende Funktion des Verwaltungsverfahrens wieder deutlicher. Ein Gleichlauf oder eine Annäherung beider Verfahrensarten muss hieraus ebensowenig folgen wie ein Ersatz gerichtlicher Rechtsschutzfunktionen durch das Verwaltungsverfahren. Vielmehr bedeutet die Entwicklung hin zu weiteren Entscheidungsspielräumen der Verwaltung und damit einhergehender Verlagerung von Abwägungsvorgängen in das Verwaltungsverfahren eine Veränderung des funktionalen Zusammenhangs zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und gerichtlichem Rechtsschutz, die es zu bedenken gilt. Trotz der wichtigen rechtsschützenden Funktion, die das Verwaltungsverfahren in den geschilderten Fällen materiell-rechtlich nicht umfassend determinierter Entscheidungen einnimmt, ist nämlich hervorzuheben, dass eine übergroße Ausweitung von Entscheidungsspielräumen der Verwaltung und eine damit einhergehende Eingrenzung der gerichtlichen Überprüfbarkeit nicht allein mit einem Hinweis auf die rechtsschützende Funktion des Verwaltungsverfahrens gerechtfertigt werden kann. Art. 19 Abs. 4 GG, der gerade den gerichtlichen Rechtsschutz garantiert, würde durch eine solche Entwicklung unterlaufen.95 Dies gilt vor allem, wenn trotz der Entwicklung hin zu einer vermehrten Betonung der eigenständigen Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsverfahrens die gerichtliche Kontrolle des Verfahrens selber – zum Beispiel durch eine weitgehend einschränkende Fehlerfolgenregelung – nicht entsprechend gewährleistet ist. Auch die Betonung einer rechtswahrenden oder -schützenden Funktion des Verwaltungsverfahrens bewirkt keinen Selbstzweck des Verwaltungsverfahrens, sondern stellt dessen Funktion als Mittel zum Zweck einer rechtmäßigen, grundrechtskonformen materiellen Entscheidung in den Mittelpunkt.96 Von einem über den zur Findung einer materiellen Entscheidung hinausgehenden und somit von der Sachentscheidung unabhängigen Eigenwert des Verfahrens ist also im Rahmen des 93 So unter Ablehnung des Topos eines „vorgelagerten Rechtsschutzes“ durch das Verwaltungsverfahren Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (161); Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 118; als „durch die Qualifikation als „vorverlagerter gerichtlicher Rechtsschutz“ nicht hinreichend bezeichnet“, beschreibt Degenhart, Christoph, DVBl. 1982, 872 (876), den Rechtsschutzauftrag des Verwaltungsverfahrens. 94 Wahl, Rainer, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (161). 95 Held, Jürgen, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 43 f. 96 von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2156); Grimm, NVwZ 1985, 865 (872); Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466), bezeichnet die Öffentlichkeitsbeteiligung dann als vorgelagerten Grundrechtsschutz, wenn sie „nach der ratio legis der Sicherung materiellrechtlich begründeter Rechtspositionen zu dienen bestimmt ist“, erkennt aber im Folgenden auch einen eigenständigen Wert der Beteiligungsrechte an.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Rechtsschutzes durch Verfahren nicht auszugehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – die dienende Funktion im Sinne einer unmittelbar auf die Sachentscheidung bezogenen Funktion verstanden wird.97 Die Betonung der rechtsschützende Funktion des Verwaltungsverfahrens bezieht sich auf die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens für die materiellen Rechtspositionen der Betroffenen. Anders ist dies bei der Frage des Rechtsschutzes im Verfahren zu sehen, wenn man diesen auch unabhängig von einem Rechtsschutz durch Verfahren anerkennt – der Schutzbereich der materiellen Freiheitsrechte wird dann erweitert um eine prozedurale Komponente, um eine eigenständige Verfahrensgarantie. Hier besteht gerade keine unmittelbare Verbindung zu der Sachentscheidung. Vielmehr sind dann grundrechtlich gebotene Verfahrensrechte durchaus von der am Ende stehenden materiellen Entscheidung unabhängige Rechte. Auf die vom Ergebnis her betrachtete Rechtmäßigkeit der am Ende des Verfahrens stehenden Entscheidung kommt es dann nicht mehr zwingend an.98 So wohnt diesen grundrechtlich verbürgten Verfahrensrechten ein genuiner und von der Sachentscheidung unabhängiger Eigenwert inne. d) Kompensationsfunktion bei tatsächlichen Wissensdefiziten Vermehrt wird in neuerer Zeit eine über seine Funktion bei der Gewähr der materiellen Richtigkeit einer Entscheidung hinausgehende Aufgabe des Verwaltungsverfahrens dort angenommen, wo die richtige Anwendung des materiellen Rechts, die durch ein ordnungsgemäß durchgeführtes Verwaltungsverfahren sichergestellt werden soll, allein nicht die Richtigkeit einer Entscheidung garantieren kann – etwa weil der Verwaltung für eine Entscheidung Sachverhalts-, Regel- oder Erfahrungswissen fehlt.99 Dort kann es zum einen Aufgabe des Verwaltungsverfahrens sein, dieses Wissen zu generieren und so einen entscheidenden und eigenen Beitrag zur Richtigkeit der Entscheidung zu leisten.100 Zum anderen obliegt es, wenn eine gewisse Unsicherheit auch nach der Wissensgenerierung verbleibt, dem ordnungsgemäß durchgeführten Verfahren, eine nachvollziehbare Entscheidung der Verwaltung zu ermöglichen, also Rationalität und Erwartungssicherheit der Ent97 Ein anderes Verständnis legt Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 12 f., zu Grunde, wenn er die individualrechtsschützende Funktion des Verfahrens der im Sinne eines Nachrangs des Verfahrensrechts verstandenen dienenden Funktion gegenüberstellt; von einem solchen Nachrang soll hier aber gerade nicht ausgegangen werden, auch wenn von auf die Sachentscheidung bezogenen – instrumentalen – Funktionen des Verwaltungsverfahrens als dieser dienend gesprochen wird. 98 Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2164); siehe hierzu noch Kapitel 3 B. I. 1. a) aa) (5). 99 Junk, Judith, Die Rolle des Verwaltungsverfahrens in Deutschland und England, 2012, S. 22. 100 Röhl, Hans Christian, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 30 Rdnr. 24 ff.; Junk, Judith, Die Rolle des Verwaltungsverfahrens in Deutschland und England, 2012, S. 60; Scherzberg, Arno, VVDStRL 63 (2004), 214 (246 f.).
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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scheidung zu gewährleisten.101 Das Verfahren muss in derartigen Fällen einerseits die notwendige Flexibilität ermöglichen, das notwendige Wissen auch außerhalb der entscheidenden Verwaltung generieren zu können, andererseits aber muss auch Rechtssicherheit durch angewandte Verfahrensregelungen sichergestellt werden. Es ist in den beschriebenen Fällen nur bis zu einer gewissen Grenze denkbar, von der Möglichkeit einer objektiv richtigen Entscheidung am Ende des Verwaltungsverfahrens auszugehen.102 Die „Lücke“, die das materielle Recht hier lässt, ist also eine ähnliche und doch eine andere als diejenige, die im Falle von Beurteilungs- oder Ermessensspielräumen gelassen wird. Auch hier ist das reine Anwenden des exakt vorgegebenen Gesetzesprogramms nicht für die Erlangung einer sachrichtigen Entscheidung ausreichend. Darüber hinaus fehlt es der Verwaltung rein tatsächlich an dem Wissen, das die rechtmäßige Ausfüllung eines Beurteilungs- oder Ermessensspielraums ermöglichen würde. Dies spielt insbesondere in Verfahren mit besonderem Risiko – etwa in der Produktsicherung, im Gentechnikrecht, in Qualitätssicherungsverfahren und bei der Umweltüberwachung – eine Rolle.103 Die so dargestellte Funktion des Verwaltungsverfahrens geht über die generelle Informationsfunktion des Verwaltungsverfahrens104 aus § 24 VwVfG hinaus. Diese bezieht sich weitgehend auf die Sachverhaltsermittlung und setzt zugleich voraus, dass der Verwaltung das zur Subsumtion unter eine bestimmte Norm notwendige Erfahrungs- und Regelwissen zur Verfügung steht.105 Über die dort normierte In101 Voßkuhle, Andreas, Strukturen und Bauformen ausgewählter neuer Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (330 f.); Hill, Hermann, Verwaltungsverfahren bei unerwarteten Ereignissen und Entwicklungen, in: Hill/Sommermann/Stelkens/Ziekow (Hrsg.), 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven, 2011, S. 333 (334); Junk, Judith, Die Rolle des Verwaltungsverfahrens in Deutschland und England, 2012, S. 60. 102 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 192 f., wiederum auch dazu, dass die Existenz „absolut“ oder „einzig“ richtiger Entscheidungen ohnehin zweifelhaft ist; vgl. insoweit auch schon Kapitel 2 B. I. 1. a) aa). 103 Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 135; Röhl, Hans Christian, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 30 Rdnr. 24, 28; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 191 ff. 104 Schmidt-Preuß, Matthias, NVwZ 2005, 489 (489). 105 Röhl, Hans Christian, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 30 Rdnr. 26; mit Hinweis darauf, dass der reine Amtsermittlungsgrundsatz in den meisten Verfahren nicht länger als ausreichend zur Beschaffung der notwendigen Information angesehen werden könne, nur Schoch, Friedrich, Der Verwaltungsakt zwischen Stabilität und Flexibilität, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 199 (226 ff.); Hoffmann-Riem, Wolfgang, Ermöglichung von Flexibilität und Innovationsoffenheit im Verwaltungsrecht – Einleitende Problemskizze –, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 9 (34 ff.).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
formationsgewinnung hinaus muss das Verwaltungsverfahren daher in den genannten mit besonderen Unsicherheiten verbundenen Bereichen eine weiter gehende Funktion übernehmen. Um den Unsicherheiten zu begegnen, sind vielfach in besonderen Verwaltungsverfahren Elemente der Wissensgenerierung zum Beispiel unter Rückgriff auf Informationen durch den Antragsteller106 oder auf wissenschaftliche Sachverständige,107 die über den Amtsermittlungsgrundsatz des § 24 VwVfG hinausgehen, aufgenommen worden. Auch ist ein solches Verfahren häufig nicht mit einer abschließenden Entscheidung beendet; vielmehr schließen sich weitere Verfahren der Kontrolle und Beobachtung an.108 Auch im Rahmen der wissensgenerierenden Funktion hängt der Eigenwert, der dem Verwaltungsverfahren zugeschrieben werden kann, eng mit der zu treffenden Entscheidung zusammen. Das Verfahren soll wiederum gerade dazu dienen, der Verwaltung das Treffen einer richtigen Entscheidung zu ermöglichen – hier indem es ihr das notwendige Wissen generiert. Andererseits erlangt das Verwaltungsverfahren, gerade wenn man auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle der getroffenen Entscheidung blickt, eine von der Sachentscheidung unabhängige Bedeutung. Das inhaltliche Ergebnis der Wissensgenerierung in Form der Verwaltungsentscheidung als solcher ist durch ein Gericht nur schwer nachprüfbar. Gerade dort, wo die Verwaltung im Rahmen der Wissensgenerierung auf Expertenwissen zurückgreift und es so zu einem „Wissensvorsprung der Verwaltung“109 kommt, wird es schwieriger, das Konzept der verwaltungsgerichtlichen Letztentscheidungskompetenz und inhaltlichen Vollkontrolle von Verwaltungsentscheidungen beizubehalten. Um eine externe Kontrolle der Verwaltung jedoch weiterhin zu ermöglichen, muss diese sich vermehrt auf die Einhaltung des Verfahrens der Wissensgenerierung, das insoweit die Offenheit des materiellen Rechts ausgleicht, beziehen.110
106 So u. a. für Arzneimitteluntersuchungen § 22 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AMG oder für gentechnische Untersuchungen § 10 Abs. 2 Nr. 5 GenTG, sowie dort auch die vorzunehmende Risikobewertung nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 GenTG. 107 So u. a. für das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren § 24 AMG; für das gentechnische Freisetzungsverfahren die Zentrale Kommission für biologische Sicherheit (ZKBS) § 4 GenTG. 108 Voßkuhle, Andreas, Strukturen und Bauformen ausgewählter neuer Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (343 ff.). 109 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 194; zu diesem „Vorsprung“ auch Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 133. 110 Röhl, Hans Christian, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 30 Rdnr. 39; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 207 ff.; zu diesem Gedanken der Kompensation näher Kapitel 2 B. I. 1. a) cc) (1).
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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e) Akzeptanz- und konsensstiftende Funktion Über die unmittelbar auf die Erzielung einer materiellen Entscheidung zielende, dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens hinaus kann diesem auch eine konsensstiftende und akzeptanzerhöhende Wirkung zukommen.111 Dies gilt vor allem, aber nicht nur dort, wo, wie oben beschrieben, kein eindeutig vorgegebenes Gesetzesprogramm lediglich durch die Verwaltung anzuwenden ist, und dem Verfahren schon aus diesem Gesichtspunkt heraus eine eigenständige, gesonderte Funktion zukommt. In einem solchen Fall gewinnen insbesondere die Beteiligungsrechte des Bürgers innerhalb des Verwaltungsverfahrens entscheidend an Bedeutung. Der Bürger wird durch seine Beteiligung am Verfahren aus seiner Objektstellung herausgenommen, was der Beteiligung einen eigenen Rechtswert unabhängig von der Optimierung der zu treffenden Entscheidung zuweist.112 Ist der Bürger im Rahmen eines ordnungsgemäß durchgeführten, seine Beteiligungsrechte achtenden Verfahrens in eine Beurteilungs- oder Ermessensentscheidung einbezogen worden, so steht er der am Ende getroffenen Entscheidung – selbst wenn diese für ihn negativ ausgefallen sein sollte – anders gegenüber, als wenn er mit der Entscheidung lediglich konfrontiert wird. Der einbezogene Bürger wird eine Verwaltungsentscheidung eher als richtig oder zumindest als richtig zustande gekommen akzeptieren.113 Der Aspekt der akzeptanzfördernden Wirkung lässt sich vor allem auf die Beachtung der Beteiligungsrechte im Rahmen großer Vorhaben beziehen – man denke nur an „Stuttgart 21“,114 den Berliner Großflughafen, aber auch Windparks, Photovoltaikanlagen und andere zur Umsetzung der Energiewende notwendige Energieprojekte115 sowie an Verfahren zur Verteilung von Umweltnutzen und Umwelt111
Schmidt-Aßmann, Eberhard, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Kapitel Rdnr. 104; Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 212 f.; Pitschas, Rainer, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 230 ff.; Würtenberger, Thomas, Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, 1996, S. 31 ff., S. 64 ff.; Held, Jürgen, Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht der Rechtsanwender: Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Hill/Sommermann/Stelkens/Ziekow (Hrsg.), 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven, 2011, S. 69 (73); Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466); Burgi, Martin, JZ 2010, 105 (108). 112 Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466). 113 Würtenberger, Thomas, NJW 1991, 257 (insbes. 258 f.); Püttner, Günter/Guckelberger, Annette, JuS 2001, 218 (223); Pitschas, Rainer, NVwZ 2004, 396 (398 f.); Pünder, Hermann, JuS 2011, 289; Held, Jürgen, NVwZ 2012, 461 (463). 114 Speziell zu Konsequenzen aus dem Verfahren zu „Stuttgart 21“ nur Schmehl, Arndt, „Mitsprache 21“ als Lehre aus „Stuttgart 21“? Zu den rechtspolitischen Folgen veränderter Legitimitätsbedingungen, in: Mehde/Ramsauer/Seckelmann (Hrsg.), Festschrift für Hans Peter Bull, 2011, S. 347 ff.; Groß, Thomas, DöV 2011, 510 (512 f.); Franzius, Claudio, GewArch 2012, 225, (insbesondere 228 f.). 115 Schneider, Jens-Peter, Akzeptanz für Energieleitungen durch Planungsverfahren, in: Heckmann/Schenke/Sydow (Hrsg.), Festschrift für Thomas Würtenberger, 2013, S. 411 ff.; die Diskussion über eine akzeptanzsteigernde Wirkung des Verwaltungsverfahrens durch Beteiligung wird allerdings schon erheblich länger und hier vor allem in Bezug auf die Planung von
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
lasten.116 Hier kann die ordnungsgemäße Durchführung des Planungs- und Zulassungsverfahrens im Allgemeinen und die Beteiligung der Öffentlichkeit im Besonderen zumindest bis zu einem gewissen Grad die Akzeptanz solcher Projekte erhöhen. Gerade ein Mehr an Transparenz im Rahmen der Beteiligung der Öffentlichkeit, etwa durch Offenlegung der Entscheidungsgründe für die Realisierung und die Art der Realisierung eines bestimmten Projekts, verspricht eine solche Wirkung.117 Von dem Bereich der Rechtsschutzmöglichkeiten innerhalb des Verwaltungsverfahrens und bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren ist hierbei die Frage abzugrenzen, wie ein Verwaltungsverfahren im Einzelnen ausgestaltet sein muss, um dieser akzeptanzsichernden oder -steigernden Funktion bestmöglich gerecht zu werden.118 Wie die Reaktionen der Öffentlichkeit im Nachgang des Planungsverfahrens zu „Stuttgart 21“ in jüngster Zeit gezeigt haben, kann hier von einer durch das originäre Verfahren selber erreichten weitgehenden Akzeptanz in der Bevölkerung zunächst nicht ausgegangen werden. Höchstens die sich an das eigentliche Planungsverfahren anschließende Mediation und die nachträgliche Volksabstimmung haben wohl ein gewisses Maß an allgemeiner Akzeptanz erreichen können.119 Fragen Kernkraftwerken geführt; vgl. u. a. Blümel, Willi, Funktion und Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, in: Lukes (Hrsg.), Fünftes Deutsches Atomrechts-Symposium – Referate und Diskussionsberichte, 1976, S. 223 (236). 116 Vgl. beispielsweise Auswahlverfahren für Endlagerstandorte, Empfehlungen des AkEnd – Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte Abschlussbericht, 2002, für ein besonders auf Partizipation setzendes Auswahlverfahren. 117 Näher zu dieser Akzeptanzförderung durch Transparenz Ramsauer, Ulrich, Data Mediation: Ein Weg zu Transparenz und Akzeptanz im Verwaltungsverfahren, in: Mehde/Ramsauer/Seckelmann (Hrsg.), Festschrift für Hans Peter Bull, 2011, S. 1029 ff. 118 Die Forderungen gehen von einer reinen Information der Bürger über eine stärkere und vor allem frühere Beteiligung im Planungs- und Entscheidungsprozess bis hin zur Möglichkeit direktdemokratischer Mitwirkungshandlungen an diesem oder zu Zustimmungserfordernissen zu der am Ende getroffenen Verwaltungsentscheidung; siehe dazu u. a. Schmehl, Arndt, „Mitsprache 21“ als Lehre aus „Stuttgart 21“? Zu den rechtspolitischen Folgen veränderter Legitimitätsbedingungen, in: Mehde/Ramsauer/Seckelmann (Hrsg.), Festschrift für Hans Peter Bull, 2011, S. 347 (358 ff.): „Informieren genügt nicht“; Appel, Ivo, Frühe Bürgerbeteiligung und Vorhabenakzeptanz, in: Heckmann/Schenke/Sydow (Hrsg.), Festschrift für Thomas Würtenberger, 2013, S. 341 (346 f.); Birk, Hans-Jörg, DVBl. 2012, 1000 ff.; allgemein zu Akzeptanzproblemen insbesondere des Planfeststellungsverfahrens auch Beckmann, Martin, Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung, in: Erbguth/Kluth (Hrsg.), Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 123 (128 ff.); Groß, Thomas, DÖV 2011, 510 (512 ff.); gegen die Einführung direktdemokratischer Elemente in Bezug auf die Entscheidung über ein konkretes Projekt Ziekow, Jan, NJW-Beilage 2012, 91 (94); siehe inzwischen § 25 Abs. 3 VwVfG, der eine fakultative frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Planung von Vorhaben, die nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf Belange einer größeren Anzahl Dritter haben können, vorsieht, und hierzu näher Kapitel 3 B. I. 1. b) cc) (4). 119 So auch die Einschätzung von Schmehl, Arndt, „Mitsprache 21“ als Lehre aus „Stuttgart 21“? Zu den rechtspolitischen Folgen veränderter Legitimitätsbedingung, in: Mehde/Ramsauer/Seckelmann (Hrsg.), Festschrift für Hans Peter Bull, 2011, S. 347 (358); Schneider, JensPeter, Akzeptanz von Energieleitungen durch Planungsverfahren, in: Heckmann/Schenke/
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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nach einer möglichen verbesserten Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens, um seine akzeptanzfördernde Funktion zu optimieren, können hier nur am Rande erwähnt werden. Vielmehr sollen die bereits bestehenden Rechte innerhalb des Verwaltungsverfahrens und die Möglichkeiten des Rechtsschutzes im Falle ihrer Missachtung dargestellt werden. Die akzeptanzfördernde Wirkung eines unter Beteiligung der Betroffenen oder erweiternd unter Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführten Verwaltungsverfahrens kann durchaus als von der am Ende des Verwaltungsverfahrens stehenden Verwaltungsentscheidung gänzlich unabhängige Funktion bezeichnet werden.120 Es geht hier nicht – allein – um einen Eigenwert des Verfahrens bei der Sicherstellung der Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung, sondern darüber hinaus gerade um das Verfahren als solches. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung und die nach der Akzeptanz derselben durch einzelne Betroffene oder die Öffentlichkeit sind gerade voneinander zu trennen. Ob darüber hinaus tatsächlich davon ausgegangen werden kann, dass der Bürger eine für ihn nachteilige und gegebenenfalls sogar materiell rechtswidrige Entscheidung allein deshalb akzeptiert, weil er in den Prozess eingebunden war, bleibt unklar.121 Auch ist die Beteiligung der Betroffenen oder einer breiteren Öffentlichkeit, die zu einer Erhöhung der Akzeptanz einer Verwaltungsentscheidung führen kann, kein Maßstab für die Sachrichtigkeit einer Entscheidung als solche.122 Diese hat sich vielmehr weiterhin an materiell-rechtlichen Vorgaben zu orientieren. So kann die Beteiligung der Öffentlichkeit zwar die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen zumindest bis zu einem gewissen Maße erhöhen; jedoch ist sie kein Ersatz für die Bemühung um eine im Ergebnis rechtmäßigen Entscheidung. Ebenso ist die fehlende Akzeptanz der Öffentlichkeit nicht Sydow (Hrsg.), Festschrift für Thomas Würtenberger, 2013, S. 411: „nachdem der gesellschaftliche Konflikt durch die nachträgliche Schlichtung und eine Volksabstimmung nur sehr aufwendig wieder kanalisiert werden konnte …“; als unter dem Gesichtspunkt einer Konfliktmittlung und Mediation gescheitert bezeichnet Ulrich Ramsauer das Schlichtungsverfahren zu „Stuttgart 21“: Es sei vielmehr um Akzeptanzerhöhung durch eine Offenlegung der empirischen Entscheidungsgrundlagen also durch Transparenz gegangen; vgl. Ramsauer, Ulrich, Data Mediation: Ein Weg zu Transparenz und Akzeptanz im Verwaltungsverfahren, in: Mehde/Ramsauer/Seckelmann (Hrsg.), Festschrift für Hans Peter Bull, 2011, S. 1029 f. 120 Ebenso Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 284, der in Bezug auf die akzeptanzstiftende Wirkung des Verwaltungsverfahrens von einem Selbstzweck desselben ausgeht. 121 Zu Zweifeln an dieser weitreichenden Wirkung der Beteiligung Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (283 f.); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2013, 669 (771); speziell zum Auswahlverfahren der atomaren Endlagersuche Kloepfer, Michael, Aspekte der Umweltgerechtigkeit, in: Häberle (Hrsg.), Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 56 (2008), 1 (9): „Allerdings darf der Gedanke der Verfahrensgerechtigkeit nicht überzogen werden. Das Projekt AkEnd, in dem letztlich nur noch das Verfahren zählt, zeigt, dass das Ergebnis nur zu leicht aus dem Blick gerät.“ 122 Steinberg, Rudolf, Kritik von Verhandlungslösungen, insbesondere von mittelunterstützten Entscheidungen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, 1990, Bd. I S. 295 (298 f.); Schoch, Friedrich, Die Verwaltung 25 (1992), 20 (31 f.).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
mit der Rechtswidrigkeit eines Vorhabens und auch nicht mit dem Ausschluss des Genehmigungsanspruchs des Vorhabenträgers gleichzusetzen. f) Demokratische Legitimation durch Verwaltungsverfahren Ebenso und zum Teil mit der konsensstiftenden Funktion des Verwaltungsverfahrens verknüpft, leistet das gesetzlich ausgestaltete Verwaltungsverfahren in solchen Fällen, in denen das materielle Recht keine eindeutigen Vorgaben zu Tatbestand oder Rechtsfolge einer Entscheidung gibt und damit als entscheidende Bezugsgröße teilweise wegfällt, auch demokratische Legitimation.123 Beide Funktionen sind jedoch trotz ihrer ähnlichen Wirkungsweise nicht miteinander gleichzusetzen. Während die akzeptanz- oder konsensstiftende Funktion gerade durch die Einbeziehung Betroffener in den Entscheidungsprozess erreicht werden kann, gelingt Legitimation im demokratischen Sinne nach der herkömmlichen Vorstellung nur durch das Volk in seiner Allgemeinheit. Allein durch die Beteiligung einzelner Bürger oder Interessensgruppen an einem Verwaltungsverfahren lässt sich eine Verwaltungsentscheidung somit grundsätzlich nicht demokratisch legitimieren.124 Allerdings wird in jüngerer Zeit trotz dieses überkommenen Verständnisses der demokratischen Legitimation, die sich aus dem allgemeinen Volk ableiten muss, auch von einem „Legitimationswandel“ gesprochen. Danach soll als Konsequenz der abnehmenden Steuerungsfähigkeit des materiellen Rechts die demokratische Legitimation unmittelbar aus der Selbstbestimmung der am Entscheidungsprozess beteiligten Bürger folgen, obgleich eine Verbindung zum Volk in seiner Allgemeinheit hier gerade nicht besteht.125 Die legitimatorische Wirkung des Verwaltungsverfahrens trete in Abwesenheit direktdemokratischer Elemente aber auch hier 123
Trute, Hans-Heinrich, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 6 Rdnr. 47 f.; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Kapitel Rdnr. 83 ff.; Haug, Volker/Schadtle, Kai, NVwZ 2014, 271 (272 f.). 124 Trute, Hans-Heinrich, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 6 Rdnr. 5, 47; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Kapitel Rdnr. 81 und 106; Czajka, Dieter, Verfahrensfehler und Drittschutz im Anlagenrecht, in: Czajka/Hansmann/Rebentisch (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Feldhaus, 1999, S. 507 (517 f.); Schmitt Glaeser, Walter, VVDStRL 31 (1973), 179 (214 ff.); Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2013, 769 (770); aus der Rechtsprechung siehe BVerfGE 83, 37 (50 f.); 86, 60 (75); zu hiermit zusammenhängenden Problemen demokratischer Legitimation bei der funktionalen Selbstverwaltung siehe BVerfGE 107, 59 (91 ff.); 111, 191 (216), und dazu Trute, Hans-Heinrich, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 6 Rdnr. 20, 48, 54. 125 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 187 f.; von einer „zumindest de facto“ eintretenden Rückbindung der Verwaltungsentscheidung an den Volkswillen spricht Knauff, Matthias, DÖV 2012, 1 (2); ähnlich auch und m.w.N. Haug, Volker/Schadtle, Kai, NVwZ 2014, 271 (273).
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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vor allem dadurch ein, dass dort, wo das Gesetz keine eindeutigen rechtlichen Vorgaben zu Tatbestand oder Rechtsfolge gebe, die Verwaltungsentscheidung dennoch innerhalb eines gesetzlich ausgestalteten Verwaltungsverfahrens erreicht werde, das insbesondere die notwendige Beteiligung bestimmter durch die Verwaltungsentscheidung betroffener Bürger eindeutig regele.126 Ohne diese durch ein gesetzlich geregeltes Verwaltungsverfahren zu übernehmende Funktion könne es insbesondere in Fällen, in denen die Rechte und vor allem die Grundrechte mehrerer Betroffener gegeneinander abgewogen werden müssten, auch zu einer Verletzung des Parlamentsvorbehalts und damit zusammenhängend des Wesentlichkeitsprinzips kommen, nach dem der Gesetzgeber verpflichtet sei, „die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen“.127 Eine solche wesentliche Regelung des Gesetzgebers sei bezogen auf materielle Vorgaben insbesondere im Rahmen des Planungsrechts oder auch in der Risikoverwaltung128 nicht gegeben und auch nicht gänzlich möglich. Eine Abwägung verschiedener Interessen gerade innerhalb des einzelnen, dann gesetzlich im Wesentlichen zu regelnden Verfahrens und anhand ebenfalls derart geregelter Abwägungsdirektiven müsse möglich sein. Über eine solche Beteiligung bestimmter Bürger oder Gruppen hinaus wurden vor allem in der sich an die Demonstrationen zu Großprojekten wie „Stuttgart 21“ anschließenden Diskussion Forderungen geäußert, direktdemokratische Möglichkeiten der Legitimation bei derlei Planungsvorhaben zu schaffen.129 g) Effizienzsteigerung durch Verwaltungsverfahren Eine bedeutende Funktion des Verwaltungsverfahrens ist es auch, eine Entscheidung in möglichst effizienter Weise herbeizuführen. Insbesondere bei der Vorgabe eines zügigen und effizienten Verfahrens lässt sich das Spannungsverhältnis aufzeigen, in das ein der rechtsschützenden Funktion ebenso genügen wollendes 126 Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 13, 69; Trute, Hans-Heinrich, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 6 Rdnr. 48; Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (158); Appel, Ivo, VVDStRL 67 (2008), 226 (272). 127 Siehe nur BVerfGE 83, 130 (142) – Josefine Mutzenbacher. 128 Dass dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt gerade im Rahmen der Risikoverwaltung dann nicht mehr durch eine Einzeleingriffsermächtigung genügt wird, „sondern durch ein abgestimmtes Normsystem, bestehend aus Abwägungsdirektiven, Organisations- und Verfahrensvorschriften“, betont Di Fabio, Udo, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 465. 129 Schmehl, Arndt, „Mitsprache 21“ als Lehre aus „Stuttgart 21“? Zu den rechtspolitischen Folgen veränderter Legitimitätsbedingungen, in: Mehde/Ramsauer/Seckelmann (Hrsg.), Festschrift für Hans Peter Bull, 2011, S. 347 (351 ff.).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Verwaltungsverfahren zuweilen gerät. Zunächst sollen Vorschriften, die das Verwaltungsverfahren regeln, der Verwaltung eine wirtschaftliche, effiziente und effektive Entscheidungsfindung ermöglichen.130 Die Vereinfachung und Beschleunigung deutscher Verwaltungsverfahren wurden insbesondere im Hinblick auf den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ als wesentliche Ziele der Beschleunigungsgesetzgebung der 1990er-Jahre angeführt.131 Die möglichst zügige Durchführung insbesondere von Planungs- und Genehmigungsverfahren wird gerade im europäischen Vergleich als Wettbewerbsvorteil angesehen. In § 10 Satz 2 VwVfG ist die Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens nunmehr gar als allgemeiner Verfahrensgrundsatz normiert. Andererseits soll das Verwaltungsverfahren so ausgestaltet sein, dass es zu einer die Rechte des Einzelnen wahrenden Entscheidung der Verwaltung führt. Das Interesse der Verwaltung, die ihr zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen, und die Interessen der Einzelnen an einem ausreichenden Schutz der subjektiven Rechtspositionen sind bei der Ausgestaltung einzelner Verfahrensvorschriften miteinander in Einklang zu bringen.132 Aber nicht nur die Rechte, welche durch die am Ende des Verfahrens stehende Entscheidung betroffen sind, gilt es zu beachten; auch innerhalb des Verwaltungsverfahrens stehen dem Einzelnen bestimmte Rechte zu, die teilweise der Verwirklichung materieller Rechtspositionen dienen und teilweise von der am Ende stehenden Entscheidung unabhängig zu gewähren sind. So steht auf der einen Seite die rechtswahrende Funktion des Verwaltungsverfahrens, die eine materiell rechtmäßige Entscheidung garantieren soll und innerhalb derer die Verfahrensrechte mit den Beteiligungsrechten im Mittelpunkt beachtet werden müssen. Auf der anderen Seite steht das Erfordernis einer funktionsfähigen, nicht durch unwägbar komplizierte Verfahrensvorgaben gelähmten Verwaltung. Ein überlanges und vor allem mit weitreichenden Beteiligungsrechten verschiedener Betroffener ausgestattetes Verfahren – insbesondere wenn es um die Planung und Zulassung großer Vorhaben geht – wird daher teilweise auch als Effizienz- und damit als Investitionshindernis angesehen. Jedoch kann die Gewähr von Verfahrens- und vor allem von Beteiligungsrechten nicht allein als Verzögerung eines effizienten Verfahrens angesehen werden. Ein zügiges Verfahren ist zwar sowohl für den Bürger als auch für die Verwaltung selbst vorteilhaft. Das kann allerdings nur insoweit gelten, als sich diese Vorgabe nicht zu Lasten der Qualität der Entscheidung im materiellen Sinne oder des Schutzes der grundrechtlich verbürgten Verfahrensrechte auswirkt. Es kann nicht allein der Verweis auf eine Steigerung der Effizienz die Rechtmäßigkeit einer Vorschrift oder einer Verfahrenshandlung bewirken, wo es zu einem Verstoß gegen andere Verfahrensgrundsätze oder gar eines möglicherweise grundrechtlich garantierten Ver130 von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150, der die Verwaltungseffizienz als „Primärfunktion des Verwaltungsverfahrens“ bezeichnet; Pünder, Hermann, JuS 2011, 289. 131 Püttner, Günter/Guckelberger, Annette, JuS 2001, 218. 132 Schwarz, Kyrill-Alexander, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, Einleitung zum VwVfG Rdnr. 115 f.; Pitschas, Rainer, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 45; Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465.
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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fahrensrechts gekommen ist. Vielmehr ist in einem solchen Fall, in dem Effizienz der Verwaltung und Rechtsschutz des Bürgers in Konflikt geraten, ein Ausgleich zwischen beiden zu treffen.133 Diese Gegenüberstellung soll nicht bedeuten, dass die rechtsschützende Funktion des Verwaltungsverfahrens zwangsläufig in einen Konflikt mit der Forderung nach der Effizienz der Verwaltung gerät. Vielmehr ist es häufig gerade ein effizient ausgestaltetes und durchgeführtes Verfahren, das zu einer rechtzeitigen Verwaltungsentscheidung führt, und so die Rechte des Bürgers bestmöglich schützen kann.134 Überdies kann auch ein unverhältnismäßig langes Verwaltungsverfahren selbst – etwa ein Genehmigungsverfahren – Grundrechte des Einzelnen, wie beispielsweise Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 14 Abs. 1 GG, verletzen. Zudem ist eine gesteigerte Beteiligung Betroffener oder gar einer erweiterten Öffentlichkeit während des Entscheidungsprozesses nicht mit der materiellen Rechtmäßigkeit der Entscheidung gleichzusetzen. Gleichzeitig kann ein großes Planverfahren, das Bürger frühzeitig beteiligt, transparent ausgestaltet und so auf einen bestmöglichen Rechtsschutz der Bürger schon im Verwaltungsverfahren ausgerichtet ist, im Ergebnis effektiver und effizienter sein, insbesondere wenn dadurch langwierige, sich an ein kürzeres und ohne Bürgerbeteiligung durchgeführtes Verwaltungsverfahren anschließende gerichtliche Verfahren zur Überprüfung der getroffenen Verwaltungsentscheidung vermieden werden können.135 Auch in Bezug auf die Kosten des Verwaltungsverfahrens lässt sich eine solche Abwägung anstellen. So kann ein höherer, dem Rechtsschutzauftrag umfassend nachkommender, Verfahrensaufwand geringere Fehlerquoten bei Verwaltungsentscheidungen nach sich ziehen und die Gefahr einer kostenträchtigen Wiederholung ganzer Verwaltungsverfahren oder sich anschließender Gerichtsverfahren verringern.136 Verwaltungseffizienz wird damit zu einer allgemeinen Forderung nach einer bestmöglichen Verwirklichung aller Verwaltungsziele,137 ohne selbst mit einem oder mehrerer dieser Ziele in einen Konflikt zu geraten. Angesprochen ist mit dem Ziel der Effi133 134
(197). 135
Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (469 ff.). Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (469); Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193
von Mutius, Albert, Gerichtsverfahren und Verwaltungsverfahren, in: Erichsen/Hoppe/ von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 575 (589); ders., NJW 1982, 2150 (2151); ähnlich Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (164), auch in Bezug auf eine Akzeptanzerhöhung durch die Beteiligung am Verwaltungsverfahren; skeptisch dagegen Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2013, 769 (771). 136 Pünder, Hermann, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13 Rdnr. 15; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 283; Schmidt-Aßmann, Eberhard, NVwZ 2007, 40 (44). 137 von Mutius, Albert, Gerichtsverfahren und Verwaltungsverfahren, in: Erichsen/Hoppe/ von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 575 (588); ders., NJW 1982, 2150 (2152); ähnlich auch Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (467); Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2169); Degenhart, Christoph, DVBl. 1982, 872; Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2013, 769 (770), nennt die „Herbeiführung einer recht- und zweckmäßigen Entscheidung in angemessener Zeit“ als Hauptzweck des Verwaltungsverfahrens und verbindet damit Effizienzsteigerung und rechtswahrende- und verwirklichende Funktion des Verwaltungsverfahrens.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
zienzsteigerung nicht allein die zügige Durchführung eines Verfahrens, sondern vielmehr gerade die Umsetzung eines rechtswahrenden Verwaltungsverfahrens. Produkt des Versuchs der Verwirklichung von Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag des Verwaltungsverfahrens sind insbesondere Vorschriften, welche die Sanktionsfähigkeit von Verstößen gegen Verfahrensrecht normieren – etwa Heilungs- und Unbeachtlichkeits-, aber auch Präklusionsvorschriften. Auch die Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle von durch die Verwaltung begangenen Fehlern ist letztlich eine Überlegung der Verwaltungseffizienz.138 Wo innerhalb eines Verwaltungsverfahrens dem Einzelnen bestimmte Rechte zuerkannt werden, muss die Verfahrensordnung zugleich regeln, wie mit einer Verletzung solcher Rechte insbesondere bei nicht gleichzeitig erfolgter Verletzung von materiellen Rechtspositionen auch in Bezug auf eine effiziente Verwaltung umzugehen ist.139 Ob hier gerade im Hinblick auf §§ 45 und 46 VwVfG oder § 44a VwGO und der damit zusammenhängenden Frage nach der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Recht ein rechtmäßiger Ausgleich zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsverfahrens gefunden worden ist, bleibt zu untersuchen.140 4. Zwischenfazit zu dienender Funktion und Eigenwert des Verwaltungsverfahrens in Deutschland Zusammenfassend ist festzustellen, dass trotz der grundsätzlichen deutschen Systementscheidung für ein materiell-rechtlich weitgehend vorgegebenes Verwaltungshandeln und der damit zusammenhängenden Unterordnung des Verwaltungsverfahrens von einer rein dienenden Funktion desselben ohne Eigenwert nicht – länger – ausgegangen wird. Die Begriffe des „dienenden Verfahrens“ und des „Eigenwerts des Verfahrens“ helfen hierbei nur bedingt weiter. So kann, wie gesehen, die Funktion des Verwaltungsverfahrens ohne Weiteres auch dort als in Bezug auf das Finden einer materiellen Entscheidung dienend bezeichnet werden, wo dem Verwaltungsverfahren ohne Frage ein bisweilen sogar bedeutender Eigenwert zukommt. Die Funktionen der Wissensgenerierung oder des Rechtsschutzes durch Verfahren etwa dienen zwar unmittelbar der Findung einer materiell rechtmäßigen Entscheidung, dennoch kann dem Verwaltungsverfahren ein Eigenwert hier wohl nicht abgesprochen werden. Es empfiehlt sich daher – gerade im Blick auf die sich anschließende Frage nach der Bedeutung eines Fehlers während des Verwaltungsverfahrens – nicht, die die138 Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (470); Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (172 f.). 139 Siehe zu dem Zusammenhang zwischen weitreichenden Verfahrensgarantien und umfassender Fehlerfolgenregelung auch im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (289 ff.). 140 Siehe hierzu Kapitel 3 B. II. 1. c) cc) und Kapitel 3 B. II. 1. d).
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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nende Funktion und die Funktionen mit Eigenwert voneinander abzugrenzen. Vielmehr sind auf die eine Seite einer solchen Abgrenzung Verfahrenshandlungen und -vorschriften zu stellen, die unmittelbar auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung als solche hinwirken sollen. Hier kann von einem instrumentalen Eigenwert gesprochen werden. Auf der anderen Seite stehen dann diejenigen Verfahrenshandlungen und -vorschriften, die bereits aus sich heraus und ohne Rücksicht auf das materielle Endergebnis Bedeutung entfalten – unabhängig oder selbstständig neben der Sachentscheidung, also nicht-instrumental.141 So wird klargestellt, dass auch die auf eine materiell rechtmäßige Sachentscheidung hinwirkende und insoweit durchaus dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens einen eigenen Stellenwert hat. Dieser Eigenwert des Verfahrens oder genauer der einzelnen Verfahrenshandlungen und Verfahrensrechte bleibt auch bei der Bewertung verfahrensfehlerhaft zustande gekommener Entscheidungen zu beachten. Jedoch sind hiervon noch einmal diejenigen Rechte innerhalb des Verfahrens abzugrenzen, die dem Einzelnen nicht in Bezug auf die am Ende des Verfahrens stehende Entscheidung zukommen, sondern unabhängig von dieser. Deutlich wird dies auch an einer Gegenüberstellung der Termini „Rechtsschutz durch Verfahren“ und „Rechtsschutz im Verfahren“. Während die Formulierung eines „Rechtsschutzes durch Verfahren“ bereits begrifflich an den Schutz materieller Rechtspositionen geknüpft ist – das Verwaltungsverfahren einem solchen also „dient“ –, werden durch den Ruf nach „Rechtsschutz im Verfahren“ eigene, dem Verfahren innewohnende Rechte auch ohne Rücksicht auf die Sachentscheidung und der durch sie berührten materiellen Rechtspositionen gefordert.
II. Der Ausgangspunkt der Verfahrensgerechtigkeit in England Die Verfahrensgerechtigkeit – procedural justice oder fairness – spielt in England eine zentrale Rolle bei der Bewertung von Entscheidungen des Staats. Ausdruck findet dies zumeist in dem Ausspruch „justice must not only be done but must be seen to be done“. Einem materiell rechtmäßigen Ergebnis allein ohne die faire Behandlung des Betroffenen während des Entscheidungsprozesses wird kein großer Wert zugeschrieben. 1. Die Rolle der Verfahrensgarantien im englischen Rechtssystem Weniger das nicht rechtsverletzende Ergebnis wird sowohl im englischen Rechtssystem als auch allgemein im anglo-amerikanischen Rechtskreis als ent141 Diese Unterscheidung treffen auch Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 11 ff. und S. 284, und Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 ff.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
scheidend für die Gerechtigkeit einer Entscheidung angesehen, als dass diese Entscheidung innerhalb eines fairen Verfahrens erzielt wurde. Was im amerikanischen Rechtssystem unter der due process-Garantie verstanden wird, wird in England unter dem Prinzip der natural justice zusammengefasst.142 Schon diese Begrifflichkeit macht die gesteigerte Bedeutung der gerechten Behandlung Einzelner, die mit dem Staat in Berührung treten, durch ein faires Verfahren deutlich. Entscheidend für die besondere Bedeutung, die den Verfahrensgarantien im englischen Rechtssystem auch innerhalb des Verwaltungsverfahrens zugeschrieben werden, ist zunächst der Umstand, dass weite Bereiche behördlichen Handelns nicht materiell-rechtlich durch formelle Gesetze vorgegeben sind. Wo das deutsche Recht von einer weitgehend konditionalen Normenstruktur ausgeht, überlässt das englische Recht der entscheidenden Verwaltung weite Spielräume. Wie gesehen, bleibt der Inhalt von Verwaltungsentscheidungen traditionell weitgehend frei von gerichtlicher Kontrolle. Umso entscheidender wird dann die Einhaltung eines gerechten Verfahrens. a) Bedeutung des Ermessens im englischen Verwaltungsrecht – die discretion Anders als in Deutschland wird im englischen Rechtssystem nicht von einer grundsätzlich strikten gesetzlichen und umfassend gerichtlich überprüfbaren Bindung der Verwaltung ausgegangen. Vielmehr kommt ihr grundsätzlich ein Ermessen zu, dessen Ausübung nur eingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüft werden soll.143 Dieser Befund gilt zumindest, solange man auf die Zeit seit Entwicklung des Sozialstaats und der damit einhergehenden wachsenden Bedeutung der Verwaltung blickt. Noch der bereits erwähnte Albert Venn Dicey war davon ausgegangen, dass weite unkontrollierbare Entscheidungsspielräume als Sonderrechte der Verwaltung gegen die Rule of Law verstießen.144 Dies nahm er an, obgleich zu 142 Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. 241; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 347 f. Rdnr. 11.1.3; auch in England wird der Begriff des due process zuweilen verwendet, dann zumeist, um allgemein die Regeln auszudrücken, denen der Ablauf eines Verfahrens unterliegt. 143 Hierzu nur Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 640; Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 205; Jowell, Jeffrey, PL 1973, 178 (179, 201); Irvine, Lord of Lairg, PL 1996, 59 (60 f.); Ip, Eric, Oxford Journal of Legal Studies 34 (2014), 481 (482 ff.). 144 Dicey, Albert Venn, Introduction to the Law of the Constitution, S. 202; für eine Darstellung der Entwicklung des Umgangs mit Verwaltungsermessen siehe Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 22, die Diceys „red light theory“ einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle der „green light theory“ gegenüberstellen, die im Zuge der wachsenden Bedeutung der Verwaltung innerhalb des Sozialstaats und regulierenden Staats auch ein Zuwachs an administrativen Entscheidungsbefugnissen annahm; dass auch bereits zu Diceys Lebzeiten nicht von einer vollkommen kontrollierten Verwaltung ausgegangen werden konnte, stellen Harden, Ian/Lewis, Norman, The Noble Lie – the British Constitution and the Rule of Law, 1986, S. 44 f., dar.
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dieser Zeit die Regelungsdichte formeller Parlamentsgesetze, die das Handeln der örtlichen Verwaltung vorgeben könnten, als noch geringer angesehen werden muss.145 Mit Ausweitung des staatlichen Einflusses in weite zuvor als privat angesehene Bereiche insbesondere seit der Entwicklung des Sozialstaats, entstand zum einen zwar ein eigenständiges auf diese neuen staatlichen Kompetenzen ausgerichtetes Verwaltungsrecht sowie das Kontrollregime des Tribunalsystems und des judicial review. Zum anderen verbreitete sich jedoch die Ansicht, dass eine Verwaltung, der immer weitere Aufgaben übertragen würden, auch einen weiteren Spielraum zuerkannt bekommen müsse, um diesen Aufgaben gerecht zu werden.146 aa) Verwaltungsermessen – administrative discretion Was genau unter dem Terminus der discretion zu verstehen ist, wird im angloamerikanischen Rechtskreis eingehend diskutiert. Insbesondere Ronald Dworkins Arbeiten zu dem Thema beziehen sich jedoch hauptsächlich auf die Entscheidungsfreiheit der Gerichte und deren Bemühungen, eindeutige Antworten auf offene Rechtsfragen zu finden.147 Wo hingegen die Existenz eines Entscheidungsspielraums der Verwaltung – einer administrative discretion – aufgezeigt werden soll, wird zumeist auf den Umgang der Gerichte mit einer Verwaltungsentscheidung geblickt.148 Entscheidet das Gericht, dass eine bestimmte Entscheidungsmacht nicht ihm selbst, sondern der Exekutive zusteht, wird von einer Ermessensentscheidung der Verwaltung ausgegangen. Durchaus vergleichbar mit der Annahme der normativen Ermächtigungslehre in Deutschland, ist es also das Gericht, das zunächst anhand des Wortlauts der ermächtigenden Norm bestimmt, ob es die Verwaltung sein soll, die eine bestimmte Entscheidung abschließend zu treffen hat. Der Gebrauch von Worten, die es der Verwaltung offen lassen zu handeln – vor allem des Worts may an Stelle von shall – oder ihr eine gewisse subjektive Einschätzung abverlangen, lassen auf die Verleihung einer Entscheidungsfreiheit der Verwaltung schließen.149 Faktoren wie die größere Sachkenntnis der Verwaltung, das ihr zur Verfügung stehende Entscheidungsverfahren oder ihre politische Letztverantwortlichkeit für eine bestimmte Entscheidung werden besonders bei der Beurteilung herangezogen, ob es Sache des Gerichts oder 145 Loughlin, Martin, Großbritannien, in: Bogdandy/Cassese/Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, 2010, Bd. III, § 44 Rdnr. 10 ff. und 21. 146 Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 37 ff.; Wade, William/ Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 286; Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 1 f., S. 72 ff.; Brinktrine, Ralf, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 170 ff.; Loughlin, Martin, JLS 16 (1989), 21 (25). 147 Vor allem Dworkin, Ronald, Taking Rights Seriously, 1977, S. 81 ff. 148 Vgl. Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 8 f.; King, Jeff, MLR 70 (2007), 197 (202). 149 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 194 ff.; King, Jeff, MLR 70 (2007), 197 (202).
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der Verwaltung selbst ist, unklare Begriffe der ermächtigenden Norm abschließend auszulegen.150 Der Entscheidung unter Ermessen wird eine durch im Vorhinein festgelegte Regeln – rules – vorgegebene Entscheidung, die eine Pflicht – duty – der Verwaltung zu einer bestimmten Handlung nach sich zieht, gegenübergestellt.151 Im Gegensatz zu der deutschen Herangehensweise im Rahmen der normativen Ermächtigungslehre wird jedoch gerade von dem Grundsatz oder der Vermutung152 ausgegangen, dass das Parlament zunächst der Verwaltung die Entscheidungsmacht zuweisen wollte und die Gerichte grundsätzlich diese Zuweisung zu akzeptieren haben.153 Stets wird darauf verwiesen, dass es im Bereich des judicial review proceedings nicht an dem Gericht liegen solle, seine Entscheidung an die Stelle derjenigen der Verwaltung zu setzen, etwa weil es mit dieser inhaltlich nicht übereinstimme.154 Die inhaltliche Entscheidungsmacht soll gerade der Exekutive ohne gerichtliche Einmischung zustehen. Insbesondere wird das Verwaltungsverfahren nicht als starrer Mechanismus zur Anwendung von klar vorgegebenen Regeln verstanden, sondern als ein Prozess, in dem die Verwaltung unter verschiedenen Einflüssen zu einem Ergebnis gelangt.155 Nicht ganz eindeutig ist die Rechtslage bei der Frage, inwieweit offene Tatbestandsmerkmale die Annahme einer nicht gänzlich kontrollierbaren discretion der Verwaltung zur Folge haben. So hat es Fälle gegeben, in denen die Gerichte ausdrücklich eine Unterscheidung zwischen der Verwaltung überlassenen Entscheidungsspielräumen auf der einen und Interpretationsspielräumen, die durch gerichtliche Urteile ausgefüllt werden können, auf der anderen Seite getroffen haben.156 Auch in der Literatur gibt es Stimmen, die von der discretion als Entscheidungsmacht 150
Endicott, Timothy, Administrative Law, S. 223 und S. 226. Endicott, Timothy, Administrative Law, S. 223; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 227 Rdnr. 5 – 007. 152 Vgl. u. a. R v Home Secretary, ex parte Hindley (1998) QB 751 (777). 153 Taggart, Michael, NZLR 2008, 423 (457); zu der Auswirkung dieser grundsätzlichen Zuweisung auf den gerichtlichen Kontrollmaßstab genauer Kapitel 2 A. II. und Kapitel 2 B. II. 1. c) bb) (2); zu einem anderen Ergebnis gelangt Brinktrine, Ralf, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 460, der aus der Befugnis der Gerichte, über die Reichweite des behördlichen Entscheidungsspielraumes zu urteilen, ableitet, dass auch in England die Letztentscheidungskompetenz grundsätzlich den Gerichten zugeteilt sei; ähnlich Danwitz, Thomas, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 34; dazu auch bereits Kapitel 2 C. I. 154 Deutlich dahingehend beispielsweise R v Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte First City Trading (1997) 1 C.M.L.R. 250 (278), hier sogar in einem Fall mit unionsrechtlichem Bezug; R v Cambridge Health Authority, ex parte B (1995) 2 All E.R. 129; R v Chief Constable of Sussex, ex parte International Traders’ Ferry Ltd. (1999) 1 All E.R. 129. 155 Galligan, Denis, Procedural Fairness, in: Birks (Hrsg.), The Frontiers of Liability, 1994, S. 113 (122). 156 So beispielsweise Dixon CJ im High Court of Australia in R v Cornelius (1936) 55 CLR 235 (246) und McDermott v R (1948) 76 CLR 501 (511 f.); Lord Diplock in Hunter v Chief Constable of West Midlands (1982) AC 529 (536); deutlich auch Swinton Thomas L.J. in R v Gloucestershire County Council, ex parte Barry (1996) 4 All E.R. 421 (438); Lightman J. in Fisher v English Nature (2003) 4 All E.R. 366 Rdnr. 18 ff. 151
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der Exekutive, eine rechtliche Frage des Urteils – judgment – bei auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffen unterscheiden und Letztere durchaus der vollen gerichtlichen Überprüfung zugänglich machen wollen.157 Der Gebrauch eines auslegungsbedürftigen Tatbestandsmerkmals sei nicht unbedingt eine tatsächliche Übertragung von Entscheidungsmacht auf die Exekutive. Vielmehr müsse es in diesem Fall das Gericht sein, das nach rechtlichen Maßstäben entscheide, ob die letztverbindliche Auslegung besser durch die anwendende Verwaltung oder durch das Gericht selbst vorgenommen werden könne.158 Andererseits wird discretion aber auch allgemein definiert als die Macht, eine Entscheidung zu treffen, deren Richtigkeit nicht objektiv feststellbar ist,159 ohne dass eine Unterscheidung danach getroffen wird, ob der so angenommene Spielraum der Verwaltung sich auf die Interpretation bereits vorhandener oder das Setzen eigener Maßstäbe bezieht.160 Auch in zahlreichen Gerichtsentscheidungen wird gerade keine Unterscheidung zwischen beiden Formen des Entscheidungsspielraums getroffen, oder sie werden zumindest im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle gleich behandelt.161 Häufig wird die offene Formulierung einer bestimmten Voraussetzung auf Tatbestandsseite vielmehr gerade als Beispiel für das Vorliegen eines Verwaltungsermessens genannt.162 Auch ist es insbesondere die Ermittlung der Fakten eines Sachverhalts und deren Subsumtion unter eine bestimmte Vorgabe, die als grundsätzlich in der Verantwortung der Verwaltung liegend angesehen werden.163 Unter discretion wird jedoch nach keiner der bestehenden Definitionen und unabhängig davon, ob sich der Terminus auch auf auslegungsbedürftige Tatbestandsmerkmale bezieht, die vollkommene Freiheit der Verwaltung verstanden. Zum einen verlangt schon das Verfassungsprinzip der parliamentary sovereignty, dass die vom Parlament vorgesehenen gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten sind, so 157 Bennion, Francis, PL 2000, 368; Bennion, Francis, PL 2005, 707; Jeff, King, MLR 70 (2007), 197 (204 ff.). 158 Jeff, King, MLR 70 (2007), 197 (205). 159 Grey, Julian, Osgoode Hall Law Journal 17 (1979), 107. 160 Vgl. beispielsweise die allgemeine Definition von discretion bei Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 21 f. 161 Keine Unterscheidung zwischen discretion und judgment nehmen u.a Lord Keith in Devon County Council v George (1988) AC 573 (604) und Lord Hope in R v Director of Public Prosecutions, ex parte Kebilene (1999) 4 All E.R. 801 (844), der von einer „discretionary area of judgment“ spricht, vor; in Drury v Secretary of State for the Environment, Food and Rural Affairs (2004) 2 All E.R.1056 Rdnr. 44 spricht Ward L.J. zwar von jurisdiction, bemerkt aber „I prefer to say ,judgment‘, rather than ,discretion‘, but the process is the same and the distinction pedantic“. 162 Siehe u. a. die Beispiele für discretion bei Endicott, Timothy, Administrative Law, S. 235 ff.; Craig, Paul, Administrative Law, S. 471 Rdnr. 16 – 001 und S. 527 Rdnr. 18 – 001; Craig, Paul, CLP 66 (2013), 131 (133); auch bei King, Jeff, MLR 70 (2007), 197 (202, 204 f.). 163 Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 33; hierzu auch Herdegen, Matthias, Landesbericht Großbritannien, in: Frowein (Hrsg.), Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, S. 42 f.
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sich diese einem Gesetz explizit oder implizit entnehmen lassen.164 Darüber hinaus sind es allgemeine Grundsätze des Common Law, welche die Entscheidungsmacht der Verwaltung auch bei sehr weitem Ermessen im Einzelfall einschränken.165 Auch in einem Rechtssystem, das von einer weiten Entscheidungsmacht der Verwaltung ausgeht, sind es stets gesetzliche Regeln, welche die Grenzen des rechtmäßigen Verwaltungshandelns, wenn auch nur in sehr allgemeiner Form, vorgeben.166 Die Frage, die im englischen Verwaltungsrecht bei Untersuchung von Normen, die das Verwaltungshandeln regeln, gestellt wird, ist zumeist nicht, ob der Verwaltung überhaupt ein Entscheidungsspielraum eingeräumt worden ist, sondern wie weit dieser gehen soll oder, anders formuliert, welche Grenzen dem Entscheidungsspielraum gegeben wurden.167 Sicherzustellen, dass die Verwaltung die Grenzen des Entscheidungsspielraums eingehalten hat, wird zur bedeutendsten Aufgabe des Gerichts im Rahmen des judicial review.168 bb) Grundsätzlich eingeschränkte Steuerungsdichte formeller Gesetze Entscheidungsspielräume können durch ein Gesetz eingeräumt werden, entweder explizit oder durch die Verwendung eines Wortlauts, der auf einen Entscheidungsspielraum der Exekutive schließen lässt. Weite Entscheidungsspielräume werden auch dort angenommen, wo kein Gesetz der Verwaltung eine bestimmte Befugnis zuweist, sondern die Entscheidungsmacht sich gerade aus der allgemeinen Aufgabe der Behörde ergibt.169 Insbesondere in Bereichen, in denen es lange Zeit vollkommen an formell gesetzlichen Regelungen gefehlt hat, ist von einem grundsätzlich sehr 164 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 247 Rdnr. 5 – 007 f.; Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 699; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 296; zu den gerichtlich überprüfbaren Grenzen der Ermessensausübung siehe Kapitel 2 B. II. 1. c) bb) (3) (a). 165 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 248 f. Rdnr. 5 – 010. 166 Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 58 ff.; allgemein und grundlegend zu der Funktion von rules innerhalb eines Rechtssystems auch Hart, Herbert Lionel Adolphus, The Concept of Law, insbesondere S. 124 ff. 167 Vgl. nur Jowell, Jeffrey, PL 1973, 178 (179), wo es heißt „Discretion is rarely absolute, and rarely absent. It is a matter of degree, and ranges along a continuum between high and low.“; Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 205: „Rules normally embody discretion because they can seldom be formulated with sufficient precision to eliminate it“; Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 14: „discretion is a matter of degree“; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 302; Beatson, Jack/Mathews, Martin/ Elliot, Mark, Administrative Law, S. 110 Rdnr. 4.1. 168 Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 640, wo das judicial review proceeding als „the control of discretion and the regulation of the decision making process by the courts“ beschrieben wird; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 286 f. 169 Zum Ganzen unter Nennung von Beispielen Endicott, Timothy, Administrative Law, S. 235 ff.
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weiten Entscheidungsspielraum auszugehen. Es sind dann allgemeine Grundsätze des Common Law, welche die Entscheidungsbefugnisse der Verwaltung beschränken, und zumeist liegt es an den Gerichten, im Einzelfall zu prüfen, ob diese Grundsätze eingehalten wurden. Selbst im Polizeirecht hat es bis zur Verabschiedung des Police and Criminal Evidence Act 1984 (PACE) kein allgemeines Gesetz zur Regelung der Aufgaben und Befugnisse der Polizei gegeben. Allein Gerichtsentscheidungen in Einzelfällen170 oder allgemeine Common Law-Prinzipien, die sich insbesondere auf die Fairness des Verfahrens beziehen, und vereinzelte sehr spezifische Gesetze171 regulierten die Entscheidungsmacht der Polizei und die Rechte des Einzelnen gegenüber derselben.172 Herkömmlicherweise ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung einer Behörde und der Übertragung von Aufgaben und Funktionen auf diese in England deren genaue Befugnisse und Grenzen der Entscheidungsmacht regelt. So ist die materielle Steuerungsdichte des formellen Gesetzesrechts gegenüber der deutschen Herangehensweise stark eingeschränkt.173 Das formelle, durch das Parlament geschaffene Gesetzesrecht gibt allgemeine Prinzipien und Grundsätze vor und legt die Ziele fest, welche die mit bestimmten Entscheidungen betraute Verwaltung erreichen soll.174 Das Verfahren, innerhalb dessen die Verwaltung eine Entscheidung trifft, wird schon seinem Grunde nach nicht als mechanische Anwendung strikter gesetzlicher Regeln verstanden. Vielmehr wird von der Einbeziehung sowohl gesetzlich vorgegebener Grundsätze als auch allgemeiner Prinzipien sowie der im Einzelfall unter Beteiligung des Betroffenen erzielten Erkenntnisse in den offenen Entscheidungsprozess ausgegangen.175 Genaue Regeln zum Umgang mit der Entscheidungsmacht werden vom formellen Gesetzesrecht im Gegensatz zu der deutschen Herangehensweise nicht erwartet. Vielmehr ist es zumeist die Behörde selbst, die sich innerhalb ihrer Entscheidungsmacht Richtlinien setzt. Die Verwendung von sogenanntem soft law oder policies, also Normen, die nicht im formellen Gesetzgebungsprozess geschaffen wurden, spielt eine viel größere Rolle bei der Steuerung von Entscheidungen der
170 Etwa Christie v Leachinsky (1947) AC 573, zu dem Recht, über die Gründe einer Verhaftung unterreichtet zu werden. 171 Vgl. etwa den Criminal Law Act 1967 zur Verhaftung in schwerwiegenden Fällen. 172 Zum Ganzen Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 193. 173 Spoerr, Wolfgang, VerwArch 82 (1991), 25 (49). 174 Beatson, Jack/Mathews, Martin/Elliot, Mark, Administrative Law, S. 113 Rdnr. 4.2; Ridley, Frederick, Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts – Länderbericht Großbritannien: England ist anders? in: Hill/Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 205 (209); Spoerr, Wolfgang, VerwArch 82 (1991), 25 (49 f.). 175 Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedures: A Study of Administrative Procedures, 1996, S. 66, der dieses Verfahrensverständnis als einzig realistisches Modell der komplexen und durch Unsicherheiten geprägten Entscheidungsfindung der Verwaltung beschreibt.
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Verwaltung als das formelle Gesetz.176 Regelmäßig ist es also nicht der formelle Gesetzgeber, sondern gerade die Behörde selbst, die ihren eigenen Entscheidungsrahmen mit derartigen Vorgaben einschränkt. Es ist zumeist auch in diesem Zusammenhang, in dem die Weite eines Entscheidungsspielraums oder die Vor- und Nachteile von regel- und ermessensbasierten Entscheidungen diskutiert werden. Nicht das formelle die Behörde ermächtigende Gesetz wird untersucht, sondern vielmehr die Art und Weise, in der die Behörde selbst mit ihrem Entscheidungsspielraum umgeht – ob sie dieses stets für den Einzelfall ausübt oder eigene Grenzen ihres Ermessens durch anzuwendende Regeln aufstellt.177 In Einzelfällen kann es vorkommen, dass die Gerichte derartige durch die Verwaltung selbst gesetzte Richtlinien und Regeln als rechtlich bindend und damit als mit dem formellen Gesetzesrecht vergleichbar behandeln.178 Ansonsten bleibt zwar das Handeln unter einer Richtlinie einer bestimmten Behörde grundsätzlich Ermessenshandeln; die Freiheit zu abweichenden Entscheidungen kann jedoch insbesondere durch das Konzept des schützenswerten Vertrauens179 und der Konstanz staatlichen Handelns180 beschränkt sein. b) Bedeutung der Verfahrensrechte im System der administrative discretion Geht ein Rechtssystem schon grundsätzlich von einer eingeschränkten materiellen Steuerungskraft des formellen Gesetzesrechts aus und überträgt vielmehr der Verwaltung selbst die grundlegende Befugnis, ihr Handeln zu gestalten, gewinnt die faire Behandlung des Einzelnen im Rahmen dieser Ausgestaltung eine besondere Bedeutung. Es ist dann nicht an erster Stelle die Entscheidung des Gesetzgebers innerhalb des materiellen Rechts, die gegebenenfalls Interessenskonflikte löst, sondern erst die Entscheidung der Verwaltung innerhalb des Verwaltungsverfahrens. aa) Instrumentale Funktion von Verfahrensrechten Wenn davon gesprochen wird, dass im englischen Rechtssystem verfahrensrechtlichen Garantien allgemein eine weitaus größere Bedeutung zugeschrieben wird, als dies bislang oder traditionell im deutschen Recht der Fall ist, soll damit nicht 176
Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 192 ff.; Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 28; Loughlin, Martin, JLS 16 (1989), 21 (25). 177 Vgl. die Darstellung bei Hilson, Chris, PL 2002, 111 (113 ff.); zu dem Einfluss derartiger interner Regeln auf die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen Kapitel 2 B. II. 1. c) bb) (3) (a) (aa). 178 Baldwin, Robert, Rules and Government, 1995, S. 86 ff.; Schønberg, Søren, Legitimate Expectations in Administrative Law, 2000, S. 133 f. 179 Dazu Kapitel 3 A. II. 2. b). 180 R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Gangadeen (1998) 1 FLR 762; Steyn, Karen, JR 1997, 22; Elliott, Mark, JR 2005, 281 (286).
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ausgedrückt werden, dass nicht auch in England dem Verwaltungsverfahrensrecht und seinen prozeduralen Garantien durchaus eine der materiellen Richtigkeit einer Entscheidung „dienende“ Funktion zugeschrieben wird.181 Insbesondere in Bezug auf Entscheidungsverfahren, deren Ergebnis durch das materielle Recht bereits weitgehend vorgegeben ist, wird die Rolle des Verfahrens betont, die Richtigkeit des Ergebnisses sicherzustellen und dem materiellen Recht so zur Geltung zu verhelfen, dass die damit zu erreichenden Ziele auch bestmöglich erreicht werden.182 Unabhängige Fragen der procedural justice oder fairness spielen hier nur eine geringe Rolle.183 Allerdings ist ein solches materiell-rechtlich vorgegebenes und allein verfahrensrechtlich anzuwendendes Gesetzesprogramm, wie gesehen, weiterhin die Ausnahme im englischen Rechtssystem. Gerade die beschriebenen weiten Entscheidungsspielräume der Verwaltung machen die Rolle, die eine innerhalb der Ermessensausübung spielende faire Behandlung des Einzelnen für die Bewertung der allgemeinen Gerechtigkeit einer Entscheidung einnimmt, deutlich. Auch im Bereich der Ermessensausübung wird dem fairen Verfahren hierbei durchaus eine instrumentale Funktion zugeschrieben. Die verfahrensrechtlichen Garantien der natural justice sollen schließlich sicherstellen, dass eine im Ergebnis nicht willkürliche oder ungerechte Entscheidung getroffen wird.184 Besonders betont wird der instrumentale Wert von Verfahrensrechten und allgemein der Wert fairer Verfahrensgestaltungen von Denis Galligan. Um ihrer Bedeutung für die Gerechtigkeit des Ergebnisses einer Entscheidung und nicht primär um ihrer selbst willen seien eine faire Behandlung des Einzelnen und insbesondere eine Einbeziehung desselben in den Entscheidungsprozess in einem Rechtsstaat notwendig. Das rechtmäßige oder gerechte Ergebnis an sich werde damit auch zu einem Bestandteil der fairen Behandlung – derjenige, gegenüber dem das Recht richtig angewendet wurde, wurde auch gerecht behandelt.185 Allein wird diese Funktion gerade im Bereich der Ermessensausübung nicht als dem materiellen Recht untergeordnet verstanden, sondern der eigenständige Wert der verfahrensrechtlichen Garantien für die Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit des Entscheidungsergebnisses wird betont. Das Ergebnis wird daher grundsätzlich in umgekehrter Betrachtungsweise vor allem
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Galligan, Denis, Procedural Fairness, in: Birks (Hrsg.), The Frontiers of Liability, 1994, S. 113 (115). 182 Craig, Paul, EuZöR, 1993, special number, S. 55 (56). 183 Galligan, Denis, Procedural Fairness, in: Birks (Hrsg.), The Frontiers of Liability, 1994, S. 113 (116); Varuhas, Jason, CLJ 2015, 215. (216) unter Verweis auf die Argumentation Lord Reeds und Lord Wilsons in R (on the application of Moseley) v Haringey LBC (2014) UKSC 56. 184 Etwa Official Solicitor v K. (1965) AC 201, wo von einer strikten Anwendung verfahrensrechtlicher Regeln abgewichen wurde, um zu einer im Ergebnis gerechten Entscheidung zu kommen. 185 Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedures: A study of Administrative Procedures, 1996, S. 54 f.; ders., Procedural Fairness, in: Birks (Hrsg.), The Frontiers of Liability, 1994, S. 113 (118 f.).
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dann gerecht sein, wenn es innerhalb eines gerechten Verfahrens erzielt wurde.186 Gerade das Vertrauen auf ein faires Verfahren unter Einbeziehung der eigenen Interessen bringe auch das Vertrauen in eine im Ergebnis richtige Entscheidung mit sich.187 Damit geht die Erkenntnis einher, dass gerade das angewendete Verfahren und die hierdurch in die Entscheidungsfindung einbezogenen Interessen den Inhalt einer Entscheidung maßgeblich prägen.188 Verfahrensrechte werden selbst zu einer bedeutenden Grenze der Ermessensausübung.189 Darüber hinaus wird es gerade wegen der überragenden Bedeutung der Einbeziehung des Einzelnen sogar als ein Gebot der Fairness oder der Gerechtigkeit angesehen, dass gewisse Entscheidungen nicht anhand strikter Gesetzesprogramme, sondern unter Einbeziehung des Betroffenen in das Verwaltungsverfahren unter Ermessensausübung für den Einzelfall getroffen werden.190 Auch versteht Galligan, wenn er den instrumentalen Eigenwert von Verfahrensrechten betont, diesen nicht als an ein bestimmtes materielles und durch das Verfahren zu verteidigendes Recht geknüpft. Vielmehr könne es durchaus auch geboten sein, einen Einzelnen in ein Verfahren einzubeziehen, das dessen Interessen in einer Weise berühre, die nicht mit der Verteidigung eines materiellen Rechts desselben gleichgesetzt werden könne.191 Besonders bedeutend wird diese Überlegung auch im Hinblick auf die sich anschließende Frage der Verfahrensfehlerfolgen. Wenn zwar die Verfahrensgerechtigkeit ein Instrument zur Erreichung materieller Gerechtigkeit sei, es aber gerade der Beachtung der Verfahrensgerechtigkeit bedürfe, um ein materiell rechtmäßiges Ergebnis zu erzielen, könne der Verstoß gegen grundlegende Verfahrensrechte niemals mit Verweis auf ein ohnehin getroffenes, rechtmäßiges Ergebnis für unbeachtlich erklärt werden.192
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Cane, Peter, Administrative Law, S. 70; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 373 f.; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 348 Rdnr. 11.1.4. 187 Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedures: A Study of Administrative Procedures, 1996, S. 72 f. 188 Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 122 ff.; ders., Due Process and Fair Procedures: A Study of Administrative Procedures, 1996, S. 66; ders., Procedural Fairness, in: Birks (Hrsg.), The Frontiers of Liability, 1994, S. 113 (122); Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/ Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 342 f. Rdnr. 6 – 007 ff. 189 Galligan, Denis, Discretionary Powers, 1986, S. 196 f. 190 Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedures: A Study of Administrative Procedures, 1996, S. 429. 191 Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedures: A Study of Administrative Procedures, 1996, S. 107 f. 192 Galligan, Denis, Procedural Fairness, in: Birks (Hrsg.), The Frontiers of Liability, 1994, S. 113 (131); zur Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im englischen Recht noch Kapitel 3 B. II. 2. b) bb).
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bb) Nicht-instrumentale Funktion von Verfahrensrechten Hierüber hinaus oder vielmehr an erster Stelle wird allerdings der nicht-instrumentale Eigenwert von Verfahrensgarantien in der Diskussion deutlich hervorgehoben. Es wird gerade als Besonderheit der Behandlung von Verfahrensrechten im Common Law im Gegensatz zum Civil Law angesehen, dass Verfahrensrechten nicht allein oder zuvorderst eine Funktion bei der materiellen Entscheidungsfindung zukommen soll, sondern dass diese Rechte auch um ihrer selbst willen zu schützen sind.193 Gerade die Herangehensweise des Common Law, das zu einer Entscheidung führende Verfahren und nicht den Inhalt der Entscheidung selbst durch die Gerichte kontrollieren zu lassen, wird als Bestätigung dafür herangezogen, dass eine zwingende Verbindung zwischen dem zu schützenden Verfahrensrecht und einer materiellen Rechtsposition, die erst durch die am Ende des Verfahrens stehende Entscheidung berührt würde, nicht bestehe.194 Insbesondere wird es als bedeutender Bestandteil der Menschenwürde angesehen, bei Berührungen mit dem Staat bestimmte Verfahrensgarantien zugesprochen zu bekommen. Gerade weil der Verwaltung die Befugnis aufgetragen worden sei, über Interessen des Einzelnen zu entscheiden, habe sie ihn als Individuum fair und gerecht zu behandeln.195 Verfahrensrechte werden überdies als wichtiger Bestandteil des Gleichheitssatzes angesehen. Verfahrensrechte, die einem jeden betroffenen Bürger zugesprochen werden, sollen garantieren, dass gleiche Fälle auch gleich behandelt werden.196 Die Entscheidung erscheint durch eine ausgewogene Behandlung aller möglichen Gesichtspunkte nicht allein als weniger willkürlich und wird als solche akzeptiert; sie ist auch tatsächlich weniger willkürlich.197 Gemeint ist hier also nicht allein, dass das Verfahren im Rahmen seines instrumentalen Eigenwerts die materielle Gerechtigkeit einer Entscheidung bedingt, sondern als eine gerechte Entscheidung kann nur eine solche angesehen werden, die mittels eines gerechten Verfahrens erlangt wurde. Die faire Gestaltung eines Verfahrens erreicht damit zwei gleichläufige Ziele – die Erfüllung der materiell-rechtlichen Aufgaben, aber ebenso das moralische Ziel der fairen Behandlung der betroffenen Person selbst.198 193 So u. a. Millett, Lord Peter, PL 2002, 309 (312); vgl. auch Lord Reed in R (on the application of Moseley) v Haringey LBC (2014) UKSC 56; allgemein in Bezug auf den angloamerikanischen Rechtskreis MacDonald, Roderick, McGill Law Journal 25 (1980), 520 (537 f.). 194 Dyzenhaus, David, CLJ 2015, 284 (285). 195 Beatson, Jack/Mathews, Martin/Elliot, Mark, Administrative Law, S. 344 Rdnr. 11.1; Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 620; Allan, Trevor., Constitutional Justice: A liberal Theory of the Rule of Law, 2003, S. 78 f.; Allan, Trevor, OLJS 1998, 497 (500); allgemein für den anglo-amerikanischen Rechtskreis grundlegend auch Mashaw, Jerry, Due Process in the Administrative State, 1985, insbesondere S. 158 ff. 196 Hart, Herbert Lionel Adolphus, The Concept of Law, S. 159 ff. 197 Schwartz, Bernard/Wade, William, Legal Control of Government, 1972, S. 241. 198 Dies betont auch Galligan, Denis, Procedural Fairness, in: Birks (Hrsg.), The Frontiers of Liability, 1994, S. 113 (117,120), indem er von „secondary principles of fair treatment“ spricht.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Gleichzeitig führt diese Verbindung des Verfahrens mit dem Begriff der Gerechtigkeit zu der teilweise vertretenen Ansicht, gewisse Verfahrensgrundsätze des Common Law müssen nur dann eingehalten werden, wenn die Rechte Einzelner durch das Verfahren berührt werden. Procedural fairness als allgemeine Grundlage von bestimmten Verfahrensvorgaben kann diesem Verständnis nach nur für deren Herleitung herangezogen werden, wenn das Verfahren einen Einfluss auf die Rechtspositionen von einzelnen Betroffenen haben kann.199 So grenzt beispielsweise Lord Reed in dem Fall R (on the application of Moseley) v Haringey LBC (2014)200 die Verfahrensrechte des Common Law, welche die Verwirklichung von Fairness und Gerechtigkeit sicherstellen sollen, von Verfahrensrechten ab, die sich direkt aus formellem Gesetzesrecht ableiten lassen und auch andere Funktionen als den Schutz der Rechte Einzelner erfüllen können. Hier erlangen die Verfahrensrechte des Common Law somit zwar einen eigenen, nicht-instrumentalen Wert: die Sicherstellung einer gerechten Behandlung des Einzelnen. Dies aber nur dann, wenn es auch um die Rechtsposition eines Einzelnen geht, die durch die Verfahrensgestaltung berührt werden könnte. Gerade die Beteiligung der Betroffenen an Entscheidungsprozessen gilt zudem als ein Garant für die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, was ihr einen nicht-instrumentalen und von der eigentlichen Entscheidung unabhängigen Eigenwert verleiht.201 Besonders betont wird dies von Trevor Allan, der anmerkt, dass selbst eine im Ergebnis „richtige“, aber in einem unfairen Verfahren – etwa durch einen voreingenommenen Entscheidungsträger – gefällte Entscheidung den Einzelnen in seiner Würde verletze und von diesem nur schwer zu akzeptieren sein werde.202 Im Gegensatz dazu könne ein faires, die Interessen des Einzelnen einbeziehendes Verfahren von diesem gar dann akzeptiert werden, wenn das Ergebnis trotz der verfahrensrechtlichen Absicherung nicht mit dem materiellen Recht übereinstimme.203 Dies gelte vor allem deshalb, weil es nach dem englischen Rechtsverständnis und innerhalb des englischen Systems, das auf Ermessensausübung der Verwaltung ausgerichtet sei, selten möglich sei, eindeutig festzustellen, ob die „richtige“ Entscheidung getroffen worden sei.204
199 So das Verständnis von Lord Reed in R (on the application of Moseley) v Haringey LBC (2014) UKSC 56. 200 [2014] UKSC 56. 201 Allan, Trevor, Constitutional Justice: A liberal Theory of the Rule of Law, 2003, S. 79; ders., OLJS 1998, 497 (499); Cane, Peter, Administrative Law, S. 70. 202 Allan, Trevor, OLJS 1998, 497 (505), mit Verweis auf Fuller, Lon, The Morality of Law, 1968, S. 222. 203 Allan, Trevor, OLJS 1998, 497 (510). 204 So auch Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedures: A Study of Administrative Procedures, 1996, S. 42 f.
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
171
cc) Existenz eines Kompensationsgedankens im englischen Rechtssystem Wie bereits erwähnt, ist davon auszugehen, dass eine besonders schwache materielle Regelungsdichte durch das Verfahrensrecht und sodann auch die eingeschränkte gerichtliche Kontrollierbarkeit des Entscheidungsergebnisses durch die Einklagbarkeit verfahrensrechtlicher Garantien kompensiert werden können. Es stellt sich somit die Frage, ob auch im englischen Recht, das von sehr weiten Entscheidungsspielräumen der Verwaltung ausgeht, die Bedeutung verfahrensrechtlicher Garantien und deren gerichtlicher Durchsetzbarkeit gerade deshalb betont wird, weil hierdurch die oftmals fehlende inhaltliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen kompensiert werden kann. Eine Ausformung dieses Gedankens kann zunächst in der Annahme gesehen werden, dass es entgegen der Vorgehensweise bei materiell-rechtlichen Regelungen und Fragen des Entscheidungsinhalts als wesentliche Aufgabe des Gerichts angesehen wird, die Fairness des angewendeten Verfahrens zu beurteilen. Der Verwaltung steht es gerade nicht offen, von den grundsätzlichen Geboten eines fairen Verfahrens abzuweichen. Von einem weiten Ermessen der Verwaltung, wie dies in Bezug auf den Inhalt einer Entscheidung angenommen wird, wird insoweit nicht ausgegangen.205 Der Wert des Verfahrens und der einzelnen Verfahrensrechte wird gerade dort als besonders bedeutend angesehen, wo der Einzelne mangels feststehender materiellrechtlicher Regelungen nicht auf ein bestimmtes Entscheidungsergebnis vertrauen kann.206 Andererseits hat ein möglicher Kompensationsgedanke jedoch nicht dazu geführt, dass das Verfahrensrecht, anders als das materielle Recht, zwingend eine konkretere Ausgestaltung erfahren hat.207 Vielmehr werden auch hier die Einzelheiten der Verfahrensgestaltung oftmals der entscheidenden Verwaltung überlassen. Eine allgemeine Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts gibt es bislang nicht, aber auch bereits einzelgesetzlich geregelte Verfahren, etwa im Planungsrecht, sehen oftmals nicht in den Einzelheiten zwingende Verfahrensvorgaben vor. Ob die sodann durch die entscheidende Verwaltung angewendete Verfahrensgestaltung jedoch im Sinne der natural justice rechtmäßig ist, kann das Verwaltungsgericht im Rahmen einer umfassenden Kontrolle des Entscheidungsprozesses feststellen. Der Kompensationsgedanke erfasst im englischen Recht folglich allein den Bereich der gerichtlichen Kontrolle des Verfahrens, nicht aber den Bereich der konkreten gesetzlichen Festlegung des Verwaltungsverfahrens,208 wie dies nach deutschem Ver-
205 Lloyd L.J. in R v Panel on Take-overs and Mergers, ex parte Guinness PLC (1990) 1 QB 146 (183 f.). 206 Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedures: A Study of Administrative Procedures, 1996, S. 94. 207 Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedures: A Study of Administrative Procedures, 1996, S. 181 f. 208 Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 102 f.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
ständnis insbesondere der Parlaments- oder Gesetzesvorbehalt im Bereich verminderter materieller Kontrolldichte verlangen kann.209 c) Natural justice im Verwaltungsverfahren Das Verfassungsprinzip der Verfahrensgerechtigkeit – der natural justice – wurde als altes Common Law-Prinzip ursprünglich als Garantie für ein gerechtes Gerichtsverfahren entwickelt, sodann aber zunächst auf etliche Formen staatlicher Entscheidungsfindung, ob durch Gerichte oder die Verwaltung, angewendet.210 Es haben sich damit die für das Verwaltungsverfahren geltenden Verfahrensgarantien vornehmlich aus fundamentalen Prozessgarantien entwickelt. Eine klare Unterscheidung zwischen dem gerichtlichen Verfahren und administrativen Entscheidungsverfahren wird in England nicht immer vorgenommen. Vor allem die insoweit zweigeteilte Rolle der Tribunale als Verwaltungsbehörden einerseits, aber auch als Einrichtungen mit gerichtsähnlicher Funktion lässt eine klare Aufteilung in Gerichtsoder Verwaltungsverfahren oftmals nicht zu. Verbreitet werden die innerhalb des Verwaltungsverfahrens zu garantierenden Verfahrensrechte an diejenigen des gerichtlichen Verfahrens angelehnt. In beiden Verfahren wird insoweit auf das Prinzip der natural justice verwiesen.211 Wo das Verwaltungsverfahren, ähnlich wie das gerichtliche Verfahren, als ein Ort angesehen wird, an dem der Einzelne einem hoheitlichen Entscheidungsträger gegenübertritt, so sind auch ähnliche verfahrensrechtliche Garantien zu seinem Schutz zu bemühen. Allerdings kann eine solche Vorstellung dort an ihre Grenzen stoßen, wo es nicht Ziel des Verwaltungsverfahrens ist, dass die Verwaltung eine bestimmte, einem Urteil gleichende Entscheidung fällt, sondern vielmehr ein komplexer, verschiedenartige Interessen abwägender Entscheidungsprozess abgebildet wird, wie das etwa in der Planung der Fall ist.212 Teilweise wurde im Laufe der Zeit auf das Prinzip der natural justice und insbesondere auf die Anhörungspflicht im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nur dann zurückgegriffen, wenn der administrative Entscheidungsträger eine richtende – judicial oder quasi-judicial – Funktion erfüllte. Wenn also eine übergeordnete Stelle in einem Verfahren, das einem Gerichtsprozess glich, über eine Frage zu entscheiden 209 So beispielsweise im Bereich der Risikoverwaltung Di Fabio, Udo, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 465; allgemein Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/SchmidtAßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (7). 210 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 345 ff. Rdnr. 6 – 011 ff.; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 347 f. Rdnr. 11.1.3 und S. 353 f. Rdnr. 11.4.1 f.; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 405 ff. 211 Craig, Paul, EuZöR, 1993, special number, S. 55 (64); vgl. auch die historische Herleitung dieser Herangehensweise bei MacDonald, Roderick, McGill Law Journal 25 (1980), 520 (530 f.); inhaltlich zu diesem Verfassungsprinzip Kapitel 3 B. I. 2. b). 212 Craig, Paul, EuZöR, 1993, special number, S. 55 (65); Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/ Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 358 ff. Rdnr. 6 – 038 f.
A. Die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens
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hatte – im weiteren Sinne urteilte –, so sollten auch die gleichen verfahrensrechtlichen Garantien wie in einem förmlichen Gerichtsprozess gelten.213 Rein exekutiv handelnde Entscheidungsverfahren, die nicht der Erfüllung einer richtenden Funktion dienten, wurden so von dem Geltungsbereich der natural justice ausgenommen.214 Das House of Lords hat in dem Fall Ridge v Baldwin (1964)215 schließlich die Unterscheidung zwischen administrativen und judikativen Verfahren in Bezug auf die innerhalb dieser Verfahren zu beachtenden Rechte der Betroffenen aufgehoben. Auch in Folge dieser Entscheidung ergangene Urteile lassen darauf schließen, dass die zwischenzeitliche Aufteilung in gerichtliche, gerichtsähnliche und rein administrative Verfahren aufgegeben wurde und das Prinzip der natural justice wieder für alle Formen staatlicher Entscheidungsverfahren zu gelten hat.216 Obgleich es mittlerweile auch für administrative Verfahren herangezogen wird, wird teilweise auch heute noch vom Prinzip der natural justice allein in Bezug auf gerichtliche oder gerichtsähnliche Verfahren gesprochen, während der Begriff der duty to act fairly auf Verwaltungsverfahren angewendet wird.217 Auch wird der Terminus der duty to act fairly teilweise als ein Bestandteil der natural justice gebraucht, der insbesondere dann zum Tragen kommt, wenn es „nur“ um administrative Entscheidungsverfahren geht, die dann nicht zwingend auch gerichtsähnlich sein müssen,218 oder aber das Prinzip der natural justice wird als Ausprägung eines fairen Verfahrens verstanden.219 Allgemein haben die sich nunmehr unter der duty to act fairly zusammengefassten Verfahrensrechte aus dem Prinzip der natural justice entwickelt, und die heute getroffene Unterscheidung ist weitestgehend terminologischer Natur.220 213
U. a. R v Kent Police Authority, ex parte Godden (1971) 2 QB 662; Glynn v Keele University (1971) 1 WLR 487. 214 So bereits R v Leman Street Police Station Inspector, ex parte Venicoff (1920) 3 K.B. 72; vgl. auch Local Government Board v Arlidge (1915) AC 120. 215 [1964] AC 40 (72 ff., 114, 130). 216 Deutlich vor allem Lord Denning in R v Gaming Board, ex parte Benaim und Khaida (1970) 2 QB 417 (430); O’Reilly v Mackman (1983) AC 23 Rdnr. 279; Jackson, Paul, Natural Justice, 1979, S. 101 ff.; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 363 f. Rdnr. 6 – 045 ff.; Supperstone, Michael/Goudie, James/ Walker, Paul, Judicial Review, S. 360 Rdnr. 11.10.5. 217 Bates v Lord Hailsham (1972) 1 WLR 1373 (1378); so auch Grey, Julian, Osgoode Hall Law Journal 17 (1979), 107 (111). 218 Re HK (An Infant) (1967) QB 617 (630). 219 Wiseman v Borneman (1971) AC 297 (308 f.); McInnes v Onslow-Fane (1978) 1 WLR 1520 (1530); O’Reilly v Mackman (1983) 2 AC 237 (276). 220 Vgl. die Ausführung von Megarry V.C. in McInnes v Onslow-Fane (1978) 1 WLR 1520 (1530); hiernach ist der Terminus der natural justice ein flexibles Prinzip, das sowohl auf Entscheidungsverfahren mit gerichtlichem als auch mit gerichtsähnlichem oder administrativem Charakter angewendet werden könne; je weiter von einem gerichtlichen Verfahren sich das Entscheidungsverfahren jedoch entferne, desto angebrachter sei es, von fairness zu sprechen; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review,
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
2. Die Reichweite der Hinwendung zu einer materiellen Rechtmäßigkeitsvorstellung Wo grundsätzlich noch von einem stets gegebenen, nicht inhaltlich zu kontrollierenden Ermessensspielraum der Verwaltung ausgegangen und gerade aus diesem Grund die Einhaltung eines fairen Verfahrens betont wurde, lassen sich mittlerweile einige Beispiele anführen, die auf eine stückweise Hinwendung zu einer stärker am Ergebnis orientierten Rechtmäßigkeitsvorstellung schließen lassen. Neben der bereits in Kapitel 2 B. II. 1. e) bb) angeführten Ausweitung der gerichtlichen Ergebniskontrolle durch den Klagegrund der Verhältnismäßigkeit spielt in dem Zusammenhang zunächst die Diskussion um eine umfassende Verrechtlichung – juridification – der englischen Verwaltung eine bedeutende Rolle. Darüber hinaus wird die Möglichkeit einer weitgehenden inhaltlichen Bindung der Verwaltung durch das Setzen einer schützenswerten Erwartung – legitimate expectation – diskutiert. a) Einschränkung des Verwaltungsermessens durch vermehrte Kodifikation und Verrechtlichung? Entgegen der englischen Rechtstradition, die vordergründig auf durch die Rechtsprechung entwickelte Rechtssätze aufgebaut ist, werden mittlerweile weite Teile des Rechts in einzelnen Gesetzestexten kodifiziert. Gerade im Bereich des Verwaltungsrechts, das sich erst langsam und aus zunächst dem Privatrecht zugeordneten Rechtsprinzipien entwickelt hat, spielt die nunmehr erfolgende gesetzliche Regulierung eine große Rolle. Zudem wird besonders dort, wo das Unionsrecht eine Umsetzung seiner Vorgaben verlangt, vermehrt eine Kodifikation notwendig. In dem Bestreben, ein höheres Maß an Verlässlichkeit und Beständigkeit in gewissen Bereichen der Verwaltung zu erreichen, insbesondere dort, wo es um die Verteilung staatlicher Mittel geht, werden auch in England formell gesetzliche Regeln eingesetzt, welche die Verwaltung ohne eigenen Entscheidungsspielraum lediglich anzuwenden hat oder die gar automatisch durch IT-Verfahren angewendet werden.221 Die Tendenz einer stärkeren rechtlichen Regulierung kann hierbei nicht allein an europäischen Umsetzungsvorgaben oder Impulsen festgemacht werden. Schon in den 1980er-Jahren wurde die Verrechtlichung der Befugnisse der Verwaltung insbesondere auf lokaler Ebene unter dem Terminus der juridification untersucht.222 Hierunter wird zum einen allgemein die Tendenz moderner Staaten verstanden, das
S. 382 f. Rdnr. 7 – 003; Craig, Paul, Administrative Law, S. 341 Rdnr. 12 – 009; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 361 f. Rdnr. 11.11.2. 221 Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 195 ff.; allgemein zu der Auswirkung einer Technisierung von Gesetzesanwendung auf Entscheidungsspielräume der Verwaltung Bovens, Mark/Zouridis, Stavros, PAR 62 (2002), 174. 222 Loughlin, Martin, Law, JLS 16 (1989), 21 (27 ff.); Cooper, Davina, JLS 22 (1995), 506 (508 ff.); Bevir, Mark, Parliamentary Affairs 61 (2008), 559 (565 f.).
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gesellschaftliche Leben durch Gesetze regulieren zu wollen.223 Der vermehrte Rückgriff auf formell gesetzliche Regeln im Sinne einer juridification wird aber auch unter dem Aspekt diskutiert, inwiefern die Entscheidungsfreiheit der Verwaltung hierdurch eingeschränkt224 und die Bedeutung der gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen erweitert wird.225 Unionsrechtlicher Kritik sah sich das englische System mit seinem sehr weiten Verwaltungsermessen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte etwa in den Fällen Silver and Others v United Kingdom226 und Malone v United Kingdom227 ausgesetzt. Hier wurde entschieden, dass ein Gesetz, das ein durch die Europäische Menschenrechtskonvention verliehenes Recht einschränke oder die Voraussetzungen für eine Einschränkung durch die Verwaltung schaffe, zwar in Form einer Ermessensnorm ausgestaltet sein könne, die Grenzen des Ermessens dann aber hinreichend deutlich abgesteckt sein müssten. Der Gesetzgeber reagierte auf das Urteil im zweitgenannten Fall, das sich mit der gesetzlichen Ermächtigung zur Telefonüberwachung befasst, mit dem Erlass des Interception of Communications Act 1985, dessen Regelungen heute in Part I des Regulation of Investigatory Powers Act 2000 enthalten sind. Hier wurden nun zwar die behördlichen Befugnisse gesetzlich näher geregelt; dennoch ist das Ermessen der Verwaltung, ob und inwieweit zu überwachen ist, nach deutschem Verständnis weiterhin durchaus weit formuliert.228 So kann der zuständige Minister eine Überwachung nach Section 5 (3) Regulation of Investigatory Powers Act 2000 immer dann anordnen, wenn er dies für das Wohl des Staats für notwendig hält. Eine durch europäische Impulse angeregte Kodifizierung und die damit einhergehende bedingte Eingrenzung von Verwaltungsermessen lassen sich beispielsweise auch an dem Competition Act 1998 beschreiben. Hierdurch wurden die vormals weitgehend im freien Ermessen der zuständigen Kontrollbehörde, des Office of Fair Trading, liegenden Befugnisse zur Kontrolle und Sanktion von wettbewerbsrechtlichen Verstößen durch eindeutige gesetzlich Regeln ersetzt, auch um das englische Kontrollregime denjenigen der Europäischen Union anzupassen.229 Dass die Entwicklung hin zu einer vermehrten Kodifikation zu einer Ausweitung verwaltungsgerichtlicher Überprüfungsmaßstäbe führen kann, wird beispielhaft an der Kontrolle von Entscheidungen der englischen 223
Grundlegend hierzu vor allem Habermas, Jürgen, Law as Medium and Law as Institution, in: Teubner (Hrsg.), Dilemmas of Law in the Welfare State, 1986, S. 203. 224 Loughlin, Martin, JLS 16 (1989), 21 (33 ff.); Bovens, Mark/Zouridis, Stavros, PAR 62 (2002), 174 (177); Adler, Michael, JLS 33 (2006), 615 (634), hier speziell in Bezug auf die Verrechtlichung und Technisierung des englischen Sozialsystems. 225 Bevir, Mark, Parliamentary Affairs 61 (2008), 559 (568 f.). 226 EGMR, Urteil vom 25. 3. 1983, Silver and Others v United Kingdom, Application-No 5947/72, 6205/73, 7052/75, 7061/75, 7107/75, 7113/75, 7136/75, Rdnr. 88 f. 227 EGMR, Urteil vom 2. 8. 1984, Malone v United Kingdom, Application-No 8691/79, Rdnr. 68. 228 Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 76 und S. 79. 229 Maher, Imelda, MLR 63 (2000), 544 (544, 550, 566).
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Regulierungsbehörde für den Telekommunikationsmarkt, Independent regulator and competition authority for the UK communications industries (OFCOM), aufgezeigt.230 Nach Section 195 des aktuellen Communications Act 2003 ist gegen Entscheidungen dieser Behörde zunächst ein Rechtsmittel zum zuständigen Communication Appeal Tribunal (CAT) vorgesehen. Dessen Kontrollkompetenz ist umfassend, und es kann der Regulierungsbehörde weitreichende Weisungen zu der zu treffenden Entscheidung geben. Hieraus jedoch eine – im Gegensatz zur deutschen Tendenz im Regulierungsrecht stehende – Entwicklung hin zu mehr Kontrolle und weniger Ermessen zu erblicken,231 verkennt, dass es sich bei dem englischen Tribunalsystem gerade um eine nicht formal gerichtliche und sehr speziell ausgerichtete Kontrolle handelt. Das CAT ist in Bezug auf seine allein auf Entscheidungen des OFCOM gerichtete Kontrollkompetenz nicht mit der deutschen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gleichzusetzen, obgleich die Organisation der Tribunale sich einer Gerichtsorganisation in bestimmten Bereichen annähert. Auffällig ist überdies, dass selbst dort, wo über eine steigende Kontrolldichte des formellen Rechts, aber auch interner Regularien im englischen Rechtssystem diskutiert wird, es selten darum geht, von einer im deutschen Sinne vollkommen inhaltlich gebundenen Verwaltung auszugehen. Vielmehr wird hier die Tendenz beschrieben, das regelmäßig sehr weite Ermessen der Verwaltung einzuschränken und durch die Einführung genauerer gesetzlicher Vorgaben kontrollierbarer zu machen, es jedoch keinesfalls gänzlich aufzuheben. Die Regeln, die im Rahmen der als juridification beschriebenen Umstrukturierung des administrativen Systems erlassen wurden, sind zudem regelmäßig verfahrensrechtlicher Natur,232 auch wenn im Zuge derselben Reformen teilweise gewisse Rechte des Einzelnen gegenüber der Verwaltung vor allem im Baurecht festgelegt wurden.233 Auch die Umsetzung europäischer Richtlinien erfolgt regelmäßig dadurch, dass in einem formellen, nur den groben Rahmen regelnden Gesetz der zuständige Minister zum Erlass ergänzender Verordnungen ermächtigt wird.234 Immer noch wird im englischen Rechtssystem gegenüber der vollkommenen Regelung des Inhalts administrativer Entscheidungsfindung durch formelles Gesetzesrecht ein gewisses Widerstreben festge230
Attendorn, Thorsten, MMR 2009, 238 (240). So Attendorn, Thorsten, MMR 2009, 238 (240 f.). 232 Loughlin, Martin, JLS 16 (1989), 21 (33); es wurde beispielsweise durch den Transport Act 1983 die Pflicht zur Durchführung einer Kosten-Nutzen Rechnung in das Verfahren zur Bewilligung der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs integriert. 233 Beispielsweise Part IV und V des Housing Act 1985; dort werden u. a. bestimmte Kaufrechte für Mieter im öffentlichen Eigentum stehenden Wohnraums sowie Rechte auf Baugenehmigungen geschaffen. 234 Beispielsweise die Umsetzung der Richtlinie des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung vom 24. 9. 1996, RL 96/61/EG, später RL 2008/ 1/EG, ABl. EU 2008 Nr. L 24/8, heute integriert in der Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über Industrieemissionen, RL 2010/75/EU, ABl. EU 2010 Nr. L 334/17 durch den Pollution, Prevention and Control Act 1999 und die hierzu ergänzend erlassenen Polution Prevention and Control (England and Wales) Regulations 2000 (SI 2000/1973). 231
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stellt.235 Dies liegt auch an dem möglichen Widerspruch, in den die Einführung strikter Gesetzesvorgaben und vor allem deren technisierte Anwendung ohne Einfluss oder gar Entscheidungsspielraum des einzelnen Verwaltungsmitarbeiters mit dem bedeutenden Common Law-Prinzip der non-fettering of discretion geraten könnte. Hiernach ist es gerade Voraussetzung rechtmäßigen Verwaltungshandelns, dass es stets möglich sein muss, für den Einzelfall eine abweichende und gerechte Lösung zu finden.236 b) Einschränkung des Verwaltungsermessens und materielle Vorgaben durch schützenswertes Vertrauen? Vermehrt wird in neuerer Zeit diskutiert, ob es Situationen geben kann, in denen die Verwaltung nicht wie nach der grundsätzlichen Annahme des englischen Verwaltungsrechts über einen bedeutenden und gerichtlich nicht zu kontrollierenden Ermessensspielraum verfügt, sondern sie vielmehr rechtlich gebunden war, eine bestimmte Entscheidung zu treffen, die der Betroffene auch gerichtlich einklagen kann. Eine solche Bindung der Verwaltung kann dadurch entstehen, dass die Verwaltung durch früheres Handeln oder eine bestimmte interne Richtlinie ein schützenswertes Vertrauen – legitimate expectation – geschaffen hat, von dem sie nicht rechtmäßig abweichen darf. Die Frage, die in diesem Zusammenhang diskutiert wird, ist demnach, ob der Grundsatz des schützenswerten Vertrauens nicht mehr allein – wie dies schon seit einiger Zeit anerkannt ist – Verfahrensrechte einräumt, also derjenige, dessen schützenswerte Erwartung an den Staat enttäuscht werden soll, insbesondere angehört werden muss,237 sondern ob hierüber hinaus auch die Entscheidungsmacht der Verwaltung in materieller Hinsicht durch das Schaffen eines schützenswerten Vertrauens eingeschränkt werden kann. Ein schützenswertes Vertrauen im englischen Rechtsverständnis kann allgemein dadurch geschaffen werden, dass ein Entscheidungsträger ein explizites auf eine bestimmte Handlung gerichtetes Versprechen ausspricht oder aber ein derart regelmäßiges Entscheidungsverhalten an den Tag legt, dass der Betroffene von dem Fortführen dieses Verhaltens ausgehen darf.238 235
Bovens, Mark/Zouridis, Stavros, PAR 62 (2002), 174 (177). Adler, Michael, JLS 33 (2006), 615 (626), in Bezug auf die Technisierung des englischen Sozialsystems in den späten 1980er-Jahren; Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 221 f.; zu dem non-fettering of discretion-Prinzip Kapitel 2 B. II. 1. c) bb) (3) (a) (bb). 237 Schmidt v Secretary of State for Home Affairs (1969) 2 Ch 149; R v Liverpool Corporation, ex parte Liverpool Taxi Fleet Operators’ Association (1972) 2 QB 299; Attorney General for Hong Kong v Ng Yuen Shiu (1983) 2 AC 629; R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Asif Mahmood Khan (1985) 1 All ER 40; hierzu Kapitel 3 B. II. 2. b) bb) (1) (c). 238 Lord Fraser in Council of Civil Service Unions v Minister for the Civil Service (1985) AC 374 (401B); zu der Voraussetzung der Eindeutigkeit des Verwaltungshandelns u. a. R v Inland Revenue Commissioner, ex parte MFK Underwriting Agencies Ltd. (1990) 1 WLR 1545 236
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Zunächst wurde eine tatsächliche Einschränkung oder gar Aufhebung des administrativen Ermessens, so dass ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des Einzelnen auf Erfüllung seiner Erwartung entsteht, in derartigen Fällen noch abgelehnt.239 Um zu vermeiden, dass das Gericht eine Entscheidung als eigene treffen könne, die ursprünglich von der Verwaltung in ihrem Ermessen zu treffen sei, und auch im Hinblick auf den Grundsatz der non-fettering of discretion könne das Gericht, wie regelmäßig bei der Kontrolle von Ermessensentscheidungen, nur dann eingreifen, wenn die Entscheidung, von der Erwartung des Betroffenen abzuweichen, im Sinne der Wednesbury-unreasonableness240 so unvernünftig oder unzumutbar sei, dass keine vernünftige Behörde sie jemals getroffen hätte.241 Andernfalls könne auch eine schützenswerte Erwartung nur zu erweiterten Verfahrensrechten führen, nicht aber zu einer Einschränkung des Verwaltungsermessens in Bezug auf den Inhalt einer Entscheidung. Andererseits scheint es allerdings in einem Verwaltungssystem wie dem englischen, in dem der Verwaltung ein grundsätzlich weiter Spielraum eingeräumt wird und der Einzelne selten einen konkreten Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung hat, gerade entscheidend, dass ein Einzelner, dem innerhalb dieser weiten Entscheidungsbefugnisse ein gewisses Verhalten zugesichert wurde, sich auf dessen Erfüllung sodann verlassen kann.242 In dem Fall R v North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan (2001)243 entschied der Court of Appeal so auch schließlich, dass ein einmal geschaffenes schützenswertes Vertrauen den Bürgern nicht nur Verfahrensrechte eröffne, sondern die Entscheidungsfreiheit der öffentliche Einrichtung auch in materieller Sicht beschränken könne. Eine Entscheidung, die entgegen dem schützenswerten Vertrauen gefällt wird, ist dann unter Umständen nicht mehr von dem Ermessen der Behörde gedeckt und im Rahmen des judicial review als rechtswidrig aufzuheben. Diese Einschrän(1570) und R v Shropshire County Council, ex parte Jones (1997) 9 Admin. L.R. 625; ob auch Versprechen, die außerhalb der rechtlichen Befugnisse der entscheidenden Verwaltung liegen, ein schützenswertes Vertrauen begründen können, ist hoch umstritten; nach geltendem Recht ist dies momentan nicht möglich; siehe aber Craig, Paul, Administrative Law, S. 694 ff. Rdnr. 22 – 033 ff., zu möglichen Ausnahmen von diesem Grundsatz. 239 R v Council of the Borough of Poole, ex parte Cooper (1995) 27 HLR 605 (614), wo es heißt, das Prinzip der schützenswerten Erwartung „cannot be extended to encompass any substantive right“; siehe allerdings Sedley J. in R v Ministry for Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Hamble (Offshore) Fisheries Ltd. (1995) 2 All E.R. 714 (723 f.), der mit Verweis auf R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Ruddock (1987) 1 WLR 1482, bereits in diesem Fall die Möglichkeit auch materiell-rechtlich zu schützender Erwartungen dargelegt hat; siehe auch Brown L.J. in R v Devon County Council, ex parte Baker (1995) 1 All E.R. 73 (88 f.). 240 Zu diesem Maßstab der inhaltlichen Verwaltungskontrolle Kapitel 2 B. II. 1. c) bb) (3) (b). 241 Laws J. in R v Secretary of State, ex parte Richmond-upon-Thames London Borough Council (1994) 1 WLR 74 (94); R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Hargreaves (1997) 1 WLR 906 (921, 924). 242 Craig, Paul/Schønberg, Søren, PL 2000, 684 (697). 243 [2001] QB 213.
