120 25 33MB
German Pages 352 Year 1997
ALEXANDER KOPKE
Rechtsbeachtung und -durchsetzung in GATT und WTO
Schriften zu internationalen Wirtschaftsfragen Band 21
Rechtsbeachtung und -durchsetzung in
GATT und WTO
Der Erklärungsbeitrag der Ökonomik zu internationalen Rechts- und Politikprozessen Eine neue Synthese mit der Theorie des kommunikativen Handeins von Habermas
Von Alexander Kopke
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kopke, Alexander: Rechtsbeachtung und -durchsetzung in GATI und WTO : der Erklärungsbeitrag der Ökonomik zu internationalen Rechtsund Politikprozessen ; eine neue Synthese mit der Theorie des kommunikativen Handeins von Haberrnas I von Alexander Kopke. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zu internationalen Wirtschaftsfragen ; Bd. 21) Zug!.: Berlin, Techn. Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08757-7 NE:GT
D83 Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Gerrnany ISSN 0720-6984 ISBN 3-428-08757-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
9
Vorwort Zu den Erfahrungen mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT gehört, daß seine internationalen Handelsregeln nur eingeschränkt beachtet und durchgesetzt wurden. Wird die neue Welthandelsorganisation WTO dank verbesserter Regeln diesem Schicksal entgehen? Bei der Novellierung des GATT zur WTO haben sich v.a. jene Stimmen durchgesetzt, die eine Verschärfung der Regeln, eine Verrechtlichung und Institutionalisierung einforderten. Sie gehen offensichtlich davon aus, daß strengere Regeln eher beachtet und durchgesetzt werden. Auf welcher Grundlage? Besonders Ökonomen geben sich bestens gerüstet bei Erklärungen internationaler Interaktionsphänomene und scheinen bisweilen gar die Einwände anderer sozialwissenschaftlicher Fachdisziplinen gänzlich abzuschütteln - aus guten Gründen? Leider zeigt sich, daß Theorien der Ökonomikl allesamt in entscheidenden Aspekten bei der Erklärung von Rechtsbeachtung und -durchsetzung versagen: V.a. die starr gehandhabte Annahme der Zweckrationalität läßt in einer Welt komplexer Verflechtungen offen, worin für internationale Entscheidungsträger der je eigene Vorteil liegt, ihr Handeln so auszurichten, daß einmal geschlossene Verträge beachtet und durchgesetzt werden - oder auch nicht. Die ökonomischen Fragen nach Knappheit und Kosten und Nutzen versetzen nur für enge raum-zeitliche Grenzen und in institutionell wohlbestimmten Handlungssystemen in die Lage, wissenschaftlich begründete Aussagen über Verhaltens- und Interaktionsmuster zu machen. In internationalen Politik- und Rechtsprozessen liegen solche Gegebenheiten nicht vor. Dagegen ermöglicht ein umfassenderer sozial wissenschaftlicher Ansatz: die Theorie des kommunikativen Handeins von Habermas, durchaus überzeugende Antworten auf Fragen nach Rechtsbeachtung und -durchsetzung in den internationalen Handelsbeziehungen. Der verständigungsorientierte Ansatz kann nämlich Aspekte der sozialen Eingebundenheit von Individuen sowie
1 Der Begriff "Ökonomik" (statt "Ökonomie") soll deutlich machen, daß hier LS. einer modemen Wissenschaftsauffassung die Art der Fragestellung bezeichnet wird (nicht ein Gegenstand der Untersuchung).
VI
Vorwort
ihrer Informations- und Erkenntnisbedingtheiten in seine Grundlagen aufnehmen und somit die durch die Ökonomik gelassenen Erklärungslücken ausfüllen - und zwar gerade für institutionell nur wenig bestimmte soziale Interaktionsprozesse. Mit dem verständigungsorientierten Forschungsansatz, der indes einer "methodischen Bändigung" bedarf, können erstmals plausible Überlegungen zur zukünftigen Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der neuen WTO :nöglieh werden. Dies werde ich am neuen WTO-Streitschlichtungsverfahren aufzeigen. Dabei kann der exemplarische Bezug auf einen besonders sensiblen neuen Vertragsgegenstand, den Umweltschutz, die Leistungen der neuen Forschungsperspektive plastisch veranschaulichen und zu erwartende Entwicklungen in Rechtsbeachtung und -durchsetzung der WTO-Regeln beurteilbar machen. Nur auf so gesicherten Grundlagen scheinen mir Politikempfehlungen zur WTO überhaupt sinnvoll. Meine Danksagungen gelten v.a. Prof. Lechner und Prof. Mackensen, die mich von Anfang an unterstützten. Für Anregungen und Kritik danke ich Guido Hülsmann und Markus Teichmann sowie den Mitarbeitern des MaxPlanck-Instituts zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena. Alexander Kopke
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung .................................................................................... . B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT .......
9
I. Die internationalen Handelsregeln des GATI....................................
9 10 16 18
1. Prinzipien und Ziele................................................................ 2. Verhaltensvorschriften für Nationalstaaten....... ................. ............ 3. Das Streitschlichtungsverfahren ................. ........ ............... ...... ... 11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen........... 1. Die Begriffe "Vertragsbruch" und "Vertragsverletzung" im Völkerrecht.................................................................................... 2. "Vertragsumgehung" als Ergänzung der völkerrechtlichen Terminologie.................................................................................... 3. Vertragsverletzungen und -umgehungen im GATI ......................... a) Bestimmung der Akteure...................................................... b) Umgehung und Mißbrauch einzelner Vorschriften, nichttarifäre Handelshemmnisse, Wirtschaftszusammenschlüsse ..................... c) Umgehung des Streitschlichtungsverfahrens ..............................
37 44
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer RechtsmitteL................... 1. Rechtsmittel der GATT-Verträge................................... ............. a) Unilaterale Selbsthilfemaßnahmen .......................................... b) Das Streitschlichtungsverfahren ................ .. . .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. . .. . c) Bilanz der Anwendung: unterlassene Inanspruchnahme ............... 2. Völkerrechtsmittel .................................................................. a) Anspruchsnonnen............................................................... b) Friedliche Streitbeilegung .. .. .. . . . . . . . .. . . . .. . .. .. .. . . . . . .. .. .. . . . . . . .. . . . . .. . c) Retorsionen und Handelsembargos? ........................................ 3. Fazit der Untersuchung: Verzicht...............................................
49 49 50 51 54 56 56 60 64 65
C. Der Verzicht auf (völker-) rechtliche Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik .................................................................
67
I. Vorbemerkungen zu den Theorien.................................................. 1. Zur Auswahl der Theorien........................................................ 2. Grundlegende Annahmen in der Ökonomik...................................
3. Hypothesenbildung innerhalb ausgearbeiteter Theorien....................
22 23 28 31 32
67 68 69 76
VIII
Inhaltsverzeichnis 11. "Standard-Theorie"..................................................................... 1. Strategisches Spiel um gefährdete Eigentumsrechte im internationalen Handel................................................................................. a) Eigentumsrechte, Externe Effekte und Kollektivkapitalgüter ......... b) Gefährdung durch externe Effekte und Staatstätigkeit . . . . . .. . . . . . . . . . . . c) Das GATT als Kollektivkapitalgut in einem internationalen Gefangenendilemma. ................................................................... 2. Kritik................................................................................... 3. Eingeschränkte Erklärungskraft für den Verzicht auf Rechtsdurchsetzungsversuche .......................................................................
