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German Pages 232 Year 1988
T. E C K H O F F / Ν . Κ . S U N D R Y
Rechtssysteme
Schriften zur Rechtstheorie Heft 129
Rechtssysteme Eine systemtheoretische Einführung in die Rechtstheorie
Von Torstein Eckhoff und Nils Kristian Sundby
Duncker & Humblot · Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Eckhoff, Torstein: Rechtssysteme: e. systemtheoret. Einf. in d. Rechtstheorie / von Torstein Eckhoff u. Nils Kristian Sundby. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zur Rechtstheorie; H. 129) ISBN 3-428-06418-6 NE: Sundby, Nils Kristian; GT
Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06418-6
A legal system is not an abstract collection of bloodless categories but a living fabric in a constant state of movement. Lord Lloyd of Hampstead
Vorwort zur norwegischen Ausgabe Dieses Buch ist das Ergebnis einer mehrjährigen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rechtstheorie. Die Grundgedanken resultieren aus einem Dialog zwischen den Autoren und lassen sich kaum länger als individuelle Standpunkte identifizieren. Wie aus den Literaturhinweisen hervorgeht, verdanken wir zahlreichen älteren und gegenwärtigen analytischen Rechtstheoretikern und empirischen Rechtssoziologen wichtige Ansatzpunkte. Ebenso stehen wir in der Schuld der Studenten, die in unseren Seminaren gründliche Diskussionen über rechtstheoretische Grundlagenfragen angeregt haben. In diesem Zusammenhang wollen wir keine Namen nennen, sondern bedanken uns summarisch bei den vielen Einzelpersonen für Impulse und neue Ideen. Wir gehen davon aus, daß die Begriffe und Ansätze der sogenannten Systemtheorien neue Perspektiven für die alten Fragen nach dem „Wesen des Rechts" und dem Verhältnis zwischen Recht und Gesellschaft eröffnen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat dieses Buch gewisse interdisziplinäre Züge. Unser Buch richtet sich primär an einen juristischen Leserkreis. Wir hoffen aber, daß es auch für Philosophen und Gesellschaftswissenschaftler, welche sich für die Relevanz des Systemdenkens für ein Verständnis gesellschaftlicher Institutionen interessieren, von Nutzen sein kann. Oslo, im Oktober 1975 Torstein Eckhoff
Nils Kristian Sundby
Vorwort zur deutschen Ausgabe Diese Ausgabe ist neu bearbeitet worden, nicht zuletzt, um den Stoff an einen deutschsprachigen Leserkreis anzupassen. Allgemeinere Einschätzungen werden oft an Beispielen aus dem deutschen Recht belegt, außerdem wird in stärkerem Ausmaß auf deutschsprachige Literatur hingewiesen, während die meisten Verweise auf Literatur in skandinavischen Sprachen entfallen sind. Die Übersetzung wurde von Johannes Brinkmann, Oslo und Knut Papendorf, Hamburg in enger Zusammenarbeit mit mir durchgeführt. Gert Fredrik Malt, Oslo, hat einen Manuskriptentwurf durchgelesen und mit wertvollen Hinweisen geholfen. Mein Mitautor Nils Kristian Sundby starb im Herbst 1978, im Alter von 37 Jahren. Er war ohne Zweifel einer der begabtesten skandinavischen Rechtstheoretikér. Die Veröffentlichung unseres Buches in deutscher Sprache soll nicht zuletzt dazu beitragen, seine Gedanken einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Oslo, im Juni 1987 Torstein Eckhoff
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1. Einleitung
13
Kapitel 2. Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
18
I. Systembegriff und Strukturbegriff
18
II. Objektsysteme und Ideensysteme
22
III. Statische und dynamische Systeme
24
IV. Offene und geschlossene dynamische Systeme
26
V. Rückkoppelung und Selbstregelung
26
VI. Ein kurzer Überblick über einige Systemtheorien
32
VII. Homöostase und Kybernetik
35
VIII. Allgemeine Systemtheorie IX. Systemdenken in der Rechtswissenschaft und Rechtssoziologie
38 ...
40
Kapitel 3. Der Nonnbegriff
43
I. Einleitung
43
II. Normative Aussagen
45
III. Internalisierung normativer Aussagen
48
IV. Systembasierte Normen
51
V. Verschiedene Beziehungen zwischen Norm und Person
55
VI. Verschiedene Typen von auf Normen bezogenen Aussagen
56
VII. Normen und Werte
59
Kapitel 4. Pflichtnormen
61
I. Einleitung
61
II. Der Begriff Pflicht
62
III. Gebot, Verbot, Erlaubnis und Freistellung IV. Normsubjekte bei Pflichtnormen
64 4
V. Generelle und individuelle, kategorische und bedingte Pflichtnormen
70 71
10
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 5. Kompetenznonnen und Qualifikationsnormen I. Der Kompetenzbegriff II. Das Verhältnis zwischen Kompetenz, Freiheit und Pflicht
74 74 77
III. Kompetenznormen
78
IV. Normen für die Kompetenzausübung
81
V. Kompetenznormen und Gültigkeitsbedingungen VI. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit als Sanktion VII. Qualifikationsnormen Kapitel 6. Richtlinien und Abwägungen I. Besonderheiten der Richtlinien II. Zum Inhalt der einzelnen Richtlinien III. Die Rolle der Richtlinien im Rechtssystem IV. Richtlinien innerhalb und außerhalb von Rechtssystemen V. Eingehendere Ausführungen zum Richtliniencharakter VI. Wie Abwägungsprozesse verschleiert werden VII. Einige verwandte Gesichtspunkte Kapitel 7. Statische Normzusammenhänge I. Einleitung II. Koppelungszusammenhänge
82 84 85 90 90 92 97 102 103 105 107 110 110 111
III. Bedeutungskumulation
117
IV. Individuation von Rechtsnormen
119
V. Rechtspositionen und Rechtsbeziehungen
Kapitel 8. Entscheidungen und Begründungen I. Einleitung II. Überlegungen, Standpunkte und Begründungen
123
129 129 130
III. Rückkoppelung in Überlegungsprozessen
134
IV. Normierung von Entscheidungen und Begründungen
139
V. Begründungen von Standpunkten zur Frage, was als geltendes Recht aufzufassen ist 141 VI. Die Bedeutung von Entscheidungen und Begründungen für den Normbildungsprozeß 146 VII. Rückkoppelung im Verhältnis zwischen Kompetenznormen und abgeleiteten Normen 148
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 9. Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse im Rechtssystem 152 I. Übersicht über verschiedene Arten von Zusammenhängen zwischen Elementen in einem Rechtssystem 152 II. Operative Zusammenhänge
155
III. Genetische Zusammenhänge zwischen generellen Normen
159
IV. Genetische Zusammenhänge bei individueller Normsetzung
162
V. Rangunterschiede zwischen generellen Normen VI. Das Rangverhältnis zwischen öffentlichen Organen Kapitel 10. Kennzeichen, Grenzen und Identität von Rechtssystemen . I. Einleitung II. Elementbindungen in Rechtssystemen
163 167 171 171 172
III. Der Begriff „Rechtssystem"
176
IV. Zurechnungsfragen bei Rechtssystemen
182
V. Systemkonkurrenzen und Teilsysteme
185
VI. Die Identität von Rechtssystemen auf Zeit Kapitel 11. Zur Interaktion zwischen dem Rechtssystem und seiner Umwelt I. Überblick über Umwelten
188 . . 191 191
II. Das Verhältnis zwischen dem Rechtssystem und dem politischen System 193 III. Eingänge des Rechtssystems
198
IV. Produkte des Rechtssystems
201
V. Rückkoppelung
209
Literaturverzeichnis
217
Register
227
Abkürzungsverzeichnis AcP ARSP BGB GG StGB ZPO
Archiv für die civilistische Praxis Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Bürgerliches Gesetzbuch Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Strafgesetzbuch Zivilprozeßordnung
Kapitel 1
Einleitung Gegenstand dieses Buches sind die Struktur und die Funktionen des Rechts. Unser Buch hat eine rechtstheoretische Zielsetzung. Der Argumentationsgang orientiert sich besonders an der sogenannten analytischen Richtung der Rechtstheorie, die sich bekanntlich insbesondere mit der Analyse von Grundbegriffen beschäftigt - wie etwa „Rechtsregeln", „Subjektives Recht", „Rechtspflicht" usw. In gewisser Hinsicht weicht unsere Darstellung vom traditionellen Ansatz ab. Einflußreiche Vertreter der analytischen Rechtstheorie intendieren hauptsächlich eine Beschreibung der Grundelemente, aus denen Recht sich zusammensetzt. Seit den Pionierarbeiten Jeremy Benthams vor nun fast zweihundert Jahren ist man mit der Herausarbeitung rechtlicher Grundelemente schrittweise weitergekommen, ebenso mit ihrer Unterscheidung von benachbarten Phänomenen wie z.B. Sitte und Moral. Fragen des Zusammenhangs und der Interaktion der verschiedenen Elemente untereinander sowie mit außerrechtlichen Faktoren sind vergleichsweise weniger behandelt worden. Man findet in der rechtsphilosophischen Literatur zahlreiche, aber oft unvollkommene Versuche, solche Beziehungen im Recht und zur Umwelt von Recht zu erörtern. Solche Mängel hängen u.E. mit der mangelnden Berücksichtigung des Systemcharakters von Recht zusammen - als eines Ganzen mit komplizierten inneren Prozessen und mit komplizierten Wechselbeziehungen zur gesellschaftlichen Umwelt. 1 Man muß also vom Systemcharakter von Recht ausgehen, wenn man die einzelnen Grundeinheiten von Recht angemessen untersuchen will. Erst wenn man nach den Eigenschaften und Prozessen des Rechtssystems als eines Ganzen fragt, werden der stetige Systemwandel und Interdependenzen mit Umweltereignissen verständlich. In der traditionellen Rechtsphilosophie neigt man im übrigen dazu, Recht als statisches System darzustellen. Außerdem tendiert man wohl dazu - wie z.B. Kelsen in seiner „Reinen Rechtslehre" - Recht als ein geschlossenes System zu behandeln. Gegen solche Tendenzen wenden wir uns hier, indem wir den Systemaspekt konsequent in den Vordergrund rücken und die Aufmerksamkeit auf die Fähigkeit des Rechtssystems, sich zu ändern und Umwelten anzupassen, konzentrieren. Insofern stimmen wir mit einem 1
In der Rechtssoziologie sind systemtheoretische Ansätze eher anzutreffen, vgl. im deutschen Sprachraum besonders Luhmann (1970, 1972 und 1976 m.a.). Siehe auch Krawietz (1984 und 1986).
14
Kap. 1: Einleitung
Haupttrend in zahlreichen anderen Wissenschaften überein, z.B. der neueren Physik, Biologie und Gesellschaftswissenschaft. Wie im Kapitel 2 noch näher zu belegen ist, haben sich Systemdenken und Systemtheorie in vielen Forschungsbereichen zunehmend durchsetzen können - nicht zuletzt als Reaktion auf tendenziell statische Beschreibungen isolierter Elemente und Prozesse seitens anderer Ansätze. Die Kritik der Systemtheoretiker an älteren Ansätzen und ihre Hervorhebung von Ganzheit, Bewegung und Zusammenhang erinnert an Innovationen in früheren Epochen der Geistesgeschichte - eine ähnliche Kritik findet sich beispielsweise als Pointe in Hegels Beurteilung von Wissenschaft. 2 Aber erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kann von einer wirklich interdisziplinären Bewegung die Rede sein, welche systemtheoretische Ansätze bewußt nutzbar zu machen sucht. Von einigen Ausnahmen abgesehen, hat diese Denkweise in der rechtswissenschaftlichen Literatur jedoch vorläufig keinen nennenswerten Erfolg verbuchen können. Wie schon angedeutet wurde, beabsichtigen wir in erster Linie eine Herausarbeitung derjenigen Aspekte von Recht, die dieses als umweltoffenes und dynamisches System kennzeichnen. Diese Zielsetzung legitimiert eine ausführliche Erörterung von umweltoffenen dynamischen Systemen anderer Lebensbereiche und von diesbezüglichen Theorien (Kapitel 2). Wir sind der Ansicht, daß solcher Hintergrundstoff fruchtbares Umdenken über Rechtstheorie anregen kann. Auch wenn gegenüber voreiligen Analogieschlüssen Skepsis angebracht ist, sollte man trotzdem einen Blick auf andere Fachgebiete riskieren. Wir gehen davon aus, daß das Rechtssystem sich aus zwei Elementtypen zusammensetzt: aus Normen und Aktivitäten. Zu den Systemaktivitäten rechnen wir insbesondere Entscheidungen und Begründungen des Gesetzgebers, der Richter und gewisser Verwaltungsorgane. Zwischen Rechtsnormen und den genannten Aktivitäten bestehen verschiedene Zusammenhänge. Erstens bestehen Sinnzusammenhänge: Normen liefern Deutungs- und Klassifikationsschemata zur Erklärung von Aktivitäten. Aktivitäten tragen ihrerseits dazu bei, den Inhalt der Normen zu präzisieren und zu veranschaulichen. Zweitens entstehen kettenhafte Kausalzusammenhänge, wenn normbestimmte Entscheidungen Ausgangspunkte für neue Normen darstellen, letztere wiederum neue Entscheidungen bestimmen usw. Drittens gibt es normative Zusammenhänge. Rechtliche Entscheidungen werden nicht nur von Normen bestimmt, sondern auch begründet oder gerechtfertigt unter Hinweis auf vorliegende Normen. Die Gültigkeit einer Verordnung wird oft damit begründet, daß „sie gesetzlich verankert ist" und die Richtigkeit eines Urteils damit, daß „es auf geltendem Recht beruht". 2 Besonders anschaulich im Vorwort, „Vom wissenschaftlichen Erkennen" in Hegels Phänomenologie des Geistes (S. 11 - 67, Suhrkamp-Ausgabe, Frankfurt 1970). „Das Wahre als System" wird ausdrücklich hervorgehoben (S. 27 - 28) und später dem Isolierten und Statischen („Fixierten", „Toten": S. 44) gegenübergestellt.
Kap. 1: Einleitung
Die enge Wechselwirkung zwischen Normen und Aktivitäten wird in den Kapiteln 8 und 9 erörtert. Zunächst wird eine recht ausführliche Analyse des Normbegriffs verschiedener Normtypen und Normzusammenhänge vorgenommen (Kap. 3 - 7 ) . Normzusammenhänge stellen sich oft als Kombinierbarkeit dar. Ähnlich wie Teile eines Puzzlespiels können Normen als Fragmente in komplexere Normen eingehen. Zusammenhänge können auch daraus resultieren, daß Normen als Bindeglied zwischen gewissen Typen von Rechtspositionen fungieren, wie z.B. „Eigentümer", „Inhaber einer Forderung", „Schuldner", „Aktiengesellschaft", „Gericht" und „Gesetzgeber". Wenn man Positionstypen und Bindeglieder zwischen ihnen beschreibt, erhält man eine Vorstellung von der statischen Struktur des Rechtssystems, seiner „Anatomie", wenn man so will. Um im Bilde zu bleiben: Rechtssysteme haben außerdem ihre „Physiologie". Ständige Prozesse tragen dazu bei, dynamische Zusammenhänge zwischen Normen zu schaffen. Einige solcher Zusammenhänge sind „genetisch" - sie liegen vor, wenn eine Norm die Grundlage für neue Normen bildet, indem sie Kompetenzen der Normsetzung einräumt. Ein genetischer Zusammenhang besteht z.B. zwischen einer Verfassungsregel, die Gesetzgebungskompetenz einräumt, und den Gesetzen, die normgemäß erlassen werden, oder auch zwischen Kompetenzregeln in Gesetzen und Verordnungen, die unter Bezugnahme auf die Rechtsnorm erlassen werden. Es gibt auch „operative" Zusammenhänge. Hier impliziert die Anwendung einer Norm die Anwendung anderer Normen. Aus der Anwendung von Vertragsschlußregeln folgt z.B., daß die Regeln zur Vertragserfüllung zur Anwendung kommen. Bei Nichterfüllung kommen Schadensersatzansprüche und evtl. auch verfahrensrechtliche Ansprüche in Betracht. Verfahrensvorschriften implizieren oft Zwangsvollstreckung sowie die Entstehung neuer Rechte und Pflichten usw. Sowohl bei genetischen als auch bei operativen Zusammenhängen werden die Normen durch Aktivitäten vermittelt. Solche Aktivitäten können Systemelemente sein, wie z.B. Gesetzesbeschlüsse und Urteile, oder Aktivitäten, die wir als Produkte der Systemtätigkeit charakterisieren können, z.B. Vertragsschlüsse. Der systemtheoretische Begriff der Rückkoppelung („feedback") erscheint in unserem Zusammenhang ebenfalls fruchtbar. Wir klären diesen Begriff im Kap. 2 und benutzen ihn in verschiedenen Zusammenhängen. Erstens kann der einzelne rechtliche Überlegungsvorgang als ein dynamisches Denksystem angesehen werden. Hier besteht die Rückkoppelung darin, daß man das vorläufige Ergebnis eigener Überlegungen bewertet und ggf. das Material nochmals auf Korrekturmöglichkeiten überprüft. (Siehe dazu Kap. 8 III.) Zweitens kann Rückkoppelung innerhalb der Teilsysteme des Rechtssystems stattfinden. Ein Beispiel: Wenn man Normen gemäß einer Kompetenznorm setzt, kann es zweifelhaft sein, ob diese Kompetenznorm eine hinreichende Grund-
16
Kap. 1: Einleitung
läge für die Normen darstellt. Das Schicksal der gesetzten Normen - z.B. ob sie von den Gerichten anerkannt werden oder nicht - kann auf die Kompetenznorm zurückwirken. Solche Rückkoppelung (siehe dazu Kap. 8 V I I ) kann die Autorität von Kompetenznormen stärken oder schwächen und ihr Anwendungsgebiet ausweiten oder einschränken. Solche Kausalprozesse spiegeln sich wider in normativen Begründungen. Es ist z.B. üblich, aus der „Praxis", die einer Norm folgt, die Gültigkeit oder den Inhalt der Norm zu begründen. Die letzten beiden Kapitel des Buches behandeln das Verhältnis des Rechtssystems zu seiner Umwelt. Im Kap. 10 diskutieren wir die alte Frage nach dem Begriff des Rechts, aber in anderer Weise als üblich. Statt danach zu fragen, was rechtlichen Normen von anderen Normarten unterscheidet, fragen wir zunächst nach spezifischen Kennzeichen von Rechtssystemen im Vergleich mit anderen Norm- und Aktivitätssystemen. Anschließend befassen wir uns mit der Frage, was zu einem Rechtssystem gehört und was nicht. In diesen Erörterungen wollen wir aufzeigen, daß die benutzten Unterscheidungen unscharf sind. Welche Systeme man als Rechtssystem betrachten will, ist letztlich eine Ermessensfrage. Außerdem können die Grenzen zwischen dem einzelnen Rechtssystem und seiner Umwelt ziemlich fließend sein. Viele Elemente eines Rechtssystems können zudem als Elemente in andere Systeme eingehen, z.B. in politische und moralische. Im Kap. 11 richten wir unser Augenmerk auf die Interaktion zwischen dem Rechtssystem und seiner Umwelt. Wir betrachten einerseits die Forderungen, die die Umwelt an das System stellt und die Unterstützung, die es erhält. Andererseits erörtern wir den „output" von Systemen: Handlungsprogramme, Wertbestätigung und mehr oder weniger korrekte Informationen über gesellschaftliche Verhältnisse. Auch hier spielt Rückkoppelung eine zentrale Rolle. Die wertbestätigende Wirkung des Systems kann gegebene ideologische Unterstützungen erhalten oder gar erhöhen. Kritik an Leistungen des Systems kann zu Reformforderungen führen. Wir gehen auch auf solche Aspekte des Rechtssystems ein, die gegen Außeneinflüsse abschirmen. Prinzipien gerichtlicher Unabhängigkeit fungieren etwa als ein solcher Schutzmechanismus. Gleiches gilt für die juristische Argumentationstechnik, die Nicht-Juristen eine Kontrolle systeminterner Vorgänge erschwert. Wir wollen unsere Einschätzungen soweit wie möglich an Beispielen veranschaulichen. Obwohl die meisten solcher Beispiele dem norwegischen oder deutschen Recht entnommen sind, zielt die Darstellung auf eine Beschreibung gemeinsamer Züge von Rechtssystemen ab. Einen systematischen Vergleich verschiedener Rechtssysteme wollen wir allerdings nicht anstellen. Auch wenn sich das Buch im wesentlichen an einen juristisch geschulten Leserkreis wendet, hoffen wir, daß auch soziologisch und philosophisch orien-
Kap. 1: Einleitung
tierte Leser aus ihm Nutzen ziehen können. Viele der beschriebenen Interaktionstypen - von Normen und Aktivitäten, von verschiedenen Normen und von sozialen Institutionen mit ihren Umwelten - sind nicht auf das Rechtssystem beschränkt. Einzelne solcher Zusammenhänge werden im Rechtssystem allerdings deutlicher als anderswo, da hier viele der rechtlichen Normen formell gesetzt werden und da Entscheidungen und Begründungen weitgehend veröffentlicht werden. Systemtheoretische Untersuchungen von Rechtssystemen können daher oft als Modell oder Anregung für ähnliche Untersuchungen anderer sozialer Institutionen dienen. Und letzten Endes ist Recht als gesellschaftlicher Faktor zu wichtig, als daß Rechtsanalysen den Juristen vorbehalten bleiben sollten.
2 Eckhoff/Sundby
Kapitel 2
Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien I. Systembegriff und Strukturbegriff Das Wort „System" kommt in recht verschiedenen Zusammenhängen vor. Es gibt soziale, politische, wirtschaftliche und philosophische Systeme, Nervensysteme und andere biologische Systeme, Koordinationssysteme und Zahlensysteme, Meldesysteme im Bridge und Totosysteme. Außerdem bezeichnet man Verfahren als „systematisch" und Personen als „Systematiker", spricht von „Systematik" und „systematisieren". Das gleiche Etikett dieser recht verschiedenen Phänomene deutet auf einen gemeinsamen Nenner hin: Sätze von Elementen und Beziehungen bilden zusammen ein strukturiertes Ganzes, oder anders formuliert: eine geordnete und abgegrenzte Menge. Wenn wir „Systeme" auf diese Weise definieren, so erhalten wir einen recht weiten Begriff, der teilweise auch solche Sachverhalte einschließt, die normalerweise kaum als Systeme bezeichnet werden. Ein Motor gilt dann z.B. als ein System von Zylindern, Kolben, Rohren, Leitungen usw., ein Satz als ein Wortsystem, ein Wort als ein Buchstabensystem usw. Bei der hier gewählten weiten Begriffsbestimmung läßt sich leichter angeben, was nicht unter den Systembegriff fällt. Zunächst entfallen Phänomene, die sich nicht in Untereinheiten aufgliedern lassen. Die Auffassungen bezüglich denkbarer Mindesteinheiten haben sich aber im Laufe der Wissenschaftsgeschichte gewandelt. Man glaubte z.B. lange, daß Atome die kleinsten Untereinheiten physikalischer Gegenstände seien, während man heute Atome als System von Protonen, Neutronen, Elektronen u.a.m. behandelt. Ebensowenig sind ungeordnete und nicht abgrenzbare Mengen Systeme. Die Meinungen sind aber auch hier geteilt und veränderlich. Gelegentlich entdeckt man neue Ordnungsformen in Phänomenen, die früher als reinstes Chaos galten, oder man entdeckt Grenzen statt bisher fließender Übergänge. Im übrigen ist es oft eine Ermessensfrage, wie strenge Ordnungs- und Abgrenzbarkeitskriterien man an Systembegriffe anlegt. Die Beispiele zeigen die mögliche Heterogenität von Systemelementen. Es kann sich dabei um physikalische Gegenstände oder Partikel handeln, um biologische Individuen, Handlungen, Ereignisse, Normen, Werte, Einstellungen
I. Systembegriff und Strukturbegriff
19
usw. Innerhalb desselben Systems können alle Elemente gleichartig sein - wie ζ. B. die Moleküle eines Kristalls. In anderen Fällen sind Elemente mehr odef weniger heterogen, wie z.B. die verschiedenen Organe im Organismus, oder die Normen und Aktivitäten innerhalb eines Rechtssystems. Elemente können jeweils verschieden miteinander verbunden sein: durch innere, unmittelbare Beziehungen oder auch mittelbar, über Beziehungen zwischen Elementen und systemexternen Sachverhalten, wie z.B. gemeinsamen Zwecken oder Funktionen. Die Beziehungen können ihrerseits verschieden sein: Kausalzusammenhänge, Zweck-Mittel-Zusammenhänge, logische Zusammenhänge usw. Ähnlich wie bei Elementen lassen sich auch systeminnere Beziehungen in homogene und heterogene unterscheiden. Wenn wir hier von „Systemstrukturen" sprechen, dann meinen wir damit die Art und Weise, in der die Elemente geordnet sind, also deren gegenseitige Beziehung.1 Viele Systeme enthalten wohl ähnliche Elemente als auch gleiche Strukturen, wie z.B. Moleküle gleicher Substanz, Organismen gleicher Art oder Autos gleicher Marke und gleichen Baujahrs. Aber auch bei Systemen mit völlig verschiedenen Grundelementen kommt gelegentlich mehr oder weniger Strukturgleichheit (Isomorphic) vor. Man kann sich z.B. gewisse strukturelle Ähnlichkeiten zwischen biologischen, sozialen und selbstgesteuerten maschinellen Systemen vorstellen. Auf diese Frage kommen wir in den Abschnitten V I I und V I I I zurück, wo die allgemeine Systemtheorie behandelt wird; dort geht es u.a. um Nachweise solcher Ähnlichkeiten - als Grundlage neuer Einsichten mit Hilfe von Analogieschlüssen. Wie bereits erwähnt wurde, müssen Elemente zusammen ein Ganzes bilden, um als System gelten zu können. Eine Voraussetzung für solche ganzheitliche Betrachtungen wiederum ist die Unterscheidbarkeit eines Phänomens von seiner Umwelt. Ein diesbezügliches Unterscheidungskriterium können z.B. gewisse Elementbeziehungen sein, die im Inneren auftreten, im Verhältnis zur Umwelt aber fehlen. Es gibt aber auch andere Abgrenzungsmöglichkeiten. Wir verlangen keine scharfen Grenzen zur Systemumwelt. Wir behandeln z.B. eine Haufensiedlung als ein eigenes Gebäude- und Wegsystem, auch wenn die Siedlungsdichte zu Peripherie hin nur schrittweise abnimmt, so daß eine exakte Grenzziehung zwischen der Haufensiedlung und umliegender Streusiedlung kaum möglich ist. Dementsprechend werden wir das norwegische Recht als ein eigenes Rechtssystem betrachten, auch wenn es gelegentlich strittig sein mag, ob nun einige Normen zum System zu rechnen sind oder nicht. Um entscheiden zu können, ob ein Phänomen die Definitionsmerkmale von Systemen erfüllt, bedarf es selten einer pedantischen Grenzziehung zwischen Systemen und Umwelten. Auch dort, wo sich Systeme recht deutlich 1 2*
Vgl. zum Strukturbegriff Tran0y (1959, S. 12ff.).
20
Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
von ihren Umwelten abheben, wie z.B. bei lebenden Menschen oder Tieren, können genaue Abgrenzungen problematisch sein. Wann und wieweit wird ζ. B. Nahrung zu einem Bestandteil des Körpers transformiert? Viele Systeme fungieren gleichzeitig als Elemente von Systemen größerer Reichweite, jene wiederum als Elemente in Systemen noch größerer Reichweite usw. Ein solcher Stufenaufbau ist u. a. für die physikalische Wirklichkeit charakteristisch. Wir betrachten Atome als Protonen-, Neutronen-, Elektronensysteme und Moleküle als Atomsysteme. Die Moleküle wiederum fungieren als Elemente in recht verschiedenartigen Systemen. In lebenden Organismen ζ. B. sind Moleküle die Bausteine von Zellen, die zusammen Gewebe bilden, und jene wieder bilden Organteile. Mehrere Organe wiederum können System Verbindungen eingehen, wie z.B. das Atmungssystem, das Verdauungssystem und das Nervensystem, die wiederum Teile des Organismus darstellen. Solche Organismen können dann als Elemente in verschiedenen sozialen, ökologischen und topographischen Systemen und Systemhierarchien fungieren. In makrokosmischen Zusammenhängen treffen wir auf ähnliche Verhältnisse. Die Erde und ihr Mond bilden ein Satellitensystem, das seinerseits als Element in das Sonnensystem eingeht; dies wiederum fungiert als Element im Milchstraßensystem. Milchstraße, Andromedanebel und eine Reihe anderer relativ naheliegender Galaxen und Sternansammlungen fungieren zusammen als „lokale Gruppe" (in der Terminologie der Astronomen), die wiederum einen kleinen Teil des bisher bekannten Universums ausmacht. Abgestufte Systeme trifft man in allen Bereichen an. Militärische und andere Organisationen bieten hier naheliegende Beispiele. Gleiches gilt für sprachliche Phänomene. Bücher lassen sich z.B. als Kapitelsysteme betrachten, Kapitel lassen sich in Abschnitte aufteilen, jene wiederum lassen sich als Sinn- und Wortsysteme verstehen. Sieht man es andersherum, so können Bücher als Elemente in umfassenderen Systemen fungieren, z.B. in Büchersammlungen, Lesepensa oder der gesammelten Produktion eines Autors. Solche Systeme können wiederum als Elemente in noch umfassendere Systeme eingehen. Ähnliche Beispiele lassen sich in allen Lebensbereichen finden. Begriffe wie „Ganzes" und „Teil" werden daher in einer Systemperspektive recht relativ. Was sich beim Blick nach innen als strukturiertes und vollständiges Ganzes darstellt, ist beim Blick nach außen oft seinerseits Element eines größeres Ganzen.2 Viele Systeme sind das Werk von Menschen. Sie können ein Ergebnis bewußter und geplanter Tätigkeit sein, wie z.B. eine konstruierte Maschine oder ein Klassifikationssystem für Bibliotheken. Oder es kann sich um eher 2 Der Stufenaufbau komplexer Strukturen ist das Hauptthema in einem sehr lesenswerten Artikel von Simon (1965). Auch Koestler (1967) mißt dem Stufenaufbau große Bedeutung bei und führt die Bezeichnung „Holon" für Phänomene ein, die aus einem Blickwinkel als Ganzes und aus einem anderen als Teil erscheinen.
I. Systembegriff und Strukturbegriff
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spontane Systembildungen handeln, wie z.B. bei Leuten, die in der Nachbarschaft wohnen, allmählich miteinander Umgang pflegen und nach und nach ein Netz sozialer Beziehungen entwickeln. Andererseits gibt es Systeme, die wir als rein natürlich auffassen, z.B. das Sonnensystem. In diesem Zusammenhang taucht gelegentlich die Frage auf, ob nun wirklich „die Natur selbst ihre Elementarpartikel in bestimmten Systemen und Systemhierarchien geordnet hat, oder ob wir Menschen die Welt auf eine Art und Weise einteilen und strukturieren, die den Besonderheiten unser Sinnesorgane und unserer Denkweise entspricht. 3 In manchen Fällen kann man diesem Problem näherkommen, indem man direkte Wahrnehmung durch Instrumente ersetzt. Mit einer definitiven Antwort können wir allerdings nicht rechnen, denn wir können uns nie völlig von unseren Sinnes- und Denkorganen emanzipieren. Wir können schließlich nicht wissen, wie wir die Welt erleben würden, wenn wir ganz andere Wesen wären. Jedenfalls ist der Gedanke naheliegend, daß Auffassungen zur Aufgliederung und Struktur der Wirklichkeit sowohl von Objekteigenschaften als auch von Beobachtereigenschaf ten abhängen, wobei mal das eine, mal das andere eine größere Rolle spielt. Unabhängig von solchen Fragestellungen gibt es jedenfalls eine ganze Reihe von Einteilungen und Strukturen, die wir als naturgegeben auffassen, wie z.B. Kristallstrukturen. Auch dort, wo der Systemaufbau sich nicht direkt beobachten läßt, unterstellt man nach einer Vielzahl eindeutiger Beobachtungsresultate eine Übereinstimmung der üblichen Strukturauffassungen mit der Wirklichkeit. So verfährt man etwa beim Sonnensystem, während strittig ist, ob die Atommodelle der Chemiker als Wirklichkeitsbeschreibungen oder als nützliche Konstruktionen einzustufen sind. Ein und dasselbe Objekt läßt sich oft mit verschiedener Optik betrachten. Ein Mensch läßt sich z.B. als Organismus behandeln und wird dann als biologisches Organsystem problematisiert. Man kann den Menschen auch als Persönlichkeit behandeln und folgt dann z.B. der psychologischen Beschreibung von Persönlichkeiten als Eigenschafts- oder Aktivitätssystemen. Naturgemäß bleibt dann die Frage, für welche dieser Perspektiven man sich entscheidet. Sobald man sich entschieden hat, welche Objekteigenschaften man beschreiben möchte, treten ähnliche Entscheidungsprobleme auf. Zum Beispiel lassen sich Persönlichkeitssysteme und soziale Systeme recht verschieden beschreiben. Daß es mehr als eine einzige korrekte Beschreibung gibt, liegt nun sicher nicht daran, daß sich Elemente und Elementbeziehungen innerhalb von Persönlichkeiten und Gesellschaften schwierig aufdecken lassen. Die Ursache dafür ist eher, daß es zu viele Elemente und Elementbeziehungen 3
Simon (1965, besonders S. 72 - 73) und Bertalanffy (1968, S. 222 - 250, besonders S. 239ff.) stellen eine Reihe von interessanten Überlegungen zu dieser Frage an.
22
Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
gibt und man sich noch nicht darauf hat einigen können, welche von ihnen man als die wichtigsten ansehen will. Ebenso wenig ist immer klar, was nun als Element und was als Beziehung einzustufen ist. U m ein triviales Beispiel zu nennen: ist ein Fischernetz ein Garnsystem, das von Knoten zusammengehalten wird, oder ein Knotensystem, das durch Garn verbunden ist? Oft taucht die Frage auf, mit wie differenzierten Unterscheidungen zwischen Subsystemen und deren Subsystemen man operieren soll. A n und für sich läßt sich z.B. ein Organismus als ein einziges Großsystem aus Protonen, Neutronen und Elektronen betrachten. In diesem Fall gerät jedoch seine Struktur derart überkomplex, daß ein adäquates Verständnis gar unmöglich wird. Des Überblicks wegen bedarf es also solcher Subsysteme wie Atome, Moleküle, Zellteile, Zellen, Gewebe, Organe usw. - eben um sich jeweils auf eine Ebene beschränken zu können, wenn man Strukturen untersuchen will. Dabei ist es eine Frage von Zweckmäßigkeitserwägungen, mit welcher Anzahl von Ebenen man operieren möchte. Sie hängt unter anderem vom Forschungszweck und vom Untersuchungsziel ab. Außerdem ist die Homogenität bzw. Heterogenität des jeweiligen Objekts von wesentlicher Bedeutung. Sind sämtliche Elemente und Elementbeziehungen relativ gleichartig (wie z.B. die Gasmoleküle in einem Behälter oder die Kohlenstoffmoleküle in einem Diamanten), so läßt sich eine solche Ganzheit ohne weiteres als ein einfaches System betrachten - auch bei extrem hoher Elementanzahl (z.B. bei einer zehn- und mehrstelligen Anzahl). Sind demgegenüber die Elemente oder Elementbeziehungen recht verschieden, so können wir nur bei niedriger Elementanzahl (z.B. bei ein- oder zweistelligen Zahlen) den Überblick behalten. 4 I I . Objektsysteme und Ideensysteme Es gibt zahlreiche Systemtypen und Systemtypologien. In diesem und in den folgenden Abschnitten begnügen wir uns mit Hinweisen auf einige Unterscheidungen von allgemeinem Interesse. Unter „Objektsystemen" verstehen wir nicht nur Systeme physikalischer Gegenstände oder Partikel, wie z.B. Maschinen, Gebäude, Sonnensysteme oder Organismen, sondern auch solche Systeme, bei deren Elementen es sich um Zustände, Eigenschaften, Handlungen, Prozesse und andere Ereignisse handelt - z.B. Zeremonien, Sportwettkämpfe, KrankheitsVerläufe, magnetische Felder und Syndrome.
4
Simon (1965) erörtert in anregender Weise diese und andere Fragen systemischen Stufenaufbaus. U.a. weist er auf die Parallelität zwischen Organisationsaufbau und Wirklichkeitsauffassungen hin - in beiden Fällen gelte es, den Überblick und die Kontrolle zu behalten. Vgl. auch Wilson (1969) mit einer reichhaltigen Übersicht verschiedenen Systemaufbaus und diesbezüglicher Literatur.
II. Objektsysteme und Ideensysteme
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Beispiele für „Ideensysteme" sind Beschreibungen, Theorien, Modelle, Muster, Pläne, Programme oder kurz und zusammenfassend: Systeme von Sinnelementen. Während es sich bei vielen Objektsystemen um Naturprodukte handelt, sind Ideensysteme immer ein Werk von Menschen und normalerweise zweckgerichtet. Häufig beabsichtigt man Faktendarstellungen, z.B. die Beschreibung eines Ereignisses, die Zeichnung eines Gegenstandes oder Kartendarstellungen von Landschaften. Oder es geht um Erläuterungen von Sachverhalts/)^/*, z.B. um Hinweise auf charakteristische Züge, oder um eine Theorie über Kausalzusammenhänge. In anderen Fällen geht es um die Planung von Aktivitäten - ζ. B. durch Hinweise auf zu befolgende Verfahren, oder durch Angaben zum gewünschten fertigen Produkt. Solche Pläne, Programme oder Muster können sich auf Einzelaufgaben beziehen (z.B. bei Bauplänen) oder auf Aktivitäts- und Aufgabentypen (z.B. Archivsysteme, Klassifikationssysteme für Bibliotheken, Bridgesysteme, EDV-Programme für bestimmte Typen von Rechenoperationen usw.). Diese Auflistung von Verwendungszwecken ließe sich fortsetzen. Außerdem gibt es Ideensysteme, die eher zweckfrei erscheinen oder ein so breites Verwendungsspektrum besitzen, daß keine besondere Einzelfunktion herausgegriffen werden kann. Ideensysteme besitzen in der Regel mehrere Berührungspunkte mit der psycho-physischen Wirklichkeit. Erstens resultieren sie aus menschlichen Gedankenprozessen. Sie können auch anderen Menschen mitgeteilt werden, in deren Bewußtsein eingehen, als Grundlage für Auffassungen und Einstellungen dienen und Verhalten beeinflussen. Zweitens muß das System in der Regel in einem Medium ausgedrückt sein, z.B. in Druckschrift, Zeichnungen, Konstruktionsentwürfen oder Landkarten, also in physikalischen Medien, die Objektsysteme ausmachen können. Der Buchdruck eines konkreten Buches läßt sich z.B. als geometrisch strukturiertes System in Druckerschwärze auf Papier betrachten. Man muß hier zwischen diesem medialen System und dem vom Text oder der Zeichnung repräsentierten Sinnsystem unterscheiden. Drittens können viele Ideensysteme mehr oder weniger große Strukturähnlichkeit (Isomorphic) mit den Objektsystemen besitzen, welche sie im Vorgriff entwerfen oder nachträglich abbilden. Solche Isomorphic besteht z.B. zwischen Karte und Gelände, zwischen Bauplan und Haus, zwischen Klassifikationssystem und Bücheranordnung in der Bibliothek, zwischen Komposition und Konzert, zwischen Choreographie und Tanz usw. Fügt man den bereits erwähnten Zusammenhang zwischen Medium und Sinngehalt hinzu, so kann
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
man von einer dreigliedrigen Isomorphic sprechen, z.B. zwischen dem Sinngehalt der Karte, dem Kartenblatt und dem dargestellten Gelände, oder zwischen der Komposition, den Noten und einem Konzert. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Ideensystemen, die weder Wirklichkeiten abbilden noch entwerfen, z.B. bei reinen Phantasieprodukten. Oder sie können sich auf einer höheren Abstraktionsebene befinden, wie z.B. Zahlensysteme (z.B. unser Dezimalsystem, das binäre Positionssystem von Rechenanlagen oder das additive System der Römer), Koordinatensysteme und andere mathematische Systeme.
I I I . Statische und dynamische Systeme Einige Systeme, z.B. Maschinen oder Organisationen, enthalten aktive Elemente. Solche Systeme bezeichnen wir als „dynamische", im Gegensatz zu „statischen" Systemen. Will man entscheiden, ob ein Element aktiv ist oder nicht, so muß auf seine Funktion im System abgestellt werden. Z . B . betrachten wir Kristalle als statische Systeme, da von den Atomen, Ionen oder Molekülen, aus denen sie bestehen, keine systemändernde Aktivität ausgeht. Die Behandlung von Einzelatomen als dynamischen Systemen schließt folglich nicht aus, daß sie gleichzeitig als Elemente in statischen Kristallsystemen fungieren können. Ähnlich bestehen statische Systemeigenschaften von Kristallen auch dann, wenn wir sie in die Tasche stecken und mit ihnen Spazierengehen - denn daraus folgt noch keine Änderung der internen Atomstruktur. Schlagen wir das Kristall mit einem Hammer entzwei, so zerstören wir zwar das System, aber auch dann kann von Dynamik keine Rede sein. Sind demgegenüber Elemente Handlungen, Ereignisse oder Prozesse, so folgen bereits darauf dynamische Systemeigenschaften. Zeremonien, Sportwettkämpfe und Krankheitsverläufe lassen sich als Beispiele anführen. Physikalische Systeme können statisch (z.B. Gebäude) oder dynamisch sein. Zum letztgenannten Typ gehören u.a. alle lebenden Organismen, einzelne andere Naturphänomene (z.B. Atom- und Sonnensysteme) und verschiedene von Menschen geschaffene Systeme (z.B. Maschinen). In solchen Systemen bestehen bestimmte Kausalbeziehungen zwischen (allen oder einigen) Elementen. Aus Änderungen an einem Systembereich folgen daher oft Änderungen in anderen Bereichen. Systemwandel setzt allerdings nicht voraus, daß alle Elemente einander beeinflussen oder bewegen - bei aller Beweglichkeit besitzen z.B. die meisten Maschinen eine Reihe unbeweglicher Einzelteile. Außerdem lassen sich je nach Anzahl, Dauer und Reichweite faktischen Wandels Grade von Dynamik unterscheiden. Insofern kann es gelegent-
III. Statische und dynamische Systeme
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lieh eine reine Ermessensfrage sein, ob ein System nun als statisch oder als wenig dynamisch charakterisiert werden soll. Will man Systeme beschreiben, die sowohl statische als auch dynamische Eigenschaften haben, so empfiehlt sich gelegentlich deren gesonderte Behandlung. So verfährt z.B. die Biologie, die statische Eigenschaften von Organismen in der Anatomie und dynamische Eigenschaften in der Physiologie behandelt. Abschließend wollen wir kurz etwas näher auf Ideensysteme eingehen. Sie können zunächst natürlich Beschreibungen oder Entwürfe von dynamischen Objektsystemen sein. Ein Ideensystem selbst wird dadurch indes noch nicht dynamisch. Ebensowenig empfiehlt sich eine Gleichsetzung von Dynamik und Systemveränderbarkeit, etwa durch Gedankenrevision, Ideeninnovation oder durch eine neue Systematik. Man sollte Ideensysteme daher nur dann als dynamisch bezeichnen, wenn sie selbst Anweisungen für eine Systemänderung enthalten. In diesem Sinne ist eine empirisch orientierte wissenschaftliche Theorie dynamisch, wenn ihre Hypothesen als vorläufig gelten und künftigen Forschungsresultaten jeweils angepaßt werden müssen. Ein weiteres Beispiel sind evtl. axiomatische Systeme, in denen mit Hilfe von vorliegenden Axiomen und Schlußregeln neue Theoreme abgeleitet werden können. Es fragt sich allerdings, ob man auch in solchen Fällen von Systemänderung reden sollte, etwa, wenn man annimmt, daß das System von Anfang an sämtliche Theoreme umfaßt, die aus den Axiomen abgeleitet werden können. Man spricht bei dynamischen Systemen nicht gleich von „neuen" Systemen, wenn ständig gewisse Element- oder Strukturveränderungen auftreten, sondern unterstellt normalerweise Systemidentität. Selbstverständlich kann man sich auch derart grundlegende Veränderungen vorstellen, daß Systeme untergehen oder in andere Systeme übergehen. Man kann sich im Prinzip verschiedene Kriterien für Systemidentität vorstellen. Meist hebt man jedoch vorzugsweise auf die Identität von Strukturen und Prozessen ab und weniger auf die Bewahrung ursprünglicher Elemente. Bei Organismen, Organen und Geweben unterstellen wir z.B. Identität, obwohl einzelne Zellen im Laufe der Zeit absterben und durch neue ersetzt werden. Entsprechend liegt es nahe, eine Identität von Rechtssystemen anzunehmen, solange der Gesetzgebungsapparat und das Gerichtswesen bestehen, auch wenn sich evtl. die meisten Rechtsregeln im Laufe der Zeit geändert haben. Auf diese Identitätsfragen kommen wir im Kap. 10 V I zurück.
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
I V . Offene und geschlossene dynamische Systeme In der empirischen Wirklichkeit lassen sich kaum Beispiele für völlig geschlossene dynamische Systeme finden, also für Systeme, die weder Materie noch Energie mit Umwelten austauschen. Es gibt jedoch Systeme, die in bestimmten Zusammenhängen oder zu bestimmten Zwecken als geschlossen behandelt werden. Unser Sonnensystem ist ein Beispiel dafür - es ist einerseits vom Restuniversum nicht völlig isoliert, u.a. ist die Sonne gleichzeitig Empfänger und Absender von Strahlungen. Geht es aber z.B. um die Untersuchung von Planetenbewegungen im Verhältnis zur Sonne, so ist das Sonnensystem dessen ungeachtet als gechlossenes System anzusehen, denn die erwähnten Einflüsse spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Beispiele für offene Objektsysteme sind Maschinen und Organismen, deren innere Prozesse einerseits von äußerer Energieversorgung abhängen (z.B. von Brennstoff oder Nahrung) und die andererseits Energie, Abfallstoffe usw. an Umwelten abgeben. Soziale Systeme sind ebenfalls mehr oder weniger offen. Das gilt z.B. für eine Universität. Hier bestehen die ,Eingänge4 in Anerkennung von Studieordnungen, Anstellung von Lehrern und Bürokraten, Immatrikulation von Studenten, Haushaltsmitteln, Lehrmaterial usw. Das System „liefert" andererseits fertig ausgebildete Akademiker, Forschungsresultate, und vieles andere mehr. Bei „geschlossenen" Institutionen, z.B. Gefängnissen, handelt es sich ebenfalls nicht um völlig geschlossene Sozialsysteme, denn gelegentlich kommen neue Gefangene hinzu und alte Gefangene werden entlassen. Außerdem haben Gefängnisleitung und -bedienstete Umweltkontakte, und auch die Gefängnisinsassen können meist Besuche empfangen. Im übrigen werden von verschiedenen Stellen Forderungen und Erwartungen an das Gefängnis und seine Funktionsweise gestellt. Geschehnisse innerhalb der Gefängnismauern können außerdem das spätere Leben „außerhalb" beeinflussen. Man kann auch an Bevölkerungsgruppen denken, die wegen räumlicher Isolation keinen Kontakt mit anderen Menschen pflegen. Aber auch solche Sozialsysteme unterliegen den Einflüssen natürlicher Umwelten, z.B. der Flora und Fauna, während jene ihrerseits von den Tätigkeiten der Bevölkerung beeinflußt werden.
V . Rückkoppelung und Selbstregelung In diesem Abschnitt beschränken wir uns auf umweltoffene dynamische Systeme. Die Umweltleistungen an solche Systeme bezeichnen wir als deren Eingänge („inputs") und deren Resultat als Leistungen („outputs"). Gelegentlich beeinflussen Leistungen künftige Systemeingänge und damit auch künf-
V. Rückkoppelung und Selbstregelung
Eingänge
t
System
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Leistungen
Rückkoppelung Figur 1 tige Leistungen. Solche Prozesse bezeichnen wir als Rückkoppelung („feedback"). 5 Figur 1 veranschaulicht diese Begriffe schematisch: Wir unterscheiden zwei Formen von Rückkoppelung - „positive" (oder „tendenzverstärkende") und „negative" (oder „selbstregelnde"). Diese beiden Formen können auf verschiedene Weise zusammentreffen. Wir besprechen jedoch zunächst einige „reine" Fälle. Positive Rückkoppelung liegt z.B. beim Β e völkerungs Wachstum vor. Je mehr Kinder in einer Generation gezeugt werden, desto mehr Kinder können in der nächsten Generation gezeugt werden. Wachstum schafft also Zuwachs, Zuwachs trägt bei zu weiterem Zuwachs usw. Es handelt sich m.a.W. um selbstverstärkende Tendenzen. Ähnlich kann es einem erfolgreichen Industriebetrieb ergehen. Je mehr Erzeugnisse umgesetzt werden, desto größer wird der Gewinn und desto eher kann in neue Produktionsanlagen investiert werden, was wiederum zu neuen Umsatzsteigerungen führen kann. Ein Steppenbrand, der sich ausweitet, oder Kettenreaktionen in der Kernspaltung sind weitere anschauliche Beispiele. Selbstverstärkende Tendenzen, die man umgangssprachlich gern als „Teufelskreise" bezeichnet, liefern ebenfalls einleuchtende Beispiele - z.B. die Entwicklung von Vorurteilen gegenüber ethnischen Minderheiten, etwa Negern in den amerikanischen Südstaaten, die als dumm und faul galten. Das führte dazu, daß sie relativ schlechtere Ausbildung und Arbeitsplätze erhielten, dadurch aber wurden Vorurteile und Benachteiligungen weiter verstärkt. Ein anderes Beispiel sind Rüstungswettläufe als Folge gegenseitiger Ängste von Machtblöcken. Die Aufrüstung des einen Blocks zur Erhöhung der eigenen Sicherheit führt dazu, daß die Gegenpartei um ihre Sicherheit bangt und ihre Rüstung erhöht, was wiederum zu erhöhten Ängsten der ersten Partei und zu weiteren Rüstungsanstrengungen führt. Positive Rückkoppelung führt gelegentlich zu exponentiellem Wachstum. Die relativen Zuwachsraten für feste Zeitspannen sind hier konstant, daher nimmt der absolute Zuwachs immer stärker zu. Verdoppelt sich z.B. eine Ausgangsmenge in einer bestimmten Zeitspanne, so stehen in gleichlangen Zeitspannen immer neue Verdoppelungen an, vgl. Figur 2. 5
Einzelne Autoren verwenden die Bezeichnung „umweltoffene Systeme" in einem engeren Sinn als wir und unterscheiden zwischen „umweltoffenen Systemen" und „Rückkoppelungssystemen", so z.B. Forrester (1971, S. 1 - 5).
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
Zeit Figur 2
Nach diesem Schema wird sich z.B. eine Bevölkerung bei jährlich konstanten Zuwachsraten vermehren. Bei einer Zuwachsrate von z.B. 2% p.a. beläuft sich die Verdoppelungszeit auf ca. 35 Jahre. Eine ursprüngliche Einwohnerzahl verdoppelt sich also nach 35 Jahren, vervierfacht sich nach 70 Jahren, verachtfacht sich nach 105 Jahren usw. Meist führt positive Rückkoppelung allerdings nicht zu derartigem Wachstum - statt dessen treten Bremskräfte auf, die oft an Stärke zunehmen. Wir kommen noch auf diese Frage zurück. Wie aus den angeführten Beispielen erhellt, läßt sich positive Rückkoppelung dadurch kennzeichnen, daß Änderungen neue Änderungen in gleicher Richtung auslösen. Bei negativer Rückkoppelung geschieht das Gegenteil Änderungen provozieren gegenläufige Änderungstendenzen. Steigt eine Menge oder Größe über ein bestimmtes Niveau oder einen bestimmten Wert, so sorgt negative Rückkoppelung für Abnahme. Nimmt eine Menge über einen bestimmten Wert ab, so führt negative Rückkoppelung zu Wachstum. Aus diesem Grunde sind solche Systeme durch dauernde, aber begrenzte Schwingungen um einen Gleichgewichtspunkt (oder ein bewegliches Ziel, vgl. unten) gekennzeichnet. Eine derartige Situation wird in unserer Figur 3 veranschaulicht:
V. Rückkoppelung und Selbstregelung
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A
> Zeit Figur 3
Eine thermostatgeregelte Heizanlage ist ein beliebtes Beispiel. Steigt die Innentemperatur über einen bestimmten Wert (z.B. 22°C), so löst der Thermostat einen Impuls aus, der zu verringerter Brennstoffzufuhr und allmählich zu einer Temperatursenkung führt. Sinkt die Innentemperatur andererseits unter einen festgesetzten Schwellenwert (z.B. 20°C), so sorgt der Thermostat für erhöhte Brennstoffzufuhr und damit Temperaturerhöhung. Durch dieses Verfahren wird die Temperatur stabilisiert, d.h. Variationen werden nur innerhalb enger, anlagen- und einstellungsabhängiger Grenzen zugelassen. Gemeinsames Merkmal aller negativen Rückkoppelung ist ihr Beitrag zur Selbstregelung von Systemen. Oft besteht eine Regelung darin, daß innere Systemzustände trotz variabler Umwelteinflüsse einigermaßen konstant gehalten werden. Thermostaten sorgen z.B. für relativ stabile Zimmertemperaturen trotz wechselnder Außentemperaturen. In anderen Fällen kann die Regelung darin bestehen, daß einzelne Systembestandteile auf maximale Variation mit Außenbedingungen abgestimmt werden: z.B. automatische Luftabwehrkanonen oder Raketen, die Flugzeugbewegungen folgen. Den erstgenannten Regelungstyp bezeichnen wir als „stabilisierend", den zweiten als „zielsuchend". 6 Man verfügt jedenfalls über Apparate (oder Sinnesorgane), die jeweilige Systemzustände registrieren und bei Abweichungen von vorgegebenen Soll- oder Zielzuständen Gegenkräfte mobilisieren. Ein selbstgeregeltes System ist dementsprechend gekennzeichnet durch eine stetige Pendelbewegung zwischen möglichen Abweichungen von Idealzuständen und Einschaltung von korrigierenden Gegenkräften. Selbstregelung mit Hilfe von negativer Rückkoppelung spielt in der Natur eine ebenso große Rolle wie in der modernen, automatisierten Technologie. Alle lebenden Organismen tendieren zur Aufrechterhaltung gewisser 6
Zielorientierte technische Einrichtungen werden oft auch als „Servomechanismen" bezeichnet.
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
Zustände. Solche Zustände, die man oft als „Homöostase" bezeichnet, werden mit Hilfe verschiedener Formen von negativer Rückkoppelung aufrechterhalten. Es geht dabei nicht um die absolute Konstanz des Geregelten, sondern um Variationsbegrenzung, indem nämlich Gegenkräfte ausgelöst werden, sobald der Systemzustand sich einem der Grenzwerte nähert - wie z.B. bei der Körpertemperatur warmblütiger Tiere und Menschen, deren Regelfunktionen einem Thermostat ähneln. Die Regelung läuft teilweise automatisch ab, u.a. bei Hitze über Schweißausbrüche und bei Wärmeverlust durch Verdunsten, bei Kälte über Aufwärmung durch Zittern und Muskelaktivität. Hinzu kommt bewußte Regelung, etwa durch An- oder Ausziehen von Kleidungsstücken, oder durch Regelung der Zimmertemperatur. Solche Handlungen werden ihrerseits gesteuert vom Unbehagen, das wir bei zu starker Wärme oder Kälte verspüren. Wenn wir frieren, ziehen wir mehr an oder stellen den Ofen an. Wenn es uns zu warm wird, ziehen wir die Jacke aus oder öffnen ein Fenster. Auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen finden sich viele Beispiele für negative Rückkoppelungen. Teils funktionieren solche Rückkoppelungen mehr oder weniger automatisch, teils als Ergebnisse bewußter Planung. Stellen wir uns einen Unternehmer vor, der jederzeit ein bestimmtes Warensortiment vorrätig haben möchte, aber auch nicht mehr, als sein Lagerraum gestattet. Steigt sein Umsatz und droht ein leeres Lager, so bestellt er mehr Waren von seinen Lieferanten. Sinkt sein Umsatz und quillt sein Lager über, so setzt er Bestellungen aus und senkt vielleicht die Preise, um sein Lager zu räumen. In solchen und ähnlichen Situationen ähnelt der Planer einem Thermostat und reagiert erst dann, wenn Zustände unannehmbaren Grenzen zustreben. Es gibt auch ausgeklügelte Pläne, welche künftige Entwicklungen voraus zu berechnen und vorzubereiten versuchen - solche Fälle bezeichnet man als antizipierte Rückkoppelung. Ökologische Systeme - d.h. Systeme lebender Organismen und übriger Naturverhältnisse innerhalb eines geographischen Bereichs - enthalten ebenfalls zahlreiche negative Rückkoppelungen. Denken wir uns als konstruiertes Beispiel eine Kaninchen- und Fuchsbevölkerung. Steigt die Anzahl der Kaninchen, so erhalten die Füchse mehr Nahrung und der Fuchsbestand wächst an. Dies jedoch führt zu sinkenden Kaninchenbeständen, so daß sich die Nahrungsgrundlage für Füchse verschlechtert und es entsprechend weniger Füchse gibt. Damit aber verbessern sich.die Lebensbedingungen für Kaninchen und ihre Anzahl steigt usw. Bei Autoren, die sich mit verschiedenen Formen selbstregelnder Systeme befassen, trifft man häufig auf Ausdrücke wie „Zweck" und „Gleichgewicht". Die erste Bezeichnung wird zum Teil in ähnlicher Bedeutung verwendet wie in der Umgangssprache - für Ziele, die Menschen sich setzen (oder Zwecke, die sie Gegenständen zuschreiben). Es erscheint z.B. umgangssprachlich unpro-
V. Rückkoppelung und Selbstregelung
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blematisch, von optimaler Lagerhaltung als Zweck der erwähnten Geschäftstransaktionen zu sprechen, oder von Temperaturkontrolle als Zweck von Thermostatanlagen. Gelegentlich wird der Zweckbegriff auch in einem weiteren Sinn verwendet und bezeichnet dann beliebige Systemzustände, denen sich ein System auf Grund negativer Rückkoppelung tendenziell annähert. Der Term „Gleichgewicht" besagt gelegentlich dasselbe. Gegen solchen Sprachgebrauch ist an und für sich nichts einzuwenden, man muß sich bloß im klaren darüber sein, daß sogenannte „zweckmäßige" Systemzustände weder eine Folge menschlichen Willens noch Ausfluß irgendeines mystischen Prinzips zu sein brauchen. Ebensowenig muß ein System in einem „Gleichgewichtszustand" schon daher wünschenswert sein. Hier muß angemerkt werden, daß sich z.B. ein ökologisches System trotz gestörten Gleichgewichts ζ. B. als Folge geänderter Naturverhältnisse oder der Ausrottung einer Tierart - oft einem neuen Gleichgewichtszustand anzupassen sucht. Obwohl aus Erfahrung bekannt ist, daß menschliche Eingriffe in die Natur oft ungeahnte und gefährliche Folgen haben können, so ist damit noch nicht gesagt, das jede Veränderung von Übel ist. Das wachsende Interesse an selbstgeregelten Systemen hat auch zu einer Bedeutungsausweitung des Informationsbegriffes geführt. Die Aktivitäten einer thermostatgesteuerten Heizungsanlage können offensichtlich als eine Abfolge chemischer und physikalischer Prozesse in der Meßapparatur, den Leitungskanälen für Brennstoffzufuhr und den Wärmequellen interpretiert werden. Die gleiche Aktivität kann aber auch als Informationsprozeß beschrieben werden - d.h. die Zimmerluft „informiert" den Thermostat über Temperaturdaten, der Thermostat „klassifiziert" die erhaltenen Informationen nach den Kategorien „zu niedrig", „richtig" und „zu hoch". Ist die Temperatur zu hoch bzw. zu niedrig, so wird dem Einlaßventil „befohlen", die Brennstoffzufuhr zu vermindern bzw. zu erhöhen. Bei allen selbstgeregelten Systemen trifft man auf ähnliche Informationsketten über Zustände, Informationsklassifikation, eventuelle Justierbefehle, Befehlsausführung, neue Informationen usw. Es wurde bereits erwähnt, daß positive und negative Rückkoppelungen in verschiedener Weise miteinander kombiniert sein können. 7 Gelegentlich wird die eine Systemeigenschaft durch positive Rückkoppelung beeinflußt, während eine andere Eigenschaft desselben Systems durch negative Rückkoppelung geregelt wird. Ein Betrieb kann z.B. versuchen, einerseits ein Warenlager zu stabilisieren, indem es Einkauf und Verkauf aufeinander abstimmt, aber andererseits auch auf Gewinnmaximierung und Reinvestition von Gewinnen hinarbeiten, um künftigen Profit weiter erhöhen zu können.
7
Forrester
(1971) führt eine Reihe von Beispielen hierfür an.
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
In einer anderen, nicht seltenen Konstellation wird eine Eigenschaft zunächst durch positive und später durch negative Rückkoppelung geregelt, z.B. Bevölkerungswachstum. Solange im entsprechenden Lebensraum hinreichende Lebensbedingungen gegeben sind, fördert Wachstum auch ein Wachstum der kommenden Generation. Erschöpft aber ein Bevölkerungswachstum die Kapazität des Lebensraums, so tritt irgendein Regelungsmechanismus ein, z.B. erhöhte Sterblichkeit, Geburtenbeschränkung oder Auswanderung. Auch in vielen anderen Fällen scheint ewiges Wachstum unmöglich. Wird nicht eine positive Rückkoppelung früher oder später durch eine stabilisierende, negative Rückkoppelung korrigiert, so kann das System zugrunde gehen. Positive Rückkoppelung ist im übrigen nicht notwendig gleichbedeutend mit Wachstum. Die von der Rückkoppelung erzeugte Entwicklungstendenz kann etwa von einer gegenläufigen Tendenz ausgeglichen werden, die auf anderen Faktoren basiert. Wenn Muskeln durch Gebrauch stärker werden, so ist es damit noch nicht selbstverständlich, daß ein Mensch bei regelmäßigem Muskeleinsatz immer stärker wird - man kann sich ζ. B. gegenläufige Prozesse vorstellen, etwa Schwächungen als Folge natürlichen Alterns. Zwei solche gegenläufige Tendenzen können einander gelegentlich in Schach halten - ζ. B. bei Personen in den Wechseljahren, die sich regelmäßig körperlich betätigen. Auch hier handelt es sich um eine Art „Gleichgewicht", obwohl es wohlgemerkt aus einer wechselseitigen Neutralisierung von Wachstums- und Schwächungstendenzen resultiert. Der Rückkoppelungsbegriff ist in Theorien über Rechtssysteme vorläufig nur selten verwendet worden. Wie schon im Kapitel 1 angemerkt wurde, kann dieser Begriff aber auch hier eine wichtige Rolle spielen. Rechtliche und andere Normen werden ähnlich wie Muskeln durch Gebrauch gestärkt und verkümmern bei mangelndem Gebrauch. Die Autorität von Normen erhöht sich bei Befolgung, erhöhte Autorität aber führt zu erhöhter Wahrscheinlichkeit für Normbefolgung. Dieses Zirkelverhältnis ist ein wesentlicher Erklärungsaspekt für die Aufrechterhaltung evtl. erhöhter Verbreitung und Autorität von Normen und Normsystemen. Aber auch negative Rückkoppelungen und daraus folgende Systemanpassungen sind wichtig. Hat z.B. eine Rechtsnorm ungünstige Nebenwirkungen, so kann dies Reformforderungen auslösen und zu Abhilfeversuchen durch Regeländerung führen. Auf diesen Problemkomplex kommen wir in den Kapiteln 8 und 11 zurück.