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kung des Ermessens ist dann gegenüber demjenigen, dem das schützenswerte Vertrauen eröffnet wurde, nicht im Sinne des Prinzips der non-fettering of discretion unrechtmäßig. Abweichend von der ansonsten sehr eingeschränkten inhaltlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen der Verwaltung könne das Gericht in einem solchen Fall – vergleichbar mit dem disproportionality-Test, der im Rahmen des Human Rights Act 1998 angewendet wird244 – überprüfen, ob der Grund für die abweichende Entscheidung der Verwaltung derart gewichtig gewesen sei, dass er die Enttäuschung des bestehenden Vertrauens rechtfertigen könne.245 Weil hierin eine Abweichung von dem Grundsatz gesehen wird, dass ein durch das Parlament verliehenes Ermessen auch frei durch die Exekutive ausgeübt werden muss und daher auch nur sehr zurückhaltenden inhaltlich gerichtlich zu kontrollieren ist, bleibt die Anerkennung derart materiell und nicht allein verfahrensrechtlich zu schützender schützenswerter Erwartungen die eng begrenzte Ausnahme.246 Insbesondere muss das Handeln der Behörde gerade nur einem bestimmten Betroffenen oder einer sehr begrenzten Gruppe gegenüber ein schützenswertes Vertrauen geschaffen haben.247 Im Rahmen eines allein verfahrensrechtlich zu schützenden Vertrauens ist es hingegen ausreichend, dass der Einzelne Teil einer Gruppe ist, die durch das allgemeine Handeln der Behörde oder eine bestimmte behördliche Richtlinie, auf die das schützenswerte Vertrauen gestützt werden soll, betroffen ist.248 Vor allem in Fällen, in denen es um das Abweichen einer allgemeinen Verwaltungsrichtlinie und nicht einer individuellen Zusage geht, sind die Gerichte sehr zurückhaltend in der Annahme einer materiell-rechtlich zu schützenden Erwar-
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Teilweise wird daher auch in Bezug auf die gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen, die von einem schützenswerten Vertrauen abweichen, von einem (dis) proportionality-Test gesprochen; vgl. Craig, Paul, Administrative Law, S. 684 f. Rdnr. 22 – 020; Elliott, Mark, JR 2006, 281 (285); Knight, Christopher, JR 2007, 117 (118). 245 R v North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan (2001) QB 213 Rdnr. 58; R v Secretary of State for Education and Employment, ex parte Begbie (2000) 1 WLR 1115 Rdnr. 68; R (Nadarajah) v Secretary of State for the Home Department (2005) EWCA Civ 1361 Rdnr. 68. 246 R (Bibi and Al-Nashed) v Newham London Borough Council (2002) 1 WLR 237 Rdnr. 40 ff.; R v Secretary of State for Education and Employment, ex parte Begbie (2000) 1 WLR 1115; R (on the application of Bhatt Murphy (a firm)) v Independent Assessor (2008); R (on the application of Niazi) v Secretary of State for the Home Department (2008) EWCA Civ 755 Rdnr. 41; Boyle, Re Judicial Review (2016) NIQB 2 Rdnr. 18; Sales, Philip/Steyn, Karen, PL 2004, 564 (597 f.); sehr kritisch gegenüber der Tendenz, legitimate expectations als inhaltliche Einschränkung des Verwaltungsermessens heranzuziehen und damit dem Gericht die Möglichkeit einer inhaltlichen Kontrolle zu eröffnen, Poole, Melissa, NZLR 1995, 426 (429, 440, 442). 247 Diese Einschränkung wurde bereits in R v North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan (2001) QB 213 selbst vorgesehen; vgl. auch R (Niazi) v Secretary of State for the Home Department (2008) EWCA Civ 755 Rdnr. 34 ff. 248 Attorney General for Hong Kong v Ng Yuen Shiu (1983) 2 AC 629; R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Asif Mahmood Khan (1983) 1 WLR 1337.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
tung.249 Auch wird eine anerkannte materiell-rechtlich zu schützende Erwartung gegenüber der Verwaltung nicht wie ein durch das formelle Gesetzesrecht verliehenes Recht behandelt.250 Selbst wenn die Gerichte ein materiell-rechtliches schützenswertes Vertrauen bejaht haben, wurde auch in der Folge der Court of Appeal-Entscheidung in R v North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan (2001)251 nicht stets eine vollkommene inhaltliche Prüfung der abweichenden Verwaltungsentscheidung vorgenommen oder gar die Erwartung des Betroffenen unmittelbar durch das Gericht erfüllt. Vielmehr hatte die Annahme eines schützenswerten Vertrauens häufig zur Folge, dass dieses innerhalb eines fairen Verwaltungsverfahrens bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden musste.252 Die verfahrensrechtliche Ausprägung des Schutzes von legitimate expectations bleibt somit der Regelfall. 3. Zwischenfazit zu materieller Rechtmäßigkeit und Verfahrensgerechtigkeit in England Sowohl die neuerliche Bereitschaft der Gerichte, schützenswerte Erwartungen in Einzelfällen auch materiell-rechtlich zu schützen, als auch die Einführung des Klagegrunds der Verhältnismäßigkeit in Fällen, in denen die Verletzung eines Konventionsrechts eine Rolle spielt, haben den Gerichten neue Möglichkeiten gegeben, den Inhalt einer Verwaltungsentscheidung zu überprüfen und mithin ein Stück weit vorzugeben. In diesen Fällen wird der durch ein faires Verfahren garantierte Schutz nicht als ausreichend angesehen, und es wird den Gerichten aufgegeben, die Rechtmäßigkeit oder Gerechtigkeit des Entscheidungsergebnisses sicherzustellen. In beiden genannten Bereichen bleibt jedoch das angewendete Verfahren und vor allem die Frage, ob die Verwaltung die Interessen und Rechte der Betroffenen in die Entscheidungsfindung einbezogen hat, ein bedeutender Faktor bei der Bewertung der Entscheidung. Die instrumentale Funktion des Verwaltungsverfahrens wird mithin weiterhin als überaus bedeutend angesehen. Fälle, in denen tatsächlich trotz eines 249
R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Hargreaves (1997) 1 WLR 906; nach der einschränkenden Formulierung des Court of Appeal in R v North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan (2001) QB 213, hat sich hieran auch nach diesem Urteil wohl nichts geändert; Clayton, Richard, CLJ 2003, 93 (100); Sales, Philip/Steyn, Karen, PL 2004, 564 (588). 250 Vgl. Craig, Paul/Schønberg, Søren, PL 2000, 684 (696); Sales, Philip/Steyn, Karen, PL 2004, 564 (567). 251 [2001] QB 213. 252 R (Bibi and Al-Nashed) v Newham London Borough Council (2002) 1 WLR 237 Rdnr. 40 ff.; R (Bodimeade) v Camden London Borough Council (2001) EWHC 271; Ibrahim v Redbridge London Borough Council (2003) ACD 25 Rdnr. 12; R (Theophilus) v Lewisham London Borough Council (2002) 3 All E.R. 851; Jones v Environment Agency (2005) EWHC 2270 (Admin) Rdnr. 76; Sales, Philip/Steyn, Karen, PL 2004, 564 (584, 587); Steele, Iain, LQR 2005, 300 (320 ff.), der diese Form des Schutzes materiell-rechtlich schützenswerter Erwartungen allerdings als Ausnahme sehen möchte; grundsätzlich müsse das schützenswerte Vertrauen auch tatsächlich erfüllt werden; Elliott, Mark, JR 2006, 281 (287).
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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einwandfreien, die Interessen der Betroffenen beachtenden Verwaltungsverfahrens von einer materiell unrechtmäßigen Sachentscheidung ausgegangen wurde, sind selten, und derartige außergewöhnliche Entscheidungen wären vermutlich auch bereits unter dem alten Klagegrund der unreasonableness aufgehoben worden. Eine tatsächliche Hinwendung zu einer vollkommenen Inhaltskontrolle durch die Gerichte und eine damit zusammenhängende stückweite Abkehr von der Verfahrensgerechtigkeit als Mittelpunkt gerichtlicher Verwaltungskontrolle und Bewertungsmaßstab von Verwaltungsentscheidungen sind nicht zu beobachten. Gerade weil hiermit eine deutliche Abweichung zu den Grundsätzen des Verständnisses der Gewaltenteilung im englischen Rechtssystem einhergehen würde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Hinwendung zu einer grundsätzlich materiellen Kontrollbefugnis der Gerichte ohne eine dahingehende Entscheidung des Parlaments denkbar ist.253
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung Die Entscheidung darüber, inwieweit das Verwaltungsverfahren als solches Einfluss auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Gerechtigkeit einer Entscheidung haben soll, bestimmt ebenso die Art, in der ein Rechtssystem – eigenständige – Verfahrensrechte anerkennt, wie die Entscheidung darüber, ob derartige Verfahrensrechte gerichtlich durchgesetzt werden können, gegebenenfalls sogar unabhängig von der Sachentscheidung. Wird das Verwaltungsverfahren als wesentlich für den Rechtsschutz des Einzelnen angesehen, sind auch die Rechte, die ihm innerhalb des Verfahrens zustehen, von herausragender Bedeutung. In dem Fall müssen die zuerkannten Rechte bei Nichtbeachtung notfalls gerichtlich durchsetzbar sein, um nicht einen Leerlauf des vorgesehenen Rechtsschutzes zu riskieren. Auf der anderen Seite ist die Anerkennung gegebenenfalls unabhängiger Verfahrensrechte für den Rechtsschutz dann nicht derart entscheidend, wenn die materielle Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung sowie deren gerichtliche Nachprüfbarkeit als zentral für den Rechtsschutz des Betroffenen angesehen werden. Werden Verfahrensrechte anerkannt, dann zumeist, um die Verwirklichung materieller Rechtspositionen zu sichern, auf deren Durchsetzung sich auch der gerichtliche Rechtsschutz sodann konzentriert. Verfahrensfehler als solche und ohne Auswirkung auf materielle Rechtspositionen erscheinen hier weniger bedeutend.
253 Deutlich, zwar für das neuseeländische Recht, aber gerade wegen der gemeinsamen Rechtstradition durchaus auf das englische Recht übertragbar, Poole, Melissa, NZLR 1995, 426 (444).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
I. Verfahrensrechte und ihre Verletzung Um die Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts innerhalb des englischen und des deutschen Rechts- und Rechtsschutzsystems zu untersuchen, werden zunächst die bedeutendsten Regelungen zum ordnungsgemäßen Ablauf des Verwaltungsverfahrens dargestellt. Auch in einem System, in dem der Schutz materieller Rechtspositionen und materieller Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen in den Vordergrund gestellt wird, ist es durchaus denkbar, weitreichende Verfahrensrechte anzuerkennen. Diese werden dann vordergründig auf eine möglichst umfassende Sicherung materieller Rechtspositionen ausgerichtet sein und insoweit nicht um ihrer selbst willen eingeräumt. Hieraus folgt, dass die Einräumung bestimmter Verfahrensrechte innerhalb des Verwaltungsverfahrens noch nicht zwingend auf die Bedeutung schließen lässt, die der Einhaltung verfahrensrechtlicher Garantien bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit oder Gerechtigkeit einer Entscheidung zuteil wird. Die Auswirkung der Systementscheidung äußert sich demnach erst in den Regelungen der Verfahrensfehlerfolgen, die im Anschluss dargestellt werden. 1. Die Anerkennung von Verfahrensrechten im deutschen Verwaltungsverfahren Obgleich Verfahrensfehler in allen Stadien des Verwaltungsverfahrens denkbar sind, sollen hier die dem Einzelnen oder bestimmten Gruppen jeweils eingeräumten Verfahrensrechte im Mittelpunkt der Darstellung stehen. Gerade im deutschen auf den subjektiven Rechtsschutz ausgelegten Rechtsschutzsystem254 ist es für die Frage nach der gerichtlichen Sanktion eines Verfahrensfehlers von entscheidender Bedeutung, ob durch den Verfahrensfehler ein Verfahrensrecht des Einzelnen verletzt wurde, ihm ein solches Recht mithin zustand. Von der Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung ist die Anerkennung von Verfahrensrechten dennoch deutlich zu trennen. Die Einräumung eines bestimmten Rechts innerhalb des Verwaltungsverfahrens bedeutet bislang nicht zwingend, dass dieses Recht auch als subjektives Recht im Sinne des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes anerkannt wird.255 Im Laufe der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens werden dem Einzelnen – ob Adressat einer Maßnahme oder betroffener Dritter – bestimmte Rechte zugesprochen. Wie genau diese Rechte im Verlaufe des Verfahrens ausgeprägt sind, hängt auch von der Art des durchzuführenden Verfahrens ab – etwa förmliches oder nichtförmliches Verwaltungsverfahren, Planfeststellungsverfahren oder sonstiges besonders ausgestaltetes Verwaltungsverfahren. Insbesondere unter dem Stichwort der „informierten Öffentlichkeit“ haben Beteiligungsrechte, Mitwirkungsformen der 254 Ausführlich zu der Systementscheidung für den subjektiven Rechtsschutz in Deutschland noch unten Kapitel 4 A. I. 255 Zu Verfahrensrechten als subjektiv-öffentliche Rechte siehe Kapitel 4 B. I. 1. d).
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Bürger und Informationsrechte in den letzten Jahren vermehrt Beachtung in der verwaltungsrechtlichen Diskussion bekommen.256 Ob solche Rechte von Verfassung wegen als zwingend, etwa als grundrechtlich determiniert angesehen werden können, wird kontrovers diskutiert. Doch selbst bei Annahme gewisser verfassungsrechtlicher Vorgaben für das Verwaltungsverfahren lassen sich hieraus nicht zwingend Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung von Verfahrens- und insbesondere von Beteiligungsrechten im einzelnen Verfahren ziehen. Deren Ausgestaltung im Einzelnen ist vielmehr eine Frage des einfachen Verfahrensrechts. Zunächst werden gegebenenfalls verfassungsrechtlich bestehende Vorgaben für die Ausgestaltung und Durchführung des Verwaltungsverfahrens dargestellt, mit einem besonderen Blick auf möglicherweise grundrechtlich determiniertes Verfahrensrecht. Sodann sollen die einzelnen bestehenden Rechte innerhalb des deutschen Verwaltungsverfahrens aufgezeigt werden. a) Verfassungsrechtliche Vorgaben und Verfahrensgrundsätze Um den vielfältigen Aufgaben, die an das Verwaltungsverfahren gestellt werden, genügen und insbesondere die verschiedenen und oftmals divergierenden Interessen der Bürger und der Verwaltung bestmöglich in Ausgleich zueinander bringen zu können, haben Verwaltungsverfahren – so verschieden sie in ihrer Ausgestaltung im Einzelnen auch sein mögen – gewisse, zumeist aus allgemeinen Verfassungsprinzipien abgeleitete Verfahrensgrundsätze zu erfüllen.257 Trotz der Teilkodifikation des Verwaltungsverfahrens im Verwaltungsverfahrensgesetz behalten solche allgemeinen Verfahrensgrundsätze und verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Bedeutung für die Festlegung von Verfahrensrechten innerhalb des Verwaltungsverfahrens. Zum einen bleiben große Bereiche, in denen Verwaltungsverfahren im weiteren Sinne durchgeführt werden, unkodifiziert. Zum anderen fehlt es auch für die verschiedenen kodifizierten Verwaltungsverfahren, die im Verwaltungsverfahrensgesetz erfasst sind, und solchen, die in besonderen Verfahrensgesetzen geregelt werden, an einem gemeinsamen allgemeinen Teil, der gewisse Verfahrensrechte festlegen würde oder allgemeine Verfahrensgrundsätze aufstellt.258
256 Siehe unter anderem Schmidt-Aßmann, Eberhard, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Kapitel Rdnr. 113; Scherzberg, Arno, Die Öffentlichkeit der Verwaltung, 2000, S. 200 ff.; Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (859 f.). 257 Grünewald, Benedikt, Die Betonung des Verfahrensgedankens im deutschen Verwaltungsrecht durch das Gemeinschaftsrecht, 2009, S. 50. 258 Wolff, Heinrich Amadeus, Die dienende Funktion der Verfahrensrechte – eine dogmatische Figur mit Aussagekraft und Entwicklungspotential, in: Pitschas/Uhle (Hrsg), Festschrift für Rupert Scholz, 2007, S. 977 (985); Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 86, bezeichnen die Überschrift „Verfahrensgrundsätze“ über dem 1. Abschnitt des 2. Teils des VwVfG als „zumindest missverständlich“, weil dort statt Grundsätzen Detailbestimmungen zu verschiedenen Aspekten des Verwaltungsverfahrens geregelt würden.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Die verfassungsrechtlichen Vorgaben und Verfahrensgrundsätze beziehen sich zum einen auf die normative Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens. Sie geben das Gerüst vor, innerhalb dessen ein dem Grundgesetz entsprechendes Verwaltungsverfahren ausgestaltet sein muss. Darüber hinaus sind sie bei der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens durch die Verwaltung im Einzelfall zu beachten. Neben allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben wird seit längerer Zeit unter dem Stichwort des „grundrechtsverbürgten Verfahrensrechts“ die Möglichkeit zwingender grundrechtlicher Vorgaben für Gestaltung und Anwendung des Verwaltungsverfahrens diskutiert. Insbesondere eine solche grundrechtliche Determinierung bestimmter Verfahrensrechte hätte weitreichende Konsequenzen auch für die Möglichkeit gerichtlichen und sogar verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes bei der Verletzung von Verfahrensrecht. Nimmt man an, dass eine bestimmte einfachgesetzliche Verfahrensnorm der unmittelbaren Verwirklichung von Grundrechten dient, so erlangt auch die Verletzung einer solchen Norm ein bedeutenderes Gewicht. aa) Grundrechtlich verbürgtes Verfahrensrecht Nicht erst seit dem in diesem Zusammenhang zumeist zitierten Mühlheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wird die Relevanz der Grundrechte für Ausgestaltung und Anwendung von Verfahren diskutiert. Schon auf der Staatsrechtslehrertagung 1971 entwickelte Peter Häberle den Begriff des „grundrechtlichen status activus processualis“ des Bürgers. Aus den materiellen Freiheitsgrundrechten folge die Notwendigkeit leistungsstaatlicher Vorverfahren bei der Koordination privater und öffentlicher Interessen und vor allem eine Recht auf Teilhabe an diesen Vorverfahren.259 Zu der allgemeinen Diskussion um den Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens beigetragen hat dann aber maßgeblich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass „Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dies für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist“.260 Diese Feststellung traf das Bundesverfassungsgericht für die Garantie eines effektiven gerichtlichen Verfahrens durch die materiellen Grundrechte bereits im Jahr 1968 in seinem Beschluss zum Hamburgischen Deichordnungsgesetz.261 Effektiver Rechtsschutz soll demnach nicht allein durch die das Verfahren in Bezug nehmenden Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte – etwa Art. 19 Abs. 4 GG oder Art. 103 Abs. 1 GG – bewirkt werden, sondern bereits Teil des Schutzbereichs des jeweils betroffenen materiellen Grundrechts sein. Auf
259 Häberle, Peter, in: VVDStRL 30 (1972), 43 (insbes. 80 ff. und 121 ff.), fortentwickelt in Häberle, Peter, Verfassung als öffentlicher Prozess, S. 665 ff. 260 BVerfGE 53, 30 (60) – Mühlheim-Kärlich-Beschluss. 261 BVerfGE 24, 367 (insbes. 401) – Hamburgisches Deichordnungsgesetz.
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das Verwaltungsverfahren wurde diese Sichtweise explizit durch den MühlheimKärlich-Beschluss ausgeweitet.262 Was jedoch genau aus der oben zitierten Formulierung des Bundesverfassungsgerichts für die gesetzliche Ausgestaltung sowie die Durchführung des Verwaltungsverfahrens im Einzelnen und den gerichtlichen Rechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren abzuleiten ist und ob den Grundrechten tatsächlich eine Vorgabe für das einfache Verwaltungsverfahrensrecht entnommen werden kann, wurde und wird weiterhin mit unterschiedlichen Ergebnissen diskutiert. Zunächst lässt sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allgemein entnehmen, dass die Grundrechte nicht lediglich materielle Rechtspositionen garantieren, sondern jeweils auch eigene prozedurale auf ihre Verwirklichung gerichtete Garantien enthalten. Weiter kann hier aber unterschieden werden, ob eine solche verfahrensrechtliche Garantie aus den materiellen Grundrechten stets und allgemein oder lediglich bei speziellem (materiellen) Grundrechtsbezug des jeweiligen Verfahrens, dann also wiederum als Schutz materieller Rechtspositionen durch das Verfahren, abzuleiten ist. Anders formuliert: Kann aus den Grundrechten beziehungsweise aus einem bestimmten Grundrecht etwa ein allgemeines Recht auf Beteiligung am Verwaltungsverfahren gefolgert werden, oder ist dies lediglich dann der Fall, wenn eine ausbleibende Beteiligung im Einzelfall die Ausübung eines materiellen Grundrechts erschweren oder unmöglich machen würde? Im Falle der Annahme einer gewissen grundrechtlichen Verbürgung einfachen Verfahrensrechts bleibt weiterhin unklar, wie weit eine solche grundrechtliche Vorgabe geht. So kann in den Grundrechten eine Mindestvorgabe gesehen werden, der das Verwaltungsverfahren in Ausgestaltung und Anwendung zu genügen hat, oder es können den Grundrechten darüber hinaus konkrete Vorgaben für die inhaltliche Ausgestaltung einzelner Verfahrensnormen oder ihrer Anwendung entnommen werden. (1) Ablehnung des grundrechtsverbürgten Verfahrensrechts Nach dem Mühlheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sollen diejenigen Verfahrensvorschriften grundrechtlich verbürgt sein – das heißt dem Bundesverfassungsgericht nach, ein Verstoß gegen sie beinhaltet eine Grundrechtsverletzung263 –, die der Gesetzgeber in Ausübung seiner Pflicht zur einfach-
262
BVerfGE 53, 30. Im Mühlheim-Kärlich-Beschluss spricht das Bundesverfassungsgericht noch davon, dass im Fall einer Verletzung von Verfahrensrechten, die der Gesetzgeber in Ausübung seiner Pflicht zum Schutz von Grundrechten geschaffen oder ausgetaltet habe, eine Grundrechtsverletzung „in Betracht“ komme; in der wenig später getroffenen Entscheidung zum Asylverfahren spricht das Bundesverfassungsgericht dann aber explizit davon, dass Verfahrensfehler dann Grundrechtsverletzungen sind, wenn die Verfahrensnorm in der Absicht der Grundrechtssicherung durch den Gesetzgeber erlassen wurde; vgl. BVerfGE 56, 216 (242); hierzu Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (868). 263
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gesetzlichen Ausgestaltung der Grundrechtsausübung erlassen hat.264 Sei das einfache Verfahrensrecht also erlassen worden, um den Schutz eines Grundrechts zu gewährleisten, sei dieses Verfahrensrecht als grundrechtsgeboten anzusehen und ein Verstoß gegen die Verfahrensnorm bedeute eine Grundrechtsverletzung. Speziell in der Diskussion, die unmittelbar auf den Mühlheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hin folgte, wurde die Folgerung des Bundesverfassungsgerichts, aus den materiellen Grundrechten unmittelbar Vorgaben für die Ausgestaltung und Anwendung des Verwaltungsverfahrens mit der Folge zu entnehmen, dass ein Verstoß gegen diese grundrechtsgeforderten einfachen Verfahrensnormen zugleich einen Grundrechtsverstoß darstelle, von einigen Autoren abgelehnt. Als Konsequenz grundrechtlicher Vorgaben für das Verwaltungsverfahren eine Grundrechtsverletzung immer schon dann anzunehmen, wenn Verfahrensrechte, die ein materielles Grundrecht schützen sollen, verletzt wurden, verstelle den Blick darauf, dass die eigentliche Grundrechtsverletzung in diesem Falle doch erst durch die Sachentscheidung an sich eintrete.265 In der Tat führt die Annahme des Bundesverfassungsgerichts, in einem Verstoß gegen ein Verfahrensrecht, das zum Schutz eines Grundrechts geschaffen wurde, eine Verletzung desselben Grundrechts zu erblicken, zu einigen Schwierigkeiten: Eine gewisse grundrechtsschützende Funktion kann zum einen einer großen Anzahl an verfahrensregelnden Normen nicht abgesprochen werden, selbst solchen, die keine Verfahrensrechte der Betroffenen sondern lediglich oder vor allem den objektiven Ablauf des Verfahrens regeln.266 Daraus kann aber nicht in einem Gegenschluss gefolgert werden, dass diese einzelnen Normen des Verwaltungsverfahrensrechts auch zwingend durch die Grundrechte vorgegeben sind.267 Obgleich das Bundesverfassungsgericht selbst in seinem Mühlheim-Kärlich-Beschluss anmerkt, dass nicht jedwedes Verfahrensrecht derart grundrechtlich verbürgt sei, folgt dieser Feststellung keine detaillierte Überlegung dazu, welche Verfahrensrechte speziell grundrechtlich garantiert sein sollen und welche nicht. Eine Annahme grundrechtlicher Verbürgung weiter Teile des Verfahrensrechts kann dann, dem vom Bun264 BVerfGE 53, 30 (65) – in diesem Fall das Recht auf Anhörung betroffener Bürger im Rahmen eines atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens, das auch um den von Art. 2 Abs. 2 GG geforderten Schutz der Gesundheit und des Lebens willen besteht. 265 Pietzcker, Jost, „Grundrechtsbetroffenheit“ in der verwaltungsgerichtlichen Dogmatik, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 131 (138); Cloosters, Wolfgang, Rechtsschutz Dritter gegen Verfahrensfehler im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1986, S. 105 f.; Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 119; Ossenbühl, Fritz, NJW 1981, 375 (377); Laubinger, Hans-Werner, VerwArch 73 (1982), 60 (78); zu der Frage, wann nicht erst im belastenden Ergebnis, sondern bereits im Verfahrensmangel ein Grundrechtseingriff liegt, Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2164 f.). 266 Pietzker, Jost, „Grundrechtsbetroffenheit“ in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 131 (136); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 1982, 65 (69); Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2162). 267 Pietzker, Jost, „Grundrechtsbetroffenheit“ in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 131 (136).
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desverfassungsgericht zu Grunde gelegten Verständnis nach, zu der Konsequenz führen, dass der Verstoß gegen solches Verfahrensrecht unmittelbar als Grundrechtsverstoß vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden könnte. Dieses wird so entgegen seiner häufigen Bekundungen doch zu einer „Superrevisionsinstanz“268, wenn es um die Überprüfung des von der Verwaltung eingesetzten Verfahrens geht, und bestimmt darüber hinaus selbst, welche Verfahrensnormen grundrechtsschützend sind, sodass ein Verstoß gegen sie verfassungsgerichtlich zu ahnden ist.269 Die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts lassen dabei den Schluss zu, dass es nicht allein die Verletzung von Grundrechten, sondern die Verletzung von grundrechtsrelevantem einfachem Recht prüfen will.270 Weiterhin bleibt zu bedenken, dass neben der bedeutsamen rechtsschützenden Funktion des Verwaltungsverfahrens demselben auch weitere, insbesondere gemeinwohlorientierte Funktionen zukommen. So ist nicht allein der rechtsschützende Charakter zu betonen; das Verfahren soll unter anderem auch eine effiziente Entscheidungsfindung begünstigen.271 Eine weitgehende grundrechtliche Vorbestimmung für die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens anzunehmen, würde den durch den Gesetzgeber notwendig zu treffenden Ausgleich zwischen den verschiedenen teils divergierenden Zielen und Funktionen des Verwaltungsverfahrens erheblich erschweren. Jedoch führt eine Ablehnung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts nicht zwangsläufig auch zu einer Ablehnung der Vorstellung, dass sich gewisse Verfahrensrechte des Verwaltungsverfahrens bereits aus den Grundrechten entnehmen lassen oder dass zumindest gewisse im Verfahren einzuhaltende Grundsätze grundrechtlich geboten sind und so im einfachen Verwaltungsverfahren einer besonderen Beachtung bedürfen. Im Rahmen der Schutzpflicht des Gesetzgebers können sich solche Minimalerfordernisse an das Verwaltungsverfahren durchaus unmittelbar aus den Grundrechten ergeben.272 Diese Überlegung gewinnt insbe268
Siehe nur BVerfGE 7, 198 (207); BVerfGE 18, 85 (92). Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/ Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (191); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 1982, 65 (69); Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (220); dass ein solcher Schluss aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht zwingend ist, betont von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2157); vielmehr sei die besondere Verfahrensabhängigkeit des Asylgrundrechts, um das es in BVerfGE 56, 216, ging zu bedenken und daher den Entscheidungen keine allgemeine, die hergebrachte Dogmatik zu dem Verhältnis von einfachem Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht umkehrende Aussage zu entnehmen. 270 Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 1982, 65 (68). 271 Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/ Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (193); SchmidtAßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (17); Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 122; Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 1982, 65 (70); von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2158); Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (209). 272 Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (869); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 1982, 65 (70), spricht insoweit einem engen Verständnis folgend von einer grundrechtlichen Absicherung 269
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sondere in Bezug auf Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren an Bedeutung273 und vor allem dort, wo Verfahrensrechte auch unabhängig von durch sie geschützten materiellen Rechtspositionen anerkannt werden. Eine spezifische Festlegung für die Ausgestaltung des einfachen Verfahrensrechts, auch in diesem grundrechtlich geforderten Bereich, muss daraus nicht folgen und kann in der Verantwortung des einfachen Gesetzgebers verbleiben. (2) Kategorisierung von Verwaltungsverfahren mit Grundrechtsbezug Bei denjenigen Stimmen, die einen gewissen Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens in speziellen Konstellationen annehmen, hat es zahlreiche Versuche gegeben, solche Konstellationen des Grundrechtsbezugs von Verwaltungsverfahren zu unterscheiden und eine Kategorisierung möglicher grundrechtlicher Vorgaben für die jeweiligen Verwaltungsverfahren vorzunehmen.274 Zunächst ist die Rede von „verfahrensabhängigen“ Grundrechten. Hierunter sollen diejenigen Grundrechte fallen, deren Ausübung allein durch die Ausgestaltung von Verfahren möglich ist.275 Allein als klassische Abwehrrechte verstanden, liefe der durch die so bezeichneten Grundrechte bewirkte Schutz leer; erst ein entsprechend ausgestaltetes Verfahrensrecht könne das materielle Grundrecht zur Geltung bringen.276 Deutlich werde diese Verfahrensabhängigkeit insbesondere an dem Grundrecht auf Asyl aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, das ohne eine geeignete Verfahrensregelung zu der Anerkennung eines Asylanspruchs nicht ausgeübt werden könnte.277 Darüber hinaus werden weitere Fallgestaltungen unterschieden, in denen ein Verwaltungsverfahren besonderen Grundrechtsbezug aufweisen soll. Namentlich Fritz Ossenbühl spricht ei„elementarer Verfahrensanforderungen“; eine solche Annahme gänzlich ablehnend im Ergebnis Laubinger, Hans-Werner, VerwArch 73 (1982), 60 (83 ff.), da sich eben diese Vorgaben, die als grundrechtlich geboten angesehen werden sollten, bereits dem Rechtsstaatsprinzip entnehmen ließen. 273 Für Anhörungsrechte sogar Pietzker, Jost, „Grundrechtsbetroffenheit“ in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 131 (138, insbesondere Fn. 23), der ansonsten die grundrechtliche Determinierung einfachen Verfahrensrechts weitgehend ablehnt. 274 So u. a. Schneider, Hans-Peter, Kloepfer, Michael, von Mutius, Albert, Aussprache, VVDStRL (41) (1983), 232 (243 f., 245 f. und 285 ff.); Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2162 f.); zusammenfassend zu den verschiedenen Kategorien auch Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 56 ff., primär dargestellt aus der Perspektive des Verfahrens, nicht der jeweiligen Grundrechte. 275 Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/ Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (185); Dolderer, Michael, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 246; Bethge, Herbert, NJW 1982, 1 (5). 276 Dolderer, Michael, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 247, spricht von diesen Grundrechten als einer Art „Zwischenglied“ zwischen formellen und materiellen Grundrechten. 277 Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/ Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (185); Bethge, Herbert, NJW 1982, 1 (5).
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nerseits von „verfahrensbetroffenen“ Grundrechten, wo gerade das Verfahren ein Grundrecht gefährden kann – wie etwa bei einem Enteignungsverfahren in Bezug auf Art. 14 GG – sowie von „verfahrensgeprägten“ Grundrechten, wo erst das Verfahren überhaupt die grundrechtlich garantierte Freiheit ausgestaltet – wie etwa im Falle der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.278 Gestaltend oder beschränkend können Verwaltungsverfahren hingegen gegenüber nahezu jedem Grundrecht wirken.279 Insbesondere, wenn die Ausübung eines bestimmten Grundrechts an ein eigens durchzuführendes Verwaltungsverfahren geknüpft ist – etwa an ein Genehmigungs- oder Zulassungsverfahren – oder wenn ein Grundrecht die Inanspruchnahme einer bestimmten Leistung, die jedoch unter mehreren Berechtigten zugeteilt werden muss, gewährleistet, wirkt das Verfahren auf den Schutzbereich des zu verwirklichenden Grundrechts ein.280 Auch wo es zu einer Kollision mehrerer Grundrechtspositionen oder zu einer Kollision einer Grundrechtsposition mit dem Allgemeinwohl kommt, hat das Verfahren, das die betroffenen Positionen zu einem Ausgleich bringen muss, eine bedeutende Grundrechtsrelevanz.281 Schon hier wird deutlich, dass insbesondere in den vordergründig interessierenden Fällen der Interessensabwägung oder Entscheidungsspielräume während des Verwaltungsverfahrens kaum Verfahren ohne Bezug zu grundrechtlichen Positionen denkbar sind. Zwar kann durch die Kategorie insbesondere des verfahrensabhängigen Grundrechts eine besondere Notwendigkeit des grundrechtlichen Schutzes auch für das Verwaltungsverfahren beschrieben werden; doch sollten dadurch nicht andere mögliche Grundrechtsberührungen des Verwaltungsverfahrens im Allgemeinen ausgeschlossen werden. Andererseits wurden Versuche unternommen, bestimmte Arten von Verfahrensvorschriften aus dem möglichen Einwirkungsfeld der Grundrechte auszunehmen. Es sollen Vorschriften, die allein eine Ordnungsfunktion innehaben – also das Verfahren ohne Auswirkungen auf materielle Rechtspositionen lediglich steuern –, allgemein keinen Grundrechtsbezug aufweisen können, und dementsprechend soll ein Verstoß gegen sie eine Angreifbarkeit der Entscheidung nicht zur Folge haben.282 Nicht nur die Frage, ob eine solche kategorische Einteilung von Normen ohne jeglichen Grundrechtsbezug möglich ist, bleibt offen. Selbst bei zunächst rein das Verfahren ordnenden Vorschriften kann es in bestimmten Konstellationen zu einer denkbaren 278 Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/ Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (186 ff.). 279 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 59 f. 280 Denninger, Erhard, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX § 193 Rdnr. 27, 29. 281 Denninger, Erhard, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX § 193 Rdnr. 28. 282 Darstellend Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 123, der die Möglichkeit einer solchen vereinfachten Kategorisierung jedoch zu Recht ablehnt.
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Berührung der Schutzbereiche von Grundrechten und dementsprechend auch zu Grundrechtseingriffen kommen; zumindest sind solche nicht vollkommen auszuschließen.283 Auch die Notwendigkeit einer derartigen Kategorisierung erschließt sich nicht. Vielmehr ist vor einer Untersuchung einzelner Verfahrensvorschriften aus der gegenteiligen Perspektive darauf zu blicken, ob es allgemeine, aus den Grundrechten folgende Verfahrensgrundsätze im Verwaltungsverfahren geben kann. Wie sich dies auf die Ausgestaltung und Anwendung des Verwaltungsverfahrens im Einzelnen auswirkt, bleibt in einem nachfolgenden Schritt zu klären. (3) Allgemeine grundrechtliche Verfahrensgebote Es ist auch denkbar, den Grundrechten allgemeine, von den Besonderheiten eines einzelnen besonders „grundrechtsgefährdenden“ oder „grundrechtsberührenden“ Verwaltungsverfahrens losgelöst existierende Verfahrensvorgaben zu entnehmen, unabhängig davon, ob es sich bei dem berührten Grundrecht um ein besonders „verfahrensabhängiges“, „verfahrensbetroffenes“ oder „verfahrensgeprägtes“ Grundrecht handelt. Es stellt sich also die Frage, ob materiellen Grundrechtspositionen allgemein subjektive Verfahrensrechte284 oder Rechte auf Verfahrensteilhabe285 entnommen werden können. Soweit solche Rechte anerkannt werden, erfolgt dies zumeist unter Berufung auf deren wichtige Bedeutung für den effektiven Schutz materieller Rechte.286 Deutlich kommt eine solche Einschätzung auch im Mühlheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, wenn es die „Vorschriften über die Beteiligung klagebefugter Dritter am Genehmigungsverfahren“287 – also eine grundrechtlich gebotene Betroffenenbeteiligung – in den Vordergrund stellt. Dieser Verweis auf die Klagebefugnis lässt die Betonung des Rechtsschutzgedankens in Bezug 283 Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/ Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (190 f.). 284 Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/ Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (188 f.). 285 Redeker, Konrad, NJW 1980, 1593. 286 BVerfG, NVwZ-RR 2000, 487 (488): „Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG verlangt nicht, dass die Verletzung – auch grundrechtsrelevanter – Verfahrensvorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung nach der atomrechtlichen Verfahrensverordnung stets als absoluter Verfahrensfehler ohne Rücksicht auf seine Erheblichkeit für die Sachentscheidung zur Aufhebung der erteilten Genehmigung führt“; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 108; Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 243; Ladenburger, Clemens, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und deutschen Verwaltungsrecht, 1999, 239 f.; Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (468, 471); Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (166 f.); Krebs, Walter, DVBl. 1984, 109 (115); Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (870 f.); Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (259), die in Fn. 154 von einer „materialakzessorischen Bedeutung“ der Verfahrensgarantien für den Grundrechtsschutz spricht. 287 BVerfGE 53, 30 (66) – Hervorhebung hinzugefügt.
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auf materielle Rechtspositionen auch bei der Anerkennung von grundrechtlich geforderten Verfahrensrechten deutlich werden. Wiederum soll Grundrechtsschutz im Verfahren dann notwendig sein, wenn Grundrechte durch das Verfahren zu schützen sind. Es sind solche Verfahrensvorschriften als grundrechtlich verbürgt anzusehen, die gerade zum Schutz materieller Grundrechte erlassen worden sind288 oder, wie dies im Sondervotum der Richter Simon und Heußner formuliert ist, „die zum Schutz gefährdeter Dritter eine richtige Entscheidung über die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge und damit einen effektiven Rechtsschutz dieser Dritten bezwecken“.289 Gerade in der im Anschluss an den Mühlheim-Kärlich-Beschluss entbrannten Diskussion um grundrechtlich determiniertes Verfahrensrecht wird vielfach betont, dass der Grund, weshalb aus den materiellen Grundrechten das Recht auf eine gewisse Beteiligung oder Teilhabe der Betroffenen – dazu können sowohl Adressaten von Maßnahmen als auch Dritte zählen – an Verwaltungsverfahren folgen solle, eine notwendige Effektuierung des Individualrechtsschutzes sei.290 Vordergründig die individuelle Betroffenheit und damit die potenzielle Berührung grundrechtlicher Positionen einzelner Bürger durch die künftige Sachentscheidung an sich ist es, welche die Beteiligung dieser Bürger notwendig macht.291 Grundrechte werden allgemein als nur mit Hilfe entsprechender Verfahrensrechte durchsetzbar betrachtet.292 Das gilt wiederum insbesondere dort, wo das materiell-rechtliche Prüfprogramm die Verwaltungsentscheidung nicht vollständig vorgibt oder vorgeben kann, beispielsweise also die Interessen verschiedener Grundrechtsträger im Verfahren gegeneinander abgewogen werden müssen, das Verfahren selbst zur Steuerung der Entscheidungsfindung herangezogen wird, und in diesem Bereich speziell um Verfahrensrechte, welche die Beteiligung Einzelner an der Entscheidungsfindung betreffen. Je weiter ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung ist, desto eher soll es grundrechtlich geboten sein, die Verfahrenspositionen des Einzelnen im Rahmen der 288
BVerfGE 53, 30 (65). BVerfGE 53, 30 (79) – Hervorhebungen hinzugefügt. 290 Blümel, Willi, „Demokratisierung der Planung“ oder rechtsstaatliche Planung?, in: Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 9 (23 ff.): „Bei der Frage der Verfahrensbeteiligung der Planungsbetroffenen geht es nicht um „demokratische“ Mitwirkung oder gar Mitbestimmung, sondern ausschließlich um den effektiven und rechtszeitigen Rechtsschutz“; ders., Masseneinwendungen im Verwaltungsverfahren, in: Schneider/Götz (Hrsg.), Festschrift für Werner Weber, 1974, S. 539 (548); Kimminich, Otto, Funktion und Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, in: Lukes (Hrsg.), Fünftes Deutsches Atomrechts-Symposium – Referate und Diskussionsberichte, 1976, S. 263 (266 f.); Redeker, Konrad, NJW 1980, 1593 (1595 f.); insbesondere zu einer grundrechtlich gebotenen Beteiligung Drittbetroffener Raeschke-Kessler, Hilmar/Eilers, Stephan, NVwZ 1988, 37 (39 ff.). 291 Blümel, Willi, Masseneinwendungen im Verwaltungsverfahren, in: Schneider/Götz (Hrsg.), Festschrift für Werner Weber, 1974, S. 539 (560); Bethge, Herbert, NJW 1982, 1 (7); Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2163); ähnlich von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2156); Geist-Schell, Franz, Verfahrensfehler und Schutznormtheorie, 1988, S. 134 f. 292 So zusammenfassend Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 1982, 65 (67). 289
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behördlichen Entscheidungsfindung zu stärken.293 Betroffen im Sinne einer grundrechtlichen Beteiligungspflicht oder allgemein bezogen auf den Rechtsschutzauftrag des Verwaltungsverfahrens sind dann nicht allein Adressaten einer belastenden Maßnahme, sondern denkbarerweise auch Dritte, deren Interessen in den Abwägungsprozess einzubeziehen, deren Grundrechte also durch das und in dem Verfahren zu schützen sind.294 Parallel zu den Überlegungen, die im Rahmen der Frage nach dem (Grund-)Rechtsschutz durch Verfahren angestellt wurden, ergibt sich in diesem Fall ein notwendiger Grundrechtsschutz im Verfahren. Da es gerade das Verfahren ist, das den notwendigen Rechtsschutz der Bürger garantiert, muss wiederum das Verfahren dann vom materiellen Schutzbereich des betroffenen Grundrechts erfasst sein.295 Allein das Ergebnis eines solchen Verfahrens, die Verwaltungsentscheidung selber, als grundrechtsrelevant anzusehen, würde zu kurz greifen. Dies bedeutet, dass die grundrechtlich verbürgten Verfahrensrechte allgemein eine unerlässliche eigenständige Bedeutung in Bezug auf den Grundrechtsschutz gewinnen.296 Daher wird derart grundrechtsverbürgtes Verfahrensrecht als Ausfluss der staatlichen Schutzpflicht oder der allgemeinen Grundrechtsverwirklichungspflicht des Staats angesehen.297 Geltung erlangt diese Überlegung aber nicht allein in Bezug auf Beteiligungsrechte. Auch das Recht auf Begründung einer Entscheidung kann als derart bedeutend für den Rechtsschutz des Einzelnen angesehen werden, dass von einer grundrechtlichen Verbürgung auszugehen ist.298 Vereinzelt wird von einem aus dieser hier fruchtbar gemachten staatlichen Schutzpflicht folgenden Gebot oder der staatlichen Pflicht gesprochen, dass der Grundrechtsschutz durch die Ausgestaltung des Verfahrens zu optimieren sei.299 293
Insbesondere in Bezug auf die in diesen Fällen eingeschränkte nachträgliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle BVerfGE 84, 34 (46); BVerfGE 84, 59 (72); ähnlich auch BVerwGE 92, 132 (140 f.); Schulze-Fielitz, Helmuth, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 73; Laubinger, Hans-Werner, VerwArch 73 (1982), 60 (76). 294 Raeschke-Kessler, Hilmar/Eilers, Stephan, NVwZ 1988, 37 (39); allgemein in Bezug auf Unterschiede im Betroffenenkreis auf exekutiver und judikativer Ebene Degenhart, Christoph, DVBl. 1982, 872 (876). 295 Dolderer, Michael, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 252. 296 Pöcker, Markus, DÖV 2003, 980 (983). 297 Dolderer, Michael, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 246; soweit eine Regelung zur Beteiligung Betroffener fehle, sei eine „verfassungskonforme Ergänzung“ notwendig: Redeker, Konrad, NJW 1980, 1593 (1596 f.); von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2159), spricht von „Verfassungsaufträgen“; dass eine solche Ableitung aus objektiven Grundrechtsgehalten nicht zwingend bedeutet, dass hieraus keine subjektiven Rechte entstehen können, stellt Cornils, Matthias, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 567 ff., klar. 298 Deutlich u. a. BVerfGE 84, 34 (46 ff.). 299 Diese Auffassung kommt in den Sondervoten der Richter Hermann Heußner und Helmut Simon in dem Mühlheim-Kärlich-Beschluss, BVerfGE 53, 30 (70, 75), zum Ausdruck, kann jedoch wohl nicht die durch das BVerfG an das Verwaltungsverfahren gestellten Anforderungen wiedergeben; siehe hierzu mit Nachweisen Schmidt-Aßmann, Eberhard, Grundrechte als Organisations- und Verfahrensgarantien, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II § 45 Rdnr. 30 f.; zu Prinzipien, zu denen auch die Grundrechte
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Soweit unter einem solchen Optimierungsgebot eine durch das Grundgesetz aufgegebene Maximalforderung im Sinne einer im Einzelnen vorgegebenen prozeduralen Gewährleistung zu verstehen ist, kann eine solche den einzelnen Freiheitsrechten nicht entnommen werden.300 Gerade wenn das Verfahren divergierende Interessen mehrerer Betroffener in Ausgleich zueinander bringen soll, wird ein Optimierungsgebot bezogen auf den Grundrechtsschutz des Einzelnen weitgehend leerlaufen. In einem solchen Fall werden die verschiedenen Grundrechtspositionen durch das Verfahren gerade nicht optimiert, sondern das Verfahren dient der Abwägung mehrerer Grundrechtspositionen mit- und gegeneinander. Die Stärkung der Verfahrensposition des Dritten etwa kann häufig eine Schwächung der Sachposition des Adressaten einer Maßnahme – etwa eines Vorhabenträgers – nach sich ziehen.301 Die Entscheidung darüber, wie das Verfahren ausgestaltet werden muss, um eine solche Abwägung gewährleisten zu können, obliegt dem einfachen Gesetzgeber.302 Überwiegend wird daher vielmehr auf einen Mindeststandard des Verwaltungsverfahrens, der durch die Grundrechte vorgegeben sei, verwiesen.303 So ist es möglich, den Grundrechten gewisse allgemeine Grundsätze für das Verwaltungsverfahren zu entnehmen und hieraus notwendigerweise zu gewährende, zwingend grundrechtlich vorgegebene Verfahrensrechte zu folgern,304 ohne jedoch anzunehmen, dass sich daraus exakte Vorgaben für die einfachgesetzliche Ausgestaltung derartiger Rechte entnehmen lassen. Insbesondere gilt dies im Bereich der Beteiligungs- oder Teilhaberechte an einem Verwaltungsverfahren. Die verfassungsrechtlich garantierten materiellen Freiheitsrechte verlangen eine Einwirkungsmöglichkeit desjenigen, dessen Grundrechte durch das konkrete Verfahren
gezählt werden können, als Optimierungsgeboten insbesondere Alexy, Robert, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75, S. 104. 300 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 37 f.; im Ergebnis auch allgemein für grundrechtliche Gestaltungspflichten Cornils, Matthias, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 589 ff. 301 Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 520. 302 Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 1982, 65 (70); Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (209); allgemein zur Ablehnung eines Optimalprinzips der staatlichen Grundrechtsverwirklichungspflicht Dolderer, Michael, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 297 ff. 303 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (31); Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2163). 304 Solche allgemeinen Grundsätze stellen u. a. Denninger, Erhard, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatrechts, Bd. IX § 193 Rdnr. 59 ff.; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Grundrechte als Organisations- und Verfahrensgarantien, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II § 45 Rdnr. 9 ff.; Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2163 ff.), auf.
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berührt werden und der darin geschützt werden soll,305 auf Handlungen der Verwaltung und somit auf die Ausübung staatlicher Macht.306 (4) Einzelheiten grundrechtlicher Vorgaben Neben einem allgemeinen grundrechtlich verbürgten Recht auf Beteiligung am Verfahren entnehmen einige den Grundrechten darüber hinaus gehende, im Einzelnen ausgestaltete Rechte auf Akteneinsicht, Auskunft, Belehrung und sachkundige Vertretung.307 Eine solch weitgehende Annahme einzelner grundrechtlich determinierter Verfahrensvorschriften würde jedoch zu weit führen. Von dem allgemeinen Grundsatz, dass Betroffene an Verwaltungsverfahren zu beteiligen sind und ihnen eine Begründung der ergangenen Verwaltungsentscheidung zusteht, abgesehen, ist es Aufgabe des einfachen Gesetzgebers, Einzelheiten des Verfahrensablaufs auszugestalten – hierbei muss ihm ein gewisser Entscheidungsspielraum zukommen.308 Vielmehr ist es in der Tat, wie vielfach dargelegt, schwierig, den jeweiligen Grundrechten Einzelheiten zur konkreten Verfahrensausgestaltung oder Verfahrensmodellen zu entnehmen.309 Das gilt vor allem für mögliche Vorgaben der Grundrechte für die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrens. Die Grundrechte 305
Zu diesem Kreis derjenigen, deren Verfahrensrechte grundrechtlich verbürgt sein sollen, Geist-Schell, Franz, Verfahrensfehler und Schutznormtheorie, 1988, S. 134 f. m.w.N. 306 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Grundrechte als Organisations- und Verfahrensgarantien, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II § 45 Rdnr. 38; Kopp, Ferdinand, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 57. 307 Denninger, Erhard, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX § 193 Rdnr. 68 ff.; Geist-Schell, Franz, Verfahrensfehler und Schutznormtheorie, 1988, S. 140 ff.; vgl. auch die Aufzählung bei Laubinger, Hans-Werner, VerwArch 73 (1982), 74 f., der – an dieser Stelle unter der später bezweifelten Annahme der Richtigkeit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung – zwar die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers betont, allerdings weitreichende grundrechtlich abgesicherte Verfahrensrechte annimmt. 308 Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (241); siehe zu den Schwierigkeiten, die sich zudem aus grundrechtlich gebotenen Verfahrensrechten für den Fall ergeben würden, dass eine einfachgesetzliche Umsetzung bislang nicht erfolgt ist, Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (192 ff.); von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2158); dies betont zwar auch Laubinger, Hans-Werner, VerwArch 73 (1982), 74 f., allerdings unter recht detaillierter Aufzählung grundrechtlich vorgegebener Beteiligungs- und Anhörungsrechte. 309 So Denninger, Erhard, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX § 193 Rdnr. 32; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Grundrechte als Organisations- und Verfahrensgarantien, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II § 45 Rdnr. 32; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Grundrechtswirkungen im Verwaltungsrecht, in: Bender/Breuer/Ossenbühl/Sender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 225 (231); Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 456 (468); Gurlit, Elke VVDStRL70 (2011), 227 (241); auch das BVerfG hat keine Vorgaben für einzelne Verfahrensvorschriften aus den Grundrechten formuliert; selbst im Sondervotum der Richter Simon und Heußner im Mühlheim-Kärlich-Beschluss wird dargelegt, dass aus Art. 2 Abs. 2 GG keine Verfahrensgestaltung im Einzelnen herzuleiten sei; vgl. BVerfGE 53, 30 (77).
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selber – mit Ausnahme der speziell auf das (Gerichts-)Verfahren bezogenen grundrechtsgleichen Rechte, etwa Art. 103 Abs. 1 GG, enthalten keine Vorgaben über die Ausgestaltung eines sie sichernden oder zu ihrer Verwirklichung notwendigen Verfahrens. Auch kann auf der Ebene der Ausführung des Verwaltungsverfahrens im Einzelfall nicht jeder irgendwie geartete Verfahrensverstoß als Grundrechtsverletzung gewertet werden, der dann gegebenenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden könnte. In einem solchen Falle käme es tatsächlich zu der oben geschilderten, von manchen, die das grundrechtlich determinierte Verfahrensrecht ablehnen, gefürchteten Konsequenz, dass das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Verfahrensnormen weitgehend zu einer „Superrevisionsinstanz“ würde. Eine vollkommene verfassungsrechtliche Determinierung des Verwaltungsverfahrensrechts postuliert auch das Bundesverfassungsgericht selber nicht und betont vielmehr die grundrechtliche Verbürgung allgemeiner Grundsätze des Verfahrensrechts.310 Es sollen nur gewisse Verfahrensvorgänge und Verfahrensrechte grundrechtlich geboten sein, um den Schutz materieller Rechtspositionen sicherzustellen, so dass eine Verletzung derselben gleichzeitig ein Grundrechtsverstoß darstellen kann. Auch wenn man also von einer grundrechtlichen Determiniertheit zumindest in Bezug auf die grundsätzliche Einräumung von Beteiligungsrechten innerhalb des Verwaltungsverfahrens und eines Rechts auf Begründung ausgehen kann, sind hieraus noch keine konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens oder dessen Anwendung im Einzelfall gewonnen. Einzelne Verfahrensvorgänge und die während ihres Ablaufs eingeräumten Verfahrensrechte sind zumeist Teil eines gesamten Entscheidungsfindungsprozesses und können auch in ihrer Wirkung oder grundrechtlichen Verbürgung schwer gänzlich unabhängig voneinander betrachtet werden.311 Obgleich es, wie dargelegt, schwierig ist zu erkennen, welche Verfahrensnormen im Einzelnen in diesem Sinne vom Bundesverfassungsgericht eingeschätzt werden, können nicht alle Verfahrensnormen, welche die allgemeinen Verfahrensrechte – wie also ein grundrechtlich allgemein gebotenes Beteiligungsrecht – ausgestalten, als von den Grundrechten in ihren Einzelheiten vorgegeben angesehen werden. Ebenso unklar und durch den einfachen Gesetzgeber zu entscheiden bleibt, wer genau im Rahmen einer solchen grundrechtlich gebotenen Beteiligung in das Verwaltungsverfahren einzubeziehen ist. Zwar hat sich auch diese Einschätzung an der grundrechtlichen Betroffenheit zu orientieren; sie ist in ihrer genauen Ausgestaltung 310 BVerfGE 53, 30 (68): „Das bedeutet nicht, daß jeder Verfahrensfehler in einem atomrechtlichen Massenverfahren bereits als Grundrechtsverletzung zu beurteilen wäre“; vgl. u. a. auch BVerfGE 77, 381 (405 ff.), wonach es keinen grundrechtlich verbürgten Anspruch auf eine konkrete Verfahrensgestaltung gibt; siehe hierzu weiter Schmidt-Aßmann, Eberhard, Grundrechtswirkungen im Verwaltungsrecht, in: Bender/Breuer/Ossenbühl/Sender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 225 (240). 311 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Grundrechtswirkungen im Verwaltungsrecht, in: Bender/ Breuer/Ossenbühl/Sendler (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 225 (231).
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in Bezug auf einzelne Verfahren jedoch dem einfachen Gesetzgeber zu überlassen. Es muss also dabei bleiben, dass den Grundrechten zumindest dort, wo es für einen effektiven materiellen Grundrechtsschutz von Bedeutung ist, bestimmte Grundsätze, insbesondere was die Beteiligung Einzelner am Verfahren anbelangt, zu entnehmen sind. Die hiermit zwangsläufig verbundenen Unsicherheiten sind als Ausfluss der allgemeinen und weitgehenden Ausstrahlungswirkung der Grundrechte hinzunehmen. Zumindest kann einer solchen Kritik an der allgemeinen Aussage, dass aus dem Schutz der Grundrechte, die Möglichkeit zur Teilhabe am Verwaltungsverfahren folgen müsse, nicht mit der überschießenden Forderung nach einzelnen durch die Grundrechte zwingend vorgegebenen Verfahrensrechten begegnet werden. (5) Vom Grundrechtsschutz durch Verfahren unabhängige grundrechtsverbürgte Verfahrensrechte im deutschen Recht? Aus der bereits mehrfach beschriebenen traditionellen oder systemischen Konzentration auf den Schutz materieller Rechte folgt auch die allgemeine Zurückhaltung, weiter gehende Verfahrensrechte, insbesondere solche, die von der Verfassung vorgegeben und ihrer selbst wegen geschützt werden sollen, anzuerkennen. Werden solche Rechte hingegen akzeptiert, wird zumeist deren notwendige Rolle für den Schutz des jeweiligen materiellen Freiheitsrechts betont. Darüber hinaus lässt sich nun die Frage stellen, ob auch unabhängig von einem Grundrechtsschutz durch Verfahren Grundrechte im Verfahren zu schützen sind – ob also das deutsche Recht doch bereits eigenständige grundrechtsverbürgte Verfahrensrechte anerkennt. Zunächst kann nicht zuletzt unter Bezugnahme auf die in Art. 1 GG garantierten Menschenwürde ganz grundsätzlich gefordert werden, dass jedenfalls der verfahrensbetroffene Bürger nicht zu einem Objekt des Staats in dessen Entscheidungsprozess gemacht werden darf und somit in ein ihn betreffendes Verfahren einzubeziehen ist.312 Dies gilt unabhängig von der Beeinträchtigung von materiellen (Grund-)Rechtspositionen, die gegebenenfalls durch die Entscheidung selber hervorgerufen wird. Auch ein Bezug zu einer Gewähr der Richtigkeit der am Ende des Verfahrens stehenden Entscheidung steht hierbei nicht im Vordergrund. Inwiefern diesem kaum abzulehnenden Grundsatz, den Einzelnen nicht zu einem Objekt staatlicher Entscheidungsmechanismen machen zu dürfen, hingegen einzelne Verfahrensrechte des Verwaltungsverfahrens entnommen werden können, erscheint schwierig zu beantworten. Auch eine genaue Bestimmung darüber, wer in einem 312 Zwar auch in Bezug auf gerichtliche Entscheidungen, aber doch mit einer gewissen Allgemeingültigkeit BVerfGE 9, 89 (95): „… fordert die Würde der Person, dass über ihr Recht nicht kurzerhand von Obrigkeit wegen verfügt wird“; Denninger, Erhard, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX § 193 Rdnr. 67; Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (467), der BVerfGE 27, 1 (6), zitiert; Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2163); Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (282), auch mit Nachweisen zur Heranziehung der Menschenwürde für die Anerkennung von Verfahrensrechten in anderen Rechtssystemen; Remmert, Barbara, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 1.
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bestimmten Verfahren zu beteiligen ist, kann wohl im Einzelnen nicht unmittelbar dem Art. 1 GG oder den Grundrechten im Allgemeinen entnommen werden. Aus der Menschenwürdegarantie lassen sich allgemeine Forderungen an das gesamte Verwaltungsverfahren entnehmen, etwa Partizipation am und Fairness im Verfahren, ohne dass dies zwingend jedoch in einzelne Verfahrensregeln übersetzt werden könnte.313 Doch werden unabhängige Verfahrensrechte nicht allein aus materiellen Grundrechten hergeleitet; auch allgemeine Verfassungsgrundsätze werden hierfür herangezogen. Eine weiter reichende Beteiligung der Bürger wird teilweise unter Inanspruchnahme des Demokratieprinzips314 und damit zum Teil unabhängig von einer individuellen Betroffenheit in einem bestimmten Verwaltungsverfahren als allgemeiner Grundsatz des Verwaltungsverfahrens gefordert. Die Ableitung derartiger Rechte aus dem Demokratieprinzip wird jedoch verbreitet mit der Begründung abgelehnt, eine solche Verankerung von Beteiligungs- und Teilhaberechten einzelner Bürger stelle die demokratische Legitimationskette in Frage, nach der die Exekutive unter Kontrolle der Legislative und der Judikative mit der Gesetzesvollziehung betraut sei.315 Der durch schwindende materiell-rechtliche Determination eintretende Legitimationsverlust könne nicht durch spätere Beteiligung der Öffentlichkeit am Verwaltungsverfahren ausgeglichen werden.316 Namentlich Fritz Ossenbühl betont den Wert einer solchen Öffentlichkeitsbeteiligung „an sich“, will diese jedoch nicht unmittelbar im Demokratie- oder Rechtsstaatsprinzip verankern, sondern sieht eine Beteiligung des Bürgers am Verwaltungsgeschehen als ein „Gebot der Verwaltungsklugheit“ und insbesondere als Teil einer „Befriedungsfunktion“ des Verwaltungsverfahrens.317 Abgesehen von einem allgemeinen Recht auf Einbeziehung des Einzelnen in ihn betreffende staatliche Entscheidungsmechanismen, das aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG gefolgert werden kann, ist von einer materiellgrundrechtlichen Verankerung von Verfahrensrechten, die ohne ihre Bedeutung für den Schutz materieller Rechtspositionen anerkannt werden sollen, demnach in Deutschland nicht auszugehen.
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Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 125. Zu einer solchen Verankerung von Beteiligungsrechten, wenn auch im Ergebnis als Legitimationsgrundlage ablehnend, Schmitt Glaeser, Walter, VVDStRL 31 (1973), 179 (209 ff., insbes. 221 ff. und in Bezug auf eine Nicht-Betroffenen-Partizipation 227 ff.). 315 Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 (1973), 179 (214 ff.); Bethge, Herbert, NJW 1982, 1 (7). 316 Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466); eindringlich gegen eine „Demokratisierung“ des Verwaltungsverfahrens auch Blümel, Willi, „Demokratisierung der Planung“ oder rechtsstaatliche Planung?, in: Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 9 ff. 317 Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466). 314
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(6) Bedeutung der Prozessgrundrechte für das Verwaltungsverfahren Weiterhin könnten aber die sich unmittelbar auf das Verfahren beziehenden Rechte des Grundgesetzes – namentlich das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, die verfahrensrechtlichen Garantien bei der Freiheitsentziehung aus Art. 104 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 GG sowie die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG – von Bedeutung für die Ausformung und Ausführung des Verwaltungsverfahrens sein. Die unmittelbar für das Verfahren geltenden Grundrechte dienen ihrerseits wiederum der Verstärkung und Durchsetzung materieller Grundrechte,318 können also ebenfalls nicht als vollkommen eigenständige, um ihrer selbst willen existierende Verfahrensrechte angesehen werden. Dennoch entfalten sie gewisse speziell auf das Verfahren wirkende Garantien. Ihnen könnten somit genauere Vorgaben für die Ausgestaltung und Anwendung des Verfahrens entnommen werden, als dies durch die prozessrechtliche Komponente der materiellen Freiheitsgrundrechte der Fall ist. Zwar wird unter anderem das rechtsstaatliche Gebot rechtlichen Gehörs, dessen Garantie die Faktenpräsentation einschließen soll, vereinzelt auch zur verfassungsrechtlichen Verbürgung von Beteiligungsrechten im Verwaltungsverfahren angeführt.319 Zunächst richten sich diese prozessualen Grundrechte jedoch schon ihrem Wortlaut nach unmittelbar nur an das gerichtliche, nicht aber an das behördliche Verfahren.320 Auch lassen sich die für das Verwaltungsverfahren relevanten Grundsätze, etwa der notwendigen Verfahrensbeteiligung, bereits aus allgemeinen Verfassungsprinzipien, wie dem Rechtsstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 3, 19 Abs. 4, 28 Abs. 1 Satz 1 GG,321 aus der Menschenwürdegarantie oder aus einzelnen materiellen Grundrechten ableiten, ohne dass es hierfür eines Rückgriffs auf die sich an die Justiz richtenden grundrechtsgleichen Rechte bedürfte.322 Andererseits können die Prozessgrundrechte und insbesondere das Recht auf effektiven Rechtsschutz dann Wirkung für das Verwaltungsverfahren entfalten, wenn es gerade um eine Effektuierung des gerichtlichen Rechtsschutzes geht. Das Verwaltungsverfahren selbst muss derart ausgestaltet sein, dass ein sich eventuell anschließender gerichtlicher Rechtsschutz ermöglicht wird.323 So soll etwa die ausreichende Begründung eines belastenden Verwaltungsakts auch dazu dienen, dass 318 Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/ Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (184). 319 Schmidt-Preuß, Matthias, NVwZ 2005, 489 (489). 320 BVerfGE 101, 397 (404 f.); Bergner, Daniel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 114. 321 Dazu Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II § 26 Rdnr. 76; Kopp, Ferdinand, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 54 ff.; Laubinger, Hans-Werner, VerwArch 73 (1982), 60 (83 f.). 322 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 3, hier bezogen auf das Recht auf Anhörung im Verwaltungsverfahren. 323 Kopp, Ferdinand, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 148 ff.
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der Betroffene seine Verteidigung gegen diesen umfassend vorbereiten kann. Die ausreichende Begründung des Verwaltungsakts wird so zur notwendigen Voraussetzung für einen effektiven Rechtsschutz gegen denselben. Ähnliches gilt für den Anspruch eines Drittbetroffenen auf Hinzuziehung zu einem Verwaltungsverfahren. Die Beteiligung und damit der Zugang zu wichtigen Informationen, die das Verwaltungsverfahren betreffen, sichert hier auch die Möglichkeit des Dritten, gegebenenfalls – insbesondere vorläufigen – Rechtsschutz gegen eine Maßnahme zu erwirken.324 bb) Verfahrensgrundsätze aus allgemeinen Verfassungsprinzipien Neben einer grundrechtlichen Garantie gewisser Verfahrensrechte lassen sich auch aus verschiedenen allgemeinen Verfassungsprinzipien – insbesondere dem Rechtsstaats-, Sozialstaats- und Demokratieprinzip325 – Verfahrensgrundsätze ableiten, denen ein rechtmäßig ausgestaltetes und angewendetes Verwaltungsverfahren zu genügen hat, ohne dass sich hieraus zwingend einzelne Verfahrensrechte herauslesen lassen. Zwischen den einzelnen hier aufgezeigten Prinzipien ist nicht immer eine klare Trennung möglich – häufig lässt sich aus einem Verfahrensgrundsatz ein anderer folgern, oder die verschiedenen Verfahrensgrundsätze bedingen und ergänzen sich gegenseitig. (1) Verhältnismäßigkeit Zunächst ist es ein allgemeiner sich aus dem aus Art. 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 und 28 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleiteten Rechtsstaatsprinzip ergebender Grundsatz des deutschen öffentlichen Rechts, dass staatliches Handeln gegenüber dem Bürger verhältnismäßig, also zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein muss. Auch das Verwaltungsverfahren muss auf die Einhaltung dieses Grundsatzes angelegt sein.326 Hieraus werden vielfältige inhaltliche Vorgaben an das Verwaltungsverfahren abgeleitet. Zum einen wird als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Forderung an das Verfahren gestellt, dass es nicht unangemessen oder mit ungeeigneten,
324 Raeschke-Kessler, Hilmar/Eilers, Stephan, NVwZ 1988, 37 (40), beispielhaft entwickelt am Beschluss des OVG Münster vom 13. 2. 1985, NVwZ 1988, 74. 325 Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (155). 326 BVerfGE 60, 253 (295); BVerfGE 69, 1 (25); Sachs, Michael, in: Brandt/Sachs (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kapitel A Rdnr. 45; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, Einführung I Rdnr. 21; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 27 Rdnr. 31; Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 28.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
nicht erforderlichen oder unzumutbaren Mitteln betrieben werden darf.327 Auch die Effizienz der Verwaltung wird als Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsprinzips genannt.328 Andererseits soll dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedoch auch die verfassungsrechtliche Grenze etwa für effizienzsteigernde Verfahrensvorschriften oder für solche, die der Realisierung anderer Verwaltungsziele gelten, entnommen werden können. Es muss eine solche Regelung ein legitimes Ziel verfolgen, zur Erreichung dieses Ziels geeignet sein, die rechtsschützende Funktion des Verwaltungsverfahrens geringstmöglich einschränken und nicht zu einer unangemessenen oder unverhältnismäßigen Einschränkung des (Grund-)Rechtsschutzes durch Verfahren führen.329 Weiterhin wird betont, eine Verwaltungsentscheidung könne aber auch nur dann verhältnismäßig getroffen worden sein, wenn die von ihr Betroffenen beteiligt worden seien und der Sachverhalt ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei.330 Welche Entscheidung für den Einzelnen angemessen sei, lasse sich grundsätzlich nur feststellen, wenn dieser Einzelne auch in das Verfahren, das zu der jeweiligen Entscheidung geführt habe, eingebunden worden sei.331 Vor allem hieraus wird die Verbindung der Verhältnismäßigkeit als Verfahrensgrundsatz mit der Verhältnismäßigkeit der materiellen Entscheidung selbst deutlich.332 Der materielle Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wirkt sich damit unmittelbar auf die notwendige Ausgestaltung und Anwendung des Verwaltungsverfahrens aus. (2) Objektivität und Gleichbehandlung im Verfahren Weiterhin ist ein Verwaltungsverfahren objektiv durchzuführen. Dieser Verfahrensgrundsatz findet seine verfassungsrechtliche Verankerung in dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.333 Ein objektives Verfahren bedeutet zum einen, dass verfahrensmäßig alle Beteiligten gleichartig zu behandeln sind und nicht die Interessen einzelner Bürger oder die des Staats einseitig gewichtet werden dürfen.334 327
Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 93 f.; Grünewald, Benedikt, Die Betonung des Verfahrensgedankens im deutschen Verwaltungsrecht durch das Gemeinschaftsrecht, 2009, S. 53 f. 328 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 96 ff.; Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2168). 329 von Mutius, Albert, NJW 18982, 2150 (2158). 330 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 93. 331 Kopp, Ferdinand, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 58. 332 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 93, mit Verweis auf BVerwGE 34, 301 (309); BVerwGE 59, 253 (257 f.). 333 Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 29; Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2163). 334 BVerfGE 74, 94; Kopp, Ferdinand, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 166 ff.; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 100 ff.; Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2163).
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Andererseits richtet sich der Gleichheitssatz aber auch gegen die schematische Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte. Darüber hinaus schließt der Grundsatz der Objektivität auch die Beteiligung befangener Amtspersonen an einem Verwaltungsverfahren aus335 und ordnet allgemein die Unparteilichkeit der Verwaltung an.336 Dass es einem öffentlichen Amtsträger verwehrt bleiben soll, an solchen Entscheidungen mitzuwirken, die seine eigenen Interessen oder die seiner Angehörigen oder vergleichbarer Dritter betreffen, ist ein grundlegendes Prinzip einer fairen Verfahrensführung. Verfassungsrechtlich begründet wurde der Grundsatz im Laufe der Zeit mit unterschiedlichen allgemeinen Verfassungsprinzipien, wie der verfahrensmäßigen Gleichheit, dem Rechtsstaatsprinzip, aber auch als Ausfluss des notwendigen Grundrechtsschutzes durch Verfahren.337 Besondere Bedeutung erfahren sämtliche Aspekte des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Verwaltungsverfahren in Verfahren mit mehreren Beteiligten oder Betroffenen, in denen oftmals konträre Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen.338 Gerade hier obliegt es der Verwaltung, zum einen objektiv und fair alle Belange gegeneinander abzuwägen, aber damit zum anderen auch die unterschiedlichen Interessen ihrer Bedeutung nach unterschiedlich zu bemessen. Es sind jedoch in solchen Fällen vornehmlich die verfahrensrechtlichen Vorgaben und nur in begrenztem Maße diejenigen des materiellen Rechts, welche die Objektivität und Neutralität der Entscheidungsfindung sicherstellen können.339 (3) Transparenz und Vertrauensschutz Ebenfalls eine dem Rechtsstaatsprinzip zu entnehmende Vorgabe – teilweise in Verbindung oder Zusammenschau mit den dahingehenden Schutzwirkungen des in Rede stehenden materiellen Grundrechts340 – ist es, den Bürger zumindest in ein ihn betreffendes Verwaltungsverfahren einzubeziehen, so dass dieses für ihn einseh- und
335 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 111 ff., auch mit einer Zusammenfassung der historischen und aktuellen verfassungsrechtlichen Bezüge. 336 Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 32 ff. 337 Zu Letzterem insbesondere BVerfGE 53, 30 (74) – Mühlheim-Kärlich-Beschluss; allgemein zur Begründung von Mitwirkungsverboten Hill, Hermann, DVBl. 1983, 1 (3). 338 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 20, 22; Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2163). 339 Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 495 f.; Fehling, Michael, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 298; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 256 ff. 340 Blümel, Willi, „Demokratisierung der Planung“ oder rechtsstaatliche Planung?, in: Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 9 (23 ff.); Blümel, Willi, Masseneinwendungen im Verwaltungsverfahren, in: Schneider/Götz (Hrsg.), Festschrift für Werner Weber, 1974, S. 539 (540 ff.).
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in gewisser Weise vorhersehbar wird.341 Neben dem grundrechtlichen Gebot der Subjektstellung des Verfahrensbeteiligten lässt sich ein solches damit ebenfalls aus allgemeinen Verfassungsprinzipien ableiten. Auch zu einem Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips gehört es, dass der Bürger nicht mit für ihn vollkommen unverständlichen und unvorhersehbaren Entscheidungen konfrontiert wird.342 Unter den Begriffen der Transparenz und des Vertrauensschutzes werden in diesem Zusammenhang also solche verfahrensrechtlichen Grundsätze verstanden, die das Verfahren für einen Betroffenen in gewisser Weise berechenbar machen sollen. Der von einem Verfahren Betroffene soll durch Einblicke und Einbezug in das Verfahren vor überaschenden Entscheidungen der Verwaltung geschützt werden und das Handeln der Verwaltung sich für ihn verlässlicher darstellen. cc) Unionsrechtliche Vorgaben für das nationale Verfahrensrecht Neben der Annahme des grundrechtsgebotenen Verfahrensrechts haben heute vor allem europäische Vorgaben, die sich auf das nationale Verwaltungsverfahrensrecht auswirken, die Diskussion über eine Bedeutung unabhängiger Verfahrensrechte wieder angeheizt.343 Im Allgemeinen kommt dem Verwaltungsverfahren im europäischen Recht eine größere Bedeutung zu, als dies im deutschen Recht der Fall ist. Während in Deutschland die traditionelle Vorstellung besteht, dass es die gerichtliche Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit ist, welche die Richtigkeit einer Sachentscheidung garantiert, wird innerhalb des europäischen Rechts verstärkt die Funktion der Richtigkeitsgewähr durch das Verwaltungsverfahren betont, so dass ein korrekt durchgeführtes Verfahren zugleich auch auf die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung schließen lassen soll.344 Neben dem Einfluss, den das Unionsrecht im Rahmen der durch die Rechtsprechung des EuGH geprägten Vorgaben des Äquivalenzprinzips und des Effektivitätsgebots auf die Verfahrensgestaltungen der
341 Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 30; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 90; Kopp, Ferdinand, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 54 ff.; Grünewald, Benedikt, Die Betonung des Verfahrensgedankens im deutschen Verwaltungsrecht durch das Gemeinschaftsrecht, 2009, S. 52; siehe auch die Rechtsprechung des BVerfG hierzu, u. a. BVerfGE 45, 297 (330 ff.). 342 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 90 f.; Kopp, Ferdinand, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 131 ff. 343 Ekardt, Felix, Information, Partizipation und Rechtsschutz, 2010, S. 92 ff.; Hirsch, Günter, VBlBW 2000, 71 (74); Ziekow, Jan, NVwZ 2005, 263 (265 ff.); Schmidt-Preuß, Mathias, NVwZ 2005, 489 (492 ff.); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (859 ff.); Kahl, Wolfgang, Die Verwaltung 42 (2009), 463 (472 ff.). 344 Hirsch, Günter, VBlBW 2000, 71 (74); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (862); Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1083); ausführlich zu notwendigen Differenzierungen dieser allgemeinen Gegenüberstellung Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 116 ff.
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Mitgliedstaaten hat, finden sich insbesondere im Umweltrecht auch eigene inhaltliche Vorgaben für die Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten. (1) Äquivalenzprinzip und Effektivitätsgebot Es liegt weiter zum größten Teil an den Mitgliedstaaten, das durch die Europäische Union gesetzte materielle Recht im Rahmen des indirekten Vollzugs durch ihre eigene Verwaltung umzusetzen. Direkter Vollzug durch die Eigenverwaltung der Europäischen Union bleibt ein Ausnahmefall. Bestehen für den indirekten Vollzug keine eigenständigen unionsrechtlichen Verfahrensregeln – wie beispielsweise durch den Zollkodex und dessen Durchführungsverordnung für das Zollrecht – wenden die Mitgliedstaaten eigenes Verwaltungsverfahrensrecht an. Hierbei sind sie zumindest grundsätzlich autonom – ein unmittelbarer Rückgriff auf Prinzipien des Eigenverwaltungsrechts der Europäischen Union erfolgt generell nicht.345 Bei der Anwendung eigenen Verfahrensrechts im Rahmen des indirekten Vollzugs müssen die Mitgliedstaaten der Rechtsprechung des EuGH entsprechend jedoch sicherstellen, dass die sich aus dem europäischen Recht ergebenden Rechte ebenso durchgesetzt werden können wie solche des innerstaatlichen Rechts.346 Diesen als Äquivalenzprinzip bezeichneten Grundsatz hatte der EuGH zunächst auf die Ausgestaltung der gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten bei der Verletzung von innerstaatlichem und europäisch geprägtem Recht bezogen. Er lässt sich jedoch auf das Verwaltungsverfahren übertragen. Ähnliches gilt für das ebenfalls durch den EuGH entwickelte und nun in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegte Effektivitätsprinzip, wonach der Mitgliedstaat die Ausübung der aus dem europäischen Recht entstammenden Rechte nicht „praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“347 darf und alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der sich aus dem europäischen Recht ergebenden Pflichten ergreifen muss. Welche konkreten Vorgaben für das mitgliedstaatliche Verfahrensrecht aus beiden Grundsätzen folgen sollen, ist der
345 Nettesheim, Martin, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, in: Radelzhofer/Scholz/Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 447 (463); Schoch, Friedrich, Die europäische Perspektive des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 279 (302 ff.); Hegels, Susanne, EG-Eigenverwaltungsrecht und Gemeinschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 34 ff. und S. 86 ff.; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 108; Papier, Hans-Jürgen, DVBl. 1993, 809 (814). 346 Ständige Rechtsprechung der europäischen Gerichte; vgl. EuGH, Urteil vom 15. 4. 2010, Rs. C-542/08, Barth gegen Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Slg. 2010 I-03189, Rdnr. 19. 347 Ständige Rechtsprechung der europäischen Gerichte; vgl. EuGH, Urteil vom 15. 4. 2010, Rs. C-542/08, Barth gegen Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Slg. 2010 I-03189, Rdnr. 28.
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Rechtsprechung des EuGH oder dem europäischen Primärrecht allerdings nicht zu entnehmen.348 Mehr als auf die Gestaltung des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts als solche wirken sich die europäischen Gebote der Effektivität und der Äquivalenz auf die Regelung der Verfahrensfehlerfolgen aus, auf die in Kapitel 3 B. II. 1. eingegangen wird. Ähnliches gilt auch für denkbare Impulse, die sich aus dem in Art. 41 der Europäischen Grundrechtecharta geregelten europäischen Recht auf eine gute Verwaltung sowie aus der in diesem Zusammenhang ergangenen Rechtsprechung des EuGH ergeben können. (2) Inhaltliche Verfahrensregelungen durch das Unionsrecht Neben diesen allgemeinen Einwirkungen unionsrechtlicher Vorgaben gibt es in einigen spezifischen Bereichen – insbesondere ist hier das Umweltrecht zu nennen – auch direkte europäische Verfahrensregelungen, die zumeist durch europäische Richtlinien vorgegeben werden und in das nationale Recht integriert werden müssen. Aus dem europäischen Recht kommen vor allem Regelungen zur Information der Öffentlichkeit über und zu ihrer Integration in den Entscheidungsprozess. Beispiele für das Bestreben, die Öffentlichkeit, sowohl die betroffene als auch die allgemeine, vermehrt in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und ihr die umfassende Information über bestimmte Aspekte des Verfahrens zu ermöglichen, sind die durch die Richtlinie über die Umweltverträglichkeit bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL),349 die Richtlinie über die Umweltprüfung bestimmter Pläne und Programme350 und besonders durch die Richtlinie über den freien Zugang zu Umweltinformationen351 verliehenen Rechte. Diese europäischen Regelungen entstammen zumindest in ihrer heutigen Fassung selbst weitgehend der Pflicht zur Umsetzung der Aarhus-Konvention.352 Hierbei handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der die Rechte Einzelner auf Information und Partizipation im 348 Zu sich daraus ergebenden Schwierigkeiten für Verwaltung und Gerichte SchmidtAßmann, Eberhard, Die Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 487 (489 ff.). 349 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/ EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG. 350 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom 27. 6. 2001, RL 2001/42/EG, ABl. EU 2001 Nr. L 197/30. 351 Richtlinie des Rates über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt vom 7. 6. 1990, RL 90/313/EWG, ABl. EU 1990 Nr. L 158/56. 352 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. 6. 1998.
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Umweltrecht sowie die Klagemöglichkeiten in diesem Bereich ausweiten will. Unterzeichner der Aarhus-Konvention ist neben den einzelnen Mitgliedstaaten auch die Europäische Union selbst. Von dem europäischen Konzept der informierten Öffentlichkeit angestoßen wurden in Deutschland, zunächst bereichsspezifisch für das Umweltrecht und sodann vor allem durch die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes353 und der Mehrzahl der Länder354 auch allgemein weiter gehende Informationsrechte der Öffentlichkeit geschaffen. b) Verfahrensrechte im einfachen Verwaltungsverfahrensrecht Verfahrensrechte werden sowohl im VwVfG als auch in anderen spezielle Verwaltungsverfahren regelnden Gesetzen gewährt. Von besonderer Bedeutung sind hierbei, wie schon bei der Betrachtung der grundgesetzlichen und unionsrechtlichen Anforderungen an das Verwaltungsverfahren gesehen, solche Rechte, die den Einzelnen in das Verwaltungsverfahren einbeziehen, die also seine Beteiligung daran regeln oder der Verwaltung Informationspflichten aufgeben. aa) Rechte unmittelbar Betroffener, Drittbetroffener und der Öffentlichkeit Zumeist ist die Anerkennung spezifischer Verfahrensrechte innerhalb des Verwaltungsverfahrens an die Beteiligung an einem Verwaltungsverfahren und diese wiederum an eine Betroffenheit in Rechten, Interessen oder Belangen geknüpft. Der Begriff des „Betroffenen“ geht jedoch über den des „Beteiligten“ im Sinne des § 13 VwVfG hinaus, der eine Betroffenheit gar nicht explizit erwähnt. Während die Beteiligung erst durch eine gesetzliche oder behördliche Bestimmung begründet wird, ist die Betroffenheit als solche faktisch zu sehen.355 Auch derjenige, der von der Behörde zu einem Verwaltungsverfahren erst hinzuzuziehen ist, kann somit bereits als Betroffener gelten.356 Im Rahmen der einfachgesetzlichen Ausgestaltung einzelner Verfahrensrechte ist zunächst zu unterscheiden, ob es sich bei demjenigen, dem ein bestimmtes Recht gewährt wird, um den unmittelbaren Adressaten der Maßnahme der Verwaltung handelt oder ob ihm die Verfahrensrechte gewährt werden, weil eine anders geartete Betroffenheit anerkannt wird, es sich also um einen Dritten oder um einen Drittbetroffenen handelt. 353 Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG), BGBl. I, 2005, S. 2722. 354 Zum jetzigen Zeitpunkt haben elf Länder eigene Informationsfreiheitsgesetze verabschiedet; es fehlen Informationsfreiheitsgesetze jedoch noch in den Ländern Bayern, BadenWürttemberg, Hessen, Niedersachsen und Sachsen. 355 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 267. 356 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 9.
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Besonders im Immissionsschutzrecht, im Atomrecht und im Fachplanungsrecht werden auch Beteiligungsrechte Dritter teilweise als Kreis der „betroffenen Öffentlichkeit“ anerkannt. Darüber hinaus ist das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht im Sinne des § 9 VwVfG jedoch stark durch eine zweiseitige Beziehung der Verwaltung zu dem betroffenen Bürger geprägt.357 Solange keine notwendige Hinzuziehung nach § 13 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 VwVfG vorliegt, steht es nach § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG weitgehend im Ermessen der Behörde, einen Dritten in ein Verwaltungsverfahren einzubeziehen.358 Auch hier wird auf die Betroffenheit in rechtlichen Interessen durch den Ausgang des Verfahrens abgestellt; eine Betroffenheit in sonstigen Interessen genügt nicht. Etwas weiter gehen die Beteiligungsrechte in der Planfeststellung: Hier sind nach § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG diejenigen zu Einwendungen gegen den Plan befugt, deren Belange durch das Vorhaben berührt werden. Weiter gehen Verfahrensregelungen – insbesondere im Atomrecht –, die jedermann das Vorbringen von Einwendungen ermöglichen, ohne auf eine Betroffenheit in eigenen Belangen abzustellen. Hier wird es gar der breiten Öffentlichkeit oder Vertretern eines öffentlichen, nicht eigenen Interesses ermöglicht, an dem Verfahren teilzuhaben. Von der Anerkennung bestimmter Rechte innerhalb des Verwaltungsverfahrens gegebenenfalls sogar ohne eine rechtliche oder sonstige Betroffenheit ist stets die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung dieser Rechte zu unterscheiden. Von der Stellung als Beteiligter in einem Verwaltungsverfahren oder als derjenige, der Einwendungen gegen eine Verwaltungsentscheidung vorbringen kann, ist nicht auf eine Klagebefugnis bei der Verletzung eines solchen Rechts oder gar auf einen unmittelbaren Aufhebungsanspruch zu schließen.359 bb) Das Recht eines Dritten auf Hinzuziehung zum Verwaltungsverfahren Gerade weil die bedeutenden Verfahrensrechte des VwVfG an eine Beteiligtenstellung im Verfahren gekoppelt sind, ist die Anerkennung einer solchen Stellung für diejenigen, die sich durch ein Verwaltungsverfahren oder seinen Ausgang betroffen sehen, ohne Antragsteller, Antragsgegner oder späterer Adressat einer Maßnahme zu sein, entscheidend. Gemäß § 13 Abs. 2 VwVfG kann die Behörde diejenigen, deren Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, auf deren Antrag hin oder von Amts wegen zu dem Verfahren als Beteiligte hinzuziehen. Nach 357 Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 69; Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 17 f. und S. 511; Brohm, Winfried, DVBl. 1990, 321 (323); Schoch, Friedrich, Die Verwaltung 25 (1992), 20 (34 ff.). 358 Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 511. 359 BVerwGE 61, 256 (271); zur gerichtlichen Durchsetzung von Verfahrensrechten siehe Kapitel 4 B. I. 1. d) und Kapitel 4 B. II. 1. a) bb).
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Satz 2 der Vorschrift hat die Hinzuziehung auf Antrag desjenigen, für den der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung hat, zwingend zu erfolgen. Die Behörde hat in einem solchen Fall diese Personen über den Beginn des Verfahrens zu informieren, soweit sie ihr bekannt sind. Für eine derartige Beteiligung genügt die potenzielle Betroffenheit durch den Ausgang des Verfahrens, da eine tatsächliche Beeinträchtigung häufig erst im Laufe des Verfahrens festgestellt werden kann.360 In jedem Fall hat die Behörde nach § 13 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 VwVfG den ihr bekannten Betroffenen über die Einleitung des Verfahrens zu informieren, um ihm die Stellung eines Antrags auf seine Hinzuziehung zu ermöglichen. Ob jedoch erst die fälschliche Ablehnung eines Antrags auf Hinzuziehung oder bereits eine unterlassene Hinzuziehung von Amts wegen trotz ihrer Notwendigkeit einen Verfahrensfehler darstellt, der den Verwaltungsakt rechtswidrig macht, wird unterschiedlich beurteilt. Es wird teilweise angenommen, dass das Ermessen der Behörde über die Hinzuziehung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG dann auf Null reduziert sei, wenn der Verwaltungsakt rechtsgestaltende Wirkung gegenüber dem Dritten habe.361 Es besteht nach dieser Sichtweise auch dann ein Anspruch des Dritten auf Hinzuziehung, wenn er keinen Antrag gestellt hat. Andererseits wird aber auch in diesem Fall allein von der Möglichkeit der Verwaltung gesprochen, den Betroffenen von Amts wegen zu dem Verfahren hinzuzuziehen, ohne dass von einem hierauf bestehenden Anspruch ausgegangen wird.362 Wird in Folge der unterlassenen Hinzuziehung der Verwaltungsakt ihm gegenüber nicht bekannt gegeben, dann wird er ihm gegenüber nach Maßgabe des § 43 VwVfG jedenfalls auch nicht wirksam.363 Fehlerhaft ist das Verfahren bereits durch die unterlassene notwendige Hinzuziehung eines Betroffenen zu dem Verfahren und nicht erst durch die darauf folgende Nichtbeachtung von Beteiligungsrechten, wie das Unterlassen einer Anhörung.364 Ohne die Hinzuziehung zum Verfahren und die damit konstituierte Beteiligtenstellung in demselben stehen dem Dritten die ansonsten möglicherweise verletzten Verfahrensrechte – etwa das Recht auf Anhörung oder auf Akteneinsicht – schon gar nicht zu.365 360 Raeschke-Kessler, Hilmar/Eilers, Stephan, NVwZ 1988, 37 (39); Kopp, Ferdinand/ Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 39; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 271. 361 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 39, 47; Schnell, Martin, Der Antrag im Verwaltungsverfahren, 1986, S. 18 f. 362 Schmitz, Heribert, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 41; Ritgen, Klaus, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 48; Horn, Thomas, DÖV 1987, 20 (23 f.), der allerdings eine Ermessensreduzierung auf Null für die behördliche Entscheidung über die Hinzuziehung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG annehmen will, wenn dem tatsächlich Betroffenen ein Anhörungsrecht nach § 28 VwVfG einzuräumen ist. 363 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 281; Schmitz, Heribert, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 46. 364 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 268. 365 Horn, Thomas, DÖV 1987, 20 (22).
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cc) Beteiligungsrechte Wurde traditionell noch von einer weitgehend unter obrigkeitsrechtlicher Gewalt gegenüber dem Bürger entscheidenden Verwaltung ausgegangen, werden heute Beteiligungsmöglichkeiten Einzelner oder bestimmter Gruppen am Entscheidungsprozess der Verwaltung in weiten Bereichen anerkannt. Dem Bürger wird zugestanden, eine Position in diesem Verfahren einzunehmen und gestaltend, wenn auch nur selten tatsächlich mitbestimmend, an der behördlichen Entscheidungsfindung mitzuwirken.366 In der früheren Rechtsprechung kommt stark der Gedanke zum Ausdruck, eine Beteiligung des durch eine Verwaltungsentscheidung Betroffenen, sei vor allem darauf gerichtet, der Verwaltung eine möglichst umfassende Aufbereitung des Sachverhalts, auf dessen Grundlage sich eine richtige Entscheidung treffen lasse, zu ermöglichen.367 Dass die Beteiligung insbesondere eines Betroffenen dessen subjektive Rechtsposition schützen oder ihrer Verwirklichung zugutekommen sollte, wurde nicht als entscheidend angesehen. Von dieser Vorstellung wurde inzwischen vor allem mit Blick auf die Diskussion um die rechtsschützende Funktion des Verwaltungsverfahrens jedoch Abstand genommen. Es wird nunmehr davon ausgegangen, dass der Einbeziehung Einzelner oder der Öffentlichkeit in das Verfahren sowohl eine objektive, auf die umfassende Sachverhaltsaufklärung bezogene, als auch eine subjektive rechtsschützende Funktion zukommt.368 Die gestaltende Mitwirkung privater Personen am Verwaltungsverfahren erlangt ihre größte Bedeutung bei Abwägungsentscheidungen der Verwaltung, insbesondere im Rahmen der Planung und Zulassung von Vorhaben. Aber auch im einfachen Verwaltungsverfahren ist eine Einbindung des Betroffenen oder in begrenztem Maße auch weiterer Personen in den Entscheidungsprozess vorgesehen. (1) Das Recht auf Anhörung Als Mindestmaß der Einbindung Einzelner in das Verwaltungsverfahren kann die Anhörung der Beteiligten gesehen werden,369 die für das einfache Verwaltungsverfahren in § 28 VwVfG normiert ist. Hiernach ist eine Anhörung des Beteiligten grundsätzlich dann durchzuführen, wenn ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte des Beteiligten eingreift. Auch das Recht auf Anhörung ist somit vor allem 366 Zu insoweit „neuen Partizipationsformen“ in Abgrenzung von bereits früher anerkannten Formen der Beteiligung des Bürgers am Verwaltungshandeln Schmitt Glaeser, Walter, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (45 ff.). 367 Vgl. u. a. BVerwGE 41, 58 (63 ff.); BVerwGE 44, 235 (239 ff.). 368 Schmitt Glaeser, Walter, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (52); Haug, Volker/Schadtle, Kai, NVwZ 2014, 271 (272). 369 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 285; Schmitt Glaeser, Walter, VVDStRL 31 (1973), 179 (224).
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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auf die Sicherung materieller Rechtspositionen gerichtet. Schon im Verwaltungsverfahren soll dem Betroffenen ermöglicht werden, seine individuelle Rechtssphäre zu verteidigen. Darüber hinaus wird die Beteiligtenanhörung auch als bedeutendes Mittel zur möglichst umfassenden und eine materiell richtige Entscheidung ermöglichenden Sachverhaltsaufklärung gesehen.370 Aus der Voraussetzung eines in die Rechte des Beteiligten eingreifenden Verwaltungsakts wird gemeinsam mit der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zu § 28 VwVfG, in der es heißt, dass ein solcher Eingriff nur vorliegen soll, wenn „der vorhandene Rechtskreis des Beteiligten durch die Verwaltungsentscheidung beeinträchtigt wird (Umwandlung eines status quo in einen status quo minus), nicht jedoch schon dann, wenn die Entscheidung erst eine Rechtsposition gewähren soll“,371 gefolgert, dass eine Anhörung nur vor Erlass eines Verwaltungsakts in der Eingriffsverwaltung notwendig wird.372 Erweiternd geht hingegen ein Teil der Literatur davon aus, dass auch im Falle der Ablehnung eines Antrags im Sinne des § 28 Abs. 1 VwVfG der Rechtskreis des Beteiligten beeinträchtigt und damit eine Anhörungspflicht ausgelöst werde.373 Gerade weil das Recht auf Anhörung im Verwaltungsverfahren, das die eigenen Rechtspositionen berühre, als ein verfassungsrechtlich verbürgtes Mindestmaß an Verfahrensbeteiligung angesehen werden müsse,374 müsse von einem weitgehenden Verfahrensrecht auf Anhörung ausgegangen werden. Aus dieser grundlegenden Überlegung ergebe sich, dass die grundsätzliche Pflicht der Behörde, einen Beteiligten anzuhören, weit auszulegen sei, während die in § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG normierten Ausnahmen auch als solche behandelt werden müssten.375 Eine nur eingeschränkte Anerkennung des Anhörungsrechts würde gemeinsam mit den ohnehin weitreichenden Hei-
370 Zu beiden Funktionen der Anhörung Kallerhoff, Dieter/Mayen, Thomas, in: Stelkens/ Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 3 ff. und 7 ff.; Schoch, Friedrich, JURA 2006, 833 (834). 371 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/910, S. 51. 372 Hiervon geht die überwiegende Rechtsprechung aus; vgl. u. a. BVerwGE 66, 184 (186); BVerwGE 68, 267 (270). 373 Siehe nur Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 26 f. m.w.N.; Ritgen, Klaus, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 26; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 287; nunmehr im Unterschied zu der in der Vorauflage vertretenden Auffassung zumindest für die Ablehnung grundrechtlich fundierter Leistungsansprüche auch Kallerhoff, Dieter/Mayen, Thomas, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 32 ff. 374 Vgl. zu der Herleitung eines solchen verfassungsrechtlich und insbesondere grundrechtlich verbürgten Verfahrensminimums Kapitel 3 B. I. 1. a) aa) (3). 375 Zu einer strengen und im Einzelfall zu begründenden Anwendung der Ausnahmetatbestände der § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG kommen daher vor allem Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 304 ff.; vgl. auch Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar § 28 Rdnr. 46; Kallerhoff, Dieter/Mayen, Thomas, in: Stelkens/ Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 47 f.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
lungsmöglichkeiten im Falle einer unterbliebenen Anhörung nach § 45 VwVfG376 zu einer bedenklichen Verkürzung eines wesentlichen Bestandteils des rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens führen. Neben dem gänzlichen Unterlassen einer gebotenen Anhörung, etwa auch wegen fälschlicher Annahme, eine Anhörung könne ausnahmsweise unterbleiben,377 stellt insbesondere eine Anhörung, die nach den Umständen des jeweiligen Falls verspätet erfolgt, so dass dem Beteiligten keine tatsächliche Möglichkeit mehr gegeben wurde, auf den Entscheidungsprozess einzuwirken, einen Verfahrensfehler dar.378 Auch muss die Behörde die vorgebrachten Belange tatsächlich zur Kenntnis nehmen und in der Entscheidungsfindung berücksichtigen.379 Nicht verlangt wird hingegen eine umfassende Aufklärung über die Rechtsauffassung der Behörde. Vielmehr ist der Beteiligte zunächst zu den entscheidungserheblichen Tatsachen anzuhören.380 Allerdings ist zu bedenken, dass eine vollkommene Trennung zwischen Sach- und Rechtsfragen kaum möglich sein wird. Insbesondere in Fällen offener Entscheidungsprogramme bedingen die vorgetragenen Tatsachen gerade auch die rechtlichen Aspekte der Verwaltungsentscheidung.381 (2) Das Recht auf Beteiligung an der Sachverhaltsaufklärung Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Feststellung des Sachverhalts liegt dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß, der für Verfahren nach dem VwVfG in § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG niedergelegt ist, bei der zuständigen Behörde. Zwar „sollen“ nach § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG die Verfahrensbeteiligten an der Sachverhaltsermittlung mitwirken; ein eigener Anspruch auf eine Hinzunahme bei der Beweisaufnahme oder sonstigen Sachverhaltsermittlung besteht im nicht-förmlichen 376
Hierzu und zu einer möglicherweise verfassungsrechtlich gebotenen Begrenzung der Heilungsmöglichkeit Kapitel 3 B. II. 1. c) cc) (1) (c); vgl. auch die in diesem Zusammenhang geäußerten Bedenken bei Kallerhoff, Dieter, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 23. 377 Guckelberger, Annette, JuS 2011, 577 (578). 378 Vom Bundesverwaltungsgericht – in Bezug auf ein Planfeststellungsverfahren – bezeichnet als „substantielle Anhörung“: BVerwGE 75, 214 (227); Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 292; Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 45 m.w.N.; Schoch, Friedrich, JURA 2006, 833 (837). 379 BVerwGE 66, 111 (114). 380 Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 45; Ritgen, Klaus, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 49 ff.; Schoch, Friedrich, JURA 2006, 833 (836). 381 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 302, nennen beispielhaft die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes oder die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe; Ritgen, Klaus, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 53 f.; Kallerhoff, Dieter/Mayen, Thomas, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 28 Rdnr. 39.
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Verfahren nach § 9 ff. VwVfG jedoch nicht.382 Im förmlichen Verwaltungsverfahren ist ein solcher Anspruch hingegen in § 66 VwVfG vorgesehen. (3) Weitergehende Beteiligungsrechte aus besonderem Verfahrensrecht und Planfeststellungsrecht Insbesondere bezogen auf den Kreis der zu Beteiligenden weiter gehende Beteiligungsrechte sind bei Verfahren zur Zulassung oder Genehmigung komplexer Vorhaben, die typischerweise einen weiteren Personenkreis betreffen, vorgesehen. Nicht allein die im Sinne des § 13 VwVfG an einem Verfahren Beteiligten oder zu Beteiligenden werden hier in den Kreis derjenigen aufgenommen, die in das Verfahren einbezogen werden. Vielmehr soll es bestimmten Kreisen der Öffentlichkeit oder gar der Öffentlichkeit im Allgemeinen ermöglicht werden, ihre Bedenken gegen ein geplantes Vorhaben in das Verfahren, in dem über die Zulässigkeit eines solchen Vorhabens entschieden wird, einzubringen. (a) Individualbeteiligung und Verbandsbeteiligung Ist in Verfahrensregelungen die Rede von einer „Beteiligung der Öffentlichkeit“, wird zunächst davon ausgegangen, dass es um eine Beteiligung der einzelnen Bürger gehen soll, die zu dieser Öffentlichkeit gehören. Vereinzelt werden aber auch bestimmte Gruppen als solche zur Beteiligung an einem Verfahren berechtigt, teilweise unter Gleichstellung mit Einzelnen, teilweise unter Einräumung gesonderter Beteiligungsmöglichkeiten. Im Anhörungsverfahren des allgemeinen Planfeststellungsrechts nach § 73 Abs. 4 bis 7 VwVfG werden anerkannte Umweltschutzvereinigungen nunmehr den einzelnen Einwendungsberechtigten gleichgestellt. Das geschieht nicht durch eine explizite Nennung anerkannter Umweltvereinigungen, sondern durch deren abstrakte Beschreibung in § 73 Abs. 4 Satz 5 VwVfG als „Vereinigungen, die auf Grund einer Anerkennung nach anderen Rechtsvorschriften befugt sind, Rechtsbehelfe nach der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Entscheidung nach § 74 einzulegen“. § 63 BNatSchG regelt zudem Mitwirkungsrechte anerkannter Naturschutzvereinigungen für bestimmte Verfahren, ohne auf eine Betroffenheit im engeren Sinne zu verweisen. Im Gegensatz zu der Beteiligung einzelner Betroffener zielt die Beteiligung derartiger Vereinigungen nicht auf den Schutz bestimmter individueller Belange oder gar Rechtspositionen. Vielmehr sollen die Vereinigungen Belange des Umweltund Naturschutzes in das Verfahren einbringen und dafür Sorge tragen, dass die Behörden diese Belange hinreichend berücksichtigen.383
382 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 26 Rdnr. 8 f. und § 28 Rdnr. 18. 383 BVerwGE 87, 62 (70); BVerwGE 102, 358 (361).
