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German Pages 256 Year 1978
Linguistische Arbeiten
57
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Wolfram Bublitz
Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung im Deutschen und Englischen Untersuchungen zur Syntax, Semantik und Pragmatik der deutschen Modalpartikeln und Vergewisserungsfragen und ihrer englischen Entsprechungen
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1978
Meinen Eltern und
Christina
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bublitz,
Wolfram
Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung im Deutschen und Englischen: Unters, zur Syntax, Semantik u. Pragmatik d. dt. Modalpartikeln u. Vergewisse rungsfragen u. ihrer engl. Entsprechungen. - 1. Aufl. - Tübingen : Niemeyer, 1978. (Linguistische Arbeiten ; 57) ISBN 3-484-10295-0
ISBN 3-484-10295-0 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 4978 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGEN
VIII
VORWORT
IX
1.
SPRECHEREINSTELLUNG UND MODALITÄT
1
1.1. 1.2. 1.3. 1.3.1. 1.3.2.
Vorbemerkungen Die Funktionen der Sprache Modalität Vorbemerkungen Möglichkeiten der Sprecherhaltung
1 2 6 6 6
2.
DER THEORETISCHE RAHMEN
10
2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.
Vorbemerkungen Die performative Analyse Präsuppositionen und Annahmen Mitverstandenes und suggerierte Schlußfolgerungen Gesprächspostulate und unvollständige QuasiSyllogismen Gesprächsregeln Vorbemerkungen Gesprächsmaximen Gesprächsschlüsse Zusammenfassende Bemerkungen zu den theoretischen Grundlagen der folgenden empirischen Analysen
10 11 14 16
29
3.
MODALPARTIKELN UND MODALWÖRTER
31
3.1. 3.2.
Vorbemerkungen Die Modalpartikeln in den (traditionellen) Grammatiken und in neueren Arbeiten Bestimmung und Behandlung der Modalwörter in der neueren Literatur Syntax der Modalpartikeln und Modalwörter Morphologie der Modalpartikeln und Modalwörter Semantik und Pragmatik von Modalpartikeln und Modalwörtern
31
2.6. 2.6.1. 2.6.2. 2.6.3. 2.7.
3.3. 3.4. 3.5. 3.6.
4. 4.1. 4.1.1.
19 22 22 22 26
31 33 35 37 38
SPRACHLICHE MITTEL DER SPRECHEREINSTELLUNG IM DEUTSCHEN
42
Modalpartikeln Vorbemerkungen
42 42
VI 4.1.1.1. 4.1.1.2. 4.1.1.3. 4.1.1.4. 4.1.1.5. 4.1.1.6. 4.1.2. 4.1.2.1. 4.1.2.2. 4.1.3. 4.1.3.1. 4.1.3.2. 4.1 .4. 4.1.4.1. 4.1.4.2. 4.1.5. 4.1.5.1. 4.1.5.2. 4.1.6. 4.1.6.1. 4.1.6.2. 4.1.6.3. 4.1.7. 4.1.8. 4.1.8.1. 4.1.8.2. 4.1.9. 4.1.9.1. 4.1.9.2. 4.1.9.3. 4.1.10. 4.1.11. 4.1.11.1. 4.1.11.2. 4.1.12. 4.1.12.1. 4.1.12.2. 4.1.12.3. 4.1.13. 4.1.13.1. 4.1.13.2. 4.1.14. 4.1.14.1. 4.1.14.2. 4.1.15. 4.1.15.1. 4.1.15.2. 4.1.15.3. 4.1.16. 4.1.16.1. 4.1.16.2. 4.1.16.3. 4.1.17. 4.2. 4.2.1. 4.2.2.
Liste der u n t e r s u c h t e n M o d a l p a r t i k e l n Wortklassen und Funktionen Kombinationen Satztypen Beispiele Intonationszeichen Aber Konjunktion Modalpartikel Vielleicht Modalwort Modalpartikel Denn Konjunktion Modalpartikel Etwa Adverb Modalpartikel Bloß und nur Gradpartikel Konjunktion Modalpartikel Mal Nun (mal) Adverb Modalpartikel Eben A d j e k t i v u n d Adverb Modalwort Modalpartikel Ruhig Wohl Modalwort Modalpartikel Schon Adverb Modalwort Modalpartikel Ja Modalwort Modaipartikel Doch Modalwort Modalpartikel Eigentlich Einleitung Adjektiv Modalpartikel Auch Konjunktion Gradpartikel Modalpartikel T a b e l l a r i s c h e Zusammenfassung Vergewisserungsfragen Vorbemerkungen V e r g e w i s s e r u n g s f r a g e n nach A u s s a g e s ä t z e n
42 42 43 43 44 44 46 46 49 54 54 55 57 57 58 64 64 65 67 67 68 69 72 76 76 77 79 79 80 81 82 84 84 85 89 89 90 91 94 94 94 103 103 104 112 112 114 114 117 117 117 118 123 125 125 126
VII 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5.
Vergewisserungsfragen nach Fragesätzen Vergewisserungsfragen nach Aufforderungssätzen Vergewisserungsfragen nach Ausrufen
129 131 133
5.
METHODISCHER EXKURS: ZUR KONTRASTIERUNG
135
6.
SPRACHLICHE MITTEL DER SPRECHEREINSTELLUNG ENGLISCHEN
6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.1.3. 6.2. 6.2.1. 6.2.2.
Vorbemerkungen 138 Liste der untersuchten sprachlichen Mittel 138 Beispiele 139 Intonationszeichen 139 Z u s a t z f r a g e n im E n g l i s c h e n 140 Einleitung 140 Zusatzfragen nach Aussagesätzen mit unterschiedl i c h e r P o l a r i t ä t u n d u n t e r s c h i e d l i c h e n T o n m u s t e r n 141 Exkurs: Zusatzfragen als Mittel der Höflichkeit 148 Z u s a t z f r a g e n in A u s r u f e n 151 Zusatzfragen nach Aussagesätzen mit gleicher Polarität und unterschiedlichen Tonmustern 152 M i t or a n g e s c h l o s s e n e Z u s a t z f r a g e n n a c h A u s s a g e sätzen 156 Zusatzfragen nach Aufforderungssätzen 157 Zusatzfragen nach Aufforderungssätzen mit steigendem Ton 157 Exkurs: Sprachliche Mittel der M i l d e r u n g im E n g lischen 158 Zusatzfragen nach Aufforderungssätzen mit fallendem Ton 159 Z u s a t z f r a g e n v o m T y p right 161 Eh a l s Z u s a t z f r a g e 165 Positive Entscheidungsfragen 167 Negative Entscheidungsfragen 169 Negative Entscheidungsfragen mit negativer Antworterwartung 169 Negative Entscheidungsfragen mit positiver Antworterwartung 171 Fragen in Aussagesatzform und 'tentations' 175 Fragen in Aussagesatzform 175 'Tentations' 177 Rhetorische Fragesätze 182 Ausrufe in Fragesatzform 185 Aufforderungssätze 186 Einleitung 186 A u f f o r d e r u n g s s ä t z e m i t e x p l i z i t e m S u b j e k t you 186 Überredende Aufforderungssätze 189 Andere Mittel der Sprechereinstellung im Englischen 191 Einleitung 191 Partikeln 192 Well 192 Why 197 Then 199 Just 201
6.2.3. 6.2.4. 6.2.5. 6.2.6. 6.2.7. 6.2.7.1. 6.2.7.2. 6.2.7.3. 6.2.8. 6.2.9. 6.3. 6.4. 6.4.1. 6.4.2. 6.5. 6.5.1. 6.5.2. 6.6. 6.7. 6.8. 6.8.1. 6.8.2. 6.8.3. 6.9. 6.9.1. 6.9.2. 6.9.2.1. 6.9.2.2. 6.9.2.3. 6.9.2.4.
GRUNDSÄTZLICHE
BEMERKUNGEN
IM
138
VIII 6.9.2.5. 6.9.3.
Ever Emphatische Betonung
203 204
7.
V E R S U C H , DIE A U S D R U C K S W E I S E N DER S P R E C H E R E I N S T E L L U N G IM DEUTSCHEN UND E N G L I S C H E N Z U S A M M E N F A S S E N D ZU K O N T R A S T I E R E N
209
Vorbemerkungen V e r g l e i c h b a r k e i t zweier S p r a c h e n Ergebnisse Vergleichsgegenstand Sprechereinstellungen Milderung Verstärkung Überraschung Erwartung Übereinstimmung Weitere Sprechereinstellungen Fazit A u s w i r k u n g e n auf den F r e m d s p r a c h e n u n t e r r i c h t
209 209 210 211 212 212 215 216 219 222 224 226 229
7.1. 7.1.1. 7.1.2. 7.1.3. 7.2. 7.2.1. 7.2.2. 7.2.3. 7.2.4. 7.2.5. 7.2.6. 7.3. 7.4.
LITERATURVERZEICHNIS
2 31
ABKÜRZUNGEN GP(n)
Gradpartikel(n)
konvent.
IMPL(en)
konventionelle
Implikatur(en)
konvers.
IMPL(en)
konversationeile
Implikatur(en)
MP (η)
Modalpartikel(n)
MW
Modalwort
PSP(en)
Präsupposition(en)
PUD
'pragmatic universe of d i s c o u r s e '
ZF (n)
Zusatzfrage(η)
(-Wörter)
VORWORT
Die vorliegende kontrastive Studie basiert auf meiner Dissertation, die im Februar 1976 vom Fachbereich Sprachwissenschaften der Universität Hamburg angenommen wurde. Das Manuskript ist für die Veröffentlichung gekürzt und in weiten Teilen neu gefaßt worden. Die Anregung zu dieser Arbeit ergab sich aus der Beschäftigung mit den deutschen Modalpartikeln und dem vergeblichen Versuch, lexikalische Äquivalente im Englischen zu finden. Es lag nahe, sich zunächst mit den Verwendungsarten dieser und verwandter Ausdrucksweisen zu befassen, die weniger mit dem propositionalen Gehalt eines Satzes als vielmehr mit seiner Funktion im Kommunikationsablauf zu tun haben. Sie nehmen Bezug auf die Annahmen, Erwartungen, Motive, Kenntnisse, Selbst- und Hörereinschätzungen des Sprechers, mit anderen Worten, auf seine Einstellungen zu dem, was er äußert, und zu den Umständen der Sprechsituation. In einem zweiten Schritt wollte ich herausfinden, mit welchen sprachlichen Mitteln im Englischen diese Sprechereinstellungen ausgedrückt werden, so daß ich die Oberflächenphänomene beider Sprachen schließlich einander gegenüberstellen konnte. Die Durchführung dieses Programms hat nicht nur, so hoffe ich, neues Licht auf Gebrauch und Strukturen der deutschen und englischen Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung geworfen, die bisher von der Forschung vernachlässigt worden sind, sondern bietet in einem begrenzten Bereich Grundlagen sprachlich-deskriptiver Art für den Fremdsprachenuntejrricht. Wenn auch die angeführten Daten und Analysen zweifellos nicht unmittelbar als Unterrichtsmaterialien verwendbar sind, dürfte doch gerade die Beherrschung dieser Ausdrucksweisen einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der 'kommunikativen Kompetenz' bieten, die seit ge-
χ raumer Zeit als ein Lernziel des Fremdsprachenunterrichts vorgeschlagen wird. Die für die Analysen unerläßliche Sammlung empirischen Materials der gesprochenen englischen Sprache wurde durch einen mehrwöchigen Forschungsaufenthalt am 'Survey of English Usage1 (University College London) erheblich vorangebracht; für die Einladung bin ich Professor Randolph Quirk sehr dankbar. Allen, die meine Arbeit unterstützt und erleichtert haben, danke ich herzlich. Mein besonderer Dank gilt Manfred von Roncador (Augsburg) , dessen kritische und daher nützliche Hinweise zu Struktur und Verwendung deutscher Modalpartikeln sehr hilfreich waren, und vor allem meinem Doktorvater, Professor Winfried Boeder (Universität Oldenburg). Mit zahllosen Ratschlägen, anregenden Diskussionen und geduldiger Kritik hat er die Arbeit begleitet und wesentlich gefördert. Danken möchte ich auch Professor Heinz Vater (Universität Köln), der als Herausgeber dieser Reihe das Manuskript gelesen und einige wichtige Verbesserungsvorschläge gemacht hat. Trier, im Juli 1977
Wolfram Bublitz
1.
SPRECHEREINSTELLUNG UND MODALITÄT
1.1.
Vorbemerkungen
Selbst ohne Kenntnis des sprachlichen und nicht-sprachlichen Kontexts wird deutlich, daß in der Äußerung Du bleibst
hier?
eine andere Einstellung des Sprechers zum Inhalt, zum Hörer oder zu anderen Konstituenten der Sprechsituation zum Ausdruck kommt als in Du bleibst
doch hier? Der Unterschied läßt sich
auf die Partikel doah zurückführen. In gleicher Funktion werden neben Lexemen suprasegmentale Mittel
(ζ. B. kontrastierender
Akzent) und die Wortstellung gebraucht, wie etwa in den folgenden Gegenüberstellungen: (a) Das Meerschweinchen wird schon nicht sterben. - Das schweinchen wird wahrscheinlich nicht sterben. (b) Er ist unterwegs. (c) Er kann ruhig (d) Alberto
- Er müßte
schlafen.
schläft,
nicht?
(e) Da fehlt ein Knopf. (f) Es regnet.
- Es
(g) Komm! - Bitte (h) Kommst 1
unterwegs
sein.
- Er kann
'ruhig
- Alberto
schläft
- Da fehlt j_a ein
Meer-
schläfen. nicht?
Knopf!
regnet?
komm!
dü? - Kommst
du etwa
Es werden verwendet in (a) Modalpartikel - Modalwort; (b) Aussagesatz mit Kopula im Indikativ - Aussagesatz mit epistemisch/kognitiv gebrauchtem Modalverb im Konjunktiv; (c) Modalpartikel - Adverb; (d) Aussagesatz mit Vergewisserungsfrage - Aussagesatz mit steigender Intonation; (e) Aussagesatz - Aussagesatz mit Modalpartikel; (f) fallender Ton steigender Ton; (g) Aufforderungssatz - Aufforderungssatz mit (Höflichkeits-)Partikel; th) Fragesatz - Fragesatz mit Modalpartikel. Die diakritischen Intonationszeichen werden weiter unten (siehe S. 45) näher erläutert; zum Verständnis der Beispiele (c), (d) und (f) sei hier erwähnt, daß die Zeichen 'und * über dem Tonkern einer Tongruppe das jeweilige Tonmuster
2 Den Begriff
'Sprechereinstellung' kann man noch weiter fassen
und beispielsweise für die Beantwortung der Frage heranziehen, warum der Sprecher in (i) das ungewöhnliche Aktiv statt des Passivs gewählt hat: (i) Die Straßenbahn
hat heute meine
Oma
angefahren.
Die Verwendung der Nominalphrase die Straßenbahn
als Oberflä-
chenstruktur-Subjekt in Thema-Position läßt Rückschlüsse des Hörers zu auf die Einstellung des Sprechers zu dem Referenten des Subjekt-Lexems oder zu dem geschilderten Vorgang oder zu seiner Einschätzung des Hörerwissens usw. Auch die Wahl verschiedener Tempora oder Aspektformen kann mithilfe der Sprechereinstellung begründet werden. In dieser Arbeit werde ich jedoch den Begriff
'Sprechereinstellung 1
enger fassen und ihn nur im
Zusammenhang mit bestimmten sprachlichen Funktionen gebrauchen, auf die ich im folgenden kurz eingehe.
1.2.
Die Funktionen der Sprache
1.2.1.
Der Begriff
'Funktion' wird in der Sprachwissenschaft
mehrdeutig verwendet. Es lassen sich zumindest drei Gebrauchsweisen auseinanderhalten, die in unterschiedlichem Maße relevant sind für die Analyse der Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung. 1.2.2.
Subjekt, indirektes und direktes Objekt bezeichnet man
als 'syntaktische Funktionen' bestimmter Nominalphrasen in der Struktur von Sätzen.
(Auf einer etwas anderen Ebene spricht man
von 'Kasus-Funktionen' u. dgl.) 1.2.3.
Daneben kann man Funktion im Sinne von
cher Funktion' stehen
'gesamtsprachli-
(oder "macro-function", Halliday 19 73:99) ver-
(vgl. auch Halliday
1973:104).
Dabei hängt es von dem jeweiligen psychologischen, logischen, soziologischen oder einem anderen Interesse ab, welche Sprachfunktionen man unterscheidet. Halliday (1973:105) weist darauf anzeigen, in diesem Fall steigend und fallend; Emphasebetonung wird durch ' signalisiert.
3 hin, daß man die Funktionen einerseits unter dem Gesichtspunkt bestimmen kann, welche Rolle die Sprache im Leben des Einzelnen spielt (ähnlich wie im psychologischen Ansatz Karl Bühlers) oder andererseits unter dem Gesichtspunkt, welche Rolle sie in der Gesellschaft oder in einer Gruppe spielt (eher ein soziologisches Vorgehen wie bei Bronislaw Malinowski, John R. Firth und Michael Α. K. Halliday). Trotz dieser verschiedenen Ausgangspunkte ergeben sich doch Übereinstimmungen hinsichtlich einiger Funktionen, in denen ein Sprecher seine Sprache verwendet. Eine der grundlegenden ist dabei die-'Oarstellungsfunktion" der Sprache (Bühler 1934; 1965:24ff.). Sie bezieht sich auf den kognitiven oder denotativen Inhalt einer Äußerung, wobei der Aussagesatz das wichtigste Instrument ist, diesen darzustellen. Ihm kann meist ein Wahrheitswert zugeordnet werden, und er ist das bedeutsamste Mittel des Argumentierens. Daher hat er immer im Mittelpunkt des linguistischen und (sprach-)philosophischen Interesses gestanden und wird als Ausdruck der grundlegenden Sprachfunktion bewertet. Im Mittelpunkt der meisten Untersuchungen im Laufe der Geschichte der Sprachwissenschaft stehen nicht die Handlungen, Einstellungen und Absichten des Sprechers oder die Reaktionen des Hörers, sondern steht die Frage, ob dje Sachverhalte, die bezeichnet werden, wahr oder falsch sind. Doch bereits Wittgenstein hat später darauf aufmerksam gemacht, daß Aussagen-über-die-Welt-machen nur eine von vielen Funktionen der Sprache sei. Die deskriptive Funktion solle nicht allein untersucht und als primäre angesehen werden (vgl. Wittgenstein, 1958; 1967:§§27;23). Mit der Abkehr von der kognitiven Funktion als dominierendem Gegenstand von Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie und ihrer Hinwendung vor allem zu den emotiven und konativen Funktionen der Sprache geht eine wachsende Beschäftigung mit den Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung ebenso einher wie mit dem Phänomen der handlungskonstituierenden performativen Verben. 2
3
4
Diese findet sich ähnlich wieder in Hallidays (1973:17,106) "representational" oder in seiner "ideational function" (1973:106,141), in Jakobsons (1960:350ff.) "referential" oder "cognitive function", in Hymes' (1968:115ff.) "referential function" und in Watzlawicks et al. (1969:53ff.) "Inhaltsaspekt 11 . Vgl. bereits Aristoteles (Kategorien, S. 97f.): Dagegen sagt nicht jede [Rede] etwas aus, soAdern nur die, in der es Wahrheit oder Irrtum gibt. Das ist aber nicht überall der Fall. So ist die Bitte zwar eine Rede, aber weder wahr noch falsch. Doch wollen wir von den anderen Arten der Rede absehen, da ihre Erörterung eher in die Rhetorik oder Poetik gehört. Hier handelt es sich um die Rede im Sinne der Aussage. Beispielsweise waren sich die Positivisten desv 'Wiener Kreises' darin einig, daß es die Hauptfunktion der Sprache sei, über die Welt zu sprechen und Informationen über Tatsachen zu geben; vgl. ζ. B. Wittgenstein (1921; 1969: §§2; 4.023 - 3. Satz und 4.001, in dieser Reihenfolge).
4 Bühler
(1934), Jakobson
(1960), Hymes
(1968), Halliday
(1970a,
19 70b und 1973) und andere haben sich bemüht, nicht-kognitive Funktionen herauszustellen, die ein Sprecher mit seiner Sprache ausüben kann. Dabei ist für die Beschäftigung mit den hier interessierenden Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung vor allem wichtig Jakobsons "konative", auf den Hörer ausgerichtete Funktion (ähnlich Bühlers
(1934; 1965:24ff.)
"Signalfunktion",
Sprache als "Appell") und seine "emotive" Funktion, in der der Sprecher die Sprache gebraucht, wenn er seine Emotionen, seine gefühlsmäßigen Einstellungen zu den augenblicklich Sachverhalten ausdrücken will
(ähnlich Bühlers
relevanten
(1934; 1965:
24ff.) "Symptomfunktion", Sprache als "Ausdruck"). Beide Funktionen fasse ich zusammen, wie dies ζ. B. auch Halliday tut.^ Vor allem mit dieser
1
emotiv-konativen Funktion' haben die
Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung zu tun. Gebrauche ich Äußerungen in dieser Funktion, so geht es nicht so sehr darum,
5
Vgl. Hallidays (1973:106) "interpersonal function", die sich auf den Gebrauch der Sprache bezieht als the means of his own intrusion into the speech event: the expression of his [= the speaker's] comments, his attitudes and evaluations, and also of the relationships that he sets up between himself and the listener in particular the communication role that he adopts, of informing, questioning, greeting, persuading and the like. Ausdrucks- und Appellfunktion sollten nach Halliday (1973: 106f.) beispielsweise deshalb zusammengefaßt werden, weil Fragen beide Funktionen gleichzeitig enthielten: die Ausdrucksfunktion gebe Auskunft über den Sprecher selbst, sein Nicht-Wissen und die Appellfunktion drücke den an den Hörer gerichteten Wunsch aus, den Sprecher zu informieren. Dies scheint mir kein sehr starkes Argument zu sein, weil bekanntlich mit einer Äußerung gewöhnlich mehr als eine Funktion ausgedrückt wird. Da emotive und konative Funktion jedoch häufig zusammen auftreten, werde ich beide auch als Einheit behandeln. Auch Watzlawick et al. (1969:53ff.) und Weydt (1969:61) fassen beide Sprachfunktionen zusammen als "Beziehungsaspekt" bzw. "Intentionsebene", während Hymes (1968:115ff.) nach Jakobson (1960) unterscheidet zwischen der "expressive" bzw. "emotive function", die, seinem informationstheoretischen Modell folgend, etwas mit dem Sender einer Nachricht zu tun hat, und der "conative" oder "directive function" sowie der "pragmatic", "rhetorical" und "persuasive function", die den Empfänger betrifft.
5
was ich äußere, sondern warum ich es tue, wie ich zu dem denotativen Inhalt des Gesagten stehe, wie ich seinen Wahrheitswert einschätze, welche Annahmen ich über ihn hege, welche Voraussetzungen ich über das Wissen des Hörers und die Bekanntheit des Sachverhalts mache und auch wie ich die soziale Beziehung
zwi-
schen mir und meinem Hörer einschätze und welche Emotionen ich ausdrücken will. Daneben spiegeln sich in der sprachlichen Form der Äußerung meine Intentionen, der Zweck, den ich erreichen will, die Weise,in der ich den Hörer beeinflusse und innerhalb der Redesituation neue Akzente setze, mit denen sich der Gesprächspartner auseinanderzusetzen hat. Mir scheint, daß der Ausdruck
'Modalität 1 , faßt man ihn nur weit genug, die Absichten
und Einstellungen des Sprechers erfaßt, die sich in den emotivkonativ gebrauchten sprachlichen Erscheinungen seiner Äußerungen spiegeln. Sowohl die Modalwörter wie wahrscheinlich,
vielleicht
usw. als auch die Modalpartikeln gehören zu diesen emotivkonativen Ausdrucksmitteln des Sprechers. Doch haben Modalwörter und Modalpartikeln mit verschiedenen Aspekten der Modalität zu tun. Beispielsweise können die Modalwörter den Wahrheitsgehalt eines Satzes mehr oder weniger abschwächen, die Modalpartikeln dagegen nicht. Ich werde daher weiter unten den Begriff 1.2.4.
(S.6f£) versuchen,
'Modalität' in diesem Sinne zu klären.
Schließlich kann man Funktion im Austinschen Sinne von
'illokutionärer Funktion'
(oder 'Rolle') verwenden und so einen
Gegensatz herausarbeiten zwischen der Form eines Satzes, die durch die deklarativen, interrogativen, imperativen und möglicherweise durch andere
(optative, exklamative) Modi
festgelegt
ist, und der Funktion dieses Satzes in einer konkreten Sprechsituation. Austin
6
(1962; 1971a), Searle
(1969 und
1971b),
Zu weiteren gesamt-sprachlichen Funktionen, ζ. B. der "phatischen", der "poetischen", der "metasprachlichen", der "kontextuellen" und anderen, vgl. Jakobson (1960), Hymes (1968), Halliday (1970a, 1970b und 1973) und zur phatischen Funktion Malinowski (1923; 1952:315), auf den der Ausdruck "phatic" zurückgeht.
6 Habermas
(1971) u. a. haben mit der Auflistung von Gruppen
performativer Verben bzw. von Sprechakttypen in diesem Sinne "Kataloge von Typen von Sprachfunktionen"
(Arbeitsgruppe Biele-
felder Soziologen 1973, 11:427) aufgestellt. Mit dieser Art sprachlicher Funktionen haben die Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung vornehmlich zu tun. Eine Analyse jedoch, die nur das Verhältnis von Form, Funktion und Modalpartikeln im Auge hat, wäre unzureichend und zu allgemein und würde der Semantik und Pragmatik dieser Ausdrucksweisen nur bedingt gerecht werden. Bei der Erklärung der untersuchten Phänomene müssen nicht nur die allgemeinen, intuitiv faßbaren Funktionen der Sätze herangezogen werden, sondern auch die ihnen zugrundeliegenden Annahmen, Erwartungen, Präsuppositionen und Schlüsse des Sprechers, die Gesprächsregeln und das Mitverstandene, die erst gemeinsam eine 'Rekonstruktion' der spezifischen Redeakte im Rahmen einer pragmatischen Theorie ermöglichen. Bevor ich auf die Einordnung und Erläuterung dieser Begriffe zu sprechen komme, möchte ich zunächst darlegen, inwiefern die Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung mit der Modalität einer Äußerung in Beziehung gebracht werden müssen.
1.3.
Modalität
1.3.1. Mit
Vorbemerkungen
'Modalität' meine ich die Haltung des Sprechers zu dem, was
er sagt. Mithilfe bestimmter sprachlicher
(und auch außersprach-
licher) Mittel gibt er zu erkennen, auf welche Weise er an dem Inhalt seiner Äußerung Anteil nimmt, wie er ihn einordnet, bewertet und einschätzt in bezug auf die Umstände der Redesituation und auf den Wahrheitsgehalt, d. h. in bezug auf seine Sicht der Wirklichkeit.
1.3.2.
Möglichkeiten der Sprecherhaltung
Vor allem mit Blick auf die Modalverben und Modalwörter unterscheidet man in der Literatur zwischen 'kognitiver Modalität'
7
einerseits und
'volitiver Modalität'
andererseits.
7
Als 'kognitive Modalität' wird die Haltung gegenüber dem Inhalt einer Äußerung bezeichnet, wenn der Sprecher den Wahrheitsgehalt der Proposition kommentiert und kundgibt, ob er die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat
(oder eine andere syn-
taktische Beziehung) als zutreffend, nicht-zutreffend, wahrscheinlich zutreffend usw. einschätzt. Dadurch wird eine Aussage über den Grad der Übereinstimmung des Inhalts mit der Auffassung g des Sprechers von der Wirklichkeit gemacht.
Zu den sprachlichen
Mitteln, mit denen ein Sprecher Aussagen über den Wahrheitsgehalt der Proposition machen kann, gehören u. a. negierende (nein3
nicht)
und affirmierende
(ja, doch)
Partikeln, der Modus,
die Modalwörter, die Modalverben und die Satztypen. Drückt der Sprecher den Wunsch oder den Willen aus, das Verhalten des Hörers zu beeinflussen, eine Handlung oder eine Situation zu verändern, so spricht man von mitausgedrückter 'volitiver Modalität'. Neben diesen beiden Arten der Modalität läßt sich noch eine dritte unterscheiden. Ein Sprecher gebraucht seine Sprache in modaler Funktion auch dann, wenn er weder über den Wahrheitsgehalt der Proposition ein Urteil abgeben, noch die Ausführung eines Willens erreichen will, sondern seine Annahmen und Einstellungen wiedergibt, die sich auf das - gemeinsame unterstellte Wissen der Kommunikationspartner, ihre Erwartungen, Emotionen 7
8
Gebräuchlich sind daneben eine Reihe anderer Termini wie "subjektiv" vs. "objektiv" (in traditionellen Grammatiken des Deutschen); "inferential" vs. "non-inferential" (Calbert 1975); "inferential" vs. "obligative" (Lyons 1968:309f.); "epistemic" vs. "root" (zuerst Hofman 1966); außerdem "pragmatisch" (für "volitiv") und "predictive" sowie "hypothetical" (Leech 1969; Leech/Svartvik 1975) für "kognitiv". Vgl. zu diesen Paaren und der damit ausgedrückten Unterscheidung Calbert (1975:14 et passim). Zu dieser Auffassung der Modalität gehören auch die Ansätze einer Modalitätenlogik, die sich mit einem dreiwertigen oder vierwertigen System (Affirmation, Notwendigkeit, Möglichkeit, Negation) auseinandersetzt. Vgl. ζ. B. Klaus/Buhr (1971, II: 728f.); bereits Aristoteles(Kategorien, S. 111ff.) unterschied zwischen den modalen Elementen der Bejahung, der Verneinung, des Notwendigen und des Möglichen.
8 und sozialen Beziehungen zueinander beziehen. Ich möchte hier 9 von
'emotiver Modalität' sprechen.
Im Deutschen werden vorzugs-
weise Modalpartikeln gebraucht, um die emotive Modalität drücken. Daneben werden zum gleichen Zweck die englischen deutschen) Zusatz- bzw. Vergewisserungsfragen,
auszu(und
die Emphasebe-
tonung, die Intonation und andere Mittel verwendet, auf die ich in dieser Arbeit eingehen 9
werde.^
Krivonosov (1963a:323) verwendet hierfür den mißverständlichen Terminus "subjektive" Modalität, die er der "objektiven" Modalität gegenüberstellt, wobei letztere der kognitiven gelegentlich auch 'subjektiv' genannten, siehe S. 7, Anm. 7 Modalität entspricht. Gabelentz (1901) unterscheidet zwischen "logischer", "psychologischer" und "sozialer" Modalität. Während sich seine logische (auch "objektiv" bezeichnete, Gabelentz 1901:470) Modalität weitgehend mit der kognitiven deckt, lassen sich psychologische, soziale und volitive, emotive Modalität nicht ohne weiteres einander zuordnen. Die psychologische Modalität charakterisiert Gabelentz (1901:472) so: "[·.·] der Redende will sich zum Hörenden in seelischen Verkehr setzen, will [...] nicht nur etwas, sondern sich selbst aussprechen, nicht nur eine Thatsache, ein Urtheil, einen Wunsch oder Willen, sondern sein eigenes seelisches Befinden dabei dem Anderen mittheilen." An anderer Stelle heißt es (S. 103), die psychologische Modalität sei die Lehre "von der Beziehung des Redenden zur Rede, ob er mittheilt, fragt, ausruft, befiehlt oder bittet, ob er mit Entschiedenheit oder mit bescheidener Zurückhaltung, vermuthend, fürchtend, hoffend, zweifelnd spricht." Diese Charakterisierung trifft teilweise auf die volitive, teilweise jedoch auch auf die emotive Modalität zu, die hier unterschieden wird. Zur emotiven Modalität läßt sich auch Gabelentz' "soziale" Modalität rechnen, über die er schreibt (S. 474), sie betreffe "das Verhältniss des Redenden zum Angeredeten oder zu dem, von dem die Rede ist, die gesellschaftliche Neben-, Ueberoder Unterordnung".