III. Hegemon- und Dominanztheorie .................................................... 1. Theoretische und empirische Fundierung .....................................
79 81 81 87 90 92 94 95 96
2. Erklärungskraft: "Machtphänomene" und GATT ........................... 99 3. Ergebnis................. ....... ........... ...... ........................ ........... ... 103 IV. Neue Politische Ökonomie nach Olson und Public Choice .................... 104 1. Verankerung der Hypothese in der Theorie .................................. 105
2. Methodische und praktische Schwächen....................................... 110 3. Empirisch-analytische Reichweite für GATT-Fragestellungen........... 117 V. Ökonomische Theorie der Verfassung nach Buchanan......................... 117 1. Darstellung und Kritik............................................................. 118 2. Mangelhafte Erklärungskraft .... .............. ........................... ........ 120 VI. Ordnungstheorie (Eucken, Hayek, Böhm u.a.) .................................. 121 1. Die Interpretation des GATT als "Ordnungsstaat der Welthandelsordnung" .............................................................................. 124 2. Analogieprüfung zum nationalen Ordnungsstaat............................. 127 3. Kritische Würdigung des ordnungstheoretischen Erklärungsansatzes ... 142 VII. Wettbewerb der Institutionen! Systemwettbewerb ............................... 1. Darstellung ........................................................................... 2. Kritik............. ... ....... ....... ................ ........................ ............. 3. Resultate........... ................................... ................. ...............
144 144 147 150
VIII. Neue Institutionenökonomik.... . ..... ..... ....... ... .......... .......... ............. 1. Grundlagen der Neuen Institutionenökonomik ............................... 2. Transaktions- und Informationskostenökonomik............................. 3. Prinzipal-Agent-Theorie als Erklärungsansatz................................
151 151 163 167
IX. Reputationstheorie ...................................................................... 170 1. Reputation als informeller Sanktionsmechanismus .......................... 170 2. Erklärungskraft der Reputationstheorie ........................................ 172
Inhaltsverzeichnis
IX
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz ................................ 173 I. Erklärungslücken der Ökonomik .................................................. 174
1. Zusammenstellung der vorgefundenen Theorieprobleme .................. 175 2. Restriktive Grundannahmen der Ökonomik.................................. 179 3. Unzureichende Möglichkeiten der Fragestellung.................... ... ..... 181 11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handeins von Habermas ..................................................................................... 1. Grundzüge der Theorie des kommunikativen Handeins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kommunikative Rationalität und kommunikatives Handeln ........... b) Gesellschaft als System und symbolisch strukturierte Lebenswelt. ... c) Gesellschaftsdiagnose: Verrechtlichung in Wirtschaft und Verwaltung ............................................................................. 2. Kritik und Gegenüberstellung zur Ökonomik................................ a) Gegenüberstellung............................................................ b) Defizite der Ökonomik aus verständigungsorientierter Sicht... ... .... c) Warum Habermas? .................................................... ....... 3. Erklärungspotential für die Verhältnisse im GATT ........................ a) Vertragsschluß und -anwendung als kommunikative Verständigungshandlungen.............................................................. b) Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche, um zum verständigungsorientierten Kommunikationsmodus (Diskurs) zurückzufinden c) Grenzen des verständigungsorientierten Erklärungsansatzes .......... III. Explikationskraft einer neuen Synthese........................................... 1. Die Synthese von Ökonomik und verständigungsorientierter Theorie als neue Methode................................................................. a) Erweiterungen der Ökonomik.............................................. b) Erweiterungen der Theorie des kommunikativen Handeins: schriftliche Verständigung und Eigennutzorientierung .................... ..... (I) Schriftliche Verständigung............................................. (2) Eigennutzorientierung .................................................. c) Zusammenfassung: Die zentralen Annahmen der neuen Methode.... 2. Anwendbarkeitsvoraussetzungen der neuen Methode...................... a) Analytische Geschlossenheit................................................ b) Operationalisiertes Fragenschema . ........................................ c) Theoretische Möglichkeiten für die GATT-Problematik ............... 3. Schlußüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183 185 187 200 204 206 207 207 214 217 217 220 224 229 230 231 232 232 234 235 236 236 238 239 241
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen mit der neuen Methode........................................................................... 243 I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung ..... ........ 248
1. Streitschlichtung in den internationalen Handelsbeziehungen............. 249 a) Neue internationale Handelsregeln ........................................ 250
x
Inhaltsverzeichnis b) Weiterentwicklungsflexibilitäten durch die WTO? ...................... c) Multilaterale Streitschlichtung in den internationalen Handelsbeziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das novellierte WTO-Streitschlichtungsverfahren.... ...... ........... ...... a) Prozessuale Verschärfungen .................................................. b) Obligatorische Anwendung und quasi-offIziale Weiterverfolgung ... c) "Bessere" Durchsetzungsmöglichkeiten?.............. .... .......... ..... 3. Methodisches: Geltungsgründe und Kommunikationsarten im institutionalisierten Verfahren............................................. ..... .......... 11. "Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung am Beispiel der neuen Umweltschutzziele ...................................................................... 1. Umweltschutz in den internationalen Handelsbeziehungen................ a) Wachsende Interdependenz und gemeinsame Betroffenheit.. ......... b) Internationale Abkommen und WTO ....................................... c) Fazit: Verständigungsnotwendigkeiten .....................................
256 259 261 262 265 266 268 274 274 275 277 279
2. Umweltschutz in GATI und WTO ............................................. a) Hintergrund: Umweltschutz im Prüffeld des bisherigen GATI ...... b) Umweltschutzaspekte in der WTO.......................................... c) Gegenwärtige Diskursbedingungen ......................................... 3. Ergebnis: Schlechte "Erfolgsaussichten" zukünftiger Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO ...........................................
281 281 284 285 290
111. Politikempfehlungen. ................................................................... 1. Beurteilung institutioneller Optionen ........................................... 2. Empfehlung: Die richtigen Akteure ins Streitschlichtungsverfahren .... 3. Gründe, Geltungsgründe und Ökonomik ......................................
292 293 295 297
F. Ergebnisse der Arbeit.. ................................................................... 300 Literaturverzeichnis ............................................................................ 303
Tabellen und Abbildungen Tabelle 1: Übersicht über die zu prüfenden Theorien und Hypothesen..............