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(b) Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit Wenn besondere Verfahrensvorschriften Einwendungsmöglichkeiten derjenigen vorsehen, die in ihren „Belangen“ betroffen werden können, geht diese Beteiligung über den klassischen Kreis der Verfahrensbeteiligten hinaus. Unter „Belangen“ werden in diesem Zusammenhang alle schutzwürdigen Interessen rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur verstanden.384 Im Gegensatz zu den Anforderungen, die an die Klagebefugnis eines Betroffenen gestellt werden, muss für die Einwendungsberechtigung nicht unmittelbar eine subjektive Rechtsposition durch das Vorhaben möglicherweise verletzt sein; vielmehr ist auch eine mittelbare Betroffenheit in den beschriebenen Belangen ausreichend.385 Regelmäßig wird die Beteiligung zunächst durch die zwingende Bekanntgabe des Vorhabens und die öffentliche Auslegung der Anträge und Unterlagen, die das Vorhaben betreffen, eröffnet. Es schließt sich dann die Möglichkeit an, Einwendungen gegen die dargelegten Pläne zu erheben.386 Der Umgang mit erhobenen Einwendungen ist im Fachplanungsrecht und im Planfeststellungsverfahren nach dem VwVfG nicht gänzlich gleichförmig geregelt. Eine derartige Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben und Einwendungen zu erheben, ist im Planfeststellungsverfahren für Betroffene und nunmehr auch für die diesem insoweit gleichgestellten anerkannten Umweltschutzvereinigungen in den § 73 Abs. 4 bis 7 VwVfG bestimmt. Im Planfeststellungsverfahren nach dem VwVfG ist im Rahmen des Anhörungsverfahrens auch die Erörterung der abgegebenen Stellungnahmen und erhobenen Einwendungen zwischen Behörde, Vorhabenträger und Betroffenen sowie den anerkannten Umweltschutzvereinigungen nach § 74 Abs. 6 VwVfG weiterhin vorgesehen. Dieser so genannte Erörterungstermin war im Fachplanungsrecht durch das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz387 weitestgehend in das pflichtgemäße Ermessen der Anhörungsbehörde gestellt worden.388 Eine Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit sieht insbesondere auch § 9 UVPG für solche Vorhaben vor, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfung
384
Vgl. VGH Kassel NVwZ 1986, 680 (681); Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 73 Rdnr. 72; Neumann, Werner/Külpmann, Christoph, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 73 Rdnr. 71. 385 BVerwGE 127, 95 (102), verweist in diesem Zusammenhang auf Art. 14 Abs. 1 GG, der auch vor mittelbaren Beeinträchtigungen des Eigentums schütze; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 73 Rdnr. 75 f.; Neumann, Werner/Külpmann, Christoph, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 73 Rdnr. 71. 386 Überblick über den allgemeinen Ablauf eines Beteiligungsverfahrens bei Bunge, Thomas, Beteiligung im umweltbezogenen Verwaltungs- und vergleichbaren Verfahren, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 2010, § 2 Rdnr. 16. 387 Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren und Infrastrukturvorhaben vom 9. 12. 2006, BGBl. I, 2833. 388 Vgl. beispielsweise § 17a Nr. 5 FStrG, § 18a Nr. 5 AEG, einschränkend § 10 Nr. 5 LuftVG.
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vorgeschrieben ist. Auf die Anforderungen des Anhörungsverfahrens nach den Regelungen des VwVfG zum Planfeststellungsverfahren wird hier verwiesen. Allerdings ist es der Planungsbehörde im allgemeinen Planfeststellungsrecht sowie im Fachplanungsrecht häufig möglich, das Planfeststellungsverfahren, das ein förmliches Anhörungsverfahren umfasst, durch ein Plangenehmigungsverfahren zu ersetzen. Dies wurde zunächst durch das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz389 im Fachplanungsrecht und durch das Planungsvereinheitlichungsgesetz390 nunmehr auch im Verfahren nach dem VwVfG selbst dann möglich, wenn die Planung eine nur unwesentliche Beeinträchtigung von Rechten anderer besorgen lässt. Zuvor sah § 75 Abs. 6 VwVfG a.F. eine Ersetzung des Planfeststellungsverfahrens durch die Plangenehmigung nur dann vor, wenn keine Belange Dritter beeinträchtigt wurden. Nicht möglich ist die Ersetzung allerdings nach dem neuen § 74 Abs. 6 Nr. 3 VwVfG, wenn andere Rechtvorschriften für das Vorhaben eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne des Planfeststellungsverfahrens anordnen. Gezielt wird hierbei vornehmlich auf UVP-pflichtige Vorhaben, für die eine solche Öffentlichkeitsbeteiligung in § 9 UVPG angeordnet wird. (c) Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit Vereinzelt ist es darüber hinaus gar vorgesehen, dass jedermann Einsicht in Unterlagen erlangen sowie Einwendungen gegen bestimmte Vorhaben vorbringen kann, ohne eine Betroffenheit in bestimmten Belangen geltend machen zu müssen. Von derartigen Einsichts- und Einwendungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit ohne Einschränkungen auf eine Betroffenheit spricht zunächst § 10 Abs. 3 BImSchG für das förmliche immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren. Ebenso ist die gesamte Öffentlichkeit grundsätzlich zur Beteiligung am atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 7 AtomG berechtigt. Näher ausgestaltet ist das zur Beteiligung der Öffentlichkeit hier anzuwendende Verfahren gemäß § 7 Abs. 4 AtomG in den §§ 4 bis 7a AtomverfahrensVO. Schließlich ist die Öffentlichkeit auch im gentechnikrechtlichen Genehmigungsverfahren der §§ 8, 14 Abs. 1 GenTG in bestimmten Fällen im Rahmen eines Anhörungsverfahrens zu beteiligen. Die Voraussetzungen sind in § 18 GenTG i.V.m. der Gentechnik-Anhörverordnung (GenTAnhV) geregelt. (4) Bedeutung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 VwVfG Mit dem Planungsvereinheitlichungsgesetz vom 31. 5. 2013 wurde erstmalig eine Regelung zur frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in das VwVfG aufgenommen. Die Einführung der Regelung kann als Reaktion auf die Kritik an dem ursprünglichen 389
Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren und Infrastrukturvorhaben vom 9. 12. 2006, BGBl. I, 2833. 390 Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren vom 31. 5. 2013, BGBl. I, 1388.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Gesetzesvorhaben gesehen werden, das zunächst primär die Eingliederung von bestimmten Regelungen, die durch das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz in verschiedene Fachgesetze eingeführt worden waren, in das VwVfG zum Ziel hatte. Dem ursprünglichen Gesetzesprojekt wurde, vor allem mit Verweis auf die Proteste gegen das Vorhaben „Stuttgart 21“, vorgehalten, dem Bedürfnis nach einer verstärkten Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Planung und Zulassung von Großvorhaben nicht zu genügen.391 Die aufgenommene Regelung sieht nunmehr eine Obliegenheit der Behörde vor, gegenüber dem Träger eines Vorhabens, das nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten haben könnte, auf eine frühe, im Vorfeld des eigentlichen Verwaltungsverfahrens durchzuführende Öffentlichkeitsbeteiligung hinzuwirken. Ziel ist gemäß § 25 Abs. 3 VwVfG, die von einem geplanten Vorhaben betroffene Öffentlichkeit in einem frühen Stadium der Planung über die möglichen Auswirkungen des Vorhabens, aber auch die damit verfolgten Ziele sowie die zur Verwirklichung eingesetzten Mittel zu informieren und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Regelung enthält weder eine Definition dessen, was unter der „betroffenen“ Öffentlichkeit verstanden werden soll, noch, wie das Verfahren des Hinwirkens auf eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung oder deren Durchführung im Einzelnen auszusehen hat. Es ist somit davon auszugehen, dass der Behörde bei ihrem Hinwirken auf eine solche Beteiligung ein weites Verfahrensermessen zukommt.392 Da eine Verpflichtung des Vorhabenträgers zur Durchführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 VwVfG nicht vorgesehen ist, hat auch das Unterlassen einer solchen nicht etwa unmittelbar die Rechtswidrigkeit des sich anschließenden Verfahrens zur Folge. Auch eine unterlassene Hinwirkung der Behörde auf eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung zieht aus diesem Grund nicht die Rechtswidrigkeit der im folgenden Verfahren getroffenen Verwaltungsentscheidung nach sich393 oder stellt zwar einen Verfahrensfehler dar, der dann aber regelmäßig nach § 46 VwVfG unbeachtlich sein wird.394 Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes bei einem fehlerhaft durchgeführten Verwaltungsverfahren spielt das Verfahren der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in der Form ihrer jetzigen Regelung daher kaum eine Rolle. Die frühzeitige Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit kann vielmehr als eine der Mediation im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens oder 391 Zu der Diskussion im Vorfeld der Einführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung, die hier nicht ausführlich dargestellt werden kann, siehe nur Birk, Hans-Jörg, DVBl. 2012, 1000 ff.; Schmitz, Heribert/Prell, Lorenz, NVwZ 2013, 745; Ziekow, Jan, NVwZ 2013, 754; vgl. auch die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/9666, S. 1 f., S. 13 f. 392 Schmitz, Heribert/Prell, Lorenz, NVwZ 2013, 745 (747). 393 So Schmitz, Heribert/Prell, Lorenz, NVwZ 2013, 745 (747); wohl auch Birk, Hans-Jörg, DVBl. 2012, 1000 (1002), der die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung als „fakultatives Verfahren“ bezeichnet; Hertel, Wolfram/Munding, Christoph-David, NJW 2013, 2150 (2152), sprechen von einem „unverbindlichen […] Verfahren“ und von einem Entscheidungsspielraum der Behörde, der „nicht justiziabel“ sei. 394 So Ziekow, Jan, NVwZ 2013, 754 (759 f.).
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gar im Vorfeld eines Verfahren gleichkommende Form der Vermeidung oder Schlichtung von Konflikten angesehen werden, die durch ein Vorhaben möglicherweise auftreten würden. Die betroffene Öffentlichkeit soll bereits während der laufenden Planung des Vorhabenträgers einbezogen werden und nicht erst im Verwaltungsverfahren nach der Einreichung der Planungsanträge.395 Eine obligatorische Beteiligung der Öffentlichkeit vor der Antragstellung – etwa in einem dem Planfeststellungsverfahren vorgelagerten Raumordnungsverfahren396 – ist gemäß § 25 Abs. 3 Satz 5 VwVfG ohnehin vorrangig, und Beteiligungsrechte nach anderen Vorschriften bleiben überdies gemäß Satz 6 der Regelung unberührt. dd) Informationsrechte Grundsätzlich gilt im Verwaltungsverfahren der Untersuchungsgrundsatz des § 24 Abs. 1 VwVfG. Die Verwaltung hat danach zu bestimmen, wie sie die Informationen, die sie für erheblich hält, ermittelt und bewertet.397 Ein Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz an sich begründet keine selbstständige Verfahrensposition des Betroffenen.398 Andererseits muss auch oder gerade in diesem System der grundsätzlich freien behördlichen Informationsbeschaffung das Recht der von dem Verwaltungsverfahren Betroffenen beachtet werden, in den Informationsbeschaffungsprozess eingebunden zu werden.399 Zum einen entstehen so Beteiligungsrechte. Aber auch Informationsrechte über den Kenntnisstand der Behörde sind den Betroffenen zuzugestehen.
395 Ziekow, Jan, NJW-Beilage 2012, 91 (92); vgl. auch die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/9666, S. 2. 396 Hertel, Wolfram/Munding, Christoph-David, NJW 2013, 2150 (2151), weisen darauf hin, dass daher gerade bei den größten und umstrittensten Vorhaben keine Änderung der Rechtslage eingetreten sei. 397 Gusy, Christoph, Informationsbeziehungen zwischen Staat und Bürger, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 23 Rdnr. 39; hieraus können sich auch Informationspflichten bestimmter Personen ergeben, wie bereits § 26 Abs. 2 VwVfG vorsieht; darüber hinaus gehende Pflichten müssen jedoch nach § 26 Abs. 2 Satz 3 VwVfG spezialgesetzlich angeordnet sein. 398 BVerwG, NVwZ 1999, 535 (536); allerdings kann eine unvollständige Sachverhaltsaufklärung insbesondere bei offenen Entscheidungsprogrammen zu einem Abwägungsfehler führen, auf den sich der Betroffenen in Bezug auf die Abwägung eigener Belange durchaus berufen kann, hierzu Ritgen, Klaus, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 24 Rdnr. 92; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 24 Rdnr. 36 f. 399 Kallerhoff, Dieter/Fellenberg, Frank, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 24 Rdnr. 4.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
(1) Das Recht auf Akteneinsicht Als „Grundnorm des Informationsverwaltungsrechts“400 und als aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten notwendiger Bestandteil eines Verwaltungsverfahrens401 stellt das Akteneinsichtsrecht sicher, dass den Beteiligten eigene Verfahrenshandlungen, gegründet auf die der Behörde zur Verfügung stehenden Informationen, überhaupt erst möglich werden.402 Ein Akteneinsichtsrecht wird zunächst im einfachen Verwaltungsverfahren durch § 29 VwVfG nur den Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 13 VwVfG eingeräumt. Für das Planfeststellungsverfahren verweist § 75 Abs. 1 VwVfG auf § 29 VwVfG, allerdings mit der Maßgabe, dass Akteneinsicht nur nach pflichtgemäßem Ermessen zu gewähren ist. Ähnliche Vorschriften finden sich in besonderen verfahrensrechtlichen Regelungen – etwa für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren in § 10a der 9. Verordnung zur Durchführung des Immissionsschutzgesetzes (9. BImSchV). Bereichsspezifisch sind auch weitergehende Akteneinsichts- oder Informationsrechte in Spezialgesetzen vorgesehen.403 Das Akteneinsichtsrecht ist bereits durch seinen Bezug zu einer Verfahrensbeteiligung und dem Wortlaut des § 29 Abs. 1 VwVfG entsprechend, der eine Akteneinsicht für die Fälle anordnet, in denen die Kenntnis der Akten zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen der Beteiligten notwendig ist, als dienend in Bezug auf materiell-rechtliche Rechtspositionen konstruiert. Es ist an das konkrete Entscheidungsverfahren gekoppelt und soll dem Verfahrensbeteiligten die Durchsetzung seiner subjektiv-öffentlichen Rechte ermöglichen.404 Um einen Anspruch auf Akteneinsicht zu begründen, muss die Einsichtnahme gerade für die Geltendmachung eines rechtlichen Interesses erforderlich sein. Ein solches rechtliches Interesse ist nach der Gesetzesbegründung für das Verwaltungsverfahrensgesetz dann gegeben, wenn die Einsichtnahme dazu dient, „eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruches zu erhalten.“405 400 Gusy, Christoph, Informationsbeziehungen zwischen Staat und Bürger, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 23 Rdnr. 44. 401 Kallerhoff, Dieter, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 29 Rdnr. 1 f.; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 29 Rdnr. 1, 2; vgl. zu der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Akteneinsicht auch VGH München, NVwZ 1990, 775 (777 f.). 402 Ritgen, Klaus, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 29 Rdnr. 12 ff. 403 Siehe hierzu die Übersicht bei Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 29 Rdnr. 7 ff. 404 Gusy, Christoph, Informationsbeziehungen zwischen Staat und Bürger, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 23, allgemein in Bezug auf Informationsrechte innerhalb des Verwaltungsverfahrens in Rdnr. 33 und im Speziellen in Bezug auf das Akteneinsichtsrecht in Rdnr. 44. 405 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/910, S. 53.
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§ 29 Abs. 2 VwVfG sieht schließlich in den dort genannten drei Fallgestaltungen Ausnahmen vor, in denen kein Recht auf Akteneinsicht besteht. Eine vollkommene Verweigerung des Akteneinsichtsrechts ist ebenso fehlerhaft und führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts,406 der in der Sache erlassen wird, wie eine Verkennung oder zu weite Auslegung der Ausnahmetatbestände.407 Fehlerhaft in Bezug auf das Akteneinsichtsrecht der Beteiligten kann ein Verwaltungsverfahren auch dann sein, wenn die Behörde die relevanten Akten nicht ordnungsgemäß geführt hat – aus dem Akteneinsichtsrecht folgt so mittelbar ein Gebot der Aktenvollständigkeit und -wahrheit.408 (2) Der freie Zugang zu behördlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) Im Gegensatz zu einem an den Beteiligungs- oder Betroffenheitsbegriff gekoppelten Informationszugang erhält durch § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG und die entsprechenden Vorschriften der Ländergesetze „jedermann“ ohne Berührung materieller Rechtspositionen409 einen Zugangsanspruch zu bestimmten Behördeninformationen. Vor Inkrafttreten des IFG war ein solches Zugangsrecht allein bereichsspezifisch, etwa durch § 3 Abs. 1 Satz 1 Umweltinformationsgesetz im Umweltrecht vorgesehen. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist der allgemeine Informationszugangsanspruch nunmehr an keine positiven Voraussetzungen mehr gebunden. Der Zugangsanspruch kann jedoch dann eingeschränkt sein, wenn nach den „negativen Anspruchsvoraussetzungen“410 der §§ 3 bis 6 IFG andere öffentliche oder private Belange entgegenstehen. Der Zugangsanspruch zu behördlichen Informationen aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG des Bundes und den entsprechenden Ländergesetzen kann somit – zumindest wenn man von einem weiten Verfahrensbegriff ausgeht411 – als Inbegriff eines eigenständigen und von einer Sachentscheidung unabhängigen Verfahrensrechts angesehen werden. Der Anspruch bezieht sich nicht auf die in einem konkreten Verwaltungsverfahren zu treffende Sachentscheidung und soll nicht etwa deren Findung 406 Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 55. 407 Vgl. die Zusammenfassung der Fehler in Bezug auf die Akteneinsicht bei Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 397. 408 Schneider, Jens-Peter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 52; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 381 ff.; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 29 Rdnr. 1b f. 409 Schoch, Friedrich, IFG Kommentar, § 1 Rdnr. 16. 410 Schoch, Friedrich, IFG Kommentar, § 1 Rdnr. 24; Rossi, Matthias, Handkommentar IFG, § 1 Rdnr. 27. 411 Dazu in diesem Zusammenhang Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 225 f.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
dienen. Vielmehr existiert er um seiner selbst willen und ohne Bezug zu einem konkreten Verwaltungsverfahren.412 ee) Das Recht auf eine hinreichende Begründung Im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht sieht § 39 Abs. 1 VwVfG eine Begründungspflicht für schriftliche und elektronische sowie derart bestätigte Verwaltungsakte vor. Für das förmliche Verwaltungsverfahren ist die Begründungspflicht in § 69 Abs. 2 Satz 1 VwVfG geregelt. Diese Vorschrift gilt gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwVfG auch für das Planfeststellungsverfahren. In diesen beiden Fällen sind die in § 39 Abs. 2 VwVfG vorgesehenen Ausnahmen von der Begründungspflicht nur sehr eingeschränkt anwendbar. Darüber hinaus sind in zahlreichen Fachgesetzen ergänzende Regelungen zur Begründung von Verwaltungsentscheidungen zu finden. Inhaltlich erfordert die hinreichende Begründung von Verwaltungsentscheidungen im deutschen Recht, dass die Behörde die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe für ihre Entscheidung darlegt. Gemeint sind damit diejenigen Gründe, welche die Behörde bei ihrer Entscheidungsfindung tatsächlich zu Grunde gelegt hat, und nicht zwingend solche, welche die Entscheidung auch materiellrechtlich tragen würden.413 Da dem Betroffenen im konkreten Fall ermöglicht werden soll, die Verwaltungsentscheidung nachzuprüfen, darf sich die Begründung nicht in generellen Formulierungen oder gar in der Verwendung von allgemeinen Textbausteinen erschöpfen.414 Im Falle von Ermessensentscheidungen sollen415 zudem die Erwägungen genannt werden, welche die Behörde bei ihrer Ermessensausübung herangezogen hat. Hierdurch wird auch für die möglicherweise nachfolgende Gerichtskontrolle der Entstehungsprozess der Ermessensentscheidung nachvollziehbar und verstärkt kontrollierbar gemacht.416
412 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 227. 413 Kischel, Uwe, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, S. 2 ff. und S. 9. 414 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 39 Rdnr. 18. 415 Trotz dieser Formulierung als Soll-Vorschrift wird davon ausgegangen, dass nur in Ausnahmefällen von den Vorgaben des § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG abgewichen werden kann; dazu nur OVG Hamburg, GewArch 1983, 193 (194); OVG Lüneburg, NJW 1984, 1138 (1139); VGH München, NJW 2011, 326 (328); Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 488; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 39 Rdnr. 25; Stelkens, Ulrich, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 39 Rdnr. 66; Towfigh, Katharina, Die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsentscheidungen nach dem deutschen und englischen Recht und ihre Europäisierung, 2007, S. 32 ff. 416 Dazu schon BVerfGE 6, 32 (44); OVG Münster, NJW 1989, 478 (479), zu der Begründungspflicht nach § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X, die als zwingende Vorgabe formuliert ist; Hoffmann-Riem, Wolfgang, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 10 Rdnr. 34; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 39 Rdnr. 26.
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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Nicht nur die Anhörung des Betroffenen, sondern auch die Begründung einer Verwaltungsentscheidung kann maßgeblich zu einer gesteigerten Akzeptanz der Entscheidung beitragen. Weiß der Betroffene um die Gründe der Behörde, wird die Entscheidung selbst bei für ihn negativem Ausgang verständlicher. Zugleich kann damit eine gewisse Befriedungsfunktion durch eine hinreichende Begründung erreicht werden.417 Besonders im Hinblick darauf sind auch die Ausnahmen von der Begründungspflicht nach § 39 Abs. 2 VwVfG restriktiv auszulegen.418 ff) Rolle der Umweltverträglichkeitsprüfung im System der Verfahrensrechte Die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung hat zunächst allgemein zu einer weitergehenden Beteiligung der Öffentlichkeit an Verfahren geführt, die über die Zulässigkeit bestimmter Vorhaben419 entscheiden. Insoweit werden durch die Umsetzung der Aarhus-Konvention und der hiermit zusammenhängenden europäischen Rechtsakte dem deutschen Verwaltungsrecht bereits im Grundsatz bekannte Verfahrensrechte erweitert. Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, ob auch die – korrekte – Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung an sich als ein Recht der Öffentlichkeit oder der anerkannten Umweltvereinigungen bezeichnet werden kann. Ziel der Umweltverträglichkeitsprüfung ist es, die Umweltauswirkungen eines bestimmten Vorhabens zu identifizieren, zu beschreiben und zu bewerten. Die eigentliche Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens, etwa im Rahmen des Planfeststellungs- oder Baugenehmigungsverfahrens, soll zwar die durch die Umweltverträglichkeitsprüfung gewonnenen Ergebnisse berücksichtigen. Der genaue Stellenwert, der den ermittelten Umweltbelangen hierbei eingeräumt wird, ist jedoch eine Frage des allgemeinen materiellen Abwägungsgebots. Die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung an sich wird damit als reines Verfahrenselement verstanden, ohne dass hieraus materiell-rechtliche Vorgaben für die Abwägung im Rahmen einer Planungsentscheidung erwachsen würden.420 Inwieweit nun die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung im Allgemeinen als eigenständiges Verfahrensrecht bezeichnet werden kann und wem dieses 417
Stelkens, Ulrich, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 39 Rdnr. 1. Dies wird allgemein angenommen; siehe nur Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 478; Stelkens, Ulrich, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 39 Rdnr. 74 f.; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 39 Rdnr. 32. 419 Auf die nicht für die Genehmigung einzelner Vorhaben anzuwendende, sondern planund programmbezogene strategische Umweltprüfung nach Maßgabe der Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom 27. 6. 2001, RL 2001/42/EG, ABl. EU 2001 Nr. L 197/30, wird in diesem Rahmen nicht gesondert eingegangen. 420 Hierzu insbesondere BVerwGE 100, 370 (376); BVerwGE 104, 236 (242 ff.); vgl. auch die Begründung zum Regierungsentwurf für das Planungsvereinfachungsgesetz, BT-Drucks. 12/4328, S. 18, und die Begründung zum Regierungsentwurf für das UVPG, BT-Drucks. 11/ 3191, S. 27. 418
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
gegebenenfalls im Einzelnen zusteht, hängt vor allem mit der Beurteilung der Folgen einer fehlerhaften oder unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung sowie mit der Einklagbarkeit eines derartigen Fehlers zusammen. Die Frage nach der Bedeutung der Umweltverträglichkeitsprüfung im System der deutschen Verfahrensrechte wird vorliegend daher erst im Laufe der Untersuchung des deutschen Fehlerfolgenregimes sowie im Rahmen der Betrachtung von Verfahrensrechten als subjektiven Rechten im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG und § 42 Abs. 2 VwGO im 4. Kapitel dargestellt werden können. 2. Die Anerkennung von Verfahrensrechten im englischen Verwaltungsverfahren Inwieweit die besondere Bedeutung, die der Verfahrensgerechtigkeit im englischen Recht zugeschrieben wird, auch zu einzelnen Rechten des Einzelnen oder bestimmter Gruppen innerhalb des Verwaltungsverfahrens führt, ist nicht immer eindeutig festzustellen. In Ermangelung eines kodifizierten Verwaltungsrechts oder Verwaltungsverfahrensrechts ist es zumeist stark einzelfallabhängig, ob ein bestimmtes Verfahren etwa eine Anhörung oder sonstige Beteiligung Einzelner verlangt. Zudem lässt sich eine Pflicht zur Beachtung eines bestimmten Verfahrensrechts teilweise erst nach der gerichtlichen Beschäftigung mit der Verwaltungsentscheidung im Rahmen des Klagegrunds der procedural impropriety des judicial review proceedings feststellen. Auch eine strikte Aufteilung zwischen der Anerkennung eines bestimmten Verfahrensrechts, einem Verfahrensfehler und der Verfahrensfehlerfolge ist damit nicht eindeutig vornehmbar. Vielmehr prüft das Gericht die Anerkennung und Reichweite eines Verfahrensrechts sowie die Folgen eines Verfahrensfehlers zumeist ohne explizite Unterscheidung zwischen diesen Fragen. Aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit mit der deutschen Herangehensweise wird der Versuch einer solchen Aufteilung hier jedoch gleichwohl unternommen und auf die Folgen von Verfahrensfehlern sogleich in Abschnitt II. des Kapitels 3 B. eingegangen. a) Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht im englischen Rechtssystem Im Gegensatz zu Rechtssystemen wie Deutschland oder Frankreich hat es, wie bereits mehrfach angedeutet, traditionell in England kein eigenständiges Sonderrecht der Verwaltung nach deutschem Verständnis des Verwaltungsrechts gegeben. Vor allem der Oxford Professor Albert Venn Dicey prägte die Vorstellung, dass es im englischen Recht kein Sonderrecht der Verwaltung und somit auch kein öffentliches Recht oder Verwaltungsprozessrecht als eigene Rechtsgebiete gebe.421 Im Gegenteil 421 Dicey, Albert Venn, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 193 und S. 328 ff.; hierzu Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law,
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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– ein solches Sonderrecht der Verwaltung verstoße sogar gegen ein wesentliches Element der Rule of Law, ein mit dem deutschen Rechtsstaatsprinzip zu vergleichendes oberstes Verfassungsprinzip in England, nämlich gegen den Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz. Vielmehr sollte also auch die Verwaltung wie jeder andere Adressat von Rechtsnormen an die Gesamtheit aller Rechtsnormen gebunden sein.422 Andererseits wurde jedoch erkannt, dass die Vorstellung, dass ein sich speziell mit staatlichen Befugnissen befassendes Rechtsgebiet nicht notwendig sei, mit der modernen Rechtswirklichkeit, in der die Bestimmung genau dieser staatlichen Befugnisse einen Großteil der Rechtsstreitigkeiten ausmacht, nicht übereinstimmen könne. Daher wird seit geraumer Zeit auch in England vermehrt nicht nur die Notwendigkeit eines eigenständigen Verwaltungsrechts- und Verwaltungsprozessrechtssystems erkannt, sondern man besinnt sich gerade auch auf die Tradition eines englischen Verwaltungsrechts zurück.423 Allein daraus, dass es lange keinen klar abgegrenzten Bereich des Verwaltungsrechts mit einer eigenen Gerichtsbarkeit gab, lässt sich demnach nicht schließen, dass es nicht auch in England seit jeher Rechtsvorschriften gab, die in einem Rechtssystem wie dem deutschen durchaus dem Verwaltungsrecht zugeordnet werden könnten. Gerade allgemeine Rechtsgrundsätze wie das für die Untersuchung verfahrensrechtlicher Garantien besonders bedeutsame principle of natural justice wurden selbst in einer Zeit angewendet, in der es keine formale Trennung zwischen Verwaltungs- und Zivilrecht gab.424 Die Beobachtung, dass es ein eigenständiges Verwaltungsrecht nach unserem Verständnis nicht gibt, ist zudem dem Umstand geschuldet, dass es keine umfassende Kodifizierung einer Verfassung oder eine umfassende Kodifizierung des Verwaltungsrechts gibt. Das bedeutet aber nicht, dass es in England heute kein Sonderrecht der Verwaltung gibt. Vielmehr besteht das englische Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht aus einzelnen allgemeinen Gesetzten – statutory law – sowie aus Gerichtsentscheidungen – case law.425 Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich sowohl durch Gesetze als auch durch Entscheidungen der Gerichte ein eindeutiges Sonderrecht der Verwaltung herausgebildet.426 Das Fehlen einer kodifizierten VerS. 633; Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 22. 422 Dicey, Albert Venn, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 193. 423 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law S. 11; Craig, Paul, EuZöR, 1993, special number, S. 55. 424 Craig, Paul, EuZöR, 1993, special number, S. 55 (59). 425 Schwarze, Jürgen, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 136; Baumgartner, Ulrich, Die Klagebefugnis nach deutschem Recht vor dem Hintergrund der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 36. 426 Bei Bradley, Anthony/Ewing, Keith, Constitutional and Administrative Law, S. 634, heißt es dazu „today administrative law in Britain needs no proof of its existence“; vgl. auch die Darstellung der Diskussion über die Entstehung eines englischen administrative law bei Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 19 ff. Rdnr. 2.3.5 bis 2.4.3, sowie den viel zitierten Ausspruch Lord Diplocks „that progress towards a comprehensive system of administrative law that I regard as having been the greatest achievement of the English
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
fassung oder eines kodifizierten allgemeinen oder besonderen Verwaltungsrechts mit Verwaltungsprozessrecht führt jedoch dazu, dass es weniger eindeutig möglich ist, einzelne Rechtsgebiete, wie das Privat- und Verwaltungsrecht, aber auch das Verwaltungs- und Verfassungsrecht427 voneinander abzugrenzen. Eine Trennung zwischen der verfassungsrechtlichen Verankerung von Verfahrensgarantien und der Anerkennung von Verfahrensrechten innerhalb des einfachen Verwaltungsverfahrens ist demnach kaum vorzunehmen. Zu beachten ist zudem, dass sich ein Großteil der bedeutenden Verfahrensrechte aus traditionell innerhalb der gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Verfahren zu beachtenden Verfahrensgarantien entwickelt hat.428 Ein gesondertes Verwaltungsverfahrensrecht gibt es insoweit kaum. Dass die Übernahme derartiger Rechte in das Verwaltungsverfahren bereitwilliger vorgenommen wurde, als dies im deutschen Verwaltungsrecht der Fall ist, ist auch dem Umstand geschuldet, dass in England zahlreiche dem Bereich des Verwaltungsverfahrens zuzuordnende Entscheidungsverfahren durchaus starke Ähnlichkeiten mit gerichtlichen Prozessen aufweisen. Am auffälligsten ist dies sicher in Bezug auf Verfahren vor den administrativen Tribunalen, die zwar eine der Exekutive zugeordnete Aufgabe übernehmen, deren Entscheidungsfindung einem gerichtlichen Verfahren jedoch stark angeglichen ist. Aber auch außerhalb dieses Systems sind es oftmals besondere Kommissionen, die innerhalb formeller, an Gerichtsprozesse angelehnter Verfahren etwa über Plan- oder Baugenehmigungen entscheiden. Zunächst wurden traditionelle Prozessrechte daher in Bereiche exekutiver Entscheidungsverfahren übernommen, die gerichtlich oder gerichtsähnlich ablaufen.429 b) Verfahrensrechte des natural justice-Prinzips und der duty to act fairly Der Umstand, dass im englischen Rechtssystem keine kodifizierte Verfassung existiert, darf keinesfalls darauf schließen lassen, dass es verfassungsrechtliche Vorgaben und Grundsätze nicht gebe. Im Common Law finden sich einige allgemeine Prinzipien, die sich auf Ausgestaltung und Anwendung von staatlichen Entscheidungsverfahren im Allgemeinen und auch auf das Verwaltungsverfahren auswirken können. aa) Traditioneller Inhalt des natural justice-Prinzips Insbesondere zwei Verfahrensgarantien lassen sich aus dem alten Common LawPrinzip der natural justice ableiten. Zunächst ist es hiernach untersagt, Richter in courts in my judicial life“ in Inland Revenue Commission (IRC) v National Federation of SelfEmployed and Small Businesses (1982) AC 617. 427 Feldman, David (Hrsg.), Oxford English Law English Public Law, Rdnr. 1.07. 428 MacDonald, Roderick, McGill Law Journal 25 (1980), 520 (529, 532 f.). 429 Zu der Bedeutung der natural justice im Verwaltungsverfahrensrecht bereits Kapitel 3 A. II. 1. c).
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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eigener Sache zu sein – no man may be judge in his own cause oder nemo judex in causa sua. Es besteht somit ein von Verfassungs wegen garantiertes Recht auf ein unvoreingenommenes Verfahren. Überdies ist ein jeder vor einer ihn belastenden staatlichen Maßnahme anzuhören – no man may be condemned unheard oder audi alteram partem. (1) Das Recht auf ein unvoreingenommenes Verfahren Historisch betrachtet, sollte der erste Grundsatz des natural justice-Prinzips tatsächlich allein besagen, dass niemand in einem ihn betreffenden Fall hoheitlich entscheiden können darf.430 Erweitert wurde dies sodann zu der Regel, dass derjenige, der ein eigenes Interesse am Inhalt einer Entscheidung hat oder vernünftigerweise haben könnte, von der Entscheidungsfindung auszuschließen ist. Nicht allein die tatsächliche Voreingenommenheit führt also zu einem Ausschluss des jeweiligen Entscheidungsträgers, sondern schon die vernünftigerweise anzunehmende Möglichkeit der Voreingenommenheit.431 Später wurde der Grundsatz noch allgemeiner verstanden als ein Recht auf einen unvoreingenommenen Richter, so dass jeder, der ein besonderes persönliches Interesse an einer Entscheidung haben könnte, von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen ist.432 Weiter ausgeweitet, wird das Prinzip mittlerweile nicht allein auf gerichtliche Entscheidungen angewendet, sondern ebenso auf administrative Entscheidungsverfahren.433 Zunächst wurde jedoch noch davon ausgegangen, dass insbesondere im Bereich politischer Entscheidungen der Verwaltung der anzuwendende Standard bei der Überprüfung der Unvoreingenommenheit eines Entscheidungsträgers wesentlich niedriger angesetzt werden könne als im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens.434 Spätestens mit der Entscheidung in Ridge v Baldwin (1964)435 wurde diese Trennung hingegen aufgegeben, und die Gerichte überprüfen sowohl gerichtliche als auch administrative Entscheidungen daraufhin, ob ein vernünftiger Beobachter unter Kenntnis der Fakten des Einzelfalls von einer wahren Gefahr der Voreingenommenheit ausgehen würde.436
430
Vgl. u. a. Earl of Derby’s case (1614) 12 Co. Rep. 114. Lesson v General Medical Council (1889) 43 Ch. D. 366 (384); in R v Sussex JJ, ex parte McCarthy (1924) 1 K.B. 256 (259), durch Lord Hewart ausgedrückt mit den Worten „justice should not only be done but should manifestly and undoubtedly seen to be done“. 432 So bereits Dimes v The Proprietors of the Grand Junction Canal (1852) 3 HLC 759; Jackson, Paul, Natural Justice, 1979, S. 26 ff. 433 Vgl. u. a. bereits R v Hendon Rural District Council, ex parte Chorley (1933) 2 K.B. 606; Metropolitan Properties Ltd. v Lannon (1969) 1 QB 577; Gainman v National Association of Mental Health (1971) Ch. 317 (333). 434 Franklin v Minister of Town and Country Planning (1948) AC 87. 435 [1964] AC 40. 436 R v Secretary of State for the Environment, ex parte Kirkstall Valley Campaign Ltd. (1996) 3 All ER 304, hier noch unter Anwendung des mittlerweile aufgegebenen Tests, in dem 431
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
(2) Das Recht auf eine faire Anhörung Der zweite Bestandteil des natural justice-Prinzips ist das Recht, vor einer Entscheidung angehört zu werden. Das Recht auf Anhörung wurde als Grundprinzip eines fairen Verfahrens schon früh nicht allein in gerichtlichen Verfahren, sondern auch gegenüber administrativen Entscheidungsträgern gewährt.437 Von dieser Linie, eine Anhörung auch dann zwingend vorzusehen, wenn es um administrative Entscheidungen geht, wurde zwar kurzzeitig abgerückt,438 das House of Lords hat jedoch in dem Fall Ridge v Baldwin (1964)439 klargestellt, dass auch Entscheidungsträger der Verwaltung eine Anhörung durchzuführen haben. Wie regelmäßig in Bezug auf Verfahrensrechte wird besonders der Einbeziehung des Einzelnen in den Entscheidungsprozess sowohl eine bedeutende instrumentale Funktion für das Treffen einer richtigen Entscheidung440 als auch eine darüber hinaus gehende eigenständige Funktion441 zugeschrieben. bb) Heutige Reichweite des natural justice Prinzips und der duty to act fairly Heute wird in Bezug auf die Verfahrensgarantien des Verwaltungsverfahrensrechts regelmäßig nicht länger von dem Prinzip der natural justice gesprochen, sondern von einer allgemeinen duty to act fairly. Auch deren Garantien haben sich jedoch aus dem traditionellen Prinzip der natural justice entwickelt, und es wird teilweise auch weiterhin auf diesen Begriff zurückgegriffen. Allerdings gehen die heute anerkannten Verfahrensrechte über die traditionellen Garantien des natural justice-Prinzips hinaus. Welche Vorgehensweisen genau in einem bestimmten Verfahren der duty to act fairly entnommen werden können, welche Rechte einem Einzelnen also innerhalb des Verfahrens schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen zustehen, wird einzelfallabhängig beurteilt. Im Unterschied zu Fragen des Entscheidungsinhalts steht die Behandlung des Einzelnen innerhalb des Verwaltungsverfahrens jedoch nicht grundsätzlich im Ermessen der Verwaltung, und es sind die Gerichte, die abschließend feststellen, was unter einem fairen Verwaltungsvernicht die Perspektive eines vernünftigen Beobachters, sondern diejenige des Gerichts selbst als entscheidend angesehen wurde. 437 R v University of Cambridge (1723) 1 Str. 557, bekannt als Bentley’s Case; Cooper v Wandsworth Board of Works (1863) 14 C.B.N.S. 180; Board of Education v Rice (1911) AC 179 (182), wo es heißt, die Regel finde auf „everyone who decides anything“ – auf jeden, der irgendetwas entscheidet – Anwendung. 438 Vgl. u. a. Nakkuda Ali v Jayaratne (1951) AC 66; R v Metropolitan Police Commissioner, ex parte Parker (1953) 1 WLR 1150. 439 [1964] AC 40. 440 Besonders betont wird dies bei Galligan, Denis, Due Process and Fair Procedures: A Study of Administrative Procedures, 1996, S. 131 ff. 441 Allan, Trevor, Constitutional Justice: A liberal Theory of the Rule of Law, 2003, S. 79; Cane, Peter, Administrative Law, S. 70; Allan, Trevor, OLJS 1998, 497 (499).
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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fahren zu verstehen ist.442 Über die allgemeinen Grundsätze der duty to act fairly hinaus oder auch als Ergänzung zu diesen sind in weiten Bereichen des Verwaltungsrechts und insbesondere des Planungsrechts mittlerweile gesetzliche Vorgaben für den Ablauf von Entscheidungsverfahren erlassen und damit auch die Verfahrensrechte der Beteiligten weitgehend kodifiziert worden. (1) Beteiligungs- und Anhörungsrechte Der genaue Inhalt des verfassungsrechtlich garantierten allgemeinen Anhörungsrechts ist ebenso wenig eindeutig und abstrakt festzustellen wie die Reichweite der einzelnen sich hieraus ergebenden Rechte für bestimmte Verwaltungsverfahren. Vielmehr liegt es oftmals in den Händen des jeweiligen Richters zu entscheiden, ob im Einzelfall eine Anhörung hätte stattfinden müssen – ob das natural justice-Prinzip oder die duty to act fairly mithin eine Anhörung verlangt – und wie diese gegebenenfalls auszugestalten war. Eine Beschränkung auf Verwaltungsakte nach deutschem Verständnis, wie sie § 28 VwVfG zu Grunde liegt, besteht nicht.443 Vielmehr ist eine Anhörung im Allgemeinen immer dann notwendig, wenn eine Maßnahme der Verwaltung im Einzelfall schutzwürdige Interessen, legitime Erwartungen oder Rechte des Einzelnen berührt.444 Die Reichweite eines Anhörungsrechts wird hierbei allerdings stark davon abhängig gemacht, um welche Art von Verwaltungsentscheidung es im Einzelfall geht.445 Einzelfallabhängig ist es auch, ob einem Dritten, also demjenigen, der nicht Adressat einer behördlichen Maßnahme ist, ein Recht auf Anhörung vor der Entscheidung zugebilligt wird. (a) Anwendbarkeit der duty to act fairly – Anerkennung eines Beteiligungsrechts Zunächst wird die Frage gestellt, ob die Situation, in welcher der Einzelne dem Staat gegenübertritt, überhaupt eine duty to act fairly und mit ihr ein irgendwie geartetes Beteiligungsrecht des Einzelnen am Entscheidungsprozess der Verwaltung hervorruft. Immer wieder wurden dabei auch nach der weitgehenden Aufgabe der Unterscheidung zwischen gerichtsähnlichen und rein administrativen Verfahren Versuche unternommen, die genauen Grenzen von Beteiligungsrechten zu definieren. Vor allem auf die Unterscheidung nach der Art der Verwaltungsentscheidung 442 Lloyd L.J. in R v Panel on Take-overs and Mergers, ex parte Guinness PLC (1990) 1 QB 146 (183). 443 Ridge v Baldwin (1964) AC 40; Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (290, Fn. 41). 444 Schmidt v Secretary of State for Home Affairs (1969) 2 Ch 149 CA; Woolf, Harry/ Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 386 f. Rdnr. 7 – 009; Craig, Paul, Administrative Law, S. 345 Rdnr. 12 – 014 ff. 445 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 420 f.; Craig, Paul, Administrative Law, S. 352 ff. Rdnr. 12 – 022 ff.; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 383 ff. Rdnr. 7 – 004 ff.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
wurde zurückgegriffen. In McInnes v Onslow Fane (1978)446 etwa wurde zwischen Fällen unterschieden, in denen eine bestimmte Befugnis oder Genehmigung aufgehoben werden sollte, ein Antrag auf eine solche gestellt wurde oder aber eine vernünftige Erwartung besteht, dass eine bestimmte Befugnis aufrecht erhalten wird, ohne dass hierin ein formelles Recht gesehen werden kann. Während in dem erstgenannten Fall der Rücknahme einer Befugnis stets und in den Erwartungsfällen regelmäßig eine Anhörung durchzuführen sei, müsse in Fällen, in denen lediglich ein Antrag auf Erteilung einer Befugnis gestellt worden sei, keine Anhörung vor der Entscheidung durchgeführt werden. Ein Recht des Betroffenen, das es zu verteidigen gelte, sei hier noch nicht erkennbar. Diese Aufteilung wurde vor allem deshalb kritisiert und auch in späteren Gerichtsentscheidungen nicht in dieser strikten Form angewendet, weil durchaus auch in Fällen, in denen es um die Ablehnung eines Antrags geht, bereits Rechte oder bedeutende Interessen des Antragstellers betroffen sein können.447 So sind auch in Bezug auf Verfahren, die sich mit einem Antrag des Betroffenen befassen, Anhörungsrechte heute teilweise sogar gesetzesrechtlich anerkannt.448 Die Frage, ob das Gebot der duty to act fairly in einem bestimmten Fall eine Anhörung verlangt, wird also weiterhin einzelfallabhängig beantwortet, und eine eindeutige Kategorisierung lässt sich nicht erkennen. Es werden jedoch einige Faktoren angeführt, die in die Entscheidung, ob eine Beteiligung notwendig ist und wie diese im Einzelnen ausgestaltet werden muss, einbezogen werden sollen. Bedeutend ist vor allem die Frage, ob die Entscheidung ein Recht oder geschütztes Interesse des Betroffenen berühren würde.449 Es kann daher etwa von einer Vermutung ausgegangen werden, dass eine Anhörung stattzufinden hat, wenn eine zuvor erteilte Genehmigung zurückgenommen werden soll.450 Ein Recht des Betroffenen wurde dann zuvor begründet und soll nun wieder beschnitten werden. Aus diesem Grund wird die Bedeutung einer Anhörung in Fällen, in denen noch kein spezifisches Recht oder Interesse begründet wurde – also etwa, wo es um den Antrag auf eine neue Genehmigung geht –, als nicht ebenso groß angesehen. Dies wirkt sich jedoch häufig erst in der Reichweite des Rechts auf Beteiligung oder Anhörung aus und nicht bereits bei der Beantwortung der Frage, ob eine duty to act fairly und damit ein gewisser verfahrensrechtlicher Schutz überhaupt zu gewähren ist.
446
[1987] 1 WLR 1520. Cane, Peter, Administrative Law, S. 78; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 384 f. Rdnr. 7 – 005 ff. 448 So beispielsweise Section 78 Town and Country Planning Act 1990 im Fall eines Antrags auf eine Bau- oder Plangenehmigung. 449 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 392 ff. Rdnr. 7 – 018 ff.; Craig, Paul, Administrative Law, S. 345 ff. Rdnr. 12 – 014 ff.; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 366 Rdnr. 11.13.4. 450 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 393 Rdnr. 7 – 020. 447
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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Der Begriff des „geschützten Interesses“ soll weiter gefasst sein als der des „bestehenden Rechts“ und dort zu Tragen kommen, wo ein materiell-rechtlich geschütztes Recht oder ein rechtlicher Anspruch des Einzelnen zwar nicht berührt sind, ein verfahrensrechtlicher Schutz aber dennoch angebracht erscheint.451 Auch kann gerade in Fällen, in denen materiell-rechtlicher Schutz nicht zu erwarten ist, etwa weil gerade kein anerkanntes Recht des Einzelnen betroffen ist, verfahrensrechtlicher Schutz als umso bedeutender angesehen werden.452 Aus dem Bestreben selbst heraus, einem Einzelnen verfahrensrechtlichen Schutz zukommen zu lassen, wird also gleichsam das rechtlich geschützte Interesse begründet. Erneut wird die Einzelfallabhängigkeit der englischen Herangehensweise deutlich: Wo das Gericht einen verfahrensrechtlichen Schutz als notwendig ansieht, wird ein geschütztes Interesse, das gerade Voraussetzung für einen solchen verfahrensrechtlichen Schutz ist, angenommen. (b) Unterscheidung nach der Rolle des Einzelnen Eine strikte Unterscheidung zwischen Adressaten einer Maßnahme und Drittbetroffenen, wie sie in Deutschland vorgenommen wird, ist dem englischen Verwaltungsverfahrensrecht nicht explizit zu entnehmen. Statt einem allgemeinen Grundsatz, in welchen Fällen derjenige, an den sich eine Maßnahme nicht unmittelbar wendet, mit verfahrensrechtlichen Garantien auszustatten ist, wird im Einzelfall auf die Betroffenheit eigener Interessen geblickt.453 Richtet sich allerdings eine Maßnahme explizit gegen eine Person, oder wird sie gerade in Bezug auf diese Person erlassen, so ist es auch diejenige Person, gegenüber der zunächst Anhörungsrechte anzuerkennen sind, ohne dass zwingend eine Ausweitung auf all diejenigen Personen vorzunehmen ist, deren Interessen ebenfalls durch die Entscheidung beeinflusst sein können.454 Allerdings ist an eine Ausweitung der Beteiligungsrechte auf Dritte immer dann zu denken, wenn eindeutig ist, dass die Entscheidung auch ihre Rechte oder Interessen beeinträchtigen wird.455 Insbesondere in Konkurrenz- oder Nachbarsituationen – etwa bei Genehmigungen oder Vergünstigungen – wird eine Ausweitung von Verfahrensrechten auf Dritte anzunehmen sein. (c) Beteiligungsrechte aufgrund einer legitimate expectation Während die Frage, ob und inwieweit ein schützenswertes Vertrauen des Einzelnen auf eine bestimmte Handlung der Verwaltung ihm einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Vornahme dieser Handlung verleihen kann, weiterhin umstritten 451
Craig, Paul, Administrative Law, S. 345 f. Rdnr. 12 – 016. Lord Wilberforce in Malloch v Aberdeen Corporation (1971) 1 WLR 1578 (1595 ff.). 453 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 394 f. Rdnr. 7 – 024. 454 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 430 Rdnr. 11.56.1. 455 Glidwell LJ in R v LAUTRO, ex parte Ross (1993) QB 17 (50). 452
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
ist, ist der verfahrensrechtliche Schutz eines solchen Vertrauens ein anerkannter Grundsatz des englischen Verwaltungsrechts. Von einem einmal geschaffenen schützenswerten Vertrauen kann danach nur nach Anhörung desjenigen abgewichen werden, der auf ein bestimmtes Handeln der Verwaltung vertrauen durfte.456 Selbst dort also, wo kein materielles Recht des Einzelnen berührt ist und die Interessen des Betroffenen oder die Art der Entscheidung nicht zwingend das Recht auf eine Anhörung entstehen lassen, kann ein solches aufgrund eines früheren Verhaltens der entscheidenden Behörde gegeben sein.457 Eine Rolle spielt diese Form der Begründung eines Anhörungsrechts damit vor allem in Bezug auf zukünftige Interessen oder Rechte. Dort also, wo der Betroffene gerade durch das Verhalten der Verwaltung in die Erwartung versetzt wurde, ein Interesse oder Recht zu erhalten, wird aufgrund dieser Erwartung davon ausgegangen, dass die duty to act fairly eine Anhörung des Betroffenen vor einer abweichenden Verwaltungsentscheidung verlangt.458 Darüber hinaus kann ein schützenswertes Vertrauen dann zu einer Beteiligung an der Entscheidungsfindung berechtigen, wenn es gerade dieser verfahrensrechtliche Schutz war, der von dem Betroffenen erwartet wurde. In dem in diesem Zusammenhang bedeutenden Fall R v Liverpool Corporation, ex parte Liverpool Taxi Fleet Operators’ Association (1972)459 etwa hatte die zuständige Behörde den betroffenen Taxifahrern wiederholt zugesichert, die Anzahl der von ihr ausgegebenen Lizenzen nicht ohne deren Anhörung zu erhöhen. Diese Erwartung eines verfahrensrechtlichen Schutzes musste sodann auch erfüllt werden.460 (d) Reichweite eines bestehenden Beteiligungsrechts Mehr noch als die Frage, ob die duty to act fairly überhaupt anwendbar ist und so die Notwendigkeit des verfahrensrechtlichem Schutzes in Form einer Einbeziehung 456
Schmidt v Secretary of State for Home Affairs (1969) 2 Ch 149; R v Liverpool Corporation, ex parte Liverpool Taxi Fleet Operators’ Association (1972) 2 QB 299; Attorney General for Hong Kong v Ng Yuen Shiu (1983) 2 AC 629; R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Asif Mahmood Khan (1985) 1 All ER 40; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/ Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 674 Rdnr. 12 – 002. 457 Zu der Unterscheidung zwischen Fällen, in denen das betroffene Interesse und solchen in denen die schützenswerte Erwartung das Anhörungsrecht eröffnet Lord Bridge in Re Westminster CC (1986) AC 688; R v Birmingham City Council, ex parte Dredger (1993) C.O.D. 340; Taylor J. in R v Secretary of State for the Environment, ex parte GLC (1985) J.P.L. 543; R v Brent London Borough Council, ex parte Gunning (1985) 84 L.G.R. 168; Lord Denning in R v Liverpool Corporation, ex parte Liverpool Taxi Fleet Operators’ Association (1972) 2 QB 299; umgekehrt ist es auch denkbar, dass zwar kein schützenswertes Vertrauen geschaffen wurde, aber die Verwaltungsentscheidung die Interessen der Betroffenen derart berührt, dass eine Anhörung aus diesem Grunde notwendig wird, so in R v Great Yarmouth Borough Council, ex parte Botton Brothers Arcades Ltd. (1988) J.P.L. 18. 458 Craig, Paul, Administrative Law, S. 346 Rdnr. 12 – 017. 459 [1972] 2 QB 299. 460 R v Liverpool Corporation, ex parte Liverpool Taxi Fleet Operators’ Association (1972) 2 QB 299 (308, 311); unklar ist hier, ob auch das betroffene Interesse der Taxifahrer unabhängig von deren schützenswerten Erwartung zu einer Anhörung berechtigt hätte.
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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des Betroffenen in den Entscheidungsprozess auslöst, wird die Ausgestaltung der Beteiligung des Einzelnen von den Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht. Teilweise wird das Mindestmaß, den Betroffenen zu informieren, und eine schlichte Anhörung als ausreichend angesehen, teilweise die Möglichkeit zu einer schriftlichen Stellungnahme oder gar eine mündliche, einem Gerichtsverfahren ähnelnde Verhandlung verlangt. Welche Art der Beteiligung als Bestandteil eines fairen Verfahrens im Einzelfall notwendig ist, soll insbesondere auf die Rolle des Entscheidungsträgers und die Art der Entscheidung ankommen.461 Zudem wird der Grad an verfahrensrechtlichem Schutz bedeutend von dem Gewicht des betroffenen Rechts oder Interesses abhängig gemacht.462 Besondere Bedeutung haben auch die Umstände, in denen die Verwaltung eine bestimmte Entscheidung treffen muss, wie etwa die Frage, ob die Entscheidung Interessen der nationalen Sicherheit berühren könnte, so dass die Informationen, die den Betroffen zu erteilen sind, und damit zusammenhängend deren Recht auf Beteiligung an der Entscheidungsfindung eingeschränkt werden können,463 oder ob eine besonders eilige Entscheidung getroffen werden muss.464 (aa) Vorherige Bekanntgabe der geplanten Verwaltungsentscheidung und das Recht auf Einwendung Die Notwendigkeit, den Einzelnen über eine ihn betreffende Verwaltungsentscheidung im Vorfeld zu informieren, wird als der Beteiligung vorgelagertes notwendiges Mindestmaß an Verfahrensgerechtigkeit verstanden.465 Zum einen soll der Betroffene nicht von dem Inhalt einer Verwaltungsentscheidung vollkommen überrascht werden.466 Wiederum sind der Inhalt und die Reichweite, die von der vorherigen Bekanntgabe einer geplanten Entscheidung verlangt werden, von den Besonderheiten des Einzelfalls abhängig. Ist beispielsweise nicht eindeutig feststellbar, wen genau die Verwaltungsentscheidung schlussendlich betreffen wird, soll 461 Lord Bridge in Lloyd v McMahon (1987) AC 625 (702); Lord Mustill in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Doody (1994) 1 AC 531 (560). 462 Craig, Paul, Administrative Law, S. 352 Rdnr. 12 – 022. 463 So beispielsweise in Council of Civil Service Unions v Minister for the Civil Service (1985) AC 374; R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Cheblak (1991) 1 WLR 890. 464 Hier sind verfahrensrechtliche Garantien auch häufig gesetzlich ausgeschlossen oder eingeschränkt; vgl. etwa Sections 69 ff. Road Traffic Act 1988 im Fall der Rücknahme einer Lizenz eines öffentlichen Verkehrsmittels, Section 9 Food Safety Act 1990 im Fall der Beschlagnahmung gesundheitsgefährdender Nahrungsmittel, Section 41 Public Health (Control of Disease) Act 1984 im Fall der Zerstörung gesundheitsgefährdender Stoffe. 465 Craig, Paul, Administrative Law, S. 354 Rdnr. 12 – 025, bezeichnet dies als ein „core process right“; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 410 Rdnr. 7 – 044. 466 Lord Steyn in R (on the application of Anufrijeva) v Secretary of State for the Home Department (2004) 1 AC 604 Rdnr. 30: „in our system of law surprise is regarded as the enemy of justice“.
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eine öffentliche Bekanntgabe ausreichen, die es ermöglicht, dass diejenigen, die wahrscheinlich betroffen sein werden, von dem Verwaltungsverfahren Kenntnis erlangen können. In Fällen, in denen eine bestimmte Person besonders von der Entscheidung betroffen sein wird, müssen hingegen größere Anstrengungen dahingehend verlangt werden, dass die Bekanntgabe diese Person auch tatsächlich erreicht.467 Darüber hinaus schließt sich an die Informationspflicht der Verwaltung die Pflicht an, Einwendungen des Betroffenen auf die vorherige Bekanntgabe hin in den sodann folgenden Entscheidungsprozess tatsächlich einzubeziehen.468 Diese Form der Beteiligung ist mithin Bestandteil des Mindestmaßes an verfahrensrechtlichem Schutz, ohne dass eine tatsächliche förmliche Anhörung des Betroffenen stattfinden muss.469 Um eine hinreichende Einflussmöglichkeit des Betroffenen auf die Entscheidungsfindung der Verwaltung sicherzustellen, haben die vorherige Information über die geplante Verwaltungsentscheidung und die Kenntnisnahme der Einwendungen hierauf zu einem möglichst frühen Zeitpunkt des Verwaltungsverfahrens zu erfolgen.470 (bb) Das Recht auf ein Anhörungsverfahren – oral hearing In bestimmten Fällen wird es nicht als ausreichend angesehen, dass ein Betroffener über die Verwaltungsentscheidung im Vorfeld informiert wird und sich hierzu gegenüber der Verwaltung äußern kann. Es wird dann eine förmlichere Art der Beteiligung am Entscheidungsprozess im Rahmen eines Anhörungsverfahrens verlangt. Die Anhörung ist damit nach englischem Verständnis nicht der übergeordnete Begriff für jedwede Möglichkeit des Betroffenen, sich zu einer Verwaltungsentscheidung zu äußern, sondern eine über das Recht zur schlichten Information und Einwendungsbefugnis hinausgehende Form der Beteiligung.471 Auch innerhalb der Pflicht, eine mündliche Anhörung durchzuführen, bestehen erhebliche Unterschiede in der Reichweite. Teilweise wird gar die einem gericht467 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 412 f. Rdnr. 7 – 048. 468 R v North Yorkshire County Council, ex parte M (1989) QB 411; R v Barnet London Borough Council, ex parte B (1994) ELR 357 (375); R (on the application of Wainwright) v Richmond upon Thames London Borough Council (2002) 99 LSG Rdnr. 6. 469 Vgl. Naraynsingh v Commissioner of Police (2004) UKPC 20, wo im Rahmen der Rücknahme einer Waffengenehmigung das Einwendungsrecht des Betroffenen als ausreichend angesehen und die Notwendigkeit einer mündlichen Anhörung zurückgewiesen wurde. 470 R v Gwent County Council and Secretary of State for Wales, ex parte Bryant (1988) COD 19; vgl. auch Lord Woolf in R v North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan (2001) QB 213 Rdnr. 108. 471 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 426 Rdnr. 7 – 065, unter anderem mit Verweis auf R (on the application of Ewing) v Department for Constitutional Affairs (2006) 2 All ER 99 Rdnr. 27, wo es heißt: „one is entitled to an oral hearing where fairness requires that there should be an oral hearing, but fairness does not require that there should be an oral hearing in every case“.
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lichen Verfahren gleich kommende mündliche Anhörung mit den damit einhergehenden Rechten auf die Ladung von Zeugen und die Vertretung durch einen Anwalt gefordert.472 Bei diesen weitgehenden Voraussetzungen bleibt zu beachten, wie weit im englischen Rechtssystem der Bereich der Fälle reicht, der innerhalb eines Verwaltungsverfahrens etwa vor einem administrative tribunal entschieden wird. (e) Informations- und Beteiligungsrechte aufgrund gesetzlicher Anordnung Insbesondere im Planungsrecht sind mittlerweile weite Teile des Verfahrensrechts kodifiziert. Etwa der Town and Country Planning Act 1990 sowie die diesen ergänzenden Verfahrensregeln sehen vielfältige Beteiligungsrechte Einzelner, der Öffentlichkeit und bestimmter öffentlicher Einrichtungen473 vor. In Bezug auf den Inhalt und die Reichweite des Einwendungsrechts als Mindestmaß an Einbeziehung des Betroffenen in den Entscheidungsprozess wurde mittlerweile mit dem Office Code of Practice on Written Consultation eine Richtlinie der Regierung herausgegeben, die alle staatlichen Einrichtungen im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zu beachten haben. Auch für die Beteiligung Einzelner und derjenigen betroffener Gemeinden in Genehmigungsverfahren für große Planungsvorhaben lassen sich zahlreiche Richtlinien und Handlungsanweisungen der Regierung für die örtlichen Planungsbehörden finden.474 Formell-gesetzliche Bindungswirkung geht von diesen Richtlinien allerdings nicht aus.475 In Ergänzung dieser Rechte haben es sich die Gerichte oftmals vorbehalten, die im Einzelnen durchgeführten Verfahren auf ihre allgemeine Übereinstimmung mit der duty to act fairly zu überprüfen.476 Dies gilt vor allem dort, wo das gesetzlich angeordnete Verfahren der Verwaltung einen gewissen Spielraum einräumt, wie sie dieses genau ausgestaltet.477 Es könne insbesondere davon ausgegangen werden, dass der Wille des Gesetzgebers allein eine Ausübung durch ihn verliehener Befugnisse umfasse, die den Prinzipien der natural justice und der duty to act fairly entspreche.478 Die Fairness eines Verfahrens soll gerade nicht im Ermessen der Verwaltung liegen, und 472 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 426 f. Rdnr. 7 – 065, S. 432 f. Rdnr. 7 – 074 und S. 433 ff. Rdnr. 7 – 076 ff. 473 Hierzu näher sogleich Kapitel 3 B. II. 2. b) cc) im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligungsrechte. 474 Oftmals herausgegeben von der unabhängigen Beratungseinrichtung Advisory Team for Large Applications (ATLAS). 475 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 420 Rdnr. 7 – 058. 476 So beispielsweise Lord Bridge in Lloyd v McMahon (1987) AC 625 (702 f.); Laws L.J. in R (on the application of Khatun) v Newham London Borough Council (2005) QB 37 Rdnr. 30; vgl. auch R (on the application of S) v Brent London Borough Council (2002) E.L.R. 556 Rdnr. 14; Raji v General Medical Council (2003) 1 WLR 1052. 477 R (on the application of McNally) v Secretary of State for Education (2002) ICR 15. 478 Lord Browne-Wilkinson in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Pierson (1998) AC 539 (550); Lord Mustill in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Doody (1994) AC 531 (560).
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die Sicherstellung deren Beachtung bleibt grundlegende Aufgabe des Gerichts im Rahmen des judicial review proceedings. Auch in gesetzlich mittlerweile geregelten Bereichen spielen die Common Law-Prinzipien der natural justice und der duty to act fairly daher weiterhin eine bedeutende Rolle. (2) Das Recht auf eine hinreichende Begründung Lange Zeit hat sich die grundsätzliche Aussage gehalten, dass es ein allgemeines Recht auf Begründung einer Verwaltungsentscheidung im Common Law nicht gebe.479 Vor allem könne das Prinzip der natural justice ein solches Recht nicht begründen, da dieses allein mit der Gerechtigkeit während des Verfahrens selbst, nicht aber mit sich an die Entscheidungsfindung anschließenden Fragen befasse.480 Mittlerweile werden jedoch vermehrt und nicht mehr allein im Einzelfall – zum einen unmittelbar aus der duty to act fairly, teilweise aber auch aus unionsrechtlich bedingten Fachgesetzen – Begründungspflichten anerkannt.481 Vor dem Hintergrund der zahlreichen Fälle, in denen Begründungsrechte heute anerkannt werden, wird diskutiert, ob entgegen der traditionellen Common LawRegel, doch mittlerweile von einer allgemeinen Begründungspflicht als Bestandteil der duty to act fairly ausgegangen werden kann. (a) Das Recht auf Entscheidungsbegründung aufgrund eines schützenswerten Vertrauens Neben einem Recht auf Anhörung kann das schützenswerte Vertrauen eines Einzelnen auch das Recht auf eine Begründung der von dem Vertrauen abweichenden Entscheidung der Behörde vermitteln.482 Wiederum gilt dies zum einen, wenn von einem materiell gesetzten schützenswerten Vertrauen inhaltlich abgewichen wird. Zum anderen besteht eine Begründungspflicht auch, wenn es gerade das Vertrauen in die Begründung einer abweichenden Entscheidung ist, das als geschützt angesehen wird. 479 Vgl. u. a. R v Gaming Board for Great Britain, ex parte Benaim and Khaida (1970) 2 QB 417; aus neuerer Zeit vor allem Lord Mustill in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Doody (1994) 1 AC 531 (564); Lord Clyde in Stefan v General Medical Council (1999) 1 WLR 1293 (1300), der in Bezug auf eine Begründungsplicht „the established position of the common law that there is no general duty, universally imposed on all decision-makers“ anmerkt; so auch Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (292 und dort insbesondere Fn. 44). 480 Diese enge Sicht auf die Reichweite des natural justice-Prinzips zurückweisend Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 448 Rdnr. 7 – 103. 481 Craig, Paul, Administrative Law, S. 371 f. Rdnr. 12 – 040 f.; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 440 ff. Rdnr. 7 – 091 ff.; Kleve, Guido/Schirmer, Benjamin, England und Wales, in: Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht in Europa, 2007, Bd. I, S. 35 (109); von Danwitz, Thomas, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 38. 482 R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Duggan (1994) 3 All ER 277.
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(b) Das Recht auf Entscheidungsbegründung aus einzelnen Gesetzen In zahlreichen Bereichen, in denen das behördliche Entscheidungsverfahren mittlerweile kodifiziert wurde, ist ein Recht auf die Begründung der Verwaltungsentscheidung vorgesehen. Bereits der Tribunals and Inquiries Act 1958 sah eine allgemeine Begründungspflicht für Entscheidungen derjenigen administrativen Tribunale vor, die von dem Gesetz erfasst wurden. Ausgeweitet wurde die Begründungspflicht nunmehr durch Section 10 des Tribunals and Inquiries Act 1992, der eine allgemeine Begründungspflicht für die Mehrzahl der administrativen Tribunale und darüber hinaus für Entscheidungen vorsieht, die im Rahmen einer öffentlichen Untersuchung einer bestimmten Frage des öffentlichen Interesses – inquirie – getroffen wurden. Auch im Planungsrecht sind etwa die Entscheidung, eine beantragte Bau- oder Plangenehmigung abzulehnen, sowie die Erteilung einer Bauoder Plangenehmigung selbst zu begründen.483 Das Recht auf die Begründung einer Entscheidung wird überdies regelmäßig im Zusammenhang mit dem Recht auf Informationszugang diskutiert.484 Ein solches steht dem Einzelnen nunmehr nach dem Freedom of Information Act 2000 gegenüber öffentlichen Behörden und vereinzelt auch gegenüber sonstigen Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben erfüllen, zu. Selbst dort also, wo eine allgemeine Begründungspflicht im Common Law nicht anerkannt wird, steht es dem Betroffenen offen, nach dem Freedom of Information Act 2000 die Offenlegung der Entscheidungsgründe der Verwaltung zu verlangen. Im Common Law hatte es zuvor auch kein allgemeines Recht auf Akteneinsicht innerhalb eines den Einzelnen betreffenden Verfahrens gegeben.485 Sowohl der Antrag auf den Zugang zu bestimmten Informationen als auch die Antwort der betroffenen Behörde sind an den Commissioner zu richten. Gegen dessen Entscheidungen über die Gewährung des Informationszugangs ist zum einen gemäß Section 56 ein Rechtsmittel zu einem Tribunal vorgesehen; allerdings ist zum anderen auch an eine gerichtliche Überprüfung im Rahmen des judicial review proceedings zu denken.486 Bestimmte Informationen sind nach Teil II des Gesetzes jedoch von dem weiten Zugangsrecht ausgeschlossen. Die Reichweite des Zugangsanspruchs und der aufgeführten Ausnahmen ist durch die Gerichte noch näher zu bestimmen.
483 Article 22 (1) Town and Country Planning (General Development Procedure Order) 1995; der im englischen Recht für die Genehmigung der Durchführung eines Vorhabens im Allgemeinen verwendete Begriff der planning permission entspricht in vielen Fällen eher der deutschen Baugenehmigung als der Plangenehmigung, umfasst aber zusätzlich etwa Genehmigungen für die Planung großer Infrastrukturvorhaben. 484 Vgl. Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 240 ff. 485 Craig, Paul, CLP 66 (2013), 131 (165). 486 Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 244 f.
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(c) Das Recht auf Entscheidungsbegründung aus der duty to act fairly Nicht nur, wenn ein Begründungsrecht gesetzlich angeordnet ist oder aber die Annahme einer schützenswerten Erwartung die Verwaltung zu der Begründung einer Entscheidung verpflichtet, haben die englischen Gerichte schon seit geraumer Zeit einzelne Begründungspflichten der Verwaltung angenommen. Auch im Vorfeld der Diskussion um eine nunmehr bestehende allgemeine Entscheidungsbegründungspflicht wurden Rechte auf Begründung durchaus anerkannt und dann als Ausnahme zu der grundsätzlichen Regel behandelt, dass es eine Begründungspflicht der Verwaltung in England nicht gibt. In dem Fall R v Civil Service Appeal Board, ex parte Cunningham (1991)487 wurde beispielsweise die Pflicht eines administrativen Tribunals, seine Entscheidungen zu begründen, mit einem Verweis auf die allgemeine Verfahrensgerechtigkeit begründet und damit die Annahme zurückgewiesen, aus dem Common Law-Prinzip der natural justice könne eine Begründungspflicht nicht abgeleitet werden.488 Erneut wird es von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere von der Art des Entscheidungsträgers und der zu treffenden Entscheidung abhängig gemacht, ob die duty to act fairly die Begründung einer Verwaltungsentscheidung verlangt und wie diese inhaltlich auszusehen hat.489 Mit der Anerkennung des Rechts auf Entscheidungsbegründung als Bestandteil der duty to act fairly geht auch die Notwendigkeit einher, die Begründungspflicht auf alle Arten administrativer Entscheidungen anzuwenden. Eine Unterscheidung zwischen gerichtlichen, gerichtsähnlichen und administrativen Verfahren ist im Rahmen der duty to act fairly gerade nicht länger vorgesehen.490 Die genauen Anforderungen an die Form und den Inhalt der Begründung werden von den Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht,491 so dass wiederum zumeist erst im Anschluss an eine gerichtliche Beschäftigung mit einer Verwaltungsentscheidung erkennbar wird, ob das Verfahrensrecht auf eine Begründung verletzt worden ist.
487
[1991] 4 All ER 310. Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 447 f. Rdnr. 7 – 102 f.; ebenfalls auf das Prinzip der natural justice zurückgeführt wurde eine Begründungspflicht etwa in Re Wilson (1992) 1 QB 740. 489 Craig, Paul, Administrative Law, S. 372 ff. Rdnr. 12 – 042 ff.; Lord Bingham hat in R v Ministry of Defence, ex parte Murray (1998) COD 134 DC einige Faktoren niedergelegt, welche die Gerichte bei der Bestimmung einer Begründungspflicht und deren genauen Inhalts zu Grunde legen können, darunter die Bedeutung der durch die Entscheidung beeinflussten Rechte und Interessen. 490 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 448 Rdnr. 7 – 103. 491 Henry L.J. in Flannery and Flannery v Halifax Estate Agencies Ltd. (2000) 1 WLR 377 (382); Lord Woolf in R (on the application of the Asha Foundation) v The Millennium Commission (2003) EWCA Civ 88 Rdnr. 27. 488
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(d) Entstehung eines allgemeinen Rechts auf Begründung von Verwaltungsentscheidungen Wo immer weitere Begründungspflichten durch einzelne Gesetze geschaffen werden und auch durch den Freedom of Information Act 2000 die Möglichkeit des Einzelnen, die Gründe für eine bestimmte Entscheidung zu erfahren, gestärkt wurde, wird mittlerweile die Existenz einer allgemeinen Pflicht der Verwaltung zur Begründung ihrer Entscheidungen diskutiert. Diese Entwicklung wird teilweise auch mit der gesteigerten gerichtlichen Inhaltskontrolle von Verwaltungsentscheidungen durch das judicial review proceeding in Verbindung gebracht. Dadurch, dass nunmehr – zumindest in bestimmten Fällen – die Verwaltung die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung eigens darlegen und damit die eigene Entscheidung vor Gericht rechtfertigen müsse, spiele auch die dem Einzelnen zunächst gegebene Begründung eine immer größere Rolle.492 Auch wo ein Gesetz das Recht vorsieht, gegen eine bestimmte Verwaltungsentscheidung Rechtsmittel etwa zu einem administrative tribunal einzulegen, wird die Pflicht zur Begründung der Verwaltungsentscheidung als ein wesentlicher Bestandteil dieses gesetzlichen Rechts angesehen.493 Die Entscheidungsbegründung wird insoweit nicht so sehr in ihrer Rolle als verfahrensrechtliche Garantie als vielmehr in ihrer Bedeutung für die Möglichkeit einer materiell-rechtlichen Inhaltskontrolle durch das Gericht oder ein Tribunal gesehen.494 Aber auch aus dem Recht des Betroffenen, Einwendungen gegen eine geplante Verwaltungsentscheidung vorbringen zu können, ergibt sich eine Pflicht der Behörde, im Vorfeld die Gründe für ein bestimmtes Entscheidungsergebnis offen zu legen, so dass es dem Betroffenen ermöglicht wird, hierauf auch spezifisch einzugehen.495 Zwar geht es hierbei nicht um ein Recht auf Begründung der schlussendlich getroffenen Entscheidung. Dennoch grenzt die Pflicht der Verwaltung, ihre Entscheidungsmotive im Vorfeld offen zu legen, die traditionelle grundsätzliche Regel erheblich ein, dass ein Recht auf Begründung gerade nicht bestehen soll. Ob jedoch tatsächlich von einer allgemeinen Common Law-Pflicht auf Begründung ausgegangen werden kann oder ob Fälle, in denen eine solche bejaht wird, immrnoch als Ausnahmen angesehen werden müssen, ist weiterhin nicht vollkommen geklärt. In dem grundlegenden Werk des englischen Verwaltungsrechts de Smith’s Judicial Review heißt es, mittlerweile könne wohl von einer Regel der Verfahrensgerechtigkeit ausgegangen werden, dass eine Begründungspflicht 492
Taggart, Michael, NZLR 2008, 423 (461 f.). Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 446 Rdnr. 7 – 099. 494 Hierzu Shapiro, Martin, The Giving Reasons Requirement, Univerity of Chicago Legal Forum, 1992, 179 (181 ff.), der in Bezug auf das amerikanische Recht die verfahrensrechtliche Begründungspflicht als „ideale Tarnung“ des Bestrebens der Gerichte beschreibt, eine inhaltliche Kontrolle der Verwaltungsentscheidung durchführen zu können. 495 Lord Woolf in R v North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan (2001) QB 213 Rdnr. 108; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 421 Rdnr. 7 – 060. 493
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grundsätzlich bestehe.496 Andere bedeutende Texte des Verwaltungsrechts gehen noch nicht von einer solchen allgemeinen Regel aus, weisen aber auf die Vielzahl an Ausnahmen hin, in denen ein Recht auf Begründung angenommen wurde.497 Von einer grundsätzlichen, wenn auch zögerlichen Entwicklung hin zu einer allgemeinen Begründungspflicht kann damit im englischen Verwaltungsrecht zwar ausgegangen werden. Allerdings hat der Court of Appeal498 die grundlegende Aussage von Lord Mustill in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Doody (1994)499 bestätigt, dass es zurzeit eine allgemeine Pflicht, Verwaltungsentscheidungen zu begründen, nicht gebe. cc) Öffentlichkeitsbeteiligungsrechte und die Beteiligung Dritter im Planungsrecht In der Frage, inwieweit die Öffentlichkeit in einen Entscheidungsprozess der Verwaltung in bestimmten Bereichen einzubeziehen ist, treffen zwei teilweise gegensätzliche Grundsätze des englischen Verwaltungsrechts aufeinander. Zum einen ist dies die Anerkennung der Bedeutsamkeit von Verfahrens- und insbesondere von Beteiligungsrechten etwa für die Akzeptanz einer Verwaltungsentscheidung. Auf der anderen Seite stehen jedoch das alles bestimmende Konzept des Verwaltungsermessens und der Gedanke, dass eine Entscheidung schlussendlich auch von demjenigen getroffen werden soll, den das Parlament mit der Entscheidungsfindung beauftragt hat. Ist die Regierung einmal durch das Volk gewählt, soll es auch an ihr liegen, zu regieren und damit auch Verwaltungsentscheidungen frei zu treffen.500 Dieser Gegensatz wird mit einem Blick auf die in den Sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durchgeführte Untersuchung einer Expertenkommission zu Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung im Planungsrecht deutlich.501 Die Kommission empfahl zwar auf der eine Seite die Einbeziehung der Öffentlichkeit, insbesondere durch Information und das Aufzeigen verschiedener Alternativen, doch betonte sie ebenso, dass die eigentliche Entscheidungsfindung bei der hiermit durch das Par496 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 440 f. Rdnr. 7 – 092. 497 Craig, Paul, Administrative Law, S. 369 Rdnr. 12 – 038, S. 371 Rdnr. 12 – 041 und S. 374 f. Rdnr. 12 – 044, wo er sich explizit für die Anerkennung der Begründungspflicht als allgemeine Regel ausspricht; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 440 ff., der ebenfalls für die Ableitung eines Begründungsrechts aus dem Prinzip der natural justice argumentiert; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 335 Rdnr. 10.16.1, S. 425 Rdnr. 11.53.8 und S. 427 Rdnr. 11.53.13. 498 In dem Fall R (on the application of Hasan) v Secretary of State for Trade and Industry (2009) 3 All ER 539 (Rdnr 8). 499 [1994] 1 AC 531 (564): „The law does not at present recognise a general duty to give reasons for an administrative decision“. 500 Feldman, David, MLR 55 (1992), 44 (50 f.). 501 People and Planning, Report of the Committee on Public Participation in Planning (1969).
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lament beauftragten zuständigen Planungsbehörde verbleiben müsse und dass deren Ermessen hierbei nicht eingeschränkt werden dürfe.502 Auch im modernen Planungsrecht gibt es keine allgemein geregelte Pflicht der Öffentlichkeitsbeteiligung. Werden im Planungsrecht Beteiligungsrechte in Form eines public inquiries anerkannt, dann vor allem unter dem Blickwinkel der Verteidigung privater Eigentumsrechte503 – also vor allem im Fall der Ablehnung einer Bau- oder Plangenehmigung nach Part III des Town and Country Planning Act 1990. Ohne die unmittelbare Berührung eines solchen Rechts wird es dagegen im Planungsrecht traditionell als Aufgabe des zuständigen Ministers und der unter ihm handelnden Verwaltung angesehen, das öffentliche Interesse zu vertreten und im Rahmen der Planung durchzusetzen.504 Eine leichte Abkehr von diesem Verständnis der Beteiligungsrechte im Rahmen der Planung wird in den besonderen public inquiries gesehen, die bereits in mehreren großen und eine breite Öffentlichkeit betreffenden Planungsverfahren eingesetzt wurden.505 Als Beispiele sind vor allem die Planungsverfahren für den Londoner Flughafen Stansted und den fünften Terminal des Flughafens Heathrow sowie die Planungsverfahren zur Vergrößerung der Atomwerke Sizewell B und Hinckley Point zu nennen. Mittlerweile ist eine gewisse Einbeziehung der Öffentlichkeit bei der Entscheidung über eine Bau- oder Plangenehmigung durch Section 65 Planning and Compensation Act 1991 in Verbindung mit Article 13 Development Management Procedure Order vorgesehen. Hiernach ist ein gestellter Antrag auf eine Bau- oder Plangenehmigung von der Planungsbehörde zu veröffentlichen. Die Anforderungen an die Veröffentlichung sind dann erhöht, wenn es sich um ein Vorhaben handelt, das die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach sich zieht, von den Vorgaben des Flächennutzungs- oder Bebauungsplans abweichen soll, die Öffentlichkeit in besonderer Weise betrifft oder wenn es sich um ein spezifisch aufgelistetes bedeutendes Vorhaben handelt. In allen anderen Fällen sind allein die Nachbarn gesondert über das Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Nach Article 28 Town and Country Planning (Development Management Procedure) (England) Order 2010506 hat die Planungsbehörde Einwendungen, die sodann gegen die beantragte Genehmigung vorgebracht werden, bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Auch bei der erstmaligen Erstellung eines Entwicklungsplans – development plan – sind Einwendungen der Öffentlichkeit gemäß Part 6 der Town and Country Planning (Local Planning) (England) Regulations 2012507 einzuholen. Unter der Öffentlichkeit werden hier zunächst bestimmte, in den Regulations genannte Einrichtungen, wie 502
Craig, Paul, Administrative Law, S. 258 f. Rdnr. 9 – 045. McAuslan, Patrick, The Ideologies of Planning Law, 1980, S. 45 ff. 504 Craig, Paul, Administrative Law, S. 259 f. Rdnr. 9 – 046. 505 Purdue, Michael, Public inquiries as a part of public administration, in: Feldman (Hrsg.), English Public Law, Kapitel 22 Rdnr. 22.09. 506 SI 2184/2010. 507 SI 767/2012. 503
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beispielsweise die Environment Agency oder die Highway Agency, sowie verschiedene Gruppen innerhalb des von dem Plan betroffenen Gebiets, wie beispielsweise Vereine, die sich innerhalb des Planbereichs engagieren, aber auch Vertreter verschiedener religiöser oder ethnischer Gruppierungen in dem Gebiet, verstanden. Neben dieser Pflicht zur Einbeziehung bestimmter Gruppen hat die Planungsbehörde die Pläne öffentlich auszulegen und soll daraufhin eingehende Einwendungen eines jeden in ihre Planung einbeziehen. Über die zuvor im Common Law und im gesetzlich geregelten Planungsrecht bestehenden Beteiligungsrechte hinausgehen kann eine Öffentlichkeitsbeteiligung dort, wo die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung und damit einhergehend die Einbeziehung der betroffenen Öffentlichkeit in die Planung eines Vorhabens notwendig wird.508 Dennoch betonen die englischen Gerichte, dass auch in diesem unionsrechtlich überformten Bereich das Prinzip der natural justice eine Rolle spiele und das angewendete Verfahren vor allem in dessen Sinne fair zu sein habe.509 Überdies ist die Möglichkeit von Beteiligungsverfahren im Rahmen so genannter local oder public inquiries im Planungsrecht gesetzlich vorgesehen, wenn der Antrag auf eine Bau- oder Plangenehmigung für ein Vorhaben abgelehnt worden ist. Nach Section 9 des Tribunals and Inquiries Act 1992 kann der Lord Chancelor spezifische Regeln für den Ablauf derartiger Verfahren erlassen. Dies ist im Planungsrecht unter anderem mit den Town and Country Planning (Inquiries Procedure) (England) Rules 2000510 und den Town and Country Planning (Determinations by Inspectors) (Inquiry Procedures) (England) Rules 2000511 geschehen. Regelmäßig wird ein zuständiger Leiter des Verfahrens – inspector – bestimmt, der die Einwendungen der Öffentlichkeit und sonstige relevante Dokumente entgegennimmt. Das genau anzuwendende Verfahren wird zumeist durch diesen Verfahrensleiter in seinem Ermessen bestimmt; allerdings spielen auch hier die Grundsätze des natural justice-Prinzips eine Rolle.512 Das public inquiry ist damit allein eine gesetzliche Ergänzung der durch das natural justice-Prinzip verliehenen Rechte, wo es um die Beteiligung desjenigen geht, der bereits durch eine Betroffenheit in eigenen Rechten oder Interessen zu beteiligen wäre.513 In dem Ermessen des Verfahrensleiters steht es, ob er allein schriftliche Einwendungen annimmt oder ein mündliches Anhörungsverfahren einberuft, und vor allem, ob er über den Kreis derjenigen, die aufgrund eines 508
Tromans, Stephen, Environmental Impact Assessment, S 245 Rdnr. 6.1. Tromans, Stephen, Environmental Impact Assessment, S. 239 Rdnr. 5.48. 510 SI 1624/2000. 511 SI 1625/2000. 512 Edwards v Environment Agency (2007) Env. L. R. 9 Rdnr. 93 f.; Bushell v Secretary of State for the Environment (1981) AC 75; hier wurde wiederum das Ermessen des für die Planung zuständigen Ministers und des inspectors betont sowie klargestellt, dass die Verfahrensgarantien im Rahmen der public inquiries nicht an diejenigen heranreichen, die in einem gerichtlichen Verfahren zu gewährleisten sind. 513 Purdue, Michael, Public Inquiries as a Part of Public Administration, in: Feldman (Hrsg.), English Public Law, Kapitel 22 Rdnr. 22.06. 509
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rechtlichen Interesses an dem Vorhaben zu beteiligen sind,514 hinaus die Einwendungen eines weiteren Kreises an Interessierten zulässt.515 Die „vollen“ Verfahrensrechte eines public inquiries, darunter die Einbringung von Einwendungen und Beweisen sowie die Ladung und Befragung von Zeugen, stehen nach den gesetzlichen Regeln damit allein dem Betroffenen, dessen Antrag auf Bau- oder Plangenehmigung abgelehnt wurde, der Planungsbehörde und einigen von Gesetzes wegen anzuhörenden Einrichtungen zu.516 Ein Recht der allgemeinen Öffentlichkeit entsteht somit nicht. Allerdings muss der Verfahrensleiter sein Ermessen über die Verfahrensgestaltung, also auch über die Frage, wessen Beteiligung zuzulassen ist, nach dem Gebot der duty to act fairly oder der natural justice ausüben, dessen Reichweite gerade nicht im Ermessen der Verwaltung stehen soll. Einwendungen Einzelner, die ein schützenswertes Interesse geltend machen können, sind daher regelmäßig zuzulassen, soll das Verfahren der gerichtlichen Überprüfung standhalten.517 Konsequenz eines durchgeführten Verfahrens der Öffentlichkeitsbeteiligung ist, dass der mit der Planung betraute Minister oder diejenige Verwaltung, an die diese Zuständigkeit übertragen wurde, die vorgebrachten Einwendungen, so wie sie im abschließenden Bericht des Verfahrensleiters aufgeführt sind, bei ihrer Abwägungsentscheidung zu beachten haben.518 Die Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung werden als eine Mischung aus administrativen und judikativen Verfahren verstanden. Zum einen erinnern die Vorschriften, die das Einbringen von Beweisen oder Gutachten sowie das Befragen von Zeugen und Betroffenen regeln, an gerichtliche Verfahren. Dennoch soll die eigentliche Entscheidung eine Ermessensentscheidung der Verwaltung bleiben, die unter Abwägung aller vorgebrachten Interessen getroffen wird.519 Inwiefern die ermittelten Interessen tatsächlich gewichtet werden, wird daher bislang – zumindest dem Grundsatz nach – allein anhand des Tests der Wednesbury-unreasonableness überprüft. Neben den der englischen Tradition entsprechend im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens abgehaltenen public inquiries sehen die Town and Country
514 So beispielsweise Rule 9 der Town and Country Planning (Hearings Procedure) (England) Rules 2000. 515 Vgl. etwa Rule 11 (3) der Town and Country Planning (Inquiries Procedure) (England) Rules 2000 und der Town and Country Planning (Determinations by Inspectors) (Inquiry Procedures) (England) Rules 2000. 516 Purdue, Michael, Public Inquiries as a Part of Public Administration, in: Feldman (Hrsg.), English Public Law, Kapitel 22 Rdnr. 22.30. 517 R (Hamsher) v First Secretary of State (2004) EWHC 2299 Rdnr. 19 ff.; Jory v Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions (2002) EWHC 2724 insbesondere Rdnr. 25 ff.; so auch Purdue, Michael, Public Inquiries as a Part of Public Administration, in: Feldman (Hrsg.), English Public Law, Kapitel 22 Rdnr. 22.30. 518 Craig, Paul, Administrative Law, S. 260 f. Rdnr. 9 – 047. 519 Hierzu Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 574 ff.
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Planning (Hearing Procedures) (England) Rules 2000520 in geeigneten weniger komplexen Zulassungsverfahren die Möglichkeit eines weniger formellen hearingVerfahrens vor. Die Rechte der Öffentlichkeit gehen hier nicht über diejenigen im Rahmen des public inquiry-Verfahrens hinaus. Es sind aber wiederum die Grundlagen eines fairen Verfahrens zu beachten.521 Nach den Erfahrungen mit den teuren und lang anhaltenden public inquiries zu den Flughäfen Stansted und Heathrow und den Atomkraftwerken Sizewell B und Hinckley Point nahm der Planning Act 2008 große und national bedeutende Infrastrukturvorhaben zunächst aus dem normalen Zulassungsverfahren aus und übertrug die Zuständigkeit für Bau- und Plangenehmigungen in diesen Fällen auf die Infrastructure Planning Commission. Diese konnte zwar weiterhin schriftliche Einwendungen annehmen und nach ihrem Ermessen auch mündliche Anhörungsverfahren anberaumen; die Abschaffung des inquiries in diesem Bereich und die Übertragung der Planung auf eine nicht demokratisch legitimierte Einrichtung wurde aber dennoch als grobe Beschneidung der Möglichkeit gesehen, Bedenken gegen große Planungsvorhaben in den Entscheidungsprozess einzubringen.522 Mittlerweile haben die weitreichenden Bedenken gegen diese Behörde zu ihrer Auflösung geführt, und die Zuständigkeit für die Genehmigung solcher Vorhaben wurden erneut dem Secretary of State for the Environment, Transport and the Regions überantwortet.523 Genehmigungsanträge, die sich im Sinne dieses Gesetzes auf national bedeutende Infrastrukturvorhaben beziehen, sind direkt an den Minister zu richten und nicht an die lokale Planungsbehörde. Bei dem Ministerium liegt nach Sections 91 ff. Planning Act 2008 auch die Entscheidung darüber, welche Einwendungen gegen ein geplantes Infrastrukturvorhaben im Genehmigungsverfahren Beachtung finden und welche Personen in das Verfahren einzubeziehen sind. Von besonderer Bedeutung für das Vorbringen derartiger Einwendung ist ein dem eigentlichen Genehmigungsverfahren vorgelagertes Verfahren, das den Genehmigungsantrag des Vorhabenträgers zunächst vorbereiten soll. Der Vorhabenträger hat bereits hier die Öffentlichkeit bestmöglich einzubeziehen, soll sein sodann dem Ministerium vorgelegter Antrag genehmigt werden.524 Auch im Genehmigungsverfahren selbst kann das zuständige Ministerium jedoch nach Section 93 Planning Act 2008 weitere Einwendungen zulassen. Durch die Schaffung eines schützenswerten Vertrauens kann die Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus notwendig werden. So hatte es im Vorfeld der Entscheidung R (on the application of Greenpeace Ltd.) v Secretary of State for Trade and Industry (2007)525 die Zusicherung der Regierung 520
SI 2000/1626. Dyason v Secretary of State for the Environment (1998) JPL 778. 522 Harlow, Carol/Rawlings, Richard, Law and Administration, S. 586 ff.; White, Matthew, JPL, Supplement 2013, 100 (101); Ellis, Hugh, JPL 2008, 75 (82 ff.). 523 Die genannten Änderungen des Planning Act 2008 wurden durch den Localism Act 2011 bewirkt. 524 White, Matthew, JPL, Supplement 2013, 100 (118). 525 [2007] EWHC 311 (Admin) insbesondere Rdnr. 54. 521
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gegeben, vor einer möglichen Entscheidung für die verstärkte Förderung der Atomenergie „the fullest public consultation“526 – die weitest mögliche Einbeziehung der Öffentlichkeit – abzuhalten. Ein später durch die Regierung herausgegebener Plan zur künftigen Energiepolitik in England, der auch die Möglichkeit eines Neubaus von Atomkraftwerken enthielt, konnte daher erfolgreich durch Greenpeace angegriffen werden, weil eine solche Einbeziehung der Öffentlichkeit vor Verabschiedung des Plans nicht erfolgt war. Welchen inhaltlichen Anforderungen eine Beteiligung dann zu genügen hat, damit die getroffene Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung standhält, wird wie bei der Beteiligung Einzelner als eine Frage der duty to act fairly von den Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht.527 dd) Die Rolle der Umweltverträglichkeitsprüfung im System der Verfahrensrechte Die Pflicht der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für bestimmte Vorhaben wurde in England zunächst weitgehend durch die Town and Country Planning (Assessment of Environmental Effects) Regulations 1988528 eingeführt und ist mittlerweile nach mehreren Änderungen und der Umsetzung der erweiterten europäischen Vorgaben vor allem in den Town and Country Planning (Environmental Impact Assessment) Regulations 2011529 geregelt. Für national bedeutende Infrastrukturvorhaben ist die Umweltverträglichkeitsprüfung gesondert in den Infrastructure Planning (Environmental Impact Assessment) Regulations 2009530 vorgesehen. Im Aufbau der Richtlinie über die Umweltverträglichkeit bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL)531 ähnlich, nennt der erste Anhang zu den Regulations Vorhaben, vor deren Zulassung stets eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, während die Zulassungsverfahren für die im zweiten Anhang aufgeführten Vorhaben nur dann eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach sich ziehen, wenn sie nach Ansicht der planenden Behörde oder des Secretary of State voraussichtlich bedeutende Auswirkungen auf die Umwelt haben werden. Als Faktoren im Rahmen der hier zu treffenden Entscheidung für oder gegen eine Umweltverträglichkeitsprüfung sollen vor allem die Art, die Größe und der geplante Standort des Vorhabens entscheidend sein. Kriterien, welche die Verwal526 Energy White Paper der Regierung, Our energy future – creating a low carbon economy vom 24. 2. 2003, Rdnr. 4.68. 527 Edwards v Environment Agency (2007) Env. L. R. 9 Rdnr. 90; R (on the application of Greenpeace Ltd) v Secretary of State for Trade and Industry (2007) EWHC 311 Rdnr. 61. 528 SI 1988/1199. 529 SI 2011/1824. 530 SI 2009/2263. 531 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/ EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG.
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tung für ihre Entscheidung heranziehen sollen, sind in Anhang 3 zu den Regulations genannt. Wiederum kann die Frage aufgeworfen werden, ob von einem Recht auf Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung, das neben die erweiterten Beteiligungsrechte bei durchzuführender Umweltverträglichkeitsprüfung tritt, gesprochen werden kann. Besonders bedeutend wird dies, da es bei einem Großteil der Vorhaben in das Ermessen der Verwaltung gestellt wird zu entscheiden, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist oder nicht. Diese Entscheidung wird im Rahmen eines so genannten screening-Verfahrens getroffen. Wiederholt haben englische Gerichte betont, dass die Entscheidung darüber, ob ein Vorhaben bedeutende Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, als Ermessensentscheidung der Verwaltung nur anhand des Klagegrunds der Wednesbury-unreasonableness zu überprüfen ist.532 Die Verletzung eines etwaigen Verfahrensrechts im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsprüfung kommt dann schon nicht in Betracht – es bleibt eine nur bedingt zu kontrollierende Ermessensentscheidung der Behörde, ob die erweiterten Verfahrensrechte der Umweltverträglichkeitsprüfung überhaupt zu gewähren sind. Wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt, ist für die Frage nach einem eigenständigen Recht auf korrekte Durchführung derselben wiederum die Reichweite der Fehlerfolgenregelung sowie der gerichtlichen Geltendmachung etwaiger Fehler entscheidend. Hierauf wird im weiteren Verlauf der Arbeit eingegangen. c) Inhaltliche Anforderungen europäischer Vorgaben Auch in England wird der Einfluss des europäischen Rechts auf die innerhalb des Verwaltungsverfahrens anzuerkennenden Rechte diskutiert. Im Mittelpunkt dieser Diskussion stehen hier vor allem die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention, deren Garantien durch den Human Rights Act 1998 Bestandteil des englischen Rechts wurden. Weiterhin ist vor allem an eine Ausweitung der Begründungspflicht aufgrund europäischer Vorgaben zu denken. aa) Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention Viel diskutiert wird in England die Frage, welche Voraussetzungen Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auch an Verfahren der ad532
Vgl. nur R (Jones) v Mansfield District Council (2003) EWCA Civ 1408 Rdnr. 14 ff.; R (McDonagh) v Hounslow London Borough Council (2004) EWHC 511 (Admin); R (Peterson) v First Secretary of State (2004) EWHC 185 (Admin); R (Flash) v Southwark London Borough Council (2004) EWHC (Admin) Rdnr. 19; Morgan and Baker v Hinton Organics (Wessex) Ltd. (2009) EWCA Civ 107; R (Bowen-West) v Secretary of State (2012) EWCA Civ 321 Rdnr. 11 f.; R (Loader) v Secretary of State for Communities and Local Government (2012) EWCA Civ 869 Rdnr. 31; R (Evans) v Secretary of State for Communities and Local Government (2013) EWCA Civ 115 Rdnr. 38 ff.
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ministrativen Entscheidungsträger stellt. Seinem Wortlaut nach gilt Art. 6 Abs. 1 EMRK zunächst allein für Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen sowie strafrechtliche Anklagen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte legt jedoch allgemein den Begriff des „zivilrechtlichen Anspruchs“ autonom von dem Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten und hierbei weiter aus, als dies der deutsche Wortlaut der Vorschrift vermuten lassen würde. Um ein Verfahren über einen solchen zivilrechtlichen Anspruch soll es sich demnach immer dann handeln, wenn das Ergebnis eines Verfahrens für zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen unmittelbar entscheidend ist.533 Dies kann insbesondere auch bei Verfahren der Fall sein, in denen sich der Einzelne und der Staat gegenüberstehen. In der englischen Sprachfassung ist überdies die Rede von „civil rights and obligations“, so dass nach englischem Verständnis schon begrifflich eine Anwendung auf Verfahren denkbar ist, in denen Rechte und Pflichten des Einzelnen gegenüber dem Staat bestimmt werden.534 Zwar regelt Art. 6 Abs. 1 EMRK zudem unmittelbar nur die Notwendigkeit eines fairen gerichtlichen Verfahrens. Insbesondere hat nicht jeder staatliche Entscheidungsträger die aufgestellten Voraussetzungen zu erfüllen, solange dessen Entscheidungen wiederum durch ein unabhängiges Gericht im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK kontrolliert werden können.535 Allerdings werden vor allem innerhalb des Systems der administrativen Tribunale in England verbreitet Verwaltungsentscheidungen von gerichtsähnlichen Einrichtungen getroffen, deren Entscheidungen nicht stets auch inhaltlich im Rahmen des judicial review proceedings kontrolliert werden. Ähnliches gilt für bestimmte Entscheidungen, die von eigens hierfür eingerichteten Gremien oder ernannten Commissioners getroffen werden. In derartigen Fällen, in denen die Entscheidung der Verwaltung etwa in Bezug auf deren tatsächliche Feststellungen nicht gerichtlich kontrolliert werden, hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof entschieden, dass es der formell gesehen der Exekutive zuzuordnende Entscheidungsträger selbst ist, der den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK und hier insbesondere dem Erfordernis der Unabhängigkeit zu genügen hat.536
533 EGMR, Urteil vom 13. 7. 2006, Application No. 31273/04, Nikas und Nika gegen Griechenland, Rdnr. 26; EGMR, Urteil vom 25. 5. 2001, Application No. 29357/95, Gast und Popp gegen Deutschland, Rdnr. 64; EGMR, Urteil vom 27. 7. 2000, Application No. 33379/96, Klein gegen Deutschland, Rdnr. 28 f. 534 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 398 ff. Rdnr. 7 – 033 ff.; eingehend zu dem englischen Verständnis Craig, Paul, PL 2003, 753 (759 f.). 535 EGMR, Urteil vom 10. 2. 1983, Application No. 7299/75, 7496/76, Albert and Le Compte gegen Belgien, Rdnr. 29. 536 EGMR, Urteil vom 14. 11. 2006, Application No. 60860/00, Tsfayo gegen UK, Rdnr. 43 ff.; EGMR, Urteil vom 22. 11. 1995, Application No.19178/91, Bryan gegen UK, Rdnr. 44 ff.; ähnlich sehen dies auch die englischen Gerichte, etwa in R (Alconbury Development Ltd.) v Secretary of State for the Environment, Transport and the Regions (2001) 2 AC
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Für administrative Entscheidungsverfahren erlangt Art. 6 Abs. 1 EMRK vor allem in Bezug auf die nach der Ansicht des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs hierin erhaltene Pflicht zur Begründung von staatlichen Entscheidungen eine Bedeutung.537 Immer dort also, wo das administrative Entscheidungsverfahren bereits derart gerichtsähnlich aufgebaut ist, dass es in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK fällt, ist auch in England, wo bislang keine allgemeine Pflicht zur Begründung von Verwaltungsentscheidungen anerkannt ist, die Entscheidung zu begründen. bb) Allgemeine Begründungspflicht des europäischen Rechts Das Recht auf eine hinreichende Begründung ist als Bestandteil des Rechts auf eine gute Verwaltung in Art. 41 Abs. 2 Nr. 3 der europäischen Grundrechtecharta und für Rechtsakte der Europäischen Union in Art. 296 Abs. 2 AEUV538 geregelt. Auch wird die Pflicht zur Begründung von Entscheidungen vom EuGH seit jeher als allgemeiner Rechtsgrundsatz bezeichnet.539 Abgesehen von der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben in das englische Recht, die oftmals mit einer Kodifizierung von Begründungspflichten einhergeht, ist die Bedeutung der Begründung von Verwaltungsentscheidungen innerhalb des Eigenverwaltungsrechts der Europäischen Union auch allgemein als Impulswirkung für die verschiedenen Entwicklungslinien von Begründungspflichten in England anzusehen. Der Umgang mit Verwaltungsentscheidungen mit unionsrechtlichem Bezug und die damit einhergehende – unionsrechtliche – Begründungspflicht soll auch den Weg für eine allgemeine Begründungspflicht im englischen Verwaltungsrecht ebnen: Innerhalb der Europäischen Union habe es eine verwaltungsrechtliche Begründungspflicht schon seit jeher gegeben, und es sei nicht ersichtlich, dass die Verwaltung dadurch überfordert oder in der Ausübung ihres Ermessens behindert sei.540 Zum anderen ist dort, wo eine Entscheidung Rechte betrifft, die durch das europäische Recht verliehen werden, auch die englische Verwaltung unmittelbar unionsrechtlich verpflichtet, ihre Entscheidung zu begründen.541 Begründungs295 Rdnr. 117 ff.; R (on the application of Kathro, Evans, Evans, Grant, Llantwit Fadre Community Council) v Rhondda Cynon Taff County BC (2001) EWHC Admin 527 Rdnr. 28. 537 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 460 f. Rdnr. 7 – 122; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 408, mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des EGMR; vgl. u. a. EGMR, Urteil vom 21. 1. 1999, Application No. 30544/96, Garcia Ruiz gegen Spanien, Rdnr. 26. 538 Diese allgemeine Begründungspflicht war früher schon in Art. 253 EGV und davor in Art. 190 EGV enthalten. 539 Vgl. schon EuGH, Urteil vom 15. 7. 1960, Rs. 43/59, Lachmüller, Slg. 1960, 965 (989). 540 Craig, Paul, Administrative Law, S. 369 Rdnr. 12 – 038. 541 Jacobs, Francis, PL 1999, 232 (235 f.).