10
Weydt (1969:64) ist der Ansicht, daß diese sprachlichen Mittel ein "persönliches" Urteil des Sprechers ausdrückten zu einer Proposition, die hinsichtlich ihres Wahrheitswertes durch das Modalwort oder ein Modalverb bereits qualifiziert sei, so daß eine "metasprachliche" Funktion vorliege. Auch Krivonosov (1963a:323f.) spricht davon, daß die Ausdrucksweisen der subjektiven (hier: emotiven) Modalität eine zweite "Schicht" oberhalb der objektiven (hier: kognitiven) Modalität bildeten. - Daneben ist Krivonosov (1963a:324f.) der Meinung, daß die emotive Modalität im Gegensatz zur kognitiven nicht in jeder Äußerung zum Ausdruck kommen müsse, sie sei nur fakultativ vorhanden. Dem kann ich nicht zustimmen. Ein Sprecher kann in einer Redesituation einen Satz nicht äußern, ohne gleichzeitig kundzutun, wie er zum
9
Mit dem Begriff 'Sprechereinstellung' meine ich nun diejenige modale Einstellung des Sprechers, die sich auf seine Ansichten, Haltungen, Erwartungen, Annahmen, Emotionen und die seines Hörers sowie auf die jeweilige soziale Rollenverteilung bezieht. Der Sprecher
s t e l l t
sich nicht
e i n
auf Wahrheit
oder Wahrscheinlichkeit eines Sachverhalts, sondern beispielsweise auf die Bekanntheit dieses Sachverhalts (die er voraussetzt, unterstellt, zurückweist, mit Emotionen und Vorwürfen verbindet), auf seine Offensichtlichkeit und Ungewöhnlichkeit. Unter 'Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung' verstehe ich diejenigen sprachlichen Mittel, die die Funktion haben, solche Aspekte der emotiven Modalität in Äußerungen zu spiegeln. Zur Verdeutlichung der getroffenen Unterscheidungen werde ich weiter unten (S.31ff.) aus den sprachlichen Erscheinungen die Modalpartikeln und die Modalwörter herausgreifen und als Repräsentanten der Ausdrucksweisen der emotiven bzw. der kognitiven Modalität einander gegenüberstellen. Gleichzeitig werde ich dabei die Modalpartikeln von den Modalwörtern abgrenzen und zuvor einen Überblick über ihre Behandlung in den traditionellen Grammatiken geben. Im folgenden soll jedoch zunächst der theoretische Rahmen abgesteckt werden, in dem ich mich bei der Analyse der Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung bewegen werde.
Inhalt des Satzes und zu seiner Plazierung in der Redesituation steht. Dabei ist es nicht notwendig, daß der Hörer diese Haltungen und Einstellungen des Sprechers in jedem Fall erkennt. Selbst ein lexikalisch und syntaktisch so karger Satz wie Zwei und zwei sind vier, läßt, wenn geäußert, Rückschlüsse auf die Einschätzung der Kenntnisse des Hörers oder auf die Intentionen des Sprechers zu.
2.
DER THEORETISCHE RAHMEN
2.1.
Vorbemerkungen
Im Hauptteil dieser Arbeit versuche ich, aufbauend auf empirischen Untersuchungen, die Modalpartikeln und die anderen Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung mithilfe semantischer und pragmatischer Kategorien zu beschreiben. Zur Verdeutlichung dienen Schemata, die eine möglichst lückenlose
Rekonstruktion
der Prozesse aufzeigen, die den Gebrauch ζ. B. einer Partikel steuern und aus Äußerung und Kontext ablesbar sind. Eine ausgearbeitete Theorie, die für die Beschreibung von Modalpartikeln usw. geeignet ist, gibt es zur Zeit nicht. Eine Eigenart der untersuchten Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung liegt darin, daß ihre Gebrauchsweisen anders als bei vielen anderen Lexemen und grammatischen Konstruktionen losgelöst vom Kontext nicht beschreibbar sind. Grammatiktheorien, die wie die Generative Transformationsgrammatik abstrakte, isolierte Sätze als Untersuchungsgegenstand haben, eignen sich daher für die Analyse der hier behandelten Phänomene nicht. Dies trifft zumindest auf Modelle wie die in Chomsky
(1965) entwickelten zu,
in denen die Trennung zwischen abstrakten sprachlichen Strukturen und ihrer Aktualisierung aufrechterhalten wird. Der Semantik wird in diesen und ähnlichen Modellen zwar eine, wenn auch begrenzte, Funktion im Rahmen der linguistischen Beschreibung zuerkannt
(wobei versucht wird, zwischen sprachlichem und nicht-
sprachlichem Wissen zu unterscheiden); der sprachliche und der nicht-sprachliche Kontext, die für die Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung relevant sind, werden jedoch mit all ihren sozialen Implikationen vernachlässigt. Für die Erklärung syntaktischer Erscheinungen wie der Personalpronomina, der Quantoren
11 oder der 'polarity items' sind allerdings Vorschläge tet worden, bislang als irrelevant angesehene
ausgearbei-
außersprachliche
Faktoren der Gesprächssituation in bestehende Grammatikmodelle zu integrieren. Auf die dafür entwickelten
(oder eher aus der
Sprachphilosophie übernommenen) Konzepte werde ich im folgenden kaum
(performative Verben) oder stärker
(Präsuppositionen) ein-
gehen. Vielversprechender für die Beschreibung der Semantik und Pragmatik von Modalpartikeln,
'tag questions' usw. scheinen mir
die Gesprächsregeln, Implikaturen und
1
sous-entendus' zu sein,
die von Grice, Kempson und Ducrot im Rahmen von Vorschlägen für eine Theorie der linguistischen Pragmatik entwickelt und diskutiert worden sind. Ihnen werde ich im folgenden einen größeren Platz einräumen. Eine erschöpfende Behandlung ist mir nicht möglich und scheint mir auch für die Zwecke dieser Arbeit nicht notwendig zu sein.
2.2.
Die performative Analyse
Die Kenntnis der Sprechakttheorie, wie sie vor allem von Austin (1961, 1962, 1963) und Searle
(1969, 1971a) entwickelt wurde,
setze ich hier voraus, ebenso auch ein Wissen über das Verhältnis von Form und Funktion eines Satzes, d. h. zwischen dem syntaktischen Satztyp
(Aussage-, Frage-, Aufforderungssatz und - mit
Einschränkung - Ausrufesatz) und der wörtlichen,
linguistischen
Bedeutung einerseits und andererseits der illokutionären Rolle, die der Satz hat, wenn er in einer aktuellen
Gesprächssituation
geäußert wird. Dabei wird die illokutionäre Rolle allerdings nicht nur durch performative Verben angezeigt, sondern ebenso durch Wortstellung, Intonation, den sprachlichen und nichtsprachlichen Kontext und vor allem auch durch die von mir untersuchten emotiv-modalen Mittel der Sprechereinstellung. Es wird zu zeigen sein, inwieweit beispielsweise die Modalpartikeln als Indikatoren
(bzw. "function-indicating devices"
oder "illocutionary force indicators"
(Searle
1971a:42)
(Searle 1969:30)) bestimm-
ter illokutionärer Rollen angesehen werden können. Wichtig scheinen mir die Arbeiten Austins und Searles deshalb zu sein, weil sie gezeigt haben, daß nicht nur Sätze, sondern auch Äußerungen Gegenstand der Beschreibung sein sollten. Indem ein
12
Sprecher etwas sagt, handelt er. Sprachliches Handeln ist an konkrete Situationen gebunden, in denen jeder Satz zweckhaft geäußert wird und im Kommunikationsprozeß eine bestimmte Rolle spielt. Die Parallelität zwischen den Regeln, die unser sprachliches Handeln ebenso wie unser nicht-sprachliches steuern, hat später auch Grice betont. Die Erkenntnisse der sprachphilosophischen Forschungen sind von Linguisten schon bald aufgegriffen und für die linguistische Analyse von Sätzen nutzbar gemacht worden. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang vor allem Ross
(1970), der Elemente der
Sprechsituation als grammatische Kategorien faßt und damit pragmatische Funktionen in der Tiefenstruktur von Sätzen abbilden zu können glaubt. Die Satzfunktion wird dabei durch das oberste, performative Verb spezifiziert. Natürlich ist Ross nicht ohne Vorläufer gewesen. Während in den taxonomischen Grammatiken und in den frühen Modellen der Generativen Transformationsgrammatik noch streng zwischen der Struktur eines Satzes und seiner Funktion, also zwischen der Form und seinen potentiellen Aktualisierungen getrennt wird, hat eine Reihe von Linguisten sehr bald erkannt, daß die Funktion bei der Analyse von Sätzen berücksichtigt werden muß, da es syntaktische Phänomene gibt, deren Auftreten ohne Rückgriff auf 'pragmatische' Elemente nicht erklärbar ist. So wird versucht, pragmatische Erscheinungen als semanto-syntaktische Kategorien zu erfassen. 1
Ross 1 Analyse der
Zu diesen Linguisten gehören Katz/Postal (1964), die abstrakte, nicht-segmentale Elemente der Tiefenstruktur annehmen, die als "trigger" für die Auslösung der Interrogativ- und der Imperativtransformationen fungieren; Boyd/Thorne (1969), die bereits Austins Termini "speech act", "illocutionary force" und "performative verb" bei der linguistischen Analyse von Imperativsätzen und der Rückführung von Fragesätzen auf Imperative verwenden; Boeder (1968), der schon früh die Personalpronomina ich und du, die "die Identität mit dem Sprecher bzw. Hörer bezeichnen" (S. 244) in das Chomskysche Grammatikmodell einbaut und aus dem Vokativ, der "Konstituente 'Sprecher'" und dem eingebetteten Satz eine neue, "eine höhere Einheit 'Satz'" (S. 248) bildet, so wie dies später ähnlich Ross (1970) getan hat; R. Lakoff (1968, 1969a, 1969b); G. Lakoff (1970); Sadock (1969, 1970, 1971) und andere.
13 Aussagesätze ist auf die anderen Satztypen erweitert worden.
2
Die performative Analyse kann u.a. vor allem für die Erklärung der Modalwörter nützlich sein. Bei der Analyse der Semantik und Pragmatik der Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung werde ich auf ihre Ergebnisse nur insofern zurückgreifen, als ich einen obersten performativen Satz annehme, in dem die syntaktische Form des jeweiligen eingebetteten Satzes mithilfe von performativen Verben spezifiziert ist. In den Schemata, die die Struktur von Sätzen mit Modalpartikeln usw. spezifizieren, verwende ich demnach Matrixsätze der Form Ich frage loh fordere
dich auf3
dich,
... oder
. .. Die Kenntnis des performativen Verbs
kann allerdings keinen vollständigen Aufschluß über die tatsächliche Funktion, die illokutionäre Rolle des aktualisierten Satzes geben. Ein Fragesatz wie Ist das schön?
kann ein Ausruf
oder eine Entscheidungsfrage sein; ein Aussagesatz kann als Aufforderung interpretiert werden usw. Die illokutionäre Rolle eines Satzes ergibt sich nicht nur aus der Semantik des performativen Verbs, sondern aus der Präsenz einer Vielfalt von Indikatoren, zu denen beispielsweise auch die Sprecherannahmen zählen, denen ich mich im folgenden
zuwende.
Vgl. ähnlich R. Lakoff (1968), die allerdings mit sogenannten 'abstrakten* Verben arbeitet. Auch andere Linguisten argumentieren für die Annahme eines obersten abstrakten performativen Satzes ohne (Boeder 1971) oder mit segmentalen Konstituenten (R. Lakoff (1969a:611f.) und (1971:145ff.) sowie Rutherford (1970:103), der ein obligatorisches performatives Verb declare vorsieht, das "neutral" oder 'transparent" und grundsätzlich jedem Satz übergeordnet sei). Die performative Analyse im allgemeinen und die syntaktischen Beweise, die Ross für die Annahme einer impliziten Sprecher- und einer impliziten Hörerkonstituente sowie eines performativen Verbs in der Tiefenstruktur von Aussagesätzen anführt, im besonderen sind von mehreren Linguisten angegriffen und teilweise widerlegt worden, vgl. ζ. B. Fräser (1971) und Grewendorf (1972). Die Unterstützung der Ross'sehen Thesen ist andererseits ebenso weit verbreitet, vgl. ζ. B. Davison (1970), Rutherford (1970) und andere.
14
2.3.
Präsuppositionen und Annahmen
Die Diskussion der Präsuppositionen
(PSPen) in der Linguistik
zeichnet sich durch ein verwirrendes Durcheinander verschiedener 3 Definitionen und Auffassungen aus.
Noch vor einiger Zeit be-
stand weitgehende Einigkeit darüber, daß zumindest 'logisch-semantischen' Satz-PSPen auf der einen und
zwischen 'pragmati-
schen' Sprecher-PSPen auf der anderen Seite unterschieden werden könne. Ausgehend von dem PSP-Begriff in der Logik gibt Keenan (1971:45) beispielsweise folgende Definition der
'logisch-
semantischen' PSP: A sentence S logically presupposes a sentence S' just in case S logically implies S' and the negation of S, ~ S, also logically implies S'. Ist Satz S1 wahr, beispielsweise loh bedauere3 S2, so ist auch S2 wahr, beispielsweise Wir müssen Hamburg verlassen. Ist S1 falsch, ist S2 dennoch wahr* Denkbar ist auch, daß S2 falsch ist (und damit auch die PSP zwischen S1 und S2). In einem solchen Fall hat S1 nach dieser Auffassung keinen Wahrheitswert, ist weder wahr noch falsch. (Keenan (1971:46) nimmt für diesen Fall einen dritten Wahrheitswert, "a third or 'nonsense' value", an und Karttunen (1973:169) "some third indeterminate truth value".) Die logisch-semantische PSP wird als eine Relation zwischen Sätzen oder Propositionen, nicht zwischen Äußerungen aufgefaßt; sie ist unabhängig von Sprecher, Hörer und Sprechsituation Karttunen
(1973:169) und ähnlich Keenan
(vgl.
(1971:48)). Das Be-
schreibungsmodell, das mit performativen Sätzen operiert, kann insofern erweitert werden, als man die logisch-semantischen 4 PSPen wie implizite Vorgängersätze ansieht. Es ist allerdings fraglich, inwieweit dies zunächst für die Belange der Logik entwickelte Konzept der logisch-semantischen PSP für die Beschreibung natürlicher Sprachen überhaupt sinnvoll 5 anwendbar ist. 3
4
5
Uberblicke über die verschiedenen Konzepte, die Linguisten (und Logiker) mit diesem Begriff verbunden haben, geben Kempson (1975:54ff.), Reis (1974) und Altmann (1976:55ff.). Vgl. Morgan (1969:174), Kiparsky/Kiparsky (1969), Horn (1969), Karttunen (1973) und andere, die Vorschläge für die Integration der PSP in die bestehenden Grammatikmodelle gemacht haben. Vgl. die Vorbehalte in Kempson (1975) und die sorgfältige Diskussion dieser Frage in Altmann (1976:60ff.).
15 Bei den Analysen der Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung habe ich mich weder auf logisch-semantische PSPen noch auf 'entailment'-Relationen
(wie sie von Kempson
(1975) verwendet
werden) zu beziehen brauchen. Es lag nahe, stattdessen die sogenannten 'pragmatischen* PSPen heranzuziehen. Stalnaker
(1970; 1972), einer der ersten, die sich ausführ-
lich mit den pragmatischen PSPen befassen, nimmt an, daß ein Sprecher, der pragmatisch einen Satz präsupponiert, die Wahrheit dieses Satzes
(ebenso wie ein Hörer) als gegeben voraussetzt:
To presuppose a proposition in the pragmatic sense is to take its truth for granted, and to assume that others involved in the context do the same. [...] Presuppositions are probably best viewed as complex dispositions which are manifested in linguistic behavior. One has presuppositions in virtue of the statement he makes, the questions he asks, the commands he issues. Presuppositions are propositions implicitly supposed before the relevant linguistic business is transacted. (S. 387f.) Pragmatische PSPen in diesem Sinne sind an Äußerungen gebunden, kontext-abhängig und drücken die Annahmen des Sprechers aus.^ Die logisch-semantischen PSPen beziehen sich dagegen auf sprecherunabhängige Beziehungen zwischen Sätzen. Kempson faßt diese Gegenüberstellung
(1975:53)
zusammen:
I have now outlined two definitions of presuppositions, one in terms of a relation between statements or sentences (by definition in contrast to entailment), the other in terms of what a speaker must assume in saying a given sentence (by definition in contrast to assertion). Auch pragmatische PSPen in diesem Sinne können falsch sein, der Hörer kann sie zurückweisen oder ihnen widersprechen, während der Sprecher normalerweise nicht etwas behauptet, erfragt oder befiehlt, was zu seiner PSP im Widerspruch steht. Daher bleibt auch die pragmatische PSP in Frage und Negation erhalten, wird vom Sprecher also als "fraglos" unterstellt
(Ehlich/Rehbein
1972:102f.). Erst wenn ein Sprecher davon ausgehen kann, daß bestimmte Sachverhalte auch dem Hörer bekannt sind, kann er sinn-
6
So auch Kempson (1975:51), während Keenan (1971:49ff.) auch hinsichtlich der pragmatischen PSPen vom Sprecher absieht.
16
voll kommunizieren. Einige Modalpartikeln und bestimmte Arten von Vergewisserungsfragen und
'tag-questions' werden vom Spre-
cher häufig verwendet, um sich der für die Kommunikation notwendigen Gemeinsamkeiten zu versichern, d. h. um festzustellen, ob der Sachverhalt wirklich, wie angenommen, dem Hörer bekannt und gegenwärtig ist.^ Obgleich sich Linguisten wie Stalnaker und Kempson
(neben
vielen anderen) des Konzepts der pragmatischen PSP bedienen, um den Gebrauch von bestimmten Lexemen beschreiben zu können, hat sich während der Arbeit an den hier vorgelegten Analysen der Modalpartikeln usw. herausgestellt, daß dieser Begriff zu grob, allgemein und unbestimmt und daher oft ungeeignet für die Beschreibung der Funktionen dieser Ausdrucksweisen ist. Beispielsweise wird zu zeigen sein, daß bei der Beschreibung der Modalpartikeln aber und denn
zwar jeweils die Erwartung des Sprechers
eine entscheidende Rolle spielt, daß jedoch die jeweiligen Erfahrungssätze, auf die sich die Erwartungen stützen, von unterschiedlicher Natur sind und ihre Gültigkeit durch den kontrafaktischen Einzelfall aufgehoben hoben wird
(bei aber).
(bei denn) oder nicht aufge-
Der Begriff der pragmatischen PSP ist zu
undifferenziert, um derartige Unterscheidungen zu erfassen. Ich werde daher umgangssprachliche Termini wie
'Annahme' und
'Er-
wartung' , die sich auf individuelle oder allgemeine Erwartungsnormen oder Erfahrungssätze stützen, vorziehen und den Ausdruck 'pragmatische PSP' vermeiden.
2.4.
Mitverstandenes und suggerierte
Schlußfolgerungen
PSPen, Annahmen und Ervartungen gehören zur Vorgeschichte einer Äußerung, Mitverstandenes Schlußfolgerungen
('sous-entendus') und suggerierte
('invited inferences') zu ihrer Nachgeschich-
Q
te. 7
8
Die Termini 'sous-entendus' und 'invited inferences' wurden Schon Behaghel (1927:15) spricht von den für die Rede typischen "Gemeinsamkeiten der Voraussetzungen" zwischen Sprecher und Hörer. Vgl. zu den Begriffen 'Vorgeschichte' und 'Nachgeschichte' auch Wunderlich (1974:309).
17 von Ducrot (1969 und 1972) bzw. Geis/Zwicky
(1971) in die Lin-
guistik eingeführt; ihre Anwendung wird bei der Beschreibung der Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung von Nutzen sein. Da die Gedanken Ducrots bei uns kaum verbreitet sind, gehe ich etwas ausführlicher auf sie ein. Den Vertretern der Londoner Schule, vor allem J. R. Firth, darin ähnlich, hat Ducrot die Möglichkeit erwogen, die Analyse der Bedeutung eines Satzes mit der Untersuchung seines Gebrauchs in einer aktuellen Situation zu beginnen. Dennoch sei es durchaus möglich, von der Situation, in der eine Äußerung vorkomme, zu abstrahieren und zu einer Aussage über die so begrenzte und isolierte Bedeutung eines Satzes zu gelangen, zu seiner wörtlichen Bedeutung ("sens litteral", Ducrot 1969:35), die auch bei der Realisierung dieses Satzes in verschiedenen potentiellen Situationen erhalten bleibe. Die semantische Beschreibung eines Satzes bestehe aus einer Menge von Kenntnissen ("ensemble de connaissances", S. 32), die jedem Satz, unabhängig von seiner Realisierung und den möglichen Kontexten, eine bestimmte Bedeutung zuordne.. Darüberhinaus nimmt Ducrot an, daß die semantische Beschreibung zwei Teile umfasse, eine linguistische semantische Komponente, die sich mit der wörtlichen Bedeutung (und den dazugehörenden PSPen) befaßt, und eine rhetorische (oder pragmatische) Komponente, zu deren Domäne die 1sous-entendus' gehören. Als Eingabe für den rhetorischen Teil dienen die sp'rachinterne oder wörtliche Bedeutung einerseits und die Umstände der Rede, also die Sprechsituation andererseits. Beide sind Voraussetzung dafür, daß die aktuelle Bedeutung ("signification effective") von der rhetorischen Komponente vorhergesagt werden kann. Diese Zweiteilung der Sprachtheorie ist später auch ähnlich von anderen Linguisten und Sprachphilosophen vertreten worden (vgl. Cohen 1974; Kempson 1975). Sowohl PSPen als auch 'sous-entendus' können als implizite Sätze aufgefaßt werden; Ducrot stellt sie einander und dem Gegebenen ("pose"), dem, was ein Sprecher mit seiner Äußerung behauptet oder feststellt, gegenüber. Neben
bikonditionalen Sätzen nimmt
er vor allem Sätze mit Litotes zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen, ζ. B. (1969:33): (j) Jacques ne d&teste pas le win. (k) Jacques ai-me beaucoup
le vin.
(k) bezeichnet Ducrot (S. 34) als 'sous-entendu' von (j), das vom Hörer erschlossen werden kann. 'Sous-entendus' bleiben, im Gegensatz zu PSPen, in Negation und Interrogation nicht erhalten. Negiere ich (j), so ändern sich Inhalt ("contenu pose") und 'sous-entendu'. Geis/Zwicky
(1971) gehen von der Tatsache aus, daß in den
18 natürlichen Sprachen Konditionalsätze Speise machst,
bekommst
(Wenn du Alberto
eine
du einen Kuß.) wie Bikonditionalsätze
interpretiert werden; mit anderen Worten, es wird die Wahrheit eines Satzes (Wenn du Alberto bekommst
du keinen
Kuß.),
keine Speise
machst,
der von der Logik her nicht
impliziert ist, dem Hörer nahegelegt oder suggeriert. Das Prinzip dieses Vorgangs laute: "A sentence of the form Χ => invites an inference of the form ^ X 3
^ Y."
Υ
(1971 :562). Ein
Satz S1 suggeriert die Schlußfolgerung auf die Wahrheit eines mitverstandenen, nicht geäußerten Satzes S2. Da S2 von S1 nicht logisch impliziert wird, sondern nur mitverstanden ist oder seine Annahme nahegelegt wird, kann der Sprecher selbst S2 auch explizit negieren
(auf eine entsprechende Vorrede des Hörers
hin) - im Gegensatz zu den PSPen seines Satzes
ohne daß es zum
Widerspruch kommen muß (... aber wenn du Alberto
keine
machst,
bekommst
so oft Speisen leid
du trotzdem
gekocht,
Speise
einen Kuß, denn du hast ihm
schon
daß ich verstehen' kann, wenn du es jetzt
bist.).
Mit der Arbeit über die 'sous-entendus' hat Ducrot die Erkenntnisse Geis/Zwickys um zwei Jahre vorweggenommen, denn die 'invited inferences' sind eine Untergruppe der 'sous-entendus', die sich bei Geis/Zwicky auf Konditionalsätze, Sätze mit exklusivem oder und Sätze mit einer temporalen Abfolge von Ereignissen beschränkt. 'Sous-entendus' werden mithilfe eines Schlusses, der gewöhnlich 'suggeriert' wird, vom Hörer erkannt. Als Basis dienen die wörtliche Bedeutung, die PSPen und Erwartungen und die Umstände der Rede, d. h. die Tatsache, daß dieser Satz mit diesen PSPen in diesem Augenblick und unter diesen Umständen an den Hörer gerichtet wird, der nun schließt: "si un tel croit bon de me dire ceci, c'est sans doute qu'il pense cela"
(Ducrot 1969:37). Auf-
grund einer rhetorischen Regel ergibt sich für (j) und gendes Vorgehen:
(k) fol-
(j) und (k) sind zwei Äußerungen, die sich in
ihrer wörtlichen Bedeutung kaum unterscheiden; eine Konvention dieser Gesellschaft verbietet es dem Sprecher,
(k) zu äußern,
da dies als üble Nachrede ausgelegt werden könnte; da (j) der wörtlichen Bedeutung von (k) am nächsten kommt und gleichsam eine euphemistische Umschreibung von (k) ist, schließt der
19
g Hörer daraus, daß der Sprecher statt
(j) eigentlich
(k) meint.
Wir haben es hier mit einer Art von Gesprächsschluß zu tun, der weitgehend der konversationellen Implikatur Grice' ich komme weiter unten darauf zurück
entspricht;
(siehe S. 26ff.).
Der Grund für einen Sprecher, S1 zu äußern und S2 zu meinen, beruht oft auf einem
'ökonomischen Gesetz', auf das Ducrot
38) hinweist.^ 0 Wenn Ilse fragt Kann ich morgen
das Auto
und Achim entgegnet Morgen
eine Mucke
muß iah in Steinbaoh
(1969:
haben? spie-
len. und Ilse aufgrund ihrer Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse weiß, daß man ohne Auto nicht nach Steinbach kommt, schließt sie aus Achims Antwort die 'sous-entendus': Ich morgen
das Auto selber,
haben.,
bzw. Nein3
du kannst
das Auto
brauche
nicht
die dieser aus Gründen der Sprechökonomie nicht mitge-
äußert hat. In diesem Fall reicht der Hinweis auf den Grund aus, um den Sprechakt der Ablehnung bzw. Verneinung zu konstituieren. 2.5.
Gesprächspostulate und unvollständige Quasi-Syllogismen
Der Begriff
'sous-entendu' wird später von Ducrot
eben erwähnten Sinne erweitert.
(1972) in dem
'Sous-entendus 1 sind bei einigen
Sprechhandlungen gerade die Bedingungen, die sie voraussetzen. Beispielsweise lassen manche Befehle erkennen, wer - nach Meinung des Sprechers - 'Herr im Hause' ist. Auch die Motivation einer Sprechhandlung kann als 'sous-entendu' erschlossen werden. (Indem man ζ. B. sagt Es ist kurz vor zwölf,
kann man signali-
sieren, daß der Hörer gehen soll; indem man eine Frage stellt wie Wie geht es Ihnen?,
kann man zu verstehen geben, daß man
sich dafür interessiert.) Dies führt zum Hang, in jedem Gespräch
(vor allem mit solchen Partnern, bei denen man sie ver-
mutet) nach Anspielungen zu suchen. Die Beachtung von Mitver-
9
10
Die allgemeine rhetorische Regel lautet (Ducrot 1969:37): Si X et X' sont deux enonces situes sur une meme echelle de signification, et si le second ne differe du premier que parce qu'il occupe un degre superieur de cette echelle, si, d'autre part, une regle de convenance s'oppose, ou peut sembler s'opposer a l'emploi de X', l'auditeur qui entend X a tendance ä 1*interpreter comme X'. Vgl. auch das 'principle of least effort' bei Leech (1974:351).
20
standenem fällt dem Hörer deshalb nicht schwer, weil er "von vorneherein darauf eingestellt [...] ist, die Bedeutung von Sätzen über ihren wörtlichen Gehalt hinaus auszuschöpfen." (Boeder 1972a:73f.) Gordon/Lakoff (1971) haben in Umkehrung der Beobachtungen Ducrots festgestellt, daß man mit einem Sprechakt nicht nur dessen Bedingungen meinen, sondern daß man ihn auch dadurch konstituieren kann, daß man eben eine dieser Bedingungen an seiner Stelle äußert. Beispielsweise ist der 'Wunsch' eine der auslösenden Bedingungen für eine 'Bitte1; man braucht also unter den geeigneten Gesprächsumständen nur den Wunsch selbst zu artikulieren, ζ. B. Ich möchte gerne das Salz haben. ; er wird vom Hörer als Substitut für den Sprechakt 'Bitten' angesehen und löst die entsprechenden Reaktionen (ζ. B. das Herüberschieben des Salzstreuers) aus. Allgemein gilt also: Statt X selbst zu sagen, wird die Voraussetzung, das Motiv oder eine Folgerung von X geäußert und umgekehrt. Die Schlüsse, die zu den vom Sprecher beim Äußern dieser indirekten Sprechakte implizierten Sätze führen, sind nach Gordon/Lakoff (1971) von bestimmten Gesprächspostulaten ('conversational postulates') abhängig, auf die ich hier nicht weiter eingehen werde. Zu den Bedingungen eines Sprechakts, die als 'sous-entendus' erschlossen werden können, zählen auch unter Umständen Prämissen, die wegen ihrer Offensichtlichkeit nicht notwendigerweise geäußert zu werden brauchen (vgl. auch hier Ducrots ökonomisches Gesetz). Werden zwei Sätze ausgesprochen, von denen man auf den dritten, unausgesprochenen, aber mitverstandenen Satz schließen kann, so liegt ein 'unvollständiger Syllogismus' (vgl. Boeder 1972a:69ff. und ähnlich Maas 1972:265) oder eher Toulmin (1958:109) folgend - ein 'unvollständiger Quasi-Syllogismus' vor. Jeder Satz eines Quasi-Syllogismus kann zum 'sousentendu' werden: A: Anke kommt aus dem Harz. B: Leute aus dem Harz können (im allgemeinen) (oder: wahrscheinlich; normalerweise; meist) wie Bergziegen klettern. C: Anke kann (im allgemeinen) foder: wahrscheinlich; normalerweise; meist) wie eine Bergziege klettern. Sage ich Anke kann wie eine Bergziege klettern, sie kommt aus dem Harz., wird als mitverstanden erkannt Leute aus dem Harz
21
können (im allgemeinen) wie Bergziegen klettern; sage ich Anke kommt aus dem Harz} Leute aus dem Harz können (im allgemeinen) wie Bergziegen klettern., ergibt sich für den Hörer Anke kann (wahrscheinlich) wie eine Bergziege klettern. Solche unvollständigen Quasi-Syllogismen scheinen in der Rede nicht selten zu sein. Nicht-ausgesprochene
Zwischensätze wie diese
1
sous-entendus'
dienen in hohem Maße dazu, die Kohärenz eines Textes zu gewährleisten. Auf diesen Punkt haben einige Textlinguisten gemacht. Isenbergs
aufmerksam
(1968; 1971:159ff.) Vertextungstypen enthal-
ten zwar keine echten unvollständigen Quasi-Syllogismen, aber dennoch genug Beispiele für Zusammenhänge, die zwischen zwei Sätzen nur aufgrund impliziter, unausgesprochener Sätze bestehen. Erwähnen möchte ich nur zwei Typen: "Anknüpfung von Voraussetzungen: Der Junge ist ins Kino gegangen. Irgendjemand hat ihm Geld gegeben. ( — Semantisch eine 'das-ist-(war)-nur-möglich, weil'-Verknüpfung.)" und "Diagnostische Interpretation: Es hat Frost gegeben. Die Heizungsröhren sind gesprungen. (— Hier besteht semantisch eine 'man-erkennt-es-daran- daß'-Verknüpfung zwischen den Sätzen.)" (S. 160). Goretzki et al.