80
Tabelle 2: Zusammenstellung der vorgefundenen Theorieprobleme .................. 176 Tabelle 3: Handlungsarten und -bezüge .................................. ... .......... ...... 196 Tabelle 4: Theoriegegenüberstellung ......................................................... 208 Tabelle 5: Teilnehmer- versus Beobachterperspektive ................................... 242
Abbildung 1: Abgrenzung kommunikativen Handelns ................................... 195 Abbildung 2: Verschränkung der Persönlichkeitsstrukturen mit Kultur und Geseilschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Abkürzungsverzeichnis ABlEG AFTA ASEAN BGBI. BIP BIS BIZ BMWi CAP CNRS CSD DIHT
DIW DSB EC ECE ECI ECOSOC EEA EEC EFTA EG EMS ENA EPZ
ERA EuGH
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
ASEAN Free Trade Association (Freihandelszone der ASEAN-Staaten) Association of South East Asian Nations (Vereinigung südostasiatischer Nationen) Bundesgesetzblatt Bruttoinlandsprodukt
Bank for International Settlements (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Bundesministerium für Wirtschaft Common Agricultural Policy (Gemeinsame (europäische) Agrarpolitik) Centre Nationale de la Recherche Scientifique (Nationales Forschungszentrum Frankreichs) Convention on Sustainable Development (UN-Konvention über nachhaltige Entwicklung) Deutscher Industrie- und Handelstag Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin Dispute Settlement Body (Streitschlichtungsausschuß der WTO) European Communities (Europäische Gemeinschaften) Economic Commission for Europe (Wirtschaftskommission für Europa) . European Court of lustiGe (Europäischer Gerichtshof) United Nations Economic and Social Council (Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen) Einheitliche Europäische Akte European Economic Community (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) European Free Trade Association (Europäische Freihandelszone) Europäische Gemeinschaften European Monetary System (Europäisches Währungssystem) Ecole Nationale d 'Administration (Französische Verwaltungshochschule) Europäische Politische Zusammenarbeit Export Restraint Agreement (Exportbeschränkungsabkommen) Europäischer Gerichtshof
Abkürzungsverzeichnis EWG EWGV EWS GATS GATT GSP HWWA IAO IATA IBRD
ICAO ICC IC] IDA
IFC IGH IHK ILC ILO IMF !TC IWF JITE KSZE KVAE
MBK MFA MFNC MIGA MPI NAFTA NGO
XIII
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Währungssystem General Agreement on Trade in Services (Allgemeines Dienstleistungshandelsabkommen) General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) Generalised System of Preferences (Allgemeines Präferenzsystem) Hamburger Weltwirtschafts-Archiv Internationale Arbeitsorganisation International Air Transport Association Internationale Vereinigung der Luftfahrtgesellschaften International Bank for Reconstruction and Development (Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung "Weltbank") International Civil Aviation Organization (Internationale Zivilluftfahrtorganisation) International Chamber of Commerce (Internationale Handelskammer) International Court of Justice (Internationaler Gerichtshof) International Development Association (Internationale Entwicklungsorganisation) International Finance Corporation (Internationale Finanz-Corporation) Internationaler Gerichtshof Internationale Handelskammer International Law Commission (Völkerrechtskommission) International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation) International Monetary Fund (Internationaler Währungsfonds) International Trade Commission (Handelsbehörde der USA) Internationaler Währungsfonds Journal of Institutional and Theoretical Economics Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa Meistbegünstigungsklausel Multi-Fibre Agreement (Multifaser Textilabkommen) Most-Favored Nation Clause (Meistbegünstigungsklausel) Multilateral Investment Guarantee Agency (Multilaterale InvestitionsGarantie-Agentur) Max -Planck-Institut North American Free Trade Association (Nordamerikanische Freihandelszone) Non-Governmental Organizations (Nicht-Regierungs-Organisationen)
XIV OMA OPEC ORDO PSE
REP
RgW Res. TRIMs TRIPs UN UNCDP UNCED UNCTAD UNCTC UNDP UNESCO
UNIDO UNO USITC VER VIE WCED WIPO
WTO WVK
Abkürzungsverzeichnis
Orderly Marketing Agreement (Marktabsprachen) Organization ofthe Petroleum Exporting Countries (Organisation der Erdöl exportierenden Länder) Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Producer Subsidy Equivalent (produzentensubventionsäquivalent) Revue d 'Economie Politique (Französisches Wirtschaftsjournal) Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (auch: COMECON) Resolution Trade-Related Investment Measures (Handelsrelevante Investitionsmaßnahmen) Trade-Related Intellectual Property rights (Handelsrelevante Aspekte von Rechten am geistigen Eigentum) United Nations (Vereinte Nationen) United Nations Capital Development Fund (Kapitalentwicklungsfonds der Vereinten Nationen) United Nations Conference on Environment and Development (UNKonferenz für Umwelt und Entwicklung, auch: "Earth Summit") United Nations Conference on Trade and Development (Welthandelskonferenz, auch: UN-Konferenz für Handel und Entwicklung) United Nations Centre on Transnational Corporations (Zentrum für transnationale Unternehmen der Vereinten Nationen) United Nations Development Program (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) United Nations Educational, Scientijic and Cultural Organization (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) United Nations Industrial Development Organisation (Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung) United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen) United States International Trade Commission (US-amerikanische internationale Handelscommission) Voluntary Export Restraint (Freiwillige Exportbeschränkung) Voluntary Import Expansion (Freiwillige Importsteigerung) World Commission on Environment and Development (sog. Brundtland Commission) World Intellectual Property Organization (Weltorganisation für geistiges Eigentum) World Trade Organization (Welthandels organisation) Wiener Übereinkommen (Konvention) über das Recht der Verträge vom 23.5.1969
Abkürzungsverzeichnis WVKIO
xv
Wiener Übereinkommen (Konvention) über das Recht der Verträge zwischen Staaten und Internationalen Organisationen oder zwischen Internationalen Organisationen vom 31.3.1986 (lLM [Internat. Legal Materials] 1986, 543)