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pflichten der nationalen Behörden sind insbesondere dann anzunehmen, wenn dies durch den europäischen Effektivitätsgrundsatz gefordert ist.542 3. Zwischenfazit: Die Reichweite von Verfahrensrechten innerhalb des Verwaltungsverfahrens im deutschen und englischen Rechtssystem Die Darstellung einzelner Rechte, die in Deutschland und England während eines Verwaltungsverfahrens gewährt werden, lässt die eingangs festgestellte größere Bedeutung verfahrensrechtlicher Garantien in England nicht zwingend erkennen. Es werden vielmehr auch oder gerade in Deutschland durchaus sehr weit gehende Verfahrensrechte zuerkannt, insbesondere wenn es um die Beteiligung Betroffener, aber auch immer häufiger der Öffentlichkeit an bestimmten Verfahren geht. In diesem Bereich gehen die in England aus dem Prinzip der natural justice oder der duty to act fairly abgeleiteten Rechte nicht über diejenigen des VwVfG oder der fachgesetzlichen Regelungen hinaus. Darüber hinaus enthält das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht mit der allgemeinen Begründungspflicht eine Verfahrensgarantie, die in England ursprünglich nicht anerkannt war und auch heute teilweise weiterhin nur als Ausnahme angesehen wird. Die vornehmliche Einzelfallabhängigkeit der in England im Einzelnen anerkannten Verfahrensrechte erschwert überdies eine allgemeine Aussage über die Reichweite von Verfahrensrechten im Verwaltungsverfahren. Dies gilt vor allem auch für die Frage, welchen Personen überhaupt Verfahrensrechte zugestanden werden sollen. Es gibt damit in England zum einen Fälle, in denen eine weitreichende Beteiligung von Personen als zwingend erachtet wird, die in Deutschland nach Maßgabe von § 13 VwVfG nicht am Verfahren beteiligt werden müsse. Zum anderen ist es aber gerade im Bereich der public inquiries auch möglich, dass Einwendungen solcher Personengruppen ausgeschlossen werden, deren Beteiligung im deutschen Planungsrecht zwingend vorgegeben wäre.
II. Verfahrensfehlerfolgen und Verletzung von Verfahrensrechten Die weitreichende Einräumung von Verfahrensrechten innerhalb des Verwaltungsverfahrens bedeutet nicht zwingend, dass ein Verwaltungsrechtssystem auch die Sanktionierung im Falle einer Verletzung solcher Rechte zulässt. Vielmehr zeigt sich gerade im Bereich der Regelungen, die ein Rechtssystem zu den Folgen von Fehlern innerhalb des Verwaltungsverfahrens trifft, welche Bedeutung dem Verwaltungsverfahren und seinen Verfahrensgarantien bei der Beurteilung der Rich-
542 Vgl. EuGH, Urteil vom 15. 10. 1987, Rs. 222/68, Unectef gegen Heylens, Slg. 1987, 4097 (4117) Rdnr. 15.
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tigkeit und Gerechtigkeit einer Entscheidung zugewiesen wird.543 Dass eine bestimmte Verwaltungsentscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist, muss nicht immer heißen, dass dieser Fehler bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sachentscheidung als solcher auch Beachtung findet. So kann es Möglichkeiten geben, der Verwaltung Gelegenheit zur Nachholung der fehlerhaften Verfahrenshandlung zu geben und damit den Fehler zu heilen. Weiterhin können Verwaltungsverfahrensfehler als unbeachtlich oder zumindest als nicht durchsetzbar angesehen werden. 1. Die Regelung der Verfahrensfehlerfolgen in Deutschland Nicht jeder Verfahrensfehler führt in Deutschland zu einer Aufhebung der Entscheidung. Im Gegenteil ist der Umgang mit derartigen Fehlern schon im VwVfG selbst ausführlich geregelt. a) Auswirkung der dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens Insbesondere aus der im deutschen Rechtssystem bedeutsamen Funktion des Verwaltungsverfahrens, das der Findung einer materiell rechtmäßigen Entscheidung dienen soll, lässt sich eine unterschiedliche Gewichtung von Fehlern, die das materielle Recht oder die Sachentscheidung an sich betreffen, und solchen, die im Zuge des Verfahrens geschehen sind, rechtfertigen.544 Wo Fehler in der materiellen Entscheidung grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit und die Rechtswidrigkeit zur Aufhebbarkeit oder Nichtigkeit der Entscheidung führen,545 muss dasselbe nicht über jeglichen Verfahrensfehler gesagt werden. Vielmehr bewirkt die materiell-rechtliche Ausrichtung des Blicks auf die Verwaltungsentscheidung, dass der Verfahrensfehler „in der rechtmäßigen Sachentscheidung verschwindet“546 und dann auch nicht mehr zur Aufhebbarkeit der Verwaltungsentscheidung führen muss. Bei von dem Verfahrensfehler unabhängiger materieller Rechtmäßigkeit könnte die Verwaltung die ergangene Maßnahme selbst bei einer Aufhebung durch das Gericht – eine ausbleibende Veränderung der Rechtslage vorausgesetzt – ohnehin in einem neuen Verfahren möglichst ohne Begehung eines weiteren Verfahrensfehlers (erneut) er543 Bei Entwicklung des VwVfG hat man sich somit zwar für eine Aufwertung des Verfahrens durch Zuerkennung von Verfahrensrechten entschieden, gleichzeitig aber die Sanktionierung im Falle von deren Verletzung weitrechend eingeschränkt; Erichsen, Hans-Uwe, DVBl. 1978, 569 (577), etwa spricht in Bezug auf die Fehlerfolgenregelungen des VwVfG von einem „Selbstmordversuch des Gesetzes“. 544 Wolff, Heinrich Amadeus, Die dienende Funktion der Verfahrensrechte – eine dogmatische Figur mit Aussagekraft und Entwicklungspotential, in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Festschrift für Rupert Scholz, 2007, S. 977; Pietzker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (222); Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1287). 545 Statt vieler Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 72. 546 Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (222).
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lassen.547 Insbesondere im Fall eines materiell rechtmäßigen, aber verfahrensfehlerhaften begünstigenden Verwaltungsakts mit belastender Wirkung für einen Dritten ist zudem nicht allein die Verfahrensposition des belasteten Dritten zu bedenken. Vielmehr ist vor allem die materielle Rechtsposition des Adressaten, der unter Umständen gar einen Anspruch auf den Erlass des Verwaltungsakts hat, zu schützen.548 Bei der Beurteilung von Verfahrensfehlerfolgen und bei der Anerkennung eines gegen die ergangene Entscheidung gerichteten Aufhebungsanspruchs im Fall eines fehlerhaften Verwaltungsverfahrens wirken sich nun die unterschiedlichen Verständnismöglichkeiten des Eigenwerts eines Verwaltungsverfahrens entscheidend aus. Wo das Verwaltungsverfahren, auch wenn ihm ein Eigenwert zugesprochen wird, nur im Zusammenhang mit der letztlich getroffenen Entscheidung gesehen wird, ist der Bedarf nach einer von der materiellen Entscheidung unabhängigen – insbesondere gerichtlichen – Überprüfung des Verfahrens an sich kaum oder zumindest nur eingeschränkt gegeben. Nur wo sich ein Verfahrensfehler auch auf die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung auswirkt oder ausgewirkt haben kann, ist ein gerichtliches Eingreifen notwendig und dann gerade nicht allein wegen des Verfahrensfehlers, sondern weil durch ihn eine auch materiell nicht rechtmäßige Entscheidung zustande gekommen sein kann. Wo hingegen innerhalb des Verwaltungsverfahrens von den materiellen Rechtspositionen unabhängige eigenständige Rechte anerkannt werden, ist der Begründungsaufwand für einen Ausschluss der Durchsetzbarkeit dieser Rechte im Rahmen eines Aufhebungsanspruchs gegen die derart verfahrensfehlerhaft getroffene Entscheidung ungleich größer.549 Über den Verweis auf die grundsätzlich dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens als Rechtfertigung für eine umfassende Fehlerfolgenregelung im deutschen Recht hinaus betont namentlich Michael Fehling die Notwendigkeit, die Vorschriften zur Abmilderung von Fehlerfolgen im Verwaltungsverfahren innerhalb eines Rechtssystems nicht isoliert von der Reichweite der innerhalb des Verfahrens bestehenden Rechte zu bewerten. Wo ein Rechtssystem schon nur sehr eingeschränkte Verfahrensgarantien anerkenne, sei auch der Bedarf an einer Eingrenzung 547 Als „Gesetzessinn“ des § 46 VwVfG bezeichnet von Ossenbühl, Fritz, NJW 1981, 375 (377); diese Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung materieller und formeller Fehler betont auch Bettermann, Karl August, Anfechtbare und Nichtanfechtbare Verwaltungsakte, in: Erichsen/Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 709 (711). 548 Zu dem notwendigen Ausgleich beider Positionen ausführlich schon Degenhart, Christoph, DVBl. 1981, 201 (202 f.); vgl. auch Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann/Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 27 Rdnr. 107, der Fehlerfolgenregelungen als Teil einer notwendigen Abwägung zwischen Bestanderhaltungsinteressen, Verwaltungseffizienz und Rechten Dritter darstellt. 549 Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verwaltungsverfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 372; Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (284 und dort insbes. Fn. 15).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
der Verfahrensfehlerfolgen weniger ausgeprägt.550 Die vergleichsweise weitreichenden Verfahrensgarantien des deutschen VwVfG könnten bei einer Bewertung der Wichtigkeit prozeduraler Garantien bezogen auf die Folgen ihrer Verletzung daher nicht außer Acht gelassen werden.551 Obgleich diese Warnung vor einer isolierten Betrachtung allein der Fehlerfolgenregelung wie die vor jedweder isolierten Betrachtung einzelner Bestandteile eines Rechtssystems ihre Berechtigung hat, kann die Bedeutung einer weitreichenden Eingrenzung von Verfahrensfehlerfolgen für die Beurteilung eines Werts prozeduraler Garantien doch nicht gänzlich abgelehnt werden. Es wären gerade tiefgreifende Verfahrensgarantien für den Einzelnen von geringem Wert, wenn ihre Nichtbeachtung weitestgehend folgenlos bliebe und er sie nicht eigenständig durchsetzen könnte. Die großzügige Einräumung von Verfahrensrechten lässt dann bei gleichzeitig weitgehender Fehlerfolgenregelung den starken Fokus des deutschen Rechtssystems auf die materielle Rechtmäßigkeit des Verfahrensergebnisses weitgehend unberührt. b) Nichtigkeit als Fehlerfolge von Verfahrensfehlern Nur in Ausnahmefällen sehr schwerwiegender und offensichtlicher Verfahrensfehler ist die Nichtigkeit der Verwaltungsentscheidung als Fehlerfolge vorgesehen. Für Verwaltungsakte sind in § 44 VwVfG Fehler, welche die Nichtigkeit zur Folge haben, aufgeführt. Ausdrücklich auf formelle Voraussetzungen bezogen sind die Nichtigkeitsgründe der Nichterkennbarkeit der erlassenden Behörde beim schriftlichen Verwaltungsakt nach § 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG sowie das Unterlassen einer zwingenden Aushändigung einer Urkunde in § 44 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG. Darüber hinaus wird jedoch vertreten, dass auch ein besonders eklatanter Verfahrensfehler allgemein nach § 44 Abs. 1 VwVfG zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führen können müsse. Insbesondere Verfahrensgestaltungen, die den Geboten der Gleichbehandlung und Unvoreingenommenheit nicht entsprächen, könnten im Sinne dieser Vorschrift zu einem offensichtlich schwerwiegenden Fehler des Verwaltungsakts führen.552 Die Möglichkeit eines derart offensichtlichen Fehlers wird etwa im Fall einer unterlassenen notwendigen Hinzuziehung zum Verfahren nach § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG angenommen.553 Allerdings ist die Nichtigkeit als Fehlerfolge eines Verfahrensfehlers eine Ausnahme, die allein bei besonders eklatanten und offensichtlichen Fehlern eintritt. 550
Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (289 ff.). Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (289 ff.); siehe dort die Nachweise in Fn. 40 und 41 für eine Darstellung der Verfahrensgarantien im amerikanischen Rechtssystem. 552 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 811; Ziekow, Jan, VwVfG Kommentar, § 44 Rdnr. 8. 553 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 51a; Ritgen, Klaus, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 55; strenger Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 281, der in diesem Fall stets von der Nichtigkeit als Fehlerfolge ausgeht. 551
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
249
c) Relativierung von Verfahrensfehlern Ist die Verwaltungsentscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, jedoch hierdurch nicht nichtig, hat der Verfahrensfehler nicht zwingend zur Folge, dass der Verwaltungsakt aufgehoben werden muss. Ein Gleichlauf mit materiellen Fehlern bezogen auf die Fehlerfolgen ist in Deutschland insbesondere dann nicht vorgesehen, wenn das Gesetz die Heilung eines bestimmten Fehlers vorsieht oder den Fehler als unbeachtlich einstuft. Die heute gültige Fehlerfolgenregelung des VwVfG ist weitgehend auf das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz554 zurückzuführen, das die Heilungs- und Unbeachtlichkeitsvorschriften in erheblichem Maße ausgeweitet hat. Darüber hinaus hat es in den 1990er-Jahren mehrere weitere gesetzgeberische Schritte zur Verfahrensbeschleunigung gegeben, namentlich das Planvereinfachungsgesetz555 und das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren,556 die sich ebenfalls auf die Regelung der Verfahrensfehlerfolgen ausgewirkt haben. aa) Heilung von Verfahrensfehlern Zu einer Auswirkung des Verfahrensfehlers kommt es zunächst dann nicht, wenn eine fehlerhafte oder unterbliebene Verfahrenshandlung nachgeholt werden kann, so dass der Fehler als geheilt angesehen wird, wie dies § 45 VwVfG vorsieht. Nach der seit dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz geltenden Fassung des § 45 Abs. 2 VwVfG können die genannten Verfahrenshandlungen sogar noch während des gerichtlichen Verfahrens bis zur Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden. § 45 Abs. 1 VwVfG benennt zunächst diejenigen Verfahrenshandlungen oder Formvorgaben, die einer nachträglichen Ausführung oder Ergänzung zugänglich sind, wenn die ursprüngliche Verletzung der Vorschriften den Verwaltungsakt nicht bereits nichtig gemacht hat. Danach ist es möglich, einen erforderlichen Antrag, eine Begründung, die Anhörung eines Beteiligten, den Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung an der Entscheidung notwendig ist, sowie die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachzuholen. Über die Verfahrens- und Formvorgaben innerhalb des VwVfG hinaus bezieht sich die Heilungsmöglichkeit in den in § 45 Abs. 1 VwVfG genannten Fällen auch auf entsprechende Vorgaben anderer Gesetze.557 Die genaue Rechtsfolge einer erfolgreichen Heilung ist in § 45 VwVfG nicht genannt. Überwiegend wird von einer mit ex-tunc Wirkung erfolgenden
554
Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12. 9. 1996, BGBl. I, 1354. Planvereinfachungsgesetz vom 12. 12. 1993, BGBl. I, 2123. 556 Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996, BGBl. I, 1498. 557 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 7. 555
250
Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Aufhebung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts558 oder zumindest von einer Behandlung des Verwaltungsakts als von Anfang an rechtmäßig ausgegangen.559 Die Nachholung der Verfahrenshandlung oder die nachträgliche Erfüllung einer Formvorgabe muss uneingeschränkt denselben Voraussetzungen genügen, wie dies auch bei ursprünglicher Einhaltung der Fall gewesen wäre.560 Unerlässlich für eine wirksame Heilung ist es überdies, insbesondere in Fällen der nachgeholten Begründung und Anhörung, dass die Funktion der verfahrensrechtlichen Institute durch die Nachholung erreicht werden kann.561 Aus dieser Anforderung werden auch die Zweifel an der aus zeitlicher Sicht erweiterten Heilungsmöglichkeit nach § 45 Abs. 2 VwVfG abgeleitet. Hier droht die Gefahr, die Botschaft zu vermitteln, allein die „formale Wahrung des Verfahrensrechts, dem rechtsstaatlichen Anschein halber“,562 sei notwendig. Für das Planfeststellungsverfahren ist zusätzlich zu der allgemeinen Heilungsmöglichkeit für Verfahrensfehler des Planfeststellungsbeschlusses nach § 45 VwVfG in § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG ein Ergänzungsverfahren vorgesehen, das zum Einsatz kommen kann, wenn ein Planfeststellungsbeschluss an einem behebbaren Fehler im Abwägungsvorgang – damit einem materiellen Fehler – oder an einem Verfahrens- oder Formfehler563 leidet. So kann die Notwendigkeit, ein vollständiges neues Planfeststellungsverfahren durchführen zu müssen, verhindert werden. Allerdings weist § 75 Abs. 1a Satz 2 2. Halbsatz VwVfG nunmehr zusätzlich darauf hin, dass neben § 45 auch § 46 VwVfG unberührt bleiben soll, so dass 558 Vgl. u. a. und m.w.N. Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 59; Peuker, Enrico, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 22; Ziekow, Jan, VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 4; für eine ex-nunc eintretende Heilungswirkung hingegen u. a. Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 14; Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 98; Schenke, Wolf-Rüdiger, NVwZ 2015, 1341 (1342). 559 Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 21 f.; diese Formulierung ist wohl dem Umstand geschuldet, dass aus der ursprünglich fehlerhaften Verwaltungshandlung sich ergebende Schadensersatz- oder Amtshaftungsansprüche nicht ausgeschlossen werden sollen. 560 Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 20. 561 „Funktionale Äquivalenz“; vgl. Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 26, 42; ausführlich zu diesem Erfordernis auch Martin, Marco, Heilung von Verfahrensfehlern im Verwaltungsrecht, 2004, S. 261 ff.; dies betont dem Grunde nach auch das Bundesverwaltungsgericht; vgl. BVerwGE 66, 291 (295); BVerwGE 121, 72 (79); BVerwGE 137, 199 (211 f.); siehe auch VGH Kassel Beschluss vom 6. 11. 2012 – 6B 1267/12, Leitsatz 1; zu sich hieraus ergebenden möglichen Einschränkungen der Heilbarkeit von Verfahrensfehlern siehe Kapitel 3 B. II. 1. c) cc) (1) (c). 562 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 66. 563 Die Erweiterung des § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG um Verfahrens- und Formfehler erfolgte durch das Planungsvereinheitlichungsgesetz in Angleichung an die Regelungen des Fachplanungsrechts, die schon zuvor Verfahrens- und Formfehler neben die Mängel im Abwägungsvorgang gestellt hatten.
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
251
im Falle eines Verfahrensfehlers sogar die unveränderte Planerhaltung als vorrangig angesehen wird.564 Soweit ein Fehler nicht derart schwerwiegend ist, dass durch ihn die Ausgewogenheit der gesamten Planung oder ihr Gesamtkonzept beeinträchtigt ist, wird demnach von einem Grundsatz der Planerhaltung ausgegangen.565 Auch Verfahrensfehler im Zusammenhang mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung können gemäß § 4 Abs. 1b UmwRG durch Entscheidungsergänzungen oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden. bb) Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern Verfahrensfehler bleiben überdies dort ohne Bedeutung, wo sie als unbeachtlich deklariert werden. Für das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht ist diese Fehlerfolge in § 46 VwVfG für bestimmte Verfahrensfehler vorgesehen, so sie offensichtlich auf das Entscheidungsergebnis nicht von Einfluss gewesen sind. Auch für baurechtliche Entscheidungen sind weitreichende Unbeachtlichkeitsvorschriften in § 214 BauGB genannt. Selbst Mängel im Abwägungsvorgang, dem, wie gesehen, materiell-rechtliche Bedeutung zugemessen wird, sind im Bauplanungsrecht aber auch im Planfeststellungsverfahren nach § 75 Abs. 1a VwVfG unbeachtlich, wenn sie sich nicht auf das Abwägungsergebnis ausgewirkt haben. (1) Bedeutung und Reichweite des § 46 VwVfG Exemplarisch für die Behandlung formeller Fehler im deutschen Rechtssystem und deren Geltendmachung ist der § 46 VwVfG, der damit auch als Symbol für die Bedeutung, die dem Verfahrensrecht in Bezug auf die Bewertung einer Entscheidung zukommt, angesehen werden kann. Die Regelung gilt unmittelbar nur im Anwendungsbereich des VwVfG, also nur für solche Verwaltungsakte, die im Rahmen eines nach diesem Gesetz durchgeführten Verfahren erlassen werden, und auch nur wenn es tatsächlich zu einer Verwaltungsentscheidung gekommen ist.566 Die verletzte Verfahrensvorgabe selbst kann hingegen aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz oder aus einem anderen Gesetz stammen, also insbesondere eine Vorschrift des Fachrechts sein, die nach § 1 VwVfG dem VwVfG vorgeht.567 Darüber hinaus zeigt der § 46
564
Kritisch hierzu Hertel, Wolfram/Munding, Christoph-David, NJW 2013, 2150 (2153); zu möglicherweise notwendigen Einschränkungen des § 46 VwVfG im Planungsrecht Kapitel 3 II. 1. c) cc). 565 Hildebrandt, Burkhardt, Der Planergänzungsanspruch, 1999, S. 254 f.; Püttner, Günter/ Guckelberger, Annette, JuS 2001, 218 (220); vertiefend zur Planerhaltung Henke, Peter, Planerhaltung durch Planergänzung und ergänzendes Verfahren, 1997, insbes. S. 46 ff. und zu deren Grenzen S. 110 ff. 566 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 6. 567 BVerwG, NVwZ 1988, 525; Pünder, Hermann, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 14 Rdnr. 85; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 7.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
VwVfG auch die grundsätzliche Handhabung verfahrensfehlerhaft zustande gekommener oder mit einem Formfehler behafteter Verwaltungsentscheidungen. § 46 VwVfG und die von ihm ausgehende Wertung qualifiziert die meisten Verfahrensrechte als relative Rechte. Sie dienen der Verwirklichung materieller Rechtspositionen, und wenn solche durch die letztendlich getroffene Entscheidung trotz Verletzung eines Verfahrensrechts nicht eigens betroffen sind, soll auch der Verfahrensfehler nicht von Beachtung sein. (a) Anwendung der Unbeachtlichkeitsklausel § 46 VwVfG bestimmt, dass allein wegen bestimmter Verfahrens- und Formfehler, die nicht die Nichtigkeit des Verwaltungsakts zur Folge haben, die Aufhebung desselben nicht verlangt werden kann. Dies gilt nur, wenn der Fehler die Sachentscheidung offensichtlich nicht beeinflusst hat. Anders als die Formulierung des § 46 VwVfG a.F. vor dem Genehmigungsbeschleunigungsgesetz von 1996, wonach die Aufhebung eines verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Verwaltungsakts immer dann nicht begehrt werden konnte, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können, die Entscheidung also rechtlich alternativlos war,568 und damit dem Gesetzeswortlaut nach569 allein Fälle erfasste, in denen der Verwaltung keinerlei Entscheidungsspielraum zustand, stellt die heutige Fassung der Vorschrift auf den konkreten Einfluss des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung ab.570 Durch die Neuregelung können im Fall einer fehlenden Auswirkung des Verfahrensfehlers nunmehr auch im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen oder bei planerischen Abwägungsentscheidungen Aufhebungsansprüche wegen eines Verfahrensfehlers ausgeschlossen sein.571 Allerdings darf der Verfahrensfehler die Sachentscheidung offensichtlich nicht beeinflusst haben. Die Rechtsprechung geht heute davon aus, dass allein im Fall einer konkreten Möglichkeit, dass die Verwaltung ohne den Verfahrensfehler eine andere Sachentscheidung getroffen haben könnte, der Verfahrensfehler als beachtlich an568 Näher zum Anwendungsbereich der alten Fassung Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/ Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 53 ff. 569 Zu der durch die Rechtsprechung jedoch bereits für die alte Fassung angenommenen Ausweitung auf Fälle tatsächlicher Alternativlosigkeit im Anschluss an VGH München, NVwZ 1982, 510 (512 f.), u. a. Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 121 f.; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 979; ein Überblick über die damalige Diskussion findet sich bei Kleesiek, Anja, Zur Problematik der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, 2010, S. 54 ff. 570 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 2. 571 Vgl. insbesondere die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks. 13/3995, S. 8; nach allgemeiner Auffassung soll die Neufassung hiervon abgesehen nicht zu einer grundlegenden Änderung der Behandlung von Verfahrensfehlern gegenüber der alten Fassung führen, insbesondere sollen nicht bisher von § 46 VwVfG erfasste Entscheidungen nunmehr ausgenommen sein; vgl. Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 47 ff., 57 ff.
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
253
zusehen ist.572 Die konkrete Möglichkeit einer anderen Sachentscheidung soll immer dann bestehen, wenn sich bei realistischer Betrachtungsweise ergibt, dass sich ohne den Verfahrensfehler im maßgeblichen Zeitraum eine andere Entscheidung abgezeichnet hätte.573 Es wird die Feststellung einer hypothetischen Kausalität im Fall des Unterlassens des konkreten Verfahrensfehlers notwendig. Die konkrete Entscheidungssituation, in der sich die Behörde befand, ist durch das Gericht nachzuvollziehen.574 Auch wegen der Schwierigkeit, hypothetische Entscheidungsabläufe zweifelsfrei zu konstruieren, soll der Verfahrensfehler nur dann unbeachtlich sein können, wenn seine fehlende Auswirkung auf die Sachentscheidung offensichtlich ist. Der Behördenwillen, ohne den Verfahrensfehler in der Sache keine andere Entscheidung getroffen zu haben, muss offensichtlich erkennbar werden.575 So hat jüngst auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Annahme der Unerheblichkeit eines Verfahrensfehlers verfassungsrechtlich dann nicht mehr hinnehmbar ist, wenn das Gericht eine eigene hypothetische Abwägungsentscheidung an die Stelle der Entscheidung durch die Behörde stellt.576 572 Noch zu der alten Fassung des § 46 VwVfG BVerwGE 56, 230 (233); BVerwGE 69, 256 (269 f.); BVerwGE 75, 214 (228); nunmehr zumeist im Rahmen des Planungsrechts BVerwGE 100, 238 (250); BVerwGE 104, 236 (241); BVerwGE 111, 108 (122); BVerwGE 121, 72 (76 f.); BVerwGE 154, 73, Rdnr. 39; BVerwG, NVwZ 2018, 1322 (1324); die Ausführungen des in diesem Zusammenhang häufig zitierten Urteils BVerwGE 98, 339 (361 f.), beziehen sich hingegen wohl auf die Kausalität zwischen Verfahrensfehler und materieller Rechtsverletzung, wie sie im Rahmen des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt wird; nicht immer wird in den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts nämlich deutlich, ob es um die konkrete Auswirkung des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung nach § 46 VwVfG oder um die Auswirkungsmöglichkeit des Verfahrensfehlers auf eine materielle Rechtsposition des Klägers geht, wie sie zur Bejahung der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO oder aber für die Bejahung einer Rechtsverletzung nach § 113 Abs. 1 VwGO verlangt wird; hierzu auch Kapitel 4 B. II. 1. a) bb) und Kapitel 5 C. 573 Held, Jürgen, Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht der Rechtsanwender: Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Hill/Sommermann/Stelkens/Ziekow (Hrsg.), 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven, 2011, S. 69 (87). 574 Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 77; Hufen, Friedhelm, DVBl. 1988, 69 (73 f.); Held, Jürgen, NVwZ 2012, 461 (466 f.); vgl. auch die Beschreibung des Vorgehens der Verwaltungsgerichte, die behördliche Entscheidung „Punkt für Punkt“ nachzuarbeiten, bei Gerhardt, Michael, Funktionaler Zusammenhang oder Zusammenstoß zweier Rationalitäten? Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess am Beispiel der jüngeren Verfahrenslehre, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 413 (420); von dieser Kausalitätsprüfung unterscheidet sich der Vorschlag von Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1080 f.), der darauf abstellt, ob es im Rahmen einer ex-post-Betrachtung denkbar sei, dass die Behörde bei Aufhebung der fehlerhaften Entscheidung in einem erneuten Verfahren ohne den Verfahrensfehler eine andere „richtigere“ Entscheidung treffen würde. 575 Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 80; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 36 f.; ähnlich Peuker, Enrico, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 43. 576 BVerfG, NVwZ 2018, 573 (575).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Umso bedenklicher muten daher die teilweise von der Rechtsprechung gewählten Formulierungen an, die darauf schließen lassen, dass es an demjenigen, der sich auf einen Verfahrensfehler berufen möchte, liege, darzulegen, dass sich dieser nicht auf die Sachentscheidung ausgewirkt habe.577 Wenn teilweise sogar verlangt wird, dass die Möglichkeit der Auswirkung des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung offensichtlich gewesen sein müsse,578 stellt dies eine Umkehr der gesetzlich geforderten Voraussetzungen dar und lässt sich auch nicht länger mit einem Verweis auf eine dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens rechtfertigen. Teilweise formuliert jedoch auch das Bundesverwaltungsgericht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben, dass § 46 VwVfG nur angewendet werden könne, wenn „jeglicher Zweifel daran ausgeschlossen wäre, dass die Behörde ohne den Verfahrensfehler genauso entschieden hätte.“579 Diese Formulierung insbesondere in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch in Bezug auf die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern als Reaktion auf die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts zu dem Kausalitätserfordernis in Unbeachtlichkeitsklauseln wie § 75 Abs. 1a VwVfG – und damit bezogen auf die Unbeachtlichkeit von materiellen Fehlern in der Abwägung – in einem Beschluss vom 16. Dezember 2015 gesehen werden.580 Hier betont das Bundesverfassungsgericht, von einer Unbeachtlichkeit des Abwägungsfehlers könne verfassungsgemäß nur dann ausgegangen werden, „wenn konkrete Anhaltspunkte dafür nachweisbar sind, dass die Planfeststellungsbehörde gleichwohl die gleiche Entscheidung getroffen hätte.“581 Das Kausalitätserfordernis des § 46 VwVfG und vergleichbarer Unbeachtlichkeitsklauseln werden demnach weiter nicht immer einheitlich ausgelegt und angewendet.582 (b) Rechtsfolgen der Anwendung des § 46 VwVfG Weitgehend unbestritten ist die Einschätzung, dass die Anwendung des § 46 VwVfG die Rechtswidrigkeit einer verfahrensfehlerhaft ergangenen Verwaltungsentscheidung nicht ausschließt.583 Die Entscheidung verstößt weiterhin gegen 577
Vgl. beispielsweise BVerwG, NVwZ 2006, 1170; BVerwGE 125, 116 (130). OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2001, 362 (364). 579 BVerwGE 137, 199 (212); BVerwG, NVwZ 2016, 1735 (1736); BVerwG, NVwZ 2018, 1570 (1572). 580 So Hufen, Friedhelm, JuS 2017, 382 (384). 581 BVerfG, NVwZ 2016, 524 (526). 582 Siehe zu den Vorgaben des EuGH zur Anwendung des Kausalitätserfordernisses des § 46 VwVfG im europarechtlich geprägten Bereich des Umweltrechts noch Kapitel 3 B. II. 1. c) cc) (1) (b) und dies umsetztend VGH München, BeckRS 2016, 41738, der dennoch zu einer Unbeachtlichkeit des Verfahrensfehlers kommt. 583 Siehe etwa jeweils m.w.N. Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 1; Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 1; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 989 ff.; unabhängig von der Rechtswirkung des § 46 VwVfG wird hingegen nicht einheitlich beurteilt, 578
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zwingend vorgegebenes Verfahrensrecht. Es tritt gerade keine Heilung des Verfahrensfehlers ein; der Fehler bleibt vielmehr bestehen. Darüber hinaus wird die genaue Wirkungsweise allerdings nicht einheitlich beschrieben. Zunächst wird vertreten, § 46 VwVfG schließe in den Fällen seiner Anwendbarkeit eine Verletzung subjektiven Rechts im Sinne des § 113 VwGO aus, ohne dass der Begriff der „Rechtswidrigkeit“, wie er etwa in § 113 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 VwGO verwendet wird, modifiziert werden solle.584 Der verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Verwaltungsakt bleibe rechtswidrig; er verletze den Kläger jedoch nicht in subjektiven Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Diese Ansicht verdeutlicht die stark materiell-rechtliche Vorstellung des subjektiven Rechts im Sinne der Verwaltungsgerichtsordnung, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlange eine über eine Verfahrensrechtsverletzung hinausgehende Verletzung in subjektiven Rechten. Dieser Zusammenhang komme durch § 46 VwVfG danach gerade zum Ausdruck.585 Anderseits wird allein der Aufhebungsanspruch durch einen von § 46 VwVfG erfassten Verfahrensfehler als ausgeschlossen oder nicht entstanden angesehen.586 Die unter Umständen anzunehmende Verletzung eines subjektiven Verfahrensrechts und deren Auswirkungen auch auf die Verletzung materieller Rechtspositionen werde hiervon nicht berührt. Diese Ansicht ist vor allem an den Wortlaut des § 46 VwVfG angelehnt, der die Beanspruchung der Aufhebung eines Verwaltungsakts allein wegen nicht auf die Sachentscheidung durchschlagender Verfahrensfehler ausschließe, ohne eine Rechtsverletzung zu verneinen. Sei der materiell-rechtliche Aufhebungsanspruch ausgeschlossen, könne auch im Verwaltungsprozess im Rahmen des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine solche Aufhebung nicht mehr verlangt werden.587
ob ein jeder Verfahrensverstoß einen Verwaltungsakt überhaupt rechtswidrig macht; dagegen Sachs, Michael, Verfahrensfehler im Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 31 Rdnr. 64; Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 117, betont, dass nur wesentliche Verfahrensfehler zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes führen sollten. 584 von Mutius, Albert, Gerichtsverfahren und Verwaltungsverfahren, in: Erichsen/Hoppe/ von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 575 (600 f.); Krebs, Walter, DVBl. 1984, 109 (111); Ehlers, Dirk, Die Verwaltung 37 (2004), 255 (265). 585 Erläuternd, wenn auch im Ergebnis ablehnend zu dieser Ansicht weiter Baumeister, Peter, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsaktes, 2006, S. 212 f. 586 Baumeister, Peter, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsakts, 2006, S. 214, S. 243 f.; Pöcker, Markus, Stasis und Wandel der Rechtsdogmatik, 2007, S. 12; Schenke, Wolf-Rüdiger, DöV 1986, 305 (307, 311); wohl auch Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 2; Schnapp, Friedrich/Cordewener, Axel, JuS 1999, 147 (151). 587 Baumeister, Peter, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsakts, 2006, S. 214, spricht insoweit von einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, „dass der materiellrechtliche Aufhebungsanspruch nicht ausgeschlossen sein darf“.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Für die hier untersuchte Wirkung als Unbeachtlichkeitsregel ist insbesondere im Hinblick auf den Vergleich mit der englischen Herangehensweise zunächst entscheidend, dass eine Aufhebung der Sachentscheidung allein wegen Verfahrensfehlern grundsätzlich ausgeschlossen ist, die Rechtswidrigkeit der Entscheidung jedoch unabhängig davon bestehen bleibt. Inwiefern die Verletzung subjektiver Rechte, deren Geltendmachung innerhalb des deutschen, auf den subjektiven Rechtsschutz ausgelegten Systems notwendig ist, um eine Verwaltungsentscheidung gerichtlich überprüfbar und aufhebbar zu machen, durch einen Verfahrensfehler begründet werden kann, ist eine hiervon zu trennende Frage und wird in Kapitel 4 dieser Arbeit dargestellt. (2) Bedeutung des § 75 Abs. 1a VwVfG und entsprechender Regelungen des Fachplanungsrechts für Verfahrensfehler § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG bestimmt, dass Abwägungsfehler nur dann erheblich sind, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Hiervon betroffen sind damit vor allem die als materiell-rechtliche Vorgaben angesehenen Bestandteile des Abwägungsgebots, während für Verfahrensfehler innerhalb des Abwägungsvorgangs § 46 VwVfG unmittelbar anwendbar sein soll.588 Auch bei Verfahrensfehlern im Planfeststellungsverfahren – beispielsweise im Rahmen der Öffentlichkeitbeteiligung bei fehlerhafter Bekanntmachung des Vorhabens, Fehlern bei der Auslegung oder im Umgang mit Einwendungen – geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass eine Beachtlichkeit nur dann in Betracht komme, wenn die konkrete Möglichkeit bestehe, dass die Planfeststellungsbehörde ohne den Verfahrensfehler eine andere Entscheidung getroffen hätte.589 Dass das Abwägungsgebot trotz seiner starken prozeduralen Bestandteile als materielle Voraussetzung angesehen wird,590 führt im Ergebnis nicht zu einer Aufwertung des Abwägungsvorgangs, da das Bundesverwaltungsgericht auch hier verlangt, dass eine konkrete Möglichkeit dafür bestanden haben muss, dass die Planung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre. Es müssen konkrete Umstände etwa anhand der Planungsunterlagen darauf hindeuten, dass ein Mangel im Abwägungsvorgang vorliegt, der sich auf das Ergebnis der Abwägung ausgewirkt hat.591
588
Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 75 Rdnr. 25; Schink, Alexander, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 75 Rdnr. 30, 39. 589 U. a. BVerwGE 100, 238 (250); BVerwGE 121, 72 (76 f.); BVerwGE 130, 83 (94 f.); BVerwGE 134, 308 (314). 590 Dazu Kapitel 2 B. I. 1. a) cc) (2). 591 Etwa zu § 17e Abs. 6 FStrG BVerwGE 141, 171 (191): Eine Ergebnisrelevanz ist dann zu verneinen, wenn der konkrete Fehler im Abwägungsvorgang weggedacht werden kann, ohne dass im weiteren Verlauf des Abwägungsvorgangs ein weiterer ergebnisrelevanter Abwägungsmangel entsteht.
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(3) Bedeutung des § 214 BauGB für Verfahrensfehler Zunächst regelt § 214 Abs. 1 BauGB die Folgen von Verfahrens- und Formfehlern bei Flächennutzungsplänen und Satzungen nach dem BauGB, also in erster Linie bei Bauleitplänen. Insbesondere stellt § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB die Ermittlung und Bewertung von Belangen, die nach § 2 Abs. 3 BauGB in die Abwägung einzustellen sind, als einen solchen Verfahrensmangel dar, der allein dann beachtlich sein soll, wenn er offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Die Ermittlung und Bewertung abwägungserheblicher Belange kann so nach § 214 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz BauGB nicht als materiell-rechtlicher Abwägungsmangel geltend gemacht werden. Auch im Übrigen – also wenn sie im herkömmlichen Sinne als materiell-rechtliche Fehler angesehen werden592 – sind Mängel im Rahmen des Abwägungsvorgangs gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB nur dann erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Wiederum ist also die Erheblichkeit eines Verfahrensfehlers, wenn seine Beachtlichkeit nicht schon nach Maßgabe sonstiger Vorschriften des § 214 BauGB in jedem Fall ausgeschlossen sein soll, weitgehend von seiner Ergebnisrelevanz abhängig. Vergleichbar mit der Handhabung der Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern bei der Anwendung des § 46 VwVfG ist eine Entscheidungserheblichkeit laut Bundesverwaltungsgericht nur dann gegeben, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Behörde ohne den Mangel im Abwägungsvorgang eine andere Entscheidung getroffen hätte.593 Im Ergebnis werden somit auch in der bauplanerischen Abwägung sowohl die gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB zu tatsächlichen Verfahrensfehlern erklärten Mängel als auch sonstige Mängel des Abwägungsvorgangs nur bei konkreter Ergebnisrelevanz als beachtlich angesehen. cc) Grenzen und Einschränkungen der Fehlerfolgenregelung Die Rechtfertigung für eine Begrenzung der Fehlerfolgen bei Verfahrensfehlern lässt sich wie beschrieben weitgehend auf die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens auf dem Wege zu einer materiell rechtmäßigen Entscheidung stützen. Immer wenn es die – vordergründige – Aufgabe des Verwaltungsverfahrens ist, eine materiell rechtmäßige Entscheidung herbeizuführen, sollen Fehler, die auf dem Weg zu einer solchen Entscheidung gemacht wurden und auf ihre materielle Rechtmäßigkeit keinen Einfluss hatten, auch nicht zur Aufhebbarkeit der Entscheidung führen. Anders scheint dies, wenn den Verfahrensrechten als solchen ein Eigenwert zum Teil sogar unabhängig von der materiellen Entscheidung zugesprochen wird. Es geht dann nicht mehr um diejenigen Rechtspositionen des Verfahrenssubjekts, die durch die am Ende des Verwaltungsverfahrens stehende in592 Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 114 Rdnr. 11; siehe zu dieser Einordnung auch bereits Kapitel 2 B. I. 1. a) cc) (2). 593 Siehe hierzu und zu der Frage, wann eine solche konkrete Möglichkeit besteht, u. a., BVerwGE 64, 33 (39 f.); BVerwGE 69, 256 (269 f.); BVerwGE 75, 214 (252 f.); BVerwGE 122, 207 (213); BVerwGE 131, 100 (109).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
haltliche Entscheidung betroffen werden, sondern um die Verfahrensrechte als solche. Als absolut anerkannte Verfahrensrechte sind daher aus der Fehlerfolgenregelung auszunehmen. Andererseits kann auch bei Annahme einer grundsätzlich dienenden Funktion der Verfahrensnormen durchaus kritisch auf eine weitreichende Folgenlosigkeit von Verfahrensfehlern geblickt werden. Auch Normen, die das Verfahren regeln, sind Bestandteil der Verfassungsordnung, und ihre Einhaltung durch die Verwaltung ist durch Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG vorgeschrieben.594 Zudem kann auch grundsätzlich der Findung einer Sachentscheidung dienenden Verfahrensnormen durchaus ein instrumentaler Eigenwert zukommen, was gegebenenfalls zu einer Einschränkung der Fehlerfolgen führt. Auch die Auswirkung einer grundrechtlichen oder unionsrechtlichen Determinierung gewisser Verfahrenspositionen für die Bewertung von Verfahrensfehlerfolgen wird diskutiert – mithin letztlich die Frage, inwieweit sich der Verstoß gegen eine solche Verfahrensnorm „mit Grundrechtsbezug“ oder „Unionsrechtsbezug“ auf die Beurteilung der Aufhebbarkeit der getroffenen Sachentscheidung auswirkt. Aus diesen Überlegungen heraus ist die Forderung entstanden, die Reichweite insbesondere der § 45 und § 46 VwVfG in bestimmten Fällen einzuschränken. (1) Auswirkungen der Annahme eines Eigenwerts des Verwaltungsverfahrens Denkbar ist zunächst eine Beschränkung insbesondere der Gültigkeit des § 46 VwVfG, aber auch allgemein solcher Regelungen, welche die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern vorsehen, wenn das Verwaltungsverfahren nicht allein eine dem klassischen Verständnis nach rein dienende Funktion gegenüber dem materiellen Recht einnimmt. Hierbei ist es erneut notwendig, zwischen einem instrumentalen und einem nicht-instrumentalen oder selbstständigen Eigenwert der bestimmten Verfahrensvorschrift zu unterscheiden. Ebenso kann die Möglichkeit der nachträglichen Heilung eines Verfahrensfehlers problematisch erscheinen, wenn der unterlassenen oder fehlerhaft durchgeführten Verfahrenshandlung ein gesteigerter Eigenwert zuzurechnen gewesen wäre. (a) Eingeschränkte Anwendung der Unbeachtlichkeitsregelungen bei instrumentalem Eigenwert der Verfahrensvorgabe Eine Vorschrift, die Verfahrensfehler in der Sachrichtigkeit der Entscheidung untergehen lässt, geht grundsätzlich von einem weitgehend „mechanistischen Gesetzesvollzug“ aus, dessen inhaltliche Rechtmäßigkeit vollständig gerichtlich überprüft werden kann.595 Einen weiter gehenden Eigenwert des Verfahrens erkennt damit auch § 46 VwVfG zunächst nicht an. Daran hat dem Grundsatz nach selbst die Neufassung der Norm des § 46 VwVfG durch das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz nichts geändert, obgleich die geltende Vorschrift nicht wie die alte 594
Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2162). So formuliert Schmidt-Aßmann, Eberhard, NVwZ 2007, 40 (41), den Grundgedanken des § 46 VwVfG. 595
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Fassung von der Vorstellung ausgeht, das Verwaltungsverfahren sei grundsätzlich – mit der Ausnahme von eingeräumten Entscheidungsspielräumen – auf die Findung einer einzig möglichen Verwaltungsentscheidung gerichtet.596 Die Novellierung des § 46 VwVfG sollte es gerade ermöglichen, auch Verfahrensfehler bei unter Ermessens- oder Abwägungsspielraum getroffenen Entscheidungen zu erfassen. Weiterhin liegt der Vorschrift somit die entscheidende Vorstellung zu Grunde, dass ein bloßer Verfahrensfehler nicht zur Aufhebung einer Sachentscheidung führen können soll. Bleibt es also bei der grundsätzlichen Betonung des Verwaltungsverfahrens als Mittel zum Zweck richtiger Sachentscheidungen, ist eine Einschränkung des § 46 VwVfG nicht notwendig. Dort jedoch, wo dem Verwaltungsverfahren eine eigenständige Bedeutung zukommt, greift diese Rechtfertigung nicht in ganzem Umfang.597 Danach müssen Verfahrensfehler als solche geltend gemacht werden können, wenn es gerade das Verfahren ist, das zum einen im Gegensatz zu dem zu verwirklichenden materiellen Recht gesetzlich weitgehend vorgegeben ist und zum anderen etwa durch eine erst im Rahmen des Verfahrens vorzunehmende Interessensabwägung erheblichen Einfluss auch auf den Inhalt der Verwaltungsentscheidung beansprucht. Wenn in diesen Fällen die Letztentscheidungskompetenz in Bezug auf den materiellen Gehalt der Sachentscheidung den Gerichten entzogen und der Verwaltung zugewiesen ist,598 so dass es zu einer umfassenden Inhaltskontrolle nicht mehr kommt, ist es allein oder zuvörderst das angewendete Verfahren, das auf seine Rechtmäßigkeit und die Einhaltung der einzelnen eingeräumten Verfahrensrechte hin überprüft werden kann. Es darf dem Betroffenen dann nicht verwehrt sein, sich auch auf Verfahrensfehler zu berufen.599 Wer in einem solchen Fall davon ausgeht, die Aufhebung der Sachentscheidung werde dann „allein“ wegen der 596 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 2; zu der Bedeutung und Reichweite des § 46 a.F. auch im Vergleich zur heutigen Formulierung vgl. nur Ladenburger, Clemens, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und im deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S. 245 ff. 597 Wolff, Heinrich Amadeus, Die dienende Funktion der Verfahrensrechte – eine dogmatische Figur mit Aussagekraft und Entwicklungspotential, in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Festschrift für Rupert Scholz, 2007, S. 977; Martin, Marco, Die Heilung von Verfahrensfehlern im Verwaltungsverfahren, 2004, S. 248 ff.; Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (284, Fn. 15); Martin, Marco, Die Heilung von Verfahrensfehlern im Verwaltungsverfahren, 2004, S. 248 ff. 598 Zu Möglichkeiten der Zuweisung einer Letztentscheidungskompetenz an die Verwaltung Kapitel 2 B. I. 1. a) bb). 599 Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2167); Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (170), bei Fehlern innerhalb einer „unersetzbaren Funktion“ des Verwaltungsverfahrens; Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (870); Schenke, Wolf-Rüdiger, DÖV 1986, 305 (316); dies andeutend auch Schmidt-Aßmann, Eberhard, NVwZ 2007, 40 (44); Burgi, Martin, JZ 2010, 105 (109), der die Gefahr sieht, dass die Verfahrensfehlerregelungen in solchen Fällen „die Gefahr materieller Fehlentscheidungen nicht kompensieren, sondern sie verstärken“; von einem notwendigen Ausbau eines prozedural ausgerichteten Rechtsschutzes in Bezug auf die Fehlerfolgenregelung bei derartigen Fällen spricht Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 240; Haug, Volker/Schadtle, Kai, NVwZ 2014, 271 (274).
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Verletzung eines Verfahrensrechts Dritter gefordert, obgleich dem Adressaten möglicherweise ein materieller Anspruch auf den Erlass der Entscheidung zustehe,600 verkennt, dass bei derartigen offenen Entscheidungsprogrammen Verfahrensrechte des Dritten nicht in erster Linie um ihrer selbst willen, sondern deshalb anerkannt werden, um einen ausreichenden Schutz auch von deren materiellen Rechtspositionen zu garantieren. Jedoch ist eine solche Eingrenzung des Anwendungsbereichs schon in § 46 VwVfG selbst angelegt; es gilt allein, diese Bestimmung auch ernst zu nehmen. Verfahrensfehler sollen demnach nur dann nicht zu einer Aufhebung des Verwaltungsakts führen, wenn offensichtlich ist, dass sie keinen Einfluss auf die Entscheidung in der Sache hatten. Aus der Formulierung des § 46 VwVfG in seiner neuen Fassung – Unbeachtlichkeit nur dann, wenn offensichtlich ist, dass der Verfahrensfehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat – geht hervor, dass es gerade die Behörde sein soll, die darlegen muss, dass eine Kausalität zwischen dem Fehler und der Sachentscheidung nicht gegeben ist.601 Diese Offensichtlichkeit wird bei Ermessens- und Abwägungsentscheidungen kaum zu bejahen sein, ist es hier doch gerade das Verfahren an sich, das die Entstehung der im Einzelfall getroffenen Entscheidung bedingt. Auch bei unbestimmten Rechtsbegriffen im Tatbestand einer materiell-rechtlichen Norm, die durch die Verwaltung zunächst auszulegen sind, scheint eine solche Offensichtlichkeit des Ausbleibens eines Einflusses des Verfahrensfehlers grundsätzlich ausgeschlossen.602 Eine Unterscheidung dahingehend, ob die eigenständige Bedeutung des Verfahrens sich auf die Auslegung und Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs oder im Rahmen einer Ermessensentscheidung auf die Rechtsfolgenseite bezieht, muss hier nicht vorgenommen werden. Vielmehr gilt es, die von § 46 VwVfG geforderte Offensichtlichkeit einer ausgebliebenen Einwirkung auf die Sachentscheidung bei der Annahme eines gesteigerten Eigenwerts des Verfahrens stets abzulehnen oder in solchen Fällen eine Vermutung über eine Auswirkung des Verfahrensfehlers anzustellen, die in der Formulierung des Offensichtlichkeitskriteriums des § 46 VwVfG auch angelegt ist.603 Andernfalls604 kann nicht von einer ernsthaften Anwendung des Offensichtlichkeitskriteriums ausgegangen werden.605 Das Kriterium der Offensicht600
So wohl Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1080). VGH München, NVwZ-RR 2003, 771 (772): „widerlegbare Kausalitätsvermutung“ zu Lasten der Behörde; Peuker, Enrico, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 43; Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 2; Ekardt, Felix/Schenderlein, Kristin, NVwZ 2008, 1059 (1064); Ekardt, Felix, NVwZ 2014, 393 (394). 602 Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (871); speziell für Risikoentscheidungen der Verwaltung Di Fabio, Udo, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 468. 603 Von der materiellen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als einer „nahezu regelmäßigen Fehlerfolge“ des Verfahrensfehlers bei großem instrumentalen Eigenwert des Verfahrens sprechen Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 814. 604 Hierzu soeben Kapitel 3 B. 605 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 983 ff.; kritisch zu der Herangehensweise der Rechtsprechung auch Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/ 601
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lichkeit in § 46 VwVfG dient nämlich gerade dazu, die Schwierigkeiten, die sich dem Gericht bei der Beurteilung des hypothetischen Verwaltungshandelns bei ausgebliebenem Verfahrensfehler regelmäßig stellen, auszugleichen.606 Ähnliches gilt auch für die Bedeutung des Verfahrens der Abwägung etwa in der Bauleitplanung. Soll hier die Bedeutung des Abwägungsvorgangs als prozeduralen Vorgangs607 ernstgenommen werden, müssen gerade Fehler innerhalb dieses Abwägungsvorgangs als grundsätzlich mit Einfluss auf die Sachentscheidung angesehen werden. Die durch § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB vorgenommene Einordnung der Ermittlung und Bewertung abwägungserheblicher Belange als Verfahrensbestandteil widerspricht nach diesem Verständnis nicht an sich „den Anforderungen rechtsstaatlicher Planung“,608 sondern nur dann, wenn dem Abwägungsverfahren im Rahmen der Fehlerfolgenregelung die Anerkennung eines bedeutsamen Eigenwerts verweigert wird. (b) Eingeschränkte Anwendung der Unbeachtlichkeitsregelungen bei selbständigem Eigenwert der Verfahrensvorgabe Weiter noch als im Rahmen desjenigen Eigenwerts des Verwaltungsverfahrens, das sich auf die materielle Sachentscheidung im Sinne eines instrumentalen Eigenwerts bezieht, gerät die Anwendung des § 46 VwVfG und ähnlicher Unbeachtlichkeitsregelungen dort an ihre Grenzen, wo ein von der Sachentscheidung gänzlich unabhängiger Eigenwert angenommen wird. Hier ist es gerade nicht notwendig, zwischen dem Verfahrensfehler und der materiellen Rechtmäßigkeit eine Kausalitätsbeziehung herzustellen. Die verfahrensrechtliche Garantie besteht unabhängig von der späteren Entscheidung und der durch diese möglicherweise zusätzlich verletzten materiellen Rechte. § 46 VwVfG ist damit nicht anwendbar, wenn das Gesetz Verfahrensrechte als absolute Verfahrensrechte qualifiziert.609 Hierunter versteht man diejenigen Verfahrenspositionen, die ausdrücklich eigenständig und unabhängig von der Rolle des Verfahrens bei der Findung der Sachentscheidung anerkannt werden. Eine Auswirkung des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung ist in diesen Fällen gerade nicht zu fordern. Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 85; Pietzcker, Jost, Verfahrensrechte und Folgen von Verfahrensfehlern, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Maurer, 2001, S. 695 (712); Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 73. 606 Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 80 f. 607 Siehe zu dem Verhältnis von Verfahren und Abwägungsvorgang Kapitel 2 B. I. 1. a) cc) (2). 608 So Erbguth, Wilfried, Die planerische Abwägung und ihre Kontrolle – aus rechtsstaatlicher Sicht, in: Erbguth/Kluth (Hrsg.), Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 103 (120). 609 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 8; dazu BVerwGE 105, 348 (353 f.).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Insbesondere in Bereichen, in denen europäische Vorgaben Einfluss auf die Ausgestaltung des deutschen Verfahrensrechts nehmen, können unabhängige Verfahrensrechte entstehen. Denn europarechtlichen Vorgaben insbesondere im Umweltrecht ist häufig ein Fokus auf Partizipation, Information und Drittschutz zu entnehmen. Beispielhaft für diese Perspektive können die Richtlinie über die Umweltverträglichkeit bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL)610 und die Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL)611 genannt werden, die jeweils weitgehende und von der Sachentscheidung unabhängige Verfahrensrechte einräumen. So sieht vor allem § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG vor, dass die Aufhebung einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b UmwRG, die ohne Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung getroffen wurde, auch ohne Rücksicht auf die Auswirkung dieses Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung verlangt werden kann.612 Das Recht auf Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung wird zu einem absoluten Verfahrensrecht, anerkannt unabhängig von der Auswirkung auf eine materielle Rechtsposition, die durch diesen Verfahrensschritt gesichert werden soll. In diesem Fall geschieht die Qualifikation als absolutes und einklagbares Verfahrensrecht gerade durch eine Entscheidung des Gesetzgebers. Die zuvor diskutierte Frage, ob die Umweltverträglichkeitsprüfung hiervon abgesehen allein dem Erkenntnisgewinn der entscheidenden Verwaltung oder der umfassenden Beachtung des Umweltschutzes in der planerischen Abwägung dienen soll und insoweit als allein relativer Verfahrensschritt zu werten ist, wird durch diese gesetzgeberische Entscheidung nebensächlich.613 In Abgrenzung dazu sollten Fehler bei der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zunächst jedoch nicht unter § 4 Abs. 1 UmwRG fallen und somit nicht als absolute Verfahrensfehler zu qualifizieren sein.614 Das Bundesverwaltungsgericht wendete daher bislang auch insoweit § 46 VwVfG in herkömmlicher Weise an und fragte nach der konkreten Möglichkeit der Auswirkung der fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung auf das Ergebnis der Sachentscheidung.615 Eine solche Auslegung des § 4 Abs. 1 UmwRG wurde allerdings 610 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/ EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG. 611 Richtlinie des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung vom 24. 9. 1996, RL 96/61/EG, später RL 2008/1/EG, ABl. EU 2008 Nr. L 24/8, heute integriert in der Richtlinie über Industrieemissionen, RL 2010/75/EU, ABl. EU 2010 Nr. L 334/17. 612 Dazu BVerwGE 141, 171 (174); BVerwGE 141, 282 (285 f.). 613 Auf die weiter führende Frage nach der subjektiv-rechtlichen Qualität der Umweltverträglichkeitsprüfung wird gesondert in Kapitel 4 B. I. 1. d) aa) eingegangen. 614 BVerwGE 141, 171 (174). 615 BVerwGE 141, 171 (174); BVerwG, NVwZ 2012, 448 (450).
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vielfach dort, wo die Umweltverträglichkeitsprüfung aufgrund der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben geboten und es zu wesentlichen Verfahrensfehlern bei ihrer Durchführung gekommen ist, als nicht mit Art. 11 UVP-Richtlinie616 vereinbar angesehen.617 Die Frage, ob sich diese unionsrechtlichen Vorgaben zur Anfechtbarkeit einer Entscheidung wegen Verfahrensfehlern auch auf Konstellationen einer durchgeführten, aber fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung erstrecken, hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts sodann auch dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.618 Das hierauf ergangene Altrip-Urteil des EuGH619 hat die weitreichenden Bedenken gegen die Beschränkungen des § 4 Abs. 1 UmwRG und gegen die Anwendung der Kausalitätsrechtsprechung auf sonstige mit der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung zusammenhängende Verfahrensfehler bestätigt. Nach diesem Urteil ließen der klare Wortlaut des Art. 10a UVP-Richtlinie,620 der die Überprüfbarkeit einer Entscheidung auf ihre „materielle und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit“ fordere, sowie der Sinn und Zweck dieser Regelung den zuvor in Deutschland propagierten Ausschluss der Aufhebbarkeit von Verwaltungsentscheidungen, die nach zwar durchgeführter, aber unter Fehlern leidender Umweltverträglichkeitsprüfung ergangen seien, nicht zu.621 Der EuGH geht jedoch weiter nicht davon aus, dass jedweder Fehler bei der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung zur Aufhebung der sodann ergangenen Sachentscheidung führen muss. Vielmehr ist eine mitgliedstaatliche Beschränkung auf schwerwiegende Fehler weiter denkbar. Welche Verfahrensfehler als schwerwiegend in diesem Sinne begriffen werden können, bleibt offen. Es ist insoweit davon auszugehen, dass insbesondere Fehler, die das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung verfälschen können, als erheblich angesehen werden müssen.622 Ein „vollkommen“ absolutes Verfahrensrecht, im Sinne einer gänzlichen 616
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Art. 10a Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG. 617 Siegel, Thorsten, DÖV 2012, 709 (714); Kment, Martin, NVwZ 2012, 481 ff. 618 BVerwG, NVwZ 2012, 448, 2. Vorlagefrage. 619 EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. C-72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49. 620 Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/EWG, in der Fassung der RL 2003/35/ EG, heute Art. 11 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1. 621 EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. C-72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49, Rdnr. 37; ähnlich äußert sich der EuGH auch in seinem auf ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland unter anderem zu § 4 Abs. 1 UmwRG ergangenen Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495, Rdnr. 47 ff. 622 Schlacke, Sabine, NVwZ 2014, 11 (14); Ekardt, Felix, NVwZ 2014, 393 (395); siehe auch EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. C-72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49, Rdnr. 49 ff., wobei es dem Gericht hier um Fragen der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen verfahrensfehlerhafte
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Ergebnisunabhängigkeit, ist somit zwar auch in der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht zu sehen. Der Gerichtshof spricht in diesem Urteil gerade davon, dass nicht jeder Fehler, der sich auf das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung selbst nicht ausgewirkt habe, beachtlich sein müsse. Es geht also zunächst nicht um die Frage, inwieweit sich eine fehlerhafte Umweltverträglichkeitsprüfung sodann auf die Entscheidung in der Sache – etwa den Planfeststellungsbeschluss – ausgewirkt haben muss. Bei innerhalb der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung beachtlichen Verfahrensfehlern kommt es auf die Ergebnisrelevanz der fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung in Bezug auf die sodann getroffene Entscheidung selbst nicht mehr an. Diese ist gerade und allein wegen der fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung aufzuheben. Hier offenbart sich der absolute Charakter des Verfahrensrechts auf Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Insoweit das deutsche Recht in diesem Zusammenhang darüber hinaus die Beweislast für eine Auswirkung des Verfahrensfehlers auf das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung demjenigen aufbürdet, der den Verfahrensfehler geltend macht, hat die Europäische Kommission zwischenzeitlich im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens Klage gegen Deutschland zum EuGH erhoben.623 In dem daraufhin ergangenen Urteil vom 15. 10. 2015 hat der EuGH erneut betont, „dass der Unionsgesetzgeber die Möglichkeit, einen Verfahrensfehler geltend zu machen, nicht an die Voraussetzung knüpfen wollte, dass dieser Fehler Auswirkungen auf den Inhalt der angegriffenen endgültigen Entscheidung hatte.“624 Insbesondere dann, wenn man § 46 VwVfG wie teilweise die Rechtsprechung so verstehen will, dass es demjenigen gebührt, einen Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Sachentscheidung nachzuweisen, der sich auf diesen Verfahrensfehler beruft, verstößt die Norm nach diesem Urteil gegen Art. 11 UVP-Richtlinie.625 Schon in Reaktion auf das Altrip-Urteil des EuGH626 hat der Gesetzgeber § 4 Abs. 1 UmwRG durch ein am 26. 11. 2015 in Kraft getretenes Änderungsgesetz zum UmwRG auf Grundlage der Altrip-Rechtsprechung des EuGH627 dahingehend geändert, dass nunmehr auch im Fall einer unter gewissen – schweren – Verfahrensfehlern durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung die Aufhebung der Entscheidung verlangt werden kann, ohne dass ein Durchschlagen auf deren Inhalt Entscheidungen und hierbei um die Frage geht, ob diese gerade von der Ergebnisrelevanz eines Verfahrensfehlers abhängig gemacht werden kann; hierzu sogleich Kapitel 4 B. I. 1. d) bb). 623 Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 17. 10. 2013, IP/13/967. 624 EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495, Rdnr. 55. 625 EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495, Rdnr. 62. 626 EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. C-72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49. 627 Gesetze zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 vom 20. 11. 2015, BGBl. I, 2069.
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aufgezeigt werden muss. Der neu eingefügte § 4 Abs. 1a UmwRG stellt wiederum klar, dass für solche Verfahrensfehler, die nicht in Abs. 1 der Vorschrift genannt sind, § 46 VwVfG Anwendung findet. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs soll hierdurch klarer zwischen absoluten Verfahrensfehlern in § 4 Abs. 1 UmwRG und relativen in § 4 Abs. 1a UmwRG unterschieden werden.628 § 4 Abs. 1a UmwRG betont überdies, dass im Fall eines relativen Verfahrensfehlers, falls sich die Fehlerkausalität nicht aufklären lässt, ein Durschlagen des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung vermutet wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass die fehlende Kausalität des Verfahrensfehlers für die Sachentscheidung zur Überzeugung des erkennenden Gerichts auf der Grundlage der von der Behörde vorzulegenden Unterlagen – insbesondere Behördenakten und Planunterlagen – feststehen muss.629 Damit ist auch der Vorgabe des EuGH aus dem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland630 bereits begegnet, die Beweislast für eine Auswirkung des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung nicht demjenigen aufzubürden, der sich auf den Verfahrensfehler beruft.631 Im Übrigen sind absolute Verfahrensrechte dann angenommen worden, wenn demjenigen, dem die Verfahrensposition eingeräumt wird, gerade keine Möglichkeit gegeben ist, gegen die Sachentscheidung selbst vorzugehen. Als Beispiel für ein solchermaßen anerkanntes absolutes Verfahrensrecht galt zunächst das Recht von Naturschutzvereinen auf Beteiligung am Planfeststellungsverfahren nach § 29 Abs.1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG a.F. Dieses Recht wurde vom Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich als „selbstständig durchsetzbares, subjektiv-öffentliches Recht auf Beteiligung am Verfahren“632 bezeichnet. Allerdings war diese Rechtsprechung insbesondere der zunächst unterbliebenen Einführung einer Verbandsklage gegen die verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Sachentscheidung geschuldet, die durch eine gesicherte Klagemöglichkeit gegen Beteiligungsfehler kompensiert werden sollte. Mit Einführung der Verbandsklage in § 61 BNatSchG a.F. (jetzt § 64 BNatSchG) wurde dies überflüssig – der Naturschutzverein kann nun, ohne die Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, unter anderem gegen den Planfeststellungsbeschluss selbst klagen. Es wird daher verbreitet davon ausgegangen, das Beteiligungsrecht anerkannter Naturschutzvereine sei nicht länger als absolutes Verfahrensrecht in dem Sinne anzusehen, dass seine Verletzung in jedem Fall zu der Aufhebung der Entscheidung führen müsse.633 Den Status als absolutes 628
Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/5927, S. 9. BVerwG, NVwZ 2016, 1257 (1258). 630 EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495, Rdnr. 55. 631 So auch Ludwigs, Markus, NJW, 2015, 3483 (3486 f.). 632 BVerwGE 87, 62 (69); siehe auch BVerwGE 105, 348 (354). 633 BVerwG NVwZ 2002, 1103 (insbes. 1105): Das Beteiligungsrecht eines Naturschutzverbandes ist dann kein absolutes Verfahrensrecht, wenn die Möglichkeit einer Verbandsklage zur Überprüfung materieller Vorgaben vorgesehen ist; BVerwG NVwZ 2003, 1120; VGH Mannheim, ZUR 2012, 312 (316 f.); so u. a. auch Schlacke, Sabine, in: Schlacke (Hrsg.), 629
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Verfahrensrecht behält das Beteiligungsrecht anerkannter Naturschutzvereinigungen jedoch insofern bei, als eine Partizipationserzwingungsklage, gerichtet auf die Beteiligung an einem laufenden Verfahren, weiterhin trotz § 44a VwGO möglich bleiben soll. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs soll die Einführung einer Verbandsklagemöglichkeit zur Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit einer Entscheidung diese bereits zuvor anerkannte Klagemöglichkeit nicht einschränken.634 Ansonsten wird das Recht der Gemeinde auf Beteiligung am luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahren aus § 6 Abs. 2 LuftVG635 und am bauordnungsrechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 36 BauGB636 als absolutes Verfahrensrecht angesehen. Aufgrund der von der Rechtsprechung angenommenen Möglichkeit Einzelner, sich unmittelbar auf die nicht erfolgte Durchführung eines atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens zu berufen, wird teilweise auch insoweit von einem absoluten Verfahrensrecht gesprochen.637 Insgesamt ist die Anerkennung von absoluten Verfahrensrechten jedoch weitgehend als Ausnahme anzusehen. Sowohl die Rechtsprechung als auch die überwiegende Literatur sind bei der Anerkennung absoluter Verfahrensrechte, die aus dem Anwendungsbereich des § 46 VwVfG herauszunehmen sind, sehr zögerlich. Wegen der Grundaussage des § 46 VwVfG, Verfahrensrechte als relative, auf die Rechtmäßigkeit der Sachentscheidung hinwirkende Rechte anzusehen, wird eine explizite Entscheidung des Gesetzgebers zur Schaffung absoluter Verfahrensrechte verlangt,638 wie dies eben mit der Sonderregelung des § 4 UmwRG für die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung geschehen ist. Darüber hinaus ist es möglich, absolute Verfahrensrechte immer dort anzunehmen, wo der Verfahrensvorschrift ein selbstständiger, in Bezug auf das Entscheidungsergebnis nicht-instrumentaler Eigenwert zukommt. Wo ein instrumentaler Zusammenhang zwischen Verfahrensrecht und materieller Rechtsposition nicht gänzlich hergestellt werden kann, weil der Eigenwert des Verfahrensrechts hierüber
Gemeinschaftskommentar BNatSchG, § 63 Rdnr. 73; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 8, 18. 634 Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BTDrucks. 14/6378 S. 61; VGH Mannheim, ZUR 2012, 312 (314). 635 BVerwG, DÖV 1980, 135 (137). 636 BVerwG, NVwZ 1986, 556 f. 637 Kleesiek, Anja, Zur Problematik der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, 2010, S. 46; hierzu und zu der zu bevorzugenden Einordnung als relatives subjektives Verfahrensrecht noch unten Kapitel 4 B. I. 1. d). 638 Held, Jürgen, Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht der Rechtsanwender: Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Hill/Sommermann/Stelkens/Ziekow (Hrsg.), 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven, 2011, S. 69 (73); Burgi, Martin, DVBl. 2011, 1317 (1324); Held, Jürgen, NVwZ 2012, 461 (463).
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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hinausgeht und somit insoweit639 unabhängig wird, ist die Anwendung des § 46 VwVfG nicht länger gerechtfertigt. Lässt sich ein solcher Eigenwert ermitteln, liegt gerade kein relatives Verfahrensrecht im Sinne des § 46 VwVfG vor.640 Ob von einer solchen Funktion ausgegangen werden kann, ist durch die Auslegung der Vorschrift zu ermitteln und wird vor allem bei Beteiligungsrechten anzunehmen sein, denen eine eigenständige konsens- und akzeptanzsteigernde Funktion zugerechnet wird.641 Überdies ist ein solcher absoluter Charakter auch in Bezug auf die Begründungspflicht denkbar, der eine ebensolche Funktion unabhängig von dem Inhalt der Entscheidung zugewiesen werden kann.642 Soweit sie die eigenständige Funktion erfüllt, kann die Verfahrensvorgabe dann als absolut angesehen werden, so dass ein konkret kausales „Durchschlagen“ ihrer Verletzung auf die Sachentscheidung nicht verlangt werden muss. Bei Annahme eines nicht-instrumentalen Eigenwerts kann also die Auslegung der Verfahrensvorschrift zur Herleitung eines absoluten Verfahrensrechts führen, für welche die Anwendung des § 46 VwVfG gerade ausgeschlossen sein soll.643 Insbesondere in unionsrechtlich beeinflussten Bereichen ist 639 Dass Beteiligungsrechte darüber hinaus einen wichtigen instrumentalen Eigenwert haben und damit auch in Bezug auf die materielle Sachentscheidung eine – nach auch hier vertretenem Verständnis – in gewisser Weise dienende Funktion einnehmen, wie dies Siegel, Thorsten, DÖV 2012, 709 (713), betont, wird nicht bestritten. 640 Ossenbühl, Fritz, NJW 1981, 375 (378), formuliert diese Möglichkeit folgendermaßen: „Eine Beachtung der Verfahrensvorschrift um ihrer selbst (und nicht (nur) um der Richtigkeit der Sachentscheidung) willen wäre nur dann geboten, wenn der Verfahrensvorschrift auch eine Befriedungs- und Konsensfunktion zukäme“; für eine derartige Auslegung nach dem von der Sachentscheidung unabhängigen Zweck der Verfahrensvorschrift auch Pünder, Hermann, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 14 Rdnr. 87; Ziekow, Jan, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 7; Haug, Volker/Schadtle, Kai, NVwZ 2014, 271 (274); eine solche Auslegung einzelner Verfahrensvorgaben wird, wie von BVerwG, NJW 1982, 120, angedeutet, auch durch die Rechtsprechung teilweise vorgegeben; jedoch wird dabei der selbstständige Eigenwert der Verfahrenshandlung als solcher kaum gesehen und so im Ergebnis zumeist der absolute Charakter des Verfahrensrechts verneint; vgl. zu Art. 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG VG Würzburg Urteil vom 22. 6. 2012 – W 4 K 12.20096: Die Anwendung des § 46 VwVfG sei „darüber hinaus nicht aufgrund eines sog. absoluten Verfahrensfehlers ausgeschlossen. Dies ist nur bei Vorschriften anzunehmen, die bestimmten Beteiligten eine vom Ausgang des Verfahrens unabhängige, selbstständig durchsetzbare Verfahrensposition einräumen. Um eine solche Vorschrift handelt es sich bei Art. 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG jedoch nicht. Diese Regelung gibt dem Kläger kein Recht zur Beteiligung am Verfahren ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis. Eine solche Wirkung kann der Vorschrift nicht beigemessen werden, da sie ausschließlich der Sachverhaltsermittlung dient und dadurch den möglichen Asylanspruch eines Asylbewerbers sichern soll“; vgl. auch BVerwGE 137, 199 (212). 641 Hierzu Kapitel 3 A. I. 3. e) und Kapitel 3 B. I. 1. b) cc). 642 Kischel, Uwe, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, S. 99 ff. 643 Burgi, Martin, DVBl. 2011, 1317 (1324); vgl. aber die von Siegel, Thorsten, DÖV 2012, 707 (714), geäußerten Bedenken, bei einer Entscheidung wegen der Verletzung eines absoluten Verfahrensrechts – hier der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung – „bei jeglichem, auch noch so kleinen Teilfehler zu einer Aufhebung zu gelangen“; vorgeschlagen wird daher die Anwendung eines Wesentlichkeitskriteriums; in diesem Sinne auch EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. C-72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49, wo die Beschränkung der Anfechtbarkeit einer Entscheidung auf schwerwiegende Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung zugelassen wird.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
eine derartige Ausweitung auch dort anzunehmen, wo keine dem § 4 Abs. 1 UmwRG entsprechende Regelung getroffen wurde. Im Gegensatz zu der traditionellen deutschen Vorstellung geht das Unionsrecht nämlich regelmäßig von einer eigenständigen Funktion anerkannter Verfahrensrechte und insbesondere anerkannter Beteiligungsrechte aus und verlangt damit auch eine eigenständige gerichtliche Durchsetzbarkeit derartiger Rechte.644 Namentlich Martin Burgi schlägt in diesem Zusammenhang allerdings vor, den von einer Sachentscheidung unabhängigen – nicht-instrumentalen – Eigenwert einer Verfahrensvorschrift explizit zu benennen. Immer wenn gesetzlich klargestellt sei, dass etwa die Einhaltung einer Beteiligungsvorschrift auch oder vor allem die Sicherung von Akzeptanz bewirken solle, solle auch die Unbeachtlichkeit oder nachträgliche Heilung eines Verstoßes gegen eine solche Vorschrift explizit ausgeschlossen sein.645 Die Diskussionen über eine einzelfallabhängige Anwendung oder aber Eingrenzung der § 45 und § 46 VwVfG könne so beendet werden. Ergänzend können Verfahrensrechte sogar dann als absolut angesehen werden, wenn ihr eigenständiger Wert nicht vollkommen losgelöst von einer Schutzfunktion besteht, die auf eine materielle Rechtsposition bezogen ist. Vielmehr könnte von einem solchen Eigenwert des Verfahrensrechts, der zu dessen absoluter Anerkennung führen muss, auch immer dann ausgegangen werden, wenn es gerade die Ausübung des Verfahrensrechts ist, die einen nicht hinreichenden Schutz der materiellen Rechtsposition kompensiert.646 Ist das Gesetzesprogramm nicht derart ausgestaltet, dass allein die genaue Vorgabe von zu erfüllenden Voraussetzungen für eine Verwaltungsentscheidung eine Verletzung materieller Rechtspositionen verhindert, ist es vermehrt die Ausübung von Verfahrens- und insbesondere von Beteiligungsrechten, die einen gleichsam kompensatorischen Schutz sicherstellen muss. In diesen Fällen muss die Ausübung des Verfahrensrechts dann auch als absolut geschützt angesehen werden, soll nicht wiederum der Schutz der materiellen Individualrechte leerlaufen.647 In diesem Fall kann also sogar ein instrumentaler Eigenwert zu der Annahme eines absoluten Verfahrensrechts führen. Dasselbe Ergebnis kann in diesen Fällen jedoch erreicht werden, wenn man bei derartigen Ei644
So der EuGH vor allem in Bezug auf Begründungsmängel und Verletzungen des Rechts auf rechtliches Gehör, die als absolute Rechte im Eigenverwaltungsrecht der EU anerkannt werden: EuGH, Urteil vom 20. 3. 1985, Rs. 264/82, Timex Corporation gegen Kommission, Slg. 1985, 849, Rdnr. 30 f.; EuGH, Urteil vom 7. 5. 1991, Rs. C-304/89, Oliveira gegen Kommission, Slg. 1991 I-2283, Rdnr. 21; EuGH, Urteil vom 25. 5. 1993, Rs. C-199/91, Foyer Culturel de Sart-Tilman gegen Kommission, Slg. 1993 I-2667, Rdnr. 34; EuGH, Urteil vom 2. 4. 1998, Rs. C-367/95 P, Kommission gegen Sytraval und Brink’s France SARL, Slg. 1998 I1719, Rdnr. 78. 645 Burgi, Martin, DVBl. 2011, 1317 (1324). 646 Haug, Volker/Schadtle, Kai, NVwZ 2014, 271 (274), die eine eingrenzende, verfassungskonforme Auslegung des § 46 VwVfG in den Fällen vorschlagen, in denen dem Verfahren ein verstärkter Eigenwert zukommt, so dass ein Schutz ähnlich demjenigen von explizit absoluten Verfahrensrechten garantiert werden könne. 647 Greim, Jeanine, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 195.
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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genwerten weiter von relativen Verfahrensrechten ausgeht, dann aber stets die Ergebnisrelevanz des Verstoßes gegen die Verfahrensvorgabe annimmt oder eine solche zumindest vermutet.648 Gänzlich aus dem Anwendungsbereich des Fehlerfolgenregimes auszunehmen sind zudem Verfahrensrechte, die schon generell unabhängig von einem auf eine weiter gehende Sachentscheidung hinwirkenden Verwaltungsverfahren existieren. Hierunter lässt sich vor allem der Anspruch auf Zugang zu behördlichen Informationen aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG und den entsprechenden Ländergesetzen fassen. Der Anspruch ist nicht gekoppelt an die Durchsetzung materiell-rechtlicher durch die Sachentscheidung berührter Positionen, sondern stellt einen verselbstständigten prozeduralen Anspruch dar.649 (c) Begrenzte Heilungsmöglichkeit bei Annahme eines Eigenwerts Auch die Möglichkeit der Heilung von Verfahrensfehlern, die innerhalb eines Bereichs des Verwaltungsverfahrens begangen wurden, der nicht als allein der materiell-rechtlichen Entscheidung dienend beschrieben werden kann, kann kritisch gesehen werden. Wo etwa einer unterlassenen Beteiligung ein besonderer Eigenwert in Bezug auf die Entscheidungsfindung zugerechnet worden wäre – vor allem also wenn eine differenzierte Abwägung mehrere Interessen erfolgen müsste –, hat die nachgeholte Beteiligung nicht zwingend denselben Wert, wie sie dies bei einer rechtzeitigen Anwendung gehabt hätte. Die Bewertung der Beteiligung als entscheidend für den Inhalt der getroffenen Entscheidung muss hier dazu führen, dass ihre schlichte Nachholung zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens nicht als ausreichend anzusehen ist.650 Insbesondere dort, wo es auf die Rechtzeitigkeit der Verfahrenshandlung besonders ankommt, weil sie oder die durch sie erlangten Informationen den Inhalt der zu treffenden Entscheidung formen, kann von der Möglichkeit einer Heilung – zumal einer solchen noch während des Verwaltungsgerichtsprozesses – nicht ausgegangen werden.651 Die Annahme eines Eigenwerts des Verwaltungsverfahrens begrenzt dann die Möglichkeit einer Heilung des Verfahrensfehlers.
648
Dazu Kapitel 3 B. II. 1. c) cc) (1) (a). Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 227 f. 650 Schon zu der Heilungsmöglichkeit vor der zeitlichen Ausweitung durch das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2166); Hoffmann-Riem, Wolfgang, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz – Einleitende Problemskizze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 9 (46 f.). 651 Hufen, Friedhelm, JuS 1999, 313 (316 f.), bezeichnet derlei Fehler als „unheilbar“; vor einem exzessiven Gebrauch der Heilungsvorschriften in diesen Fällen warnt auch Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 27; eindringlich ferner Redeker, Konrad, NVwZ 1996, 521 (523). 649
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Wie eine solche Begrenzung der Heilung trotz der offenen Formulierung insbesondere der § 45 Abs. 1 und Abs. 2 VwVfG erreicht werden kann, wird unterschiedlich beantwortet. Nimmt man die Voraussetzung einer wirksamen Heilung, dass die Funktion der verfahrensrechtlichen Institute durch die Nachholung erreicht werden muss,652 ernst, muss eine wirksame Heilung im Fall eines gesteigerten instrumentalen oder gar selbständigen Eigenwerts insbesondere der Anhörung bei offenen Entscheidungsprogrammen der Verwaltung durch eine Nachholung nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens stets verneint werden. Eine „reale Fehlerheilung“653 durch die Nachholung ist dann nicht mehr möglich, und allein von der Nachholung einer Verfahrenshandlung an sich kann nicht ohne Weiteres auch auf eine wirksame Heilung geschlossen werden. Aus der Annahme, dass auch bei einer Aufhebung des Verwaltungsakts wegen des Verfahrensfehlers die Behörde in einem sich anschließenden erneuten Verwaltungsverfahren voreingenommen sei, da sie die Entscheidung ja zuvor bereits getroffen habe, sollte überdies nicht gefolgert werden, dass eine Einschränkung der Heilungsmöglichkeit durch die Nachholung der Verfahrenshandlung nicht notwendig sei.654 Selbst die Zugrundelegung einer solchen Annahme der Voreingenommenheit kann nicht als Begründung für das Versagen des Versuchs herangezogen werden, die Funktion der Anhörung so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Dies muss selbst in dem Fall gelten, in dem es zunächst zu Fehlern bei der Anhörung gekommen ist, welche die Wiederholung des gesamten Entscheidungsverfahrens notwendig machen.655 Der Ausschluss der realen Fehlerheilung durch die Nachholung gilt dann für jedwede Nachholung nach ursprünglicher Beendigung des Verwaltungsverfahrens. § 45 Abs. 2 VwVfG wird in solchen Fällen kaum je eine Rolle spielen können, ohne dass von der grundsätzlichen Verfassungswidrigkeit der Vorschrift ausgegangen werden muss.656 In Bezug auf den Eigenwert der Begründung als weitere wichtige und gemäß § 45 Abs. 1 VwVfG nachholbare Verfahrenshandlung sind die Bedenken nicht ganz so gravierend wie diejenigen in Bezug auf die Anhörung. Im Gegensatz zur Anhörung kommt der Begründung nämlich kein den Inhalt der Entscheidung formender Ei652
„Funktionale Äquivalenz“ Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 26, 42; vgl. u. a. BVerwGE 137, 199 (211 f.), hier verneint das Bundesverwaltungsgericht eine wirksame Heilung, da die alleinige Stellungnahme innerhalb des Verwaltungsprozesses nicht die Funktion einer vorherigen Anhörung erfüllen könne. 653 Insbesondere Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2166 f.), sogar bereits vor der Ausweitung der zeitlichen Heilungsmöglichkeit noch innerhalb des Gerichtsverfahrens. 654 So aber Baumeister, Peter, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsaktes, 2006, S. 352 f.; dem zustimmend Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1080); ähnlich, aber zögerlich Pietzcker, Jost, Verfahrensrecht und Folgen von Verfahrensfehlern, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Maurer, 2001, S. 695 (709). 655 Wie hier für eine Aufhebung der Entscheidung und gegebenenfalls eine Wiederholung des Verfahrens in diesem Fall Guckelberger, Annette, JuS 2011, 577 (579). 656 Für die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift in Bezug auf die Nachholung von Anhörung und Begründung Martin, Marco, Heilung von Verfahrensfehlern im Verwaltungsrecht, 2004, S. 286 f.; Hatje, Armin, DÖV 1997, 477 ff.
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genwert zu; sie soll es vielmehr zuvörderst657 dem Gericht ermöglichen, die bereits getroffene Verwaltungsentscheidung nachträglich zu kontrollieren. Diese Funktion kann die Begründung auch im Fall ihrer Nachholung noch erfüllen.658 Auf der anderen Seite erfüllt die hinreichende Begründung eine nicht-instrumentale akzeptanzsteigernde Aufgabe, welche die Annahme eines absoluten Verfahrensrechts rechtfertigen kann.659 Nimmt man dies an, ist auch eine nachträgliche Heilung, zumal dann, wenn eine solche erst im Verwaltungsgerichtsprozess erfolgen soll, nicht mehr denkbar. (2) Auswirkungen der Annahme grundrechtsverbürgten Verfahrensrechts Zu denken ist auch an die Verkürzung des Anwendungsbereichs des § 46 VwVfG in Fällen, in denen das einfache Verwaltungsverfahrensrecht, dessen Verletzung geltend gemacht wird, als grundrechtlich determiniert anzusehen ist. Wenn Grundrechte unmittelbar durch einen Verfahrensverstoß betroffen sind, kann eine Unbeachtlichkeit des Verfahrensfehlers oder der grundsätzliche Ausschluss seiner Geltendmachung an sich nicht in Betracht kommen.660 Es ist hingegen, wie bereits gesehen, schon mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, einzelnen Normen des Verwaltungsverfahrensrechts eine zwingende Ableitung unmittelbar aus den Grundrechten zu attestieren. Um eine eindeutige Einteilung der Verfahrensnormen in grundrechtsschützende und nicht-grundrechtsschützende Vorschriften käme man indessen nicht herum, wollte man von einer solchen Einteilung die Anwendbarkeit einer gesetzlich geforderten Fehlerfolgenregelung abhängig machen. Diese Schwierigkeit, eine klare Abgrenzbarkeit des Kriteriums der Grundrechtsrelevanz einzelner Verfahrensnormen zu gewinnen, wird daher auch zu der Begründung einer Ablehnung der Eingrenzung des § 46 VwVfG unter diesen Gesichtspunkten herangezogen.661 Weiterhin wird angeführt, dass unabhängig von der Schwierigkeit einer solchen Klassifizierung eine Zweiteilung einfachgesetzlicher Verfahrensnormen in grundrechtsschützend und nicht-grundrechtsschützend schon dem Grundsatz nach abzulehnen sei. Auch solch grundrechtsschützende Normen blieben einfaches Verfahrensrecht und erführen hierdurch nicht eine neue Zuordnung, die sie in einem Rangverhältnis über schlichte Verfahrensvorschriften stellen würde.662 657 Zu der Funktion der Begründung, dem Betroffenen einen wirksamen Rechtsschutz zu ermöglichen, und den hieraus für die Nachholung der Begründung entstehenden Bedenken in Bezug auf Art. 19 Abs. 4 GG siehe hingegen Kapitel 3 B. I. 1. b) ee). 658 Hatje, Armin, DöV 1997, 477 (485). 659 Hierzu Kapitel 3 B. II. 1. c) cc) (1) (b) und Kapitel 4 B. I. d) aa). 660 So vor allem schon Blümel, Willi, Grundrechtschutz durch Verfahrensgestaltung, in: Blümel (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, S. 65 ff., allerdings in Bezug auf Ermessensverwaltungsakte nach § 46 VwVfG a.F. 661 Pietzcker, Jost, „Grundrechtsbetroffenheit“ in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 131 (137). 662 Ossenbühl, Fritz, Grundrechtsschutz im und durch Verfahren, in: Müller/Rhinow/ Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, 1982, S. 183 (193); ders., NVwZ
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Wiederum ist zudem anzumerken, dass die grundrechtliche Verbürgung eines Verfahrensrechts zumeist auf dessen Notwendigkeit für die Verwirklichung materieller Grundrechtspositionen gerichtet ist. Verfahrensgarantien sollen ihre Grundrechtsrelevanz gerade erst dadurch erlangen, dass sie den Schutz grundrechtlich geschützter materieller Rechtspositionen bewirken.663 Ist eine Verletzung des Schutzbereichs eines Grundrechts dann durch das Ergebnis der verfahrensfehlerhaft getroffenen Entscheidung letztlich nicht gegeben, muss auch aus dem Verfahrensfehler aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Aufhebungsanspruch folgen.664 Selbst im Fall der Verletzung einer laut Bundesverfassungsgericht grundrechtsrelevanten Verfahrensvorschrift – also einer solchen, die gerade im Hinblick auf den Schutz oder die Verwirklichung eines Grundrechts erlassen wurde –, soll nicht gleichsam automatisch ein Aufhebungsanspruch aus dieser Verfahrensrechtsverletzung folgen.665 Die Annahme, dass ein Aufhebungsanspruch nicht allein aus der Verletzung von Verfahrensrecht und ohne Rücksicht auf eine materiell-rechtliche Rechtsverletzung folgt, selbst wenn dieses Verfahrensrecht drittschützend und grundrechtsrelevant ist, widerspricht auch nicht als solche den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Mühlheim-Kärlich-Beschluss.666 Dort hatte das Bundesverfassungsgericht lediglich betont, dass ein Gericht nicht grundsätzlich annehmen dürfe, ein klagebefugter Dritter – das heißt also der, der sich bereits auf die Möglichkeit der Verletzung subjektiv-öffentlichen Rechts berufen kann – sei zur Geltendmachung von Verfahrensverstößen nicht befugt.667 Es ging ihm also nicht unmittelbar um die alleinige Durchsetzung von Verfahrensrecht ohne materiell-rechtliche Auswirkungen auf die Sachentscheidung. Es bleibt dennoch dabei, dass ein gewisser Mindeststandard des Verwaltungsverfahrens – insbesondere was die Beteiligung, zumindest in Form einer Anhörung betroffener Bürger, aber auch die hinreichende Begründung einer Verwaltungsentscheidung angeht – durchaus als verfassungsrechtlich geboten angesehen werden kann, gerade weil dadurch das materielle Grundrecht gesichert werden soll. Eine 1982, 465 (471); Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (169); von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2159). 663 Besonders deutlich Degenhart, Christoph, DVBl. 1982, 872 (886). 664 Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (871); Czajka, Dieter, Verfahrensfehler und Drittschutz im Anlagenrecht, in: Czajka/Hansmann/Rebentisch (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Feldhaus, 1999, S. 507 (516); selbst Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2164 f.), sieht einen Sanktionsanspruch des Fehlerbetroffenen bei grundrechtsrelevanten Verfahrensfehlern dann nicht als gegeben an, wenn das Verfahrensergebnis den Schutzbereich des Grundrechts letztlich unberührt lässt. 665 BVerfG, NVwZ-RR 2000, 487 – Lingen-Beschluss; dazu Schmidt-Preuß, Matthias, DVBl. 2000, 767 (771); vgl. auch BVerfGE 73, 280 (299); BVerfGE 63, 131 (143), wo es heißt, ein Verfahrensverstoß dürfe dann nicht sanktionslos bleiben, wenn die „Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht“. 666 Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 522. 667 BVerfGE 53, 30 (66) – Mühlheim-Kärlich-Beschluss, Hervorhebung hinzugefügt.
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Geltendmachung eines Verfahrensfehlers in diesem Bereich dann jeweils mit der Begründung auszuschließen, er habe offensichtlich keinen Einfluss auf die Sachentscheidung gehabt, muss als Verkürzung des grundrechtlichen Schutzes angesehen werden.668 Entscheidend wird damit erneut die Funktion, die das grundrechtsgebotene Verfahrensrecht einnimmt. In diesem Sinne kann auch die früh geäußerte Meinung des OVG Lüneburg, das die Bestimmungen über die Beteiligung an einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren zwar als grundrechtsrelevant, da für den Schutz des materiellen Grundrechts von Bedeutung, bezeichnet hatte, diese grundrechtsschützende Funktion jedoch dort als nicht mehr gegeben ansieht, „wo eine Verletzung oder sichere Gefährdung des materiellen Grundrechts von vornherein sicher auszuschließen ist“,669 für solche Fälle einer Verletzung des grundrechtlich gebotenen Mindeststandards nicht haltbar sein. Wo der grundrechtliche Mindestgehalt an Verfahrensbeteiligung berührt wird, ist eine Gefährdung der materiellen Grundrechtsposition gerade nicht vollkommen auszuschließen. Selbst wenn man grundrechtlich gebotene Verfahrensrechte allein wegen ihrer Notwendigkeit zum Schutz materieller Positionen anerkennt, gelangt die Anwendung des § 46 VwVfG hier an ihre Grenzen. Die Sachentscheidung als Ergebnis des fehlerhaften Verfahrens ist dann die Folge einer Grundrechtsverletzung und kann als solche keinen Bestand haben. Hier könnte bei Verfahrensfehlern im Zweifel eine Vermutung zugunsten des betroffenen Grundrechtsträgers dafür angenommen werden, dass sich der Verfahrensfehler auf die materielle Rechtmäßigkeit der Sachentscheidung ausgewirkt hat,670 oder der Verfahrensmangel könnte als so schwerwiegend angesehen werden, dass er die Nichtigkeit des Verwaltungsakts zur Folge hat.671 So kann im Rahmen des § 46 VwVfG im Einzelfall geprüft werden, ob der Verfahrensfehler als beachtlich angesehen werden muss, weil er den grundrechtlich gesicherten Mindeststandard des Verwaltungsverfahrens – insbesondere das grundrechtsgebotene Mindestmaß an Verfahrensteilhabe – betroffen hat, ohne dass die Anwendung 668 Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (872), stellt dieses Problem insbesondere im Bereich großer Planungsvorhaben, die als Massenverfahren durchgeführt werden, dar, in denen die Außerachtlassung der Beteiligungsrechte Einzelner regelmäßig wenig Auswirkung auf die am Ende stehende Sachentscheidung haben wird; ebenso Blümel, Willi, Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, in: Blümel (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, S. 70 f.; die Entwicklung absoluter Verfahrensrechte, deren Verletzung in jedem Fall zu einer Kassation der Entscheidung führte, wurde in diesem Rahmen als möglich angesehen; vgl. Martin, Marco, Heilung von Verfahrensfehlern im Verwaltungsverfahren, 2004, S. 201 f.; Degenhart, Christoph, DVBl. 1982, 872 (885, Fn. 154); Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2165). 669 OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 506 (508). 670 Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (872); dessen Ausführungen beziehen sich allerdings auf die frühere Formulierung des § 46 VwVfG (a.F.), wonach ein Verfahrensfehler dann unbeachtlich sein soll, wenn auch bei fehlerfreiem Verfahren keine andere Sachentscheidung hätte getroffen werden können. 671 von Mutius, Albert, NJW 1982, 2150 (2159); für den Fall einer unterbliebenen Beteiligung eines möglicherweise in seinen Grundrechten berührten Drittbetroffenen trotz Antrags Raeschke-Kessler, Hilmar/Eilers, Stephan, NVwZ 1988, 37 (40).
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des § 46 VwVfG pauschal für gewisse und schwer abzugrenzende Verfahrensverstöße ausgeschlossen wird. Ähnliches gilt wiederum für die nachträgliche Heilbarkeit derartiger Verfahrensfehler gemäß § 45 VwVfG. Insbesondere ein Mindeststandard an Verfahrensbeteiligung ist grundrechtlich geboten, nicht zuletzt um einen wirksamen Rechtsschutz innerhalb des Verfahrens zu gewährleisten. Lässt sich daher sicherstellen, dass durch eine Nachholung der grundrechtlich gebotenen Anhörung die materielle Grundrechtsverletzung vollständig kompensiert werden kann, begegnet die Heilung des Verfahrensfehlers auch bei grundrechtlich gebotenen Verfahrenshandlungen keinen Bedenken; sie ist im Gegenteil in einem solchen Fall sogar zu begrüßen.672 Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Rechtsschutzfunktion der Anhörung im Rahmen einer Nachholung – insbesondere wenn diese innerhalb des gerichtlichen Verfahrens erfolgt – nicht mehr in hinreichendem Maße erfüllt wird.673 Ähnlich den Bedenken, die sich aus dem Eigenwert der Anhörung bei der Inhaltsgestaltung einer Entscheidung ergeben, würde die Annahme, dass ein Mindestmaß an Beteiligung am Verwaltungsverfahren grundrechtlich geboten ist, ausgehöhlt, wenn das Ausbleiben der diesem Gebot verpflichteten Anhörung ohne jegliche Konsequenzen bliebe.674 Auch eine hinreichende Begründung ist grundrechtlich schon deshalb geboten, weil hierdurch der wirksame Rechtsschutz gegen eine Verwaltungsentscheidung ermöglicht werden soll. Eine zunächst ausgebliebene oder unvollständige Begründung nimmt dem Betroffenen die Möglichkeit, sich über die Erfolgsaussichten einer Klage klarzuwerden. Dies kann zum einen zu unnötigen Klagen führen, aber auch dazu, eine möglicherweise erfolgsversprechende Klage zu unterlassen. Dieser Konflikt mit Art. 19 Abs. 4 GG kann auch durch eine spätere Nachholung der Begründung – sogar in einem bereits begonnenen Prozess – nicht mehr ausgeräumt werden.675
672
Hufen, Friedhelm, NJW 1982, 2160 (2165), spricht insoweit von einer „wichtigen Kompensationsfunktion im Hinblick auf den Grundrechtseingriff“; ähnlich und insbesondere auch in Bezug auf die Heilung noch während des Gerichtsverfahrens Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 105; Martin, Marco, Heilung von Verfahrensfehlern im Verwaltungsverfahren, 2004, S. 253 ff. 673 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 5a, ohne jedoch hieraus eine grundsätzliche Verfassungswidrigkeit der Vorschrift abzuleiten, solange „strenge Anforderungen an die Nachholung gestellt werden“; Bracher, Christian-Dietrich, DVBl. 1997, 534 (535 f.); Hatje, Armin, DÖV 1997, 477 (483); Hufen, Friedrich, JuS 1999, 313 (316 f.). 674 Eckert, Lucia, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 59. 675 Sachs, Michael, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 39 ff., jedoch ohne hieraus eindeutig eine Verfassungswidrigkeit der Heilungsmöglichkeit abzuleiten; Eckert, Lucia, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 58, schließt hieraus auf die Verfassungswidrigkeit des § 45 Abs. 2 VwVfG in Bezug auf die Nachholbarkeit der Begründung.
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(3) Auswirkungen unionsrechtlicher Vorgaben Allgemein ist innerhalb des europäischen Rechts und insbesondere des Eigenverwaltungsrechts der Europäischen Union von einer stärkeren Betonung des verfahrensrechtlichen Denkens auszugehen, als dies im deutschen Rechtssystem traditionell der Fall ist. Vor allem wird dort dem Verwaltungsverfahren eine bedeutende eigenständige Funktion für die Richtigkeitsgewähr einer Entscheidung und für den Rechtsschutz der Betroffenen zugestanden.676 Mit dem Fokus auf Information, Partizipation und Drittrechtsschutz soll das europäische Verwaltungsverfahren weitgehend auch zur Erreichung politischer Ziele wie der Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen beitragen.677 Diese Bewertung der Funktion des Verwaltungsverfahrens und verfahrensrechtlicher Garantien hat im Übrigen auch Auswirkungen auf den Umgang mit Verfahrensfehlerfolgen in Verfahren vor den europäischen Gerichten. Auch bei der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen der europäischen Eigenverwaltung spielt die Einhaltung verfahrensrechtlicher Garantien eine bedeutende Rolle, insbesondere wenn die Unionsorgane über einen Beurteilungsspielraum verfügen.678 (a) Mögliche Divergenzen im Umgang mit Verfahrensfehlerfolgen Gerade die Regelung des § 46 VwVfG begegnet dort Schwierigkeiten und einer möglichen Eingrenzung, wo es um Fälle des indirekten Vollzugs des Unionsrechts geht. Zunächst ist ein Verstoß gegen den sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Effektivitätsgrundsatz denkbar, wenn im Bereich des indirekten Vollzugs unionsrechtlicher Vorgaben Anhörungs- oder Begründungsmängel, die im Bereich des europäischen Eigenverwaltungsrechts regelmäßig als absolute Verfahrensfehler angesehen werden, durch § 46 VwVfG nicht zu einer Aufhebung der ergangenen Maßnahme führen. Zum Teil wird daher verlangt, dass derartigen Verfahrensfehlern auch beim indirekten Vollzug des Unionsrechts ein ebensolches Gewicht im nationalen Recht eingeräumt werde, so dass § 46 VwVfG und im Rahmen dessen insbesondere die Lehre von der „konkreten Kausalität“679 einschränkend angewendet werden müsse.680 Auch aus dem Kompensationsgedanken, der als allgemeiner eu676 Hirsch, Günter, VBlBW 2000, 71 (74); Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (862); ausführlich zu notwendigen Differenzierungen dieser allgemeinen Gegenüberstellung Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 116 ff. 677 Ekardt, Felix/Schenderlein, Kristin, NVwZ 2008, 1059 (1060); Burgi, Martin, JZ 2010, 105 (106, 108). 678 EuGH, Urteil vom 21. 11. 1991, Rs. C-269/90, Technische Universität München, Slg. 1991 I-05469; EuG, Urteil vom 18. 9. 1995, Rs. T-167/94, Nölle gegen Rat und Kommission, Slg. 1995 II-2589, Rdnr. 73; zu der stärkeren Betonung der Verfahrenskontrolle vor den Unionsgerichten Kokott, Juliane, Die Verwaltung 31 (1998), 335 (365). 679 BVerwGE 100, 238 (250); BVerwGE 104, 236 (241). 680 OVG Koblenz, NVwZ 2005, 1208 (insbes. 1210); Schwarz, Kyrill-Alexander, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 46 VwVfG Rdnr. 13; Kahl, Wolfgang, VerwArch 95 (2004), 1 (23 ff.), vgl. aber inzwischen Kahl, Wolfgang, NVwZ
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ropäischer Rechtsgrundsatz bezeichnet wird, wird eine Eingrenzung des § 46 VwVfG in unionsrechtlich relevanten Fällen von Beurteilungsspielräumen, Ermessen, Planungs- oder Regulierungsermessen in der beschriebenen Weise vorgeschlagen. Aufgrund der gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren materiellen Rechtmäßigkeit der Sachentscheidung müsse hier ein offensichtlicher Ausschluss der Ergebnisrelevanz eines Verfahrensfehlers stets verneint werden.681 Auch das Recht auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta) wird trotz der grundsätzlichen Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten als möglicher Einfluss auf das deutsche Verwaltungshandeln diskutiert. So kann aus Art. 41 Grundrechtecharta und insbesondere aus der Rechtsprechung der europäischen Gerichte zu diesem Grundrecht und allgemein zu innerhalb des Eigenverwaltungsrechts anerkannten Verfahrensrechten eine gewisse Wirkung für das deutsche Verwaltungsrecht und den dort verbürgten Verfahrensrechten ausgehen.682 Ob aus der Artikelüberschrift des Art. 41 Grundrechtecharta ein allgemeines Recht auf eine gute Verwaltung folgen soll, das sodann in den folgenden Absätzen – wohl nicht abschließend – konkretisiert wird, ist bislang ebenso wenig hinreichend geklärt wie die Fragen nach dem Inhalt eines solchen Rechts und nach den Konsequenzen seiner Verletzung. Das Europäische Gericht spricht von einem „Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung“, aus dem zunächst keine über die spezifischen Rechte des Art. 41 Grundrechtecharta hinausgehenden Rechte des Einzelnen folgten.683 Im Einzelnen sieht Art. 41 Grundrechtecharta in seinem Abs. 1 ein Recht jeder Person darauf vor, dass ihre Angelegenheiten von den Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. „Dieses Recht“ soll nach Abs. 2 der Vorschrift insbesondere ein Recht auf Anhörung vor belastenden Entscheidungen, ein Recht auf Akteneinsicht und ein Recht auf Begründung von Entscheidungen enthalten. Insbesondere das in Art. 41 Abs. 2 2011, 449 (451): „§§ 45 und 46 als solche sind daher nicht unionsrechtswidrig, insbesondere verstoßen sie nicht gegen das Effektivitätsgebot“; von Danwitz, Thomas, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, S. 264 ff. 681 Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1084), spricht insoweit von einer „Konvergenz des deutschen und europäischen Verfahrensgedankens“. 682 Laubinger, Hans-Werner, Art. 41 GRCh (Recht auf eine gute Verwaltung) im Lichte des deutschen Verwaltungsrechts, in: Mehde/Ramsauer/Seckelmann (Hrsg.), Festschrift für Hans Peter Bull, 2011, S. 659; siehe hier auch die Nachweise für die teilweise vertretene Ansicht, Art. 41 Abs. 1 und 2 GRCh könnten auch die Mitgliedstaaten unmittelbar binden, wenn diese Unionsrecht ausführten oder im Anwendungsbereich des Unionsrechts handelten; Kahl, Wolfgang, NVwZ 2011, 449 (455); zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die der EuGH auch unabhängig von Art. 41 Grundrechtcharta entwickelt hat, und zu der bislang nicht geklärten Reichweite ihrer Bindungswirkung auch Classen, Claus Dieter, Die Verwaltung 31 (1998), 308 (309 ff.). 683 EuG, Urteil vom 6. 12. 2001, Rs. T-196/99, Area Cova u. a. gegen Rat und Kommission, Slg. 2001, II-3597, Rdnr. 43; EuG, Urteil vom 4. 10. 2010, Rs. T-193/04, Tillack gegen Kommission, Slg. 2006, II-03995 Rdnr. 127.