(1971:155) haben die nicht-ausgesprochenen
Sätze
("In den Heizungsröhren gefror das Wasser. Eis hat ein größeres Volumen als Wasser") oder 'Zwischenglieder' als "latente Sätze" bezeichnet.^ 2 11
An anderer Stelle, Bublitz (1977), gehe ich etwas ausführlicher auf den Begriff 'Quasi-Syllogismus 1 bei Toulmin ein; vgl. vor allem auch Vogel (1975).
12
In diesem Zusammenhang heißt es
(Goretzki et al.
1971:157f.):
die Operationen, die für den kognitiven Gehalt von Satzfolgen eine Rolle spielen, [erfassen] sowohl die Inhalte der im Text gegebenen Sätze [...] als auch Inhalte von 'latenten Sätzen'. Bereits der Ausdruck 'Inhalte von latenten Sätzen 1 weist auf das Problem hin. Wenn wir von der Annahme ausgehen, daß die latenten Voraussetzungen im Prinzip explizit gemacht werden können, erscheint ein solcher Ausdruck einigermaßen berechtigt. An der Annahme aber, daß es solche nicht verbalisierten Inhalte gibt, kommen wir nicht vorbei. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die sogenannte 'semantische Anapher' oder 'implizite Referenz'. Nach Isenberg (1968; 1971:162) nimmt in dem Satz "Gestern fand eine Hochzeit statt. Die Braut trug dabei ein langes weißes Kleid." das Nomen Braut eine in Hochzeit enthaltene implizite Referenz explizit auf. Auch in diesem Fall kann man je-
22 2.6.
Gesprächsregeln
2.6.1.
Vorbemerkungen
Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, daß sich Informationen, die in einer Äußerung übermittelt werden, nicht allein aus der wörtlichen, linguistischen Bedeutung des Satzes ergeben (zu denen in vielen Fällen auch die logisch-semantischen PSPen, die logischen Implikationen und auch die konventionellen Implikaturen
(vgl. S. 26) gerechnet werden), sondern ebenso aus der
Menge der mitverstandenen, impliziten Sätze. Diese können von einem Hörer nur erkannt und erschlossen werden, wenn er gewisse Denkprozesse vollzieht, die sich an allgemeinen Konventionen der Sprachgemeinschaft und an bestimmten Gesprächsregeln orientieren, auf die ich im folgenden eingehen werde.
2.6.2.
Gesprächsmaximen
Der Hörer gelangt zu den Schlüssen auf unausgesprochene Sätze gewöhnlich nur dadurch, daß er Bedeutung und Form der Äußerung zum Verhalten des Sprechers, zum sprachlichen und nicht-sprachlichen Kontext und zu seinem Wissen über den Sprecher und die Sprechsituation in Beziehung setzt, wobei er sich auf bestimmte Gesprächsmaximen stützen kann. Vor allem Grice und später Kempson
(1968 und 19 75)
(1975) haben sich mit Gesprächsmaximen im
Rahmen einer pragmatischen Theorie, die diese Aspekte berücksichtigt, beschäftigt, um den Gebrauch von sprachlichen Erschei13 nungen erklären zu können.
doch einen impliziten, latenten Zwischensatz wie Eine Hochzeit hat eine Braut, oder Zu einer Hochzeit gehört eine Braut, annehmen. (Anders jedoch Boeder 1972b:32f.) 13
Allerdings hat Urmson bereits 1952 bei der Behandlung parenthetischer Verben Gesprächsregeln aufgestellt, ohne diesen Ausdruck zu verwenden. Die Teilnehmer eines Gesprächs richteten sich nach bestimmten "presupposition[s] of communication"; ζ. Β. beanspruche ein Sprecher für sich, daß das, was er sage, wahr ist und einen Grund habe (vgl. ähnlich später Austin 1962) : Implied claims to truth. Whenever anyone utters a sentence which could be used to convey truth or falsehood there is an implied claim to truth by that person, [...]
23 Grice
(1968: Lect. III, 1 und 1975:47) sieht eine Parallele
zwischen sprachlichem und nicht-sprachlichem Handeln und arbeitet gewisse Prinzipien heraus, denen die Teilnehmer solcher Handlungen gewöhnlich
(doch nicht notwendigerweise) folgen. Bei-
spielsweise bemühten sich die an einem Gespräch
("talk-exchange")
Beteiligten darum, zusammenzuarbeiten und einen gemeinsamen Zweck, ein gemeinsames Ziel im Auge zu haben
(Grice 1968: Lect.
II, 6 und 1975:45) : [talk exchanges] are characteristically, to some degree at least, cooperative efforts; and each participant recognizes in them, to some extent, a common purpose or set of purposes, or at least a mutually accepted direction. Daraus leitet Grice meine
(1968: Lect. II, 7 und 1975:45) das allge-
'Prinzip der Zusammenarbeit'
("cooperative principle") ab:
Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged. Diesem allgemeinen Gesprächsprinzip ordnet er (1968:Lect. II, 7f. und 1975:45f.) vier spezifische Gesprächsmaximen unter: Suppose that someone utters [...] 1 It will rain tomorrow' [...]. This act carries with it the claim that it is true that it will rain to-morrow. [...] just as it is understood that no one will give orders unless he is entitled to give orders, so it is understood that no one will utter a sentence of a kind which can be used to make a statement unless he is willing to claim that that statement is true, and hence one would be acting in a misleading manner if one uttered the sentence if he was not willing to make that claim. The word 'implies' is being used in such a way that if there is a convention that X will only be done in circumstances Y, a man implies that situation Y holds if he does X. (Urmson 1952; 1963:224) Implied claims to reasonableness. [...] whenever we make a statement in a standard context there is an implied claim to reasonableness, [...]. Unless we are acting or story-telling [...] it is, I think, a presupposition of communication that people will not make statements, thereby implying their truth, unless they have some ground, however tenuous, for those statements [...] - we will not make statements unless we are prepared to claim and defend their reasonableness. (Urmson 1952; 1963:229f.)
24 Maxim of quantity: 1. Make your contribution as informative as is required (for the current purposes of the exchange). 2. Do not make your contribution more informative than is required. Maxim of quality: [...] a supermaxime - 'Try to make your contribution one that is true', and two more specific maxims: 1. Do not say what you believe to be false. 2. Do not say that for which you lack adequate evidence. Maxim of relation: 'Be relevant'. Maxim of manner: [...] relating not (like the previous categories) to what is said but, rather, to HOW what is said is to be said, I include the supermaxim - 'Be perspicuous' - and various maxims such as: 1. Avoid obscurity of expression. 2. Avoid ambiguity. 3. Be brief (avoid unnecessary prolixity). 4. Be orderly. ^^ And one might need others. Kempson (1975:162) fügt diesen Gesprächsmaximen noch zwei weitere Untermaximen der Quantitätsmaxime hinzu: the requirement that one answer questions appropriately the requirement of presenting sufficient information in questions and imperatives to enable one's requests to be successfully carried out sowie eine allgemeine Maxime: the general requirement of not saying what is familiar. Diese allgemeine Maxime ergibt sich bereits aus der Quantitätsmaxime, nicht informativer als nötig zu sein; sie wird von Kempson (1975:166) mit bestimmten Vorannahmen Strawsons in Verbindung gebracht:
14
Daneben weist Grice (1968: Lect. II, 9 und 1975:47) auf die Notwendigkeit hin, ästhetische, soziale und andere Maximen anzunehmen und erwähnt in diesem Zusammenhang die Maxime "Be polite", die normalerweise von den Gesprächsteilnehmern befolgt werde. Die Relevanz einer solchen Gesprächsmaxime für die Erklärung linguistischer Erscheinungen hat auch R. Lakoff (1972b:911ff. und 1973b) gesehen und näher auszuführen versucht (vgl. unten S. 25, Anm. 15).
25
the maxims demanding that the speaker1s contribution be as informative as required but not more so [...] [corresponds] to Strawson's 'Presumption of Ignorance' and 'Presumption of Knowledge' [...]. These 'presumptions' capture on the one hand the assumptions on the part of the speaker that the hearer does not already know what the speaker is telling him and on the other hand the speaker's assumption that the hearer knows certain 'empirical facts relevant to the particular point to be imparted in the utterance' [...]. Dies bedeute, daß es bei jedem Gespräch eine bestimmte Menge von Sachverhalten gebe, die sowohl vom Sprecher als auch voirt Hörer als gegenseitig bekannt vorausgesetzt werden und die das "pragmatic universe of discourse" (PUD) konstituierten. Die Annahme, es gebe ein PUD, auf das die Gesprächspartner sich verlassen und beziehen können und das nicht statisch, sondern häufigen Veränderungen unterworfen sei, sei eine notwendige Bedingung für Zustandekommen und Aufrechterhaltung eines Gesprächs, Das gemeinsame Wissen als PUD müsse folgende Bedingungen erfüllen (Kempson 1975:167): (1) (2) (3) (4)
S S S S
believes believes believes believes
Ρ. H1knows P.i Η knows S believes P. Η knows S believes Η iknows P.. ι Die Quantitätsmaxime kann nun neu formuliert werden (Kempson 1975:169): Do not assert any proposition ρ which is a member of the Pragmatic Universe of Discourse. Daraus folgt beispielsweise, daß man nichts Triviales, Offensichtliches oder Bekanntes sagen oder gar explizit behaupten soll. Auf diese von Grice aufgestellten und von Kempson (und anderen Linguisten) erweiterten Gesprächsregeln werde ich mich im empirischen Teil dieser Arbeit beziehen. 1 5 15 Vor Kempson haben sich ζ. B. Gordon/Lakoff (1971) und R. Lakoff (1972b) mit den Gesprächsregeln auseinandergesetzt. R. Lakoff (1972b:916) hat ebenfalls den Versuch unternommen, die Gesprächsmaximen zu erweitern, sie führt folgende Liste an: In a normal conversation, the participants will make the following assumptions, among others, about the discourse:
26 2.6.3.
Gesprächsschlüsse
Gesprächsregeln sind inhaltlich leer; sie müssen je nach den in einer Sprachgemeinschaft herrschenden Konventionen gefüllt und nach Maßgabe des enzyklopädischen Wissens des Hörers angewandt werden. Dieser Anwendung liegt gewöhnlich ein schließendes Verfahren des Hörers zugrunde, dem ich mich im folgenden zuwenden möchte. Grice unterscheidet neben der konventionellen, wörtlichen Bedeutung drei Arten von Implikaturen:· die konventionelle, die allgemeine konversationeile und die situations-spezifische
kon-
versationelle Implikatur. 'Konventionelle Implikaturen 1
(konvent. IMPLen)
("conven-
tional implicatures") sind Schlußfolgerungen, denen sich der Sprecher verpflichtet
(wie sich auf eine mögliche Nachfrage hin
zeigt), denen er nicht widersprechen kann und deren Erkennen nicht davon abhängt, daß ein Bruch des Prinzips der Zusammenarbeit vermutet wird. Sie gehören zwar nicht zur wörtlichen Bedeutung eines Lexems, werden jedoch als eine jederzeitige Folge des Gebrauchs dieses Lexems erschlossen. Grice
(1968: Lect. II,
6 und 1975:44f.) gibt folgendes Beispiel: If I say (smugly), Re is an Englishman; he isy therefore brave, I have certainly committed myself, by virtue of the meaning of the words, to its being the case that his being brave is a consequence of (follows from) his being an Englishman. But [...] I do not want to say that I have SAID (in the favored sense) that it follows from his being an Englishman that he is brave, though I have certainly indicated, and so implicated, that this is so.
Rule I. Rule II.
What is being communicated is true. It is necessary to state what is being said: it is not known to other participants, or utterly obvious. Further, everything necessary for the hearer to understand the communication is present. Rule III. Therefore, in the case of statements, the speaker assumes that the hearer will believe what he says (due to Rule I) . Rule IV. With questions, the speaker assumes that he will get a reply. Rule V. With orders, he assumes that the command will be obeyed.
27
Dies Beispiel kann man auch als unvollständigen mus auffassen
Quasi-Syllogis-
(vgl. hier S. 19ff.).
Die hier illustrierte Art des Schlusses wählt Grice als Ausgangspunkt für eine andere Art von Schlüssen, den tioneilen Implikaturen 1
(konvers. IMPLen)
'konversa-
("conversational
implicatures"). Er geht davon aus, daß Gesprächsregeln im Gegensatz zu grammatischen Regeln von der Art sind, daß sie verletzt werden können, ohne daß die Äußerung dadurch sinnlos und unakzeptabel
(oder der zugrundeliegende Satz ungrammatisch) wer-
den muß. Denn das übergeordnete Prinzip der Zusammenarbeit ist gewöhnlich so stark, daß bei einem Bruch einer Gesprächsmaxime durch den Sprecher beim Hörer ein Mechanismus in Aktion tritt, der bewirkt, daß dieser zunächst einmal versucht - gestützt auf eine der anderen Maximen oder das Kooperationsprinzip - eine Interpretation für die Äußerung des Sprechers zu finden, durch die der Verdacht auf Regelwidrigkeit ausgeräumt wird und so die zusätzliche, aus der wörtlichen Bedeutung nicht herauslesbare Information zu erkennen ist. Den dazu notwendigen Vorgang
schließenden
(sowie sein Resultat) seitens des Hörers nennt Grice
eine konvers. IMPL und verdeutlicht sie so: A general pattern for the working (out) of a conversational implicature might be given as follows: 'He has said that ρ; there is no reason to suppose that he is not observing the maxims, or at least the CP [= cooperative principle]; he could not be doing this unless he thought that q; he knows (and knows that I know that he knows) that I can see that the supposition that he thinks that q IS required; he has done nothing to stop me thinking that q; (therefore) he intends me to think, or is at least willing to allow me to think, that q-, and so he has implicated that q'. (Grice 1968: Lect. II, 14 und 1975:50) Das zugrundegelegte Beispiel hat folgenden Wortlaut: Suppose that A and Β are talking about a mutual friend, C, who is now working in a bank. A asks Β how C is getting on in his job, and Β replies, Oh quite well, I think; he likes his colleagues} and he hasn't been to prison yet. (Grice 1968: Lect. II, 4 und 1975:43) Es löst, passende Gesprächsumstände vorausgesetzt,
folgenden
schließenden Prozeß des Α aus: '(1) Β has apparently violated the maxim 'Be relevant' and so may be regarded as having flouted one of the
28 maxims conjoining perspicuity; yet I have no reason to suppose that he is opting out from the operation of the CP; (2) given the circumstances, I can regard his irrelevance as only apparent if, and only if, I suppose him to think that C is potentially dishonest; (3) Β knows that I am capable of working out step (2). So Β implicates that C is potentially dishonest'. (Grice 1968: Lect. II, 13 und 1975:50) Konvers. IMPLen haben folgende Charakteristika
(Grice 1975:50):
Sie sind von der Beachtung der wörtlichen Bedeutung, dem Prinzip der Zusammenarbeit und den Gesprächsmaximen abhängig; sie sind nicht Teil der wörtlichen, konventionellen Bedeutung eines Lexems; sie sind abhängig von der jeweiligen
Sprechsituation
(sind 'occasion-specific') und den Annahmen und dem Wissen, das der Hörer als sich und dem Sprecher gemeinsam unterstellt; aus all diesen Eigenschaften folgt, daß sie weder vorhersagbar noch unaufhebbar noch die einzig möglichen Interpretationen der Äußerung sind. Die 'allgemeinen
("general") konvers.. IMPLen' sind nicht in
gleicher Weise an bestimmte Situationen gebunden. Antworte ich Thimo oder Immo. ziere ich
auf die Frage Wie heißt Merrits
n o r m a l e r w e i s e
welches der beiden Disjunkte wahr ist
,
Kind?,
impli-
daß ich nicht weiß,
(vgl. zu einem ähnlichen
Beispiel Kempson 1975:145), d. h., der Gebrauch eines Lexems wie oder löst "normally stances)"
(in the ABSENCE of special circum-
(Grice 1975:56) diesen Schluß auf die intendierte In-
formation des Sprechers aus. (Ein anderes Beispiel, das sich mit dem Gebrauch des unbestimmten Artikels befaßt, bringt Grice (1975:56).) Auch ohne Kenntnisse der Gesprächsumstände wird ein Hörer eine vorliegende allgemeine Gesprächsimplikatur als die gängige und wahrscheinlichste Interpretation eines isolierten Satzes annehmen, wobei er sich auch auf die Gesprächsmaximen und das Prinzip der Zusammenarbeit stützt
(Grice 1975:57). Es
scheint m i r A hier eine Parallele zu den 'invited inferences' und den 'sous-entendus' vorzuliegen, die auch kein Bestandteil der wörtlichen Bedeutung eines Satzes sind, andererseits jedoch von den Gesprächsumständen unabhängig angenommen werden. 16
16
Mir scheint, daß das von Grice gewählte Beispiel einer spezifischen konvers. IMPL ("he likes his colleagues,
29 2.7.
Zusammenfassende Bemerkungen zu den theoretischen Grundlagen der folgenden empirischen Analysen
Ich setze voraus, daß es keine Eins-zu-eins-Entsprechung
zwi-
schen Form und Funktion eines Satzes gibt. Die wörtliche, konventionelle, linguistische Bedeutung eines Satzes hängt mit der Bedeutung seiner Teile und mit seiner Struktur zusammen, wobei zumindest zwischen Aussagesatz-, Fragesatz- und Aufforderungssatzform unterschieden werden kann. Ich gehe davon aus, daß die Art der syntaktisch-semantischen Grammatiktheorie, die Sätze mit ihren wörtlichen Bedeutungen erklärt, für die Belange dieser Arbeit unerheblich ist. Weit wichtiger für die hier vorgelegten Analysen der Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung ist die Frage nach der pragmatischen Theorie. Ich halte an der Trennung zwischen wörtlicher Bedeutung einerseits und
'pragmatischer' Be-
deutung andererseits fest. Letztere wird immer erst bei der Aktualisierung eines Satzes deutlich und muß vom Hörer erschlossen werden. Sie ergibt sich aus der Summe des Gesagten und Mitverstandenen; das Gesagte geht aus der Form, der wörtlichen Bedeutung und bestimmten logisch-semantischen Relationen
zwischen
Sätzen hervor, das Mitverstandene aus den Sprecherannahmen und -erwartungen sowie den mitverstandenen, implizierten Sätzen ('sous-entendus', suggerierten Schlußfolgerungen, deren Identifizierung von dem Gesagten und
Implikaturen),
(meist) den Umständen
des Gesprächs abhängt. Die Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung nehmen insofern eine Schlüsselstellung für das Verständnis einer Äußerung ein, als sie oberflächenstrukturelle
sprachliche
Zeichen sind, die Schlüsse auf mitverstandene Sätze auslösen. and he hasn't been to prison yet".) auch zur Illustration einer 'allgemeinen' konvers. IMPL geeignet ist, da auch ohne Kenntnis der Redeumstände der Schluß auf einen impliziten Satz wie He is dishonest. oder He has been dishonest before. - ausgelöst durch die Partikel yet - normalerweise erschlossen wird. Dieses Beispiel könnte ebenso zur Verdeutlichung eines 'sous-entendu' im Ducrotschen Sinne dienen. - Zu der Kritik, die an Grice' Entwurf einer pragmatischen Theorie laut geworden ist und zu ihrer Zurückweisung siehe Kempson (1 975: 146ff.).
30
Die einzelnen Lexeme, beispielsweise die Modalpartikeln, können demnach als 'Spuren' dieser Sätze in der Oberflächenstruktur angesehen werden. Bei Grice hingegen schließt sich das Ziehen von Schlüssen gewöhnlich an ganze Sätze an. Ich sehe mich außerstande, im Rahmen dieser kontrastiven Studie eine umfassende syntaktisch-semantische und eine pragmatische Theorie auszuarbeiten; dies war auch nicht das Ziel meiner Arbeit. Deshalb begnüge ich mich damit, in dem hier vorgestellten theoretischen Rahmen, Schemata vorzulegen, die möglichst lückenlos Form, Annahmen, Erwartungen und mitverstandene Implikaturen erfassen, soweit sie für eine angemessene Erklärung des jeweiligen untersuchten Phänomens notwendig sind. Auf einen strengen Formalismus habe ich verzichten müssen. Stattdessen arbeite ich mit standardisierten Wendungen und Sätzen wie loh nehme an. für die Sprecherannahme oder Wenn X3 dann im allgemeinen It
... für die als Quasi-Syllogismen aufgefaßten Schlüsse
des Sprechers selbst. Auch konvent. und konvers. IMPLen, die vom Hörer erschlossen werden, stelle ich als Sätze dar. Ich glaube, daß die Schemata aus sich heraus verständlich sind, und hoffe, daß sie etwas Einsicht in die Funktion der einzelnen emotivmodalen sprachlichen Erscheinung geben können.
3.
MODALPARTIKELN UND MODALWÖRTER
3.1.
Vorbemerkungen
Bevor ich ihre Semantik und Pragmatik im einzelnen zu analysieren versuche, stelle ich im folgenden die Modalpartikeln
(MPn)
als Ausdrucksweisen der emotiven Modalität den Modalwörtern
(MW)
als Mittel der kognitiven Modalität gegenüber. Die weiter oben (S.6f.) getroffene Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von Modalität wird solcherart verdeutlicht werden. Gleichzeitig werde ich für alle MPn geltende Restriktionen und syntaktischsemantische Eigenheiten aufzeigen und einen Uberblick über die herkömmliche Behandlung sowohl der MPn als auch - weniger ausführlich - der MW in den traditionellen Grammatiken geben können
3.2.
Die Modalpartikeln in den
(traditionellen) Grammatiken
und in neueren Arbeiten Zwischen MPn, zu denen ich in dieser Arbeit die Lexeme auch; bloß3
denn3
(mal), nurt
ruhig3
wahrscheinlich3
doah3
eben3
schon3
natürlich3
etwa3
eigentlich3
vielleicht sicherlich3
ja3
mal3
aber3 nun
und wohl zähle, und MW wie nein usw. wird in den
herkömmlichen Grammatiken des Deutschen gemeinhin kein Unterschied gemacht. Weit verbreitet ist die Gepflogenheit, die Mitglieder beider Gruppen als "Adverbien" zu bezeichnen (Adelung 1782:42; Aichinger 1754:348; Heyse 1814; 1838:801; Jung 1966:316; Krüger 1904: 124f.; Lyon 1928:123f.; Schneider 1959; 1967:274ff.; Schulz/ Griesbach 1960; 1970:350ff.; Duden 1959; 1966:302ff.). Einige Autoren (ζ. B. Becker 1836) nennen zwar die MPn "Modusadverbien" und erörtern sie zusammen mit den MW unter der Rubrik "Formwörter", weisen jedoch auf die besondere Funktion beispielsweise der MP schon hin in einem Satz wie "Er wird sich s c h o n fügen" (Becker 1836:325). In einigen Grammatiken lassen sich
32 nur Hinweise auf die MW, meist "Modaladverbien" genannt, nicht aber auf die MPn finden, so bei Behaghel (1924); Blatz (1900); Engelien (1902); Grimm (1890) und Moskalskaja (1971). Erben (1972:178) unterscheidet dagegen zwischen MW und MPn, die er "emotional-expressive Partikeln" nennt. Eine Reihe von Autoren behandelt die MPn sowohl in kleineren Schriften als auch in Grammatiken etwas eingehender, wobei Bezeichnungen gewählt werden wie "Würzwörter" (Thiel 1962, Schröder 1965), "Füllwörter" (Adler 1964), "Hilfswörter" (Gabelentz 1901), "Flickwörter" (Gabelentz 1901), "Sprachhülsen 11 , "Färbewörter" (Colditz 1966) und "unscheinbare Kleinwörter" (Tschirch 1968), die die Einstellung der Autoren zu diesen Partikeln kennzeichnen. Schulz/Griesbach (1960; 1970:350ff.) ordnen die MPn unter den Oberbegriff "Modalglieder" ein; Helbig/Buscha (1974: 428ff.), die oft recht treffende Kurz-Charakteristika einzelner Modalpartikeln geben, wählen als Oberbegriff einfach "Partikeln" Einige Jahre nach der umfangreichen und gründlichen Dissertation Krivonosovs
(1963a) und einigen seiner Aufsätze
(siehe Lit.-
Verz.) und nach der unter dem Titel 'Abtönungspartikel 1 nenen Arbeit von Weydt
erschie-
(1969) hat sich das linguistische Inter-
esse verstärkt den MPn zugewendet. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Version meiner Arbeit (Winter 1976/77) sind mir folgende Aufsätze bekannt, die sich ganz oder in Teilen mit den MPn befassen (die Liste ist nicht vollständig, ich verweise auf das Lit.-Verz.): Asbach-Schnitker (1975); Engel (1968); Hartmann (1975, 1976); Kawashima (1969); Kolde (1970); Opalka (1977) und Rath (1975). Vgl. daneben Bublitz/Roncador (1975) und Bublitz (1977). Als hilfreich hat sich die Unterscheidung Admonis
(1970:201 ff.)
zwischen MW und MPn erwiesen, auf die auch mein Sprachgebrauch zurückgeht.
1
Admoni untersucht in erster Linie die Abgrenzung der MW von den Adverbien und nicht von den MPn. Obgleich sich in jüngster Zeit viele Autoren des Terminus 'Modalpartikel * bedienen und sich dabei auf Admoni berufen, kommt dieser Ausdruck bei Admoni (1970) in dem Kapitel über die hiermit gemeinten Partikeln nicht vor, er spricht dort nur von "Partikeln". Allerdings verwendet er das Wort "Modalpartikel" in diesem Sinn einmal in dem vorangehenden Kapitel (über die MW).
33 3.3.
Bestimmung und Behandlung der Modalwörter in der neueren Literatur
Für die englische Sprache scheint mir Greenbaums (1969) Monographie über die englischen Adverbien die geeignetste Arbeit zu sein, will man sich über die englischen MW informieren. Was ich im folgenden unter MW verstehe, deckt sich weitgehend mit Greenbaums "style disjuncts" und "attitudinal disjuncts" (Greenbaum 1969:82ff.; 94ff.). Sehr hilfreich für die Beschäftigung mit den MW im Deutschen sind die Aufsätze von Lehmann/ Spranger (1966), Spranger (1972), Hempel (1954; 1973) und das entsprechende Kapitel in der Grammatik von Helbig/Buscha (1974: 446ff.). (Da sich die Einteilung Helbig/Buschas an der von Lehmann/Spranger und Spranger referierten zu orientieren scheint, gehe ich auf diese Grammatik nicht weiter ein.) Lehmann/Spranger rezipieren vor allem die neuere Forschung in der Sowjetunion auf dem Gebiet der MW, auch und gerade der 2
deutschen MW.
Spranger (1972:291) gibt eine Übersicht über die
verschiedenen semantischen Klassifikationen einiger russischer Sprachwissenschaftler. Danach läßt sich eine grobe Dreiteilung der MW vornehmen: (a) MW, die das Verhältnis des Sprechers zur Realität der Aussage ausdrücken. (b) MW, die ein emotionelles Verhältnis des Sprechers zur Aussage ausdrücken. (c) MW, die das Verhältnis des Sprechers zur Form der Aussage ausdrücken. Gulyga/Moskalskaja unterscheiden unter Punkt (a) "vermutende MW" (angeblickt kaum, möglicherweise3 leicht, wahrscheinlich3
scheinbar, vermutlichΛ
anscheinend3
offenbar3
viel-
sichtlich usw.),
"verstärkende MW" {allerding s, bestimmt, durchausΛ
freilich3
wiß, natürlich3
zweifellos
sicherlichtatsächlichΛ
wirklich,
ge-
usw.) und "bejahende und verneinende MW" Cj'a, doch3 klar, nein, 2 Bis auf Aufsätze von Saidow (1967 und 1969) sind mir die in Lehmann/Spranger angegebenen Arbeiten, ζ. B. von Gulyga/ Moskalskaja, Vinogradow, leider nicht zugänglich gewesen. Auch diese Autoren scheinen, folgt man Lehmann/Spranger, Saidow und Moskalskaja, nicht genügend zwischen MW und MPn differenziert zu haben.
34 usw.). Letztere rechnen sie jedoch nicht zu den eigentlichen MW, weil sie nur die Satzqualität, nicht die Modalität veränderten. Nach meiner Auffassung der kognitiven Modalität braucht diese Unterscheidung aber nicht berücksichtigt zu werden. In der sprachwissenschaftlichen Literatur ist man sich einig, daß die eben angeführten Lexeme zu den MW zu zählen und von den Adverbien, den Gradpartikeln, den Konjunktionen und, trifft man diese Abgrenzung, von den MPn zu unterscheiden sind. Zu Punkt
(c) geben Gulyga/Moskalskaja an "Modalwörter, die
eine Aussage summieren" jedenfalls, begründen"
übrigens
gesagt3
im Gegenteil3
höchstens3
mit anderen
im allgemeinen3
eigentlich3
usw.) und "Modalwörter, die eine Aussage
(endlich 3 folglich3
mehr 3 erstens3 vor allem3
[allenfalls3
mit einem
nämlich3
eigentlich3 Worten
Worte3
einerseits3
anders
sozusagen3 zum
ausgedrückt3
viel-
Beispiel3 genauer
usw.). Diese Lexeme unterscheiden
sich meines Erachtens dadurch von den MW unter (a), daß sie beispielsweise nicht als Satzäquivalente oder als Antworten auf 3 Entscheidungsfragen allein stehen können.
Bei der Gegenüber-
stellung von MW und MPn werde ich sie nicht weiter berücksichtigen. Eine semantische Ähnlichkeit zwischen den "einschätzenden MW", die zu (b) ("Modalwörter, die ein emotionelles Verhältnis des Sprechers zur Aussage ausdrücken") gehören, und den MPn ist unverkennbar. Gulyga/Moskalskaja erwähnen glücklicherweise3 lob3
Gott sei Dank3
hoffentlich3
leider3
lieber3
schade
gottusw.
Ich stelle sie dennoch neben die MW (a) und werde im folgenden versuchen, charakteristische Unterschiede zwischen 4 der Grammatik der MPn und der MW, (a) und (b), herauszuarbeiten.
3
Diese Gruppe der MW entspricht nicht Greenbaums (1969) "style disjuncts" , sondern etwa seinen "conjuncts" (S. 35ff.). Auch die englischen 'conjuncts' wie namely3 incidentally3 anyhow usw. können nicht als Antworten auf Entscheidungsfragen stehen; zu weiteren Kriterien, die auch auf die Gruppe (c) der deutschen MW zutreffen, vgl. Greenbaum (1969: 41 f f.) .
4
Vgl. zu leider3 glücklicherweise usw. auch Hempel (1954; 1973:233), der diese Lexeme als "emotiv-wertend" und "volitiv" bezeichnet. Er schreibt über die MW, sie stellten nicht dar, sondern gäben "eine Stellungnahme des redenden Subjekts zum Dargestellten", sie "'setzten' dessen Realitätsgrad in
35 3.4.
Syntax der Modalpartikeln und Modalwörter
3.4.1.
MW können am Satzanfang stehen
(Wahrscheinlich ist
schon da.), MPn dagegen nicht (Tante Paula wohnt ja in # -Ja wohnt Tante Paula in Augsburg.).5 3.4.2.
Anne
Augsburg.
MW können allein stehen, d. h. reduziert als Einwort-
sätze verwendet werden, wobei sie meist Antworten auf Entscheig dungsfragen sind
(Ist er sahon da? - Wahrscheinlich.).