A. Einleitung Angesichts der euphorischen Äußerungen, die sich im Anschluß an die Ergebnisse der GATT-Uruguay-Verhandlungen 1 und die Unterzeichnung der Schlußakte in Marrakesh im März 1994 auch in wissenschaftlichen Kreisen im Übermaß vorfinden, drängt sich die Frage auf, ob hier nicht falsche Hoffnungen und Erwartungen gehegt und geweckt werden. Noch liegen keine Erfahrungen mit dem neuen GATT und der neugegründeten Welthandelsorganisation WTO vor, so daß es theoretischer Strukturierung bedarf, um die vielfältigen Spekulationen einschätzen zu können. Hierzu soll diese Arbeit einen Beitrag leisten. Anders gefragt: Wird das GATT, respektive die WTO, den an sie gestellten Anforderungen gewachsen sein? Wird es durch das neue GATT zu dem erhofften Wachstum des Welthandels kommen, bei gleichzeitiger Vermeidung von Konflikten über Handelsfragen? Zur Beantwortung derartiger Fragen müssen die in der GATT-Uruguay-Runde ausgehandelten Rechtsstrukturen hinsichtlich ihrer zukünftigen Anwendung (Beachtung) beurteilt werden. Hierfür wissenschaftlich solide Beurteilungskriterien zu finden, ist bei internationalen Verträgen schwierig. Über die tatsächliche Beachtung von Rechtsstrukturen wird uns auch für die WTO nur die Zukunft belehren können. Kann aber eine sorgfältige Analyse der Umstände im bisherigen GATT nicht u. U. schon begründete Hinweise auf zu erwartende Entwicklungen bei seiner ambitionierten Nachfolgerin ermöglichen? In dieser Arbeit wird hierzu eine Untersuchung der Rechtsbeachtung im bisherigen GATT durchgeführt, um über Handlungsmuster in den internationalen Handelsbeziehungen gegebenenfalls zu Folgerungen für die neuen Rechtsstrukturen zu kommen. 2 Beginnen wir also beim "alten" GATT. Trotz publizistisch vielbeschworener "Erfolge" und einer auffallenden Stabilität des bisherigen GATT, besteht doch nicht nur in der wissenschaftli-
1 GATI: Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen. Grundlegend: Senti, 1986. WTO: Welthandelsorganisation. Einführend: Hauser/Schanz. 1995. 2 Die methodologische Problematik der Vorgehensweise wird in dieser Arbeit ausgiebig diskutiert. 2 Kopke
2
A. Einleitung
chen Literatur weitgehend Einigkeit daruber, daß die Vertragsparteien es vortrefflich verstanden haben, die in ihm kodifizierten internationalen Handeisregeln zu umgehen. 3 Eine venneintliche "Stabilität" könnte lediglich im Fortbestand der zugrundeliegenden Prinzipien und Ziele vennutet werden, weniger in den kodifizierten Rechtsnormen und überhaupt nicht in deren umfassenden und vertragsgemäßen Beachtung. Allgemein läßt sich für internationale Beziehungen zunächst feststellen: Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsversuche scheitern immer wieder an nationalstaatlichen Souveränitätsansprüchen, mit denen sie notwendig konfligieren. So ist bisher jede endgültige Kompetenzabgabe an internationale Verträge und jeder wirkliche Autonomieverzicht zugunsten internationaler Regeln unterblieben: Völkerrecht bleibt im wesentlichen Konsensrecht mit ungesicherter Verbindlichkeit. 4 Nicht nur im GATI, sondern generell lassen sich an der Tatsache, daß ein völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen wird, noch keine verläßlichen Hinweise ablesen, ob er tatsächlich Beachtung finden wird. Dafür mögen reichlich Beispiele aus der internationalen Praxis zeugen, man denke nur an das "Schicksal" der UNCTAD. 5 Diese Überlegung führt zu der Frage, unter welchen Bedingungen generell internationale Verträge Bestand haben und Beachtung finden - eine, wie zu zeigen sein wird, in ihrer
3 Vgl. Curzon Price, 1992, s. 90, 92; GroßmannlKoopmannlMichaelowa, 1994, s. 256; HauserlSchanz, 1995 f.; Hudec, 1978, S. 9; Karl, 1983; Long, 1986; McDonald, 1993, s. 423; OECD, 1988, S. 1-5; US Mission Genf, 1982, S. 6; Pattersonl
Patterson, 1987, S. 7. Kostecki, 1987, S. 425, z.B. schätzt (konservativ) den Anteil von Umgehungen auf 10 % des Welthandels. In den GATT-Uruguay-Verhandlungen wurden "Umgehungen" unter dem Stichwort "circumvention" diskutiert und in den Vertragstext aufgenommen. Gebräuchlich sind auch Bezeichnungen wie "unterlaufen", "bypassing" sowie "grey area measures", "Grauzonenmaßnahmen" und neuerdings "creative illegality" (vgl. z.B. Buckley, 1993, S. 143, McDonald, 1993, S. 468 f.). GATT-Umgehungen sind ein international ganz und gar unbestrittenes Phänomen. In dieser Arbeit (Teil B) soll es dem wissenschaftlichen Zugriff zugänglicher gemacht werden. 4 Vgl. Ipsen, 1990, S. 6 ff., der unterschiedliche Rechtsauffassungen diskutiert. Zum Begriff Völkerrecht (und Wirtschaftsvölkerrecht) vgl. unten, sowie Ipsen, 1990.
5 Die UNCTAD ist hier besonders anschaulich, weil sie sozusagen als "Gegengewicht gegen die Diskussionen im Rahmen des GATT" konzipiert wurde (vgl. Hartwich, 1987, S. 466). Als "Gewerkschaft der Dritten Welt" kann an ihr besonders deutlich werden, wie eng die Verknüpfung zwischen völkerrechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Fragestellung ist.
A. Einleitung
3
Allgemeinheit wissenschaftlichen Bemühungen nur schwer zugängliche Fragestellung. 6 Andererseits sind in den internationalen Beziehungen allenthalben Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsbemühungen zu beobachten. Das Fehlen einer übergeordneten, staatsgleichen (Zwangs-) Durchsetzungsinstanz verhindert offensichtlich nicht, daß erhebliche Anstrengungen zur Fortentwicklung des Völkerrechts unternommen werden. 7 Davon zeugen auch die Ergebnisse der GATT-Uruguay-Verhandlungen und besonders die neue WTO. Rechtsbeachtung und Rechtsdurchsetzung werden also auch auf internationaler Ebene nicht als vollkommen aussichtslos angesehen. Die Behauptung gar, dem Völkerrecht komme überhaupt kein Rechtscharakter zu, muß als unbedingt falsch gelten. 8 Um dieses Paradox der internationalen Beziehungen - zwischen Souveränität und völkerrechtlicher Verbindlichkeit9 - aufzulösen, müssen erstens brauchbare Theorien eingesetzt, und zweitens praktische Fragen im Lichte der
6 Kann man sich deshalb mit Aussagen wie der von Horn, 1987, S. 384, begnügen? "Trotz aller Bemühungen beruht das Verhältnis der Staaten zueinander noch heute letztlich auf dem Prinzip von Treu und Glauben (bona fides), auf der Hoffnung, daß die Normen und Verträge freiwillig eingehalten und gegebenenfalls nur durch gegenseitigen Konsens verändert werden. " 7 Mestmäcker, 1985/93, S. 125, konstatiert: "Den "modernen Bemühungen in der Rechtswissenschaft um die Neubegründnung einer Weltwirtschafts ordnung ist gemeinsam, daß sie deren Grundlage im Rechtsprinzip suchen." (und verweist auf Fikentscher, 1983, S. 131, Jackson, 1979, S. 1 ff., und v. Themaat, 1980, S. 239 ff.). Horn, 1987, S. 383 schreibt: "Die historische Erfahrung zeigt, daß mehr internationale Verträge eingehalten als gebrochen werden." Eine gegenteilige Ansicht sei ein Zerrbild publizistischen Übereifers. 8 Ipsen, 1990, S. 7, diskutiert die Auffassung von John Austin, Lectures on Jurisprudence, Bd. I, 5. Aufl., 1985, S. 79, der behauptet, da Recht als Gebot mit Befolgungszwang und Befolgungserzwingbarkeit sei, setzte es stets Machtunterworfenheit voraus, die international nicht gegeben sei. Ein so grobes Beobachtungsraster, daß weltweite Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsbestrebungen nur als reine Machtkämpfe erkennen läßt, kann aber den spezifischen Verfahrenscharakter von Recht nicht erfassen. Deshalb gilt auch hier mit Max Weber: Recht beginnt nicht erst, wo Zwang, Erzwingbarkeit und Macht vorliegen, es ersetzt diese. 9 Dieser "nach wie vor zentrale Diskussionsgegenstand der Völkerrechtswissenschaft" wird Ld.R. unter den Bezeichnungen Geltungsgrund und Effektivität des Völkerrechts diskutiert, vgl. Ipsen, 1990, S. 46 ff.