V I . Ein kurzer Überblick über einige Systemtheorien Ständige menschliche Erklärungs- und Kontrollversuche an Dasein und Umwelt haben dazu geführt, daß ständig mehr Phänomene in irgendeiner Systematik zusammengefaßt werden. Die Entwicklung abstrakter Ideensy-
VI. Ein kurzer Überblick über einige Systemtheorien
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steme innerhalb der Mathematik und Logik war eine wichtige Voraussetzung für Forschungsfortschritte in anderen Bereichen. Die Entwicklung der Mathematik selbst ist ebenfalls ein gutes Beispiel für menschliches Streben nach Zusammenhängen und Systementwicklung. Die Entwicklung beginnt hier mit mehr oder weniger eigenständigen Regeln für Zähl-, Rechen- und Konstruktionsoperationen usw., die allmählich als Bausteine in immer komplexere mathematische Disziplinen eingehen. Ein wichtiger Schritt in dieser Richtung war z.B. Euklids Zusammenfassung der Geometrie durch einen Satz von Axiomen, aus denen sich alle anderen geometrischen Sätze ableiten ließen. Der nächste große Fortschritt bestand in Descartes' Einführung von Koordi-' natensystemen. Dadurch wurde es möglich, Positionen auf Ebenen und im Raum quantitativ anzugeben, womit eine Verbindung zwischen Arithmetik und Geometrie hergestellt wurde. Die schrittweise Entwicklung höherer Abstraktionsebenen hat sich später fortgesetzt. War die Mathematik ursprünglich eine Zahlen- und Raumlehre, so befaßt sie sich heute mit erheblich abstrakteren Strukturen. Insofern kann man die Mathematik als eine Art von „Allgemeinem Teil" der Systemtheorien betrachten. Die Mathematik besitzt auch Eigenschaften einer allgemeinen Lehre von richtigen Schlußfolgerungen aus gebenen Prämissen. Damit sind die Grenzen zwischen Mathematik und Logik zunehmend unscharf geworden. Dieser Wandel ist eine Folge der erhöhten Axiomatisierung der Mathematik und der Umdeutung der Funktion von Axiomen. Während man diese ursprünglich als selbstverständliche Wahrheiten betrachtete, gelten sie heute als verhältnismäßig willkürlich gewählte Prämissen. Ein zweiter Typus von Systemtheorien enthält Anweisungen für Mittel und Zwecke menschlichen Handelns. Zu dieser Gruppe gehören u.a. religiöse und moralphilosophische Systeme, politische u. a. „ismen", aber auch ein Großteil des Rechtsdenkens, wie z.B. die Naturrechtslehre. Im übrigen haben sich in verschiedenen Bereichen „Strategiesysteme" herausgebildet: solche Systeme empfehlen Verfahren zur Erreichung bestimmter Ziele. Es gibt z. B. Strategiesysteme für staatliche Planwirtschaften und für Konjunkturpolitik, für Kriegführung, Geschäftsbetrieb, Buchführung und Archivierung, verschiedene Spiele und Sportdisziplinen u.v.a.m. In solchen und ähnlichen Zusammenhängen hat man auch Sonderformen angewandter Mathematik entwickelt - z . B . Ökonometrie, Entscheidungstheorie, Spieltheorie und Operationsanalyse - als potentielle Hilfsmittel bei der Durchführung gewisser Strategietypen. Wissenschaftsgeschichtlich betrachtet ist die Untersuchung von Objektsystemen meist von einer Erfassung der statischen Systemaspekte ausgegangen. Die Beschreibung des Himmelsgewölbes als eines Sternbildsystems durch die Babylonier fungierte z.B. als Orientierungshilfe und damit als Grundlage für die Astronomie. Andere Beispiele sind geologische und geographische Abbil3 Eckhoff/Sundby
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
düngen der Erde und ihrer Oberfläche und anatomische Beschreibungen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Zweckmäßige Systematisierungen von Erkenntnissen waren in all diesen Fällen eine Voraussetzung für weitere Forschungsfortschritte. Als klassisches Beispiel gilt die Bedeutung von Linnés System der Pflanzenklassifikation für die Entwicklung der Botanik. Die Erfassung und Systematisierung der Welt ist natürlich keineswegs abgeschlossen. Neue Instrumente und Untersuchungsmethoden - z.B. Mikroskope und Teleskope, Photographie- und Telekommunikationstechnologie, Flugzeuge und Satelliten - haben eine Erfassung mikrokosmischer und makrokosmischer Phänomene ermöglicht, die früher menschlicher Untersuchung nicht zugänglich waren. Solche Untersuchungen haben den Eindruck verstärkt, daß sich unsere gesamte komplexe Wirklichkeit in Systemhierarchien ordnen läßt, und daß die Begriffe von „Ganzem" und „Teil" aus diesem Grunde relativ sind. Ganzheiten sind in der Regel Teile größerer Ganzheiten, und Teile können meist in kleinere Teile aufgespalten werden. Auch innerhalb der Psychologie und der Gesellschaftswissenschaften hat sich der Systembegriff allmählich auf breiter Front eingebürgert. Persönlichkeiten einzelner Menschen werden oft als Systeme von Charaktermerkmalen beschrieben oder evtl. als Aktivitätssysteme. Gesellschaftswissenschaftler haben Begriffe wie Sozialsystem, Sozialstruktur und Kulturmuster eingeführt und verwendet. Aber auch in diesem Bereich hat man sich zunächst vornehmlich auf die Erfassung statischer Systemaspekte konzentriert. Dynamische Gesellschafts- und Kulturaspekte spielen zwar in einzelnen, großangelegten Gesellschaftstheorien eine zentrale Rolle, ζ. B. bei Marx, Sprengler und Toynbee; vorsichtigere Soziologen und Sozialanthropologen haben sich demgegenüber traditionell mit der Erfassung vorliegender Normen und Rollen begnügt und den Nachweis versucht, daß diese Elemente zusammenhängende soziale Beziehungsnetze bilden. Fragen nach der Entstehung oder Änderung von Normen sind demgegenüber im großen und ganzen vernachlässigt worden. Die Tendenz zur Beschränkung auf statische Gesellschaftsaspekte scheint bei den Sozialanthropologen am deutlichsten zu sein. Dies hängt wohl auch damit zusammen, daß diese Disziplin traditionell verhältnismäßig statische Gesellschaften beschreibt. In einzelnen soziologischen Theorieentwürfen finden sich ähnliche Tendenzen u.a. in den Systementwürfen Talcott Parsons', zusammen mit anderen Gesellschaftswissenschaftlern (z. B. Parsons und Shils, 1954).8 Die ersten erfolgreichen Versuche einer Erforschung dynamischer Gesetzmäßigkeiten finden wir in den Naturwissenschaften, und jene beschränken sich im großen und ganzen auf geschlossene Systeme. Die klassischen Beispiele sind die Fallgesetze Galileis, die Keplerschen Gesetze zur Planetenbewegung 8
Zur Systemtheorie Parsons siehe Damm (1976).
V I I . Homöostase und Kybernetik
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des Sonnensystems und die Newtonschen allgemeinen Schwerkraftgesetze. Diese Bewegungsgesetze setzen voraus, daß Systeme mit Umwelten weder Maße noch Energie austauschen, d.h. weder empfangen noch abgeben. Die thermodynamischen Gesetze zur Energiekonstanz und Entropietendenz von Prozessen (d.h. Tendenz zu gesteigerter Unordnung in der Molekülmenge von Systemen) setzen ebenfalls geschlossene Systeme voraus.
V I I . Homöostase und Kybernetik Theoretische Analysen umweltoffener dynamischer Systeme haben sich während der letzten 50 Jahre zu einem bedeutenden Forschungsgebiet entwickelt. Einer der Ausgangspunkte war die biologische Forschung, die sich während des 19. Jahrhunderts erheblich weiter entwickelt hatte. Diese Entwicklung nährte philosophische Spekulationen über das eigentliche Wesen von Lebensprozessen. Einzelne Wissenschaftler neigten dazu, lebende Organismen als eine Art komplizierte Maschinen zu betrachten - damit konnte man die Methoden der Physik und Chemie ausnutzen. Die Gegenposition zu dieser mechanistischen Betrachtungsweise repräsentierte der Vitalismus. Auch die Vitalisten zitierten zwar das Maschinenmodell, meinten aber, daß Physik und Chemie nicht alle Fragen klären könnten und daß man daher Annahmen einer besonderen Lebenskraft einführen müsse („Entelechie", „élan vital"). Man behauptete also, es gebe einen „Geist in der Maschine". Nun waren nicht alle mit dieser Alternative zufrieden und suchten nach neuen Lösungen dieses Modellproblems. Whitehead (1925) war einer der ersten, der auf der Grundlage neuer Einsichten in biologische Prozesse eine radikale Neuorientierung innerhalb der Naturwissenschaften vorschlug. Seiner Meinung nach sollte der Zentralbegriff unserer Wirklichkeitsauffassung nicht die Materie, sondern der Organismus sein. Whitehead verwarf also gleichzeitig den Vitalismus - den er als einen unbrauchbaren Kompromiß ansah - und den materialistischen Mechanismus, der die Naturwissenschaften seit Galilei beherrscht hatte. Statt dessen trat er für einen „organischen Mechanismus" ein. Mehrere seiner Gedanken finden wir in den später entwickelten Theorien über umweltoffene Systeme wieder. Die Organismus-Analogie hat sich jedenfalls als ein guter Einstieg für ein Verständnis recht verschiedener Phänomene erwiesen. Ein Großteil der Forschungsinteressen der vergangenen Jahre hat sich auf die Selbststeuerung umweltoffener Systeme durch negative Rückkoppelung konzentriert. Die ersten systematischen Studien solcher Phänomene stammen von Biologen. Besonders großen Einfluß haben die Arbeiten Cannons zur Homöostase ausgeübt. Dieser Begriff wurde von ihm 1929 in einem Aufsatz vorgeschlagen. Eine ausführlichere und eher leichtverständliche Darstellung folgte im Buch „The Wisdom of the Body", das 1932 erschien. Unter „Homöostase" verstand er die angenäherten Gleichgewichtszustände, die von 3*
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
lebenden Organismen aufrechterhalten werden. Der Begriff beinhaltet zunächst Fälle relativer innerer Stabilität von Organismen, trotz stark variierende Außeneinflüsse - z.B. im Hinblick auf Zusammensetzung, Menge, Druck und Temperatur des Blutes. Cannon berücksichtigt aber auch solche „zielorientierte" Selbstregelung - wie etwa die Variation eines Faktors als Reaktion auf wechselnden Bedarf. Ein Beispiel dafür ist die Sauerstoffversorgung von Zellen. Der Bedarf schwankt stark, da die Verbrennung bei physischer Aktivität erheblich schneller abläuft als in Ruhestellung. Es gibt jedoch eine Reihe verschiedener Mechanismen, die dafür sorgen, daß sich die Sauerstoffzufuhr im großen und ganzen dem Bedarf anpaßt. Steigt die Verbrennung an, so erhöht sich auch der Pulsschlag und die beförderte Blutmenge. Außerdem erhöht sich der Druck in den Kapillargefäßen derjenigen Gewebe, die den höchsten Oxygenbedarf haben, so daß sie sich erweitern und mehr Blut aufnehmen können. Die Oxygenkapazität der einzelnen Blutkörper erhöht sich ebenfalls. Bei abnehmendem Bedarf finden entsprechend gegenläufige Veränderungen statt. Cannon benutzt nicht den Ausdruck der Rückkoppelung („Feedback"), sondern spricht statt dessen von „regulatory mechanisms" und „rectifying processes". Aber alle von ihm beschriebenen Regelungsmechanismen besitzen diejenigen Eigenschaften, die man heute negativen Rückkoppelungen zurechnet. Cannons „Mechanismen" bestehen darin, daß Änderungen in einer bestimmten Richtung (z.B. erhöhter Sauerstoffverbrauch) Prozesse mit gegenläufiger Änderung in Gang setzen (z.B. erhöhte Sauerstoffzufuhr). Rückkoppelung ist möglich, da der Körper mit Organen ausgerüstet ist, die verschiedenen Zustände registrieren und bei Zustandsveränderungen die erwähnten Prozesse in Gang setzen. Ein Großteil solcher Informationstätigkeit wird vom autonomen Nervensystem geleistet, ohne Umwege über unser Bewußtsein. Gelegentlich vermitteln auch Bewußtseinseindrücke, wie z.B. Hunger- und Durstgefühle, Informationen über Nahrungs- und Flüssigkeitsbedarf. Im Nachwort zu seinem Buch fragt Cannon, ob die Modelle selbstregelnder Organismen analoge Relevanz für andere Bereiche besitzen (1932, S. 287): "Are there not general principles of stabilization? May not the devices developed in the animal organism for preserving steady states illustrate methods which are used, or which could be used, elsewhere? Would not a comparative study of stabilizing processes be suggestive? Might it not be useful to examine other forms of organization - industrial, domestic or social - in the light of the organization of the body?" Die Berechtigung eben dieser Frage nach der analogen Anwendbarkeit solcher Selbstregelungsprinzipien wurde bald darauf durch die Entwicklung der Kybernetik bestätigt. Auch wenn der Grundgedanke strenggenommen nicht neu war, setzte die Entwicklung der Kybernetik als eines eigenen Fachgebiets erst in den vierziger Jahren ein - in enger Zusammenarbeit zwischen Mathe-
V I I . Homöostase und Kybernetik
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matikern, Ingenieuren und Physiologen; teilweise wurden auch Psychologen, Soziologen und Sozialanthropologen in die Arbeit miteinbezogen. Einer der Hauptakteure dieser interdisziplinären Initiativgruppe war der Mathematiker Norbert Wiener, der in der Einleitung zu seinem Buch „Cybernetics" (1948) die Entwicklung dieser Zusammenarbeit schildert. Er erwähnt u.a., daß alle Teilnehmer aus den verschiedenen Fachbereichen von der Ähnlichkeit ihrer Fachprobleme überrascht waren, und daß man daher viel voneinander über eigene fachliche Probleme lernen konnte. Dieses neue Fach beschäftigt sich mit allen Formen der Selbstregelung durch negative Rückkoppelung - in Organismen, Maschinen und Sozialsystemen. Die eingeführte Bezeichnung „Kybernetik" leitet sich aus dem griechischen Wort für Steuermannskunst ab. Sie wurde laut Wiener (1948, S. 11 -12) deshalb gewählt, weil die erste wichtige, auf moderne Mathematik basierende Arbeit über Rückkoppelung, nämlich Clerk Maxwells von 1866, sich mit Steuersystemen beschäftigte. Außerdem wollte man gern an Schiffsruder und Steuerleute als eines der ältesten Rückkoppelungssysteme anknüpfen. Zwischen der Entwicklung der Kybernetik und der Entwicklung schnellarbeitender EDV-Anlagen besteht ein enger Zusammenhang. Auf beiden Gebieten wurden in den vierziger Jahren erhebliche Fortschritte erzielt, wobei oft die gleichen Wissenschaftler in beiden Bereichen gleichzeitig engagiert waren. Extrem schnelle Rechenanlagen sind eine notwendige Voraussetzung für Berechnungen in komplizierten technischen Selbststeuerungssystemen. Da die Funktionsweisen von Maschinen und Nervensystemen einander oft ähneln, hat die Entwicklung der EDV-Technologie auch zu einer Stärkung der Verbindung zwischen Biologie und Technologie beigetragen. Unter anderem benutzt die EDV-Technologie Rückkoppelungen in großem Umfang. Die Kybernetik hat auch für die Entwicklung der Informationstheorie eine wichtige Rolle gespielt. Wie schon erwähnt wurde, besteht ein wichtiges Merkmal von Rückkoppelung in einem kontinuierlichen Impulsstrom, den man üblicherweise als „Information" bezeichnet. Zustände müssen registriert und klassifiziert, und notwendige Anpassungen vor ihrer Ausführung berechnet werden. Dabei ist es oft von wesentlicher Bedeutung, daß Mitteilungen über Messungen und Berechnungen möglichst schnell und exakt übermittelt werden. Ein wichtiger Teil der Automatisierungsarbeit besteht daher in einer Erforschung günstiger Kanäle und Kodes für Informationsvermittlung. Ein Teil der grundlegenden Arbeit war mit der Entwicklung der Telekommunikation bereits geleistet. Die moderne mathematische Informationstheorie wurde jedoch erst in den vierziger Jahren als eigenständige Fachrichtung etabliert. 9
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Die Pionierarbeit stammt von Shannon und Weaver (1949).
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
V I I I · Allgemeine Systemtheorie Die allgemeine Systemtheorie („General Systems Theory") kann als eine Fortsetzung derselben Verallgemeinerungstendenz interpretiert werden, die auch die Kybernetik hervorgebracht hat. Die Bezeichnung ist strenggenommen nicht ganz treffend, denn von einer einheitlichen Theorie kann vorläufig nicht die Rede sein, sondern eher von einem Programm breit angelegter interdisziplinärer Zusammenarbeit beim Studium verschiedener Systemtypen. Einer der Initiatoren dieser Bewegung war der österreichische Biologe Ludwig von Bertalanffy (1901 - 1972), der schon in den zwanziger Jahren vorgeschlagen hatte, die Biologie von einer Laborwissenschaft in ein Studium dynamisch-ganzheitlicher Organismen auszuweiten. In den Nachkriegs jähren veröffentlichte er eine Reihe von Artikeln über allgemeine Systemtheorie, die jetzt im Buch „General Systems Theory" gesammelt sind (1968). Nachdem sich Bertalanffy 1948 in Nord-Amerika niedergelassen hatte, traf er dort auf Gesinnungsgenossen wie u.a. den Wirtschaftswissenschaftler Kenneth Boulding, den Mathematiker Anatol Rapoport und den Physiologen Ralph Gerard. Sie betrieben zusammen die Gründung einer „Society for General Systems Research", welche seit 1956 das Jahrbuch „General Systems" herausgibt. Urteilt man nach den Jahrbuchartikeln, so interessiert sich die erwähnte Forschergruppe vor allen für umweltoffene dynamische Systeme. Sie beschäftigt sich nicht nur mit Kontroll- und Kommunikationsproblemen, wie der Kybernetik, sondern auch mit möglichen anderen Systemaspekten verschiedener Fachbereiche, wie z.B. Biologie, Psychologie, Soziologie, Ökologie, Meteorologie usw. Ein Großteil der Arbeiten zielt auf den Nachweis interdisziplinärer Parallelen ab - z.B. zwischen Meteorologie und Psychologie oder zwischen ökonomischer Utilitätslehre und physikalischer Feldtheorie. Das Jahrbuch enthält allerdings auch eine Reihe von Artikeln über geschlossene und statische Systeme, z.B. Kristallstrukturen. Das Leitmotiv liegt jedenfalls in der Arbeit an mathematischen Methoden, mit denen sich Strukturen und Prozesse in verschiedenen Systemtypen analysieren lassen. U. a. hebt Boulding (1956, b) hervor, daß die allgemeine Systemtheorie einen Brückenschlag zwischen der reinen Mathematik und den empirischen Wissenschaften leisten kann. Nach herrschender Ansicht der Systembewegungen gelten Entwicklungsversuche einer Einheitswissenschaft, die alles auf Physik reduziert, jetzt als fehlgeschlagen. In der Erklärung von Geschehnissen in solchen umweltoffenen dynamischen Systemen, wie z.B. Organismen, ist die Leistungsfähigkeit physikalischer Erklärungsansätze begrenzt. So stellt Bertalanffy in seinem Programmartikel zum ersten Band des Jahrbuches dem physikalischen Reduktionismus einen von ihm sogenannten „Perspektivismus" gegenüber, der sich
V I I I . Allgemeine Systemtheorie
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dadurch kennzeichnen läßt, daß er nach bislang unbekannten Zusammenhängen und Strukturen sucht. Arthur Koestler (1967), der ähnliche Überzeugungen geäußert hat, schreibt: "The history of science is a history of marriages between ideas which were previously strangers to each other" (S. 184). Eines seiner Beispiele ist H. C. 0rsteds Entdeckung der Verwandtschaft zwischen Elektrizität und Magnetismus, die beide als unabhängige Phänomene seit Jahrhunderten bekannt waren. Diese Entdeckung war die Grundlage für die Entwicklung des Elektromagnetismus. Als ein weiteres Beispiel erwähnt er Newtons Nachweis, daß Galileis Fallgesetze und Keplers Gesetze über die Planetenbahnen, zwischen denen niemand vorher einen Zusammenhang gesehen hatte, als besondere Anwendungsfälle seiner allgemeinen Gravitationstheorie anzusehen waren. Als ein neueres Beispiel hätte man auch die kybernetische Synthese der Prinzipien für Selbstregelung und Kommunikation in Organismen und Maschinen anführen können. Hoffnungen auf eine Entdekkung ähnlicher neuer grundlegender Zusammenhänge könnte man als ein Leitmotiv der „General Systems"-Bewegung bezeichnen. Innerhalb der Gesellschaftswissenschaften hat man sich seit längerem mit Problemen beschäftigt, welche mit Hilfe von Kybernetik und allgemeiner Systemtheorie in einen weiteren Bezugsrahmen gestellt werden könnten. Z . B . haben sich Soziologen und Kriminologen mit sozialer Kontrolle und Wirtschaftswissenschaftler mit Konjunkturpolitik beschäftigt. Beides läßt sich als Beispiel für Regelung durch negative Rückkoppelung anführen. In beiden Fällen versucht man, Gesellschaften zu stabilisieren, indem man abweichendem Verhalten und Konjunkturschwankungen mit Gegenmaßnahmen zu begegnen sucht. Ein anderes Beispiel ist die Variante soziologischer und sozialanthropologischer Funktionsanalyse, die die Aufrechterhaltung sozialer Institutionen mit dem Hinweis auf bestandserhaltende Wirkungen zu erklären versucht. Solch eine Erklärung läuft mit anderen Worten auf die Behauptung positiver Rückkoppelung hinaus. Man kann auch die organisationstheoretische Arbeit mit Kontroll- und Kommunikationsproblemen als Beispiel anführen. Trotz der vorliegenden Möglichkeiten gibt es jedoch nach unserer Kenntnis relativ wenige Versuche einer Ausnutzung der erwähnten allgemeinen Theorien. 10 Das Wort „System" ist in gesellschaftswissenschaftlichen Darstellungen zwar beliebt, ebenso wie die Worte „Homöostase", „Kybernetik" und „Feed-back" (Rückkoppelung), aber die dahinterstehenden Theorien haben sich kaum durchgesetzt. Eine der Zielsetzungen unserer Arbeit ist daher der Nachweis, daß eine kybernetische Betrachtungsweise fruchtbar sein kann jedenfalls innerhalb des gesellschaftswissenschaftlichen Spezialgebietes, das sich mit Rechtssystemen beschäftigt. 10 Von politologischen Systemtheoretikern können wir Deutsch (1963) und Easton (1965 a und b) erwähnen, an Soziologen Luhmann (1970 und 1972) und Buckley (1967). Vgl. auch Boulding (1953 und 1956, a und b), Hagen (1974, bes. S. 102ff.) und Zippelius (1980 S. 23 - 28 und 39 - 41).
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
I X . Systemdenken in der Rechtswissenschaft und Rechtssoziologie Für Juristen hat Systemdenken meist in der Ausarbeitung von Ideensystemen bestanden. Diese haben teils dazu gedient, rechtliche Phänomene zu klassifizieren. Teils sind sie Ausgangspunkte für Argumentation und Schlußfolgerungen gewesen. Die wichtigste Rolle haben solche Klassifikationssysteme gespielt, welche die Rechtsordnung in verschiedene Rechtsgebiete einteilen. Man unterscheidet z.B. zwischen „öffentlichen Recht" und „Privatrecht" und innerhalb des Privatrechts zwischen Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht usw. In vielen Rechtsgebieten unterscheidet man auch zwischen „allgemeinen" und „besonderen" Teilen. Die Grundlage der Systematik, die auf dem europäischen Kontinent üblich ist, verdanken wir den rationalistischen Naturrechtstheoretikern des 17. Jahrhunderts. Besonders großen Einfluß hat der Systematisierungsbeitrag von Samuel Pufendorf (1632 1694) gehabt. Die Beiträge Pufendorfs, anderer Theoretiker und Gesetzgeber referiert Wieacker (1967, S. 275 - 276, 307 - 310, 318 - 320, 332 - 333, 372 - 375 und 430 - 437). Siehe auch Strömholm (1976, S. 52 - 70) und, über die Entwicklung der Systematik im skandinavischen Recht, J0rgensen (1968, S. 96 - 107). Diese Klassifikation hat das Rechtsdenken erheblich beeinflußt. Sie hat u.a. Spezialisierungen innerhalb der Rechtswissenschaft angeregt, mit der Folge, daß man in den einzelnen Spezialgebieten verschiedene Methoden entwickelt hat, siehe dazu Krawietz (1978, Kap. 1 und 2). Außerdem hat dieses System als Grundlage für Begriffsbildungen und damit als Ausgangspunkt desjenigen Rechtsdenkens gedient, welches Rechtssätze aus allgemeinen Begriffen ableitet. Siehe zu dieser Methode Wieacker (1967, S. 276), Dreier (1975, S. 9), Larenz (1975, S. 429 - 439) und - aus skandinavischer Sicht - Schmidt (1965). In der deutschen Rechtsliteratur scheint man mit „Systemdenken" oft lediglich die sogenannte deduktive Methode zu meinen (siehe ζ. B. Viehweg 1965, S. 53 - 65). Benutzt man den hier vorgeschlagenen weiten Systembegriff, so kann auch eine Vielzahl anderer Methoden als Systemdenken rubriziert werden, siehe z.B. Canaris (1969). Zu axiomatischen Systemen siehe auch Savigny (1971). Die Rechtsvergleichung hat sich ebenfalls mit Klassifikationsfragen befaßt und hat die verschiedenen nationalen Rechtssysteme nach Ähnlichkeiten des Inhalts, der Methode oder des geschichtlichen Ursprungs gruppiert. Ein Beispiel für eine derartige Aufteilung findet sich bei Zweigert und Kötz (1971). Hier wird zwischen romanischen, deutschen, nordischen, angloamerikanischen, sozialistischen, fernöstlichen, islamischen und hinduistischen Rechtskreisen unterschieden. Siehe auch Malmströms (1969) Überblick über die Klassifikationen von Rechtssystemen seitens verschiedener Autoren. Malmström bringt auch seine eigene Systematik vor.
IX. Systemdenken in der Rechtswissenschaft und Rechtssoziologie
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Ein dritter Typus von Klassifikationssystemen stützt sich auf allgemeine Normtheorie. Rechtliche und andere Normen können nach verschiedenen Kriterien in gewisse Hauptgruppen eingeteilt werden. In diesem Buch arbeiten wir mit mehreren solcher Unterscheidungen. Je nach Existenzgrundlage unterscheiden wir zwischen internalisierten und systembasierten Normen (siehe Kap. 3, I I I und IV). Weiterhin unterscheiden wir nach verschiedenen deontischen Charakteren von Normen, zwischen Pflichtnormen, Kompetenznormen und Qualifikationsnormen. Pflichtnormen werden dabei weiter in Verbote, Gebote, Erlaubnisse und Freistellungen unterteilt (siehe Kap. 3 bis 5). Im übrigen arbeiten wir mit einer weiteren inhaltlichen Differenzierung zwischen von uns sogenannten Richtlinien und Regeln (siehe Kap. 6). Der von Hohfeld (1923) herausgearbeiteten Klassifikation und Rechtsbeziehungen liegt die erwähnte Unterscheidung zwischen Pflichtnormen und Kompetenznormen zugrunde. Zu Hohfelds System siehe Moritz (I960), Ross (1958, S. 161 - 169) und unten Kap. 4, IV. Mit Hilfe der erwähnten (oder anderen) Definitionen elementärer Normkategorien hat man gelegentlich versucht, Normlogiken (oder s.g. deontische Logiken) zu entwerfen. Es hat sich dabei meist um verhältnismäßig einfache Satzkalküle gehandelt, die sich auf verschiedene Typen von Pflichtnormen beschränkt haben, also von Kompetenznormen, Qualifikationsnormen und Richtlinien abgesehen haben. Die praktische Bedeutung solcher Arbeiten ist vorläufig bescheiden, teils weil man ausschließlich die einfachsten Zusammenhänge zu formalisieren versucht hat, teils weil man den Übersetzungsproblemen „normativer Umgangssprache" standisierter Kategorien zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. An Arbeiten auf diesem Gebiet erwähnen wir: V. Wright (1963), Ross (1968), Weinberger (1970, 1971 und 1979), Hilpinen (1971), Horovitz (1972), Kalinowski (1972), Cornides (1974 und 1975), Tammelo (1978) und Tammelo / Schreiner (1978). Eine andere Variante logischer Normsystemanalyse trifft man bei Alchourrón und Bulygin (1971) an. Besondere Aufmerksamkeit gilt hier der Frage, unter welchen Bedingungen Normsysteme als „lückenlos" gelten können. Mit den erwähnten logischen Kalkülen werden wir uns im folgenden nicht weiter befassen. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt Rechtssystemen, womit wir ungefähr dasselbe meinen wie Rechtsordnung, also z.B. norwegisches Recht oder deutsches Recht. Wir betrachten Rechtssysteme als Objektsysteme, welche aus Normen und Aktivitäten bestehen. Wie im Kap. 1 schon angedeutet wurde, sind diese Elemente auf verschiedene Weise miteinander verknüpft. Mit einigen solchen Zusammenhängen beschäftigen wir uns in dem Kap. 7ff. Viele Rechtstheoretiker haben den Aufbau und die Funktionsweise von Rechtssystemen erörtert. Solche Erörterungen haben oft an der klassischen Frage angesetzt: Was ist Recht? Mehrere Autoren haben behauptet, daß nicht - oder jedenfalls weniger - Eigenschaften der einzelnen Rechtsnormen, sondern eher Eigenschaften der Rechtssysteme den Unterschied zwischen Recht und anderen normativen Phänomenen ausmachen.
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Kap. 2: Verschiedene Systemtypen und Systemtheorien
Diese Einschätzung wird u.a. vertreten von Kelsen (1960), Hart (1961), Raz (1970), Weinberger (1971 und 1972) und Peczenik (1975). Unsere Bestimmung des Rechtsbegriffes im Kap. 10 basiert auf der gleichen Einschätzung. Rechtssysteme sind auch aus kybernetischer und allgemein-systemthe.OTetischer Perspektive erörtert worden - im deutschen Sprachraum insbesondere von Luhmann (1970, 1972 und 1976 m.a.), aber auch u.a. von Challiess (1971), Hagen (1974), Kisza (1975) und Krametz (1986 m.a.). Diesen Theorieansätzen ist gemeinsam, daß Rechtsordnungen als umweltoffene und dynamische Systeme betrachtet werden, welche mit ihren Umwelten interagieren. Gewisse Merkmale dieser Interaktion zwischen Recht und Gesellschaft werden in Kap. 11 dieses Buches erörtert. Kybernetische Perspektiven können auch auf andere rechtliche Verhältnisse angewandt werden. Man kann z.B. Teile von Rechtsordnungen als besondere Systeme betrachten (siehe Kap. 8, V I I , wo eine Kompetenznorm und die auf dieser Grundlage gesetzten Normen als System behandelt werden). Man kann auch rechtliche Verfahren als Aktivitätssysteme betrachten (siehe Luhmann 1969), und Abwägungen als Systeme von Gedanken und Beobachtungen (siehe Kap. 8, I I I ) .
Kapitel 3
Der Normbegriff I. Einleitung Unter den Elementen von Rechtssystemen besitzen Normen eine Sonderstellung. Sie bestimmen weitgehend die anderen Elemente - z.B. indem sie Verhalten beeinflussen, Personen als „Gesetzgeber" und „Richter" bezeichnen, akzeptables juristisches Denken abgrenzen usw. Ein Verständnis der komplexen Wechselbeziehungen zwischen Normen und anderen Systemelementen und zwischen Normen untereinander setzt eine relativ ausführliche Erörterung dieses Grundbegriffs voraus. Normen und normative Vorstellungen trifft man auch in vielen außerjuristischen Zusammenhängen an. Es gibt ζ. B. moralische und ästhetische Normen. Oft wird behauptet, daß Rechtsnormen sich durch gewisse Besonderheiten von anderen Norm typen unterscheiden. Man ist sich aber nicht darüber einig, welche diese Besonderheiten sind. Auf die diesbezüglichen Meinungsverschiedenheiten soll hier nicht näher eingegangen werden. Uns geht es hier mehr um Gemeinsamkeiten zwischen Normen in verschiedenen Lebensbereichen als um Unterschiede. Dementsprechend befassen sich dieses und die drei folgenden Kapitel mit allgemeiner Normtheorie. Die später zu erörternde Frage der Abgrenzung rechtlicher Normen von anderen Normen wird - wie bereits erwähnt - nicht von den einzelnen Normen her, sondern vom System her angegangen. Dabei wird zunächst erörtert, welche Systeme als Rechtssysteme betrachtet werden sollen und danach, welche Normen solchen Systemen zugeordnet sind. Der Terminus „Norm" ist vieldeutig. In der philosophischen und gesellschaftswissenschaftlichen Fachliteratur kommt er zwar häufig vor, jedoch in einer Vielzahl von Definitionen und Verwendungsweisen. 1 Uns geht es hier nicht um eine Beschreibung verschiedenen Sprachgebrauchs, sondern um eine stipulative Bestimmung des in diesem Buch verwendeten Normbegriffs. In der Umgangs- und Fachsprache gibt es eine ganze Reihe von Termen, deren Bedeutungen unserem Begriff entsprechen oder sich mit ihm überschneiden 1 Siehe z.B. die Übersicht bei Gibbs (1965) und Lautmann (1969, S. 54 - 63) und als Beispiele für Terminologien, die in gewisser Hinsicht von unserer abweichen: Lachmayer (1977 und 1980) und Weinberger (1979, S. 95 - 125).
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Kap. 3: Der Normbegriff
- wie z.B. „Regel", „Prinzip", „Vorschrift", „Standard", „Muster", „Richtlinie" oder „Richtschnur". Wir haben uns dafür entschieden, „Norm" als Sammelbegriff für die meisten Phänomene einzuführen, die mit den genannten oder verwandten Termen bezeichnet werden. Im Zweifelsfall ziehen wir einen zu weiten einem zu engen Normbegriff vor. Erfaßt werden so offensichtlich heterogene Phänomene wie die „Fasten seat belts"-Anweisung im Flugzeug, Vertragsinhalte, Abseitsregeln im Fußball, persönliche Moralauffassungen, mathematische Beweisregeln, Militärbefehle, Gebot für wissenschaftlichkorrekte Beobachtungen, Kleidungskonventionen, Gottesdienstordnungen, Bestimmungen für Beamtenernennung und vieles mehr. Der Terminus „Regel" wird in diesem Buch in einer engeren Bedeutung verwendet als „Norm". Normen können sowohl generell als auch individuell sein. Beispiele für individuelle Normen von rechtlicher Bedeutung finden sich z.B. in Urteilen, Verwaltungsakten und Verträgen. Den Terminus „Regel" verwenden wir nur für generelle Normen, jedoch nicht in allen Fällen. Wir unterscheiden nämlich zwischen „Regeln" und „Richtlinien" - diese Unterscheidung wird in Kapitel 6 näher ausgeführt. Unser Normbegriff hat zwei Komponenten. Die eine Komponente ist sprachlicher Art. Um ein Phänomen als Norm bezeichnen zu können, muß es sich in Worten ausdrücken lassen, und diese Worte müssen ihrerseits eine normative Aussage ausdrücken. Damit wird nun nicht behauptet, daß normative Aussagen immer sprachlich formuliert werden. Ein Haltegebot für Verkehrsteilnehmer an Kreuzungen kann z.B. durch Rotlicht oder durch einen Polizisten mit erhobenem A r m ausgedrückt werden. Ebensowenig schließen wir mögliche Gewohnheitsnormen aus, die nie explizit formuliert worden sind. Auch in solchen Fällen können Norminhalte sprachlich ausgedrückt werden. „Aussagen" bezeichnen hier und im folgenden den Sinngehalt sprachlicher Formulierungen. Der Sinngehalt bestimmt sich dabei nicht nur aus der Wortwahl, sondern auch aus dem sprachlichen Zusammenhang und anderen Begleitumständen. Gleiche Aussagen lassen sich oft durch verschiedene sprachliche Formulierungen ausdrücken. Ein Rauchverbot kann z.B. als „Nichtraucher", „Rauchen verboten" oder „Rauchen nicht gestattet" formuliert werden. Umgekehrt können gleiche Formulierungen gelegentlich Träger verschiedener Aussagen sein. Der Satz „ A zahlt 1000 D M an B " kann im Zusammenhang eines Gerichtsbeschlusses ein Gebot an A beinhalten. In anderen Fällen kann der Satzsinn in einer Auskunft über tatsächliche Zahlung bestehen. Der Aussagebegriff und der Sonderfall normativer Aussagen soll im Abschnitt I I weiter unten näher erörtert werden. Nicht alle normativen Aussagen entsprechen Normen im hier gemeinten Sinne. Wir schließen z.B. solche Fälle aus, wo normative Aussagen scherzesoder beispielhalber angeführt werden, oder wo es sich um Entwürfe handelt (z.B. bei noch nicht verabschiedeten Gesetzesentwürfen). Das Vorliegen
II. Normative Aussagen
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einer Norm mit einem bestimmten Inhalt setzt also mehr voraus als bloße normative Aussagen. Einzelne Autoren haben normkonformes Handeln in den Normbegriff einbezogen. Wir ziehen demgegenüber einen Begriff vor, der einerseits nichtbefolgte Normen einschließt und andererseits gewisse befolgte normative Aussagen ausschließt, wie ζ. B. Befehle, denen ausschließlich aus Furcht vor Drohungen gefolgt wird. Wir denken hier etwa an den Bankangestellten, der dem Bankräuber mit vorgehaltener Pistole Geld herausgibt. Die Anordnung des Bankräubers an den Angestellten, ihm Geld herauszugeben, ist in unserer Terminologie eine normative Aussage. Der Umstand, daß Bankangestellte solchen Anordnungen gewöhnlich nachgeben, wenn ihnen mit Waffen gedroht wird, begründet aber nicht das Vorliegen einer diebezüglichen Norm. Um von einer Norm sprechen zu können, setzen wir voraus, daß normative Aussagen unmittelbar oder mittelbar gewissen Einstellungen einer oder mehrerer Personen entsprechen. Das einfachste Beispiel dafür ist die direkte Bewertung normativer Aussagen als verpflichtend (für einen selbst oder für andere). Es kann sich aber auch um Einstellungen handeln, die sich nicht direkt auf die normative Aussage beziehen, sondern z.B. auf die allgemeine Anerkennung einer bestimmten normsetzenden Autorität. Verschiedene Einstellungstypen als mögliche Normgrundlagen werden in den Abschnitten I I I und I V näher erörtert. I I . Normative Aussagen Eine erste wichtige Gruppe normativer Aussagen sind Direktiven. Dieser Term wird hier in einer weiteren Bedeutung als in der Umgangssprache verwendet und umfaßt Befehle, Aufforderungen, Bitten, Ratschläge, Warnungen, Versprechen u. ä. 2 Der gemeinsame Nenner von Direktiven liegt in ihrer sichtbaren Beeinflussungsfunktion. Man kann sich auch andere Beeinflussungsmethoden denken, z.B. Informationen anderer über wahrscheinliche Handlungsfolgen. Im Gegensatz zu solchen Aussagen drücken Direktiven Beeinflussungsabsichten jedoch direkt aus. Mit Direktiven versucht man oft die Handlungen anderer Personen zu beeinflussen, beispielsweise durch Befehle wünschenswerter Handlungen oder durch Ratschläge für Handlungen, die den Eigeninteressen dieser anderen förderlich sind. Man kann aber auch Direktiven an sich selbst richten, etwa durch ein Gelöbnis. Direktiven kann man im übrigen nicht nur zur Beeinflussung zukünftiger Handlungen verwenden, sondern auch als Begrün2
Ross (1958), S. 7 und (1968), Kap. III verwendet den Begriff der „Direktive" in einem noch weiteren Sinn als wir. Sein Begriff beinhaltet auch unseren Begriff der „Ermächtigung".
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Kap. 3: Der Normbegriff
dung vorgenommener Handlungen oder als Beschuldigung unrichtiger Handlungen. Direktivnegationen, die ausdrücken, daß etwas nicht befohlen (empfohlen, versprochen usw.) ist, gehören ebenfalls zu den normativen Aussagen. Solche Aussagen fungieren oft als Abgrenzung der Reichweite einer Direktive, etwa: „Ich befehle dir, das Gebäude nicht zu verlassen, du kannst dich allerdings im Gebäude frei bewegen". Oder es handelt sich um Ausnahmen von allgemeinen Regeln - wenn z.B. Eltern ihren Kindern erlauben, eine Stunde länger aufzubleiben, weil Besuch erwartet wird. Eine zweite Hauptgruppe von normativen Aussagen bezeichnen wir als Qualifikationen. Solche Aussagen geben an, welche Phänomene bestimmten Kategorien zuzurechnen sind. Die meisten Sprachregeln gehören zu dieser Gruppe, so wie etwa die Regel, bestimmte Tiere mit näher angegebenen Eigenschaften als „Pferde" zu bezeichnen. Qualifikationen findet man auch in anderen Bereichen, z.B. in der Mathematik, in Spielen, im Sport, in Rechtssätzen. Sie beantworten Fragen danach, was als „mathematischer Beweis", als „Axiom", als „Ableitungsregel" in axiomatischen Systemen gelten kann, was als „Tor" im Fußball, als „Matt" im Schach, was nach geltendem Recht als „Eigentum", als „Aktiengesellschaft" oder als „gültiger Vertrag" angesehen werden soll. Die angeführten Beispiele beziehen sich auf allgemeine Qualifikationen, d.h. auf solche Aussagen, die Klassen von Phänomenen qualifizieren - etwa alle Eigentümerpositionen. Qualifikationen besonderer Sachverhalte kommen ebenfalls vor. Beispiele dafür sind Feststellungsurteile, z.B. hinsichtlich der Eigentümerposition einer Einzelperson, Ernennungen von Einzelpersonen für bestimmte Ämter, Eheschließungen oder Schiffstaufen. Die meisten Beispiele Austins (1962) für „Performative" fallen unter solche individuellen Qualifikationen. 3 Direktiven und Qualifikationen teilen einen „Soll-Inhalt". Als sprachliche Standardformulierung für Direktiven kann der Ausdruck „S soll geschehen" eingesetzt werden und für Qualifikationen der Ausdruck „S soll als Κ gelten" (wobei S einen Sachverhalt und Κ eine Kategorie oder einen Namen bezeichnet). Ein letzter normativer Aussagetyp sind Ermächtigungen. Damit meinen wir Aussagen, die Personen ermächtigen, Direktiven, Qualifikationen oder neue Ermächtigungen zu geben. In Rechtssystemen spielen Ermächtigungen eine zentrale Rolle. Wir denken hier u.a. an Grundgesetzbestimmungen über Legislative und Judikative, an Gesetze, die Verwaltungsorgane zu verschiedenen Entscheidungen ermächtigen und an Gesetze, die angeben, unter welchen 3
Kritische Analysen der Performativlehre findet man bei Ross (1972) und Olivecrona (1971, S. 217 - 239).
II. Normative Aussagen
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Bedingungen Personen sich vertraglich verpflichten können. Auch außerhalb des Rechtslebens finden sich viele Beispiele für Ermächtigungen, u. a. in allen Organisationen und im Familienbereich. Ermächtigungen und Direktiven treten oft kombiniert auf, z.B. wenn Eltern der Tochter auftragen, gut auf den kleinen Bruder aufzupassen. Dieser Auftrag kann sowohl eine Direktive (der Beaufsichtigung) als auch eine Ermächtigung (der Maßregelung) implizieren. Man kann Ermächtigungen vielleicht als einen Sonderfall von Qualifikationen auffassen. 4 Statt zu sagen, „ N . N . wird ermächtigt zu . . .", kann man ohne wesentliche Sinnveränderung sagen: „ N . N . soll als ermächtigt zu . . . gelten". Ähnliche Umschreibungen sind übrigens auch bei Direktiven möglich, z.B. „ N . N . als verpflichtet zu . . . gelten". Gleichwohl liegen hier gewisse Nuancenunterschiede zwischen direkten Direktiven und Ermächtigungen und den erwähnten indirekten Aussagen vor. Aus diesem Grunde werden hier Direktiven, Qualifikationen und Ermächtigungen als drei besondere Typen normativer Aussagen behandelt. Normative Aussagen unterscheiden sich in wichtiger Hinsicht von deskriptiven Aussagen, die normalerweise Phänomene beschreiben oder erklären. Deskriptive Aussagen können im Gegensatz zu normativen Aussagen wahr oder falsch sein. Oder anders formuliert: Aussagen werden an den Sachverhalten überprüft, auf die sie sich beziehen. Hier kann man danach fragen, ob die Aussagen zur Wirklichkeit passen. Bei normativen Aussagen wird in umgekehrter Blickrichtung verglichen. Man fragt, ob die Wirklichkeit zu den Aussagen paßt. Wird dem Befehl, dem Rat, der Qualifikation gefolgt? Dieses Unterscheidungskriterium zwischen deskriptiven und normativen Aussagen ist von Galtung vorgeschlagen (1959, S. 214-217) und u.a. von Luhmann (1972, S. 42 - 46) übernommen worden. Siehe auch Peczenik (1970, S. 11 - 13) und Strömholm (1976, S. 32 - 36). Wir unterscheiden außerdem zwischen normativen Aussagen und Wertaussagen. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Aussagetypen wird im Abschnitt V I I unten näher diskutiert. Um zu ermitteln, ob ein Satz Aussagen des einen oder anderen Typs enthält, muß man ihn interpretieren. Die grammatische Form liefert oft gewisse Hinweise. Indikativsätze enthalten gern deskriptive oder Wertaussagen, während Imperativsätze und Sätze mit Hilfsverben wie „sollen" oder „müssen" oft normative Aussagen ausdrücken. Grammatische Formen sind allerdings kein völlig zuverlässiger Indikator. Die Äußerung „jetzt machst du die Tür zu" kann trotz Indikativform in bestimmten Situationen einen Befehl enthalten. Mienenspiel und Tonfall können dies klären. Der Satz „der Botschafter soll liquidiert werden" kann in einer Situation den Befehl eines Terroristenführers 4
Eine solche systematische Einordnung ist in der norwegischen Originalausgabe dieses Buchs benutzt.
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Kap. 3: Der Normbegriff
ausdrücken, in einer anderen Situation vielleicht einen Bericht über den Beschluß des Terroristenführers. Die Bezugsfrage von Interpretationen kann verschieden sein. Gelegentlich versucht man den vom Absender gemeinten Sinn zu ermitteln. In anderen Fällen interessiert die Auffassung der Äußerung durch den Empfänger. Ein drittes Deutungsproblem kann in der Ermittlung des umgangssprachlichen Sinngehalts der Äußerung bestehen. Diese drei Alternativen fallen zusammen, wenn der Empfänger versteht, was der Absender meint, weil jener Worte in der üblichen Bedeutung verwendet. Solche Übereinstimmungen sind allerdings nicht selbstverständlich. Der Absender will z.B. einen freundlichen Rat erteilen, was aber vom Empfänger als kategorische Anweisung aufgefaßt wird. Es kann auch fraglich sein, was nun eigentlich gemeint ist und aufgefaßt wird. Ebenso wenig ist immer klar, was Äußerungen nach üblichem (oder evtl. korrektem) Sprachgebrauch besagen. Man kann also oft nicht sicher feststellen, welcher Aussagetyp vorliegt. Die Antwort kann außerdem vom jeweiligen Bezugsproblem der Interpretation abhängen.
I I I . Internalisierung normativer Aussagen Wie bereits erwähnt, sprechen wir von Normen, wenn normative Aussagen direkt oder indirekt mit bestimmten Einstellungen bei einer oder mehreren Personen korrespondieren. Diese Einstellungen beziehen sich manchmal direkt auf die normative Aussage. Wir sprechen dann von Normen, die aus internalisierten (verinnerlichten) normativen Aussagen bestehen, oder kürzer: internalisierten Normen. Psychologen und Soziologen haben sich mit dieser Form von Normbildung ausführlich beschäftigt. Zu den Pionierarbeiten dieses Bereichs gehören Dürkheims (1925) Studien des Pflichtbewußtseins („Conscience collective"), Bovets (1912) und Piagets (1926) Untersuchungen zur Moralbildung bei Kindern. Ein wichtiger norwegischer Beitrag stammt von Rommetveit (1955). Einen ausführlichen Literaturüberblick bietet Scott (1971). Psychologen und Soziologen haben sich vor allem für Internalisierungsprozesse interessiert. U.a. beschäftigen sich mehrere Untersuchungen mit der Einprägung von Normen durch andauernden sozialen Druck. Diesen Aspekt wollen wir hier nicht weiter verfolgen und begnügen uns mit einer Beschreibung einiger gegebener Einstellungen nach der Internalisierung normativer Aussagen. Direktiven, Qualifikationen bzw. Ermächtigungen entsprechen je verschiedenen Einstellungsnuancen. Eine Direktive ist internalisiert, wenn Personen entsprechende normative Aussagen für sich selbst oder für andere als verpflichtend ansehen. Das bedeutet nun nicht notwendigerweise, daß man mit der Bewertungsgrundlage des
III. Internalisierung normativer Aussagen
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Norminhalts übereinstimmt. Man kann den Inhalt einer konkreten Normvorschrift ablehnen, sich aber trotzdem selbst (oder andere) als zu deren Respektierung verpflichtet ansehen. Ebenso wenig trifft zu, daß man nach der Verinnerlichung einer bestimmten Norm bei jeder Normbefolgung bewußt gefühlsmäßig reagiert. Verhaltensweisen werden oft als so selbstverständlich aufgefaßt, daß sie quasi-automatisch ablaufen - wie z.B. wenn wir als Autofahrer vor einer roten Ampel anhalten. Jedenfalls tendiert eine Person, die sich gebunden fühlt, zu normkonformem Handeln auch dann, wenn diese Nachteile oder Verluste von Vorteilen beinhaltet. Pflichtgefühle werden am deutlichsten in solchen Fällen, wo Versuchungen zu Normbrüchen auftreten. Das Pflichtgefühl wird sich oft gegenüber Gegenvorstellungen durchsetzen. Gelegentlich wird aber die Versuchung zur Normverletzung zu stark. Internalisierung zeigt sich dann als Reue oder schlechtes Gewissen für Unrechtes Handeln. Man kann auch Normen internalisieren, die andere gegenüber einem selbst verpflichten. Für solche Konstellationen ist typisch, daß man von anderen Pflichterfüllung fordert. Werden solche Pflichten verletzt, so reagiert man verstimmt oder mit moralischer Entrüstung. Solche kritischen Reaktionen gegenüber den Norm Verletzungen anderer können auch dann auftreten, wenn die betreffende Norm andere begünstigt. Es gibt auch Einstellungen von normfreien Räumen. Ich kann mich z.B. darüber ärgern, daß mich jemand an zulässigen Handlungen zu hindern sucht, oder daß mich jemand zu Handlungen zwingen möchte, zu denen ich mich nicht verpflichtet fühle. Im folgenden benutzen wir Pflichtnormen als Sammelbezeichnung für Normen, die Direktiven oder Direktiv-Negationen als sprachliche Komponenten enthalten. 5 Solche Normen werden näher im Kapitel 4 besprochen. Wie schon erwähnt, sind Qualifikationen dadurch gekennzeichnet, daß Phänomene Kategorien zugeordnet werden. Die sprachliche Standardformel für solche Zuordnungen ist: „S soll als Κ gelten". Hat man eine solche Aussage internalisiert, so wird man in der Regel annehmen, S sei ein K, ein „echtes" K. Wir betrachten z.B. Personen, die formgerecht zu Beamten ernannt sind, als echte Beamte, im Gegensatz zu vorgeblichen oder vermeintlichen. Und wir betrachten Tiere, die unseren Sprachnormen zufolge als „Pferde" gelten, als echte Pferde, etwa im Gegensatz zum Steckenpferd eines Jungen, mit dem er spielt und das er als sein „Pferd" bezeichnet. Die für verinnerlichte Direktiven charakteristischen Pflichtgefühle spielen bei Qualifikationen selten eine Rolle. Dies hängt wohl damit zusammen, daß 5
Viele Autoren bezeichnen solche Normen als „Verhaltensnormen", vgl., Kap. 4, wo die Terminologie verschiedener Autoren referiert und erörtert wird. 4 Eckhoff/Sundby
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Kap. 3: Der Normbegriff
wir uns selten versucht fühlen, S als etwas anderes als Κ zu betrachten. Daß S Κ ist, gilt eher als Selbstverständlichkeit und weniger als Überzeugungspflicht. Die Internalisierung zeigt sich u. a. darin, daß von S regelmäßig als ein Κ die Rede ist und daß man Personen, die solche Normen nicht kennen, wegen Mißverständnissen kritisiert oder berichtigt. Auch in anderen Zusammenhängen können Verhaltensweisen davon bestimmt sein, da man S als Κ ansieht. Man benutzt z.B. bestimmte Gegenstände nicht, wenn man weiß, daß sie Eigentum eines anderen sind. In diesem Fall werden Handlungen allerdings nicht nur von solchen Normen gesteuert, die Eigentümerpositionen qualifizieren, sondern auch von Normen, die Pflichten gegenüber Eigentümern etablieren. Im folgenden bezeichnen wir Normen, die Qualifikationen als sprachliche Solche Normen werden Komponente enthalten, als Qualifikationsnormen. näher im Kapitel 5 besprochen. Für die Internalisierung von Ermächtigungen ist charakteristisch, daß Ermächtigte als fähig oder mächtig dazu angesehen werden - im Kompetenzbereich - mit verbindlicher Wirkung zu bestimmen. Beim Ermächtigten selbst kann sich Verinnerlichung als Machtgefühl darstellen, bei seinen Untergebenen als Gehorsamsbereitschaft. Solche Untergebenen tendieren zur Befolgung von Anweisungen oder zu Schuldgefühlen bei Nichtbefolgung. Gibt ζ. B. der Ermächtigte eine Direktive, so können Pflichtgefühle in Richtung auf direktivkonformes Verhalten erzeugt werden. Solches Pflichtgefühl setzt eine Internalisierung des Direktivenm/za/te nicht voraus und kann sogar verinnerlichten Pflichtnormen widersprechen, mit der Folge eines Konflikts zwischen einander widersprechenden Pflichten. Ähnliche Widersprüche trifft man auch bei Qualifikationen an. Ein Fußballschiedsrichter erkennt z.B. auf „Tor", obwohl die Spieler der einen Mannschaft überzeugt sind, daß der Ball die Torlinie nicht passiert hat. Sie behalten diese Überzeugung bei - „eigentlich war dies kein Tor" - , akzeptieren aber, „daß es als Tor zählte", eben weil es der Schiedsrichter so entschieden hat. Auch die Fähigkeit der Selbstbindung durch Versprechen oder Verträge, kann internalisiert sein. In diesem Fall vereinen sich Macht- und Gehorsamsaspekte. Man besitzt ein Machtgefühl - hinsichtlich der Bindung eigenen zukünftigen Handelns - , und weiß gleichzeitig, daß man sich durch die Selbstbindung verpflichtet fühlt. Normen, die Ermächtigungen als sprachliche Komponente enthalten, bezeichnen wir im folgenden als Kompetenznormen. Auch diesen Normtyp erörtern wir näher in Kapitel 5. Wer eine normative Aussage internalisiert, ob es sich nun um Direktiven, Qualifikationen oder Ermächtigungen handelt, braucht sich des Aussagegehalts nicht notwendigerweise bewußt zu sein. Es können sich Einstellungen
IV. Systembasierte Normen
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der bereits beschriebenen Art herausbilden, ohne daß sie klar in Worten formuliert sind. Man kann also Normen internalisieren, ohne sie zu verbalisieren. Oft ist es einem nicht einmal klar, welchen allgemeinen Inhalt die anerkannten Normen jeweils haben. Will man sich ein Bild von den internalisierten Normen anderer machen, so muß man sie oft indirekt erschließen aus Verhaltens- und Reaktionsweisen in konkreten Situationen. Im Prinzip ist Internalisierung ein individualpsychologischer Sachverhalt denn nur das einzelne Individuum kann Träger von Einstellungen sein. Oft wird aber eine Mehrheit von Individuen ähnlich gelagerte Einstellungen zu gleichen normativen Aussagen besitzen. In solchen Fällen sprechen wir von sozialen Normen. Viele Autoren begrenzen den Normbegriff auf derartige Fälle. Wir verwenden insofern einen etwas weiteren Begriff, wenn wir persönliche Normen begrifflich zulassen. Im übrigen gibt es fließende Übergänge zwischen Extremfällen persönlicher Normen - wo eine Einstellung nur von einer Einzelperson vertreten wird - und typisch sozialen Normen, die von allen oder den meisten Mitgliedern einer Gruppe oder Gesellschaft geteilt werden. I V · Systembasierte Normen Normen entstehen nicht nur durch direkte Internalisierung. Gerade für Rechtssysteme und zahlreiche andere Normensysteme ist ein charakteristisches Merkmal, daß sie über einen ganzen Komplex von Metanormen bezüglich der Normerzeugung verfügen. Diese Metanormen zählen zu den Qualifikationsnormen. Sie benennen mehr oder weniger präzis und vollständig Klassifikationsbedingungen für ein Phänomen als Norm in dem betreffenden System. Wer nun diese Metanormen internalisiert hat, wird auch jenen normativen Aussagen Normqualität zuerkennen, die nach den Metanormen als Normen gelten sollen. Was nun wiederum von bestimmten Schlüsselfiguren innerhalb eines Systems zum akzeptierten Normbereich gerechnet wird, wird häufig auch von anderen Personen innerhalb dieses Systems selbst dann akzeptiert werden, wenn sie den Norminhalt nicht internalisiert haben, oder die Metanormen nicht kennen bzw. nur höchst vage Vorstellungen von ihnen haben. In einem System kann es nun zu recht unterschiedlichen Metanormtypen bezüglich der Normerzeugung kommen. Teils knüpfen sie an jene Handlungen, die wir als Normierungsakte bezeichnen wollen. Gemeint sind damit jene Fälle, in denen auf der Grundlage von Entscheidungskompetenz Normen entstehen, geändert oder aufgehoben werden. Auf dieser Grundlage entstandene Normen bezeichnen wir als gesetzte Normen. Beispiele für gesetzte Normen im rechtlichen Bereich sind Gesetze, Urteile, Verwaltungsakte und Verträge etc. In anderen Systemen finden wir 4*
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Kap. 3: Der Normbegriff
z.B. Satzungsbestimmungen, Organisationsprogramme, gesetzte Regeln für diverse Spiele und Sportarten etc. Metanormen bezüglich der Normsetzung haben eine Doppelfunktion. Teils tragen sie dazu bei, Normierungsakte zu steuern. Teils dienen sie aber auch als Grundlage zur Beurteilung von der Frage, ob eine gesetzte Norm vorliegt und zur Begründung für die Beantwortung dieser Frage. Wenn man z.B. zur Existenz einer gesetzlichen Norm Stellung beziehen soll, wird man auf Metanormen zurückgreifen, die man teils in Verfassungsbestimmungen, teils in ungeschriebenen Rechtsprinzipien findet. In diesen Metanormen kann z.B. für die Gültigkeit von gesetzlichen Regeln das Erfordernis aufgestellt sein, daß sie von einem zuständigen Gesetzgeber in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise beschlossen worden sind, vorausgesetzt, daß sie nicht später geändert oder aufgehoben oder auf andere Weise weggefallen sind (z.B. durch desuetudo oder auf Grund von widersprechenden gewohnheitsrechtlichen Regelungen). Metanormen können außerdem bei der inhaltlichen Bestimmung der gesetzten Normen relevant werden. Normierungsakte bestehen gelegentlich nur aus einem Stichwort, wie beispielsweise, wenn ein Gericht eine Person als „schuldig" erkennt oder wenn man mit wenigen Worten einem Mieter kündigt oder von einem Kauf zurücktritt. Es kann sich dabei auch um eine nichtverbale Handlung drehen. Ein Beispiel hierfür bildet die Aufstellung eines Verkehrsschildes. Man kann auf solche standardisierten Formen der Normfestsetzung zurückgreifen, weil schon im Vorgriff eine Anzahl von Normen regelt, welchen normativen Inhalt die genannten Handlungen haben sollen. Üblicherweise haben aber Normierungsakte einen sprachlichen Inhalt, der vorgeblich dem Inhalt der erzeugten Norm entspricht. Dies gilt beispielsweise für die Gesetzgebung. Gesetzestexte sind jedoch auslegungsbedürftig. Zu diesem Zwecke haben die meisten Rechtssysteme Metanormen herausgebildet, die für die Auslegung heranzuziehen sind. Diese Auslegungsprinzipien gehören in unserer Terminologie zur Normenkategorie der Richtlinien, die wir im Kapitel 6 diskutieren werden. Durch richterliche Auslegung kann gesetzlichen Bestimmungen allmählich ein Sinngehalt beigelegt werden, der sehr viel nuancenreicher und differenzierter ist als der ursprüngliche bloße Gesetzestext. Gesetzliche Bestimmungen können aber auch durch die richterliche Auslegungspraxis allmählich ihren Inhalt verändern, bis hin zur völligen Überlagerung der ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers. Auch wenn eine Norm ihren Ursprung in einem Normierungsakt hat, können spätere Ereignisse (Rechtspraxis, Verwaltungspraxis, geänderte gesellschaftliche Verhältnisse etc.) mehr oder weniger bestimmend für den Inhalt der Norm werden. Es besteht deshalb keine scharfe Trennung zwischen gesetzten Normen und Normen, deren Entstehung im folgenden zu beschreiben sein wird.
IV. Systembasierte Normen
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Beispiele für fließende Übergänge zwischen gesetzten und nicht-gesetzten Normen können auch bei unbefugter Normsetzung entstehen. Man spricht in einigen solchen Fällen von einem rechtlichen Nullum oder gegebenenfalls von einem reinen Willkürakt. Es kann aber auch der Fall eintreten, daß der Fehler beim Normsetzungsakt nur dann rechtserheblich wird, wenn z.B. jemand bei einer höheren Instanz Klage erhebt. In derartigen Fällen bietet es sich an, von einer bedingten Normsetzung zu sprechen. Vorstellbar wäre auch, daß ein eigentlich als rechtswidrig anzusehender Normierungsakt faktisch respektiert wird, und daß spätere Rechtspraxis dazu beiträgt, der pseudo-gesetzten Norm Gültigkeit zu verleihen. Wenn eine Norm auf die beschriebene Weise geheilt wird oder wenn durch die Normanwendung ihr Inhalt verändert wird, kann man in der Terminologie der Systemtheorie von einer Form der Rückkoppelung sprechen. Dieser Fragenkomplex wird im Kapitel 8 V I I erörtert werden. Außerdem können Normen durch Semi-Setzung, wie wir es bezeichnen wollen, entstehen. Ein Beispiel dafür bilden Entscheidungen mit Präzedenzwirkung, also in erster Linie Entscheidungen der höchsten Gerichte. In erster Linie setzt das Urteil nur eine Norm für die Parteien des Rechtsstreites. Ist jedoch in dem betreffenden Rechtssystem durch Metanormen bestimmt, daß ein Urteil auch für die Beurteilung späterer ähnlich gelagerter Fälle Bedeutung erhalten soll, impliziert dies eine generelle Normierung. Dabei folgt die sich von einem Präjudiz ableitende generelle Norm nicht aus einem, wie bei der Gesetzgebung, unmittelbaren Setzungsakt. In der Regel hat sie daher auch einen unbestimmteren Inhalt. Gemeinsames Kennzeichen von gesetzten und semi-gesetzten Normen ist jedoch, daß ihre Entstehung von einer formellen Entscheidung abhängig ist. Es lassen sich auch andere Formen der Semi-Setzung finden. Unter anderem können Statements von Personen und Organen zu normativen Fragen normbildend wirken, wenn diese in einem bestimmten System als Autoritäten anerkannt werden. Ein klassisches Beispiel ist der Einfluß des Prätors und der Rechtswissenschaft auf die Entwicklung des Römischen Rechtes. Ein zeitgemäßeres Beispiel bilden Erläuterungen zu Rechtsfragen, die ein zentrales Verwaltungsorgan ihren untergeordneten Behörden an die Hand gibt. Wichtig in diesem Kontext sind auch Gesetzgebungsmaterialien über die Zielsetzung eines Gesetzes und über die Auslegung von bestimmten Worten oder Begriffen eines Gesetzes.6 Wie aus den obigen Beispielen folgt, kann Semi-Setzung teils als selbständige Grundlage für die Entstehung von neuen Normen dienen, wie ζ. Β., wenn 6 Vgl. zur Bedeutung der Gesetzgebungsmaterialien im schwedischen Recht Schmidt (1957, S. 165ff.) und Strömholm (1966), der rechtsvergleichend das deutsche und französische Recht miteinbezieht. Vgl. für deutsches Recht Engisch (1975, S. 81 ff.) und Savignyu.a. (1976).