MPn sind
dagegen als Satzäquivalente und als Antworten auf Fragen nicht denkbar.^ 3.4.3.
MW kommen gewöhnlich nicht in Fragesätzen vor
wahrscheinlich schon
(*Ist er
schon da?), MPn dagegen -durchaus (Ist er denn
da?).
3.4.4. Auch in Imperativsätzen sind MW meist ungebräuchlich „ 8 (Geh angeblich raus!) im Gegensatz zu MPn (Geh nur raus!). 3.4.5.
Die bisher angegebenen Restriktionen und Vorkommensmög-
lichkeiten der MW gelten auch für die englischen MW (ζ. B. für die 'attitudinal disjuncts'), wie Greenbaum
(1969:94ff.) gezeigt
hat. Er weist auch auf eine weitere Eigenart dieser Wortklasse hin: MW können nicht als Fokus einer Frage, einer Satznega-
Gestalt von Modalurteilen" (S. 229). Allerdings faßt er den Begriff 'Modalwort' erheblich weiter, als es in dieser Arbeit getan wird, da er beispielsweise auch die Interjektionen und die Modalverben als Untergruppen ansieht (Hempel 1954; 1973:2 34ff.).- Vgl. auch die von Lehmann/Spranger etwas abweichende Klassifizierung der MW bei Saidow (1969:313). 5
Eine Ausnahme bildet die MP eigentlich: du noch ein Fläschchen hochholen.
Eigentlich
könntest
6
Von Adverbien unterscheiden sie sich dadurch, daß sie allein nicht nach Ergänzungsfragen vorkommen können: Wie hoch ist der Fernsehturm? *Möglicherweise.
7
Jat dochj eben und schon können zwar so verwendet werden, sind dann jedoch als MW zu bezeichnen, vgl. Kap. 4.1.
8
Das Modalwort lieber bildet hier, wie auch bei einigen der anderen Restriktionen, eine Ausnahme: Geh lieber raus! Diese eigenartige Sonderstellung des lieber näher zu untersuchen, war mir im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich.
36
tion oder eines Satz-Vergleichs dienen probably
(*"Did they leave early
or did they leave early possibly?",
acht Jahre alt zweifellos
S. 115; *Ist er
oder ist er acht Jahre
alt
wahrschein-
lioh?) . Zwar sind die MPn derselben Restriktion unterworfen, können also weder erfragt noch verneint werden und stehen deshalb auch nie nach der Negationspartikel nicht;
doch Im Gegen-
satz zu dem MW kann man sich in keiner Weise auf sie in einer Frage beziehen, was bei MW immerhin möglich ist: Der HSV
hat
gestern
er 'hat
angeblich
verloren.; Wieso
verloren.
Glücklicherweise
'glücklicherweise
- flicht (nur)
'angeblich',
hat er sich doch noch beworben.
' (leider hat er sich beworben)?
-
Auf eine
MP kann man sich selbst dann nicht beziehen, wenn man sie anaphorisch explizit wiederaufnimmt. Man kann also nach einem Satz wie Das ist doch wunderbar!
zwar antworten Ja, wunderbar.,
nicht *Ja, doch. oder *Das ist nicht doch wunderbar,
aber
sondern
...
Diese Restriktion hängt sicherlich mit der Unbetonbarkeit von 9 MPn zusammen. 3.4.6.
MPn folgen im Satz dem finiten Verb; bei Inversion ver-
ändert die Partikel ihre Stellung nicht (Bist du aber Auch in anderen Fällen Fragewort: Wie konnte 9
gewachsen!).
(ζ. B. bei Ausrufen mit einleitendem er (heute) nur so spät kommen!)
können
Nur eigentlich scheint sich anders zu verhalten, da die Replik Wieso 'eigentlich ' ? nach Raymond Chandler ist eigentlich recht lesbar, völlig akzeptabel ist und im Sinne von Hast du jemals daran gezweifelt? interpretiert wird. Daß eine Durchbrechung der eben angeführten Regel, d. h. eine explizite Wiederaufnahme nur der MP einer vorangegangenen Äußerung eine besondere Wirkung erzielen kann, zeigt der folgende Text von Karl Valentin, auf den ich kürzlich gestoßen bin; ich glaube, es erübrigt sich, nähere Erläuterungen dazu zu geben (Hervorhebung von mir, W. B.): "V: Aber das ist eine Überraschung für mich! Ihr Herr Schwager, der Lorenz, mein bester Freund, ist gestern gestorben. K: Jal Ja! - Das ist schnell gegangen! Der hätte ruhig noch so 10 - 20 Jahre leben können. V: Ja ruhig! - Ich hab ihn ja gern mög'n - er war ein lieber Mensch - einer meiner besten Freunde wirklich! (Valentin, Karl. 1975. Der reparierte Scheinwerfer. München, Deutscher Taschenbuchverlag. S. 97.)
37 sich einzelne Lexeme zwischen MP und finites Verb schieben. MW sind im Gegensatz dazu uneingeschränkter 3.4.7.
verschiebbar.
Während MPn häufig miteinander kombiniert werden (Was
will Sabine
denn bloß schon wieder?;
ein Halunke!;
Warum denn eigentlich
Du bist mir j_a vielleicht bloß!) , ist dies bei MW nicht
der Fall, da anderenfalls der Wahrheitsgehalt einer Proposition unterschiedlich modifiziert werden würde wahrscheinlich
gekündigt.).
(*Er hat
möglicherweise
Eine Ausnahme scheinen die bejahen-
den und verneinenden MW zu sein, deren Gültigkeit durch ein vermutendes MW abgeschwächt werden kann Wahl gewinnen? 3.4.8.
- Wahrscheinlich
(Wird die Koalition
die
ja.).
MW lassen sich im Gegensatz zu MPn auf eigene Sätze mit
den entsprechenden Adjektiven und Verben zurückführen: Es ist sicher,
daß er da ist.; Ich hoffe
(= sicherlich;
3.5.
hoffentlich;
(vermute)3 10 vermutlich) .
daß er da ist.
Morphologie der Modalpartikeln und Modalwörter
3.5.1.
MPn sind morphologisch unveränderbar, während einige MW
grammatisch gesteigert werden können
(wahrscheinlicher), andere
zumindest lexikalisch
(sicherlich, ganz sicherlich;
lich3
wahrscheinlich).
sehr
3.5.2.
(höchst-)
wahrschein-
Anders als die MW sind die MPn nahezu ausschließlich
Einsilbler. 3.5.3.
MPn sind unbetonbar. Fällt der Primärakzent oder zumin-
dest ein starker Nebenakzent auf ein auch als MP vorkommendes Lexem, fungiert es als Gradpartikel Adjektiv
(ruhig) oder Modalwort
(nur), Konjunktion
(vielleicht),
(aber),
nicht aber als MP.
MW ändern ihren Status und ihre Funktion bei Akzentuierung nicht. 10 Vgl. bereits Behaghel (1924:§510), sicher(liah) sei durch ursprünglich "selbständigen durch Ersparung entstandenen eingliedrigen Satz" gebildet worden; daneben auch Pretzel (1964) und Krüger (1904) sowie für das Englische Greenbaum (1969), Lerot (1969) u. a.
38 3.6.
Semantik und Pragmatik von Modalpartikeln und Modalwörtern
3.6.1.
MPn haben keinen Einfluß auf die Wahrheitsbedingungen
des Satzes, in dem sie vorkommen, beeinflussen aber gelegentlich dessen wörtliche Bedeutung dadurch, daß ihr Gebrauch kon11 vent. IMPLen nach sich zieht. MPn können daher ohne weiteres weggelassen werden, ohne daß sich der Wahrheitswert des Satzes änderte. Dies ist bei den MW der Gruppe
(a) nicht der Fall. Es
ist daher auch möglich, daß MPn und MW nebeneinander vorkommen. Da die MPn sich auf den gesamten Satz beziehen,
'modifizieren 1
sie auch die darin stehenden MW {Er hat Ja möglicherweise sucht gehabt.).
Gelb-
Umgekehrt kann zwar der Fokus eines MW nicht
nur ein ganzer Satz, sondern auch eine einzelne Nominalphrase oder gar ein Lexem sein bedauert.),
{Er hat das bedauert3
niemals jedoch eine MP
{*Martin
sicherlich liegt
sehr
wahrscheinlich
ja unter seinem Auto und werkelt. ). 3.6.2.
MPn können dem Hörer "Verstehensanweisungen"
(Watzla-
wick et al. 1969:55) geben in bezug auf den geäußerten Satz, zu dem auch unter Umständen MW gehören. Mit Einschränkungen läßt sich sagen, daß MPn anders als MW auf einer Ebene mit Mitteln der analogen Kommunikation stehen können. Lachen, Gebärden und andere paralinguistische Phänomene sind beispielsweise ebenfalls geeignet, eine mildernde Funktion wie die MPn nur, doch, ruhig
und schon in Imperativen auszuüben. Arndt
mal,
(1960:327) hat
daher die MPn (nicht jedoch die MW) als "suprasegmental morphemes" bezeichnet. Besonders augenfällig ist die scheinbar enge Verflechtung von MPn und Intonation. Der Gedanke liegt nahe, MPn als Äquivalente bestimmter Intonationen in der geschriebenen Sprache anzusehen. Dem widerspricht jedoch die Tatsache, daß MPn in der geschrie11
Dies trifft nicht auf alle MPn zu, vgl. die Einzelanalysen. Es läßt sich vermuten, daß die MPn ebenso wie englisch even zu den von Kempson (1975) angesprochenen Lexemen gehören, deren Beitrag zur konventionellen Bedeutung eines Satzes nicht in Begriffen der Wahrheitsbedingungen allein beschreibbar ist.
39
benen Sprache kaum vorkommen, sondern typisch für die gesprochene Sprache sind
(auch hier im Gegensatz zu den MW). Der ver-
breiteten Meinung, daß man in der Rede die Intonation so variieren könne, daß eine dem Gebrauch von MPn gleiche Wirkung erzielt werde, diese also eigentlich überflüssig seien, kann ich nicht zustimmen. Es scheint nicht zufällig zu sein, daß beide Phänomene in der geschriebenen Sprache selten, in der gesprochenen dagegen häufig sind. MPn, dies werden die Einzelanalysen ergeben, tragen durchaus eigenständig nicht nur zur pragmatischen, sondern auch zur semantischen Interpretation einer Äußerung bei, vornehmlich durch die Auslösung konvent. und konvers. IMPLen, die allein auf die Präsenz einer bestimmten MP und nicht einer bestimmten Intonation zurückgehen. MPn und Intonation ergänzen einander, ersetzen einander jedoch nicht. 3.6.3.
Im Gegensatz zu den MW können die MPn und andere Mittel
der Sprechereinstellung in besonderem Maße die Interaktion betreffen, d. h.
stärker auf den Hörer abgestellt sein. In der
gesprochenen Sprache ist der Sprecher auf ständige
Selbstkorrek-
tur bedacht, so daß er Reaktionen des Hörers, seien sie sprachlicher oder nicht-sprachlicher Art
(Stirnrunzeln, Kopfnicken),
berücksichtigen und seine Rede ergänzen, erläutern, abschwächen 12
oder nachdrücklich wiederholen kann. MPn haben unter anderem die Funktion, Gemeinsamkeiten
zwi-
schen den Gesprächspartnern zu suggerieren, zu erfragen, d. h. 12
Eine ähnliche Beobachtung hat Riesel (1962:8) über die Parenthese gemacht; auch Behaghel (1927:14) hat diesen Aspekt der mündlichen Rede betont: Freilich besitzt auch die mündliche Rede Mittel, die mit dem Auge des Hörers in Beziehung treten, Mittel, die ihr allein eigentümlich sind [...]. Alle diese Mittel [...] haben den unvergleichlichen Vorzug, daß ihre Wirkung ganz unmittelbar erprobt werden kann an dem Ausdruck, den das Gesicht des Hörers gewinnt, an seinem Gebahren, an seinen Ausrufen und Entgegnungen, und daß so der Redende eine sofortige Gegenwirkung empfangen, von ihr in der weitern Gestaltung seiner Rede sich bestimmen lassen kann.[...] Erkennt der Redner, daß seine Worte nicht verstanden werden, so mag er wiederholen und ergänzen, dem einen Worte ein sinnverwandtes anreihen, das bereits abgeschlossene Ganze durch Nachträge erweitern.
40 sich ihrer zu vergewissern, sie wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, da sie für die Kommunikation notwendig sind. (Vgl. auch Rath 1975:234) Die Häufigkeit der Präsenz von MPn in der gesprochenen und deren Seltenheit in der geschriebenen Sprache hängen möglicherweise damit zusammen, daß der Informationsverlust in der gesprochenen Sprache weit höher ist als in der geschriebenen. Schriftliches ist expliziter; wer etwas schriftlich niederlegt, setzt voraus, daß der Leser sich ohne weiteres
(durch Zurück-
blättern usw.) das im Text Vorangegangene vergegenwärtigen kann Die Redundanz in der gesprochenen Sprache ist zumindest in diesem Bereich meist weit größer als in der geschriebenen; MPn haben gelegentlich die Funktion, Redundantes, d. h. beispielsweise Bekanntes, einzuführen. 3.6.4.
Die epistemisch oder kognitiv gebrauchten Modalverben
(vgl. dazu ζ. B. Hempel
(1954; 1973:236ff.) und Calbert
(1975)
neben vielen anderen) stehen in engerer Beziehung zu den MW als zu den MPn. MW qualifizieren ebenso wie diese Modalverben eine Aussage kognitiv, d. h., sie rücken sie von einem absoluten Iah weiß, daß X. weg. MPn tun dies nicht. Es ist gleich, ob die Aussage kognitiv qualifiziert ist oder nicht, immer ist eine MP
13
Vgl. auch die Ausführungen Wackernagel-Jolles 1 (1973:178f.) über die Gliederungssignale; ebenso Weydt (1969:93ff.), der ausführlicher auf das Vorkommen der MPn in der Umgangssprache eingeht. Allgemein zum Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache hat sich auch Behaghel (1927) in seinem lesenswerten Artikel geäußert; es heißt dort unter anderem: Weit leichter beim gesprochenen als beim geschriebenen Wort werden die Teile der Rede vergessen, die weiter zurückliegen, vom Urheber, wie vom Empfänger des Wortes. So kann es kommen [...], daß der Redende erst kürzlich Gesagtes noch einmal aufnimmt, vielleicht ohne daß ihm selber die Wiederholung zum Bewußtsein kommt, vielleicht auch um der Erinnerungsschwäche des Hörenden zu begegnen. (S. 17) Aber das Gedächtnis wirkt bei dem Schreibmenschen nicht nur derart, daß es die eben verflossenen Teile der eigenen Rede festhält. Viel wichtiger ist, daß die fremde Rede·in der Erinnerung haftet, daß beim Schreiben wirksam wird die ganze Fülle dessen, was der einzelne gelesen und gelernt hat. (S. 18)
41 möglich, die etwas darüber aussagt, wie diese Aussage zu verstehen ist. MPn können auch neben den kognitiven Modalverben wie neben anderen 'epistemic qualifiers'
(vgl. Caton 1966 und
1969; Garner 1969) vorkommen: Ich weiß ja, daß er ist.; Er sollte ja eigentlich
schon
zu Hause
unterwegs
sein. MW und kog-
nitive Modalverben zu kombinieren, scheint auf Schwierigkeiten zu stoßen, während MW neben volitiven Modalverben natürlich keinesfalls auftreten können: *Er soll wahrscheinlich
herein-
kommen.
haben.
(volitiv); *Er muß das Auto vielleicht
(volitiv); *Die beiden heiratet
sein,
dort drüben
müssen
(kognitiv); *Er dürfte η 80 Jahre alt se%n. (kognitiv).
sofort
möglicherweise
jetzt
angeblich
ver-
schon
14 Eine Ausnahme von dieser Restriktion bilden einige verstärkende MW wie bestimmt und gewiß und emotionale MW wie leider, die neben kognitiv gebrauchten Modalverben akzeptabel sind: Der Opa dürfte jetzt gewiß schon 80 sein.; Er müßte jetzt leider schon 80 sein. Die Akzeptabilität von leider kann möglicherweise mit dem Hinweis erklärt werden, daß leider hier das Modalverb modifiziert. Leider und lieber, die mit faktivem ich bedauere, daß ... bzw. ich möchte gern, daß ... etwa bedeutungsgleich sind und wahrscheinlich auf eine gemeinsame Ausgangsstruktur zurückgehen, können sogar mit volitiven Modalverben verwendet werden: Du mußt jetzt leider schieben helfen.; Du sollst lieber verschwinden.
4.
SPRACHLICHE MITTEL DER SPRECHEREINÖTELLUNG IM DEUTSCHEN
4.1.
Modalpartikeln
4.1.1.
Vorbemerkungen
4.1.1.1.
Liste der untersuchten Modalpartikeln
Distribution, Bedeutung und Funktion der folgenden 16 MPn habe ich in dieser Reihenfolge herauszuarbeiten versucht: aber und vielleicht; ruhig;
wohl;
4.1.1.2.
denn und etwa; bloß3 schon,
nur3
mal und nun(mal);
ja und doch; eigentlich;
eben;
auch.
Wortklassen und Funktionen
Auf die Charakteristika der MPn bin ich bereits eingegangen (vgl. S.35ff.), indem ich sie den MW gegenübergestellt und sie von diesen abgegrenzt habe. Während es auf den ersten Blick den Anschein hat, als unterschieden sich die MPn grundsätzlich in Bedeutung und Funktion von ihren Homonymen, die als Konjunktionen, Gradpartikeln, Adverbien, MW und sogar Adjektive
{ruhig)
klassifiziert werden, ergeben eingehendere Analysen doch, daß weitgehende Ähnlichkeiten der zugrundeliegenden Strukturen bestehen, die vor allem die linguistische oder wörtliche Bedeutung betreffen. Ich gehe also davon aus, daß ein enger
(wenn
auch nicht unbedingt notwendiger) Zusammenhang zwischen modalem und nicht-modalem Gebrauch einer Partikel besteht, befasse mich im folgenden mit den nicht-modalen Verwendungsweisen jedoch nur insoweit, als sie für die Erklärung der jeweiligen MP von Hilfe zu sein scheinen. Ausklammern möchte ich die Streitfrage, ob es sich beispielsweise bei schon in Das wird schon wieder und Es ist schon halb drei,
heilen!
um zwei Realisierungen ein und des-
selben Wortes als Lexikoneintrag, um Homonyme und um Mitglieder gleicher oder verschiedener Wortklassen handelt. Mich wird demnach nicht interessieren, ob die als ·Modalpartikel 1 Lexeme eine eigene
bezeichneten
(neue) Wortklasse bilden oder nicht.
43 4.1.1.3.
Kombinationen
In dieser kontrastiven Arbeit mußte ich mich aus Platzgründen auf die Analyse der Funktionen von Einzellexemen beschränken. Kombinationen wie die folgenden werden nicht untersucht, und Restriktionen hinsichtlich der Kombinierbarkeit von MPn werden 1 nicht zur Sprache gebracht. Akzeptabel sind unter anderem Äußerungen mit den folgenden Kombinationen von MPn (nicht von MPn mit anderen Partikeln): Nur ruhig, doch nur, doch bloß, nur mal, nur bloß, ruhig mal, bloß mal, mal ruhig, mal bloß, doch mal, doch ruhig, ja eigentlich, eigentlich mal, denn wohl, denn mal, doch etwa, etwa doch, ja eben, doch eigentlich, eigentlich doch, ja ruhig, ja vielleicht, nun mal, denn vielleicht, denn auch, ja auch u. v. a. m. Auch Dreiergruppen sind möglich: Da kann man j_a nun mal nichts machen. , Komm doch mal ruhig vorbei I sowie Vierergruppen: Na, du bist mir ein Stoffel! Da hättest du ja doch wohl mal kurz 'Guten Tag' sagen können. Nicht akzeptaEel sind neben vielen anderen die folgenden Zusammenstellungen.: *ja denn, *auch denn, *wohl ja, *vielleicht ja, *nur doch, *ruhig nur, *bloß doch, *bloß ruhig, *mal doch, *ruhig doch, *eigentlich eben, *etwa denn, *schon wohl, *schon ja, *schon denn, *ruhig eigentlich usw. 4.1.1.4.
Satztypen
Bei der Bestimmung der Distribution der MPn habe ich folgende formale grammatische Satztypen unterschieden: zunächst die vier Grundtypen Aussagesatz, Aufforderungssatz,
Entscheidungsfrage-
satz und Ergänzungsfragesatz; daneben habe ich miteinbezogen die rhetorische Frage und den Ausruf, der in Form eines
Aussage-
satzes, eines Entscheidungsfragesatzes oder eines Ergänzungsfragesatzes vorkommen kann. Es ergeben sich demnach acht Satztypen. Die Kriterien ihrer Festlegung sind die aus den traditionellen Grammatiken bekannten; zusätzlich habe ich, Roncador (1975) folgend, Ausrufe grob als Äußerungen bestimmt, die sich mit dem Matrixsatz ...rief er aus! 1
zitieren lassen
("Du bist
Die Kombinierbarkeit hängt nicht nur von Bedeutung und Funktion der einzelnen Partikel ab, sondern auch von der jeweiligen Satzform, in der die MP stehen kann. - Vgl. zu diesem Thema Collinson (1938:121f.), Weydt (1969:74ff.), Helbig/Buscha (1974:445), Rath (1975:230) und Engel (1968, 1972).
44
vielleicht
ein Dämlack!"
rief er
aus.).
Eine weitere Unterteilung betrifft die Funktion dieser Satztypen. Wird ein Aussagesatz im Gespräch eindeutig als Frage oder Aufforderung verstanden, habe ich dies natürlich in den Analysen vermerkt. Bei der Festlegung der Distribution einer Partikel wird diese Tatsache allerdings nicht berücksichtigt, da es sich hier um eine übliche und verbreitete Möglichkeit handelt. 4.1.1.5.
Beispiele
MPn treten, wie erwähnt, vorwiegend in der gesprochenen Sprache auf; dies ist bekannt und läßt sich leicht nachprüfen. Dennoch findet sich in der Prosa vieler Schriftsteller eine relativ große Zahl von MPn, was von der Lebendigkeit des Stils, der Menge der Dialoge, den jeweiligen Sprachvarietäten und natürlich den Intentionen des Autors abhängt. Ich habe mich bei' der Wahl der Beispiele vorwiegend auf einige wenige Romane Verz.), die
(siehe Lit.-
'Texte gesprochener deutscher Standardsprache 1
und
meine Intuition verlassen, wobei ich letzterer häufig durch Befragung einer kleinen Zahl von Informanten aus dem Verwandtenund Freundeskreis nachgeholfen· habe. Zweierlei soll dazu noch angemerkt werden: Zum einen werden in hohem Maße umgangssprachliche Beispiele benutzt,und zum anderen sind die Beispiele fast alle von Sprechern einer einzigen sozialen Schicht gebildet worden. Der interessanten Frage, ob der Gebrauch der MPn abhängig ist von der Zugehörigkeit des Sprechers zu einer bestimmten sozialen Schicht und von der jeweilig verwendeten Varietät der Sprache, bin ich nicht nachgegangen. Von meinen wenigen Beobachtungen her glaube ich jedoch nicht, daß sich große Unterschiede bezüglich der Schichtzugehörigkeit des Sprechers finden lassen und wenn, dann weniger in der Funktion dieser Partikeln, als vielmehr in ihrer Häufigkeit.
4.1.1.6.
Intonationszeichen
Der Einheitlichkeit der Darstellung halber habe ich die diakritischen Zeichen, die für die Zwecke des Forschungsprojekts 'Survey of English Usage' an der Universität London erarbeitet
45
wurden, nicht nur für alle englischen, sondern auch für alle deutschen Beispiele genutzt, in denen ich die Intonation notiert habe. Die deutschen Entsprechungen der notwendigen englischen Termini habe ich von Flämig et al. (1972:333ff.) übernommen: Eine Äußerung besteht aus mindestens einer Tongruppe, die ihrerseits eine Tonsilbe mit einem Tonkern aufweist. Jede Tongruppe besitzt ein distinktives Tonmuster, das gewöhnlich mithilfe der unten folgenden Zeichen über dem Tonkern, der meist aus einer Silbe besteht, angezeigt wird. Diese Markierung eines Tonmusters bezeichnen Flämig et al. (1972:359) als die "unmarkierte Stellung des Schwerpunktes". Es werden folgende Tonmuster unterschieden: fallend
(Sie lacht.),
steigend-fallend
(Sie
(Sie lächt.)
lacht.),
steigend
(Sie lächt.),
fallend-steigend
und gleich-
bleibend
(Sie lacht.).
Der Schwerpunkt einer Tongruppe bezeich-
net gleichzeitig deren betonte Silbe, die demnach nicht gesondert hervorgehoben zu werden braucht. Dennoch ist es grundsätzlich möglich, zusätzlich jede Silbe einer Äußerung zu akzentuieren; dies wird mittels dieses Zeichens: lächt.).
' angezeigt
('Sie
Zur Hervorhebung kontrast- oder emphasebetonter Silben
verwende ich nur dieses Zeichen und nicht Sperrdruck. Einschränkend muß hinzugefügt werden, daß ich so selten wie möglich Intonationszeichen verwende und sie nur dort einsetze, wo mir dies zum Verständnis der Funktion der betroffenen Äußerung geboten zu 2 sein scheint.
Unterstrichen werden in allen folgenden Beispie-
len die jeweils im Blickpunkt der Analyse stehenden Lexeme oder Konstruktionen; dies wird auch dann der Fall sein, wenn die Beispiele Zitate sind und im Original keine Hervorhebungen aufweisen. Die erste Zahl hinter einem Beispielsatz, der zitiert wird (kenntlich durch die Anführungszeichen), bezieht sich auf die fortlaufende Numerierung der Quellentexte zu Beginn des Literaturverzeichnisses; die zweite Zahl gibt die Seite an. 2
Zu Akzent und Intonation im Deutschen vgl. neben Essen (1956) vor allem die Aufsätze von Bierwisch (1966), Isacenko/Schädlich (1971) und Kiparsky (1971); daneben verweise ich auf Eggers (1956) und Antonsen (1966), der auch auf "contrastive emphatic" und "emotional stress" eingeht (S. 597ff.).
46 4.1.2.
Aber
4.1.2.1. Bellert
Konjunktion (1966; 1972) hat sich ausführlich mit englisch but aus-
einandergesetzt; ihre Ausführungen sind weitgehend auf aber sondern)
in konjunktionaler Verwendung übertragbar.
3
(und
Sie unter-
scheidet zwischen einfachen und komplexen Koordinationen mit aber (1a) (1b) (2a) (2b) (2c) (2d) (2e) (3a) (3b) (3c) (3d)
(S. 346ff.). Jürgen möchte für Ingrid eine Spaghettizange kaufen, aber Günter (möchte für Ingrid) nicht (eine ...). Renä versucht, in Mechelen Entengrütze anzubauen, aber (er versucht) nicht auf dem Schneidershof (Entengrütze...). Carsten ist groß, aber Norbert ist klein. Maja ist hübsch, aber Maria ist schön. Heinrich diktiert in zehn Minuten eine zweiseitige Rezension, aber um fünf Quadratmeter Rasen zu mähen, braucht er eine halbe Stunde. Joachim gehört jetzt auch zu den 'Jungen Unternehmern', aber er ist immer noch sehr nett. Franz applaudiert Biermann, aber er wählt CSU. Bonn ist Hauptstadt, aber klein. Er spielt in der Bundesliga Fußball, kann sich aber nur einen VW leisten. Machen Sie ihn bitte diskret und freundlich aber bestimmt darauf aufmerksam, daß er seine Existenz gefährdet. Heute hat Manfred Heike angerufen, aber morgen (morgen aber) ruft Heike Manfred an.
Die beiden Teilsätze der einfachen Konjunktion in (1) unterschieden sich aufgrund der lexikalischen Belegung einer Konstituente (der Subjekts-NP in
(1a), der Präpositionalphrase in
(1b)) und der Negation in einem der beiden Konjunkte. Durch diese semantische Differenzierung sei der Gegensatz, den aber hinreichend ausdrücke, erklärt; die Annahme impliziter und mitverstandener Sätze sei nicht notwendig, wie dies in den Äußerungen mit komplexer Koordination der Fall sei. Für diese müsse man eine zugrundeliegende Struktur annehmen wie "It might 3
Zur Unterscheidung zwischen aber und sondern vgl. Pusch (1975) und Abraham (1975); zu konjunktionalem aber bzw. but auch R. Lakoff (1971), G. Lakoff (1971) und Green (1968). Die Arbeit von Lang, Ewald. 1973. Studien zur Semantik der koordinativen Verknüpfung. Berlin (masch. Diss.), war mir leider nicht zugänglich. Nach Beendigung der Arbeit an diesem Ms. erreichte mich die Studie von Abraham (1977), die ich leider nicht mehr berücksichtigen konnte.
47
be expected that S1 but it appears that not S2 (Bellert 1966; 1972: 353). Neben der Annahme impliziter Sätze unterschieden sich komplexe von einfacher Koordination zudem dadurch, daß aber bei der einfachen Koordination ohne Bedeutungsänderung durch und ersetzt werden könne, bei der komplexen dagegen nicht. Die so begründete Trennung zwischen der einfachen
(auf
semantische Opposition zurückzuführenden) und der komplexen (auf Sprechererwartung
beruhenden) Koordination ist jedoch
von mehreren Seiten in Frage gestellt worden
(Abraham 19 75:
118ff.; Vogel 1975; Bublitz 1977). Bereits Bellert
(1966; 1972:
349ff.) nimmt implizite Sätze an, um Äußerungen mit antonymen Prädikaten
(wie in (2a)) und mit Konjunkten, die einen Vorteil-
Nachteil-Gegensatz ausdrückten, zu beschreiben. Beispielsweise könne
(2a) paraphrasiert werden als Carsten
Norbert
ist nicht groß, und
das ist ein Vorteil ein Nachteil
ist groß,
aber
(2c) - (2e) als [Konjunkt 2] , und
(Nachteil),
aber
[Konjunkt
II], und das ist
(Vort.eil). Darüber hinaus kann man argumentieren,
daß auch für das Verständnis der einfachen Koordinationen in (1) nicht allein die semantische Opposition der Lexeme verantwort4 lieh ist, sondern mit ihr die Erwartung des Sprechers. Die Äußerung von (1a) ist nur dann sinnvoll, wenn der Sprecher der Gültigkeit der Erwartung widerspricht, wenn Jürgen für Ingrid eine Spaghettizange kaufen möchte, gelte dies wahrscheinlich auch für die anderen Kollegen
(die nach einem Geschenk suchen).
Die Parallele zu Äußerungen mit komplexer Koordination ist augenfällig, und auch die Trennung zwischen einfachem aber,
das
durch und und komplexem aber, das nicht durch und ersetzbar ist, läßt sich nicht länger aufrechterhalten. Stattdessen kann aber bzw. but generell paraphrasiert werden als "and, contrary to (your) expectation" wie es Kempson
4
(Green 1968:29f.) oder als
'wrccf+Kontrast',
(1975:57, 174f., 216) vorgeschlagen hat
(ähnlich
Pusch (1975:56) hat gezeigt, daß mit aber ein Widerspruch oder eine negative Behauptung eingeleitet wird, mit der die Wahrheit eines Satzes (oder, wie ich meine, auch mehrerer expliziter und impliziter Sätze) nicht zurückgewiesen, sondern nur eingeschränkt wird.