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Buchstabe a Grundrechtecharta geregelte Recht auf Anhörung geht weiter als das Anhörungsrecht im deutschen Verwaltungsverfahren aus § 28 VwVfG. Nimmt man somit an, dass aus Art. 41 Grundrechtecharta und der hierzu oder zu den zuvor entwickelten Verfahrensgrundsätzen ergangenen Rechtsprechung der europäischen Gerichte allgemeine Anforderungen oder Anstöße auch an die Verwaltungsverfahrensordnungen der Mitgliedstaaten gefolgert werden können, so kann die deutsche Regelung zur Anhörung einigen Bedenken begegnen. Dies gilt vor allem für die nicht umfassend geregelte Anhörungsmöglichkeit für Nicht-Adressaten einer Maßnahme – nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts sind auch diejenigen anzuhören, deren Interessen, aber nicht notwendigerweise deren Rechte durch die Maßnahme unmittelbar nachteilig betroffen werden können, ohne dass es einer Adressatenstellung derjenigen bedarf.684 Auch die umfassend geregelten Ausnahmetatbestände (§ 28 Abs. 2 und 3 VwVfG) und die weitgehenden Heilungsmöglichkeiten, die das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht bei Anhörungsmängeln durch § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG ermöglicht, stoßen auf unionsrechtlich bedingte Kritik. Vor allem die Möglichkeit, in Deutschland sogar noch während des gerichtlichen Verfahrens unterbliebene oder fehlerhafte Verfahrenshandlungen mit heilender Wirkung nachzuholen, wird als mit Blick auf unionsrechtliche Verfahrensgrundsätze bedenklich angesehen, wenn es um den Vollzug unionsrechtlicher Vorgaben geht.685 So ist eine nachträgliche, also nach Beendigung des Verwaltungsverfahrens erfolgende Heilung nach der Rechtsprechung des EuGH bei Mängeln der nunmehr in Art. 41 Abs. 2 Buchstabe b der Grundrechtecharta für Stellen der Union bei nachteiligen Maßnahmen festgeschriebenen Anhörung nicht möglich.686 Auch in Bezug auf das Recht auf eine hinreichende Begründung betonen die europäischen Gerichte regelmäßig, eine Heilung von in diesen Bereichen begangenen Fehlern durch die Nachholung nach der Beendigung des Verwaltungsverfahrens sei nicht (mehr) denkbar.687 Der genaue Umgang der Unionsgerichte mit Fehlern innerhalb des unionsrechtlichen Verwaltungsverfahrens wird jedoch nicht immer gänzlich deutlich, so 684 EuG, Urteil vom 15. 3. 2001, Rs. T-73/98, Société chimique Prayon-Rupel SA gegen Kommission, Slg. 2001, II-00867, Rdnr. 41. 685 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 45 Rdnr. 5d; Kahl, Wolfgang, VerwArch 95 (2004), 1 (20 ff.); Gurlit, Elke, VVDStRL 70 (2011), 227 (259 ff.); Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (324 ff.); Kahl, Wolfgang, NVwZ 2011, 449 (452). 686 EuGH, Urteil vom 10.7.01, Rs. C-315/99 P, Ismeri Europa, Slg. 2001, I-5281, Rdnr. 31; anders zwar noch EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, Hoffmann-La Roche, Slg. 1979, 461, Rdnr. 15; die dort zu Grunde gelegte Ansicht, Anhörungsmängel seien noch im gerichtlichen Verfahren zu heilen, hat sich jedoch im Anschluss nicht durchgesetzt. 687 Siehe nur EuGH, Urteil vom 7. 7. 1981, Rs. 158/80, Rewe, Slg. 1981, 1805 Rdnr. 26 f.; EuGH, Urteil vom 24. 10. 1996, verb. Rs. C-329/93, u. a. Deutschland/Kommission, Slg. 1996, I-5151 Rdnr. 48; vgl. hingegen auch EuGH, Urteil vom 17. 3. 1983, Rs. 294/81, Control Data, Slg. 1983, 911, Rdnr. 19 ff., in dem der EuGH das ergänzende Vorbringen der Kommission zur Begründung ihrer Entscheidung vor Gericht in seine Prüfung einbezogen hat, ohne jedoch am Ende eine Heilung des Begründungsmangels zu bejahen.
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dass das Aufstellen allgemeingültiger Grundsätze mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist. Dies gilt insbesondere auch für die durch Art. 41 Grundrechtecharta verliehenen Rechte. Aufgrund ihrer Weite und Unbestimmtheit sind sie wenig geeignet, konkrete Vorgaben zu setzen, die gegebenenfalls auch eine Bedeutung für die nationalen Verwaltungsverfahren und deren Umgang mit Verfahrensfehlern entfalten könnten. Allein aus den Konkretisierungen der europäischen Gerichte, wie sie zum Teil auch schon vor der Kodifizierung des Rechts auf eine gute Verwaltung in Art. 41 Grundrechtecharta ergangen ist, können unter Umständen Konsequenzen für einen Mindeststandard an Verfahrensrechten im Verwaltungsverfahren und für die Folgen ihrer Verletzung gezogen werden. Zum einen hat der Gerichtshof zwar das Recht auf rechtliches Gehör und das Recht auf eine hinreichende Begründung teilweise als absolute Rechte qualifiziert, deren Verletzung zur Nichtigkeit einer Entscheidung führe, da sie dem Schutz der Betroffenen unmittelbar dienen sollten.688 Allerdings wird auch wiederholt auf die Kausalität oder Erheblichkeit bestimmter Fehler für die Sachentscheidung abgestellt. So kann nach der Rechtsprechung der europäischen Gerichte ein Verfahrensfehler immer dann nicht erheblich sein, wenn die Möglichkeit, dass ohne den Fehler eine andere Entscheidung getroffen worden wäre, ausgeschlossen werden kann.689 Dies ist jedoch insbesondere nicht der Fall, wenn durch den Fehler Verteidigungsrechte oder -möglichkeiten eingeschränkt werden könnten.690 Ein Nachweis darüber, ob die Entscheidung ohne den Verfahrensfehler tatsächlich anders ausgefallen wäre, ist hingegen nicht zu erbringen.691 Auch der Gerichtshof geht somit nicht von einer uneingeschränkten Relevanz jedweden Verfahrensfehlers aus. Vielmehr legt die Betonung dessen, dass der Verfahrensfehler insbesondere nicht die Verteidigungsrechte des Betroffenen eingeschränkt haben darf, nahe, dass auch die europäische Rechtsprechung das Verfahren nicht vollkommen isoliert von der materiellen Entscheidung ansieht und den verfahrensrechtlichen Garantien trotz ihres gesteigerten Eigenwerts nicht zwingend
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So der EuGH vor allem in Bezug auf Begründungsmängel und Verletzungen des Rechts auf rechtliches Gehör: EuGH, Urteil vom 20. 3. 1985, Rs. 264/82, Timex Corporation gegen Kommission, Slg. 1985, 849, Rdnr. 30 f.; EuGH, Urteil vom 7. 5. 1991, Rs. C-304/89, Oliveira gegen Kommission, Slg. 1991 I-2283, Rdnr. 21; EuGH, Urteil vom 25. 5. 1993, Rs. C-199/91, Foyer Culturel de Sart-Tilman gegen Kommission, Slg. 1993 I-2667, Rdnr. 34; EuGH, Urteil vom 2. 4. 1998, Rs. C-367/95 P, Kommission gegen Sytraval und Brink’s France SARL, Slg. 1998 I-1719, Rdnr. 78. 689 EuGH, Urteil vom 3. 8. 1983, Rs. 117/81, Geist gegen Kommission, Slg. 1983, 2192, Rdnr. 7; EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986, Rs. 234/84, Belgien gegen Kommission, Slg. 1986, 2262, Rdnr. 30; EuGH, Urteil vom 14. 2. 1990, Rs. C-301/87, Frankreich gegen Kommission, Slg. 1990 I-307, Rdnr. 31; EuG, Urteil vom 18. 12. 1992, Verb. Rs. T-10/92, T-11/92, T-12/92, T-15/92, Cimenteris CBR u. a. gegen Kommission, Slg. 1992 II-02667, Rdnr. 46 f. 690 EuGH Urteil vom 25.10.11, Rs. C-110/10 P, Solvay SA gegen Kommission, Slg. 2011 I10439, zur unrechtmäßig abgelehnten Akteneinsicht. 691 EuGH Urteil vom 25.10.11, Rs. C-110/10 P, Solvay SA gegen Kommission, Slg. 2011 I10439, Rdnr. 52.
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einen Selbstzweck zuschreibt.692 Auch die europäischen Gerichte erkennen durchaus ein Kriterium der Ergebnisrelevanz des Verfahrensfehlers und eine der Verwirklichung materieller Rechte insoweit dienende Funktion zahlreicher Verfahrensnormen entgegen der zunächst teilweise streng anmutenden Formulierung zu Fehlern in Bezug auf das Recht auf rechtliches Gehör an. Allerdings muss die Möglichkeit einer anderen Entscheidung bei Beachtung des Verfahrensrechts ausgeschlossen sein, was insbesondere bei gebundenen Entscheidungen der Fall sein wird,693 aber auch, wenn rein tatsächlich keine andere Entscheidung getroffen werden konnte.694 Die Beweislast für hypothetische interne Entscheidungsprozesse der Verwaltung soll den Betroffenen hierbei aber eben nicht treffen.695 (b) Auswirkungen der Bewertungen des Eigenverwaltungsrechts der Europäischen Union Jedoch muss die in Teilen unterschiedliche Bewertung im deutschen Recht und von Seiten des Gerichtshofs die Verfahrensfehlerfolgen betreffend nicht zwingend bedeuten, dass das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht oder dessen (gerichtliche) Durchsetzbarkeit gegen das Äquivalenzprinzip, das Effektivitätsgebot oder andere unionsrechtliche Vorgaben verstoßen. Auch unter Annahme einer gewissen Impulsund Homogenisierungswirkung696 der für das Eigenverwaltungsrecht aufgestellten Maßgaben der europäischen Gerichte müssen diese durch die Mitgliedstaaten nicht im Einzelnen übernommen werden. Vielmehr ist in Bereichen des mitgliedstaatlichen Vollzugs unionsrechtlicher Vorgaben von dem Grundsatz der Verfahrensautonomie auszugehen.697 Erst dann, wenn die Anwendung des nationalen Rechts 692 Schwarze, Jürgen, Die Rechtsprechung des EuGH zur Relevanz von Fehlern im Verwaltungsverfahren, in: Heckmann/Schenke/Sydow (Hrsg.), Festschrift für Thomas Würtenberger, 2013, S. 1203 (1211); Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1292); Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (281). 693 Deutlich EuGH, Urteil vom 3. 8. 1983, Rs. 117/81, Geist gegen Kommission, Slg. 1983, 2192, Rdnr. 7. 694 Vgl. EuGH, Urteil vom 29. 9. 1976, Rs. C-9/76, Morello gegen Kommission, Slg. 1976, 1415, Rdnr. 11; EuGH, Urteil vom 14. 2. 1990, Rs. C-301/87, Frankreich gegen Kommission, Slg. 1990 I-307, Rdnr. 31. 695 Schwarze, Jürgen, Die Rechtsprechung des EuGH zur Relevanz von Fehlern im Verwaltungsverfahren, in: Heckmann/Schenke/Sydow (Hrsg.), Festschrift für Thomas Würtenberger, 2013, S. 1203 (1214); eine strengere Sichtweise in Bezug auf die Relevanz des Verfahrensfehlers und vor allem in Bezug auf die Beweislast hat hingegen jüngst das Europäische Gericht in der Rs. T-110/07, Siemens AG gegen Kommission, geäußert, indem es dem Kläger den Nachweis darüber aufgebürdet hat, dass die Sachentscheidung ohne den Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre; hiergegen ist ein Rechtsmittelverfahren beim EuGH unter Rs. C-239/ 11 P anhängig. 696 Hierzu umfassend und m.w.N. Nettesheim, Martin, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, in: Radelzhofer/Scholz/Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 447 (459 f.). 697 Nettesheim, Martin, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, in: Radelzhofer/Scholz/Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz,
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diskriminierend oder eine Vereitelung oder Erschwerung der Durchsetzung unionsrechtlich garantierter Rechtspositionen zu besorgen ist, kann ein Verstoß gegen das europäische Äquivalenzprinzip oder Effektivitätsgebot angenommen und dann auch Rückgriff auf Vorgaben europäischer Gerichte im Rahmen des Eigenverwaltungsrechts genommen werden.698 Eine Zurückhaltung gegenüber einer allgemeinen Einschränkung deutscher Verfahrensfehlerregelungen ist vor allem dann geboten, wenn man das Effektivitätsgebot auf die Gesamtheit des unionsrechtlich vorgegebenen materiellen Rechts und Verfahrensrechts bezieht,699 so dass die Möglichkeit, einer europäischen Regelung effektiv zur Geltung zu verhelfen, in Deutschland durchaus bestehen bleibt. Im Gegensatz zu der Kontrolle der europäischen Eigenverwaltung durch die Unionsgerichtsbarkeit, welche von grundsätzlich bestehenden Spielräumen der Verwaltung ausgeht,700 wird in Deutschland noch immer von einer sehr weitgehenden gerichtlichen Kontrolle der Sachentscheidungen der Verwaltung ausgegangen.701 Ein gerichtlich nicht überprüfbarer Spielraum der Verwaltung bedarf hier einer eigenen Begründung, die sich aus der ermächtigenden Norm ergeben muss, so dass allein in den Fällen, in denen diese Begründung gelingt, von der Notwendigkeit einer Kompensation des Rückgangs verwaltungsgerichtlicher Ergebniskontrolle durch eine ausgeweitete Verfahrenskontrolle auszugehen ist. Trotz der dort gegenüber der deutschen Vorstellung gesteigerten Bedeutung des Verwaltungsverfahrens und seiner Rechte geht es dabei allerdings auch dem europäischen Recht schlussendlich um die Durchsetzung seiner materiell-rechtlichen Vorgaben. 1995, S. 447 (463); Hegels, Susanne, EG-Eigenverwaltungsrecht und Gemeinschaftsverwaltungsrecht, 2000, S. 34 ff., S. 86 ff.; Papier, Hans-Jürgen, DVBl. 1993, 809 (814); zur sog. Autonomie- und Homogenisierungsthese auch Kahl, Wolfgang, VerwArch 95 (2004), 1 (3, 13 ff., 17 ff.); Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 108. 698 Wahl, Rainer, Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessrecht in europäischer Sicht, in: Hill/Pitschas (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, S. 357 (357, 363 ff.); ders., DVBl. 2003, 1285 (1287); Schmidt-Aßmann, Eberhard, Die Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 487 (501 f.); ders., in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 157; Held, Jürgen, Wahrnehmung und Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus der Sicht der Rechtsanwender: Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Hill/Sommermann/Stelkens/Ziekow (Hrsg.), 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven, 2011, S. 69 (80 ff.); Kment, Martin, EuR 2006, 201 (202 f.). 699 Vorschlag von Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1287); dagegen Kleesiek, Anja, Zur Problematik der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, 2010, S. 94 f. und S. 116 f.; wegen der europäischen Betonung des Eigenwerts des Verfahrens auch Kment, Martin, EuR 2006, 201 (210). 700 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 5a; Kment, Martin, EuR 2006, 201 (207 f.); Burgi, Martin, DVBl. 2011, 1317 (1320). 701 Zu der weitreichenden Kontrollkompetenz der deutschen Verwaltungsgerichte Kapitel 2 A. I. und Kapitel 2 B. I. 1. a).
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Näher liegt es daher, eine allgemeine Einschränkung des § 46 VwVfG im Bereich des indirekten Vollzugs des Unionsrechts abzulehnen und lediglich einzelne aus dem Unionsrecht folgende Verfahrensrechte oder zur Durchsetzung des materiellen Unionsrechts notwendige Verfahrensrechte aus dem Anwendungsbereich des § 46 VwVfG herauszunehmen.702 Es ist im Einzelfall zu überprüfen, ob die Sanktionslosigkeit eines Verfahrensfehlers die Durchsetzung eines Rechts beeinträchtigt, das durch europäische Vorgaben verliehen wurde.703 Ist dies der Fall, kann für bestimmte Verfahrensfehler und in Fällen der erschwerten Durchsetzung unionsrechtlich verbürgter Rechte eine Modifizierung des Fehlerfolgenrechts vorgenommen werden. Insbesondere ist in den problematischen Bereichen an eine Ausweitung des Konzepts absoluter Verfahrensrechte zu denken, wie dies im Rahmen des § 4 Abs. 1 UmwRG geschehen ist. So können, wenn es das Unionsrecht ausdrücklich verlangt und insoweit mit dem deutschen Recht kollidiert, dem Anwendungsvorrang704 entsprechend oder, falls es im Einzelfall tatsächlich zu einer Verletzung des Effektivitätsgebots kommen sollte, auch in Deutschland Verfahrensrechte als absolute Rechte anerkannt werden, deren Durchsetzung einer Anwendung des § 46 VwVfG nicht unterliegt.705 Auch bei einer Anwendung des § 46 VwVfG ist allerdings zu beachten, dass der EuGH davon ausgeht, dass es nicht an demjenigen liegt, der sich auf sein verletztes Verfahrensrecht beruft, darzulegen, dass ohne diesen Fehler die Verwaltungsentscheidung anders ausgefallen wäre. Vielmehr hat dies der Entscheidungsträger selbst zu erbringen.706 Wiederum ist diese Forderung jedoch schon in § 46 VwVfG mit seinem Offensichtlichkeitskriterium angelegt; es gilt allein, die Vorgabe des Gesetzes ernst zu nehmen. An eine Erschwerung der Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben, welche die Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes verletzen könnte, ist zudem insbesondere in Bezug auf die weitgehenden Heilungsmöglichkeiten des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts zu denken. Das Unionsrecht geht hier insbesondere im Falle einer unterbliebenen vorgesehenen Beteiligung davon aus, dass eine wirksame, den Zweck der Beteiligung noch sicherstellende707 Nach702 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 5b f.; Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1287); Lecheler, Helmut, NVwZ 2005, 1156. 703 Schoch, Friedrich, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, in: SchmidtAßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507 (523 f.); Kahl, Wolfgang, VerwArch 95 (2004), 1 (21 f.). 704 Vgl. zu dessen Herleitung und Begründung schon EuGH, Urteil vom 15. 7. 1964, Rs. C-6/64, Costa gegen E.N.E.L, Slg. 1964, 1251 (1270 f.); allerdings kommt der Europäischen Union bislang nur begrenzt die Kompetenz zur Regelung verfahrensrechtlicher Vorschriften in Bereichen zu, die durch die Mitgliedstaaten im indirekten Vollzug umzusetzen sind; zur Möglichkeit derartiger Kompetenzen Kahl, Wolfgang, NVwZ 1996, 865 (866 ff.). 705 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 157; siehe zu der Auswirkung der Qualifizierung als absolutes Verfahrensrecht auf den gerichtlichen Rechtsschutz vertiefend unten Kapitel 4 B. I. 1. d). 706 EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. C-72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49 Rdnr. 48 ff. 707 Vgl. hierzu. EuGH, Urteil vom 21. 11. 1991, Rs. C-354/90, FNCE, Slg. 1991 I-5495, Rdnr. 16; EuGH, Urteil vom 11. 7. 1996, Rs. C-39/94, SFEI, Slg. 1996 I-4547, Rdnr. 67 f.; EuGH, Urteil vom 22. 9. 1988, Rs. C-187/87, Saarland u. a., Slg. 1988, 5013, Rdnr. 16 f.; in
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holung nicht in dem Maße möglich ist, wie sie das deutsche Recht zulässt. Eine wirksame Beteiligung in diesem Sinne wird das Unionsrecht und insbesondere das Effektivitätsgebot dann auch in Fällen des indirekten Vollzugs unionsrechtlicher Vorgaben fordern. Darüber hinaus ist die Rechtsprechung der europäischen Gerichte zu vielfältig, um die dort getroffenen Aussagen über Verfahrensfehler und ihre Folgen zu einem generellen Änderungsbedarf der deutschen Fehlerfolgenregelungen heranzuziehen.708 Eine vollkommene Angleichung des mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechts an die Vorgaben des Eigenverwaltungsrechts der Europäischen Union ist auch im Bereich des indirekten Vollzugs unionsrechtlicher Vorgaben oder gar bei rein nationalen Fallgestaltungen nicht geboten. Allgemein kann das europäische Recht mit seiner stärkeren Betonung des Verfahrensgedankens jedoch als ein Impuls angesehen werden, um die Bedeutung von Verfahrensrechten insgesamt höher zu bewerten.709 Hierauf kann zumindest dort zurückgegriffen werden, wo entgegen der Vorstellung von einer weitgehenden Determinierung der Verwaltungsentscheidung, die dem deutschen Rechtssystem innewohnt, das Verfahren starke eigene Impulse zum Inhalt der Entscheidung liefert. Aus der unterschiedlichen Bewertung von Verfahrensrechten und Verfahrensfehlern, die das europäische und das deutsche Recht vornehmen, müssen auch bei der Annahme eines solchen möglichen Impulses im Einzelnen jedoch nicht zwingende rechtliche Konsequenzen folgen.710 dd) Bedeutung von Präklusionsregelungen für die Geltendmachung von Verfahrensrechten Ein weiteres Hindernis bei der Geltendmachung einer Verletzung von Verfahrensrechten kann in Regelungen gesehen werden, die bestimmte Fehler von einer gerichtlichen Überprüfung ausnehmen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist geltend gemacht werden oder bereits innerhalb des Verfahrens hätten geltend gemacht werden können. Insbesondere wenn dem Einzelnen bereits im Verwaltungsverfahren weitreichende Beteiligungsrechte zuerkannt werden, kann es Ausdruck einer gesetzgeberischen Effizienzentscheidung sein, solche Einwendungen, Bezug auf die Nachholung einer Begründung EuGH, Urteil vom 15. 10. 1987, Rs. 222/86, Unectef gegen Heylens, Slg. 1987, 4097, Rdnr. 15; dazu, dass auch das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht selbst ein Kriterium der Wirksamkeit der nachgeholten Verfahrenshandlung aufstellt, siehe bereits Kapitel 3 B. II. 1. c). aa). 708 Dazu insbesondere Pietzcker, Jost, Verfahrensrechte und Folgen von Verfahrensfehlern, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Maurer, 2001, S. 695 (702 ff.); Schoch, Friedrich, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/ Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507 (523 f.); Baumeister, Peter, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsakts, 2006, S. 286. 709 Burgi, Martin, JZ 2010, 105 (106); ähnlich Ekardt, Felix/Schenderlein, Kristin, NVwZ 2008, 1059 (1062). 710 Kahl, Wolfgang, NVwZ 2011, 449 (451).
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die bereits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens hätten vorgebracht werden können, von einer gerichtlichen Überprüfung auszunehmen. Ein Mehr an möglichem Rechtsschutz bereits im Verwaltungsverfahren kürzt in einem solche Fall den Rechtsschutz, der durch die gerichtliche Ergebniskontrolle im Nachhinein gewährt werden kann.711 Jedoch regeln derartige Vorschriften nicht notwendigerweise die Folge eines Verfahrensfehlers, sondern schließen gerade auch materiell-rechtliche Einwendungen aus, wenn sie bereits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens und mit Hilfe eines Verfahrensrechts hätten geltend gemacht werden können. Präklusionsregelungen werden so zu einer „Kehrseite der Verfahrensaufwertung“.712 Allerdings kann dies nur gelten, soweit die Beteiligungsrechte derart ausgestaltet sind, dass ihre Verwirklichung auch die Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen während des Verwaltungsverfahrens sicherstellen kann.713 Das Verwaltungsverfahren selbst muss bereits die Geltendmachung der Rechtspositionen hinreichend ermöglichen, soll der Rechtsschutz durch die Präklusionsregelung nicht wesentlich erschwert werden.714 Eine weitgehende materielle Präklusion für die Geltendmachung von Verfahrensfehlern allein durch Zeitablauf sieht vor allem § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB vor. Zu diesen Fehlern gehören auch Fehler bei der Ermittlung und Bewertung abwägungserheblicher Belange nach § 2 Abs. 3 BauGB, die § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB nunmehr gerade als Verfahrensfehler qualifiziert. Nach § 2 Abs. 3 UmwRG sind auch Umweltschutzvereinigungen im Rahmen der umweltrechtlichen Verbandsklage mit ihren Bedenken gegen Verwaltungsentscheidungen präkludiert, wenn sie diese bereits innerhalb ihrer Beteiligung am Entscheidungsverfahren hätten geltend machen können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind an den Vortrag derartiger Vereinigungen während des Verwaltungsverfahrens, der einer Präklusion entgegenwirken soll, sogar gesteigerte Anforderungen zu stellen.715 In Bezug auf das Planfeststellungsverfahren hat der EuGH nunmehr allerdings entschieden, dass die ähnliche materielle Präklusionsregelung des § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG zusammen mit § 2 Abs. 3 UmwRG gegen die UVP-Richtlinie716 sowie die Industrieemissions-Richtlinie717 verstoße, da 711 Von einer „präkludierenden Verlagerung auf die vorprozessuale Entscheidungsebene“ spricht Berkemann, Jörg, Die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsrechts zum Planungsrecht, in: Erbguth/Kluth (Hrsg.), Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 11 (27). 712 Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (205). 713 Schmehl, Arndt, „Mitsprache 21“ als Lehre aus „Stuttgart 21“? Zu den rechtspolitischen Folgen veränderter Legitimitätsbedingungen, in: Mehde/Ramsauer/Seckelmann (Hrsg.), Festschrift für Hans Peter Bull, 2011, S. 347 (357). 714 BVerfGE 61, 82 (115 ff.); BVerfGE 88, 118 (124); BVerwGE 60, 297 (301 ff.); BVerwGE 104, 337 (341). 715 U. a. BVerwGE 118, 15 (17 f.); BVerwG, BeckRS 2011, 56824 Rdnr. 34 f. 716 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Richtlinie des Rates über die Umweltverträglich-
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es dem Gericht hiernach möglich sein müsse, eine umfassende materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung durchzuführen.718 d) Verbot der isolierten Geltendmachung von Verfahrensrechten – Bedeutung und Reichweite des § 44a VwGO Ausdruck der Bewertung verfahrensrechtlicher Garantien und ihrer Behandlung als „Durchsetzungshelfer“ materieller Rechtspositionen im deutschen Rechtssystem ist weiterhin § 44a VwGO, der eine isolierte Geltendmachung von Verfahrensrechten dem Grundsatz nach ausschließt. § 44a VwGO betrifft zwar nicht wie die vorgehend dargestellten Vorschriften die Regelung der Verfahrensfehlerfolgen. Dennoch sagt die Vorschrift gerade in ihrem Zusammenspiel mit dem Fehlerfolgenregime des VwVfG etwas über die Bedeutung von verfahrensrechtlichen Rechtspositionen und deren Geltendmachung aus, was ihre Behandlung an dieser Stelle rechtfertigt. aa) Die grundsätzliche Anwendung des § 44a VwGO § 44a Satz 1 VwGO bestimmt, dass behördliche Verfahrenshandlungen719 nicht unabhängig von der Sachentscheidung und damit während eines laufenden Verwaltungsverfahrens vor Gericht angegriffen werden können. Bei § 44a VwGO handelt es sich um eine eigene – also von der Klagebefugnis unabhängige720 – Sachurteilsvoraussetzung, deren Tatbestand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geprüft wird.721 Insbesondere aus prozessökonomischen Gründen soll sich die gerichtliche Auseinandersetzung mit einem Sachverhalt auf die Entscheidung in der Sache konzentrieren, und einzelne Verfahrenshandlungen sollen nicht bereits im Vorfeld vor Gericht angegriffen werden können, was zu einer Verzögerung der
keitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/ EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG. 717 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 über Industrieemissionen, RL 2010/75/EU, ABl. EU 2010 Nr. L 334/17. 718 EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495, Rdnr. 78 ff., und hierzu u. a. Siegel, Thorsten, NVwZ 2016, 337 f. 719 Zu dem Begriff nur BVerwGE 134, 368 (373 f.). 720 Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 44a Rdnr. 1; Ziekow, Jan, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 44a Rdnr. 13; Eichberger, Michael, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, 1986, S. 103 ff.; wohl auch Stelkens, Paul/Schenk, Wolfgang, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 44a Rdnr. 19 f. 721 BVerwGE 115, 373 (379); es wird teilweise von einer eigenständigen negativen Sachbescheidungsvoraussetzung und teilweise von einer einschränkenden Sonderregelung zum allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis ausgegangen.
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Sachentscheidung führen würde.722 Wiederum wird hier die Ausrichtung des deutschen Rechts- und Rechtsschutzsystems mit ihrer Betonung der Bedeutung des materiellen Rechts und der Kontrollierbarkeit der Sachentscheidung als solcher deutlich. Die einzelnen Verfahrenshandlungen werden als Mittel zur Erzielung einer Sachentscheidung angesehen – sie werden nicht isoliert von dem Ergebnis, auf das sie hingewirkt haben, kontrolliert. Nicht nur in Bezug auf ein mögliches Anfechtungsbegehren ist eine isolierte Geltendmachung eines Verfahrensfehlers nicht statthaft. Erweiternd erfasst § 44a VwGO auch das Widerspruchsverfahren sowie jede Form der verwaltungsgerichtlichen Klagen und einstweiligen Anordnungen.723 Eine Grenze des Ausschlusses der isolierten Geltendmachung von Verfahrensfehlern ist nach § 44a Satz 2 VwGO jedoch zumindest dann erreicht, wenn die Verfahrenshandlung selbst vollstreckbar ist724 oder eine Verfahrenshandlung gegenüber einem Nichtbeteiligten ergeht. Die Begriffe des „Verfahrensbeteiligten“ oder „Nichtbeteiligten“ richten sich zwar grundsätzlich zunächst nach § 13 VwVfG.725 Einwendungsberechtigte, etwa nach § 73 VwVfG im Planfeststellungsverfahren oder nach § 10 Abs. 3 BImSchG im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, gelten jedoch darüber hinausgehend nicht als Nichtbeteiligte im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO,726 so dass auch sie von der isolierten Rüge eines Verfahrensfehlers ausgeschlossen sind. Der Ausnahmeregelung des § 44a Satz 2 VwGO wird die Grundaussage entnommen, dass allgemein derjenige als Nichtbeteiligter anzusehen ist, der von der Sachentscheidung als solcher nicht betroffen ist und deshalb auch gegen die Sachentscheidung nicht gerichtlich vorgehen kann.727 Dennoch soll es nicht etwa in einem Umkehrschluss möglich sein, von einer Einwendungsberechtigung im Verwaltungsverfahren auf eine Klagebefugnis zu schließen.728 Weiterhin behandelt die Rechtsprechung über722 BVerwGE 115, 373 (377); OVG Koblenz, NVwZ-RR 2003, 374 L; OVG Münster, DVBl. 2000, 572 (573); vgl. auch die Begründung zum Regierungsentwurf eines VwVfG 1973, BT-Drucks. 7/910, S. 97 f. 723 Stelkens, Paul/Schenk, Wolfgang, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 44a Rdnr. 19; eine Zusammenfassung der Rechtsprechung findet sich bei BVerwGE 115, 373 (377). 724 Zu Zweck und Reichweite dieser Ausnahme BVerwGE 115, 373 (378 ff.). 725 Eichberger, Michael, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, 1986, S. 204 ff.; Cloosters, Wolfgang, Rechtsschutz Dritter gegen Verfahrensfehler im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1986, S. 42 ff., S. 51 ff. 726 BVerwG, NJW 1999, 1729; BVerwG, NVwZ-RR 1997, 663 (664); OVG Koblenz, NVwZ 1988, 76; VGH München, NVwZ 1988, 1054; BVerfG, NVwZ 1988, 1017; VGH München, NVwZ 1989, 1179. 727 BVerwG, NVwZ-RR 1997, 663 (664); VGH München, NVwZ 2001, 373; vgl. auch die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/910, S. 97 f. 728 Vgl. etwa BVerwGE 31, 263 (267 f.); BVerwGE 61, 256 (271); dass daher nicht derart pauschal von einer stets gegebenen Klagemöglichkeit Beteiligter und gleichzeitig von einem allgemeinen Ausschluss einer solchen für Nichtbeteiligte ausgegangen werden kann, stellt
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dies auch diejenigen nicht als Nichtbeteiligte im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO, die als Verbandsklageberechtigte keinerlei eigene Betroffenheit geltend zu machen suchen, sondern denen ein Einwendungsrecht innerhalb des Verwaltungsverfahrens auch zur Geltendmachung öffentlicher Interessen oder zumindest ohne die Voraussetzung einer eigenen Betroffenheit zugestanden wird.729 Eine eventuelle Klagebefugnis beim Vorgehen gegen die Sachentscheidung lasse sich dann noch weniger mit einer Betroffenheit in eigenen Angelegenheiten begründen. Auch hier müsse aber davon ausgegangen werden, dass die verfahrensrechtliche Regelung das Treffen einer sachrichtigen Entscheidung ermöglichen solle. Ob die insoweit vorgesehene „Richtigkeitsgewähr durch Verfahren“ durch die mögliche Verletzung der Verfahrensgarantie versagt habe, könne erst im Zusammenhang mit der sodann getroffenen Sachentscheidung und damit erst innerhalb eines Rechtsbehelfs gegen diese festgestellt werden.730 Die Bewertung verfahrensrechtlicher Garantien als vordergründig auf die Erzielung einer materiell rechtmäßigen Entscheidung gerichtet wird hier besonders offenbar. bb) Ausschluss von „Partizipationsbegehren“731 durch § 44a Satz 1 VwGO Verfahrensbegleitender Rechtsschutz ist auch in Bezug auf die Vornahme bestimmter Verfahrenshandlungen unabhängig von einem Rechtsbehelf gegen die Verwaltungsentscheidung selbst nicht statthaft.732 Etwa die Beteiligung an einem Verwaltungsverfahren oder ein Akteneinsichtsrecht sind damit als solche grundsätzlich nicht einklagbar, sondern können bei ihrer Verweigerung allein als Verfahrensfehler innerhalb der gerichtlichen Überprüfung der Sachentscheidung gerügt werden. Allerdings wird in Bezug auf das Akteneinsichtsrecht wegen dessen weitreichender eigenständiger Bedeutung für die Beteiligten teilweise gefordert, dass die Verweigerung der Einsichtnahme allgemein auch unabhängig von der Sachentscheidung anfechtbar sein solle und von § 44a VwGO insoweit eine Ausnahme zu machen sei.733 Die Rechtsprechung folgt diesem Weg auch im Falle einer möglichen Klage auf Akteneinsicht allerdings nur dann, wenn ansonsten eine unzumutbare Eichberger, Michael, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, 1986, S. 206 f., dar. 729 So VGH München, NVwZ 1989, 1179 (1180), und VGH München, NVwZ 1988, 1054, für Einwendungen im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 7 Abs. 4 AtomG i.V.m. § 7 Abs. 1 AtomverfahrensVO, die gerade von jedermann erhoben werden können. 730 VGH München, NVwZ 1988, 1054. 731 Zitat nach Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 63; auch „Partizipationserzwingungsklage“ nach Schneider, JensPeter, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II § 28 Rdnr. 74 f. 732 BVerwG, NJW 1982, 120; BVerwG, NVwZ-RR 1997, 663. 733 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 29 Rdnr. 44.
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Erschwerung effektiven Rechtsschutzes zu besorgen wäre,734 was nicht schon immer dann anzunehmen sei, wenn anschließend auch § 46 VwVfG greife. Unterschiedlich beurteilt wird in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, ob die gerichtliche Geltendmachung eines von der Sachentscheidung unabhängigen Begehrens gerichtet auf eine Hinzuziehung zu einem Verfahren nach § 13 Abs. 2 VwVfG durch § 44a Satz 1 VwGO ausgeschlossen ist. Im Falle einer notwendigen Hinzuziehung nach § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG hat der Dritte ein Recht darauf, an dem Verfahren beteiligt zu werden. Die Behörde ist zumindest im Falle einer Antragstellung735 verpflichtet, ihn hinzuzuziehen. Teilweise werden Begehren, die auf eine Verwirklichung dieses Rechts gerichtet sind, als von § 44a Satz 1 VwGO erfasst angesehen, so dass dem zu Beteiligenden nur das Vorgehen gegen die Sachentscheidung bleibt.736 § 44a Satz 2 VwGO stelle auf die Betroffenheit durch das Verwaltungsverfahren ohne irgendwie geartete Möglichkeit des Vorgehens gegen die Sachentscheidung ab. Dem gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zu Beteiligenden sei es jedoch möglich, die Sachentscheidung abzuwarten und gegen sie vorzugehen, solange der Rechtsschutz dann nicht zu spät komme.737 Die Anwendbarkeit des § 44a VwGO auf Klagen Dritter, welche die Ablehnung einer eigenen Hinzuziehung rügen, wird jedoch auch abgelehnt.738 Den Dritten auf die Anfechtung der Sachentscheidung zu verweisen, sei ihm weder zumutbar noch aus verfahrensökonomischen Gründen sinnvoll, da eine Nachholung der Beteiligung zur Heilung des Fehlers oftmals nicht möglich sei739 und die Kausalität des Verfahrensfehlers gerade bei offenen Entscheidungsprogrammen auch zumeist nicht offensichtlich ausgeschlossen werden könne. Es müsse dann oftmals zu einer Aufhebung der Entscheidung und zu einer notwendigen Wiederholung des Verfahrens kommen. Schon der Wortlaut des § 44a VwGO spreche dafür, in diesem Fall auf die Anwendung des § 44a Satz 2 VwGO zurückzugreifen. Der zwar zu Beteiligende, 734 BVerfG, NJW 1991, 415 (416); zu denkbaren Einschränkungen des Zusammenspiels von § 44a VwGO und § 46 VwVfG Kapitel 3 B. II. 1. d) dd). 735 Teilweise wird eine solche Pflicht sogar von Amts wegen her angenommen; hierzu Kapitel 3 B. I. 1. b) bb). 736 Stelkens, Paul/Schenk, Wolfgang, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 44a Rdnr. 17; Schmitz, Heribert, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 39, 43. 737 Stelkens, Paul/Schenk, Wolfgang, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO Kommentar (Hrsg.), § 44a Rdnr. 17. 738 Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar (Hrsg.), § 44a Rdnr. 4a; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 32; Hufen, Friedhelm/ Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 281, 1001, dort sogar für Klagen auf Anhörung und Akteneinsicht; Eichberger, Michael, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, 1986, S. 135 m.w.N.; Cloosters, Wolfgang, Rechtsschutz Dritter gegen Verfahrensfehler im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1986, S. 53. 739 Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 44a Rdnr. 4a.
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aber noch nicht zu dem Verfahren Hinzugezogene sei gerade noch Nichtbeteiligter im Sinne des § 44a Satz 2 VwGO. Erst der durch die Behörde vorgenommene Akt der Hinzuziehung bewirke die Beteiligtenstellung des Dritten.740 cc) Isolierte Geltendmachung absoluter Verfahrensrechte? Teilweise wird angenommen, die Möglichkeit, die Aufhebung einer unter Verletzung eines absoluten Verfahrensrechts zustande gekommenen Verwaltungsentscheidung zu bewirken, spreche gerade für eine uneingeschränkte Anwendung des § 44a Satz 1 VwGO. Der Kläger könne die Sachentscheidung, wie von § 44a Satz 1 VwGO verlangt, abwarten und sodann gegen sie vorgehen.741 Tatsächlich ist es nicht notwendig, im Falle absoluter Verfahrensrechte aus Gründen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes eine Einschränkung des § 44a Satz 1 VwGO vorzunehmen. Dies gilt zumindest, wenn die Gewährleistung derartiger Rechte auch ihrer Bedeutung entsprechend gehandhabt wird. Wird ein Verfahrensrecht als absolut anerkannt, führt seine Verletzung zwingend zur Begründung der Klagebefugnis bei einem Vorgehen gegen die Sachentscheidung und sodann auch zu ihrer Aufhebung.742 Allerdings geht § 44a Satz 1 VwGO seiner Teleologie nach davon aus, dass dem Verfahrensrecht, dessen Verletzung geltend gemacht wird, kein über die Sachentscheidung hinausgehender oder gar von dieser vollkommen unabhängiger Selbstzweck zukommt. Ein Ausschluss der Geltendmachung von Verfahrensfehlern ist geboten, weil dem Rechtsschutz gegen die Verletzung von Verfahrensrecht keine eigenständige Bedeutung zuzuschreiben ist. Vielmehr geht dieser in dem möglichen Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung auf.743 Die Geltendmachung absoluter Verfahrensrechte muss hingegen gerade unabhängig von der Sachentscheidung möglich sein. Die von § 44a Satz 1 VwGO vorausgesetzte notwendige Verbindung zwischen dem Verfahrensrecht und der Sachentscheidung ist in Bezug auf den Rechtsschutz bei der Verletzung absoluter Verfahrensrechte gerade nicht gegeben, so dass von der Regelung des § 44a Satz 1 VwGO in diesem Fall Ausnahmen zuzu740
Ritgen, Klaus, in: Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 12; inkonsequent daher insoweit Schmitz, Heribert, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 13 Rdnr. 43, der dort ebenfalls von der „konstitutiven“ Wirkung der Hinzuziehung ausgeht. 741 Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 1991, 960 (962), für das ehemals als absolutes Verfahrensrecht anerkannte Recht eines Naturschutzverbandes auf seine Beteiligung am Verfahren; Kleesiek, Anja, Zur Problematik der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, 2010, S. 179, für die fehlende Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. 742 Zu der gerichtliche Durchsetzbarkeit absoluter Verfahrensrechte als subjektive öffentliche Rechte noch Kapitel 4 B. I. 1. d). 743 Vgl. zu diesem Sinn der Vorschrift in Bezug auf die Ausnahmen nach § 44a Satz 2 VwGO VGH München, NVwZ 1988, 1054: „Die in § 44a S. 2 VwGO geregelten Ausnahmefälle sind gekennzeichnet durch eine gegenüber der das Verwaltungsverfahren abschließenden Sachentscheidung selbstständige, andersartige Beschwer, für deren Beseitigung dem Betroffenen gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stehen muß“.
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lassen sind.744 Insbesondere in Fällen, in denen der Gesetzgeber eine Beteiligung der Öffentlichkeit innerhalb des Verwaltungsverfahrens als derart bedeutend angesehen hat, dass er jedermann zu Einwendungen gegen ein bestimmtes Vorhaben berechtigt, kann von einer allein auf das Ergebnis der Sachentscheidung bezogenen Funktion des Verfahrensrechts nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Der akzeptanzsteigernde Wert einer derartigen Beteiligung geht über die Aufgabe zur Erzielung einer richtigen Sachentscheidung hinaus und ist auch als solcher unabhängig anzuerkennen. Ein solches Verständnis von einer Trennung anerkannter Verfahrensrechte und der sodann getroffenen Sachentscheidung kommt auch in der Rechtsprechung des EuGH zum Ausdruck. So habe etwa die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren eine andere Zielsetzung als die Möglichkeit, gegen eine bereits getroffene Entscheidung gerichtlich vorzugehen.745 Auch prozessökonomische Begründungen lassen sich im Fall der Verletzung absoluter Verfahrensrechte nicht länger für einen Ausschluss von deren isolierter Geltendmachung heranziehen. Ist vielmehr die Aufhebung einer Entscheidung schon wegen der Verletzung eines Verfahrensrechts, insbesondere wegen der Unterlassung einer gebotenen Verfahrenshandlung, möglich, könnte ein frühzeitiges Hinwirken auf die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens eine spätere, nach der Aufhebung der Sachentscheidung unter Umständen notwendig werdende Wiederholung des gesamten Verfahrens verhindern.746 Im Bereich absoluter Verfahrensrechte ist es auch nicht, wie dies ansonsten bei Verfahrensfehlern angenommen wird, zunächst unsicher, ob die Verletzung sich auf die Sachentscheidung auswirken kann, so dass ein Abwarten der Sachentscheidung und des Rechtsschutzes gegen sie gerechtfertigt wäre. Es steht vielmehr fest, dass die Verletzung des absoluten Verfahrensrechts auch ohne eine Auswirkung auf deren Inhalt zu einer Aufhebung der Sachentscheidung führen muss. An ihre Grenze gerät die prozessökonomische Rechtfertigung des Ausschlusses einer isolierten Geltendmachung von Verfahrensfehlern schließlich auch, wenn die Nichtvornahme einer bestimmten Verfahrenshandlung gerügt werden soll. Kann deren Nachholung nach dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht mehr zur Heilung führen, und ist von einer Auswirkung der ausgebliebenen Verfahrenshandlung auf die Sachentscheidung auszugehen, was besonders in Bezug auf Beteiligungsrechte in Fällen anzunehmen ist, in denen der Verwaltung ein Entscheidungsspielraum zukommt, könnte eine vorgelagerte Klage auf die Vornahme der Verfahrenshandlung aus prozessökonomischer Sicht sinnvoller anmuten als eine spätere auf die Aufhebung der Sachentscheidung gerichtete Klage. 744 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (33 ff.); Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1983, 465 (471); Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (299); Held, Jürgen, NVwZ 2012, 461 (465). 745 EuGH, Urteil vom 15. 9. 2009, Rs. C-263/08, Djurgarden-Lilla, Slg. 2009 I-09967, Rdnr. 38; zu sich hieraus möglicherweise ergebenden Konsequenzen für die Anwendbarkeit des § 44a VwGO Ziekow, Jan, NVwZ 2010, 793 (795). 746 Ähnlich Herbert, Alexander, NuR 1994, 218 (224), für das als absolutes Verfahrensrecht anerkannte Recht eines Naturschutzverbandes auf seine Beteiligung am Verfahren.
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Noch ist die Rechtsprechung wie gesehen bei der Anerkennung absoluter Verfahrensrechte restriktiv, und eine eindeutig formulierte Entscheidung des Gesetzgebers, ein solches Recht zu schaffen, wird auch in der Literatur gefordert. In den wenigen anerkannten Fällen eine Ausnahme zu § 44a Satz 1 VwGO anzunehmen, lässt sich allerdings jedenfalls aus den oben genannten Erwägungen begründen. Anerkannt ist daher beispielsweise die Möglichkeit einer Partizipationsklage anerkannter Naturschutzvereinigungen während eines laufenden Verwaltungsverfahrens, gerichtet auf die Beachtung ihrer Beteiligungsrechte aus § 63 BNatSchG.747 Zwar muss es, wie vorliegend vertreten, entgegen diesem restriktiven Umgang mit Verfahrensgarantien auch möglich sein, durch teleologische Auslegung einzelner Verfahrensvorschriften deren Charakter als absolute Verfahrensrechte festzustellen; doch lässt sich damit nicht zwingend und ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung der prozessuale Umgang mit derlei Rechten festlegen, die eine grundsätzliche Ausnahme zu § 44a VwGO allein aus den genannten teleologischen Gründen rechtfertigen würde. Nicht anwendbar ist § 44a VwGO schließlich, wenn das geltend gemachte Verfahrensrecht in keinem Zusammenhang zu einer darüber hinausgehenden Sachentscheidung steht, wie dies insbesondere bei dem Anspruch auf Informationszugang aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG und den entsprechenden Vorschriften der Ländergesetze der Fall ist.748 Eine Koppelung an materiell-rechtliche Rechtspositionen, die dann durch eine gerichtliche Überprüfung der Sachentscheidung geltend gemacht werden könnten, ist hier gerade nicht vorgesehen. dd) Wirkungsweise im Zusammenspiel mit § 46 VwVfG Zunächst bewirken § 44a VwGO und § 46 VwVfG in ihrem Zusammenspiel, dass Verfahrensrechte kaum gerichtlich überprüft werden können, und nicht, wie sich dem Wortlaut des § 44a VwGO entnehmen lassen könnte, dass sie allein im Vorfeld der Entscheidung nicht überprüft werden können: Durch § 44a VwGO sind die Verfahrensrechte nicht gesondert einklagbar, und durch § 46 VwVfG wird die Entscheidung weitestgehend nur auf ihre materielle Rechtmäßigkeit hin überprüft.749 Der weitgehende Ausschluss einer gesonderten gerichtlichen Überprüfung von Verfahrenshandlungen durch das Zusammenwirken von § 44a VwGO und § 46 747
U. a. VGH Mannheim, ZUR 2012, 312 (314); dies gilt auch noch nach der Einführung der Verbandsklage in § 61 BNatSchG a.F. (§ 64 BNatSchG n.F.), die es den Vereinigungen zusätzlich ermöglicht, die getroffene Verwaltungsentscheidung auch auf ihre materielle Rechtmäßigkeit hin untersuchen zu lassen; vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucks. 14/6378 S. 61. 748 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 227 f. 749 Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (227), spricht von einem „rechtsvernichtenden Zusammenspiel“, und Ziekow, Jan, NVwZ 2005, 263 (264), von der „unheiligen Allianz“ beider Vorschriften.
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VwVfG darf allerdings nicht zu einer unzumutbaren Einschränkung des durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten effektiven Rechtsschutzes führen. Immer dann also, wenn die unterlassene Verfahrenshandlung oder der Verfahrensfehler eine Wirkung hat, die ein gerichtliches Vorgehen gegen die Sachentscheidung als in Bezug auf die Rechtsschutzgarantie verspätet oder unzureichend erscheinen lässt, muss eine isolierte Geltendmachung möglich sein.750 Die Rechtsprechung erkennt derlei über die in § 44a Satz 2 VwGO genannten Ausnahmen hinausgehende Einschränkungen des § 44a Satz 1 VwGO an, wenn die Wahrnehmung von Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Sachentscheidung den Belangen einer Person in Bezug auf ihre Verfahrensrechte nicht in ausreichendem Maße gerecht werden kann. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn die durch den Verfahrensfehler berührten Belange andere sind als diejenigen, die durch die Sachentscheidung betroffen werden,751 oder aber, wenn bereits durch die Verfahrenshandlung Rechtspositionen des Betroffenen derart verletzt werden, dass ein gerichtlicher Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung diese unzumutbaren Nachteile nicht mehr beseitigen kann.752 Allerdings betont die Rechtsprechung auch, dass § 44a Satz 1 VwGO nicht schon allein deshalb als nicht anwendbar angesehen werden könne, weil eine Geltendmachung des Verfahrensfehlers und auch eine Durchsetzung des Verfahrensrechts im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Sachentscheidung aufgrund des § 46 VwVfG nicht erfolgversprechend seien.753 Vielmehr sei es gerade diese Konsequenz, zu der das Zusammenspiel zwischen § 44a Satz 1 VwGO und § 46 VwVfG regelmäßig führe und die so auch als vom Gesetzgeber durchaus gewollt betrachtet werden könne. § 44a Satz 1 VwGO könne daher auch nicht, wie in der Vergangenheit teilweise gefordert,754 stets eingeschränkt werden, wenn dem Betroffenen ein eigenständiges Verfahrensrecht eingeräumt worden sei. Dessen gerichtliche Durchsetzbarkeit solle der Aussage des § 44a VwGO nach gerade im Zusammenhang mit der gerichtlichen Überprüfung der Sachentscheidung beurteilt werden. Eine Vorschrift wie § 44a VwGO geht insbesondere im Zusammenspiel mit § 46 VwVfG von der grundsätzlichen Unselbstständigkeit des Verfahrensrechts gegen-
750
Ziekow, Jan, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 44a Rdnr. 17. BVerwG, NVwZ-RR 2000, 760; VGH München, NVwZ 1988, 1054; VGH Kassel, NVwZ 1995, 47 (48). 752 BVerfG, NJW 1991, 415 (416). 753 BVerwG, NJW 1982, 120; VGH München, NVwZ-RR 2001, 373 (374); dass dies gerade der Nachteil sei, den derjenige, der einen Verfahrensfehler geltend zu machen wünsche, als unzumutbar ansehe, führe nicht dazu, dass diesem vor dem Erlass der verfahrensabschließenden Entscheidung ein Mehr an einklagbaren Verfahrensrechten zustehe als danach; vgl. auch Stelkens, Paul/Schenk, Wolfgang, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 44a Rdnr. 28. 754 U. a. und mit unterschiedlich weitgehenden Forderungen nach einer Einschränkung Plagemann, Hermann, NJW 1978, 2261; Redeker, Konrad, NJW 1980, 1593 (1597); vgl. auch die Zusammenfassung der verschiedenen Ansätze bei Eichberger, Michael, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, 1986, S. 211 f. 751
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über dem materiellen Recht aus.755 Fehlerhafte Verfahrenshandlungen können nicht unabhängig von der Sachentscheidung geltend gemacht und gleichzeitig nur dann überhaupt gerichtlich überprüfbar werden, wenn sie auf den Inhalt der Verwaltungsentscheidung von Einfluss gewesen sind. Dies ist jedoch immer dann nicht möglich, wenn eine Entscheidung materiell-rechtlich derart determiniert ist, dass dem Verwaltungsverfahren eine lediglich untergeordnete Funktion zuzusprechen wäre. Wo „Verfahrensrichtigkeit zur Sachrichtigkeit“756 wird oder weniger weitgehend zumindest wo dem Verwaltungsverfahren in Bezug auf die Sachrichtigkeit eine besonders entscheidende Rolle zukommt, kann eine unabhängige Überprüfbarkeit des Verwaltungsverfahrens sinnvoll und notwendig sein. Eine Ausübung bestimmter Verfahrensrechte – insbesondere solcher, welche die Beteiligung an dem Entscheidungsverfahren garantieren – ist hier allein dann vollständig möglich, wenn sie im Vorfeld der eigentlichen Entscheidungsfindung stattfindet.757 § 44a VwGO führt in Verfahren, in denen die Einbeziehung Betroffener die Entscheidung in der Sache maßgeblich beeinflussen kann – insbesondere komplexen Planungs- und anderen Abwägungsverfahren –, dazu, dass ein auf die Entscheidung regelmäßig einwirkender Verfahrensfehler zur Aufhebbarkeit der Entscheidung und dann zu einer notwendigen Wiederholung des gesamten Verfahrens führen müsste.758 Die prozessökonomische Begründung für den Ausschluss der isolierten Geltendmachung eines solchen Verfahrensfehlers verliert hier ihre Grundlage. Dass dennoch weiterhin Verfahrensfehler im Planfeststellungsrecht oftmals nicht zur Aufhebbarkeit der Entscheidung führen, ist wohl eher einer Vernachlässigung der Offensichtlichkeit der fehlenden Kausalität des Verfahrensfehlers, wie sie in § 46 VwVfG vorausgesetzt wird, und dem Streben nach Verwaltungseffizienz geschuldet, das besonders in komplexen Planungsvorhaben von großer Bedeutung ist.759 § 44a VwGO und mit ihm der Ausschluss der Möglichkeit, Verfahrensfehler im Vorfeld der Entscheidung überprüfen zu lassen oder einfordern zu können, bewirken so, dass allein unter Verkennung des Offensichtlichkeitskriteriums des § 46 VwVfG das erneute „Aufrollen“ des gesamten Planungsverfahrens als Konsequenz einer Aufhebung der Planungsentscheidung verhindert werden kann. 755
Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 62; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahrens, Rdnr. 992 ff. 756 Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (466, 470); gegen eine derart weitgehende Annahme der Kompensation materiell-rechtlicher Steuerungsverluste durch das Verfahrensrecht Schoch, Friedrich, Die Verwaltung 25 (1992), 20 (28). 757 von Mutius, Albert, Gerichtsverfahren und Verwaltungsverfahren, in: Erichsen/Hoppe/ von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 575 (597); Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (470), der eine hierdurch eintretende mögliche Verkürzung des Rechtsschutzes auch in Bezug auf materielle Rechtspositionen befürchtet. 758 Wahl, Rainer, VVDStRL 41 (1983), 151 (180 ff.); Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (226 f.). 759 Das ist die Einschätzung von Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 73, die u. a. in BVerwG NVwZ 2006, 1170, zum Ausdruck komme.
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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Speziell im Rahmen von Verwaltungsverfahren, die in den Geltungsbereich der Aarhus-Konvention und den hierzu ergangenen unionsrechtlichen Rechtsakten fallen – also bei umweltbezogenen760 Verwaltungsverfahren –, werden notwendige Änderungen bei dem Zusammenspiel von § 44a VwGO und § 46 VwVfG diskutiert. Zunächst verlangt Art. 9 Abs. 2 Unterabsatz 1 Aarhus-Konvention761 von den Vertragsparteien die Sicherstellung des Zugangs der betroffenen Öffentlichkeit762 zu einem gerichtlichen oder sonstigen unabhängigen Überprüfungsverfahren, um die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen, die von den Bestimmungen der Konvention erfasst werden, kontrollieren zu lassen. Von dieser Zusicherung des Zugangs zu Gericht werden materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Aspekte einer Entscheidung erfasst – eine Unterordnung von Verfahrensfehlern gegenüber materiellen Fehlern ist nicht vorgesehen, und die Rechtmäßigkeitsprüfung ist in Bezug auf beide Fehlerarten gleichgestellt.763 Es muss für die nationalen Gerichte damit auch eine Möglichkeit geben, eine Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben.764 In Deutschland kann dies aber in dem verlangten Ausmaß nur mit einer Änderung des Zusammenspiels von § 44a VwGO und § 46 VwVfG erreicht werden. Es kann einerseits die Reichweite des § 46 VwVfG so eingegrenzt werden, dass in Umweltangelegenheiten nicht mehr allein solche Verfahrensfehler beachtlich sind, die auf die Sachentscheidung von Einfluss gewesen sind,765 oder § 44a VwGO wird derart eingeschränkt, dass Verfahrenshandlungen in Umweltangelegenheiten unabhängig von der Sachentscheidung angegriffen werden können.766 Für den Fall einer Nichtdurchführung der gebotenen oder einer fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung enthält § 4 Abs. 1 UmwRG nunmehr bereits eine Sonderregelung zu § 46 VwVfG und qualifiziert derartige Fehler als absolute Verfahrensfehler, die stets zu einer Aufhebung der Sachentscheidung ohne Nachweis 760
Ziekow, Jan, NVwZ 2005, 263 (265). Unionsechtlich umgesetzt durch die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme vom 26. 5. 2003, RL 2003/35/EG, ABl. EU 2003 Nr. L 156/17, welche die entsprechenden Vorschriften zumeist wortgleich in die UVP- und die IVU-Richtlinie (später integriert in die Industrieemissionsrichtlinie) eingefügt hat. 762 Zu diesem Begriff Art. 2 Nr. 5 Aarhus-Konvention und zu den Auswirkungen der Aarhus-Konvention auf die subjektiv-rechtliche Ausrichtung des deutschen Rechtsschutzsystems Kapitel 4 A. I. 2. und Kapitel 4 B. I. 1. c) cc) (3) (b). 763 Ziekow, Jan, NVwZ 2005, 263 (265 f.). 764 Schink, Alexander, EurUP 2003, 27 (36). 765 Wohl favorisiert von Ziekow, Jan, NVwZ 2005, 263 (266); vgl. unabhängig von der Rechtsschutzproblematik in Bezug auf die Umweltverträglichkeitsprüfung Eichberger, Michael, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, 1986, S. 249 f., der dem Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung, insbesondere der Handhabung des § 46 VwVfG und nicht der zeitlichen Verlagerung des Vorgehens gegen Verfahrensfehler durch § 44a VwGO die eigentlichen Rechtsschutzprobleme zuweist. 766 Siehe dazu auch etwa Art. 11 Abs. 2 UVP-Richtlinie, der es den Mitgliedstaaten freistellt zu regeln, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen überprüft werden können. 761
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
einer Kausalität führen muss. Inwieweit sich diese Qualifikation jedoch auch auf die Anwendbarkeit des § 44a VwGO auswirkt, bleibt wie in Bezug auf absolute Verfahrensrechte im Allgemeinen unklar. ee) Möglichkeit der gerichtlichen Feststellung der Verfahrensfehlerhaftigkeit Gerade weil das Zusammenwirken von § 44a VwGO und § 46 VwVfG oftmals zu einem Ausschluss der Geltendmachung von Verfahrensrechten führt, wird die Möglichkeit diskutiert, die durch einen verfahrensfehlerhaft ergangenen Verwaltungsakt begründete Rechtsverletzung nachträglich im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO feststellen zu lassen.767 Gleiches wird teilweise auch bei nachträglich geheilten Verfahrensfehlern angenommen.768 Sieht man in § 46 VwVfG nicht den Ausschluss der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und auch nicht den einer subjektiven Rechtsverletzung,769 bleibt eine rechtswidrige Verletzung bestehen, wenn die derartig ergangene Sachentscheidung nicht gerichtlich aufgehoben wird. Wie in weiteren Fällen, in denen ein gerichtlicher Aufhebungsanspruch trotz subjektiver Rechtsverletzung ausgeschlossen ist – etwa bei vorzeitiger Erledigung eines Verwaltungsakts –, bietet dann die Fortsetzungsfeststellungsklage, der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG entsprechend, die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit der Maßnahme, die damit einhergehende Rechtsverletzung und damit das fehlerhafte Handeln der Verwaltung gerichtlich feststellen zu lassen. Eine Verzögerung oder Erschwerung des ursprünglichen Verwaltungsverfahrens, die durch § 44a VwGO gerade ausgeschlossen werden soll, ist durch ein derartiges Begehren nicht zu befürchten. Geltend zu machen ist dann ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung der rechtsverletzenden Verfahrensfehlerhaftigkeit der Verwaltungsentscheidung nach
767 Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 44a Rdnr. 1 und § 113 Rdnr. 99, 107 f.; Eichberger, Michael, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, 1986, S. 98 f.; Schenke, Wolf-Rüdiger, DÖV 1986, 305 (317 ff.); Hufen, Friedhelm, DVBl. 1988, 69 (75); Martensen, Jürgen, DÖV 1995, 538 (544); Schenke, Ralf Peter, JuS 2007, 697 (701); eine solche Möglichkeit dagegen unter Hinweis auf eine hierdurch erkennbar werdende Suche nach „plakativer Sanktionierung behördlicher Verfahrensfehler“ ablehnend Gerhardt, Michael, Funktionaler Zusammenhang oder Zusammenstoß zweier Rationalitäten? Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess am Beispiel der jüngeren Verfahrenslehre, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 413 (426). 768 Dies ist nur möglich, wenn man entgegen der in Kapitel 3 B. II. 1. c) aa) beschriebenen wohl herrschenden Meinung von einer Wirkung der Heilung ex nunc ausgeht; vgl. Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 113 Rdnr. 108; Hufen, Friedhelm, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rdnr. 41; Schenke, Ralf Peter, JuS 2007, 697 (699, 701). 769 Zu den Voraussetzungen für die Annahme einer subjektiv-rechtlichen Qualität von Verfahrensvorschriften noch unten Kapitel 4 B. I. 1. d).
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den allgemeinen für die Fortsetzungsfeststellungsklage entwickelten Fallgruppen.770 So kommt es beispielsweise im Falle der Verletzung grundrechtlich verbürgter Verfahrensrechte – sofern man in einem solchen Fall nicht ohnehin die Anwendung des § 46 VwVfG ausschließen oder zumindest einschränken will –, in Frage, ein Feststellungsinteresse angelehnt an die Fallgruppe der schweren Grundrechtsverletzung durch den nicht – mehr – aufhebbaren Verwaltungsakt zu sehen.771 Weiterhin ist an ein Feststellungsinteresse wegen der Annahme einer Wiederholungsgefahr zu denken.772 2. Die Regelung der Verfahrensfehlerfolgen in England Im englischen Recht ist eine klare Grenze zwischen den materiell-rechtlichen Vorgaben für das Verwaltungsverfahren, dem Begriff des „fehlerhaften Verwaltungsverfahrens“ und den Voraussetzungen für die gerichtliche Aufhebung einer Entscheidung wegen Verfahrensfehlerhaftigkeit nicht zu ziehen. Ähnlich verhält es sich mit den Verfahrensfehlerfolgen, die nicht eigenständig geregelt werden, sondern im Rahmen der Voraussetzung für die gerichtliche Geltendmachung von Verfahrensfehlern entwickelt wurden. Im Allgemeinen ist damit im englischen Rechtssystem von einem sehr viel engeren Zusammenhang zwischen dem materiellen Verwaltungsrecht und dem Prozessrecht auszugehen.773 Eine Darstellung des Umgangs mit Verfahrensfehlern muss sich somit an dem Aufhebungsgrund der procedural impropriety orientieren. Ausgegangen wird zunächst davon, dass derjenige, dessen Verfahrensrecht verletzt worden ist, sich hiergegen gerichtlich zu Wehr setzen kann. Trotz der grundsätzlichen Betonung der Bedeutung verfahrensrechtlicher Garantien führt aber auch im englischen Rechtssystem nicht jedweder Verfahrensfehler zu einer Aufhebung der verfahrensfehlerhaft getroffenen Entscheidung. Es werden zum einen Möglichkeiten für die Heilung von Verfahrensfehlern – insbesondere von Verstößen gegen das Anhörungsrecht – anerkannt, und vereinzelt wird auch von der Aufhebung einer verfahrensfehlerhaft getroffenen Entscheidung abgesehen. Zumeist spielt bei der Beurteilung der Relevanz eines Verfahrensfehlers vor allem seine Erheblichkeit eine Rolle, also die Frage, ob in dem Verfahrensfehler zugleich ein Verstoß gegen das Prinzip der natural justice gesehen werden kann.
770 Eichberger, Michael, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, 1986, S. 99. 771 Schenke, Wolf-Rüdiger, DöV 1986, 305 (320), in Anlehnung an die Voraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage bei rechtsverletzenden erledigten Verwaltungsakten. 772 Schenke, Wolf-Rüdiger, DöV 1986, 305 (321); Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 158. 773 Siehe hierzu auch Schwarze, Jürgen, DÖV 1996, 771.
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a) Grundsätzliche Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern Wo der Verwaltung weitere Spielräume für die Entscheidungsfindung zugewiesen werden, die gerichtlich nicht zu überprüfen sind, müssen es Verfahrensgarantien sein, die zwingend zu beachten sind und deren Verletzung nicht als weitgehend unbeachtlich angesehen werden kann.774 Zunächst wird daher in England von der Vermutung oder dem Grundsatz ausgegangen, dass ein Fehler innerhalb des Verwaltungsverfahrens beachtlich ist und eine Entscheidung rechtswidrig macht.775 Auf die Art des Fehlers kommt es hierbei nicht an. Unklar war jedoch zunächst, ob eine verfahrensfehlerhaft ergangene Entscheidung unmittelbar als nichtig – void oder a nullity – anzusehen ist,776 oder ob sie in der Art rechtswidrig ist, dass sie durch das Gericht aufgehoben werden kann – voidable.777 Das House of Lords hat nunmehr in mehreren Entscheidungen die erstgenannte Herangehensweise bestätigt,778 so dass die unter Missachtung eines sich aus der natural justice ergebenden Rechts getroffene Entscheidung regelmäßig als nichtig angesehen wird, ohne dass etwa die unterbliebene Anhörung sich zwingend auf das Ergebnis der Entscheidung in der Sache ausgewirkt haben muss.779 Auch wenn der duty to act fairly eine Begründungspflicht entnommen wird, ist ein Verstoß gegen diese Pflicht grundsätzlich ein selbstständiger Grund, die Entscheidung aufzuheben.780 Allerdings bedeutet der Begriff void, der die Nichtigkeit einer Entscheidung nach englischem Verständnis beschreibt, nicht, dass es nicht einer Feststellung derselben durch das Gericht und einer Aufhebung der Entscheidung durch das Gericht bedarf.781 774
Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (297). In Bezug auf Fehler bei der vorherigen Bekanntmachung einer geplanten Verwaltungsentscheidung und der Anhörung Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 414 Rdnr. 7 – 053; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 419; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 332 Rdnr. 10.14.1; in Bezug auf Fehler bei der Offenlegung der Entscheidungsmotive Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review S. 422 Rdnr. 7 – 061; in Bezug auf Fehler bei der Begründung einer Verwaltungsentscheidung Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review S. 454 ff. Rdnr. 7 – 111 ff.; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 445; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 336 f. Rdnr. 10.18.1 ff. 776 So das House of Lords in Ridge v Baldwin (1964) AC 40. 777 So das Privy Council in Durayappah v Fernando (1967) 2 AC 337. 778 Anisminic Ltd. v Foreign Compensation Commission (1969) 2 AC 147; Attorney General v Ryan (1980) AC 143; O’Reilly v Mackman (1983) 2 AC 237 (276). 779 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 508 ff. Rdnr. 8 – 069 ff.; Craig, Paul, Administrative Law, S. 356 f. Rdnr. 12 – 028; von Danwitz, Thomas, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 39; Schmidt-Aßmann, Eberhard/ Krämer, Hannes, EuZöR, 1993, special number, 99 (116 f.). 780 Sedley J in R v Higher Education Funding Council, ex parte The Institute of Dental Surgery (1994) 1 WLR 242, obgleich in diesem Fall keine Pflicht zu einer Begründung festgestellt wurde. 781 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 433 Rdnr. 11.57.1. 775
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Aber nicht allein im Rahmen der Common Law-Prinzipien der natural justice oder der duty to act fairly führt ein Verfahrensfehler grundsätzlich zu der Aufhebung einer Entscheidung. Auch auf einen Verstoß gegen einen gesetzlich angeordneten Verfahrensablauf kann sich der Einzelne grundsätzlich vor dem Verwaltungsgericht berufen.782 Dies gilt insbesondere auch im Bereich der ausgebliebenen oder fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung.783 b) Mögliche Begrenzung der Verfahrensfehlerfolgen Trotz der grundsätzlichen Strenge, welche die Gerichte in Bezug auf die Beachtung verfahrensrechtlicher Garantien walten lassen, sind auch im englischen Rechtssystem Möglichkeiten vorgesehen, die Folge von Verfahrensfehlern einzugrenzen. Wieder einmal sind die Voraussetzungen hierfür allerdings stark einzelfallabhängig. aa) Heilung von Verfahrensfehlern Die Nachholung einer Anhörung ist bei der Ausgangsbehörde im Rahmen eines rehearing oder aber innerhalb eines sich anschließenden Verfahrens vor einem administrativen Tribunal möglich, sofern dort erneut über den gesamten Inhalt entschieden wird.784 In einer Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls wird überprüft, ob auch die nachgeholte Beteiligung des Betroffenen den Anforderungen an ein faires Verfahren entsprechen konnte. Insbesondere ist hierbei entscheidend, wie gravierend der zunächst begangene Verfahrensfehler und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für den Betroffenen sind, ob auch die nachgeholte Anhörung noch von dem Verfahrensfehler beeinflusst sein kann und ob die sodann getroffene Entscheidung sich vor allem auf die ursprünglichen Entscheidungsgründe stützt oder aber von einem vollkommen neu begonnenen Verwaltungsverfahren ausgegangen werden kann.785
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Beispielsweise R (Seamus Gavin) v Haringey London Borough Council and Wolseley Centres Ltd. (2003) EWHC 2591 Rdnr. 30 f. 783 R (on the application of Godman) v Lewisham London Borough Council (2003) EWCA Civ 140, wo eine fälschlicherweise unterbliebene Umweltverträglichkeitsprüfung auf die Klage eines Dritten hin zu einer Aufhebung der Plangenehmigung führte; deutlich hierzu auch Lord Hoffmann in Berkeley v Secretary of State for the Environment and Others (2001) 2 AC 603 (615 ff.), unter Zurückweisung des Arguments gegen die Aufhebung einer Planungsentscheidung, dass trotz unterbliebener Umweltverträglichkeitsprüfung alle relevanten Informationen eingeholt worden seien. 784 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 493 Rdnr. 8 – 044, wo es heißt „a prior hearing may be better than a subsequent hearing, but a subsequent hearing is better than no hearing at all“. 785 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 493 f. Rdnr. 8 – 045.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Da die Voreingenommenheit der ursprünglich mit der Entscheidung betrauten Verwaltung nicht auszuschließen ist, wird der Annahme einer heilenden Wirkung der Nachholung der Anhörung sehr vorsichtig begegnet.786 Obwohl diese Voreingenommenheit auch nach der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung durch das Gericht und einer sodann erneut durchzuführenden Anhörung durch dieselbe Behörde weiter gegeben sein kann, wird dies als das kleinere Übel angesehen, sofern eine neue Entscheidung durch eine andere Behörde nicht möglich ist.787 Wahrscheinlicher ist die Annahme der Heilung eines Verfahrensfehlers allerdings dann, wenn gegen die Entscheidung das Rechtsmittel des appeals zu einem administrativen Tribunal vorgesehen ist und die Entscheidung erst nach dem Durchlaufen dieses Verfahrens das Gericht im Rahmen des judicial review proceedings erreicht.788 Wird ein solcher Weg nicht eingeschlagen, kann das Gericht sogar den Antrag auf judicial review zurückweisen, da im Vorfeld nicht alle Möglichkeiten des Rechtsschutzes ausgeschöpft worden sind.789 Wurde eine Entscheidung aber zum judicial review proceeding angenommen, ohne dass eine erforderliche Anhörung durchgeführt oder im Vorfeld nachgeholt wurde, ist eine Nachholung der unterlassenen oder fehlerhaften Verfahrenshandlung nicht auch noch während des gerichtlichen Verfahrens möglich.790 Ob es möglich sein kann, die unterbliebene oder fehlerhafte Begründung einer Verwaltungsentscheidung durch das Vorbringen von Gründen während des judicial review proceedings zu heilen, ist nicht eindeutig geklärt. Ebenso wie die Frage, ob überhaupt eine Begründungspflicht besteht, wird auch die Frage nach der Folge ihres Fehlens stark von der Sachverhaltsgestaltung des Einzelfalls abhängig gemacht.791 Grundsätzlich sind die Gerichte aber, wenn bereits die Pflicht zur Begründung bejaht wurde, zögerlich, erst während des gerichtlichen Verfahrens vorgebrachte Begründungen zu akzeptierten.792 Dies gilt insbesondere, wenn die Begründungspflicht gerade als grundlegender Bestandteil des Verwaltungsverfahrens an sich angesehen wird, etwa weil sich hieran noch ein Einwendungsrecht des Betroffenen anschließen soll.793 Ob das verspätete Vorbringen von Entscheidungsgründen dann abgelehnt 786 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 446 f., der eine solche Nachholung als „dubious procedure“ bezeichnet; Feldman, David, CLJ 2014, 275 (290). 787 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 445. 788 Calvin v Carr (1980) AC 574; Rees v Crane (1994) 2 AC 173 (192); Lloyd v Mc Mahon (1987) AC 625. 789 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 494 f. Rdnr. 8 – 047 und S. 922 Rdnr. 16 – 014. 790 Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 (287). 791 R (on the application of Richardson) v North Yorkshire County Council (2004) Env L.R. 13 (47 f.). 792 R (on the application of Young) v Oxford City Council (2002) EWCA Civ 990 Rdnr. 20; R (on the application of D) v Secretary of State for the Home Department (2003) EWHC 155 Rdnr. 18. 793 R (on the application of Nash) v Chelsea College of Art and Design (2001) EWHC (Admin.) 538 Rdnr. 34.
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wird, weil eine Heilung des Verfahrensfehlers nicht mehr möglich sein soll, oder aber, ob das Gericht das Vorbringen der Verwaltung als einen verspäteten Beweis der bereits zuvor bestehenden Begründung ablehnt, wird hierbei nicht immer deutlich.794 bb) Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern Auch die Möglichkeit, dass ein Verfahrensfehler unberücksichtigt bleibt, wird in England diskutiert. Zum einen wird die Überlegung angestellt, ob es Situationen gibt, in denen eine andere Entscheidung in der Sache auch bei einem rechtmäßigen Verwaltungsverfahren nicht möglich gewesen wäre. Darüber hinaus wird die Unbeachtlichkeit eines Verfahrensfehlers in Betracht gezogen, wenn er sich tatsächlich nicht auf die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung ausgewirkt hat. Entscheidender Faktor im Rahmen der vorgenommenen Einzelfallabwägung ist hierbei stets die Bedeutung, die das verletzte Verfahrensrecht hat und vor allem, ob es sich um einen Verstoß gegen das natural justice-Prinzip handelt. Gesetzlich angeordnete Verfahrensvorgaben, die sich also nicht unmittelbar aus dem Common Law-Prinzip der natural justice oder der duty to act fairly ergeben, werden überdies von den Gerichten teilweise als nicht zwingend ausgelegt, so dass ihre Durchführung in das Ermessen der Verwaltung gelegt wird und auch ein Verstoß dagegen die sodann ergangene Verwaltungsentscheidung nicht rechtswidrig macht. (1) Verwaltungsvorgaben mit nicht-zwingendem Charakter Wird eine Verfahrensvorgabe nicht unmittelbar dem natural justice-Prinzip oder der duty to act fairly entnommen, sondern ergibt sie sich aus einem formellen Gesetz, liegt es an den Gerichten, dieses Gesetz dahingehend auszulegen, ob es der Wille des parlamentarischen Gesetzgebers war, dass ein Verstoß gegen die Verfahrensvorgabe zu einer Aufhebung der Verwaltungsentscheidung führen soll.795 Lange wurde hierbei auf die Unterscheidung zwischen zwingenden – mandatory – und nichtzwingenden – directory – Verfahrensvorgaben abgestellt. Wurde eine Verfahrensvorgabe als zwingend angesehen, sollte ein Verstoß gegen sie die Verwaltungsentscheidung aufhebbar machen, während die Befolgung einer nicht-zwingenden Verfahrensvorgabe im Ermessen der Behörde lag.796 Bei der Auslegung wurde insbesondere auf die Bedeutsamkeit der Verfahrensvorgabe für das insgesamt durch das Gesetz zu erreichende Ziel geblickt.797 Selbst bei Verfahrensvorgaben, die als zwingend eingestuft wurden, wurde allerdings, wenn das von der Verfahrensvorgabe 794 Vgl. R v Westminster City Council, ex parte Ermakov (1996) 2 All ER 302; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 338 Rdnr. 10.18.6. 795 Zum Ganzen Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 310 Rdnr. 10.3.1. 796 Diese Herangehensweise wurde zusammengefasst von Lord Diplock in O’Reilly v Mackman (1983) 2 AC 237 (275 f.). 797 Der klassische Test wird dem Fall Howard v Boddington (1877) 2 PD 203 (211) entnommen.
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bezweckte Ziel – etwa die hinreichende Einbeziehung der Interessen der Betroffenen – auch ohne ein striktes Befolgen der genauen Verfahrensvorgaben erreicht wurde, von einer Aufhebung der Entscheidung abgesehen.798 Die traditionelle strikte Aufteilung zwischen zwingenden und nicht-zwingenden Verfahrensvorgaben wurde in der Weiterentwicklung dieser Überlegung in späteren Gerichtsentscheidungen jedoch als zu starr bezeichnet. Vorzugswürdig sei eine flexible Gesetzesauslegung, die unmittelbar auf die Ermittlung des Willens des Gesetzgebers gerichtet sei, ob der Verfahrensfehler zur Aufhebung der Entscheidung führen solle oder nicht.799 Zusammengefasst wurde die neuere Herangehensweise durch Lord Steyn in dem Fall R v Soneji (2006)800 dahingehend, dass die strikte Unterteilung zwischen zwingenden und nicht-zwingenden Verfahrensvorgaben aufzugeben und stattdessen unmittelbar die vom Gesetzgeber vernünftigerweise beabsichtigte Konsequenz des Verfahrensfehlers anhand des gesamten Aufbaus des anzuwendenden Gesetzes zu ermitteln sei. Abgesehen wird von einer Aufhebung danach vor allem dann, wenn die Verfahrensvorgabe zwar nicht vollkommen dem gesetzlich vorgegebenen Programm entsprechend angewendet, aber auch nicht vollkommen missachtet wurde, so dass ihr Ziel letztlich dennoch erreicht werden konnte.801 (2) Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im Falle eines nicht möglichen anderen Ergebnisses Teilweise wurde angenommen, dass das Prinzip der natural justice gar nicht erst berührt sei, also auch keine daraus abzuleitenden Verfahrensrechte bestehen könnten, wenn eine andere Entscheidung im Ergebnis auch bei einer Anhörung gar nicht möglich gewesen wäre.802 Eine Anhörung sei dann schon nicht notwendig, da sie im Ergebnis keine Änderung herbeigeführt und dem Betroffenen damit auch keinen Vorteil eingebracht hätte. Durch die im englischen Verwaltungsrecht nur sehr selten angenommene gebundene Entscheidung und durch das Fehlen einer dem deutschen Rechtsverständnis entsprechenden Annahme oder Fiktion einer einzig richtigen Entscheidung der Verwaltung kann die dortige Fehlerfolgenregelung allerdings keine dem System der §§ 45, 46 VwVfG entsprechende Bedeutung erlangen. Der Vorschlag, einen Verfahrensfehler, der sich nicht ausgewirkt haben kann, auch nicht als Verstoß gegen die natural justice anzusehen, wurde daher auch in 798 London and Clydesdale Estates v Aberdeen District Council (1980) 1 WLR 182; Steeples v Derbyshire County Council (1985) 1 WLR 256. 799 Wang v Commissioner of Inland Revenue (1994) 1 WLR 1286 (1296 D ff.); R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Jeyeanthan (2000) 1 WLR 354 (359); Attorney General’s Reference (No 3 of 1999) (2001) 2 AC 91; Charles v Judicial Service Commission (2003) 1 LRC 422 insbesondere Rdnr. 17. 800 [2006] 1 AC 340 Rdnr. 23. 801 Vgl. Lord Woolf in R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Jeyeanthan (2000) 1 WLR 354 (359 B ff.); Feldman, David, CLJ 2014, 275 (278). 802 Lord Wilberforce in Malloch v Aberdeen Corporation (1971) 1 WLR 1578; Cinnamond v British Airports Authority (1980) 1 WLR 582 (593).
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anderen Gerichtsentscheidungen und der Literatur stark kritisiert. Zum einen sei es kaum möglich, mit Sicherheit festzustellen, ob tatsächlich allein eine Entscheidung hätte getroffen werden können. Das Gericht würde dann dazu verpflichtet, den mutmaßlichen Entscheidungsprozess der Verwaltung zu rekonstruieren, um nachvollziehen zu können, ob eine Anhörung im Einzelfall tatsächlich nicht zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.803 Der Gedanke, die Missachtung von Verfahrensrechten dann als nicht entscheidend anzusehen, wenn das Ergebnis ohnehin feststand, wird hiermit zusammenhängend auch deshalb zurückgewiesen, weil es so in die Hände der Verwaltung gelegt würde zu beurteilen, ob eine bestimmte von ihr zu treffende Entscheidung in Bezug auf ihr Ergebnis so eindeutig sei, dass eine Anhörung der Betroffenen unterbleiben könne. Die Verwaltung könne hierdurch dazu verleitet werden, Verfahrensrechte zu missachten, obgleich ein anderer Entscheidungsträger – etwa das Gericht – nicht von einer derartigen Eindeutigkeit des Entscheidungsergebnisses ausgegangen wäre, so dass eine Anhörung durchaus zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.804 Zudem muss eine solche Herangehensweise schon grundsätzlich die Bedeutung der Verfahrensgerechtigkeit und der natural justice missverstanden haben. Hiernach kommt dem gerechten Verfahren gerade nicht allein eine instrumentale Funktion zu, sondern die Verfahrensrechte und insbesondere die Anhörung gewinnen eine eigenständige und unabhängige Funktion.805 Wo es, wie nach dem englischen Verständnis der Verfahrensgerechtigkeit, nicht nur die Aufgabe des (gerechten) Verfahrens ist, zu einem gerechten Ergebnis zu führen, sondern darüber hinaus das Verfahren selbst Teil der Bewertung der Gerechtigkeit wird, kann ein Fehlerfolgenregime wie das der §§ 45, 46 VwVfG somit nicht greifen. Grundsätzlich bleibt damit die Frage, ob die Ausübung eines Verfahrensrechts zu einer anderen Entscheidung hätte führen können, irrelevant und der Verfahrensfehler damit beachtlich.806 Allerdings kommt in den aktuellen Diskussionen um weitere Reformen des judicial review proceedings das Bestreben des Gesetzgebers zum Ausdruck, eine Lösung für diejenigen Fälle zu finden, in denen eine allein wegen eines Verfahrensfehlers aufgehobene Entscheidung offensichtlich mit demselben Inhalt wieder 803
Megarry J in John v Rees (1970) Ch 345 (402); Bingham LJ in R v Chief Constable of Thames Valley Police, ex parte Cotton (1990) IRLR 344 (352); May LJ in Smith v North Eastern Derbyshire Primary Care Trust (2006) 1 WLR 3315 (3321); Secretary of State for the Home Department v AF (No. 3) (2009) 2 WLR 423 (469); Galligan, Denis, Procedural Fairness, in: Birks (Hrsg.),The Frontiers of Liability, 1994, S. 113 (131). 804 Cane, Peter, Administrative Law, S. 80. 805 Deutlich Beatson, Jack/Mathews, Martin/Elliot, Mark, Administrative Law, S. 359 ff. Rdnr. 11.3.1; Cane, Peter, Administrative Law, S. 80. 806 General Medical Council v Spackman (1943) AC 627 (644); Annamunthodo v Oilfield Workers’ Trade Union (1961) AC 945 (965); R v Thames Magistrates’ Court, ex parte Polemis (1974) 1 WLR 1371 (1375); Secretay of State for the Environment, ex parte Brent London Borough Council (1982) QB 593 (645 f.); Smith v North Eastern Derbyshire Primary Care Trust (2006) 1 WLR 3315 (3321); Secretary of State for the Home Department v AF (No 3) (2009) 2 WLR 423 (469).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
getroffen werden müsste. Das Justizministerium hat im Rahmen dessen nunmehr vorgeschlagen, nicht allein in Fällen, in denen ausgeschlossen werden kann, dass der Verfahrensfehler zu einer anderen Entscheidung geführt hätte, sondern sogar dann, wenn ein anderes Ergebnis nur unwahrscheinlich ist, ein Absehen von der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung zu ermöglichen.807 Mit dem Criminal Justice and Courts Act 2015 wurde in diesem Zusammenhang in Section 31 (2a) des Senior Courts Act 1981 die Regel eingefügt, dass das Gericht von der Aufhebung einer Entscheidung abzusehen hat, wenn es überwiegend wahrscheinlich ist, dass das Ergebnis für den Kläger ohne den der Verwaltung vorgeworfenen Fehler – ob verfahrensrechtlicher oder materieller Art – dasselbe gewesen wäre (highly likely that the outcome for the applicant would not have been substantially different if the conduct complained of had not occurred). Stellt das Gericht jedoch fest, dass trotz dieser nicht anzunehmenden Ergebnisrelevanz des fehlerhaften Verwaltungshandelns ein besonderes öffentliches Interesse an der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung besteht, so kann es die Entscheidung aufheben (Section 31 (2b) Senior Courts Act 1981). Kann der Kläger also eine Auswirkung des fehlerhaften Verwaltungshandelns auf seine eigene Position nicht darlegen, bleibt es Aufgabe des Gerichts, im Einzelfall zu entscheiden, ob es den Fehler für so gewichtig hält, dass er im öffentlichen Interesse zur Aufhebung der Entscheidung führen muss.808 Fehler bei der Begründung einer Verwaltungsentscheidung können als nicht beachtlich angesehen werden, wenn die Begründung nicht dem Zweck dient, innerhalb des Verwaltungsverfahrens dem Betroffenen die Möglichkeit einer Einwendung gegen die Entscheidung zu geben, sondern allein nachträglich eine bereits getroffene Entscheidung zu begründen.809 Dieser Fall wird gerade nicht als Verletzung eines Verfahrensrechts des Betroffenen angesehen. Anstatt die Verwaltungsentscheidung aufzuheben, kann das Gericht in diesem Fall anordnen, dass die Behörde nachträglich ihre Entscheidung zu begründen hat. (3) Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im Ermessensbereich Wiederum dem englischen case law-System entsprechend wird die Entscheidung, ob eine Maßnahme der Verwaltung, die wie im Regelfall durch die Ausübung von Ermessen getroffen wurde, aufgrund eines Verfahrensfehlers ausnahmsweise nicht aufgehoben werden soll, zumeist für den jeweiligen Einzelfall getroffen. Dies gilt auch nach Einführung von Section 31 (2a) Senior Courts Act 1981. Im Rahmen dieser Entscheidung kommt es zuvörderst darauf an, ob das Verfahrensrecht, das nicht beachtet worden ist, sich aus einem Verfassungsprinzip – insbesondere aus dem Grundsatz der natural justice – ableiten lässt oder nicht. Es wird somit auch auf die 807
Ministry of Justice, Judicial Review – Proposals for further reform, CM 8703 (September 2013), S. 29 Rdnr. 104 f. 808 Barnett, Hilaire, Constitutional and Administrative Law, S. 614 f. 809 R (on the application of Richardson) v North Yorkshire County Council (2004) Env L.R. 13 Rdnr. 49 f.
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Bedeutung der verletzten Verfahrensvorschrift an sich geblickt und nicht in erster Linie auf die Ergebnisrelevanz des Verfahrensfehlers. Grundsätzlich soll es bei einer Verletzung eines Rechts, das der natural justice zu entnehmen ist, gerade keine Rechtfertigung sein, dass sich der Verfahrensfehler im Ergebnis nicht ausgewirkt hat.810 Es gibt dennoch Fälle, in denen Abwägungsfehler oder sonstige Fehler innerhalb des Entscheidungsprozesses nicht als relevant angesehen wurden, da die Entscheidung aus anderen Gründen richtig war oder etwa eine Beeinträchtigung von Rechten nicht festgestellt werden konnte. Wurden etwa als irrelevant angesehene Gründe in die Entscheidung einbezogen, sprachen aber auch andere, relevante Gründe für die Entscheidung der Verwaltung, wurde diese als rechtmäßig angesehen.811 Ähnlich formulierte Carnwath L.J. in dem Fall E v Secretary of State for the Home Department (2004),812 dass bei einem Fehler in der Sachverhaltsermittlung, dieser Fehler eine gewisse, wenn auch nicht unbedingt die allein entscheidende Rolle für die Entscheidung der Verwaltung gespielt haben müsse, um sie rechtswidrig zu machen. Auch lassen sich Stimmen ausmachen, welche die umfassende gerichtliche Kontrolle des angewendeten Verwaltungsverfahrens und die damit einhergehende grundsätzliche Aufhebung einer unter Missachtung verfahrensrechtlicher Garantien getroffenen Entscheidung kritisch betrachten und auch innerhalb des Verfahrens von einem gewissen Ermessensspielraum der Verwaltung ausgehen wollen.813 Auffällig ist zudem, dass gerade dort, wo es zu einer weitgehenden Kodifikation des Verwaltungsverfahrens und der hierbei zu beachtenden Verfahrensrechte gekommen ist, wie insbesondere im Planungsrecht, Ausnahmen von dem Grundsatz der Beachtlichkeit eines jeden Verfahrensfehlers angenommen wurden. Section 288 (5) (b) des Town and Country Planning Act 1990814 sieht etwa vor, dass Verfahrensfehler nur dann zu einer Aufhebung der Verwaltungsentscheidung führen, wenn der Betroffene durch den Fehler auch tatsächlich beeinträchtigt – substantially prejudiced – wurde. Eine solche Beeinträchtigung wird jedoch regelmäßig bereits dann angenommen, 810 Lord Wright in General Medical Council v Spackman (1943) AC 627 (644); Lord Denning in Annamunthodo v Oilfields Workers’ Trade Union (1961) AC 945 (956); Earl v Slater & Wheeler (Airlyne) Ltd. (1973) 1 WLR 51; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 403, S. 419. 811 Re Walker’s Decision (1944) 1 KB 644 (652 f.); Hanks v Minister of Housing and Local Government (1963) 1 QB 999 (1036 f.); R v Broadcasting Complaints Commission, ex parte Owen (1985) QB 1153 (1175 f.). 812 [2004] QB 1044 Rdnr. 66. 813 Irvine, Lord of Lairg, PL 1996, 59 (70). 814 Im Planungsrecht ist regelmäßig zunächst die Beschwerde an den zuständigen Secretary of State (vgl. Section 78 des Town and Country Planning Act 1990) und sodann gegen dessen Entscheidung ein Rechtsmittel zum High Court zulässig; hierbei handelt es sich zwar nicht um das judicial review proceeding; allerdings wendet der High Court auch im Rahmen dieses Verfahrens die Grundsätze des natural justice-Prinzips und andere Common Law-Grundsätze ebenso an; vgl. die Zusammenfassung der Aufhebungsgründe im Planungsrecht durch Forbes J in Seddon Properties Ltd. v Secretary of State for the Environment (1978) 42 P. & C.R. 26.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
wenn es keine Möglichkeit gab, die eigenen Interessen in das Verwaltungsverfahren einzubringen, etwa weil die vorherige Bekanntgabe einer geplanten Verwaltungsentscheidung ausgeblieben ist oder eine adäquate Anhörung nicht stattgefunden hat.815 In Bezug auf eine Verletzung der gesetzlichen Pflicht zur Begründung einer Bau- oder Plangenehmigung oder deren Ablehnung soll beispielsweise laut Lord Bridge in dem Fall Save Britain’s Heritage v Number 1 Poultry Ltd. (1991)816 eine tatsächliche Beeinträchtigung vorliegen, wenn die Begründung so abwegig sei, dass darauf zu schließen sei, dass die Verwaltungsentscheidung sich außerhalb der gesetzlich eingeräumten Befugnisse bewege, wenn die Begründung es dem Antragsteller nicht ermögliche, seine Pläne derart zu ändern, dass eine Genehmigung möglich werde, oder wenn aus der Begründung nicht hinreichend hervorgehe, welche Einwirkungen die Entscheidung auf die Genehmigung künftiger Planungsvorhaben haben könne. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne bedeutet mithin nicht, dass der Betroffene notwendigerweise darlegen muss, in seinen materiellen Rechten verletzt zu sein. Auch eine Beeinträchtigung, die als rein prozeduraler Natur angesehen werden kann, ist vielmehr regelmäßig ausreichend. Grundsätzlich nehmen die Gerichte nicht leichtfertig an, dass ein Verfahrensfehler nicht zu einer irgend gearteten tatsächlichen Beeinträchtigung des Betroffenen geführt hat.817 Die Voraussetzung der real prejudice wird vergleichbar auch in Fällen unter unmittelbarer Anwendung der Common Law-Prinzipien herangezogen, also dort, wo es keine formell-gesetzliche Regelung gibt. Sie soll auch hier sicherstellen, dass das Prinzip der natural justice nicht nur als rein technische Voraussetzung einer Verwaltungsentscheidung und ohne Berührung mit tatsächlichen Fragen der Gerechtigkeit zur Aufhebung einer Entscheidung eingesetzt wird.818 Wiederum meint diese Einschränkung jedoch nicht etwa, dass es zu einer Verletzung in materiellen Rechten gekommen sein muss. Auch die Verletzung der Verfahrensgerechtigkeit als solche wird als Beeinträchtigung empfunden. (4) Einzelfallabwägung bei Unangemessenheit der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung Zwar ist der Klagegrund der procedural impropriety einer der bedeutendsten Maßstäbe zur Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung, und auch im Rahmen der illegality ist es vordergründig der Entscheidungsprozess, der sich der gerichtlichen Überprüfung unterziehen muss. Dennoch führen in England weitaus nicht alle Verfahrensfehler zu der Begründetheit einer Klage und damit zur Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung. Es bedeutet die teilweise in Bezug auf Verfahrensfehler 815 Wilson v Secretary of State for the Environment (1973) 1 WLR 1083 (1095 f.); Darlassis v Minister of Education (1954) 4 P. & C.R. 281; Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 414 f. Rdnr. 7 – 053. 816 [1991] 1 WLR 153. 817 R v Tandridge District Council, ex parte Al-Fayed (2000) 80 P. & C.R. 90 (94). 818 George v Secretary of State for the Environment (1979) 77 LGR 689; R v Chief Constable of Thames Valley Police, ex parte Cotton (1990) IRLR 344.
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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angeführte Voraussetzung der real oder substantial prejudice keine notwendige Geltendmachung der Auswirkung des Verfahrensfehlers auf materielle Rechtspositionen; doch wenden die Gerichte, vornehmlich mit einem Verweis auf die Interessen, die im Rahmen der Aufhebung oder Aufrechterhaltung von Verwaltungsentscheidungen eine Rolle spielen, einen weiteren Mechanismus zur Eingrenzung der Verfahrensfehlerfolgen an. Im englischen Common Law steht es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, ob und wie der Beschwerde des Einzelnen abgeholfen wird. Trotz der Strenge der Fehlerfolgenregelung verblieb dem Gericht damit auch bereits vor Einführung von Section 31 (2a) Senior Courts Act 1981 ein gewisser Spielraum, im Einzelfall die Aufhebung einer Entscheidung allein wegen eines Verfahrensfehlers als unangemessen zurückzuweisen.819 Ein ebensolches Ermessen steht dem High Court auch bei der Überprüfung von planungsrechtlichen Entscheidungen zu. Section 288 (5) (b) Town and Country Planning Act 1990 ermächtigt das Gericht insoweit dazu, von der Aufhebung einer verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Entscheidung nach seinem Ermessen im Einzelfall abzusehen.820 Eine Rolle spielt die Ermessensausübung der Gerichte in diesem Bereich vor allem in Fällen, in denen die Wahrscheinlichkeit, dass ein fehlerfreies Verfahren nicht zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, besonders groß ist.821 Die fehlende Ergebnisrelevanz in einem solchen Fall soll damit zwar nicht zu der Annahme führen, dass es nicht zu einem Verstoß gegen das Prinzip der natural justice gekommen ist; von einer Aufhebung der Entscheidung kann das Gericht im Ergebnis aber dennoch absehen. Im Rahmen dieser Ermessensausübung blickt das Gericht vor allem darauf, ob die Aufhebung einer verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Entscheidung die Interessen Dritter an deren Aufrechterhaltung verletzen könnte.822 Diese Herangehensweise ist nunmehr in Section 31 (2a) Senior Courts Act 1981 auch gesetzlich vorgesehen. Ähnlich verhält es sich mit einem Verstoß gegen formell-gesetzlich angeordnete Verfahrensvorgaben. Sowohl nach dem traditionellen Test, ob es sich um eine zwingende oder nicht-zwingende Verfahrensvorschrift handelt, als auch nach der neuen flexibleren Gesetzesauslegung bleibt es eine Ermessensentscheidung des Gerichts, ob die aufgrund eines Verfahrensverstoßes angegriffene Entscheidung tatsächlich aufgehoben werden soll. Das Gericht nimmt bei der Ausübung dieses Ermessens insbesondere die Schwere des Fehlers, die Frage, ob die Missachtung der 819 Lord Denning in Hoffmann-La Roche v Secretary of State for Trade and Industry (1975) AC 259 (320); Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 409 Rdnr. 7 – 043 und S. 1010 f. Rdnr. 18 – 057; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 424; Kleve, Guido/Schirmer, Benjamin, England und Wales, in: Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht in Europa, 2007, Bd. I, S. 35 (161 f.). 820 Ashbridge Investments Ltd. v Minister of Housing and Local Government (1965) 1 WLR 1320 (1326). 821 Glynn v University of Keele (1971) 1 WLR 487; R (on the application of Jones) v Swansea City and County Council (2007) EWHC 213 (Admin.) Rdnr. 31. 822 R v Brent London Borough Council, ex parte Walters (1998) 30 HLR 328.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Verfahrensvorgabe durch die Verwaltung vorsätzlich begangen wurde, die Konsequenz einer Aufhebung der Verwaltungsentscheidung für das öffentliche Interesse und die Frage in den Blick, ob der Verfahrensfehler zu einem tatsächlichen Nachteil des Betroffenen geführt hat.823 Selbst bei einem Verstoß gegen unionsrechtlich bedingte Verfahrensvorgaben, wie etwa im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung, wird die Entscheidung darüber, ob die fehlerhaft zustande gekommene Maßnahme aufgehoben werden soll oder ob es vielmehr im öffentlichen Interesse liegt, die Verwaltungsentscheidung trotz des Verfahrensfehlers aufrecht zu erhalten, als im Ermessen des Gerichts liegend angesehen.824 In der insoweit noch gegenteiligen Entscheidung Berkeley v Secretary of State for the Environment and Another (2001)825 hatte das House of Lords zunächst festgestellt, dass das Unionsrecht und seine englische Umsetzung dem Betroffenen ein einklagbares Recht auf die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung einräumten und es nicht ausreichend sei, wenn die planende Behörde auf anderem Wege an die relevanten Informationen über die Umweltauswirkungen eines Vorhabens gelange. Mehrere Richter des House of Lords betonten hier, dass insbesondere in unionsrechtlich bedingten Bereichen das Ermessen des Gerichts, eine fehlerhafte Entscheidung nicht aufzuheben, nur mit äußerster Vorsicht angewendet werden solle. Die Entscheidung im Fall Berkeley wurde zwischenzeitlich in mehreren Urteilen mit den besonderen Umständen dieses Falls begründet, da das Aufheben der angegriffenen Plangenehmigung zum Zeitpunkt des Urteils den Interessen des Vorhabenträgers oder sonstigen öffentlichen Interessen nicht widersprochen habe.826 Die Möglichkeit, im Rahmen des gerichtlichen Ermessens bei der Frage nach der Konsequenz einer fehlerhaften Verwaltungsentscheidung das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung einer Maßnahme in die Abwägung einzubeziehen, hat der Supreme Court in dem für das vergleichbare schottische Recht entschiedenen Fall Walton v Scottish Ministers (2012)827 als notwendige Ergänzung zu den weiten Regeln zur Klagebefugnis – standing –828 bezeichnet, die es auch Dritten weitgehend ermöglichen, insbesondere Verfahrensfehler gerichtlich geltend zu machen. Ein Verstoß gegen das europäische Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip liege demnach nicht vor, wenn das Gericht sein 823 Coney v Choyce (1975) 1 WLR 422 (435); R v Secretary of State for the Social Services, ex parte Association of Metropolitan Authorities (1986) 1 WLR 1 (14 f.); R v Secretary of State for the Home Department, ex parte Jeyeanthan (2000) 1 WLR 354; R (on the application of Edwards) v Environment Agency (No.2) (2008) Env L.R. 34 Rdnr. 65; siehe hierzu auch Feldman, David, CLJ 2014, 275 (289). 824 Walton v Scottish Ministers (2012) UKSC 44. 825 [2001] 2 AC 603. 826 Bown v Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions (2004) Env L.R. 26 Rdnr. 47; R (on the application of Edwards) v Environment Agency (No.2) (2008) Env L.R. 34 Rdnr. 63 ff. 827 [2012] UKSC 44 Rdnr. 103. 828 Hierzu Kapitel 4 B. I. 2. a).
B. Auswirkungen der Systementscheidung und deren Durchbrechung
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Ermessen, eine Verwaltungsentscheidung aufgrund eines Verfahrensfehlers nicht aufzuheben, gerade deshalb ausübe, weil es zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung der unionsrechtlich garantierten Rechte nicht gekommen sei.829 Die weitgehende Möglichkeit des Verwaltungsgerichts, in Ausübung seines Ermessens von der Aufhebung einer Entscheidung abzusehen, die nachweislich gegen das Recht – gleichgültig, ob materielles Recht oder Verfahrensrecht – verstößt, wird unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten als problematisch angesehen. Insbesondere in unionsrechtlich beeinflussten Bereichen müsse es eindeutige Regeln geben, wie gerichtlich mit einem Gesetzesverstoß einer staatlichen Einrichtung umzugehen sei, und diese Entscheidung könne nicht in das allgemeine Ermessen des Gerichts gestellt werden.830 Andererseits ist es jedoch gerade die englische Anerkennung von unabhängigen Verfahrensrechten, die für die Notwendigkeit einer im Ermessen des Gerichts stehenden Eingrenzung der Aufhebung von verfahrensfehlerhaften Verwaltungsentscheidungen ins Feld geführt wird. Ein Rechtssystem, das eine Verbindung zwischen verletztem Verfahrensrecht und materieller Entscheidung nicht schon als Voraussetzung für die Aufhebung einer Entscheidung verlange, müsse dem Gericht die Entscheidung darüber überlassen, ob insbesondere Gründe der Verwaltungseffizienz im Einzelfall gegen eine Aufhebung einer rein verfahrensfehlerhaften Entscheidung sprächen.831 c) Die Möglichkeit isolierter Geltendmachung eines Verfahrensfehlers Der unabhängige Klagegrund der procedural impropriety macht es möglich oder gar zum Regelfall, dass eine fehlerhafte Verfahrenshandlung als solche gerügt wird. Auch das Einklagen einer unterbliebenen Beteiligung ist somit möglich,832 und es existiert keine Regel, die es untersagt, dass ein derartiges Verfahrensrecht unabhängig von der Überprüfung einer bereits getroffenen Entscheidung eingeklagt werden kann.
829 Walton v Scottish Ministers (2012) UKSC 44 Rdnr. 138 f. mit explizitem Verweis auf EuGH, Urteil vom 7. 1. 2004, Rs. C-201/02, Delena Wells, Slg. 2004 I-723. 830 Jacobs, Francis, PL 1999, 232 (244 f.); unabhängig von unionsrechtlichen Beeinflussungen und insbesondere in Bezug auf eine Verletzung der natural justice kritisch Bingham, Thomas Lord Justice, PL 1991, 64 (72 f.). 831 Millett, Lord Peter, PL 2002, 309 (313). 832 Ridge v Baldwin (1964) A.C. 40; R (Shoesmith) v Ofsted (2011) EWCA Civ 642.