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Kap. 3: Der Normbegriff
der Bundesgerichtshof eine Frage entscheidet, die nicht gesetzlich geregelt ist, und zu der auch keine einschlägige Rechtsprechung vorliegt. Semi-Setzung kann aber auch als Ergänzung zur eigentlichen Setzung herangezogen werden, etwa Gesetzgebungsmaterialien und Rechtsprechung, die für die Auslegung eines Gesetzes heranzuziehen sind. Damit sind aber die Entstehungsmöglichkeiten für systembasierte Normbildung noch keineswegs erschöpfend dargestellt. In zahlreichen Rechtssystemen ist beispielsweise der Brauch als Rechtsquelle anerkannt. Mit „Gewohnheitsrecht" werden gelegentlich jene Normen bezeichnet, deren Grundlage in einer Semi-Setzung z.B. durch Rechtspraxis besteht. Häufig bezeichnet dieser Term aber auch solche Normen, deren Grundlage nicht auf autoritativen Entscheidungen oder Erklärungen fußt, sondern auf den Handlungsmustern und Einstellungen ganz gewöhnlicher Zeitgenossen. Metanormen liefern wiederum die Rahmenbedingungen für die Einstufung als Gewohnheitsrecht, wobei häufig auf Kriterien abgestellt wird, die an den von uns verwendeten Internalisierungsbegriff erinnern. Man hat z.B. gefordert, daß gewohnheitsmäßige Handlungen nur dann als Grundlage für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht herangezogen werden dürfen, wenn sie in dem Glauben der rechtlichen Verpflichtung („opinio juris") ausgeübt werden. Doch deckt sich der in diesem Fall verwendete Internalisierungsbegriff nicht mit den Formen nicht-formeller Normbildung, die im Abschnitt I I I beschrieben wurde. Denn erstens ist die Gültigkeit einer Rechtsnorm nicht ausschließlich durch die durch Metanormen postulierte Internalisierung bedingt. Anderen Faktoren wie z.B. dem Alter und der Verbreitung eines Brauches werden üblicherweise ebenfalls Bedeutung zugemessen. Zweitens leitet sich in diesen Fällen die Relevanz der Internalisierung von Metanormen ab, während z.B. bei Moralnormen die Internalisierung unmittelbar für die Existenz einer Norm bestimmend ist, ohne daß eine andere Norm zur Entscheidung dieser Frage herangezogen werden muß. Die für die Frage der Normgemäßheit entscheidenden Metanormen müssen jedoch innerhalb des Systems von gewissen Schlüsselfiguren internalisiert werden, damit es zu einer systembasierten Normerzeugung kommen kann. In den Rechtssystemen der westlichen Welt übernehmen in erster Linie Richter diese Funktion. Wir werden in einem späteren Kapitel auf die Abgrenzungsproblematik eingehen, ob eine Norm zu einem Rechtssystem zu rechnen ist oder nicht. Der Umstand, daß eine Norm auf den Metanormen eines Systems basiert, schließt selbstverständlich nicht aus, daß sie darüber hinaus auch internalisiert sein kann. Bisweilen bildet die Internalisierung den Ausgangspunkt. Beispielsweise kann von bestimmten Bevölkerungsgruppen internalisierte Moralnorm dadurch in ein Rechtssystem inkorporiert werden, daß sie als Gesetz verabschiedet wird. Allerdings kann die Reihenfolge auch umgekehrt sein:
V. Verschiedene Beziehungen zwischen Norm und Person
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Eine Norm wird von dazu als legitimiert angesehenen Organen gesetzt und auch angewendet. Dieser Umstand führt wiederum dazu, daß eine Reihe von Personen den Norminhalt internalisiert. Der Umfang und die Komplexität von Rechtssystemen begrenzt allerdings mögliche Kenntnisnahme und Internalisierung durch breitere Gruppen der Bevölkerung.
V . Verschiedene Beziehungen zwischen Norm und Person Was für eine Person eine relevante Form ist, kann für eine andere Person irrelevant sein. Daß man ζ. B. kein Schweinefleisch essen soll, gilt für Mohammedaner, aber nicht für die meisten anderen Menschen. Daß etwas „Norm für eine Person" ist, kann nun aber unterschiedliche Bedeutungen haben: Eine Frage ist, wer die Norm als bindend erlebt und wer nicht. Dieses Gefühl der Verpflichtung knüpft sich in erster Linie an Normen, die man internalisiert hat. Aber selbst wenn man den Inhalt der Norm nicht internalisiert hat, kann man sie als bindend erleben, wenn die Norm z.B. zu einem Rechts- oder Religionssystem gehört, zu dem man in einem Abhängigkeitsverhältnis steht. In solchen Fällen kommt es jedoch zu fließenden Übergängen zwischen Normbefolgung aus Angst vor Zwängen und Sanktionen und aus persönlichem Pflichtgefühl. Zweitens stellt sich die Frage nach den Normsubjekten, d.h. Subjekten, die nach dem jeweiligen Norminhalt verpflichtet, berechtigt, kompetent usw. sind. Wir werden in den folgenden Kapiteln bei der Behandlung der verschiedenen Normtypen näher beschreiben, welche Personengruppen wir im Auge haben. Hier sei nur erwähnt, daß Normsubjekte nicht notwendigerweise mit dem Personenkreis identisch sein müssen, der Normen als verpflichtend wahrnimmt. In der Aussage „Das Weib schweige in der Gemeinde" sind z.B. alle Frauen Normsubjekte. Aber längst nicht alle Frauen halten diese Aussage für eine verpflichtende Norm. Dagegen steht zu vermuten, daß von Paulus diese Aussage als verpflichtende Norm verstanden wurde, selbst wenn er ein Mann war und damit kein Normsubjekt. Psychologen und Soziologen benutzen oft die Stichworte „Normsender" und „Normempfänger". Beide Begriffe sind vieldeutig. Als Normsender kann bezeichnet werden, wer eine normative Aussage macht oder ggf. wer eine normative Aussage macht, um andere Personen zu beeinflussen. Außerdem sind auch engere definitorische Abgrenzungen denkbar, wie etwa eine Beschränkung auf jenen Personenkreis, der in einem System über die Normsetzungsoder Semi-Setzungskompetenz verfügt. Als Normempfänger kann derjenige bezeichnet werden, an den sich die Aussage - schriftlich oder mündlich unmittelbar richtet oder den Normsender mit seiner Aussage zumindest gerne erreichen möchte. Etwa durch Weitervermittlung der Aussage vom direkten
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Kap. 3: Der Normbegriff
Adressaten an andere Personen. Und schließlich können Personen gemeint sein, die die Aussage tatsächlich - direkt oder indirekt - entgegennehmen. Gleichgültig, ob dieser Term in der einen oder anderen Wortbedeutung benutzt wird, müssen die Normempfänger nicht notwendigerweise mit den Normsubjekten identisch sein. Paulus' Wort, daß Frauen in der Kirche zu schweigen haben, zielte auf die Korintergemeinde als direkten Adressaten. Und diese setzte sich sowohl aus Männern als auch aus Frauen zusammen. Im Laufe der Zeit hat diese Aussage sehr viele Personen beiderlei Geschlechts erreicht - aber wohl kaum alle Frauen, die die Subjekte dieser Norm sind. Abschließend in unserer Darstellung der Beziehungen zwischen Norm und Individuum kommen wir zu Situationen in denen Personen die Normgemäßheit einer Handlung zu beurteilen haben. Die autoritativen Entscheidungen der Richter liefern in diesem Kontext ein prägnantes Beispiel. Außerdem kommt es auch in großem Umfange zu informellen Beurteilungen, ob die eigenen oder die Handlungen anderer normgemäß sind. Wer eine Norm als verpflichtend anerkennt, tendiert dazu, registrierte Handlungen einer derartigen Beurteilung zu unterziehen. Es sind aber auch Situationen denkbar, in denen jemanden eine Beurteilung abverlangt wird, ohne daß eine Norm Verpflichtung besteht. Ich esse z.B. mit einem Mohammedaner zusammen Mittag und werde von diesem gebeten, eines der servierten Gerichte zu kosten, um festzustellen, ob es sich für ihn um eine verbotene Speise handelt.
V I . Verschiedene Typen von auf Normen bezogenen Aussagen Wir möchten zuallererst kurz resümieren, was zum Verhältnis zwischen normativen Aussagen und Normen gesagt wurde: Nach unserer Normdefinition (vgl. Abschnitt I - I V ) korrespondiert jede Norm mit einer normativen Aussage, die den Inhalt der Norm angibt. Nicht gilt jedoch der umgekehrte Fall. Es gibt zahlreiche normative Aussagen, die nicht mit einer Norm korrespondieren, weil die im Abschnitt I I I und I V behandelten Zusatzbedingungen nicht erfüllt sind. Normative Aussagen, die nicht mit von vornherein existierenden Normen korrespondieren, spielen jedoch eine erhebliche Rolle in Normbildungsprozessen. So können Normen u.a. auf einem Normsetzungsakt eines Kompetenzinhabers beruhen. Wie wir im Abschnitt I V erwähnt haben, besteht der Normsetzungsakt normalerweise in der Artikulierung oder Bestätigung einer normativen Aussage, wie z.B. der Verabschiedung eines Gesetzentwurfes oder der Unterzeichnung dieses Vertragsentwurfes. Auch bei der Semi-Setzung von Normen wird in großem Umfange von normativen Aussagen Gebrauch gemacht. Das gleiche gilt für die mehr informellen Formen der Normbildung. Eltern und Lehrer bedienen sich z.B. häufig normativer Aus-
VI. Verschiedene Typen von auf Normen bezogenen Aussagen
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sagen, um Kinder zu beeinflussen. Diese verbalen Einflußfaktoren wiederum, oft ergänzt durch ein subtiles Belohnungs- und Strafsystem, führen häufig zur Internalisierung der Normen. Ähnliche Formen der Beeinflussung durch normative Aussagen findet man in vielen anderen sozialen Zusammenhängen: in der Freundesclique, auf dem Arbeitsplatz, in der Ehe usw. Auch nicht-normative Aussagen können in unterschiedlicher Weise Normen zum Gegenstand haben. Zum ersten trifft man relativ häufig auf Wertaussagen über Normen. Eine Norm, wie z.B. eine Gesetzesbestimmung, kann als gut oder schlecht charakterisiert werden, vernünftig oder unvernünftig, angemessen oder unangemessen. Außerdem gibt es auch deskriptive Aussagen über Normen. Ein Anthropologe beschreibt z.B. Sitten und Gebräuche in einer von ihm untersuchten fremden Kultur. Oder ein Jurist klärt einen ausländischen Kollegen über den Inhalt eines in seinem Land geltenden Gesetzes auf. Auf den ersten Blick kann die Differenzierung zwischen normativen Aussagen und deskriptiven Aussagen über Normen ziemlich elementar erscheinen. Aber tatsächlich ist es nicht immer leicht, die beiden Aussagetypen begrifflich voneinander abzugrenzen. So ist z.B. ausführlichst diskutiert worden, ob rechtswissenschaftliche Darstellungen des geltenden Rechts normativ oder deskriptiv sind. Wir selbst glauben, daß eine generelle Antwort auf diese Frage nicht gegeben werden kann. Es lassen sich Aussagen in der rechts wissenschaftlichen Literatur finden, die eindeutig deskriptiv sind. Beispielsweise, wenn der Verfasser sich damit begnügt, einen Gesetzestext samt seinem Verabschiedungszeitpunkt zu referieren. Wenn aber die Aussage sich auf die Ausdeutung der verabschiedeten Norm oder auf Normen eines nichtkodifizierten Rechtsgebiets bezieht, wird die begriffliche Trennung schwieriger. Solche Aussagen können ebenfalls deskriptiv sein. Beispiele hierfür bilden etwa die Darstellungen über die Auslegungspraxis der Rechtsprechung zu einem bestimmten Gesetz bzw. Voraussagen über deren vermutliche zukünftige Auslegung. Oft haben derartige Aussagen aber eher den Charakter von Empfehlungen, wie nach Auffassung des Verfassers das betreffende Gesetz ausgelegt werden sollte. Letztere zählen dann zu der von uns als normativ bezeichneten Aussagekategorie. Es kommt aber relativ häufig vor, daß Aussagen über das „geltende Recht" eine eindeutige Zuordnung in „deskriptiv" oder „normativ" nicht zulassen, weil vom Verfasser die Darstellung des Stoffes und normative Betrachtungen zu einer Einheit verschmolzen worden sind. Das Verhältnis zwischen norm-expressiven und norm-deskriptiven Elementen in der Rechtswissenschaft ist Gegenstand von zahlreichen Diskussionen gewesen. Einige Verfasser und Rechtsschulen sind dafür kritisert worden, die beiden Kategorien zu vermi-
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Kap. 3: Der Normbegriff
sehen. Krawietz (1972, S. 25) wirft z.B. der hermeneutischen Methode in der Rechtswissenschaft eine derartige Vermischung vor. Im Norden hat Hedenius (1963) eine entsprechende Kritik gegen die sog. Uppsala-Schule (Hägerström, Lundstedt u. a.) gerichtet. Er lancierte die Bezeichnungen „echte" und „unechte" Rechtssätze, beziehungsweise normative und norm-deskriptive Aussagen. Vergleiche zu dieser begrifflichen Abgrenzung Makkonen (1965, S. 34 Anmerkung 8), Strömholm (1976, S. 38f.) und Bjarup (1978, S. 80 - 82). Die Differenzierung zwischen „echten" und „unechten" normativen Aussagen entspricht der Unterscheidung von „Rechtssätzen" und „Aussagesätzen", die sich z.B. bei Larenz (1975, S. 232f.) findet. Es hat auch Versuche gegeben, eine rein norm-deskriptive Rechtswissenschaft zu kreieren, vergleiche insbesondere Ross (1958). Dieser sieht die Aufgabe der Rechtswissenschaft allein in der Voraussage des normativen Verständnisses, welches der Richter seiner Entscheidung zugrunde legt. Er bestreitet nicht, daß es für einen Rechtsgelehrten auch eine legitime Aufgabe sein kann, Lösungsvorschläge für bestimmte Rechtsprobleme anzubieten, betrachtet dies jedoch nicht als Wissenschaft. Vgl. dazu Bjarup (1978 S. 78 - 92) und Krawietz (1978 S. 137 - 140). Im übrigen besteht kein einheitliches Meinungsbild über die Frage der Möglichkeit oder Wünschbarkeit der begrifflichen Trennung von norm-deskriptiv und norm-expressiv in der Rechtswissenschaft. Eine Art Zwischenstellung zwischen normativen Aussagen und Aussagen über Normen nehmen in unserer Terminologie, normative Anrufungen ein. Zwei Dinge sind für eine Anrufung charakteristisch. Es wird auf eine generelle Norm hingewiesen, deren Existenz vorausgesetzt wird. Dieser Ausgangspunkt wiederum bildet die Grundlage einer normativen Aussage oder einer Wertaussage. Diese Aussagen zielen normalerweise auf die Beeinflussung von menschlichem Verhalten oder Einstellungen. Zuweilen läßt sich auch in der Anrufung ein eigenständiger Normierungsakt sehen, aber dies muß nicht notwendigerweise der Fall sein. Wir möchten zur Illustration einige Beispiele nennen: Ich will gerade meinen Wagen parken, als mein neben mir sitzender Freund plötzlich sagt: „Hier darfst Du nicht parken". Mein Freund macht mich damit auf ein Parkverbot aufmerksam. Er weist also auf eine geltende Norm hin. Gleichzeitig wird mit einer derartigen Aussage normalerweise bezweckt, mich dazu zu bewegen, nicht verbotswidrig zu parken. Mitenthalten ist demnach auch ein konkreter Ratschlag. Eine entsprechende Doppelung entstünde, wenn ein anwesender Polizist mich auf das bestehende Parkverbot hinweisen würde. Aber in diesem Falle wird man normalerweise die Aussage nicht nur als freundlichen Ratschlag, sondern als ein neues Gebot auffassen, gesetzt durch einen individuellen Normierungsakt. Ein anderes Beispiel für eine normative Aussage bildet der Fall, daß ein Anwalt zur Unterstützung seiner Forderung auf ein für seine Partei günstiges Urteil sich auf generelle Rechtsnormen beruft. Wie unsere Beispiele zeigen, wird normalerweise durch eine Anrufung impliziert, daß der Erklärende sich der Norm anschließt, auf die er sich beruft. Er fungiert als eine Art formeller oder informeller „Hüter" der generellen
V I I . Normen und Werte
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Normen. Wie oft formuliert wird, wendet er die Normen auf eine „interne" Weise an - im Unterschied etwa zum Anthropologen, der eine „externe" Beschreibung der Normen anderer Kulturkreise vornimmt. V I I . Normen und Werte 7 „Wertaussagen" bezeichnen etwas als gut oder schlecht, richtig oder falsch, nützlich oder schädlich, schön oder häßlich usw. In der Literatur werden bisweilen Wertaussagen und normative Aussagen unter dem gemeinsamen Terminus „praktische Aussagen" zusammengefaßt. Wir wollen dagegen an der begrifflichen Unterscheidung von „normativen Aussagen" und „Wertaussagen" sowie von „Normen" und „Werten" festhalten. Wir glauben hierdurch die Zusammenhänge zwischen diesen Begriffen besser in den Griff zu bekommen. Normen und Werte stehen in einem komplexen Beziehungsverhältnis: Erstens möchten wir auf die Selbstverständlichkeit hinweisen, daß Normen genauso wie andere Dinge Gegenstände von Wertungen sein können. Eine positive Bewertung des Norminhaltes ist als einer der wesentlichsten Faktoren für die Internalisierung der Norm anzusehen, selbst wenn diese Schritte nicht notwendigerweise aufeinander folgen müssen. Zweitens läßt ein Normsetzungsakt Rückschlüsse auf die in einer Gesellschaft akzeptierten Werte zu. In der Regel will der Gesetzgeber damit insbesondere deutlich machen, daß er die gebotene Handlungsweise hoch und die verbotene niedrig bewertet. Aus der Analyse eines komplexen Normsystems lassen sich auch Erkenntnisse über gesellschaftliche Wertabstufungen gewinnen. Ein gutes Beispiel bildet das Strafsystem mit seinen verschiedenen Strafrahmen. Die Größe und Art der Strafdrohungen bilden eine Art Katalog der positiven und negativen Bewertungen auf diesem Feld und ihrer wechselseitigen Abstufungen. Drittens können wir auch auf das umgekehrte Verhältnis stoßen: Eine Wertung kann einen Rückschluß auf eine normative Auffassung zulassen. Wenn z.B. eine Person eine negative Bewertung einer Handlung vornimmt, könnte dies jeweils darauf hindeuten, daß sie eine die Handlung betreffende Verbotsnorm internalisiert hat. Selbstverständlich aber müssen derartige Wertungen nicht automatisch das Bestehen einer entsprechenden Norm implizieren und auch nicht den Wunsch nach der Einführung einer derartigen Norm. Viertens können Normen recht häufig als eines von mehreren Mitteln angesehen werden, um bestimmte Werte zu realisieren. Beispielsweise wird oft einer Gesetzesbestimmung ein oder mehrere immanente „Zwecke" zuge7
Lautmann (1969) liefert eine eingehende und instruktive Taxonomie der Begriffe „Wert" und „Norm". Seine Begriffsbestimmung deckt sich jedoch nicht ganz mit der unsrigen.
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Kap. 3: Der Normbegriff
schrieben, also vermutete gesellschaftliche Konsequenzen, die der Gesetzgeber als positiv einschätzt. Fünftens sind Wertungen recht häufig vollständig oder teilweise von Normen gesteuert, die wir Wertnormen nennen. Diese betrachten wir als eine Art von Qualifikationsnormen. Eine konkrete Wertung erfolgt auf der Basis eines generellen Bewertungskriteriums, in unserer Terminologie einer Norm, oft einer Richtlinie. Der Begriff Wertnorm gibt einem den Schlüssel zum Verständnis des Grades an Wertübereinstimmungen innerhalb einer Gruppe. Wenn eine größere Anzahl von Menschen eine Wertnorm internalisiert, ist dies gleichbedeutend mit dem Vorliegen von intersubjektiver Einigkeit über zahlreiche Bewertungsfragen, obwohl Wertungen nicht auf die gleiche unproblematische Weise wie deskriptive Aussagen als „objektiv richtig" oder falsch betrachtet werden können. 8 Die Existenz derartiger Wertnormen ist ein wichtiger Zug von Rechtssystemen. Sie tragen dazu bei, den oft erstaunlich hohen Grad an Übereinstimmung unter Juristen zu erklären, wenn es um Fragen rechtlich relevanter Beurteilungen geht. Wir werden auf diese Normen in späteren Kapiteln zurückkommen. Normen konstituieren also in großem Umfange jene im rechtlichen Zusammenhang relevanten Werte. „Werte" als abstrakte Größen können wir darum in einem rechtssystematischen Kontext als Teil des Inhaltes von Rechtsnormen ansehen. „Wertungen" in der Bedeutung: Konkrete Überlegungen und Stellungnahmen zu rechtlich relevanten Wertfragen, müssen zu den Aktivitätsmengen des jeweiligen Rechtssystems gerechnet werden. Damit können wir auch an der Auffassung festhalten, daß ein Rechtssystem in seiner gesamten Komplexität aus Normen und Aktivitäten besteht. Die Einführung weiterer Grundelemente erscheint uns nicht notwendig.
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In einer anderen Terminologie als der unsrigen wird der gleiche Punkt von Taylor (1961) betont.
Kapitel 4
Pflichtnormen I. Einleitung Die Auferlegung oder die Freiheit von Pflichten ist das gemeinsame Kennzeichen der von uns als Pflichtnormen bezeichneten Normen. Normen, die Pflichten auferlegen, können entweder die Form von Geboten oder von Verboten annehmen. Erlaubnis und Freistellung sind die entsprechenden Freiheitsnormen. Im Abschnitt I I I werden wir diese Kategorien genauer erläutern. Anstelle des Terms „Pflichtnorm" verwenden viele Autoren das Wort „Verhaltensnorm". Dies scheint die übliche Bezeichnung in der deutschen Literatur zu sein, vgl. z.B. Esser (1949, S. 138 und 1972, S. 38), Adomeit (1972, S. 511) und Zippelius (1978a, S. 14). Derselbe Terminus (auf dänisch und norwegisch „forholdsnormer", auf englisch „norms of conduct") wird auch von mehreren nordischen Autoren verwandt, u.a. von Ross (1958, S. 32 und 1968, S. 118), Makkonen (1965, S. 29 - 31) und Strömholm (1976, S. 50 - 52). In der englischsprachigen Literatur ist die Bezeichnung „duty-imposing norms" gebräuchlich, vgl. z.B. Hart (1961) und Raz (1970). Benutzung finden auch die Ausdrücke „prescriptive norms" und „mandatory norms", vgl. Raz (1975, S. 49). Durch die Ausklammerung von Erlaubnis und Freistellung (vgl. Raz 1970 und 1975) werden die genannten Termini mitunter in einer engeren Bedeutung als unserer Begriff „Pflichtnorm" verwendet. Wir ziehen den Begriff „Pflichtnorm" dem Begriff „Verhaltensnorm" vor, weil auch andere Normen (insbesondere Kompetenznormen) sich auf Verhaltenstypen beziehen können. Außerdem wird durch diese Terminologie klargestellt, daß alle Normen über Pflichten gemeint sind, unter Einschluß der den öffentlichen Behörden auferlegten. Einzelne Autoren scheinen mit „Verhaltensnorm" nur auf Normen zu zielen, die Bürgern Pflichten auferlegen. Vgl. Larenz (S. 232 und 255), der differenziert zwischen „Verhaltensnormen für den Bürger" und „Entscheidungsnormen für die Gerichte und die Behörden"; vgl. auch Garstka (1972, S. 86: „Verhaltensnormen" und „Entscheidungsprogramme") .
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Kap. 4: Pflichtnormen I I . Der Begriff Pflicht
Es erscheinen uns einige erläuternde Ausführungen zum Pflichtbegriff notwendig, bevor wir in unserer Darstellung fortfahren. Dieser Begriff ist sowohl in der moralphilosophischen als auch in der juristischen Literatur zentral, wobei die jeweilige Ausformung des Begriffes variiert. In unserem Sprachgebrauch ist die Existenz einer Pflicht gleichbedeutend mit dem Vorliegen einer Norm, die einer Person etwas gebietet oder verbietet. Eine Pflichtverletzung muß nicht notwendigerweise als moralisch verwerflich angesehen werden. Der Führer eines Kraftfahrzeuges hat die rechtliche Pflicht, während des Fahrens seinen Führerschein bei sich zu tragen. Tut er dies nicht, führt sein Versäumnis üblicherweise nicht zu moralischer Verurteilung. Die Pflicht kann formell sein, begründet in technischen Notwendigkeiten ohne direkten Zusammenhang mit moralischen Werten. Man kann auch verpflichtet sein, ohne ein Pflichtgefühl zu haben, wenn etwa die Pflicht auf einer Norm beruht, die man nicht internalisiert hat. Die Erfüllung der Pflicht braucht auch nicht als moralisch lobenswert angesehen werden. Es gibt eine ganze Reihe von „selbstverständlichen Pflichten" wie beispielsweise die Sorge für Kinder oder das Unterlassen von Mord und Totschlag. Oft verhält es sich so, daß moralisches Lob eher Übererfüllung der Pflicht voraussetzt. Hiermit steht im Zusammenhang, daß wir auch keinen Konflikt zwischen Pflicht und Lust voraussetzen. Pflichtgemäßes Handeln kann lustbetont sein, wenn Spielregeln eines Spiels befolgt werden, das z.B. Spaß macht. Nach unseren bisherigen Ausführungen dürfte klar sein, daß wir Pflichten nicht als eine bloße Widerspiegelung von moralischer Gültigkeit ansehen. Wir unterscheiden uns insoweit von ζ. B. Kant. Für Kant ist die Pflicht etwas Erhabenes und Unverzichtbares. Sein Pflichtbegriff ist auf das engste verknüpft mit Vorstellungen über objektiv gültige Normen - a priori erkennbare Gesetze. Die Pflicht ist gekennzeichnet durch das gesamte Spektrum an überhöhten Eigenschaften eines Moralgesetzes, wobei darüber hinaus der Pflichtbegriff auch den Schlüssel liefert zur Festsetzung der moralisch guten Handlungen.1 Unser Pflichtbegriff ist also nicht mit Wertvorstellungen verknüpft, sondern wird allein durch Normen konstituiert. Ob nun wiederum eine Pflicht vorliegt, ist jeweils abhängig davon, in welcher Beziehung sie zu einer konkreten Normmenge steht. Was durch einen bestimmten Satz von Normen verboten ist, kann in bezug auf einen anderen Normenkatalog erlaubt sein. Beispielsweise kann etwas nach norwegischem Recht verboten sein, das nach meinen persönlichen moralischen Vorstellungen erlaubt oder sogar geboten ist. Was
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Vgl. Kant (1788), insbesondere die berühmte „Apostrophe an die Pflicht" im Werk Teil I, Buch I, 3. Hauptstück.
II. Der Begriff Pflicht
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nach den Regeln des Fußballspiels verboten ist, wird in der Regel für Bridge irrelevant sein. Wie verhält sich hierzu die Frage von Sanktionen? 2 Erfordern Gebot, Verbot und damit auch Pflicht, daß Normen mit Sanktionen versehen werden? Viele Autoren lassen in ihren Definitionen des Normbegriffes den Sanktionsaspekt mit einfließen. Einige dieser Autoren gehen sogar von einer Identität zwischen Normen und Sanktionsmenge aus.3 Wir wollen diesen Vorschlägen nicht folgen. Dennoch erscheinen uns einige Bemerkungen von Sanktionsund Pflichtbegriff notwendig. Selbstverständlich haben wir in diesem Zusammenhang nicht die positiven Sanktionen, wie z.B. Belohnungen, im Auge. Wie bereits gesagt folgt auf die Erfüllung einer Pflicht relativ selten eine Belohnung. Uns geht es in diesem Zusammenhang um negative Sanktionen: Strafen, Entschädigungen usw. Es kommt relativ häufig vor, daß eine Pflichtverletzung formell sanktioniert ist, d. h. daß eine Norm Nr. 2 besagt, daß die Nichtbefolgung einer Norm Nr. 1 zu einer Sanktion führt oder jedenfalls doch führen kann. Es läßt sich wiederum eine Norm Nr. 3 denken, die die Norm Nr. 2 sanktioniert usw. Natürlich kann diese Kette nicht bis ins Unendliche fortgesetzt werden. Die Verwendung des Pflichtbegriffes kann dennoch durchaus sinnvoll sein z.B. in Fällen, in denen Forderungen an die öffentlichen Behörden gestellt werden, ohne daß auf einen Normbruch Sanktionen folgen. Man könnte durchaus vertreten, daß in solchen Fällen das behördliche Handeln normiert ist, weil z.B. Forderungen gesetzlich oder doch zumindest durch eine Weisung eines übergeordneten Organs geregelt sind. Rein inhaltlich ähneln diese Normen so den sanktionierten Geboten und Verboten. Dasselbe gilt für die sich an den Bürger richtenden „leges imperfektae". (Wie wir im Kapitel 5 noch zeigen werden, kann es dann zu Abgrenzungsproblemen zwischen direktivistischen Normen und Qualifikationsnormen kommen.) Das Verhältnis zu den informellen Sanktionen gestaltet sich schwieriger. Wir halten an dem Ausgangspunkt fest, daß eine Pflichtnorm vorliegen kann, obwohl eine Übertretung nicht mit Mißbilligung - z.B. in Form von Vorwurf oder Ermahnung - sanktioniert wird. Wie wir wissen, kommt aber dies recht selten vor. Damit eine Direktive ihre Existenz als Norm erhält, ist üblicherweise Voraussetzung, daß die Normsetzung mit Autorität verbunden ist, oder daß die direktivistische Aussage von einer oder mehreren Personen internalisiert ist (vgl. Kapitel 3 I I I und IV). Wenn das der Fall ist, wird das abweichende Verhalten häufig von anderen oder einem selbst als ein Fehler aufgefaßt werden und damit Kritik (Reue, Schuldgefühl) auslösen. Diese Kritik muß aber nicht moralisch begründet sein. 2
Vgl. hierzu Luhmann (1972, S. 53 - 64). Dies gilt insbesondere für die behavioristische Psychologie und Sozialpsychologie, vgl. etwa Scott (1971). 3
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Kap. 4: Pflichtnormen
Wir möchten uns nunmehr einem anderen Aspekt des Pflichtbegriffes zuwenden, nämlich der Tatsache, daß es sich um einen dichotomischen, also nicht abgestuften Begriff handelt. Es kann zweifelhaft sein, ob eine Pflichtnorm mit einem bestimmten Inhalt überhaupt existiert. Nach Klärung dieser Frage gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die Handlung H ist entweder eine Pflicht oder nicht. Die Aussage, daß H mehr oder weniger Pflicht ist, erscheint dagegen nicht ohne weiteres sinnvoll. In diesem Punkt unterscheiden sich Gebot und Verbot von Wertaussagen. Werte können in allen graduellen Abstufungen auftreten. Selbstverständlich läßt sich dieser „absolute" Pflichtbegriff durch unterschiedliche Definitionen abgestufter Pflichten vervollständigen. Etwa als Entsprechung zu Vorstellungen aus der Alltagswelt über mehr oder weniger „strenge" Verbote. Man kann als eine Möglichkeit auf die Schwere der negativen Sanktion abstellen, so z.B. auf den Strafrahmen strafrechtlicher Vorschriften. Eine andere Möglichkeit besteht in der Kontrastierung unterschiedlicher Grade an Wichtigkeit, die Normsubjekte der Aufrechterhaltung einer Norm bzw. der Respektierung einer Pflicht zumessen. Oft werden diese beiden Kriterien zusammenfallen, dies muß aber nicht der Fall sein. Eine dritte Möglichkeit bietet sich bei einem Konflikt mit einer anderen Norm. In derartigen Fällen erscheint die Pflicht „schwächer" verankert, falls bei Unvereinbarkeit mit einer anderen Pflichtnorm die erste Norm zurücktreten muß. Wie bereits im Kapitel 3 I I dargestellt, lassen sich unterschiedliche Arten direktivistischer Aussagen identifizieren. Variationen können in der Intensität von bedingungslosen Befehlen bis hin zu nachsichtigen Aufforderungen und freundlichen Ratschlägen auftreten. Viele dieser Unterschiede verschwinden jedoch, wenn Aussagen durch Internalisierung oder durch Inkorporierung in ein Normsystem zu Normen werden. Aber auch unter den Normen findet man solche, die allein eine ratgebende oder richtungsweisende Funktion haben. Wir werden hierauf im 6. Kapitel zurückkommen. I I I . Gebot, Verbot, Erlaubnis und Freistellung Wir haben vier Untergruppen von Pflichtmodalitäten voneinander abgegrenzt: Normen, die eine positive Aussage darüber enthalten, wie man sich verhalten soll, nennen wir Gebote. Der Gebotscharakter einer Norm kann auf unterschiedliche Art ausgedrückt werden. Beispielsweise können wir sagen, daß die gebotene Handlung vorgenommen werden „soll", oder daß man „die Pflicht dazu hat" bzw. „verpflichtet ist", oder daß die Handlungsweise „geboten ist". Verbote regeln, wie man sich nicht verhalten soll. Ausdrücke wie „soll nicht", „ist verboten" oder „die Pflicht haben, etwas zu unterlassen", sind gebräuchlich, um den Verbotscharakter anzugeben.
I I I . Gebot, Verbot, Erlaubnis und Freistellung
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Nicht ganz treffend erscheint uns, Verbot und Gebot als unterschiedliche Norm typen darzustellen. Richtiger erscheint uns von unterschiedlichen Formen der NormFormulierung zu sprechen. Daß „ H geboten ist" ist nämlich gleichbedeutend damit, daß „Nicht-H verboten ist". Recht häufig sind beide Formulierungsvarianten austauschbar. Eine Norm über die Ladenschlußzeiten von Geschäften kann z.B. lauten „Es ist geboten, um 19.00 zu schließen" oder „Es ist verboten, nach 19.00 geöffnet zu haben." Bisweilen wird aus sprachlichen Gründen die Gebotsform gebräuchlicher als die Verbotsform sein, oder umgekehrt. Im großen und ganzen kann man vielleicht sagen, daß die Gebotsform am gebräuchlichsten ist, wenn die Pflicht in einem aktiven Tun besteht. Die Verbotsform dagegen in Fällen, in denen die Pflicht in einem Unterlassen besteht. Wie das Beispiel der Ladenschlußzeit zeigt, kann es bisweilen Gechmacksache sein, welcher Handlungsvariante man den aktiven Part zukommen läßt. Erlaubnis und Freistellung stehen in einem kontradiktorischen Verhältnis zu Gebot und Verbot. In unserem Sprachgebrauch ist die Erlaubnis einer Handlung gleichbedeutend damit, daß sie nicht verboten ist, und die Freistellung damit, daß die Handlung nicht geboten ist. Umgekehrt gilt auch, daß „nicht erlaubt" gleichbedeutend ist mit „verboten" und „nicht freigestellt" mit „geboten". Die genannten Negationen können damit zur Anwendung kommen, wenn man ein Verbot oder Gebot ausdrücken will. Recht häufig wird in diesem Zusammenhang „nicht erlaubt" benutzt, z.B. „Rauchen ist nicht erlaubt." Das Vorliegen einer Erlaubnis bzw. einer Freistellung manifestiert sich durch Ausdrücken wie „ist erlaubt", „ist freigestellt von", „hat die Erlaubnis zu", „ist nicht verboten", „ist nicht geboten" oder „hat nicht die Pflicht zu". Darüber hinaus wird die Gestattung einer Handlung oft dadurch ausgedrückt, daß sie in ein „darf" oder „kann" gekleidet wird. Die Verwendung des Wortes „kann" ist jedoch nicht eindeutig - damit kann auch das Vorliegen von Kompetenz bezeichnet werden. Wir werden hierauf im Kapitel 5 zurückkommen. In einem widerspruchsfreien Normsystem kann ein und dieselbe Handlung nicht sowohl geboten als auch verboten sein. Eine gebotene Handlung ist demnach nicht verboten, oder positiv ausgedrückt, erlaubt. Daß eine Handlung geboten ist, impliziert mit anderen Worten die Erlaubnis zu dieser Handlung. Entsprechend impliziert ein Verbot Freistellung. Das Gegenteil gilt jedoch nicht. Denn es gibt Handlungen, die weder geboten noch verboten sind. Es ist erlaubt, diese Handlungen zu unternehmen, aber gleichzeitig ist man davon befreit, wenn man nicht will. Verbot und Gebot sind demnach konträre Begriffe, Erlaubnis und Freistellung dagegen subkonträre. Die beschriebenen Beziehungen zwischen diesen vier Pflichtmodalitäten erhellt aus Figur 4.
5 Eckhoff/Sundby
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Kap. 4: Pflichtnormen
H ist geboten (nicht-H ist verboten)
Konträre Normen
H ist verboten (nicht-H ist geboten)
Implikation
Kontradiktorische Normen
Implikation
I
I
H ist erlaubt (H ist nicht verboten)
- Subkonträre Normen -
Man ist von H freigestellt (H ist nicht geboten)
Figur 4
Die Pflichtnormen sind unter einem ähnlichen Ansatz bereits von Bentham (vgl. Hart 1971 und Cornides 1976) analysiert worden. Vergleiche auch Peczenik (1970, S. 148 152) und Adomeit (1972, S. 510 - 522), bei denen man eine ausführlichere Darstellung der erwähnten Pflichtmodalitäten findet. Auch wenn wir mit vier Pflichtmodalitäten operieren, liefert die Analyse einer Handlung auf der Grundlage eines Satzes von Pflichtnormen im Grunde doch nur drei interessante Alternativen. Eine Handlung ist entweder geboten oder verboten oder keines von beiden. Der zuletzt genannte Fall beinhaltet eine Kombination von Freistellung und Erlaubnis. Dieses läßt sich dadurch ausdrücken, daß man sagt, daß die Handlung wahlfrei ist. Man kann frei entscheiden, ob man die Handlung unternehmen will oder nicht. Das Wort „erlaubt" wird bisweilen gleichbedeutend mit „wahlfrei" („nicht verboten und nicht geboten") benutzt, also in einer engeren als der von uns gebrauchten Bedeutung. Auf diese Doppeldeutigkeit weist u.a. Tranöy (1957, S. 39f.) und Moritz (1963, S. 109) hin. Von uns ist die Definition von „erlaubt" als „nicht verboten" und die begriffliche Trennung von „freigestellt" („nicht geboten") eingeführt worden, weil man u. a. in der Gesetzessprache auf beide Begriffe angewiesen ist. Wir werden im folgenden hierzu Beispiele nennen. In der Figur 5 findet sich eine Illustration der möglichen Verteilung der drei genannten Alternativen innerhalb der Gesamtmenge der möglichen Handlungen. Oft beruht die Wahlfreiheit einer Handlungsweise auf dem negativen Umstand, daß keine Norm vorhanden ist, die die Handlungsweise gebietet
Handlungen, von deren Ausführung man freigestellt ist Gebotene Handlungen
Wahlfreie Handlungen
Erlaubte Handlungen Figur 5
Verbotene Handlungen
I I I . Gebot, Verbot, Erlaubnis und Freistellung
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oder verbietet. Dies gilt recht häufig für Rechtssysteme: Gebot und Verbot müssen positiv begründet werden. Häufig wird darüber hinaus eine gesetzliche Grundlage verlangt. Ist eine derartige positive Grundlage für eine Pflicht nicht vorhanden, ist die Handlungsweise frei. Man kann sagen, daß derartige Normensysteme die allgemeine ungeschriebene Norm enthalten, daß alle Handlungen, die nicht verboten oder geboten sind, als wahlfrei anzusehen sind. Wahlfreiheit ist also nicht immer dadurch bedingt, daß spezielle erlaubende oder freistellende Normen vorliegen. Wenn wir verlangen, daß Verbote und Gebote positiv begründet sein müssen, folgt daraus nicht, daß die positive Setzung notwendigerweise Gesetzesqualität haben muß. Pflichten ohne eine solche gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Rechtsgrundlage können durch die Gerichte - zumindest gilt dies für einige Rechtssysteme - auf der Grundlage einer freien Würdigung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte auferlegt werden. Solche Entscheidungen erfordern jedoch eine gesonderte Begründung. Gibt es keinen Grund, etwas zu verbieten, so gilt dies als erlaubt. Es kann aber auch vorkommen, daß Erlaubnis und Freistellung positiv in gesonderten Normen verankert sind. Wir sprechen in derartigen Fällen davon, daß Erlaubnis und Freistellung normativ verankert sind. 4 (Nicht hierzu rechnen wir demnach Handlungsweisen, die ihre Grundlage nur in der oben erwähnten allgemeinen (ungeschriebenen) Norm haben.) Eine gesonderte normative Verankerung einer Erlaubnis bzw. einer Freistellung kann aus mehreren Gründen angezeigt sein: Bisweilen grenzt der Gesetzgeber das Erlaubte von dem Verbotenen durch die Verabschiedung einer generellen Verbotsnorm ab, von der gewisse Ausnahmen zugelassen werden. Wir können als Beispiel das Verbot gegen Einwirkungen auf das Eigentum als umfassendstes Herrschaftsrecht an einer Sache nennen. Diese generelle Regel wird nun wiederum durch eine ganze Reihe von Ausnahmeregelungen relativiert. Als Beispiel sei der § 904 BGB genannt, der Einwirkungen gegen eine Sache zuläßt, wenn dies „zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist". In diesem Fall sind sowohl die Hauptregel als auch die Ausnah4 Eine nähere Begründung für die Unterscheidung zwischen normativ und nicht-normativ verankerten Erlaubnissen liefert Moritz (1963). Diese Abgrenzung findet eine gewisse Entsprechung in der von v. Wright (1963, S. 85 - 92) vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen „strong" und „weak" Erlaubnissen. Wir stimmen jedoch nicht mit v. Wright überein, daß Normen, die eine Erlaubnis enthalten, Versprechungen sind. Dagegen kann eine Erlaubnis mit einem Versprechen kombiniert sein, beispielsweise mit dem Versprechen die Erlaubnis nicht zurückzuziehen. V. Wrights Darstellung ist von Peczenik (1970, S. 148 - 152) und von Ross (1968, S. 120 - 124) kritisiert worden. Corneides (1974, S. 116 - 126) unterscheidet zwischen Erlaubtheit (d.h. der Tatsache, daß irgend etwas in irgendeiner Weise nicht verboten ist) und Erlaubnis (d.h. der Vorgang, mit dem irgend etwas - bisher vielleicht Verbotenes - erlaubt wird). Vgl. auch die Diskussion zwischen ihm und Kalinowski in: Tammelo / Schreiner (1978, S. 36 - 39,41,265 und 271 f.).
5*
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Kap. 4: Pflichtnormen
men generell. Es kommt aber auch insbesondere im Verwaltungsrecht vor, daß individuelle Ausnahmen (Konzessionen, Lizenzen, Dispense usw.) von generellen Verbotsnormen erteilt werden. Gebotene Handlungen werden oft auf eine entsprechende Weise abgegrenzt. Eine steuerrechtliche Regel wird in der Regel im Ausgangspunkt den Kreis der Steuerpflichtigen umfassend definieren. Im zweiten Zugriff werden dann Ausnahmen gemacht, sei es durch generelle, eine Freistellung normierende Regel, sei es durch individuelle Freistellungen. Dieses Verhältnis, daß von einer Pflicht befreiende Normen teils Ausnahmen von einem Verbot, teils von einem Gebot regeln, kann als einer der Gründe angesehen werden, daß zwei Arten von befreienden Normen notwendig sind: Erlaubnis und Freistellung. Freiheiten (Erlaubnis und Freistellung) können außerdem auch aus anderen Gründen normativ verankert werden. Was früher verboten war, wird z.B. erlaubt. Dies möchte der Gesetzgeber durch eine gesonderte, die Erlaubnis betreffende Norm auch verdeutlichen. Oder jemand sieht seine Freiheit bedroht und fordert deshalb deren gesetzliche Verankerung. Ein Beispiel hierfür läßt sich im norwegischen Gesetz zum Organisationsrecht für Vorarbeiter vom 14.12.1951 finden. § 3 dieses Gesetzes lautet: „Ein Vorarbeiter kann vollkommen frei entscheiden, ob er sich einer bestimmten Gewerkschaft anschließt, oder ob er außerhalb der Gewerkschaft verbleibt." Der Hintergrund dieser Bestimmung ist in der Tatsache zu sehen, daß Vorarbeiter sich oft in einer Zwickmühle befinden. Die Betriebsleitung wünscht, daß der Vorarbeiter den Betrieb repräsentiert. Die Arbeiter wiederum verlangen, daß er sich mit ihnen solidarisieren soll. Dies hat u.a. bei der Frage der Organisationszugehörigkeit dazu geführt, daß Vorarbeiter ins Kreuzfeuer unterschiedlicher Ansprüche geraten sind. Der Gesetzgeber hielt es in dieser Situation für notwendig, die Organisationsfreiheit der Vorarbeiter per Gesetz zu untermauern. Es kommt auch in vielen Ländern vor, daß bestimmte Freiheitsrechte eine noch stärkere Absicherung durch die Aufnahme in die jeweiligen Verfassungen erhalten. Eine wichtige Folge der normativen Verankerung eines Freiheitsrechtes besteht darin, daß damit seine Einschränkung oder Aufhebung durch rangniedrigere Normen verhindert wird. Wie wir später noch sehen werden, ist es u. a. für Rechtssysteme üblich, daß Normen in einer Rangordnung stehen, und daß im Konfliktfall die ranghöheren den rangniedrigeren vorgehen. In einem auf einem Grundgesetz basierenden Rechtssystem werden die in ihm kodifizierten Freiheitsrechte nicht durch ein gewöhnliches Gesetz eingeschränkt werden können. Gesetzlich verankerte Freiheiten werden sich wiederum durchsetzen gegen Verordnungen, die nicht Gesetzescharakter haben. Die obenerwähnte Norm, die ganz generell darauf hinausläuft, daß alles, was nicht verboten oder geboten ist, als wahlfrei anzusehen ist, ist recht fundamental. Dennoch hat sie den denkbar niedrigsten Rang innerhalb des
III. Gebot, Verbot, Erlaubnis und Freistellung
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Systems, weil alle Freiheiten, die sich als Grundlage allein auf diese Norm berufen können, von jedem beliebigen Verbot oder Gebot aufgehoben werden können. Die bis jetzt angeführten Beispiele für gesonderte normativ verankerte Freistellungen oder Erlaubnisse bezogen sich auf Fälle expliziter Setzung. Aber es lassen sich auch andere Fälle denken, in denen beispielsweise Freiheiten auf Grund von Gewohnheitsrecht Gesetzeskraft erhalten oder auf Grund der Auslegung eines Gesetzes abgeleitet werden können. Auch eine auf eine solche Setzung zurückgehende Erlaubnis ist als gesetzlich verankert anzusehen und kann folglich auch nur durch ein neues Gesetz aufgehoben werden, nicht dagegen durch eine rangniedrigere bloße Verordnung. Vorausgesetzt, daß ein Verbot gesetzlich geregelt worden ist, ist dann die antithetische Auslegung zulässig, daß Handlungen, die nicht von dem Gesetz mitumfaßt werden, gesetzlich erlaubt sind? Es ist nicht möglich, auf derartige Auslegungsfragen eine generelle Antwort zu geben. Norwegische Gerichte jedenfalls sind in nur geringem Umfang bereit, Freiheiten Gesetzeskraft zukommen zu lassen, soweit diese nicht ausdrücklich gesetzt waren. Gesetzliche Verankerung von Freiheiten verleiht damit einen gewissen Schutz vor dem Wegfall oder der Einschränkung dieser Rechte bei Einführung neuer Pflichten. Demgegenüber bietet die gesetzliche Verankerung an und für sich keinen Schutz gegen tatsächliche Hindernisse bei der Wahrnehmung von Freiheiten. Ein derartiger Schutz setzt spezielle Normen voraus, die z.B. ein Verbot gegen Störungen der Freiheit aussprechen und bei Übertretungen gegen dieses Verbot Sanktionen androhen. Wenn eine Freiheit in einer bestimmten Beziehung geschützt ist, kann aber dies in gewissen Fällen den Schluß nahelegen, daß diese Freiheit auch in anderen Bereichen geschützt ist. Es stellt sich die Frage, ob nicht zusätzlich zu den in der Figur 2 genannten drei Handlungskategorien (gebotene, verbotene und wahlfreie Handlungen) eine vierte Kategorie eingeführt werden müßte, nämlich für Handlungen, die für das betreffende Normsystem irrelevant sind. Wenn wir mit derartig komplexen Systemen, wie es Rechtssysteme nun einmal sind, operieren, besteht möglicherweise kein Bedarf für eine derartige Kategorie. Denn für alle nur denkbaren Handlungsvarianten lassen sich rechtliche Regelungen zumindest denken. Schauen wir uns speziellere Normensysteme an, etwa Fußball- oder Bridgeregeln, so erscheint es durchaus angemessen, gewisse Handlungsweisen als irrelevant zu bezeichnen. Ein Tackling im Fußball fällt z.B. derartig weit außerhalb des denkbaren Regelungsbereiches von Bridgeregeln, daß es als irrelevant bezeichnet werden muß. Wo die Grenze zwischen irrelevanten und nicht-normativ verankerten wahlfreien Handlungen zu ziehen ist, kann Schwierigkeiten bereiten. Da diese Frage so gut wie keine praktische Bedeutung hat, werden wir auf sie auch nicht weiter eingehen.
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Kap. 4: Pflichtnormen
Weinberger (1979, S. 85 - 90 und 112 - 124) unterscheidet zwischen Willensfeld des Systems (d. h. Sachverhalte, zu denen das Normensystem ausdrücklich Stellung nimmt), potentiellem Willensfeld des Systems (d.h. Sachverhalte, zu denen zwar keine ausdrückliche Stellungnahme vorliegt, die aber für die Stellungnahme nicht irrelevant sind) und Irrelevanzfeld des Systems. Als Begründung für die Einführung der Kategorie „potentielles Willensfeld" schreibt er u.a. (S. 113f.): „In offenen Normensystemen gibt es neben den sprachlich ausgedrückten Stellungnahmen auch latente und potentielle normative Stellungnahmen, die aus der Einstellung des Systems resultieren, die aber nicht formuliert vorliegen." Selbst wenn wir nicht mit dieser Kategorie arbeiten, stimmen wir mit Weinberger überein, daß Fälle vorkommen können, in denen ein Sachverhalt zum Gegenstand für eine rechtliche Beurteilung gemacht wird (z.B. durch ein Gericht), der nicht durch gesetzte Normen geregelt ist. In solchen Fällen kann im Ausgangspunkt mehr oder weniger zweifelhaft erscheinen, was als verboten, geboten und wahlfrei angesehen wird. Es bestehen also keine scharfen Abgrenzungen zwischen geregelten und nichtgeregelten Bereichen. I V . Normsubjekte bei Pflichtnormen Normen, die Pflichten auferlegen, haben häufig zwei Kategorien von Normsubjekten. 5 Eine Kategorie wird durch die Person oder Personen konstituiert, der oder denen die Norm eine Pflicht auferlegt. Die andere Kategorie durch die Bezugsgruppen, denen gegenüber diese Pflichten bestehen. Letztere Position wird häufig mit „Recht" bezeichnet. Das Wort „Recht" ist jedoch vieldeutig. Es bezeichnet auch Freiheit (vgl. unten), Kompetenz (vgl. Kapitel 5) und derartig komplexe Positionen wie ζ. B. das Eigentumsrecht. Wir ziehen es darum vor, das Korrelat von Pflicht als Anspruch zu bezeichnen. Die Position des Anspruchssubjektes besteht idealtypischerweise teils darin, daß es die Erfüllung der Pflicht durch geeignete Schritte erzwingen kann. Teils wird es der Nutznießer der Pflichterfüllung sein. Die skizzierten zwei Aspekte der Anspruchsposition können jedoch auch an unterschiedliche Personen gebunden sein. Dies gilt recht häufig bei Pflichten gegenüber der Öffentlichkeit. Etwa wenn bestimmte Beamte über die Erfüllung der Pflicht zu wachen haben, während andere Personen (z.B. die Allgemeinheit) die Vorteile aus der Erfüllung der Pflicht ziehen. In derartigen Fällen läßt sich nicht so ohne weiteres sagen, daß bestimmte Personen einen Anspruch haben, der mit einer Pflicht korrespondiert. Die Beziehung zwischen Pflicht und Anspruch macht es möglich, Pflichtnormen in der Form der Aussage über Ansprüche zu formulieren. Die Formulierung „ A hat gegenüber Β den Anspruch, daß dieser die Handlung Η unternimmt" ist z.B. gleichbedeutend mit „B hat die Pflicht gegenüber A , Η zu unternehmen". Ganz generell können alle Sätze, in denen das Wort 5
Vgl. das Kapitel 3 V zum Begriff des Normsubjektes.
V. Generelle und individuelle, kategorische und bedingte Pflichtnormen
A hat einen Anspruch gegen Β auf Η
kontradiktorische M
• Aussagen
A hat einen Nicht-Anspruch gegen Β auf H
t
gleichbedeutende Aussagen Β hat eine Pflicht gegenüber A auf Η
71
gleichbedeutende Aussagen
±
> Verfügungsfreiheit Schadenersatzanspruch Veräußerungsbefugnis >> usw.
Figur 7 1 Zippelius (1971, S. 38 - 45) und Larenz (1975, S. 248 - 250) führen einige Beispiele für Koppelungszusammenhänge in deutschem Recht an. Eine ausführliche Übersicht findet man bei Berger (1971), siehe besonders S. 14-18 und 104 ff.
112
Kap. 7: Statische Normzusammenhänge
müßte daher in ausführlicherer Form lauten: „Wer eine Sache gekauft und sie nicht später verkauft, oder verschenkt, oder usw. hat, kann über sie frei verfügen . . Drittens könnte man die Figur mit anderen Normen auf beiden Seiten ausbauen. A n die Norm, daß der Eigentümer Verkaufsbefugnis hat, könnte man z.B. die Rechtsfolgenormen von Verkauf ankoppeln und an die Norm „der Käufer einer Sache erwirbt Eigentum" die normierten Bedingungen für gültige Verträge. Wir folgen hier dem Modell zur Analyse des Eigentumsbegriffs, der zuerst von Ross (1957 und 1958, S. 170ff.) eingeführt wurde. Seine Analyse war ein Beitrag zur skandinavischen Diskussion über subjektive Rechte, die von Sundby (1968) ausführlich und von Strömholm (1972, S. 49 - 50 und 56 - 57), Lantz (1977, S. 26 - 31) und Mincke (1979, S. 49 - 53) eher gerafft erörtert wird. Siehe auch Rehfeld (1966, S. 71 - 76). Man hat die Frage aufgeworfen, ob nicht ein endloser Regreß eröffnet wird, wenn man „Eigentum" mit Hilfe solcher Bedingungs- und Folgesätze definiert wie im obigen Schema. Diese Frage taucht u.a. deshalb auf, weil Rechtserwerb oft von vorausgegangenen Rechtslagen bedingt ist. Eigentumserwerb durch Kauf hängt z.B. davon ab, daß der Verkäufer zum Kaufzeitpunkt Eigentümer war. Siehe hierzu Wedberg (1951), Eckhoff (1969) und in bezug auf deutsches Recht Keuth (1972). Bezeichnungen für andere subjektive Rechte, wie z.B. „Pfandrecht" und „Vorkaufsrecht", fungieren als Knotenpunkte in ähnlichen Verästelungen verkoppelter Normen. Gleiches gilt für viele andere Rechtsbegriffe wie z.B. „Ehe", „Aktiengesellschaft", „Beamte", „Bundestag", „Bundesregierung", „Staat". Sie fungieren u.a. als Koppelungstermini. Indem der gleiche Koppelungsterm auf der Rechtsfolgen- bzw. Bedingungsseite von zwei Normen auftaucht, wird angegeben, daß diese Normen gekoppelt werden können. Die erwähnten Termini haben auch andere Funktionen, auf die wir im Abschnitt V zurückkommen. Koppelungsmöglichkeiten können auch anders ausgedrückt werden als durch Koppelungstermini. Sie können u. a. aus der Systematik eines Gesetzes hervorgehen, z.B. wenn jenes - wie übliche Strafgesetze - in einen allgemeinen und in einen besonderen Teil eingeteilt ist. Hier muß man die Strafbarkeitsbedingungen im allgemeinen Teil mit denen der einzelnen Strafgebote koppeln, um ein vollständiges Bild von den Strafbarkeitsbedingungen zu erhalten. Nebengesetze, die für die Verletzung bestimmter Gebote oder Verbote bestimmte Strafen androhen, besitzen oft eine andere Koppelungsform. Hier findet man oft die Strafdrohung in einem besonderen Paragraphen, wie z.B. im § 11 des deutschen Gesetzes über das Paßwesen vom 4.3.1952: „ M i t Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer den Vorschriften der §§ 1 oder 2 oder auf Grund des § 3, Abs. 1 erlassenen Rechtsverordnungen zuwiderhandelt." Hier geht aus den genannten Paragraphenhinweisen unmittelbar hervor, auf welche Vorschriften sich die Strafdrohung bezieht.
II. Koppelungszusammenhänge
113
Solche Verkoppelungen wie in den genannten Beispielen sind typisch für solche Normen, die wir als Regeln bezeichnen. Dienen mehrere Regeln als Argumente für einen Standpunkt, so ist es üblich, die Argumente wie Kettenglieder zu koppeln, im Gegensatz zu Richtlinien, die normalerweise in Bündeln auftreten und auf Argumente verweisen, die im Zusammenhang und evtl. in gegenseitiger Abwägung zu bewerten sind (vgl. Kap. 6 I). Die einzelne Richtlinie kann allerdings gekoppelt sein, z.B. an eine Qualifikationsnorm, die einen in der Richtlinie vorkommenden Begriff definiert. Solche Fälle sind jedoch ungewöhnlich. Ganz üblich sind dagegen Koppelungen eines Satzes von Richtlinien an die Regel oder Regeln, für die die Richtlinien als Hilfsnormen dienen. Eine solche Koppelung besteht z.B. zwischen den S traf regeln und Richtlinien für Strafzumessungen. Als ein anderes Beispiel kann man Regeln anführen, die durch bestimmte Ausdrücke, wie z.B. „Treu und Glauben" oder „sittenwidrig", Ermessensspielräume schaffen. Solche Ausdrücke fungieren als Koppelungstermini zwischen der Regel und evtl. vorhandenen Richtlinien für das Ermessen. Verschiedene der erwähnten Koppelungsmöglichkeiten lassen sich kombinieren, so daß man lange und verästelte Serien verkoppelter Normen erhält. Wir wollen einige relativ einfache Beispiele aus dem norwegischen Preisgesetz vom 26.6.1953 erwähnen. Im § 60 wird „Preis" definiert als „jegliches Entgelt, ohne Rücksicht auf sonst übliche andere Bezeichnungen wie ζ. B. Vergütung, Honorar, Frachttarif, Schätzwert, Miete oder ähnliches". Diese Definition muß in all denjenigen Bestimmungen des Gesetzes herangezogen werden, in denen das Wort „Preis" vorkommt, u. a. im § 18, der ein Verlangen unangemessener Preise verbietet, und im § 24, der die Regierung ermächtigt, Preisverordnungen zu erlassen. Viele dieser Normen lassen sich weiter ankoppeln. Die Rechtspraxis besitzt z.B. Richtlinien dafür, welche Faktoren bei Bewertungen „unangemessener" Preise zu berücksichtigen sind. A n das Verbot unangemessener Preise knüpfen sich Regeln für Strafen, Verfall von Überpreisen und Anfechtbarkeit, an diese wiederum eine Reihe verschiedener Normen, u.a. für allgemeine Strafbarkeitsbedingungen, Strafzumessung, Prozeßform usw. Ein kleiner Ausschnitt des hier angedeuteten verästelten Geflechts verkoppelter Normen wird in der Figur 8 veranschaulicht (hier symbolisieren die geraden Pfeile Regeln und die gewellten Pfeile Richtlinien). Aus den Beispielen geht hervor, daß normalerweise nicht der gesamte Sinngehalt von Teilnormen in die zusammengesetzte Norm eingeht. Kehren wir kurz zu einem früheren Beispiel zurück: „Wer eine Sache kauft, erwirbt dadurch Eigentum" und „der Eigentümer einer Sache kann über jene frei verfügen", oder zusammengesetzt: „Wer eine Sache gekauft hat, kann über jene frei verfügen". In der letzten Formulierung ist der Term „Eigentum" herausgefallen, der in den beiden ersten Formulierungen vorkommt. Dies bedeutet eine Sinnverkürzung; wie schon erwähnt, beinhaltet der Term „Eigentum", 8 Eckhoff/Sundby
114
Kap. 7: Statische Normzusammenhänge
Definition von „Preis" Ermächtigung zum Erlaß von Preisverordnungen
G
tr
Figur 8
daß jede der beiden Teilnormen in eine Vielzahl zusätzlicher Koppelungen eingehen kann. Für diesen Sinnverlust erhält man eine Neuerung - die Spezifikation einer vom Term Eigentum implizierten Koppelungsmöglichkeit. Will man zum Vorliegen der Koppelungsbedingungen Stellung nehmen, so steht man vor einer Auslegungsfrage. Man kann die Frage z.B. so formulieren: „Lassen sich die Bestimmungen A und Β so auslegen, daß sie (oder Teile von ihnen) zusammen eine Norm C bilden können?" In der Praxis finden solche Auslegungen oftmals automatisch statt. Es gibt gewisse Standardkoppelungen, die von Juristen so verinnerlicht worden sind, daß ihnen die dahinterstehenden Auslegungsfragen nicht bewußt sind. Die Verwendung von Legaldefinitionen oder die Koppelung von konkreten Strafdrohungen und allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen sind Beispiele dafür. Es kommt auch vor, daß Koppelungsfragen in der Praxis gar nicht auftauchen, da man sich auf die aktuelle Teilnorm beschränkt. Dies ist oft der Fall, wenn ein kumulativer Satz von Rechtsfolgen sich auf alternative Voraussetzungen bezieht - wie z.B. beim Eigentum. Man erwägt z.B. die Grenzen der Dispositionsfreiheit des Eigentümers, ohne auf die Frage einzugehen, ob das Eigentum von Kauf, Erbe oder Schenkung herrührt. Koppelungsfragen können jedoch gelegentlich Auslegungsprobleme aufwerfen. In der zitierten Preisgesetzbestimmung - „als Preis bezeichnet dieses
II. Koppelungszusammenhänge
115
Gesetz jegliches Entgelt . . . " - kann man sich fragen, wie wörtlich sie auszulegen ist, z.B. ob sie nur dort eingekoppelt werden sollte, wo der Term „Preis" in den Bestimmungen des Preisgesetzes selbst auftaucht, oder auch dort, wo der Term in abgeleiteten Verordnungen vorkommt. Oder: Bezeichnungen subjektiver Rechte werden gelegentlich atypisch verwendet mit der Folge, daß Koppelungen zweifelhaft erscheinen. Wenn sich z.B. ein Teilzahlungsverkäufer „Eigentum" bis zur vollen Bezahlung der Sache vorbehält, gilt dies nach norwegischem Recht nicht als gewöhnliches Eigentum. Er besitzt ein Rückforderungsrecht, falls die Raten nicht bezahlt werden; so lange dies jedoch nicht der Fall ist, ist er weder verfügungs- noch verkaufsberechtigt. So weit ist die Sachlage unproblematisch. Es ist jedoch fraglich, inwiefern andere Normen zur Anwendung kommen können, für die der Term „Eigentum" normalerweise als Koppelungszentrale fungiert. Man kann sich u.a. fragen, ob der Verkäufer bei Konkurs des Käufers oder bei Verkauf an gutgläubige Dritte vor völliger Bezahlung den Kaufgegenstand zurückverlangen kann. Die beschriebene Koppelungsfähigkeit von Normen ist ein wichtiger Wesenszug gegenwärtiger Gesetzgebungstechnik und juristischer Denk- und Ausdrucks weise. Es ist oft erwähnt worden, daß man mit einer solchen Ausdrucksweise bei gleichen Inhalten sich mit erheblich weniger Sätzen begnügen kann. Strömberg (1969) hat einen Normkomplex untersucht, der auf diese Weise aufgebaut ist - nämlich die Regeln des schwedischen Verkaufsgesetzes über die Folgen von Sachmängeln bei Kaufgegenständen. Er präsentiert u.a. ein Schema für verschiedene Kombinationsmöglichkeiten der Elemente in diesem Normkomplex. 2 Dabei zeigt sich, daß 4273 verschiedene Kombinationen relevanter Fakten und Rechtsfolgen möglich sind. Wenn man will, so kann man dies als die in den 10 kurzen Paragraphen enthaltene Normmenge bezeichnen. Auch der Normkomplex, der sich auf Eigentum 3 bezieht, liefert anschauliche Beispiele. Nehmen wir ζ. B. an, wir operierten nicht mit Normen, die sich auf verschiedene Weise mit dem Term „Eigentum" verkoppeln lassen, son2 Sein Schema erinnert an ein EDV-Programm und besteht aus einer Serie von Fragen, die mit „ja" oder „nein" beantwortet werden können. In freier Übersetzung lauten die ersten Fragen so: Frage 1: Lag der Mangel zum Zeitpunkt des Gefahrenüberganges auf den Käufer vor? (Wenn ja, weiter nach Frage 3. Wenn nein, weiter nach Frage 2.) Frage 2: Resultiert der Mangel aus einem Versäumnis des Verkäufers? (Wenn ja, weiter nach Frage 3. Wenn nein, kein Anspruch.) Frage 3: Hat der Verkäufer betrügerisch gehandelt? (Wenn ja, weiter nach Frage 24. Wenn nein, weiter nach Frage 4.) Das Schema enthält zusammen 27 Fragen dieses Typs. Indem man ihnen folgt, gelangt man - auf je verschiedenen Wegen, je nach Ausfall der Antwort - früher oder später zu einer der Kategorien „Wandelung", „Minderung", „Schadenersatz" oder „kein Anspruch". 3 Wir folgen hier Ross (1958, S. 170 - 175).