48
auch R. Lakoff 1971:136). Ich schließe mich Kempsons Analyse an, daß aber und und, legt man eine auf zweiwertiger Logik aufbauende Semantik zugrunde, zwar semantisch äquivalent sind (in der Tat ändert sich nach einem Austausch der Wahrheitswert der Koordination nicht), der mitausgedrückte Gegensatz jedoch als eine jederzeitige Folge des Gebrauchs von aber konventionell impliziert wird. Die Feststellung, daß der Gebrauch von aber den Schluß auf bestimmte Annahmen und Erwartungen des Sprechers zuläßt, denen mit aber widersprochen wird (ζ. B. der angenommenen Synonymie von hübsch und sahön in (2b)), reicht jedoch für die Erklärung der Funktion
dieser Konjunktion nicht aus.
An anderer Stelle habe ich zu zeigen versucht, daß mit aber nicht einer Erwartung widersprochen wird, sondern der Gültigkeit des Schlusses von der Konklusion eines von einem allgemeinen Erfahrungssatz ausgehenden Quasi-Syllogismus auf den vorliegenden Einzelfall Ρ Toulmin (1958: 109) folgend, fasse ich den komplexen ArgumentationsVorgang, der durch den konventionell implizierten Gegensatz bei aber ausgelöst wird, als Quasi-Syllogismus auf. Dessen Propositio maior (oder Obersatz) gibt die vom Sprecher vorausgesetzte Erwartungsnorm wieder. Da sie sich weder auf eine uneingeschränkt geltende empirische Wahrheit stützen, noch die Gültigkeit der Konklusion als für alle Sprecher der Sprachgemeinschaft verbindlich ansehen kann, wird ein epistemischer Operator oder ein anderer Modifikator in den Quasi-Syllogismus eingebaut, der für (3a) etwa folgendermaßen aussieht: (I)
5
6
A: Bonn ist Hauptstadt. B: Hauptstädte sind im allgemeinen groß. (Also) C: Bonn ist wahrscheinlich groß. Aber D: Bonn ist nicht groß.
Vgl. ausführlicher Bublitz (1977), ich halte mich im folgenden eng an die dort gemachten Beobachtungen. Auf Toulmin und die Nützlichkeit seines Konzepts der Quasi-Syllogismen für die Erklärung von Partikeln wurde ich durch einen Hinweis Winfried Boeders (Oldenburg) und die Arbeit Vogels (1975) aufmerksam. In allen folgenden Quasi-Syllogismen werde ich in jedem Satz nur jeweils einen der möglichen Modifikatoren im allgemeinen, normal erweise> wahrscheinlich, meist usw. verwenden.
49 Mit aber wird nun nicht der Wahrheit der Propositio minor widersprochen, auch nicht der Erwartungsnorm
(A)
(B) (der Propo-
sitio maior bzw. dem Allgemein-Satz) oder der Wahrheit der Konklusion
(C), sondern der Gültigkeit der Übertragung des Schlus-
ses auf den vorliegenden Einzelfall, paraphrasiert etwa als: [Λ] und
[B]3 also gilt auch für BonnΛ
groß ist3 1 ist.
aber es gilt für Bonn
4.1.2.2.
Modalpartikel
•
daß es
nichts
wahrscheinlich daß es
groß
+
Als MP kommt aber nur in Ausrufen vor, die die Form von Aussagesätzen
(4), Entscheidungsfragen
(5) oder Ergänzungsfragen
(6)
haben: (4a) 0 KinderΛ 'ihr seid aber fleißig! (4b) "Bevor der Obstgarten angelegt worden warΛ hatte er [...] sich Äpfel schicken lassen und danach sorgsam die Reiser ausgewählt. [·...] Das waren aber auch welche!" .(4:314) (4c) 'Du hast aber einen Bart! (5a) "Eine Frau öffnete> die hatte einen Topfkuchen in der Hand. 'Raben Sie aber einen schönen Kuchen!' 'Ja3 nicht?' (4:345) (5b) Bist du aber gewachsen! (6a) "'Was sind das aber auch für welche!' Der letzte Dreck." (4:178) (6b) Jeden zweiten Donnerstag müssen wir ihre Seminare halten3 zu meiner eigenen Arbeit komme ich schon lange nicht mehr. - Was muß sie aber auch ständig in der Weltgeschichte herumreisen! Es besteht ein auf den ersten Blick nicht ohne weiteres erkennbarer enger Zusammenhang zwischen konjunktionalem und modalem aber. Die MP läßt sich ebenfalls als semantisch äquivalent mit und ansehen, wobei generell ein Gegensatz konventionell impliziert und dadurch ein schließendes Verfahren ausgelöst wird, das ebenfalls als Quasi-Syllogismus darstellbar ist; für (4c)
(vgl.
ähnlich Bublitz 1977):
7
Mit aber wird also nicht eine!r präsupponierten Erwartung widersprochen, wie dies von einigen Autoren angenommen wird, ζ. B. von G. Lakoff (1971:66); R. Lakoff (1971:131ff.) und Green (1968:29f.); vgl. dagegen Bublitz (1977). - Den Begriff " (individuelle) Erwartungsnorm" fand ich zuerst bei Leisi (1952; 1971:103).
50 (II)
Α: Du hast einen Bart. B: Bärte sind im allgemeinen nicht (so) lang. (Also) C: Dein Bart ist wahrscheinlich nicht (so) lang. g Aber D: Dein Bart ist (so) lang.
In modaler Verwendung wirkt aber intensivierend, im Gegensatz etwa zur MP ja in Ausrufen: (7a)
[Zu einem Freund, den man lange nicht mehr gesehen hat:] 'Du hast aber einen Bart! [wie oben:] Du hast ja einen Bart! [Greift in die Tasche:] Nanu} 'iah hab (ich 'hab) aber ein Loch in der Tasche! [wie oben:] Nanu, ich hab j_a ein Ldch in der Tasche!
(7b) (8a) (8b)
Die Beispiele
(7b) und
(8b) weisen die identifizierende Funk-
tion des ja aus; in beiden Fällen zeigt der Sprecher sein Erstaunen über die Existenz des Objekts. Ähnlich wie die MP vielleicht
(vgl. S.54ff.) könnte man intensivierendes aber als
Grad-Kategorie im Sinne Mötschs Roncador
(1964; 1973:32) bezeichnen.
(1975) nimmt an, die intensivierende Partikel akti-
viere ein Merkmal
[GRAD], das den zu intensivierenden Katego-
rien wie N, Adj, Adv und V inhärent sei. [GRAD] wird selbst dann einem Lexem zugeordnet, wenn dieses Eigenschaften besitzt, die gemeinhin nicht graduierbar sind, ζ. B. (9)
Ich muß mich doch sehr wundern; eine Lehrerin!
Lehrerin:
'du bist ab er/vielleicht
Wird die MP aber vor graduierbaren Lexemen wie schön in (5a), gewachsen
in (5b) oder fleißig
in (4a) verwendet, so wird
damit, legt man eine Gradskala zugrunde, eine Abweichung 'nach oben' im Sinne eines Komparativs von der individuellen Erwartungsnorm des Sprechers zum Ausdruck gebracht. Die Kinder in (4a) sind fleißiger als erwartet und nicht weniger fleißig; das Kind in (5b) ist mehr gewachsen als erwartet und nicht weniger. Der Skopus von aber vor nicht-graduierbaren Lexemen wie Bart in (4c) oder welche
8
in (4b) ist dagegen wesentlich unspe-
Sowohl in (I) als auch in (II) kann man mit Variablen arbeiten, um eine größere Allgemeingültigkeit zu erzielen. Die Variable X könnte dann in (I) für groß, bekannt, Sitz der Regierung usw. stehen und in (II) für nicht kürzer als nicht länger als ...3 ungefärbt usw.
51
zifischer und meist, wie in (4b), jedoch nicht immer, eindeutig vom Kontext her bestimmbar. Der Hörer vermag zwar (4c) als Bestätigung der Propositio minor in (II) und als Widerspruch gegen die Gültigkeit der Übertragung des Schlusses (A) und (B) also (C) auf den vorliegenden Sachverhalt zu interpretieren, weiß damit aber noch nicht notwendigerweise,
w e l c h e
-
graduierbare - Eigenschaft der nicht-graduierbaren Lexeme von der Norm des Sprechers 'nach oben' abweicht. Mithilfe eines schließenden Vorgangs hat der Hörer den Skopus der MP als konvers. IMPL zu erschließen; für (4c) könnte er so aussehen: Offensichtlich hat der Sprecher die Maxime der Quantität nicht beachtet, da er, legt man die wörtliche, konventionelle Bedeutung und den durch den Gebrauch von aber konventionell implizierten Gegensatz zugrunde, den Skopus von aber nicht spezifiziert hat, also nicht so informativ wie nötig gewesen ist. Unter den gegebenen Umständen und unterstellt, daß der Sprecher kooperieren will, nehme ich an, daß er impliziert, mein Bart sei zu lang, und davon ausgeht, daß ich das zu erkennen vermöge. Die Handlungsweise des Sprechers, der den Skopus der MP nicht spezifiziert, ist von einem Prinzip bestimmt, das Ducrot im Zusammenhang mit bestimmten
1
sous-entendus 1 erwähnt (siehe
oben S. 19): Der Sprecher sagt statt X immer dann Y, wenn er entweder der Ansicht ist, X sei aus der Situation ersichtlich, d. h. offensichtlich und die explizite Erwähnung demnach überflüssig (Ökonomie-Prinzip), oder wenn er X nicht (direkt) sagen kann oder nicht deutlicher sagen will, um beispielsweise nicht die Höflichkeitsmaxime verletzen zu müssen, die er in diesem Fall der Quantitätsmaxime überordnet. 9
Manfred von Roncador (Augsburg) weist mich darauf hin, daß derartige Schlüsse Ausrufen allgemein zugrundeliegen können, die konventionell eine Graduierung implizieren. In 'normalen' Gesprächssituationen wird beispielsweise der Satz Das ist ein Kind, im wörtlichen Sinn verstanden (d. h. etwa im Sinne von Es gibt jemanden> und er ist jung3 klein usw.). Erst wenn aufgrund der Gesprächsumstände die wörtliche Bedeutung nicht gemeint sein kann, da der Referent erwachsen ist, wird der Hörer versuchen, aus der Situation auf graduierbare Eigenschaften des Lexems Kind zu schließen, die auf den Referenten beziehbar sind.
52
Da konvers. IMPLen weder vorhersagbar noch unaufhebbar sind, kommt es durchaus vor, daß sie falsch sind und, wenn dies vom Sprecher erkannt wird, korrigiert werden: (10)
'Du hast aber einen Bart! - Hast du was gegen struppige Bärte? - Nein, nein, iah find' ihn gar nicht so struppig, sondern nur etwas lang.
Nimmt man an, daß X für die Menge der Bärte steht, XI für einen bestimmten, nämlich deinen Bart, I für die Menge der Eigenschaften von Bärten und Y1 für eine bestimmte Eigenschaft, hier für lang, so läßt sich für (4c) folgendes Schema aufstellen: (III) Für X gilt im allgemeinen, daß Y; also gilt wahrscheinlich XI, daß Y;
(auch in diesem Fall) für
zwar gilt für XI im allgemeinen, daß Y, aber (in diesem Fall) gilt für XI nicht, daß Yl. Konvent. IMPL: Es besteht ein Gegensatz zwischen dem Schluß vom Allgemein-Satz auf den Einzelfall und dem Einzelfall. Konvers. IMPL: Der Bart ist lang. Stellt man die Beobachtungen über die Konjunktion aber und die MP aber nebeneinander, so ist zu erkennen, daß die linguistische Bedeutung (semantische Äquivalenz mit und, dazu ein konventionell implizierter Gegensatz) gleich ist und damit auch die zugrundeliegenden Strukturen einfacher Sätze mit konjunktionalem und modalem aber weitgehend übereinstimmen, was sich in den Quasi-Syllogismen (I) und (II) spiegelt. Die funktionalen Unterschiede drücken sich in der intensivierenden Funktion der MP aus, in dem Umstand, daß ihr Skopus mithilfe einer konvers. IMPL erschlossen werden muß (es sei denn, er wäre ζ. B. durch ein Adjektiv angegeben), und in der Oberflächenstruktur. Nimmt man an, daß Al, B1 usw. tatsächliche Realisierungen der Satztypen A, Β usw. in den Quasi-Syllogismen (I) und (II) sind, so kommen folgende Satzkombinationen mit aber vor: Konjunktionales aber·, a) A - aber - D. (ζ. B. in (3a)); b) Aber - D. oder D+aber. (3d) . Modales aber: A+aber. Die MP aber tritt grundsätzlich nur in dem als Propositio minor geäußerten ersten Konjunkt einer Koordination auf, in das es
53
von der Nahtstelle der beiden Konjunkte transportiert worden ist. Wie alle MPn nimmt es dort den Platz nach dem finiten Verb ein, wobei unter Umständen Pronomina dazwischentreten können. Das zweite Konjunkt ist bei modalem Gebrauch stets implizit und mitverstanden. Wirkt die Wortstellung nicht distinktiv, kann die Intonation herangezogen werden. Doch auch die Verteilung der Akzente im Satz allein genügt meist nicht, beispielsweise nicht in (11) und
(12), um konjunktionales aber von modalem zu unterscheiden.
(11)
(12)
[Peter trifft Detmar, von dessen Bart er gehört, ihn aber noch nicht gesehen hat; Peter ruft überrascht aus:] Du 'hast aber einen Bart! (Stolperst du nicht fortwährend darüber? [Peter beklagt sich:] Immer muß ich den Weihnachtsmann spielen! Wenn ich doch bloß keinen Bart hätte! [Detmar entgegnet:] Du 'hast aber (nun mal) einen Bart. (Oder willst du ihn dir ab schneiden3 nur weil einmal im Jahr Weihnachten ist?).
Notierte man
(11) und
(12) ohne Kontext, könnte meines Erach-
tens auch die Intonation nicht eindeutig den Unterschied
zwi-
schen Konjunktion und MP tragen. Dagegen scheint in der tatsächlichen Rede der Kontext allein primär und die Intonation nur sekundär distinktiv zu sein
(geeignete Wortstellung vorausge-
setzt; am Satzanfang ist aber immer konjunktional). Erwähnt seien noch zwei Punkte. Zum einen behält die Erwartungsnorm, die sich in dem Allgemein-Satz niederschlägt, in den Augen des Sprechers in der Regel ihre Gültigkeit über den kontrafaktischen Einzelfall hinaus. Auch nach
(3a) wird der
Sprecher von dem Erfahrungssatz ausgehen, daß Hauptstädte im allgemeinen groß sind. Dabei wird die Norm zwar als allgemeingültig hingestellt, aber der Sprecher ist sich durchaus bewußt, daß sie wegen ihrer Subjektivität nicht in jedem Fall als auch für den Hörer verbindlich akzeptiert werden wird
(ζ. B. in (2d)
und (2e)). Einige Erfahrungssätze sind dabei weniger (2a), (3a) und
(5b)), andere mehr von dem Alltagswissen betrof-
fen (ζ. B. (2d),
(2e), (3b)); ersetzt man in der Bundesliga
(3b) durch in der Schulmannschaft,
in
so wird wegen des fehlenden
Gegensatzes diese Äußerung unverständlich ein anderes
(ζ. B. in
(bzw. vom Hörer auf
'sous-entendu' hin analysiert).
54 Zum anderen wird mit modalem aber in der Regel r a s c h u n g
Ü b e r -
ausgedrückt, was wahrscheinlich auf die Dis-
krepanz zwischen Erwartetem und Eingetretenem zurückzuführen ist. Zusätzlich werden vom Hörer noch eine Reihe möglicher anderer pragmatischer Funktionen als konvers. IMPLen erschlossen, beispielsweise Lob oder Mißbilligung und Ironie hübsehe
Frisur!
(Du hast aber
eine
als Äußerung gegenüber einem Hörer, der seine
28 verbliebenen Haare gescheitelt trägt.).
0
Da sich der Spre-
cher in Ausrufen gewöhnlich auf Offensichtliches bezieht, ist ein Widerspruch gegen die Wahrheit der als Proposito minor in (II)
repräsentierten Sachverhalte meist nicht möglich. Eine
widersprechende Antwort Nein, etwa nach Kuchen
ist gar nichts
Besonderes·
(5a) (Ach nein,
nur eine Kleinigkeit
der heute
zum
Kaffee.), wird sich daher in der Regel gegen die mitverstandenen pragmatischen Funktionen, hier gegen das Lob des Sprechers, richten.
4.1.3.
Vielleicht
4.1.3.1. Vielleicht
Modalwort kann in seiner Verwendung als MW mit der Paraphrase
es ist möglich
umschrieben werden; es kommt in Aussagesätzen und
Entscheidungsfragesätzen vor: (13a) Vielleicht ist sie schwanger. (13b) Ernst ist vielleicht zum Sport gefahren, zu Hause ist er jedenfalls nicht. (14a) Kennst du vielleicht von Niebelschütz 'Der blaue Kammerherr'? Das würde mich freuen, dann könnten wir uns einmal ausführlieh über die Rolle der griechischen Mythologie darin unterhalten. (14b) Kann es vielleicht sein, daß wir uns in Edinburgh begegnet sind? 10
Vgl. zu Ironie als "Wort-Tropus" und als vom Kontext abhängig Lausberg (1963; 1967:78f.), wo es unter anderem heißt: "die ironischen Wörter [werden] im Enderfolg in einem Sinne verstanden [...], der ihrem eigentlichen Sinn entgegengesetzt [...] ist", und "das allgemeine Signal [...] der Ironie ist der Kontext".
55 4.1.3.2.
Modalpartikel
Nimmt man Wortstellung nach dem finiten Verb an, so läßt sich anhand der Intonation allein oft nicht unterscheiden, ob es sich bei vielleicht
in einem Aussagesatz um eine MP oder um ein MW
handelt; erst der Kontext trägt dazu bei, daß die Funktion eindeutig ersichtlich wird. (15a) Du hast vielleicht einen Bart! (15b) Ich kenn' meine Bücher im Augenblick vielleicht auswendig, das ist toll! (15c) Ich hab' vielleicht einen Hunger! (15d) ... und dann schreiben sie noch> ich sei ein Zappelphilipp; nat ich haV vielleicht Eltern! (15e) ... und um seine Ski hat er sich auch noch nicht gekümmert; das ist vielleicht ein Tränentier! (15f) ... und dann hat er noch die Stirn gehabt zu behauptent ich könne nicht autofahren; na3 da bin ich (ich bin) vielleicht fuchtig geworden. (15g) Als Betthupferl habe ich ihm den Witz von dem Skelett erzählt, das in eine Kneipe kommt und am Tresen ein Bier und ein Aufwischtuch verlangt; der hat vielleicht gelacht. (15h) Du kennst doch Edinburgh und den Wind dort. Im Januar war ich mal wieder für ein paar Tage da. Du machst Dir keine Vorstellungen: Das hat vielleicht gestürmt! Aber und vielleicht
sind in modaler Funktion in Aussagesätzen,
die Ausrufe sind, weitgehend miteinander austauschbar,
jedoch
nicht immer. Es fällt außerordentlich schwer, den Unterschied herauszuarbeiten. Nach meinem Sprachgefühl benen Kontexten in (15d), (15e) und
kann in den angege-
(15h) vielleicht
nicht
durch aber ersetzt werden. Dies liegt möglicherweise daran, daß sich aber dadurch, daß es generell einen Gegensatz impliziert, auf etwas für den Sprecher selbst Neues zieht, während mit vielleicht
(und Unerwartetes) be-
nicht nur auf etwas für den Spre-
cher Unerwartetes, weil es unerwartet ist, Bezug genommen wird, sondern auch auf die Erwartung des Hörers. Aber
steht daher nur
in Ausrufen, die eine starke Überraschung des Sprechers ausdrücken. Vielleicht
impliziert konventionell keinen Gegensatz,
wenn auch zu beachten ist, daß Ausrufe generell eine Abweichung von der Erwartung des Sprechers und also einen Gegensatz zwischen Erwartetem und Eingetretenem als auslösendes Moment haben. Ich gehe davon aus, daß zwischen vielleicht MW und als MP ein Zusammenhang besteht
als epistemischem
(der jedoch sicherlich
56 nicht mehr so eng ist
wie beispielsweise bei
konjunktionalem
und modalem aber) . Man könnte die MP vielleicht als
'epistemic qualifier' im Sinne Catons
(wie das MW)
(1966 und 1969)
pretieren, bezogen nicht auf die Wahrheit des gegebenen (nicht auf das vielleicht
'pose' im Sinne Ducrots
inter-
Satzes
(1969), wie dies beim MW
der Fall ist), sondern auf die Relation des Erwarte-
ten zum tatsächlich Eingetretenen. Eine Gegenüberstellung Paraphrasierungsmöglichkeiten
soll das
der
verdeutlichen:
(16a) Ich hab' vielleicht Hunger, aber vielleicht nagt auch nur der Durst an meinem Inneren. [MW] (16b) Das hat vielleicht gestürmt, aber vielleicht war es auch nur mein Ohrensausen, was ich für den Sturm gehalten habe. [MW] (17a) Ich hab' viel leicht Hunger, du kannst es dir vielleicht (nicht) vorstellen (was für einen Hunger ich habe)! [MP] (17b) Das hat vielleicht gestürmt, du kannst es dir vielleicht (nicht) vorstellen (wie ...)! [MP] Die Möglichkeit, die MP vielleicht dir
vielleicht
(nicht)
mit der Wendung du kannst
vorstellen
zu paraphrasieren,
scheint
eine Erklärung zu sein für die Nicht-Akzeptabilität von das auf den Sprecher selbst bezogen ist, in
(15d),
es
aber,
(15e) und
(15h) . Auch in den rhetorischen Fragen Wahrheit der Proposition gefragt
(18) wird nicht nach der
(wie in
(14)), sondern
nach
der Vorstellungskraft des Hörers: (18a)
"Was heißt, du bist Dramaturg? [...] Ist das vielleicht angeboren?" (2:263) (18b) Du kannst dich ja gar nicht losreißen von diesem Getöse; ist das vielleicht schön? (18c) "Jawohl, Lehrjahre sind keine Herrenjahre, stimmt das vielleicht nicht?" (2:117) (18d) Woher soll ich das wissen? Kann ich vielleicht hellsehen? (18a) ist demnach zu paraphrasieren als Stellst
leicht
vor,
vorstellen,
das
sei angeboren?
oder Kannst
du dir
du es dir
... mit der suggerierten Antwort Nein.
Die
vielvielleicht sugge-
stive Funktion der rhetorischen Fragen mit vielleicht
erklärt
auch die Äquivalenz mit suggestivem etwa,
viel-
leicht vor:
ersetzen kann. Für
das in
(18)
(18b) schlage ich folgendes
Schema
57 Χ XI Y Yl
= = =
(IV)
Man kann sich gar nicht Du kannst dich gar nicht Getöse ist schön. Das Getöse ist schön. Ich nehme an, daß weil XI und wenn X3
losreißen losreißen
von diesem von diesem
Getöse. Getöse.
nicht-Yl; dann gilt im allgemeinendaß
also gilt für XI wahrscheinlich3 deshalb frage ich dich, vorstellen, daß Yl?
kannst
Y;
daß Yl; du dir
(vielleicht)
Der Unterschied zwischen diesem Schema und einem für die zugrundeliegende Struktur eines Satzes mit vielleicht
als MW liegt
in der Erwartung, daß etwas so ist, in (IV) ausgedrückt durch Ich nehme an, daß nicht-Yl,
die im MW-Schema fehlen würde. So
wäre dem Rechnung getragen, daß Fragen mit vielleicht
als MW
eine neutrale, als MP dagegen eine negative Orientierung zei11 gen. 4.1.4.
Denn
4.1.4.1.
Konjunktion
Als kausale Konjunktion steht denn
in Nebensätzen ohne Inversion
und kann auf eine zugrundeliegende kausale Verknüpfung führt werden, wobei man denn durch deshalb kann, wie dies Härtung 11
... weil
zurückge-
ersetzen
(1964:116ff.) getan hat.
Aussagen werden oft als Ausrufe interpretiert, wenn sie mit vielleicht geäußert werden. Vgl. die folgenden Beispiele, in denen die Wahl des Personalpronomens statt des Demonstrativpronomens den Wechsel von Ausruf {der) zu Aussage (er) markiert : (i) 'Der ist vielleicht dumm! [MP] (ii)* 'Er ist vielleicht dumm! [MP] (Vgl. ähnlich Roncador 19 75:108.) Quirk et al. (1972:58) weisen übrigens darauf hin, daß die Voraussetzung für die Möglichkeit, die implizite von der Erwartungsnorm abweichende Eigenschaft (ζ. B. des Bartes) nicht zu verbalisieren, von der Indefinitheit der betroffenen NP abhänge. Nur so sei gewährleistet, daß der Kontext zur Erläuterung oder Disambiguierung herangezogen werden könne. Diese Beobachtung gilt auch für das Deutsche; die folgenden Äußerungen sind ungrammatisch: *Isn't it the terrific view!; *Ist das nicht die herrliche Aussicht!; *Wasn't it the film!; *Das 'war vielleicht der Film! Darüber hinaus ist festzustellen, daß Graduierbarkeit von NPn allgemein erst durch Indefinitheit erreicht wird (Hinweis M. von Roncador (Augsburg) ) .
58
(19a) Der Zug war unpünktlich/ denn die Strecke war durch Schneewehen blockiert. (19b) Der Zug war deshalb unpünktlich, weil die Strecke durch Schneewehen blockiert war. (20a) Er feiert gerne Feste3 denn er ist Rheinländer. (20b) Er feiert deshalb gerne Feste, weil er Rheinländer ist. (21a) Anke hat braune Augent denn Sanni hat es mir erzählt. (21b) Ich behaupte (sage) deshalb, daß Anke braune Augen hat3 weil Sanni mir das erzählt hat. In (19) und
(20) handelt es sich jeweils um einen restriktiven,
in (21) um einen nicht-restriktiven kausalen Nebensatz, wobei im letzten Fall, folgt man der performativen Analyse, der Nebensatz allerdings ein implizites performatives Verb wie behaupten sagen restringiert
(vgl. zu dieser Analyse Rutherford
oder
1970).
Auch solche Äußerungen mit kausaler Verknüpfung kann man als unvollständige Quasi-Syllogismen darstellen. Jeder Satz eines Quasi-Syllogismus kann zum Im allgemeinen
1
sous-entendu' werden, in (20) ζ. B.
gilt für alle Rheinländer3
daß sie gerne
Feste
feiern. Die Beziehungen der beiden kausal verknüpften Sätze lassen sich auch als Einschluß konjunktionalem denn wie
('entailment') auffassen. Äußerungen mit (19a) sind dann folgendermaßen para-
phrasierbar: (22)
Wenn Strecken durch Schneewehen blockiert werden, dann sind Züge unpünktlich; die Strecke war durch Schneewehen blockiert und der Zug war unpünktlich.
Möglich ist auch, daß die Kausalität als Folgebeziehung
zwischen
den beiden Teilsätzen in (19a) (oder zwischen dem performativen Satz und dem Satz, den denn einleitet) als konvent. IMPL verstanden wird, wie dies Grice therefore
(deshalb) getan hat
(1975:44f.) im Zusammenhang mit (vgl. aber dagegen Kempson
213ff.), die für die Annahme einer Einschlußbeziehung
(1975:
argumen-
tiert) . 4.1.4.2. Modalpartikel Die MP denn kann mit Blick auf die homophone Konjunktion in ähnlicher Weise erklärt werden. Sie steht nur in Fragesätzen (als Entscheidungsfrage und Ausruf):
(23), Ergänzungsfrage, rhetorische Frage
59
(23a) Komm> ich fahr dich jetzt nach Hause. - Hast du denn einen Führerschein? (23b) Ich gehe mir Zigaretten holen. - Hast du denn keine mehr ? (23c) "Wer weißt wie lange man das noch könne. Wieso? fragte meine Muttery komme er denn von hier weg? Nein3 aber es könne ja mal sein> nicht?" (4:180) (23d) ... vor allem machen mir diese hohen Zahnarztrechnungen zu schaffen. - Wieso? Sind Sie denn nicht versichert? (23e) Bettina macht sich nichts daraust daß'Nora so lange schläft. - Schläft sie denn so lange? Fragesätze mit denn drücken gewöhnlich die Überraschung des Sprechers aus, die auf die Diskrepanz zwischen der Erwartung und einem aus der Situation oder der vorhergegangenen Äußerung des Gesprächspartners erschlossenen impliziten Satz zurückgeht. Denn bezieht sich auf PSPen wie in (23e) (Nora schläft oder IMPLen wie in (23a) und Er hat keine
Zigaretten
(23b) {Er hat einen
mehr.)
so
lange.)
Führerschein.;
und weist darauf hin, daß die
jeweilige Wahrheit dieser Sätze der Erwartung des Sprechers 12
nicht entspricht.
Diese bezieht sich auf die Propositio minor
eines Quasi-Syllogismus, dessen Konklusion mit dem tatsächlichen Sachverhalt nicht übereinzustimmen scheint. Zwei Möglichkeiten bieten sich dem Sprecher für die Erklärung der Nicht-Ubereinstimmung der Konklusion und des Sachverhalts an. Er kann annehmen, daß der Allgemein-Satz
(Propositio maior) falsch ist,
braucht jedoch nicht zu unterstellen, daß der Gesprächspartner bewußt die geltenden Regeln und Konventionen und damit das allgemeine Kooperationsprinzip verletzt. Als Alternative bietet sich die Annahme an, daß die Propositio minor falsch ist oder, genauer, die Erwartung des Sprechers, bezogen auf die Propositio minor. Für
12
(23a) kann man folgendes Schema annehmen:
Vgl. auch Conrad (1976:89f.), der Entscheidungsfragen mit denn zum "emotional-konstatierenden Typ" präsumptiver Fragen rechnet: "Sie stellen nämlich eine emotionale Reaktion dar, der eine Annahme zugrunde liegt, die der Sprecher bis zum Zeitpunkt der Fragestellung für gültig gehalten hatte, nun aber in Zweifel ziehen muß, weil neue Tatsachen aufgetaucht sind, die davon zeugen, daß das Gegenteil von dem zutrifft, was er bisher geglaubt hatte."
60 Χ - Man hat einen XI - Du hast einen Y - Man fährt Y1 - Du fährst (V)
Führerschein. Führerschein.
Auto. Auto.
Ich nehme an3
daß
nicht-X;
weil ¥1 und wenn Y, dann gilt im daß X; also gilt daß XI; deshalb
(auch in diesem Fall)
frage
allgemeinen3 wahrscheinlich3
ich dich, ob XI?
Konvent. IMPL: Es wird eine Kausalbeziehung drückt.
ausge-
Ähnlich wie die Konjunktion denn führe ich die MP auf zugrundeliegendes deshalb
... weil
zurück und nehme an, daß auch modales
denn eine Kausalbeziehung auszudrücken vermag. Während aber die Konjunktion eine Folgebeziehung zwischen zwei geäußerten Sätzen (wie in (19) und (20)) oder, seltener, zwischen einem geäußerten und einem impliziten Satz (wie in (21)) herstellt, verbindet die MP immer einen mitverstandenen Satz oder, genauer, den Schluß aus einer Reihe von Sätzen mit dem Satz, in dem es (meist) nach dem finiten Verb der NP steht. Die Polarität der denn-Frage ist der Polarität der Erwartung bzw. der Propositio minor entgegengesetzt nicht-X;
(Ich nehme
an3
daß
ich frage dich, ob X? oder umgekehrt in Sätzen wie
Gehst du denn nicht auf den Ball?).
Dies hat zur Folge, daß Ent-
scheidungsfragen mit denn stark suggestiv sind, wobei die Polarität der erwarteten Antwort und die der Frage übereinstimmen. Conrads
(1976:90) These läßt sich demnach bestätigen, daß "Prä-
sumptivität einer Frage kein [wie dennt
[...] in der Regel mit Hilfe von Parti13 etwa] ausgedrückt wird".