4
A. Einleitung
konkreten Umstände untersucht werden. Dies wird in dieser Arbeit durch Theorien der Ökonomik und die praktische Frage nach dem Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche eingelöst. Zwar gibt es in der wissenschaftlichen Literatur (auch der ökonomischen10) verschiedentlich Versuche, das Problem generell zu lösen, also theoretisch allgemein zu erklären, warum trotz Abwesenheit einer internationalen "Rechtsdurchsetzungsinstanz" dennoch viele Erwartungen an internationale Verträge nicht enttäuscht werden. Die gefundenen Erklärungen sind indes wenig konkreter, als die Frage selbst und entsprechend wenig überzeugend. Es kommt hinzu: Über die "Brauchbarkeit" der Theorien der Ökonomik ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Auch sie müssen sich zuerst praktisch bewähren. Die aufgeworfenen praktischen GATT-Fragen schließen an eine einfache Ausgangsbeobachtung an und führen mitten in die Problematik der internationalen Rechtsbeziehungen und des Völkerrechts: 1m GATT wurden ganz unverdeckt Vertragsverletzungen und -umgehungen der vereinbarten internationalen Handelsregeln begangen, die mit den Prinzipien und Zielen des Vertrags schwerlich in Einklang zu bringen sind 11 ; dies aber, ohne daß sich andere Vertragsparteien bereitgefunden hätten, gegen solche Rechtsverstöße mit den verfügbaren vertrags- oder völkerrechtlichen Mitteln vorzugehen. 12
10 Zuletzt Voigt, 1992, der abstrakt nach "Konflikt und Stabilität" der "Welthandelsordnung" fragt. 11 Vertragsverletzungen und -umgehungen reichten von der Einführung sogenannter nichttarifärer und technischer Handelshemmnisse, über die Vermeidung des GATT-Streitschlichtungsverfahrens , bis hin zu bilateralen Selbstbeschränkungsabkommen; Auch regionale Wirtschaftszusammenschlüsse (und deren bedenkliche Vervielfachung) weisen unzweifelhaft in dieselbe Richtung (Senti, 1994, S. 131 ff.: "today they are in direct competition with GATT"). Man bedenke als Paradebeispiel auch die berüchtigte Section "Super 301" des 1988 US Omnibus Trade and Competitive Act, die unilaterale Handelssanktionen ermöglicht. 12 Die Ausgangsbeobachtung lautet nicht etwa, daß es überhaupt keine rechtlichen Durchsetzungsversuche der GATT-Regeln gab. Es waren aber angesichts der Fülle der Vertragsverletzungen und -umgehungen vergleichsweise wenig, und sie wiesen auffällige Strukturmerkmale auf, z.B. bezüglich der großen Wirtschaftsblöcke USA und EG. Die Nutzung rechtlicher Mittel und Möglichkeiten nahm zwar während der Uruguay-Runde, v.a. in Form des GATT-Streitschlichtungsverfahrens, sprunghaft zu. Es gibt aber genügend Hinweise, daß diese Tatsache vorwiegend ein Effekt der laufenden Verhandlungen selbst ist, kein langfristiger, genereller Trend.
A. Einleitung
5
Mithin ist zu fragen: Läßt sich mithilfe der Theorien der Ökonomik erklären, warum im GATT die rechtlichen Mittel und Möglichkeiten, gegen vertragsverletzendes und -umgehendes Verhalten anderer Vertragsparteien vorzugehen, kaum genutzt wurden?13 Die Antwort vorweg: Theorien der Ökonomik können diesen Anspruch nur sehr bedingt erfüllen. Sie haben ein prinzipielles Erklärungsdefizit, welches anband einer allgemeineren Theorie - der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas - deutlich herausgestellt werden kann. Mit letzterer eröffnen sich überdies überlegene Erklärungspotentiale. Deshalb verfolge ich diesen Ansatz weiter und versuche eine Synthese von Ökonomik und Theorie des kommunikativen Handeins, die die methodische Strenge der Ökonomik mit der (sinnverstehenden) Explikationskraft der Theorie des kommunikativen Handeins vereint. Darin, und in der Anwendung auf die praktische Fragestellung nach Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO liegt das wissenschaftlich Neue dieser Arbeit. Mit dem neugewonnenen Differenzierungsschema kann nämlich eine erste Beurteilung des neuen WTO-Streitschlichtungsverfahrens hinsichtlich Beachtung, Umgehung und Verzicht erfolgen, und mit exemplarischem Bezug auf die ebenfalls ins GATT neu integrierten Umweltschutzziele zu vorsichtigen Politikempfehlungen zur institutionellen Ausgestaltung des WTO-Streitschlichtungsverfahrens führen. Das sich einem (internationalen) GATT-Beobachter bietende Bild ist indes noch vielschichtiger als die obige Ausgangsbeobachtung: In der Staatenpraxis werden statt der rechtlichen Mittel in unterschiedlicher Intensität andere "Interaktionsmittel" eingesetzt, die in der Politikwissenschaft in Abgrenzung vom Völkerrecht zumeist den beiden Begriffen Machtpolitik und Diplomatie zugeordnet werden. 14 Solche machtpolitischen und diplomatischen Mittel sind
13 Ich werde in dieser Arbeit aufzeigen, daß diese Fragestellung, und zwar auch hinsichtlich der Methodendiskussion, zu ganz ähnlichen Erkenntnissen führt, wie die allgemeinere Frage, warum überhaupt Verträge abgeschlossen werden. Es ist allein Ausfluß praktischer Erwägungen, daß ein spezifischerer Fokus gesetzt wird: weil er direkter in die Problematik führt und klarere Aussagen zuläßt. 14 Z.B. Horn, 1987, S. 380 ff., die definiert: "Machtpolitik liegt in der Außenpolitik dann vor, wenn ein Staat bereit ist, seine Interessen und seinen Willen gegenüber anderen Staaten unter Verwendung aller ihm zu Gebote stehenden und opportun erscheinenden Mittel durchzusetzen. [... ] Machtpolitik muß nicht notwendig mit militärischer Gewaltpolitik identisch sein. Sie kann sich neben der militärischen auch moralischer, wirtschaftlicher, persönlicher Mittel bedienen." Der Jurist Ipsen, 1990,
6
A. Einleitung
in den internationalen Beziehungen gebräuchlich und "konkurrieren" sozusagen mit den Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsbemühungen i.S. eines gültigen Völkerrechts (Völkerrecht hier begriffen als festgelegtes Rechtsverfahren neben Diplomatie und Machtpolitik).15 Ein auf diplomatischem Wege ausgeräumter Konflikt (der in hiesiger Abgrenzung immer auch ein Verzicht auf Rechtsverfahren ist) könnte prima facie als vollständiger Ersatz für ein völkerrechtliches Rechtsverfahren angesehen werden. Dies könnte aber nur solange gelten, und gerade Diplomatie kann prinzipiell nur solange unproblematisch erscheinen, wie diese "Ersatz"-Verfahren nicht ursprünglichere vertragliche Vereinbarungen brechen, verletzen oder umgehen. Genau das ist im GATT aber systematisch der Fall: Die im GATT vereinbarten Liberalisierungs-, Gegenseitigkeits- und Nichtdiskriminierungsprinzipien und Verfahrensregeln werden durch außervertragliche Sondervereinbarungen oder stillschweigende Duldung von Vertragsverletzungen erstens ihrer intendierten Wirkung beraubt und zweitens um ihre völkerrechtliche Effektivität und Glaubwürdigkeit gebracht. Die Vorteile durch Rechtsverfahren bestimmter Umgangsformen werden im Handelsbereich im übrigen besonders sinnfällig. Nicht nur unmittelbare Einkommenseffekte und individuelle Betroffenheit sind bedeutend, sondern v.a. die auch für jeden Beobachter offenbare Tatsache, daß jede Mißachtung