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Kap. 7: Statische Normzusammenhänge
dem müßten alle Bedingungen jeder einzelnen Rechtsfolge der verwendeten Normaussagen angeben. In grober Vereinfachung würden sie sich so lesen: 1. „Wer eine Sache gekauft hat, vorausgesetzt, er hat sie nicht später verkauft, oder verschenkt, oder . . . usw., kann über sie frei verfügen". 2. „Wer eine Sache gekauft hat, vorausgesetzt, er hat sie nicht später verkauft, oder verschenkt, oder . . . usw., kann bei ihrer Zerstörung Schadenersatz verlangen". Usw. Man benötigte also einen derartigen Satz für jede einzelne der möglichen Kombinationen aus Erwerbsgründen (Kauf, Erbe, Geschenk usw.), Verlustgründen (Verkauf usw.) und Rechtsfolgen (Verfügungsfreiheit usw.) Setzt man Ν mögliche Erwerbsgründe, Ο mögliche Verlustgründe und Ρ mögliche Rechtsfolgen voraus, so ist eine Anzahl von NxPxO-Kombinationen möglich. Operiert man dagegen mit Teilnormen, die sich auf den Term Eigentumsrecht beziehen, so reichen N + O + P-Sätze aus - die sich bei Bedarf kombinieren lassen. Repräsentieren Ν , Ο und Ρ große Zahlen, wie es in den meisten Rechtssystemen der Fall ist, so ist deren Summe weit niedriger als deren Produkt. Außerdem wird jeder Einzelsatz viel kürzer und einfacher. Solche Einsparungen ähneln einer Schriftsprache, die auf vielfach kombinierbaren Buchstaben statt auf Wortzeichen basiert, wie z.B. im Chinesischen. Die Verwendung koppelbarer Teilnormen hat auch Konsequenzen für die Schaffung neuer Normen, z.B. durch Gesetzgebung. Begriffe (wie z.B. „Eigentum") als Knotenpunkte von Normgeflechten lassen sich mit Telefonzentralen vergleichen, von denen Leitungen in viele verschiedene Richtungen ausgehen. Kommt ein neuer Fernsprechteilnehmer hinzu, bedarf es nur einer neuen Leitung von ihm zur Zentrale. Die Verlegung von Sonderleistungen zwischen den neuen und jedem bisherigen Teilnehmer wäre denkbar unpraktisch. Bei der Setzung neuer Normen verhält es sich ähnlich. Denken wir ζ. B. an eine Verordnung, die Hauseigentümer zum Schneeräumen verpflichtet und gegebenenfalls Bußgelder androht. Indem die Verordnung solche Zentralbegriffe wie „Eigentümer", „Pflicht", „Strafe" und „Bußgeld" verwendet, werden bereits vorliegende Rechtsnormen eingekoppelt. Alle Normen, für Erwerb und Verlust des Eigentums, für allgemeine Strafbarkeitsbedingungen, für Grundsätze der Strafzumessung usw., werden damit einbezogen - ohne daß der Gesetzgeber auf die Vielzahl von Fragen eingehen muß, die von diesen Normen gelöst werden. Solche einfache und praktische Gesetzgebungstechnik ist weit verbreitet - allerdings auch in solchen Fällen, wo eine gründlichere Erwägung von Neuordnungen wünschenswert wäre. Diese Methode wird nicht nur von Gesetzgebern benutzt. Gerichte, die Rechtsfragen lösen, und Personen, die Verträge abschließen, neigen ebenfalls zur Verwendung solcher Begriffe, die als Koppelungszentralen im bereits vorliegenden Normgeflecht fungieren.
I I I . Bedeutungskumulation
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Die hier beschriebenen Wesenszüge von Gesetzgebungstechnik und Rechtssprache tragen dazu bei, Normen so aneinanderzubinden, daß sie zusammen ein System bilden. Solche Verbindungen sind von variabler Dichte in verschiedenen Teilen des Systems. Normen konzentrieren sich um solche Schlüsselbegriffe herum wie „Strafe", „Schadenersatz", „Eigentum", „Vertrag", „Ehe" und „Aktiengesellschaft". Es bestehen aber auch Verbindungen zwischen solchen Normkonzentrationen. Zum Beispiel hängen Eigentum und Strafe zusammen, teils, indem Strafbestimmungen Eigentümer gegen Diebstahl und andere Eigentumsverletzungen beschützen, teils, indem Eigentümer unter Strafdrohung Pflichten auferlegt werden - wie in unserem obigen Beispiel zur Schneeräumpflicht. I I I . Bedeutungskumulation Ein weiterer Wesenszug der Rechtssprache - den wir hier nur kurz erörtern - ist ihre Tendenz zur Bedeutungskumulation. Durch diesen Begriff wollen wir darauf hinweisen, daß eine bestimmte sprachliche Formulierung oft mehrere Aussagen enthalten kann. Besagt z.B. ein Gesetz, daß eine Behörde dieses oder jenes „anordnen kann", so kann dies, wie schon erwähnt, sowohl bedeuten, daß die Behörde kompetent ist, bestimmte Normen zu erlassen als auch, daß ihr die Entscheidung frei steht, diese Kompetenz zu benutzen oder nicht. Auch der Term „Anspruch" hat eine Doppelbedeutung. Sagen wir z.B. „ A hat einen Anspruch gegenüber B " , so bedeutet dies normalerweise sowohl, daß Β gegenüber A verpflichtet ist als auch, daß A gewisse Kompetenzen hat, u.a. Verfahren anzustrengen, falls die Pflicht nicht erfüllt wird. Man trifft auch auf Texte, die erheblich mehr Aussagen enthalten. Der § 233 des norwegischen Strafgesetzes bestimmt z.B.: „Wer den Tod eines anderen verursacht . . . , wird wegen Totschlags mit Gefängnis nicht unter 6 Jahren bestraft." Dies bedeutet: 1. daß Totschlag verboten ist, 2. daß die Gerichte die Kompetenz besitzen, einen der Schuld überführten Angeklagten zu Gefängnis von 6 Jahren oder mehr zu verurteilen, 3. daß die Gerichte unter den genannten Bedingungen auch die Pflicht besitzen, so zu urteilen, 4. daß die Anklagebehörde die Kompetenz besitzt, Anklage zu erheben, wenn sie glaubt, einen Totschlag beweisen zu können, 5. daß die Anklagebehörde in einem solchen Fall auch die Pflicht hat, Anklage zu erheben, falls nicht die Bedingungen einer Einstellung der Strafverfolgung vorliegen.
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Kap. 7: Statische Normzusammenhänge
Außer diesen Normen enthält die Aussage eine Information an die Öffentlichkeit: 6. daß Totschlag zu Gefängnis von nicht unter 6 Jahren führen kann. Bei diesem Beispiel sind einige Vorbehalte am Platz. Man kann sich darüber streiten, ob die erste der auf gelisteten Normen im § 233 festgelegt ist. Man kann durchaus behaupten, es handele sich um eine ungeschriebene Norm, die im § 233 nicht gesetzt, sondern nur vorausgesetzt sei. Die anderen Normen (2 - 5) folgen nicht aus § 233 allein, sondern im Zusammenhang mit anderen Bestimmungen. Im § 233 wird z.B. nicht angegeben, daß die Gerichte die diesbezügliche Urteilskompetenz besitzen, oder daß Strafverfahren durch die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt werden. Dies folgt aus der Strafprozeßordnung, die durch ihre Ausdrücke „Strafe" und „strafbare Handlungen" u.a. auf den § 233 verweist. Übrigens sind Koppelungen mit anderen als den erwähnten Normen angebracht, u.a. mit den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzes, daß Strafe Schuld und fehlende Rechtfertigungsgründe (z.B. Notwehr) voraussetzen. Jede der in § 233 enthaltenen oder angedeuteten Normen steht also in Koppelungszusammenhang mit einer Reihe von Normen des gleichen oder anderer Gesetze, auch mit ungeschriebenen Normen. Eine häufig übliche Bedeutungskumulation besteht darin, daß ein Satz sowohl angibt, wie der einzelne handeln soll oder darf als auch, was die Behörden unternehmen können, wenn ein Recht wahrgenommen oder auf eine Pflichtverletzung reagiert werden soll. Oft bezieht sich der Gesetzeswortlaut direkt auf die Behördenmaßnahmen, während die dahinter stehenden Direktiven an Rechtsubjekte stillschweigend vorausgesetzt sind. Strafvorschriften, wie z.B. der § 233 in unserem Beispiel, werden oft so formuliert. In anderen Fällen wendet sich eine Norm ausdrücklich an den Bürger, wie z. B. im § 2 des norwegischen Gesetzes über Schuldverhältnisse: „Zahlt der Schuldner nicht fristgemäß, so schuldet er vom Verfallstag an Zinsen." Hier sind die Kompetenz und Pflicht des Richters, bei vorgetragenen Fällen Schuldner zu solchen Zinsen zu verurteilen, stillschweigend vorausgesetzt. 4 Bedeutungskumulation tritt nicht nur in Gesetzestexten auf, sondern auch in Urteilsbegründungen und im übrigen Rechtsverkehr. Ähnlich wie die Verwendung zusammenfügbarer Teilnormen, trägt Bedeutungskumulation dazu bei, daß man sich möglichst kurzgefaßt ausdrücken kann. Bedeutungskumulation hat aber auch zu zahlreichen Unklarheiten beigetragen. Dies gilt nicht 4 Vgl. Larenz (1975, S. 232): „Die meisten Rechtsregeln sind sowohl Verhaltensnormen für den Bürger wie Entscheidungsnormen für die Gerichte und die Behörden". Garstka (1972, S. 88 - 91) argumentiert für verschiedene Anforderungen an die Formulierung von „Verhaltensnormen" und „Entscheidungsprogramme" Er erklärt aber nicht, wie dies in den gewöhnlichen Fällen durchgeführt werden soll, wo dieselbe sprachliche Formulierung beide Typen von Normen enthält.
I V . Individuation von Rechtsnormen
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zuletzt für die Verwendung des unscheinbaren Ausdrucks „kann", der gelegentlich Freiheiten, gelegentlich Kompetenzen und gelegentlich beides beinhalten kann. Hier liegt vielleicht eine Erklärung dafür, daß so viele - auch Rechtsphilosophen und Logiker - Freiheit und Kompetenz verwechseln (vgl. Kapitel 5 I I oben). I V . Individuation von Rechtsnormen Wir können jetzt nach den Bedingungen fragen, unter welchen von einer Rechtsnorm die Rede sein kann, also weder von mehreren Normen, noch von Normteilen. Diese Frage hängt eng mit den bereits erörterten Problemen der Koppelung und Bedeutungskumulation zusammen. Handelt es sich z.B. bei dem Satz, „Wer eine Sache gekauft hat, erwirbt dadurch Eigentum", um eine Rechtsnorm, oder nur um ein Fragment, das erst mit anderen Fragmenten gekoppelt werden muß, um als vollständige Rechtsnorm zu gelten? Oder was gilt für den Satz: „Der Eigentümer eines Gegenstandes kann über diesen frei verfügen?" Gelten beide Sätze als Fragmente, ist dann deren Zusammenfügung zu „Wer eine Sache gekauft hat, kann über diese frei verfügen" eine Rechtsnorm? Oder bedarf es zusätzlicher Komponenten, z.B. alternativer Grundlagen von Verfügungsfreiheit (Erbe, Geschenke usw.)? Wir sehen solche Fragen als weniger wichtig an. Mehrere Rechtstheoretiker haben sich jedoch mit ihnen beschäftigt: u.a. Bentham, Kelsen, Ross, Hart und Raz. Bentham setzte besonders gründlich an und versuchte in seiner Erörterung der Individuationsfrage eine tiefschürfende Analyse des Inhaltes von Rechtsnormen. 5 Ein Hauptanliegen von Bentham galt dem Nachweis, daß alle vollständigen Rechtsnormen Pflichtnormen waren. Kompetenznormen und andere Qualifikationsnormen (in unserer Terminologie) mußten daher als Existenzbedingung von Pflichten begriffen werden. Da es nun sehr viele solche Bedingungen geben kann, würde die Wiedergabe einer vollständigen Rechtsnorm („one whole law"), falls überhaupt möglich, recht weitläufige und komplizierte Formulierungen erfordern. 6 5 Er erörtert diese Frage in einer posthum veröffentlichten Arbeit, die zunächst von C. W. Everett unter dem Titel „The Limits of Jurisprudence Defined" (Ν. Y. 1945) und später in etwas anderer Form von H. L. A. Hart unter dem Titel „Of Laws in General" (London 1970) herausgegeben wurde. Zu dieser Arbeit näher Hart (1971) und Cornides (1976). 6 Strömberg (1969) überlegt, wie umfangreich eine Regel geraten müsse, wenn sie alle Bedingungen für Wandelung, Minderung und Schadenersatz aufgrund von Mängeln des Kaufgegenstandes vollzählig enthalten soll. Eine solche Regel müßte zunächst wesentlich mehr als die §§ 42ff. des schwedischen Kaufvertragsgesetzes enthalten (vgl. Anm. 2 oben zu Strömbergs Analyse). U.a. bedürfte es einer Qualifizierung der Gesetztermini „Kauf", „Sachmangel", „Betrug", „Versäumnis" und der Verfahrensbedingungen für die Durchsetzung von Ansprüchen. Strömberg formuliert als Schlußfol-
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Kap. 7: Statische Normzusammenhänge
Bentham operierte mit zwei Typen von Rechtsnormen: solchen, die den Bürgern Pflichten auferlegen, und anderen, die Obrigkeiten bürgerlicher Pflichtverletzung sanktionieren lassen. Jeder Norm des ersten Typs entspricht eine Norm des letzteren, denn nach Bentham beziehen sich immer irgendwelche Sanktionen auf bürgerliche Pflichtverletzungen. Kelsen (1925 und 1960) behandelt die gleiche Frage oberflächlicher. Er kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie Bentham, wahrscheinlich ohne Kenntnis von dessen Erörterung. Auch für Kelsen ist eine einzelne Rechtsnorm ein recht umständlicher Sachverhalt - er behauptet u.a., die jeweiligen Verfassungsbestimmungen seien als Komponenten in jeder einzelnen Rechtsnorm enthalten. In seinem Versuch, Rechtsnormen zu vereinheitlichen, geht er sogar weiter als Bentham und nimmt an, alle Rechtsnormen richten sich an Obrigkeiten und betreffen deren Benutzung (oder Handhabung) von Sanktionen („Zwangsakte"). Gesetze, die den Bürgern dem Wortlaut nach Pflichten auferlegen, betrachtet er als Angaben von Bedingungen obrigkeitlichen Sanktionsgebrauchs. Benthams Normpaare werden auf diese Weise bei Kelsen zu Einzelnormen. Ein weiterer Unterschied zu Bentham scheint darin zu bestehen, daß Kelsen Normen als Sanktionserlaubnis - und nicht als Sanktionsgebot - deutet (vgl. Raz 1970, S. 84 - 85). In dieser Frage drückt sich Kelsen allerdings unklar aus - was mit seinem undifferenzierten Gebrauch des Hilfsverbs „sollen" zusammenhängt, statt einer Aufgliederung nach müssen, sollen, können und mögen. 7 Im Gegensatz zu Bentham und Kelsen bedient sich Ross (1958, S. 32ff.) des Begriffs der Kompetenznorm. 8 Im übrigen bezieht er in der Individuationsfrage einen ähnlichen Standpunkt wie Kelsen. Seines Erachtens lassen sich Kompetenznormen auf Bedingungsglieder in sogenannten „Verhaltensnormen" reduzieren, die unseren Pflichtnormen entsprechen. Alle solche Normen richten sich für ihn (wie für Kelsen) an die rechtsanwendenden Instanzen und betreffen die Ausübung von Zwang (Sanktionen). Harts (1961) und Raz' (1970) Standpunkte entsprechen eher dem üblichen Sprachgebrauch. Was für Bentham, Kelsen und Ross lediglich Fragmente sind, betrachten sie als eigene Normen. Hart geht auf diese Frage nicht näher ein. Im großen und ganzen begnügt er sich mit einer - u . E . berechtigten - Krigerung (S. 204): „Ich bin davon überzeugt, daß es nicht menschenmöglich ist, diese wunderbare Regel vollständig in Worten auszudrücken, auch wenn man sich mit den bescheidenen Präzisionsforderungen des Gesetzes begnügt. Die Regel ist gewaltig wie die Midgardschlange (in der nordischen Mythologie, Anm. d.Ü.), welche die gesamte Erdscheibe umschlingt." 7 Raz (1970, S. 70 - 92) bespricht Kelsens und Benthams Behandlung der Individuationsfrage ausführlicher. 8 Der Begriff der „Kompetenz" („power") kommt demgegenüber bei Bentham vor, vgl. Hart, „Bentham on Legal Powers" (Yale Law Journal, Vol. 81, 1972, S. 799 -
822).
I V . Individuation von Rechtsnormen
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tik der von Bentham, Kelsen und Ross verfochtenen Standpunkte (vgl. S. 35 41 und S. 239, Anm.). Raz schürft erheblich tiefer (S. 70 - 92 und S. 140 167). Er arbeitet mit einem engeren Normbegriff als wir und betrachtet nur Gebote, Verbote und Kompetenznormen als „legal norms". Erlaubende, freistellende und Qualifikationsnormen fallen also nicht unter seinen Normbegriff, auch wenn er sie als besondere Rechtselemente anerkennt. Die Unterschiede zu unserer Darstellung sind hauptsächlich terminologischer Art. Sieht man einmal von Bentham ab, so befassen sich die erwähnten Autoren lediglich mit einem Aspekt des Individuationsproblems. Die von ihnen erörterte Frage läßt sich etwa so formulieren: Wo oder wann in rechtlich geregelten Ereignisketten soll man Beschreibungen vollständiger Normen ansetzen und beenden? Oder kürzer: Wie „lang" sind vollständige Rechtsnormen? Statt auf Länge kann man die Individuationsfrage auch auf „Breite" beziehen. Sollen ζ. Β. alternative Bedingungen auf die gleiche Rechtsfolge jeweils verschiedenen oder ein und derselben Norm zugeordnet werden? Wie sind kumulative Rechtsfolgen eines bestimmten Sachverhalts einzuordnen? Wir lassen hier diese bei Bentham behandelten Fragen auf sich beruhen. Eine weitere Frage, die ebenfalls mit der „Breite" von Normen zusammenhängt, gilt der Anzahl normativer Aspekte einer einzelnen Norm. Soll man z.B. annehmen, daß der Passus „die Bundesregierung kann . . . allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen" (Art. 84 (2) GG) zwei Normen enthält, eine, welche der Bundesregierung die Kompetenz zuerkennt, Verwaltungsvorschriften zu erlassen, und eine zweite, welche die Ausübung dieser Kompetenz freistellt? Oder soll man eine Norm unterstellen, die sowohl Kompetenz als auch Freistellung beinhaltet? Wir folgen hier dem erstgenannten Sprachgebrauch (s.a. schon im vorigen Abschnitt zur Bedeutungskumulation). Wir messen aber der Frage, ob in solchen Fällen eine oder zwei Normen vorliegen, weniger Bedeutung bei. Es ist wichtig, zwischen Kompetenz- und Pflichtkategorien zu unterscheiden, aber nicht, ob sie auf gleichen oder verschiedenen Normen basieren. Zu den übrigen Aspekten der Individuationsfrage brauchen wir hier nicht Stellung zu nehmen. Was wir unter dem Begriff der „Norm" verstehen, haben wir bereits in den Kapiteln 3ff. erörtert. Alle Normen, die zu einem Rechtssystem gehören, betrachten wir als Rechtsnormen. Der Rechtscharakter von Normen wird nicht von ihrem Inhalt, sondern von ihrer Systemzugehörigkeit her definiert. Unsere Bestimmung des Begriffes „Rechtssystem" und die diesbezüglichen Zurechnungsfragen werden im Kapitel 10 erörtert. Trotz eines derartigen Ansatzes könnte die Individuationsfrage an und für sich von selbständigem Interesse sein. Auch wenn man sich z.B. entschieden hat, was man bnter „Haus" verstehen will, so kann man trotzdem noch darüber diskutieren, ob etwa ein Reihenhaus als „ein Haus" oder „mehrere Häu-
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Kap. 7: Statische Normzusammenhänge
ser" zu rechnen ist. Solche Fragen sind gelegentlich praktisch relevant, z.B. bei Häuserzählungen, oder wenn man eine Aussage deuten will wie etwa „ich wohne im selben Haus wie Hans". Bei Rechtsnormen aber lohnen solche Fragen kaum den Aufwand. Die Frage, wieviele Normen nun in einem Rechtssystem oder in einem einzelnen Gesetz enthalten sind, ist völlig uninteressant. Fragen, ob z.B. „der Käufer einer Sache wird dessen Eigentümer" oder „Eigentümer einer Sache können über diese frei verfügen" gesonderte Normen oder Teile der zusammengesetzten Norm sind, braucht man nicht mit „entweder/oder" beantworten. Wir behandeln sie sowohl als gesonderte Normen als auch als Teile der Norm „der Käufer einer Sache kann über diese frei verfügen". Hier wie auch anderswo sind die Begriffe von „Ganzem" und von „Teilen" relativ. Ganzheitliches Gepräge eines Phänomens schließt nicht aus, daß es ebenfalls Teil eines größeren Ganzen sein kann. „Bund", „Verfassung" und „Gericht" sind z.B. drei „ganze" Worte, aber auch Bestandteile des Worts „Bundesverfassungsgericht". (Siehe auch Kap. 2 I oben zur Relativität der Begriffe „Ganzes" und „Teil".) Der Grund für das große Interesse der erwähnten Autoren an der Individuationsfrage besteht wohl darin, daß sich ihr Ausgangspunkt von unserem unterscheidet. Sie halten die Frage „was Recht sei" für wichtig und meinen, Eigenschaften von Rechtsnormen seien ein wesentlicher Bestandteil von Rechtsdefinitionen. Mit einem derartigen Ausgangspunkt erscheint es naheliegend, eine einheitliche Beschreibung von Rechtsnormen anzustreben. Bewertet man außerdem - wie Bentham, Kelsen und Ross - den Zwangsaspekt als Kern des Rechts, so liegt es nahe, alles als Pflichten, oder als Bedingungen zwangsweiser Pflichterfüllung aufzufassen. Um dies zu erreichen, bedarf es einer Auslegung anderer Normen als Bedingungsfaktoren für das Vorliegen von Pflichten oder evtl. als Bedingungsfaktoren für Zwangsausübung. Diese Einheitlichkeit erlangt man jedoch - wie Hart betont (1961, S. 38 - 41) - durch ein Opfer von Nuancenreichtum, eines wirklichkeitsnäheren Bildes des Rechtssystems. Raz (1970) geht, wie schon erwähnt, vom Begriff des „Rechtssystems" aus und verzichtet darauf, alle Rechtsnormen zu vereinheitlichen. Trotzdem meint er von der Individuationsfrage, sie sei von „immense importance to legal philosophy" (S. 70). Diesen Standpunkt begründet er erst in einem später erschienenen Artikel (1972). Sein Hauptargument besteht darin, daß es wichtig sei zu klären, was mit „einer Rechtsnorm" gemeint ist, wenn man solche Fragen erörtert wie z.B.: „Sind alle Rechtsnormen Befehle?" Mit dieser Einschätzung stimmen wir an und für sich überein. Definitionen verwendeter Begriffe können zur Vermeidung von Mißverständnissen beitragen. Solange man aber den eigenen Standpunkt hinreichend klärt, ist es von zweitrangiger Bedeutung, wie man die Individuationsfrage beantwortet.
V. Rechtspositionen und Rechtsbeziehungen
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Mit diesen Kommentaren wird nun nicht der grundsätzliche Wert von Benthams, Kelsens, Ross' und Raz' Erörterungen der Individuationsfrage bestritten. Auch wenn Antworten auf diese Frage vielleicht weniger wichtig sind, so hat diese Problemstellung immerhin gründliche Untersuchungen von Normzusammenhängen angeregt, insbesondere von solchen Koppelungszusammenhängen, wie sie im Abschnitt I I oben erörtert wurden.
V . Rechtspositionen und Rechtsbeziehungen Unter einer Rechtsposition verstehen wir die Zugehörigkeit zu Kategorien wie z.B. Bundestagsabgeordneter, Bundestag, Gericht, Richter, Eigentümer, Aktiengesellschaft, Schuldner, Verurteilter usw. (Geht es um den entsprechenden allgemeinen Oberbegriff, so verwenden wir die Bezeichnung des „Positionstyps".) Der Besitz einer Rechtsposition kann verschiedene gesellschaftliche Folgen haben - daß ihr Inhaber ζ. B. Einfluß hat, Schutz genießt, oder sich in sozialen Abhängigkeiten befindet. Uns geht es bei dem Begriff jedoch nicht um die tatsächlichen Folgen, sondern um die rechtliche Bedeutung einer Zugehörigkeit zu Kategorien wie z.B. den hier erwähnten. „Rechtsposition" ist also ein normativer Begriff. Kompetenz ist ein Beispiel für eine derartige, unsere frühere Darstellung des Verhältnisses zwischen „Kompetenz" und „Macht" (Kapitel 5 I) gilt auch für die Beziehung zwischen anderen rechtlichen und sozialen Positionen. Rechtspositionen können soziale Positionen begründen. Es kommt aber auch vor, daß Rechtspositionen faktische Bedeutung fehlt. Die Freude am Eigentum ist gering, wenn man die entsprechende Sache verloren hat und nicht wiederfinden kann. Man kann auch Schuldner sein, ohne sich zu einer Rückzahlung verpflichtet zu fühlen und ohne Angst vor einer Schuldeintreibung durch den Gläubiger zu haben. Sind die Positionsnormen jedoch internalisiert (vgl. Kapitel 3 I I I ) , so können damit Positionseinstellungen entstehen, selbst wenn der Position andere tatsächliche Wirkungen fehlen. Rechtspositionen können aber auch als selbständige Verankerungspunkte für Einstellungen fungieren; auf diesen Aspekt kommen wir noch zu sprechen. Rechtspositionen können mehr oder weniger komplex sein. A m einfachsten ist die Rechtsposition von Normsubjekten, die im Kapitel 3 V besprochen wurde. Viele der Positionen, die man in der Praxis antrifft, z.B. Positionen wie „Richter" oder „Aktiengesellschaft" oder „Eigentümer", basieren auf einer Zusammensetzung vieler verschiedener Normen. Wir werden uns hier vorzugsweise mit solchen komplexen Positionen befassen. Zwischen den Normen (oder einigen von ihnen), die eine Position begründen, bestehen oft Koppelungszusammenhänge der Art, wie sie im Abschnitt I I erörtert wurden. Termini, die als Knotenpunkte in Beziehungsgeflechten
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Kap. 7: Statische Normzusammenhänge
gekoppelter Normen fungieren (wie z.B. „Eigentum"), bezeichnen normalerweise gleichzeitig Positionstypen.9 Ebenfalls ist es üblich, daß dieselbe Formulierung zwei oder mehrere der positionsbestimmenden Normen enthält - daß also „Bedeutungskumulation" vorliegt (vgl. Abschnitt III). Im folgenden geht es uns allerdings nicht um sprachliche Zusammenhänge, sondern um Rechtseffekte des Zusammenwirkens von Normen. Ein derartiges Zusammenspiel besteht zunächst zwischen solchen Normen, welche die Kompetenzen, Pflichten und Freiheiten eines Positionsinhabers bestimmen. Ein Beispiel: Ein wichtiges Merkmal der Position des Eigentümers ist nicht nur seine Verkaufskompetenz - d . h . einen anderen zum neuen Eigentümer machen zu können - , sondern normalerweise auch die Entscheidungsfreiheit, ob er verkaufen will und ggf. an wen. Kompetenzen, Pflichten und Freiheiten lassen sich auf vielfältige Weise kombinieren. Wie schon im Kapitel 5 I I erwähnt wurde, kann es Pflichten der Kompetenzverwendung geben (z.B. für Richter). Man kann auch zu deren NichtVerwendung verpflichtet sein - z.B. wenn man eine Sache in Besitz hat und kompetent, aber nicht berechtigt ist, durch Verkauf der Sache einen gutgläubigen Erwerb zustande zu bringen. Auch zu einer bestimmten Kompetenzverwendung kann man verpflichtet sein. Innerhalb des Pflichtrahmens eines Positionsinhabers kann man verschieden große oder mangelnde Spielräume besitzen. Wie im Kapitel 5 I schon erwähnt wurde, ist der norwegische König ein Beispiel für einen Positionsinhaber mit umfassenden Kompetenzen, aber ohne die Freiheit zu entscheiden, wie sie einzusetzen sind. Positionen sind nicht nur von eigenen, sondern auch von fremden Kompetenzen, Pflichten usw. bedingt. Normalerweise befindet man sich als einzig Kompetenter und Handlungsberechtigter in einer stärkeren Stellung, als wenn man nur „einer unter anderen" ist. Die Verfügungsfreiheit eines Eigentümers gibt ihm z.B. eine stärkere Stellung in solchen Bereichen, wo er exklusive Befugnisse hat, als in solchen, wo seine Verfügung mit denen der Allgemeinheit konkurriert. Bei öffentlich genehmigungspflichtiger Gewerbeausübung befindet man sich als anerkannter Monopolunternehmer in einer stärkeren Position als in Konkurrenz mit anderen; je mehr Konkurrenten es gibt, desto relativ schwächer ist die eigene Position. Die Pflichten, Kompetenzen usw. anderer gegenüber einem Positionsinhaber können natürlich ebenfalls von Bedeutung sein. Einerseits werden Positio9 In der skandinavischen Diskussion über das Wesen von subjektiven Rechten haben einige Autoren (z.B. Lundstedt) sie als Rechtspositionen betrachtet. Andere (u.a. Ross) haben die Bezeichnungen für subjektive Rechte als Knotenpunkte in Beziehungsgeflechten verkoppelter Normen angesehen. U.E. schließen diese Auffassungen einander jedoch nicht aus. Daß die Bezeichnungen als Koppelungstermini in allgemeinen Rechtsnormen fungieren können, schließt nicht eine gleichzeitige Anwendung auf Rechtspositionen und Positionstypen aus.
V. Rechtspositionen und Rechtsbeziehungen
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nen gefestigt, wenn andere zur Nichteinmischung, zum Schadenersatz und zur Wiederherstellung eines Status quo verpflichtet sind. Eigentümer werden in vielen Beziehungen durch solche Regeln geschützt. Ähnlich wird die Richterposition durch Normen geschützt, die andere (Behörde und Privatpersonen) zur Respektierung richterlicher Unabhängigkeit verpflichten. Wichtig sind auch solche Regeln, die anderen (z.B. Polizei, Gerichten, Zwangsvollstrekkern) Kompetenzen und evtl. auch Pflichten auferlegen, Positionsinhaber (z.B. Eigentümer oder Gläubiger) bei unberechtigten Übergriffen oder fehlender Schulderfüllung zu unterstützen. Andererseits können fremde Kompetenzen, Freiheiten und Pflichten die Abhängigkeit eines Positionsinhabers erhöhen. Die Abhängigkeit des Schuldners erhöht sich z.B. durch die Kompetenz des Gläubigers, ihn zu verklagen, die Kompetenz der Gerichte, ihn zu verurteilen und durch Kompetenzen der Zwangsvollstreckungsbehörden - falls er nicht zahlt. Ähnlich wird die Situation des Verurteilten dadurch beeinflußt, daß die Polizei ihn - ggf. mit Gewalt - zum Gefängnis schaffen kann, und die Strafvollzugsbehörden ihn dort gefangenhalten können. Allgemein gilt, daß die Bedeutung von Positionen nicht nur von Primärregeln abhängt, sondern auch von sekundären Verfahrens- und Sanktionsregeln, die vom oder gegen den Positionsinhaber angewandt werden können. Auf das Verhältnis zwischen Primär- und Sekundärnormen kommen wir noch im Kapitel 9 zurück und befassen uns dort mit ihren dynamischen Aspekten, die sich darin äußern, daß sie in verschiedenen Phasen einer Ereigniskette auftreten. Hier geht es uns jedoch um den statischen Gesichtspunkt - daß das Vorkommen von Sekundärnormen Positionen prägt, auch dann, wenn Anwendbarkeitssituationen nicht eintreten. Rechtspositionen sind normalerweise zeitlich begrenzt. Man erwirbt sie (z.B. durch Kauf, Erbe, Ernennung, Wahl) und verliert sie (z.B. durch Verkauf, Entlassung, Pensionsalter, Auslaufen von Wahlperioden, Tod). Auch hinsichtlich der durch die Rechtsordnung normierten Positions typen können Änderungen eintreten - durch Setzung neuer Normen, Änderung oder Aufhebung geltender Normen. Ein Gesetz erzeugt z.B. neue Typen von Konzessionsinhabern, oder Eigentümerbefugnisse werden durch Gesetzgebung beschnitten, so daß sich Eigentümerpositionen qualitativ ändern. Sowohl Erwerbstypen als auch die verschiedenen Änderungs- und Aufhebungsmöglichkeiten von Positionen und Positionstypen prägen positionsbezogene Einstellungen: Unter anderem wird das Sicherheitsgefühl des Inhabers einer positiven Rechtsposition von den Möglichkeiten ihres Wegfalls oder einer Schwächung abhängen. Die Bedeutung einer Position ist also davon mitbestimmt, welche Behörden derartige Beschlüsse kompetenterweise fassen können, wie solche Kompetenz abgegrenzt ist und welche Entschädigungsformen evtl. vorgesehen sind (z.B. bei Enteignungen).
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Kap. 7: Statische Normzusammenhänge
Bisher hatten wir hauptsächlich individuelle Rechtspositionen im Auge. Rechtspositionen kollektiver Einheiten setzen voraus, daß Rechtsnormen Pflichten, Kompetenzen usw. den Einheiten direkt zuordnen. Beispiele für solche Zuordnungen findet man nicht nur bei „juristischen Personen" wie etwa Staat, Gemeinden und verschiedenen privaten Gesellschaften und Organisationen, sondern auch bei öffentlichen Organen mit eigenen Kompetenzen, z.B. Bundestag, Regierung, Ministerien, Gerichten usw. Die Rechtspositionen von Kollektiven werden überwiegend von den gleichen Faktoren bestimmt wie die von Einzelpersonen. Von zentraler Bedeutung ist auch hier die Kombination von Kompetenzen, Freiheiten und Pflichten, welche dem Kollektiv zugeordnet sind, oder anderen Akteuren in Konkurrenz mit oder gegenüber dem Kollektiv. Besonders bei öffentlichen Organen tritt aber ein wichtiger Aspekt hinzu, nämlich Über- und Unterordnungsverhältnisse. Ein Organ gilt als einem anderen übergeordnet, wenn es zur Revision von dessen Entscheidungen befugt ist, oder zu Entscheidungen, die dem untergeordneten Organ Normen setzen oder vor dessen eigenen Normen Vorrang haben. Solche Über- und Unterordnungsverhältnisse sind am augenfälligsten bei der Staatsverwaltung anzutreffen. Diese ist - jedenfalls in Norwegen - ausgesprochen hierarchisch aufgebaut mit der Regierung an der Spitze, darunter den einzelnen Ministerien, jeweils mit einem Satz untergeordneter Organe. Einzelne von diesen, z.B. Direktorate, besitzen wiederum eigene untergeordnete Organe usw. Übergeordnete Organe innerhalb dieser Pyramide besitzen normalerweise eine engere oder weitergehende Befugnis, untergeordneten Instanzen Weisungen zu erteilen und deren Entscheidungen evtl. zu revidieren. Auch in der Gemeindeverwaltung und im Gerichtswesen gibt es Rangordnungen. In einzelnen Bereichen steht das norwegische Parlament über allen anderen öffentlichen Instanzen - durch seine Kompetenz zu Gesetz- und Grundgesetzgebung (letzteres nur mit qualifizierter Mehrheit). Gegenüber der Regierung und der öffentlichen Verwaltung hat das norwegische Parlament auch andere Befugnisse. Auf die verschiedenen Kriterien von Überordnungsverhältnissen und anderen Rangunterschieden kommen wir im Kapitel 9 V I noch näher zu sprechen. Die inneren Verhältnisse in kollektiven Einheiten erfordern ebenfalls einige Bemerkungen. Individuelle Rechtspositionen sind oft Positionen innerhalb von kollektiven Einheiten, z.B. als Abgeordneter in einem Parlament, als Abteilungsleiter in einem Ministerium, als Geschäftsführer in einer Aktiengesellschaft. In solchen Fällen liegen doppelte Normsätze vor. Einerseits gibt es einen Satz interner Normen, die Verhältnisse innerhalb des Kollektivs regeln - oft in der Form einer Hierarchie von Positionsinhabern. Die internen Normen legen u. a. fest, wer in den verschiedenen Situationen die Kompetenz besitzt, für das Kollektive zu handeln. Andererseits gibt es externe Normen,
V. Rechtspositionen und Rechtsbeziehungen
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welche die Außenbeziehungen des Kollektivs regeln gegenüber anderen Kollektiven und außenstehenden Einzelpersonen. Ein charakteristischer Zug des Rechtssystems besteht darin, daß externe Normen für gewisse Kollektive („juristische Personen") weitgehend mit denen für Einzelpersonen identisch sind. Der Staat, eine Gemeinde oder eine Aktiengesellschaft können ebenso wie Einzelpersonen z.B. Eigentümer sein, Geld schulden, oder andere Rechte und Pflichten besitzen. In vielen Fällen gibt es erheblich mehr Normschichten als die beiden hier erwähnten, da kollektive Einheiten Teile umfassenderer Kollektive sein können. Es gibt z.B. Konzerne, die aus einer Muttergesellschaft, Tochtergesellschaften, und wiederum deren Töchtern bestehen können usw. Im öffentlichen Sektor gibt es ebenfalls in allen Bereichen Einheiten, die gleichzeitig Teile größerer Einheiten darstellen, z.B. die verschiedenen Untereinheiten in der Ministerialverwaltung, die ihrerseits wiederum in die gesamte Regierungsbürokratie eingeht. Externe Normen kleinerer kollektiver Einheiten sind oft (aber nicht immer) die internen Normen der Kontakteinheit. Aus dem Gesagten erhellt, daß der Inhalt von Rechtspositionen oft dadurch bestimmt ist, daß Normen Beziehungen zwischen einem Positionsinhaber und anderen Positionsinhabern angeben. Ebenso wie die Positionen selbst können auch solche Beziehungen mehr oder weniger komplex sein. Viele der bereits erwähnten Beziehungen basieren auf der Interaktion mehrerer verschiedener Normen. Ein Überordnungsverhältnis kann ζ. B. bestimmt sein durch Normen zur Ernennungsbefugnis, zur Weisungsbefugnis, zu Revisionsmöglichkeiten und zum Klagerecht. Oder: Ein Schuldverhältnis wird nicht nur von einer Norm der Rückzahlungspflicht geregelt, sondern auch von Normen zur Gültigkeit von Verpflichtungen, zum Verzug und zu Eintreibungsmöglichkeiten usw. Da das rechtliche Normensystem so umfassend und kompliziert ist, bietet die Möglichkeit, mit Positionen und Interpositionsbeziehungen arbeiten zu können, große praktische Vorteile. Die Alternative bestünde darin, jedesmal den gesamten Normenkomplex einer Position zu erörtern und zu durchdenken. Wir können vom „Eigentum" einer Person sprechen, ohne jedesmal seinen Erwerb und all die daraus resultierenden Befugnisse erörtern zu müssen. Oder wir können sagen, „das Ministerium" habe Verschiedenes angeordnet, ohne jedesmal auf Entscheidungsverfahren innerhalb des Ministeriums eingehen zu müssen. Unser Vereinfachungsgewinn kann mit dem der Biologen verglichen werden, die von Geweben und Organen sprechen dürfen, ohne alles auf Zellen zurückführen zu müssen, oder mit dem der Gesellschaftswissenschaftler, die von Rollen und Status sprechen dürfen, ohne jedesmal auf die hier organisierten Einzelnormen eingehen zu müssen.10 10 Unser Positionsbegriff hat vieles mit den erwähnten gesellschaftswissenschaftlichen Begriffen gemein, ohne mit ihnen völlig übereinzustimmen. U.a. aus diesem Grund folgen wir unserem eigenen Sprachgebrauch.
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Kap. 7: Statische Normzusammenhänge
Die Analogie zur Biologie kann noch etwas weiter strapaziert werden. Wie schon im Kapitel 2 I erwähnt wurde, lassen sich Organismen als Systeme von Organen betrachten, die ihrerseits Gewebesysteme darstellen, jene wiederum aus Zellen bestehen usw. Entsprechend läßt sich die Rechtsordnung als ein gestuftes System von Teil- oder Subsystemen auffassen. Man kann z.B. die komplexen, in Beziehungsgefügen verknüpften Positionstypen als Elemente des Rechtssystems ansehen. Diese Positionstypen lassen sich im nächsten Gedankenschritt als Systeme einfacher Positionstypen betrachten usw., bis man zu den einzelnen Normen und Aktivitäten gelangt, die wir im allgemeinen als kleinste Grundelemente behandeln. Wenn man will, so kann man auch die einzelne Norm wiederum als ein System von Aussagen und Einstellungen der Personen behandeln, welche die Norm internalisiert haben oder als Akteure des Systems auftreten, zu dem die Norm gehört. Abschließend soll noch kurz erwähnt werden, daß solche Einstellungen, wie sie im Abschnitt zur Internalisierung oder Verinnerlichung von Normen zur Sprache kamen (Kapitel 3 I I I ) , sich auch auf Rechtspositionen und Rechtsbeziehungen richten können. Diese Einstellungen können dadurch bedingt sein, daß man einige der Normen internalisiert hat, die den Positionstyp begründen. Sie hängen jedoch nicht unbedingt von diesen Normen ab. Man kann ζ. B. Eigentum für unverletzlich halten, ohne die Normen zu reflektieren, welche Eigentum schützen, oder man kann bereit sein, Bundestagsbeschlüsse zu respektieren, ohne die Normen zu kennen, welche dem Bundestag Kompetenzen zuschreiben. Einstellungen zu Positionen oder Positionstypen haben oft einen anderen Inhalt als diejenigen, die sich auf die zugrunde liegenden Normen beziehen. Viele neigen z.B. dazu, unter Eigentumsrecht etwas anderes und weitreichenderes zu verstehen als einen Inbegriff der Normen, die rechtliche Eigentümerpositionen konstituieren. Solche Einstellungen können aus persönlichen Erfahrungen resultieren, wie z.B. Besitzerstolz, oder aus Ängsten vor Eigentumsverlust. Sie können auch geprägt sein von politischer Ideologie und anderen Faktoren, welche nicht aus den Rechtsnormen stammen, sondern vielleicht Einstellungen zu Normen beeinflussen, z.B. bei Diskussionen über rechtliche „Eingriffe ins Eigentumsrecht". Entsprechendes gilt auch für andere Positionstypen wie z.B. Verwaltungsorgane, Gerichte, Aktiengesellschaften und Banken, sowie auch für die Rechtsordnung als Ganzes, daß sie eigenständige Bezugspunkte von Einstellungen und Verhaltensweisen sein können. Im Kapitel 1 1 I V kommen wir auf einige solche einstellungsbildende Faktoren zurück.
Kapitel 8
Entscheidungen und Begründungen I. Einleitung Wie bereits erwähnt zählen wir nicht nur Normen, sondern auch gewisse Aktivitäten zu einem Rechtssystem. Entsprechend wie bei den Normen gibt es Aktivitäten (insbesondere Gesetzgebung und Gerichtstätigkeit), die unverzichtbar zu einem System gehören, während andere eher eine etwas periphere Stellung einnehmen (wie z.B. bestimmte Verwaltungsakte) oder in der näheren Systemumwelt angesiedelt sind (wie z.B. private Verträge, die rechtlich reguliert sind). Wir werden in diesem Kapitel nicht näher darauf eingehen, aus welchen Phänomenen sich ein System zusammensetzt, sondern diesen Fragekomplex eingehend im Kapitel 10 erörtern. In diesem Kapitel werden wir einige Aktivitäten von Rechtsorganen diskutieren. Solche Aktivitäten bestehen zu einem wesentlichen Teil in der Vorbereitung, Verabschiedung und Begründung verschiedener Typen von Entscheidungen (Gesetzesbeschlüsse, Urteile und Verwaltungsbeschlüsse u.v.m.). Vor allem Entscheidungen lassen Systeme offen und dynamisch erscheinen (vgl. Kapitel 2 I I I und I V zu diesen Begriffen). Rechtssysteme empfangen ständig Eingänge (inputs), vor allem in der Form von Forderungen und Erwartungen. Teils handelt es sich um individuelle Forderungen, wie ζ. B. Hilfen zur Eintreibung von Rechtsansprüchen, und teils um generelle Änderungswünsche hinsichtlich des Rechtssystems. Die Entscheidungen der Organe lassen sich in vielen Fällen als Antwort auf Forderungen betrachten, die an ein System gerichtet werden, aber gleichzeitig als Mittel, um sowohl auf die Lebenssituation von Individuen, als auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse Einfluß zu nehmen. Dieses Wechselspiel zwischen dem Rechtssystem und seiner Umgebung wird im Kapital 11 ausführlich diskutiert. Die dynamischen Prozesse bestehen teils in Rechtsanwendung, und teils in Rechtsbildung. Für die Rechtsanwendung ist charakteristisch, daß Rechtsnormen und rechtliche Wertungen die Entscheidungsgrundlage bilden. Man könnte vertreten, daß das Rechtssystem in diesen Kontext als Lieferant von Entscheidungsprämissen dient. Und es liefert nicht nur die Prämissen der Entscheidungen, die von den eigenen Organen des Systems getroffen werden, sondern auch für Entscheidungen, die von anderen getroffen werden, wie bei9 Eckhoff/Siindby
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Entscheidungen und Begründungen
spielsweise von Privatpersonen, die Verträge eingehen, Testamente und Gesellschaften errichten. Mit Rechtsbildung ist die Erzeugung, die Änderung oder der Wegfall von Rechtsnormen gemeint. Rechtssysteme sind also in doppelter Hinsicht dynamisch: Sie stehen teils in einem Interaktionszusammenhang mit ihrer Umwelt, und unterliegen gleichzeitig selbst einem ständigen Veränderungsprozeß. Bisweilen wird dem Gesetzgeber allein die Rolle des Rechtsproduzenten und den Gerichten die des Rechtsanwenders zugeschrieben. Aber in der Wirklichkeit leisten beide Bereiche sowohl Rechtsan Wendung, als auch Rechtsproduktion - wenn auch im unterschiedlichen Umfang und auf verschiedene Weise. Wenn beispielsweise ein Gesetz beschlossen wird, geschieht dies gemäß den Kompetenznormen des Grundgesetzes. Dies bedeutet, daß der Gesetzgeber gleichzeitig eine Gesetzbestimmung setzt und ein Grundgesetz anwendet. Diese Rechtsanwendung kann im übrigen auch einen normbildenden Aspekt haben, wenn die Grundgesetzpraxis des Gesetzgebers bei der Auslegung des Grundgesetzes miteinbezogen wird. Auch bezüglich der Gerichte gehen Normanwendung und Normbildung Hand in Hand. Auf der Grundlage von generellen Normen setzen sie individuelle Normen. Normanwendung kann wiederum durch ihre präjudizierende Wirkung auch in diesem Zusammenhang Einfluß auf den Inhalt der angewendeten Normen gewinnen. Normen, Entscheidungen und Begründungen greifen auch auf andere Weise ineinander als hier skizziert. Hierauf wird in den Abschnitten I V ff. noch näher eingegangen. Weiter beschreibt das Kapitel 9 einige der dynamischen Zusammenhänge zwischen Normen. Hierbei denken wir an Zusammenhänge (wie im Kapitel 7 I erwähnt), die daraus resultieren, daß Entscheidungen oder andere Handlungen als Bindeglied zwischen Normen dienen. Bevor diese Fragen eingehender behandelt werden, möchten wir einige Einschätzungen zum Verhältnis zwischen Überlegungen, Standpunkten und Begründungen formulieren. Unsere Betrachtungen hierzu (im Abschnitt I I und III) sind genereller Art, beziehen sich also nicht nur auf Organ- und Behördenentscheidungen.
I I . Überlegungen, Standpunkte und Begründungen Als Standpunkt bezeichnen wir Stellungnahmen dazu, wie etwas sein, nicht sein oder gemacht werden sollte, oder ob etwas ζ. B. wahr, richtig oder gut ist. Als Überlegung bezeichnen wir den psychologischen Prozeß, der zu einem Standpunkt führt. Mit Begründung schließlich bezeichnen wir etwas, das zur Erklärung, Verteidigung oder Ergänzung eines Standpunktes gesagt oder geschrieben wird.
II. Überlegungen, Standpunkte und Begründungen
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Standpunktbegründende Aussagen beinhalten selbst Standpunkte, die ihrerseits zum Gegenstand für Begründungen gemacht werden können. Ein Standpunkt zu einer individuellen Rechtsfrage wird beispielsweise damit begründet, daß eine Gesetzesbestimmung in dem Fall zur Anwendung kommt und daß diese dementsprechend auszulegen ist. Man hat damit einen Standpunkt zu einer Auslegungsfrage des Gesetzes bezogen, und hält es vielleicht für erforderlich, dies auch zu begründen. Als Glied in dieser Begründung kann beispielsweise Stellung bezogen werden zur Frage der präjudizierenden Wirkung von Urteilen, zur Bedeutung von Gesetzgebungsmaterialien, zu den gesellschaftlichen Wirkungen alternativer Gesetzesauslegung. Solche Standpunkte können auch begründet werden. Man kann auf diese Weise lange und verzweigte Begründungsketten generieren. Aber eine jede Kette wird früher oder später mit einem bestimmten Standpunkt enden, dessen Begründung man für nicht notwendig oder unmöglich hält. Eine Begründung kann Vorüberlegungen mehr oder weniger ähneln. Sie kann eine reine Wiederholung der Gedanken sein, die man sich während der Überlegung gemacht hat. In der Regel enthält sie jedoch nicht alle Gesichtspunkte, die zu dem Standpunkt geführt haben. Im Gegenteil kann sie Gesichtspunkte enthalten, auf die man erst später gekommen ist. Darüber hinaus sind die Momente häufig in der Begründung stärker systematisiert, als in den Überlegungen. Ob nun die Unterschiede mehr oder weniger erheblich sind, legitimiert jedenfalls der Umstand, daß es sich bei den einen um einen psychologischen Prozeß und bei dem anderen um einen Satz von Aussagen handelt, eine Differenzierung zwischen Überlegungen und Begründungen. Eine derartige Differenzierung bietet sich allein auch schon deshalb an, weil die Frage der Begründung eines Standpunktes Gegenstand von Überlegungen sein kann. Diese Überlegungen können ex-post-Rationalisierungen sein. Beispielsweise kann man einen Standpunkt eingenommen haben, ohne an dessen Begründung zu denken. Erst nach Standpunkteinnahme und nach Konfrontation mit Begründungserwartungen beginnt man an deren Inhalt zu denken. Jedoch sind häufig die Überlegungen, welchen Standpunkt man beziehen soll und wie jener zu begründen ist, auf das engste miteinander verknüpft, so daß es nicht natürlich erscheint, von zwei voneinander getrennten Denkprozessen auszugehen. Letzteres ist der Normalfall bei Standpunkten zu Rechtsfragen. Insbesondere wenn man von vornherein weiß, daß der Standpunkt eine Begründung verlangt, liegt es nahe, beide Denkprozesse miteinander zu kombinieren. Man hält es für unverantwortbar, sich an einen Standpunkt zu binden, ohne überlegt zu haben, sich für diesen eine stichhaltige Begründung finden läßt. Auf der anderen Seite hat man keine Lust, sich definitiv für eine Begründung zu entscheiden, z.B. wie Gesetze auszulegen und Tatsachen zu beurteilen sind, bevor man sich eine Meinung über die Wünschbarkeit des jeweiligen Ergeb9*
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Problem Daten
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Entscheidungen und Begründungen
Standpunkt Überlegungsprozeß
Begründung
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Figur 9 nisses gebildet hat. Das Ziel der Überlegungen ist dabei die Generierung eines Satzes von Prämissen und einer Konklusion, die jeweils allein genommen zufriedenstellend sind und darüber hinaus miteinander harmonieren. Die Überlegungsprozesse können, wie Figur 9 illustriert, als dynamische Systeme angesehen werden. Eingänge (input) im System sind ein Problem und die Daten zur Lösung dieses Problems. Wenn beispielsweise eine individuelle Rechtsfrage gelöst werden soll, besteht die Datenmenge teils aus Tatsachen, und teils aus Rechtsmaterialien, wie beispielsweise Gesetzestexte und Urteile. Leistungen (output) des Überlegungsprozesses enthalten einen Standpunkt zum Problem und in der Regel auch eine Begründung für diesen Standpunkt. Im Abschnitt I I I kommen wir auf verschiedene Formen von Rückkoppelung zurück. Wasserstrom (1961) unterscheidet zwischen „the process of discovery" und „the process of justification". Mit „the process of discovery" bezeichnet er jene Untersuchungen und Überlegungen, die zu einem Standpunkt führen. Allerdings verbleibt unklar, was er mit „the process of justification" meint. Es kann sich dabei um „Begründungen" in unserer Terminologie handeln. In diesem Fall wäre gegen seine Differenzierung nichts einzuwenden. Aber die Bezeichnung „the process" kann darauf hindeuten, daß er jene Überlegungen meint, auf denen die Begründung basiert. Wie erwähnt, besteht nun gerade zwischen diesen Überlegungen und jenen, die einen zum Standpunkt hinführen, keine scharfe Abgrenzung. Ein und derselbe Standpunkt läßt sich häufig unterschiedlich begründen. Im stillen für einen selbst akzeptable Begründungen können divergieren von dem, was man seinen Freunden im Vertrauen mitteilt und von dem, was man in der Öffentlichkeit sagt. Wenn man bei verschiedenen Gelegenheiten unterschiedliche Begründungen für einen Standpunkt liefert, gilt dies häufig als Heuchelei oder Selbstbetrug oder gar als Versuch, andere hinters Licht zu führen. Dies kann, muß aber nicht, natürlich der Fall sein. Ein Wissenschaftler kann je nach Anlaß die folgenden Begründungen für die Reise zu einem Kongreß liefern: (1) „Ich habe mich zu einem Vortrag verpflichtet, so daß ich aus diesem Grunde reisen muß." (2) „Ich erhoffe mir vom Kongreß eine große fachliche Ausbeute." (3) „Es ist ganz nett, mal ein wenig rauszukommen." Diese drei Aussagen widersprechen sich nicht und können alle wahr sein. Häufig dürfte auch für den Begründenden selbst die Entscheidung schwierig sein, welche Aussage am ehesten motiviert. Jede der zitierten Begründungen ist wohl für sich genommen unvollständig. Die meisten Begründungen sind jedoch in dem Sinne unvollständig, daß man mehr sagen könnte. Insbeson-
II. Überlegungen, Standpunkte und Begründungen
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dere lassen sich solche Begründungen relativ leicht vervollständigen, die auf Handlungsfolgen verweisen. Die Zahl der denkbaren Folgen einer Handlung ist so gut wie unbegrenzt. Welche Begründungsaspekte für einen Standpunkt angeführt werden, kann u. a. davon abhängen, wer die Begründung liefert, an wen sie gerichtet ist und welche Funktion sie hat. Im folgenden geben wir einen Überblick über die unterschiedlichen Funktionen, die offizielle Begründungen der Rechtsorgane haben können: Erstens können die Begründungen dazu beitragen, Entscheidungsinhalte zu erklären. Wenn beispielsweise eine Person ohne eine Begründung zur Bezahlung von D M 1000,- verurteilt werden sollte, wird sie ohne Zusatzinformationen kaum erraten können, worum es eigentlich geht. Solche Informationen liefern Begründungen - beispielsweise, daß die geschuldete Summe sich auf eine gekaufte Sache bezieht, oder auf eine Steuerschuld, oder auf eine Geldbuße wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Zweitens kann die Begründung als Legitimation für (oder Verteidigung von) Entscheidungen dienen, wenn Gründe dafür geliefert werden, daß die Entscheidungen richtig, zweckmäßig, gerecht, vernünftig u.ä. sind. Ein solches Rechtfertigungsbedürfnis hängt damit zusammen, daß die Entscheidungen der Rechtsorgane tief in die Lebensverhältnisse der Menschen eingreifen und für den Betroffenen höchst unerfreulich sein können. Daß die Rechtsorgane Begründungen für ihre Entscheidungen liefern, bedeutet, daß sie in gewisser Weise zur Rechenschaft für ihr Tun bereit sind. Sie zeigen damit, daß sie nicht despotisch oder willkürlich, sondern berechenbar handeln. Wie Garrn (1973, S. 38) betont, beruht die legitimierende Wirkung der Begründungen u.a. darauf, daß sie Rechtssicherheits- und Gleichheitsansprüche befriedigen. Drittens dienen Begründungen als Mittel der Beeinflussung. Die Verteidigung einer Entscheidung und die Beeinflussung von Menschen, diese zu respektieren, können weitgehend zwei Seiten derselben Sache sein. Allerdings sind die beiden Aufgaben nicht völlig identisch. Man kann akzeptieren, daß die Rechtsorgane gute Gründe für ihre Entscheidung hatten, ohne ihnen folgen zu wollen. Hinzu kommt, daß die Begründung auch andere Wirkungen haben kann, als allein Respekt für eine Entscheidung zu generieren. Wenn beispielsweise ein Urteil durch den Verweis auf Rechtsnormen begründet wird, trägt dies nicht nur dazu bei, das Ergebnis zu verteidigen, sondern auch dazu, die Kenntnis über die als Begründung zitierten Normen zu vergrößern, um einzuschärfen, daß sie einzuhalten sind, und um gegebenenfalls der Gesetzesauslegung des Urteils eine Präzedenzwirkung zu verschaffen. Viertens können Begründungen dazu beitragen, Voraussehbarkeit zu schaffen. Sie liefern Informationen darüber, auf welche Normen und Werte die
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Entscheidungen und Begründungen
Rechtsorgane ihre Entscheidungen stützen. Häufig wird die Vermutung naheliegen, daß entscheidungsrelevante Gesichtspunkte früherer Entscheidungen bei künftigen ähnlich gelagerten Fällen wieder aufgegriffen werden. Zu solchen Außenwirkungen der Begründung einer Entscheidung kommen denkbare Innenwirkungen auf die Entscheidungsprozesse. Das Bewußtsein, daß man gegenüber anderen sein Handeln begründen soll, kann die vorausgehenden Überlegungen und damit auch den Entscheidungsinhalt beeinflussen. Ebenfalls ist von Bedeutung, daß früher getroffene Entscheidungen vorliegen, weil man sich an die damaligen Entscheidungsbegründungen mehr oder weniger gebunden fühlt, ob nun aus einem allgemeinen Wunsch nach Konsistenz oder als normativ basierte Präzedenzbeachtung. Vieles von dem, was sich als Begründung für eine Entscheidung anführen läßt, kann bei sämtlichen von uns erwähnten Gesichtspunkten von Bedeutung sein. Jedoch sind nicht sämtliche Begründungstypen für alle Ziele in gleicher Weise geeignet. Eine gute Erklärung für eine Entscheidung paßt nicht ohne weiteres als Verteidigung der Entscheidung oder als Mittel der Beeinflussung. Was für die Beeinflussung einer Bezugsgruppe geeignet ist, bewirkt bei anderen Bezugsgruppen vielleicht genau das Gegenteil. Die Wahl des Begründungstyps beruht daher weitgehend auf den intendierten Zielen. Dieses bedeutet nun nicht, daß bewußte strategische Überlegungen bei der Ausformung von Begründungen der einzelnen Entscheidungen eine wesentliche Rolle spielen. Denn - wie wir im Abschnitt I V sehen werden - haben sich Normen dazu herausgebildet, wie unterschiedliche Entscheidungstypen zu begründen sind. Solche Normen können aber Produkte einer mehr oder weniger bewußten Einsicht sein, was mit Hilfe von Begründungen erreicht werden kann. 1 I I I . Rückkoppelung in Überlegungsprozessen Im vorigen Abschnitt (II) wurde erwähnt, daß eine Person, die eine Entscheidung zu fällen hat, in der Regel darauf hinarbeitet, zu einer Konklusion und einer Begründung zu gelangen, die jeweils für sich allein genommen zufriedenstellend sind und die darüber hinaus gut zusammenpassen. Im folgenden setzen wir voraus, daß eine individuelle Rechtsfrage zur Entscheidung ansteht. Wer einen Standpunkt bezüglich einer solchen Frage bezieht, wird sich häufig zum Ziel setzen, zu einer gerechten Lösung im Verhältnis zwischen den Parteien zu gelangen. Darüber hinaus wird man gewisse Forderungen an die einzelnen Glieder in der Begründungskette stellen, wie beispielsweise an die korrekte Sachverhaltsdarstellung, an die inhaltlich ver1 Vgl. Eckhoff (1974, S. 44 - 49) für eine generelle Erörterung der Frage, wie sich Ressourcen, Normen und Strategien auf den Inhalt der Begründungen auswirken.
I I I . Rückkoppelung in Überlegungsprozessen
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nünftige und zweckmäßige Auslegung der verwendeten gesetzlichen Bestimmungen und an die Abstützung der Auslegung durch plausible juristische Argumente usw.; schließlich ist ein harmonischer Zusammenhang zwischen den einzelnen Gliedern der Begründung und zwischen diesen und dem Standpunkt wünschenswert. U m diese Ziele zu erreichen, wird häufig eine Justierung der ursprünglichen Auffassungen notwendig sein. Solche Justierungen sind weitgehend Rückkoppelungen in der Sprache der Systemtheorie (vgl. Kap. 2 V). Erstens kommt es häufig zu zahlreichen Vor- und Rückkoppelungen, wenn man sich überlegt, welche Daten (faktische Verhältnisse und rechtliche Materialien) man zu berücksichtigen hat. Dies beruht u.a. auf dem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Rechtsnormen und Tatsachen: Durch Rechtsnormen wird die Auswahl der relevanten Fakten bestimmt, während die vorgegebenen Fakten wiederum die Wahl der anzuwendenden Rechtsnormen bestimmen. Wenn man eine individuelle Rechtsfrage zu entscheiden hat, muß man darum wechselweise Tatsachen und Recht im Auge haben, um das Problem verorten zu können. Auf der Grundlage eines ersten Eindrucks der faktischen Verhältnisse und der erhobenen Ansprüche bildet man sich eine vorläufige Meinung über die Art der Rechtsfrage. Wenn man darauf zu untersuchen und zu überlegen beginnt, wie die Frage zu lösen ist, wird man häufig das Bedürfnis haben, die Fakten näher zu befragen. Nach solchen zusätzlichen Informationen über die Fakten, stellen sich vielleicht die Rechtsfragen anders, als bei der ersten Überlegung. Auf diese Weise kommt es oft zu einem ständigen Wechsel der Optik zwischen der Beschäftigung mit Recht und der Beschäftigung mit Tatsachen. Vgl. zu diesem „Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt" Engisch (1943, S. 13 - 15), Larenz (1975, S. 262ff.) und Kriele (1967, S. 197 ff.). Häufig kommt es auch zur Rückkoppelung bei der Beurteilung der einzelnen Glieder in der Entscheidungsgrundlage. Man liest beispielsweise einen Gesetzestext, ohne einen vernünftigen Sinn herausfinden zu können. Dann wird man den Text ein zweites Mal lesen - genauer und konzentrierter - um herauszufinden, ob man ihn nicht vielleicht auf eine andere Weise verstehen kann als bei der ersten Durchsicht. Die Notwendigkeit solcher Rückkoppelung ist u.a. darauf zurückzuführen, daß die Bedeutung der Worte sich nach ihrem Kontext richtet, und dieser wiederum wird durch die ihn konstituierenden Worte bestimmt. Es kommt daher häufig zu einem Vor- und Zurückpendeln (einem „hermeneutischen Zirkel") zwischen Überlegungen der einzelnen Wortbedeutung und des Bedeutungskontextes. Solche Überlegungen können zu wechselweisen Korrekturen führen. 2 Auch bei der Beurteilung der Lebens2
Siehe hierzu Larenz (1975, S. 183 - 184) und Arnio (1979, S. 150 - 155).