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
C. Ergebnis: Die heutige Bedeutung der Systementscheidungen – Annäherung des englischen und des deutschen Rechtssystems? Nach der Untersuchung der traditionellen und aktuellen Bedeutung verfahrensrechtlicher Garantien sowie des Umgangs mit deren Verletzung im deutschen und englischen Rechtssystem können zusammenfassend folgende Ergebnisse festgehalten werden:
I. Die allgemeine Bedeutung verfahrensrechtlicher Garantien Eine Wendung des deutschen Verwaltungsrechts hin zu prozeduralen Garantien und ein Stück weg von der Betonung der materiellen Richtigkeit verwaltungsrechtlicher Entscheidungen wird nicht erst in neuerer Zeit diskutiert. Schon in der Vergangenheit wurde eine vermehrte Prozeduralisierung ausgerufen und die Frage nach einem Paradigmenwechsel gestellt.833 Im Zuge heutiger Entwicklungen, vor allem im Hinblick auf immer komplexer werdende Entscheidungsvorgänge und Abwägungsverpflichtungen, die allein durch das materielle Gesetzesrecht nicht vorgegeben werden können, sowie durch weitgehende europäische Vorgaben, die eigenständige Verfahrensrechte betonen, stellt sich diese Frage erneut mit durchaus gewachsener Berechtigung. Speziell in besonders stark durch das Unionsrecht geprägten Verwaltungsverfahren werden weitreichende Beteiligungsrechte anerkannt, auf deren Einhaltung auch die gerichtliche Kontrolle ausgelegt sein muss. Von einer vollkommen untergeordneten Rolle des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts kann vor diesem Hintergrund auch bei einem Vergleich mit dessen Bedeutung im englischen Rechtssystem nicht – länger – ausgegangen werden.834 In Bezug auf das allgemeine Verwaltungsverfahren sind die Verfahrensgarantien des deutschen Verwaltungsrechts durchaus ausgeprägt und stehen denen der Common Law natural justice in keiner Weise nach. Dennoch kann bislang nicht von einer Hinwendung zu einem System der Verfahrensgerechtigkeit gesprochen werden, was in Deutschland vor allem an den Regelungen zu den Verfahrensfehlerfolgen deutlich wird. Auch wenn Verfahrensrechte eingeräumt und ihre Notwendigkeit und Wichtigkeit betont werden, geschieht dies weiterhin mit einem starken Augenmerk auf dem Schutz materieller Rechtspositionen. Überlegungen zur Verfahrensgerechtigkeit, die vor allem in der Form frühzeitiger Beteiligung erreicht werden soll, spielen 833 Siehe u. a. die Untersuchung der damaligen Tendenzen bei Goerlich, Helmut, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, S. 345 ff., vor allem als Reaktion auf den MühlheimKärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts; Grimm, Dieter, NVwZ 1985, 865 (869), der die Prozeduralisierung des Rechts als zu diesem Zeitpunkt „noch keinesfalls zum Abschluss gekommen“ bezeichnet. 834 Siehe zu diesem Ergebnis auch Fehling, Michael, VVDStRL 70 (2011), 278 ff. (insbesondere 306).
C. Ergebnis
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zwar vermehrt eine Rolle; sie soll aber weiterhin vor allem als Voraussetzung – wenn auch durchaus als eine notwendige – der materiellen Gerechtigkeit angesehen werden. Fehlt es an materieller Steuerungsfähigkeit, wird es zur Aufgabe des Verwaltungsverfahrens, dies zu „kompensieren“,835 gerade um den Schutz des Einzelnen gegen eine fehlerhafte und in seine Rechte eingreifende Entscheidung zu gewährleisten. Die Rechtmäßigkeit des Verfahrensergebnisses steht damit weiterhin im Mittelpunkt des deutschen Verwaltungsrechts.836 Die Anerkennung absoluter, von ihrem Einfluss auf die Sachentscheidung unabhängiger Verfahrensrechte ist noch immer eine Seltenheit im deutschen Verwaltungsrecht und erfolgt bislang maßgeblich, wenn dies unionsrechtlich zwingend vorgegeben ist, und selbst dann recht zögerlich, wie der unionsrechtlich zweifelhafte837 Umgang mit einer fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung zeigt. Erwägungen zur Ergebnisrelevanz und zur tatsächlichen Beeinträchtigung eines Betroffenen durch einen Verfahrensfehler spielen aber auch im englischen Rechtssystem trotz der größeren Bedeutung der Verfahrensgerechtigkeit eine Rolle. Besonders die schlussendlich im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung, ob die Konsequenz eines Verfahrensfehlers tatsächlich die vollkommene Aufhebung der Entscheidung und das Zurückverweisen an die Ausgangsbehörde sein sollen, wird dafür genutzt, Fragen der materiellen Gerechtigkeit in den Umgang mit Verfahrensfehlern zu integrieren. Auch hier führt gerade nach Einführung des Section 31 (2a) Senior Courts Act 1981 damit längst nicht jedweder verfahrensrechtliche Fehler und vor allem nicht jedweder Verstoß gegen formell-gesetzlich angeordnete Verfahrensabläufe zu einer Aufhebung der Verwaltungsentscheidung. Streng bleiben die Gerichte allerdings in den Fällen, in denen ein dem natural justice-Prinzip des Betroffenen zugerechnetes Verfahrensrecht verletzt wird, also vor allem in Fragen der Anhörung. Zwar spielen auch hier Fragen der tatsächlichen Betroffenheit teilweise eine Rolle; schon allein der Umstand, dass der Einzelne seine Interessen nicht in das Verfahren einbringen konnte, wird hierbei jedoch berücksichtigt, und die Überlegung, dass eine andere Entscheidung ohnehin nicht möglich gewesen wäre, wird äußerst selten anerkannt. Als bedeutendster Unterschied zwischen der deutschen und der englischen Herangehensweise stellt sich damit erneut der Umgang mit dem behördlichen Er835 Dass schon die Bezeichnung der Verfahrensbedeutung als „kompensatorisch“ bei fehlender materieller Steuerungsfähigkeit die nach wie vor bestehende Betonung der materiellen Gerechtigkeit nahelegt, bemerkt Reimer, Franz, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 9 Rdnr. 112; siehe auch Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 175 ff. 836 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 35; Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1291); Siegel, Thorsten, DÖV 2012, 709 (714). 837 Vgl. den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts an den EuGH, BVerwG, NVwZ 2012, 448, 2. Vorlagefrage, das hierauf ergangene EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. C72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49, sowie EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495; vgl. auch bereits Kapitel 3 B. II. 1. c) cc) (1) (b).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
messen dar. Während die deutschen Gerichte – auch oder vor allem aufgrund der traditionell weitreichenden Ergebniskontrolle – sehr deutlich auf die Ergebnisrelevanz eines Verfahrensfehlers abstellen und durchaus bereitwillig auch bei Ermessens- und Abwägungsentscheidungen eine solche verneinen, bleibt es in England bei der verbreiteten Annahme des offenen Entscheidungsprogramms, in dessen Rahmen jedwede Änderung des Verwaltungsverfahrens grundsätzlich von Einfluss auf das Abwägungsergebnis der Verwaltung gewesen sein kann.
II. Verfahrensrechtliche Garantien in der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle Es gewinnt der innerhalb und durch das Verwaltungsverfahren zu erreichende Rechtsschutz vor allem deshalb an Bedeutung, weil es auch in Deutschland immer weitere Bereiche des Verwaltungshandelns gibt, die durch das materielle Recht nicht zwingend vorgegeben sein können und damit komplexe innerhalb des Verwaltungsverfahrens zu bewältigende Abwägungsvorgänge hervorrufen – dies gilt unabhängig davon, ob man hierfür den Begriff des „vorgelagerten Rechtsschutzes“ durch das Verwaltungsverfahren ablehnt oder nicht. Eine solche Tendenz muss dann auch Veränderungen im Rahmen des gerichtlichen Rechtsschutzes nach sich ziehen. Dies bezieht sich sowohl auf die gerichtliche Kontrolle der Sachentscheidung, bei der einer Auswirkung von Verfahrenshandlungen und Verfahrensfehlern größere Beachtung zugemessen werden sollte, als auch auf die Notwendigkeit, bestimmte Verfahrensfehler auch als von der Sachentscheidung unabhängig durchsetzbar anzusehen. Eine bloße Ausweitung des gerichtlichen Rechtsschutzes auf verfahrensrechtliche Garantien neben einer weiter bestehenden materiellen Vollkontrolle kann hingegen nicht die Lösung sein. Sie würde in dieser Einfachheit zu einer Überforderung des Gerichtsschutzes und der Verwaltung führen.838 Die Frage nach der gerichtlichen Kontrolldichte bezogen auf Verwaltungsentscheidungen wird so auch eine Frage nach der Effizienz der Verwaltung.839 Ebenso problematisch scheint aber ein umfassender Rückzug der – unabhängigen – Verwaltungsgerichte von der inhaltlichen Kontrolle allein unter Hinweis auf eine Ausweitung des verfahrensrechtlichen Rechtsschutzes.840 Vielmehr ist daher allgemein der funktionale Zu838 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 6. Kapitel Rdnr. 148 ff.; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens uns Prozeduralisierung, 2010, S. 47 f.; Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1291), der pointiert formuliert, „keine Rechtsordnung der Welt“ maximiere sowohl bei der Kontrolle des Verfahrens als auch bei der materiell-rechtlichen Kontrolle; Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (862); vgl. auch bereits Degenhart, Christoph, DVBl. 1982, 872 (884, Fn. 140), mit einem Hinweis auf das Sondervotum der Richter Simon und Heußner im Mühlheim-Kärlich-Beschluss des BVerfG, welche die Vorzüge einer intensivierten Verfahrenskontrolle gerade anstelle einer materiellen Vollkontrolle betonten. 839 Ossenbühl, Fritz, NVwZ 1982, 465 (469). 840 So auch Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 191 (206 f.).
C. Ergebnis
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sammenhang zwischen dem materiellen Recht, dem Verwaltungsverfahrensrecht und dem Verwaltungsprozessrecht im Hinblick auf den Rechtsschutz zu überdenken. Der Rückzug materiell-rechtlich vollkommen determinierter Gesetzesprogramme muss so zum einen zu einer Veränderung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und zum anderen zu einer Anpassung des Verständnisses von der Rolle des Verwaltungsverfahrens im Sinne des Kompensationsgedankens841 führen.842 In England ist bislang nicht erkennbar, dass die stückweite Ausweitung der inhaltlichen Verwaltungskontrolle insbesondere durch den Klagegrund der disproportionality und die Annahme materiell-rechtlich zu schützender legitimate expectations tatsächlich zu einem Rückgang der verfahrensrechtlichen Kontrolle führt. Vielmehr bleibt das angewendete Verfahren und hierbei vor allem die Berücksichtigung der anerkannten Rechte des Betroffenen im Rahmen der behördlichen Abwägung der wesentliche Faktor bei der gerichtlichen Bewertung einer Verwaltungsentscheidung. Geändert hat sich mithin zwar die Blickrichtung des Gerichts, die nunmehr auf die tatsächliche Verletzung materieller Rechte gerichtet ist, nicht jedoch der weiterhin akzeptierte Ermessensspielraum der Verwaltung bei der Einschränkung derartiger Rechte. Wo die materielle Steuerungsdichte des Rechts insoweit gering ist, bleibt das Verfahren entscheidender Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Überprüfung. Zu einer Veränderung hat in Deutschland auch die Diskussion über die vermehrte Anerkennung absoluter Verfahrensrechte, die unabhängig von einer Sachentscheidung durchsetzbar sein müssen und damit auch aus dem herkömmlichen Fehlerfolgenregime auszunehmen sind, geführt. Immer dann, wenn von einem gesteigerten Eigenwert einer verfahrensrechtlichen Garantie ausgegangen werden kann, ist diese auch ohne notwendige Verknüpfung mit der Sachentscheidung durchzusetzen – bislang allerdings nur, wenn der Gesetzgeber dies ausdrücklich anordnet. Diese Herangehensweise erinnert deutlich an die in England angewendete Ermittlung des gesetzgeberischen Willens bei der Frage, ob ein Verstoß gegen Verfahrensrecht im Einzelfall die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung zur Folge haben soll. Hat hier der Gesetzgeber dem Verfahrensrecht nach der Auslegung des Gerichts eine überragende Bedeutung zugewiesen, muss eine Aufhebung erfolgen. Gleiches gilt grundsätzlich bei einem unmittelbaren Verstoß gegen die natural justice des Betroffenen. Allgemein geht gerade im Hinblick auf die Rechte des natural justice841 Zu diesem in der europäischen Gerichtsbarkeit entwickelten Grundsatz Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 397; Nehl, Hanns Peter, Europäisches Verwaltungsverfahren und Gemeinschaftsverfassung, 2002, S. 168 f.; Schwarze, Jürgen, Die Rechtsprechung des EuGH zur Relevanz von Fehlern im Verwaltungsverfahren, in: Heckmann/Schenke/Sydow (Hrsg.), Festschrift für Thomas Würtenberger, 2013, S. 1203 (1206); ders., DVBl. 2010, 1325 (1326 und 1331 f.); Kahl, Wolfgang, NVwZ 2011, 449 (455); und Kapitel 2 B. I. 1. a) cc) (1). 842 Ähnlich auch Ramsauer, Ulrich, Rechtsschutz durch nachvollziehende Kontrolle, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 699 ff. (insbesondere S. 723 f.), mit seinem Vorschlag für eine Weiterentwicklung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle hin zu einer nachvollziehenden Kontrolle; ähnlich Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (862 f.).
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Kap. 3: Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in der Verwaltungsrechtsordnung
Prinzips und der hiermit verknüpften Aussage „justice should not only be done but should also be seen to be done“843 die Annahme einer nicht-instrumentalen Bedeutung bestimmter Verfahrensgestaltungen in England bislang weiter als in Deutschland, wo die Frage, ob Gerechtigkeit tatsächlich im materiellen Sinne erreicht wurde, weiter im Mittelpunkt steht. Im Ergebnis ist eine Annäherung beider Rechtssysteme also dort bereits festzustellen, wo auch das deutsche Recht entgegen seiner, aber in Einklang mit der englischen Rechtstradition die weitgehende materiell-rechtliche Steuerung behördlicher Entscheidungen durch das formelle Recht teilweise aufgibt und das Verfahrensrecht damit an Bedeutung gewinnen muss. Umgekehrt gewinnt im englischen Recht die Annahme an Bedeutung, dass nicht jeder Fehler im Verwaltungshandeln, der sich im Ergebnis auf die Rechtsposition des Betroffenen nicht ausgewirkt hat, zur Aufhebung der Entscheidung führen soll.
843 Zumeist wird mit diesem Ausspruch Lord Hewart in R v Sussex JJ, ex parte McCarthy (1924) 1 K.B. 256 (259) zitiert.
Kapitel 4
Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle Schließlich ist die innerhalb eines Rechtssystems gewählte Ausrichtung oder Zielsetzung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle entscheidend für die Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen verfahrensfehlerhaft getroffene Verwaltungsentscheidungen. Allgemein sind zwei Grundkonzepte der Ausrichtung der Gerichtskontrolle zu unterscheiden – der subjektive Individualrechtsschutz, bei dem die Rechte des Einzelnen bzw. deren Verletzung im Mittelpunkt der gerichtlichen Überprüfung stehen, und die objektive Rechtskontrolle, bei der es der Verwaltungsgerichtsbarkeit schwerpunktmäßig um eine allgemeine und umfassende objektiv-rechtliche Kontrolle der Exekutive geht.1 Schon die Möglichkeit des Zugangs zu einem Verwaltungsgericht im Fall eines fehlerhaft durchgeführten Verwaltungsverfahrens wird maßgeblich davon beeinflusst, wie das System des gerichtlichen Rechtsschutzes ausgelegt ist. Es stellt sich die Frage, ob ein jeder dazu berechtigt sein soll, die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen, oder ob an diese Möglichkeit weitere Voraussetzungen geknüpft werden, die insbesondere in der Person des Klägers liegen können. Weiterhin bleibt für die inhaltliche gerichtliche Kontrolle die bereits angeschnittene Frage entscheidend, ob und inwiefern eine – gegebenenfalls „nur“ – verfahrensfehlerhaft getroffene Entscheidung von den Verwaltungsgerichten aufgehoben werden kann. Hier wirkt sich wiederum die Rolle aus, die das Rechtssystem dem Verwaltungsverfahren bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung zuweist.
A. Subjektiver Rechtsschutz oder objektive Rechtskontrolle Ein Verwaltungsgerichtssystem, das weitgehend auf eine objektive Rechtskontrolle ausgerichtet ist, bezweckt zuvörderst die Bewahrung der – öffentlich-rechtlichen – Rechtsordnung. Regelmäßig erfolgt in einem solchen System daher eine 1 Grundsätzlich zu beiden Systemen, Krebs, Walter, Subjektiver Rechtsschutz und Objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen/Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für ChristianFriedrich Menger, 1985, S. 191 ff.; Kadelbach, Stefan, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischen Einfluss, 1999, S. 379; Baumgartner, Ulrich, Die Klagebefugnis nach deutschem Recht vor dem Hintergrund der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 17; Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 29.
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
Überprüfung der Verwaltungsentscheidung an allen hierfür relevanten Normen; einer Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem öffentlichem Recht bedarf es nicht.2 In einem auf den subjektiven Rechtsschutz des Einzelnen ausgerichteten System wird demgegenüber eine Zweiteilung des Rechts vorzunehmen sein – nicht die Verletzung einer jeden Norm der objektiven Rechtsordnung vermag eine Aufhebung der angegriffenen Entscheidung nach sich zu ziehen. Diese kann nur erfolgen, wenn die Verletzung der Norm auch eine Verletzung subjektiver Rechte bedeutet. Nur auf eine solche Verletzung hin wird die Verwaltungsentscheidung überprüft.3 Beide Grundentscheidungen stehen sich hierbei in ihrer Umsetzung innerhalb verschiedener Rechtssysteme zumeist nicht vollkommen voneinander abgrenzbar gegenüber. So lassen sich durchaus in einem Rechtssystem, das auf eine Art der gerichtlichen Kontrolle ausgerichtet ist, Elemente des anderen finden. Zum anderen gibt es notwendige Überschneidungen im Prüfumfang der Gerichte. Sowohl bei einem grundsätzlich auf eine objektive Rechtskontrolle hin ausgelegten System als auch bei einem solchen, das auf den Schutz individueller Rechte ausgelegt ist, steht die Rechtmäßigkeitsprüfung im Mittelpunkt. Diese ist jedoch bei einer Ordnung des subjektiven Rechtsschutzes regelmäßig auf die Feststellung der Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte beschränkt.4 Die Entscheidung eines Rechtssystems darüber, ob der gerichtliche Rechtsschutz auf eine Überprüfung der objektiven Rechtmäßigkeit einer Entscheidung hin ausgerichtet sein soll oder ob die subjektiven durch eine Entscheidung berührten Rechte des Klägers oder Antragstellers im Mittelpunkt stehen, wirkt sich sowohl auf Fragen des Zugangs zu den Verwaltungsgerichten als auch auf die Zielsetzung der eigentlichen Überprüfung des Gerichts selber aus. Beide Fragen können nicht separat voneinander beantwortet werden. Vielmehr sind sie gleichsam Teil einer Grundentscheidung innerhalb eines Rechtssystems. So ist der Kreis derjenigen, denen Zugang zu den Verwaltungsgerichten gewährt wird, in einem System des subjektiven Rechtsschutzes regelmäßig enger. Soll das Ziel der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung jedoch eine allgemeine, objektive Kontrolle der Verwaltung sein, muss auch der Kreis derjenigen, die eine solche Überprüfung initiieren können, größer sein. Dementsprechend wird auf die Auswirkungen einer möglichen Entscheidung für eines der beiden Ordnungen sowohl im Rahmen der Erläuterungen zur Zulässigkeit verwaltungsrechtlicher Klagen, insbesondere im Hinblick auf mögliche Zugangsbeschränkungen als auch im Rahmen des gerichtlichen Prüfprogramms bei der Begründetheit verwaltungsgerichtlicher Klagen eingegangen.
2 Krebs, Walter, Subjektiver Rechtsschutz und Objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen/ Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 191 (192). 3 Krebs, Walter, Subjektiver Rechtsschutz und Objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen/ Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 191 (193 f.). 4 Krebs, Walter, Subjektiver Rechtsschutz und Objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen/ Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 191 (194); Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 24.
A. Subjektiver Rechtsschutz oder objektive Rechtskontrolle
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I. Die grundsätzliche Ausrichtung auf subjektiven Rechtsschutz in Deutschland Schon die Formulierung des Art. 19 Abs. 4 GG, der dem Einzelnen den gerichtlichen Schutz seiner Grundrechte zusichert, macht deutlich, dass die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie nur greift, wenn der Einzelne sich auch auf ein eigenes Recht berufen kann, das möglicherweise verletzt worden ist.5 Der Schutz von Individualität und Personalität wird auch in Bezug auf den Rechtsschutz zum Leitbild der grundrechtlich geprägten Rechtsordnung. Rechtsschutz wird nicht um des Staats, sondern um des Einzelnen willen gewährt, um dessen Rechte zu garantieren.6 Nur in Bezug auf subjektive Rechte des Bürgers ist der Rechtsschutz verfassungsrechtlich zugesichert. Diese vom Grundgesetz gewählte Formulierung strahlt auch in den Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten aus. Zwar bedeutet die grundgesetzliche Ausrichtung nicht, dass nur in einem solchen Fall Rechtsschutz gewährt werden kann – die verfassungsrechtliche Vorgabe beinhaltet lediglich einen Mindestschutz. Vielmehr könnte das einfache Recht auch einen weiter gehenden, auf eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle ausgelegten Rechtsschutz gewähren.7 Doch ist auch das in der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung angelegte System grundsätzlich auf den Schutz subjektiver Rechte und nicht auf eine objektive Rechtskontrolle ausgelegt. Es steht mithin nicht nur die Kontrolle der materiellen Richtigkeit der Entscheidung allgemein in Abgrenzung zu der Überprüfung des Verfahrens im Mittelpunkt, sondern zugleich beschränkt sich diese materielle Kontrolle auf eine solche der subjektiven Rechtsverletzung.8 1. Die Bedeutung des subjektiven Rechtsschutzes Dem deutschen System der gerichtlichen Überprüfung administrativen Handelns ist der Grundgedanke immanent, dass die Aufgabe der Gerichte vor allem der Schutz des Bürgers und nicht die Herstellung objektiv-rechtmäßiger Zustände ist. Die Betroffenheit eines Einzelnen ist nicht lediglich der Anstoß für eine gerichtliche Überprüfung einer Entscheidung der Verwaltung, sondern steht im Mittelpunkt des gerichtlichen Verfahrens,9 ist dessen „Anlass und Legitimation“.10 Ein objektiv 5 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.),GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 116 f. 6 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 14. 7 BVerwGE 87, 62 (72); 78, 347 (348 f.); Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 16; vgl. auch Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 367. 8 Goerlich, Helmut, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, S. 344. 9 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 14. 10 Krebs, Walter, Subjektiver Rechtsschutz und Objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen/ Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 191 (194).
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
rechtswidriger Zustand soll durch die Gerichte nicht aufgehoben oder gegebenenfalls noch nicht einmal überprüft werden, wenn hierdurch nicht zugleich Einzelne in subjektiven Rechten verletzt sind oder diejenigen, die in einer solchen Weise verletzt sind, die Verletzung nicht gerichtlich geltend machen wollen.11 Daraus folgt, dass eine Verwaltungsentscheidung, beispielsweise ein Verwaltungsakt, von einem Bürger, der durch diesen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt ist, erfolgreich angefochten werden kann, während ein Dritter bei dem Versuch der Anfechtung desselben Verwaltungsakts schon an der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs scheitern würde. Es soll nicht die Entscheidung des anderen sein, einen ihn nicht verletzenden Verwaltungsakt anzugreifen.12 Auch „Dritte“ – das heißt diejenigen, an welche die Verwaltungsentscheidung nicht adressiert ist – müssen dafür in derselben Weise wie der Adressat eine Verletzung eigener Rechte geltend machen können.13 Das deutsche Modell des Rechtsschutzes wird demgemäß weithin als Individualklage in Form der Verletztenklage14 bezeichnet und dem in Frankreich vorherrschenden Modell der Interessentenklage gegenübergestellt, das durch den Legalitätsgedanken geprägt und weithin auf objektiven Rechtsschutz ausgelegt ist.15 a) Historische Grundlage Allgemein knüpft die durch das Grundgesetz und die VwGO getroffene Systementscheidung, vereinfacht gesagt, an die traditionell in Süddeutschland während des deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts verankerte individualrechtsschützende Funktion verwaltungsgerichtlicher Kontrolle an. In Preußen stand hingegen die Aufgabe der Verwaltungsrechtspflege, die objektive Ordnung zu schützen, im Vordergrund.16 Der Bürger wurde hier eher als derjenige angesehen, der 11 Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 42 VwGO Rdnr. 6. 12 Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 365. 13 Berger, Ulrich, Grundfragen umweltrechtlicher Nachbarklagen, 1982, S. 144. 14 Zu dem Zusammenhang zwischen den Begriffen „Individualklage“ und „Verletztenklage“ und deren Bedeutung für die Prozessführungsbefugnis siehe Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 29. 15 Skouris, Wassilios, Verletztenklage und Interessentenklage im Verwaltungsprozess, 1979, S. 38; Classen, Claus Dieter, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 7; Kadelbach, Stefan, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 379 ff.; Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 420 f.; Schwerdtfeger, Angela, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2009, S. 53. 16 So die gängige Darstellung; vgl. u. a. Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 365; Baumgartner, Ulrich, Die Klagebefugnis nach deutschem Recht vor dem Hintergrund der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 18; kritisch zu dieser vereinfachten Darstellung unter Hinweis auf die Vielfältigkeit der damaligen Rechtsschutzsysteme, Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 11, sowie Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 425; eine ausführliche historische Darstellung findet sich auch bei
A. Subjektiver Rechtsschutz oder objektive Rechtskontrolle
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über seine Beschwerderechte einen Beitrag zum Erhalt der objektiven Rechtsordnung leisten kann, denn als derjenige, der hierdurch vordergründig eigene Rechte durchzusetzen vermag.17 Zunächst wurde auch nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes über die grundsätzliche Bedeutung und den Zweck der Verwaltungsgerichtsbarkeit debattiert, wobei sich die Ansicht, der Verwaltungsprozess diene primär dem Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte und nicht vordergründig einer objektiven Rechtskontrolle des Verwaltungshandelns, gerade im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG bald durchsetzte.18 b) Grundsätzlicher Ausschluss der Popularklage Zunächst wird durch die grundsätzlich subjektiv-rechtliche Ausrichtung erreicht, dass Popularklagen ausgeschlossen werden. Unter einer Popularklage wird grundsätzlich19 die Möglichkeit der Klage für jedermann verstanden, unabhängig davon, ob der Kläger zu dem Gegenstand der Klage in einer rechtlichen Beziehung steht.20 Eine Beeinträchtigung von eigenen oder fremden Rechten oder Interessen ist von diesem „quivis ex populo“ als Legitimation für seine Klage nicht geltend zu machen. Eine solche, von jeglichen Beziehungen des Klägers zum Klagegegenstand unabhängige Klage ist grundsätzlich im deutschen Verwaltungsrecht nicht vorgesehen.21 Kann der Bürger – oder ein Zusammenschluss von Bürgern – einen eigenen rechtlichen Nachteil durch ein Verhalten der Verwaltung nicht darlegen, soll er dieses Verhalten grundsätzlich auch nicht auf dessen objektive Rechtmäßigkeit hin überprüfen lassen können. Eine Legitimation des Einzelnen zum Schutz der Allgemeinheit oder zu einem Sachwalter öffentlicher Belange wird ausgeschlossen.22 Das alleinige Vorbringen eines gesetzwidrigen Verhaltens der Verwaltung, um diese im öffentlichen Interesse zu kontrollieren, ist im Wege einer verwaltungsgerichtlichen Klage nicht möglich.23 Der weitgehende Ausschluss von Popularklagen im Rahmen des individualrechtsschützenden Systems wird zum einen damit begründet, dass sich eine ÜberBühler, Ottmar, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 261 ff. 17 Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 424 f. 18 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 13 f. 19 Zu diesbezüglichen Einschränkungen bei der bayerischen Popularklage sogleich. 20 Skouris, Wassilios, Verletztenklage und Interessentenklage im Verwaltungsprozess, 1979, S. 7. 21 Zu dieser Funktion der Klagebefugnis u. a. BVerwGE 17, 87 (91); BVerwGE 36, 192 (199); BVerfGE 83, 182 (196). 22 Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 32. 23 Henke, Wilhelm, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 137, der die Popularklage nach diesem Verständnis nicht als Klage im Rechtssinne, sondern als Petition beschreibt.
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
lastung der Gerichte mit querulatorischen Klagen so eindämmen ließe. Weiterhin müsse auf eine allgemeine Popularklage auch aus Rechtssicherheitsgründen verzichtet werden. Die im Sinne einer Popularklage für jedermann bestehende Befugnis, vermeintlich rechtswidriges Verhalten der Verwaltung anzugreifen, müsste konsequenterweise unbefristet möglich sein. Eine endgültige Regelung durch die Verwaltung würde dann aber niemals erfolgen. Darüber hinaus träte im deutschen Verwaltungsprozess eine weiter gehende Anerkennung der Popularklage in Widerspruch mit dem durch § 80 VwGO geregelten grundsätzlichen Suspensiveffekt verwaltungsgerichtlicher Klagen. Könnte ein jeder mit aufschiebender Wirkung gegen Entscheidungen der Verwaltung Klage erheben, käme es zu einer weitgehenden Lähmung der Exekutive.24 Die grundsätzlich aufschiebende Wirkung verwaltungsgerichtlicher Klagen, aber auch die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes seien vielmehr ein bezeichnendes Merkmal einer auf subjektiven Rechtsschutz und Verletztenklagen ausgerichteten Rechtsordnung.25 Eine Besonderheit mit Blick auf die grundsätzlich in Deutschland getroffene Systementscheidung für den Individualrechtsschutz stellt die bayerische Popularklage dar. Gemäß Art. 98 Satz 4 der Bayerischen Verfassung hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht – der Bayerischen Verfassung – verfassungswidrig einschränken. Nach Art. 55 Abs. 1 Satz 1 BayVerfGHG ist jedermann dazu berechtigt, eine Rechtsvorschrift des bayerischen Landesrechts vor dem Verfassungsgerichtshof auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben der Bayerischen Verfassung hin überprüfen zu lassen. Auf die Geltendmachung der Verletzung eigener Rechte kommt es nicht an. Im Rahmen der Zulässigkeit muss der Popularkläger gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 2 BayVerfGHG in seiner Auslegung durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof jedoch substantiiert darlegen, inwiefern nach seiner Auffassung überhaupt ein durch die Bayerische Verfassung verliehenes Grundrecht verfassungswidrig durch die angegriffene Norm eingeschränkt wurde.26 Nach der heutigen Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs besteht in Bezug auf den Prüfungsmaßstab sodann jedoch keine Begrenzung mehr. Die angegriffene Norm wird nach dem „Überspringen“ dieser Zulässigkeitsschwelle auf ihre Vereinbarkeit mit der gesamten Bayerischen Verfassung überprüft.27
24 Zum Ganzen Skouris, Wassilios, Verletztenklage und Interessentenklage im Verwaltungsprozess, 1979, S. 9. 25 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 9; Kadelbach, Stefan, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 379 f.; Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 420. 26 BayVerfGHE 53, 196 (296); Meder, Theodor, Die Verfassung des Freistaates Bayern Handkommentar, Art. 98 Rdnr. 14. 27 Ständige Rechtsprechung des BayVerfGH; vgl. u. a. BayVerfGHE 55, 57 (60); BayVerfGHE 59, 134 (138); BayVerfGHE 60, 234 (244); BayVerfGHE 62, 30 (36).
A. Subjektiver Rechtsschutz oder objektive Rechtskontrolle
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c) Grundsätzlicher Ausschluss der Interessentenklage Im deutschen individualrechtsschützenden System ist grundsätzlich neben der Popularklage auch keine Interessentenklage vorgesehen. Im Gegensatz zur Popularklage ist für die Interessentenklage nicht kennzeichnend, dass jegliche Beziehung des Klägers zu dem Klagegegenstand fehlen kann. Auch ein auf Interessentenklagen ausgerichtetes Rechtsschutzsystem hat sich grundsätzlich gegen die Legitimität von Popularklagen entschieden. Vielmehr wird unter einer Interessentenklage eine Klage desjenigen verstanden, der einen irgendwie gearteten, aber messbaren Vorteil aus seinem Vorgehen gegen die Verwaltungsentscheidung zieht.28 Das Interesse kann hierbei materiell, ideell, unmittelbar, mittelbar, aktuell oder zukünftig sein.29 Dennoch liegt der Schwerpunkt der gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen in einem System, das auf Interessentenklagen ausgerichtet ist, regelmäßig auf der objektiv-rechtlichen Rechtmäßigkeit der Entscheidung.30 Eine subjektive Rechtsverletzung durch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns ist für die Aufhebbarkeit der Entscheidung gerade nicht notwendig und von den Gerichten auch nicht zu prüfen.31 Im Gegensatz zu einer Verletztenklage stellt die Interessentenklage auf ein reines Aufhebungsinteresse ab, das schon bei objektiver Rechtswidrigkeit gegeben sein kann. Es gilt durch die Systementscheidung für den subjektiven Rechtsschutz, dass derjenige, der ein eigenes Interesse an der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung hat, dieses Interesse so lange nicht im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durchsetzen kann, wie er nicht zugleich auch durch die Entscheidung in subjektiven Rechten verletzt ist.32 Bei einer rein tatsächlichen, das heißt also nicht normativ erfassten, Betroffenheit des Bürgers von einer Verwaltungsentscheidung, wird gerichtlicher Rechtsschutz nicht gewährleistet.33 Eine 28 Skouris, Wassilios, Verletztenklage und Interessentenklage im Verwaltungsprozess, 1979, S. 11. 29 Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 365; Skouris, Wassilios, Verletztenklage und Interessentenklage im Verwaltungsprozess, 1979, S. 11; Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 33. 30 Skouris, Wassilios, Verletztenklage und Interessentenklage im Verwaltungsprozess, 1979, S. 12; Schwerdtfeger, Angela, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 53; Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 33 f.; Gebhardt, Georg, VBlBW 2007, 1 (5). 31 Skouris, Wassilios, Verletztenklage und Interessentenklage im Verwaltungsprozess, 1979, S. 12. 32 Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 365; Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 6; Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 429; Baumgartner, Ulrich, Die Klagebefugnis nach deutschem Recht vor dem Hintergrund der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 15. 33 Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 365; Schwerdtfeger, Angela, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der AarhusKonvention, 2009, S. 60.
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
Ausnahme zu der beschriebenen allgemeinen Systementscheidung für den Schutz subjektiver Rechte musste allerdings vor allem wegen unionsrechtlicher Vorgaben im Rahmen des Umweltrechts geschaffen werden. Auf diese aktuellen Entwicklungen beim Zugang zu deutschen Verwaltungsgerichten wird unter Kapitel 4 A. I. 2. näher eingegangen. d) Weitere Folgen der deutschen Systementscheidung Über diese konkreten Auswirkungen der Systementscheidung auf die Klagemöglichkeiten hinaus hat sie auch Konsequenzen für die Bewertung des Verhältnisses zwischen Exekutive und Legislative. Der Fokus der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf den subjektiven Rechtsschutz gibt eine eindeutige Grenze zwischen Verwaltung und Gericht vor. Bei einer objektiv-rechtlichen Kontrollmöglichkeit durch das Gericht sind hingegen dessen Entscheidungs- und Kontrollkompetenzen nicht in einer solchen Weise eingeschränkt. Ein Gericht, dessen Aufgabe zuvörderst darin besteht, den Einzelnen in seinen Rechten zu schützen, setzt sich seltener dem Vorwurf eines „Hineinregierens“ in Aufgaben der Exekutive aus, als ein Gericht, dessen Aufgabe vordergründig in der Herstellung objektiv-rechtmäßiger Zustände liegt.34 Gleichzeitig bewirkt eine umfassende, auf die Einhaltung des gesamten objektiven Rechts gerichtete Klagemöglichkeit aber auch eine umfassendere Kontrolle des exekutiven Handelns.35 Diese Beschränkung der gerichtlichen Kompetenz steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit der in Kapitel 2 dargestellten umfassenden inhaltlichen Kontrollbefugnis deutscher Gerichte. Das Verwaltungsgericht hat die Befugnis und die Aufgabe, das Handeln der Verwaltung umfassend zu überprüfen, dies jedoch nur insoweit, als dieses Handeln in die Rechte Betroffener eingreifen kann, deren Schutz den Gerichten obliegt. Eine weiter gehende inhaltliche Beschränkung der gerichtlichen Kontrollkompetenz ist sodann nicht mehr notwendig, da ein „Hineinregieren“ in Bereiche der Exekutive schon durch die Ausrichtung auf den gerichtlichen Individualrechtsschutz verhindert werden kann. 2. Individualrechtsschutz unter europäischem Einfluss Vergleichbar mit der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie beim Vollzug unionsrechtlicher Vorgaben ist es im Grundsatz auch Sache der Mitgliedstaaten, die gerichtliche Durchsetzung der Vorgaben nach ihrem jeweiligen Prozessrecht zu regeln.36 Hierbei sind die Mitgliedstaaten jedoch wiederum nicht vollkommen frei. 34 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 8; Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 28. 35 Skouris, Wassilios, Verletztenklage und Interessentenklage im Verwaltungsprozess, 1979, S. 10. 36 EuGH, Urteil vom 16. 12. 1976, Rs. 33/76, REWE, Slg. 1976 – 1989, Rdnr. 5; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1978, Rs. 45/76, Comet, Slg. 1976 – 2043, Rdnr. 12; EuGH, Urteil vom 14. 12.
A. Subjektiver Rechtsschutz oder objektive Rechtskontrolle
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Zunächst wirkt sich das Effektivitätsgebot, wonach nationale Verfahrensvorschriften die Ausübung durch das europäische Recht verliehener Rechte nicht übermäßig erschweren oder praktisch unmöglich machen dürfen, auf die Gestaltung der Rechtsschutzmöglichkeiten durch die Mitgliedstaaten aus. Ebenso ist das Äquivalenzprinzip, nach dem das mitgliedstaatliche Recht die Rechtsausübung bei Bezügen zum Unionsrecht nicht weniger günstig gestalten darf, als dies bei der Anwendung rein innerstaatlichen Rechts der Fall wäre, zu beachten.37 Stets muss sich ein Verwaltungsgericht also fragen, ob die Anwendung des nationalen Verwaltungsprozessrechts – insbesondere durch Klagefristen oder andere „Zugangsbeschränkungen“ – in einem konkreten Fall die Durchsetzung materieller unionsrechtlicher Vorgaben verhindert oder erschwert.38 Darüber hinaus stellt sich aber auch noch die Frage, ob durch das europäische Recht eine Umgestaltung des deutschen Rechtsschutzsystems mit seiner Ausrichtung auf den Schutz subjektiver Rechte notwendig wird. Vor allem dem „allgemeinen Dissens“39 zwischen der dem Rechtsschutzsystem Frankreichs zu Grunde liegenden Interessentenklage, die auch in die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eingegangen ist, und dem deutschen Konzept der Verletztenklage ist es geschuldet, dass das deutsche Individualrechtsschutzsystem als unter Druck geraten angesehen wird.40 Auch wo das europäische Recht zu ihrer Einklagbarkeit durchaus eine Schutzwirkung der verletzten Norm – mithin einen über rein objektives Recht hinausgehenden Charakter – fordert, bezieht sich diese Schutzwirkung zumeist auf personale Rechtsgüter im Allgemeinen und nicht wie nach der strengeren Schutznormtheorie des deutschen Rechtssystems auf die individuellen Rechtspositionen gerade des Klägers.41
1995, Rs. C-312/93, Peterbroeck, Slg. 1995, I-4599, Rdnr. 12; EuGH, Urteil vom 20. 9. 2001, Rs. C-453/99, Courage und Crehan, Slg. 2001, I-6297, Rdnr. 29; EuGH, Urteil vom 11. 9. 2003, Rs. C-13/01, Safalero, Slg. 2003, I-8679, Rdnr. 49; EuGH, Urteil vom 13. 7. 2007, Rs. C-432/ 05, Unibet, Slg. 2007 I-02271, Rdnr. 39. 37 Ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs; vgl. EuGH, Urteil vom 15. 4. 2010, Rs. C-542/08, Barth gegen Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Slg. 2010 I-03189. 38 Schoch, Friedrich, Die Europäisierung der Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507 (514 und 520). 39 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 25. 40 Diese Beobachtung wird bereits seit geraumer Zeit geäußert; vgl. u. a. Ruffert, Matthias, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 316 ff.; Wegener, Bernhard, Rechte des Einzelnen: die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998, S. 292 ff.; Pache, Eckhard, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 419 ff.; Steinberg, Rudolf, AöR 120 (1995), 549 (583 ff.); Woehrling, Jean-Marie, NVwZ 1998, 462 (464 f.); Schoch, Friedrich, NVwZ 1999, 457 (457 f., 465 ff.). 41 Schoch, Friedrich, Gerichtliche Verwaltungskontrolle, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III § 50 Rdnr. 154 ff.; Gärditz, Klaus Ferdinand, JuS 2009, 385 (389 f.); zu daher möglicherweise notwendig wer-
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
Zunächst stehen sich hier auf konzeptioneller Ebene zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die Rolle des Bürgers innerhalb des Rechtssystems gegenüber: Während in Deutschland der Einzelne vor allem als Träger materieller Freiheitsrechte mit den Grundrechten im Mittelpunkt der Rechtsordnung angesehen wird, tritt der Bürger im Unionsrecht vermehrt als Garant für die Anwendung und Durchsetzung des Rechts auf.42 Diese „Mobilisierung des Bürgers“43 oder „funktionale Subjektivierung“44 hat bedeutende praktische Gründe. So ist insbesondere im Bereich des unionsrechtlichen Direktvollzugs der Vollzug durch die Kommission allein, etwa im EU-Kartell-, Beihilfen- und Außenwirtschaftsrecht, schlicht überfordert und damit auf eine Einbeziehung des Einzelnen oder eines Unternehmen durch großzügige Klagebefugnisse angewiesen.45 Bemerkenswert ist, dass gerade dort, wo es dem europäischen Gesetzgeber möglich gewesen wäre, die Mitgliedstaaten zur allgemeinen Einführung einer Interessentenklage zu bewegen, dieser Weg nicht gewählt wurde. So sieht die europäische Umsetzung des relevanten Teils der Aarhus-Konvention durch die Öffentlichkeitsbeteiligungs-Richtlinie46 und die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung,47 wie Art. 9 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 der Konvention selbst, eine Optionslösung für eine Interessenten- oder Verletztenklage der betroffenen Öffentlichkeit vor. Solange danach die Möglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes in Bezug auf die durch die Konvention und die sie umsetzenden europäischen Rechtsakte gewährten Rechte sichergestellt ist, verpflichtet das europäische Recht nicht zur Einführung einer Interessentenklage und damit zur Abschaffung des Individualrechtsschutzsystems. Auch im Zuge der zur Umsetzung der Aarhus-Konvention notwendigen Einführung einer umweltrechtlichen Verbandsklage wurde das Individualrechtsschutzmodell nicht grundsätzlich aufgegeben, sondern lediglich denden Veränderungen der herkömmlichen deutschen Schutznormtheorie siehe noch Kapitel 4 B. I. 1. c) cc) (3) (b). 42 Schoch, Friedrich, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507 (516); Schmidt-Preuß, Matthias, NVwZ 2005, 489 (492); dazu vertiefend Masing, Johannes, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 19 ff. 43 Masing, Johannes, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997. 44 Ruffert, Matthias, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 222 f.; ders., DVBl. 1998, 69 (71). 45 Schmidt-Preuß, Matthias, NVwZ 2005, 489 (493 f.). 46 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme vom 26. 5. 2003, RL 2003/35/EG, ABl. EU 2003 Nr. L 156/17. 47 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/ EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG.
A. Subjektiver Rechtsschutz oder objektive Rechtskontrolle
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modifiziert. Zunächst sah § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a.F. vor, dass auch die anerkannten Umweltvereinigungen, denen hierdurch ein Klagerecht eingeräumt wurde, allein die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte, wenn auch nicht eigener Rechte, geltend machen konnten. Kreiert wurde so eine „schutznormakzessorische Verbandsklage“.48 Eine Pflicht zur Einführung einer allgemeinen – das heißt von der Betroffenheit in subjektiven Rechten unabhängigen – Klagemöglichkeit für Umweltvereinigungen wurde in der Aarhus-Konvention oder in den sie umsetzenden europäischen Rechtsakten nicht gesehen.49 Diese Einschätzung hat der EuGH jedoch zwischenzeitlich in seinem Trianel-Urteil50 zurückgewiesen: Eine hinreichende Umsetzung des Art. 10a Abs. 3 der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung, die im Lichte der Ziele der Aarhus-Konvention zu lesen sei, sei durch § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a.F. insoweit nicht erfolgt. Vielmehr müsse es Umweltverbänden nach den unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere auch nach dem Effektivitätsgebot, möglich sein, umfassend eine Verletzung von europäischem Umweltrecht geltend zu machen. Eine Beschränkung auf die Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Rechte auch für die Klagen von Umweltverbänden sei damit mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbaren.51 In Reaktion hierauf sah § 2 Abs. 1 UmwRG sodann vor, dass Umweltverbände umfassend die Verletzung zumindest von Umweltvorschriften rügen können. Auch eine Differenzierung zwischen unionsrechtlich vorgegebenen und nationalen Umweltvorschriften wurde aufgegeben. Mit dem Gesetz zur Anpassung des UmwRG und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben vom 29. 5. 201752 wurde schließlich auf Kritik53 an der Beschränkung auf die Rüge umweltbezogener Rechtsvorschriften reagiert und diese Voraussetzung für Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG – d. h. für UVP-pflichtige Vorhaben – gestrichen. Eine Verletzung von umweltbezogenen Rechtsvorschriften muss nunmehr gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG nur noch bei Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a bis 6 UmwRG geltend gemacht werden, für die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht zwingend vorgeschrieben sind. Bislang ist damit aus dem europäischen Recht keine Pflicht zur vollständigen Aufgabe des Individualrechtsschutzsystems gefolgert worden, solange punktuell
48
Koch, Hans-Joachim, NVwZ 2007, 369 (378 f.). So auch noch Schmidt-Preuß, Matthias, NVwZ 2005, 489 (495 f.). 50 EuGH, Urteil vom 12. 5. 2011, Rs. C-115/09, BUND gegen Bezirksregierung Arnsberg (Trianel), Slg. 2011, I-3701. 51 EuGH, Urteil vom 12. 5. 2011, Rs. C-115/09, BUND gegen Bezirksregierung Arnsberg (Trianel), Slg. 2011, I-3701, Rdnr. 45 ff. 52 UmwRGuaAnpG; BGBl. I, 1298. 53 Vgl. dazu nur Bunge, Thomas, ZUR 2015, 532 (534); Grunow, Moritz/Salzborn, Nadja, ZUR 2015, 156 (157 f.), m.w.N. und jeweils mit einem Verweis auf Feststellungen der 5. Tagung der Aarhus-Vertragsparteien im Juli 2014. 49
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
dessen Vorgaben zur Einführung einzelner weiter gehender Kontrollmechanismen eingehalten werden.54
II. Systementscheidung für objektive Rechtskontrolle oder subjektiven Rechtsschutz in England? Wie gesehen, ist das deutsche Rechtsschutzsystem traditionell eindeutig auf den subjektiven Rechtsschutz ausgelegt. Es stellt sich die Frage, ob das judicial review proceeding oder das Kontrollsystem vor den administrativen Tribunalen in ihren heutigen Ausgestaltungen einer der beiden oben beschriebenen Systeme – dem Individualrechtsschutz oder der objektiven Rechtskontrolle – zugeordnet werden können. Auch in England wird die Wahrung der Rechte der von einer Verwaltungsentscheidung betroffenen Bürger zunächst als eine entscheidende Aufgabe der Verwaltungskontrolle gesehen.55 Es wird auch eine Unterscheidung getroffen zwischen dem Recht – the law –, welches das gesamte objektive Recht nach dem deutschen oder kontinentaleuropäischen Verständnis umfasst, und den Rechten Einzelner – rights, teilweise wird aber auch angelehnt an das amerikanische Verständnis von interests gesprochen –, welche die Bedeutung des subjektiven Rechts einnehmen.56 Auch haben die Gerichte im englischen Rechtssystem prinzipiell nur konkrete, zwischen Parteien tatsächlich streitige Rechtsfragen zu klären. Allein dem AttorneyGeneral ist es danach grundsätzlich möglich, dem Gericht allgemeine Rechtsfragen zur Klärung vorzulegen.57 Eine klare Einordnung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes als allein objektiv-rechtliches System ist damit nicht wahrscheinlich. Der Terminus der rights entstammt jedoch zunächst dem Privatrecht und soll traditionell nicht ein Recht des Einzelnen gegenüber dem Staat beschreiben.58 Auch ist der Zugang zu Gericht im Rahmen der öffentlichen Klagearten der prerogative writs in Bezug auf das geltend zu machende Interesse seit jeher weiter als im Rahmen der als rein privatrechtlich angesehenen Klagearten gewesen.59 Seitdem das Staats- und Verwaltungsrecht auch in England eine gewisse Emanzipation als eigenes Rechts54 Zur Ausweitung des als subjektiv verstanden Rechts durch das europäische Recht sogleich Kapitel 4 B. I. 1. c) cc) (3) (b). 55 Endicott, Timothy, Administrative Law, S. 249; Feldman, David, MLR 55 (1992), 44 (48); Schmidt-Aßmann, Eberhard/Krämer, Hannes, EuZöR, 1993, special number, 99. 56 Samuel, Geoffrey, CLJ 1987, 264 f.; vgl. auch bereits Boyes v Paddington Borough Council (1903) 1 Ch 109 (114), wo es heißt, ein Einzelner könne unter anderem dann gegen Akte öffentlicher Gewalt vorgehen, wenn sie ihn in besonderer Weise selbst beträfen. 57 Gouriet v Union of Post Office Workers (1978) AC 435; Craig, Paul, Administrative Law, S. 780 f. Rdnr. 25 – 034. 58 Samuel, Geoffrey, CLJ 1987, 264 (266). 59 Miles, Joanna, CLJ 2000, 133 (155 f.); zu der Aufteilung in prerogative und ordentliche Klagearten siehe Kapitel 2 B. II. 1. b) aa) (2).
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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gebiet erfahren hat, wird der Unterschied zu derartigen privatrechtlichen Begriffen und Konzepten immer wieder herausgestellt. So wurde festgestellt, dass die Grundregel, dass die Gerichte nur konkrete, die Parteien tatsächlich betreffende Rechtsfragen zu klären hätten, auf die gerichtliche Kontrolle staatlichen Handelns im Rahmen des judicial review proceedings nicht in dieser Allgemeinheit angewendet werden könne.60 Es wird besonders die Aufgabe der Gerichte betont, die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns im Allgemeinen sicherzustellen. Sie sollen unrechtmäßiges Handeln – wrongs – verhindern oder aufheben, nicht vordergründig Rechte – rights – schützen.61 Eine eindeutige, im deutschen Recht, wie gesehen, verhältnismäßig klar vorzunehmende Beschreibung einer Systementscheidung ist in England somit auch vor dem Hintergrund der graduellen Entwicklung des Verwaltungsprozesses nicht ganz so deutlich möglich.62 Gerade dem englischen Rechtssystem des case law und des sich stetig entwickelnden Rechts ohne kodifizierte Verfassung ist es geschuldet, dass eine klare durch den Gesetzgeber oder gar Verfassungsgeber getroffene Systementscheidung für subjektiven oder objektiven Rechtsschutz nicht zu finden sein wird. Obgleich die Betonung der allgemeinen Kontrollfunktion der Gerichte auf eine zumindest in Bezug auf das deutsche Rechtssystem stärker objektiv-rechtlich ausgerichtete gerichtliche Kontrolle schließen lässt, gilt es, verschiedene Gesetze und Gerichtsentscheidungen daraufhin zu untersuchen, in welche Richtung sich die Möglichkeit des Rechtsschutzes aktuell entwickelt. Dies bedarf daher einer genaueren Beschäftigung mit einzelnen Elementen des Rechtsschutzes und soll dementsprechend erst im weiteren Verlauf der Arbeit geklärt werden.
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle Obgleich im englischen Rechtssystem keine der Eindeutigkeit des deutschen Rechtssystems entsprechende Systementscheidung zwischen einem subjektiven und einem objektiven Rechtsschutzsystem ausgemacht werden kann, lässt sich doch 60 Inland Revenue Commissioners v National Federation of Self-Employed and Small Businesses Ltd. (1982) AC 617 (639, 649 und 657), auch zitiert als R v Inland Revenue Commissioners, ex parte National Federation of Self-Employed and Small Businesses Ltd. (1982) AC 617. 61 Sedley J in R v Somerset County Council, ex parte Dixon (1998) Env L.R. 111 (121): „Public law is not at base about rights; it is about wrongs – that is to say misuses of public power“; deutlich für das schottische Recht des Zugangs zu Gericht, das durch diesen Fall dem englischen angeglichen wurde, AXA General Insurance Ltd. v HM Advocate (2011) UKSC 46 Rdnr. 169; Samuel, Geoffrey, CLJ 1987, 264 (275); Varuhas, Jason, CLJ 2015, 215. 62 Craig, Paul, Administrative Law, S. 767 Rdnr. 25 – 013; Baumgartner, Ulrich, Die Klagebefugnis nach dem deutschen Recht vor dem Hintergrund der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 36; Schiemann, Konrad, PL 1990, 342 (352).
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
feststellen, dass in England zumindest eine Beschränkung auf den subjektiven Rechtsschutz nicht vorgesehen ist. Wie sich nun insbesondere die eindeutige deutsche Systementscheidung, aber auch die etwas zögerlichere des englischen Rechtssystems im Einzelnen auswirken, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen.
I. Der Zugang zu den Verwaltungsgerichten Zunächst muss man sich der Frage widmen, unter welchen Voraussetzungen der Einzelne sich überhaupt gegen Entscheidungen der Verwaltung zur Wehr setzen kann. Die Frage nach einer sinnvollen Beschränkung der Zugangsmöglichkeiten zu den Verwaltungsgerichten und nach den Voraussetzungen, unter denen der Einzelne in einem Rechtssystem Entscheidungen der Exekutive gerichtlich überprüfen lassen kann, ist auf verschiedene Arten durch verschiedene Rechtsordnungen beantwortet worden. 1. Die Zulassung verwaltungsgerichtlicher Klagen in Deutschland Nach deutschem Verständnis geht es in Bezug auf Zugangsbeschränkungen zunächst um Fragen der Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage, also darum, ob der Betroffene überhaupt die Möglichkeit haben soll, mit seinem Anliegen vor ein Verwaltungsgericht zu treten. a) Grundsatz der möglichen Verletzung eigener Rechte Die Systementscheidung für den subjektiven Rechtsschutz kommt besonders deutlich durch § 42 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck. Hier ist normiert, dass eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nur derjenige zulässig erheben kann, der die Verletzung eigener Rechte, das heißt also subjektiv-öffentlicher Rechte, die auch gerade dem Kläger zustehen, geltend machen kann. Schon hier muss der Kläger also die – mögliche63 – Verletzung einer Norm benennen, die nicht nur der Verwaltung eine Pflicht auferlegt, sondern die ihm persönlich einen Anspruch auf die Einhaltung dieser Pflicht einräumt. Schon in der Zulässigkeit hat der Kläger darzulegen, dass es eine Norm des subjektiven öffentlichen Rechts gibt, die möglicherweise von der Verwaltung in einer solchen Weise verletzt wurde, dass dies gerade für ihn eine 63 Nach der herrschenden Möglichkeitstheorie; vgl. u. a. Kopp, Ferdinand/Schenke, WolfRüdiger, VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 66; Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/ Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 67; Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 379; ständige Rechtsprechung des BVerwG, u. a. BVerwGE 60, 123 (125); BVerwGE 82, 246 (249); BVerwGE 92, 32 (35); BVerwGE 95, 333 (334 f.); BVerwGE 107, 215 (217), auch in Bezug auf die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bei Normenkontrollanträgen.
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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Rechtsverletzung bedeutet. Bereits in diesem Rahmen ist daher die Frage zu beantworten, ob die Norm, deren Verletzung geltend gemacht wird, überhaupt ein subjektiv-öffentliches Recht beinhaltet, ob dieses auch gerade dem Kläger zusteht und ob ein Verstoß gegen die Norm ihn dann auch konkret in seinen Rechten verletzen kann.64 Somit werden entscheidende Fragen des materiellen Rechts schon für die Zulässigkeit einer Klage ausschlaggebend.65 Zwar ist § 42 Abs. 2 VwGO direkt nur auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen anzuwenden; die Voraussetzung der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten aus § 42 Abs. 2 VwGO und damit die Begrenzung auf den Schutz subjektiver Rechte wird entsprechend jedoch auch auf alle anderen Klagearten der VwGO übertragen. Für die Fortsetzungsfeststellungsklage gilt allgemein, dass diese nur erheben kann, wer vor der Erledigung eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage hätte erheben können. Eine Berufung auf die Verletzung eigener Rechte muss für ihre Zulässigkeit daher ebenso notwendig sein.66 Auch auf die allgemeine Leistungsklage, die wie die Verpflichtungsklage der Durchsetzung subjektiv-öffentlicher Rechte dienen soll,67 wird § 42 Abs. 2 VwGO von der Rechtsprechung entsprechend angewendet.68 Zuletzt sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch Feststellungsklagen entweder unter entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO oder als Ausformung des zu fordernden Feststellungsinteresses nur dann zulässig, wenn der Kläger eigene Rechtspositionen geltend zu machen sucht. Es bedarf also ebenfalls nicht lediglich eines irgend gearteten berechtigten Interesses, sondern darüber hinaus eines subjektiven Rechts, das der Kläger geltend machen kann.69
64
Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 430 f. 65 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 43; Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 10; zu der Auswirkung dieser materiell-rechtlichen Prüfung auf die Begründetheitsprüfung siehe Kapitel 4 B. II. 1. a). 66 Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht Handkommentar, § 42 VwGO Rdnr. 44; Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 22. 67 Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner Verwaltungsrecht Handkommentar, § 42 VwGO Rdnr. 44. 68 Ständige Rechtsprechung des BVerwG, u. a. BVerwGE 36, 192 (199); 62, 11 (14); zwar gab es in der Literatur lange auch andere Ansichten, vgl. u. a. Rupp, Hans Heinrich, DVBl. 1982, 144 (146); Erichsen, Hans-Uwe, DVBl. 1982, 95 (100) – doch hat sich die entsprechende Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO in der Gerichtspraxis durchgesetzt. 69 Ständige Rechtsprechung des BVerwG, u. a. BVerwGE 99, 64 (66); BVerwGE 130, 52; hierzu Pietzcker, Jost, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 43 Rdnr. 29; dies wird allerdings nicht in gleichem Maße auch von der Literatur anerkannt, wie das bei den anderen oben aufgeführten Klagearten der Fall ist; vgl. Sodan, Helge in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 65, 372 ff.; Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 28 ff.
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
Die bloße Pflichtverletzung durch die Verwaltung reicht somit zumeist nicht aus, um überhaupt eine gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns zu erreichen. Auf eine reine Überprüfung des objektiven Rechts gerichtete Klagen sind regelmäßig schon nicht zulässig. Das subjektive öffentliche Recht erhält so eine allgemeine „Filterfunktion“70 der Überprüfungsmöglichkeit von Verwaltungsentscheidungen vor den Verwaltungsgerichten. b) Mögliche Ausnahmen Nicht in jedem Fall ist allerdings die Verletzung eigener subjektiver öffentlicher Rechte gemäß § 42 Abs. 2 VwGO geltend zu machen. Auch sind Durchbrechungen des Systems des subjektiven Rechtsschutzes in Deutschland durchaus vorgesehen und wirken sich unmittelbar auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen verwaltungsgerichtlicher Klagen oder Anträge aus. aa) Anderweitige gesetzliche Bestimmungen gemäß § 42 VwGO Das Erfordernis, sich auf die Verletzung eigener subjektiver Rechte berufen zu können, ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der oben aufgeführten verwaltungsgerichtlichen Klagearten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, § 42 Abs. 2, 1. Halbsatz VwGO. In der VwGO ist also eine Möglichkeit angelegt, auch objektive Rechtmäßigkeitsprüfungen zuzulassen. Im Rahmen solcher anderweitiger Bestimmungen können Elemente von Interessenten- oder Popularklagen sowie auf die objektive Rechtskontrolle ausgelegte Verbandsklagen in das verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzsystem eingeführt werden.71 Anderweitige Bestimmungen zur Klagebefugnis können sowohl im formellen Landes- als auch im formellen Bundesrecht enthalten sein. Ein explizierter Verweis auf die Klagebefugnis muss nicht vorliegen. Auch aus Inhalt und Zweck der Vorschrift kann sich der in ihr normierte Ausnahmecharakter zur Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO ergeben.72 Vor allem aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben im Bereich des Umweltrechts sind mittlerweile Ausnahmen vom System des Individualrechtsschutzes in die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgenommen worden. So wurden Verbänden im öffentlichen Interesse des Umweltschutzes Klagebefugnisse in § 2 UmwRG eingeräumt. Dies diente der Umsetzung der europäischen Öffentlichkeitsbeteiligungs-Richtlinie,73 die ihrerseits die völkerrechtlichen Vorgaben insbesondere des 70
BVerwGE 104, 115 (118). Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 37. 72 BVerwGE 28, 63 (Leitsatz 1); Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 37. 73 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme vom 26. 5. 2003, RL 2003/35/EG, ABl. EU 2003 Nr. L 156/17. 71
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention in die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung74 integriert hat. Wo auch im Übrigen ein allein auf den subjektiven Rechtsschutz begrenztes System der gerichtlichen Verwaltungskontrolle besondere Schwierigkeiten aufwirft – insbesondere im Naturschutzrecht, dessen Normen weitestgehend nicht Individualinteressen, sondern Allgemeininteressen zu schützen bestimmt sind –, hat der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung begrenzter Verbandsklagemöglichkeiten reagiert. So sieht § 64 BNatSchG vor, dass anerkannte Naturschutzvereinigungen Verletzungen von naturschutzrechtlichen Vorgaben rügen können, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein. bb) Antragsbefugnis bei der Normenkontrolle Keines Rückgriffs auf § 42 Abs. 2 VwGO bedarf es im Falle einer Normenkontrolle vor dem Oberverwaltungsgericht nach § 47 VwGO. Für diesen Fall ist die für die Zulässigkeit erforderliche Antragsbefugnis gesondert in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO geregelt. Inhaltlich ist hier jedoch für Normenkontrollanträge natürlicher und juristischer Personen kaum ein Unterschied zu dem Erfordernis der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO zu finden.75 Dieser Gleichlauf der Zulässigkeitserfordernisse kommt auch in der Gesetzesbegründung für die Neufassung des § 47 Abs. 2 VwGO aus dem Jahr 1997 zum Ausdruck.76 Auch bei einem Antrag auf eine Normenkontrolle spielt danach die Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Rechte im Rahmen der Zulässigkeit eine Rolle. Rechtsvorschriften sollen nicht unabhängig davon, ob sie Rechte des Einzelnen betreffen, einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht werden. Behörden müssen dem Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO entsprechend hingegen keine Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte geltend machen. Im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses wird aber zumindest ein objektives Kontrollinteresse verlangt.77
74 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/ EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG; zu den weiteren Auswirkungen dieser europäischen Vorgaben auf das deutsche System des Individualrechtsschutzes Kapitel 4 B. I. 1. c) cc) (3) (b). 75 Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht Handkommentar, § 42 VwGO Rdnr. 44, und Unruh, Peter, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 47 VwGO Rdnr. 67. 76 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/3993, S.10. 77 Unruh, Peter, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 47 VwGO Rdnr. 93.
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
c) Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte Die Ausrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf den Individualrechtsschutz führt dazu, dass derjenige, der Schutz vor den Verwaltungsgerichten suchen will, sich regelmäßig auf eine Norm berufen können muss, die ihm persönlich ein Recht zuspricht. Deutlich wird dies vor allem in Bezug auf den Rechtsschutz in Verbindung mit Verwaltungsakten im Rahmen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Der Kläger muss sich hier auf ein subjektives öffentliches Recht stützen können, dessen Verletzung ihm einen Anspruch auf Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsakts beziehungsweise einen Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts einräumt. Bei der Untersuchung von Rechtsvorschriften ist daher zwischen objektivem und subjektivem Recht zu unterscheiden. Das objektive Recht wird hierbei durch die Summe aller geschriebenen und ungeschriebenen Rechtssätze gebildet. Es bezeichnet die gesamte Rechtsordnung78 und enthält bestimmte Regelungen, die von seinen Adressaten eingehalten werden müssen. Im öffentlichen Recht ist Adressat grundsätzlich der Staat, dem eine bestimmte Pflicht auferlegt oder eine Befugnis eingeräumt wird. Allein die Pflicht zu einem bestimmten Verhalten des Staats zieht jedoch nicht zwingend den Anspruch des einzelnen Bürgers auf die Einhaltung dieser Pflicht nach sich. Die Mehrzahl der öffentlich-rechtlichen Normen ist im öffentlichen Interesse erlassen und beinhaltet objektiv-rechtliche Pflichten des Staats. Die Interessen des Einzelnen stehen oftmals nicht im Vordergrund, sondern werden als Teil des Allgemeininteresses geschützt.79 Denn Aufgabe des öffentlichen Rechts ist es zunächst, die Interessen aller, auch im Konfliktfall, miteinander in Einklang zu bringen und so das Allgemeininteresse bestmöglich zu schützen.80 Aus dieser Aufgabenzuweisung folgt aber auch, dass der Einzelne grundsätzlich nicht dazu ermächtigt ist, rein öffentliche oder allgemeine Interessen wahrzunehmen.81 Einen allgemeinen Gesetzesvollziehungs- oder Normbefolgungsanspruch des Bürgers soll es nicht geben.82 Dennoch gibt es Situationen, in denen der Einzelne eine übermäßige Geltendmachung der öffentlichen Interessen seitens des Staats zum Schutze seiner Individualinteressen abwehren oder Schutz (auch gegenüber Dritten) verlangen können 78
Voßkuhle, Andreas/ Kaiser, Anna-Bettina, JuS 2009, 16. Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht Handkommentar, § 42 VwGO Rdnr. 46. 80 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 58. 81 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 60; Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 43. 82 So nur und m.w.N. Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 122; Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 60, 70, 97; Voßkuhle, Andreas/Kaiser, Anna-Bettina, JuS 2009, 16 (17). 79
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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muss.83 Der Einzelne soll dann nicht bloßes Objekt des öffentlichen Rechts, sondern gerade Inhaber eigener Rechte, Befugnisse und Ansprüche gegenüber dem Staat sein.84 Das subjektive öffentliche Recht zeichnet sich damit dadurch aus, dass es dem Adressaten nicht bloß eine einseitige objektive Pflicht auferlegt, der Norm entsprechend zu handeln, sondern gerade dem Einzelnen einen Anspruch auf die Einhaltung dieser Pflicht oder einen solchen auf Schutz einräumt.85 aa) Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte Die Grundstruktur der Stellung des Einzelnen gegenüber der Verwaltung ist in Deutschland durch die Grundrechte des Grundgesetzes vorgegeben. Sie verpflichten über Art. 1 Abs. 3 GG nicht nur objektiv die gesamte öffentliche Gewalt, sondern stellen in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich auch subjektive Rechte dar, auf die sich der Einzelne berufen kann.86 Das Grundrecht als Abwehrrecht gegen den Staat ist im Lichte des Art. 1 Abs. 3 GG, aber auch Art. 19 Abs. 4 GG schon von Verfassung wegen unmittelbar als einklagbares subjektives Recht jedes Grundrechtsträgers ausgestaltet. Die Möglichkeit, sich unmittelbar auf die verfassungsrechtlich verbrieften Rechte zu berufen, ist gerade Ausdruck der vom Grundgesetz nach den Erfahrungen des totalitären Staats gewollten optimalen rechtlichen Wirksamkeit der Grundrechte.87 Allerdings ist es für eine Begründung der Klagebefugnis im einfachen verwaltungsgerichtlichen Verfahren regelmäßig notwendig, dass der Inhalt eines bestimmten subjektiven öffentlichen Rechts, das sich möglicherweise aus einem Grundrecht ableiten lässt, eine einfachgesetzliche Ausgestaltung erfahren hat.88 Es besteht insoweit ein Vorrang des einfachen Verwaltungsrechts bei der Suche nach 83 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 60. 84 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 60; Masing, Johannes, Der Rechtsstatus des Einzelnen im Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 7 Rdnr. 98 f.; Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 4. 85 So schon Bühler, Ottmar, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 11 f.; vgl. auch Detterbeck, Steffen, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 120 Rdnr. 396. 86 Detterbeck, Steffen, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 123 Rdnr. 403; Ramsauer, Ulrich, JuS 2012, 769 (772). 87 Isensee, Josef, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX § 191 Rdnr. 16. 88 Einer weiter gehenden Suche nach subjektiven öffentlichen Rechten bedürfte es nicht mehr, wenn ein jeder sich bereits bei einer Betroffenheit seiner Grundrechte gegen rechtswidrige Belastungen jeder Art zur Wehr setzen könnte und eine Diskussion darüber, ob einzelne einfachgesetzliche Normen subjektives öffentliches Recht darstellen oder nicht, wäre überflüssig; vgl. hierzu Zuleeg, Manfred, DVBl.1976, 509 (514 ff.): „das ganze Gewirr der Schutznormtheorie kann beiseite gewischt werden“; Ramsauer, Ulrich, JuS 2012, 769 (772 f.).
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
subjektiven öffentlichen Rechten.89 Besonders deutlich wird dies im Rahmen der Teilhabe- und Leistungsrechte: Eine einfachgesetzliche Ausgestaltung des subjektiven öffentlichen Rechts ist hier unumgänglich. Der genaue Anspruch des Einzelnen kann erst benannt werden, wenn er durch eine Rechtsnorm hinreichend konkretisiert wurde.90 Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Schutzfunktion der Grundrechte: Diese sind zunächst als objektiv-rechtliche Pflicht des Staats ausgestaltet, die dieser sodann, vor allem mittels einfachgesetzlicher Regelungen, zu erfüllen hat. Erst hieraus ist es dem Einzelnen dann regelmäßig möglich, subjektive Rechte abzuleiten.91 Es ist zwar grundsätzlich denkbar, dass ein Schutzanspruch des Einzelnen unmittelbar aus dessen Grundrechten abgeleitet werden kann. Die Grundrechte, beispielsweise das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG, geben dem Einzelnen insbesondere einen Anspruch auf Schutz vor Beeinträchtigungen durch Dritte. Dieser Anspruch findet jedoch wiederum seine Grenzen in den Grundrechten des beeinträchtigenden Dritten, denn dieser kann gegenüber der Verwaltung denselben Rechtsstatus beanspruchen wie der zu schützende.92 Über diesen allgemeinen Anspruch auf Schutz hinausgehend bedarf es für die Herleitung einklagbarer Rechte grundsätzlich einer weiteren angemessenen Ausgestaltung und Konkretisierung durch den Staat.93 Das konkretisierende Gesetz ist dann wiederum daran zu messen, ob es den grundrechtlichen Schutzgewährleistungen ausreichend gerecht wird.94 Grundsätzlich bedarf auch der von den Grundrechten gewährleistete Schutz vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen einer einfachgesetzlichen Ausformung. Erst dadurch wird die genaue Reichweite der subjektiven Rechte, die vor dem Verwaltungsgericht eingeklagt werden sollen, festgelegt.95 Das subjektive öffentli89 BVerfGE 78, 214 (226); BVerfGE 83, 182 (195); Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.),GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 127; Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Handkommentar Verwaltungsrecht, § 42 VwGO Rdnr. 68 f.; Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 392. 90 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 121. 91 Isensee, Josef, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX § 191 Rdnr. 10; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Grundrechtswirkungen im Verwaltungsrecht, in: Bender/Breuer/Ossenbühl/ Sender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 225 (232 f.). 92 Masing, Johannes, Der Rechtsstatus des Einzelnen im Verwaltungsrecht, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 7 Rdnr. 56. 93 BVerfG, NVwZ 2011, 991 (993); BVerfG, NVwZ 2008, 780. 94 BVerfGE 92, 26 (64); Detterbeck, Steffen, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 123 Rdnr. 405; Ramsauer, Ulrich, JuS 2012, 669 (772). 95 Masing, Johannes, Der Rechtsstatus des Einzelnen im Verwaltungsrecht, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I § 7 Rdnr. 72; Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 392; Pietzcker, Jost, „Grundrechtsbetroffenheit“ in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 131 (insbesondere S. 140).
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che Recht des Verwaltungsrechts kann, anders als die Grundrechte, die nur eine allgemeine Berechtigung garantieren können, konkrete Ansprüche des Einzelnen auf Leistung oder Abwehr festlegen.96 Eine stets mögliche unmittelbare Berufung auf die Grundrechte als subjektive Rechte vor dem Verwaltungsgericht würde die Gestaltungsmöglichkeiten des einfachen Gesetzgebers weitgehend aushöhlen. Das Grundgesetz gibt mit den Grundrechten dem einfachen Gesetzgeber vielmehr auf, im Rahmen des Verwaltungsrechts subjektives öffentliches Recht zu schaffen. Es wird von einem „Subjektivierungsauftrag“97 des Grundgesetzes an den einfachen Gesetzgeber gesprochen. Auch wird die Notwendigkeit konkreter subjektiver Rechte des einfachen Verwaltungsrechts vor allem in dreiseitigen Konstruktionen deutlich, in denen nicht nur ein Bürger von der Verwaltungsentscheidung betroffen ist, die Interessen der Betroffenen gegenläufig sind und sie sich gegebenenfalls sogar auf dasselbe Grundrecht berufen könnten.98 In diesen „Drittschutz“-Fällen muss der Gesetzgeber, gerade auch als Ausfluss seiner aus den Grundrechten folgenden Schutzpflicht,99 durch das materielle Recht aber auch durch eine geeignete Verfahrensgestaltung eine sachgerechte und ausgleichende Lösung finden, um dem Aufeinandertreffen mehrerer gegenläufiger grundrechtsgeschützter Positionen zu begegnen.100 Auch in Bezug auf den Grundrechtsschutz darf also nicht allein auf den Adressaten einer Maßnahme geblickt werden; vielmehr können auch Dritte durch Verwaltungsentscheidungen und die zu solchen führenden Verwaltungsverfahren in erheblichem Maße in ihren Grundrechten betroffen sein und müssen in solchen Fällen dann auch bei der Bewertung ihnen zustehender subjektiver öffentlicher Rechte bedacht werden.101 Die Grundrechte sind sodann nach einfachgesetzlicher Ausgestaltung wiederum heranzuziehen, um die einfachgesetzlichen Rechtsnormen zu interpretieren und gegebenenfalls verfassungskonform auszulegen. Das einfache Gesetzesrecht muss einen Konflikt zwischen widerstreitenden Grundrechtspositionen der Bedeutung dieser Grundrechtspositionen entsprechend lösen oder zumindest ein hierzu geeignetes Verfahrensrecht schaffen. Diese Bedeutung der Grundrechte im Rahmen der Systematik der subjektiven öffentlichen Rechte wird als „norminterne Wirkung“ be96 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 50; Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 121, spricht von der „Ausformungsbedürftigkeit der Grundrechte durch das einfache Recht“. 97 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 52. 98 Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 392; SchmidtAßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 121. 99 Schmidt-Aßmann, Eberhard, Grundrechtswirkungen im Verwaltungsrecht, in: Bender/ Breuer/Ossenbühl/Sender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 225 (232 f.). 100 BVerwGE 81, 329 (343); BVerwGE 89, 69 (78). 101 Zu der Schwierigkeit des Verwaltungsrechts insgesamt, die Rechte Drittbetroffener einzubeziehen, Pietzcker, Jost, „Grundrechtsbetroffenheit“ in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 131 (143 ff.).
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
zeichnet.102 Hierbei wirken die Grundrechte nicht aus sich heraus als subjektive Rechte, sondern dienen als Interpretations- und Auslegungshilfe einfachgesetzlicher Rechtsnormen. Fehlt es an einfachgesetzlichen Normen, die den vom Grundgesetz geforderten Mindestschutz der Grundrechte gewährleisten, wird teilweise die Möglichkeit eines direkten Rückgriffs auf Grundrechte zur Begründung der Klagebefugnis in Erwägung gezogen. Im Rahmen einer „normexternen Wirkung“ der Grundrechte103 soll sich derjenige, dem im Rahmen des einfachen Verwaltungsrechts kein subjektives öffentliches Recht zusteht, unmittelbar auf den Schutzbereich eines Grundrechts berufen können, sofern er eindeutig in seinen Rechten beeinträchtigt ist.104 Diese Eindeutigkeit der Betroffenheit wurde mit einer besonders intensiven Belastung des Einzelnen gleichgesetzt.105 In einem solchen Fall soll sich der Betroffene – zumeist nicht der Adressat einer Maßnahme106 – trotz fehlenden einfachen subjektiven Rechts unter unmittelbarer Geltendmachung seiner Grundrechte gegen die Beeinträchtigung vor den Verwaltungsgerichten wehren können. Hat der Gesetzgeber es versäumt, die einfachgesetzlichen Normen so auszugestalten, dass sie bei Betroffenheit des „verfassungsrechtlichen Garantiebereichs“107 dem grundrechtlich gebotenen Mindestschutz entsprechen, oder hat er im Falle einer grundrechtlichen Schutzpflicht108 deren ausreichende einfachgesetzliche Ausgestaltung versäumt, dann, aber nur dann, soll ein Rückgriff auf die Grundrechte als ursprüngliche Schutznormen
102 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.),GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 123; Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 394; Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 118 f.; Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 42 VwGO Rdnr. 68. 103 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.),GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 125; Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 395; Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 121 f.; Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 42 VwGO Rdnr. 69. 104 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 125. 105 Ständige Rechtsprechung des BVerwG insbesondere bei Nachbar- und Konkurrentenklagen: BVerwGE 32, 173 (178); BVerwGE 44, 244 (246 ff.); BVerwGE 60, 154 (158 ff.); BVerwG NJW 1982, 2513 (2515). 106 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 125. 107 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 126. 108 Schmidt-Preuß, Matthias, NVwZ 2005, 489 (490), spricht für den Fall, dass der Staat konfligierende Privatinteressen miteinander in Ausgleich bringen muss, von einem „Konfliktschlichtungsmandat“; wenn dieses nicht wahrgenommen wurde, können Grundrechte in normexterner Wirkung verfassungsunmittelbare Ansprüche begründen.
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möglich sein.109 Andererseits wird unter dem Begriff der „normexternen Wirkung“ der Grundrechte die Befugnis des Gerichts verstanden, richterrechtlich subjektives öffentliches Recht zu schaffen, wo das einfache Gesetz das grundrechtlich geforderte subjektivrechtliche Schutzniveau verfehlt und damit verfassungswidrig ist. Eine „normexterne Reservefunktion“ der Grundrechte über eine Vorlagepflicht des Gerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 GG hinaus soll es aber nicht geben.110 Subjektive öffentliche Rechte, die vor den Verwaltungsgerichten im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO geltend gemacht werden können, gibt es danach ausschließlich im einfachen Verwaltungsrecht, was das Richterrecht im Falle fehlenden Gesetzesrechts einschließt.111 Unabhängig vom Verständnis der „normexternen Wirkung“ der Grundrechte im Rahmen des Verwaltungsrechts ist stets vorrangig das einfache Verwaltungsrecht auf seine Qualität als subjektiv-öffentliches Recht hin zu untersuchen. Erst wenn ein solches Recht dem Einzelnen nicht zusteht, ist auf die Grundrechte zu blicken. In einem solchen Fall müssen diese herangezogen werden, um den von der Verfassung gewollten Schutz des Einzelnen zu ermitteln. Ist ein solcher Schutz von Verfassung wegen im zu untersuchenden Fall vorgesehen, so muss dieser auch gewährt werden, sei es durch unmittelbaren Rückgriff auf Grundrechte oder durch Richterrecht, das dem Schutzauftrag des Grundgesetzes entspricht. bb) Bedeutung subjektiver öffentlicher Rechte des Verwaltungsrechtskreises112 bei Adressaten- und Nichtadressatenklagen Verbreitet wird im Rahmen der „Adressatentheorie“ zu § 42 Abs. 2 VwGO anerkannt, dass jede Norm des öffentlichen Rechts subjektiv-rechtlicher Art sein muss, auf die sich der unmittelbare Adressat einer belastenden Verwaltungsentscheidung 109 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 126; Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 121; Detterbeck, Steffen, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 123 f. Rdnr. 407; Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 42 VwGO Rdnr. 69; Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 97; so hat das BVerwG beispielsweise einen verfassungsunmittelbaren Informationsanspruch eines Linienverkehrsbewerbers bei der Neuausschreibung von Linien nach dem Personenbeförderungsgesetz aus Art. 12 Abs. 1 GG angenommen, da das Gesetz eine Regelung zu Informationsrechten nicht enthielt und damit dem Neubewerber keine Chancengleichheit mit dem Alt-Unternehmer einräumte, der ohne Weiteres an die notwendigen Informationen kommen konnte: BVerwGE 118, 270 (274 f.). 110 Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 59. 111 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO Kommentar (Hrsg.), Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 51 ff. 112 Als Abgrenzung zu aus Grundrechten abgeleiteten subjektiven Rechten; vgl. hierzu Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 54.
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beruft.113 Dies wird vor allem vor dem Hintergrund der Elfes-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts114 zum Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG angenommen. Unmittelbar aus dessen Schutzbereich könne sich für den Adressaten einer belastenden Verwaltungsentscheidung stets ein subjektives öffentliches Recht ergeben, auf das sich dieser auch – vor allem im Rahmen der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO – unmittelbar vor dem Verwaltungsgericht berufen könne.115 Da die Grundrechtssphäre der allgemeinen Handlungsfreiheit für den Adressaten einer ihn belastenden Maßnahme immer berührt sei, habe dieser Adressat auch stets einen verfassungsrechtlich subjektivierten Anspruch auf Freiheit von unrechtmäßigen Eingriffen.116 So wird jeder Verstoß gegen objektives Recht zugleich zu einem Verstoß gegen subjektive Rechte des Adressaten – ihm wird im Ergebnis ein Anspruch auf die objektive Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zuerkannt. Darüber hinaus ist eine Entwicklung subjektiver öffentlicher Rechte des einfachen Verwaltungsrechts dann nicht mehr notwendig.117 Der oben beschriebene Vorrang des einfachen Gesetzes zur Begründung subjektiver öffentlicher Rechte und damit auch die Anwendung der Schutznormtheorie beschränkt sich demnach weitgehend auf Klagen „Dritter“118 sowie auf die Begründung von Leistungs- oder Schutzansprüchen. Versucht wurde jedoch darüber hinaus, auch für „Dritte“ Nicht-Adressaten ein subjektives öffentliches Recht stets aus Art. 2 Abs. 1 GG zu begründen. Auch eine allein faktische Betroffenheit in Grundrechten durch eine staatliche Maßnahme müsse dem Betroffenen einen Zugang zu Gericht eröffnen.119 Es wird dann unerheblich, ob es sich um den unmittelbaren Adressaten einer Maßnahme oder um einen rein faktisch Mitbetroffenen – einen Drittbetroffenen – handelt. Ein solches Verständnis würde aber die oben beschriebene Systementscheidung des deutschen Rechts für grundsätzlich subjektiven Verwaltungsrechtsschutz untergraben. Einen 113 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 115. 114 BVerfGE 6, 32 (insbesondere 41). 115 Siehe nur Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 128; Hufen, Friedhelm, Verwaltungsprozessrecht, § 14 Rdnr. 60. 116 Siehe nur Bauer, Hartmut, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 145. 117 Bauer, Hartmut, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 144. 118 So u. a. Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 95; Bauer, Hartmut, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 144; mit weiteren Nachweisen hierzu auch Pietzcker, Jost, „Grundrechtsbetroffenheit“ in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 131 (138); Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 845. 119 Lorenz, Dieter, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 51 ff.; Zuleeg, Manfred, DVBl. 1976, 509 (514 ff.); Hufen, Friedhelm, Die Verwaltung 32 (1999), 519 (534 ff.).
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allgemeinen Gesetzesbefolgungsanspruch gegen die Verwaltung soll es danach gerade nicht geben.120 Es muss daher in diesen Fällen bei dem Vorrang des einfachen Rechts zur Herleitung subjektiv-öffentlicher Rechte bleiben. Lehnt man die Möglichkeit der unmittelbaren Berufung auf Grundrechte vor den Verwaltungsgerichten zur alleinigen Begründung subjektiver öffentlicher Rechte gänzlich ab, muss eine unmittelbare Heranziehung von Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen der Adressatentheorie ebenso abgelehnt werden.121 Wie auch bei Nichtadressatenklagen ist dann für die einzelne als verletzt gerügte Norm deren subjektiv-rechtlicher Charakter durch Auslegung zu ermitteln. Der in Deutschland vorherrschend angestrebte Individualrechtsschutz macht jedoch bei Adressatenklagen grundsätzliche keinen Unterschied zwischen objektiver Rechtsbindung und subjektiv-rechtlichem Kontrollumfang.122 Anders als bei Nichtadressatenklagen wird daher der Schutznormcharakter der Norm zu vermuten sein.123 cc) Entwicklung der Lehre von den subjektiven öffentlichen Rechten – die Schutznormtheorie Aus dem Grundsatz der vorrangigen Heranziehung des einfachen Gesetzesrechts124 bei der Suche nach subjektiven öffentlichen Rechten insbesondere in Fällen mit Drittbetroffenheit folgt der Bedarf nach einer Einteilung der einfachgesetzlichen Rechtsnormen in subjektives und objektives öffentliches Recht. Einzelne Rechtsnormen des Verwaltungsrechts sind darauf zu untersuchen, ob sie dem Einzelnen ein subjektives Recht vermitteln. Teilweise verleihen Normen dem Einzelnen ausdrücklich Abwehr-, Leistungs-, Schutz- oder Gestaltungsrechte.125 In anderen Fällen liest sich der Normtext zunächst als Festlegung rein objektiv-rechtlicher Pflichten des Staats. Die Frage, ob zugleich ein subjektives und gegebenenfalls einklagbares Recht gewährleistet wird, ist hier nicht explizit beantwortet. Diese Normen müssen daher auf ihre rechteverleihende Qualität hin untersucht, also ausgelegt werden. Zur Beantwortung der Frage, welche Maßstäbe bei der Auslegung im Hinblick auf die 120 Siehe Kapitel 4 A. I. 1.; Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 60, 70, 97; Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 122. 121 So daher auch Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 116. 122 Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 49. 123 Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 49, 51. 124 BVerfGE 78, 214 (226); BVerfGE 83, 182 (195); Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 127; Sennekamp, Christoph, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 42 VwGO Rdnr. 68 f.; Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 392. 125 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 127; auch zum Folgenden.
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subjektive Qualität öffentlich-rechtlicher Normen angelegt werden sollen, wird bis heute vor allem auf die „Schutznormtheorie“ zurückgegriffen.126 (1) Ausgangspunkt der Schutznormtheorie Zurückzuführen ist die heutige Schutznormtheorie zunächst auf eine Begriffsbestimmung Ottmar Bühlers aus dem Jahr 1914.127 Hiernach soll subjektives öffentliches Recht einen Anspruch des Einzelnen gegenüber dem Staat darstellen, der ihm durch einen im Individualinteresse erlassenen Rechtssatz, auf den sich der Einzelne gegenüber der Verwaltung berufen kann, verliehen wurde.128 Es leitet sich schon nach dieser Begriffsbestimmung das subjektive öffentliche Recht aus einzelnen Normen des öffentlichen Rechts ab und nicht mehr aus einem allgemeinen Recht auf Freiheit von und Schutz vor ungesetzlichem Zwang, das von einschränkenden Gesetzen zunächst unabhängig ist. Von einer solchen Ableitung subjektivöffentlicher Rechte aus allgemeinen Freiheitsrechten, im Sinne eines Rechts Einzelner, eine Beschneidung seiner Freiheit durch den Staat abwehren zu können, war Georg Jellineks Statuslehre ausgegangen.129 Nach dem heutigen Verständnis ist es also Sache des Gesetzgebers, dem Einzelnen subjektive öffentliche Rechte einzuräumen.130 Hiernach kommt es für die Annahme eines subjektiven Rechts nicht auf die faktische Beeinträchtigung des Einzelnen an, sondern auf die rechtliche Auslegung einer Norm. Nur derjenige, dessen faktische Interessen auch vom rechtlichen Schutz einer Norm gedeckt sind, kann sich auch auf diesen Schutz berufen.131
126 Ständige Rechtsprechung des BVerfG und BVerwG, wenn auch nicht immer unter expliziter Nennung dieses Begriffs; vgl. u. a. BVerfGE 27, 297 (307); BVerfGE 46, 214 (229 f.); BVerfGE 51, 193 (212); BVerwGE 1, 83; BVerwGE 27, 29 (31 ff.); BVerwGE 32, 173 (174 f.); BVerwGE 41, 58 (63); BVerwGE 52, 122 (129); BVerwGE 61, 256 (262); BVerwGE 98, 118 (120); Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 127; Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 83 ff. 127 Für eine ausführliche Darstellung der historischen Herleitung der Lehre von den subjektiven öffentlichen Rechten siehe Bauer, Hartmut, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, zur Schutznormtheorie insbesondere S. 80 ff., S. 140 ff. 128 Bühler, Ottmar, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 224. 129 Jellinek, Georg, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 103. 130 Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 45; Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 95, wobei hier betont wird, dass der Erlass subjektive Rechte verleihender Normen dem Gesetzgeber vom Grundgesetz vorgegeben sei; Ramsauer, Ulrich, JuS 2012, 769 (770). 131 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 119, 128; Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 95; Ramsauer, Ulrich, JuS 2012, 769 (771).
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(2) Einzelne Elemente der Schutznormtheorie Eine Norm ist der Schutznormtheorie nach subjektives öffentliches Recht, wenn sie einen zwingenden Rechtssatz darstellt, der jedenfalls auch zum Schutz eines Individualinteresses erlassen wurde und dem Einzelnen die Rechtsmacht einräumt, vom Hoheitsträger die Einhaltung des in ihr angeordneten Verhaltensgebots zu verlangen.132 Während die Merkmale des zwingenden Rechtssatzes und das der eingeräumten Rechtsmacht bei der Bestimmung einer subjektiv-öffentlichen Norm an Bedeutung verloren haben, ist es heute vor allem das Ziel der Schutznormtheorie, durch Auslegung zu klären, ob die in Frage stehende Norm zumindest auch einem Individualinteresse zu dienen bestimmt ist und welches Interesse dies im Einzelfall ist.133 (a) Rechtssatz Das subjektive öffentliche Recht setzt zunächst einen Rechtssatz voraus, der einen Träger öffentlicher Gewalt verpflichtet.134 Der Rechtssatz muss zwingendes Recht statuieren. In ihrer ursprünglichen Formulierung sollte dieses Element der Schutznormlehre vor allem Normen ausschließen, die der Verwaltung ein freies Ermessen zugestehen.135 Mittlerweile ist jedoch anerkannt, dass dem Einzelnen auch ein subjektives öffentliches Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung zustehen kann. Auch Bestimmungen, die der Verwaltung ein Ermessen einräumen, sind Normen mit zwingendem Charakter. Ihnen ist die Pflicht immanent, das Ermessen gemäß § 40 VwVfG in den gesetzlich vorgegebenen Grenzen auszuüben.136 Die Einhaltung dieser Grenzen kann gemäß § 114 S. 1 VwGO auch gerichtlich überprüft werden. Das Merkmal des zwingenden Rechtssatzes macht die Normgebundenheit des subjektiven öffentlichen Rechts nach heute allgemeinem Verständnis deutlich.137 Im 132 Ständige Rechtsprechung des BVerwG; vgl. u. a. BVerwGE 1, 83; BVerwGE 27, 29 (31 ff.); BVerwGE 55, 122 (128); BVerwGE 72, 226 (229 f.); BVerwGE 111, 276 (280); Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 95. 133 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 128. 134 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 131. 135 Bühler, Ottmar, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 21 ff, S. 158 und S. 174. 136 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 135; Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 77. 137 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 118 ff.; Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S.149; kritisch und die Notwendigkeit einer Normgebundenheit subjektiver öffentlicher Rechte ablehnend Henke, Wilhelm, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 57 ff.
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
Rahmen der durch das Grundgesetz niedergelegten Vorgaben hat der Gesetzgeber zu entscheiden, inwiefern er dem Einzelnen Rechte und Ansprüche gegen den Staat einräumt.138 Die Ableitung eines subjektiven öffentlichen Rechts aus einer rein tatsächlichen Begebenheit ohne normative Verankerung ist danach nicht denkbar.139 (b) Schutz eines Individualinteresses Im Mittelpunkt der Schutznormtheorie in ihrer heutigen Anwendung steht die Frage, ob die Norm allein allgemeinen Interessen oder zumindest auch Individualinteressen zu dienen bestimmt ist. Inwiefern eine öffentlich-rechtliche Norm Individualinteressen nicht nur als Teil des Allgemeininteresses, sondern als solche schützt, wird durch die Auslegung der Norm ermittelt.140 Die Regelung muss die Schutzrichtung nicht explizit festlegen. Es bedarf keiner ausdrücklichen Aussage darüber, ob ein Einzelner die Einhaltung der Norm vor den Verwaltungsgerichten verlangen darf.141 Die Auslegung der Norm muss vielmehr ergeben, dass sie dem Einzelnen einen Anspruch auf ihre Einhaltung zugestehen will, weil sie gerade auch seine Interessen schützen soll. Wird die subjektive Schutzrichtung dem Wortlaut der Norm nach weder zwingend ausgeschlossen noch klargestellt, wird heute vorrangig der Zweck der Norm untersucht. Es ist danach zu fragen, inwieweit die Norm den durch sie verbürgten Schutz dem Rechtskreis eines Einzelnen zuordnen will.142 Verbreitet wird auf eine Abgrenzbarkeit und Bestimmbarkeit des geschützten Personenkreises und Interesses abgestellt. Es fehlt an der individuellen Schutzrichtung einer Norm, wo der Kreis derjenigen, die jeweils von der Norm geschützt werden sollen, sowie das jeweils geschützte Interesse nicht bestimmbar sind.143 Wo hingegen der Schutz eines erkennbar abgrenzbaren Kreises bezweckt ist, ist auf eine subjektivrechtliche Ausrichtung der Norm zu schließen.144 Bei der Bestimmbarkeit des geschützten Kreises und der geschützten Interessen geht es nicht um eine zahlenmäßige 138 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 75 f.; Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 120; Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 47 f. 139 Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S.174; Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 46; Schoch, Friedrich, NVwZ 1999, 457 (458). 140 Ständige Rechtsprechung des BVerwG, u. a. BVerwGE 107, 215 (220); dazu statt vieler Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 9; m.w.N. Bauer, Hartmut, Geschichtliche Grundlage der Lehre vom subjektiv öffentlichen Recht, 1986, S. 140. 141 Ramsauer, Ulrich, JuS 2012, 786 (771). 142 Nur BVerwGE 81, 329 (334); Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 139. 143 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 141; Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 84. 144 Siehe beispielsweise zur Subjektivierung bei dem an sich objektiv-rechtlichen Gebot der Rücksichtnahme im Bauplanungsrecht im Fall „einer qualifizierten und zugleich individualisierten“ Rücksichtnahme auf „schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter“ BVerwGE 52, 122 (131).
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Benennung einzelner Begünstigter; vielmehr muss aus den Tatbestandsmerkmalen der Norm eine Individualisierbarkeit zu erkennen sein.145 Wenn Dritte erkennbar von einer Regelung in qualifiziertem Maße betroffen werden, ihr Interesse also als rechtlich schützenswert anzusehen ist, war der Gesetzgeber auch verpflichtet, diesen Dritten eine subjektiv-rechtliche Position einzuräumen.146 Die Auslegung soll damit nicht nur Aufschluss darüber geben, ob die Norm Individualinteressen zu schützen bestimmt ist, sondern ebenso, wessen Interessen im Einzelnen geschützt werden sollen. So haben beispielsweise die Vorschriften des Brandschutzes auch individualrechtsschützenden Charakter, jedoch nur in Bezug auf Nachbarn im Sinne des Baurechts.147 Dass eine solche Auslegung der Schutzrichtung der Norm Schwierigkeiten bereiten kann und Allgemeininteressen auch immer da geschützt werden, wo der Individualschutz beabsichtigt ist, wurde schon zu Zeiten der grundlegenden Formulierungen zur Schutznormtheorie erkannt.148 Auch kann der Einzelne durchaus durch Normen tatsächlich begünstigt werden, die allein im Allgemeininteresse erlassen wurden. Hierbei handelt es sich aber um einen bloßen Rechtsreflex und nicht um einen gesetzlich bezweckten Schutz des Individualinteresses.149 Versteht man die Aufgabe des öffentlichen Rechts als Ausgleich verschiedener Interessen – auch oder vor allem privater150 –, ergibt sich hieraus eine Auslegungshilfe bei der Bestimmung einer subjektiv-rechtlichen Qualität einer Norm. Eine subjektiv-rechtliche, individuelle Interessen schützende Orientierung der Norm wird immer dort anzunehmen sein, wo das öffentliche Recht in Fällen, in denen mehrere Bürger von einer Verwaltungsentscheidung berührt werden – so genannte „mehrpolige Rechtsverhältnisse“151 –, die verschiedenen Interessen Privater gegeneinander abgewogen und in Ausgleich zueinander gebracht hat.152 Hier wurden 145 Etwa BVerwG NVwZ 1987, 409, zu drittschützenden Normen des Baurechts; Sodan, Helge, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 388; Kopp, Ferdinand/ Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 84. 146 Schulze-Fielitz, Helmuth, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 63. 147 VGH München NVwZ-RR 2006, 303 (304); Beispiel entnommen bei Kahl, Wolfgang, JA 2010, 872 (874). 148 Bauer, Hartmut, Geschichtliche Grundlage der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 82 f., unter Verweis auf Zitate Georg Jellineks, Ottmar Bühlers und Friedrich Gieses. 149 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 95. 150 Vgl. Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 57 ff., 102 ff., der die „öffentlichen Interessen, das Allgemeinwohl, das Wohl der Allgemeinheit oder das Gemeinwohl“ als „aggregierte Interessen der Einzelnen“ bezeichnet. 151 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 140. 152 Wahl, Rainer, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 102, 114; Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 247 f.; Calliess, Christian, NVwZ 2006, 1 (5 f.).
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
individuelle Interessen gerade in die Gesetzgebung einbezogen und sind demnach auch vom Schutzgehalt der Norm umfasst. (c) Rechtsmacht Nach der herkömmlichen Formulierung der Schutznormtheorie muss die Norm es dem Einzelnen ermöglichen, von der Verwaltung das von ihr angeordnete Verhalten verlangen zu können. Ist die individualrechtsschützende Qualität einer materiellrechtlichen Norm festgestellt, folgt die Begründung einer Rechtsmacht zu der Durchsetzung des geschützten Interesses im Allgemeinen bereits aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.153 Einer weiteren Überprüfung der Norm auf die Verleihung einer Rechtsmacht bedarf es in dessen Lichte daher nicht mehr.154 Anders stellt sich dies hingegen bei der Verletzung von Verfahrensrechten dar. Geht man nicht davon aus, dass § 46 VwVfG die Möglichkeit subjektiver Verfahrensrechte schon grundsätzlich ausschließt, bewirkt er doch – zumindest bei der Verletzung nur relativer Verfahrensrechte – einen Ausschluss des Aufhebungsanspruchs.155 Eine Rechtsmacht zur Aufhebung der verfahrensfehlerhaften Verwaltungsentscheidung geht damit gerade nicht gleichsam mit der Anerkennung drittschützender Verfahrensrechte einher. Ein Anspruch auf Aufhebung soll vielmehr sogar dann ausgeschlossen sein, wenn eine dem Interesse des Betroffenen dienende und sogar grundrechtlich gebotene Verfahrensvorschrift verletzt wurde, solange eine Verletzung dahinter stehender materieller Rechtspositionen nicht zu befürchten ist. In Bezug auf Verfahrensrechte wird die Schutznormtheorie damit in einer Weise angewendet, die sich von derjenigen unterscheidet, welche die subjektiv-rechtliche Qualität materieller Rechtsnormen feststellen will. Auf die Konsequenzen der Anwendung der Schutznormtheorie auf Verfahrensvorschriften wird sogleich in Kapitel 4 B. I. 1. d) näher eingegangen. (3) Kritik an der Schutznormtheorie und Europäisierung Die Schutznormlehre in ihrer heutigen Anwendung sieht sich jedoch nach wie vor der Kritik von verschiedenen Seiten ausgesetzt, ohne dass sich allerding bislang an ihrer grundsätzlichen Anwendbarkeit etwas geändert hat. Dies könnte sich nunmehr zumindest in den Bereichen ändern, die besonders unionsrechtlich beeinflusst sind.
153 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 146. 154 Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, Einf. I Rdnr. 57a; Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 45 f. 155 Zu den verschiedenen Ansichten in Bezug auf die Rechtswirkung des § 46 VwVfG Kapitel 3 B. II. 1. c) bb) (1) (b).
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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(a) Grundsätzliche Kritik an der Schutznormtheorie Zum einen wird der Schutznormtheorie seit jeher vorgehalten, mit „erheblichen Unklarheiten und Unsicherheiten“156 behaftet zu sein. Indem sie die subjektivrechtliche Ausrichtung einer Norm vor allem zu einem Auslegungsproblem mache, stehe diese häufig erst mit einer abschließenden Gerichtsentscheidung fest.157 Die Ausrichtung der Schutznormlehre auf eine Normauslegung im Einzelfall und eine damit einhergehende auch teilweise divergierende Kasuistik wird nicht bestritten. Gegen die Kritik an dieser Vorgehensweise kann jedoch angeführt werden, dass eine weitreichende Einzelfallabhängigkeit notwendig ist, um dem vielschichtigen Ausgleich verschiedener Interessen gerecht zu werden. Gerade dadurch kann die Schutznormlehre flexibel auf die zunehmende Komplexität verwaltungsrechtlicher Fälle reagieren.158 Eine allgemeine, schematische Lösung gäbe hingegen den notwendigen Differenzierungsbedarf im Interesse der Rechtssicherheit auf.159 Schwerer wiegt hingegen der Gedanke, die herkömmliche Schutznormtheorie könne den heutigen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Verwaltung nicht mehr gerecht werden. Da die Schutznormlehre historisch gesehen nicht auf mehrpolige Verwaltungsverhältnisse ausgelegt ist, sondern zunächst subjektiv-öffentliche Rechte des Einzelnen gegen Eingriffe seitens des Staats begründen sollte, wird ihr vorgehalten, sie sei schon grundsätzlich auf die heute besonders interessierenden Fälle des Drittschutzes nur mit Schwierigkeiten anwendbar.160 Besonders in komplexen Verfahren, in denen verschiedene Belange gegeneinander abzuwägen sind, sind es oftmals gerade „Dritte“ oder „Nachbarn“, die tatsächlich besonders von Vorhaben betroffen sind, so dass die Unmöglichkeit des gerichtlichen Vorgehens selbst gegen unrechtmäßige Genehmigungen schwer vermittelbar ist.161 Diese Problematik erlangt umso mehr an Bedeutung, wenn man die zögerliche Anerkennung von Verfahrensrechten als subjektiv-öffentliche Rechte162 mit einbezieht. Wenden sich „Dritte“ etwa gegen eine Verwaltungsentscheidung, an deren Entstehung sie nicht beteiligt wurden, ist es nicht selten allein ein Verfahrensrecht, auf dessen Verletzung eine mögliche Klage gestützt werden könnte. Dies 156 Bauer, Hartmut, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 140. 157 Bauer, Hartmut, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 140; Bauer, Hartmut, AöR 113 (1988), 582 (607); ähnlich Breuer, Rüdiger, DVBl. 1983, 431 (432 f., 436); Zuleeg, Manfred, DVBl. 1976, 509 (511). 158 Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 49. 159 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 130. 160 Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 103; Calliess, Christian, NVwZ 2006, 1 (2). 161 Vgl. die Einschätzungen bei Ramsauer, Ulrich, Die Wahrung des Verwaltungsrechtsschutzes aus gerichtlicher Sicht, in: Erbguth (Hrsg.), Verwaltungsrechtsschutz in der Krise: Vom Rechtsschutz zum Schutz der Verwaltung, 2010, S. 71 (82 f.). 162 Hierzu Kapitel 4 B. I. 1. d).