S. 45, wählt eine andere Abgrenzung: "Macht ist neben Recht und Politik eine dritte Größe."
15 Die politikwissenschaftliche Unterscheidung zwischen "Diplomatie" und "Völkerrecht" wird in dieser Arbeit beibehalten, auch wenn "Diplomatie" im Völkerrechtsschrifttum oft als Völkerrechtsmittel auftaucht. Es liegt mir aber daran, den spezifischen Verfahrens-Charakter von Recht herauszusteHen, der sich von dem, was man herkömmlich unter "Diplomatie" versteht, klar abhebt, und z.B. zu Verfahrenssicherheit führt. Dabei stehen Recht und Diplomatie (Politik) natürlich in enger Wechselwirkung. Ipsen, 1990, S. 43, konstatiert bei seiner Untersuchung dieser Wechselwirkungen, daß ein Völkerrechts satz "selbst ein Ergebnis der Verrechtlichung politischer Tatbestände" ist und dem Politischen verhaftet bleibt, in der Weise nämlich, daß es zu einer "Repolitisierung" des rechtlich geregelten Bereichs komme, wenn politischer oder sozialer Wandel dem Geltungsanspruch der Regel zuwiderläuft und damit ihre "Effektivität" mindere oder gar annuliere. Begrifflich ebenso ungenau schreibt Blankart, 1994, S. 25: "wo die Wirtschaft sich mit Abläufen befaßt und Profit pro Zeiteinheit zu messen sucht, ist das Recht an Zuständen interessiert, nämlich an einem jederzeit möglichst klar nachvoHziehbaren Netz von Rechten und Pflichten unter aHen jeweiligen Parteien; der Politik schließlich gehe es um «Akzeptanz», d.h. in erster Linie um möglichst sofortige Wirksamkeit jeder Maßnahme. "
A. Einleitung
7
der GATT-Regeln, und geschieht sie noch so "lautlos" und "diplomatischkonfliktfrei" , systematisch mit Nachteilen zu Lasten Dritter einhergeht und damit immer und offensichtlich Unbeteiligte zu Betroffenen macht. Gegenüber Machtpolitik liegen die Vorteile von Rechtsverfahren ohnehin auf der Hand. In dieser Erkenntnis der Vorteile von Rechtsverfahren dürften die Haupt-Triebkräfte für die enormen Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsanstrengungen auch im GATT liegen. Warum Theorien der Ökonomik? Für wissenschaftliche Erklärungen des "zwischenstaatlichen Umgangs" im Begriffsfeld von Diplomatie, Recht und Machtpolitik ergeben sich in der rechts- und politikwissenschaftlichen Literatur nur wenig Anhaltspunkte. 16 Für die Rechtstheorie gilt: Wenn Recht, wie im GATT, nach allgemein anerkannten (formal richtigen) Verfahren erzeugt wird (hier: geltendes Völkerrecht), so kann sich rechtliche Kritik nur auf Verfahrensmängel beziehen. Die (materiellen) Ergebnisse stehen dagegen nur insoweit einer weiteren rechtlichen Interpretation offen, wie sie gegen geltendes (übergeordnetes) Recht verstoßen oder - sofern es sich bei ihnen wiederum um Verhaltens- und Verfahrensregeln handelt - kann deren Nichtanwendung und Mißachtung beurteilt werden. Nicht besser steht es um die Politikwissenschaft, die mit ihren methodisch unpräzisen Begriffen kaum überzeugende Erklärungen zuläßt. 17 Somit bleibt die Aufgabe kritischer Beurteilung anderen sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen überlassen. Allenthalben wird dabei vermutet, daß Theorien der Ökonomik18 aufgrund ihrer klaren Annahmenstruktur gesicherte Erkenntnisse über Verhaltensmuster und damit Erklärungsansätze für Entscheidungen von Akteuren in den internationalen Handelsbeziehungen bieten. Zu diesem Schluß muß man kommen, bedenkt man die unzähligen und unermüdlichen Argumentationen, die auf ökonomischer Grundlage formuliert werden, oder sich auf die Ökonomik berufen, z.B. um vehement Freihandel einzufordern - zu recht?
16 Vgl. zur Rechtstheorie und -philosophie nur Dubischar, 1983, S. IX f., S. 117. 17 Zum Theoriedefizit der Politikwissenschaft vgl. Bemholz, 1985, S. 20 ff., und Lehner, 1983. 18 Mit "Ökonomik" (statt "Ökonomie") wird auf die Art der Fragestellung (nicht auf den Untersuchungsgegenstand) abgestellt. Es werden nur Theorien einbezogen, die bestimmten Minimalanforderungen genügen. Neoklassische Außenhandelstheorie spielt folglich in dieser Arbeit keine Rolle, weil ihre Annahmen insbesondere nicht in Einklang mit dem methodologischen Individualismus zu bringen sind (vgl. S. 79 f.).
8
A. Einleitung
So sind die Fragestellungen dieser Arbeit:
1. Können die Theorien der Ökonomik überzeugende Erklärungen für die Tatsache liefern, daß gegen Verletzungen der im GATT kodifizierten internationalen Handelsregeln nur ganz vereinzelt mit rechtlichen Mitteln vorgegangen wird?19 (Teil C) 2. Lassen sich aus den Erkenntnissen über die "Defizite" ökonomischer Erklärungsansätze Folgerungen ableiten, die auf "bessere" Erklärungsmodelle hindeuten? Welchen Beitrag kann hierzu die Theorie des kommunikativen HandeIns von Habermas leisten? Kann eine Synthese als neue Forschungsmethode gelingen? (Teil D)
3. Gibt es bereits Hinweise darauf, ob die im neuen GATT und der WTO erfolgten Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsbemühungen "erfolgreich" sein können? Läßt die im Teil D entwickelte Methode schon Einschätzungen des neuen WTO-Streitschlichtungsverfahrens hinsichtlich Beachtung, Umgehung und Verzicht zu, z.B. konkret für die ebenfalls ins GATT neu integrierten Umweltschutzziele? (Teil E) Aufgabe im folgenden Teil B der Arbeit ist es, die Ausgangsbedingungen für Vertragsumgehungen und Verzicht auf Durchsetzungsversuche im GATT zu analysieren und begrifflich genau zu fassen, und damit die Fragestellung zu fundieren.