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Entscheidungen und Begründungen
Problem Daten
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Ài Rückkoppelung Figur 10
Sachverhalte kann es zu entsprechenden Formen der Rückkoppelung kommen. Ein Zeuge beschreibt z.B. eine tatsächliche Begebenheit auf eine Weise, die unwahrscheinlich erscheint und man fragt darum nach, um zu klären, ob man die Zeugenaussage richtig verstanden hat. Möglicherweise wird man auch anderen Zeugen dieselbe Frage stellen, um die Zuverlässigkeit der Aussage zu prüfen. Wenn man sich durch alle Fragen durchgearbeitet hat und zu einer vorläufigen Lösung gekommen ist, kann es noch zu Rückkoppelungen kommen, ζ. B. weil die Gesetzes- und Sachverhaltsauslegung, welche beim ersten Durchgang angemessen erschien, nicht zu einer befriedigenden Lösung für das Verhältnis zwischen den Parteien führen. Es liegt in solchen Fällen nahe, die verschiedenen Materialien noch einmal durchzugehen, um abwägen zu können, ob nicht einige der vorläufigen Auffassungen re vidiert werden können. In einem solchen Fall kommt es zu negativer (regulierender) Rückkoppelung: Die vorläufige Lösung weicht von der eigentlich angestrebten ab und bildet eine „Information", die neue Abwägungen der einzelnen Glieder in der Entscheidungsgrundlage auslöst - mit der Zielsetzung, der angestrebten Lösung näherzukommen. Aber es kann auch zu positiver (verstärkender) Rückkoppelung kommen. Man ist beispielsweise mit der vorläufigen Konklusion und ihren Prämissen zufrieden, geht aber vorsichtshalber das Material ein weiteres Mal ganz oder teilweise durch. Es läßt sich denken, daß die Zufriedenheit mit der endgültigen Lösung dazu beiträgt, den Glauben an die Haltbarkeit der Standpunkte zu den einzelnen Gliedern in der Begründungskette zu stärken und daß dieses seinerseits das Vertrauen in die Güte der endgültigen Lösung verstärkt. Wie Figur 10 illustriert, können Rückkoppelungen mehr oder weniger umfassend sein. Sie können zu einem vollständig neuen Durchgang des Datenmaterials führen. Möglicherweise wird man auch neue Daten hinzuziehen oder die Problemstellung verändern. Es kommt aber auch vor, daß man sich damit begnügt, nur einen größeren oder kleineren Teilbereich des Materials neu durchzugehen. Und schließlich kann - wie erwähnt - Rückkoppelung sich auf ein Glied in der Kette beschränken. In allen diesen Fällen wird die Rückkoppelung durch Wertungen gesteuert. Wie schon erwähnt, werden gewisse qualitative Anforderungen sowohl an die Fallösungen, als auch an die einzel-
I I I . Rückkoppelung in Überlegungsprozessen
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nen Prämissen und Zusammenhänge zwischen ihnen gestellt. Wenn man den Verlauf eines solchen Überlegungsprozesses und das Hin- und Herwandern der Gedanken während der Arbeit mit einer Rechtsfrage rekonstruieren wollte, würde man häufig ein kompliziertes Geflecht von kleinen und großen ineinander und miteinander verwobenen Rückkoppelungen erhalten. Man wird nicht immer auf diese Weise zu einem Satz von Prämissen und einer Fallösung gelangen, die jeweils für sich zufriedenstellend sind und außerdem miteinander harmonieren. Es kann z.B. vorkommen, daß man sich mit einer überdehnten Gesetzesauslegung begnügen muß, oder daß man gewisse Zweifel hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufes zur Seite schiebt, um überhaupt zu einer vernünftigen Fallösung kommen zu können. Es kann aber auch sein, daß man auf die angestrebte Fallösung verzichten muß, weil von den vorgegebenen Prämissen nicht abgewichen werden kann. Aber in allen Fällen von sorgfältigem Durchdenken einer Rechtsfrage sind der Standpunkt, den man schließlich einnimmt, und die für diesen Standpunkt gelieferte Begründung Produkte eines Prozesses, bei dem die einzelnen Elemente abgewogen und einander angepaßt sind. 3 In der deutschen juristischen Theorie ist die Funktion der Wertungen in der Rechtsanwendung und die Notwendigkeit, Fallösungen und deren Prämissen aneinander anzupassen, u.a. von Esser (1972, S. 139) betont worden: „Der Jurist . . . will nichts anderes, als den Text daraufhin verstehen, ob er anhand seiner ratio seine befriedigende' Entscheidung fällen kann oder nicht. In diesem Sinne ist der Anwendungsakt von der Verständnismöglichkeit abhängig und die Verständnismöglichkeit von der AnwendungsvorStellung." In Anlehnung an Gadamer nennt er die Rückkoppelungen, die als Glieder in die Anwendungsprozesse eingehen, „Anwendungszirkel einer dogmatischen Interpretation." Vergleiche auch Larenz (1975, S. 187 - 189 und 336 - 338), Harenburg (1980, S. 279 und 290ff.) und, soweit verfassungsrechtliche Fragen betroffen sind, Kriele (1967), der Rückkoppelung einen zentralen Platz zuweist. Er spricht u. a. von der „Wechselbeziehung zwischen Textinterpretation und Fallösung" (S. 160) und über verschiedene Formen von „Hin- und Herwandern des Blickes" (S. 197f.). Der finnische Rechtstheoretiker Makkonen (1965, S. 118 - 121) betont ebenfalls, daß der Wunsch, zu einer bestimmten Rechtsfolge zu gelangen, auf die Auslegung der generellen Rechtsnorm einwirken kann: „Es ist nicht einmal immer möglich zu klären, in welcher Richtung die Argumentation eigentlich vor sich gegangen ist, von der Rechtsnorm zur Rechtsfolge oder umgekehrt." Hier hätte er hinzufügen können: Häufig zielt sie in beide Richtungen, weil es zur Rückkoppelung kommt. Zwischen den von uns bereits behandelten Einzelelementen in den gedanklichen Prozessen bestehen kausale Zusammenhänge. Es handelt sich um Ket3 Bing (1976) beschreibt sehr ausführlich ein Modell der rechtlichen Entscheidungen, das starke Gemeinsamkeiten mit dem von uns skizzierten aufweist.
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Entscheidungen und Begründungen
ten von Sinneseindrücken, Gedanken und Schlüssen, die einander generieren. Der von einem angestrebte Zusammenhang zwischen dem letztlich eingenommenen Standpunkt und der hierfür gewählten Begründung ist dagegen logischer Art. Der Begriff „logisch" wird dabei in einer weiten Bedeutung benutzt. Er umfaßt nicht nur deduktive Schlußfolgerungen, sondern auch den Fall, daß ein Argument die Fallösung nur bis zu einem gewissen Grade abstützt, z.B. durch den Hinweis auf einen Faktor, der als ein Glied, in einer ermessensmäßigen Abwägung von Relevanz ist. (Vgl. Kap. 6 über Richtlinien und Abwägungen.) Die kausal bedingten Rückkoppelungen spiegeln sich bisweilen in den Begründungen wider. Es kommt beispielsweise vor, daß das Argument A als ein Glied in der Begründung für den Standpunkt Β dient, während Β als Argument für A dient. Es kann z.B. um einen Standpunkt in der Frage gehen, ob ein Sachverhalt, der in dem Grenzbereich eines unbestimmten Rechtsbegriffs liegt, unter diesen Begriff subsumiert werden kann oder nicht. Wenn sich durch die Anwendung der Gesetzesbestimmung, die den unbestimmten Rechtsbegriff enthält, der vorgegebene Rechtsstreit auf eine vernünftige Weise lösen läßt, kann das dafür sprechen, das Gesetz auf eine Weise auszulegen, daß es auf den Sachverhalt angewendet werden kann. Die Billigkeit einer Fallösung kann also als ein Glied in der Begründung dienen, das Gesetz auf eine bestimmte Weise auszulegen. Und wenn man das Gesetz auf eine solche Weise ausgelegt hat, dient es wiederum als Begründung dafür, den Rechtsstreit auf die erwähnte Weise zu lösen. Wurzel (1904, S. 40 - 45) stellt einige interessante Überlegungen zur Anwendung von Rechtsbegriffen in Grenzbereichen an. Er nennt dies Projektion, welche er als eine Art Zwischending zwischen der eigentlichen Subsumtion und Analogie ansieht. Bei einer oberflächlichen Betrachtung kann es sich als unzulässiger Zirkelschluß darstellen, A mit Β und B mit A zu begründen. Wenn man jedoch die von uns genannten Beispiele näher ansieht, wird dieser Eindruck rasch gegenstandslos, denn in der Realität ist der Begründungsgegenstand nicht mit dem Begründungsinhalt identisch. Die Billigkeit einer Fallösung enthält nur eines von mehreren Argumenten für die gewählte Auslegung des Gesetzes. Und daß man bei Würdigung aller Argumente die gewählte Auslegung für verantwortbar hält, dient als Begründung, das Ergebnis für juristisch haltbar einzustufen. Das hiermit erhaltene Ergebnis (der juristischen Haltbarkeit) unterscheidet sich demnach vom Ausgangspunkt (der Billigkeit des Ergebnisses).
IV. Normierung von Entscheidungen und Begründungen
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I V . Normierung von Entscheidungen und Begründungen Rechtliche Entscheidungen und Begründungen hängen mit Normen auf komplexe Weise zusammen. Dies gilt nicht nur für Entscheidungen der Obrigkeit, sondern auch für private Entscheidungen wie z.B. einen Kauf oder die Stiftung einer Gesellschaft. Wir beschränken uns jedoch im folgenden auf obrigkeitliche Entscheidungen und geben eine Übersicht über die verschiedenen Normen, die solche Entscheidungsprozesse und Begründungsmuster steuern. Erstens regeln Normen, bei wem die Entscheidungsbefugnis liegt. Es handelt sich teils um Kompetenznormen, die beispielsweise die Gesetzgebungsbefugnis der Nationalversammlung übertragen und die Rechtsprechung den Gerichten, teils handelt es sich um Qualifikationsnormen, die regeln, was als „Nationalversammlung" und „Gericht" gelten soll. Schließlich gibt es Normen, die Rekrutierungen von Individuen regeln, die die genannten rechtlichen Positionen ausfüllen sollen, wie beispielsweise Normen über die Wahl der Nationalversammlung und die Ernennung der Richter. Zweitens regeln Normen korrektes Vorgehen bei der Vorbereitung und Fällung von Entscheidungen, wie z.B. Prozeßregeln für Gerichte und Verwaltungsorgane und Normen für das Gesetzgebungsverfahren. Drittens haben wir Normen, die inhaltliche Anforderungen an die Entscheidungen stellen. Von Gerichten und Verwaltungsorganen wird verlangt, daß Entscheidungen über Einzelfälle auf Grund der in den betreffenden Bereichen geltenden materiellen Rechtsnormen gefällt werden. Zusätzlich zu diesen Normen kommen dann noch die Metanormen, häufig in der Ausgestaltung von Richtlinien, die u. a. bei der Auslegung von Gesetzen oder bei der Lösung von Fragen, für die das Gesetz keine Antwort enthält, Anleitungen über die zu berücksichtigenden Faktoren enthalten. Zusammenfassend bewirkt dies eine relativ starke Bindung der Entscheidungsbefugnis. Wie wir jedoch bereits früher dargelegt haben (u.a. im Kapitel 6), ist die Bindungswirkung nicht immer so stark, wie es den Anschein hat. Gesetzgeber und Verwaltungsorgane, die ermächtigt sind aufgrund von Ermessen zu entscheiden, verfügen über relativ größere Wahlfreiheit; aber auch deren Freiheit gilt nicht unbegrenzt. Der Gesetzgeber ist in erster Linie durch die materiellen Schranken gebunden, die sich ggf. aus der Verfassung ergeben, wie z.B. verfassungsmäßige Bestimmungen über Grundrechte, die durch gewöhnliche Gesetze nicht aufgehoben werden können. Darüber hinaus gibt es häufig ungeschriebene Normen dafür, welche Bereiche gesetzlich normiert werden sollten und welche nicht, und auf welche Weise die Gesetzesbestimmungen zu gestalten sind usw. Selbst wenn die zuletzt genannten Normen nicht als rechtlich bindend angesehen werden, können sie dennoch erheblichen Einfluß entfalten.
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Entscheidungen und Begründungen
Außerdem läßt sich eine ganze Reihe von Begründungen regelnder Normen unterscheiden: Teils handelt es sich um Normen, die besagen, daß bestimmte Entscheidungstypen zu begründen sind. Wir denken hier z.B. an Gesetze, die bestimmen, daß Urteile und gewisse Verwaltungsentscheidungen begründet werden müssen. In vielen Rechtssystemen haben sich auch ungeschriebene Normen herausgebildet, daß Gesetzesvorlagen Motive zu enthalten haben. Ebenfalls ist häufig normiert, inwieweit und wie Begründungen zu veröffentlichen sind. Zusammen tragen solche Normen dazu bei, den betreffenden Begründungen ein offizielles Gepräge zu geben. Des weiteren gibt es Normen, die Anforderungen an den Inhalt der offiziellen Begründungen stellen. Für Richter haben wir beispielsweise im norwegischen Recht erstens Gesetzbestimmungen, die in groben Zügen den erforderlichen Inhalt der Begründungen festlegen. Zum anderen haben sich durch die Rechtspraxis Normen herausgebildet, welchen Anforderungen genügt werden muß, damit eine Entscheidung nicht auf Grund mangelhafter Urteilsbegründung von der nächsthöheren Instanz aufgehoben wird. Schließlich gibt es, wie bereits erwähnt, Normen, die Hilfestellung für die Frage bieten, welche Argumente für unterschiedliche Entscheidungstypen von Relevanz sind, und Normen, die unsere Einschätzungen der Begründungen steuern, beispielsweise wenn wir Stellung dazu nehmen, ob eine Begründung „plausibel", „haltbar", „überzeugend" u.ä. ist. Solche Normen sind nicht allein typisch für das Rechtsdenken. Die Normierung von Begründungserfordernissen ist auch in anderen Bereichen üblich. Es gibt z.B. Normen, was als mathematischer Beweis gelten soll oder als gültiger logischer Schluß, welche Anforderungen an die Verifikation einer naturwissenschaftlichen Hypothese zu stellen sind, unter welchen Bedingungen eine medizinische Operation als verantwortbar anzusehen ist usw. Im Rechtsbereich differenziert man, wie bekannt, zwischen rechtschaffenden Entscheidungen (z.B. Gesetzgebung) und Rechtsanwendung. Die normativen Anforderungen an den Begründungsinhalt in diesen beiden Fällen sind unterschiedlich. Die Vorstellungen von der Rolle und den Möglichkeiten der Gesetzgebung haben sich im Laufe der Zeit geändert. Im Frühen Mittelalter war eine weit verbreitete Auffassung - sowohl in den nordischen Ländern als auch anderswo - , daß man überhaupt nicht oder nur in sehr begrenztem Maße durch formelle Beschlüsse neue Rechtsnormen schaffen könnte. Das Recht war traditionsgebunden. Es wurde ursprünglich von Generation zu Generation mündlich tradiert, und die ersten geschriebenen Gesetze galten als Aufzeichnung von vornherein existierendem Gewohnheitsrecht. Doch nach und nach hat sich die Auffassung verstärkt, daß Recht durch Gesetzgebung verändert werden kann, 4 was heute als Selbstverständlichkeit angesehen wird. Gesetzgebung gilt
V. Begründungen zur Frage, was als geltendes Recht aufzufassen ist
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als gesellschaftliches Steuerungsmittel; die Möglichkeiten, das Handeln der Menschen durch Gesetze zu verändern, werden sogar häufig überschätzt. Eine solche Sicht der Gesetzgebung spiegelt sich in den ungeschriebenen Normen über die Begründung von Gesetzgebungsvorlagen wider. In den nordischen Ländern dominieren jedenfalls konsequenzorientierte Begründungen. Es wird versucht zu zeigen, daß Gesetze notwendig sind, um gesellschaftliche Ungerechtigkeit zu beseitigen, oder als Bedingungen anderen günstigen gesellschaftlichen Wandels. Rechtsanwendung stellt andere Anforderungen an die Begründungen. Der nächste Abschnitt geht hierauf näher ein. V . Begründungen von Standpunkten zur Frage, was als geltendes Recht aufzufassen ist Was Recht ist - generell oder im konkreten Einzelfall - ist für viele eine relevante Frage, z.B. für Gerichte und Verwaltungsorgane. Die gleiche Frage kann auch als eine unter anderen in die Entscheidungsgrundlage für den Gesetzgeber eingehen. Auch Privatpersonen und ihre juristischen Ratgeber stehen häufig vor der Frage, was Recht ist. Was akzeptable juristische Begründung für Fragen nach geltendem Recht sind, hängt von Metanormen ab. Solche Metanormen sind im großen und ganzen allen gemeinsam, die innerhalb eines gegebenen Rechtssystems sich mit derartigen Fragen befassen. Unserem Eindruck nach bestehen in dieser Hinsicht auch recht starke Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlichen Rechtssystemen. Festzuhalten ist jedenfalls, daß die Kriterien für eine akzeptable Begründung nicht naturgegeben, sondern normbestimmt sind. Charakteristisch für akzeptable juristische Begründungen ist die zentrale Rolle unterschiedlicher Normtypen, teils als Begründungsgegenstand und teils als Prämissen. Sowohl die Existenz als auch der Inhalt von Normen kann Gegenstand von Begründungen werden, und Normen dienen ihrerseits als Grundlage für verschiedene Typen von Schlußfolgerungen. Standardbegründung für die Entstehung einer Norm ist, daß sie gemäß einer Kompetenznorm gesetzt ist. Folgende Prämissen dienen als Grundlage für diese Schlußfolgerung: (1) Es liegt eine Kompetenznorm vor, die gewisse Organe zu der betreffenden Normsetzung ermächtigt, und (2) diese Normsetzung hat auch stattgefunden. Gesetzmäßige Normsetzung gibt keine hinreichende Begründung dafür, daß die Norm immer noch gilt. Sie kann mittlerweile aufgehoben, von anderen Normen verdrängt worden sein, oder durch Nichtgebrauch (desuetudo) weggefallen sein. Eine vollständige Begründung 4 Vgl. zu dieser Entwicklung Luhmann (1972, S. 132ff., insbesondere S. 192 - 202) und Gagner (1960), beide mit ausführlichen Literaturhinweisen.
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Entscheidungen und Begründungen
muß auch Gründe dafür angeben, daß die Norm nicht später auf eine der beschriebenen Weisen wegfällt. In der Praxis werden vollständige Begründungen recht selten gegeben, meist werden nur strittige oder zweifelhafte Fragen aufgegriffen. Bisweilen wird auch gesagt, daß eine gesetzte Norm sich von einer Kompetenznorm „ableitet", die als gesetzliche Grundlage gedient hat, obwohl eigentlich nur die Entstehung, nicht aber die andauernde Existenz sich von der Kompetenznorm abgeleitet hat. Die Gültigkeit der Setzung ist dadurch bedingt, daß die angegebene Kompetenznorm existiert hat und inhaltlich als gesetzliche Grundlage dienen konnte. Gewöhnlich ist die Situation zum Zeitpunkt der Normsetzung entscheidend. Gab es zu diesem Zeitpunkt eine Norm mit zureichender Ermächtigung, ist es für die Gültigkeit der Setzung nicht von Bedeutung, ob diese Kompetenznorm später geändert worden oder gefallen ist. Eine andere Sache ist, daß die Aufhebung der Kompetenznorm die Folge haben kann, daß ebenfalls die sich von dieser Norm ableitenden Bestimmungen als aufgehoben anzusehen sind. Sollte aber dies nicht bestimmt sein oder aus einer Auslegung sich ergeben (oder gegebenenfalls aus Metanormen innerhalb des betreffenden Systems), bleibt der „Abkömmling" der Kompetenznorm auch nach deren „Ableben" weiter bestehend. Darüber hinaus kann man bei weggefallenen Kompetenznormen insoweit von einem „Leben nach dem Tode" sprechen, als sie weiterhin als ein Glied in der Begründung für die Normen dienen, die sich von ihnen ableiten. 5 Eine als Begründung dienende Kompetenznorm bedarf möglicherweise selbst der Begründung. Auf diese Weise kann man zu langen Begründungsketten gelangen. Man begründet z.B. die Gültigkeit eines Verwaltungsaktes damit, daß er sich von einer Verordnung ableitet: die Gültigkeit der Verordnung wird ihrerseits von einer höherrangigen Verordnung abgeleitet. Diese Verordnung wiederum leitet sich von einem Gesetz ab, das gemäß den grundgesetzlichen Kompetenznormen zustande gekommen ist. Kelsen (1925 und 1960) und viele mit ihm haben bekanntlich den Standpunkt vertreten, daß sämtliche derartige Begründungsketten auf eine gemeinsame „Grundnorm" des Systems zurückgeführt werden können. Kelsens Grundnorm lautet in verkürzter Form: „Man soll sich so verhalten wie die Verfassung vorschreibt" (1960, S. 204). Es ist uns nicht ganz klar, inwieweit es sich hierbei um eine „Norm" (in unserer Bedeutung des Wortes) handelt. Selbstverständlich ist es möglich, daß die zitierte Aussage von vielen Menschen internalisiert worden ist. Doch Kelsen legt kein Gewicht auf die mögliche Internalisierung seiner Grundnorm. Er charakterisiert sie vielmehr als „eine gedachte Norm" (1960, S. 207). Sie sollte daher wohl nicht als Norm (in unserer Terminologie) aufgefaßt werden, sondern als eine Behauptung (oder 5
Dieser Gesichtspunkt ist eingehender bei Finnis (1973, S. 61 ff.) erörtert worden.
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Annahme), daß es sich bei einem Grundgesetz um gültiges Recht handelt. Unabhängig vom Charakter der „Grundnorm" kann sie kaum als eigentliche Begründung für die Gültigkeit der Verfassung dienen. Der Satz, daß „die Verfassung gültig ist, weil man sich so verhalten soll, wie die Verfassung vorschreibt", scheint auf eine Tautologie hinauszulaufen - daß „die Verfassung gültig ist, weil sie gültig ist". Im Abschnitt V I I erörtern wir u.E. angemessenere normative Begründungen für die Gültigkeit von Verfassungen. Auch der Hinweis auf frühere Praxis wird in allen uns bekannten Rechtssystemen als akzeptable Begründung für die Existenz von Normen anerkannt. Die an die Praxis gestellten Anforderungen können divergieren. In einigen Rechtssystemen betont man insbesondere die früheren Entscheidungen der Gerichte, während man in anderen Systemen sich mehr auf überlieferte alltägliche Sitten und Gebräuche stützt. Auch solche Begründungen sind normativ, und zwar in einem Doppelsinn erstens, indem erwiesene Praxis als Begründung für Rechtsnormen dienen soll und zweitens, indem Metanormen als Relevanzkriterien fungieren. Solche Metanormen sind häufig so formuliert, als ob bestimmte, feste Bedingungen erfüllt sein müßten, um z.B. von „Gewohnheitsrecht" sprechen zu können. In ihrer praktischen Anwendung fungieren sie jedoch eher als Richtlinien mit gerichtlichen Ermessensspielräumen für die Auswertung von Sachverhalten. (Vgl. Kapitel 6 I I I und VI.) Praxis kann sowohl als selbständige als auch als ergänzende Begründung für Rechtsnormen dienen. Ist beispielsweise zweifelhaft, ob eine gesetzte Norm eine ausreichende Rechtsgrundlage hat, kann der Umstand, daß sie in der Praxis akzeptiert worden ist, diese Zweifel beseitigen. Norminhalte werden häufiger divergent begründet. Teils variieren die Auslegungsmethoden in verschiedenen Rechtssystemen, teils haben sich im Laufe der Zeit auch Veränderungen herausgebildet. Bisweilen hat man versucht, nachzuweisen, daß der Norminhalt sich z.B. im Willen des Gesetzgebers oder in Schlußfolgerungen aus bestimmten Auslegungsmaximen „finden" läßt. Eine andere Methode operiert mit einem Satz von relevanten Faktoren (Gesetzestexte, Vorarbeiten, Zweck des Gesetzes usw.) und stellt Ermessensabwägungen an, wenn die Faktoren in unterschiedliche Richtungen weisen (vgl. Kap. 6 III). Ob solche methodischen Divergenzen realiter unterschiedliche Auslegungsergebnisse bedingen oder nur unterschiedliche Arten der Verteidigung eines Standpunktes widerspiegeln, ist kaum eindeutig zu beantworten. Aus Normen lassen sich verschiedene Schlußfolgerungen ziehen. Zunächst kann es sich um reine Ableitungen handeln. Aus einer Regel mit dem Inhalt, daß es verboten ist, „mit eipem Fahrzeug" auf einem Weg „zu fahren", läßt sich beispielsweise der allgemeine Schluß ziehen, daß der Verkehr von Kraftfahrzeugen für diesen Weg verboten ist, und der spezielle Schluß, daß es für
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Peter Müller verboten ist, dort mit seinem Wagen zu fahren. Solche Ableitungen setzen voraus, daß man zum Inhalt der Norm, von der geschlossen wird, Stellung bezieht. Mitunter ist dies denkbar unproblematisch. Es ist z.B. vollkommen klar, daß ein Wagen als ein „Fahrzeug" angesehen werden muß. Aber es lassen sich Grenzfälle denken. Ist es beispielsweise auch verboten, auf dem genannten Weg mit einem Karren, einem Kinderwagen oder einem Dreirad zu fahren? Wenn solche Auslegungsfragen und eventuelle Zweifel hinsichtlich von Fakten gelöst sind, kann recht einfach vom Allgemeinen aufs Besondere geschlossen werden. Komplexere Schtußfolgerungen kommen ebenfalls vor. Wir denken hierbei z.B. an Fälle, wo die Existenz einer Norm damit begründet wird, daß sie gemäß einer Kompetenznorm gesetzt ist (siehe oben). Eine anderes Beispiel bilden Schlußfolgerungen, die auf Richtlinien basieren (vgl. Kap. 6). Auch in solchen Fällen nimmt man dazu Stellung, ob Fakten vorliegen, die sich unter Normen (Richtlinien) subsumieren lassen. Auf diese Weise kann man jedoch nur relevante Faktoren identifizieren. Um nun zu einem Ergebnis zu kommen, müssen diese Faktoren kombiniert und ggf. gegeneinander abgewogen werden. Wertungen über die Billigkeit von bestimmten Lösungen werden häufig nicht nur für rechtspolitische Fragen, sondern auch für geltendes Recht als relevante Argumente akzeptiert. Es kann vorkommen, daß eine Begründung ausschließlich aus solchen Argumenten besteht, beispielsweise dann, wenn einem Gericht die Entscheidung einer Frage vorgelegt wird, für die es weder gesetzliche Regelung noch Präzedenzfälle in der früheren Rechtspraxis gibt. 6 Im Regelfall dienen Wertungen jedoch eher als ergänzende Argumente, wie ζ. B. bei der Wahl zwischen Auslegungsalternativen. Wie bereits ausgeführt, werden rechtliche Bewertungen in großem Umfang durch Richtlinien gesteuert. Der Inhalt solcher Richtlinien variiert je nach Rechtskultur und Zeitepoche. Erstens variiert die Akzeptierbarkeit von Wertungen, teils sind Gerechtigkeitserwägungen eher akzeptabel, teils Nützlichkeits- und Interessenabwägungen. Zweitens, in einem gewissen Zusammenhang hiermit, variieren die Antworten auf die Frage, wie offen der Rekurs auf reine Ermessensabwägungen eingestanden wird. Die im Kapitel 6 V I dargestellten Tendenzen zur Verschleierung von Ermessen in der Rechtsanwendung können sich mehr oder weniger auswirken. Es gibt Beispiele für völlige Verdrängung des Ermessensaspektes aus dem juristischen Bewußtsein, zumindest aber für ein Verschweigen von Ermessen in offiziellen Begründungen. Man hat in derartigen Fällen entweder mit der Fiktion gearbeitet, daß das positive Recht eindeutige Antworten für alle Fragen bereithält, bzw. mit der 6
Das Schweizerische Zivilgesetzbuch vom 10.12.1907 enthält bekanntlich einen ausdrücklichen Hinweis, daß der Richter in derartigen Fällen nach der Regel entscheiden soll, „die er als Gesetzgeber aufstellen würde."
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Annahme, daß sich die Lösungen von solchen Rechtsfragen, für die das positive Recht keine Antworten bereithält, in naturrechtlichen Normen, in der „Natur der Sache" oder in „objektiv" gegebener Gerechtigkeit „finden" lassen. Solche Begründungen haben in den nordischen Ländern gegenwärtig kaum hohen Kurswert. Man ist vielmehr der Ansicht, daß bei Entscheidungen von Fragen nach geltendem Recht mit offenen Ermessenswertungen operiert werden sollte. Aber auch hier gibt es Tendenzen, den Stellenwert derartiger Argumente in den internen Abwägungen in der offiziellen Begründung eher abzuwerten. In den Vordergrund werden jene Argumente geschoben, die sich aus den Gesetzen und der Rechtspraxis gewinnen lassen, während häufig verschwiegen wird, daß die Wahl zwischen unterschiedlichen Auslegungsalternativen auf Wertungen dessen beruht, was man als billige oder zweckmäßige Lösung einer Rechtsfrage ansieht. In der Rechtsanwendung steht man nicht nur vor der Wahl zwischen unterschiedlichen Auslegungsalternativen, sondern bisweilen auch vor der Wahl zwischen Normen. Nehmen wir an, ein Gericht habe einen Lebenssachverhalt zu beurteilen, der nicht eindeutig unter irgendeine bekannte juristische Kategorie subsumiert werden kann, aber gewisse Züge gemein hat mit zwei (oder mehreren) unterschiedlichen Kategorien. Wie u.a. von Esser (1972, S. 46 48) betont, besteht in solchen Fällen die Tendenz, einen der konkurrierenden Normkomplexe zu wählen und die anderen beiseite zu schieben: „Der Richter kann die Lösung nicht teils aus Vertrags-, teils aus Bereicherungsrecht oder teils aus Delikts-, teils aus Geschäftsführungsrecht,entnehmen' - er muß sich global entscheiden, auch wenn einzelne Folgen durch den anderen Normkomplex treffender ,erfaßt' werden, der eben in bestimmter Hinsicht mehr ,hergibt'." Die Auswahl des Normkomplexes kann auf Wertungen beruhen, welche Gesichtspunkte in dem vorliegenden Fall insgesamt gesehen zum besten Ergebnis führen. Derartige Überlegungen wird man jedoch selten in den Begründungen wiederfinden. Die Gerichte begnügen sich häufig mit der „Konstatierung", daß beispielsweise ein Vertragsverhältnis oder ein Bereicherungsverhältnis vorliegt, so daß die Entscheidung notwendig aus vorgegebenen Normen zu folgen scheint. Selbst wenn der Richter im Einzelfall den Lebenssachverhalt unter eine der möglichen Kategorien subsumieren muß, kann es von Fall zu Fall zu Alternationen kommen, so daß identische Lebenssachverhalte mal unter die eine Kategorie, mal unter eine andere Kategorie subsumiert werden. Aarbakke (1970) hat solche Alternationstendenzen für die Klassifikation der rechtlichen Transaktionen in der norwegischen Steuerrechtspraxis dargestellt. Er liefert darüber hinaus auch noch einige interessante Überlegungen über die - häufig nicht explizierten - Wertungen, die nach seiner Meinung die Wahl der Kategorien steuert.
10 Eckhoff/Sundby
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Entscheidungen und Begründungen
V I . Die Bedeutung von Entscheidungen und Begründungen für den Normbildungsprozeß Zwischen Normen und Entscheidungsprozessen bestehen mehrere Verbindungen. Zum ersten tragen Normen, wie wir im Abschnitt I V dargelegt haben, auf unterschiedliche Weise dazu bei, Entscheidungsprozesse zu steuern. Zum zweiten dienen Normen häufig als Glieder von Entscheidungsòegründungen (vgl. Abschnitt V). Und schließlich haben Entscheidungsprozesse zur Folge, daß ständig neue Normen gebildet und ältere Entscheidungsbegründungen verändert werden. Mit dem letzten Fall wollen wir uns hier näher beschäftigen. Die direkteste Form für Normbildung ist gegeben, wenn Normen durch ein kompetentes Organ gesetzt werden. Doch können auch die Entscheidungen der Rechtsbehörden und die in diesem Kontext abgegebenen Begründungen auf andere Weise normbildend wirken. Wir werden uns im folgenden auf diese Varianten konzentrieren. Im nächsten Abschnitt (VII) werden wir dann näher auf die Verflechtung von Normsetzung und anderen Formen der Normbildung eingehen. Ein wichtiger normbildender Faktor, jedenfalls in den nordischen Ländern, sind die Gesetzgebungsmaterialien, d.h. die Vorschläge, Kommissionsberichte, Debatten und Votierungen, die in die Vorbereitung und Verabschiedung der Gesetze eingehen. Diese Vorarbeiten sind in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Sie begründen, warum der betreffende Bereich durch ein Gesetz geregelt werden sollte und warum es den vorgeschlagenen Inhalt haben sollte. Nach der formgerechten Verabschiedung können die Vorarbeiten für die Auslegung des Gesetzes Bedeutung erhalten. Die bloße Publikation und Kenntnisnahme von Gesetzgebungsmaterialien können einen Gesetzanwender schon dazu bringen, diese Materialien bei der Auslegung des Gesetzes anzuwenden. Wahrscheinlich geschieht dies auch in solchen Ländern, wo man, wie in England, die Lehre vertritt, daß es sich bei den Vorarbeiten nicht um relevante Auslegungsfaktoren handelt. In unserem Rechtskreis jedoch vergrößert sich eher noch die Bedeutung der Vorarbeiten, indem sie als relevante und sogar ziemlich schwerwiegende Auslegungsmomente betrachtet werden. Aufgrund der Bedeutung, die bestimmten Aussagen in den Gesetzgebungsmaterialien beigemessen wird, werden diese leicht zu Trägern von Qualifikationsnormen, die beispielsweise Angaben zur „Zielsetzung eines Gesetzes" enthalten, oder verschiedene Worte und Begriffe im Gesetzestext definieren. Es kann zweifelhaft sein, ob man vertreten soll, daß es sich um gesetzte Normen handelt, oder aber um Normen, die sich durch Rechtspraxis bilden. Zwar besteht eine generelle Neigung, auf die Vorarbeiten zu einem Gesetz zurückzugreifen, aber welche Gesichtspunkte Bedeutung bekommen und wie diese
V I . Die Bedeutung von Begründungen für den Normbildungsprozeß
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Bedeutung aussieht, beruht in ziemlich hohem Grade auf der Praktizierung des Gesetzes durch Gerichte und Verwaltungsorgane. Wir werden die genannten qualifizierenden Aussagen in den Gesetzgebungsmaterialien als Semisetzungen von Normen bezeichnen, um zu markieren, daß es sich um eine Form der Normbildung handelt, die eine Zwischenstellung einnimmt. Daß der Gesetzgeber zusätzlich zu der eigentlichen Normsetzung auch in den Vorarbeiten Semisetzungen vornehmen kann, ist für die Gesetzgebungstechnik von großer Bedeutung. U. a. kann der Gesetzestext kürzer und einfacher gestaltet werden, solange autoritative Aussagen auch außerhalb des eigentlichen Gesetzestextes mitgeteilt werden können. Das trägt auch zur Professionalisierung der Gesetzesauslegung bei, weil diejenigen, die sich der Vorarbeiten bedienen können, sich mit größerem Sachverstand als andere über die richtige Auslegung des Gesetzes äußern können. Die Kompetenz für eine solche Semisetzung kann auch bei anderen Stellen liegen als denen mit Gesetzgebungskompetenz, wie z.B. bei einer Expertenkommission oder bei Ministerien, die mit der Vorbereitung von Referentenentwürfen beschäftigt sind. In Norwegen wird wohl deren Äußerungen genausoviel Gewicht beigemessen wie Äußerungen, die im Parlament zu den Gesetzesauslegungen fallen. Ein weiterer wichtiger Faktor im Normbildungsprozeß ist die Präzedenzwirkung obrigkeitlicher Entscheidungen. Tragende Begründungen solcher Entscheidungen können ebenfalls Bedeutung erlangen, nämlich als Information zur Frage, worauf sich die präjudizierende Wirkung der Entscheidung eigentlich erstrecken soll. Präzedenzwirkungen mögen auf allgemeinmenschlichen Neigungen beruhen, Dinge „wie schon immer" zu tun, oder Handlungsmuster als richtig anzusehen, wenn sie nur häufig genug wiederholt worden sind. Solche Tendenzen können sich selbst dann auswirken, wenn es nicht für relevant gehalten wird, frühere Entscheidungen als Begründung anzubieten. Solche Tendenzen können sich sogar geltend machen, wenn es explizit verboten ist, sich auf frühere Entscheidungen zu berufen - wie es seinerzeitig in einzelnen Rechtssystemen die Regel war. Eine solche Tendenz wird natürlicherweise noch verstärkt, wenn Metanormen die Weisung enthalten, daß frühere Entscheidungen bei gleichgearteten Fällen zu berücksichtigen sind. Solche Metanormen lassen sich in vielen Rechtssystemen finden, so u.a. im norwegischen Recht. Eine solche Bedeutung wird in erster Linie den Entscheidungen der höchsten Gerichte beigelegt. Zusätzlich zu der individuellen, für die Parteien gesetzten Norm können die Richter daher auch generelle Normen begründen - oder doch zu deren Entwicklung beitragen. 7 7 10*
Rechtsschaffung durch Gerichte ist ausführlicher bei Eckhoff (1980) behandelt.
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Entscheidungen und Begründungen
Auch in diesem Zusammenhang kann man von einer Semisetzung von Normen sprechen. Da jedoch diese „Setzung" nicht in einen Beschluß über einen bestimmten Text mündet, ist der Norminhalt häufig recht unbestimmt. In zahlreichen Fällen würde vielleicht am ehesten zutreffen, daß eine Norm im eigentlichen Sinne nicht vorliegt, sondern bloß ein normatives Feld, das die individuelle Entscheidung ummantelt, und daß die „Feldstärke" vom Zentrum aus abnimmt. Dies bedeutet nun nicht, daß der generelle Norminhalt von Urteilen gänzlich unbestimmt ist. Bisweilen bieten Urteilsbegründungen wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage, wieweit die Relevanz eines Urteils als Argument reicht. Zusätzlich oder neben der gegebenen Begründung ist von Bedeutung, wie Gerichte ihre Entscheidungen in der Regel begründen. Dies läßt nämlich Schlüsse zu, wie das Urteil hätte begründet werden können oder sollen. Hinweise in diesem Zusammenhang können auch herrschende Meinungen zur Frage enthalten, welche Fälle als gleichgelagert zu betrachten sind und welche nicht. Hinzu kommt, daß Unsicherheit gegenüber Norminhalt von individuellen Urteilen allmählich reduziert wird, bei Zunahme von Urteilen für den gleichen Bereich. Neue Entscheidungen, die dieselben Rechtsfolgen statuieren wie die früheren Entscheidungen (z.B. Schadenersatz zuerkennen), tragen zur Stärkung und vielleicht auch zur Ausweitung des normativen Feldes bei. Entscheidungen, die entgegengesetzte Rechtsfolge statuieren (z.B. Schadenersatz verneinen), klären Grenzen. Auf diese Weise können sich nach und nach verhältnismäßig eindeutige und feste Normen herausbilden. Darüber hinaus können ältere Normen, ob gesetzte oder nicht-gesetzte, durch neu gebildete Normen verdrängt werden, durch Nicht-Gebrauch wegfallen oder durch Gebrauch inhaltlich justiert werden. Gesetzesbeschlüsse und andere generelle Normen setzende Entscheidungen können ebenfalls Präzedenzwirkungen haben. Denn wenn eine Norm gesetzt wird, kommt jene Kompetenznorm zur Anwendung, die als Grundlage für die Setzung diente. Damit kann die Entscheidung als Präzedenz für die zukünftige Anwendung der Kompetenznorm dienen.
V I I . Rückkoppelung im Verhältnis zwischen Kompetenznormen und abgeleiteten Normen Eine Kompetenznorm, die auf ihrer Grundlage ergangenen Normierungsbeschlüsse und die dadurch wiederum begründeten Normen bilden zusammen ein dynamisches Teilsystem innerhalb des Rechtssystems. Die Dynamik besteht teils darin, daß neue Normen gesetzt werden, teils in den Rückkoppelungsprozessen.
V I I . Rückkoppelung bei Kompetenznormen und abgeleiteten Normen
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Figur 11 Die Rückkoppelung besteht darin, daß man die Kompetenznorm anwendet, wenn man Normen kompetenznormgemäß setzt. Die Anwendung einer Norm kann sowohl für ihre Existenz, als auch für ihren Inhalt von Bedeutung sein. Einerseits kann eine Norm durch Nichtgebrauch wegfallen. Andererseits kann aber auch eine von Anfang an auf einer zweifelhaften Grundlage basierende Norm durch den Gebrauch in der Praxis Anerkennung finden und allmählich ihre Stellung konsolidieren. Schließlich kann der Gebrauch einer Norm deren Inhalt beeinflussen, beispielsweise, wenn bei der Anwendung der Norm diese eng oder weit ausgelegt wird. Solche Rückkoppelungsprozesse sind in Figur 11 illustriert und wir werden uns im folgenden etwas eingehender mit ihnen beschäftigen. Aus der Figur erhellen mehrere Rückkoppelungsschlaufen. Rückwirkungen von Normierungsakten bestehen darin, daß zuständige Organe Kompetenznormen auslegen, anwenden und in solcher Praxis den Status der Kompetenznorm als vollgültiger Rechtsnorm stärken oder schwächen, aber auch für die Auslegung der Kompetenznorm von Belang sind. Eine zweite Schlaufe ergibt sich dadurch, daß auch das weitere Schicksal der gesetzten Normen auf die sie begründende Kompetenznorm zurückwirkt. Wenn beispielsweise eine kompetenznormgemäß gesetzte Bestimmung als Rechtsnorm akzeptiert worden ist, kann dies eventuelle Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit der Kompetenznorm beseitigen, bzw. die Rechtsauffassung bestärken, daß sie als gesetzliche Grundlage für entsprechende Bestimmungen dienen kann. Sollten dagegen einige der gesetzten Bestimmungen von den Gerichten aufgrund mangelnder gesetzlicher Grundlage keine Anerkennung gefunden haben, würde dies die entgegengesetzte Wirkung haben können. Rückkoppelung besteht demnach darin, daß Einstellungen, Entscheidungen u. a. m., die im Gefolge einer Kompetenznorm (den gesetzten Normen) anfallen, auf die Kompetenznorm selbst zurückwirken und beitragen zur Stärkung (oder Schwächung) der Bereitschaft, zukünftige auf dieser Grundlage ergangene Entscheidungen zu respektieren. Ein praktisch wichtiger Fall der Bestätigung einer Kompetenznorm durch spätere Entwicklung sind Grundgesetze, die Bestandskraft gewinnen, obwohl sie ohne gesetzliche Grundlage in einer existierenden Kompetenznorm beschlossen worden sind. 8 Das norwegische Grundgesetz kann in diesem 8
Siehe hierzu Olivecrona (1939, S. 58).
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Zusammenhang als Beispiel dienen. Bis 1814 war das Land mit Dänemark vereint unter der absolutistischen Herrschaft eines Königs. Im Gefolge der Napoleonischen Kriege wurde der dänische König gezwungen, Norwegen an Schweden abzutreten. Eine Gruppe prominenter Norweger war jedoch nicht bereit, diesen Friedensvertrag zu akzeptieren. Norwegen erklärte seine Selbständigkeit und konstituierte eine grundgesetzgebende Versammlung, die das auch heute noch geltende Grundgesetz beschloß. Die Grundgesetzverabschiedung hatte keine gesetzliche Grundlage in einer rechtlichen Kompetenznorm. Man versuchte deshalb eine Legitimierung mit Hilfe von aus der politischen Philosophie entlehnten generellen Prinzipien, wie u.a. dem Volkssouveränitätsprinzip. Viele bezweifelten damals, daß der Grundgesetzbeschluß jemals Rechtsgültigkeit erhalten würde. Heute jedoch besteht überhaupt kein Zweifel, daß das Grundgesetz von 1814 - mit den Veränderungen, die auf seiner Grundlage später beschlossen wurden - die Grundlage für das norwegische Rechtssystem bildet. Die Akzeptierung des Grundgesetzes durch Schweden im Vertrag über die Union zwischen beiden Ländern (geschlossen im Herbst 1814) hat sicherlich zur Stärkung der Autorität des Grundgesetzes beigetragen. Wenn heute von seiner Geltung ganz selbstverständlich ausgegangen wird, kommt wohl dem Umstand mehr entscheidende Bedeutung zu, daß sowohl die Obrigkeit als auch andere von der Voraussetzung ausgegangen sind, daß dem 1814er Beschluß grundgesetzliche Qualität zukommt und daß sämtliche auf seiner Grundlage ergangenen Beschlüsse als Rechtsnormen anerkannt wurden. Hier wie auch in den von uns im Abschnitt I I I behandelten Fällen spiegelt sich die Rückkoppelung in den Begründungen für die Normen. Die Gültigkeit der gesetzten Normen wird damit begründet, daß sie auf der Grundlage einer Kompetenznorm gesetzt worden sind. Deren Gültigkeit wiederum kann damit begründet werden, daß sie von der Praxis durch die auf ihrer Grundlage gesetzten Normen akzeptiert worden ist. U . E . ist dies eine angemessenere Begründung für die Frage, ob es sich bei einem Grundgesetz um geltendes Recht handelt, als Kelsens Hinweis auf eine vorausgesetzte „Grundnorm". Der Hinweis auf Praxis ist eine Begründung, die sich deckt mit juristischen Metanormen zur Frage der Akzeptierung von Begründungen. Wenn die Begründungen wie oben ausgeformt werden, bekommen sie ein zirkuläres Gepräge. Wenn man sie jedoch als Teilbegründungen betrachtet, die komplettiert werden müssen, wenn man eine vollständige Begründung geben will, verschwindet der Eindruck des Zirkelschlusses. Für die Gültigkeit gesetzter Normen kann nicht nur angeführt werden, daß sie (eine evtl. zweifelhafte) gesetzliche Grundlage in einer Kompetenznorm haben, sondern auch, daß sie von Organen gesetzt worden sind, die davon ausgegangen sind, daß die Kompetenznorm eine hinreichende gesetzliche Grundlage biete, ggf. ergänzt durch die Tatsache, daß sie später von Gerichten oder von anderen Rechtsanwendern als gültig anerkannt worden sind. Die sich aus diesen Autoritätsentscheidungen ableitende Bekräftigung für die Gültigkeit der gesetzten Normen kann sich
V I I . Rückkoppelung bei Kompetenznormen und abgeleiteten Normen
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auch auf die Kompetenznorm erstrecken, ohne daß man sich eines Zirkelschlusses schuldig macht. Daraus, daß Normen in der Praxis akzeptiert werden können, selbst wenn sie auf einer ungesicherten Grundlage beschlossen sind, folgt eine Verwischung der Trennungslinien zwischen gesetzten und nicht-gesetzten Normen. Es kann auf der einen Seite zu bloßen Pseudo-Setzungen kommen, wo ein Organ ohne Kompetenz diese bloß vorspiegelt, wo aber die Beschlüsse des Organs dennoch von Bestand sind, weil sie von der Praxis akzeptiert worden sind. Zwischen diesen Fällen und Fällen, bei denen die Kompetenzgrundlage zweifellos rechtsgültig ist, gibt es auch Grenzfälle, bei denen die Kompetenz mehr oder weniger zweifelhaft ist, und wo daher evtl. Abstützungen an der späteren Praxis mehr oder weniger entscheidend für die Gültigkeit sind.
Kapitel 9
Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse im Rechtssystem I. Übersicht über verschiedene Arten von Zusammenhängen zwischen Elementen in einem Rechtssystem Wir unterscheiden zwischen drei Hauptarten von Zusammenhängen: Sinnzusammenhänge, Kausalzusammenhänge und normative Zusammenhänge. Als Sinnzusammenhänge werden wir gewisse Relationen zwischen Aussagen bezeichnen. Ein Beispiel bilden die von uns im Kapitel 7 I I erörterten Koppelungszusammenhänge. Diese sind dadurch gekennzeichnet, daß zwei oder mehrere normative Aussagen (und damit auch die Normen, von denen die Aussagen ggf. Komponenten bilden) derartig miteinander gekoppelt werden, daß sie zusammen eine vollständigere normative Aussage konstituieren. Ein anderes Beispiel bildet die Bedeutungskumulation (vgl. Kapitel 7 III). Hier besteht der Zusammenhang darin, daß ein und dieselbe verbale Formulierung Träger mehrerer Aussagen ist. Wir betrachten ebenfalls logische Relationen (Äquivalenz, Implikation und Widerspruch u.a.m.) als eine Art Sinnzusammenhang. Als ein Beispiel kann das Verhältnis zwischen Verbot, Gebot, Erlaubnis und Freistellung genannt werden, wenn diese Begriffe wie im Kapitel 4 I I I definiert werden. Die Aussage „die Handlung H ist für die Person Ρ in der Situation S verboten" hat dann ihr Äquivalent in „ H ist nicht für Ρ in S erlaubt" und einen Widerspruch in „ H ist für Ρ in S erlaubt", und impliziert wiederum, daß „P davon befreit ist, H in S zu unternehmen". Ein anderes Beispiel für Implikation erhält man bei Schlußfolgerungen von einer generellen zu einer speziellen normativen Aussage, wie beispielsweise „wenn es für alle verboten ist zu stehlen, gilt dieses Verbot auch für Hans Müller". Wenn man Sinnzusammenhänge zwischen verschiedenen normativen Aussagen innerhalb eines Rechtssystems konstatiert, betrachtet man das System zu einem gegebenen Zeitpunkt. Diese Zusammenhänge sind nicht durch eventuell stattfindende Veränderungen im System bedingt. Wir bezeichnen sie daher als statische Zusammenhänge. Kausalzusammenhänge{und normative Zusammenhänge sind dagegen dynamischer Natur, d.h. Zusammenhänge zwischen Stadien in aktuellen oder gedachten Handlungsabläufen. Jedoch
I. Verschiedene Arten von Zusammenhängen in einem Rechtssystem
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sind die Verknüpfungen zwischen den Stadien in den beiden Fällen verschieden. Bei Kausalzusammenhängen pflegt man das erste Stadium im Ereignisablauf als „Ursache" und das zweite als „Wirkung" zu bezeichnen. Das Bindeglied besteht nun darin, daß eine Ursache eine Wirkung hervorbringt. Eine eingehendere Analyse des Kausalitätsbegriffes ist für unsere Zielsetzung nicht notwendig. Wir möchten nur ergänzen, daß wir von einem weiten Kausalitätsbegriff ausgehen, von dem nicht nur sichere, sondern auch wahrscheinliche Zusammenhänge erfaßt werden. Nur Sachverhalte (Zustände, Handlungen, Ereignisse usw.) können miteinander kausal verknüpft sein, nicht jedoch abstrakte Bedeutungseinheiten. Dagegen kann natürlich das psychologische Faktum, daß eine Person (oder ein Personenkreis) etwa eine bestimmte Bedeutung beilegt, verursacht sein und auch Wirkung haben. Normative Zusammenhänge sind ebenfalls Relationen zwischen Sachverhalten. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um Kausalverhältnisse, sondern um solche Zusammenhänge, die sich auf Normen gründen. Wenn ich z.B. sage: „Hans Müller hat gestohlen und sollte (soll, muß oder kann) daher zu Gefängnis verurteilt werden", habe ich damit ausgedrückt, daß ein normativer Zusammenhang zwischen der Tatsache besteht, daß Hans Müller gestohlen hat, und der, daß er zu Gefängnis verurteilt wird. Das Bindeglied ist darin zu sehen, daß der eine Sachverhalt eine normative Bedingung für den anderen setzt.1 Daß ein normativer Zusammenhang zwischen diesen beiden Tatsachen besteht, schließt nicht aus, daß auch Kausalzusammenhänge zwischen ihnen bestehen können. Jeweils kann es zweifelhaft sein, welcher Zusammenhangstyp eigentlich gemeint ist. Nehmen wir beispielsweise eine Aussage wie diese: „Hans Müller wurde verurteilt, weil er gestohlen hatte." Diese Aussage kann dahingehend gedeutet werden, daß der Diebstahl die Ursache des Urteils war. Sie kann aber auch bedeuten, daß der Diebstahl eine normative Bedingung war, um Hans Müller verurteilen zu können. Wenn normative Zusammenhänge zwischen Sachverhalten vorliegen, kommt es häufig auch zu Zusammenhängen zwischen den Normen, unter die die Sachverhalte subsumiert werden können. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, daß identische Sachverhalte unterschiedlich normiert sein können. Ein Sachverhalt kann beispielsweise eine Folge der Anwendung einer Norm sein, und Bedingung für die Anwendung einer anderen. Daß Hans Müller zu einer Strafe verurteilt worden ist, ist eine normative Folge seines Diebstahles und gleichzeitig eine normative Bedingung für die Anwendung der Normen 1 Einige Verfasser haben hierfür die Bezeichnung „juristische Kausalität" gewählt. Der Unterschied zur gewöhnlichen Kausalität ist jedoch so wesentlich, daß diese Bezeichnung zu Mißverständnissen führen kann. Vgl. zu den Unterschieden Engisch (1975, S. 35 - 42) und Zippelius (1971, S. 33f.).
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Kap. 9: Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse
über die Vollstreckung der Strafe. Wir bezeichnen solche Zusammenhänge als operativ (vgl. Abschnitt II). Einen weiteren, ebenfalls normativ bedingten Zusammenhangstyp zwischen Normen bezeichnen wir als genetisch. Hierauf werden wir ausführlicher im Abschnitt I I I und I V eingehen. Kausalzusammenhänge, normative Zusammenhänge und Sinnzusammenhänge werden auf Grund sprachlicher Vieldeutigkeit häufig miteinander verwechselt. Man kann alle drei Arten von Zusammenhängen durch „wenn, dann"-Sätze ausdrücken. In allen drei Fällen wird häufig das Wort „Bedingung" als Bezeichnung für die „wenn"-Komponente und „Folge" als Bezeichnung der „dann"-Komponente benutzt. Eine entsprechende Vieldeutigkeit liegt bei den Worten „warum" und „weil" vor. Fragen, die mit einem „warum" eingeleitet werden und Antworten, die ein „weil" enthalten, können sich auf jeden der drei Zusammenhangstypen beziehen. Der Satz, „Hans Müller konnte sein Pferd verkaufen, weil es ihm gehörte", kann beispielsweise auf dreierlei Weise ausgelegt werden: als eine kausale Erklärung eines Geschehensverlaufes, als eine normative Aussage, daß Hans Müller befugt war sein Pferd zu verkaufen, oder als Aussage, daß man mit dem Wort „gehören" dasselbe meint, wie auf unterschiedliche Weisen über Dinge disponieren zu können, wie z.B. sie zu verkaufen. Solche Vieldeutigkeit ist keine Besonderheit für die deutsche Sprache. Wir finden sie u.a. auch in skandinavischen, der englischen und französischen Sprachen. Daß dieselben Worte für die Bezeichnung von unterschiedlichen Typen von Zusammenhängen benutzt werden, hat zur Folge, daß es relativ leicht zu einem Wechsel der Perspektive kommen kann, wie beispielsweise von der normativen zur kausalen und umgekehrt. Aus Gründen der Klarheit sollte man versuchen, die drei Arten der Zusammenhänge auseinander zu halten, nicht zuletzt, um deren Interaktion problematisieren zu können. Weil u.a. unser Normbegriff Elemente umfaßt, die auf unterschiedlichen Ebenen (Sinngehalt, Einstellungen usw., vgl. Kap. 3) angesiedelt sind, können die Relationen zwischen den Normen einen entsprechend zusammengesetzten Charakter erhalten. So können z.B. Sinnzusammenhänge zwischen normativen Aussagen und gleichzeitig Kausalzusammenhänge zwischen den Einstellungen bestehen, die sich an diese Aussagen knüpfen. Häufig kommt es auch zu Kombinationen, bei denen ein Sinnzusammenhang zwischen normativen Aussagen vorliegt, und normative Zusammenhänge und/oder Kausalzusammenhänge zwischen Sachverhalten, auf die die Normen Anwendung finden, oder zwischen der Anwendung einer Norm und der Entstehung einer anderen Norm. Wir werden im folgenden hierfür mehrere Beispiele nennen.
II. Operative Zusammenhänge
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I I . Operative Zusammenhänge Sukzessive Stadien in einem Geschehensverlauf sind häufig derart geregelt, daß die Norm (oder die Normen), die in einem Stadium Anwendung finden, darüber entscheiden,'welche Norm (oder welche Normen) im nächsten Stadium zur Anwendung kommen. Einerseits kann die Tatsache, daß einer Norm gefolgt wurde, bestimmte andere Normen ins Spiel bringen. Daß z.B. jemand seine Kompetenz benutzt hat, um sich vertraglich zu binden, hat zur Folge, daß Normen über Schuldverhältnisse zur Anwendung kommen. Andererseits kann auch die Tatsache, daß eine Norm gebrochen worden ist, zur Anwendung anderer Normen führen. Wenn beispielsweise ein Vertrag nicht eingehalten wird, kommen Normen über die Erzwingung der Vertragseinhaltung zur Anwendung. Diese hier als Beispiele genannten Normen können verkürzt folgendermaßen wiedergegeben werden: (1) „Wenn Vertrag, dann Verpflichtung", (2) „Wenn Verpflichtung, dann Erfüllung", (3) „Wenn Nicht-Erfüllung, dann Urteil". Das Folgeglied in einer Norm geht demnach in die nächste Norm ein als Bedingungsglied. Anders formuliert: Die Anwendung einer Norm auf eine Tatsache ist eine normative Bedingung für die Anwendung einer bestimmten anderen Norm im nächsten Stadium des Geschehensverlaufes. Wir bezeichnen dies als operative Zusammenhänge zwischen Normen. Das vollständige Geflecht solcher Zusammenhänge gibt dem Rechtssystem wiederum seine operative Struktur. 2 Die Glieder eines Geschehensverlaufes, die uns von einer Norm zu der nächsten bringen, können private Handlungen oder Unterlassungen sein, wie z.B. die Eingehung eines Vertrages, oder der Nichterfüllung einer Verpflichtung. Es kann sich aber auch um obrigkeitliche Entscheidungen handeln. Wenn z.B. jemand, der seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, zur Erfüllung verurteilt ist, kommt die Norm „wenn Urteil, dann Zwangsvollstreckung" zur Anwendung. Weil Normen Verhalten beeinflussen können, tragen die erwähnten normativen Zusammenhänge potentiell zur Schaffung von kausalen Zusammenhängen bei. Nun wird menschliches Handeln nicht allein durch rechtliche Normen bestimmt. Wenn z.B. jemand mein Eigentum verletzt hat, so daß die Bedingungen für Schadensersatzansprüche vorliegen, ist damit noch nicht gesagt, daß ich meinen Schadensersatzanspruch auch geltend mache. Wenn ich ihn geltend mache, kann es durchaus sein, daß ich ihn nicht durchsetzen kann, weil ich vielleicht meinen Anspruch nicht beweisen kann. Umgekehrt kann es ebenfalls vorkommen, daß jemand einen Anspruch durchsetzen kann, obwohl die Bedingungen nicht erfüllt waren. 2
Dieser Begriff wird von Raz (1970, S. 185) verwendet.
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Kap. 9: Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse
Normen mit operativen Zusammenhängen können so kombiniert werden, wie es im Kapitel 7 I I dargestellt wurde. Es bestehen z.B. operative Zusammenhänge zwischen der Norm: „Wer Geld leiht, ist verpflichtet, zum Fälligkeitszeitpunkt den Betrag zurückzuzahlen" und der Norm: „Wer seine Rückzahlungspflicht verletzt, kann zur Rückzahlung verurteilt werden." Sie können aber auch verkoppelt werden zu folgender Norm: „Wer Geld leiht und dieses zum Fälligkeitstermin nicht zurückzahlt, kann zur Zahlung verurteilt werden." Das bedeutet indes nicht, daß zwischen koppelungsfähigen Normen immer operative Zusammenhänge bestehen - beispielsweise nicht zwischen einer Legaldefinition und einer Bestimmung, wo der definierte Begriff Verwendung findet. Denn in diesem Fall werden die beiden Normen nicht auf sukzessive Stadien in einem Geschehensverlauf angewendet, sondern auf dasselbe Stadium. Viele Normen zwischen denen operative Zusammenhänge bestehen, sind auch auf eine dritte Art miteinander verknüpft, indem sie gemeinsam dazu beitragen, den (im Kapitel 7 V erörterten) rechtlichen Positionen und Relationen eine Grundlage zu verschaffen. Wir werden auf einige der häufig vorkommenden Typen operativer Zusammenhänge im folgenden näher eingehen. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen Pflichtnormen und Sanktionsnormen, d.h. Normen über die Folgen einer Pflichtverletzung. Die Folgen können ganz unterschiedliche Formen annehmen: Strafe, Einziehung, Schadenersatz, Minderung, Wandelung, andere Formen für die Rückkehr zum status quo ante, Erzwingung der Erfüllung von Pflichten usw., jeweils allein oder in Kombinationen. Selbst wenn der Terminus „Sanktion" nicht für alle Folgen gleich gut paßt, benutzen wir ihn aus Gründen der Einfachheit als gemeinsame Bezeichnung. Wie oben erwähnt (vgl. Kap. 4 II) setzt unser Pflichtbegriff nicht voraus, daß man bei Übertretungen formelle (normregulierte) Sanktionen riskiert. Allerdings gelten solche Sanktionsnormen für die meisten rechtlichen Pflichten. Wo dies der Fall ist, stärken Sanktionsmöglichkeiten tendenziell die Pflicht und vergrößern die Wahrscheinlichkeit für Pflichterfüllung. Bei der Darstellung der rechtlichen Positionen haben wir uns insbesondere mit diesem Verhältnis beschäftigt (vgl. Kap. 7 V). Die Position des „Schuldners" ist beispielsweise nicht nur durch die Zahlungspflicht bestimmt, sondern auch dadurch, daß man zur Zahlung verurteilt werden kann, und daß das Urteil vollstreckt werden kann. Hier haben wir jedoch den Blickwinkel gewechselt: Von der Pflicht zum Pflichtbruch und weiter zur Sanktion. Eine derartige Darstellung von Sanktionsnormen ist nun stark vereinfacht. Die Verhängung einer Sanktion ist in vielen Fällen ein Prozeß von mehreren normativ geregelten Stadien. Wenn jemand einer strafbaren Handlung ver-
II. Operative Zusammenhänge
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dächtigt wird, ist die erste Frage, ob und inwiefern dieses Verhältnis zu Ermittlungen führen soll. Hier werden zahlreiche Normen zur Kompetenz und Pflichten der Polizei und zu Bürgerpflichten relevant, wie etwa der Pflicht, sich als Zeuge zu erklären. Danach stellt sich die Frage, ob die Bedingungen für eine Anklageerhebung gegeben sind, welches das zuständige Gericht ist, wie das Verfahren ablaufen soll, welche Bedingungen für eine Verurteilung vorliegen müssen, ob das Urteil rechtlich standhält und nach der Vollstreckung des Urteils usw. Für alle diese Fragen gibt es Normen, zwischen denen operative Zusammenhänge bestehen. Prozeß- und materiellrechtliche Normen kommen häufig in demselben Stadium einer Fallgeschichte zum Tragen, wie beispielsweise beim Urteilsspruch. Einige Autoren bezeichnen sämtliche Pflichtnormen (oder ggf. jene Normen, die Privatpersonen Pflichten auferlegen) als „primäre", und Sanktionsnormen als „sekundäre" Normen. Diese Termini werden jedoch auch in anderen Bedeutungen benutzt. Bei ihrer Anwendung muß man sich darüber im klaren sein, daß eine Norm, die in einer Relation „sekundär" ist, in einer anderen „primär" sein kann. Unter den Normen, die bei einer Sanktionierung zur Anwendung kommen, finden sich, wie erwähnt, zahlreiche Pflichtnormen (wie z.B. über die Zeugnispflicht). Bei eventueller Verletzung dieser Pflichtnormen können wiederum andere Sanktionsnormen zur Anwendung kommen. Es kann ebenfalls vorkommen, daß die Verletzung einer bestimmten Pflichtnorm unmittelbar zur Anwendung einer anderen Pflichtnorm führt. Wenn man Verbote, fremdes Eigentum zu beschädigen, verletzt, führt dies beispielsweise zu Schadenersatzverpflichtungen. Es ist nicht einfach, Beispiele für Normen zu finden, die „primär" in dem absoluten Sinne sind, daß ihre Anwendung niemals durch ein vorausgegangenes normreguliertes Ereignis bedingt ist. Dies beruht u.a. darauf, daß Pflichten und Kompetenzen häufig durch Kompetenzausübung bedingt sind. Wir werden im folgenden etwas näher auf solche operativen Zusammenhänge zwischen Kompetenz- und Pflichtnormen eingehen, soweit sie sich auf private Verfügungen beziehen. Nehmen wir den einfachen Fall an, daß ein Vertrag über den Verkauf eines Gegenstandes zustande kommt. Hier müssen wir uns in erster Linie jene Normen vergegenwärtigen, die die Bedingungen für die Gültigkeit des Vertrages (insbesondere des Kaufvertrages) fixieren. Wird die Gültigkeitsfrage bejaht, so ist damit entschieden, daß für den Verkäufer die Pflicht besteht, den verkauften Gegenstand zu übereignen, und für den Käufer, die vereinbarte Kaufsumme zu bezahlen. Damit kommen aber auch die Normen zur Vertragserfüllung zum Tragen, und wir müssen im nächsten Schritt dazu Stellung nehmen, ob die Anforderungen an Erfüllung gegeben sind. Wenn diese Frage verneint wird, werden Sanktionsregeln (über Vertragsverletzungen) relevant usw. Statt einer weiteren Verfolgung dieser Alternative wollen wir ergänzen,
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Kap. 9: Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse
daß ganz andere Normketten zur Anwendung kommen, wenn wir weiter oben zu entgegengesetzten Antworten gelangen. Wenn der Vertrag als ungültig angesehen wird, kann dies dazu führen, daß beide Vertragsparteien verpflichtet sind, Empfangenes zurückzugeben. Ggf. kann auch der einen Vertragspartei Schadensersatz auferlegt werden gegenüber der anderen Vertragspartei für „negatives Vertragsinteresse". Ist jedoch der Vertrag gültig und wird er erfüllt - freiwillig oder zwangsweise - , so tritt damit der Käufer an die Stelle des Verkäufers, und sämtliche an die Eigentumsposition geknüpften Normen finden nunmehr auf sein Verhältnis zum Gegenstand Anwendung. Es gibt auch operative Zusammenhänge zwischen öffentlichen und privaten Kompetenzen und Pflichten. Nehmen wir den Fall, daß irgendeine angestrebte Tätigkeit abhängt von einer öffentlichen Erlaubnis (Konzession). Im Ausgangspunkt ist jedem, der über keine solche Erlaubnis verfügt, die Verpflichtung auferlegt, sich der angestrebten Tätigkeit zu enthalten. Wenn er diesen Umstand ändern will, muß er einen Antrag bei der öffentlichen Behörde stellen, die über die Kompetenz verfügt, die angestrebte Erlaubnis zu erteilen. Bekommt er eine Absage, können u.a. die Regeln zur gerichtlichen Überprüfung eines Verwaltungsbeschlusses zur Anwendung kommen. Wird dem Antrag stattgegeben - entweder sofort oder erst nach Klage - , ist dem Antragsteller damit ein Tun gestattet, das ihm vorher verboten war. Gleichzeitig können ihm auch neue Verpflichtungen auferlegt sein, wie beispielsweise die Zahlung einer Konzessionsgebühr, oder die Ausrichtung der Tätigkeit nach bestimmten Kriterien, falls dies für die Konzessionserteilung zur Bedingung gemacht worden ist. Im weiteren Verlauf können sich nach und nach unterschiedliche Stränge herausbilden. Es kann z.B. die Frage auftauchen, wie sich der Konzessionsinhaber davor schützen kann, wenn jemand die Ausübung seiner Tätigkeit zu verhindern sucht, oder wie er verhindern kann, daß jemand ohne rechtmäßige Erlaubnis eine konkurrierende Tätigkeit ausübt. Es kann aber auch die Frage auftauchen, wer eingreifen und was gemacht werden kann, wenn er nicht den ihm auferlegten oder übernommenen Verpflichtungen nachkommt. Und schließlich kann sich die Frage stellen, welche Kompetenz die Behörde hat, die Erlaubnis zurückzunehmen, zusätzliche Verpflichtungen aufzuerlegen, die Erlaubnis bei eventueller Befristung zu verlängern usw. Operative Zusammenhänge gibt es auch zwischen Normen, die sich auf die Generierung oder Veränderung von generellen Normen beziehen. Es kann ζ. B. geregelt sein, wer die Kompetenz haben soll, Gesetze zu initiieren, wie solche Initiativen zu behandeln sind, wer darüber zu beschließen hat, wann die Beschlüsse in Kraft gesetzt werden sollen usw. Zahlreiche weitere Beispiele könnten genannt werden, weil man bei jeder Anwendung von Rechtsnormen auf operative Zusammenhänge stößt. Rechtsanwendung kann dabei mit einer Reise durch eine Landschaft mit einem ver-
III. Genetische Zusammenhänge zwischen generellen Normen
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zweigten Straßennetz verglichen werden. Die Normen fungieren dabei als Verkehrsschilder, die nicht nur Auskunft darüber erteilen, wie man dort, wo man sich gerade befindet, fahren soll (oder kann), sondern auch darüber, welche Richtung man bei der nächsten Kreuzung einschlagen soll (oder kann). Die angezeigte Richtung ist wiederum durch frühere Geschehnisse während der Reise bedingt. („Bist du, oder sind diejenigen, die du getroffen hast, so und so gefahren, biege rechts ab. Wenn nicht, biege nach links ab.") Manchmal sind die Hinweise obligatorisch. Wer beispielsweise eine verpflichtende Erklärung abgegeben hat, wird zur Einhaltung der Verpflichtung gezwungen, ob er nun will oder nicht. In anderen Fällen sind nicht nur frühere Geschehnisse für die weitere Reiseroute entscheidend, sondern auch eigene Wahlmöglichkeiten. Wer einen mangelhaften Gegenstand gekauft hat, kann z.B. dazwischen wählen, ob er den Kauf rückgängig machen will, ob er Minderung verlangen will oder ob er vielleicht auch gar nichts unternimmt. I I I . Genetische Zusammenhänge zwischen generellen Normen Ein großer Teil der Tätigkeiten, die auf einem Rechtssystem basieren, besteht in der Generierung, Änderung und dem Wegfall von Normen. Im vorigen Abschnitt haben wir darauf hingewiesen, daß es zu operativen Zusammenhängen zwischen Normen kommen kann, die während des Normbildungsprozesses zur Anwendung kommen, wie etwa zwischen Normen zur Kompetenz, Gesetze zu initiieren, Beschlußkompetenz und zum Inkrafttreten von Gesetzen. Wir gehen nun über zur Erörterung von Zusammenhängen zwischen bestehenden Normen und neu entstehenden (geänderten oder weggefallenen) Normen. Wir werden uns dabei in diesem Abschnitt auf die Bildung von generellen Rechtsnormen beschränken. Im Abschnitt I V werden wir uns dann der Setzung individueller Normen zuwenden. Zusammenhänge, die zwischen einer Norm und der (oder den) anderen Norm(en), bestehen, von der die Gültigkeit der ersten Norm abhängt, bezeichnen wir als genetische Zusammenhänge. 3 Solche Zusammenhänge bestehen z.B. zwischen einem Gesetz und einer grundgesetzlichen Normierung zur Gesetzgebungsbefugnis, oder zwischen einer Verordnung und einer Gesetzesbestimmung, auf deren Grundlage die Verordnung ergangen ist. Das totale Muster der genetischen Zusammenhänge bezeichnen wir als genetische Strukturen. Wie bereits im Kapitel 5 V erwähnt, kann die Frage der Gültigkeit einer Normsetzung auch von anderen als den Kompetenznormen abhängen. Selbst 3
Dieser Begriff stammt ebenfalls von Raz (1970, S. 25, 164, 183ff.), Kelsen (1960, S. 228) verwendet die Bezeichnung „Erzeugungszusammenhang".