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
gilt zumal dann, wenn nach der Schutznormtheorie das anzuwendende materielle Recht gerade nicht dem „Dritten“, sondern allein dem Adressaten oder gar allein der Allgemeinheit zu dienen bestimmt ist. Zuletzt und mit Vorstehendem zusammenhängend wird die Frage aufgeworfen, inwiefern heute überhaupt noch eine klare Unterscheidung zwischen individuellen und öffentlichen Interessen getroffen werden kann. Gerade im Umweltrecht, wo die Herleitung subjektiv-öffentlicher Rechte zuweilen besonders schwierig ist,163 lässt sich eine solche Abgrenzung kaum vornehmen.164 Allgemein wird angenommen, dass bedeutende Bereiche des Umweltrechts, wie das Naturschutzrecht oder das Wasserrecht, keine subjektiven öffentlichen Rechte begründen, sondern allein Allgemeininteressen dienen. Die Durchsetzung derartiger Interessen kann dann von Einzelnen nicht durch gerichtliches Vorgehen erreicht werden, sondern obliegt weitestgehend der Verwaltung selbst.165 Dieser Umstand muss jedoch nicht zwingend zu einer Kritik oder Aufgabe der Schutznormtheorie in diesem Bereich folgen; vielmehr hat der Gesetzgeber auf Schwierigkeiten, die sich aus diesem Mangel an Durchsetzbarkeit etlicher natur- und umweltschutzrechtlicher Vorgaben in Verbindung mit dem deutschen Individualrechtsschutzsystem ergeben, zunächst mit der Einführung begrenzter Verbandsklagemöglichkeiten in § 64 BNatSchG und § 2 UmwRG reagiert, die es anerkannten Naturschutzvereinen beziehungsweise Umweltschutzvereinigungen möglich machen, naturschutz- oder umweltrechtliche Vorgaben gerichtlich durchzusetzen. Dies gilt nach einigen unionsrechtlich indizierten Korrekturen nunmehr unabhängig von einem subjektiv-rechtlichen Charakter der durchzusetzenden Vorschrift. (b) Schutznormtheorie unter europäischem Einfluss Allein die auf besondere Verfahren beschränkten Verbandsklagemöglichkeiten sind jedoch unter Umständen nicht ausreichend, um die effektive Durchsetzung des europäischen Rechts und insbesondere des europäischen Umweltrechts zu ermöglichen. Um eine solche dennoch garantieren zu können, ist es bisweilen notwendig, die sich aus der Schutznormtheorie ergebenden Beschränkungen des Zugangs zu den Verwaltungsgerichten abgesehen von der weiter gehenden Frage nach der möglichen subjektiv-rechtlichen Qualität von Verfahrensrechten zu lockern. 163 Ruffert, Matthias, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 101 ff.; Epiney, Astrid/Sollberger, Kaspar, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, 2001, S 42 f. und S. 87; Schwerdtfeger, Angela, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 70; Masing, Johannes, NVwZ 2002, 810 (811); Bunge, Thomas, ZUR 2014, 3. 164 Reiling, Michael, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 105; vgl. zu der Frage, ob Umweltrecht grundsätzlich allgemeinen oder individuellen Interessen zu dienen bestimmt ist, auch Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 150, 227; zu einer ähnlichen Kritik in Bezug auf Verfahrensvorschriften siehe Kapitel 4 B. I. 1. d). 165 Wegener, Bernhard, ZUR 2011, 363 (364 f.); Kment, Martin, UPR 2013, 41; Seibert, Max-Jürgen, NVwZ 2013, 1040 f.
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Der Ruf nach einer Anpassung der Schutznormtheorie bei Fragen mit unionsrechtlichem Bezug ist auch dem Umstand geschuldet, dass unter einer Norm mit gewisser subjektiver Schutzwirkung – einer über rein objektives Recht hinausgehenden Norm – im europäischen Recht etwas anderes verstanden wird als unter einer subjektiv-rechtlichen Vorschrift nach der traditionellen deutschen Schutznormtheorie. Es bezieht sich die Schutzwirkung der als verletzt geltend gemachten Norm, die auch im Unionsrecht zur Herleitung einer Klageberechtigung zuweilen verlangt wird, dort zumeist auf personale Rechtsgüter im Allgemeinen – wie etwa die menschliche Gesundheit – und nicht, wie nach der strengeren Schutznormtheorie des deutschen Rechtssystems, auf die individuellen rechtlich geschützten Interessen gerade des Klägers.166 Damit können sich zum einen direkt aus dem Unionsrecht im Falle seiner unmittelbaren Anwendung weitreichende subjektive öffentliche Rechte ergeben. Zum anderen sind unionsrechtliche Vorgaben umsetzende Normen im Lichte einer derart erweiterten oder „überformten“167 Schutznormtheorie auf ihre subjektiv-rechtliche Qualität hin zu untersuchen. So hat der EuGH in seinem Urteil Janecek168 klargestellt, dass diejenigen, die unmittelbar von einer Überschreitung immissionsrechtlicher Grenzwerte betroffen sein können, einen gegebenenfalls einklagbaren Anspruch auf die Einhaltung der sich aus dem europäischen Immissionsschutzrecht169 ergebenden Vorschriften haben und insbesondere das Erstellen eines Aktionsplans zur Verbesserung der Immissionswerte einfordern und einklagen können müssen. Nach deutschem Verständnis wären die derartige Vorgaben umsetzenden Vorschriften der traditionellen Anwendung der Schutznormtheorie entsprechend jedoch als rein gemeinwohlschützend und damit nicht als einklagbares subjektiv-öffentliches Recht angesehen worden.170 Die Frage nach einer unionsrechtlich gebotenen Ausweitung von Klagemöglichkeiten wird insbesondere im Zusammenhang mit dem europäischen Umwelt166 Schoch, Friedrich, Gerichtliche Verwaltungskontrolle, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III § 50 Rdnr. 154 ff.; Kokott, Juliane, Die Verwaltung 31 (1998), 335 (352 ff.); Calliess, Christian, NVwZ 2006, 1 (3, 6), mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. 10. 1991, Rs. C- 58/89, Kommission gegen Deutschland, Slg. 1991 I-4983 Rdnr. 14; EuGH Urteil vom 30. 5. 1991, Rs. C-59/89, Kommission gegen Deutschland, Slg. 1991 I-2607, Rdnr. 19; EuGH Urteil vom 30. 5. 1991, Rs. C361/88, Kommission gegen Deutschland, Slg. 1991 I-2567, Rdnr. 16; Gärditz, Klaus Ferdinand, JuS 2009, 385 (389 f.); Ziekow, Jan, NVwZ 2010, 793 (794); Steinbeiß-Winkelmann, Christine, NJW 2010, 1233 (1234 f.); ausführlich zu einer möglichen Herleitung subjektivöffentlicher Rechte im europäischen Umweltrecht Ruffert, Matthias, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, insbesondere S. 224 ff. 167 Dörr, Oliver/Lenz, Christofer, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, S. 127. 168 EuGH, Urteil vom 25. 7. 2008, Rs. C-237/07, Janecek, Slg. 2008 I-6221. 169 Hier aus der Richtlinie des Rates über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität vom 27. 9. 1996, RL 96/62/EG, ABl. EG 1996 Nr. L 296/55 in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 vom 29. 9. 2003 geänderten Fassung. 170 Calliess, Christian, NVwZ 2006, 1 (2), mit einer Darstellung von Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte im Vorfeld des EuGH Urteils Janecek; Ziekow, Jan, NVwZ 2010, 793.
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
recht und nach der expliziten Anerkennung der nicht-schutznormakzessorischen Verbandsklagemöglichkeit im UmwRG daher nunmehr vor allem bei Fällen außerhalb des Anwendungsbereichs des UmwRG diskutiert. Angestoßen wurde die aktuelle Diskussion vor allem durch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Slowakischer Braunbär.171 Der EuGH hatte hier trotz bislang unterbliebener unionsrechtlicher Umsetzung aus Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention einen an die Mitgliedstaaten gerichteten Auftrag abgeleitet, bei Fragen, die das materielle Unionsumweltrecht berühren, einer breiten, näher zu bestimmenden Öffentlichkeit allgemein Zugang zu den Gerichten zu eröffnen. Ob in Reaktion hierauf anerkannten Umweltvereinigungen oder gar jedermann auch außerhalb des UmwRG die gerichtliche Geltendmachung unionsrechtlicher Vorgaben des Umweltrechts auch ohne subjektiv-rechtlichen Charakter nach deutschem Verständnis zu ermöglichen ist, wird sowohl innerhalb der Rechtsprechung als auch der Literatur unterschiedlich beantwortet. Eine unmittelbare Wirkung des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention ohne innerstaatliche oder unionsrechtliche Umsetzung wird teilweise ebenso abgelehnt wie eine in dessen Lichte erfolgende erweiternde Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO.172 Den Ausführungen des EuGH wird insofern lediglich ein Appell-Charakter beigemessen, den Zielen der Aarhus-Konvention so weit wie möglich gerecht zu werden, ohne dass hierbei jedoch die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten werden könnten.173 Andererseits haben Teile der Rechtsprechung auch eine Ausweitung der Klage- oder Antragsbefugnisse von anerkannten Umweltvereinigungen über den Anwendungsbereich des UmwRG hinaus mit Verweis auf die Leitfunktion der Entscheidung des EuGH zum slowakischen Braunbär anerkannt.174 Unklar bleibt hierbei, ob die Gerichte diese Ausweitung dadurch erreichen wollen, dass in Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention eine im Sinne des § 42 Abs. 2 1. Halbsatz VwGO zum subjektiven Rechtsschutz abweichende Regelung gesehen wird. Eine derartige unmittelbare Wirkung hatte jedoch nicht einmal der EuGH dem Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention zugesprochen.
171
EuGH, Urteil vom 8. 3. 2011, Rs. C-240/09, Slowakischer Braunbär, Slg. 2011 I-1285. OVG Koblenz, ZUR 2013, 291; OVG Lüneburg, NordÖR 2013, 431; aus der Literatur etwa Berkemann, Jörg, DVBl. 2011, 1253 (1257 ff.); Schink, Alexander, DÖV 2012, 622 (624 ff.); Siegel, Thorsten, DÖV 2012, 709 (715 f.), der allerdings eine unionsrechtlich bedingte „Aufladung“ der Schutznormlehre ausdrücklich für möglich hält; Seibert, Max-Jürgen, NVwZ 2013, 1040 (1043). 173 OVG Koblenz, ZUR 2013, 291 (292, insbes. Rdnr. 13 ff.): keine von der Geltendmachung subjektiver Rechte unabhängige Verbandsklage- bzw. Antragsbefugnis bei dem Vorgehen gegen eine Baugenehmigung; OVG Lüneburg, NordÖR 2013, 431 (432): keine Antragsbefugnis bei einem Normenkontrollantrag gegen ein regionales Raumordnungsprogramm. 174 VG Wiesbaden, ZUR 2012, 113 (115 f.); VG München, ZUR 2012, 699 (700), jeweils in Bezug auf die Klage- bzw. Antragsbefugnis anerkannter Umweltschutzvereinigung bei einem Vorgehen gegen Luftreinhaltepläne; OVG Koblenz, ZUR 2013, 293 (296), zur Klage- bzw. Antragsbefugnis einer Umweltschutzvereinigung beim Vorgehen gegen bergbauliche Hauptbetriebspläne. 172
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Näherliegend und auch die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung nicht ebenso strapazierend ist es daher, die Lösung in einer unionsrechtlich erweiterten Auslegung des Schutznormcharakters einer Norm zu suchen, solange der Gesetzgeber nicht anderweitige gesetzliche Bestimmungen im Sinne des § 42 Abs. 2 1. Halbsatz VwGO erlässt. Zumindest die Rechte einer anerkannten Umweltschutzvereinigung könnten dann als möglicherweise verletzt im Sinne des § 42 Abs. 2 2. Halbsatz VwGO angesehen werden, wenn Vorgaben des – europäischen – Umweltrechts berührt werden.175 So ist auch das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 5. September 2013176 zu einer Bejahung der Klagebefugnis einer anerkannten Umweltvereinigung im Rahmen einer Klage außerhalb des Anwendungsbereichs des UmwRG gelangt. Das Bundesverwaltungsgericht reagierte auf die Vorgabe des EuGH mit einer bedeutenden Ausweitung der traditionell als subjektive Rechte im Sinne der Schutznormtheorie verstandenen Vorschriften. Hiernach könne zwar in Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention weder eine anderweitige gesetzliche Regelung nach § 42 Abs. 2 1. Halbsatz VwGO gesehen werden, noch lasse sich eine solche anderweitig auffinden oder mittels eines Analogieschlusses begründen. Auch fordere das europäische Recht, um dessen Vorgaben gerecht zu werden, von den mitgliedstaatlichen Gerichten keine richterliche Rechtsfortbildung contra legem. Eine Klagebefugnis ergebe sich somit nicht aus § 42 Abs. 2 1. Halbsatz VwGO in Verbindung mit einer anderweitigen Regelung zur Verbandsklage, sondern vielmehr unmittelbar aus § 42 Abs. 2 2. Halbsatz VwGO. Nicht allein natürliche Personen haben danach im Fall ihrer unmittelbaren Betroffenheit einen Anspruch auf die Einhaltung bestimmter umweltrechtlicher Vorschriften – in diesem Fall § 47 BImSchG –, sondern ebenso die nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigungen. Obgleich also eine derartige Vereinigung die Möglichkeit, in eigenen subjektiven Rechtspositionen – etwa der Gesundheit – betroffen zu sein, nach der herkömmlichen Herleitung subjektiv-öffentlicher Rechte nicht geltend machen kann und es möglicherweise zudem an einem räumlichen Bezug der Vereinigung zu den Auswirkungen der Umweltrechtsverletzung fehlt, wurde ihr eine Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 2. Halbsatz VwGO zuerkannt. Es gebiete nämlich das Unionsrecht „eine erweiternde Auslegung der [aus dem Luftqualitätsrecht folgenden] subjektiven Rechtspositionen“.177 Da es insbesondere die anerkannten Umweltschutzvereinigungen seien, die ein Interesse im Sinne des Art. 2 Nr. 5 Aarhus-Konvention an der Einhaltung der umweltschützenden Normen hätten und somit nach der Definition der Konvention zur betroffenen Öffentlichkeit gehörten, könnten sie sich den eigentlich öffentlichen Belang des Umweltschutzes gleichsam zu eigen machen.178 Die klagefähige Rechtsposition der 175
In diese Richtung Klinger, Remo, NVwZ 2013, 850 (851 f.). BVerwG, NVwZ 2014, 64. 177 BVerwG, NVwZ 2014, 64 (67 Rdnr. 43). 178 Das BVerwG spricht von einer „prokuratorische[n] Rechtsstellung“ der Bürger und in diesem Falle auch der Umweltschutzvereinigungen; vgl. BVerwG, NVwZ 2014, 64 (67, Rdnr. 46). 176
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Umweltschutzvereinigung ist nach diesem Verständnis gerade die ihr übertragene Aufgabe und damit einhergehende Rechtsmacht, die Beachtung unionsrechtlich geschützter Umweltbelange sicherzustellen. Die ihr vom Bundesverwaltungsgericht attestierte „prokuratorische Rechtsstellung“ ist also mehr als eine „Brücke“ zu einem notwendigerweise dahinterstehenden subjektiv-öffentlichen Recht, das sich die Umweltschutzvereinigung erst zu eigen machen müsste – sie ist vielmehr ein eigenes, über § 42 Abs. 2 2. Halbsatz VwGO einklagbares subjektiv-öffentliches Recht der Umweltschutzvereinigung.179 Nach alldem kann aus den europäischen Vorgaben und insbesondere den Ausführungen des EuGH damit bislang zwar keine allgemeine Notwendigkeit zur Aufgabe des auf den Schutz subjektiver Rechte ausgelegten Rechtsschutzsystems unter notwendiger Einführung einer allgemeinen altruistischen Verbandsklage oder gar einer Popularklage gesehen werden.180 Allerdings kann das europäische Recht, vor allem durch sein Bestreben, den Einzelnen oder bestimmte Interessengruppen zu einer effektiven Durchsetzung des Rechts anzuhalten und sie so auch regelmäßig unmittelbar in seinen Schutzbereich zu integrieren, zu einer Ausweitung des als subjektiv verstandenen Rechts führen.181 Dies gilt auch oder gerade für die subjektivrechtliche Qualität von Verfahrensvorgaben, die in Deutschland traditionell zunächst verneint wurde und erst in neuerer Zeit teilweise anerkannt wird. Das europäische Recht kann damit vor allem bewirken, dass die „Klagbarkeit“ von verletzten Normen ausgeweitet wird, ohne dass das deutsche individualrechtsschützende System dadurch als angegriffen angesehen werden muss. Die Gangbarkeit dieses Wegs hat nunmehr auch das Bundesverwaltungsgericht durch seine Entscheidung vom 5. September 2013182 anerkannt. Allerdings bleibt zu bedenken, dass hier von „dem Kern des Schutznormgedankens“,183 der gerade eine Schutzrichtung der Norm auf eine individuelle Rechtsposition des Klägers fordert, eindeutig abgewichen wurde. Eine derartige oder gar eine noch weiter gehende Ausweitung subjektiv-rechtlicher Normen kann durchaus die schleichende Einführung einer Interessentenklage bedeuten, ohne dass sich dies explizit in den Vorschriften widerspiegelt, die bislang die 179
Ausführlich dargestellt von Bunge, Thomas, ZUR 2014, 3 (7 ff.). So auch die Einschätzungen von Schlacke, Sabine, NVwZ 2011, 801 (805); Radespiel, Liane, EurUP 2011, 238 (240); Steinbeiß-Winkelmann, NJW 2010, 1233 (1237). 181 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 854 ff.; Schoch, Friedrich, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, in: Schmidt-Aßmann/ Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 507 (517 ff.); Schoch, Friedrich, NordÖR 2002, 1 (7 f.); instruktiv zu der materiell-rechtlichen – durch Ausweitung subjektiver Rechte – oder prozessualen – durch vermehrte Verbandsklagemöglichkeiten – Begegnung mit unionsrechtlichen Vorgaben Kokott, Juliane, Die Verwaltung 31 (1998), 335 (349 f.); Neidhardt, Stephan, Nationale Rechtsinstitute als Bausteine europäischen Verwaltungsrechts, 2008, S. 79 ff.; Ekardt, Felix, NVwZ 2014, 393 (395 f.). 182 BVerwG, NVwZ 2014, 64. 183 Schlacke, Sabine, NVwZ 2014, 11 (16); ähnlich bereits Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 197 f. 180
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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Systementscheidung für den subjektiven Rechtsschutz in Deutschland beschrieben haben.184 d) Verfahrensvorschriften als subjektive öffentliche Rechte Wo schon die Auslegung materieller Rechtsnormen auf ihren subjektiv-rechtlichen Charakter hin gewisse Schwierigkeiten bereitet, ist dies bei der Auslegung von Verfahrensnormen noch deutlicher der Fall: Es ist oftmals nur unter Schwierigkeiten möglich festzustellen, ob eine Verfahrensnorm allein öffentlichen Interessen oder den Interessen der Verwaltung etwa an hinreichender Sachverhaltsaufklärung dienen soll oder ob sie gerade dem Schutz privater Interessen zu dienen bestimmt ist.185 Dennoch wird die Schutznormtheorie als Maßstab für den subjektiv-öffentlichen Charakter auch einer Verfahrensnorm angewendet.186 Die Frage nach einem subjektiv-rechtlichen Charakter von Verfahrensnormen und deren verwaltungsgerichtlicher Durchsetzbarkeit stellt sich vor allem in Fällen, in denen ein nicht unmittelbar von einer Verwaltungsentscheidung betroffener Dritter sich auf den Verfahrensfehler beruft. Insbesondere muss also der drittschützende Charakter einer solchen Norm dargelegt werden. Wie oben gesehen, werden im deutschen Verwaltungsverfahren vielfältige Verfahrensrechte, insbesondere Beteiligungsrechte der Betroffenen aber auch Dritter, durchaus anerkannt. Dennoch wird der subjektiv-rechtliche Charakter von Verfahrensnormen im Rahmen ihrer gerichtlichen Geltendmachung teilweise selbst dann angezweifelt, wenn durch sie eine individualisierte Verfahrensposition begründet wird. Insbesondere § 46 VwVfG verdeutlicht zunächst die Vorstellung, dass Verfahrensrechte relative Rechte zur Durchsetzung materieller Rechtspositionen sind. Der Verfahrensfehler fällt nur dann ins Gewicht, wenn er sich auf den materiellen Gehalt der Entscheidung ausgewirkt hat. Aus dieser Annahme wird nun gefolgert, dass Verfahrensvorschriften zunächst schon grundsätzlich keine subjektiv-öffentlichen Rechte verleihen könnten.187 Dies könne allein durch materiell-rechtliche Normen geschehen. Ausnahme hiervon seien dann allein absolute Verfahrensrechte, die der Gesetzgeber als subjektiv-öffentliche Rechte im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ausgestaltet habe. Dass dem § 46 VwVfG eine solche Aussage zu entnehmen ist, ist jedoch keineswegs zwingend. Geht man davon aus, dass § 46 VwVfG nicht die 184 Kritisch zu diesem „richterrechtlich forcierten Systemwechsel“ Schlacke, Sabine, NVwZ 2014, 11 (16); Calliess, Christian, NVwZ 2006, 1 (3 f.), fragt nach einer Pflicht zur Etablierung der Interessentenklage. 185 Schmitt Glaeser, Walter, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (60 f.). 186 BVerwG, DÖV 1982, 639 (641); Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (31). 187 Dolde, Klaus-Peter, NVwZ 2006, 857 (861).
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
subjektive Rechtsverletzung, sondern allein den Aufhebungsanspruch gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausschließt,188 legt § 46 VwVfG sogar die grundsätzliche Möglichkeit von subjektiven Verfahrensrechten nahe. Dieser Regelung hätte es nämlich nicht bedurft, wenn eine Rechtsverletzung und ein daraus folgender Aufhebungsanspruch ohnehin nicht durch einen Verfahrensfehler verursacht werden könnten.189 In ähnlicher Weise bestätigt § 44a VwGO die Möglichkeit subjektivrechtlicher Verfahrensvorschriften. Die isolierte gerichtliche Geltendmachung von Verfahrensfehlern und die Einklagbarkeit von Verfahrenshandlungen müssen nicht explizit ausgeschlossen werden, wenn eine Verfahrensvorschrift schon grundsätzlich kein subjektives öffentliches Recht begründen könnte und die Berufung auf ihre Verletzung so bereits nach § 42 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen wäre.190 Schon in seinem Mühlheim-Kärlich-Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz zurückgewiesen, Schutzfunktion zugunsten Dritter könnten nur Vorschriften des materiellen Rechts entfalten.191 Insbesondere Vorschriften zur Bürgerbeteiligung sollten nicht allein dem geordneten Ablauf des Verfahrens und damit der Verwaltung an sich dienen, sondern auch oder gar vor allem den Interessen der zu Beteiligenden, auch der Drittbetroffenen. Es bleibt aber auch nach dieser Rechtsprechung bei der engen Verknüpfung zwischen Verfahrensfehlern und materiellen Rechten des Klägers. Soll die Sanktion eines Verfahrensfehlers möglich sein, dann deshalb, weil es durch ihn zu einer fehlerhaften, rechtsverletzenden Sachentscheidung gekommen ist oder gekommen sein kann. Dieser Zusammenhang zwischen Geltendmachung eines Verfahrensverstoßes und materiell-rechtlicher Rechtsposition wird an der vorgenommenen Aufteilung in relative und absolute Verfahrensrechte deutlich. aa) Absolute Verfahrensrechte Wo ein Eigenwert des Verwaltungsverfahrens in dem Sinne akzeptiert wird, dass dessen Vorschriften und die dort verliehenen Rechte eine von der materiellen Entscheidung unabhängige, eigenständige Funktion erfüllen, steht ihrer grundsätzlichen Deutung als subjektive öffentliche und gerichtlich durchsetzbare Rechte nichts im Wege. Erkennt man von den materiellen Rechtspositionen unabhängige, eigenständige und damit absolute Verfahrensrechte an, ist der Begründungsaufwand für 188 Zu den unterschiedlichen Ansichten in Bezug auf die Rechtswirkung des § 46 VwVfG siehe Kapitel 3 B. II. 1. c) bb) (1) (b). 189 Held, Jürgen, NVwZ 2012, 461 (463); vgl. auch Schmidt-Aßmann, Eberhard, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/ Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (33), der anmerkt, „aus der ,dienenden Funktion des Verfahrens‘ lässt sich eine mangelnde Klagbarkeit subjektiver Verfahrensrechte nicht ableiten. Der Topos hat heuristische, nicht dogmatische Aufgaben.“ 190 Laubinger, Hans-Werner, VerwArch 73 (1982), 60 (79 f.). 191 BVerfGE 53, 30 (63).
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einen Ausschluss von Rechtsschutzmöglichkeiten „nur“ aufgrund eines fehlerhaft durchgeführten Verfahrens ungleich größer.192 Anders als bei den als relativ bezeichneten Verfahrensrechten werden absolute Verfahrensrechte allein um ihrer selbst willen anerkannt, unabhängig von ihrer Sicherung materieller Rechtspositionen. Solche Rechte sind dann unbedingt und unabhängig vom materiellen Recht zu beachten. Nach der älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die von dessen 4. Senat weiter aufrechterhalten wird, stellen allein derartige absolute Verfahrensrechte subjektiv-öffentliche Rechte dar. In Beibehaltung seiner Rechtsprechung vor dem Mühlheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts will der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts subjektive Verfahrensrechte immer nur dann anerkennen, „wenn die Verfahrensvorschrift nicht bloß der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde, dient, sondern dem Betroffenen in spezifischer Weise und unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, selbständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition gewähren will“.193 Habe der Gesetzgeber nicht ausdrücklich ein absolutes und damit subjektives Verfahrensrecht geschaffen, könne eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO durch die Verletzung von Verfahrensrechten nicht begründet werden.194 Das prominenteste Beispiel195 eines solchen durch den Gesetzgeber geschaffenen absoluten und damit nach obigem Verständnis subjektiv-rechtlichen Verfahrensrechts ist das Recht auf Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 4 Abs. 1 UmwRG. Selbst in Bezug auf dieses eindeutig als absolut anerkannte Verfahrensrecht werden jedoch die Schutzrichtung der verfahrensrechtlichen Vorgaben und damit ihre Einklagbarkeit diskutiert. Verbreitet wird angenommen, allein anerkannte Umweltschutzvereinigungen könnten sich ohne die weiter gehende Geltendmachung einer materiellen Rechtsverletzung auf die unterbliebene Umweltverträglichkeitsprüfung berufen.196 Nur insoweit sei also von einem absoluten Verfahrensrecht auszugehen. Der Verweis auf Rechtsbehelfe Beteiligungsfähiger nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO in § 4 Abs. 3 UmwRG solle nicht bewirken, dass neue Rechtsbehelfe geschaffen würden, die von der Geltendmachung subjektiver Rechte unabhängig wären. Im Übrigen – mithin bei individuellen Klagen – sei eine alleinige Berufung auf die unterlassene oder fehlerhafte Umweltverträglichkeitsprüfung nicht 192 Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verwaltungsverfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 372; Fehling, Michael, VVDStRL, 70 (2011), 278 (284 und dort insbes. Fn. 15). 193 BVerwG, NVwZ 1999, 876 (877); deutlich auch BVerwG, NJW 1981, 239 (240); zuvor BVerwGE 41, 58 (65); BVerwGE 44, 235 (239 f.). 194 BVerwGE 41, 58 (65); BVerwGE 44, 235 (239 f.); BVerwG NVwZ 1999, 876 (877); dazu Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 54 f. 195 Zu sonstigen anerkannten absoluten Verfahrensrechten und der Möglichkeit, auch durch Auslegung derlei Rechte zu ermitteln, siehe Kapitel 3 B. II. 1. c) cc) (1) (b). 196 Siegel, Thorsten, DÖV 2012, 709 (715).
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ausreichend, um eine Klagebefugnis zu begründen.197 Auch das Bundesverwaltungsgericht sieht bislang durch § 4 Abs. 3 UmwRG kein subjektives Recht des Einzelnen auf die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsrechtsprüfung begründet, dessen mögliche Verletzung an sich zur Klageerhebung berechtigen würde. Vielmehr betreffe die Vorschrift „nur die Sachprüfung im Rahmen eines zulässigen Rechtsbehelfsverfahrens“.198 Bedeutung entfaltet § 4 Abs. 1 mit Abs. 3 UmwRG damit nur in Bezug auf den Ausschluss der Anwendung des § 46 VwVfG sowie der hiermit zusammenhängenden Kausalitätsrechtsprechung innerhalb der Begründetheit einer verwaltungsrechtlichen Klage. Es ist jedoch nicht zwingend davon auszugehen, dass die Möglichkeit dritter individueller Kläger, sich auf die unterlassene Umweltverträglichkeitsprüfung zu berufen, eine Schaffung neuer, im deutschen Individualrechtssystem unbekannter Rechtsbehelfe bedeutet. Vielmehr kann angenommen werden, dass § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG gerade ein subjektives öffentliches Recht auf die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne der Art. 19 Abs. 4 GG und § 42 Abs. 2 VwGO einräumen will.199 Die einzige Besonderheit ist dann, dass es sich um ein subjektives Verfahrensrecht und nicht wie in der herkömmlichen Vorstellung von subjektiven öffentlichen Rechten um ein materielles öffentliches Recht handelt. Dass die Schaffung absoluter Verfahrensrechte durch den Gesetzgeber möglich ist, wird auch durch das Bundesverwaltungsgericht nicht bestritten. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber nun mit den Vorschriften des UmwRG auch im Hinblick auf Sinn und Zweck des Art. 11 UVP-Richtlinie200 Gebrauch gemacht, obgleich der EuGH in seinem Trianel-Urteil201 klargestellt hat, dass dies für Individualkläger nicht unionsrechtlich geboten war. Von der Schaffung eines einklagbaren subjektiv-öffentlichen Rechts geht auch die Gesetzesbegründung der Bundesregierung durchaus aus.202 Als eigenständiges Verfahrensrecht soll die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht allein anerkannte Naturschutzvereine schützen. Auch den in § 4 Abs. 3 197 Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/2495, S. 7 f.; Appel, Markus, NVwZ 2010, 473 (479); aus der Rechtsprechung BVerwG, ZuR 2012, 308 (309); OVG Münster, ZuR 2014, 180 (Leitsätze). 198 BVerwG, ZuR 2012, 308 (309); ähnlich auch BVerwG, BeckRS 2013, 53008 Rdnr. 10. 199 OVG Magdeburg, NVwZ 2009, 340 (341); OVG Magdeburg, NJOZ 2012, 1797 (1801); so auch Greim, Jeanine, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 162 f.; Held, Jürgen, NVwZ 2012, 461 (465); Schlacke, Sabine, NVwZ 2014, 11 (15); bereits vor der Neufassung des § 4 UmwRG Kleesiek, Anja, Zur Problematik der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, 2010, S. 245 f.; Ogorek, Markus, NVwZ 2010, 401 (402 ff.). 200 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Art. 10a Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG. 201 EuGH, Urteil vom 12. 5. 2011, Rs. C-115/09, BUND gegen Bezirksregierung Arnsberg (Trianel), Slg. 2011, I-3701, Rdnr. 45. 202 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/2495, S. 13 f., und Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/10957, S. 17.
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UmwRG ausdrücklich Genannten steht insbesondere der Schutz der mit der Umweltverträglichkeitsprüfung verbundenen erweiterten Beteiligungsrechte zu. Lange nicht geklärt war darüber hinaus die Frage, ob auch in der zwar durchgeführten, aber fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung ein absoluter Fehler in dem Sinne gesehen werden muss, dass sie eine Aufhebung der fehlerhaften Verwaltungsentscheidung nach sich zieht. Der EuGH lässt das Kriterium der Ergebnisrelevanz des Verfahrensfehlers für die Umweltverträglichkeitsprüfung als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage gegen die Verwaltungsentscheidung ausdrücklich zu, solange nicht – wie bislang teilweise im Rahmen der Kausalitätsrechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht – die Beweislast hierfür demjenigen aufgebürdet wird, der sich auf den Verfahrensfehler berufen möchte.203 Das nationale Recht könne in dem Fall, dass der Verfahrensfehler sich auf das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung nicht ausgewirkt habe, von einer ausgebliebenen Rechtsverletzung ausgehen. Die Ausführungen des EuGH in diesem Fall lassen allerdings erkennen, dass es ihm nicht um die Geltendmachung einer notwendigen materiellen Rechtsverletzung geht. Zu diesem Kriterium der Zulässigkeit äußert er sich ausdrücklich nicht.204 Vielmehr lassen die Ausführungen darauf schließen, dass der EuGH davon ausgeht, dass dort, wo sich der Verfahrensfehler – etwa die fehlerhafte Beteiligung des Klägers – auf das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung selbst nicht ausgewirkt hat, auch dessen Verfahrensrecht im Ergebnis nicht verletzt sein kann. Die hier beschriebene Kausalität des einzelnen Verfahrensfehlers für die auch in ihrer Gesamtheit als Verfahrensschritt angesehene Umweltverträglichkeitsprüfung unterscheidet sich also von der sogleich im Rahmen relativer Verfahrensrechte beschriebenen Forderung, dass ein Verfahrensfehler eine mögliche Verletzung materieller Rechtspositionen zur Folge haben muss, um zur Zulässigkeit einer Klage zu führen. Der EuGH betont vielmehr, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Wort „Rechtsverletzung“ in Art. 11 der UVP-Richtlinie205 nicht die „Möglichkeit, einen Verfahrensfehler geltend zu machen, an die Bedingung knüpfen wollte, dass er Auswirkungen auf den Inhalt der angegriffenen endgültigen Entscheidung hatte.“206 Allerdings hat der EuGH die Frage, ob allein eine unterlassene oder fehlerhafte Umweltverträglichkeitsprüfung zur Klage berechtigen muss, bis-
203
EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. 72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49 Rdnr. 51 ff.; deutlich EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495, Rdnr. 62. 204 EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. 72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49 Rdnr. 55 f. 205 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Art. 10a Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG. 206 EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495, Rdnr. 58.
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lang offen gelassen.207 Mittlerweile hat der Gesetzgeber die Reichweite absoluter Verfahrensrechte im Rahmen der – fehlerhaften – Umweltverträglichkeitsprüfung in Reaktion auf das Altrip-Urteil des EuGH208 ausgeweitet. Der neu gefasste § 4 Abs. 1 UmwRG209 sieht vor, dass nunmehr auch im Fall einer unter gewissen – schweren – Verfahrensfehlern durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung die Aufhebung der Entscheidung verlangt werden kann, ohne dass ein Durchschlagen auf deren Inhalt aufgezeigt werden muss. Nicht allein die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung an sich ist damit ein absolutes subjektives Verfahrensrecht, sondern auch deren Durchführung ohne die wesentlichen in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten Verfahrensfehler. Im Atomrecht ist dem Mühlheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nachfolgend wiederholt bestätigt worden, dass diejenigen, deren materielle Rechtsgüter durch eine nukleare Anlage beeinträchtigt werden können, auch durch die nicht erfolgte Durchführung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens oder atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens in ihren Rechten verletzt werden. Hiervon ist auszugehen, denn „nicht nur die materiell-rechtlichen Anforderungen an Anlagen, die der friedlichen Nutzung der Kernenergie dienen, sondern auch die verfahrensrechtlichen Anforderungen, insbesondere das Erfordernis eines speziellen atomrechtlichen Verfahrens, sollen den bestmöglichen Schutz von Leben, Gesundheit und Sachgütern Dritter vor den Gefahren der Kernenergie gewährleisten.“210 Zumindest insoweit ist damit eine Berufung auf das nicht durchgeführte Verfahren als solches ausreichend, um einen Abwehranspruch gegen die Anlage zu begründen; dies gilt jedoch eben gerade, weil ein ausreichender Schutz der materiellen Rechtspositionen durch das Unterlassen des erforderlichen Verwaltungsverfahrens einschließlich seiner Beteiligungsvorgaben nicht als gewährleistet angesehen wird. Diese Herleitung lässt es zweifelhaft erscheinen, dass die Rechtsprechung tatsächlich ein absolutes Verfahrensrecht auf Durchführung des atomrechtlichen Verfahrens, das unabhängig von einer materiellen Rechtsposition besteht, entwickeln wollte. Vielmehr kann hier von einem relativen Verfahrensrecht ausgegangen werden, dessen Verletzung jedoch auch auf eine Betroffenheit in eigenen materiellen Rechten schließen lässt.211 Die Rechtslage in Bezug auf die gerichtliche Geltendmachung wird so eine ähnliche wie diejenige bei absoluten Verfahrensrechten. 207 Vgl. sowohl die Ausführungen des EuGH, Urteil vom 7. 1. 2004, Rs. C-201/02, Delena Wells, Slg. 2004 I-723, Rdnr. 64 ff., als auch im Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. 72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49 Rdnr. 50 f., und EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/ Deutschland, NJW 2015, 3495, Rdnr. 60. 208 EuGH, Urteil vom 7. 11. 2013, Rs. C-72/12, Altrip, NVwZ 2014, 49. 209 Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 vom 20. 11. 2015, BGBl. I, 2069. 210 BVerwGE 60, 297 (307); BVerwGE 61, 256 (275); BVerwGE 75, 285 (291); BVerwGE 77, 285 (291); BVerwGE 85, 54 (56); jeweils mit Verweis auf BVerfGE 53, 30 (71 ff.). 211 Im Ergebnis ähnlich auch von Danwitz, Thomas, DVBl. 1993, 422 (424 f.).
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Eine Sonderstellung bei der Bewertung von Verfahrensrechten als subjektiv-öffentlichen Rechten nimmt der Anspruch auf Informationszugang aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG und den entsprechenden Ländergesetzen ein. Er ist ausdrücklich als eigenes „formales“ subjektiv-öffentliches Recht212 ausgestaltet, das jedermann zusteht, ohne dass hierbei eine hinter dem Verfahrensrecht stehende eigene materielle Rechtsposition vonnöten wäre. Anders als regelmäßig bei „herkömmlichen“ absoluten Verfahrensrechten gewährt der Informationszugangsanspruch damit ein subjektiv-öffentliches Recht sogar unabhängig von einer eigenen Betroffenheit.213 bb) Relative Verfahrensrechte In der neueren Rechtsprechung des 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts wird insbesondere im Anschluss an den Mühlheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass auch relative – nicht selbstständige, sondern gerade unmittelbar auf den Schutz materieller Rechtspositionen und auf die Sachentscheidung bezogene – Verfahrensrechte subjektiv-öffentliche Rechte darstellen können. Eine eindeutige Antwort auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Geltendmachung von allgemeinen Verfahrensfehlern über die Verletzung absoluter Verfahrensrechte hinaus möglich ist, lässt sich der Rechtsprechung und vor allem dem Mühlheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts selbst zunächst nicht entnehmen. Auch eine vom materiellen Recht unabhängige Geltendmachung solcher Rechte scheint danach möglich. Obgleich das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit gerade klagebefugter Dritter, sich auch auf Verfahrensverstöße zu berufen, betont, lässt es die Möglichkeit einer von der materiell-rechtlichen Rechtsposition unabhängigen Geltendmachung grundsätzlich offen.214 Das vom Bundesverfassungsgericht dort zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hatte nämlich eine solche subjektiv-rechtliche Qualität von Verfahrensnormen und eine daraus folgende unabhängige Geltendmachung nur grundsätzlich verneint.215 (1) Schutz einer materiellen Rechtsposition durch das Verfahrensrecht Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts betont zur Herleitung subjektiver Verfahrensrechte regelmäßig die notwendige Verbindung zwischen dem Verfahrensfehler und einer materiellen Rechtsposition.216 Es wird bei der Frage nach ihrem 212 Schmitz, Heribert/Jastrow, Serge-Daniel, NVwZ 2005, 984 (986); Schoch, Friedrich, IFG Kommentar, § 1 Rdnr. 16. 213 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 228 f. 214 BVerfGE 53, 30 (64). 215 BVerwGE 41, 58 (63 ff.). 216 Vgl. u. a. BVerwGE 61, 256 (275); BVerwGE 75, 285 (291); BVerwGE 88, 286 (288), jeweils in Bezug auf Beteiligungsrechte in atomrechtlichen Verfahren; BVerwGE 85, 368 (374), in Bezug auf Beteiligungsrechte im immissionsschutzrechtlichen Verfahren.
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drittschützenden Charakter und danach, ob sie nicht lediglich im Interesse der Allgemeinheit oder der entscheidenden Behörde erlassen worden ist, damit zuvörderst auf die durch das Verfahrensrecht zu verwirklichende materielle Rechtsposition geblickt.217 Der Drittschutz einer Vorschrift über die Öffentlichkeitsbeteiligung etwa bestehe nur in Bezug auf die materiell-rechtliche Rechtsposition, deren Durchsetzung oder Verwirklichung das prozedurale Recht ermöglichen solle.218 Nur eine Verfahrensvorschrift, die gerade den Schutz materieller Rechtspositionen bezwecke, könne danach im Bereich relativer Verfahrensrechte ein subjektiv-öffentliches Recht sein.219 Zunächst bedarf es zur Begründung einer Klagebefugnis wegen eines verletzten Verfahrensrechts dieser Herangehensweise nach einer gleichsam hinter diesem Verfahrensrecht stehenden materiellen Rechtsposition gerade des Klägers selbst, deren Schutz das Verfahrensrecht dient. Entwickelt wurde dies zunächst für Beteiligungsrechte bei bestimmten formalen Verwaltungsverfahren. Insbesondere wurde der drittschützende Charakter derjenigen Vorschriften für das atomrechtliche Genehmigungsverfahren sowie das Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG anerkannt, welche die Beteiligung Betroffener regeln. In diesen Verfahren gewährleistet die Beteiligung während des Verwaltungsverfahrens bereits die Durchsetzung und den Schutz materieller Rechtspositionen.220 Ebenso wurden Vorschriften über die Vollständigkeit der auszulegenden Akten und die Gewährung von Akteneinsicht in bestimmten Planungsverfahren als drittschützend anerkannt, da auch deren Verletzung eine Beeinträchtigung der Beteiligung Betroffener nach sich ziehen könne.221 Über die Regelungen in besonderen förmlichen Verwaltungsverfahren hinaus ist die Rechtsprechung restriktiv, was die Anerkennung eines drittschützenden Cha-
217 Schmitt Glaeser, Walter, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (60 f.); Rupp, Hans Heinrich, Bemerkungen zum verfahrensfehlerhaften Verwaltungsakt, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 151 (166); Pitschas, Rainer, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 651; Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 524; Laubinger, Hans-Werner, VerwArch 73 (1982), 60 (73); Goerlich, Helmut, NVwZ 1982, 607 (608). 218 BVerwGE 61, 256 (275). 219 Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 157. 220 BVerwGE 60, 297 (303, 307); BVerwGE 61, 256 (275); BVerwGE 75, 285 (291); BVerwGE 85, 54 (65); BVerwG, NJW 1983, 1507 (1508). 221 Für das eisenbahnrechtliche Planfeststellungsverfahren BVerwG, NVwZ 1999, 535; zwar führte die fehlerhafte Auslage der Akten hier nicht zur Aufhebung der Verwaltungsentscheidung, dies aber nicht aufgrund eines fehlenden drittschützenden Charakters der Vorschriften, sondern weil das Gericht annahm, die Kläger seien im Ergebnis in der Geltendmachung ihrer Belange durch den Verfahrensfehler nicht gehindert worden; ebenso für das luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsverfahren BVerwGE 127, 95 (99 f.).
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rakters von Beteiligungsvorschriften anbelangt.222 Auch in der Literatur wird teilweise betont, von einem drittschützenden Charakter einer Beteiligungsvorschrift könne immer nur dann ausgegangen werden, wenn das Verfahrensrecht dem zu Beteiligenden in „hervorgehobener, qualifizierter Weise Anhörungs- oder Beteiligungsrechte einräumt“,223 so dass von dem Willen des Gesetzgebers ausgegangen werden könne, das Beteiligungsrecht solle gerade den materiellen Rechtsschutz bereits im Verwaltungsverfahren garantieren. Allerdings ist eine solche materielle Rechtsschutzfunktion nicht notwendigerweise auf qualifizierte Anhörungs- oder Beteiligungsrechte zu beschränken. Vielmehr gibt jedes Verfahrensrecht, das die Einbeziehung einer bestimmten Person in das Verwaltungsverfahren regelt, diesem die Möglichkeit, auf die Verbesserung seiner materiellen Rechtspositionen hinzuwirken. Dies gilt auch für die Anhörung eines Drittbetroffenen nach § 28 VwVfG, der zu dem Verfahren hinzugezogen wurde und gegebenenfalls nach § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG sogar obligatorisch hinzuzuziehen ist. Eine solche Anhörung ist als Mindeststandard einer Beteiligung am Verfahren auch gerade als grundrechtsgeboten anzusehen. Insbesondere in offenen Entscheidungsprogrammen der Verwaltung nimmt die Beteiligung Betroffener einen besonderen Stellenwert ein. Dies gilt nicht nur in Bezug auf das Ergebnis der Sachentscheidung als solches, sondern auch auf die materiellen Rechtspositionen der Beteiligten oder zu Beteiligenden. Von einer rein objektiven, nur dem Interesse der Verwaltung an hinreichender Sachaufklärung dienenden Funktion der Beteiligung kann demnach nicht ausgegangen werden.224 Schwieriger noch ist die Bestimmung des Drittschutzes in Bezug auf Vorschriften, welche die Beteiligung anderer Stellen oder Behörden vorsehen. Zumeist werden derartige Vorschriften allein als die behördliche Entscheidungsfindung oder den Schutz bestimmter öffentlicher Interessen betreffend angesehen und nicht als den materiellen Interessen eines Dritten dienend.225 Ein anderes Bild kann sich jedoch dadurch ergeben, dass die bestimmte Stelle oder das Gremium gerade zum Schutz der Interessen des Betroffenen eingesetzt werden soll. Vorschriften, die eine derartige Beteiligung vorsehen, sind dann als drittschützend anzusehen.226 222
Vgl. BVerwGE 85, 368 (374 f.), in Bezug auf die Anhörung im vereinfachten Verfahren nach § 19 BImSchG. 223 Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 78. 224 Ladenburger, Clemens, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und im deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S. 362 f.; zu einer „selbstverständlich“ drittschützenden Funktion von Beteiligungsrechten im Allgemeinen kommen auch Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 849 f.; Scherzberg, Arno, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12 Rdnr. 24; in diese Richtung geht nunmehr auch das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf Anhörungs- und Beteiligungsrecht im Planfeststellungsverfahren; vgl. BVerwG NVwZ-RR 1999, 725 (726). 225 Vgl. etwa bereits BVerwGE 28, 268 (270 f.), für das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB; BVerwGE 52, 122 (128). 226 Dazu Ladenburger, Clemens, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und im deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S. 366.
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
Normen, welche die ordnungsgemäße Sachverhaltsaufklärung regeln, sind zunächst grundsätzlich objektiv-rechtlich, und es soll der Behörde überlassen bleiben, welche Mittel sie in diesem Rahmen konkret einsetzt.227 Es ist jedoch denkbar, dass in den Fällen, in denen sich die Sachverhaltsaufklärung gerade auf ein materielles Recht des Klägers bezieht, den sie regelnden Vorschriften insoweit auch drittschützende Wirkung zugesprochen wird.228 Die Einhaltung einer bestimmten Verfahrensart, die beispielsweise eine qualifizierte Beteiligung Drittbetroffener bedeuten würde, ist an sich nicht drittschützend.229 Allerdings kann ein „Anspruch auf Durchführung“230 einer bestimmten Verfahrensart daraus entstehen, dass die rechtswidrige Unterlassung eines bestimmten Verfahrens dazu geführt hat, dass materiell-rechtliche Positionen nicht geltend gemacht werden konnten.231 Drittschutz wird auch Vorschriften zugesprochen, welche die Begründung einer Verwaltungsentscheidung regeln.232 Die Begründung soll gerade die mögliche Verteidigung materieller Rechtspositionen gegenüber der Verwaltung sicherstellen, gegebenenfalls auch in einem sich anschließenden Gerichtsverfahren. Überdies kommt ihr wegen ihrer Rolle als Selbstkontrollmechanismus der entscheidenden Behörde auch eine bedeutende Rechtsschutzfunktion für den Einzelnen zu. Unter anderem daraus erfolgt die Annahme, dass die Begründung insbesondere den Individualinteressen des Betroffenen dient. Ebenso bedrohen Verletzungen des Verfahrensgrundsatzes der Unbefangenheit und Gleichbehandlung die materiell-rechtlichen Positionen eines durch das Verfahren Betroffenen derart, dass Verfahrensvorschriften in diesem Bereich als drittschützend angesehen werden können.233
227
BVerwG, NVwZ 1999, 535 (536). Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 853. 229 BVerwGE 41, 58 (64 ff.); BVerwGE 44, 235 (239 f.); BVerwGE 64, 243 (246); zusammenfassend hierzu auch BVerwGE 85, 368 (377). 230 Dieser Topos wird nicht gebraucht, um die Frage zu klären, ob ein Einzelner einen positiven Anspruch auf die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens hat; dies wird allgemein verneint; vielmehr geht es um die Frage, ob gegen ein Vorhaben vorgegangen werden kann, das etwa nicht innerhalb eines vorgeschriebenen Verfahrens genehmigt oder geplant wurde; zu dieser missverständlichen Bezeichnung von Danwitz, Thomas, DVBl. 1993, 422 (425); Kleesiek, Anja, Zur Problematik der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, 2010, S. 70 f. 231 BVerwGE 62, 243 (248); BVerwGE 115, 158 (164): „Eine derartige Beeinträchtigung liegt vor, wenn einem Drittbetroffenen die planerische Abwägung seiner dem Vorhaben entgegenstehenden Belange wegen der fehlerhaften Wahl der Verfahrensart versagt geblieben ist. Dies kann ein Drittbetroffener mit seiner Klage gegen die Baugenehmigung geltend machen.“ 232 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 851; Stelkens, Ulrich, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 39 Rdnr. 27. 233 BVerwGE 69, 256 (263 ff.); Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 157; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 851. 228
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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(2) Möglichkeit der konkreten Auswirkung des Verfahrensfehlers auf eine materielle Rechtsposition des Klägers Anders als bei der unmittelbaren Verletzung materiell-rechtlicher Rechtsnormen wird schon bei der Begründung einer Klagebefugnis aufgrund der Verletzung relativer Verfahrensvorschriften nach der Schutznormlehre sodann in einem zweiten Schritt234 geprüft, ob sich der Verfahrensfehler auch auf die durch die Verfahrensnorm zu schützende materielle Rechtsposition ausgewirkt haben könnte.235 Werden gewisse Rechte innerhalb des Verwaltungsverfahrens anerkannt, handelt es sich zumeist um solche Rechte, die als notwendig zur Durchsetzung materieller Rechtspositionen angesehen werden oder zumindest der Verwirklichung materieller Rechtspositionen dienen. Die Möglichkeit der Verletzung eines solchen Verfahrensrechts soll dann aber nicht zugleich zwingend die zur Begründung der Klagebefugnis notwendige Möglichkeit einer Verletzung subjektiver Rechte implizieren. Vielmehr wird ein weiter gehender Zusammenhang zwischen dem Verfahrensfehler und der materiell-rechtlichen Rechtsposition des Betroffenen gefordert. Der Betroffene muss dartun, inwiefern sich die verletzte Verfahrensvorschrift auf seine nach materiellem Recht geschützten Rechtspositionen negativ ausgewirkt haben kann.236 Eine Vermutung dafür oder gar ein zwingender Schluss darauf, dass ein Recht auf Beteiligung an einem bestimmten Verfahren auch eine materielle Betroffenheit nach sich ziehen muss, erkennt die Rechtsprechung nicht an.237 Allerdings sind in einem solchen Fall die Anforderungen an die Substantiierung der materiell-rechtlichen Betroffenheit im Rahmen der Klagebefugnis begrenzt,238 da der Verfahrensfehler gerade bei Beteiligungs- und Akteneinsichtsrechten dazu geführt haben kann, dass 234
BVerwGE 85, 368 (376 f.); OVG Lüneburg, DVBl. 1981, 644 (647); Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 525; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 58; so auch Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 7, wenn ein Rechtsbehelf auf eine Verfahrensnorm gestützt werden soll, die nicht zumindest auch dem Interesse desjenigen zu dienen bestimmt ist, um dessen Rechtsbehelf es geht, sei dies dem Betroffenen schon nach dem allgemeinen Prozessrecht (§ 42 Abs. 2 VwGO) verwehrt, und es komme auf § 46 VwVfG nicht mehr an. 235 Deutlich BVerwGE 75, 285 (291); Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 860 f.; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 58 f. 236 BVerwGE 61, 256 (275); BVerwGE 75, 285 (291); BVerwGE 85, 368 (375); BVerwGE 88, 268 (288); BVerwG, NVwZ 1989, 1168; BVerwGE 115, 158 (164): Es besteht kein Anspruch auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens, aber darauf, durch dessen Nichtdurchführung nicht in materiellen Rechten verletzt zu werden, etwa wegen eines daraus folgenden Ausbleibens der planerischen Abwägung gegen das Vorhaben stehender Belange; OVG Lüneburg DVBl. 1981, 644 (647); OVG Lüneburg, DVBl. 1984, 229 (235); für das Atomrecht gilt, dass schon das nicht durchgeführte atomrechtliche Genehmigungsverfahren oder Planfeststellungsverfahren zur Begründung der Klagebefugnis ausreichen soll; vgl. u. a. BVerwGE 88, 286 (288 f.). 237 BVerwGE 61, 256 (271). 238 BVerwGE 75, 285 (291 f.).
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
der Kläger nicht in der Lage ist, seine materiell-rechtliche Betroffenheit zu überprüfen.239 Erneut wird hier die stark materiell-rechtlich geprägte Ausrichtung der Rechtsschutzmöglichkeiten deutlich – die Anwendung der Schutznormtheorie erfolgt nicht unabhängig allein auf die Verfahrensvorschrift bezogen, sondern verlangt eine „konkret spezifische Relation zwischen Verfahrensverstoß und materieller Rechtsposition des Klägers.“240 § 46 VwVfG, der für die Beachtlichkeit bestimmter Verfahrensfehler eine solche Relation zur Sachentscheidung fordert, ist hingegen eine die Begründetheit – in diesem Fall regelmäßig – der Anfechtungsklage betreffende Vorschrift; seine Anwendbarkeit schließt die Klagebefugnis zunächst nicht aus.241 Umgekehrt bedeutet die Forderung der Rechtsprechung nach einer konkreten Relation des Verfahrensfehlers zu einer materiellen Rechtsposition für die Begründung des subjektiv-öffentlichen Charakters einer verletzten Verfahrensnorm, dass im Fall einer isolierten Geltendmachung von relativen Verfahrensrechten die Klage schon nicht zulässig ist; es kommt dann auf die Anwendung des § 46 VwVfG gar nicht mehr an.242 (3) Weitere Möglichkeiten der Herleitung subjektiver Verfahrensrechte Entgegen der restriktiven Handhabung der Rechtsprechung und großer Teile der Literatur selbst gegenüber der Anerkennung relativer Verfahrensrechte als subjektivöffentlicher Rechte werden in der Literatur vereinzelt auch Anschauungen zu einer weiter gehenden Anerkennung eines subjektiv-rechtlichen Charakters von relativen Verfahrensvorschriften vertreten. Dabei wird darauf abgestellt, vor allem der zweite Schritt der von der Rechtsprechung angewandten Herleitung des subjektiv-rechtlichen Charakters einer Verfahrensvorschrift lasse die hierfür notwendige Begründung vermissen. Dadurch, dass die Rechtsprechung neben der Schutzrichtung der Verfahrensvorschrift im Hinblick auf eine materielle Rechtsposition des Klägers zusätzlich eine konkrete Relation des Verfahrensrechtsverstoßes zu dieser materiellen Rechtsposition verlange, gehe sie über die eigentlichen Anforderungen der Schutznormtheorie hin-
239 Wahl, Rainer/Schütz, Peter, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 42 Abs. 2 Rdnr. 75. 240 Ladenburger, Clemens, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und im deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S. 371. 241 Vgl. Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger, VwGO Kommentar, § 42 Rdnr. 95 und 179; Kopp, Ferdinand/Ramsauer, Ulrich, VwVfG Kommentar, § 46 Rdnr. 42 m.w.N.; Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 67. 242 Allerdings kann in einem Fall, in dem die Voraussetzungen des § 46 VwVfG offensichtlich gegeben sind, dessen Anwendung auch bereits zur Unzulässigkeit der Klage führen; vgl. Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 67, mit Hinweis auf VGH Kassel, NVwZ-RR 1999, 304 (305).
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aus.243 Im Rahmen der Begründetheit und dort unter Anwendung des § 46 VwVfG werde regelmäßig ein Zusammenhang des Verfahrensfehlers mit der Fehlerhaftigkeit der Sachentscheidung ohnehin geprüft werden. Auch lasse sich § 42 Abs. 2 VwGO selbst zunächst nicht entnehmen, dass das Recht, dessen mögliche Verletzung geltend gemacht werden solle, ein materiell-rechtliches sein müsse. Zur Begründung einer solche Annahme müsse man dann zwangsläufig auf den – eigentlich im Rahmen der Begründetheit zu prüfenden – Aufhebungsanspruch blicken, der regelmäßig nur dann bestehen könnte, wenn wie unter anderem von § 46 VwVfG gefordert, eine Auswirkung auf den materiell-rechtlichen Gehalt der Sachentscheidung vorliege.244 Von einem subjektiven Recht könne daher auch schon immer dann ausgegangen werden, wenn das relative Verfahrensrecht allgemein einer materiellen Rechtsposition desjenigen, dem das Verfahrensrecht zuerkannt werde, zu dienen bestimmt sei. Einer darüber hinaus gehenden Möglichkeit konkret-spezifischer Relation zwischen dem Verfahrensfehler und der materiellen Rechtsposition bedürfe es für die Begründung der Klagebefugnis dann nicht. Auch ist es möglich, eine Unterscheidung zwischen einer möglicherweise verletzten materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen Norm zur Begründung der Klagebefugnis zunächst gänzlich zu unterlassen, die Schutznormtheorie also unverändert auch auf Verfahrensrechte anzuwenden. Im Fall der möglichen Verletzung drittschützender Normen müsste die Klagebefugnis dann stets bejaht werden. Die Frage nach der Folge eines Verfahrensfehlers ist dann durch das Verwaltungsgericht erst im Rahmen der Begründetheit zu überprüfen.245 cc) Zwischenfazit zu subjektiven Verfahrensrechten Vor allem die aus dem Unionsrecht kommenden Forderungen nach der gerichtlichen Durchsetzbarkeit verfahrensrechtlicher Garantien stellen das deutsche Rechtssystem des subjektiven Rechtsschutzes, das auf eine Ergebniskontrolle und den Schutz materieller Rechte ausgelegt ist, vor gewisse Schwierigkeiten. Einerseits muss dort, wo eine weitgehende Verlagerung des Rechtsschutzes in das Verwaltungsverfahren hinein überlegt wird, an eine Ausweitung der Anerkennung gerichtlich durchsetzbarer subjektiv-rechtlicher Verfahrensrechte gedacht werden – insbesondere, wenn es um komplexe durch das materielle Recht nicht zu treffende 243 Quabeck, Christian, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 58. 244 Baumeister, Peter, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des fehlerhaften Verwaltungsaktes, 2006, S. 77; so liest sich auch die Erläuterung der Voraussetzung hinreichend wahrscheinlicher Auswirkungen auf die materiell-rechtliche Drittrechtsposition bei SchmidtPreuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 524 ff., unter wiederholtem Hinweis auf den Aufhebungsanspruch, der nur bei einer solchen Relation aus einem Verfahrensfehler folgen könne. 245 M.w.N. Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 860; ähnlich auch Czajka, Dieter, Verfahrensfehler und Drittschutz im Anlagenrecht, in: Czajka/Hansmann/Rebentisch (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Feldhaus, 1999, S. 507 (510).
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Abwägungsentscheidungen geht. Es ist dann nicht mehr die Ergebnisrichtigkeit, die anhand ihres Eingriffs in materielle Rechtspositionen überprüft wird, sondern die Einhaltung der die subjektiven Interessen des Einzelnen schützenden Verfahrensnormen an sich. Andererseits kann eine Ausweitung gerichtlich durchsetzbarer verfahrensrechtlicher Garantien die dem deutschen Rechtsschutz traditionell immanente umfassende materielle Verwaltungskontrolle nicht unberührt lassen. Nur wo es tatsächlich zu einer Einschränkung der materiellen Kontrolldichte kommt, kann vernünftigerweise eine Ausdehnung auf den Schutz von Verfahrensrechten verlangt werden.246 In einem solchen Fall ist jedoch anzuerkennen, dass das – relative – Verfahrensrecht gerade den Schutz materieller Rechtspositionen sicherstellt, der durch das formelle Gesetzesrecht nicht mehr vollkommen gewährleistet werden kann. Eine eigene subjektiv-rechtliche Qualität kann derartigen Rechten daher nicht abgesprochen werden. Insbesondere ist ein Durchgriff auf die zu schützende materielle Rechtsposition bei der Verletzung eines solchen Verfahrensrechts stets anzunehmen oder zu vermuten und sollte dementsprechend nicht zusätzlich im Rahmen der Begründung der Klagebefugnis dargelegt werden müssen. 2. Die Zulassung einer judicial review Klage in England Auch in England ist der Erfolg einer Klage von der Zulässigkeit vor dem angerufenen Gericht und von ihrer Begründetheit abhängig, obgleich eine strikte Trennung der beiden Prüfungsteile nicht dem deutschen System entsprechend vorgenommen wird. Eine Klage im Rahmen des judicial review proceedings muss zunächst vom High Court zugelassen werden – permission oder grant of leave. Die Voraussetzungen hierfür sind heute in Part 54 Civil Procedure Rules (CPR) enthalten. Der Antrag auf judicial review muss gemäß Rule 54.5. (1) und (5) CPR innerhalb einer Frist von drei Monaten, im Falle einer Klage gegen eine planungsrechtliche Entscheidung sogar innerhalb von sechs Wochen nach dem Entstehen des Klagegrunds bei dem High Court eingehen. Darüber hinaus hat der Kläger darzulegen, dass die Annahme eines Klagegrunds vertretbar ist – arguable case. Zuletzt ist die Zulassung von einem standing oder locus standi, einem ausreichenden Interesse des Klägers an der Überprüfung der Entscheidung abhängig. Da es sich nur hierbei um eine Regelung handelt, die gegebenenfalls Aufschlüsse über die subjektive oder objektive Ausrichtung des Verwaltungsgerichtssystems geben kann, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Zulassungsvoraussetzung des standing. a) Die Klagebefugnis – standing Der Kläger muss zunächst bereits im Rahmen der Zulassung seiner judicial review-Klage sein ausreichendes Interesse an derselben darlegen. Jedoch ist seit der Entscheidung des House of Lords in dem Fall Internal Revenue Commissioners 246
Wahl, Rainer, DVBl. 2003, 1285 (1291); Ziekow, Jan, NVwZ 2007, 259 (266).
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(IRC) v National Federation of Self Employed and Small Businesses247 klar, dass die zur Begründung des standing herangezogene Überprüfung eines ausreichenden Interesses an der Klage – sufficient interest test – nicht nur bei der Zulassung einer Klage, sondern auch im weiteren Verlauf des Verfahrens eine Rolle spielt. So kann zwar auch in England eine Einteilung dahingehend vorgenommen werden, ob der Betroffene sich mit seinem Anliegen überhaupt an ein Gericht wenden und danach, ob er einen Klagegrund geltend machen kann. Jedoch wird die Frage des standing nicht nur für die Zulassung der Klage, sondern auch im Rahmen ihrer Begründetheit herangezogen; es handelt sich um einen zweiteiligen Test.248 Wo in Deutschland materielle Fragen der Begründetheit nach dem subjektiv-rechtlichen Charakter einer Norm in die Prüfung der Zulässigkeit einbezogen werden, spielt in England eine Frage, die nach deutschem Verständnis der Zulässigkeit zugeordnet wird – nämlich die nach einem ausreichenden Interesse an der Überprüfung der Entscheidung und an deren Aufhebung –, in verschiedenen Ausprägungen sowohl bei der Prüfung der Zulassung einer Klage als auch bei ihrer Begründetheit eine Rolle. b) Zulassung einer Klage und sufficient interest test Die Möglichkeit, eine Entscheidung der Verwaltung im Rahmen des judicial review überprüfen zu lassen, hängt zunächst davon ab, ob der High Court die Klage zulässt. Hierfür sieht Section 31 des Senior Court Act 1981 vor, dass eine Klage nur zugelassen werden soll, wenn der Kläger ein ausreichendes Interesse an der Überprüfung der Entscheidung geltend machen kann. Seit den grundlegenden Reformen des Jahres 1977 wurde das judicial review proceeding von der Order 53 der Rules of the Supreme Court geregelt. Die Regelung sah erstmals einheitliche Voraussetzungen für die Zulassung der prerogative orders mandamus, certiorari und prohibition, die durch diese Reform in mandatory orders, quashing orders und prohibiting orders umbenannt wurden, vor.249 Section 31 des Senior Court Act 1981 gilt seit diesen Reformen einheitlich für alle Klagen unter dem judicial review proceeding. Zuvor hatte es für die verschiedenen Klagemöglichkeiten sehr unterschiedliche Regeln darüber gegeben, wem Zugang zu den Gerichten gewährt wurde. Die Rechtsmittel, die dem Privatrecht zugeordnet wurden, standen regelmäßig nur denjenigen zu, deren eigene Rechte berührt waren. Die öffentlich-rechtlichen Klagearten, die formell im Namen der Krone eingelegt werden, wurden jedem zugestanden, den das Gericht als berechtigt ansah, die angegriffene Entscheidung 247
[1982] AC 617. Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 670 Rdnr. 18.5.2; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 589. 249 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 589 f.; eine weiterhin nach den verschiedenen Klagemöglichkeiten differenzierende Ansicht bei Fragen der Zulassung einer judicial review-Klage, wie sie Lord Wilberforce im Fall IRC v National Federation of SelfEmployed and Small Businesses zugelassen hatte, steht dem Bestreben der judicial reviewReform entgegen, die Voraussetzungen gerade zu vereinheitlichen. 248
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überprüfen zu lassen.250 Die Order 53 der Rules of the Supreme Court wurde im Jahre 2000 durch Part 54 der Civil Procedure Rules ersetzt, der nunmehr das judicial review proceeding regelt. Da Part 54 der Civil Procedure Rules jedoch keine eigenen Voraussetzungen für das standing festlegt, gilt hierfür weiterhin Section 31 (3) des Senior Courts Act 1981. Um das nach dieser Vorschrift zu fordernde ausreichende Interesse festzustellen, ist nach wie vor der in diesem Zusammenhang von den Gerichten entwickelte sufficient interest test anzuwenden.251 aa) Grundsätzlich weite Zulassung von ausreichenden Interessen In einem der wichtigsten Fälle, der sich mit den Voraussetzungen für das judicial review beschäftigt – Inland Revenue Commissioners (IRC) v National Federation of Self-Employed and Small Businesses (1982)252 – war gerade der Zusammenhang zwischen der Bewertung der Klagebefugnis nach dem sufficient interest test im Rahmen der Zulassung einer Klage und den materiellen Gesichtspunkten der Klage entscheidend. Der High Court hatte die Frage der Klagebefugnis im Rahmen der Zulassung des judicial review als eine Art Vorfrage zu den eigentlichen materiellen Fragen des Falls, vergleichbar einer Zulässigkeitsprüfung nach deutschem Verständnis, behandelt. Der sodann angerufene Court of Appeal war ähnlich vorgegangen. Gerade dieses Vorgehen wurde jedoch von dem schließlich mit dem Fall befassten House of Lords kritisiert. Nur in besonders einfachen Fällen könne die Frage der Klagebefugnis ohne eine genauere Prüfung der materiellen Fragen beantwortet werden und dann schon in der Phase der Zulassung der Klage zu einem Ausschluss des judicial review führen. Allein in solchen Fällen werde die Frage nach dem ausreichenden Interesse an der Überprüfung abschließend bei der Zulassung einer Klage geklärt. Lediglich vollkommen aussichtslose Klagen sollen vom High Court schon nicht zum judicial review proceeding zugelassen werden. In allen anderen Fällen müsse hingegen die Beurteilung des ausreichenden Interesses nach der Zulassung der Klage erneut ausführlich und im Zusammenhang mit den übrigen materiellen Voraussetzungen des judicial review behandelt werden.253 Zwar wurde der Fall Inland Revenue Commissioners (IRC) v National Federation of SelfEmployed and Small Businesses (1982)254 vor den neueren Reformen des judicial review entschieden; er zeigt jedoch nach wie vor, wie die Fragen der Zulassung und 250
Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 583; zu der früheren Unterscheidung zwischen den privatrechtlichen Klageformen und den öffentlich-rechtlichen prerogative writs siehe Kapitel 2 B. II. 1. b) aa) (2). 251 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 668 Rdnr. 18.3.1 f. 252 [1982] AC 617. 253 Lord Fraser und Lord Scarman in Inland Revenue Commissioners v National Federation of Self-Employed and Small Businesses Ltd. (1982) AC 617 (645C ff. und 654 A ff.); so auch R v Inspectorate of Pollution, ex parte Greenpeace Ltd. (No2) (1994) All ER 329 (346G ff.). 254 [1982] AC 617.
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die im eigentlichen Verfahren zu beantwortenden Fragen der Klagebefugnis und der materiellen Voraussetzungen einer erfolgreichen Klage zusammenhängen.255 Auch die in den späten Achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts für die Herausarbeitung notwendiger Reformen eingesetzte JUSTICE-All Souls-Kommission hatte einen grundsätzlich weiten Zugang zu den Gerichten im öffentlichen Recht und eine großzügige Auslegung von Regelungen der Klagebefugnis gefordert.256 Dass dennoch der Großteil der judicial review-Anträge schon nicht zugelassen wird, also kein leave oder permission erhält,257 liegt damit nicht an den Regeln zur Klagebefugnis, sondern vielmehr an den sehr strengen Fristenregelungen, der Unanwendbarkeit des judicial review proceedings, etwa weil es sich nicht um die Handlung einer staatlichen Einrichtung handelt, und vor allem an der fehlenden vertretbaren Darstellung, dass ein Klagegrund bestehen kann.258 Dem Fall IRC v National Federation of Self-Employed and Small Businesses (1982)259 nachfolgend haben die Gerichte stets eine sehr flexible und offene Herangehensweise gezeigt, wenn es um die Frage eines ausreichenden Interesses bei der Zulassung einer judicial review-Klage geht. Klagen, die lediglich aufgrund der fehlenden Klagebefugnis abgelehnt wurden, ohne auch an Fragen der Begründetheit zu scheitern, hat es so gut wie gar nicht gegeben.260 Dies gilt selbst dann, wenn der Kläger nur eine untergeordnete Beziehung zu dem Klagegegenstand oder ein entferntes Interesse an der Überprüfung einer behördlichen Entscheidung hat. Die großzügige Herangehensweise an die Ermittlung eines ausreichenden Interesses im Rahmen der Zulassung einer Klage macht auch deutlich, weshalb an dieser Stelle kein Unterschied zwischen den verschiedenen Klagearten mehr gemacht wird – das geltend zu machende Interesse muss in irgendeiner Weise begründet werden können. Das heißt, der Kläger muss in irgendeiner Weise von der angegriffenen Entscheidung betroffen sein, unabhängig davon, inwieweit er gegen diese Entscheidung vorgehen will.261
255 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 670 Rdnr. 18.5.1 f. 256 JUSTICE-All Souls Committee, Report Administrative Justice: Some necessary reforms, 1988, Kapitel 8, Rdnr. 8.2. 257 Nach Ministry of Justice, Court Statistics Quarterly April to June 2014, S. 31, wurden im Jahr 2013 nur 8 % aller judicial review-Anträge zur Verhandlung in der Sache zugelassen. 258 Craig, Paul, Administrative Law, S. 857 ff. Rdnr. 27 – 046 ff.; überdies wird einem großen Teil der judicial review-Anträge vor Erreichen der Prüfung in der Sache einvernehmlich und häufig im Sinne des Klägers abgeholfen; vgl. Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, Andrew, de Smith’s Judicial Review, S. 31 Rdnr. 1 – 050. 259 [1982] AC 617. 260 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, de Smith’s Judicial Review, S. 78 f. Rdnr. 2 – 019 f.; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 590; auch zum Folgenden. 261 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 672 Rdnr. 18.6.4 ff.
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Auch im Planungsrecht, wo etwa Section 288 des Town and Country Planning Act 1990 in Bezug auf Bau- oder Plangenehmigungen und Section 113 des Planning and Compulsory Purchase Act 2004 in Bezug auf die Erstellung eines Bebauungs- oder Flächennutzungsplans die Möglichkeit eines Rechtsmittels zum High Court außerhalb des judicial review proceedings vorsehen, wird die dortige Zulassungsvoraussetzung der Betroffenheit oder Beeinträchtigung – aggrieved – im Lichte der aufgezeigten Entwicklung mittlerweile sehr weit ausgelegt. Wo zuvor in Anlehnung an die Herangehensweise bei zivilrechtlichen Klage noch davon ausgegangen wurde, dass der Kläger die mögliche Verletzung eines eigenen privaten Rechts geltend machen müsse,262 wird nunmehr zumeist auf die öffentlich-rechtliche Besonderheit der planungsrechtlichen Klagemöglichkeiten verwiesen.263 Zu den möglichen betroffenen Personen im Sinne der Section 288 Town and Country Planning Act 1990 werden neben dem Adressaten einer Bau- oder Plangenehmigung oder dem Adressaten der Ablehnung einer solchen und der Planungsbehörde heute auch Dritte gezählt, die eine aktive Rolle im Bau- oder Plangenehmigungsverfahren – etwa durch das Vorbringen von Einwendungen – eingenommen haben.264 Die Klage im Rahmen der Section 288 Town and Country Planning Act richtet sich gegen die Entscheidung des Secretary of State, den derjenige, dessen Antrag auf Bau- oder Plangenehmigung abgelehnt wurde, zunächst anrufen muss. Entscheidet sich der Antragsteller gegen die Einschaltung des Secretary of State, ist auch der Weg der Klage nach Section 288 Town and Country Planning Act 1990, versperrt, und ein interessierter Dritter kann gegen die Ablehnung einer Bau- oder Plangenehmigung ebenso wie gegen die Genehmigung als solche im Rahmen des ordentlichen judicial review proceedings vorgehen.265 Er hat dann den herkömmlichen sufficient interest test zu bestehen. Auch in diesem Rahmen sind die Gerichte äußerst großzügig, was die Feststellung eines ausreichenden Interesses angeht. In dem Fall R v Cotswold DC, ex parte Barrington Parish Council (1997)266 wurde ein solches beispielsweise trotz der erheblichen Distanz des Dritten zu dem geplanten Vorhaben aufgrund seines anzuerkennenden Interesses wegen der Erhöhung des Verkehrsaufkommens im gesamten Umland des Vorhabens anerkannt. Abgelehnt wurde ein hinreichendes Interesse dagegen in einem Fall, in dem der Dritte mehrere Meilen entfernt von dem Vorhaben lebte, keine sachlichen Rechte an dem Land oder wirtschaftliche Interessen gegenüber dem geplanten Vorhaben geltend machen konnte und während des Zulas-
262
Buxton v Minister of Housing and Local Government (1961) 1 QB 278. Hough, Barry, JPL 1992, 319 (321). 264 So schon Turner v Secretary of State for the Environment (1974) 28 P. & C.R. 123 (135 ff.); Eco Energy (GB) Ltd. v First Secretary of State (2004) EWCA Civ 1566; Morbaine Ltd. v First Secretary of State (2004) EWHC 1708; Walton v Scottish Ministers (2012) UKSC 44 Rdnr. 86. 265 Moore, Victor/Purdue, Michael, A Practical Approach to Planning Law, S. 371 Rdnr. 19.118 f.; Hough, Barry, JPL 1992, 319 (325). 266 [1997] EGCS 66. 263
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sungsverfahrens weder Einwendungen vorgebracht hatte noch gesetzlich hätte beteiligt werden müssen.267 Im Rahmen der Zulassung sollen somit nur Klagen ausscheiden, bei denen der Kläger keinerlei besonderes Interesse an der Überprüfung der Entscheidung hat, sondern lediglich ein „meddlesome busybody“268 ist. Noch in dem Fall R v Secretary of State for the Environment, ex parte Rose Theatre Trust Co (1990)269 hatte es zwar geheißen, bei der Frage nach einem ausreichenden Interesse müsse die konkrete Verwaltungsentscheidung und die Ermächtigungsgrundlage für die Entscheidung daraufhin untersucht werden, ob sie dem Kläger ein größeres Interesse an der Kontrolle der Entscheidung als der allgemeinen Öffentlichkeit einräumen wolle. Diese grundsätzliche Aufteilung von Normen, die als eine schwächere Form der Schutznormtheorie begriffen werden könnte, wurde jedoch in späteren Fällen explizit zurückgewiesen.270 Auch Klagen, die ausdrücklich im öffentlichen Interesse angestrengt wurden, können hiernach zugelassen werden.271 Ob bei der Berufung auf ein öffentliches Interesse ein ausreichendes Interesse auch auf die Aufhebung der Entscheidung vorliegt, wird ebenfalls zumeist als eine Frage der Begründetheit im weiteren Verlauf des Verfahrens und in Zusammenhang mit den möglichen Gründen für die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung behandelt. Aufgrund der ohnehin auch nach nationalem Recht bereits sehr weiten Zulassungsregeln, welche die Person des Klägers und sein Interesse an der Klage betreffen, wird die Erfüllung der durch die Aarhus-Konvention und die entsprechenden europäischen Vorgaben geforderten weiten Zugangsmöglichkeiten zu Gericht in Umweltangelegenheiten als unproblematisch erfüllt angesehen.272 In der kürzlich vom Justizministerium herausgegebenen Evaluierung des judicial review proceedings wird jedoch das Bestreben der Gerichte kritisiert, auch Klägern, die sich ausdrücklich – allein – auf ein öffentliches Interesse berufen, einen Zugang zu Gericht zu ermöglichen. Ohne eine konkrete Neuformulierung für die Beurteilung des 267 R v North Somerset District Council and Pioneer Aggregates (UK) Ltd., ex parte Garnett (1998) Env. L. R. 91. 268 R v Monopolies and Mergers Commission, ex parte Argyll Group (1986) 1 WLR 763 (773 f.); ähnlich auch R v Somerset County Council and ARC Southern Ltd., ex parte Dixon (1998) Env. L. R. 111 (116 f.). 269 [1990] 1 QB 504; ähnlich auch R v Canterbury Council, ex parte Springimage Ltd. (1993) J.P.L.R. 58. 270 Deutlich und unter Berufung gegenteiliger Präzedenzfälle vor und nach der Entscheidung im Rose Theatre Fall Sedley J in R v Somerset County Council, ex parte Dixon (1998) Env. L. R. 111 (118). 271 R v Inspector of Pollution, ex parte Greenpeace (No 2) (1994) 4 All ER 329; R v Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs, ex parte World Development Movement (1995) 1 WLR 386; R (on the application of O) v Secretary of State for International Development (2014) EWHC 2371 (QB); dies ausdrücklich befürwortend Lord Woolf, PL 1995, 57 (62); zu der Anwendung des sufficient interest test auf Klagen von Interessensgruppen näher Kapitel 4 B. II. 2. b) cc). 272 Macrory, Richard, JR 2008, 115 (116).
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ausreichenden Interesses im Rahmen der Klagezulassung vorzuschlagen, wird betont, dass das öffentliche Interesse am besten durch den Gesetzgeber sowie die demokratisch legitimierte Regierung vertreten werde und dieser Grundsatz nicht durch von Einzelnen im Namen des öffentlichen Interesses gegen Verwaltungsentscheidungen angestrebten Gerichtsverfahren unterlaufen werden sollte.273 Dass eine solche Klage im öffentlichen Interesse in einigen unionsrechtlich überformten Bereichen und insbesondere im Anwendungsbereich der Aarhus-Konvention und damit zusammenhängend nach Art. 11 der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung274 möglich sein muss, wird allerdings anerkannt.275 Wie genau den Vorschlägen der Regierung begegnet werden wird und ob es in Teilen zu einer Eingrenzung der Regeln zur Klagebefugnis kommen wird, ist noch nicht ersichtlich. Kritisch wird allerdings bereits dazu geäußert, dass die Eindämmung der Klagemöglichkeiten auf solche im eigenen Interesse der allgemeinen Kontrollfunktion, die den Gerichten durch das englische Rechtssystem im Rahmen des judicial review proceedings zugewiesen werde, zuwiderlaufen würde.276 bb) Zulassung bei der Geltendmachung von Verfahrensfehlern Keine andere Regel gilt grundsätzlich im Fall der Geltendmachung eines Verfahrensfehlers. Der Klagegrund der procedural impropriety ist einer der bedeutendsten Klagegründe des judicial review proceedings, und für die Zulassung einer Klage hat der Betroffene allein ein irgendwie geartetes Interesse an der Aufhebung der Entscheidung geltend zu machen, das sich gerade auch aus einer Verletzung des natural justice-Prinzips oder der duty to act fairly ergeben kann. Verfahrensrechte werden auch im Allgemeinen weder unterschiedlich behandelt als materielle Rechte, noch werden sie als nachrangig angesehen.277 Im Bereich gesetzlich geregelter Verwaltungsverfahren wird so auch regelmäßig gerade auf die Verfahrensfehlerhaftigkeit einer Entscheidung als Grund für eine Klage verwiesen. Section 113 (3) (b) des Planning and Compulsory Purchase Act 2004 sieht beispielsweise vor, dass Klagen gegen einen development plan, der in seiner Wirkung in etwa mit einer 273 Ministry of Justice, Judicial Review – Proposals for further reform, CM 8703 (September 2013), S. 24 Rdnr. 80. 274 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1, vormals Art. 10a Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. 6. 1985, RL 85/337/EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG. 275 Ministry of Justice, Judicial Review – Proposals for further reform, CM 8703 (September 2013), S. 24 Rdnr. 81 f. 276 McGarry, John, JR 2014, 60 (61) mit Verweis auf den bereits zitierten Ausspruch von Sedley J zu der grundlegenden Rolle der Gerichte in R v Somerset County Council, ex parte Dixon (1998) Env L.R. 111 (121). 277 Vgl. insbesondere Galligan, Denis, Procedural Fairness, in: Birks (Hrsg.), The Frontiers of Liability, 1994, S. 113 (118).
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Verbindung aus einem Flächennutzungs- und einem Bebauungsplan verglichen werden kann, vor allem auf die Missachtung einer Verfahrensvorgabe gestützt werden können. Auch für die Geltendmachung von Fehlern bei der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder für die Rüge des Unterlassens einer solchen stellt Art. 11 UVP-Richtlinie278 auf ein sufficient interest des Klägers ab, so dass sich im Rahmen der Zulassung einer Klage zunächst keine Besonderheiten ergeben. Eine Neuerung im Rahmen der Diskussion darüber, ob es im englischen Recht das Kriterium der Auswirkung eines Verfahrensfehlers für die Aufhebbarkeit einer Verwaltungsentscheidung gibt, hat es durch Einführung des Section 31 (3c) Senior Courts Act 1981 gegeben. Wo zuvor in Fällen, in denen sich der Verfahrensfehler nicht auf den Inhalt der Entscheidung oder auf die tatsächlichen Interessen des Klägers ausgewirkt haben kann, nicht im Rahmen der Zulässigkeit, sondern erst im weiteren Verlauf der gerichtlichen Überprüfung diskutiert wurde, ob der Kläger durch den Verfahrensfehler eine tatsächliche Beeinträchtigung – real oder substantial prejudice – erfahren hat, sieht die genannte Vorschrift nunmehr vor, dass das Gericht eine judicial review-Klage bereits nicht zuzulassen hat, wenn es überwiegend wahrscheinlich erscheint, dass das Ergebnis für den Kläger ohne den in Rede stehenden Fehler der Verwaltung – eine explizite Unterscheidung zwischen verfahrensrechtlichen oder materiellen Fehlern wird nicht getroffen – kein wesentlich anderes gewesen wäre (outcome not substantially different). Die Möglichkeit, die Auswirkung des Verfahrensfehlers auf den Inhalt einer Entscheidung bereits im Rahmen der Klagebefugnis in Betracht zu ziehen, geht zurück auf die Reformvorschläge des Justizministeriums für das judicial review proceeding.279 Section 31 (3e) Senior Courts Act 1981 sieht jedoch vor, dass das Gericht eine judicial review-Klage auch ohne Annahme der Auswirkung des fehlerhaften Verwaltungshandelns auf den Kläger im öffentlichen Interesse zulassen kann. Die bislang zu den neuen Vorschriften ergangene Rechtsprechung lässt zudem den Schluss zu, dass die Gerichte zumindest im Rahmen der Zulässigkeit einer judicial review-Klage auch weiterhin großzügig sind und nur in besonderen Fällen die Zulassung der Klage verweigern, weil mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für den Kläger ein anderes Ergebnis auch ohne das als fehlerhaft gerügte Verfahren nicht zustande gekommen wäre.280 Eine Besonderheit kann überdies in Fällen bestehen, in denen sich nicht der durch die Verwaltungsentscheidung unmittelbar Betroffene, sondern ein Dritter auf die Verletzung der natural justice berufen will. Wo dieser Dritte nicht selbst eine Verletzung seiner eigenen Verfahrensrechte – etwa weil er trotz einer Betroffenheit in seinen Interessen vor dem Erlass der Verwaltungsentscheidung nicht angehört worden ist – geltend machen kann, soll er grundsätzlich nicht wegen der Verletzung 278
RL 2011/92/EU, vormals Art. 10a RL 85/337/EWG, in der Fassung der RL 2003/35/EG. Ministry of Justice, Judicial Review – Proposals for further reform, CM 8703 (September 2013), S. 28 Rdnr. 101 ff. 280 Wallace, Alastaire, JR 2016, 269 (273 ff.) mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 279
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eines Verfahrensrechts eines anderen gegen die Entscheidung vorgehen können.281 Es ist mithin grundsätzlich nicht möglich, die Verfahrensrechte eines Dritten geltend zu machen.282 Auch von diesem Grundsatz sind indes Ausnahmen möglich. So ist es durchaus denkbar, dass ein Verfahrensfehler, insbesondere, wenn es um einen Verstoß gegen das Recht auf ein unvoreingenommenes Verfahren geht, nicht nur die Interessen des Adressaten einer Maßnahme betrifft, sondern gerade die Interessen Dritter, die durch die Voreingenommenheit benachteiligt werden, oder gar die der Öffentlichkeit im Allgemeinen.283 Hier wird das ausreichende Interesse eines Dritten an der Überprüfung und gegebenenfalls an der Aufhebung der verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Verwaltungsentscheidung angenommen. Eine gewisse eigene Betroffenheit durch den Verfahrensfehler wird somit allerdings auch hier verlangt. c) Zulassung im Bereich des Human Rights Act 1998 Section 7 (1) in Verbindung mit Section 7 (3) Human Rights Act 1998 sieht vor, dass nur derjenige, der mutmaßlich Opfer – victim – einer Konventionsrechtsverletzung durch eine staatliche Maßnahme wurde, ein ausreichendes Interesse daran hat, sich gegen diese Maßnahme unter Berufung auf den Human Rights Act 1998 im Rahmen des judicial review proceedings zur Wehr zu setzen. Nach Section 7 (7) Human Rights Act 1998 wird als Opfer in diesem Sinne derjenige angesehen, der auch nach Art. 34 der Europäischen Menschenrechtskonvention vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen könnte. Nach dessen Rechtsprechung ist das entscheidende Kriterium hierfür, dass die angegriffene Maßnahme den Einzelnen tatsächlich oder potentiell direkt – unter besonderen Umständen auch indirekt – in seinen Konventionsrechten verletzt.284 Eine allein im öffentlichen Interesse angestrengte Klage oder Popularklage ist für Einzelne nicht vorgesehen, wobei an anderer Stelle zumindest Staaten die Möglichkeit eingeräumt ist, gegen Konventionsverletzungen in anderen Mitgliedstaaten gerichtlich vorzugehen, ohne dass hierfür ein tatsächliches Opfer in die Klage einbezogen werden muss. In dem Verfahren, das zu der Verabschiedung des Human Rights Act 1998 geführt hat, wurde die Möglichkeit der Anwendbarkeit des herkömmlichen, und wie gesehen, sehr weiten sufficient interest tests allerdings diskutiert und ausdrücklich für den victim test verworfen.285
281 Lord Denning in Hoffmann-La Roche & Co v Secretary of State for Trade and Industry (1975) AC 295 (320). 282 Feldman, David, CLJ 2014, 275 (290). 283 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 425 f. 284 Miles, Joanna, CLJ 2000, 133 (137 f.). 285 Lord Chancelor Irvine of Lairg, Hansard des House of Lords vom 24. 11. 1997, Column 831 f.; ausführlich zu der Diskussion im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Miles, Joanna, CLJ 2000, 133 (142 f.).
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Anders als im allgemeinen Anwendungsbereich des judicial review proceedings muss danach eine eigene Rechtsverletzung durch den staatlichen Akt geltend gemacht werden. Es kann daher auch in solchen Fällen zu Schwierigkeiten kommen, in denen der Kläger sich zum einen auf eine Verletzung seiner Konventionsrechte berufen möchte, aber daneben auch einen ursprünglichen Klagegrund des judicial review proceedings geltend macht. In dem Fall R (on the application of Kides) v South Cambridgeshire District Council (2003)286 wurde in einer solchen Konstellation entschieden, dass der Kläger sich, solange er ein ausreichendes Interesse an der Überprüfung und gegebenenfalls an der Aufhebung der Entscheidung zeigen kann, sodann auf jedwede Aufhebungsgründe berufen kann, ohne dass dieser spezifische Grund ihn persönlich betreffen muss. In dieser Annahme zeigt sich erneut der eher auf einen objektiven Rechtsschutz ausgerichtete Charakter des judicial review proceedings. Es ist dem Kläger zudem unbenommen, sich auf die weiten Regeln des standing und sodann auf die Aufhebungsgründe des herkömmlichen judicial review proceedings zu berufen, wenn es ihm nicht gelingt darzulegen, dass er Opfer des möglicherweise gegen Konventionsrechte verstoßenden Aktes war.287 3. Zwischenfazit zu der Zulassung zu den Verwaltungsgerichten Die Untersuchung der Zugangsbeschränkungen zu den Gerichten – die Klagebefugnis in Deutschland und das standig in England – ergibt für die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle von Verfahrenshandlungen ein recht unterschiedliches Bild: Während sich in Deutschland die Frage, nach der Überprüfung und gegebenenfalls der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung wegen eines fehlerhaft durchgeführten Verwaltungsverfahrens bereits im Rahmen der Zugangsmöglichkeit zu Gericht stellt, geschieht dies in England im Wesentlichen erst im weiteren Verlauf des Verfahrens. Die vergleichsweise weite Ausgestaltung des Zugangs zu Gericht in England lässt die in Deutschland aufgrund der Systementscheidung für den subjektiven Rechtsschutz notwendige Untersuchung einer möglicherweise verletzten subjektiv-rechtlichen (Verfahrens-)Norm bereits im Rahmen der Zulässigkeit entfallen. Zugleich ist eine dem deutschen Rechtssystem vergleichbar eindeutig getroffene Systementscheidung für subjektiven oder objektiven Rechtsschutz in England nicht erkennbar. a) Einschränkungen der Klagemöglichkeiten an verschiedenen Punkten der verwaltungsgerichtlichen Klage Sowohl das englische als auch das deutsche Rechtssystem haben sich mit dem Problem auseinandergesetzt, wie die Möglichkeit Einzelner, gegen Verwaltungsentscheidungen vorzugehen, eingeschränkt werden soll und kann. Während im 286 287
[2003] JPL 431. Craig, Paul, Administrative Law, S. 778 Rdnr. 25 – 030.
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deutschen Rechtssystem die ausreichende Betroffenheit durch eine Verwaltungsentscheidung im Rahmen der Frage nach dem Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts, auf das sich gerade der Kläger möglicherweise berufen kann, im Vordergrund steht, wird in England der Zugang zunächst nicht maßgeblich durch eine notwendige Betroffenheit des Klägers eingeschränkt. Zwar ist die Klagebefugnis – standing – des Klägers zu überprüfen; im Rahmen des Zugangs zu den Verwaltungsgerichten wird ein solches jedoch schnell angenommen und die Frage nach der ausreichenden Betroffenheit des Klägers erst in der eigentlichen Begründetheit der Klage in Zusammenhang mit den Klagegründen wieder aufgegriffen. Selbst nach Einführung des Section 31 (3c) Senior Courts Act 1981 mit seiner Zugangsbeschränkung durch den Test eines wesentlich anderen Ergebnisses – substantially different outcome – gerade für den Kläger, bleibt durch Section 31 (3e) Senior Courts Act 1981 die Möglichkeit der Zulassung der Klage im öffentlichen Interesse bestehen. Der Zugang zu den Verwaltungsgerichten wird in England damit vielmehr nach einer Untersuchung der Bedeutung der angegriffenen Entscheidung eingeschränkt. Hierbei stehen insbesondere das öffentliche Interesse sowie der Gedanke im Vordergrund, dass es genuin der Exekutive zuzuordnende Bereiche gibt, in denen es nicht die Aufgabe der Gerichte ist, die getroffenen Entscheidungen zu überprüfen. Ob es möglich ist, – gegebenenfalls allein – wegen der Verletzung von Verfahrensnormen gerichtlichen Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten zu erlangen, wird somit an unterschiedlichen Stellen der gerichtlichen Überprüfung relevant. In Deutschland wird die Frage nach dem möglichen subjektiv-rechtlichen Charakter einer Verfahrensnorm bereits in der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs behandelt. Wird schon der subjektiv-öffentliche, die Individualinteressen des Klägers schützende Gehalt der Verfahrensnorm verneint, ist die Klage gegen die in einem mutmaßlich fehlerhaft durchgeführten Verwaltungsverfahren getroffene Entscheidung bereits nicht zulässig und eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidung dahingehend ausgeschlossen. In England hingegen spielt die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit des Verwaltungsverfahrens regelmäßig erst im Rahmen der Begründetheit eine Rolle. Da dort die procedural impropriety einen eigenständigen Klagegrund darstellt, ist die Bedeutung der Verletzung einer Verfahrensnorm auch in diesem Rahmen zu prüfen. Bei der Zulassung der Klage ist es ausreichend, ein Interesse an der Aufhebung der Entscheidung geltend zu machen, das sich auch oder vor allem aus der Verletzung eines Verfahrensrechts ergeben kann. Allerdings ist es hier grundsätzlich notwendig, die Verletzung eines eigenen Verfahrensrechts geltend zu machen oder zumindest ein eigenes Interesse an der Durchführung eines fairen Verfahrens aufzuzeigen. Die alleinige Durchsetzung eines Verfahrensrechts eines Dritten wird nicht akzeptiert. Darüber hinaus wurden Section 31 (3a) und (3c) Senior Courts Act 1981 inzwischen eingeführt, um zu verhindern, dass „reine Formalitäten“ – minor technicalities – zur Aufhebung einer Verwaltungsentschei-
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dung führen können.288 In einem solchen Fall kann das Gericht nunmehr eine Klage bereits an der Zulassung scheitern lassen. b) Keine eindeutige Systementscheidung in England Wo in Deutschland schon das Grundgesetz von der vordergründigen Aufgabe der Gerichte ausgeht, die individuellen Rechte der Einzelnen zu schützen, ist eine solche Grundaussage im englischen Rechtssystem auch nach der Untersuchung der geltenden Regeln der Klagebefugnis nicht festzustellen. Zwar wird auf der einen Seite die Aufgabe der englischen Gerichte betont, die Rechte der Bürger gegenüber dem Staat zu schützen. Auf der anderen Seite finden sich jedoch insbesondere seit der Entscheidung in Inland Revenue Commissioners v National Federation of SelfEmployed and Small Businesses Ltd. (1982),289 aber auch bereits in früheren Gerichtsentscheidungen zahlreiche Aussagen, die mit Verweis auf die Aufrechterhaltung der Rule of Law die vordergründige Aufgabe der Gerichte dahingehend beschreiben, jedwedes rechtswidrige Verhalten des Staats zu ahnden, ohne dass es der Berührung eines persönlichen Rechts oder Interesses bedarf.290 Deutlich in diese Richtung geht beispielsweise das Urteil von Sedley J in dem Fall R v Somerset County Council, ex parte Dixon (1998),291 wo es heißt: „public law is not at base about rights, even though abuses of public power may and often do invade private rights; it is about wrongs – that is to say misuses of power“. Der Schutz der Rechte Einzelner durch die Gerichte wird damit gleichsam als Bestandteil ihrer vordergründigen Aufgabe verstanden, fehlerhaftes staatliches Verhalten im Allgemeinen aufzudecken. Dadurch, dass das Interesse des Klägers an der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung erst im Rahmen der tatsächlichen Begründetheit der Klage und damit im Zusammenhang mit der gesamten gerichtlichen Bewertung derselben beurteilt wird, kann trotz der Existenz einer Zugangsbeschränkung durch die Regeln der Klagebefugnis zumindest auf der Ebene der Zulässigkeit nicht von einer Systementscheidung für den subjektiven Rechtsschutz gesprochen werden. Im Gegenteil lässt die Untersuchung neuerer Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema gerade eine
288
Ministry of Justice, Judicial Review – Proposals for further reform: The Government Response, Mai 2014, S. 3 Rdnr. 99; Wallace, Alastaire, JR 2016, 269. 289 [1982] AC 617. 290 Bereits Lord Denning in R v Greater London Council, ex parte Blackburn (1976) 1 WLR 550 (559); in Inland Revenue Commissioners v National Federation of Self-Employed and Small Businesses Ltd. (1982) AC 617 ist die Ausführung von Lord Diplock besonders deutlich, entspricht aber der Entscheidung des gesamten Gerichts; Rose LJ in R v Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs, ex parte World Development Movement (1995) 1 WLR 386 (395); R v Somerset County Council, ex parte Dixon (1998) Env. L. R. 111 (121); Varuhas, Jason, CLJ 2015, 215. 291 [1998] Env. L. R. 111 (121).
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Tendenz hin zu einem objektiv-rechtlichen System erkennen.292 Erst mit der Untersuchung der Klage- und damit der Aufhebungsgründe wird auf das ausreichende Interesse des Klagenden geblickt, das sich dann auch aus der objektiven Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung ergeben kann. Damit ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Popularklage in England möglich.293
II. Die Begründetheit einer verwaltungsgerichtlichen Klage Neben der Frage, wessen Klage gegen eine Verwaltungsentscheidung überhaupt zur gerichtlichen Entscheidung zugelassen werden soll, wirkt sich die Systementscheidung für oder gegen einen stark subjektiv-rechtlich ausgerichteten Rechtsschutz auch auf die inhaltliche Kontrolle des Verwaltungshandelns durch das Gericht aus. Wo es ausschließlich darum gehen soll, aufzudecken, inwiefern der Kläger durch die Verwaltungsentscheidung in eigenen Rechten verletzt wurde, und diese Verletzung zu beenden, hat sich die Kontrolle des Gerichts auch darauf zu beschränken, die Entscheidung auf eine solche Verletzung hin zu überprüfen. Ist es jedoch Aufgabe des Gerichts, einen staatlichen Verstoß gegen das Recht im Allgemeinen aufzudecken, hat eine Kontrolle des staatlichen Handelns auch anhand des gesamten Rechts zu erfolgen. Eine Entscheidung kann dann auch aufgehoben werden, wenn die Verwaltung gegen einen Rechtssatz verstoßen hat, ohne dass hierdurch zwingend die Rechte des Klägers verletzt worden sind. 1. Die Begründetheit verwaltungsgerichtlicher Klagen in Deutschland Im deutschen Rechtsschutzsystem wird die Überprüfung der materiellen Berechtigung des Klägers, die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung zu verlangen, als „Begründetheit“ bezeichnet. Auch hier wirkt sich die beschriebene Systementscheidung für einen grundsätzlich subjektiven Rechtsschutz aus. Die Systementscheidung bestimmt den Maßstab, an dem das Verwaltungsgericht die Entscheidung der Verwaltung überprüft, und so die Voraussetzungen, nach denen ein Kläger mit seinem Vorgehen gegen die Verwaltungsentscheidung Erfolg hat. a) Verletzung subjektiver Rechte nach § 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO Auch oder gerade in der Prüfung der Begründetheit ist regelmäßig die Ausrichtung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf den Schutz subjektiver öffentlicher Rechte zu erkennen. So verlangt § 113 Abs. 1 beziehungsweise Abs. 5 VwGO für den Erfolg einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, dass eine Rechtsnorm 292
So auch Moules, Richard, Environmental Judicial Review, 2011, S. 98. Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 588 f.; Varuhas, Jason, CLJ 2015, 215. 293
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verletzt ist, die dem Kläger ein subjektives öffentliches Recht vermittelt. Bei der Anfechtungsklage muss der Kläger also einen Anspruch auf die Aufhebung des angegriffenen, bei der Verpflichtungsklage einen Anspruch auf den Erlass des geforderten Verwaltungsakts haben. Die lediglich objektive Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts oder das objektiv rechtswidrige Unterlassen eines Verwaltungsakts führen nicht zu einer erfolgreichen Klage. Vielmehr muss der Kläger durch den Erlass oder das Unterlassen in seinen Rechten verletzt worden sein.294 § 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO bestätigen also für die Begründetheit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die durch § 42 Abs. 2 VwGO „angebahnte“295 grundsätzliche Ausrichtung der deutschen Verwaltungsgerichtskontrolle auf den subjektiven Rechtsschutz. Weiter als bei der von § 42 Abs. 2 VwGO als Zulässigkeitsvoraussetzung verlangten Klagebefugnis mit der Möglichkeit einer Rechtsverletzung muss im Rahmen der Begründetheit tatsächlich ein Recht des Klägers verletzt worden sein. Die Frage, ob das geltend gemachte subjektive Recht wirklich besteht und dem Kläger auch zusteht, ist im Rahmen der Begründetheit zu beantworten.296 Die Verletzung subjektiver Rechte des Klägers, deren Möglichkeit er schon für die Zulässigkeit seiner Klage geltend machen musste, bestimmt hierbei den gerichtlichen Prüf- und Entscheidungsmaßstab.297 In den Fällen also, in denen das Gericht zu der Annahme gelangt, dass ein Recht des Klägers auch bei einer Bejahung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht verletzt ist, hat die objektive Rechtswidrigkeit keine Auswirkungen; die Klage ist als unbegründet abzuweisen.298 aa) Einschränkung des gerichtlichen Kontrollmaßstabs durch die Systementscheidung für subjektiven Rechtsschutz Der rein individualrechtsschützende Charakter durch die Systementscheidung gegen eine objektive Rechtskontrolle und für einen subjektivierten Rechtsschutz wird somit bei einem Blick auf den Kontrollmaßstab der Gerichte im Rahmen der
294 Wolff, Heinrich Amadeus, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 113 Rdnr. 15 ff. 295 Weyreuther, Felix, Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes und die „dadurch“ bewirkte Verletzung „in … Rechten“, in: Erichsen/Hoppe/von Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 681 (682). 296 Skouris, Wassilios, Verletztenklage und Interessentenklage im Verwaltungsprozess, 1979, S. 158. 297 Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 113 Rdnr. 3. 298 Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 113 Rdnr. 5, der von einer vorrangigen Prüfung der Rechtsverletzung bei der Unterstellung der objektiven Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes spricht; werde die Rechtsverletzung für diesen Fall verneint, habe eine Rechtswidrigkeitsprüfung zu unterbleiben; ebenso Wolff, Heinrich Amadeus, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 113 Rdnr. 17.