19 Es werden alle für die Fragestellung relevanten Theorien der Ökonomik (verstanden als Forschungsmethodik) überprüft werden. Relevanz bemißt sich hierbei an der Verbreitung der Theorie als Begründung und Erklärung von Verhalten im zwischenstaatlichen "Umgang" und ihrer klaren Zuordnung zur ökonomischen Methodik. Ein erster methodologischer Hinweis: Es ist wohl unmöglich, direkt auf die Überzeugungen der handelnden Akteure durchzugreifen (vgl. Kopke, 1993). Dem stehen methodische und praktische Probleme entgegen, die hier nur angedeutet werden: So ist methodisch vollkommen unklar, wie valide und reliable Aussagen von Entscheidungsträgern erlangt werden können, die doch bei aktuellen politischen Themen regelmäßig "strategische" Aussagen machen (von den erkenntnistheoretischen Problemen der Empirie einmal ganz abgesehen). Praktisch müßte eine ungeheuer große Zahl "relevanter" Entscheidungsträger im einzelnen identifiziert, befragt, interviewt, beobachtet, kontrolliert, ... werden. Aussichtsreicher, und gewissermaßen die einzige Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis ist deshalb, die "relevanten" (gebräuchlichsten) Argumentationsmuster (Theorien) nach Maßgabe ihrer politischen und wissenschaftlichen Resonanz hilfsweise heranzuziehen.
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT Ohne eine wirksame internationale Durchsetzungs- und Sanktionsinstanz, bei großer Unsicherheit über die zukünftigen Welt- und Handelsentwicklungen sowie anerkannt komplexer Vertragsgegenstände 1 ist es nicht selbstverständlich, daß internationale Verträge abgeschlossen werden. Wenn es dennoch zu Vertragsschlüssen wie dem GATT kommt, ist nicht leicht zu erklären, warum gegen offensichtlich begangene Vertragsverletzungen oft nicht mit den im Vertrag vorgesehenen und im Völkerrecht angelegten Rechtsmitteln vorgegangen wird. Bevor aber dieser Sachverhalt zu klären versucht werden kann, soll zunächst die Fragestellung genauer eingegrenzt werden. Dazu soll gezeigt werden, (I.) um welche Regeln und Prinzipien es sich im GATT handelt, (11.) was unter Vertragsverletzung und -umgehung verstanden werden soll und (III.) welche rechtlichen Mittel gegen solche Verletzungen im Völkerrecht und im GATT zur Verfügung stehen.
I. Die internationalen Handelsregeln des GATT Zunächst ist festzuhalten, was unter "internationalen Handelsregeln des
GATT" verstanden werden soll. Dabei sollen nicht etwa alle GATT-Regeln in
allen Einzelheiten und in allen ihren möglichen Wirkungen und Folgen erörtert werden - schließlich könnte jedes, auch informelle Verhaltensmuster als internationale Handelsregel angesehen werden. Vielmehr sollen nur wesentliche Regeln herausgestellt und kategorisiert werden. Zur Systematisierung wird eine Dreiteilung verwendet, in: (1) Prinzipien und Ziele, (2) Verhaltensvorschriften für Nationalstaaten und (3) Einigungsverfahren bei Unstimmigkeiten und andere wesentliche Verfahrens- und Organisationsbestimmungen (das Streitschlichtungsverfahren) . 1 Vgl. Christians (1990), S. 43. Ballreich (1987), S. 748, schreibt, das GATI sei das "vielleicht komplizierteste internationale Rechtsgebilde", Petersmann (19801 81), S. 51 f., urteilt: "außergewöhnlich schwierig" .
10
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
Vorab ist eine Besonderheit des GATT zu betonen: seine Regeln binden nur die Vertragsparteien, also Regierungen von Nationalstaaten (und die EG). Zwar gibt es mittlerweile eine ausgedehnte Diskussion darüber, ob (z.B. im Bereich der Wettbewerbsregeln) GATT-Regeln mit direkter Bindungswirkung für private Wirtschafts subjekte eingeführt werden sollten. 2 Diese Diskussion wurde aber bisher ohne ernstzunehmende Verwirklichungsabsichten geführt. GATT-Recht wird also nur auf dem Umweg über nationalstaatliche Gesetze und Gerichte auch für private Wirtschaftssubjekte bedeutungsvoll. 3 Die folgenden Ausführungen beziehen sich zunächst nur auf das GATT, wie es vor dem Abschluß der Uruguay-Verhandlungen und dem MarrakeshProtokoll vom 15. März 1994 bestanden hat. Hierüber sind fundierte historische Daten erhältlich, ist somit eine wissenschaftliche Untersuchung möglich. Erst im Teil E der Arbeit, wenn das methodische Instrumentarium voll entwickelt ist, sollen auch die neusten Änderungen im GATT genauer analysiert und beurteilt werden.
1. Prinzipien und Ziele
Als Prinzipien und Ziele sollen hier jene, hauptsächlich in der Präambel, aber auch in einzelnen Artikeln (z.B. Art. XXXVI4) ausgesagten, allgemeinen Grundsätze und Leitlinien bezeichnet werden, die als Ausdruck des Zwecks des Vertragsschlusses gesehen werden. Es läßt sich ausgiebig darüber diskutieren, ob man die im Vertrag festgelegten Ziele als Ausdruck des tatsächlichen Parteiwillens gelten lassen kann. 5 Es entspricht aber - auch im Völker2 Vgl. Bwckhurst, 1994; Fikentscher, 1994; Hauser/Schöne, 1994; Jackson, 1994; Messerlin, 1994, Petersmann, 1994a, 1994b, 1994c, Senti, 1994. 3 Tumlir schrieb 1979 (S. 7) allgemein über "das Wesen" der Regeln, "von denen die internationale Wirtschaftsordnung abhängt": "Sie sind von zweierlei Art. Da ist zunächst das Landesrecht, das das Funktionieren der Märkte ermöglicht; dazu kommen die internationalen Regeln für die staatliche Politik. Sie sind überwiegend Verbote und legen fest, was Regierungen nicht tun dürfen, damit die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den unabhängigen Wirtschafts subjekten verschiedener Länder nicht über Gebühr gestört werden. " 4 Artikelangaben ohne weitere Bezeichnung beziehen sich auf den Vertragstext des
GATT vom Stand Juli 1986. Vgl. GAlT, 1986.