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Kap. 9: Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse
im Fall, daß eine Norm nicht gesetzt ist, sondern sich allein auf Rechtspraxis gründet, kann sie in genetischen Zusammenhängen mit Metanormen zu Fragen der Präzedenz stehen. U m unsere Darstellung nicht unnötig zu komplizieren, werden wir uns jedoch im folgenden auf das Verhältnis zwischen Kompetenznormen und den auf ihrer Grundlage ergangenen Normen beschränken. Das Bindeglied zwischen den Normen bildet in diesem Fall die Tatsache, daß ein Beschluß getroffen wird, der den Anforderungen der Kompetenznorm genügt und damit die Grundlage für diese gesetzte Norm bildet. Operative und genetische Zusammenhänge weisen gewisse Gemeinsamkeiten auf. In beiden Fällen handelt es sich um normative Bedingungsverhältnisse. In beiden Fällen bildet der Umstand, daß sich etwas (z.B. eine Entscheidung) unter eine Norm subsumieren läßt, die Bedingung. Jedoch unterscheiden sich die beiden Fälle in ihren Folgen. Operative Zusammenhänge resultieren darin, daß eine existierende Norm auf einen bestimmten Lebenssachverhalt angewendet wird, während sich genetische Zusammenhänge auf die Entstehung (oder die Änderung oder den Wegfall) einer Norm beziehen. Häufig bestehen auch Kausalzusammenhänge zwischen der Existenz einer Kompetenznorm und der Entstehung einer gesetzten Norm. Jedoch fallen die kausalen und die normativen (genetischen) Zusammenhänge nicht immer zusammen. Hat etwa ein Verwaltungsorgan eine Verordnung in dem fehlerhaften Glauben erlassen, daß das Gesetz A hierfür eine Grundlage bot. Eine Rechtsgrundlage findet sich jedoch im Gesetz B, daß das betreffende Verwaltungsorgan offensichtlich nicht kennt. Hier können Kausalzusammenhänge bestehen, jedoch keine genetischen Zusammenhänge zwischen dem Gesetz A und der Verordnung, während zwischen dem Gesetz Β und der Verordnung genetische Zusammenhänge, nicht jedoch Kausalzusammenhänge bestehen. Der Unterschied zwischen genetischen und kausalen Zusammenhängen zeigt sich ebenfalls in Fällen, wo die Normsetzung sowohl durch Kompetenzais auch durch Pflichtnormen geregelt ist. Wie wir bereits im Kapitel 5 I I erörtert haben, kommt dies häufig vor. Der Kompetenzinhaber kann beispielsweise verpflichtet sein, seine Kompetenz zu nutzen oder sie nicht zu nutzen oder sie auf eine bestimmte Weise anzuwenden. Pflichtnormen können selbstverständlich sein Vorgehen beeinflussen, so daß sie die Setzung kausal bedingen. Es liegt jedoch in diesem Fall kein normatives ΒedingungsVerhältnis vor, weil nicht die Pflichtnormen, sondern Kompetenz- und Qualifikationsnormen über die Normqualität einer Setzung entscheiden. Die Pflichtnormen sind demgegenüber relevant für Beurteilungen des Normsetzers. Es ist z.B. denkbar, daß er von höherstehenden Personen oder Instanzen zur Verantwortung gezogen wird, wenn er pflichtwidrig gehandelt hat. Jedoch sind die dabei entstehenden Zusammenhänge operativer, nicht genetischer Art. Da Kompetenznormen u.a. die Kompetenz geben, neue Kompetenznormen zu setzen, die ihrerseits wiederum als Rechtsgrundlagen für neue Reihen
I I I . Genetische Zusammenhänge zwischen generellen Normen
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Grundgesetzliche Bestimmungen Gesetze und andere Bestimmungen, deren Rechtsgrundlage sich direkt aus dem Grundgesetz ergibt. Bestimmungen, deren Rechtsgrundlage auf einem Gesetz beruht. Bestimmungen, deren Rechtsgrundlage auf Verordnungen beruht.
Figur 12 von Normen dienen können, kann es zu langen und verzweigten Ketten von genetischen Zusammenhängen kommen. Mit einer grundgesetzlichen Kompetenznorm als Rechtsgrundlage verabschiedet z.B. die Nationalversammlung ein Gesetz, welches der Regierung die Kompetenz für den Erlaß von Verordnungen erteilt, und diese wiederum erteilt einem untergeordneten Organ die Befugnis, Ausführungsbestimmungen für diese Verordnungen zu erlassen usw. In der Figur 12 haben wir einige typische Normketten dargestellt. Jede einzelne Kompetenznorm ist als Pfeil dargestellt, wobei die Pfeilspitze auf die Normen weist, die gemäß der Kompetenznorm gesetzt sind. Wie im Schema skizziert, können mehrere Normen zusammen eine Rechtsgrundlage bilden. Solche Normen können wiederum auf unterschiedlichen Beschlüssen und Ebenen fußen. Grundgesetznormen (z.B. Grundrechte) begrenzen etwa Normsetzungskompetenzen, die sich direkt aus dem Grundgesetz ergeben, aber auch solche Kompetenzen, die sich aus anderen (niedrigeren) Kompetenznormen ergeben. Solche Fälle sind auf der linken Seite unseres Schemas durch die gebogenen Pfeile illustriert. Den genetischen Zusammenhang zwischen einer Norm und der (oder den) Norm(en), die unmittelbar als deren Rechtsgrundlage gedient hat, bezeichnen wir als „unmittelbar" im Gegensatz zu „mittelbaren" Zusammenhängen zwischen entfernteren Gliedern in einer Kette. Mittelbare Zusammenhänge können für die Gültigkeit von Setzungen ebenfalls relevant sein.
11 Eckhoff/Sundby
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Kap. 9: Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse
I V . Genetische Zusammenhänge bei individueller Normsetzung Eine individuell gesetzte Norm, ob nun laut Vertrag, einer anderen privaten Disposition, durch Verwaltungsakt oder Urteil, steht in genetischem Zusammenhang mit den generellen Normen, auf denen ihre Gültigkeit beruht. Solche Zusammenhänge bestehen z.B. zwischen einem Verwaltungsakt und seiner gesetzlichen Grundlage oder zwischen einem Vertrag und jenen Normen, die über die Vertragsgültigkeit entscheiden. Bei Urteilen gehen Abstammungslinien sowohl zu den prozessualen Normen, die die Zuständigkeit der Gerichte bestimmen, als auch zu den materiellen Normen, die für den Einzelfall den Beurteilungsrahmen stellen. Darüber hinaus kann die Gültigkeit von individuellen Normen durch früher gesetzte individuelle Normen bedingt sein, etwa im Fall einer Person, der durch einen Normierungsakt eine rechtliche Position eingeräumt wurde, die die Kompetenz beinhaltet, Normen zu setzen - z.B. durch Ernennung zu einem Amte, in der sich die Befugnis auf die Abgabe von bindenden Beschlüssen der einen oder anderen Art erstreckt. Oder: man ist durch einen Normierungsakt Eigentümer geworden (z.B. durch Kauf, Schenkung, Testament, Enteignung oder Urteil), wodurch man die Kompetenz erlangt, Eigentum u. a. zu verleihen oder zu verkaufen. In derartigen Fällen ist die Normsetzung des Positionsinhabers sowohl durch die generelle Norm bedingt, die dem betreffenden Positions^/? Kompetenz zuerkennt als auch durch die individuelle Norm (Ernennung, Kauf usw.), die ihn in die Position gesetzt hat. 4 Auch der zuletzt erwähnte Zusammenhang fällt unter unsere Definition des „genetischen Zusammenhanges". Allerdings liegt er auf einer etwas anderen Ebene als der zuerst erwähnte. Insbesondere zeigen sich wesentliche Besonderheiten bei Kompetenzen bestimmter Positionsinhaber (wie z.B. bei Eigentümer), andere in ihre Position zu setzen. Es handelt sich hierbei um eine Form von Kompetenz, über die öffentliche Organe und Beamte in der Regel nicht verfügen. Nach norwegischem Recht ist es ebenfalls nicht die Regel, daß solche durch begünstigende Verwaltungsakte Privatpersonen zuerkannten Positionen (z.B. Konzessionen) übertragbar sind. Dagegen gestatten zahlreiche privatrechtliche Positionen vollständige oder teilweise Wechsel in der Stellung des Positionsinhabers. Diese Kompetenz ist häufig für den Positionsinhaber von ganz erheblicher Bedeutung. Ein Eigentümer kann beispielsweise sein gesamtes Recht durch den Verkauf oder die Schenkung des Gegenstandes auf eine andere Person übertragen, oder er kann sein Recht beschränken, wie beispielsweise durch Verleihen oder Ver4 Dies ist keine Besonderheit von individueller Normsetzung. Auch die Gültigkeit von generellen Normen kann dadurch bedingt sein, daß die Personen, die sie gesetzt haben, Positionen einnehmen, aus denen sich die erforderliche Kompetenz ableiten läßt.
V. Rangunterschiede zwischen generellen Normen
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pfänden. Daneben können Eigentümer und andere Rechtsinhaber über weitere Kompetenztypen verfügen. Wir konzentrieren uns aber hier auf die Überführungskompetenz, von der nahezu alle Formen der privatökonomischen Aktivitäten bedingt sind. Für die Überführungskompetenz ist charakteristisch, daß ihr Gebrauch ihren gleichzeitigen Fortfall bedingt. Wenn A seine Kompetenz als Eigentümer gebraucht hat, sein Eigentum zu veräußern, ist er nicht länger Eigentümer. Die Norm „ A soll zukünftig als Eigentümer angesehen werden", die durch seinen Kauf gesetzt wurde, fällt automatisch weg, wenn A die neue Norm „B soll zukünftig als Eigentümer angesehen werden" setzt. Sollte A sich mit einer bloßen Verleihung seines Eigentums begnügen, behält er seine Eigentumsposition, jedoch mit eingeschränkter Kompetenz, denn er kann den Gegenstand für denselben Zeitraum nicht ein zweites Mal an eine andere Person verleihen. Eine andere hiermit zusammenhängende Besonderheit ist die Tatsache, daß man lange Ketten von Kompetenzüberführungen erhält, wie beispielsweise beim Verkauf eines Gegenstandes von A an B, von Β an C, von C an D , D an E usw. Derartige Serien können aus erheblich mehr Gliedern bestehen als die von uns im Abschnitt I I I dargestellten Ketten von Ermächtigungen innerhalb von Staatsorganen. Eine weitere Unterscheidung besteht darin, daß die einzelnen Glieder der Überführungsketten nicht in einer Rangordnung stehen. In der Regel sind genetische Zusammenhänge zwischen individuellen Normen und operative Zusammenhänge zwischen generellen Normen parallel. Wenn etwa ein Eigentum von Hand zu Hand geht und dabei benutzt, besteuert, verliehen, verpfändet wird, können die verschiedenen Normen zum Erwerb des Eigentums und zur Rechtsstellung des Eigentümers alternierend zur Anwendung kommen. Der Zusammenhang besteht in diesen Fällen häufig darin, daß die Anwendbarkeit eines Normbündels auf eine bestimmte Tatsache (wie z.B. einen Kauf) eine Bedingung bildet für die Anwendung eines anderen Normbündels auf ein später folgendes Verhältnis.
V . Rangunterschiede zwischen generellen Normen Die ein Rechtssystem konstituierenden Normen nehmen in der Regel, wie in der Figur 12 skizziert (vgl. S. 161), eine bestimmte Rangstellung ein. Der Rang einer Norm entscheidet die Kompetenzfrage, wer die Norm aufheben kann, oder sie verändern kann, oder durch den Erlaß einer Norm mit entgegengesetztem Inhalt vollständig oder teilweise außer Kraft setzen kann. Als Konsequenz der Rangordnung werden in der Regel Konflikte zwischen Normen unterschiedlichen Ranges auf die Weise gelöst, daß der höherrangigen Norm der Vorzug gegeben wird („Lex superior derogat lege inferiori") . 11*
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Kap. 9: Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse
Die Rangordnung ist für die Normproduktion von großer Bedeutung. Innerhalb eines komplexen Staatsapparates ist es zwingend notwendig, zahlreichen unterschiedlichsten Organen Normsetzungskompetenz einzuräumen. Es dürfte einleuchten, daß es bei einer solchen Aufteilung der hoheitlichen Gewalt problematisch wäre, wenn sämtliche Normen denselben Rang hätten. Normsetzer kämen sich relativ leicht ins Gehege, weil es schwierig ist, Kompetenzbereiche so eindeutig voneinander abzugrenzen, daß es nicht zu Überschneidungen kommt. Eine Rangordnung erleichtert die Übersicht darüber, was unter Einbeziehung der bestehenden Normenvielfalt von einem Normsetzer respektiert werden muß, und was verändert werden kann. Daneben erleichtert eine Rangordnung eine Abgrenzung substantieller und beständiger Teile des gesamten Gesetzesfundus' von jenen Teilen, die aus Detailregelungen bestehen und relativ häufig an geänderte Ausgangsbedingungen angepaßt werden müssen. Im großen und ganzen versucht man die Kompetenzfrage so zu regeln, daß man sie um so höher in der Hierarchie ansiedelt, je substantieller und bestandsfähiger eine Norm ist, deren Setzung ansteht. Gewöhnlicherweise geht man bei der Ausarbeitung und Setzung höherrangiger Normen auch gründlicher vor. Hierdurch wird markiert, was man als wesentlich und bestandsfähig ansehen soll. Dies trägt zur Übersichtlichkeit des Rechtssystems bei, was u. a. Bedeutung erhält für die Juristenausbildung und damit auch für die Übertragung der Rechtstraditionen von einer Generation auf die nächste. Die Rangordnung zwischen Normen leitet sich weitgehend aus ungeschriebenen Metanormen ab, die trotz Divergenzen von Rechtssystem zu Rechtssystem in der Regel gewisse generelle Gemeinsamkeiten aufweisen, weil sie auf wichtigen rationalen Überlegungen basieren. Ein natürlicher Ausgangspunkt für solche Überlegungen besteht darin, daß Kompetenznormen in der Regel höherrangig sein sollten als Normen, die sich von ihnen ableiten. Es handelt sich dabei zwar um keine logische Notwendigkeit; sollte jedoch eine Kompetenznorm widersprechenden Normen weichen müssen, deren Rechtsgrundlage sie bildet, würde dies in der Realität bedeuten, daß der Kompetenzinhaber seine eigene Kompetenz aufheben, beschränken oder ausweiten könnte. Das aber wäre selten eine zweckmäßige Ordnung, weil damit in der Realität Unterschiede zwischen übergeordneten und untergeordneten Normsetzern verschwinden würden, und man würde also nicht die hierarchische Struktur des Gesetzgebungsapparates erhalten, die u.a. für Koordinationen wichtig ist. Eine Sonderstellung in einem System nimmt jedoch das Organ ein, das über die höchste Kompetenz verfügt. Ihm muß zugestanden sein, seine Kompetenz zu ändern, wenn sie überhaupt durch formelle Beschlüsse veränderbar sein soll. (Sollte ein anderes Organ hierfür Kompetenz haben, stände dieses Organ an höchster Stelle.) In vielen Rechtssystemen verfügt der Grundgesetzgeber über die Kompetenz, seine eigene Kompetenz zu ändern. Beispielsweise gilt dies für das norwegische Recht: Jene Bestimmung im Grundgesetz über die Veränderbarkeit des Grundgesetzes (§ 112) wird so ausgelegt,
V. Rangunterschiede zwischen generellen Normen
165
daß sie selbst ebenfalls auf die angegebene Weise verändert werden kann. Nach unserer Auffassung sind jene logischen Einwände gegen solche selbstbezogene Normen, die von Ross (1969) erhoben wurden, nicht zu halten, vgl. Eckhoff I Sundby (1974). Der nächste Schritt in solchen Überlegungen bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Normen, die als Rechtsgrundlage ein und dieselbe Kompetenznorm haben. Wie erinnerlich, gehen wir von der Annahme aus, daß alle gesetzten Normen einen geringeren Rang haben als diese Kompetenznorm, und es scheint natürlich, von gleicher „Rangdifferenz" aller solcher Normen zur Kompetenznorm auszugehen. Folglich kann man meist unterstellen, daß sie denselben Rang haben, es sei denn, daß etwas anderes bestimmt ist (vgl. noch unten). So geht man beispielsweise davon aus, daß sämtliche auf der Grundlage einer Verfassungsnorm gesetzten Normen denselben Rang haben. Das Lex superior-Prinzip bietet insofern keine Hilfe bei zwischen ihnen auftretenden Konflikten. In einigen Rechtssystemen operiert man dann mit anderen Prioritätsprinzipien, wie beispielsweise, daß neuere Gestze ältere verdrängen, oder daß Spezialregeln generelleren Regeln vorangehen. Normalerweise werden die Rangverhältnisse als transitiv angesehen. Hat also die Norm A denselben Rang wie die Norm B, und Β einen höheren Rang als die Norm C, dann hat auch A einen höheren Rang als C. Eine auf der Rechtsgrundlage eines Gesetzes ergangene Bestimmung muß nach dieser Sicht nicht nur hinter der Kompetenzregel im Gesetz zurücktreten, die als Rechtsgrundlage gedient hat, sondern auch hinter anderen Bestimmungen in denselben und anderen Gesetzen. Es gibt Ausnahmen von den dargestellten Rangordnungsprinzipien, weil der Inhaber der Normsetzungskompetenz häufig ebenfalls über die Kompetenz verfügen wird, den Rang der von ihm gesetzten Normen festzulegen. Nach norwegischem Recht kann beispielsweise der Gesetzgeber, wenn er eine Norm setzt, festlegen, daß sie einer anderen Norm vorgehen (oder hinter eine andere Norm zurückweichen) soll. Über entsprechende Möglichkeiten verfügen auch andere Organe, die über Normsetzungskompetenz disponieren. Ebenfalls kann festgelegt werden, daß die gemäß einer gesetzten Norm ergangenen Normen einen anderen Rang haben sollen, als eigentlich aus den obengenannten Prinzipien folgen würde. So kann beispielsweise per Gesetz bestimmt werden, daß gemäß des Gesetzes ergangene Verordnungen Gesetzesbestimmungen vorgehen sollen („Derogation"). Allerdings ist die Regelungsvariation von Rangordnungen begrenzt. Erstens kann der Gesetzgeber in der Regel nicht seine eigene zukünftige Kompetenz begrenzen. Zwar kann ein Gesetz bestimmen, daß Verordnungen, die in einem Gesetz ihre Rechtsgrundlage haben, gesetzlichen Normen vorgehen sollen - eingeschlossen neueren Gesetzbestimmungen. Aber der Gesetzgeber kann nicht auf diese Weise seine Kompetenz aufgeben, später irgend etwas anderes zu bestimmen, wie beispielsweise seine Derogationsvoll-
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Kap. 9: Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse
macht zu ändern oder ein Gesetz zu beschließen, das ganz explizit den erwähnten Verordnungen vorgehen soll. Zweitens kann ein Gesetzgeber keinem anderen Organ die Kompetenz erteilen, höherrangige Normen zu setzen als der Gesetzgeber selbst. Ein Gesetz kann zwar regeln, daß gemäß seiner Kompetenznormen erlassene Verordnungen gesetzlichen Normen vorgehen sollen, nicht aber, daß sie den grundgesetzlichen Normen vorgehen sollen. Was hier für das norwegische Recht gesagt wurde, muß nicht für sämtliche Rechtssysteme gelten. So kann die Zulässigkeit der Abweichung von einer „Standard"-Rangordnung enger eingegrenzt oder gänzlich ausgeschlossen sein. Theoretisch wäre auch denkbar, daß solche Abweichungsmöglichkeit unbegrenzt wäre, so daß jeder Inhaber von Normsetzungskompetenz die von ihm gesetzten Normen den Rang geben könnte, den er für richtig hielte. Doch würde eine solche Regelung leicht dazu führen, daß die obenerwähnten Funktionen von Rangordnungen nicht erfüllt würden. Die erwähnten Prinzipien liefern nicht Rangordnungen für sämtliche gesetzten Normen innerhalb eines Rechtssystems. Wenn man nicht für zwei Normen die Abstammungslinie zurückverfolgen kann bis zu derselben Kompetenznorm, enthalten die genannten Prinzipien keinen Ansatzpunkt, wie das Rangverhältnis zwischen ihnen bestimmt werden soll. Ebenfalls ist die Reichweite der Prinzipien bezüglich der Normen begrenzt, die sich von ein und derselben Kompetenznorm ableiten. Wie erwähnt, werden danach - wenn keine anderen Regelungen vorliegen - diejenigen Normen als gleichrangig eingestuft, die unmittelbar gemäß der betreffenden Kompetenznorm gesetzt wurden. Diese sollen wiederum im Rang jenen vorgehen, die nur einen mittelbaren genetischen Zusammenhang mit derselben Kompetenznorm aufweisen. Eine denkbare Ordnung könnte darin bestehen, daß man in einem solchen Fall einer Norm einen um so höheren Rang zuerkennt, je weniger Zwischenglieder zwischen ihr und der betreffenden Kompetenznorm liegen. Eine solche Lösung wäre jedoch kaum zweckmäßig, weil die Anzahl der Zwischenglieder häufig recht zufällig ist. Beispielsweise kann einem untergeordneten Gemeindeorgan bisweilen Entscheidungsbefugnis unmittelbar von der gesetzgebenden Versammlung zuerteilt werden, während in anderen Fällen eine derartige Zuteilung über mehrere Glieder erfolgt, wie beispielsweise über die Regierung, ein Ministerium und eine Behörde. Schließlich besteht in der Regel wenig Grund dazu, den von dem betreffenden Organ gesetzten Normen im einen Fall größere Durchschlagskraft zuzubilligen als im anderen. Die Rangverhältnisse zwischen gesetzten Normen können also zweifelhaft sein. Bezüglich der Normen, die sich aus der Praxis ableiten, liefern die oben erwähnten Überlegungen keine Anhaltspunkte für die Rangbestimmung. Doch auch in diesen Fällen kann sich die Notwendigkeit ergeben, Rangordnungsfragen zu entscheiden, z.B. wenn sich die Frage der Änderung oder Aufhebung der betreffenden Norm durch einen formellen Beschluß aktuali-
V I . Das Rangverhältnis zwischen öffentlichen Organen
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siert. In Norwegen - wo wir ein altes Grundgesetz haben (von 1814), in dem in verhältnismäßig geringem Maße formelle Änderungen vorgenommen worden sind - ist das Verhältnis zwischen den höchsten Staatsorganen vielfach durch Normen geregelt, die sich aufgrund von Praxis entwickelt haben. Manche dieser Normen werden als „konstitutionelles Gewohnheitsrecht" angesehen, die nur auf dem Wege geändert werden können, wie es für Grundgesetzänderungen vorgeschrieben ist. Andere Normen haben einen niedrigeren Rang, so daß sie beispielsweise durch ein gewöhnliches Gesetz geändert werden können. Manche werden schließlich als rechtlich unverbindliche „politische Spielregeln " aufgefaßt. Unter welche dieser Kategorien eine Norm zu subsumieren ist, kann oft zweifelhaft sein. Die von uns oben behandelten Fragen zu den genetischen Zusammenhängen und Rangunterschieden sind vereinzelt unter dem Stichwort „Stufenbau der Rechtsordnung" erörtert worden. Die Stufenbaulehre wurde in der rechtstheoretischen Wiener Schule entwickelt, insbesondere von Merkl und Kelsen. Vgl. Merkl (1931), Kelsen (1925, S. 248ff. und 1960, S. 228ff.), Nawiasky (1941, S. 54 - 63), Weinberger (1975, S. 125 - 132) und Zippelius (1980, S. 61f.).
V I . Das Rangverhältnis zwischen öffentlichen Organen Zwischen öffentlichen Organen bestehen ebenfalls Rangunterschiede. Bisweilen sind die Rangverhältnisse eindeutig, wie beispielsweise zwischen oberund unterinstanzlichen Gerichten, oder auch häufig innerhalb von Verwaltungsapparaten. Doch es kann auch durchaus vorkommen, daß ungeklärt ist, welches der beiden Organe den höchsten Rang haben soll. Der Rang eines Organs wird durch seine Kompetenzen und Pflichten bestimmt. Doch kann das aus Kompetenzen und Pflichten zusammengesetzte Geflecht komplex und unüberschaubar sein, so daß nicht immer ein eindeutiges Bild von den Rangverhältnissen sichtbar wird. Wie wir noch sehen werden, kann mit unterschiedlichen Rangkriterien gearbeitet werden, die häufig, aber nicht immer, zusammenfallen. Ein Kriterium für den Vorrang eines Organs (A) vor einem anderen (B) ist in dem Umstand zu sehen, daß A über die Kompetenz verfügt, für B's Tätigkeiten Normen zu setzen. Diese Kompetenz kann mehr oder weniger umfangreich sein. Sie kann darin bestehen, daß Α Β erlassen hat, Β aufheben oder umgestalten kann, daß Α Β Kompetenz zur Setzung von Normen der einen oder anderen Art einräumen - oder entziehen - kann, daß Α Β Pflichten auferlegen kann usw. Wir wollen den Ausdruck „B muß sich nach A richten" als einen gemeinsamen Terminus für solche Kompetenzbeziehungen verwenden. Selbstverständlich kann ein Organ zu mehreren Organen in einem derartigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Ein Verwaltungsorgan kann beispielsweise gegenüber näheren und auch entfernteren Vorgesetzten innerhalb einer Ver-
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Kap. 9: Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse
waltungshierarchie weisungsgebunden sein, muß sich darüber hinaus nach Gesetzen und Haushaltszuweisungen richten, über die die Nationalversammlung zu beschließen hat, und schließlich nach Urteilen, die ggf. über ihre Tätigkeit ergehen. Wenn sich Β nach A richten muß, ergibt sich die Frage, ob sich auch A in gewisser Beziehung nach Β richten muß. für eine Rangordnung ist mit anderen Worten von Bedeutung, ob die Abhängigkeit einseitig oder gegenseitig ist. A m deutlichsten wäre die Rangstufung, wenn sich das eine Organ nach dem anderen richten muß, während es zu dem umgekehrten Fall nicht kommt. Aber selbst wenn ein gewisses gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis bestehen sollte, kann es auf der einen Seite größer als auf der anderen sein. Zahlreiche Arten von gegenseitiger Abhängigkeit können vorkommen. Eine Variante besteht darin, daß beide Organe bei der Durchführung einer Maßnahme mitwirken müssen. Es muß z.B. ein Vorschlag des einen Organs und ein Beschluß des anderen vorliegen, oder ein Beschluß des einen Organs muß von dem anderen akzeptiert werden. Eine andere Variante kann darin bestehen, daß sich Β nach A nur in gewissen Beziehungen richten muß, und A nach Β in anderen. Gerichte müssen sich beispielsweise an Gesetze halten, und der Gesetzgeber muß sich nach den Entscheidungen der Gerichte richten, was im Einzelfall als Recht anzusehen ist. Selbst für den Fall eines eindeutigen Überordnungsverhältnisses, wie z.B. zwischen der Regierung und einem Verwaltungsorgan, das eben von dieser Regierung etabliert wurde und auch von dieser seine hoheitliche Gewalt ableitet, kann es dazu kommen, daß jenes untergeordnete Organ über die Kompetenz verfügt, durch bestimmte Beschlüsse auch die Regierung zu binden. Ein weiteres Rangkriterium besteht darin, nach der externen Durchschlagskraft von Beschlüssen verschiedener Organe zu differenzieren. In diesem Zusammenhang scheint es angemessen, A den Vorrang vor Β einzuräumen, wenn A befugt ist, die Beschlüsse von Β aufzuheben oder abzuändern, oder wenn beide über die Kompetenz verfügen, denselben Normtyp zu setzen, aber bei Unvereinbarkeit die Beschlüsse von A den Vorrang haben. Zusätzlich zu unmittelbaren Herleitungen von Rangunterschieden zwischen zwei Organen, die sich nach den erwähnten Kriterien richten, können auch indirekte Vergleiche relevant sein. Selbst wenn es keine unmittelbaren Relationen zwischen A und C gibt, ist es angemessen, A den Vorrang einzuräumen, wenn beispielsweise A einen höheren Rang hat als Β und Β einen höheren als C oder mit C gleichrangig ist. Weisen alle Kriterien in dieselbe Richtung, bereitet die Rangordnung keine Schwierigkeiten. Aber es kann vorkommen, daß die Beurteilung der Rangordnung aufgrund widersprüchlicher Kriterien erschwert oder gänzlich unmöglich ist, oder daß die Frage uninteressant ist, weil die beiden Organe in unterschiedlichen Bereichen vollkommen unabhängig voneinander arbeiten.
V I . Das Rangverhältnis zwischen öffentlichen Organen
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Neben der Unterscheidung ranghöherer und rangniedriger Organe können wir - wie im Kapitel 7 V erwähnt - auch von „übergeordneten" und „untergeordneten" Organen sprechen. Allerdings kommen diese Begriffe nur in Betracht, wenn ganz spezielle Beziehungen zwischen Organen bestehen, wie beispielsweise, daß das eine Organ das andere kontrolliert und über die Kompetenz verfügt, bindende Weisungen zu erteilen und/oder ihre Beschlüsse zu verändern. Auf Grund des hierarchischen Aufbaus des Staatsapparates wird es auf einer mittleren Ebene in der Hierarchie eine Reihe von Organen geben, die zwar eine gemeinsame Instanz über sich haben, aber jeweils ihre spezifischen untergeordneten Organe. Rangverhältnisse zwischen verschiedenen Organen werden nicht nur durch Normen bestimmt, sondern wirken auch auf den Normbildungsprozeß ein. Es wird beispielsweise bei der Etablierung von neuen Pflichten und Kompetenzen darauf geachtet, wie hoch oder wie tief in der Hierarchie die verschiedenen zu regelnden Tätigkeiten zweckmäßigerweise einzustufen sind. Ist das Verhältnis zwischen zwei Organen in wichtiger Hinsicht verändert worden, wird solch eine Veränderung tendenziell andere Veränderungen nach sich ziehen. Die Entwicklung des Parlamentarismus in Norwegen bietet hierfür ein Beispiel. Nachdem das Parlament sich das Recht gesichert hatte, den Rücktritt der Regierung verlangen zu können, war damit auch die Grundlage für weitere Veränderungen im Verhältnis zwischen den höchsten Staatsorganen gelegt - u.a. für jene allmählich durch die Praxis eingearbeitete Änderung, daß das Parlament der Regierung bindende Weisungen für ihre Machtausübung erteilen kann. Das Rangverhältnis zwischen Organen kann auch für das Rangverhältnis zwischen Normen Bedeutung bekommen. In Ermangelung von sicheren Anhaltspunkten für die Rangordnung von Normen erscheint es sinnvoll, den Rang der Organe, die die Normen gesetzt haben, miteinzubeziehen. Insbesondere bietet sich dies bei Organen an, die einander unmittelbar über- oder untergeordnet sind. Die Etablierung solcher Rangbeziehungen zwischen Organen und zwischen Normen, die von uns erörtert worden sind, stellen einen wichtigen Faktor in der Organisation eines Staatsapparates dar. Daß untergeordnete Organe sich in einem gewissen Umfange nach übergeordneten Organen richten müssen, so daß sich „Befehlsstränge" vom höchsten Staatsorgan bis hinunter zum niedrigsten Organ bilden, ist eine Voraussetzung für eine leidlich koordinierte Staatsordnung. Allerdings ist bekanntlich politisch höchst umstritten, wie hoch der Grad der Zentralisierung und des Dirigismus sein sollte, und wie diese politisch umzusetzen sind. Stichworte wie Machtverteilung, Dezentralisierung, Gemeindeselbstverwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, Effektivität und Rechtssicherheit weisen auf Probleme hin, die in diesem Zusammenhang auftauchen.
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Kap. 9: Dynamische Zusammenhänge und Rangverhältnisse
Zusammen tragen genetische Zusammenhänge, Rangordnungen und Prinzipien für die Lösung von Konflikten zwischen Normen dazu bei, die Elemente zu einem System mit einer bestimmten hierarchischen Struktur zusammenzubinden. Wie wir bereits erörtert haben, sind dies allerdings nicht die einzigen systemprägenden Faktoren. Es gibt auch andere Bindeglieder zwischen Elementen (Kopplungszusammenhänge, Relationen zwischen Positionen und operativen Zusammenhängen). Betrachten wir diese, treten andere strukturelle Merkmale in den Vordergrund.
Kapitel 10
Kennzeichen, Grenzen und Identität von Rechtssystemen I. Einleitung In diesem Kapitel werden wir uns u.a. mit der klassischen Frage befassen: „Was ist Recht?" - allerdings in anderer Weise als gemeinhin üblich. Die meisten Autoren, die diese Frage erörtern, gehen vom Begriff der Rechtsnorm (oder Rechtsregel) aus und fragen dann danach, was diese Normen z.B. von Moralnormen, Bräuchen, Spielregeln und Organisationssatzungen unterscheidet. Teils hat man dabei nach inhaltlichen Unterschieden gesucht, teils hat man unterschiedliche Sanktionen bei Normverletzungen als Kriterien betont usw. Die großen Meinungsverschiedenheiten in diesen Fragen zeigen, wie schwierig es ist, geeignete Unterscheidungskriterien zwischen Rechtsnormen und anderen Normen zu entwickeln. Allen Rechtsnormen ist jedoch eines gemeinsam - sie gehören zu irgendeinem Rechtssystem. Auch wenn sich andere Normen anführen lassen, die als Systemelemente fungieren (z.B. Spielregeln und Organisationssatzungen), so ist es unserer Meinung nach einfacher, zwischen verschiedenen Normsystemen zu unterscheiden als zwischen Einzelnormen. Wir gehen daher vom Begriff des Rechtssystems (d.h. der Rechtsordnung) aus. Unser Vorverständnis hinsichtlich der Zuordnung von Systemen zu dieser Kategorie setzt u.a. voraus, daß die nationalen Rechtsordnungen, denen wir unsere Beispiele entnommen haben, z.B. das norwegische und das deutsche Recht, als „Rechtssysteme" gelten können. Der Systemcharakter von Rechtsordnungen folgt aus den vielen verschiedenen Zusammenhängen zwischen ihren Einzelnormen und Aktivitäten. Solche Zusammenhänge sind bereits ausführlich beschrieben worden, werden aber im Abschnitt I I zusammengefaßt. Aufbauend auf dieser Zusammenfassung werden wir im Abschnitt I I I zur Abgrenzung des Begriffes „Rechtssystem" Stellung nehmen. Hier wird u.a. diskutiert, ob Gewaltmonopol, Staatlichkeit und ethische Minimalanforderungen als Begriffsmerkmale aufgestellt werden sollen. In diesem Zusammenhang gehen wir u.a. auf die Frage ein, ob Völkerrecht, organisationsinterne Normsysteme und Ordnungen sozialer Kontrolle in primitiven Gesellschaften zu „Rechtssystemen" gerechnet werden können.
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Kap. 10: Kennzeichen, Grenzen und Identität von Rechtssystemen
Im Abschnitt I V schließt sich eine Erörterung der Frage an, wie einzelne Rechtssysteme abzugrenzen sind, was also zum System gehört. Hier werfen wir u. a. die Frage auf, welche Normen dem System zuzurechnen sind. Was als Rechtsnorm gelten soll, ist für uns also eine Frage der Systemzugehörigkeit. Ein ähnlicher Ansatz findet sich bei Peczenik (1975, S. 4): „When we say that a rule is a valid legal rule we mean that it belongs to a valid legal system", Weinberger (1971 und 1972, S. 138): „Normen gelten als Bestandteile eines Normensystems" und Raz (1970, S. 2), der u. a. schreibt: „It is a major thesis of the present essay that a theory of legal system is a prerequisite of any adequate definition of „a law", and that all the existing theories of legal system are unsuccessful in a part because they fail to realize this fact." 1 Wenn wir einen solchen Ansatz für zweckmäßig halten, so bedeutet dies nicht, daß wir von Zugehörigkeitskriterien eine klare Kennzeichnung erwarten, was Rechtsnormen sind und was nicht. Ganz im Gegenteil beabsichtigen wir mit unserer Darstellung den Nachweis, daß die Grenzen zwischen Rechtssystemen und ihren Umwelten fließend sind. In den beiden letzten Abschnitten (V und V I ) greifen wir einige Identitätsfragen auf, d.h. Fragen, was als ein Rechtssystem gelten soll und nicht als mehrere. Wir stellen sowohl die Frage nach zeitlicher Identität, d.h. ob z.B. norwegisches Recht von heute und vor 200 Jahren zum gleichen System gehört, als auch Individuationsfragen wie z.B., ob Völkerrecht und nationales Recht als ein Gesamtsystem aufgefaßt werden können. I I . Elementbindungen in Rechtssystemen Rechtssysteme werden normalerweise als dauerhaft aufgefaßt. Auch wenn im Laufe des Jahres neue Gesetze ergehen, andere aufgehoben und geändert werden, geht man gemeinhin davon aus, daß Norwegen das gleiche Rechtssystem besitzt wie im Vorjahr. In unserer Erörterung von systembildenden Elementbindungen stehen wir also eigentlich vor zwei Fragen. Einerseits kann man nach Elementbeziehungen zu einem fixen Zeitpunkt fragen, andererseits nach Beziehungen zwischen gegenwärtigen und früheren Zuständen. Mit einem „Schnitt" (oder strenggenommen: „Synchronschnitt") meinen wir den totalen Systeminhalt zu einem gegebenen Zeitpunkt. Einen derartigen Schnitt liefert eine Momentaufnahme, z.B. des norwegischen Rechts am 4.5.1979. Die Idee, zwischen synchronen und diachronen Zusammenhängen zu unterscheiden, haben wir von Raz (1970) übernommen. Er unterscheidet (S. 34 - 35, vgl. S. 187ff.) 1 Vgl. auch Taylor (1961, S. 306), der dafür argumentiert, daß nicht inhaltliche Unterschiede darüber entscheiden, ob eine Norm z.B. rechtlich, moralisch oder religiös ist, sondern „which universe of normative discourse is involved when the value judgment is justified".
II. Elementbindungen in Rechtssystemen
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zwischen „a legal system" und „a momentary legal system", welches „all the laws of a system valid at a certain moment" enthält. Wir beschäftigen uns zunächst mit einigen derjenigen Faktoren, die Elemente eines Synchronschnitts verknüpfen und strukturieren. Dieselben Faktoren tragen im übrigen auch dazu bei, zeitliche Kontinuität herzustellen. Auf diesen Aspekt kommen wir noch zurück. Ein erster Faktor sind die Rechtssystemen eigenen normativen Sprachen. Diese lassen sich u.a. durch ihre Fachausdrücke kennzeichnen, die teils nur in der Jurisprudenz, teils auch in anderen Zusammenhängen vorkommen, aber in der Rechtssprache besondere Bedeutungen besitzen - wie z.B. „Recht", „Pflicht", „Schuld", „Strafe". Wichtiger ist allerdings eine andere Eigenschaft der Rechtssprache, die bereits in Kapitel 7 ( I I und I V ) beschrieben wurde: daß die einzelnen Normen und Normfragmente als Bausteine dienen, die sich in verschiedener Weise zusammensetzen lassen. Solche Koppelungsmöglichkeiten werden von den Auslegungsprinzipien des jeweiligen Rechtssystems geregelt. Die Kombinationsmuster vieler verschiedener Rechtssysteme - sowohl skandinavischer, kontinental-europäischer und anglo-amerikanischer - ähneln einander jedoch in auffallend hohem Grade. Innerhalb des einzelnen Rechtssystems tragen die erwähnten Eigenschaften der Sprache dazu bei, den Normstoff als ein zusammenhängendes Ganzes zu gestalten. Der Komplexität konstruierbarer Sinneinheiten sind kaum Grenzen gesetzt. Dafür findet man anschauliche Beispiele in den Versuchen Benthams, Kelsens u.a. (vgl. Kapitel 7 I V ) einer Konstruktion vollständiger Normen. Vollständigkeit bedeutet hier, daß alle Bedingungen berücksichtigt werden, die direkt oder indirekt für eine Lösung von Rechtsfragen von Bedeutung sein können. Solche Normen können ungemein umfangreich sein, und in verschiedener Weise ineinandergreifen. Koppelungen können auch die Systemgrenzen übergreifen, z.B. in Hinweisen des internationalen Privatrechts auf fremdes Recht, oder in Hinweisen des Gesetzes auf „gute Sitten". Da es aber mehr und in der Praxis wichtigere interne als externe Koppelungsmöglichkeiten gibt, tragen die Koppelungsmöglichkeiten trotzdem zur Markierung von Übergängen bei. Außer den besprochenen sprachlichen Strukturen besitzt das Rechtssystem auch je nach Ansatzpunkt verschiedene andere Strukturen. Aus einer solchen Perspektive besteht das Recht aus einem Satz von Positionstypen, wie z.B. Eigentümer, Richter, Schuldner und Verurteilter. Solche Positionen basieren auf Normen und sind untereinander durch ein Gefüge normativer Beziehungen miteinander verknüpft - wie z.B. Anspruch - Pflicht oder Kompetenz-Abhängigkeit. Positionen wie z.B. „Aktiengesellschaft" oder „Bundestag" besitzen in der Regel auch eine innere Normstruktur, welche die Positionen von Einzelpersonen innerhalb der kollektiven Einheit
1 7 4 K a p . 10: Kennzeichen, Grenzen und Identität von Rechtssystemen
angibt. Solche Rechtspositionen sind im Kapitel 7 V bereits näher erörtert worden, und im Kapitel 9 V I haben wir auf Rangordnungen und den daraus resultierenden Pyramidenaufbau von solchen Positionen hingewiesen, die mit öffentlichen Befugnissen ausgestattet sind. Das Bild, das man sich vom Rechtssystem macht, wenn man es als ein Beziehungsgefüge von Positionen betrachtet, stellt in gewisser Hinsicht seine „Anatomie" dar. Das System besitzt aber auch seine „Physiologie", die von der Regelung von Aktivitäten durch operative Normzusammenhänge handelt, wie sie im Kapitel 9 I I beschrieben worden ist. Wir haben bisher unsere Aufmerksamkeit auf Faktoren beschränkt, die zu einem festen Zeitpunkt zu einer Bindung der Systemelemente beitragen. Da aber diese Bindungen dem Rechtssystem Strukturzüge verleihen, die sich nur langsam und schrittweise ändern lassen, tragen sie auch zu dessen Kontinuität über Zeit bei. Auch wenn Einzelnormen häufig geändert werden mögen, so bleiben die bereits erwähnten Besonderheiten der rechtlichen Normsprache weitgehend erhalten. Gleiches gilt für die Beziehungsgefüge von Rechtspositionen und Aktivitätstypen und für den hierarchischen Aufbau von Organen und Normen. Auch wenn die Positionsinhaber wechseln, und einzelne Positionstypen und Aktivitätstypen gelegentlich verschwinden und durch neue ersetzt werden, bleiben die strukturellen Grundmuster über lange Zeiträume relativ unverändert. Das Vorhandensein einer Rechtsprofession trägt stark zur Besonderheit und zur Pflege der erwähnten Struktur bei. Durch ihre Ausbildung und durch gemeinsame Erfahrungen in austauschbaren Verfahrensrollen, erwerben Juristen ein Expertisemonopol und einen gemeinsamen Denkstil, der an neue Juristengenerationen weitergegeben wird. Die im Kapitel 8 V besprochenen Begründungsmuster tragen ebenfalls stark dazu bei, Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden. Dies gilt besonders für zwei Begründungstypen: Erstens gilt dies für Begründungen, die auf bisherige Rechtspraxis oder Gewohnheitsrecht hinweisen. Sie werden besonders in solchen Bereichen angewendet, wo Normen schrittweise und verhältnismäßig langsam entstehen und verändert werden. Geringe Veränderbarkeit trägt natürlich als solche schon dazu bei, Kontinuität herzustellen. Die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird außerdem dadurch gestärkt, daß Tradition als eine gute Begründung für Richtigkeit betrachtet wird. Zweitens kommt auch solchen Argumenten eine Verbindungsfunktion zu, die die Gültigkeit der Normen damit begründet, daß sie gesetzt und nicht aufgehoben sind. Trotz häufiger inhaltlicher Änderungen von Normen wird Kontinuität dadurch gewahrt, daß jede gesetzte Norm auf einer älteren Kompe-
II. Elementbindungen in Rechtssystemen
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tenznorm basiert und solche genetischen Zusammenhänge sich normalerweise weit zurückführen lassen (siehe Kapitel 9 III). Die Begründungsmuster tragen nicht nur zu einer Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit bei, sondern dienen auch dazu, besondere Beziehungen zwischen normativen Elementen im Synchronschnitt zu etablieren. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, daß die Begründungen sich auf die Kompetenznormen der Verfassung und/oder auf Metanormen zurückführen lassen, welche die Entstehung nichtgesetzter und semigesetzter Normen steuern. Das Grundgesetz und die erwähnten Metanormen fungieren dabei sozusagen als Stamm des Rechtssystems, von dem die übrigen Normen abzweigen. Auch wenn zwischen den einzelnen Normen dieses Grundstammes im Recht innere Zusammenhänge bestehen, wollen wir diese nicht als Teile einer einzigen, extrem komplizierten „Rule of recognition" betrachten wie es Hart (1961) vorgeschlagen hat. Für unbegründet halten wir auch Vorstellungen von einer besonderen „Grundnorm", die über dem Grundgesetz steht. Eine derartige „Grundnorm", wie sie von Kelsen und anderen verwendet wird, eignet sich nicht zur Begründung der Geltung des Grundgesetzes (vgl. Kap. 8 V). Wie wir später noch sehen werden, hilft solch eine Grundnorm auch nicht bei Stellungnahmen zu Abgrenzungs- und Identitätsfragen. Im Unterschied zu Hart meinen wir nicht, daß Verfassungen und die erwähnten Metanormen notwendigerweise als letztes Glied in den Begründungsketten fungieren, in denen sie auftreten. Sie können durchaus selbst Begründungsgegenstand sein, u. a. in Hinweisen auf die Anerkennung ihrer Anwendungsprodukte als Rechtsnormen (siehe Kapitel 8 VII). Der Umstand aber, daß sie nicht unbedingt als „letztes Argument" für Rechtsgeltung dienen, widerspricht unterdessen nicht ihrer zentralen Bedeutung als Bindungsfaktor im Rechtssystem. Unsere Distanz zu den erwähnten Auffassungen von Hart und Kelsen haben wir in Eckhoff / Sundby (1975) näher begründet. Siehe auch Kulenkampff(1977), der Kelsens Betrachtungsweise gegen unsere und andere Kritik verteidigt, uns allerdings in einem Punkt mißversteht (S. 517). Finnis (1973) stellt eine Reihe von anregenden Betrachtungen zur Kontinuitätsfrage an, vgl. besonders S. 66 - 70. Er verwirft, unserer Meinung nach mit Recht, die Auffassung, Kontinuität basiere auf bestimmten Regeln oder Regelsätzen wie z.B. das Grundgesetz, Kelsens „Grundnorm" oder Harts „Rule of recognition". Vergleiche zu dieser Frage auch Stone (1964, besonders S. 210), der die Bedeutung der Bindung an Präjudizien für die Kontinuität hervorhebt.
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Kap. 10: Kennzeichen, Grenzen und Identität von Rechtssystemen
I I I . Der Begriff „Rechtssystem" Im vorigen Abschnitt beschäftigten wir uns mit einigen Grundzügen solcher nationalen Rechtsordnungen, die wir als typische Rechtssysteme betrachten. Die Frage, ob diese Züge als notwendige und hinreichende Kennzeichen des Begriffes betrachtet werden sollen, steht aber noch aus. Einerseits kann man sich Systeme vorstellen, die zwar die bereits besprochenen Kennzeichen besitzen, die wir aber kaum als „Rechtssysteme" bezeichnen würden. Andererseits sollten vielleicht einige Systeme, denen einzelne der erwähnten Kennzeichnen fehlen, trotzdem in unseren Begriff einbezogen werden. Um solche Fragen geht es in diesem Abschnitt, Unsere diesbezüglichen Standpunkte sind kaum von grundsätzlicher Bedeutung. Die Frage, was man zum „Rechtssystem" rechnen soll, muß primär nach Zweckmäßigkeitskriterien entschieden werden. Die Antwort hängt vom Darstellungszweck ab. Uns liegen zwei Rücksichten besonders am Herzen zunächst wollen wir uns nicht zu weit vom üblichen Sprachgebrauch unter Juristen entfernen. Wo diese Rücksicht Spielräume zuläßt, fungiert unser analytisches Interesse für die erwähnten Interaktionen zwischen Normen und Aktivitäten als Auswahlkriterium. Die Frage, ob die im vorigen Abschnitt erwähnten Kennzeichen von uns als notwendig betrachtet werden, läßt sich recht kurz beantworten. Es kommt zwar nicht auf alle erwähnten Einzelheiten an, aber die Hauptmerkmale müssen vorliegen, wenn man von Rechtssystemen sprechen will. Zu den Hauptzügen rechnen wir systemeigene Normsprachen mit einem Geflecht normativer Positionen und operativer Zusammenhänge, eingebaute Möglichkeiten der Erzeugung und autoritativen Interpretation von Normen und mehr oder weniger klare Kriterien für Systemzurechenbarkeit. Das Völkerrecht erfüllt z.B. nach unserer Überzeugung diese Anforderungen. Auch ohne einen völkerrechtlichen Gesetzgeber ermöglichen multilaterale Verträge und die Anerkennung von Gewohnheitsrecht allgemeine Normbildungen. Außerdem bieten völkerrechtliche Rechtsquellenprinzipien jedenfalls gewisse Anhaltspunkte für Systemzurechnung. Demgegenüber fällt ein Großteil des sogenannten „primitiven Rechts" nicht unter unseren Begriff. Aber dies schließt nicht aus, daß es etwa in anthropologischen Untersuchungen von Konfliktlösung und Normanwendung in verschiedenen Kulturen zweckmäßig sein mag, mit einem weiteren Rechtsbegriff zu arbeiten. Die Frage, ob die erwähnten Kennzeichen hinreichend sind, erfordert eine etwas eingehendere Behandlung. Es scheint naheliegend, die zusätzliche Bedingung zu stellen, daß das System eine direkte oder indirekte Verbindung mit einem oder mehreren Staaten besitzt. Daraus folgt, daß in erster Linie nationale Rechtsordnungen
I I I . Der Begriff „Rechtssystem"
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unter den Begriff fallen, und diesen gilt hier unser Hauptaugenmerk. Außerdem werden das zwischenstaatliche Völkerrecht und die in internationalen Organisationen, wie z.B. der EG, entwickelten Rechtssysteme einbezogen.2 Normensysteme nicht-staatlicher Organisationen wie z.B. Industriebetrieben oder politischer Parteien betrachten wir demgegenüber nicht als Rechtssysteme, selbst wenn sie die im Abschnitt I I angeführten Kennzeichen aufweisen. Ob sie als Teile staatlicher Rechtssysteme gelten können, wird in Abschnitt I V erörtert. Für die erwähnte Abgrenzung des Begriffes sprechen außer üblichem Sprachgebrauch auch andere Gründe. Staaten - und hier denken wir eher an den soziologischen als den juristischen Staatsbegriff - unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von anderen Organisationen. Sie verfügen über Leistungsorgane mit umfangreicheren und vielseitigeren Aufgaben als irgendein anderer Organisationstyp und „herrschen" über Territorien. Das Verhältnis zwischen einem Staat und seinem Territorium äußert sich u. a. darin, daß alle Personen mit einer näher bestimmten Beziehung zum Staatsgebiet (z.B. Wohnsitz oder Abstammung) im Staat „Heimatrecht" genießen. Außerdem beschränken sich die Staatsorgane in ihrer Tätigkeit weitgehend auf Aktivitäten innerhalb des eigenen Territoriums und gelten in der Regel dort als höchste legitime Gewalt. Sie können andere organisierte Tätigkeit normieren, ζ. B. durch Gesetzgebung für Aktiengesellschaften, Vereine u.ä., während ihre eigene Tätigkeit normalerweise keinen Normierungen fremder Organisationen unterliegt. Daß z.B. politische Parteien und mächtige Konzerne die Leitung eines Staates tatsächlich stark beeinflussen können, ist eine andere Sache. Wir bedürfen hier keiner strikten Abgrenzung des Staatsbegriffs. Eine solche Bestimmung müßte zu erforderlichen Merkmalen des organisatorischen Apparates Stellung nehmen sowie zur Reichweite und Stärke seines Einflusses und zu seiner Unabhängigkeit von anderen Machtzentren innerhalb und außerhalb des Staatsgebiets. In jeder dieser Fragen bestehen fließende Übergänge. Daher geraten Grenzziehungen zwischen Staaten und Nicht-Staaten gelegentlich willkürlich - einige dieser Fragen werden wir noch im Abschnitt V berühren. Zwischen der Staatsgewalt und dem staatlichen Rechtssystem besteht ein enger Zusammenhang. Rechtsnormen geben u.a. an, wer staatliche Befugnisse besitzt und worauf sich jene beziehen. Trotzdem läßt sich das rechtliche Normsystem nicht gleichsetzen mit dem Normkomplex, der die Regierungs-
2 Wir betrachten auch das kanonische Recht des Mittelalters als ein Rechtssystem, auch wenn dadurch unsere Begriffsbestimmung recht weit gedehnt wird. Die katholische Kirche läßt sich kaum als „Staat" bezeichnen, trotz gewisser staatsähnlicher Charakteristika. Das kanonische Recht war aber von einer Reihe von Staaten anerkannt und in Einzelfällen als Teil nationalen Rechts übernommen. Vgl. Wieacker (1967, S. 71 - 80). 12 Eckhoff/Sundby
1 7 8 K a p . 10: Kennzeichen, Grenzen und Identität von Rechtssystemen
formen eines Staates regelt. 3 Unter letzteren kann ein Gutteil nicht-rechtlicher Normen fallen, z.B. Satzungen politischer Parteien und verschiedene „politische Spiegelregeln". Andererseits gibt es Rechtsnormen, die weder die Regierungsausübung regeln noch von Staatsorganen festgelegt sind, wie etwa privatrechtliches Gewohnheitsrecht. U.a. aus solchen Gründen liegt es nahe, dem Staat nicht nur ein Rechtssystem, sondern auch ein politisches System zuzuordnen, wobei diese einander teilweise überschneiden. Auf das Verhältnis zwischen Politik und Recht kommen wir im nächsten Kapitel zurück. Es wurde schon erwähnt, daß wir auch das Völkerrecht als ein Rechtssystem ansehen, obwohl dieses weder in so zahlreiche und verschiedenartige Lebensbereiche wie innerstaatliches Recht eingreift, noch über vollständige Normsetzungs- und Normauslegungsapparate verfügt. Viele Sozialsysteme, die wir nicht als Rechtssysteme einstufen, sind in diesen Funktionen dem Völkerrecht überlegen. Das Völkerrecht hat aber Bedeutung für staatliche Verhältnisse, obwohl sein Staatsbezug anderer Art ist als bei den internen Rechtssystemen. Der Umstand, daß beide Systeme den Staat als gemeinsamen Bezugspunkt haben, trägt zu Ähnlichkeiten und Zusammenhängen bei. 4 Ein weiterer wichtiger Faktor liegt in weitgehend analogem Aufbau. Internrechtliche Begriffe und Naturrechtsvorstellungen mit starken Bezügen zu internen Rechtsordnungen haben als Muster für die Entwicklung des Völkerrechts gedient. Daraus folgt eine weitreichende Ähnlichkeit der Terminologie und Ideologie, Normformulierung und Auslegungsmethoden, von Normzusammenhängen und Begründungsmustern bei Entscheidungen. Dabei hat es sicher eine Rolle gespielt, daß die gleichen Professionen, Juristen und Politiker, besonders aktiv an der Ausformung sowohl der nationalen als auch der internationalen Rechtsordnungen mitgewirkt haben. Die gleichen Gründe, die für eine Einbeziehung des Völkerrechts sprechen, stützen auch eine Einbeziehung der Rechtsordnungen einiger solcher internationaler Organisationen, deren Mitglieder Staaten sind. Bei der Entscheidung der Frage, welche von diesen hier einzubeziehen sind, ist die Frage, was nun als „Recht" gelten soll, weniger problematisch. Mehr zweifelhaft ist, ob von eigenen Rechtssystemen die Rede sein kann oder ob es sich lediglich um Bestandteile nationalen Rechts oder des Völkerrechts handelt. Wir wollen solche Ordnungen als eigene Rechtssysteme betrachten, vorausgesetzt, daß die jeweilige Organisation über eigene Normsetzungs- und Auslegungsapparate 3 Wir halten also „Recht" und „Staat" nicht für identisch, so wie Kelsen (1960, S. 289ff.); der Unterschied kann allerdings damit zusammenhängen, daß Kelsen mit einem juristischen und nicht mit einem soziologischen Staatsbegriff operiert. Zum Verhältnis zwischen Recht und Staat kann im übrigen auf Raz (1971) verwiesen werden, der u. a. Benthams, Austins und Kelsens abweichende Auffassungen zu dieser Frage erörtert, außerdem auf Peczenik (1972, S. 217 - 219) und Rehfeldt (1966, S. 40 42 und 320ff.). 4 Siehe hierzu Baum (1970, S. 265 - 274).