Anzumerken bleibt noch, daß die Gültigkeit der Erwartungsnorm über den aktuellen Einzelfall hinaus nicht erhalten bleibt, anders als dies bei Äußerungen mit aber zu beobachten ist
(vgl.
weiter vorn S. 46ff.).
13
Zur Unterscheidung zwischen 1 präsumptiven 1 und Fragen verweise ich auf Conrad (1976:85ff.).
1
dubitativen 1
61
Ergänzungsfragen mit denn
geht in der Regel ebenfalls eine ver-
bale oder nicht-verbale Handlung voraus, die den Schluß auf die mögliche Ungültigkeit der Sprechererwartung
nahelegt.
(24a) "[Er ist entsetzt über den Trubel in ihrer Wohnung und sagt beim Ausziehen des Mantels:] 'Wer ist denn altes da, um Himmels willen?"' (2:18) (24b) "'Wieso Johanna? loh denke, die heißt Elvira?' 'Wer hat Ihnen denn den Quatsch er zählt? '[... ] 'Kennen Sie zufällig eine gewisse Elvira?' 'Elvira? Wer soll denn das sein?'" (2:27) (24c) "[Liegt im Krankenhaus, wacht auf:] 'Mir sagt ja keiner was', sagt sie, 'was habe ich denn überhaupt?'" (2:185) (24d) Guten Tag, Frau Lehmann, was hätten Sie denn gern? (24a) könnte man so paraphrasieren: Ich nahm viele wenn
Leute
hier
Trubel
deshalb
sind;
herrscht,
frage
weil dann
ich dich,
aber sind
welche
solch
an,
ein Trubel
im allgemeinen Leute
daß
da sind?
nicht
so
herrscht
viele
(und
Leute
da),
Die PSP, daß
viele Leute da sind, die der Sprechererwartung
entgegengesetzt
ist, wird dabei akzeptiert und nicht in Frage gestellt. Dazu kommt, daß der Fragende aufgrund der Gesprächsumstände überzeugt ist, daß der Gefragte die Antwort kennt Weydt 1969:34). und nur,
davon
(vgl. ähnlich
(Dies ist bei Fragen mit MPn, ζ. B. mit
nicht selbstverständlich,
Betrachtet man
liche Sachverhalte
vgl. hier S. 70ff.).
(24d) oder Wie heißt
andere Wirkungsweise der MP denn
du denn?
wird noch eine
deutlich. Fragen, die
(Eigennamen) oder persönliche
auffordernd,
wenn sie nicht mit Frageintonation und ohne Partikel Sie?
persön-
Handlungen
(Einkaufen) betreffen, klingen leicht schroff und
werden: Wie heißen
bloß
gesprochen
Eine derartige Äußerung wird als Befehl
zu antworten aufgefaßt. Befehle oder Aufforderungen
in Frage-
satzform zu kleiden, hat also durchaus nicht immer eine abschwächende oder mildernde Wirkung mal das
Salz
haben?
(was dagegen bei Kann
der Fall ist). Denn
übt jedoch eine
ich stark
mildernde Funktion in Fragen aus und dient damit - wie die meisten MPn - als Mittel, die Gesprächsmaxime der Höflichkeit nicht zu verletzen. Die Partikeln in Wie heißen Wie heißen
Sie eigentlich?
Wirkung. Der Unterschied die Frage mit denn
Sie
denn?
haben von daher gesehen die
und
gleiche
zwischen beiden liegt darin, daß sich
auf ein vorangegangenes Ereignis als aus-
62
lösenden Stimulus für die Äußerung beziehen kann, die Frage mit eigentlich
dagegen nicht:
(25a) Wissen Sie, und dann hänseln miah die Großen immer wegen meines Namens und ... - So? Wie heißt du dennt Junge? (25b) [wie oben] - So? *Wie heißt du eigentlich, Junge? Akzeptabel wäre in (25b) dagegen die Kombination denn 7 · u 14 Ivch.
eigent-
Je nach Intonation und Kontext können Äußerungen, mit denn mehr oder weniger fragend und mehr oder weniger ausrufend gebraucht werden. Die folgenden rhetorischen Fragen kommen Ausrufen nahe: (26a) Ob die frisch schmecken? Wie kommst du denn darauf? Wer kann es sich denn heute noch leisten t seine Eier von glücklichen3 mistkratzenden Hühnern zu beziehen? (26b) Natürlich rufe ich jetzt eine Taxe. Wer kann denn noch Auto fahren? (26c) Wir schreiben ihm jetzt einen Brief und §etzen ihm eine Frist für die Beseitigung der Mängel in unseren Wohnungen. Die mündlichen Beschwerden haben doch nichts genützt. Was ist denn dabei herausgekommen? (26d) ... und da hat er gemeint3 er wolle lieber Paulchen bitten3 mit ihm das Klavier hochzuschleppen. Das ist doch die Höhe3 nicht? Bin ich denn nicht stark genug? Auch in diesen Fällen wird die der Erwartung
entgegengesetzte
Polarität geäußert. Vom Hörer wird allenfalls eine Bestätigung oder Zustimmung erwartet zu den mitverstandenen Sätzen wie Keiner
kann es sich heute noch leisten
Echten Ausrufen mit denn
... (nach
(26a)).
(in Fragesatzform, d. h. mit Inver-
14 Es besteht im Deutschen auch die Möglichkeit, denn in Ergänzungsfragen mit einem besonderen Akzent hervorzuheben: Wie heißt du 'denn? Wir haben es dabei aber nicht mehr mit der MP, sondern mit dem Adverb denn zu tun, das im Sinne von stattdessen verstanden wird. Der Satz hieße demnach: Wenn du nicht Karl heißt3 wie heißt du stattdessen? Dabei fällt die Parallele zur modalen Verwendung von denn auf, wenn man ein Lexem wie dann hinzufügt: Wie heißt du denn 'dann? Die historische Entwicklung von einer temporalen Konjunktion zu einer kausalen (denn im Sinne von wenn dann) und schließlich zur modalen Partikel wird in diesem Zusammenhang deutlich. Zu denn dann vgl. Stuckrad (1957). - Zu der Verwendung von denn als Vergleichspartikel im Sinne von als (teilweise veraltet, vgl» Duden (1959; 1966:233)), scheint mir, von der MP denn aus gesehen, keine aufzeigbare Verbindung zu bestehen. Zu weiteren Gebrauchsweisen des Lexems denn vgl. Krivonosov (1963a:74ff.).
63 sion) entsprechen Ausrufe
(ohne Inversion oder mit Inversion
und einleitendem Fragewort) mit modalem j'a und doch: (27a) (27b) (28a) (28b) (29a) (29b)
Ist das denn nicht herrlich! Ist das denn zu glauben! Das ist j'a/doch herrlieh! Das ist "Jä/äocTi nicht zu glauben! Was ist ~c[äs doch herrlich! *Was ist das doch nicht zu glauben!
Die Entsprechungen gelten auch bei umgekehrter Polarität
(vgl.
(27b), (28b)), bis auf die Ungrammatikalität von doch in nega15 tiven Aussagesätzen mit einleitendem Fragewort (29b). Man könnte auch in bezug auf diese Ausrufe denn als Indikator für eine zugrundeliegende Kausalität ansehen, die sich auf die Relation zwischen Sprechererwartung und Sachverhalt bezieht, und folgende Paraphrase annehmen: nehme αηΛ
daß nicht-X;
weil
(X sei Das ist herrlich.) X
3
d e s h a l b
Ich rufe
aus, daß X. Manfred von Roncador, der in seiner Arbeit
ich
(Roncador
1975) Ausrufe auch unter dem Aspekt ihrer Hörerzugewandtheit untersucht, weist mich auf eine zweite Möglichkeit hin. Die Kausalität kann nämlich auch auf das Verhältnis der Gesprächspartner zueinander bezogen werden, so daß sich etwa folgende Umschreibung anbietet:
D e s h a l b
nicht herrlich!weil herrlich
ich annehme3
(und bist deshalb
nicht darüber
rufe ich aus
'Ist das
du findest überrascht
es
nicht
). Der
Sprecher suggeriert einen Konsensus, den er erreichen will und nicht von vornherein zwischen sich und dem Hörer für gegeben hält. Auch diese Lösung ist denkbar, obgleich mir beides vorhanden zu sein scheint: zum einen rufe ich aus Ist das herrlich!,
w e i l
ich überrascht bin, d. h.,
nicht
w e i l
ich X nicht erwartet hatte, und zum anderen will ich Übereinstimmung mit dem Hörer nicht so sehr hinsichtlich des Sachverhalts, 15
der
(gewöhnlich) offensichtlich ist, sondern vielmehr
Vgl. zu doch S.104ff. und zu ja S. 94ff. - Zur Illustration des eben Gesagten dient auch der folgende Textausschnitt: Nun, er sagte das so oft, daß man schon gar nicht mehr hörte, [...] und später hatte er zwei Ausdrucksformen dafür 'Ich bin doch kein Unmensch' und 'Bin ich denn ein Unmensch?' (Boll, Heinrich. 1971. Gruppenbild mit Dame. Köln. S. 225)
64 hinsichtlich meiner Einstellung (Überraschung, Erstaunen, Ab16
scheu, Bewunderung usw.) erzielen. Mit anderen Worten: Die (als konvent. IMPL erklärbare) Kausalität, die mit denn ausgedrückt wird, löst beim Hörer eine konvers. IMPL im Zusammenhang mit Ausrufen in Fragesatzform wie (2 7a) aus. Der Hörer wird folgern, daß der Sprecher zwar etwas Offensichtliches
erwähnt und damit die Quantitätsiuaxime verletzt
hat, aber ihm zu unterstellen ist, daß er kooperieren will. Aus den Gesprächsumständen und der Frageform des Ausrufs zusammen mit der suggestiv verwendeten Negationspartikel nicht kann der Hörer schließen, daß der Sprecher X nicht nur ausruft, weil er X nicht erwartet hatte und darüber erstaunt ist, sondern vor allem weil er annimmt, daß der Hörer die Reaktionen des Sprechers (Erstaunen, Bewunderung, Verärgerung - je nach der Situation) nicht teilt, sich also nicht freut, daß X, oder überrascht ist, daß X usw. D. h. der Sprecher, der denn in einem als Ausruf fungierenden Fragesatz mit der Partikel nicht verwendet, will sich vergewissern, daß die Tatsache, daß X erfreulich oder überraschend ist, zum PUD im Sinne Kempsons (1975:167ff.) gehört. Es ergeben sich hier Parallelen zu bestimmten Fragesätzen mit folgenden 'tag questions' im Englischen, auf die ich noch zurückkommen werde. 4.1.5.
4.1.5.1.
Etwa
Adverb
Als Adverb kann etwa auf eine Konstruktion wie Es ist möglich3 daß
es mag sein, daß ... zurückgeführt und durch Lexeme wie
ungefähr, womöglich paradigmatisch ersetzt werden. Modifiziert wird die Gültigkeit der Wahrheit einer Proposition. (30a) Das Flugzeug hatte etwa zehn Minuten Verspätung, als wir in Warschau lande ten. 16
Folglich ist auch nach negativen Ausrufen mit denn nicht die Partikel ja als Hörer-Reaktion akzeptabel, während gewöhnlich im Deutschen nach negativen Fragesätzen mit doch (oder nein) geantwortet werden muß: Ist das denn nicht ein herrlicher Blick? - Ja.
65 (30b)
Schmecken Sie die fertige Masse mit etwa drei Zitronensaft ab! Kannst du etwa gegen Mittag bei uns sein?
(30c)
4.1.5.2.
Eßlöffeln
Modalpartikel
Die Grundbedeutung es ist möglich,
daß . . . liegt auch dem Ge-
brauch von etwa als MP zugrunde. In dieser modalen Funktion tritt etwa nur in Entscheidungsfragen auf und ersetzt MW wie möglicherweise, (31a) (31b)
die dort gewöhnlich nicht vorkommen:
Sag mal, kaust du etwa Kaugummi? Hast du dich etwa für die Wahlen zum Fachbereichsrat nicht aufstellen lassen? 'Liebesgrüße aus der Unterhose' war wirklich ein langweiliger Film. - Was! Hast du dir den etwa angesehen?
(31c)
Eine "positive Antwort befürchtend", dieser Formulierung von Schulz/Griesbach
(1960; 1970:351), auf den Sprecher einer
solchen Entscheidungsfrage bezogen, möchte ich mich anschließen. Bezüglich der erwarteten Antwort sind Fragen mit etwa nicht wertneutral und unterscheiden sich darin gewöhnlich von Fragen mit denn. Die Sprecher von
(31) befürchten, daß die erfragte
Proposition bestätigt wird oder, anders ausgedrückt, sie wünschen dies nicht. Dieses Nicht-Wünschen oder Nicht-Wollen beruht auf der Grundbedeutung es ist möglich> Für Kaust du etwa Kaugummi?
daß ... von
etwa.
in (31a) läßt sich folgendes Schema
aufstellen: X XI Y Y1 (VI)
= = -
Man kaut Kaugummi. Du kaust Kaugummi. Man kaut und schluckt nicht hinunter ... Du kaust und schluckst nicht hinunter ... Ich nehme an3 weil Yl3 daß X;
daß es nicht möglich
und wenn ΥΛ dann gilt im
also gilt wahrscheinlich daß XI; deshalb
frage
ich dichΛ
ist3
allgemeinen3
(auch in diesem ist es möglichΛ
Konvers. IMPL: Ich will nicht daß XI.
(ich
daß XI;
Fall)t daß XI?
befürchte)Λ
Die Frage nach der Möglichkeit der Wahrheit eines Sachverhalts mit etwa läßt den Schluß auf die Implikatur zu, daß der Sprecher
66
von der Unmöglichkeit der Wahrheit von X ausgegangen ist, die seiner individuellen oder einer allgemeinen, gesellschaftlichen Erwartungsnorm widerspricht. Zusätzlich löst der Gebrauch des modalen etwa in (31) die konvers. IMPL aus, daß der Sprecher die Möglichkeit der Wahrheit von X auch nicht erhofft, also nicht will, daß X zutrifft. Entscheidungsfragen mit etwa sind demnach stark suggestiv; sie gehören wie denn ebenfalls zu den präsumptiven Fragen (im Sinne Conrads 1976). Es läßt sich nun auch die Wirkung einer Frage wie (32) erklären: (32)
[In der Runde der Kaffeetanten fragt die Gastgeberin eine der anwesenden Damen:] Möchten Sie etwa noch ein Stück Kuchen?
Je nach der sozialen Zusammensetzung der Gruppe wird (32) betretenes Schweigen oder Heiterkeit auslösen, da etwa von den Anwesenden als Zeichen dafür interpretiert wird, daß die Gastgeberin nicht will und nicht wünscht, daß jemand noch ein Stück Kuchen ißt. Diese Einstellung ist gewöhnlich nach den auch im Kreise der Kaffeetanten geltenden gesellschaftlichen Regeln zumindest unüblich. Die entsprechende Frage mit denn zeigt dagegen nur die Überraschung der Sprecherin über eine angenommene Bereitschaft, noch etwas Kuchen zu essen, ist jedoch hinsichtlich der erwarteten Antwort neutral. Kurz sei noch auf die Möglichkeit hingewiesen, etwa als Teil· der Kombination doch nicht etwa· in negativen Aussagesätzen, die eine Fragehandlung ausdrücken, zu verwenden: (33a) Man hat dich nicht sofort auf Platz Eins der Kandidatenliste gesetzt? Du schmollst? Du bist doch nicht etwa beleidigt? (33b) Sag mal, du kaust doch nicht etwa Kaugummi? (33c) Du spielst doch nicht etwa mit den Schmuddelkindern? Die Wahl der Negation und des Aussagemodus zusammen mit der Funktion von doch, einen Vorwurf im Widerspruch auszudrücken, verstärken die Wirkung des etwa und weisen darauf hin, daß der Sprecher die befürchtete Antwort Doch. nach (33) mißbilligen wird. Zusammenfassend sei vermerkt, daß die MP etwa mit dem Adverb etwa
die Grundbedeutung es ist möglich, daß . .. gemein hat und
67 von daher MW wie möglicherweise entspricht, die jedoch in Fragesätzen kaum vorkommen. Zusätzlich löst modales etwa in Entscheidungsfragen spezifische konvers. IMPLen aus. Beispielsweise wird der Hörer von (31) schließen, daß der Sprecher eijie zustimmende Antwort befürchtet, also will, daß nioht-X, während umgekehrt (34) so zu verstehen ist, daß der Sprecher eine zustimmende Antwort erhofft, also will, daß X: (34)
Guten Tagt Herr Doktor, ich möchte meinen kleinen Dackel Schnüffke abholen; es geht ihm wohl nicht besser? - Docht er hat erfreuliche Fortschritte gemacht^ die Dackellähme wird er bald ganz überwunden haben. - Was! Kann er etwa wieder laufen?
Abschließend möchte ich auf die auffallende Parallelität der Grundstrukturen der MPen vielleicht3
denn und etwa in Fragesät-
zen hinweisen. Ihr jeweiliger Gebrauch ist in erster Linie durch die unterschiedliche Haltung des Sprechers (ζ. B. wertneutral bei denn, nicht so bei etwa) und durch die in der Bedeutung von vielleicht und etwa vorhandene Modalität der Möglichkeit bestimmt.
4.1.6.
4.1.6.1.
Bloß und nur
Gradpartikel
Die beiden Partikeln bloß und nur, die hier wegen ihrer weitgehenden funktionalen Übereinstimmung zusammen analysiert werden, treten nicht nur als MPn, sondern auch als Gradpartikeln (GPn) und Konjunktionen auf. Nach Altmann (1976), auf dessen sorgfältige und ausführliche Untersuchung der GPn ich mich stütze, können beide Lexeme sowohl in quantifizierender
(35),
als auch in skalierender Weise (36) verwendet werden. (35a) Alle haben dem Vorschlag zugestimmt; nur/bloß Peter stellte sich abseits. (35b) Ich fühle mich hier in der Altstadt sehr wohl; nur/ bloß die Warschauer Altstadt wurde noch sorgfältiger wie deraufgebaut. (36a) Die Kürzungen haben den Fachbereichsrat nicht beunruhigt; es handelte sich nur/bloß um zwei Assistentenstellen (und möglicherweise sogar nur um eine).
68 (36b) "Gestern ist nur ein Amt mann ausgefallenf und möglicherweise sogar nur ein Oberinspektor." (Altmann 1976:101) Nimmt man an, daß X für Peter man, Horn
stellte
sich abseits.
steht/ kann
(1969) folgend, für (35a) mit der Subjekts-NP als
Skopus von nur/bloß
vorschlagen, daß X präsupponiert und ein
Satz wie Niemandder
nicht Peter war}
stellte
sich
abseits.
assertiert wird. Demzufolge kann man quantifizierendes als X und nicht nicht-X
nur/bloß
umschreiben.
Die skalierende Interpretation besagt darüber hinaus, daß nichts Schlimmeres, Wichtigeres, Bedeutenderes eingetreten ist. Altmann
(1976:101 f.) gibt an, daß "die Gültigkeit des genannten
Wertes"
(in (36) zwei und Amtmann)
keit eines oder mehrerer Oberamtmann)
präsupponiert, "die Ungültig-
'objektiv' höherer Werte"
(drei und
assertiert und zusätzlich "die Ungültigkeit eines
'objektiv' niedrigeren Wertes"
(eins und Oberinspektor)
konver-
sationeil impliziert werde. Die Erörterung der GP-Funktion von nur und bloß sei hier mit zwei Hinweisen abgeschlossen: Zum einen wird nach Altmann 107) lediglich
(1976:
ebenfalls quantifizierend und skalierend verwen-
det und kann, da es als MP nicht vorkommt, den Status von nur/ bloß in Zweifelsfällen klären helfen; zum anderen kann nur als GP mit Satzskopus stehen und unterscheidet sich insofern von konjuntionalem nur
4.1.6.2.
(vgl. Altmann
1976:254).
Konjunktion
Darin der GP ähnlich läßt sich die Bedeutung der Konjunktion nur vage mit dem Begriff
'Einschränkung' andeuten, wobei ein
Gegensatz mitverstanden ist. Ich nehme an, daß konjunktionales nur konventionell eine Einschränkung impliziert. Die Äußerung (37) : (37)
Er ist ganz zuverlässig,
nur trinkt
er.
kann man zunächst folgendermaßen paraphrasieren: Er ist ganz zuverlässig ist3
und das ist positiv;
dann folgt daraus
handelt
(positive
wenn jemand
im allgemeinen
Eigenschaften
3
ganz
zuverlässig
daß er auch sonst
hatj auf anderen
Gebieten
positiv posi-
69 tiv zu beurteilen trinkt
ist), aber dies
(und Trinken
gehört
nicht
ten) . Verkürzt führe ich Schema X XI Y II Ζ ZI (VII)
-
ist nicht der Fall, weil zu den positiven
er
Eigenschaf-
(VII) für (37) an:
Man ist zuverlässig. Er ist zuverlässig. Man trinkt. Er trinkt. Alle Eigenschaften (von A) sind positiv. Alle seine Eigenschaften (von Al) sind positiv. Wenn X, dann gilt im allgemeinen,
daß Z;
nun gilt zwar XI; also gilt wahrscheinlich aber nicht-ZI,
weil
(auch in diesem
Fall)
ZI;
II.
Der Übertragung der Gültigkeit des Schlusses auf den vorliegenden Einzelfall wird hier nicht widersprochen, wie mit der Konjunktion aber,
sondern sie wird nur eingeschränkt, wobei sich
jedoch durchaus ein Gegensatz zur Sprechererwartung ergibt. Aber nicht-ZI
in der linearen Repräsentation
(VII) eines Quasi-Syl-
logismus wird als nur realisiert im Sinne von weniger wartet.
er-
Als Konjunktion tritt nur, das meist paradigmatisch
durch hingegen
und jedoch
ersetzt werden kann, in Nebensätzen
mit Aussagesatzform mit und ohne Inversion auf seinem
als
Image
ein Etliches
schon recht nahe, nur/bloß länger
lich Basketball,
Balkon!).
tragenChristina
sie müßte
in Imperativsätzen
müßte
nur/bloß
(Rauch ruhig,
spielt höher
nur/bloß
(Ernst kommt er seine Haare schon recht
ordent-
springen .) , und geh dazu bitte
auf den
Leitet nur Frage-, Aufforderungs- oder Aussagesätze
ein, so werden Konjunktion und Satz durch eine Pause getrennt (Ich bin nicht nehmen
Sie ein
4.1.6.3.
neugierig.
Nur, duschen
Sie jeden Morgen
oder
Bad?).
Modalpartikel
Als MPn finden sich nur und bloß rhetorischen Fragen
in Imperativsätzen
(39) und Ausrufen
(38a) Komm nur/bloß her! (38b) Sei nur/bloß pünktlich! (38c) Laß dich nur/bloß nicht so
(40):
gehen!
um
(38),
70 (39a) "'Oh, was ist denn dies' sagte iah. 'Hab ich das denn verdient? Wie soll iah das bloß annahmen? [...] Wie kann iah dir bloß dafür danken? '" (4:362) (39b) loh verstehe den Jungen nicht. Wie konnte er nur sein ganzes Taschengeld in Asterix-Heftohen anlegen!? (39c) "Sie lädt mich sogar zu Kaffee und Kuchen ein, was hat sie heute nur mit mir, den Kaffee nehme ich dankbar an." (2:177" (39d) Du, es hat geklingelt. - Um diese Zeit, wer kann das bloß sein? (39e) Jetzt suchen wir schon eine halbe Stunde. Wo ist bloß unser Telephonbuch? (40a) [Karsten krabbelt völlig verschmutzt ins Zinuner, Bernd ruft entgeistert:] Um Himmels willen, wie siehst du bloß wieder aus!? (40b) Wenn es bloß endlich Weihnachten wäre! (40c) Kinder, was bin iah nur für ein Esel! Dabei ist der Ubergang zwischen den rhetorischen Fragen und den •Ausrufen einerseits und zwischen den rhetorischen Fragen und echten Ergänzungsfragen andererseits fließend und von Situation und Intonation abhängig. Einschränkend sei darauf hingewiesen, daß es sich bei den Äußerungen
(39) ebensowenig um echte rheto-
rische Fragen wie um echte Informationsfragen handelt. Man betrachte folgende Gegenüberstellung: (39e) Wo ist bloß unser
Telephonbuch?
(41)
Telephonbuch?
Wo ist denn unser
Ergänzungsfragen mit denn liegt die Überzeugung des Sprechers zugrunde, daß der Hörer die Antwort geben kann; rhetorische Fragen werden geäußert, wenn der Sprecher nicht nur selbst die Antwort kennt, sondern auch annimmt, daß der Hörer sie kennt. Ergänzungsfragen mit den MPn bloß und nur dagegen sind in erster Linie Fragen an den Sprecher selbst, der weiß, daß weder er noch der Hörer die Antwort kennt. Eine Antwort wird also vom Hörer nicht erwartet. Da jedoch die Proposition in Fragesatzform gekleidet wird, übt dies einen Zwang auf den Hörer aus, der aus der Verbindung von Form, MP und Gesprächssituation schließt, daß irgendeine sprachliche Reaktion von ihm erwartet wird Weiß ich doch nicht!;
Ich such ja schon heftig,
nach
(ζ. B. (39e)).
Ich erwähnte bereits, daß man einen Sprechakt dadurch auszudrücken vermag, daß man eine seiner Bedingungen äußert und umgekehrt, daß man etwas sagt, um eine Voraussetzung der Äußerung zu kommunizieren. Im ersten Fall spielen Gesprächspostulate,
im
71
zweiten
1
sous-entendus* eine Rolle
(vgl. S. 16ff.).
(39e) läßt
sich nun als Ausdruck der Motive der Frage erklären, nämlich als Ausdruck der Ratlosigkeit des Sprechers und seines Wunsches, etwas wissen zu wollen. Ausgelöst wird der Schluß auf diese nicht geäußerten Beweggründe durch den Bruch der Quantitätsmaxime. Der Hörer weiß in dem gegebenen Kontext, daß der Sprecher weiß, daß beiden die Antwort nicht bekannt ist, daß er aber trotzdem eine Frage stellt, um so zum einen seinen Wunsch kundzutun und zum anderen um den Hörer zu einer sprachlichen Reaktion zu bewegen, ihn dazu zu bringen, sich um die Erfüllung des Sprecheranliegens zu bemühen. Die Präsenz der MPn bloß und nur signalisiert, daß eine Gesprächsmaxime unbeachtet geblieben und daher auf eine andere Interpretation der Äußerung zu schließen ist. Diese MPn weisen demnach ebenso wie die entsprechenden Konjunktionen auf die Einschränkung eines Schlusses hin. Für Fragen mit nur/bloß X XI Ϊ Ζ (VIII)
= = =
formuliere ich folgendes Schema:
Man will viel wissen. Ich will viel wissen. loh will eines wissen. Wo ist unser Telephonbuah? Im allgemeinen
gilt, daß X;
auch für mich gilt im allgemeinen,
daß XI;
aber für mich gilt (jetzt) XI nicht, und nicht nicht-Y: Z? Die Umschreibung Y und nicht
nioht-Y
deckt sich mit der für die
Gradpartikel nur. Entsprechend lautet von (39e) loh möchte deres
nur eines
(es ist augenblicklich
Wunsch):
Wo ist unser
sondern Y
eine adäquate Paraphrase
(das eine) wissen
mein einziger
(und
und nichts
an-
wichtigster)
Telephonbuch?
In ähnlicher Manier kann man die Imperative
(38) mit bloß und
nur als Ausdruck des Wunsches des Sprechers beschreiben: ... ich habe nicht viele
Wünsche,
sondern
will nur, daß du X tust und nichts
nur den einen anderes.
..., ... ich
Dazu kommt bei
(38),
daß die Imperative als Bedingungen für Folgen geäußert werden, die aus der Beachtung oder Nicht-Beachtung der Aufforderung entstehen und negativ oder positiv für den Hörer sein können. Die Art dieser Sanktionen wird je nach den Gesprächsumständen als konvers. IMPL erschlossen. So kann
(38a) verstanden werden im
72 Sinne von Wenn du herkommstΛ
geschieht
dir nichts,
oder Wenn du
herkommst3
bekommst
du eine
Tracht
Prügel,
oder Wenn du
herkommst,
bekommst
du eine
Tracht
Prügel,
usw. Auch Geh
ins Bett, Radio
kann heißen Geh nicht
so laut3
leistest.).
daß du wieder
ins Bett.
aufstehst
(Sonst
und mir
stelle
hier
Wird aufgrund der Gesprächsumstände aus
nicht nur iah das
Gesellschaft (38a) die
Androhung von negativen Sanktionen geschlossen, so fällt die Äußerung in den Bereich der Ironie, da der Wunsch nur im gegensätzlichen Sinne daß
... und nichts
anderes.)
zugrundeliegende
(und nicht als Ich will
nur3
interpretiert werden kann. Wird
eine Aufforderung so verwendet, daß ihre Befolgung für den Hörer eine positive Konsequenz haben wird, wirkt nur ähnlich wie die MPn ruhig
und mal
stark mildernd und schwächt derartige Befehle
zu Ratschlägen oder Bitten ab: (42)
Du brauchst keine Angst zu haben. Komm nur her} ich will dir doch mal meine Eisenbahn
(*bloß) zeigen.
Nach meinem Sprachgefühl kann in dieser mildernden zwar nur,
nicht jedoch bloß
Funktion
stehen. Diese Restriktion
vermag
ich nicht zu erklären.
4.1.7.
Mal
Mal wird als MP vorzugsweise in Aufforderungen verwendet, die jedoch nicht nur die Struktur von Imperativ-, sondern auch von Aussage- und Fragesätzen haben können: (43a) "' Zeigen Sie bitte Ihren Ausweis. ' 'Ich habe keinen bei mir', sage ich. 'Dann kommen Sie mal mit. '" (2:35) (43b) "'Ach3 du bist nicht alleine'> sagt Taubisch. 'Stell uns wenigstens mal vor. '" (2:120) (43c) Mach uns mal einen Grog! (43d) "wie ist denn ihre Meinung, sagen sie doch mal was stellen sie sich denn vor?" (1:159) (44a) "aber sie sollten uns jetzt mal die Frage beantworten" (1:145) (44b) "und (na ja) und wie schaffen sie das überhaupt? wie machen sie das? das würde mich mal interessieren" (1:164) (44c) "'Ich heule gleich vor Mitleid'3 Jage ich. 'Du kannst mich mal_. '" ( 2 : 1 1 0 ) (45a) Kann ich mal das Salz haben? (45b) Reichst du mir mal den Ordner rüber? (45c) Willst du mal sehen3 wie man meine neuen Skischuhe mit einem GummibälIahen aufblasen kann?