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Begründetheitsprüfung noch deutlicher.299 Nicht nur der Anstoß für eine Klage muss von dem vermeintlich Verletzten ausgehen; auch zu einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung kommt es nur bei einer tatsächlichen subjektiven Verletzung von öffentlichen Rechten. Allein die als verletzt geltend gemachten drittschützenden Normen werden durch das Verwaltungsgericht geprüft; sonstige möglicherweise verletzte Vorgaben – insbesondere Verfahrensvorschriften – sind nicht Prüfungsmaßstab des Gerichts. Die Voraussetzungen der Klagebefugnis und die der Begründetheit sind im deutschen Verwaltungsrechtssystem derart miteinander verknüpft, dass die eine das Prüfprogramm für die andere vorgibt. Eine solche enge Verknüpfung der Klagezulassung und der Begründetheitsprüfung wird als ein kennzeichnendes Merkmal des Individualrechtsschutzes verstanden.300 Verdeutlicht werden kann diese Verknüpfung unter Heranziehung der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den subjektiv-öffentlichen Rechten anerkannter Umweltschutzvereinigungen. Wo die Einhaltung des (Umwelt-)Rechts an sich als das subjektiv-öffentliche Recht der Vereinigung anerkannt wird, ist eine Verletzung desselben schon immer dann gegeben, wenn tatsächlich gegen auch rein objektives Umweltrecht verstoßen wurde. In Fällen, in denen eine anerkannte Umweltschutzvereinigung sich auf ihre „prokuratorische Rechtsstellung“301 beruft, kommt es demzufolge zu einer Überprüfung der Einhaltung sämtlicher Vorschriften mit Bezug zu umweltrechtlichen Belangen. Abweichend von § 113 Abs. 1 VwGO sieht § 2 Abs. 4 UmwRG in diesem Zusammenhang nunmehr vor, dass der Rechtsbehelf einer anerkannten Umweltvereinigung gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UmwRG begründet ist, wenn tatsächlich gegen Rechtsvorschriften verstoßen wurde, die für die angegriffene Entscheidung von Bedeutung sind, und dieser Verstoß Belange berührt, die durch die klagende Umweltvereinigung zu fördern sind. Unter Anwendung der traditionellen Schutznormtheorie im Rahmen des § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO hingegen, also wenn die als verletzt geltend gemachte Norm unmittelbar auch die Rechte des Klägers zu schützen bestimmt sein muss, kann auch nur solch unmittelbar klägerschützendes Recht geprüft werden. Die grundsätzliche Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen auf ihre Übereinstimmung mit klägerschützenden Normen schwächt insoweit gleichsam – bei Anwendung der herkömmlichen Schutznormtheorie – die in Kapitel 2 beschriebene Systementscheidung für eine 299 Siehe dazu Niesler, André, Individualrechtsschutz im Verwaltungsprozess, 2012, S. 37, nach dem die Klagebefugnis allein kein konstituierendes Merkmal einer auf den Individualrechtsschutz ausgelegten Rechtsordnung ist; vielmehr sei auch das Modell einer individualisierten objektiven Rechtskontrolle denkbar, wobei die individuelle Betroffenheit zwar als Filter im Rahmen der Zulässigkeit fungiere, die Begründetheitsprüfung aber dennoch nach objektivrechtlichen Kriterien durchzuführen sei. 300 Kadelbach, Stefan, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 379. 301 BVerwG NVwZ 2014, 64; hierzu ausführlich Kapitel 4 B. I. 1.c) cc) (3) (b).
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vollständige Kontrollkompetenz der Verwaltungsgerichte.302 Gerade im Hinblick auf Klagen Dritter ist der verwaltungsgerichtliche Kontrollumfang so selbst in Bezug auf materiell-rechtliche Vorgaben bei der herkömmlichen Anwendung der deutschen Schutznormtheorie stark eingeschränkt. Umso mehr gilt dies wiederum für die Überprüfung des verletzten Verfahrensrechts. Eben diese Beschränkung der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Rechtsverletzungszusammenhang des § 113 Abs. 1 VwGO stand nunmehr im Bereich des Umweltrechts auf dem Prüfstand des EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland.303 Die Kommission hatte hier unter anderem gerügt, dass die Beschränkung der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung im Sinne der UVP-Richtlinie304 und der Industrieemissions-Richtlinie305 bei Klagen Einzelner – also nicht solcher der wie oben gesehen ohnehin aufgrund ihrer „prokuratorischen Rechtsstellung“ privilegierten Umweltschutzvereinigungen – auf Fälle, in denen nachweislich ein subjektives Recht verletzt wurde, gegen Art. 11 bzw. Art. 25 der jeweiligen Richtlinie verstoße. Nach diesen Vorschriften müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen gerichtlich überprüft werden kann. In seinen Schlussanträgen hatte der Generalanwalt Melchior Wathelet im Sinne der Kommission die Ansicht vertreten, dass § 113 Abs. 1 VwGO durch seine Beschränkung auf die Überprüfung einer subjektiven Rechtsverletzung die Reichweite und den Nutzen der gerichtlichen Überprüfung in einem gegen die genannten Vorschriften und die Zielsetzung der beiden Richtlinien verstoßenden Weise verringere. Art. 11 Abs. 1, 3 UVP-Richtlinie bzw. Art. 25 Abs. 1, 3 Industrieemissions-Richtlinie, nach denen die Mitgliedstaaten den Zugang zu Gericht von einer Rechtsverletzung abhängig machen können, deren Vorliegen ihrem Bestimmungsrecht unterliegt, beziehe sich allein auf die Zulässigkeit einer Klage, nicht jedoch auf deren Begründetheit. Auch im Rahmen einer zulässigen Klage Einzelner müsse daher im Anwendungsbereich der beiden Richtlinien eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung erfolgen.306 Diesem Verständnis der Art. 11 UVP-Richtlinie bzw. Art. 25 Industrieemissions-Richtlinie erteilte der EuGH jedoch eine Absage und befand, dass Art. 11 Abs. 3 UVP-Richtlinie und Art. 25 Abs. 3 Industrieemissions-Richtlinie dort, wo der jeweilige Mitgliedstaat im Sinne der Richtlinie den Zugang von einer 302
Ekardt, Felix/Schenderlein, Kristin, NVwZ 2008, 1059, gelangen unter anderem daher zu der Aussage, dass zumindest in Bezug auf Drittklagen das deutsche Recht „keinesfalls ein hohes Maß an Inhaltskontrolle vermittelt“. 303 EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495. 304 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 13. 12. 2011, RL 2011/ 92/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 26/1. 305 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 über Industrieemissionen, RL 2010/75/EU, ABl. EU 2010 Nr. L 334/17. 306 Schlussanträge des Generalanwalts Melchior Wathelet vom 21. 5. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, ZUR 2015, 416 (419), Rdnr. 56 ff.
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derartigen Rechtsverletzung abhängig mache, er „auch vorschreiben darf, dass die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung durch das zuständige Gericht die Verletzung eines subjektiven Rechts auf Seiten des Klägers voraussetzt.“307 Hier hat der EuGH damit die deutsche Spiegelbildlichkeit von Zulässigkeit und Begründetheit verwaltungsgerichtlicher Klagen im europarechtlich geprägten Bereich explizit gebilligt. bb) Verfahrensfehler und die Verletzung subjektiver Rechte § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimmt, dass ein Verwaltungsakt dann aufgehoben wird, wenn er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Ähnlich sieht § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO vor, dass ein Verwaltungsakt zu erlassen ist, wenn dessen Ablehnung oder Unterlassen rechtswidrig, der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt und die Sache spruchreif ist. Um demnach aufgrund eines Verfahrensfehlers die Aufhebung oder den Erlass eines Verwaltungsakts erreichen zu können, muss dieser sich auf die Sachentscheidung – den Erlass, das Unterlassen oder die Ablehnung des Verwaltungsakts – derart ausgewirkt haben, dass sie durch ihn rechtswidrig wurde und den Kläger tatsächlich in seinen Rechten verletzt. Die Annahme, dass auch ein Verfahrensfehler zur (formellen) Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung führt, wurde bereits erläutert:308 Es ist eine Norm des gesetzlich vorgesehen Programms nicht eingehalten worden. Eine Unterscheidung zwischen formeller und materieller Rechtswidrigkeit oder zwischen der Verletzung relativer und absoluter Verfahrensnormen ist daher zunächst nicht notwendig.309 Allerdings muss der Kläger durch die Rechtswidrigkeit, dem deutschen – auf den subjektiven Rechtsschutz ausgelegten – Rechtsschutzsystem entsprechend, zusätzlich in seinen subjektiven Rechten verletzt sein. Nur dann steht dem Kläger ein Anspruch auf die Aufhebung der bisherigen Verwaltungsentscheidung sowie gegebenenfalls auf eine neue Entscheidung zu. cc) Bedeutung des § 46 VwVfG für die Begründetheit der Anfechtungsklage und das Erfordernis der Verletzung in materiellen Rechten Im Folgenden konzentriert sich die Untersuchung auf die mögliche Aufhebung eines Verwaltungsakts und damit auf die Begründetheit der Anfechtungsklage. Geht es um die Verletzung absoluter Verfahrensrechte, so folgt schon allein hieraus der Aufhebungsanspruch, ohne dass es des Nachweises einer Verletzung in
307 EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Kommission/Deutschland, NJW 2015, 3495, Rdnr. 32. 308 Hierzu Kapitel 1 B. III. sowie Kapitel 3 B. II. 1. c) aa) (2). 309 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 878.
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materiellen Rechten bedarf.310 Hierin – und wie gesehen mehrheitlich nicht bereits in der Begründung der Klagebefugnis – sieht die Rechtsprechung bislang auch die Bedeutung des § 4 Abs. 1 UmwRG für Klagen anerkannter Umweltvereinigungen. Ist die Klage zulässig, führt die unterbliebene und nunmehr auch die zwar durchgeführte aber unter bestimmten schwerwiegenden Fehlern leidende Umweltverträglichkeitsprüfung grundsätzlich zur Begründetheit der Klage einer Umweltvereinigung.311 Ob dies aus europarechtlichen Gründen auch für Klagen Einzelner gelten soll, die sich auf Fehler bei der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung berufen wollen, hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. 4. 2018 dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.312 Das Bundesverwaltungsgericht wendet bislang aufgrund von § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG, nach dem insbesondere Individualklagen nur dann zur Aufhebung einer Entscheidung im Rahmen des UmwRG führen können, wenn der Verfahrensfehler dem Beteiligten die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat, für sonstige Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsprüfung § 46 VwVfG in herkömmlicher Weise an. Es prüft also, ob sich der Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Ein absolutes Verfahrensrecht, dessen Verletzung zur Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung führt, folgt damit für Individualkläger aus § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 UmwRG bislang nur soweit eigene Beteiligungsrechte betroffen sind. Außerhalb des Anwendungsbereichs des UmwRG begegnet die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung aufgrund der Verletzung von Verfahrensnormen in verschiedenen Konstellationen Schwierigkeiten: § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt, dass der Kläger durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt sein muss. Allein dem Wortlaut nach ist es also durchaus denkbar, das Vorliegen dieser Voraussetzung immer schon dann anzunehmen, wenn ein als subjektiv-öffentliches Recht anerkanntes Verfahrensrecht nicht beachtet worden und der Verwaltungsakt dadurch rechtswidrig ist. Der formell rechtswidrige Verwaltungsakt verletzt den Kläger dann in einem subjektiven Recht – in seinem Verfahrensrecht. Wiederum wird jedoch deutlich, dass eine sich auf die Verletzung von Verfahrensrechten gründende Sanktionsmöglichkeit ohne eine erneute Verbindung mit der materiellen Rechtsposition kaum denkbar ist. Einer solchen bedarf es, wie gesehen, bereits, um das Vorliegen einer subjektiv-öffentlichen Rechtsnorm innerhalb des Verfahrensrechts überhaupt erst zu begründen.313 310 Dies ist nach dem oben zu den absoluten Verfahrensrechten Festgestellten selbstverständlich; klarstellend hierzu u. a. Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 113 Rdnr. 14. 311 BVerwG, ZuR 2012, 308 (309); BVerwG, BeckRS 2013, 53008 Rdnr. 10. 312 BVerwG, ZUR 2018, 615. 313 Daher wird regelmäßig auch bereits die Klagebefugnis ausgeschlossen, wenn es allein um die Verletzung von Verfahrensrecht geht, oder es wird nicht deutlich, ob die gerichtlichen Ausführungen sich auf den Ausschluss der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO oder auf den
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Die Rechtsprechung nimmt mit wenigen Ausnahmen314 diesbezüglich an, dass eine Berufung auf verletztes Verfahrensrecht nur im Rahmen der Begründung einer hierdurch eingetretenen Auswirkung auf eine materielle Rechtsposition zu einem Aufhebungsanspruch führen könne. Mit dieser Annahme verknüpft wird die Regelung des § 46 VwVfG. Liegt eine rechtswidrige Verwaltungsentscheidung vor, die den Kläger in seinen subjektiven Rechten verletzt, hat dieser grundsätzlich im Rahmen des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO einen Anspruch auf die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung. Die Unbeachtlichkeitsregel des § 46 VwVfG schließt weder die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung noch die hierdurch möglicherweise entstehende subjektive Rechtsverletzung aus.315 Vielmehr kann § 46 VwVfG dazu führen, dass der Aufhebungsanspruch in Bezug auf die rechtswidrige Verwaltungsentscheidung nicht besteht. Selbst wenn der Kläger in seinen subjektiven Verfahrensrechten verletzt ist, ist die Aufhebung ausgeschlossen, wenn diese Verletzung die Sachentscheidung offensichtlich nicht beeinflusst hat. Insbesondere im Rahmen der Klage eines Drittbetroffenen, dessen Verfahrensrecht beispielsweise bei der Genehmigung einer Anlage verletzt wurde, soll dieser die Aufhebung der Genehmigung nicht verlangen können, wenn die Entscheidung in der Sache in gleichem Maße erneut ergehen müsste, weil hierauf wiederum der begünstigte Anlagenbetreiber einen materiellen Anspruch hat.316 Zwar sind grundsätzlich die Anforderungen, die an den drittschützenden Charakter einer Verfahrensvorschrift im Rahmen der Begründung der Klagebefugnis und sodann bei der Frage nach der Rechtsverletzung durch den Verfahrensfehler sowie die Kausalitätsanforderungen des § 46 VwVfG gestellt werden, voneinander zu unterscheidende Bereiche. § 46 VwVfG stellt auf den objektiven Einfluss des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung ab, während die Rechtsprechung für eine Rechtsverletzung durch den Verfahrensfehler eine Auswirkung des Fehlers gerade auf eine materielle Rechtsder Rechtsverletzung im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO beziehen; vgl. BVerwG, NUR 2013, 184, zur Begründung der Ablehnung einer Rechtsverletzung im Rahmen der Begründetheit der Klage mit Verweis auf BVerwGE 61, 256 (275 f.); BVerwGE 98, 339 (362 f.); BVerwGE 134, 308; ebenso und mit identischen Verweisen BVerwG, NVwZ 2012, 573 (574 f.), hier zur Begründung der Ablehnung der Klagebefugnis; vgl. beispielsweise auch Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 113 Rdnr. 14, der – allerdings mit einem vorangestellten allgemeinen Hinweis auf mögliche Überschneidungen zwischen klagefähigem Recht und Rechtsverletzung bei Rdnr. 11 Fn. 5 – in der Kommentierung des § 113 VwGO und daher also bei der Frage einer Rechtsverletzung durch den Verfahrensfehler u. a. BVerwGE 88, 286 (288), zitiert, das sich jedoch mit der Begründung der Klagebefugnis aufgrund einer möglichen Verletzung einer Verfahrensnorm befasst, wobei auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts an dieser Stelle nicht eindeutig sind. 314 Etwa bei der fehlerhaft unterlassenen Durchführung eines atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens; vgl. BVerwGE 41, 58 (65); BVerwGE 60, 297 (307); BVerwGE 61, 256 (275); BVerwGE 75, 285 (291); BVerwGE 77, 285 (291); BVerwGE 85, 54 (56); jeweils mit Verweis auf BVerfGE 53, 30 (71 ff.). 315 Hierzu Kapitel 3 B. II. 1. c) bb) (1) (b) und Kapitel 4 B I. 1. d). 316 Zu § 46 VwVfG als Ausgleich der Interessen des Drittbetroffenen und des Begünstigten Schmidt-Preuß, Matthias, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1990, S. 527 ff.
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position des Klägers fordert. Oftmals werden die formulierten Kausalitätserfordernisse jedoch als zusammenhängende Begrenzung der Geltendmachung von Verfahrensfehlern dargestellt. Ob gerade eine Rechtsverletzung ausgeschlossen sein soll, weil die Verletzung des Verfahrensrechts sich nicht auf eine materielle Rechtsposition ausgewirkt hat, oder ob der Aufhebungsanspruch ausgeschlossen ist, weil der Verfahrensfehler das Ergebnis der Sachentscheidung offensichtlich nicht beeinflusst hat, wird als eine einheitliche Prüfung vorgenommen.317 Die Aussage des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO wird im Zusammenhang mit § 46 VwVfG als die Forderung nach einer subjektiven Rechtsverletzung durch die Sachentscheidung selbst und damit als eine notwendigerweise materielle Rechtsverletzung gesehen.318 Die Verletzung des Verfahrensrechts, die durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt entstanden ist, kann einen Aufhebungsanspruch grundsätzlich nicht begründen. Im Rahmen einer Anfechtungsklage erlangt § 46 VwVfG somit im Ergebnis einen subjektiven „Einschlag“, indem die Rechtsprechung einen Aufhebungsanspruch ablehnt, wenn der Verfahrensfehler die materiell-rechtliche Position des Klägers offensichtlich nicht negativ berührt hat, und diese Annahme mit der Regelung des § 46 VwVfG begründet.319 Eindeutig ist damit, dass im Fall der Verletzung eines relativen Verfahrensrechts ein zusätzlicher Zusammenhang mit der materiellen Rechtsposition, die durch das Verfahrensrecht geschützt werden soll, gefordert wird. Unklar ist jedoch, wie weit dieser Zusammenhang gehen soll, um zu einer Aufhebung der verfahrensfehlerhaften Entscheidung führen zu können. Teilweise wird verlangt, dass der Verfahrensfehler zu einer tatsächlichen Verletzung einer materiellen Rechtsposition des Klägers geführt haben müsse.320 Eine eigenständige Bedeutung komme den verletzten Verfahrensrechten selbst dann nicht zu, wenn deren subjektiv-rechtlicher Charakter im Rahmen der Prüfung der Klagebefugnis anerkannt worden sei.321 Es bedürfe darüber hinaus einer tatsächlichen Verletzung in materiellen Rechten. 317 Vgl. u. a. BVerwGE 98, 339 (362); hier wird nicht deutlich, ob die Ausführungen sich tatsächlich auf das Kausalitätserfordernis des § 46 VwVfG, auf die Begründung der Klagebefugnis oder auf die Rechtsverletzung beziehen sollen; oftmals wird allgemein festgestellt, dass es nicht möglich sein solle, allein aufgrund eines Verfahrensfehlers die Aufhebung der Entscheidung zu erreichen; scheitern könne dies sowohl an § 42 Abs. 2 VwGO als auch an § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder aber an § 46 VwVfG; ebenso die Ausführungen des BVerwG NVwZ 2012, 448 (450 Rdnr. 39): „Eine Rechtsverletzung eines von einem UVP-pflichtigen Vorhaben Betroffenen kann deshalb nur vorliegen, wenn der Verfahrensfehler kausal für das den Kl. belastende Ergebnis der Planfeststellung war. Es muss die konkrete Möglichkeit bestehen, dass die angefochtene Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre.“ 318 Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 104 f. und S. 406. 319 Vgl. die Darstellung bei Kleesiek, Anja, Zur Problematik der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, 2010, S. 64 ff. 320 BVerwGE 85, 368 (376 f.). 321 Hill, Hermann, Das fehlerhaft Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 406 f.; Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 889.
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Gerade im Bereich der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen stellt die Rechtsprechung den im Rahmen der Begründetheitsprüfung geforderten Zusammenhang zwischen dem Verfahrensfehler und der Sachentscheidung jedoch abgeschwächt derart dar, dass sich der Verfahrensfehler auf eine materielle Rechtsposition des Klägers ausgewirkt haben können muss.322 Ein positiver Nachweis darüber, dass es durch den Verfahrensfehler zu einer tatsächlichen Verletzung einer materiellen Rechtsposition gekommen ist, muss damit in diesem Fall nicht erbracht werden. Vielmehr gilt es darzulegen, dass eine Entscheidung konkret möglich gewesen wäre, die bei der Beachtung der Verfahrensrechte des Klägers seine materiellen Rechtspositionen weniger belastet.323 Ob also stets eine tatsächliche Verletzung in materiellen Rechten durch die verfahrensfehlerhafte Entscheidung gefordert wird oder ob und unter welchen Umständen der Nachweis darüber ausreicht, dass eine andere für den Kläger materiell-rechtlich günstigere Entscheidung unter Beachtung seiner Verfahrensrechte konkret möglich gewesen wäre, ist nicht eindeutig festzustellen. Die unterschiedliche Formulierung der Anforderungen führt im Ergebnis wegen der durch das Gericht verlangten Darlegung einer Auswirkung des Verfahrensfehlers jedoch kaum zu Unterschieden bei den Erfolgsaussichten einer auf reine Verfahrensfehler gestützten Klage.324 Gerade der bisweilen geforderte Zusammenhang zwischen dem Verfahrensfehler und der materiellen Rechtsverletzung wird in der Literatur teilweise stark kritisiert. So fordere § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Kausalität zwischen dem rechtswidrigen Verwaltungsakt und der subjektiven Rechtsverletzung, die auch gerade durch die Verletzung von subjektivem Verfahrensrecht eintreten könne, nicht jedoch zwischen dem Verfahrensfehler und einer darüber hinausgehenden materiellen Rechtsverletzung.325 Dass aber nach der Rechtsprechung eine (formell) rechtswidrige und (verfahrens-)rechtsverletzende Entscheidung gerichtlich nicht aufgehoben werden könne, bezeichnen namentlich Friedhelm Hufen und Thorsten Siegel als „offenkundige Durchbrechung des Grundrechts auf Abwehr rechtsverletzender öffentlicher Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG)“.326 Der Aufhebungsanspruch, den § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei rechtswidrigem und rechtsverletzendem Verwaltungshandeln 322
BVerwGE 98, 339 (362); BVerwGE 134, 308. BVerwG, NVwZ-RR 1999, 725 (726). 324 Vgl. auch das Ergebnis der Rechtsprechungsanalyse bei Greim, Jeanine, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 54. 325 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 893 ff.; Geist-Schell, Franz, Verfahrensfehler und Schutznormtheorie, 1988, S. 167; Pietzcker, Jost, VVDStRL 41 (1983), 193 (266); von einer solchen Kausalität geht aber wohl Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 157, aus, wenn er von einem „Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Verfahrensfehler und klägerischer Rechtsverletzung“ spricht. 326 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 897; dagegen Stelkens, Ulrich, DVBl. 2010, 1078 (1083), der aber insoweit gerade nicht davon auszugehen scheint, dass ein verfahrensfehlerhaft zustande gekommener Verwaltungsakt den Betroffenen in subjektiven (Verfahrens-)Rechten verletzt. 323
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gewähre und den Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich absichere, könne nur dann durch den Gesetzgeber beschränkt werden, wenn eine Durchsetzung rechtsmissbräuchlich wäre, weil der Verwaltungsakt in selber Form nach seiner Aufhebung sogleich wieder erlassen werden müsste. Das könne aber gerade bei komplexen Entscheidungen mit offenem Entscheidungsprogramm nicht gesagt werden.327 Wiederum ist die Einschränkung der Wirkung des § 46 VwVfG in derartigen komplexen und offenen Entscheidungsverfahren jedoch grundsätzlich bereits dem § 46 VwVfG mit seinem Offensichtlichkeitskriterium zu entnehmen. Will man – wie es durch die Rechtsprechung versucht wird – die gesetzliche Wertung des § 46 VwVfG dazu heranziehen, die Verletzung subjektiver Rechte durch den Verfahrensfehler zu verneinen, so muss auch dessen tatsächliche Wertung zu Grunde gelegt werden. § 46 VwVfG geht davon aus, dass ein Aufhebungsanspruch im Falle einer Verletzung relativer Verfahrensrechte nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn eine Auswirkung des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung offensichtlich ausgeschlossen werden kann. Bei der Verletzung eines vorgesehenen Beteiligungsrechts im Rahmen einer Ermessens- oder Abwägungsentscheidung der Verwaltung ist dies jedoch gerade kaum je der Fall. Es kann dann auch nicht, wie von der Rechtsprechung angenommen wird, die gesetzliche Wertung des § 46 VwVfG zur Begründung dafür herangezogen werden, dass von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine tatsächliche Verletzung in materiellen Rechten verlangt wird. Lässt man es schon zu, dass § 46 VwVfG in diesem Rahmen überhaupt eine Rolle spielen soll, dann muss man zu dem Ergebnis kommen, dass auch eine Verletzung der durch das relative Verfahrensrecht zu schützenden materiellen Rechtsposition offensichtlich ausgeschlossen sein muss, will man von einer Aufhebung der Verwaltungsentscheidung absehen. Bei ernsthafter Anwendung des Gesetzeswortlauts, insbesondere bei Ermessens- und Abwägungsentscheidungen, kommt es dann nicht zu einer Verkürzung des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes im Fall der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen relativen Verfahrensrechts. Erkennt man Verfahrensrechte Dritter als eigenständige subjektive Rechte an, und kollidieren diese mit materiellen Rechtspositionen anderer, insbesondere etwa mit dem Eigentumsrecht eines Vorhabenträgers oder Bauherren, müssten die Gerichte wie im Fall einer Kollision verschiedener materieller Rechtspositionen eine Abwägung der verschiedenen Interessen vornehmen.328 Vornehmlich in Konstellationen, in denen ein Dritter die Verfahrensfehlerhaftigkeit eines materiell rechtmäßigen Verwaltungsakts geltend macht, der einen anderen begünstigt, führen die Verwaltungsgerichte bereits eine Abwägung zwischen den Rechtsschutzinteressen des in seiner Verfahrensposition verletzten Dritten und des Adressaten des diesen begünstigenden Verwaltungsakts durch.329 Dabei sehen sie bislang stets ein Überwiegen der materiellen Rechtsposition gegenüber dem verletzten Verfahrensrecht. Nur wenn auch der in seinem Verfahrensrecht Betroffene in 327
Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 980. Zu dieser „verfassungsrechtlichen Grenze absoluter Verfahrensrechte“ Greim, Jeanine, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 201 ff. 329 Degenhart, Christoph, DVBl. 1981, 201 (204). 328
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materiellen Rechtspositionen betroffen ist, soll dies ein Überwiegen seiner Rechtsschutzinteressen zur Folge haben, die das alleinige Verfahrensunrecht nach deutschem Verständnis nicht begründen kann. dd) Sonstige Geltendmachung von verletztem Verfahrensrecht Ungeprüft bleibt im deutschen Individualrechtsschutzsystem grundsätzlich die Einhaltung allein objektiven Verfahrensrechts. Hier ist keine Unterscheidung zwischen materiellem und formellem Recht zu machen – auch ein Verstoß gegen rein objektive materiell-rechtliche Normen kann nicht zu der von § 113 VwGO vorausgesetzten Rechtsverletzung führen.330 Der Zusammenhang, den die Rechtsprechung erneut zwischen dem Verfahrensfehler und dem Ergebnis der Sachentscheidung – im Rahmen der Begründetheit also dem Verfahrensfehler und der Sachposition des Klägers – zieht, hat aber weitere Auswirkungen auf das gerichtliche Prüfprogramm in Bezug auf das Verfahrensrecht: Es kommt hier gerade darauf an, welche materielle Sachposition der Kläger geltend zu machen wünscht.331 Nur solches Verfahrensrecht, das auf den Schutz einer materiellen Rechtsposition gerichtet ist, die durch die Verwaltungsentscheidung verletzt werden und auf deren Verletzung der Kläger sich auch berufen kann, wird dann von den Verwaltungsgerichten geprüft und kann im Falle des „Durchschlagens“ – beziehungsweise im Ermessensbereich des möglichen „Durchschlagens“ – auf diese Rechtsposition zu einem Aufhebungsanspruch führen. Im Planungsrecht etwa bedeutet dies, dass nur dann, wenn durch den Verfahrensfehler eine andere Bewertung gerade der Belange des Klägers möglich gewesen wäre, ein Aufhebungsanspruch bestehen kann. Im Rahmen der Abwägung soll ein drittbetroffener Kläger der Rechtsprechung nach nur auf eigene abwägungsrelevante Belange bezogene Mängel geltend machen können.332 Allein derjenige, den die enteignende Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses333 trifft, kann sich grundsätzlich auf sämtliche Abwägungsfehler berufen,334 so dass ihm auch in Bezug auf dahingehende Verfahrensfehler ein Anspruch auf vollständige Überprüfung zuerkannt wird. Es ergeben sich jedoch sogar in diesem Bereich Grenzen, wenn der Rechtsfehler für die Eigen330 Vgl. nur Gerhardt, Michael, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Vorb. § 113 Rdnr. 3. 331 Zu Folgendem Ladenburger, Clemens, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und im deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S. 373 ff. 332 BVerwGE 48, 56 (66); BVerwGE 107, 215 (2. Leitsatz), im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens aber relevant auch allgemein für die Reichweite des Anspruchs auf gerechte Abwägung; BVerwGE 138, 226; zuletzt zusammengefasst in BVerwG, NVwZ 2013, 645 f. 333 Dies bedeutet, dass bereits der Planfeststellungsbeschluss grundsätzlich verbindlich über die Zulässigkeit einer Planung befindet und dadurch auch über die Zulässigkeit einer für die Planung notwendigen Enteignung mitentscheidet; hierzu Neumann, Werner/Külpmann, Christoph, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, § 75 Rdnr. 26 ff. 334 BVerwGE 67, 74 (76 ff.); BVerwGE 69, 256 (271); BVerwGE 77, 86 (91); BVerwGE 104, 236 (238); BVerwGE 112, 140 (143); BVerwGE 127, 95 (99).
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tumsbetroffenheit des Klägers aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erheblich ist.335 Im Bereich von Abwägungsentscheidungen oder anderen Fällen behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse wird die beschriebene Beschränkung des Prüfprogramms kritisiert. Entgegen der Annahme der Rechtsprechung könne nicht allein ein Verfahrensfehler, der sich unmittelbar auf den Schutz der Belange des Klägers beziehe, die Entscheidung derartig rechtswidrig machen, dass sie auch materielle Rechtspositionen des Klägers verletzen könne. Vielmehr könne bei einer Abwägungsentscheidung gerade jeder Verfahrensfehler die Sachentscheidung für den Kläger nachteilig beeinträchtigen.336 Allerdings geben auch diese kritischen Stimmen zu bedenken, dass bei konsequenter Anwendung der Forderung nach einer umfassenden objektiven Verfahrenskontrolle bei offenen Entscheidungsprogrammen dieser Frage ein größeres Gewicht als den materiell-rechtlichen Vorgaben zukäme, auf die sich dem subjektiven Rechtsschutz entsprechend allein der möglicherweise Verletzte berufen könne. Vorgeschlagen wird daher ein zusätzliches Kriterium des „Änderungspotentials“,337 das danach frage, inwieweit auch die Einhaltung der einen anderen betreffenden Verfahrensvorgaben die Sachentscheidung in Bezug auf Belange des Klägers hätte verändern können. Bislang hat sich eine solche Forderung jedoch nicht durchgesetzt, und es bleibt ohnehin bei der beschriebenen Beschränkung des gerichtlichen Prüfprogramms auf subjektive öffentliche Rechte. b) Ausnahme im Rahmen des Normenkontrollantrags nach § 47 Abs. 2 VwGO Im Gegensatz zu den oben aufgeführten Klagen spielt die Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte bei der Begründetheit eines Normenkontrollantrags keine Rolle mehr. Es erfolgt vielmehr eine objektiv-rechtliche Überprüfung der angegriffenen Norm. Der Antrag hat Erfolg, wenn die angegriffene Rechtsvorschrift rechtswidrig und deswegen für unwirksam zu erklären ist, sie also gegen höherrangiges Recht verstößt.338 Das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Norm im Fall von deren Rechtswidrigkeit wurde bereits im Rahmen der Antragsbefugnis der Zulässigkeitsprüfung sichergestellt. Eines hierüber hinaus gehenden subjektiven Anspruchs auf die Aufhebung der rechtswidrigen Norm bedarf es nicht. Auch prüft das Gericht nicht nur die vom Antragsteller gerügten Mängel der in Rede stehenden Vorschrift.339 Eine durch eine Vorschrift wie § 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO für die 335
Dazu BVerwGE 134, 308 (310). Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 883 ff. 337 Hufen, Friedhelm/Siegel, Thorsten, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 887. 338 Unruh, Peter, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 47 VwGO Rdnr. 107. 339 BVerwG, NVwZ 2001, 431, 2. Leitsatz. 336
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Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erreichte Verknüpfung zwischen der Zulässigkeit und Begründetheit gibt es bei der Normenkontrolle nach § 47 VwGO daher gerade nicht.340 Sobald die erforderliche subjektive Betroffenheit – sowie die anderen Voraussetzungen – im Rahmen der Zulässigkeit bejaht wurden, schließt sich in der Begründetheit eine objektive Rechtskontrolle an.341 Die Bewertung der Rechtsschutzfunktion der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle ist dennoch umstritten. Fraglich ist, ob neben die objektive Prüfungsauch eine subjektive Rechtsschutzfunktion treten soll. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu war zunächst uneinheitlich.342 Die Bedeutung als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren wurde lange betont.343 Auf der anderen Seite wurden, insbesondere dort, wo es um Anträge natürlicher oder juristischer Personen gegen Bebauungspläne ging, auch Elemente des Individualrechtsschutzes anerkannt.344 Heute gehen Rechtsprechung und Literatur weitgehend davon aus, dass das verwaltungsgerichtliche Normenkontrollverfahren eine Kombination von objektivem Rechtsbeanstandungs- und subjektivem Rechtsschutzverfahren darstelle.345 Zumindest eine faktische subjektive Rechtsschutzfunktion, wenn auch nur als Reflex der objektiven Überprüfung der Norm, wird nicht geleugnet.346 Selbst mit Blick auf ein – in Bezug auf seinen Prüfungsumfang – objektives Verfahren wird also die Bedeutung des Individualrechtsschutzes im deutschen Verwaltungsrechtssystem betont. 2. Die Begründetheit verwaltungsgerichtlicher Klagen in England Im Rahmen der Begründetheit einer Klage werden in England zunächst die bereits im Laufe der Arbeit dargelegten Klagegründe des judicial review proceedings geprüft. Anschließend oder auch im Rahmen dessen wird das ausreichende Interesse des Klägers an der begehrten Art der Abhilfe erneut aufgenommen und nun einer 340
Unruh, Peter, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 47 VwGO Rdnr. 14. 341 U. a. BVerwG DVBl. 1992, 37 (39). 342 Siehe zu der „wenig konsequenten“ Rechtsprechung des BVerwG Ziekow, Jan, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 47 Rdnr. 32. 343 BVerwGE 65, 131 (136). 344 BVerwGE 64, 77 (79); BVerwGE 68, 12 (14); BVerwGE 69, 30 (33); BVerwGE 78, 85 (91); BVerwGE 82, 225 (230 f.); die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur VwGO, BT-Drucks. 1/4278, S. 36, sowie die Begründung des Gesetzesentwurfs zum 6. VwGO ÄndG, BT-Drucks. 13/3993, S. 10, gehen auch von einer subjektiven Rechtsschutzfunktion des Normenkontrollverfahrens aus. 345 Siehe hierzu und zu einer Übersicht dazu ergangener Rechtsprechung und Literaturansichten Unruh, Peter, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 47 VwGO Rdnr. 14 ff.; Ziekow, Jan, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Kommentar, § 47 Rdnr. 34. 346 Unruh, Peter, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht Handkommentar, § 47 VwGO Rdnr. 17.
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genaueren Prüfung unterzogen. Während im Rahmen der Zulassung einer Klage auf judicial review nur sehr wenige Kläger am sufficient interest test scheitern, haben die Gerichte im Rahmen der Begründetheit einer Klage weiter gehende Voraussetzungen für die Geltendmachung eines ausreichenden Interesses entwickelt. Hier wird nicht bloß losgelöst von materiellen Fragen die Beziehung des Klägers zum Gegenstand seiner Klage untersucht, sondern es wird die gesamte Sachlage des Falls mit in die Untersuchung einbezogen – test on the merits of the case –, um gegebenenfalls zu einem anderen Ergebnis als dem zuvor bei der Zulassungsfrage erreichten zu kommen.347 Hiernach wird dann erneut beurteilt, ob das Interesse des Klägers nicht mehr nur an der Untersuchung der Entscheidung als solcher, sondern auch an deren Aufhebung als ausreichend angesehen werden kann. a) Überprüfung der Verwaltungsentscheidung anhand der Klagegründe Zunächst wird die Verwaltungsentscheidung anhand der bereits aufgezeigten Klage- oder Unwirksamkeitsgründe, procedural impropriety, illegality sowie irrationality beziehungsweise disproportionality, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft. Eine im Sinne eines subjektiven Rechtsschutzsystems als Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Fehler und der subjektiven Rechtsverletzung bestehende Begrenzung der überprüfbaren gesetzlichen oder aus dem Common Law entwickelten Vorgaben gibt es traditionell nicht. Vielmehr wird eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung vorgenommen,348 die ihre Grenze jedoch in den in Kapitel 2 dargestellten Gestaltungs-, Beurteilungs- und Entscheidungsspielräumen der Verwaltung findet. b) Anwendung des sufficient interest test im weiteren Verfahren Die Entscheidung, dass der sufficient interest test nur in wenigen sehr eindeutigen Fällen schon im Stadium der Zulassung der Klage den Ausschluss des Klägers mit seinem Anliegen bewirkt, führt dazu, dass die Prüfung eines ausreichenden Interesses des Klägers häufig erst nach oder in Zusammenhang mit der Prüfung möglicher Rechtswidrigkeitsgründe vorgenommen wird. Der sufficient interest test ist demnach nicht als bloße Zulässigkeitsfrage zu behandeln, sondern berührt ebenso Fragen der Begründetheit des klägerischen Anliegens. Je bedeutender die aufgeworfene Frage und je sicherer die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung scheint, desto eher soll der High Court das Interesse und damit die weiterhin so betitelte Klagebefugnis – standing – des Klägers bejahen.349 Die zweiteilige Anwendung des suf347 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 671 Rdnr. 18.6.2. 348 Epiney, Astrid, NVwZ 2014, 465 (471). 349 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 590, die daraus folgern, dass standing und sufficient interest durch die Verbindung mit der eigentlichen Begründetheitsprüfung nur noch selten die entscheidenden Faktoren bei der Bewertung der Erfolgsaus-
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
ficient interest test im Rahmen der Zulassung der Klage und später bei der materiellen Prüfung des klägerischen Anliegens legt es so auch nahe, den Begriff des standing oder locus standi lediglich für den Teil der Zulassung der Klage zu verwenden und in der späteren weiteren Überprüfung der Interessen des Klägers von einem weiteren Teil der Begründetheitsprüfung auszugehen.350 Das Maß an Interesse des Klägers soll gerade als ein Faktor für die Begründetheit seiner Klage in Betracht gezogen werden.351 Es geht in diesem zweiten Teil des sufficient interest tests nicht mehr darum, ob die Klage überhaupt zugelassen wird, sondern ob sein Anliegen Erfolg hat. Es wird nicht mehr lediglich das Interesse an einer Überprüfung der Entscheidung verlangt, sondern das Interesse an einem tatsächlichen Eingreifen des Gerichts durch eine der ihm zur Verfügung stehenden Anordnungen. Bei seiner Anwendung in dieser späteren Phase der Verhandlung können im Gegensatz zur Anwendung bei der Zulassung der Klage Unterschiede zwischen den verschiedenen gewünschten Rechtsmitteln – quashing order, mandatory order oder prohibiting order beziehungsweise injunction, damages oder declaration – vorgenommen werden. Der Grad an Interesse oder die Art der Betroffenheit spielen bei der Entscheidung, welche Form der Abhilfe für den Kläger geeignet ist, eine wichtige Rolle. Aber nicht nur die Eignung einer Form der Abhilfe für das Begehren des Klägers, sondern auch das spezifische Interesse für die jeweilige Klageart werden hier bewertet.352 So ist es vorstellbar, dass das Interesse für eine verpflichtende Anordnung – mandatory order – nicht als ausreichend angesehen wird, während das ausreichende Interesse des Klägers für eine Feststellung des Gerichts – declaration – gegeben ist.353 Dem englischen Rechtssystem des case law entsprechend wird der sichten einer Klage seien – entweder ergebe die Sachprüfung, dass die Erfolgsaussichten gering seien, dann werde die Klage unabhängig von einer Prüfung des ausreichenden Interesses des Klägers abgewiesen, oder die Erfolgsaussichten seien in der Sache gut, dann werde dem Kläger auch das ausreichende Interesse nicht abgesprochen. 350 So auch Purchas L.J. in R v Department of Transport, ex parte Presvac Engineering Ltd. (1992) 4 Admin. L.R. 121, der von einem „Ermessen des Gerichts“ spricht, im Fall einer fehlenden Betroffenheit des Klägers die Abhilfe oder eine bestimmte Abhilfe zu verweigern. 351 R v Monopolies and Mergers Commission, ex parte Argyll Group (1986) 1 WLR 763; R v Department of Transport, ex parte Presvac Engineering Ltd. (1992) 4 Admin. L.R. 121; R v Somerset County Council and ARC Southern Ltd., ex parte Dixon (1997) COD 323. 352 Woolf, Harry/Jowell, Jeffrey/Donnelly, Catherine/Hare, Ivan, Andrew, de Smith’s Judicial Review, S. 79 f. Rdnr. 2 – 024 f.; Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 672 Rdnr. 18.6.6. 353 So im Fall R v Felixtowe Justices, ex parte Leigh (1987) QB 582, wo das Interesse eines Journalisten für eine Feststellungsklage darauf, dass die Zurückhaltung gewisser Informationen seitens eines Gerichtes rechtswidrig war, bejaht wurde, nicht aber für eine Verpflichtungsklage auf die Herausgabe der Informationen im konkreten Fall, da der Artikel der klagenden Journalisten sich nicht auf den Gerichtsfall als solchen beziehen sollte, sondern lediglich auf die Berichterstattung über den Fall in der Presse. Ein ausreichendes Interesse an der Herausgabe der Informationen durch das Gericht wurde daher verneint, während die Gerichtspraxis als solche als rechtswidrig angesehen und auch das Interesse der Journalisten an der Feststellung dieser Rechtswidrigkeit bejaht wurde.
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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sufficient interest test sehr einzelfallabhängig angewendet, bezogen auf die jeweiligen Fakten sowie darauf, was genau der Kläger von dem Gericht begehrt.354 Einen allgemeinen Leitfaden oder genauere Voraussetzungen für seine Anwendung geben weder Section 31 (3) Superior Courts Act 1981 noch Part 54 CPR. Inwieweit das Interesse einzelner Kläger oder Gruppen von Klägern als ausreichend angesehen wurde, ist daher nach einer Untersuchung entsprechender Einzelfälle zu beantworten. Wiederum lässt sich eine Entscheidung für einen rein subjektiven Rechtsschutz nicht feststellen; die Verletzung eines eigenen Rechts muss nicht zwingend geltend gemacht werden. Als mögliche Interessen, die vor allem zu einer Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung führen können, kommen vielmehr sowohl rechtliche als auch finanzielle oder faktische Interessen in Betracht.355 Auch Section 31 (2a) Senior Courts Act 1981, der für den Erfolg einer judicial review-Klage nunmehr die Ergebnisrelevanz des Verwaltungsfehlers gerade für den Kläger verlangt, erfährt in Section 31 (2b) Senior Courts Act 1981 die Einschränkung, dass das Gericht eine Entscheidung im öffentlichen Interesse auch ohne eine solche Ergebnisrelevanz aufheben kann. aa) Klagen unmittelbar Betroffener Ein ausreichendes Interesse wird jedenfalls immer dann angenommen, wenn sich eine fehlerhafte Entscheidung unmittelbar an einen Einzelnen richtet oder dieser zumindest direkt und unmittelbar von ihr betroffen ist.356 Allerdings wird gerade auch für diesen Personenkreis durch Section 31 (3a) Senior Courts Act 1981 eine Einschränkung dahingehend vorgenommen, dass sich der Fehler der Verwaltung im Ergebnis ausgewirkt haben muss. Es soll gerade nicht möglich sein, allein aufgrund einer „Förmlichkeit“ die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung erreichen zu können, selbst wenn man von dieser Verwaltungsentscheidung selbst betroffen ist, der Fehler sich im Ergebnis auf die eigene Position aber nicht ausgewirkt haben kann.357 bb) Klagen Dritter oder Nichtadressaten Eine eindeutige Unterteilung in Adressaten und Nichtadressaten einer Maßnahme lässt sich bei der Untersuchung von judicial review-Klagen nicht feststellen. Dies folgt vor allem daraus, dass nach englischem Verständnis nicht die Einteilung zwischen Adressaten und Dritten die entscheidende Rolle spielt, sondern danach 354 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, Rdnr. 18.6.4. 355 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, Rdnr. 18.9.1. 356 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, Rdnr. 18.7.2; Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 591. 357 Wallace, Alastaire, JR 2016, 269 (273).
S. 672 S. 675 S. 673
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
differenziert wird, ob der Kläger ein eigenes Interesse an der Klage geltend macht oder ob er sich auf das öffentliche Interesse beruft.358 Auch ein Nichtadressat kann danach zu der ersten Kategorie der Kläger gezählt werden, wenn es ihm nicht (nur) um das öffentliche, sondern vor allem um das eigene Interesse am Einschreiten durch das Gericht geht. Ein eigenes Interesse kann hier finanzieller, rechtlicher oder faktischer Art sein.359 Auch Nachbarn wird im Planungs- und Baurecht regelmäßig ein eigenes Interesse an der Aufhebung rechtswidriger Bau- oder Plangenehmigungen zugesprochen.360 Besonders deutlich wird dieses Verständnis an Fällen wie R v St. Edmunsbury Borough Council, ex parte Investors in Industry Commercial Properties Ltd. (1985)361 oder auch R v Attorney General, ex parte Imperial Chemical Industries Plc. (1986),362 in denen nach deutschem Verständnis „typische“ Dritte oder Nichtadressaten gegen Verwaltungsentscheidungen vorgegangen sind. In dem erstgenannten Fall war dem Kläger die Baugenehmigung für einen Supermarkt verweigert worden, während sie einem anderen erteilt wurde. Er strengte sodann eine judicial review-Klage gegen die einem anderen erteilte Baugenehmigung an. Zwar scheiterte seine Klage an anderen Gründen, aber an seinem ausreichenden Interesse wurde nicht gezweifelt. In dem zweiten Fall setzte sich ein Steuerzahler gegen den von ihm als zu niedrig angesehenen Steuerbescheid eines anderen zur Wehr. Auch hier wurde das ausreichende Interesse bejaht, weil der Kläger geltend machte, dass der Adressat des Steuerbescheids – ein wirtschaftlicher Konkurrent – durch die zu niedrig angesetzte Steuerschuld einen unrechtmäßigen Vorteil ihm gegenüber erlangt habe. Generell wird Klägern ein Interesse daran zugebilligt, dass das Gesetz ihren wirtschaftlichen und anderen Konkurrenten gegenüber ebenso konsequent wie gegenüber ihnen selbst durchgesetzt wird.363 Andererseits gibt es jedoch auch Fälle, in denen ein Dritter Entscheidungen der Verwaltung angreift und hierbei den Schutz öffentlicher Interessen anstrebt. Solchen Klägern wurde in der Vergangenheit ebenfalls ein ausreichendes Interesse an der Klage häufig dann zugestanden, wenn sie hierbei auch ein eigenes Interesse geltend machen konnten. In dem Fall R v Felixstowe Justices, ex parte Leigh (1987)364 wurde 358 So Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 673 Rdnr. 18.7.1. 359 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 674 Rdnr. 18.8.1. 360 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 593 f. 361 [1985] 1 WLR 1168. 362 [1986] 60 TC 1. 363 Wade, William/Forsyth, Christopher, Administrative Law, S. 593 f.; so wurde beispielsweise in R (Rockware Glass Ltd.) v Chester City Council and Quinn Glass Ltd. (2005) EWHC 2250 (insbes. Rdnr. 170 ff.) einem Glashersteller das ausreichende Interesse für die Klage gegen weniger strenge Umweltauflagen eines Konkurrenten zugesprochen; vgl. auch R v Department of Transport, ex parte Presvac Engineering Ltd. (1992) 4 Admin. L.R. 121. 364 [1987] QB 582.
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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das ausreichende Interesse eines Journalisten auf Feststellung bejaht, dass die Verfahrenspraxis eines Magistrates’ Court, die Identität der für einen Fall eingesetzten Richter zurückzuhalten, rechtswidrig sei. Dies wurde auch mit der wichtigen Funktion der Presse und einzelner Journalisten als Überwachungsorganisation öffentlicher Interessen begründet. Auch wurde ein ausreichendes Interesse im Falle von Klagen Einzelner gegen die Ratifikation von völkerrechtlichen Verträgen bejaht, wenn der Kläger eine „ehrliche Sorge um verfassungsrechtliche Werte“ geltend machte.365 Schon in dem Fall, der den Grundstein für das neue standing-Recht gelegt hat – Inland Revenue Commissioners v National Federation of Self-Employed and Small Businesses Ltd. (1982)366 –, wurde die grundsätzliche Möglichkeit anerkannt, dass der Klage eines Einzelnen, der sich rein auf das öffentliche Interesse beruft, stattgegeben werden kann, wenn dies nach den Fakten des Einzelfalls und den in Frage stehenden Gesetzen geeignet ist.367 Demgegenüber wurde in Fällen, in denen ein Einzelner nicht das öffentliche, sondern das spezifische Interesse eines anderen geltend zu machen suchte, dessen ausreichendes Interesse im Rahmen einer judicial review-Klage verneint. So konnte in R v Legal Aid Board, ex parte Bateman (1992)368 eine Mandantin, der Rechtskostenhilfe zustand, nicht gegen die Besteuerung der Kosten ihres Anwalts vorgehen, da nur dieser selbst von der Regelung betroffen sei. Die „ehrliche Sorge“ der Mandantin um eine gerechte Bezahlung ihres Anwalts sei nicht genug, um ein ausreichendes Interesse an der Überprüfung der Regelung in diesem Fall zu bejahen. In derartigen Fällen soll es die Entscheidung des tatsächlich Betroffenen bleiben, ob er sich gegen die mutmaßlich fehlerhafte Verwaltungsentscheidung zur Wehr setzen möchte oder nicht.369 Auch wird in einigen Fällen die Sorge deutlich, dass die heutigen sehr weiten standing- oder sufficient interest-Regeln es einzelnen Klägern ermöglichen könnten, unter Behauptung eines öffentlichen Interesses – vor allem des Umweltschutzes im Planungsrecht – die bereits genehmigten Vorhaben von Konkurrenten zu verzögern oder ganz zu verhindern.370 Dies kann vor allem deshalb als problematisch angesehen werden, da das englische Gerichtsverfahren traditionell auf eine Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien ausgelegt ist, in die nicht zwingend auch die Interessen eines Dritten eingebracht werden können.371 Es wurde daher vorgeschlagen, der Klage eines Klägers, der sich auf das öffentliche Interesse beruft, ohne ein eigenes privates Interesse geltend machen zu können, nicht stattzugeben, wenn er die behördliche 365
R v Secretary of State for Foreign Affairs, ex parte Lord Rees Mogg (1994) QB 552 (561 f.); R (Wheeler) v Office of the Prime Minister and the Foreign Secretary (2008) EWHC 936. 366 [1982] AC 617. 367 Lord Fraser bei [1982] AC 617 (646), Lord Diplock bei [1982] AC 617 (639 und 644); dafür auch Cane, Peter, PL 1995, 276 (283). 368 [1992] 1 WLR 711. 369 Craig, Paul, Administrative Law, S. 772 Rdnr. 25 – 021. 370 R (The Noble Organisation Ltd.) v Thanet District Council (2005) EWCA Civ. 782. 371 Schiemann, Konrad, PL 1990, 342 (349).
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
Entscheidung aus einem unredlichen Beweggrund heraus angreifen will.372 Speziell in Fällen, die den Regelungsbereich der Aarhus-Konvention und die damit geforderten weiten Zugangsmöglichkeiten zu den Gerichten betreffen, ist es jedoch auch Einzelnen weiterhin vielfach möglich, allein öffentliche Interessen geltend zu machen. In dem Fall Ashton v Secretary of State for Communities and Local Government, Coin Street Community Builders (2010)373 wurden die geltenden Voraussetzungen für den Zugang zum Gericht in Fällen mit umweltrechtlichem Bezug zusammengefasst. Danach ist ein allgemein sehr weiter Zugang zu ermöglichen. Grundsätzlich ist zwar eine Beteiligung an dem Entscheidungsprozess der Verwaltung Voraussetzung für eine spätere Klage gegen die Entscheidung. Es sind jedoch im Einzelfall Ausnahmen hiervon zuzulassen. Bei der Beurteilung eines ausreichenden Interesses sind auch weiterhin die persönlichen Interessen des Betroffenen zu berücksichtigen, sodass es für Einzelne weiterhin einfacher bleibt, ein ausreichendes Interesse geltend zu machen, wenn es sich hierbei in irgendeiner Form um ein legitimes persönliches Interesse handelt. Allerdings hat der nunmehr so genannte Supreme Court in dem Fall Walton v Scottish Ministers (2012)374 klargestellt, dass eine Klage nicht nur deshalb keinen Erfolg haben dürfe, weil nicht eine einzelne Person von einem Fehler der Verwaltung betroffen sei, sondern jedermann gleichermaßen. Explizit spricht hier beispielsweise Lord Hope davon, dass es auch einem Einzelnen möglich sein müsse, Verstöße gegen umweltrechtliche Vorgaben, die gerade im Interesse der Allgemeinheit erlassen worden seien, gerichtlich zu rügen, selbst wenn kein persönliches Recht oder Interesse von der fraglichen Verwaltungsmaßnahme betroffen sei, solange er ein genuines Interesse an der Befolgung des Umweltrechts darlege.375 cc) Klagen von Interessensgruppen Organisationen, welche die Interessen ihrer Mitglieder einklagen wollen, wie beispielsweise Gewerkschaften oder sonstige Vereinigungen, wird regelmäßig ein ausreichendes Interesse zugesprochen.376 372 Dyson LJ in R (Feakins) v Secretary of State for the Environment, Food and Rural Affairs (2003) EWCA Civ. 1546 Rdnr. 23. 373 [2010] EWCA Civ 600 Rdnr. 53 ff.; hier ging es zwar nicht um die Frage des sufficient interest im Rahmen des judicial review proceedings, sondern um die Frage der Betroffenheit bei einer Klage vor dem High Court gegen einen Entwicklungsplan nach Section 288 Town and Country Planning Act 1990; die grundsätzliche Fragestellung ist jedoch, wie das Gericht dort selbst anmerkte, dieselbe. 374 [2012] UKSC 44, insbesondere Rdnr. 94. 375 Lord Hope in Walton v Scottish Ministers (2012) UKSC 44 Rdnr. 152 f.; so auch Moules, Richard, Environmental Judicial Review, 2011, S. 98. 376 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 675 Rdnr. 18.9.1; so beispielsweise in R v Chief Adjudication Officer, ex parte Bland (1985) The Times, 6. 2. 1985, im Fall einer Gewerkschaft, in R (Bapio Action) v Home Secretary (2008) UKHL 27, in Bezug auf eine Vereinigung zur Vertretung der Interessen immigrierter Ärzte.
B. Die Auswirkungen der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle
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Zunächst war es für Interessensgruppen, die staatliche Entscheidungen lediglich im öffentlichen Interesse angreifen wollten, schwieriger, deren Aufhebung zu erreichen. So wurde in dem Fall R v Secretary of State for the Environment, ex parte Rose Theatre Trust Co (1990)377 entschieden, dass eine Stiftung, die zur Erhaltung des Rose Theatre gegründet worden war, nicht gegen die Entscheidung, dieses Theater in eine Liste denkmalgeschützter Gebäude unter dem Ancient Monuments and Archaeological Areas Act 1979 aufzunehmen, vorgehen konnte. In späteren Fällen wurde dieses Urteil und die damit einhergehende Folge, dass eine Entscheidung in einem solchen Fall von niemandem angegriffen werden konnte, jedoch vielfach kritisiert, und neuere Entscheidungen sprechen eher dafür, dass Interessensgruppen, die ein öffentliches Interesse geltend machen, grundsätzlich ein ausreichendes Interesse zugesprochen wird. In dem Fall R v Inspector of Pollution, ex parte Greenpeace Ltd. (No 2) (1994)378 wurde Greenpeace sowohl als Vertreter des öffentlichen Interesses als auch als Vertreter der Interessen seiner einzelnen Mitglieder das ausreichende Interesse daran zuerkannt, eine Entscheidung der britischen Atomenergiebehörde, die es einem Unternehmen erlaubte, Atommüll in einer bestimmten Weise zu entsorgen, anzugreifen. Da es für individuelle Kläger, die sich allein auf ein rein öffentliches Interesse berufen, schwieriger sei, ein ausreichendes Interesse geltend zu machen, könne ansonsten nur ein Nachbar der Entsorgungsstelle oder beispielsweise ein Arbeitnehmer des entsorgenden Unternehmens eine Klage gegen die Entscheidung anstrengen, obwohl eine solche Klage wahrscheinlich weniger gut vorbereitet wäre und einen längeren Gerichtsprozess nach sich zöge.379 Explizit wurde in dem Fall R v Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs, ex parte World Development Movement (1995)380 zur Begründung der Annahme eines ausreichenden Interesses einer Entwicklungshilfeorganisation das Argument herangezogen, dass ohne deren Klagemöglichkeit häufig in besonders wichtigen Fällen, in denen aber kein Einzelner direkt und unmittelbar betroffen sei, niemand eine Verwaltungsentscheidung angreifen könnte. Es sei daher im öffentlichen Interesse notwendig, in solchen Fällen Interessensgruppen den Weg zum judicial review proceeding zu ermöglichen.381 Ein ausreichendes Interesse einer Organisation oder Interessengruppe wird teilweise dann nicht angenommen, wenn die Entscheidung sich explizit gegen einen Einzelnen richtet und derjenige sie auch überprüfen könnte. Nur derjenige soll dann eine judicial review-Klage anstrengen können.382 377
[1990] 1 QB 504. [1994] 4 All ER 329. 379 R v Inspector of Pollution, ex parte Greenpeace (No 2) (1994) 4 All ER 329 Rdnr. 82. 380 [1995] 1 WLR 386. 381 Rose LJ in R v Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs, ex parte World Development Movement (1995) 1 WLR 386 (395). 382 Supperstone, Michael/Goudie, James/Walker, Paul, Judicial Review, S. 677 f. Rdnr. 18.9.6. 378
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
C. Ergebnis: Die heutige Bedeutung der Ausrichtung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle – Annäherung des englischen und des deutschen Rechtssystems? Die Fragen nach der grundsätzlichen Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, nach der Auswirkung dieser Ausrichtung, sowie nach der aktuellen Entwicklung und den Veränderungen dieser Grundausrichtung auf die mögliche gerichtliche Geltendmachung von Verfahrensfehlern können zusammenfassend wie folgt beantwortet werden:
I. Die Auswirkung des Individualrechtsschutzsystems auf die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungsverfahrens Die Systementscheidung für den subjektiven Rechtsschutz wird gemeinhin als ein entscheidender Faktor dafür ins Feld geführt, dass eine Klage, die allein auf die Verletzung von Verfahrensrecht gestützt wird, in Deutschland kaum je Aussicht auf Erfolg hat. Dieser Beobachtung kann jedoch nur insoweit zugestimmt werden, als sie im Blick behält, welche Normen in Deutschland als subjektives öffentliches Recht verstanden werden. Es wäre zunächst durchaus denkbar, etwa die Verletzung eines Beteiligungsrechts als Verletzung in eigenen Rechten – genauer: in eigenen Verfahrensrechten – im Sinne des § 42 Abs. 2 und § 113 Abs. 1 oder Abs. 5 VwGO anzusehen. Dass ein solches Verständnis von subjektiven Rechten nicht vorherrschend ist, liegt damit nicht zwingend vordergründig an dem individualrechtsschützenden System als solchem, sondern vielmehr an der materiell-rechtlichen Ausrichtung des deutschen Rechtssystems. Unter einem subjektiven öffentlichen Recht wird grundsätzlich und nur unter Anerkennung weniger Ausnahmen ein materielles Recht verstanden. Die Verletzung eines Verfahrensrechts allein führt darüber hinaus selbst dann nicht zwingend zu einer Aufhebung der Entscheidung, wenn das verletzte Verfahrensrecht nach der Anwendung der Schutznormtheorie dem Grunde nach als subjektives Recht identifiziert worden ist. Auch in England hängt die Entscheidung dafür, verfahrensfehlerhafte Verwaltungsentscheidungen grundsätzlich aufzuheben, nicht allein mit der objektiven Ausrichtung des verwaltungsgerichtlichen Kontrollsystems zusammen. Entscheidender sind Funktion und Bedeutung, die verfahrensrechtlichen Garantien allgemein innerhalb des Rechtssystems zugeschrieben werden. Hier kann ein Verstoß gegen das natural justice-Prinzip nach deutschem Verständnis als Verletzung eines subjektiven Rechts bezeichnet werden, ohne dass es für eine gerichtliche Geltendmachung einer solchen zwingend bedürfte. Die Unterschiede, die in beiden Rechtssystemen bezogen auf die gerichtliche Geltendmachung von Verfahrensrechten festgestellt werden konnten, sind damit weniger Folge der unterschiedlichen Ausrichtung des verwaltungsgerichtlichen
C. Ergebnis
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Kontrollsystems als vielmehr Ausdruck der anders gearteten Regelungsdichte des materiellen Verwaltungsrechts und der damit zusammenhängenden ungleichen Bewertung verfahrensrechtlicher Garantien, wie sie in den Kapiteln 2 und 3 herausgearbeitet wurde. Insbesondere dort, wo auch in Deutschland verfahrensrechtliche Garantien bedeutender werden, weil das materielle Recht nicht die gesamte Steuerung übernehmen kann, wird auch an eine Ausweitung des Verständnisses von subjektiv-öffentlichen Verfahrensrechten gedacht, wie dies besonders im unionsrechtlich geprägten Umweltrecht zu beobachten ist.
II. Die Beschränkung des Zugangs zu Gericht, des gerichtlichen Prüfumfangs und der Aufhebbarkeit allein formell rechtswidriger Verwaltungsentscheidungen Innerhalb beider hier untersuchten Rechtssysteme sind die Bestrebungen dargestellt worden, nicht nur die grundsätzliche Möglichkeit des Zugangs zu Gericht, sondern ebenso die Reichweite der gerichtlichen Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung einzudämmen. Es werden hierfür unterschiedliche Mechanismen verwendet. Das deutsche Rechtssystem greift vornehmlich auf den Filter des subjektiv-öffentlichen Rechts unter Anwendung der – insbesondere in Bezug auf Verfahrensrechte – weiterhin strengen Schutznormtheorie zurück, der sowohl die Zulässigkeit als auch die Prüfung der Begründetheit verwaltungsgerichtlicher Klagen vornehmlich bestimmt. Demgegenüber setzt das englische Rechtssystem neben den bereits in Kapitel 2 beschriebenen weitgehenden Eingrenzungen, die insbesondere den gerichtlichen Prüfungsumfang betreffen, auf Begrenzungen im Einzelfall. Eine nur geringe Rolle spielt hierbei die Überlegung, dass die fehlerhafte Verwaltungsentscheidung die Rechte oder Interessen des Klägers verletzt haben muss, um aufgehoben werden zu können. Der Zugang zu den Gerichten ist zunächst ein sehr weiter, zumindest in Bezug auf die persönlichen Voraussetzungen des Klägers in seiner Beziehung zu der Verwaltungsentscheidung. Auch in der Begründetheit verwaltungsgerichtlicher Klage wird zwar auf ein Aufhebungsinteresse des Klägers abgestellt; dieses kann sich aber aus der Verletzung einer jeden und somit auch aus der einer dem deutschen Verständnis nach rein objektiv-rechtlichen Norm ergeben. Insbesondere in Bezug auf rein verfahrensfehlerhafte Verwaltungsentscheidungen könnte eine solche Herangehensweise damit zu einer Aufhebbarkeit in jedem Fall führen. Es ist daher umso bemerkenswerter, dass selbst das englische Recht, in dem die Verfahrensgarantien, wie in Kapitel 3 dargestellt, eine überaus bedeutende Rolle einnehmen, durchaus Möglichkeiten vorsieht, die Aufhebung von Verwaltungsentscheidungen, die abgesehen von ihrer Verfahrensfehlerhaftigkeit rechtmäßig sind, einzugrenzen. Dies geschieht vornehmlich dadurch, dass den mit der Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen betrauten Gerichten ein weitgehendes Ermessen darüber eingeräumt ist, wie sie mit einer bestimmten als fehlerhaft angesehenen Verwaltungsentscheidung umgehen. Wo es im Einzelfall als ungerecht
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Kap. 4: Die Ausrichtung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle
angesehen wird, eine solche Verwaltungsentscheidung aufzuheben, kann das Gericht davon absehen. Die Möglichkeit, von der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung abzusehen, wenn sich der geltend gemachte Fehler der Verwaltungs auf die Rechtsposition des Klägers im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht ausgewirkt hat, ist nun in Section 31 (2a) Senior Courts Act 1981 auch formal-gesetzlich vorgesehen. Gerade dann, wenn eine bestimmte Entscheidung, die unter Verletzung von Verfahrensrechten des Klägers zustande gekommen ist, einen anderen begünstigt und ansonsten auch mit den rechtlichen Vorgaben in Einklang steht, wird von der Aufhebung – im Ergebnis somit ähnlich wie nach deutschem Recht – abgesehen. Im Gegensatz zum deutschen Recht bleibt es jedoch dabei, dass auch eine unter Verletzung des verfahrensrechtlichen natural justice-Prinzips zustande gekommene Verwaltungsentscheidung grundsätzlich der Aufhebung unterliegen soll. Es ist weiterhin die Überlegung vorherrschend, dass auch eine Verletzung verfahrensrechtlicher Garantien grundsätzlich nicht hingenommen werden muss. Die Eingrenzung erfolgt somit weitgehend einzelfallabhängig und ist nicht wie innerhalb des deutschen Rechtssystems Teil einer Systementscheidung.
Kapitel 5
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und abschließendes Fazit Obgleich die deutsche und die englische Rechtstradition in Bezug auf den Rechtsschutz gegen Fehler innerhalb des Verwaltungsverfahrens zunächst sehr unterschiedlich anmuten, sind die Unterschiede im Ergebnis in Bezug auf den gebotenen Rechtsschutz nicht ganz so gravierend, wie auf den ersten Blick anzunehmen ist. Zum einen liegt dies sicherlich an den teilweise weitreichenden unionsrechtlichen Vorgaben für bestimmte Verfahrensgarantien in besonders geregelten Verwaltungsverfahren. Zum anderen erlaubt es der umfassende Blick auf verschiedene miteinander eng verknüpfte Systementscheidungen der beiden Rechtssysteme, den Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler im Gesamtsystem zu betrachten. Innerhalb dieses Gesamtsystems werden in Deutschland zwar weiterhin die materielle Gerechtigkeit und die materielle Rechtmäßigkeit von Entscheidungen in den Mittelpunkt des Rechtsschutzes gestellt. Bei ihrer Sicherstellung spielen jedoch vermehrt auch Verfahrensgarantien des Verwaltungsverfahrens eine Rolle, die dann als solche auch gerichtlich durchgesetzt werden können. Gerade in Bereichen, in denen auch in Deutschland der Verwaltung eine gewisse Eigenständigkeit in der Entscheidungsfindung zuerkannt wird, ist die gerichtliche Kontrolle vermehrt an prozeduralen Abläufen ausgerichtet, auch wenn die in diesem Sinne überprüften Vorgaben – man denke nur an die Abwägungskontrolle – als materiell-rechtliche Anforderungen und nicht als reine Verfahrensgarantien verstanden werden. Andererseits werden innerhalb des englischen Rechtssystems vermehrt die Grenzen einer rein auf die Einhaltung verfahrensrechtlicher Vorgaben ausgerichteten gerichtlichen Verwaltungskontrolle anerkannt. Es wird einerseits die inhaltliche Kontrolle – wenn auch zögerlich – ausgeweitet und andererseits die Aufhebung von Verwaltungsentscheidungen allein wegen der Missachtung verfahrensrechtlicher Normen ohne weitere Auswirkungen auf den Inhalt der Entscheidung oder die Interessen der Betroffenen eingegrenzt. Zusammenfassend können demnach folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:
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Kap. 5: Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und Fazit
A. Zum Umgang mit externen Einflüssen auf das Rechtssystem In Bezug auf die sich aus dem europäischen Recht ergebenden Impulse und Vorgaben, die häufig sehr konkrete Rechtsbereiche betreffen, ist teilweise die Behauptung aufgestellt worden, das deutsche Rechtssystem, das traditionell auf umfassende Kodifikationen setze, müsse bei deren Umsetzung und Eingliederung in die vorhandene Systematik an seine Grenzen gelangen. Als Zeichen für eine solche Einschätzung kann der Versuch der Gerichte angeführt werden, den europäischen Vorgaben „hinterherhinkend“,1 für den Einzelfall unionsrechtskonforme Lösungen zu finden, wo dies nicht gänzlich bei der Umsetzung solcher Vorgaben in das nationale Recht geschehen ist. Dem gegenübergestellt wird dann das case law geprägte englische Rechtssystem, das schon „von Natur aus“ in der Lage sei, flexibler auf Änderungen in einzelnen Bereichen der drei angesprochenen Systementscheidungen zu reagieren.2 Jedoch wird andererseits wegen der Letztentscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte, die der deutschen Verwaltungsrechtskontrolle innewohnt, gerade eine einzelfallabhängige Rechtsanwendung im deutschen Verwaltungsrecht beobachtet, die derjenigen des englischen case law-Systems durchaus ähnele. Da es gerade grundsätzlich das Verwaltungsgericht sei, das die Entscheidung über Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen treffe und das unter die in diesem Rahmen aufgestellten Obersätze eine Vielzahl von verschiedenartigen Einzelfällen fassen müsse, werde auch die Bewertung der „Richtigkeit“ von Verwaltungsentscheidungen durch die Verwaltungsgerichte stetig und einzelfallorientiert weiterentwickelt.3 So werden beispielsweise die Schutznormtheorie zur Bestimmung eines subjektiv-öffentlichen Rechts, aber auch die normative Ermächtigungslehre zur Begründung behördlicher Letztentscheidungskompetenzen gerade sogar aufgrund ihrer Einzelfallorientierung kritisiert. In der hierin liegenden Flexibilität und der damit einhergehenden Möglichkeit, neueren Entwicklungstendenzen, die auch aus dem europäischen Recht kommen mögen, offen gegenüberzutreten, kann jedoch ebenso ein Vorteil gesehen werden.4
1 Zitat nach Kahl, Wolfgang, NVwZ 2011, 449 (456); ähnlich von Danwitz, Thomas, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, S. 364. 2 Eine steigende Bedeutung des Richterrechts feststellend und gegenüber einem System des Verwaltungsrechts kritisch daher etwa Lepsius, Oliver, Hat die Europäisierung des Verwaltungsrechts Methode? Oder: Die zwei Phasen der Europäisierung des Verwaltungsrechts, in: Axer/Grzeszick/Kahl/Mager/Reimer (Hrsg.), Das Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase, 2010, S. 179 (192, 194 ff.). 3 Diesen Zusammenhang zwischen verwaltungsgerichtlicher Letztentscheidungskompetenz und stetiger Ausdifferenzierung der Dogmatik beschreibt Ramsauer, Ulrich, Zur Kontrolldichte im Verwaltungsprozess, in: Heckmann (Hrsg.), Gedenkschrift für Ferdinand O. Kopp, 2007, S. 72 (88 f.). 4 So für die Schutznormtheorie u. a. Bauer, Hartmut, AöR 113 (1988), 582 (607).
A. Zum Umgang mit externen Einflüssen auf das Rechtssystem
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Obgleich das deutsche Verwaltungsrecht auf den ersten Blick in einem starken Gegensatz zu dem europarechtlich beeinflussten Verwaltungsrecht zu stehen scheint, das eher an das angelsächsische verfahrensgeprägte und von einer weitergehenden Autonomie der Verwaltung ausgehende Verwaltungsrecht angelehnt ist, bleibt festzuhalten, dass es durchaus über Institute verfügt, durch deren Anwendung den europäischen Vorgaben Rechnung getragen werden kann. Beispielhaft kann die Einschränkung des Fehlerfolgenrechts im Fall der Verletzung absoluter Verfahrensfehler genannt werden. Zwar ist in der Rechtsprechung eine sehr zögerliche Haltung bei der Anerkennung solcher Verfahrensposition zu beobachten, die unabhängig von einer materiellen Rechtsposition zu schützen sind. Eine Ausweitung besonders im Bereich unionsrechtlicher Vorgaben ist hingegen durchaus denkbar. Auch widerspricht das in § 46 VwVfG normierte Kausalitätserfordernis mit seiner durch die Behörde zu widerlegenden Vermutung für die Kausalität als solches nicht den in ähnlichen Fällen durch den EuGH aufgestellten Anforderungen. Erst wenn die Rechtsprechung teilweise eine Umkehr der Beweislast anklingen zu lassen scheint, so dass es der Einzelne ist, der darlegen soll, dass sich der Verfahrensfehler gerade nicht ausgewirkt hat, kommt es zu einem Widerspruch mit der europäischen Herangehensweise.5 Ähnliches gilt für das auf den Individualrechtsschutz ausgelegte verwaltungsgerichtliche System. In diesem Bereich auftretende Divergenzen zum europäischen Recht kann die Schutznormtheorie in ihrer flexiblen Haltung gegenüber der Anerkennung von subjektiv-öffentlichen und damit drittschützenden Rechten durchaus auflösen. So ist es auffällig, dass bislang – von einigen dahingehenden Forderungen im Schrifttum abgesehen – nicht davon ausgegangen wird, dass das Unionsrecht eine vollkommene Umgestaltung des auf den individuellen Rechtsschutz abzielenden deutschen Verwaltungsrechtsschutzes verlange. Vielmehr ist auch das Bundesverwaltungsgericht spätestens mit seinem Urteil vom 5. 9. 2013 in Reaktion auf das EuGH-Urteil zum slowakischen Braunbären dazu übergangen, die als Schutznormen anzuerkennenden Vorschriften in Anlehnung an die europäische Vorstellung hierzu erheblich auszuweiten. Ob hierin die schleichende Einführung einer unionsrechtlichen Interessentenklage gesehen werden kann, kann zurzeit nicht beantwortet werden. Ein vollkommener Systembruch ist jedenfalls bislang nicht zu beobachten. Andererseits könnte angenommen werden, dass im englischen Verwaltungsrecht dort eine größere Flexibilität an den Tag gelegt wird, wo es um Systemfragen geht, die durch das europäische Recht in Frage gestellt werden. Das deutsche Verwaltungsund Verwaltungsprozessrecht folgt zum einen einer längeren, wenn auch teilweise durchaus wechselhaften Tradition, die das englische Verwaltungsrecht als solche nicht kennt. Zum anderen bewirkt die im deutschen Rechtssystem vornehmlich vorgenommene Kodifizierung von Rechtsnormen in allgemeinen und systematischen Gesetzeswerken eine stärkere Ausgestaltung systemischer Entscheidungen. So werden die durch das europäische Recht teilweise notwendig werdenden Än5 Kleesiek, Anja, Zur Problematik der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, 2010, S. 122 f.; Ekardt, Felix, NVwZ 2014, 393 (394).
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Kap. 5: Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und Fazit
derungen bislang kaum auf der Ebene der Systementscheidungen in das Rechtssystem integriert, sondern es sind einzelne gesetzgeberische Vorhaben oder die Gerichte, die eine Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben erreichen. Hierdurch wird aber teilweise gerade das System unter Druck gesetzt, wie zuletzt mittels der Ausweitung der als subjektiv-rechtlich verstandenen Normen durch das Bundesverwaltungsgericht. Der Versuch, im Rahmen eines Umweltgesetzbuchs auch in diesem stark unionsrechtlich beeinflussten Bereich eine – insoweit neue – systematische Regelung zu schaffen, ist bislang gescheitert. Ein Rechtssystem wie das englische, dessen Verwaltungsrecht als eigenständiges Rechtsgebiet zum einen vergleichsweise jung und zum anderen schon von Hause aus nicht systematisch kodifiziert ist, kann sich erheblich leichter mit der Aufnahme neuer, auch externer Einflüsse tun, ohne einen Bruch des Systems fürchten zu müssen.6 Auffällig ist überdies, dass es in England auch unabhängig von externen, also vor allem europäischen Einflüssen durchaus üblich ist, dass ein Politikwechsel auch einen erheblichen Einfluss auf das gesamte administrative Rechtssystem hat. Systemische Veränderungen – beispielsweise eine Ausweitung oder Eindämmung exekutiver Entscheidungsspielräume oder aber die Rolle der Gerichtsbarkeit bei der Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen – werden so regelmäßig als Folge von Politikwechseln diskutiert7 und wirken damit auch unabhängig von der Umsetzung europäischer Vorgaben „alltäglicher“. Eine auffällige Konsequenz der bisherigen deutschen Herangehensweise ist, dass ein aufgespaltener Umgang mit wichtigen Bereichen des Verwaltungsrechts entsteht, je nachdem, ob es sich um Bereiche mit unionsrechtlichem Bezug handelt oder nicht. Zum einen kann dies bereits anhand des Fehlerfolgenregimes bei Verfahrensfehlern beobachtet werden,8 zum anderen ist von einer derartigen Aufspaltung in Bezug auf die Anerkennung subjektiv-rechtlicher und damit zu einer Klage befähigender Normen auszugehen.9 Insbesondere an den zuletzt ergangenen Entscheidungen des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts zur „Einklagbarkeit des Umweltrechts“ lässt sich dies erkennen. Umweltschutzvereinigungen steht hiernach ein einklagbares eigenes subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung des europäischen Um6
Vgl. hierzu auch Schwarze, Jürgen, DÖV 1996, 771 (774 f.). Insbesondere sind hier sicherlich die durch Margaret Thatcher vorgenommenen Reformen und deren Auswirkungen auf das administrative System zu nennen; hierzu u. a. Loughlin, Martin, JLS 16 (1989), 21 (26); Cooper, Davina, JLS 22 (1995), 506 (508 ff.); vgl. aber auch die Diskussion zu den Auswirkungen der Verfassungsreformen der Labour Regierung unter Tony Blair auf das administrative System bei Bevir, Mark, Parliamentary Affairs 61 (2008), 559, und Masterman, Roger, Parliamentary Affairs 62 (2009), 476. 8 Hermes, Georg, Europäisierung und Internationalisierung des Verwaltungsverfahrens, in: Appel/Hermes/Schönberger (Hrsg.),Festschrift für Rainer Wahl, 2011, S. 689 (705 f.); Burgi, Martin, DVBl. 2011, 1317 (1319 ff.); Kahl, Wolfgang, NVwZ 2011, 449 (451); Schlacke, Sabine, NVwZ 2014, 11 (16 f.). 9 Vgl. schon von Danwitz, Thomas, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, S. 364 ff.; Schwarze, Jürgen, DVBl. 1996, 881 (888); Kokott, Juliane, Die Verwaltung 31 (1998), 335 (340). 7
A. Zum Umgang mit externen Einflüssen auf das Rechtssystem
401
weltrechts zu. Die Einhaltung rein nationalen Umweltrechts lässt sich demgegenüber unter Anwendung der herkömmlichen Schutznormtheorie nicht als ein subjektives öffentliches Recht begreifen. Es entsteht nicht allein eine zweigeteilte Einklagbarkeit umweltrechtlicher Vorschriften, sondern zudem eine gewisse Unsicherheit darüber, welche Vorschriften im Einzelnen als rein nationale und welche als aus dem Unionsrecht entstammende angesehen werden können.10 Nach der Untersuchung des englischen Verwaltungsrechts stellt sich das Bild dort jedoch nicht bedeutend anders dar. Vielmehr werden auch hier europäische Vorgaben – wie etwa die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zur Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen oder die Notwendigkeit auch vorläufigen Rechtsschutzes – zunächst allein in Bereichen mit unionsrechtlicher Berührung in das englische Recht übernommen. Nationale Veränderungen durch unionsrechtliche Entwicklungen werden nahezu ausschließlich dann ohne Weiteres akzeptiert, wenn es um die zwingende Aufnahme europäischer Vorgaben in das nationale Recht – also vor allem zur Umsetzung von Richtlinien, der Europäischen Menschenrechtskonvention oder aber in sonstigen Fällen mit unionsrechtlichem Bezug – geht. Der allgemeinen Aufnahme europäischer Impulse in das nationale Recht und damit auch für Fallgestaltungen ohne unionsrechtlichen Bezug wird nicht weniger zögerlich begegnet als in Deutschland. Häufig ist von der „Gefahr“ und notwendigen Eindämmung eines spill-over effects die Rede11 oder es wird vor einem Widerspruch mit traditionellen Grundsätzen des Common Law gewarnt.12 Mehr noch als in Deutschland wird eine deutliche Entscheidung des Gesetzgebers verlangt, sollen europäische Prinzipien oder Impulse allgemein in das nationale Recht übernommen werden. Ansonsten ist eine klare Abgrenzung zwischen Fällen mit unionsrechtlichem Bezug und rein nationalen Sachverhalten üblich. Wird ein europäisches Rechtsinstitut auch auf rein nationale Fälle ausgeweitet, dann wird als Begründung nicht selten auf eine bereits ohne europäische Impulse bestehende Tradition des Common Law verwiesen.13 Der somit nicht allein in Deutschland, sondern durchaus auch in England zu beobachtende Zustand der Zersplitterung kann schon an sich als problematisch angesehen werden. Je weiter jedoch der europäische Einfluss auf das nationale Verwaltungsrecht fortschreitet, desto unumgänglicher wird es, auch auf systemischer Ebene gesetzgeberische Entscheidungen zu treffen.
10
Vgl. hierzu Bunge, Thomas, ZUR 2014, 3 (9 ff.). Anthony, Gordon, European Public Law 1998, 253 (255 f., 273). 12 Dies ist insbesondere in Bezug auf die disproportionality als Maßstab der gerichtlichen Verwaltungskontrolle der Fall; vgl. Sales, Sir Philip, LQR 2013, 223 (234); Goodwin, James, PL 2012, 445 (454). 13 In Bezug auf die Anerkennung eines vorläufigen Rechtsschutzes gegen staatliche Maßnahmen auffällig beispielsweise M v Secretary of State for the Home Office (1994) 1 AC 377 Leitsatz 1, wo die Möglichkeit einer injunction gegen den Staat nicht etwa aus der europäischen Rechtsprechung in der Rechtssache Factortame abgeleitet wird, sondern auf traditionelle Grundsätze des Common Law abgestellt wird. 11
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Kap. 5: Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und Fazit
B. Der Eigenwert des Verfahrens in seiner instrumentalen und nicht-instrumentalen Erscheinungsform Die Abnahme der Steuerungsfähigkeit des materiellen Rechts in gewissen Bereichen des Verwaltungsrechts stellt das deutsche Rechtssystem vor größere – vor allem dogmatische – Schwierigkeiten als das englische Rechtssystem, das schon traditionell von weiteren Gestaltungsspielräumen der Verwaltung ohne zwingende gesetzliche Vorgaben ausgeht. Die „Prozeduralisierung“ des Rechts und mit ihr die Bedeutung von dienender Funktion und Eigenwert des Verfahrens wird in Deutschland anhaltend diskutiert. Es ist nunmehr weitgehend akzeptiert, dass von einer rein untergeordneten Funktion des Verwaltungsverfahrensrechts gegenüber dem materiellen Recht nicht auszugehen ist. Besonders deutlich wird die eigenständige Bedeutung des Verwaltungsverfahrens im Rahmen der Beteiligung Einzelner oder bestimmter Gruppen an den Entscheidungsprozessen der Verwaltung. Sowohl in Deutschland als auch in England ist nicht zuletzt durch europäische Einflüsse die Entwicklung erkennbar, zumindest betroffene Bürger vermehrt in Entscheidungsprozesse der Verwaltung einzubeziehen. Der Umgang mit großen Planungsvorhaben, deren Durchführung in der Vergangenheit verstärkt auf Widerstand in der Bevölkerung gestoßen ist, hat eine Diskussion darüber angeregt, wie die Einbeziehung der Bevölkerung die Akzeptanz für derartige Projekte zumindest steigern kann. Eine Stärkung der Rechte des Einzelnen während des Verwaltungsverfahrens wird nunmehr als eine Möglichkeit gesehen, sich anschließende langwierige Gerichtsprozesse zu ersparen. Die Ausweitung derartiger Rechte geschieht in Deutschland weiterhin mit dem durchschlagenden Hinweis, durch eine Festigung der Verfahrensstellung der Betroffenen vor allem deren materielle Rechtstellung absichern zu wollen. Wo ein Eigenwert der Verfahrensvorschriften angenommen wird, ist das zumeist ein in Bezug auf die Sachentscheidung und das Ausbleiben einer materiellen Rechtsverletzung funktionaler oder instrumentaler. Ein Stück hierüber hinaus geht zwar die akzeptanzsteigernde Funktion des Verwaltungsverfahrens; doch auch hier wird ein Eigenwert der Vorschriften, die eine solche sichern sollen, nicht in dem Maße anerkannt, dass ihnen ein absoluter und damit gänzlich von der Sachentscheidung unabhängiger Wert zugesprochen würde. Ein solcher wird bislang nur sehr zögerlich und zumeist aufgrund europäischer Vorgaben angenommen. Andererseits wird im englischen Verwaltungsrecht, das grundsätzlich weiterhin den eigenständigen Charakter von prozeduralen Rechten betont, nicht bestritten, dass auch Verfahrensrechte nicht selten anerkannt würden, um eine Absicherung materieller Rechtspositionen zu garantieren.14 Ein besonders anschauliches Beispiel für diesen Befund ist die Rechtsentwicklung im Bereich der legitimate expectations, des schützenswerten Vertrauens. Wo bis vor wenigen Jahren noch ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die Erfüllung einer schützenswerten Erwartung abgelehnt wurde 14
Vgl. beispielsweise Craig, Paul, CLJ 1996, 289 (296).
C. Bedeutung des Verfahrensrechts in der gerichtlichen Kontrolle
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und der Betroffene auf gesteigerte prozedurale Rechte in diesem Fall verwiesen wurde, wird heute, wenn auch nur in besonderen Einzelfällen, eine gerichtlich durchsetzbare materielle Rechtsposition des Betroffenen akzeptiert. Die verfahrensrechtliche Absicherung durch die Anhörung des Einzelnen vor einer Entscheidung, die von seiner schützenswerten Erwartung abweicht, oder durch die hinreichende Begründung einer solchen Abweichung, wird nicht länger als ausreichend angesehen. Vielmehr wird in bestimmten Fällen nur das tatsächliche Erfüllen der Erwartung als gerecht empfunden. Die stark verfahrensrechtlich geprägte Gerechtigkeitsvorstellung des englischen Verwaltungsrechts ist hier ein Stück weit einer materiellen Gerechtigkeitsvorstellung gewichen, obgleich noch immer der Schutz durch Verfahrensrechte auch im Fall einer schützenswerten Erwartung hervorgehoben wird.
C. Die direkte und indirekte Bedeutung des Verfahrensrechts in der gerichtlichen Kontrolle Die deutsche Sicht, die dem Verfahren einen weitgehend instrumentalen, auf die materielle Entscheidung bezogenen Eigenwert einräumt, schlägt sich besonders in der Reichweite der gerichtlichen Verfahrenskontrolle nieder. Der auffälligste Unterschied bei der Herangehensweise an die gerichtliche Durchsetzung prozeduraler Garantien im Verwaltungsrecht ist damit wohlmöglich in dem Grund zu sehen, aus dem das englische und das deutsche Rechtssystem auf die Kontrolle des Verwaltungsverfahrens zurückgreifen: Während in England einer der ältesten und wichtigsten Klagegründe gegen Verwaltungsentscheidungen die procedural impropriety, also das fehlerhafte Verfahren an sich ist, erlangt die Verfahrenskontrolle in Deutschland in auffällig ausgeprägter Form ihre Bedeutung gerade, um den hinreichenden Schutz materieller Rechtspositionen sicherzustellen. Die dem Verfahren zugeschriebene grundsätzlich dienende Funktion durchzieht die gesamte Ausgestaltung der Sanktionsmöglichkeiten bei Verfahrensfehlern. Die Bedeutung, welche die Kontrolle des Verfahrens im deutschen Rechtssystem einnimmt, kann folglich als eine indirekte bezeichnet werden. Insbesondere an drei für die gerichtliche Überprüfung und Sanktion von Verfahrensfehlern entscheidenden Punkten verlangt das deutsche Rechtssystem einen Zusammenhang zwischen dem Verfahrensfehler und der im Ergebnis durch die Verwaltung getroffenen Entscheidung: Zunächst kann eine Klagebefugnis gestützt auf die mögliche Verletzung von Verfahrensrecht – abgesehen von absoluten Verfahrensrechten – nur dann begründet werden, wenn die verletzte Verfahrensnorm gerade auch dem Schutz einer materiellen Rechtsposition dienen soll und eine Auswirkung auf diese Rechtsposition durch den Verfahrensfehler zudem möglich ist. Des Weiteren wird im Rahmen der Begründetheit eine Rechtsverletzung nur dann angenommen, wenn durch den Verfahrensfehler eine materielle Rechtsposition tatsächlich betroffen ist oder im Ermessensbereich betroffen sein kann. Das Bundesverwaltungsgericht gebraucht in ständiger Recht-
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sprechung die Formel, dass „die Einhaltung verfahrensrechtlicher Vorschriften kein Selbstzweck [ist], sondern […] der besseren Durchsetzung von Belangen [dient]. Daher muss ein Kläger zur Begründung einer Rechtsverletzung geltend machen, dass sich der von ihm gerügte Verfahrensfehler auf seine materiell-rechtliche Position ausgewirkt haben könnte.“15 Teilweise wird diese Vorgabe bereits im Rahmen der Klagebefugnis angesprochen, teilweise erst die von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangte Rechtsverletzung ausgeschlossen. Nach § 46 VwVfG ist der von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorausgesetzte Aufhebungsanspruch zudem ausgeschlossen, wenn der Verfahrensfehler sich auf das Ergebnis der Sachentscheidung offensichtlich nicht ausgewirkt hat. Was im Rahmen der Klagebefugnis und der Rechtsverletzung durch den Verfahrensfehler als subjektivierte Kausalität zwischen der Verfahrensvorgabe und einer materiellen Rechtsposition des Klägers gefordert wird, stellt sich hier als objektive Kausalität zwischen dem Verfahrensfehler und dem Ergebnis der Sachentscheidung selbst dar. Es wird in Literatur und Rechtsprechung nicht eindeutig hervorgehoben, ob die Berufung auf einen Verfahrensfehler durch die Ablehnung eines möglicherweise verletzten subjektiv-öffentlichen Rechts bereits im Rahmen der Zulässigkeit ausgeschlossen sein soll, ob es sich um die Frage einer tatsächlichen Rechtsverletzung im Rahmen der Begründetheit oder sogar um den Ausschluss des Aufhebungsanspruchs durch § 46 VwVfG handeln soll. Alle drei Vorgaben stellen jeweils den engen Bezug der Verfahrensgarantie zu dem materiellen Ergebnis der Sachentscheidung dar und unterstreichen die Bedeutung der materiellen Gerechtigkeit im deutschen Rechtssystem. Die Aussage des § 46 VwVfG wird in den von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO geforderten Rechtswidrigkeitszusammenhang integriert,16 um zu einem Ausschluss des Aufhebungsanspruchs immer dann zu kommen, wenn der Verwaltungsakt zwar formell rechtswidrig und der Kläger dadurch auch in seinen subjektiven Verfahrensrechten, nicht aber in einer materiellen Rechtsposition verletzt ist. Selbst wo die Notwendigkeit einer verstärkten Verfahrenskontrolle gesehen wird – wo das materielle Recht keine Vorgaben gibt, die von der Verwaltung schlicht angewendet werden können und dieser somit ein Entscheidungsspielraum zugestanden wird –, wird diese als eine notwendige Kompensation ausbleibender Sachentscheidungskontrolle gesehen und bleibt eine an materiellen Sachrichtigkeitsvorstellungen orientierte Kontrolle. Die Möglichkeit der isolierten Geltendmachung von Verfahrensfehlern wird also auch hier minimiert. Das englische Rechtssystem geht demgegenüber im Rahmen seines Klagegrunds der procedural impropriety von einer sehr viel direkteren Kontrolle des Verwaltungsverfahrens aus. Es ist möglich, unmittelbar die Einhaltung der Verfahrensgarantien gerichtlich zu überprüfen. Auch im Rahmen des Klagegrunds der illegality ist 15
BVerwG, NUR 2013, 184, zur Begründung der Ablehnung einer Rechtsverletzung im Rahmen der Begründetheit der Klage mit Verweis auf BVerwGE 134, 308, BVerwGE 98, 339 (362 f.); BVerwGE 61, 256 (275 f.); ebenso und mit identischen Verweisen BVerwG, NVwZ 2012, 573 (574 f.), hier zur Begründung der Ablehnung der Klagebefugnis. 16 Beschrieben etwa bei Hill, Hermann, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 406 f.
D. Konsolidierung der Verfahrenskontrolle im dt. und engl. Rechtssystem
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es vor allem der Entstehungsprozess der Entscheidung, der durch das Verwaltungsgericht überprüft wird. Die Achtung der Verfahrensgarantien wird hier aus sich heraus als Maßstab rechtmäßigen und nicht rechtsverletzenden Verwaltungshandelns ohne notwendige Verbindung mit materiellen Rechtspositionen angelegt. Darüber hinaus spielen aber auch indirekte – mithin auf das Ergebnis bezogene – Verfahrenskontrollen durchaus eine Rolle. Im Rahmen des Klagegrunds der unreasonableness oder irrationality etwa wird, obgleich es im Grunde um eine Ergebniskontrolle geht, der Entscheidungsprozess in die Bewertung der Entscheidung mit einbezogen. Innerhalb dieses Systems wird aber durchaus auch Kritik an der stark auf die Einhaltung des Verfahrens ausgelegten gerichtlichen Kontrolle geübt. Zum einen wird betont, dass die noch immer sehr begrenzte Möglichkeit des Gerichts, eine inhaltliche Verwaltungskontrolle durchzuführen und sich somit auf die Aufhebung von Verwaltungsentscheidungen beschränken zu müssen, die gegen Verfahrensrecht verstoßen, zu Unzufriedenheit bei den obsiegenden Klägern führen könne, wenn eine inhaltlich gleiche Maßnahme in einem korrigierten Verfahren sogleich erneut erlassen werde.17 Ein Versuch der Ausweitung der gerichtlichen Kontrollkompetenz wird zwar im Rahmen des sich noch entwickelnden Klagegrunds der disproportionality, aber auch durch eine immer weiter gehende Abwägungskontrolle innerhalb des herkömmlichen judicial review proceedings unternommen. Dennoch betonen die Gerichte weiterhin, dass sich die Inhaltskontrolle von Entscheidungen grundsätzlich auf die traditionelle Wednesbury-Kontrolle beschränke. Andererseits nutzen die Gerichte ihr eigenes Ermessen und die nunmehr auch formal-gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, von der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung abzusehen, insbesondere wenn eine Verwaltungsentscheidung allein gegen rein förmliches Verfahrensrecht verstößt, ohne dass dieser Verstoß inhaltliche Konsequenzen nach sich zieht. Von einer allein nicht instrumentalen und vollkommen von materiellen Rechten oder dem Inhalt einer Verwaltungsentscheidung unabhängigen Bedeutung eines geltend gemachten Verfahrensrechts wird dami auch hier nicht ausgegangen.
D. Möglichkeit einer Konsolidierung der Verfahrenskontrolle im deutschen und englischen Rechtssystem – auf dem Weg zu einem gesamteuropäischen Verwaltungsrecht? An mehreren Stellen der vorliegenden Arbeit sind die Annäherungstendenzen des englischen und des deutschen Rechtssystems aufgezeigt worden. Dies gilt sowohl innerhalb der jeweiligen als „Systementscheidungen“ bezeichneten Bereiche des Verwaltungsrechts als auch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung dieser drei Systementscheidungen. Wie bereits mehrfach beschrieben, können die Herangehensweisen beider Rechtssysteme in Bezug auf die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungsverfahrens dort mittlerweile als ähnlich beschrieben werden, wo sich deren 17
Carnwath, Robert, Journal of Environmental Law, 2004, 315 (322).
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Ausgangspunkte vergleichen lassen. In Fällen der eingeschränkten materiell-rechtlichen Steuerungsfähigkeit kann eine Annäherung der deutschen Verwaltungskontrolle als Abwägungskontrolle an die der englischen Rechtstradition beobachtet werden. Andererseits kann dort, wo auch das englische Rechtssystem von der grundlegenden Aufgabe der Gerichte, die Rechte des Einzelnen zu schützen, ausgeht – mithin im Anwendungsbereich des Human Rights Act 1998 –, eine gerichtliche Verwaltungskontrolle festgestellt werden, die derjenigen der deutschen Verhältnismäßigkeitsprüfung grundsätzlich, wenn auch in der gerichtlichen Praxis nicht stets, zumindest nahe kommt. Solange sich beide Rechtssysteme einer Veränderung innerhalb ihrer traditionellen Herangehensweisen nicht verschließen, ist es demnach durchaus denkbar, sowohl aus dem europäischen Recht, als auch aus der Rechtstradition des jeweils anderen Rechtssystems bestimmte Vorgehensweisen zu übernehmen, zumal dann, wenn sich eine derartige Vorgehensweise dort für vergleichbar gelagerte Fälle als tauglich erwiesen hat. Trotz der teilweise geradezu gegensätzlichen Ausgangsannahmen beider Rechtssysteme sind die Lösungen, die im Einzelfall für bestimmte Sachverhaltskonstellationen gefunden werden, somit schon heute recht ähnlich. Durch europäische Vorgaben, die jeweils in die Verwaltungsrechtssysteme zu integrieren sind, wurde eine solche Annäherung verstärkt und beschleunigt. Die Grundsteine für eine Annäherung bis hin zu einem einheitlichen europäischen Rechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren sind in Deutschland und in England vielfach bereits gelegt worden. Inwieweit diese Angleichungstendenz trotz des beschlossenen Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union zumindest auf dem Stand der heutigen Entwicklung bestehen bleibt, oder ob sogar auch in Zukunft eine weitere Annährung zu beobachten sein wird, obwohl der direkte unionsrechtliche Einfluss auf das englische Recht wegfällt, wird die Zukunft zeigen.
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Stichwortverzeichnis Absolute Verfahrensrechte 261 ff., 271, 278, 281, 288 ff., 293 f., 309, 311, 350 ff., 378 ff., 399, 403 Abwägungsentscheidung 63, 66, 82, 95 f., 100, 109, 123, 141 f., 208, 239, 252 f., 260, 310, 362, 383 ff. Abwägungsgebot 63 ff., 141, 219, 256 Abwägungskontrolle 54 ff., 62 ff., 82, 95 f., 104 ff., 121 ff., 250 f., 384, 397, 405 f. Abwägungsspielraum 48, 54 ff., 66, 82, 140 ff., 259 ff., 269, 362 Abwägungsvorgang 31, 63 ff., 122 f., 142, 147, 250 f., 256 ff., 310 Administrative Court 74 ff., 121 Administrative discretion 43, 79 ff., 104 ff., 160 ff. Administrative Tribunals 40, 43, 76, 113 ff. Akteneinsicht 149, 207, 216 f., 233, 276, 286, 356 Akzeptanzstiftung 151 ff., 170, 219, 236, 267 f., 271, 289, 402 Anhörung 172, 208 ff., 211 ff., 219, 224 ff., 249 f., 270, 274 ff., 295, 297 ff., 300 ff., 309, 357, 403 Begründungserfordernis 122, 192, 194 f., 198 f., 218 f., 232 ff., 242, 244 f., 249 f., 267, 270 f., 274 ff., 296, 298, 302 Betroffene Öffentlichkeit 214 f. Beurteilungsspielraum 52 ff., 61 f., 65, 84, 121, 136, 191, 252, 275 f. Demokratische Legitimation 154 f., 197 Dienende Funktion 135 f., 141 f., 148, 159, 167, 247, 254, 257 f., 279, 403 Disproportionality 87, 100 ff., 123, 179, 311, 387, 405 Drittbetroffener 199, 205, 227, 336 f., 350, 357 f., 380, 384
Due Deference 104, 109 Duty to Act Fairly 173, 222 ff., 234, 239, 245, 296 f., 368 Effizienz 155 ff., 200, 282, 292, 307, 310 Eigenwert 61, 137 ff., 158 f., 168 ff., 247, 257 ff., 278, 311, 350, 402 f. „einzig richtige Verwaltungsentscheidung“ 46 ff., 51, 58, 82 ff., 134, 300 Ermessensentscheidung 50 ff., 70, 82, 87, 94, 100, 106, 120, 141, 151, 161, 178 f., 218, 239, 242, 252, 260, 305, 310, 382 f. Ermessensspielraum 39, 51, 67, 136, 149, 174, 177, 259, 303, 311 Exclusion Clauses 81 f. Fettering of Discretion
89 ff., 177 ff.
Grundrechtsschutz 60, 143 ff., 184 ff., 191 ff., 196, 201, 271 ff., 333 Heilung 70, 158, 249 ff., 258, 269 ff., 274, 277, 281, 287 ff, 297 ff. Human Rights Act 1998 80, 87, 95 f., 99 ff., 110 ff., 179, 242, 370, 406 Illegality 88 ff., 121 f., 304, 387, 404 Individualrechtsschutz 107, 191, 316 ff., 324, 328, 330, 337, 341 ff., 348, 375 f., 384 ff., 394, 399 Informationsfreiheitsgesetz 205, 217 f., 233, 235 Instrumentale Funktion 166 ff., 180, 224, 301 Interessentenklage 316, 319 ff., 348, 399 Interne Verwaltungskontrolle 44, 68 ff., 112 ff. Irrationality siehe Unreasonableness
Stichwortverzeichnis Judicial review proceeding 42, 74 ff., 98 ff., 115, 162, 220, 232 ff., 243, 298, 324 f., 362 ff., 370 f., 386, 393, 405 Justiciability 79, 99 Klagebefugnis 190, 206, 212, 284 ff., 306, 322, 328, 331 ff, 347, 351 ff., 359 ff., 362 ff., 371, 403 f. Kompensationsgedanke 58 ff., 148, 171, 275, 311 Konsensstiftung siehe Akzeptanzstiftung Kontrollumfang 45 ff., 79 ff., 99, 134, 337, 377 Legitimate Expectation 90, 98, 106, 174, 177, 180, 227, 311, 402 Letztentscheidungskompetenz 39, 47 ff., 52 ff., 58, 65, 109, 119 ff., 129, 150, 259, 398 Mediation 68, 71 ff., 118, 126, 152, 214 Möglichkeitstheorie 326 Mühlheim-Kärlich-Beschluss 60, 145 f., 184 ff., 272, 350 f., 354 f. Natural Justice 160, 167, 172 ff., 222 ff., 231 f., 238 f., 245, 295 ff., 308 ff., 368 f., 394 Nicht-instrumentale Funktion 159, 169 f., 258, 266 ff., 312, 402 Ouster Clauses siehe Exclusion Clauses Partizipationsbegehren 286 Popularklage 317 ff., 328, 348, 370, 374 Präklusion 158, 282 f. Procedural Impropriety 86 f., 97, 122 f., 220, 295, 304, 307, 368, 372, 387, 403 f. Proportionality siehe Disproportionality
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Regulierungsermessen 49, 56, 63, 276 Relative Verfahrensrechte 355 ff., 361, 383 Remedies siehe Writs und Remedies Richtigkeitsgewähr 133, 139 f., 202, 275, 286 Sachverhaltsaufklärung 66 f., 97 ff, 116, 208 ff., 349, 358 Schutznormtheorie 321, 336 ff., 360 f., 367, 376 f., 394 f., 398 f. Spruchreife 66 Standing 306, 362 ff., 371 f., 387 f., 391 Steuerungsfähigkeit 60 f., 131, 135, 154, 309, 402, 406 Subjektive Verfahrensrechte 190, 230, 255, 272, 294, 349 ff. Substantial Difference 302 ff., 369, 372 Sufficient Interest Test 363 ff., 370, 387 ff. Umweltvereinigung 211, 219, 323, 346 f., 376, 379 Umweltverträglichkeitsprüfung 212, 219 f., 237 f., 241 f., 251, 262 ff., 293, 297, 306, 309, 322 f., 329, 351 ff., 368 f., 377 ff. Unbeachtlichkeit 65, 158, 249, 251 ff., 258, 261, 268 ff., 299 ff., 380 Unreasonableness 87, 92 ff., 101, 107, 110, 123, 178, 181, 239, 242, 405 Verbandsklage 265 f., 283, 286, 322 f., 328 f., 344 ff. Verhältnismäßigkeit 51, 174, 199 f. Wednesbury-unreasonableness siehe Unreasonableness Widerspruchsverfahren 68 ff., 119, 126, 285 Writs und Remedies 76 f., 324