III. Der Begriff „Rechtssystem"
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verfügt, jedenfalls wenn diese einigermaßen weitgehende Kompetenzbereiche haben wie z.B. in der Europäischen Gemeinschaft. Selznick (1969) hat dafür optiert, auch die Normensysteme von Industriebetrieben als eigene Rechtssysteme zu betrachten. Hierin werden wir ihm nicht folgen - teils, weil wir nur ungern vom üblichen Sprachgebrauch abweichen, teils, weil solche Systeme sich in mehrfacher Hinsicht von staatsbezogenen Systemen abheben. Gewisse Ähnlichkeiten werden indes nicht bestritten. Die Leitung größerer Betriebe besitzt in der Regel einen hierarchischen Aufbau, mit Hauptversammlung, Vorstand, Abteilungsleitern, Bürovorstehern, Werkmeistern, Vorarbeitern usw. Außerdem findet man hier oft Normen für Normbildung und Normauslegung, die staatlichen Strukturen in einem gewissen Grade entsprechen. Solche Ähnlichkeiten zwischen Staaten und anderen Organisationen laden naturgemäß zu Vergleichen ein, die nicht nur von theoretischem, sondern auch von praktischem Interesse sein können. Wer Reformen des Rechtssystems oder betrieblicher Organisationen anstrebt, kann oft durch einen Blick über den Zaun wertvolle Anregungen finden. U. a. gilt dies für Versuche einer Demokratisierung der Arbeitswelt, die vom staatlichen Rechtssystem Impulse erhalten können. Bei einer derartigen Perspektive wäre die Verwendung des Rechtsbegriffes für Normensysteme von Betrieben (und anderen Großorganisationen) vielleicht zweckmäßig - ein solcher Sprachgebrauch könnte diese Systeme vielleicht durch Ideale von Rechtssicherheit und Mitbestimmung beeinflussen. Dies ist unserem Eindruck nach auch Selznicks Hauptmotiv für solch eine weite Verwendung des Begriffes. Luhmann (1972, S. 131 und 256ff.) spricht bei bestimmten nicht-staatlichen Normsystemen ebenfalls von „Recht". Siehe auch Fuller (1969, bes. S. 124 - 129), der die Regelordnungen vieler verschiedener Organisationstypen ebenfalls als „law" betrachtet. Es wird allerdings nicht klar, ob diese für ihn besondere Rechtssysteme konstituieren, oder nur Teile des staatlichen Rechtssystems. Auf die letzte Frage gehen wir im folgenden Abschnitt IV etwas näher ein. Einige Autoren, u.a. Kelsen (1960, S. 34 - 38), Olivecrona (1939, S. 168 175) und Ross (1958, S. 33 - 34, 52 - 53 und 59), betrachten es als ein Kennzeichen von Rechtssystemen, daß ihre Normen auf die Anwendung physischen Zwanges hinweisen und die Anwendung solcher Zwangsmittel monopolisieren. Ein gewisser Zwangsaspekt ist allerdings in allen Normen enthalten - insofern, als sie Individuen trotz Widerwillen zu bestimmten Tätigkeiten veranlassen können. Bloß ist solcher Zwang meist rein physischer Art. Ross und Kelsen betonen daher, daß ein Rechtssystem nur den physischen Zwang monopolisiert. Nach Kelsen (1960, S. 38) „bestimmt die Rechtsordnung in erschöpfender Weise die Bedingungen, unter denen, und die Individuen durch die, physischer Zwang ausgeübt werden soll." Die Anwendung physischen Zwanges kann in Ausnahmefällen auch anderen gestattet sein (z.B. bei Notwehr, Selbsthilfe, elterlicher Kindererziehung). Wenn aber solche Ermächtigung nicht vorliegt, ist die Zwangsanwendung staatlichen Organen vorbehalten. 12*
1 8 0 K a p . 10: Kennzeichen, Grenzen und Identität von Rechtssystemen
Auch Zippelius (1978b, S. 40 - 43) benutzt das Zwangskriterium, allerdings nur für sogenanntes „garantiertes Recht". Er fügt hinzu (S. 42), daß „das vieldeutige Wort ,Recht' auch zur Bezeichnung von Normen verwendet wird, die nicht in dieser Weise garantiert sind, z.B. zur Bezeichnung kirchenrechtlicher, völkerrechtlicher und auch mancher staatlicher Normen deren Durchsetzung nicht in jener Weise gewährleistet ist." Unseres Erachtens ist eine Begrenzung des Rechtssystembegriffs nach Kelsens Kriterien unzweckmäßig. Zwar regeln staatliche Rechtssysteme normalerweise die Berechtigung zu physischer Zwangsanwendung einigermaßen ausführlich und behalten diese im großen und ganzen den staatlichen Behörden vor. Aber durch solche Anforderungen würden Völkerrecht und die Normsysteme internationaler Organisationen ausgeklammert - entgegen den erwähnten Gründen für ihre Einbeziehung. Kelsens Hilfskonstruktion, Repressalien und Krieg als völkerrechtliche Sanktionen zu betrachten (1960, S. 321 - 323), halten wir jedenfalls für äußerst fragwürdig. 5 Man kann noch hinzufügen, daß man bei Verwendung des Zwangsmonopoles als eines hinreichenden Merkmals für Rechtssysteme leicht Systeme einbezieht, die naheliegenderweise nicht darunterfallen sollten. Eine kriminelle Vereinigung kann z.B. über eigene Handhaben und Normen verfügen, die Zwangsanwendung unter ihren Mitgliedern legitimieren. Man kann sich vielleicht auch den (eher unwahrscheinlichen) Fall denken, daß unsere Bandenmitglieder allen nicht subkulturell legitimierten physischen Zwang als illegitim betrachten - , daß also ihr eigenes Normsystem Gewaltanwendung monopolisiert. 6 Abschließend soll erwähnt werden, daß viele Autoren an Recht gewisse stellen. Damit kann teils gemeint sein, daß ethische Mindestanforderungen Einzelnormen nicht als rechtlich gelten können, wenn sie die ethischen Mindestanforderungen nicht erfüllen. 7 Teils kann man damit auch meinen, daß ganze Systeme ausgeklammert werden müssen, wenn sie nicht ethischen Kriterien genügen. Wir beschränken uns hier auf die zweite Frage. Ethische Anforderungen an Systeme können verschiedener Art sein. Einerseits können sie sich auf den Aufbau und die Funktionsweise von Rechtssystemen beziehen. Fuller (1969) operiert mit acht solcher Anforderungen. Sie besagen, daß (1) Recht aus allgemeinen Normen bestehen muß, die (2) für die Öffentlichkeit zugänglich sind, (3) nicht rückwirkend erlassen werden, (4) einigermaßen deutlich sind, (5) keine unlösbaren inneren Widersprüche ent5
Siehe auch Fullers Kritik des Zwangskriteriums (1969, S. 108 - 110). Siehe zu dieser Frage Peczenik (1975, S. 4 - 5). 7 Dieser Standpunkt wird von Radbruch in seinem bekannten Aufsatz von 1946 „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht" (1963, S. 347ff.) vertreten. Eine ausführliche Erörterung der Frage findet man bei Ott (1976, S. 174 - 192). Unsere Beurteilung dieser Frage entspricht der Harts (1961, S. 203 - 207) und Hoersters (1972, S. 125 - 130). 6
I I I . Der Begriff „Rechtssystem"
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halten, (6) nicht Unmögliches verlangen, (7) nicht zu oft verändert werden und (8) im Groben von Behörden ihrem Inhalt entsprechend angewendet werden. Nach Fuller können Systeme, die diese Forderungen nicht erfüllen, nicht als Rechtssysteme gelten (I.e., S. 39). Auch wir betrachten es als ein Begriffsmerkmal, daß Rechtssysteme allgemeine Normen enthalten, obwohl diese bei weitem nicht alle Rechtsprobleme abdecken brauchen. Die anderen erwähnten Punkte wollen wir demgegenüber nicht als Begriffsmerkmale betrachten, sondern als förderliche Funktionsbedingungen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, an die Norminhalte und die Praxis von Systemen ethische Anforderungen zu stellen. Dabei kann man entweder von Moralauffassungen der jeweiligen Gesellschaft oder von eigenen Moralauffassungen (bzw. solchen der eigenen Gesellschaften), oder auch von einer als objektiv gültig angesehenen Moral als Maßstab ausgehen. Vielleicht könnte sich die erstgenannte Alternative empfehlen. Gewisse Zusammenhänge zwischen Recht und Moral einer Gesellschaft lassen sich wohl meist (oder immer) dort unterstellen, wo bereits aufgrund anderer Kriterien „Rechtssysteme" vorliegen. Wir halten solche Zusammenhänge für wichtig, wollen aber nicht ihr Vorliegen als notwendiges Begriffsmerkmal behandeln. Im Rahmen unserer Zielsetzung ist es auch nicht angebracht, Systeme dann auszuklammern, wenn ihre Normen oder Praxis unseren eigenen Moralauffassungen widersprechen. Uns geht es um eine Interaktionsanalyse von Normen und Aktivitäten in solchen komplexen Systemen, die in der Regierung von Staaten und zwischenstaatlichen Angelegenheiten eine wichtige Rolle spielen. Solche Analysen werden nicht dadurch uninterssant, daß man ein System als unmoralisch ansieht. Dies gilt auch dann, wenn man objektiv gültige Moralnormen für verletzt hält. Das Wort „Rechtssystem" wird in diesem Buch also wertneutral verwendet. Demgegenüber haben wir nichts gegen positiv wertende Rechtsbegriffe einzuwenden, wo man nicht Zusammenhänge analysiert, sondern politisch Einfluß nehmen möchte. In politischen Diskussionen mag es durchaus angebracht sein, Verletzungen fundamentaler Gerechtigkeits- und Humanitätsprinzipien seitens eines Regimes im Klartext zu formulieren, etwa indem man einem solchen Normsystem die Eigenschaften eines Rechtssystems abspricht. Bloß wird das Wort „Recht" dann in einer anderen Bedeutung verwendet, als es hier der Fall ist. In der vorausgegangenen Erörterung unserer Verwendung des Rechtssystembegriffs bezogen wir uns vorzugsweise auf bestehende Rechtssysteme. Es kann aber auch von vergangenen Rechtssystemen (z.B. dem Römischen Recht), sowie von gedachten und geplanten Rechtssystemen gesprochen werden. Will man entscheiden, ob ein Rechtssystem zum einen oder anderen dieser erwähnten Typen gehört, so muß man ermitteln, ob es aus gegenwärtig gültigen Normen und gegenwärtig stattfindenden Aktivitäten besteht. Dabei
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genügt es nicht, daß einige normative Aussagen und Handlungsbeschreibungen des Systems bestehenden Normen und faktischen Aktivitäten entsprechen. Dazu muß die Menge gegenwärtiger Elemente zusätzlich einen hinreichend vollständigen Schnitt eines Systems konstituieren, das seinerseits unseren Kriterien von Rechtssystemen entspricht. Auf die Frage, unter welchen Bedingungen ein Kontinuitätsbruch, d.h. Systemverfall und Systemersatz unterstellt werden kann, kommen wir im Abschnitt V I zurück.
I V . Zurechnungsfragen bei Rechtssystemen Im Abschnitt I I wurde auf einige Faktoren hingewiesen, die zu einer Verknüpfung der Elemente von Rechtssystemen beitragen. In diesem Zusammenhang wurde bereits angedeutet, welche Momente Rechtssysteme als unterscheidbares Ganzes konstituieren. Eine eingehende Erörterung solcher Abgrenzung steht noch aus. Diese Aufgabe unterscheidet sich von der Aufstellung von Begriffsmerkmalen. Solche Merkmale geben an, welche Mindestbedingungen gegeben sein müssen, um von Rechtssystemen sprechen zu können. Damit ist das Abgrenzungsproblem allerdings noch nicht gelöst, denn ein System kann seine Mindestanforderungen überfüllen. Rechtssysteme als dauerhafte Systeme werfen zwei Arten von Abgrenzungsproblemen auf. Ein erstes gilt zeitlichen Abgrenzungen, d.h. von welchem Zeitpunkt an es besteht und wann es aufhört zu bestehen - diese Frage vertagen wir auf Abschnitt VI. Hier erörtern wir System-Umwelt-Abgrenzungen zu gegebenen Zeitpunkten. Klare und trennscharfe „natürliche" Grenzen gibt es nicht - in allen Richtungen trifft man auf fließende Übergänge zwischen klar systeminneren und klar systemäußeren Phänomenen. Grenzziehungen setzen daher oft recht willkürliche Entscheidungen voraus. Uns geht es statt dessen auf den folgenden Seiten eher um eine Veranschaulichung fließender Übergänge. Allgemein betrachtet, scheinen drei Kriterien bei Entscheidungen über Systemzugehörigkeiten von Phänomenen besondere Aufmerksamkeit zu verdienen. Erstens kommt es auf die nahe oder ferne Beziehung von Phänomenen zum Grundstamm des Rechtssystems an (vgl. Abschnitt II), also zu grundgesetzlichen Kompetenzregeln und Rechtsquellenprinzipien. Zweitens, ob ein Phänomen nur mit diesem Grundstamm verbunden ist oder auch mit systemäußeren Faktoren, und wie stark solche Verbindungslinien ggf. sind. Drittens, ob ein Phänomen eine gewisse Permanenz besitzt und im System dauerhafte Spuren hinterläßt. Normen und Aktivitäten, denen solche Eigenschaften fehlen, sollte man oft weniger als Systemteile und eher als Systemprodukte betrachten.
I V . Zurechnungsfragen bei Rechtssystemen
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Von denkbaren Aktivitäten sollen Gesetzgebung und Gerichtstätigkeit naturgemäß zum System gerechnet werden. Verwaltungsentscheidungen, die zur Festsetzung allgemeiner Normen führen oder als wesentliche Präzedenzen berücksichtigt werden, lassen sich wohl ebenfalls dazurechnen. Die Einordnung anderer verwaltungsrechtlicher Einzelfallentscheide ist eher zweifelhaft. Private Vertragsabschlüsse sollten wohl als systemäußere Aktivitäten betrachtet werden, die allerdings vom Rechtssystem beeinflußt werden. Als systemäußerlich betrachten wir auch private Tätigkeiten, die das System beeinflussen, wie z.B. gewohnheitsrechtsbildende Verkehrssitten oder Argumentationen, welche Gesetzgebung anregen und hervorrufen. Trotz solcher groben Einordnungen bleiben gewisse Zweifelsfälle - wie soll man z.B. die Teilnahme an Gesetzgebungsverfahren von dessen äußerer Beeinflussung abgrenzen? Mitglieder und Sachverständige in öffentlich eingesetzten Gesetzgebungsausschüssen lassen sich wohl in der Regel als Teilnehmer betrachten aber gilt dies auch für Repräsentanten involvierter Interessenverbände? Bei Normen liegt es nahe, auf ihre potentielle Bedeutung als Prämissen systeminnerer Entscheidungen abzustellen. Mit diesem Ausgangspunkt sehen wir, jedenfalls im allgemeinen, nur generelle Normen als Systembestandteile an, während individuelle Normen als Erzeugnisse der Systemtätigkeit gelten sollen, also nicht als deren Bestandteile. Daher stufen wir z.B. die generellen Normen des Präjudizienrechts als systemzugehörig ein, im Gegensatz zu individuellen Normen, die Urteile für die Parteien des einzelnen Rechtsfalles festsetzen. Zwar können auch solche Normen als Prämissen für spätere Entscheidungen fungieren, z.B. wenn in einem neuen Fall die Rechtskraft des Urteils auf die Probe gestellt wird. Solche Fälle unterscheiden sich jedoch von den potentiell dauerhaften und weitreichenden Konsequenzen genereller Normen für spätere Systementscheidungen. Normen, die systeminterne Entscheidungsbefugnisse zuordnen, befinden sich jedoch in einer Sonderstellung. Selbstverständlich gelten generelle Normen für die Ernennung von Personen für kompetente Positionen als Systemelemente. Man kann sich allerdings fragen, ob nicht auch individuelle Normen, die konkreten Personen solche Positionen zuordnen, z.B. Wahl eines Bundeskanzlers oder Ernennung eines Richters - , hinzugerechnet werden können - denn solche individuelle Normen können als Grundlage für spätere Entscheidungen von weitreichender Bedeutung sein. Wir begnügen uns damit, diese Frage aufzuwerfen, denn wir messen ihrer Beantwortung nur geringe Bedeutung bei. Welche generelle Normen als relevante Entscheidungsprämissen gelten können, hängt zum großen Teil von Metanormen ab, die in verschiedenen Rechtssystemen unterschiedlichen Inhalt haben können. Diesbezügliche Fragen wurden bereits erörtert (u. a. in den Kap. 3 I V und 8 V) und werden hier nicht weiter verfolgt. Wir betrachten diese Metanormen als zentrale Bestandteile des jeweiligen Systems. Außerdem betrachten wir die metanormgemäße Relevanz von Normen als Entscheidungsprämissen als eine notwendige
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Bedingung für deren Systemzugehörigkeit. Dies ist allerdings noch keine hinreichende Bedingung - es gibt mehrere Normen, die man trotz ihrer Relevanz als Grundlage von Rechtsentscheidungen kaum dem jeweiligen Rechtssystem zurechnen würde. Einige solcher Normen betrachten wir als externe, weil sie trotz gelegentlicher Anwendung eigentlich mit einem anderen Rechtssystem näher verwandt sind. Dies gilt z.B. für ausländische Rechtsnormen, die vermittels internationalen Privatrechts zur Anwendung kommen. Demgegenüber muß man wohl Völkerrechtsnormen, die nationalem Recht einverleibt sind - entweder durch eine allgemeine Grundgesetzbestimmung wie im Art. 25 GG oder durch einen Transformationsakt - einerseits dem Völkerrechtssystem und andererseits gleichzeitig dem jeweiligen nationalen Rechtssystem als Bestandteile zurechnen. Obwohl das norwegische Grundgesetz keine Bestimmung wie den Art. 25 GG enthält, wird den allgemeinen Regeln des Völkerrechts auch von norwegischen Gerichten eine gewisse Bedeutung beigemessen, u.a. durch eine Tendenz zur Vermeidung von Konflikten mit Völkerrechtsnormen bei Auslegung norwegischer Gesetze. Es ist allerdings unsicher, wieweit die Gerichte in ihrer Anwendung solcher Völkerrechtsnormen gehen würden, die nicht gesetzlich transformiert sind. Man streitet sich auch darüber, ob solche Normen dem norwegischen Recht zugerechnet werden können. 8 Rechtssysteme grenzen auch an nicht-rechtliche soziale Normen. Zu jenen gehören u.a. solche Wertnormen, die unsere Zweckmäßigkeits- und Gerechtigkeitsvorstellungen prägen. Diese Normen beeinflussen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspraxis. Die anerkannt relevante Berücksichtigung solcher Normen reicht aber nicht aus, um sie dem Rechtssystem zuzuordnen. Ebensowenig akzeptieren wir Verweise von Rechtsnormen auf andere Normen (z.B. auf die „Verkehrssitte" im § 242 BGB) als hinreichende Bedingung für deren Einbeziehung ins Rechtssystem. Aber systemextern entstandene Normen können durch ihre gerichtliche Anwendung und Bearbeitung schrittweise ins System hereingezogen werden. Wegen solcher fließenden Übergänge fällt es schwer, klare Kriterien für Systemzurechnung zu formulieren. Das hat aber wenig zu bedeuten. Die wichtige Frage ist vielmehr, welche Normen bei Entscheidungen als relevant zu berücksichtigen sind. Ob diese nun als „rechtlich" bezeichnet werden oder nicht, ist dabei von sekundärer Bedeutung. Gewisse Abgrenzungsfragen treten auch bei Verträgen auf. Nach unserem Ausgangspunkt gehören die generellen vertragsrechtlichen Normen zum System, die von den einzelnen Vertragsparteien festgesetzten Normen dagegen nicht. Die Ausklammerung vertraglich festgesetzter Normen läßt sich damit begründen, daß es sich hier gewöhnlich um individuelle Normen handelt, die nur geringe Bedeutung als Prämissen für spätere rechtliche Entschei8
Siehe zu diesen Fragen Smith (1968).
V. Systemkonkurrenzen und Teilsysteme
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düngen haben. Im Prinzip gilt dies auch für Verträge mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen, z.B. Gründungen großer Organisationen oder mächtiger Konzerne. Die Existenz privater Organisationen und Gesellschaften kann zwar für spätere behördliche Entscheidungen von wichtiger Bedeutung sein, aber eben vorzugsweise als faktische und nicht als normative Prämisse. Die Normen, die vom einzelnen Betrieb oder der einzelnen Organisation selbst für ihre Tätigkeit festgesetzt werden, wie z.B. Satzungen, Organisationspläne, Arbeitsordnungen usw., betrachten wir als besondere Normsysteme - mit gewissen Verbindungen zum staatlichen Rechtssystem, aber nicht als dessen Bestandteil. Die Frage, ob sich solche Normsysteme als besondere Rechtssysteme klassifizieren lassen, wurde bereits oben im Abschnitt I I I behandelt und verneint. Der Standpunkt, daß vertraglich festgesetzte Normen nicht als Bestandteile von Rechtssystemen gelten, kann kaum ohne Ausnahmen vertreten werden. Normen, die in multilateralen Verträgen festgesetzt werden, sollte man vermutlich zum Völkerrechtssystem rechnen. Ähnlich sollte man auch solche generellen Normen, die in Kollektivverträgen festgelegt werden, vielleicht als Bestandteile des nationalen Rechtssystems betrachten. 9 Durch Gesetz festgelegte Normen sind wohl am ehesten Bestandteile von Rechtssystemen. Aber auch hier können Zweifelsfälle auftreten - ζ. B. grundgesetzwidrige Gesetze oder mangelhafte Verordnungen. Einiges spricht vielleicht dafür, solche Normen - jedenfalls bis zur gerichtlichen Klärung ihrer Ungültigkeit - als (ggf. „kranke") Bestandteile des Rechtssystems zu betrachten. Solche regelwidrigen Normierungsakte können nämlich von gewisser Bedeutung sein. Es kommt auch vor, daß die „Normen" nie angefochten werden und durch ihre faktische Verwendung im Rechtssystem fest verankert werden. Einen anderen Grenzfall stellen aufgehobene Kompetenznormen dar, die als Grundlage gültiger Rechtsnormen ein „Leben nach dem Tode" bewahren (siehe Kap. 8 V). Vielleicht könnte man solche aufgehobenen Normen halbwegs zum Rechtssystem rechnen, da sie immer noch die Gültigkeit früher festgesetzter Normen, aber keine neuen Normfestsetzungen mehr begründen können. V . Systemkonkurrenzen und Teilsysteme Wie schon im Abschnitt I I I ausgeführt wurde, setzt unser Begriff des Rechtssystems einen unmittelbaren oder mittelbaren Staatsbezug voraus, wobei „Staat" als eine Territorium beherrschende Organisation definiert wurde. In diesem Zusammenhang wurde zunächst die Frage ausgeklammert, ob sich mehrere Rechtssysteme auf das gleiche Territorium beziehen können. 10 Auf diese Frage können wir jetzt zurückkommen. 9
Siehe zu diesen Fragen J0rgensen (1968, S. 29 - 33).
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Wir haben diese Möglichkeit bereits dort vorausgesetzt, wo eines der Systeme nur einen indirekten Bezug zum Territorium aufweist, wie z.B. das Völkerrecht oder das Recht internationaler Organisationen. Es fragt sich also, ob sich Fälle denken lassen, wo zwei oder mehr staatliche Organisationen mit ihrem jeweiligen Rechtssystem sich auf dasselbe Territorium beziehen. Die Antwort hängt naturgemäß davon ab, wie strenge Anforderungen an die Begriffe von „Staat" und „Rechtssystem" gestellt werden. Hinsichtlich des Staatsbegriffes verfolgen wir die Frage nicht weiter; hinsichtlich des Rechtssystembegriffes können wir uns mit einem Verweis auf Abschnitt I I I oben begnügen. Wir wollen nur erwähnen, daß sowohl Föderationen wie Teilstaaten von Bundesstaaten (wie z.B. in der BRD) in unserer Terminologie Staaten mit eigenen Rechtssystemen sind. Demgegenüber sind Gemeinden und Regierungsbezirke keine Staaten in unserem Sinne, und Rechtsregeln mit auf jene beschränkter Geltung erfüllen ebensowenig unsere Anforderungen an eigenständige Rechtssysteme. Eine andere Variante derselben Frage tritt auf, wenn zwei oder mehr Machtgruppen um die legitime Staatsgewalt über dasselbe Territorium konkurrieren, z.B. bei Kriegen, Bürgerkriegen und Revolutionen. In solchen Fällen kommt es vor, daß sich jede der Konfliktparteien unter Berufung auf ein eigenes Normsystem legitimiert. Bei Entscheidungen, ob nun eines, beide oder keines dieser Systeme in einem solchen Fall als Rechtssystem des umstrittenen Territoriums gelten soll, muß man vermutlich auf deren jeweilige Unterstützung durch die Bevölkerung abstellen. Wir halten jedoch eine Koexistenz mehrerer Rechtssysteme auf dem gleichen Territorium nicht für prinzipiell ausgeschlossen. Zur Beurteilung solcher Verhältnisse nach norwegischem internationalen Privatrecht (oder dem eines anderen Landes) nehmen wir hier ebensowenig Stellung wie zur Frage, wer in solchen Fällen als Repräsentant des „Staates" gelten kann. Mit der letztgenannten Frage beschäftigte sich 1938 ein Urteil des obersten norwegischen Gerichts, das sich auf Verhältnisse während des spanischen Bürgerkrieges bezog. Trotz der faktischen Kontrolle der Franco-Regierung über den überwiegenden Teil des spanischen Staatsgebietes kam das oberste Gericht zu dem Schluß, daß die republikanische Regierung den spanischen Staat repräsentierte. Das Gericht stellte hier entscheidend darauf ab, daß diese Regierung von Norwegen völkerrechtlich anerkannt war. Die erwähnte Voraussetzung, daß Konfliktparteien sich gleichzeitig auf eigene Normensysteme berufen, braucht nicht bei allen Konflikten um die Macht in einem Land vorliegen. Trotz noch so verbissenen und blutigen Kampfes kann das Hauptthema nicht künftigen Rechtsordnungen, sondern der Herrschaft konkreter Personen gelten. Außerdem kann man sich alle möglichen Grenzfälle vorstellen, z.B. einander überschneidende Normsy10
Vgl. Fuller (1969, S. 123ff.), der wie wir diese Frage bejaht, aber weniger strenge Anforderungen an „Rechtssysteme" stellt.
V. Systemkonkurrenzen und Teilsysteme
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steme. In solchen Fällen kann man die Frage stellen, ob jene als Varianten desselben Systems oder als verschiedene Systeme gelten sollen. Solche Fragen können auch in anderen Fällen als in den erwähnten Machtkämpfen auftauchen. Die Beantwortung der Frage hängt teils von den Begriffsmerkmalen (vgl. Abschnitt III) und teils von den Abgrenzungskriterien (vgl. Abschnitt IV) ab, die man zugrunde legt. Die Betrachtung zweier Normmengen als selbständiger Systeme unterliegt nämlich der Erfüllung von zwei Bedingungen. Erstens bedürfen beide eines solchen Umfangs, inneren Zusammenhangs und Staatsbezuges, daß sie die Begriffsmerkmale erfüllen. Zweitens darf ihr Zusammenhang untereinander nicht enger sein, als daß eine Grenzziehung sinnvoll erscheint. Wir verfolgen diese Frage, die sich aus unseren früheren Betrachtungen beantworten läßt, hier nicht weiter. Wir wollen nur kurz erwähnen, daß eine Berufung zweier Regime auf jeweils eigene Verfassungen u. E. nicht ohne weiteres zwei verschiedene Rechtssysteme impliziert. Auch wenn die Unterschiede zwischen beiden Verfassungen wesentlich sein mögen, können beide möglicherweise von der Voraussetzung ausgehen, daß bisher gültige Regeln bis zu ihrer verfassungsmäßigen Abänderung in Kraft bleiben und alle anderen, nicht direkt verfassungsrechtlich geregelten Rechtsaktivitäten vorläufig wie bisher abgewickelt werden. In solchen Fällen finden wir es unnatürlich, von zwei eigenständigen Rechtssystemen zu reden. Man müßte hier eher sagen, daß die zwei Machtgruppen durch ihre verschiedenen Verfassungen verschiedene Vorstellungen von künftiger Rechtsentwicklung signalisieren. I m Kapitel 2 I führten wir eine Reihe von Beispielen für verschiedene Systemtypen an, die als Teile größerer Systeme fungieren. Diese Betrachtungsweise empfiehlt sich auch beim Recht. Unsere Kennzeichnung von Rechtssystemen läßt durchaus zu, daß diese als Teile umfassender Rechtssysteme fungieren. Bei Bundesstaaten, wie z. B. der BRD, betrachten wir, wie schon erwähnt, sowohl Bundesrecht als auch das Recht der einzelnen Länder als Rechtssysteme. Trotz der Abgrenzung dieser Systeme untereinander bestehen so viele Verbindungen, daß sie sich als Subsysteme eines weiterreichenden deutschen Rechtssystems auffassen lassen. Entsprechend kann man die Frage stellen, ob das Recht internationaler Organisationen - daß in gewissen Fällen eigene Rechtssysteme konstituiert und das Völkerrecht als Subsysteme desselben Rechtssystems angesehen werden können. Für eine Bejahung dieser Frage spricht der Umstand, daß diese Organisationen auf völkerrechtlichen Verträgen basieren. Völkerrechtliche Prinzipien verbindlicher Vertragswirkungen und Vertragsauslegung qualifizieren daher - jedenfalls in der Etablierungsphase der Organisation - die Stiftungsgrundlage und damit auch die Befugnisse solcher Organisationen. Im Laufe der Zeit kann aber ein Emanzipationsprozeß stattfinden, der die Verbindungen zwischen Völkerrecht und Organisationsrecht lockert, während der
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Umfang und die Komplexität des Organisationsrechts zunimmt. Solche Entwicklungen können möglicherweise die Organisation in einen Bundesstaat verwandeln - wie es im vorigen Jahrhundert beim deutschen Zollverein der Fall war und in der EG möglicherweise der Fall sein wird. Bekanntlich ist auch der Standpunkt vertreten worden, daß die nationalen Rechtsordnungen von Staaten und die Völkerrechtsordnung als Teile desselben Rechtssystems zu betrachten sind. Wird dies behauptet, so muß wohl auch das Recht internationaler Organisationen einbezogen werden, und man erhält dann ein weltweites Rechtssystem, in dem alle bisher besprochenen Systeme als Subsysteme enthalten sind. Einige dieser Subsysteme können, wie erwähnt, ihrerseits mehrere Subsysteme enthalten, wie ζ. B. bei Föderationen. Man hat diesen „monistischen" Standpunkt teils mit einer Ableitbarkeit der Geltung nationaler Rechtsnormen aus dem Völkerrecht begründet, teils mit der umgekehrten Ableitungsrichtung. 11 U . E . überzeugt keine dieser beiden Auffassungen. Damit sollen aber Vorstellungen von einem solchen allumfassenden Rechtssystem nicht unbedingt ausgeschlossen werden. Erstens besitzen das Völkerrecht und die einzelstaatlichen (und organisationsinternen) Rechtsordnungen mehrere gemeinsame Wesenszüge (siehe Abschnitt III) - Ähnlichkeiten der Terminologie, Ideologie und Denkweise. Zweitens beeinflussen Völkerrecht und nationales Recht einander wechselseitig. Die Rechtssysteme der einzelnen Staaten rezipieren Völkerrechtsnormen unmittelbar oder durch eigene Transformationsakte; außerdem findet eine Anpassung durch Auslegung statt. Das Völkerrecht rezipiert seinerseits permanent nationalen Rechtsstoff, ob nun Rechtsbildung durch Vertragsschließungen, Gewohnheitsrecht oder Rechtspraxis stattfindet. Benutzt man den Systembegriff in der von uns eingeführten weiten Bedeutung (vgl. Kap. 2), so kann man vielleicht behaupten, daß alles Recht letztlich ein System ausmacht. Dabei handelt es sich dann aber wohlgemerkt um ein System mit recht losen Verbindungen zwischen den Subsystemen und ohne einen zentralen „Grundstamm", wie wir ihn in den nationalen Rechtssystemen und in gewisser Hinsicht auch im Völkerrecht antreffen. V I . Die Identität von Rechtssystemen auf Zeit Im Abschnitt I I wiesen wir auf èine Reihe von Faktoren hin, welche die einzelnen Diachronschnitte verbinden, so daß mit Recht von einer Dauerhaftigkeit von Rechtssystemen die Rede sein kann. Es fehlen hier noch einige Bemerkungen zu den Grenzen solcher Kontinuität. Besitzt z.B. Norwegen dasselbe Rechtssystem wie vor 100 oder 200 Jahren? 11
Kelsen (1960, S. 328 - 345) erörtert beide Möglichkeiten ohne einen definitiven Standpunkt zu beziehen.
V I . Die Identität von Rechtssystemen auf Zeit
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Im Zusammenhang mit Revolutionen, Staatsstreichen, Erorberungen, Sezessionen u.a.m. stellen sich oft folgende Fragen: Gelten die Gesetze des alten Regimes? Befinden sich früher ernannte Beamte nach wie vor im Amt? Kann das neue Regime Steuern und Außenstände des alten Regimes verlangen, anerkennt es dessen Schulden? Sind Urteile vor dem Machtwechsel noch gültig? 12 Für die Beantwortung solcher Fragen werden Behauptungen zu der Identität bzw. Nicht-Identität des Rechtssystems oft als Argumente angeführt. Man kann aber auch andersherum argumentieren und aus den Lösungen solcher Fragen auf Antworten zur Identitätsfrage schließen. Uns betreffen vor allem Überlegungen der letztgenannten Art. Dabei geht es uns weniger um praktische Rechtsfragen, als um einen Überblick verschiedener möglicher Identitätskriterien. Ein erster denkbarer Standpunkt würde dem Fortbestand der Verfassung entscheidende Bedeutung zuschreiben. Es leuchtet jedoch ein, daß nicht jede Verfassungsänderung eine Systemänderung impliziert. Wie andere Normen unterliegen auch Verfassungsbestimmungen einem stetigen und schrittweisen Wandel durch Auslegung und Praxis. Außerdem können so unwesentliche Abänderungen vorgenommen werden, daß es weit hergeholt wäre, deswegen schon von einem neuen Rechtssystem zu sprechen. Man müßte daher ggf. zwischen verschiedenen Typen von Verfassungsänderungen unterscheiden. Eine denkbare Differenzierung wird von Kelsen vorgeschlagen (1960, S. 213 - 214). Verstehen wir ihn recht, so bewahrt seiner Meinung nach das Rechtssystem so lange seine Identität, wie die Verfassungsänderungen gemäß der bisher gültigen Verfassung stattfinden, andernfalls nicht. Dieses Kriterirum ist u.E. nicht zufriedenstellend. Einerseits können irreguläre Verfassungsänderungen eintreten, die nicht die Kontinuität des Rechtssystems brechen, wie z.B. die Änderungen in Norwegen von 1905. Hier wurden einige Grundgesetzbestimmungen geändert, ohne daß man dem vorgeschriebenen Änderungsverfahren folgte. Der Anlaß zu diesen Änderungen war der Wegfall der recht lockeren Personalunion mit Schweden. Niemand würde behaupten, daß Norwegen dadurch ein neues Rechtssystem erhielt. Andererseits kommen Änderungen vor, die zwar den geltenden Änderungsverfahren entsprechen, aber als Grundlegung eines neuen Rechtssystems gelten können. Dies war z.B. bei mehreren der früheren britischen Kolonien der Fall, die zunächst den Status von Dominions erhielten und später zu selbständigen Staaten wurden, beides nach Parlamentsentscheidungen gemäß der britischen Verfassung. 13 Statt einer Betonung der förmlichen Abwicklung von Verfassungsänderungen sollte man eher auf deren Wesentlichkeit abstellen. Aber auch so weitge12
Die meisten unserer Beispiele stammen von Raz (1971, S. 799). Siehe Finnis (1973), mit einer ausführlichen und u.E. überzeugenden Kritik der Kelsenschen Lehre zu diesen Fragen. 13
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henden Verfassungsänderungen, wie z.B. der Norwegens von 1814, sollte man nicht ohne weiteres die Folge unterstellen, daß ein altes Rechtssystem wegfällt und ein neues entsteht. Ein Rechtssystem umfaßt schließlich mehr als nur eine Verfassung. Daher liegt es vielleicht am nächsten, von der Reichweite der gesamten Systemänderungen auszugehen, wenn man zur Systemidentität Stellung nehmen will. Mit dieser Optik spricht vieles für eine Kontinuität des norwegischen Rechts trotz 1814 oder des westdeutschen Rechts trotz 1945/1949. Trotz neuer Verfassungen behielt man ein im großen und ganzen unverändertes Privatrecht, Straf recht, Prozeßrecht und wichtige Teile des Verwaltungsrechts. 14 Hält man eine solche Gesamteinschätzung für entscheidend, so lassen sich selten genaue Zeitpunkte für die Entstehung und den Untergang von Rechtssystemen angeben - die meisten Rechtssysteme sind stetig und schrittweise gewachsen. Auch tiefgreifende Änderungen, wo man an sich von einem Systemersatz sprechen kann, brauchen ihre Zeit. Abschließend wollen wir anmerken, daß Grundnormvorstellungen bei der Lösung der hier erörterten Identitäts- und Abgrenzungsprobleme kaum weiterhelfen. Dies gilt auch dann, wenn man die Systemidentität definitorisch an die Verfassungsidentität koppelt, denn eine Kelsensche Grundnorm besagt nur, daß das Grundgesetz befolgt werden kann. Sie beantwortet weder, was als Grundgesetz gilt, noch was die Identität des Grundgesetzes bestimmt. Dies bedarf jedenfalls einer Zusatzerklärung - die Kelsen, wie oben erwähnt, auch versucht hat. Sein Standpunkt zur Kontinuitätsfrage wird durch Einbeziehung des Grundnormbegriffs weder erklärungskräftiger noch überzeugender.
m Siehe hierzu Olivecrona (1939, S. 58 - 59 und 73, 1971, S. 104 und 110 - 112).
Kapitel 11
Zur Interaktion zwischen dem Rechtssystem und seiner Umwelt I. Überblick über Umwelten Wie schon im Kapitel 1 erwähnt wurde, zielt unsere Darstellung ab auf eine Beschreibung des Rechts als eines umweltoffenen und dynamischen Systems. Die innere Dynamik als Resultat von Interaktionen zwischen Normen und Aktivitäten sowie von operativen und genetischen Zusammenhängen verschiedener Normen ist oben schon ausführlich behandelt worden. Einige Fragen zur Interaktion des Rechtssystems mit seiner Umwelt wurden ebenfalls angeschnitten, u.a. in unserer Erörterung von Begriffsmerkmalen und Abgrenzungskriterien im Kapitel 10. Dieses Problem soll nun ausführlicher behandelt werden. Wir konzentrieren uns hier auf staatliche Rechtssysteme und ihr Verhältnis zu anderen innergesellschaftlichen Faktoren. Auf deren Verhältnis zu anderen Rechtssystemen (fremdes Recht, Völkerrecht und dem Recht internationaler Organisationen) soll hier nicht weiter eingegangen werden. Der Beschreibung wechselseitiger Beeinflussungen soll eine kurze Bestandsaufnahme von Organisationen, Aktivitäten und Normen in der Umwelt von Rechtssystemen vorausgeschickt werden. In modernen Staaten sind das politische System und das Rechtssystem eng miteinander verflochten und beeinflussen einander auf verschiedene Weise. Was zum politischen System zu rechnen ist, beruht weitgehend auf Ermessensfragen. Gelegentlich wird jenes derart weit definiert, daß das Rechtssystem zu einem Subsystem des politischen Systems wird. Wir wollen hier den Begriff enger fassen, so daß das politische System die Tätigkeit politischer Parteien und Interessenverbände umfaßt, sowie sonstige private Aktivitäten mit Bezug zu gesellschaftlichen Machtkämpfen und öffentlichen Tätigkeiten, die von denjenigen Steuerungsorganen (Regierung, Parlament usw.) ausgeübt, geleitet oder kontrolliert werden, welche sich vermittels des erwähnten Machtkampfes rekrutieren. Zum politischen System rechnen wir auch die - rechtlichen und nichtrechtlichen - Normen, welche die erwähnten Tätigkeiten regeln. Die Tätigkeit der Gerichte liegt nach unserer Terminologie außerhalb des politischen Systems, ausgenommen bei solchen Entscheidungen, die direkt in die Tätigkeit der Steuerungsorgane eingreifen, z.B. wenn Gesetze für grundgesetzwidrig erklärt werden. Man kann sich darüber streiten, inwie-
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Kap. 11: Zur Interaktion zwischen dem Rechtssystem und seiner Umwelt
weit die öffentliche Verwaltung als ein eigenes System oder als ein Teil des politischen Systems einzustufen ist. Wir entscheiden uns hier für die letztgenannte Alternative - abgesehen von solchen Fällen, wo Verwaltungsorgane einen unabhängigen Status besitzen. Die hier angedeutete Abgrenzung basiert auf den Verhältnissen in Norwegen und anderen Ländern, wo die Verwaltung im großen und ganzen der Leitung durch die Regierung unterliegt, während die Gerichte von der Exekutive relativ unabhängig sind und nur selten zu politischen Streitfragen ausdrücklich Stellung nehmen. Aus diesen Bemerkungen geht hervor, daß wir von einer Überschneidung zwischen Rechtssystem und politischem System ausgehen. Dementsprechend gehört die Gesetzgebung z.B. zu beiden Systemen. Auch das ökonomische System spielt eine zentrale Rolle als Umwelt des Rechtssystems. Hierunter verstehen wir Produktion und den Umsatz von Waren und Dienstleistungen sowie organisatorische Aktivitäten, die sich auf diese Tätigkeit beziehen, z.B. Organisation und Leitung von Betrieben, Konzernen, Banken, Versicherungsgesellschaften, Branchenorganisationen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden usw. Rechtliche und nicht-rechtliche Normen, die solche Tätigkeiten regeln, werden von uns auch hier diesem System zugerechnet. U.a. aus diesem Grund überschneidet sich das ökonomische System mit dem Rechtssystem. Infolge staatlicher Wirtschaftstätigkeit und auf Grund des politischen Einflusses von Wirtschaftsorganisationen überschneidet sich dieses System auch mit dem politischen System. Auf das Verhältnis zwischen rechtlichen und religiösen Institutionen gehen wir nicht näher ein. Früher war diese Beziehung recht eng und ist es auch heute noch in einzelnen Ländern (z.B. in den arabischen Ländern), aber nicht in den nord- und mitteleuropäischen Ländern. Zur Umwelt von Rechtssystemen gehören auch solche gesellschaftlichen Aktivitäten, Normen und Wertauffassungen, die sich nicht den hier erwähnten Systemen zuordnen lassen. Von den Normen und Werten, die nicht speziell in einem der gesellschaftlichen Subsysteme verankert sind, besitzen die moralischen Normen und Werte einen ausgeprägten Kontakt mit dem Recht. Viele moralische und rechtliche Normen stimmen inhaltlich mehr oder weniger überein. Ein Großteil der strafbaren Handlungen wird z.B. auch moralisch sanktioniert, oder moralische Verpflichtungen, Menschen in Not zu helfen, entsprechen der Sozialgesetzgebung als rechtlichem Pendant. Das Prinzip, daß man Versprechen halten muß, findet man ebenfalls in beiden Bereichen. Die Interaktion zwischen Moral und Recht besteht teils darin, daß sie einander abstützen, z.B. beim Halten von Versprechen oder bei der Unterlassung gegenseitiger Schädigung, teils in einer Aufgabenteilung. Man kann z.B. leichter Hilfe verweigern, wenn man weiß, daß ein wesentlicher Teil der Steuern für Sozialhilfe und andere soziale Maßnahmen aufgewendet wird. Recht und Moral können einander auch widersprechen - was in Einzelfällen zu
II. Verhältnis zwischen Rechtssystem und politischem System
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schweren Gewissenskonflikten führen kann. Der nahe Kontakt und die weitreichenden Ähnlichkeiten der Moral- und Rechtssprache (vgl. Wörter wie z.B. „Recht", „Pflicht", „Schuld" und „Verantwortung") führen naturgemäß zu gegenseitiger Beeinflussung. Einige Rechtstheorien haben es für Moralnormen leichter gemacht, ins Rechtssystem einfließen zu können. Hier haben die Naturrechtstheorien eine besonders große Rolle gespielt, denn durch die Verwendung der Bezeichnung „Recht" für Normen diesseits und jenseits der Grenze wird der Übergang weniger merkbar und daher mehr akzeptabel. Viele der Besonderheiten des Rechts resultieren daraus, daß Politik und Moral im Rechtssystem zusammentreffen. Vom Rechtssystem wird sowohl erwartet, daß es als ein effektives Vehikel zur Durchführung politischer Zielsetzungen dient, und daß es moralisch fundierte Ideen von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit realisiert. Diese Erwartungen konfligieren zuweilen miteinander. Viele der Divergenzen innerhalb der Rechtsphilosophie, ζ. B. zwischen Positivisten und Naturrechtsanhängern, reflektieren ein solches Spannungsverhältnis gegenläufiger Anforderungen ans Recht. Siehe Radbruch (1963, S. 168 - 173) über die „Antinomien der Rechtsidee", die aus gelegentlicher Unvereinbarkeit ihrer drei Bestandteile, Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit, resultieren.
I I . Das Verhältnis zwischen dem Rechtssystem und dem politischen System Recht und Politik werden oft als Gegenpole betrachtet. Die klassischen Gewaltentrennungslehren, aber auch Rechtsstaats- und Rechtssicherheitsideologien, betonen stark die Begrenzungsfunktionen von Recht gegenüber politischer Machtausübung. Trotz der Existenz und Wichtigkeit solcher Schranken handelt es sich hier um einen Aspekt. Im großen und ganzen ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Systemen mehr von Zusammenarbeit und wechselseitiger Unterstützung geprägt als von Gegensätzlichkeit.1 Die Bedeutung des Rechts für das politische System beruht unter anderem auf seiner Funktion als organisatorisches Medium des Staatsapparates. Nun beziehen wir uns nicht nur auf Verfassungsnormen, welche die höchsten Staatsorgane und deren Befugnisse identifizieren, sondern auch auf organisatorische Normen auf niedrigeren Ebenen. In einem modernen Industriestaat sind zahlreiche Organe erforderlich, die sich der zahlreichen öffentlichen Aufgaben annehmen wie Verkehr, Ausbildung, Wirtschaftspolitik, soziale Maßnahmen, Landesverteidigung, Zusammenarbeit mit fremden Staaten usw. A l l diese Aufgaben müssen organisiert werden, d.h. es bedarf näherer Bestim1
Siehe zur Vertiefung dieses Gesichtspunktes am Verhältnis zwischen rechtlichen und politischen Staatsorganen Eckhoff (1976 b). 13 Eckhoff/Sundby
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Kap. 11: Zur Interaktion zwischen dem Rechtssystem und seiner Umwelt
mungen, wer welche Aufgabe übernimmt, und welche Pflichten und Kompetenzen die verschiedenen Organe haben sollen. Dies läßt sich nun nicht ein für allemal bestimmen, denn ständig tauchen neue Aufgaben auf, gelegentlich auch neue Lösungen für alte Aufgaben. Die Organisation des Staatsapparates ist darum ein kontinuierlicher Prozeß, der mit Hilfe eines stetigen Stroms von Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften stattfindet. Die rechtliche Normbildungsmethode, die u. a. die Zuteilung und Umverteilung von Kompetenzen durch positive Entscheidungen ermöglicht, dient so als ein Werkzeug für die politische Obrigkeit beim Aufbau des für die Machtausübung notwendigen Apparates. Gesetzgebung dient den politischen Institutionen auch als ein Mittel für die Regelung gesellschaftlicher Verhältnisse. 2 Wie bereits erwähnt, betrachten wir Gesetzgebung als ein gemeinsames Anliegen des politischen Systems und des Rechtssystems. Sowohl rechtliche Vorstellungen von der Verbindlichkeit verfassungsmäßig gesetzten Normen als auch politische Ideologien von der Souveränität der vom Volk gewählten Abgeordneten tragen zur Legitimität von Gesetzen bei. Weiterhin sind üblicherweise sowohl Juristen als auch Politiker beim Gesetzgebungsprozeß beteiligt. Nach Annahme der Gesetze erhält der Rechtsapparat erhöhte Bedeutung u. a. dadurch, daß Gerichte zur Durchsetzung von Gesetzen beitragen und in Auslegungsfragen ein letztes und entscheidendes Wort mitreden. Das Rechtssystem unterstützt also das politische System, indem rechtliche Entscheidungstechniken zur Beförderung politischer Zielsetzungen verwendet werden. Andererseits erhält das Rechtssystem viele seiner Ressourcen vom politischen System. Hier handelt es sich teils um ökonomische Ressourcen wie z.B. Gehalt für Justizbeamte, Bestreitung der Ausbildungskosten von Juristen, Bau von Gerichtsgebäuden und Gefängnissen usw. Teils wird ideologische Unterstützung geleistet, indem das politische System das Rechtssystem anerkennt und sich dessen bedient. Außerdem stellt das politische System physische Zwangsmittel für die Durchsetzung von Gesetzen und die Vollstrekkung von Urteilen zur Verfügung. Der Bedarf an physischen Zwangsmitteln steht in umgekehrtem Verhältnis zur Stärke und Verbreitung ideologischer Loyalität, die das Rechtssystem in der Bevölkerung genießt. Je weniger ideologische Unterstützung das System erfährt, desto mehr bedarf es der Anwendung von Zwang. Es ist kaum möglich, ein Rechtssystem ausschließlich auf physische Zwangsgewalt zu gründen. Es bedarf eines gewissen Minimums an ideologischer Loyalität - jedenfalls von denjenigen, die Entscheidungen treffen und sie ausführen. Das entgegengesetzte Extrem - Rechtssysteme ohne physische Zwangsanwendung - kann man sich leichter vorstellen, auch wenn sich unter staatlichen Rechtssystemen dafür kein Beispiel finden läßt. 2
Siehe hierzu Luhmann (1972, S. 246 - 251).
II. Verhältnis zwischen Rechtssystem und politischem System
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Daß das Rechtssystem vom politischen System die Möglichkeit erhält, physischen Zwang anzuwenden, ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Ihm stehen zwar Zwangsmittel zur Verfügung, jedoch trägt das Rechtssystem selbst dazu bei, diesen Zwang zu legitimieren und damit leichter anwendbar zu machen. Diese rechtliche Legitimierung besteht teils darin, daß die Befugnis der Zwangsanwendung durch generelle Normen geregelt wird, die als verbindlich gelten. Solch eine Normierung bedeutet u. a. eine Information an die Bevölkerung über das, wozu man gezwungen werden kann, damit man sich entsprechend einrichten kann. Andererseits besteht die Legitimierung darin, daß die Feststellung der Bedingungen für Zwangsanwendung im Einzelfall letztlich den Gerichten vorbehalten bleibt. Die faktische oder jedenfalls vermeintliche Unabhängigkeit der Gerichte von den übrigen Staatsorganen qualifiziert sie zur Legitimierung von Zwangsanwendung. Die Tatsache, daß Gerichte selbst keine Verfahren eröffnen können und daß Verhandlungen kontradiktorisch ablaufen, tragen ebenfalls dazu bei, daß ihre Entscheidungen unparteiisch wirken. Zur Legitimation durch Verfahren siehe Luhmann (1969) und zur Bedeutung unabhängiger und unparteiischer Gerichte Eckhoff (1965). Für die Stabilität und Effektivität staatlicher Herrschaftsordnungen ist es von wesentlicher Bedeutung, daß Zwangsanwendung als legitim gilt. Wie schon erwähnt, bedarf das politische System hierzu der Hilfe des Rechtssystems und erhält sie in der Regel auch. Gelegentlich werden jedoch solche Forderungen nach einer rechtlichen Legitimierung politischer Maßnahmen aus der Sicht des Rechtssystems überzogen, so daß ein Spannungsverhältnis eintritt. Solche Spannungsverhältnisse haben gelegentlich zu offenem Konflikt geführt. Zu einem derartigen Konflikt kam es in den Fünfziger Jahren in Süd-Afrika. Es begann damit, daß ein Gesetz, welches die politischen Rechte der schwarzen Bevölkerung beschnitt, vom Obersten Gericht 1952 für verfassungswidrig erklärt wurde. Darauf reagierte die Regierung mit der Einrichtung eines neuen Gerichts, das aus Parlamentsabgeordneten zusammengesetzt war. Dieses Gericht erhielt die Befugnis, Beschlüsse des Obersten Gerichts in solchen Fällen zu überprüfen, wo Gesetze für verfassungswidrig erklärt worden waren. Das erwähnte Urteil des Obersten Gerichts wurde dem neuerrichteten Gericht vorgelegt, welches die Entscheidung aufhob. Das Oberste Gericht reagierte seinerseits, indem es die Errichtung des neuen Gerichts für verfassungswidrig erklärte und dessen Entscheidung annullierte. Nun griff die Regierung zu anderen Methoden. Sie erreichte die Annahme eines neuen Gesetzes, das die Anzahl der obersten Richter von fünf auf elf in solchen Fällen erhöhte, wo es um die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen ging. Außerdem wurde das Rassengesetz neuerlich mit qualifizierter Mehrheit angenommen. Der Konflikt endete damit, daß das Oberste Gericht 1956 das Gesetz mit zehn zu einer Stimme akzeptierte. Dieser Konflikt wird von Marshall (1957, S. 139ff.) ausführlich geschildert. Ein weiteres Beispiel ist der Konflikt von Roosevelt mit dem amerikanischen Obersten Gericht in den Dreißiger Jahren, nachdem das Gericht wesentliche Teile seiner 13*
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„New DeaP'-Gesetzgebung verworfen hatte. Roosevelt schlug vor, das Gericht durch Ernennung zusätzlicher neuer oberster Richter zu erweitern. Der Versuch einer Erweiterung des Gerichts provozierte starken Widerstand und wurde vom Kongreß nicht akzeptiert. Im Laufe dieser Diskussion änderte das Oberste Gericht jedoch seine Grundhaltung in Verfassungssachen - vielleicht weil es sich unter Druck gesetzt fühlte. Roosevelt erhielt jedenfalls bald darauf ein Oberstes Gericht, das eher nach seinem Geschmack war - durch Neuernennungen von Richtern anläßlich natürlichen Ausscheidens. Derart zugespitzte Gegensätze zwischen politischen und rechtlichen Instanzen trifft man jedoch selten an. Anscheinend tendiert jeweils eine der beiden Seiten zur Resignation, um einen offenen Konflikt zu vermeiden. Einerseits gibt es Beispiele dafür, daß sich politische Instanzen mehr oder weniger widerstrebend damit abgefunden haben, daß sich ihre Zielsetzungen gegen rechtlichen Widerstand nicht durchsetzen lassen, was sich z.B. darin äußert, daß Rechtsanwendungsinstanzen Gesetze links liegen lassen oder daß Gerichte Gesetze einschränkend ausgelegt oder sie für nichtig erklärt haben. Andererseits ist es ebenfalls vorgekommen, daß das Rechtswesen den politischen Instanzen weitgehend Legitimations- und Schützenhilfe geleistet hat - auch bei solchen Maßnahmen wie z.B. der Unterdrückung von Minderheiten und Opposition oder bei der Aufnahme von Kriegshandlungen. Auch andere Aufgaben des Rechtssystems können für das politische System von Wert sein. Dies gilt u. a. für die Lösung von Konflikten durch Anwendung von Rechtsnormen auf individuelle Sachverhalte. Die Existenz richterlicher Entscheidungsmethoden und Sonderorgane, die endgültige Entscheidungen treffen, entlasten die politischen Instanzen von vielen Beschwerden und Unannehmlichkeiten. Die politische Steuerung wird vereinfacht, wenn Konfliktstoff auf friedliche Weise beseitigt wird. Für die politische Leitung ist es vorteilhaft, Konfliktlösungsaufgaben den Gerichten, evtl. schiedsrichterlichen Verfahren oder unabhängigen Verwaltungsorganen überlassen zu können, statt sich ihrer selbst anzunehmen. Einerseits würde die Beschäftigung mit Konfliktlösungen leicht die Steuerungsfunktionen stören können, andererseits können unabhängige Organe oft als effektivere Konfliktloser fungieren, u.a. weil ihrer Unparteilichkeit eher Vertrauen geschenkt wird. 3 Umgekehrt läßt sich auch behaupten, daß dem Rechtssystem bei seinen Konfliktlösungsfunktionen vom politischen System geholfen wird. Wie bereits erwähnt, stellt das politische System für die Vollstreckung von Rechtsentscheidungen Machtressourcen zur Verfügung, und versorgt außerdem den Rechtsapparat mit Gesetzen und Verordnungen als Entscheidungsprämissen. Auch wenn die Bindung des Richters an das Gesetz gelegentlich als Zwang erlebt wird, wird es doch im großen und ganzen als Unterstützung aufgefaßt, 3
Siehe Eckhoff (1967) zu Vor- und Nachteilen der verschiedenen Konfliktlösungsmethoden.
II. Verhältnis zwischen Rechtssystem und politischem System
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auf Normen verweisen zu können, die von anderen festgesetzt worden sind. Dadurch, daß die Richter ihre Prämissen von außen bekommen, werden ihren Überlegungen, Anfechtungen, Kritik und persönliches Engagement im Konflikt erspart. Außerdem vermindert sich die Verantwortung für Entscheidungen - soweit man sich ans Gesetz hält, kann man nicht für unerwünschte Folgen von Entscheidungen kritisiert werden. Daß es bei Richtern beliebt ist, dem Gesetzgeber Ehre und Verantwortung für eigene Resultate zu überlassen, spiegelt sich in den Tendenzen wider, Ermessensaspekte von Entscheidungen zu verschleiern (vgl. Kap. 6 VI). Diese Fragen werden bei Eckhoff I Dahl Jacobsen (1960, S. 35 - 43), Eckhoff (1965 und 1967) und Aubert (1958 und 1963) ausführlicher behandelt. Siehe auch Luhmann (1972, S. 231 - 233) und Rehfeld (1966, S. 37 - 38). Wir haben versucht, die enge Interaktion zwischen Rechtssystem und politischem System aufzuzeigen. Im großen und ganzen besteht diese Interaktion darin, daß beide Systeme einander gegenseitig unterstützen, auch wenn Spannungen und Konflikte zwischen ihnen gelegentlich vorkommen mögen. Auf Grund der nahen Zusammenhänge zwischen diesen beiden Systemen haben wir dieses Verhältnis etwas eingehender erörtert. Im folgenden behandeln wird das Verhältnis des Rechtssystems zu seiner übrigen Umwelt. Unsere Darstellung verteilt sich auf 3 Hauptabschnitte. Zuerst behandeln wir (unter I I I ) Eingänge, die das System von außen erhält. Wir unterscheiden hier zwischen Systemunterstützungen und Forderungen, mit denen es konfrontiert wird. Danach (unter IV) beschreiben wir Systemleistungen. Hier handelt es sich in erster Linie um verschiedene Typen von Entscheidungen und Begründungen. Wir unterscheiden zwischen drei „Produkten" von Entscheidungen und Begründungen, und bezeichnen sie jeweils als Handlungsprogramme, Wertbeeinflussung und Information. Abschließend (V) beschäftigen wir uns mit Rückkoppelungen, teils zum System selbst und teils zu seinen Unterstützungen und den Forderungen, mit denen es konfrontiert wird. Unser Modell läßt sich schematisch darstellen:
{
Handlungsprogramme
Unterstützungen
Forderungen
Rechtssystem
Wertbeeinflussung Information
Umwelt Figur 13 Das politische System ist für das Modell in zweifacher Hinsicht von Belang. Aus einer Blickrichtung gehört das politische System zur Umwelt des Rechts-
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systems - es liefert ihm „inputs" und empfängt von ihm „outputs". Bei der nahen Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Systemen ist es jedoch häufig naheliegend, beide als eine Einheit zu betrachten. In solchen Fällen kann es zweckmäßig sein, bestimmte Forderungen anderer Systeme auf den „Staat" zu beziehen, in dem beide als Subsysteme enthalten sind. Andererseits kann es sinnvoll sein, Produkte wie z.B. die Gesetzgebung als gemeinsame Erzeugnisse des Rechtssystems und des politischen Systems zu betrachten.
I I I . Eingänge des Rechtssystems Von den vielen verschiedenen „inputs", die das Rechtssystem empfängt, sind die Unterstützung, die es erhält und die Forderungen, mit denen es konfrontiert wird, am wichtigsten. Denn diese „inputs" tragen am ehesten zu einer Erklärung der Funktionsweise des Systems bei. Wir konzentrieren uns hier daher auf diese beiden inputs. Mit Unterstützung bezeichnen wir all das, was zur Aufrechterhaltung oder evtl. EinflußVergrößerung des Systems beiträgt. Wir haben bereits früher die Ressourcen besprochen, die das Rechtssystem vom politischen System empfängt, und gehen jetzt auf die Einstellungen, Werthaltungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung ein, die als Unterstützung des Rechtssystems fungieren. Ein wichtiger Faktor sind die allgemeinen Einstellungen der Bevölkerung gegenüber den Gesetzgebern, Gerichten und anderen Rechtsbehörden. Hier kommt es besonders darauf an, daß diese Behörden als legitim betrachtet werden, d.h. daß ihre Befugnis akzeptiert wird, generelle und spezielle Normen zu setzen. Das System wird zusätzlich gestärkt, wenn die Behörden und die Resultate ihrer Tätigkeit positiv eingeschätzt werden, z.B. Gesetzgeber als einsichtsvoll und Gesetze als gut, Richter als unparteiisch und ihre Entscheidungen als gerecht gelten. Ein positives „Image" des Rechtsapparates ist in doppelter Hinsicht bedeutsam. Erstens erhöht es die Wahrscheinlichkeit der Respektierung seiner Entscheidungen. Zweitens beeinflußt es seine Rekrutierung. Je größeren Respekt z.B. die Richter genießen, desto leichter fällt die Besetzung von Richterämtern mit Personen intellektueller und moralischer Qualifikation. Auch die Einstellung der Bevölkerung zu materiellen Rechtsfragen spielt eine Rolle, z.B. zu Fragen wie Eigentum, Schuldverhältnisse, Verbrechen und Strafe. Solche Einstellungen können einerseits auf obrigkeitlich gesetzten Normen basieren, andererseits aber auch mehr oder weniger von solchen Festsetzungen unabhängig sein und gelegentlich auch zur Distanzierung von öffentlichen Entscheidungen führen. Es kann z.B. Einstellungen zur Unverletzlichkeit des Eigentumsrechts geben, die eine Kritik an Wirtschaftsplanung
I I I . Eingänge des Rechtssystems
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inspirieren. Der Respekt vor behördlichen Beschlüssen kann mit anderen Worten mit dem Rechtsgefühl kollidieren und Spannungsverhältnisse innerhalb des Rechtssystems oder evtl. zwischen dem Rechtssystem und dem politischen System erzeugen. Ohne ein Minimum ideologischer Unterstützung kann ein Rechtssystem nicht funktionieren. Ein funktionierender Apparat setzt voraus, daß eine Bevölkerungsmehrheit, oder jedenfalls eine einflußreiche Minderheit, Rechtsbehörden und einige der zentralen Rechtspositionen als legitim anerkennt. Je besser das Rechtsgefühl der Bevölkerung mit den bestehenden Rechtsnormen übereinstimmt, desto reibungsloser kann der Apparat arbeiten. Aber ein Rechtssystem kann auch dann recht effektiv funktionieren, wenn es zahlreiche Normen enthält, die nur wenigen Personen bekannt und von noch weniger Personen internalisiert sind. Forderungen an das Rechtssystem kommen aus vielen verschiedenen Richtungen und sind von verschiedener Art. Teils dreht es sich hier um individuelle Forderungen, die sich auf die Erlangung oder Bewahrung einer bestimmten Rechtsposition beziehen. Man klagt z.B. auf Eintreibung eines Anspruchs oder auf Anerkennung eines Eigentumsrechts. Oder man zeigt Diebstähle an in der Hoffnung, gestohlene Gegenstände zurückzubekommen oder jedenfalls in der Hoffnung auf eine Bestrafung des Diebes. Oder man beantragt eine Genehmigung zu einer bestimmten Tätigkeit. In einigen dieser Fälle richtet sich die Forderung primär an gegnerische Parteien und bedient sich in diesem Zusammenhang der Hilfe des Rechtsapparates. In anderen Fällen sind die Rechtsbehörden selbst der Adressat. Oft werden auch Forderungen oder Wünsche nach neuen generellen Regeln zum einen oder anderen Thema erhoben. Oder man verlangt, daß bestimmte Regeln besser gehandhabt oder anders praktiziert werden sollen als bisher. Forderungen können auch eher diffuser Art sein. Sie können z.B. darauf gerichtet sein, daß die Gesellschaft mehr zum Schutz gesetzestreuer Bürger gegen Kriminelle tun muß, ohne daß präzisiert wird, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Besonders wichtig für die Entwicklung des Rechtssystems sind solche Forderungen, die von ökonomischen Systemen ausgehen. Das hängt nicht nur mit der zentralen Bedeutung wirtschaftlicher Fragen für die meisten Individuen und Organisationen zusammen, sondern auch damit, daß der Bedarf an rechtlicher Normierung im Wirtschaftsleben größer ist als in den meisten anderen gesellschaftlichen Bereichen, und zwar besonders dann, wenn die Wirtschaft, wie in den westlichen Industriegesellschaften, auf weitgehender Arbeitsteilung, Massenproduktion von Waren und einem Weltmarkt für Warenhandel basiert.
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Die wichtigsten rechtlichen Voraussetzungen für die Entwicklung solcher Wirtschaftssysteme bestehen im Vorhandensein von Normen, die das Eigentum schützen und einen flexiblen und zuverlässigen Gebrauch des Vertragsmechanismus garantieren. Aus Rücksicht auf Kapitalakkumulation und Warenumsatz bedarf es außerdem eines organisierten Geldwesens. Keine dieser Voraussetzungen läßt sich ohne die Hilfe staatlicher Rechtssysteme erfüllen, die Eigentümerpositionen schützen, vertragliche Verpflichtungen garantieren und das Geldwesen organisieren. Die Rechtssysteme haben also hier eine Grundlage für wirtschaftliche und technische Entwicklungen geschaffen und sich in vieler Hinsicht den Anforderungen angepaßt, die von dieser Entwicklung ausgehen.4 Solch eine Anpassung hat großenteils darin bestanden, daß man durch die Vertragsfreiheit den Unternehmen die erforderlichen Rechtsneubildungen überlassen hat. Parallel zum technischen Fortschritt, der neue Produktionsmethoden und eine Erweiterung des Warenhandels ermöglicht hat, ist mit Hilfe des Vertragsinstituts ein organisatorischer Apparat entstanden, der diese Möglichkeiten ausnutzen konnte: Aktiengesellschaften und Konzerne, Banken und Versicherungsgesellschaften, Geschäftsketten und Werbeagenturen usw. Dazu kommen ständig neue Vertragstypen zur Lösung von Finanzierungs- und Absatzproblemen. Ein Großteil dieser privatautonomen Neubildungen ist von den Rechtssystemen absorbiert worden - durch gerichtliche Anerkennung ihrer Rechtsgeltung und durch gesetzgeberische und/oder rechtspraktische Erzeugung ausfüllende Normkomplexe, die u.a. die Sicherheit und Berechenbarkeit solcher Unternehmungn erhöhen. 5 Neben der Bereitschaft der Rechtssysteme, solche privaten Neubildungen zu übernehmen und evtl. zu verfeinern, hat man sich auch staatlicherseits aktiv um die Lösung der Rahmen- und Folgenprobleme der industriellen Entwicklung bemüht. Hierbei ging es teilweise um solche Hilfeleistungen wie z.B. den Ausbau des Verkehrs- und Ausbildungswesens, oder den Abschluß internationaler Verträge zur Sicherung des Handelsverkehrs mit anderen Ländern. Andererseits hat man sich bemüht, Folgeprobleme der Industrialisierung entgegenzuwirken, z.B. durch Arbeitnehmerschutz, Sozial- und Gesundheitswesen, Wettbewerbs- und Kartellverordnungen, Konjunkturpolitik, und in der jüngsten Vergangenheit auch durch Umweltschutzpolitik. A l l diese Initiativen bedürfen rechtlich geregelter Formen und stellen Anforderungen an das Rechtssystem. Anforderungen an das Rechtssystem, welche direkt oder indirekt dem ökonomischen System entstammen, sind zwar nicht die einzigen, aber vielleicht die wichtigsten. Ohne Zweifel hat das Wirtschaftssystem seit der industriellen 4
Vgl. mit Bezug auf Aktienrecht Tolonen (1974). Siehe Luhmann (1972, S. 327 - 328) zur Bedeutung der Vertragsfreiheit für die Rechtsentwicklung. 5
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Revolution die Rechtsentwicklung der westlichen Industriestaaten entscheidend beeinflußt. Wirtschaftliche Dominanz bedeutet jedoch nicht ausschließlich privatwirtschaftliche Dominanz - in den meisten Staaten hat das politische System einige der möglichen Folgeprobleme eines ungehemmten Privatkapitalismus modifiziert und teilweise ausgeglichen. Abschließend kann erwähnt werden, daß Forderungen an das Rechtssystem indirekt als dessen Unterstützung fungieren. Forderungen unterstellen eine Nützlichkeit des Rechtsapparates, die ihrerseits die Investition der Mittel rechtfertigt, die er zur Lösung seiner Aufgaben braucht.