73 Weydts (1969:46) Bemerkung, daß mal in seiner Funktion als MP immer durch einmal ersetzbar sei, kann ich weder bestätigen noch verneinen; es scheint mir in der Akzeptabilität von einmal statt mal starke idiolektale Unterschiede zu geben. Allerdings muß einmal, steht es für modales mal, auf der zweiten Silbe betont werden (ein'mal), im Gegensatz zum Zahlwort 'einmal. Immerhin bietet jedoch die Nähe zum Numerale einen Ansatzpunkt, um über 17 die Verwendung von mal nachzudenken. In nicht-modaler Bedeutung wird mal als Adverb fast stets äquivalent zu einmal und nicht zweimal
(nicht mehrmals)
ge-
braucht: (46a) Warst du in diesem Jahr schon auf dem 'Dom'? - Ja, mit Gaby und Thomas war ich mal ganz am Anfang da. (46b) Wollen Achim und Ilse denn noch ein zweites Kind haben? Jaj sie haben jedenfalls neulich mal davon gesprochen. (46c) Das reicht mir jetzt; mal willst du Tee zum Frühstück, mal willst du Kaffee; entscheide dich doch endlich! Obgleich mal etwa in (46a) nicht notwendigerweise
'einmal heißen
muß, wird es doch gewöhnlich so verstanden. Die MP mal in Aufforderungen erinnert an diese Interpretation des Adverbs mal, obgleich die Bedeutung 'einmal dem Gesprächspartner nur wenig bewußt ist. In Um das Essen brauchst du dich nicht zu kümmernt wechsle du mal (nordd. man) regelmäßig
seine Windeln, dann wer-
den wir in der kommenden Woche schon klarkommen, kann keine Rede 17
Von der Möglichkeit, die eine für die andere Partikel einzusetzen, abgesehen, gibt es auch sprachgeschichtlich enge Bindungen zwischen ein, mal (Mal) und einmal', vgl. die Bedeutung von Mal als Zeitpunkt und die Verwandtschaft mit Maß, das ja auch zeitliches Maß heißen kann; ebenso die Verbindungen niemalsΛ manchmal, die wie einmal = ein Mal (Akk.) auf die temporale Bedeutung von Mal hinweisen. Die Bedeutung einzig für einmal bleibt heute selbst dann erhalten, wenn das Zahlwort ein wegfällt, vgl. auch Μαl fahr' ich mit der Bahn3 mal fahr' ich mit dem Auto, im Sinne von Einmal fahr' ich . d a s andere Mal ... W. Boeder macht mich in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß auch in nicht-indogermanischen Sprachen solch eine Entsprechung vorliegen kann, ζ. B. im Georgischen, in dem erti sowohl eins als auch mal (modi erti - komm mal her!) bedeute. Ebenso kann im Oromo, einer kuschitischen Sprache Äthiopiens, tokko (bzw. negiert takka), das eins (das Numerale) bedeutet, auch mal (Adverb) heißen, ζ. B. tokkotti = einmal oder tokkolle - niemals (Hinweis M. von Roncador).
74 davon sein, daß nur
'einmal oder jeden Tag
'einmal (und nicht 18 öfter)- die Windeln gewechselt werden sollen. Es scheint eher so zu sein, daß die WiP mal ganz allgemein einen einschränkenden Charakter hat und die ursprüngliche temporale Bedeutung - wenn auch abgeschwächt - noch vorhanden ist. Mal kann als eine Zusammenziehung
von zugrundeliegendem jetzt nur angesehen werden,
wobei es sich bei nur
(für X und nicht nioht-X
in (IX)) um die
quantifizierende GP handelt: (IX) Ich fordere dich auf, tu jetzt X und nicht
nioht-X.
Der Gebrauch von mal löst häufig eine Milderung und Abschwächung des strikten Befehls aus, was als Implikatur erklärt werden kann. Zum einen ergibt sich diese Wirkung aus
zugrundeliegendem
nur, d. h. aus der Einschränkung, die ausgedrückt wird und die vom Hörer auf die Konsequenzen der Ausführung der Aufforderung bezogen werden kann, im Sinne von ... zu nichts ich dich auf, das ist nicht dich nicht
zu beunruhigen
viel, das ist alles,
anderem das
fordere
braucht
usw. Die Wahl dieser einschränkenden
Partikel in diesem Sinne, die in gleicher Funktion in den Fragesätzen
(45)
vorkommt, hängt wohl mit der allgemeinen Erfahrung
zusammen, daß begrenzte Aufforderungen bzw. Bitten eher ausgeführt bzw. gewährt werden, da sie nur eine Handlung betreffen und nicht eine Vielzahl von Reaktionen notwendig machen. Für dieses Phänomen scheint mir auch die Kombination nur mal oder nur mal eben typisch zu sein wie im folgenden Beispiel: (47)
18
Ich gehe jetzt zu Edgar. - Nein, mein Kind, das kommt nicht in Frage,· es ist schon zu spät. - Och, ich will doch nur mal (eben) reinschauen (und bin doch gleich wieder zurück).
Ein Satz wie Kann ich mal ins Kino gehen? ist mehrdeutig. Zum einen wird mal im Sinne von Ich will jetzt nichts anderes, als nur ins Kino gehen, verwendet, zum anderen ist es denkbar, daß es sich bei dem Fragenden um ein Kind handelt, das von seinen Eltern wissen will, ob es irgendwann einmal, wenn ich (einst)mal (s) erwachsen bin ins Kino gehen darf. In dieser letzten Bedeutung handelt es sich m. E. um ein Adverb, das ja auch in ähnlichen Äußerungen am Satzanfang stehen kann: Mal möchte ich auch (mal) ins Kino.
75 Zum anderen läßt sich die mildernde Funktion von mal mit Blick auf die Beobachtung erklären, daß typischerweise allein die Präsenz einer Partikel wie mal oder bitte
Imperativen ihre
Schroffheit nimmt: (48a) (48b) (48c) (48d) (48e) (48f) (48g)
Deck Deck Deck Deck Deck Deck Deck
den Tisch! mal den Tisch! nur den Tisch! ruhig den Tisch! doch den Tisch! bitte den Tisch! den Tisch, das ist
alles!
(Abhängig ist dieser Schluß auf die Milderung natürlich von den Gesprächsumständen; unter anderen Umständen können diese Partikeln auch schroff und den Befehl verstärkend interpretiert werden. ) Ein weiteres Mittel, um Aufforderungen als Bitten erscheinen zu lassen, ist der Wechsel des Satztyps, wie er in (45) gegenüber (43) erscheint. Auslösend dafür ist eine Gesprächsregel wie die Höflichkeitsmaxime Be -polite! (Grice 1975:47), die vom Sprecher beachtet wird. Das heißt, daß er sich unter Umständen sprachlich so verhält, als stehe er sozial unter dem Gesprächspartner. Fragehandlungen enthalten eine gewisse Abhängigkeit des Sprechers vom Hörer; er ist ihm unterlegen, weil er etwas nicht weiß, was der Hörer weiß. Die Abhängigkeitsverhältnisse beim Befehl liegen genau umgekehrt. Auch in den Äußerungen
(45) wird
(wie bei Sätzen mit modalem nur) eine Satzform gewählt, die statt des Sprechakts selbst eine seiner Bedingungen ausdrückt. Es wird also beispielsweise danach gefragt, ob der Hörer willens oder fähig und in der Lage ist, der Aufforderung nachzukommen
(Willst
du mal nachsehen, 19
Weinfaß
anheben?).
wer geklingelt
hat?; Kannst
du mal das
Der Hörer kann aus der Tatsache, daß ein Fragesatz
mit mal statt eines Imperativs geäußert wird, schließen, daß der Sprecher aus Höflichkeit eine Abhängigkeit suggeriert und damit kundtut, daß der Hörer ihm etwas bedeutet. 19
Vgl. zu indirekten Sprechakten, die durch Infragestellung oder Feststellung derartiger Bedingungen ("sincerity conditions") konstituiert werden, Gordon/Lakoff (1971; 1975: 85ff.) und allgemein dazu Heringer (1972).
76 4.1.8.
Nun
4.1.8.1.
(mal)
Adverb 20
Nun ist wie also eine vorwiegend phatisch
gebrauchte Partikel
und kann bestenfalls in der Kombination nun mal in Aussagesätzen als MP bezeichnet werden. Phatisches nun findet man häufig in Äußerungen wie (49): (49a) Nun, wie war eure Feier? (49b) Nun? Was hat er gesagt? Andere phatisch gebrauchte Partikeln wie also und
Interjektionen
wie na können nun in (49) ersetzen. Nun steht aber nicht nur satzeinleitend, sondern kommt auch im Satzinnern vor: (50a) "iah habe mich nun dann aber gemerkt, keiten zur Zeit in (50b) Was will denn 'der (50c) Soll ich nun morgen (50d) ... und was machen liegt?
lange damit rumgeschlagen und hab daß eigentlich die größeren Möglichder Prosa liegen". (1:161) nun wieder? fahren oder nicht? wir nun, wenn Weihnachten kein Schnee
Der Zusammenhang zwischen phatisch gebrauchter Partikel und dem temporal gebrauchten Adverb nun wird anhand dieser Äußerungen deutlich. Nun in (50c) hat zwar keinen temporalen Bezug zur Proposition, man kann es aber paraphrasieren als Sag mir nun, ich morgen
fahren
oder nicht?,
soll
da man Fragen auf Aufforderungen
20 Der Ausdruck "phatic function" (Jakobson 1960) geht auf Malinowski (1923; 1952:315) zurück. - In dieser Arbeit verwende ich den Begriff 'phatisch' in folgender Bedeutung: Ein Sprecher gebraucht seine Sprache in phatischer Funktion, wenn er seine Äußerung in einem sprachlichen und einem nicht-sprachlichen Kontext richtig piazieren oder 'situieren' (vgl. Sitta 1970) will. Mithilfe bestimmter sprachlicher Mittel bestimmt er den Ablauf der Kommunikation, gewährleistet ihren Fortgang, stellt sie her oder bricht sie ab, erheischt die Aufmerksamkeit des Hörers und weckt sein Interesse. Zu diesen Phänomenen, die die Kommunikation selbst betreffen, also phatisch fungieren können, sind zu rechnen: Anredeformen ('summons' bzw. 'attention getting devices', vgl. ζ. Β. Schegloff 1968), satz- und redeeinleitende bzw. -beendende Floskeln, Höflichkeitsformeln, bestimmte Interjektionen, 'hesitations', 'Gliederungssignale' (vgl. ζ. B. Wackernagel-Jolles 1973) usw. Auch nicht-sprachliche Mittel wie Schulterklopfen oder ungewöhnliche Mienenspiele können interesseheischend wirken.
77
zurückführen kann.
21
aus, läßt sich nun
Geht man von der performativen
als explizite Spur des Tempus
Analyse
(Präsens) des
übergeordneten performativen Satzes erklären. Dafür daß nun
aus
spricht,
(50) herausgezogen und an die Spitze der Äußerung
gestellt werden kann. Es ist weiterhin möglich,
satzeinleitendes
nun durch Sprechpause bzw. Satzzeichen vom Rest der Äußerung zu trennen. Beides spricht dafür, daß nun aus einem
übergeordneten
Satz stammt und entweder als dessen reduzierte Form vor dem abhängigen eingebetteten Objektsatz oder in diesem selbst siert werden kann. Dies trifft auf alle Äußerungen in Allerdings kann sich nun selbst beziehen.
in
dich
jetzt/nun}
was
will
denn
der
jetzt/nun
der
wie-
Nun
hat einen abschließenden, kontrastierenden Charakter und
machen?
was
jetzt
sollen
haben3
aber
aber
wir also
(Es ist ja alles
besprochen
ΧΛ
ganz
wieder?
nun Y zu verstehen in Äußerun-
machen?
schön
nun frage
denn
folgendermaßen
oder Ich frage
gen wie NunΛ
was will
Satz
der?
ist im Sinne von bis
dich,
(50) zu.
(50) auch auf den geäußerten
(50b) ist somit zweideutig und
umschreibbar: Ich frage
reali-
oder Was sollen
und gut3
ich eucht
was
wir
was wir
bis
machen
wir
nun
jetzt sol-
len. ). 4.1.8.2.
Modalpartikel
Ich gehe davon aus, daß nun
in der Kombination nun
mal
in Aus-
sagesätzen als MP bezeichnet werden kann. (51) Kannst du nicht sauberer schreiben? - Nein3 ich hab nun' mal eine zittrige Hand (das weißt du doch; daran ist nichts zu ändern).
21 Aufforderungen,die Frage zu beantworten, sind damit gemeint; vgl. dazu bereits Gabelentz (1901:319) und Jespersen (1933: 467), außerdem Katz/Postal (1964:85f.), Boyd/Thorne (1969:61), Gordon/Lakoff (1971; 1975) und Calbert (1975:17) neben vielen anderen. Nach Katz (1972:205ff.) gehören Aufforderungen und Fragen demselben semantischen Typ der 'requests' an. Mit Fragen ersuche der Sprecher den Hörer um ein linguistisches Objekt, nämlich eine Antwort, mit einer Aufforderung dagegen um ein bestimmtes Verhalten. Insofern leitet Katz die eine sprachliche Handlung (Frage) nicht von der anderen (Aufforderung) her. - Gegen eine Rückführung von Fragen auf Aufforderungen richtet sich Maas (1972:213).
78 Dafür spricht, daß es nicht betonbar ist in dieser Stellung, daß es nach dem finiten Verb steht und daß es nicht in die Initialposition verschoben werden kann. Diese Kriterien treffen jedoch nicht auf nun allein zu, sondern auch auf die Verbindung nun mal. Es ist daher nicht möglich, wie sonst bei MPn, nun zu tilgen; nur nun mal als Ganzes ist weglaßbar. Die gleiche Restriktion
trifft für mal in dieser Position zu:
(52a) *Ich hab' mal eine zittrige Hand. (52b) *Ich hab1 nun eine zittrige Hand. (52c) Ich hab' eine zittrige Hand. Nun mal kann synonym zur MP eben und ähnlich wie die Partikeln einfach
und basta verwendet werden. Mit
(51) widerspricht der
Sprecher der unterstellten Annahme des Gesprächspartners, der vorliegende Sachverhalt
(die zittrige Hand) sei zwar ein Grund,
aber kein ausreichender, für die unsaubere Handschrift. Mit anderen Worten, der Sprecher bestreitet, daß man den Grund als irrelevant betrachten kann, während doch entscheidend ist (Hinweis W. Boeder
n u r
dieser Grund
(Oldenburg)). Diese Wirkung
des modalen nun mal geht u. a. darauf zurück, daß mal im Sinne von nur drückt
(d. h. X und nicht niaht-X)
eine Einschränkung aus-
(vgl. vorn S. 75). Für den nun mal~Satz
ich Schema X XI Y Y1 (X)
= -
in (51) schlage
(X) vor: Man loh Man Iah
kann sauberer sahreiben. kann sauberer schreiben. hat zittrige Hände. habe eine zittrige Hand.
Wenn Y> dann gilt im allgemeinenΛ
daß
nicht-X;
auch in diesem Fall giltΛ daß nicht-XlΛ nur weil Y1 und nicht nicht-Yl.
weil und
(51) entspricht demnach einer Paraphrase wie: Ich kann sauberer
schreibeny
habe und nur dieser relevant
weil und nur weil^ich Grund und kein anderer
eine zittrige (und
nichts
nicht Hand anderes)
ist. Diese Kennzeichnung der Begründung als einzig aus-
reichende und relevante durch mal
(im Sinne von nur) in nun rral
schließt die Erörterung weiterer Gründe oder Argumente aus und führt zu.der Wirkung dieser Äußerungen, die man oft durch ange-
79
hängtes basta
ausgedrückt findet.
22
Ebenso wie die MP eben knüpft modales nun mal an Vorhergehendes an, der Sachverhalt
(hier die zittrige Hand) muß bereits
eingeführt worden sein. Mir scheint, daß im Unterschied zu eben mit nun mal immer auch ein expliziter oder impliziter Vorwurf des Gesprächspartners zurückgewiesen wird.
4.1.9.
Eben
4.1.9.1.
Adjektiv und Adverb
Es lassen sich vier Verwendungsweisen dieses Lexems unterscheiden: Adjektiv,
(temporales) Adverb, Modal- oder Satzwort und MP
(vgl. auch Asbach-Schnitker 1975:306ff.). Die Grundbedeutung des adjektivischen und des adverbialen eben kann mit gleich, (und genau)
gerade
angegeben werden:
(53) Nun fahr schon los3 der Hang ist doch eben wie ein Brett! (54a) Wir müssen rüber in die Kirchet es hat eb~en zum letzten Mal geläutet; du kennst ihn doch,, der Pfarrer wartet nie, auch nicht bei unserer Hochzeit. (54b) Ich geh' mir mal eben die Zähne putzen. In (53) kann das Adjektiv durch eine Wendung wie gleich oder gerade gerade
ersetzt werden
flach
(wobei allerdings eben anders als
ein zusätzliches Merkmal für große Fläche
aufweist). Das
temporale Adverb in (54) zeigt eine Verbindung zu den Adverbien gerade
und genau
insofern, als eben jetzt
vorkommt wie gerade
jetzt,
genau jetzt
in gleicher Umgebung
(und gleich
jetzt) . Im
Südhessischen besteht eine sonst weitgehend unübliche Entsprechung von temporalem eben und temporalem gerade d. h.
Gerade
kommt er. bzw. Da kommt
er gerade.
in Eben kommt er,, Auch in
(55),
einem ähnlichen Beispiel; kann hochdeutsch eben nicht anstelle von ewe verwendet werden: 22
Bereits Becker (1836:326) hat darauf aufmerksam gemacht, daß auch nun eine " k a u s a l e Bedeutung angenommen hat". Allgemein heißt es weiter dazu: "Die Sprache bezeichnet nämlich sehr häufig die Verhältnisse von Grund und Wirkung als Zeitverhältnisse; und so deutet n u n immer auf einen G r u n d hin".
80 (55)
"Heute fragte der Nachbar: 'Wo is dann ewe Ihne Ihr T Fraa? ' 'Die mächt e Schönheitskur!' Eii ich hab se ja schon ewich net mehr gesehe!' 'Sie hat verlängern misse!'" (Ullrich, Fritz, o. J. [1976], Schnabbschiss aus Hessen. Frankfurt, Pictures & News. S. 104.)
Möglicherweise ist das Zeitadverb eben aus einer solchen Verbindung mit jetzt (gleich jetzt, gerade jetzt, genau jetzt) hervorgegangen, nachdem jetzt weggefallen ist. (Asbach-Schnitker (1 975 : 306f f.) geht im einzelnen auf die Semantik des Adverbs eben ein.) Wie bei anderen Partikeln
(vgl. ζ. B. denn, mal)
läßt sich auch
bei eben der Übergang von der lokalen über die temporale zur modalen Bedeutung noch nachvollziehen.
4.1.9.2.
Modalwort
Als affirmatives MW scheint eben in (56) die reduzierte Form eines Satzes zu sein wie Eben das wollte Das Gleiche
(Genau das
ich auch sagen,
Gerade das ...) wollte
bzw.
ich auch
sagen. (56a) '"Ja, [...] du hast recht, ich hätte es überhaupt nicht bemerkt. ' 'Eben. Ich finde, du solltest [...].'" (2:285) (56b) " ich habe ja mcht die DDR aufgerufen, ich habe die Schriftsteller aufgerufen also meine Kollegen. — (ja) aber sie haben doch wohl keine andre Möglichkeit als über die Schriftsteller zu tun. — ja eben deswegen grad deswegen, weil ich diese Möglichkeit sah [...], hatte ich . . . " (1:160) (56c) Das meine ich nicht, ich bin nur der Ansicht, die Studenten sollten bereit sein, auch viel für sich zu arbeiten. - Also auch mal ein Buch zu lesen. - Eben. Aber die meisten empfinden es als Zumutung, für ein Seminar ein ganzes Buch zu lesen. Nach Entscheidungsfragen, über deren Inhalt vorher noch nicht gesprochen wurde, kann eben als Antwort nicht verwendet werden: (57)
Guten Morgen! *Eben.
Brauchen
Sie heute Eier, Frau Keyser?
-
Eben antwortet nicht auf die Frage, ob ein Sachverhalt zutrifft oder nicht, sondern es ersetzt affirmatives ja, wenn der Hörer etwas gesagt hat, was der Sprecher auch sagen wollte und/oder gemeint hat. Zugestimmt wird demnach impliziten Fragen wie Ist es das, was du meinst?,
die aus den Aussagesätzen erschlossen
81
werden. Als affirmatives MW kann eben durch genau ersetzt werden, das jedoch einen weiteren Anwendungsbereich hat und auch nach Fragen wie (57) stehen kann.
4.1.9.3.
Modalpartikel
Die MPn eben und (südd.) halt, das nur in modaler Funktion vorkommt, nicht jedoch als Adjektiv, Adverb oder affirmatives MW, werden nur in Aussagesätzen und Aufforderungssätzen geäußert: (58a) "Zum Beispiel wünscht sie sich, daß er Toni heißt. Da zeigt er ihr seinen Ausweis und heißt eben Toni." (2:9) (58b) "[Wieso können die Gauner in deiner Geschichte das?] Meine Gauner sind eben intelligent." (2:176) (58c) "[...] kann man doch mit mehreren Formen das auch sagen, daß der Hund schwarz ist. aber man braucht doch nich so ein Extrem zu bringen schneeschwarz. - Schwarz is doch nur η Wort, ich glaube, als sie anfingen mit der Beschreibung3 da wurden sie also da haben sie eben für den Harras (sagen wir mal) schutzstaffeischwarz genommen" (1:151) (58d) Zum Kuckuck3 der Astweg ist ja immer noch gesperrt! Reg dich doch nicht auf3 wir fahren eben/halt außen rum! (59a) Also, ich hab' dich schon so oft gebeten3 du möchtest mir mal das Bügeleisen reparieren und immer hast du was anderes vor. - Also gutΛ dann gib es eben her! (59b) Wenn du mich so spät morgens hier absetzt} dann schaffe ich die S-Bahn nie. - Dann geh eben schneller! Lauf halt mal ein bißchen> das wird dir gut tun! Eben in modaler Funktion bezieht sich auf ein vorliegendes Problem, das vom Gesprächspartner nicht gelöst werden kann, für das der Sprecher mit dem eben-Satz eine einfache Lösung anbietet, wobei einfach
(vgl. engl, simply für eben) im Sinne von
einzig3 nur dieses zu verstehen ist. Eben in Aussagen steht daher gewöhnlich in Erklärungen, die als einzig mögliche und vorhandene hingestellt werden. Gleichzeitig wird damit einer unterstellten oder vermuteten Annahme des Gesprächspartners implizit widersprochen, daß es weitere Gründe, Wege oder Lösungsmöglichkeiten geben müsse. Die Parallele zu modalem nun mal ist augenfällig; der Unterschied liegt darin, daß mit nun mal im Gegensatz zu eben vorausgesetzt wird, daß der Hörer den Grund kennt, er ihn nur nicht als ausreichend und entscheidend betrachtet. Dies hat zur Folge, daß Äußerungen mit eben gewöhnlich keinen Vorwurf ausdrücken (wie oftmals nun mal-Sätze) und daß sie als
82 Aufforderungen fungieren können, einen bestimmten Vorschlag oder eine bestimmte Verhaltensmöglichkeit als einzig mögliche anzusehen und ihr daher zu folgen (vgl. (59) oder auch (58d); nun mal kann dagegen, wie erwähnt, nicht in Aufforderungen stehen). Nimmt man an, X sei Meine Gauner sind intelligent. und Ϊ Meine Gauner können das in meiner Geschichte.t
läßt sich (58b)
so umschreiben: (XI)
Y, weil und nur weil (einzig/einfach) X.
Dadurch daß der Sachverhalt X als die einzig mögliche Erklärung für Γ hingestellt wird, werden vorangehende Zweifel, mögliche Einwände und weitere Fragen nach zusätzlichen Gründen blockiert oder zurückgewiesen. Es wird ein Fazit, eine Schlußfolgerung gezogen und ein Endpunkt gesetzt im Sinne von Mehr ist dazu nicht zu sagen. Desinteresse, Resignation und Ungeduld, von Achselzucken begleitet, werden meist mitausgedrückt. Dies scheint auch zu erklären, warum eben nicht in Fragen vorkommen kann, mit denen ein Sprecher gewöhnlich nicht signalisieren kann, daß es über die Proposition nichts weiteres zu sagen gibt. Im Gegensatz etwa zu eigentlich oder vielleicht, die das Interesse des Hörers wecken, eine Frage auslösen und so redefortführend sein können, wirkt eben in bezug auf den in Frage kommenden Sachverhalt redeabbrechend. Dafür knüpft eben um so stärker an vorhergegangene sprachliche Handlungen an, ja, ist auf diese angewiesen. Eben kann also nicht redeeinleitend stehen wie etwa eigentlich und doch in bestimmten Verwendungsweisen: (60a) [Am Telephon:] Tag Merrit, ... Was ich sagen wolltes man kann jetzt doch überall diese Mini-Eisenbahnen sehen3 willst du Achim nicht auch eine zu Weihnachten schenken? (60b) [wie oben:] *... man kann jetzt eben überall diese ... Diese Restriktion, daß der Sachverhalt bereits vorher sprachlich eingeführt sein muß, hat die MP eben mit dem affirmativen MW eben gemeinsam.
4.1.10.
Ruhig
Wird ruhig nicht als MP verwendet, ist es keine Partikel mehr, da flektierbar (vgl. ζ. B. Duden 1959; 1966:768), sondern ein
83
Adjektiv. Modales ruhig
findet sich in Aufforderungs- und Aus-
sagesätzen: (61a) Komm ruhig her! (61b) Fahr ruhig etwas langsamer, du brauchst mir nicht zu , imponieren! (62a) Ein Achtel Spickbrust? - Ja, bitte, aber es kann ruhig etwas mehr sein. (62b) Die Haifischflossensuppe könnte ruhig etwa pikanter gewürzt sein. (62c) "'Immer mit dem Schiff 'rumfahren - blödsinnig. ' Wo gäbe es denn so was, daß man einen Klacks von seinem Land woanders hat. Das Memelgebiet hätte ruhig flöten gehen können, da hätte keiner was gesagt, aber doch nicht Danzig und das alles." (4:93) (62d) Du darfst dir ruhig noch ein Bonbon nehmen, Krümelmonster tut dir mchts. Mit ruhig wird ausgedrückt, daß es keinen Grund gibt, unruhig zu sein, und daher der Sprecher nichts entspricht somit der Wendung nil obstat
dagegen
hat, daß X;
(Hinweis W. Boeder).
Wählt man eine Umschreibung mit dem Modalverb wollen, sich für (61a) folgende Paraphrasierungsmöglichkeit X - Du kommst (XII)
ruhig
so läßt
anführen:
her.
Ich fordere dich auf3 nicht, daß X.
tu X, und ich will
nicht
Je nach den Umständen der Gesprächssituation lösen Äußerungen im Imperativ wie
(61) konvers. IMPLen aus; d. h., der Hörer er-
schließt entweder einen Satz wie Warum
tust du nicht X?, der
als Ermunterung interpretiert wird, oder er folgert aus der drohenden Haltung des Sprechers oder anderen Indizien die Warnung Tu X nicht
(sonst ...)!
Verdeutlichen läßt sich diese
Zweideutigkeit durch Nachfolgesätze: (63a) Knips ruhig, das Baby ist es gewöhnt! (63b) Knips ruhig, wenn du das Baby unbedingt bringen willst!
zum
Schreien
Die ironische Umkehrung der wörtlichen Bedeutung findet sich auch bei den MPn nur
(vgl. S. 71 ff.) und doch
(vgl. S.104 ff.) in
Imperativen. Ruhig weist jedoch weder die einschränkende Bedeutung von nur auf, noch die einen Widerspruch zurückweisende und einen Vorwurf implizierende Wirkung von doch·, wie beide wirkt es jedoch (meist) mildernd.
84 Auch in den Aussagesätzen
(62) kann ruhig
im Sinne von nil
obstat
beschrieben werden. Aus der Bedeutung iah habe nichts
da-
gegenj
daß X ergibt sich bereits von selbst die Erklärung für
die Restriktion, daß ruhig nicht in Fragesätzen vorkommen kann, selbst wenn diese eindeutig als Aufforderungen gelten: (64a) *Darf es ruhig etwas mehr sein? (64b) *Kommst du ruhig (mal) (bitte) her? Ruhig
als MP ist das, was man in der angelsächsischen Linguistik
als 'polarity item' ruhig,
(vgl. ζ. B. Borkin
1971) bezeichnet. Steht
so ist vorhersagbar, daß in seiner Umgebung keine Nega-
tionspartikel wie nicht vorkommt. Mit ruhig kann man jemanden auffordern, etwas zu tun (Bleib ruhig weg!),
(Geh ruhig hin!),
jedoch nicht, etwas nicht zu tun, indem man
Negationspartikeln verwendet
4.1.11.
etwas zu unterlassen
(*Geh ruhig nicht
hin!).
Wohl
4.1.11.1.
Modalwort
Die Abgrenzung der MP und des Adjektivs wohl stößt auf keine Schwierigkeiten; adjektivisch wird wohl in Sätzen wie Mir ist wohl.;
Wohl demΛ
der gefördert
well und niederl.wel
wird, verwendet
(vgl. auch engl.
(Hinweis M. von Roncador), die zusammen mit
wohl auf dieselbe germ. Wurzel
zurückgehen).
Einige Mühen bereitet es jedoch, eine Grenze zwischen dem emotiv-modalen Gebrauch als MP und dem kognitiv-modalen Gebrauch als MW zu ziehen. Allerdings kommt die MP wohl nur in Fragen vor, in denen der Gebrauch der MW stark restringiert ist. In Aussagesätzen scheinen wohl und vermutlich wohl/vermutlich
schon morgen
Synonyme zu sein: Er fährt
nach Oldenburg.
Wahrheitsgehalt der Proposition betreffenden
In dieser, den kognitiv-modalen
Funktion kann wohl allerdings im Gegensatz zu den meisten anderen MW nicht als Satzäquivalent allein als Antwort auf eine Entscheidungsfrage stehen, ist also nicht 'epistemic qualifier'
(im
Sinne Catons 1966 und 1969): Fährt
-
er morgen
nach Oldenburg?
85 23 Vermutlich./*Wohl.
Auch von wohl gibt es, wie von allen ande-
ren MPn, eine akzentuierte Form, die dann jedoch nicht mehr als emotiv-modal angesehen werden kann. Wohl wird in diesem Fall ähnlich wie akzentuiertes doch oder ja verwendet: "'Das du nicht gemacht. '
'Dochj das hätte
ich
hättest
'wohl gemacht. '" (4:
335; die Intonationszeichen sind von mir, W. B.). Akzentuiert kann wohl auch ebenso wie ja uijd doch am Satzanfang vorkommen, ist jedoch als Prädikativum nicht möglich: er gekommen.,
aber *Es ist
'ja/'doch/'wohl,
'Ja/'Doch/'Wohl
ist
daß er gekommen
Diese letzte Restriktion rückt akzentuierte jat
ist.
doch und wohl
in die Nähe der MW, für die diese Einschränkung auch gilt; und in der Tat halte ich diese Starkton-Partikeln für MW. 4.1.11.2. Modalpartikel Wohl als MP läßt sich in Fragen nachweisen, die Interrogativoder Deklarativform haben: (65a) DUj es klingelt. - Was? Wer mag das wohl sein? (65b) Wann wird Annemie wohl aus Rostock zurückkommen? (65c) Frag nicht so dämlich! Warum bin ich wohl heute hier3 was ? (65d) Was der Junge sich wohl dabei gedacht hat? (65e) Dürfte ich wohl (maT) Ihr Telephon benutzen? (66a) "Was ich da zu lachen hätte? Mir komme das wohl komisch vor! Ich sei wohl was Besseres? Hätte die Nase Wohl ziemlich weit oben?" (4:353) (66b) ".'Ich wohne im Excelsior3 ' dachte ich dauernd. 'Das hättest du wohl nicht erwartet, was?'" (4:454) (66c) "Ich stünde ja da wie ein hingeschissenes Fragezeichen. Bei mir hätten sie wohl die Nachgeburt großgezogen?"(4:430) (66d) "'Fast hätte ich das vergessen3 hier ist noch ein Brief für Frau Sauerbier. Die ist wohl nicht zu Hause?' 'Nein, die ist verreist. '" (2:139) (66e) Du hast wohl einen Vogel? Du willst wohl mit Macht eine Erkältung kriegen? Wohl kann eine Art Frageindikator sein; ein Aussagesatz mit wohl wird häufig als Frage interpretiert scheidungsfragen, die Fragesatzform haben
(vgl. (66)). In Ent(*Kommt dir das
wohl
23 M. von Roncador macht mich darauf aufmerksam, daß im südd. und östr. Sprachraum eine Antwortpartikel wohl durchaus gebräuchlich ist. Diese diene zur Bekräftigung und Vorwegnahme eines möglichen Widerspruchs. Ob es sich hier vielleicht um die verkürzte Form eines jawohl handelt, kann ich nicht beurteilen.
86 komisah
vor?),
ist wohl kaum nachweisbar, es sei denn, es han-
dele sich um Aufforderungen wie (65e) oder (67)
(67):
Wirst du wohl still stehenj wie soll iah dir sonst die Haare ordentlich sahneiden?
Entscheidungsfragen mit wohl sind präsumptiv
denn
(vgl. Conrad 1976:
89) und daher nur möglich in Aussagesatzform wie
(66a-66d), die
Suggestivkraft hat. Es scheint eine komplementäre Verteilung zwischen derartigen Aussagesätzen mit wohl als Entscheidungsfragen und Entscheidungsfragesätzen mit denn
und etwa vorzu-
liegen: (68a) Er hat den Artikel wohl noch gar nicht gelesen? (68b) Hat er denn/etwa den Artikel noch gar nicht gelesen? Allerdings ist die Diskrepanz zwischen ursprünglicher Erwartung und dem tatsächlichen Sachverhalt bei Fragen mit wohl nicht so stark wie in (68b) ausgeprägt. Damit hängt zusammen, daß Fragen mit wohl seltener eine Überraschung des Sprechers erkennen lassen. Die Suggestivkraft ergibt sich sowohl aus der konstatierenden Form der Äußerung als auch aus der Verwandtschaft mit dem MW wohl im Sinne von vermutlich
oder wahrscheinlich.
Die
Orientierung hinsichtlich einer bestimmten Antwort, d. h. die Sicherheit, daß der Sachverhalt wahr ist, kann so stark ausgeprägt sein, daß Äußerungen mit wohl als rhetorische Fragen auftreten können wie in (66e). Für eine Frage in Aussagesatzform wie Das kommt dir wohl
komisch
vor? nehme ich zunächst folgende
Umschreibung an: X = Es kommt dir komisch (XIII)
loh vermute,
Die Äußerungen
vor.
daß X; ich frage dich>
ob X?
(65), Ergänzungsfragen mit wohl, werden häufig
nicht nur im wörtlichen
(Α), sondern auch im gegenteilig ironi-
schen Sinne (B) interpretiert: (A) Der Sprecher weiß die Antwort nicht und weiß, daß der Hörer sie ebenfalls nicht weiß. (B) Der Sprecher weiß die Antwort und erwartet, daß der Hörer sie auch weiß und dementsprechend antwortet. Demgemäß können
(65b) zwei Kontexte beigegeben werden:
87
(I)
Annemie hatte bei ihrer Abreise nur gesagt, sie bleibe für "ein paar Tage" in Rostock.
(II) Sowohl Sprecher als auch Hörer wissen, daß täglich nur ein Zug aus Rostock eintrifft, daß dieser Zug immer um 12 Uhr da ist und daß Annemie bisher immer nur mit diesem Zug gekommen ist. Wohl in (65b) im Sinne von
(A) in Kontext
(I) gibt der Annahme
des Sprechers Ausdruck, der Hörer wisse vermutlich die Antwort auf seine Frage. Ähnlich wie bei Fragen mit bloß und nur wird die Erwartung des Sprechers, hinsichtlich der Fähigkeit des Hörers zu antworten, eingeschränkt. Allerdings sind Fragen mit bloß/nur
wie
(39e) Fragen, die der Sprecher in erster Linie an
sich selbst richtet. Zudem drücken nur und bloß eine wesentlich ausgeprägtere emotionale Anteilnahme des Sprechers aus als eine Äußerung mit wohl.
So erklärt sich auch, daß bloß und nur durch-
aus in Ausrufen stehen können, wohl dagegen nicht. Die stärkere Emotionalität zeigen beispielsweise folgende Gegenüberstellungen: (69)
(70)
[Der Sprecher läuft verzweifelt und händeringend auf und ab und schaut alle Augenblicke aus dem Fenster, schließlich ruft er:] Wann kommt er nur!/*wohl! [Der Sprecher sitzt entspannt und behaglich in seinem ^ehnstuhl, gähnt herzhaft und fragt:] Wann kommt er 'nur?/wohl?
Ebenso kann ein Gast, der die kostbare Vase der Gastgeber zerbrochen hat, zwar
(71a) oder
gefühl jedoch nicht (71a) (71b) (72a) (72b)
Mein Mein Mein Mein
Gott, GottΛ Gott> Gottt
was was wie wie
(72a) ausrufen, nach meinem Sprach-
(71b) oder
(72b):
hab' iah da nur/bloß angerichtet! hab' iah da wohl angerichtet? kann iah das nur/bloß wieder gutmachen! kann ich das wohl wieder gutmachen?
Wohl zeigt eine nachdenkliche Haltung des Sprechers an, die angesichts der Scherben unangebracht wirken kann. über hinaus im Sinne von Ich kann es nicht interpretiert, zu Fragen wie im Kontext
wieder
(72a) wird dargutmachen.
(72b) dagegen normalerweise nicht. Im Gegensatz (39e) mit bloß/nur
erwartet der Sprecher von
(65b)
(I) eine Antwort, die zumindest die Vermutung des
Hörers wiedergibt. Natürlich ist auch eine Entgegnung wie Das weiß ich auch nicht, oder etwa nach
möglich, die nach
(65b) im Kontext
(65c) ausgeschlossen ist.
(II)
88 Es scheint zwei plausible Erklärungsmöglichkeiten für wörtlichen Sinne von
(65b) im
(A) zu geben. Im ersten Fall geht der
Sprecher davon aus, daß der Hörer die Antwort nicht kennt, daß also eine der Bedingungen, unter denen man eine Frage stellt, nicht gegeben ist. Er bittet ihn daher, eine Vermutung zu äußern; fragt ihn, wie die Frage vermutlich zu beantworten sei: X = Annemie (XIV)
kommt aus Rostock
loh nehme an3
du weißt
ich frage dich3
zurück.
nicht3
wann vermutest
wann Xj du3
daß X?
Die Vermutung bezieht sich auf den eingebetteten Satz X. Dies erklärt die häufigen epistemisch modifizierten Antworten, die Fragen wie
(65b) typischerweise folgen, ζ. B. Ich nehme an3
acht, oder Genau weiß ich das nicht3 weise)
gegen
aber vermutlich
um
(möglicher-
acht.
Im zweiten Fall geht der Sprecher nicht von vornhinein von der Unkenntnis des Hörers aus, sondern vermutet, daß er die Antwort weiß und fragt, ob seine Vermutung zutrifft: (XV)
Ich vermute, du weißt3 wann X (oder: Ich nehme du weißt vermutlich3 wann X); ich frage dich3 weißt3 wann X?
stimmt meine
Vermutung3
an3
daß du
Die Vermutung bezieht sich in (XV) nicht auf X, sondern auf den übergeordneten Satz. Die Frage nach der Fähigkeit des Hörers, eine Antwort geben zu können
(d. h. die Frage nach einer
based sincerity condition" im Sinne von Gordon/Lakoff
"hearer-
(1971; 1975 :
85f.)), wird als Bitte verstanden, die Frage zu beantworten. Die MP wohl in Sätzen wie
(65b) ist demnach auf zweifache Weise
interpretierbar, je nachdem auf welchen Skopus sie sich bezieht.
(65b) in Kontext
(II) zeigt, daß der Sprecher annimmt, der Hörer
wisse die Antwort und seine vorausgegangene Frage sei nicht akzeptabel, da die Gesprächsregel, daß man nur etwas fragt,
wenn
man die Antwort nicht kennt, nicht beachtet wurde. In diesem Fall ist eine Frage wie Hörers Wann wird Annemie
(65b) eine Echofrage, die die Frage des (wohl) aus Rostock
zurückkommen?
auf-
greift und als Gegenfrage benutzt. Angehängte Zusatzfragen, die
89 explizit zur Antwort auffordern, sind häufig; man betrachte das Beispiel
(65c), das nur in diesem Sinne
(B) verstanden werden
kann. Allerdings muß es sich hier nicht immer um eine Echofrage handeln.
(65c) kann sich auch gegen eine implizite Frage (Was
machst
du hier?;
entendu
1
Warum bist du hier?)
richten, die als
einer vorangegangenen Äußerung wie Willst
abholen?
'sous-
du dein
Geld
erschlossen wird. Solche Fragen mit wohl können unge-
duldig, ja, gehässig klingen, weil dem Hörer der Bruch der Quantitätsmaxime vorgeworfen und in unredlicher Weise suggeriert wird, er wisse die
(offensichtliche) Antwort und sei nur auf-
grund geistiger Schwäche oder anderer persönlicher Mängel nicht in der Lage, sich ihrer sofort zu erinnern. Wohl in (65b) im Sinne von
(B) kann ebenfalls wie in Schema
(XIV) erklärt werden, wobei jedoch die ironische Umkehr der wörtlichen Interpretation mitverstanden ist.
4.1.12.
Schon
4.1.12.1.
Adverb
Krivonosov
(1963a, 1963b und 1963c), der sich eingehend mit die-
ser Partikel auseinandergesetzt hat, unterscheidet "einschränkend-unterstreichender"
und
zwischen
"einschränkend-zeitlicher
Bedeutung" der nicht-modalen Verwendungsweise von schon
(196 3a:
197f.). Der Unterschied wird mit dem Hinweis begründet, daß sich schon
im ersten Fall auf ein Substantiv oder ein Adverb und im
zweiten auf das Verb bezieht: (73a) (73b) (73c) (74a) (74b)
Ich habe schon drei Paar Schuhe durchgetanzt. Schon der Alte Fritz pflegte das zu sagen. Die Maschine ist schon gestern geflogen. Bist du schon in Biaiowieza gewesen? Schläfst du schon?
Dieses adverbiale schon läßt sich ausnahmslos durch das Adverb bereits
ersetzen, was in modaler Funktion nicht möglich ist.
(Vgl. zu adverbialem schon auch Doherty
(1973) und König
(1976).)
90 4.1.12.2. Schon
Modalwort
kann - ebenso wie doch3
eben und ja - als Antwort auf eine
Entscheidungsfrage allein stehen, d. h.
als Satzäquivalent oder
'epistemic qualifier* klassifiziert werden, wenn auch zu beachten ist, daß gewöhnlich ein Satz angeschlossen werden muß, der die mitausgedrückte Einschränkung näher modifiziert. Nach den Kriterien der MP-Definition ist schon in dieser Eigenschaft nicht als MP zu bezeichnen. Immerhin ergibt jedoch die Analyse der Funktion des satzeinleitenden schon Aufschlüsse über seine sonstigen Verwendungsmöglichkeiten. (75)
Christina: Wolltest du nicht das Kapitel über Faulkners Eß- und Trinkgewohnheiten fertigstellen? Ernst: Schon3 aber vorher hat mir dein Mann den neuen 'Asterix' unter die Nase gehalten3 dem ich nicht widerstehen konnte.
Mit schon wird zunächst Christinas Frage, ob Ernst X tun wollte (X = das Kapitel
über Faulkners
Eß- und Trinkgewohnheiten
fer-
tigstellen) , bejaht und gleichzeitig auf die folgende Begründung für die Nicht-Ausführung der gewollten Handlung hingewiesen. Oder anders ausgedrückt: der folgende Satz beantwortet die in Christinas Äußerung implizit enthaltene und erschließbare Frage: Warum hast du nicht getan3
was du wolltest?
Diese geht ihrer-
seits auf einen schließenden Vorgang zurück wie Wer X tun will3 der tut im allgemeinen scheinlich
X getan;
X; Ernst wollte
aber er scheint
X tun; also hat er wahr-
X nicht getan
zu haben3
des-
halb frage ich ... Für Ernsts Antwort in (7 5) gebe ich folgende Paraphrase: Y = Vorher hat mir dein Mann den neuen die Nase gehalten3 ... (XVI)
Es ist zwar wahr3 daß ich X wollte3 X (trotzdem) nicht getan3 weil I.
'Asterix'
unter
aber ich habe
(Die Konjunktion aber läßt sich ihrerseits auf den zugrundeliegenden Quasi-Syllogismus
(I), S. 48, zurückführen.) Es ist
wahr kann als Umschreibung für affirmatives ja gelten, es ist zwar wahr für affirmatives schon, wobei auch die Partikel zwar auf das folgende aber hinweist. Dies implizite einerseits andererseits
-
in der Struktur des schon als Antwort beruht eben
91
darauf, daß Christina eigentlich zwei Fragen gestellt hat, eine implizite und eine explizite, auf die der Sprecher auch zwei Antworten gibt. Anstelle von schon kann in ähnlicher Funktion nun ja verwendet werden. Merkwürdig ist, daß es mit schon für
A f f i r m a t i o n
dungsfrage)
u n d
zwar eine Partikel
(als Antwort auf eine Entschei-
B e g r ü n d u n g
(als Antwort auf
eine Ergänzungsfrage) gibt, eine entsprechende Partikel für N e g a t i o n
u n d
B e g r ü n d u n g
aber nicht zu
existieren scheint. Es liegt hier eine Lücke im deutschen Partikelsystem vor. Die Antworten können in diesen Fällen nur mit nein3
aber oder das nicht3
Gegenstück zu nun ja (76)
aber eingeleitet werden
*nun nein
(76); auch das
ist nicht akzeptabel.
Bettina: Warum hast du denn heute nacht in der Uni übernachtet? Hattest du deinen Hausschlüssel vergessen? Ernst: Nein3 aber ich war so beduselt3 daß ich nicht mehr autofahren konnte.
4.1.12.3.
Modalpartikel
Als MP im Satzinnern läßt sich schon
in Aussagesätzen
(77),
Imperativsätzen und rhetorischen Fragen nachweisen: (77a) "Die gute Tante sagte auch3 ich solle doch noch ein paar Tage bleiben3 es brauche ja nicht gleich ewig zu sein. Sie bringe das schon in Ordnung." (4:362) (77b) '"Du springst auf, hängst dich dran3 und wenn sie dich nachschleifen3 das schaffst du schon. (4:460) (77c) Das ist nicht so schlimm mit Ihrem Finger3 das wird schon wieder heilen. (77d) Toll3 diese Parade! Ja3 er ist schon ein guter Torwart. (77e) Manfred: ... und da habe ich einfach bei Lyons nachgeschaut und schon hatte ich die bibliographische Angabe. Heike: Du bist schon ein gerissenes Kerlchen! Auch als MP vereinigt schon in sich die beiden durch ja
(zwar)
... aber ausdrückbaren Aspekte, so daß etwa der Aussagesatz (77b) im Sinne von Ja, es ist zwar wahr3 meinen
nicht schafft3
Schluß
ist auch in deinem Fall möglich3
dem schaffen,
daß man es im
wenn man nachgeschleift
wird3
allge-
und
aber du wirst
es
dieser trotz-
zu verstehen ist. Der Unterschied zur Konjunktion
aber, die sich ebenfalls gegen einen Schluß richtet
(vgl. S.48f.),
92 besteht darin, daß mit schon
die Möglichkeit des Schlusses
erkannt und dennoch für den vorliegenden Einzelfall wiesen wird. Dies läßt sich in Schema
(XVII) für
an-
zurückge-
(77b) darstel-
len: X XI Y Y1
= = =
Man schleift g emanden nach. Sie schleifen dich nach. Man schafft es (auf dem Zug zu bleiben) . Du schaffst es (auf dem Zug zu bleiben).
(XVII) Ζ - Schluß: Wenn X3 dann nicht-Y;
gilt
im allgemeinen3
also gilt wahrscheinlich XI3 daß nicht-Yl.
auch
für
Diesem Schluß Ζ wird einerseits als dem Normalfall der jedoch andererseits Zwar
daß den
zugestimmt,
für diesen Einzelfall XI nicht gilt
im allgemeinen
Fall
zutrifft:
Ζ;
aber in diesem Fall gilt (der Fall sein wird).
Ζ nicht3
weil
Y1
Die Begründung dafür, daß der Sprecher die Gültigkeit des Schlusses für den vorliegenden Einzelfall bestreitet, ist in dem sicheren Gefühl des Sprechers zu finden, das aus seiner des Hörers, der Situation usw. resultiert. Auch
vorangegangene
mitverstandene oder tatsächlich geäußerte Einwände ich nicht,
oder Mein
Finger
heilt
nicht
(mehr).)
tet, indem ihre prinzipielle Richtigkeit in Frage stehenden Sachverhalt
Kenntnis
(Das
schaffe
werden
entkräf-
zwar anerkannt, für den
jedoch bestritten wird. Die
Sicherheit, mit der dies geschieht, trägt zu der
überzeugenden,
tröstenden und beruhigenden Wirkung derartiger Äußerungen mit schon
bei. Häufig findet sich schon
in Aussagesätzen mit
Zu-
kunftsbezug, die eine Vermutung des Sprechers zum Ausdruck bringen
(vgl.
Vater schon,
(77a-c)). Sowohl Krivonosov
(1963a:186ff.) als auch
(1975:83ff.) befassen sich mit dem Verhältnis von modalem Tempus und
(u. a.) perfektiven Verben. Vater
(1975:84)
weist darauf hin, daß Äußerungen mit perfektiven Verben mit und ohne Modalverb werden schon
kommen.)
(ζ. B. Er kommt
schon,
und Er
Zukunftsbezug haben, wenn sie mit schon
MP-Interpretation,
wird in der
und Gegenwartsbezug, wenn sie mit schon
temporalem Adverb verwendet werden.
als
93 Auch für die rhetorischen Fragen (78) mit schon gilt, daß mit ihnen zugestimmt und widersprochen wird, wobei der Satz, in dem scho YI steht/ nuir 3.1s Β Θ ^ründung für* den WidGirspiruch funcjiGjrt. (78a) "'Was hast du schon für eine Ahnung', sage ich." (2:116) (78b) Wer denkt schon ans Geld, wenn er sein Staatsexamen feiert? (78c) Ich will noch keine Enkel, wer geht schon gern mit einer Großmutter ins Bett? Angenommen, (78b) ging ein Einwand voraus wie Wird deine Feier nicht etwas aufwendig? mit dem 'sous-entendu' Die Feier ist zu teuer für dich., so steht (78b) für Es ist zwar richtig, die Feier zu teuer für mich
daß
ist, aber trotzdem feiere ich,
denn wer denkt ans Geld, wenn ... (= niemand denkt ans Geld, wenn ...).
Schon in den Aufforderungssätzen (79) macht die Nähe zum homonymen Adverb schon insofern deutlich, als es ebenfalls einen temporalen Aspekt auszudrücken scheint. (79a) Komm schon her! (79b) Nun geh schon und gib dem Onkel Martin die Hand! (79c) '"Es gibt vielleicht einen Weg', sage ich [...]. 'Sag schon', sagt Lola." (2:79) Die Aufforderungen mit schon wirken daher drängend (Tu X gleich, bereits jetzt!; Tu X schon jetzt und nicht später!).
Allerdings
überwiegt wohl die Funktion des modalen schon auch in Imperativen, tatsächliche oder mögliche Einwände zurückzuweisen; man denke an Paraphrasen wie: Zwar zögerst du (willst du nicht) herzukommen (herkommen), aber trotzdem
(überwinde dich
und/fordere
ich dich auf) komm her! Dabei können solche Imperative ihrerseits Vorwürfe ausdrücken: Warum kommst du nicht her?, Warum sagst du X nicht?, Komm doch her!, Sag doch X! Ein einfacher Aufforderungssatz wie Komm her! hat diese Wirkung nicht, da ihm weder ein expliziter oder impliziter Einwand vorausgegangen zu sein braucht, noch ihm eine temporale Spezifizierung gegeben wird. Äußerungen mit schon wie (79a) wirken aufgrund ihres Bezugs zu vorhergegangenen Handlungen iterierend, d. h., es spricht gewöhnlich viel dafür, daß einem Imperativ wie Geh schon! einer oder mehrere Imperative wie Geh!, Na, geh! vorausgegangen sind.
94 Häufig gibt der Sprecher auch vor, die vorausgegangene Handlung oder Begebenheit lege dringend nahe, der Aufforderung nachzukommen (Hinweis W. Boeder). Geh doch!
(Eine Steigerung zu Geh schon!
wäre
und Geh doch endlich!, da doch in stärkerem Maße einen
Vorwurf ausdrückt und endlich
den temporalen Aspekt unter-
streicht. )
4.1.13.
4.1.13.1.
Ja
Modalwort
Das als Antwort auf eine Frage gebräuchliche affirmative ja kann als Satzpronomen aufgefaßt werden, das für eine Proposition steht und diese behauptet t χ 24 wahr).
4.1.13.2.
(im Sinne von das ist so; das ist
Modalpartikel
Als MP findet sich ja nur in Aussagesätzen auch als Ausrufe
(80), die allerdings
(81) fungieren können. Daneben werde ich auf
die akzentuierte Form dieser Partikel in Aufforderungssätzen eingehen. (80a) "Meine Mutter öffnete die Fenster. [...] Der gute Alte, das Nachthemd war ihm ja viel zu großt die dürren Arme! Sie stellte ihm Weintrauben hin3 die würden ihm guttun." (4:101) (80b) "Ob ich jetzt Appetit auf eine Zigarette hätte? [...] 'Aber Karl 3 er ist doch erst 15!' 'Na, einmal muß er ja anfangen. '" (4:370) (80c) 77-7Aber der Korridor} das war ja auch blödsinnig > die Leute mußten sich doch sagen>~claß da wieder ein Krieg kommt. ' 'Das konnte j_a nicht gutgehn. '" (4:93) (80d) "Das wäre heute alles anders als früher. Im Weltkrieg habe man ja kaum den Kopf aus dem Dreck gekriegt." (4:94) (80e) "Wir überweisen das Geld an ihre AdresseΛ die haben wir ja." {2:46) 24
Zu ja im allgemeinen und als affirmative Partikel im besonderen vgl. unsere ausführlichere Analyse in Bublitz/Roncador (1975). Daneben hat sich vor allem Hartmann (1975 und 1976) mit dieser Partikel beschäftigt; vgl. auch Weydt (1969) und - weit eingehender - Krivonosov (1963a:201ff.).
95 (80f) "Das ist lieb. [...] Sie sehen ja, Bernhard kann beim besten Villen nicht." (2:70) (80g) "'Die wird vor Staunen umfallen'> sage ich, 'das Ding [der neue Fernseherl muß ja ein Vermögen gekostet haben. ' 'Billig war er ni~cTit gerade3 ich habe auch lange überlegt. Aber [...]j weißt du, die langen Abendet wir gehen j_a nie aus dem Haus. '" (2:98f.) (80h) "sehen sie - die Fehlgeburt in η Hunde jähren - is j_a nich medizinisch beschrieben" (1:156) (81a) "Mein Bruder hat gemeintΛ ich könne das Essen doch nicht in Bausch und Bogen stehenlassenΛ ich solle wenigstens mal probieren. Das schmecke doch sehr ordentlich. 'Der hat ja Fieber'Λ sagte meine Mutter und steckte mich ins BettTTf (4:109) (81b) "Da ist ja auch der schöne Kempowski" (4:408) (81c) Hachy icK~freue mich, daß wir nach so langer Zeit wieder mal zu Elfi und Erich kommenj mal sehen3 wie es jetzt bei denen aussieht. - Du, die haben j_a_ umgebaut! Das sieht ja toll aus! In Bublitz/Roncador (1975: 183ff.) bieten wir mehrere Erklärungsmöglichkeiten des "ja der Bekanntheit" an, auf die dort ausführlich eingegangen wird, so daß sich eine nochmalige Erörterung 25 erübrigt.
Nicht erwähnt wird der Vorschlag, ja im Rahmen prag-
matischer Gesprächsregeln zu erklären, so daß sich die Analyse konsistent in die Art der Behandlung der anderen MPn einfügte. Ja weist nämlich den Bruch einer Gesprächsregel aus, wie wir dies in ähnlicher Weise bereits bei einigen anderen MPn gesehen haben. Wie erwähnt R. Lakoff
(vgl. S. 22ff.) haben Grice (1968 und
1975),
(1972) und Kempson (1975) in unterschiedlichen Formu-
lierungen übereinstimmend auf eine maßgebliche Gesprächsregel hingewiesen, die darin besteht, daß ein Sprecher einem Hörer gegenüber nichts Bekanntes, Offensichtliches und
(daher) Tri-
viales zum Inhalt seiner Äußerung machen sollte. Von Belang sind hier vor allem die Quantitäts- und die Relevanzmaxime von Grice, die Gebrauchsbedingung R. Lakoffs
(1972:916; "what is be-
ing said: it is not known to other participants, or utterly obvious") und vor allem auch das Konzept des PUD von Kempson, die zudem
der Griceschen Quantitätsmaxime unter anderem
folgen-
25 Erwähnt sei nur der Vorschlag,' ja als Pronomen anzusehen, wobei das in der zugrundeliegenden Struktur ich nehme an, das ist bekannt als ja in der Oberflächenstruktur des Satzes realisiert werden würde; diese Herleitung läuft der des affirmativen ja als Antwortpartikel parallel und zeigt die Verwandtschaft beider Gebrauchsweisen auf.
96
de Untermaxime hinzufügt: "the general requirement of not saying what is familiar" (Kempson 1975:162). Von verschiedenen Seiten ist erkannt worden, daß mit j'a auf Bekanntes verwiesen bzw. daß mit ja der Inhalt des Satzes als etwas Bekanntes hin26
gestellt wird. Die Kooperationsbereitschaft des Sprechers vorausgesetzt, wird der Hörer aus den Äußerungen (80) schließen, daß der Sprecher zwar die Quantitätsmaxime nicht beachtete, als er Bekanntes äußerte, daß er dies jedoch aus gutem Grund tat. Ja löst diese Schlußfolgerung des Hörers aus und signalisiert damit gleichzeitig, daß der Sprecher bewußt Bekanntes geäußert hat. Bekanntes zu äußern, scheint ein verbreiteter Vorgang zu sein. Larkin/0'Malley
(1973) weisen darauf hin, daß nicht-informative
Sätze zur gegenseitigen Mitteilung von Bekanntem und zum Aufmerksammachen auf Offensichtliches
(man denke an Ausrufe) einen
großen Teil der gewöhnlichen Kommunikation ausmachen. Dies Äußern von Selbstverständlichkeiten scheint die Funktion zu haben, sich des Unproblematischen im gegenseitigen Verhältnis der Gesprächspartner zu versichern (Hinweis W. Boeder). Doch auch in nicht-alltäglicher Kommunikation (selbst in bewußt redundanzarmer Diskussion) ist ein ständiges Zurückgreifen auf Bekanntes oder auf (tatsächliches oder unterstelltes) Offensichtliches notwendig. Denn Kommunikation setzt Gemeinsamkeiten zwischen den Kommunizierenden voraus, die sich auf "gemeinsames Wissen und partiell gemeinsame Überzeugungen" (Wunderlich 1974: 14f.) beziehen. Als Gründe für die Notwendigkeit von Gemeinsamkeiten für das Gelingen einer Kommunikation führt Wunderlich (1974:14f.) an: Was gemeinsam ist, kann jeder der Beteiligten wechselweise unterstellen, und zwar in ganz fragloser Weise. [...] Allerdings ist dieses Stützen auf Gemeinsamkeiten nicht immer verläßlich; es gibt in dieser Hinsicht keine absoluten Gewißheiten. Wenn die unterstellten Voraussetzungen in Einzel26
Vgl. bereits H. Wunderlich (1894:182): "So entwickelt sich die Partikel [ja] geradezu als Mittel, Mitteilungen, die man als bekannt voraussetzt, als solche zu kennzeichnen."; außerdem die einschlägigen Artikel in den deutschen Wörterbüchern und Ausführungen in Bublitz/Roncador (1975); Hartmann (1975, 1976); Krivonosov (1963a:201 ff.) ; Rath (1975); Weydt (1969: 36f.).
97 fällen nicht zutreffen, entstehen Schwierigkeiten im Verstehen und schließlich Diskrepanzen in der Einschätzung und in den Fortsetzungen der Situation. Über Rückfragen, Korrekturen und ergänzende Erörterungen lassen sich, diese Probleme oftmals klären. Einige MPn wie doch und ja scheinen mir pragmatische Mittel zu sein, die dem Sprecher eine Handhabe geben, sich der für die Kommunikation notwendigen Gemeinsamkeiten zu versichern. Der Sprecher setzt zwar voraus, daß ein bestimmter Sachverhalt dem Hörer bekannt oder offensichtlich ist, erwähnt ihn jedoch explizit, um sicherzugehen, daß er ihm auch gegenwärtig ist, da er ihn für den Fortgang der Kommunikation benötigt; er ruft ihm etwas ins Gedächtnis zurück, was für die gegenwärtige Argumen27 tation gebraucht wird. Daher kommt ja vorzugsweise in Begrün28 düngen vor.
Man denke sich ja in den Äußerungen
(80) weg, und
man wird feststellen, daß die Äußerungen ohne ja nun als Behauptungen mit unbekannter Information interpretiert werden können. Kommt dergleichen in einer Redesituation vor, in der der Sprecher fälschlicherweise die Nicht-Bekanntheit des Sachverhalts angenommen hatte, wird der Hörer diese Annahme explizit zurückweisen können mit Wendungen wie Das weiß ich doch, erzählst
du mir das?f
warum
die einen Vorwurf enthalten. Dieser ist
berechtigt, da vom Standpunkt des Hörers aus eine der Gespräch.s'regeln nicht beachtet wurde. Um sich gegen solche Interpretationen zu schützen, kann ein Sprecher die MP ja verwenden. Für diese Ausführungen spricht auch, daß Äußerungen mit ja oft gleichsam als
'Versuchsballon' verwendet werden, um sich der Be-
kanntheit eines Sachverhalts zu vergewissern. Dabei wird der Sprecher nach dem ja-Satz die Stimme heben und/oder eine Pause einlegen, wodurch eine Reaktion des Hörers
(ζ. B. Kopfnicken)
provoziert wird wie in (82) : 27
28
Vgl. ähnlich bereits Bublitz/Roncador (1975:144f.); auch Rath (1975:234) hebt die Funktion der MPn doch und ja hervor, "auf eine nicht explizit-argumentative und rationale, sondern auf eine implizit emotionale Weise einen Konsens zwischen den Kommunikationspartnern herzustellen". Aber nicht ausschließlich, vgl. dazu Bublitz/Roncador (1975: 148f.) und Hartmann (1975:246f.). In diesem Zusammenhang sei auf Parenthesen (glaube ich, sagt man usw.) und wie-Sätze (wie du weißt usw.) hingewiesen, die ebenfalls dazu dienen, die Äußerungen mehr auf den Hörer abzustellen; vgl. Sitta (1970) und Riesel (1962).
98
(82)
Ach ja> ich wollte euch von unserem Nachbarn Martin erzählen. Der ist ja_ inzwischen Vater gewörden . . . [Pause; Kopfnicken oder Hm des Hörers] und muß nun auch öfters seinen Kleinen wickeln. Und dabei ist neulich ...
Wäre die Vaterschaft Martins vorher Gesprächsthema gewesen, wäre 29 der Satz mit j'a unter Umständen überflüssig. Mit ja wird demnach die Appellfunktion der Äußerungen betont, da Hörer angesprochen und ihre Reaktionen berücksichtigt werden; der Sprecher ist darauf eingestellt, seine Annahmen und Äußerungen im Bedarfsfall entsprechend zu korrigieren. Oft wird j'a auch dann gebraucht, wenn der Sprecher sich ziemlich sicher ist, daß der Sachverhalt nicht bekannt ist, um so dessen allgemeine Bekanntheit zu suggerieren
(vgl. Bublitz/Ron-
cador (1975: 145) , wo wir auf bewußt unredliche Handhabung des ja in solchen Fällen hinweisen). Mit anderen Worten, j