I V . Produkte des Rechtssystems Wie in Figur 13 (S. 197) schon angedeutet wurde, konzentrieren wir uns hier auf drei Aspekte der Rechtsproduktion. Diese drei Aspekte bezeichnen wir als Handlungsprogramme, Wertbeeinflussung und Information. Unter Handlungsprogrammen verstehen wir Muster für vorgeschriebenes oder mögliches Verhalten in bestimmten Situationen. Neue Handlungsprogramme entstehen vorzugsweise durch Gesetzgebung. Urteile und Verwaltungsakte fungieren in der Regel nur als auslösende Faktoren, die bereits festgesetzte Programme vergegenwärtigen. 6 Ein Urteil, welches z.B. besagt, daß eine Person einen bestimmten Geldbetrag zu entrichten hat, vergegenwärtigt Programme für Zeitpunkt, Ort und Begleitumstände des Erlöschens von Schuldverhältnissen, oder bei Nichtbezahlung Programme für Zwangsvollstreckung. Programmiert werden sowohl öffentliche als auch private Tätigkeiten. Grundgesetze geben ζ. B. an, wie die höchsten Staatsorgane zu ernennen sind, wie Aufgaben unter ihnen aufzuteilen sind und wie bei der Herstellung verschiedener Rechtsakte zu verfahren ist. Die Tätigkeit von Gerichten wird teils durch das Verfahrensrecht und teils durch die materiellen Normen programmiert, die bei Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Viele der Normen, die private Tätigkeiten programmieren, erinnern an Spielregeln. Sie enthalten z.B. Anweisungen, wie man beim Kauf eines Grundstückes vorzugehen hat, bei der Gründung einer Aktiengesellschaft, bei der Errichtung eines Testamentes oder bei der Adoption eines Kindes. Rechtlich betrachtet wird man hier zwar nicht zu einer Befolgung dieser Regeln gezwungen, muß sich aber nach ihnen richten, wenn man die jeweiligen Rechtswirkungen erreichen will. Faktisch sind die meisten Bürger jedoch zur Anwendung einiger dieser Spielregeln gezwungen, z.B. zum Abschluß von Arbeitsverträgen zur Existenzsicherung, oder zum Abschluß von Mietverträ6
Koestler (1967) spricht hier von „triggers".
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gen, um sich ein Dach über dem Kopf zu sichern. Starke Akteure haben insofern innerhalb des Programmangebots eine größere Wahlfreiheit. Da solche Regeln eine ganze Reihe von Tätigkeiten konstituieren und damit erst ermöglichen, kann man hier von einem „Kundendienst" des Rechts sprechen. Ein wichtiger Sonderfall solchen rechtlichen Kundendienstes besteht in der In den meisten modernen Staaten Verfügbarkeit von Konfliktlösungsorganen. handelt es sich hierbei um eine Vielzahl von Institutionen. Rechtlich gesehen sind die Gerichte hier besonders wichtig, da sie Konfliktlösung mit anderen Aufgaben kombinieren, die für das Rechtssystem von zentraler Bedeutung sind - wie schon erwähnt wurde, spielen sie u. a. in Normbildungs- und Durchsetzungsprozessen eine wichtige Rolle. Das Rechtssystem leistet nicht nur Kundendienste, sondern beeinflußt auch das Verhalten der Bevölkerung. Dabei handelt es sich allerdings oft um zwei Seiten des gleichen Phänomens. Wenn Schuldner zur Zahlung gezwungen werden, wird gleichzeitig den Gläubigern geholfen, und durch die Verbindlichkeit und ggf. Erzwingbarkeit von Urteilen werden Gerichte zu effektiven Konfliktlosem. Verhaltensbeeinflussung kann selbstverständlich auch andere Funktionen haben als die einer Bewahrung und Stärkung der erwähnten Kundendienste. Zwangsdrohungen fungieren als wichtiges, aber nicht als einziges Einflußmittel des Rechtssystems. Die Normen, die wir hier als „Spielregeln" bezeichnet haben, tragen zur Kanalisierung von Verhalten bei - nicht nur, indem viele faktisch zu ihrer Befolgung gezwungen werden, sondern auch, weil sich die Befolgung dieser Regeln oft lohnt, da man sich dadurch vorteilhafte Rechtspositionen verschaffen kann. Auch in solchen Bereichen, wo der Staat aktiver eingreift, ist Zwang nicht das einzige Einflußmedium. Es gibt zwar eine Unmenge von Geboten und Verboten, die durch Strafdrohungen unterstrichen werden. Staatlicher Einfluß bedient sich aber auch positiver Sanktionen, d.h. er belohnt wünschenswerte Handlungen und teilt Mittel zu, z.B. durch Subventionsordnungen für die Industrie, Fischerei und Landwirtschaft, durch Sozialhilfe und andere sozialpolitische Maßnahmen. Man kann zwar behaupten, daß solche Maßnahmen weniger ausgeprägt rechtlich sind als strafbedrohte Pflichten. Hier ist jedoch zu bedenken, daß auch die erwähnten Subventionsmaßnahmen mehr oder weniger durch Rechtsnormen geregelt werden. Es kommen auch Kombinationen aus positiven und negativen Sanktionen vor, z.B. wenn jemanden eine Genehmigung erteilt wird, gleichzeitig ihm aber gewisse Pflichten auferlegt werden, zu deren Erfüllung er teils aus Angst vor einem Widerruf der Genehmigung motiviert wird, teils, weil er sich für spätere Anträge ein gutes Verhältnis zu den Behörden erhalten möchte. Mit Rechtsregeln läßt sich nicht alles erreichen. In den meisten Rechtssystemen gibt es viele Beispiele für mehr oder weniger wirkungslose Gebote und
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Verbote. Dieses Schicksal ist oft u.a. Alkoholverboten, Sittlichkeitsgesetzen und verschiedenen Teilen der Wirtschaftsgesetzgebung widerfahren. Eine erste Voraussetzung für die Verhaltensbeeinflussung durch ein Gesetz ist des Adressaten Kenntnis von seinem Inhalt. Für Gesetzgeber ist es schwierig, alle Adressaten einer solchen Kommunikationsbotschaft zu erreichen. Ein Grund dafür mag sein, daß auch andere Absender Menschen zu beeinflussen versuchen. Tagtäglich werden wir mit umfangreicher Verkauf s Werbung bombardiert, mit verschiedener Propaganda seitens politischer Parteien und Interessenverbände, mit religiöser Verkündigung und mit Kulturdebatten, mit Informationen über Gesundheitspflege und Gesundheitsschäden. Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut - gesetzgeberische Einflußversuche gehen daher leicht in allgemeiner Stimulus- und Informationsüberlastung unter. Kenntnis von Gesetzesinhalten ist also wichtig, reicht aber nicht aus; es bedarf auch einer Motivation, Gesetze zu befolgen. In einigen Fällen mag es hinreichen, daß Gesetze mit der eigenen Moralauffassung übereinstimmen. Gesetze, die fest verwurzelte Verhaltensgewohnheiten oder gesellschaftliche Verhältnisse ändern sollen, können aber selten von einer solchen Konsonanz ausgehen. Auch wenn Einzelpersonen dem Gesetz aus einer Einstellung folgen werden, daß Gesetz Gesetz sei, und man sich nach ihm zu richten habe, lassen sich viele Menschen erst dann beeinflussen, wenn sie sich von einer Gesetzesbefolgung Vorteile oder von Gesetzesbrüchen Unannehmlichkeiten erwarten. Dabei motiviert nicht schon ein beliebiges, fernes Sanktionsrisiko. Strafdrohungen hinter Gesetzen reichen nicht aus, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung gering ist. Dies gilt vor allem für solche Gesetzesübertretungen, die sich leicht verbergen lassen und bei denen Privatpersonen nicht an Anzeigen interessiert sind. Die Möglichkeiten sozialen Wandels durch positives Recht werden von Luhmann ausführlicher erörtert (1972, S. 294ff.), mit umfangreichen Literaturhinweisen. An anderen neueren Arbeiten können erwähnt werden: Rehbinder und Schelsky (1972), Stjernquist (1973), Friedman (1975, S. 67ff.), Blankenburg (1977) und Mollnau (1978). Ein zweiter Aspekt der Rechtsproduktion ist ihre mögliche Funktion der Wertbeeinflussung. Darunter verstehen wir, daß Gesetzgebung und Rechtspraxis individuelle und kollektive Einstellungen beeinflussen können: was als wertvoll und verwerflich gilt, als richtig und falsch, als gut und schlecht usw. Hier bilden sich teils Einstellungen zum Rechtssystem als Ganzes, z.B. hinsichtlich seiner Eignung als Garant von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, teils zu den einzelnen Systemelementen, daß z.B. die Rechtsorgane legitim sind, daß man sich nach ihren Anordnungen auch dann richten muß, wenn man sie mißbilligt, daß Rechte und Pflichten ernst zu nehmen sind, daß Rechtsbrüche verwerflich sind usw. Solche Einstellungen können mehr oder weniger verallgemeinert sein - sie können sich auf Behörden, Rechte, Pflichten, Rechtsbrüche im allgemeinen beziehen, oder auf einzelne Typen. Wie bereits
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erörtert wurde, können sich Einstellungen auch auf bestimmte normative Aussagen beziehen, so daß jene zu verinnerlichten Normen werden. Werthaltungen, die sich nicht direkt auf Rechtskategorien beziehen, können ebenfalls beeinflußt werden - z.B. Einschätzungen von Verhaltensweisen, Menschen, Klassen, Regierungsformen, oder die erlebte Bedeutung von nationaler Solidarität und nationaler Selbstbestimmung. Die Einwirkung des Rechtssystems auf individuelle und kollektive Einstellungen hängt damit zusammen, daß Rechtsnormen als verschieden von anderen Normen und gern als höherwertig angesehen werden. Ihnen wird oft ein gewisser Wahrheitswert und damit eine Unabhängigkeit von persönlichen Präferenzen zugeschrieben. 7 Außer Rechtsnormen genießen nur die fundamentalen moralischen und religiösen Normen eine ähnliche „objektive Gültigkeit", die z.B. bei Spielregeln und Organisationsstatuten fehlt. Solch eine Besetzung von Rechtsnormen mit Werthaltungen hängt sicherlich damit zusammen, daß ihre normative Begründung durch einen ständigen Regreß auf Normen höherer Ordnung betont wird - als letzter Bezugspunkt dient gern irgendein grundlegendes Prinzip. In der Vergangenheit hat man dem Recht einen göttlichen Ursprung zugeschrieben oder es aus einem Herrscher „von Gottes Gnaden" begründet. In der Gegenwart sucht man in der Regel nach einer unpersönlichen Basis, z.B. einem Grundgesetz oder einer höheren „Grundnorm". Individuelle Beschlüsse, wie z.B. Urteile, sind oft von der gleichen Feierlichkeit umgeben wie generelle Normen. Dies hängt wohl teilweise mit dem Begründungsstil zusammen. Richter in den meisten Ländern tendieren dazu, ihre Entscheidungen als zwangsläufigen Ausfluß von Rechtsregeln auszugeben. Indem Richter als „Sprachrohr des Rechts" auftreten, verbergen sie ihren persönlichen Einfluß auf die Entscheidung und übertragen dadurch dem Urteil eine ähnliche Autorität, wie es das Recht selbst besitzt. Die Mehrdeutigkeit des Wortes „Recht" verbessert vermutlich die Chance dafür, daß Rechtsnormen durch Wertvorstellungen und moralische Überzeugungen untermauert werden. In der Umgangssprache drückt schließlich das Wort „Recht" auch die Richtigkeit oder Wahrheit von Sachverhalten aus man sagt z.B.: „er tat das mit Recht", „darin hat er Recht" - neben der engeren Bedeutung der Zugehörigkeit von Normen und Positionen zum Rechtssystem. Sinnprojektionen zwischen den beiden Bedeutungen des Wortes können einerseits das Ansehen und die Effektivität von Rechtsregeln verstärken, andererseits aber auch die Anwendbarkeit des Rechtsapparates begrenzen, weil es schwierig sein mag, die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß alle Entscheidungen von Staatsorganen „recht" sind. 7 Vgl. Binder (1925, S. 886): „Das Recht hat ein Sein; weder ein physisches noch ein psychisches; aber es gehört dem „dritten Reich" des Wirklichen an, dem Reich des Geistigen, der Bedeutungen."
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Als Argument gegen eine zu starke Betonung der Mehrdeutigkeit des Wortes „Recht" läßt sich einwenden, daß in den englischsprachigen Ländern eine entsprechende Mehrdeutigkeit fehlt, ohne augenscheinliche Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Recht und Moral. Aber auch im Englischen gibt es Mehrdeutigkeiten. „Right" bedeutet sowohl „richtig" wie „subjektives Recht", „Law" bezeichnet Rechtssysteme, Rechtsregeln, Naturgesetze und gelegentlich auch moralische Regeln. Auch hier gibt es also Möglichkeiten der Sinn- und Autoritätsübertragung. Auch andere Wesenszüge des Rechtssystems können seinen Normen und Entscheidungen ein Gepräge von Feierlichkeit und Ernst verleihen. Physischer Zwang fungiert nicht nur als Rechtshandhabungs- und Abschreckungsmittel, sondern auch als Symbol von Machtvollkommenheit. Gewalt und Zwang schüchtern ein und flößen Ehrfurcht ein gegenüber Instanzen, die die Macht und das Recht zu ernsten Freiheitsberaubungen und in Einzelfällen sogar zu Todesstrafen besitzen. Andere Symbole und Rituale unterstreichen ebenfalls die Feierlichkeit und den Ernst des Rechts. Wir erwähnen hier nur in Stichworten die Architektur von Parlaments- und Gerichtsgebäuden, Kleidung und Kopfbedeckungen von Richtern und Anwälten bei Gerichtsverhandlungen, Nationalfeiertage anläßlich von Grundgesetzverabschiedungen, Festreden über Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. 8 Welche Bedeutung haben nun die Einstellungen zum Recht, deren Grundlagen hier angedeutet worden sind? Strenggenommen wissen wir recht wenig. Man kann jedenfalls nicht unterstellen, daß sie immer die Befolgungschance von Rechtsregeln erhöhen: man richtet sich schließlich nicht immer nach dem, was man am meisten respektiert. Außerdem ist das respektierte „Recht" nicht immer mit dem positiven Recht identisch. Aber es läßt sich wohl annehmen, daß bestimmte Kategorien von Rechtsnormen moralbildende Wirkungen haben können, die ihrerseits deren Effektivität verstärken - u . a . durch soziale Verurteilung von Rechtsbrüchen, die als sozialer Druck offizielle Sanktionen ergänzt. Die Frage moralbildender Funktionen des Rechts ist besonders im Bereich des Strafrechts diskutiert worden, siehe vor allem Andenaes (1971 und 1975). Moralische Einstellungen zu Strafe und Verbrechen können selbstverständlich präventive Funktionen haben. Sie können aber auch zu Stigmatisierungen von Verurteilten führen und deren Resozialisierung entsprechend behindern. Ein anderer Nebeneffekt von Bestrafungen kann in einer Stärkung des Pharisäertums gesetzestreuer Bürger bestehen. Diese erleben im Kontrast zur Schwarzmalerei der Verbrecher eigenes Grau als Weiß. Durkheim (1893) hat die Bedeutung dieses Mechanismus für die gesellschaftliche Solidarität hervorgehoben. Rechtliche Wertbeeinflussung bezieht sich oft auf allgemeine Begriffe und läßt sich daher leicht auf andere Lebensbereiche übertragen, wenn der Verwendungsbereich der Begriffe ausgedehnt wird. Einstellungen zum Eigentum 8
Die Bedeutung von Symbolen und Ritualen in modernen Gesellschaften ist das Hauptthema von Arnold (1935 und 1937).
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und zur persönlichen Freiheit können hier als Beispiele herhalten. Die meisten Menschen erleben Eigentum im eigenen Erfahrungsbereich als Verfügungsrecht über Gebrauchsgegenstände. 9 Jedermann will gern über solche Dinge frei und in Frieden verfügen können. Viele übertragen solche positive Einstellungen zum Eigentum und zur Verfügungsfreiheit jedoch auf Verhältnisse, die mit der Verfügung über persönliche Gebrauchsgegenstände sinnvollerweise kaum verglichen werden. Man nennt es z.B. einen „bedenklichen Eingriff in die Eigentumsfreiheit", wenn neben den Aktionären auch den Mitarbeitern eines Betriebs in dessen Leitung Einfluß eingeräumt wird, oder wenn die Handlungsfreiheit von Betriebsleitungen durch öffentliche Restriktionen eingeengt wird. Einer der Gründe für solche Einstellungen liegt wahrscheinlich in der Ausweitung des juristischen Eigentumsbegriffs auf Positionen, die Kompetenzen einer Organisation und Leitung fremder Arbeit implizieren, und in der Betrachtungsweise, daß nicht nur Privatpersonen, sondern auch größere Gesellschaften (juristische) „Personen" sind, so daß es naheliegt, auch diesen eine Verfügungsfreiheit zuzugestehen. Die hier skizzierte Entwicklung des Eigentumsbegriffs wird von Renner (1965) überzeugend dargestellt. Zur erwähnten Werthaltung zum Eigentum siehe auch Cohen (1933, S. 41 - 68). Die - besonders in den USA starke - Tendenz, Konzerne als „Personen" mit einem Anspruch auf Verfügungsfreiheit zu betrachten, wird von Arnold analysiert (1937, bes. S. 185ff.). Abschließend wollen wir auf die Bedeutung vom Recht als einem nationalen Symbol eingehen. Das Rechtssystem ist eine der Gemeinsamkeiten der Einwohner eines Landes und markiert Unterschiede zur Außenwelt. Hinzu kommt, daß die rechtliche Regelung gesellschaftlicher Angelegenheiten im großen und ganzen national bestimmt ist, während ζ. B. wirtschaftliche, kulturelle oder auch modische Einflüsse oft von außen kommen. Daher liegt es nahe, bei Ermahnungen zu nationaler Solidarität und bei Hervorhebungen der Wichtigkeit nationaler Selbstbestimmung Rechtssymbole zu benutzen. 10 Vor allem dann, wenn es in einer wichtigen nationalen Entwicklungsphase entstanden ist, eignet sich ein geschriebenes Grundgesetz gut als nationales Symbol. Zur Erfüllung dieser Funktion ist es nach Arnold (1937, S. 29) wichtig, daß Grundgesetze unklar und mehrdeutig sind und daß sich sowohl Geist als auch Buchstaben solcher Gesetze als Argumente für die verschiedensten und widersprüchlichsten Auffassungen anführen lassen.
9 Auch die klassischen philosophischen Begründungen des Eigentums zeigen, daß man in erster Linie Rechte an solchen Gegenständen gemeint haben muß. Siehe Lantz (1977) zu den Argumenten für Eigentumsrecht, wie sie von Aristoteles, Thomas Aquinas, Grotius, Locke, Hegel u.a. angeführt wurden und Olivecrona (1969, 1971 und 1977) über Grotius' und Pufendorfs Standpunkte. 10 Vgl. Llewellyn (1940, S. 1373 und 1387ff.), der „the net organization of the group or society as a whole so as to provide direction and incentive" als eine der wichtigsten Rechtsfunktionen herausstellt.
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In unseren Beispielen haben wir zu zeigen versucht, daß die vom Rechtssystem geschaffenen Handlungsprogramme und Wertvorstellungen nicht immer miteinander harmonieren. Die Durchführung eines Handlungsprogramms kann zwar durch Wertvorstellungen - zu den in ihm enthaltenen Normen erleichtert werden. Dieselben Wertvorstellungen können aber die Durchführung von anderen Programmen hemmen. Außerdem können Rechtsnormen und -begriffe Eigenschaften haben, die Werthaltungen ansprechen, während sie Handlungsprogramme verwässern, und umgekehrt. Als dritten Aspekt behandeln wir die Funktion von Recht als Informationsquelle. n Wir haben auf den vorigen Seiten bereits erörtert, daß Recht Auskünfte darüber erteilt, was richtig und falsch, legitim und illegitim ist. Hier wollen wir uns mit den im Recht enthaltenen - mehr oder weniger verläßlichen - Auskünften über faktische Sachverhalte beschäftigen. Strafrechtliche Normen können manchmal wichtige Informationen über gesellschaftliche Verhältnisse liefern. Das Gesetzbuch von König Christian V. für Norwegen von 1687 informiert z.B. über das frühere Verhältnis zwischen den Generationen. Wer seine Eltern ausschimpfte oder unhöflich anredete, wurde mit lebenslänglicher Zwangsarbeit bedroht; wer seine Eltern schlug, wurde mit Todesstrafe bedroht. Mißhandlung oder Mißbrauch von Kindern war demgegenüber nicht strafbar. Oder man erhält einen Eindruck von Einstellungen zum öffentlichen und Privateigentum in der Sowjetunion der dreißiger Jahre, wenn man liest, daß Diebstahl an Staats- oder Kollektiveigentum mit einer Höchststrafe von 10 Jahren bedroht war, während der Strafrahmen für Diebstahl von Privateigentum eine Höchststrafe von 6 Monaten vorsah. Man vergegenwärtigt sich auch die Lebensverhältnisse in den arabischen Ländern, wenn man erfährt, daß Pferdediebstahl und Trinkwasserverseuchung als größte Verbrechen galten. Auch andere Gesetzgebung kann informieren, z.B. über die Machtverhältnisse in der jeweiligen Gesellschaft, über Standesunterschiede, Geschlechtsund Altersunterschiede, Familienverhältnisse, Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse. Einige der Gründerväter der Soziologie, besonders Durkheim (1893) und Weber (1925), bedienten sich häufig des Rechts als einer Quelle für Gesellschaftsanalysen. In der späteren Gesellschaftswissenschaft hat man sich unserer Meinung nach dieser Möglichkeit zu selten bedient. Mit voreiligen Schlußfolgerungen sollte man jedoch zurückhaltend sein. Sir Matthew Haie, der berühmte englische Rechtsgelehrte des 17. Jahrhunderts, hat einmal gesagt „es ist sicher, daß es Hexen gibt, da es ja Gesetze gegen sie gibt". Viele haben wohl auch geglaubt, es gebe „Leopardenmännerorganisationen" in Afrika, da Mitgliedschaft in solchen „Organisationen" in Sierra Leone während der Kolonialzeit verboten war und im Laufe der Zeit auch 11
Siehe hierzu Olivecrona (1971, S. 254 - 259).
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viele wegen Übertretung dieses Gesetzes verurteilt wurden. 12 Man sollte also nicht ohne weiteres annehmen, daß all das, wozu es Gesetze gibt, auch wirklich existiert. Ebenso wenig kann man vom Fehlen einer bestimmten Gesetzgebung auf das Fehlen entsprechender Sachverhalte schließen. Ein fehlendes Rauschgiftgesetz braucht nicht bedeuten, daß niemand Rauschgift benutzt. Demgegenüber kann man wohl getrost unterstellen, daß bei fehlenden Verkehrsregeln in einem Land kaum nennenswerter Autoverkehr vorkommt. Jedermann weiß, daß Rechtsregeln gelegentlich übertreten werden. Die Häufigkeit von Übertretungen wird jedoch oft unterschätzt. Historiker, die rechtliches Quellenmaterial verwenden und auch andere, die z.B. aus geltenden Gesetzen auf die Verhältnisse in fremden Ländern schließen, gehen oft ohne weiteres von einer Entsprechung zwischen gebotenen und faktischen Handlungen aus. Im eigenen Land ist man meist realistischer. In Norwegen weiß man z.B. als „insider", daß das Alkoholgesetz keine zuverlässigen Anhaltspunkte über norwegische Alkoholgewohnheiten bietet, oder das Hausangestelltengesetz über deren tatsächliche Arbeitsverhältnisse. 13 Aber auch in der eigenen Gesellschaft wird der Umfang von Gesetzübertretungen leicht unterschätzt, ebenso wie die Wahrscheinlichkeit, entdeckt und bestraft zu werden überschätzt wird. Solche Fehleinschätzungen zeigen sich u.a. darin, daß Kriminalstatistiken - die oft mehr über die Arbeitsbelastung der Polizei als über tatsächliche Kriminalität aussagen - als Grundlage internationaler und historischer Vergleiche von Verbrechenshäufigkeit benutzt werden. Mit dem Vorurteil, daß Rechtsregeln allgemein befolgt werden, hängt eine übertriebene Vorstellung davon zusammen, wie leicht sich gesellschaftliche Verhältnisse durch Recht verändern lassen. Forderungen nach einem Gesetz, das Übelstände beseitigt, sind eine übliche Reaktion auf alle möglichen gesellschaftlichen Mängel und Probleme. Auch wenn es bereits ein Gesetz gibt, daß bisher nicht besonders gewirkt hat, erhoffen manche, die sich mit den Zielsetzungen des Gesetzes identifizieren, daß es früher oder später wirken wird. Auch wenn diese Gruppen nicht einmal an Wirkungen glauben, kann das Gesetz einen gewissen Eigenwert als Symbol für ihre Werthaltungen besitzen. Alkoholverbot, Sittlichkeitsgesetzgebung und Teile der Wirtschaftsgesetzgebung haben oft eher solch eine symbolische als eine handlungssteuernde Funktion. Arnold (1935 und 1937) und Aubert (1967) behaupten, daß solche Gesetze oft als Kompromiß zwischen Konfliktgruppen fungieren. Ein leicht übertretbares Alkoholverbot beispielsweise stellt kein größeres Hindernis für diejenigen dar, die auf Alkohol Appetit verspüren, und stellt gewissermaßen auch die Vorkämpfer eines alkoholfreien Lebens zufrieden, weil man ihre Ideale anerkennt und sie auf eine nüchterne Zukunftsgesellschaft hoffen läßt. 14 12 13
Siehe Lindskog (1954) zum Leopardenmannaberglauben. Siehe Aubert (1967) zur mangelhaften Befolgung dieses Gesetzes.
V. Rückkoppelung
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Der Aberglaube, alles lasse sich durch Gesetzgebung regeln, ist nicht das einzige Beispiel dafür, daß ein oberflächliches Verständnis von der Funktionsweise des Rechts eine Fehleinschätzung des Regierungssystems eines Landes vermitteln kann. Man glaubt zu leicht, daß Organe mit der höchsten formalen Kompetenz und der größten Publizität auch die größte tatsächliche Macht besitzen. Umgekehrt wird der Einfluß untergeordneter und anonymer Behörden (z.B. in der öffentlichen Verwaltung), privater Betriebe und Organisationen und ihrer Rechtsexperten leicht unterschätzt. Vielen Bürgern ist nicht bekannt, wie wichtig Verwaltungspraxis als rechtsschöpfender Faktor ist oder welche Rolle die Anwaltschaft spielt - teils durch ihre außergerichtliche Beratungstätigkeit und teils durch die Abhängigkeit der Gerichte von Anwälten. 15 Läßt man sich vom Rechtsapparat zu sehr beeindrucken, so übersieht man auch leicht, daß wirtschaftliche Faktoren oft größeren Einfluß haben als rechtliche. In der marxistischen Rechtstheorie wird bekanntlich u.a. behauptet, daß Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse die gesellschaftliche Basis konstituieren, während das Recht - zusammen mit u.a. Moral und Metaphysik primär als Überbau fungiert, der zu einer Verschleierung tatsächlicher gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Interessengegensätze beitragen kann. Solch eine Deutung gibt unserer Meinung nach ein einseitiges Bild von gesellschaftlichen Funktionen des Rechts. Wir stimmen jedoch darin überein, daß Produktionsverhältnisse große Bedeutung für die Rechtsentwicklung haben (vgl. Abschnitt I I I oben). Man muß auch zugeben, daß Recht nicht nur Handlungen und Einstellungen, sondern auch Wirklichkeitsauffassungen beeinflußt, und manchmal zu voreiligen Schlüssen über die Wirklichkeit verleitet. V . Rückkoppelung Ein Großteil der Produkte des Rechtssystems wird vom System selbst unmittelbar absorbiert. Z . B . fügt die Verabschiedung eines Gesetzes dem System neue Normen hinzu, und jene können ihrerseits systeminterne Verhaltensweisen, Einstellungen und Auffassungen beeinflussen. Ebenso kann ein ergangenes Gerichtsurteil für die Auslegung systemeigener Normen von Bedeutung sein oder evtl. neue Normen begründen. In Figur 13 auf S. 197 wird solche Einverleibung produzierter Normen durch die engere Rückkoppelungsschlaufe symbolisiert. Im übrigen finden verschiedene Rückkoppelungen innerhalb des Systems statt. Ein Sonderfall solcher Einwirkung ist die Beeinflussung einer Kompetenznorm durch ihre eigenen Produkte; dieser Fall wurde bereits im Kapitel 8 14
131). 15
Vgl. mit Bezug auf das amerikanische Alkoholverbot Gusfield Siehe Eckhoff (1965, S. 40 - 43).
14 Eckhoff/Sundby
(1963, S. 117 -
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Kap. 11: Zur Interaktion zwischen dem Rechtssystem und seiner Umwelt
V I I besprochen und wird hier nicht mehr aufgegriffen. Den Rückkoppelungen durch Gerichte und Verwaltungsorgane zur Gesetzgebung, z.B. wenn Urteile Gesetzesmängel enthüllen, und zu Änderungen führen, widmen wir demgegenüber einige Kommentare. Wir konzentrieren uns aber hier auf Rückkoppelungen aus der Umwelt von Rechtssystemen und befassen uns mit der Frage, ob Wirkungen oder Wirkungsmängel der Systemprodukte in der Umwelt registiert werden und Systemänderungen veranlassen. Hier interessieren besonders negative (selbstregelnde) Rückkoppelungen, d.h. ob das System sich an Umweltereignisse so anpassen kann, daß es die Realisierung seiner Zielsetzungen fördert. Solche Anpassung findet zweifellos gelegentlich statt. Wenn es sich z.B. zeigt, daß ein zur Erreichung bestimmter Ziele ergangenes Gesetz nicht intentionsgemäß wirkt, kann dies zu Änderungen führen. Oder wenn es sich zeigt, daß ein Gesetz nicht hinreichend befolgt wird, wird vielleicht der Überwachungsapparat entsprechend verstärkt. Solche Einzelfälle behandeln wir hier jedoch nicht näher, sondern erörtern allgemeine Systemeigenschaften, welche solche Anpassungen hemmen oder fördern. Eine Voraussetzung für Anpassung ist die Existenz von Informationskanälen, wie sie im Kapitel 2 V beschrieben wurden. Erstens müssen Wirkungen registriert und als „akzeptabel" bzw. „nicht-akzeptabel" klassifiziert werden. Zweitens müssen Informationen über „nicht-akzeptable" (oder fehlende) Wirkungen Korrekturmaßnahmen auslösen. Wirkungen können durch systematische Untersuchungen der Behörden registriert werden - diese Möglichkeit wird im Rechtsleben allerdings selten ausgenutzt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, daß sich Umwelten oder Systemmitglieder über Wirkungen „zu Wort melden". Wir werden im folgenden erörtern, welche Reaktionen dieser Art das Rechtssystem empfängt und wie solche Reaktionen wirken. Dabei unterscheiden wir mit Hirschman (1970) zwischen „exit" und „voice". „Exit" oder Rücktritt entspricht der Reaktion, die der Funktionsweise des Marktmechanismus zugrunde liegt. Kunden reagieren auf hohe Preise und schlechten Kundendienst, indem sie nicht mehr im gleichen Geschäft einkaufen. Dies kann zu Rückkoppelungen führen, z.B. indem Geschäftsinhaber Preise herabsetzen oder ihren Kundendienst verbessern. Eine Pointe bei Hirschman besagt jedoch, daß Rücktritt nicht immer effektiv Korrekturbedürfnisse signalisiert. Die zweite Reaktion („voice") besteht in einer Kritik dessen, womit man unzufrieden ist und in eventuellen ÄnderungsForderungen oder Änderungs Vorschlägen. Im politischen Leben spielen Kritik und Forderungen eine zentrale Rolle. Rücktritt kommt allerdings ebenfalls vor - z.B. wenn man nicht mehr seine Stammpartei wählt, weil man mit ihrer Politik unzufrieden ist. Nach Hirschman garantiert eine Kombination aus „voice" und „exit" oft eine besonders effektive Beeinflussung, findet aus verschiedenen
V. Rückkoppelung
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Gründen jedoch oft nicht statt. Jedenfalls ist wichtig, daß das betreffende System gegenüber den gewählten Reaktionen empfindlich ist. Wendet man „voice" und „exit" auf das Rechtssystem an, so sollte man zwischen Gerichten und Gesetzgebungstätigkeit differenzieren. Verwaltungstätigkeit nimmt eine Zwischenposition ein und wird deshalb hier nicht weiter behandelt. Gerichte werden verhältnismäßig selten kritisiert. Dies hängt u.a. damit zusammen, daß Richter selten für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen verantwortlich gemacht werden. 16 Ein Strafrichter kann z.B. nicht dafür kritisiert werden, daß Verurteilte weder abgeschreckt noch gebessert werden. Im - großen und ganzen beschränkt sich die Verantwortung des Richters auf eine korrekte Bewertung von Sachverhalten und von relevanten Rechtsnormen. Wenige Personen kennen die einzelnen Sachverhalte und auch die Regeln hinreichend gut, um eine substantiierte Entscheidungskritik anbringen zu können. Die einzigen Akteure, die zu solch einer Kritik imstande wären, sind die Anwälte in den einzelnen Verfahren. Anwälte sind jedoch, jedenfalls in Norwegen, äußerst zurückhaltend mit einer Entscheidungskritik an Verfahren, an denen sie selbst teilgenommen haben. Die Aufgeschlossenheit der Gerichte gegenüber auftretender Kritik variiert sicher von Land zu Land und von Epoche zu Epoche. Außerdem spielt es eine Rolle, aus welcher Richtung die Kritik kommt. Ein norwegisches Beispiel für wirkungsvolle Kritik waren die Angriffe auf die starke Ausnutzung des Gesetzprüfungsrechts durch das oberste Gericht in Parlamentsdebatten und in der Rechtsliteratur während und nach dem Ersten Weltkrieg. Diese Kritik trug vermutlich dazu bei, daß dieses Gericht ungefähr seit 1930 erheblich zurückhaltender geworden ist, Gesetze für verfassungswidrig zu erklären. 17 Im allgemeinen lassen sich jedoch Gerichte nur wenig durch Kritik beeinflussen. Aus dem Unabhängigkeitsideal folgt, daß Richter nicht ihren Mantel nach dem Winde drehen, sondern das Richtige nach eigener Überzeugung ermitteln sollen, ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung. Wichtiger als Kritik sind übliche Forderungen nach bestimmten Gerichtsurteilen in Prozessen und damit zusammenhängender Vorlegung von Beweismitteln und Argumenten. Auch wenn selten von den Gerichten ausdrücklich verlangt wird, von bisheriger Rechtspraxis abzuweichen, führt das Erfahrungsmaterial der Fälle oft von selbst zu schrittweisen Änderungen. Man kann sich allerdings darüber streiten, ob solche Modifikationen als Rückkoppelung bezeichnet werden können. Denn Erfahrungen mit neuen Fällen lassen strenggenommen kaum Schlüsse darüber zu, wie frühere Entscheidungen 16 Siehe Aubert (1958, S. 111), Eckhoff / Dahl Jacobsen (1960, S. 35ff.) und Luhmann (1972, S. 231 - 232). 17 Siehe dazu ausführlicher Eckhoff (1965, S. 25 - 29). 14*
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Kap. 11: Zur Interaktion zwischen dem Rechtssystem und seiner Umwelt
gewirkt haben. Daß solche Erfahrungen gelegentlich die Wirkungen einzelner Gesetze zeigen, und daß Rückkoppelungen der Gerichte an den Gesetzgeber möglich sind, steht auf einem anderen Blatt. Auf diese Frage werden wir später noch zurückkommen. Ist man mit den Leistungen der Gerichte unzufrieden, so ist Rücktritt oft eine näherliegende Reaktion als Kritik. Man unterläßt z.B. die Anzeige von Gesetzesübertretungen, weil die Mühe sich nicht lohnt, oder man unterläßt zivilprozessuelle Klagen, weil man den Gerichten keinen hinreichenden Einblick in den Sachverhalt zutraut, oder weil man Gerichtsverfahren für zu teuer und zeitraubend hält. Eine mitwirkende Ursache kann in der Verfügbarkeit alternativer Konfliktlösungsmechanismen liegen, z.B. privater Schlichtung oder in außergerichtlichem Vergleich. Eine Einengung der gerichtlichen Tätigkeitsbereiche kann auch öffentlicherseits gefördert werden, etwa indem neue Verwaltungsorgane eingerichtet werden, die sich des Konfliktstoffs annehmen, der früher von Gerichten behandelt wurde. Zweifellos haben die norwegischen Gerichte im Laufe der vergangenen 170 Jahre einen Teil ihrer „Kunden" eingebüßt. Seit 1814 hat sich die Anzahl der Berufsrichter nur verdoppelt, während sich die Bevölkerung vervierfacht hat. Auch wenn man von Effektivitätssteigerungen als Folge rationeller Papierarbeit und verbesserter Kommunikations- und Verkehrsverhältnisse ausgehen kann, muß man annehmen, daß sich heute die Gerichte mit einem relativ geringeren Anteil des gesamtgesellschaftlichen Konfliktstoffs befassen als 1814.18 Diese Entwicklung hat fast unbemerkt stattgefunden. Die Wahl anderer (oder Aufgabe von) Konfliktlösungsalternativen anstelle der Gerichte geschieht im stillen - „exit" wird nicht mit „voice" kombiniert. Außerdem bekümmert es - im Gegensatz zu Unternehmern - weder die Gerichte noch die Gesetzgeber, wenn Kunden ausbleiben und die Fallanzahl sinkt. Die entgegengesetzte Entwicklung, daß die Fallmenge und Wartezeiten ansteigen, erregt schon eher Aufmerksamkeit. Bestimmte Formen des Rücktritts können auch gegenüber Gesetzgebungsverfahren auftreten. Man kann z.B. die gesetzlich auferlegten Pflichten boykottieren, indem man Schulden nicht bezahlt, Steuern hinterzieht, Verkehrsregeln verletzt oder andere strafbare Handlungen begeht. Dies geschieht meist im stillen - normalerweise ist man nicht an einer Reklame für eigene Gesetzesübertretungen interessiert. Es kann allerdings vorkommen, daß sich private Dritte einmischen und ihre Forderungen an mich eintreiben oder meine Gesetzesübertretungen anzeigen. Die Regel von der Heimlichkeit der Gesetzesübertretung gilt jedoch nicht ohne Ausnahme. Gelegentlich übertritt man Gesetze aus Gewissensgründen 18
Siehe zu dieser Entwicklung und möglichen Ursachen Aubert (1969, S. 289 - 303) und Eckhoff (1976b, S. 21f.).
V. Rückkoppelung
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oder im Zusammenhang mit einer Protestaktion. In solchen Fällen können Gesetzesübertreter an - vielleicht sogar maximaler - Öffentlichkeit interessiert sein, um ihre moralischen Motive zu markieren und ihrer Protestaktion verstärktes Gewicht zu verleihen. Solche Aktionen haben in einzelnen Fällen eine zentrale Rolle als Auftakt von Revolutionen oder nationalen Befreiungsbewegungen gespielt. Bekannte geschichtliche Beispiele sind die „Boston Tea Party" und Gandhis Marsch ans Meer zum Bruch des englischen Salzmonopols. Auch wenn es nicht immer um so tiefgreifende Umwälzungen geht wie in solchen Fällen, können Protestaktionen gegen Gesetze und andere Behördenbeschlüsse geeignete Mittel sein, um die Bevölkerung auf Probleme aufmerksam zu machen und gelegentlich auch eine Solidarisierung mit den von der Aktion verfolgten Werten und Interessen fördern. Der mögliche Effekt demonstrativer Gesetzesbrüche basiert vorwiegend darauf, daß hinter dem Recht Wertvorstellungen stehen. Durch offenen Gesetzesbruch wird daher sichtbar und oft dramatisch angezeigt, daß man sich von den gesetzlich geschützten Rechtsgütern und Werten distanziert oder eventuelle andere Werte als wichtiger einstuft. Die gleichen Umstände, die effektverstärkend wirken können, tragen aber auch dazu bei, daß Protestaktionen ein zweischneidiges Schwert sind. Wo eine Aktion ihre Befürworter moralisch aufrüstet und begeistert, provoziert und verärgert sie gleichzeitig tendenzielle Gegner und verstärkt deren Verteidigung eines Status quo. Es gibt auch Rücktrittsformen, die nicht auf Gesetzesbrüchen basieren, sondern auf einer Nichtbenutzung von Rechtsformen. Auch wenn es sich hier um rechtlich freiwillige Dispositionen handeln mag, können tatsächliche Unterlassungsmöglichkeiten beschränkt sein. Die meisten Menschen unserer Gesellschaft sind z.B. von Arbeitsverträgen, Mietverträgen und Kaufverträgen bei lebensnotwendigen Gütern abhängig. Statt wirtschaftlichen Zwanges kann auch sozialer Druck vorliegen, z.B. zur Eingehung einer Ehe. Ein völliger Rücktritt aus dem Rechtssystem ist praktisch wohl unmöglich. Auch wenn man sich wie Thoreau in eine Hütte im Wald zurückzieht und dort allein von gesammelter oder angebauter Nahrung zu leben versucht, besteht die Gefahr, daß man vom Einwohnermeldeamt oder Finanzamt aufgespürt wird, oder vielleicht vom Sozial- und Gesundheitsamt. In einer differenzierten Gesellschaft gibt es jedoch eine ganze Reihe von Dispositionstypen, deren sich die meisten Bürger nicht bedienen - nur wenige Personen gründen Aktiengesellschaften oder schließen Zeitcharterverträge. Solche Differenzierung hat mit Rücktritt in unserem Sinne jedoch nichts zu tun, während das allmähliche Aussterben einer Vertrags- oder Gesellschaftsform zum Begriff gehört. Der Rechtsverkehr unterliegt ständigem Wandel dadurch, daß ältere Dispositionstypen schrittweise unüblich werden und neue eingeführt werden. Auf solche Neubildungen, die meistens auf Privatinitiativen beruhen, werden wir später zurückkommen.
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Kap. 11: Zur Interaktion zwischen dem Rechtssystem und seiner Umwelt
Gesetzgeber und Verwaltungsorgane treffen in weit größerem Maße auf Kritik und Forderungen (oder Vorschläge und Andeutungen) nach wünschenswerter Veränderung, als dies bei Gerichten der Fall ist. Dies gilt jedenfalls für westliche Demokratien mit der politischen Ideologie, daß Parlament und Regierung sich nach dem Volkswillen zu richten haben und für die Konsequenzen von Entscheidungen verantwortlich sind, während von Richtern Unabhängigkeit und Rechtsfindung, nicht aber Gesellschaftsveränderung erwartet wird. Kritik und Vorschläge zur Gesetzgebung werden gelegentlich direkt an solche Behörden gerichtet, denen die Aufgabe obliegt, neue Gesetze zu initiieren. In anderen Fällen werden diesbezügliche Vorschläge veröffentlicht, z.B. im Fachschrifttum, der Presse oder im Fernsehen, von denen die Behörden dann ggf. Kenntnis nehmen können. Solche Reaktionen können von verschiedenen Instanzen ausgehen: von regelanwendenden öffentlichen Organen, von politischen Parteien, Interessen verbänden und pressure groups, aber auch gelegentlich von Einzelpersonen. Außer den erwähnten Reaktionen liegt auch verschiedenes Erfahrungsmaterial vor (ζ. B. in Urteilssammlungen), das (auch ohne kritischen Inhalt) Schlüsse auf die Funktionsweise der Rechtsordnung zuläßt. Auch Schweigen kann ein Signal sein - nur ist eine Auslegung oft problematisch. Schweigen kann Zufriedenheit mit und wunschgemäße Funktion von Gesetzen ausdrücken, aber auch, daß Gesetze überhaupt nicht berücksichtigt werden und vergessen sind. Sowohl Teile des Rechtssystems als auch Umwelten übermitteln also eine Vielzahl von Informationen über Wirkungen von Gesetzen, von anderen Rechtsnormen und evtl. vom Fehlen von Rechtsnormen. Uns fehlen aber gesicherte Kenntnisse darüber, wie umfangreich, repräsentativ und verläßlich dieser Informationsstrom in verschiedenen Ländern ist. Ebensowenig wissen wir, wie viele Informationen die gesetzesvorbereitenden und gesetzgebenden Instanzen erreichen, und in welchem Maße solche Signale registriert und berücksichtigt werden. Solche Fragen verdienen eine systematische empirische Untersuchung - diesbezügliche Arbeiten sind uns jedoch nicht bekannt. Einige angenäherte Antworten auf diese Fragen können wir jedoch aus der Kenntnis unserer eigenen Gesellschaft versuchen. Man kann wohl getrost davon ausgehen, daß nicht alle Akteure, die ungünstige Folgen von Gesetzen verspüren, sich dazu zu Wort melden, und daß jene, die das tun, selten einen repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt darstellen. Außerdem haben wir den Eindruck, daß viele der Forderungen nach neuer Gesetzgebung nicht auf Erfahrungen mit Schwächen bestehender Gesetze basieren, sondern auf Wünschen nach offizieller gesetzlicher Bestätigung mehr oder weniger realistischer Ideale. Viele der geäußerten Forderungen und Wünsche werden vom Gesetzgeber kaum registriert oder berücksichtigt. Für eine Berücksichtigung kommt es u.a. darauf an, wer dahintersteht - z.B. ob es mächtige Interessenverbände
V. Rückkoppelung
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oder unbekannte Einzelpersonen sind - und ob es sich um Organisationen handelt, von denen sich die Regierung loyale Unterstützung oder Widerstand erwartet. Außer auf politische Macht- und Allianzverhältnisse kommt es wohl auch darauf an, als wie sachverständig der Absender in juristischen Fragen gilt. Reaktionen aus Teilen des Rechtssystems (z.B. Gerichten) oder aus seiner unmittelbaren Umwelt (z.B. Anwaltskammern) werden eher ernstgenommen als Reaktionen ferner Bezugsgruppen. Die engeren Rückkoppelungsschlaufen sind also oft wichtiger als die weiten. Es ist verständlich, daß Gesetzgeber nicht alle Äußerungen von Unzufriedenheit mit der Rechtsordnung ernstnehmen - teils ist solche Kritik nicht hinreichend durchdacht, teils gibt es natürliche Grenzen dafür, wie häufig die Rechtsordnung geändert werden kann. Näher erklärungsbedürftig ist jedoch das weitgehende Fehlen systematischer Konsequenzanalysen rechtlicher Maßnahmen seitens der Rechtsbehörden selbst. In Gesellschaften, die ansonsten stark von Zweckmäßigkeitsdenken und steigenden empirischen Forschungsaktiväten geprägt sind - wo ζ. B. Unternehmer Marktforschung betreiben und Wirtschaftsexperten umfangreiche statistische Daten über Entscheidungsfolgen erheben - nimmt es wunder, daß die Wirkungen von Gesetzen und Rechtsnormen so wenig untersucht werden. Eine Teilerklärung besteht wohl darin, daß es sich hier um komplexe und schwer analysierbare Zusammenhänge handelt, und daß empirische Forschungsmethoden meist nicht zum juristischen Studium gehören. Eine andere mögliche Erklärung liegt in der wichtigen Symbolfunktion von Gesetzen. Es knüpfen sich Werthaltungen an sie, die relativ unabhängig von faktischen Wirkungen sein können, denn Gesetze dienen nicht nur als Mittel zur Erreichung manifester Ziele, sondern auch als Manifestation von Idealen und zur Dämpfung und Verschleierung gesellschaftlichen Konfliktstoffes. Hierin liegt wohl auch eine wichtige Erklärung dafür, daß veraltete und nichtbefolgte Gesetze am Leben bleiben oder gegentlich auch neue Gesetze verabschiedet werden, wo man schon im voraus nur symbolische Bedeutungen erwarten kann. Bisher haben wir uns auf Rückkoppelungen zu Behörden beschränkt. Wie im Abschnitt I I I erwähnt wurde, gehen aber Initiativen zur Rechtsentwicklung oft nicht von behördlichen Instanzen, sondern von privaten Akteuren aus, z.B. durch Erfindung neuer Vertragstypen oder Gesellschaftsformen oder durch Verwendung älterer Vertragstypen u.ä. zu neuen Zwecken. Solche Neubildungen führen dann oft dazu, daß sich durch Rechtsprechung und Gesetzgebung allmählich neue Rechtsregelkomplexe zu solchen veränderten Formen des Geschäftsverkehrs herausbilden (Aktienrecht, Bankrecht, Wertpapierrecht usw.). Andererseits wirken auch die gesetzgeberischen und gerichtlichen Reaktionen auf solchen Geschäftsverkehr modifizierend zurück, oder führen eventuell dazu, daß sich neue Vertragstypen verstärkt durchsetzen, da sie rechtlich anerkannt und geregelt sind. Hier handelt es sich also um
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Kap. 11: Zur Interaktion zwischen dem Rechtssystem und seiner Umwelt
Rückkoppelungen vom Rechtssystem zum Wirtschaftssystem. Wirtschaftsunternehmer passen sich häufig umgehend und zielbewußt den Veränderungen im Rechtssystem an. Die Anpassung amerikanischer Großbetriebe an die Antikartellgesetzgebung ist hierfür ein gutes Beispiel. Sobald die eine Monopolform als gesetzwidrig verboten war, erfanden Konzerne eine neue Organisationsform, die wirtschaftliche Konzentration sicherte und den Wettbewerb begrenzte. 19 Ein anderes Beispiel, das für viele Länder gilt, betrifft die Reaktion von Unternehmen auf Änderungen in der Steuergesetzgebung. Sobald Gesetzeslücken abgedichtet sind, finden Betriebe neue Wege, einer Besteuerung zu entgehen. Wirtschaftsunternehmer können oft schneller und zweckmäßiger auf Umweltsignale reagieren, als es den Rechtsbehörden möglich ist. Ihr Entscheidungsapparat ist dem staatlichen an Flexibilität überlegen und braucht sich weniger um einen Ausgleich zahlreicher Interessen zu bemühen. Auch wenn sich Rechtssysteme in einem gewissen Grade an Umweltänderungen anpassen, scheint es fraglich, ob sie als kybernetische Systeme charakterisiert werden können. Sie unterscheiden sich jedenfalls deutlich von technischen Installationen wie z.B. thermostatgesteuerten Heizungsanlagen oder zielsuchenden Luftabwehrraketen. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, daß solche Mechanismen für die Realisierung eines einfachen und eindeutigen Ziels konstruiert sind, z.B. für konstante Innentemperatur oder für Treffer auf bewegliche Ziele. Die Zielstruktur von Rechtssystemen ist erheblich komplizierter. Wir haben hier wiederholt die Doppelbedeutung von Recht als gesellschaftlichem Steuerungsmedium und als wertbestätigender und integrativer Ideologie betont. Diese beiden Funktionen konfrontieren das System mit teilweise widersprüchlichen Anforderungen. Hinzu kommt, daß sich für die Steuerung von Gesellschaften kaum ein eindeutiges Ziel angeben läßt - statt dessen gibt es viele gegensätzliche und konkurrierende Interessen. Außerdem ist Recht nicht nur ein staatliches Steuerungsmedium, sondern auch selbst Steuerungsobjekt, u.a. von Seiten des ökonomischen Systems.
19 Siehe Arnold (1937, S. 207 - 229).
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Bewertungen 90ff., 144 - 45 Billigkeit 144 Biologie, Analogie zur 127 - 28,174 Bobbio, Norberto 106 Braybrooke, David 108 Britischen Dominions 189 Bulygin, Eugenio 41 Bundesstaaten 187 Bürgerkriege 186-87 Cannon, Walter B. 35 - 37 Cornides, Thomas 67 Darf-Normen 93 Derogation 165 Descartes, René 33 Direktiven 45 - 46, 48 - 49, 64 Durkheim, Emile 48, 205, 207 Dworkin, Ronald M. 107 - 8 EDV 37 Eigentumsbegriff 111 - 12, 115 - 16, 123 - 24,128 Engisch, Karl 135 Entscheidungen 129 - 30,133 - 34, Normierung von 139, Bedeutung für den Normbildungsprozeß 146 - 48 Entscheidungsbefugnis 139 Entscheidungsnormen 117 - 19,139 - 41 Entscheidungsprozesse 130 - 38 Erlaubnis 65 - 70 Ermächtigungen 46, 50 Ermächtigungsnormen siehe Kompetenznormen Ermessenskriterien 101-2 Ermittlungen 157 Esser, Josef 78, 86, 99,137,145 Euklid 33 Europäische Gemeinschaft 177, 178 - 79 „Exit" und „voice" 210 - 15
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Register
Feed back siehe Rückkoppelung Finnis, J. M. 175, 189 Forrester, Jay W. 31 Freiheit 68, 70 - 71, 77 - 78 Freistellung 65 - 70 Fuller, Lon L. 179, 180 - 81 Gagnér, Sten 141 Galtung, Johan 47 Ganzes und Teil 20,122 Gebote 64 - 70 Generelle Pflichtnormen 71-72 Genetische Zusammenhänge zwischen Normen 159 - 63, 175 Gerichte 211-12 Geschäftsfähigkeit 74 Gesetzgebung, Rolle und Möglichkeiten 140 - 41, zur Beförderung politischer Zielsetzungen 194, Anpassung 210, 212 - 15. Siehe auch Normierungsakte und Normsetzung Gesetzgebungsmaterialien 196 Gesetzgebungstechnik 117 Gesetzte Normen 51-54 Gewohnheitsrecht 54, 97, 174, 178,183, konstitutionelles 167 Grundgesetz 149, 161, 164, 166, das norwegische 149 - 50,164 - 65,167 Grundnorm 142 - 43, 175 Grundrechte 161 Grundstamm des Rechtssystems 175,182, 188 Gültigkeitsbedingungen 82 - 84 Gültigkeitsnormen 82 - 83 Haie, Sir Matthew 207 Handlungsprogramme, rechtliche 201 - 3 Harenburg, Jan 137 Hart, H. L. A. 42, 61, 79, 119, 120 - 21 175 Heck, Philipp 108 Hedenius, Ingemar 58 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 14 Heteronome Kompetenz 75 - 76, 81 Hilfsnormen 90
Hin- und Herwandern des Blickes 135, 137 Hippel, Fritz von 91, 100 Hirschman, Albert O. 210 Hohfeld, Wesley Newcomb 41, 70 - 71, 81 Homöostase 35 - 37 Hubmann, Heinrich 96 Ideensysteme 22 - 24 Incrementalism 108 Individuation von Rechtsnormen 119 Individuelle Pflichtnormen 71-72 Informationsquelle, Recht als 207 - 9 Informationstheorie 37 Internalisierung 48-51, 128 Internationale Organisationen 177, 178 - 79,187 - 88 Irrelevante Handlungen 69 Kanonisches Recht 177 Kant, Immanuel 62, 73 Kategorische Pflichtnormen 72- 73, Kompetenznormen 80 Kelsen, Hans 13, 120, 123, 142 - 43, 167, 175,179 - 80, 188, 189 Koestler, Arthur 20, 201 Kollektive Einheiten 126 - 27 Kollektivverträge 185 Komparative Normsätze 95 - 96 Kompetenzausübung, Normen für 81 - 82 Kompetenzbegriff 74 - 77 Kompetenznormen 50 - 51, 74 - 85, 148 - 51,164 - 66, Zusammenhänge zwischen öffentlichen und privaten 158 Konfliktlösung 196 - 97, 202 König, der norwegische 75 Konkurrierende Kompetenz 76 - 77 Konstitutive Normen 88 - 89 Koppelungstermini 112 Koppelungszusammenhänge 111 - 17 Krawietz, Werner 40, 42, 58 Kriele, Martin 135, 137 Kritik 210 - 11 Kybernetik 37, 216 Larenz, Karl 61, 86,118, 135, 137 Lautmann, Rüdiger 59
Register
Leitsätze 98 - 99,106 Leopardenmänner 207 - 8 Lex superior 163 Lindblom, Charles E. 108 Lindskog, Birger 208 Luhmann, Niklas 39, 42, 47, 141, 179 Lundstedt, Vilhelm 124
Normsysteme, nicht-staatliche 179. Siehe auch Rechtssystem Normthema 72, 80 Normzusammenhänge, statische 110-28, dynamische 152 - 63, operative 155 - 59, genetische 159-63
Mac Cormick 108 Macht 74 - 75 Makkonen, Kaarle 98, 137 Marshall, Geoffrey 195 Marxistische Rechtstheorie 209 Merkl, Adolf 167 Metanormen 51 - 54, 97, 147, 164, 175, 183 - 84 Moral und Recht 180 - 81,192 - 93 Moralbildende Funktion des Rechts 205 - 7 Moralnormen 102 - 3,180 - 81 Moralphilosophie 85, 102 - 3 Moritz, Manfred 67, 71
Objektsysteme 22 - 24, 33 - 34 Ökonomisches System und Rechtssystem 192,199 - 201, 215 - 16 Olivecrona, Karl 179 - 80 Operative Zusammenhänge 155 - 59,160, 174 Opinio juris 54 Otte, Gerhard 95
Nackte Macht 75 Natur der Sache 106, 145 Naturrecht 145 New Deal 195 - 96 Nicht-Anspruch 70-71 Nichtgebrauch von Normen 148, 149 Normative Sprache 173 Normatives Feld 148 Normbegriff 43 - 60 Normbildungsprozesse 130,146 - 51, 164 Normempfänger 55 - 56 Normen, als Begründungsgegenstand und als Prämissen 141 - 45, nicht-rechtliche 179, 184. Siehe auch Kompetenznormen, Pflichtnormen und Qualifikationsnormen Normierung 87 Normierungsakte 51 - 52,58,82 - 83,149 Normlogiken 41 Normsender 55 Normsetzung 51 - 54, 67, 69, 141 - 42,
160 - 61,
individuelle 162 - 63 Normsubjekte 55 - 56, 70 - 71, 80 - 81, 104
Paulus 56 Peczenik, Alexander 42, 47, 67 Performative 46 Pflicht und Kompetenz 77 - 78, 157 - 58 Pflichtbegriff 62, 70 - 71 Pflichtnormen 49, 61 - 73, 103 - 4, 156 - 58 Piaget, Jean 48 Politisches System und Rechtssystem 191 - 92, 193 - 94 Praxis, als Begründung 143, 149 - 51 Präzedenzwirkungen 147 - 48 Primär- und Sekundärnormen 125,157 Prinzipien 52, 93, 107 - 8 Projektion 138 Process of discovery 132, of justification 132 Pufendorf, Samuel von 40 Qualifikationen 46, 49 Qualifikationsnormen 50, 85 - 89, 105, 111 Radbruch, Gustav 180, 193 Rangordnung zwischen Normen 163 - 67, zwischen öffentlichen Organen 167 - 70 Raz, Joseph 42,61,79,120 - 21,122,155, 159, 172 - 73,189 Recht und Politik 193 - 98 Recht und Moral 180 - 81,192 - 93 Recht und Staat 176 - 79, 193 - 98
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Recht und Zwang 179 - 80,194 - 95, 201 - 3 Rechtsanwendung 129 - 30 Rechtsbegriff 171 Rechtsbeziehungen 127 - 28 Rechtsbildung 130,146 - 51 Rechtsfindung 106 Rechtspositionen 123 - 28, 162 - 63, 173 - 74 Rechtsprofession 174 Rechtssprache 105 - 7, 173 Rechtssystem 13 - 14, 41 - 42, Kennzeichen 171-82, Begriff 176 - 82, Zwangsmonopol als Kriterium 179 - 80. ethische Mindestanforderungen
180 - 81,
vergangene gedachte und geplante
181 - 82,
Zurechnungsfragen 182 - 85, Teilsysteme 187 - 88, Identität auf Zeit 188 - 90, Interaction mit seiner Umwelt 191 - 216 Regelbegriff 44, 90. Siehe auch Normbegriff Regelspezifische Richtlinien 100 - 102 Regulative Normen 88 - 89 Relevanzkriterien 92 - 94 Renner, Karl 206 Revolution 186 - 87 Richterrecht 97. Siehe auch Praxis Richtlinien 90 - 109,113,144 Rituale 205 Ross, Alf 45, 58, 60, 67, 71, 83 - 84, 112, 115 - 116,120,124, 165,179 - 80 Ross, W. D. 103 Rückkoppelung 26 - 32, 35 - 36, in Überlegungsprozessen 134 - 38, im Verhältnis zwischen Kompetenznorm und abgeleiteten Normen 148 - 51, aus der Umwelt von Rechtssystemen 209 - 16 Rücktritt als Reaktion 210, 212 - 13 Rule of recognition 175 Sanktionen 63, 84 - 85 Sanktionsnormen 156 - 58
Schlink, Bernhard 102 Schlußfolgerungen aus Normen 143 - 44 Schmidt, Folke 53 Searle, J. R. 88 - 89 Seinsollen 87 - 88 Selznick, Philip 179 Semi-Setzung 53 - 54,147, 148 Shannon, Claude 37 Simon, Herbert A. 20, 21, 22 Situationsbedingungen 72 - 80 Sprachphilosophie 85, 88 - 89 Staatsbegriff 177,178,186 Strafzumessung 91, 93 - 94, 99 - 100,104 Strömberg, Tore 86, 115,119 - 20 Strömholm, Stig 53, 58, 61 Struktur 19, operative 155 - 59, genetische 159 - 63 Stufenbau der Rechtsordnung 163-67 Süd-Afrika 195 Symbole 205, 208 Synchronschnitt durch Rechtssystem 172 - 73 Systembasierte Normen 51-55 Systembegriff 18 - 22 Systemdenken in Rechtswissenschaft 40-44 Systeme, statische und dynamische 24 - 25, offene und geschlossene 26 Systemkonkurrenz 185-87 Systemtheorien 32- 42, allgemeine 38 - 39 Teil siehe Ganzes Teilkompetenz 77 Teilnormen 113 - 14, 122 Teilsysteme 187 - 88 Topik 108 - 9 Topoi-Katalogen 98 - 99 Tran0y, Knut Erik 85 - 86 "Triggers" 201 Tunsollen 87 - 88 Überführungskompetenz 163 Überlegungen 130 - 32 Unterstützung des Rechtssystems 198 - 99 Uppsala-Schule 58
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Verantwortung des Richters 211 Verbote 64 - 70 Verhaltensnormen 61. Siehe auch Pflichtnormen Verinnerlichung siehe Internalisierung Verordnungen 161 Verträge 184 - 85 Verwaltungsrecht 68 Vieweg, Theodor 108 Völkerrecht 176, 178, und nationales Recht 184,188 Völkerrechtliche Normen 184 Vollmacht 74, 80 Wasserstrom, Richard A. 132 Weaver, Warren 37 Weber, Max 207 Weinberger, Ota 43, 70, 78,167 Wertaussagen 47 Wertbeeinflussung 203 - 7 Werte 59 - 60 Wertnormen 60, 88, 98, 184
Wertungen 60,105 - 7, 144 - 45 Whitehead, Alfred North 35 Wieacker, Frantz 108,177 Wiener, Norbert 37 Wilburg, Walter 108 Wittgenstein, Ludwig 85 Wright, Georg Henrik von 67, 86 Wurzel, Karl Georg 107, 138 Zippelius, Reinhold 78, 86,167,180 Zusammenhänge, zwischen Normen llOff., statische 110 - 28, dynamische 153 - 63, zwischen Normen und Aktivitäten 129 ff., kausale 137 - 38, 153, 160, Sinn- 152 - 53, normative 153 - 54, operative 155 - 59, genetische 159 - 63, synchrone und diachrone 172 - 73