5 Hier müssen einige Hinweise genügen: Gegen eine Auslegung, die am Vertragstext beginnt, könnte sprechen, daß nicht alle Parteien mit den Formulierungen bei
I. Die internationalen Handelsregeln des GATI
11
recht - rechtlicher Auslegungsmethodologie und -Praxis, eine Vertragsauslegung beim Wortlaut zu beginnen. 6 Dem ist hier zu folgen. Auch wenn die verschiedenen Ziele des GATT-Vertrags mitunter verschieden gewichtet werden und u. U. nicht in gleichem Maße von Anfang gültig waren, so sind doch drei Grundlinien während seines fünfzigjährigen Bestehens unverändert zentral geblieben7 : a) Freihandel und Marktprozesse, b) Stabilität der Weltmärkte durch Rechtsverfahren sowie c) Härtenausgleich und Umverteilungsziele. a) Freihandel und Marktprozesse: Vor allem den Vorstellungen klassischer Außenhandelstheorie, besonders seit Smith und Ricardo, ist die Erkenntnis zu verdanken, daß freie Marktprozesse zu einer LS. des Pareto-Kriteriums effizienten Faktor- und Güterallokation führen, von der alle Beteiligten am internationalen Handel profitieren können. Internationale freie Marktprozesse erfordern Freihandel. Es gehört zu den Verdiensten der Ordnungstheoretiker aufgezeigt zu haben, daß Marktprozesse eine bestimmte Ausprägung des zwischenmenschlichen Umgangs erfordern, nämlich ein bestimmtes Rechtssystem, das sich vorwiegend auf freiwillige private Vereinbarungen, d.h. Verträge stützt, während der Staat dieses so gebildete Privatrecht durchzusetzen hat und sich ansonsten auf die Sicherung der Ordnung konzentriert, sich also im Hintergrund hält (Rechtsstaat Le.S., "Nachtwächterstaat"). Selbst Ordnungstheoretikern ist es nicht gelungen, die Grenze zwischen LS. der wünschenswerten Marktprozesse zulässigen und unzulässigen Staatseingriffen zu bestimmen (weil gewissermaßen jeder staatliche Eingriff, z.B. jede Steuer, den Markt verändert und die theoretisch optimale Güterproduktion und -allokation im Sinne einer höchstmöglichen Güterversorgung vereitelt, es zudem offensichtliches Marktversagen gibt, z.B. bei Kindern, Behinderten, Umweltschutz, Kollektivgütern). Mithin konnte die reine Marktwirtschaft theoretisch nicht unwidersprochen bleiben - konnte ihre Verwirklichung nie-
Vertrags schluß wirklich übereingestimmt haben, sondern ihre abweichenden Vorstellungen zurückstellten, sich irrten oder nur mit "Hintergedanken" zustimmten. Außerdem z.B. könnten im Zuge der Zeit oder durch Regierungswechsel o.ä. andere Vorstellungen "staatstragend" geworden sein. 6 Als Hilfsmittel der Auslegung werden bereits gefällte Gerichtsentscheidungen v .a. internationaler, zuweilen aber auch nationaler (Verfassungs-) Gerichte herangezogen sowie anerkannt bedeutende Lehrmeinungen - also Völkerrechtslehre. Vgl. Ipsen/Heintschel v. Heinegg, 1990, S. 120 ff., Kapitel 11 über die Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen, mit ausgiebigem Literaturnachweis. 7 Diese Aussage bezieht sich v.a. auf die internationale Literatur.
12
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
mals irgendwo praktisch durchgesetzt werden. Sie gilt dennoch als Idealtyp der "effizienten" Ausgestaltung von Wirtschaftsprozessen und hat sich ihren wissenschaftlichen "Charme" nicht zuletzt durch Theoretiker wie v. Hayek erhalten, der in seinem Werk allenthalben darauf hingewiesen hat, daß marktwirtschaftliche ("spontane") Ordnungen u.a. als Entdeckungsverfahren genutzt werden können. 8 Das Allokationsverfahren Markt ist anerkanntermaßen nicht die ultima ratio bei der Verwirklichung von " Gerechtigkeit" . 9 In den meisten Staaten wird deshalb in politischen Entscheidungen festgelegt, inwieweit vom marktwirtschaftlichen Prinzip durch staatliche Umverteilung für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Zwecke abgewichen wird ("Sozialstaat"). Diese Umverteilungen oder Subventionen sind aus marktwirtschaftlicher Sicht Kosten der Allgemeinheit und des Einzelnen. Darüberhinaus entstehen auf internationaler Ebene durch Marktabschottung und Behinderung des Freihandels Kosten für die Weltallgemeinheit und die einzelnen Weltbürger. Letztere können sich aber nicht in politischen Gremien artikulieren. Das GATT wird aus dieser Perspektive häufig als der Versuch interpretiert im Namen des Weltreichtums, der "Welteffizienz", den diskretionären Handlungsspielraum nationaler Regierungen einzuschränken und ihnen den Rückfall in den Protektionismus lO zu versperren.
8 Vgl. Hayek, 1945 und 1969. 9 Ich greife den "Konflikt" zwischen "Effizienz" und "Gerechtigkeit" nur beispielhaft auf. Nicht selten werden auch "EffIzienz" und " Gleichheit " einander opponiert. Jede genauere Begriffsrekonstruktion offenbart aber, wie problematisch derartige Vorstellungen sind. Schließlich ist " EffIzienz " kein Selbstzweck, kann sich " Gleichheit " auch auf "Chancengleichheit" beziehen, etc. 10 Unter Ökonomen ist der Begriff "Protektionismus" durchaus nicht einheitlich deftniert. So schreibt Mestmäcker, 1985/93, S. 124: "Wir sprechen von Protektionismus, wenn sich Staaten mit hoheitlichen Mitteln so verhalten, als ob sie Unternehmen in einer Marktwirtschaft wären." Dagegen deftniert z.B. Voigt, 1992, S. 106, Protektionismus als den "von Regierungen aufgrund bestimmter Gruppeninteressen manipulierte dezentrale Austausch von Handlungsrechten durch private Wirtschaftssubjekte über nationalstaatliche Grenzen hinweg" und legt damit seinen ordnungstheoretischen Untersuchungsanspruch bereits in die Deftnition der zu erklärenden Begriffe. In dieser Arbeit bleiben wir bei dem operablen Begriff des staatlichen Eingriffs in die Wirtschaft, der dazu dient, ausländische Wettbewerber gegenüber inländischen zu benachteiligen. Im Abschnitt "Verletzung und Umgehung" (S. 31 ff.) wird auf die einzelnen Protektionsinstrumente detailliert eingegangen. Hier schon ein Hinweis auf Wolter,
1. Die internationalen Handelsregeln des GATI
13
Für eine solche Interpretation sprechen die in der Präambel eindeutig formulierten Ziele: " ... zum Zwecke der Erhöhung des Lebensstandards, der Realeinkommen und der Nachfrage sowie der Vollbeschäftigung; ... die Zölle wesentlich zu verringern und diskriminierende Behandlungen in den internationalen Handelsbeziehungen abzubauen. "
b) Stabilität des Welthandels durch Rechtsveifahren: Verträge, und so auch das GATT für den internationalen Handel, sind der Versuch, zu einem durch Recht bestimmten Umgang miteinander zu kommen: Das GATT und seine Regelungen sind formell und materiell Rechtsverfahren. Rechtsverfahren sind - auch im Völkerrecht - "Verhaltensmuster mit Geltungsanspruch"11. Sie sind beschreibbar und vorhersehbar und bieten Sicherheit durch die Einschränkung möglicher Handlungsweisen. Es ist an dieser Stelle entbehrlich, in die vielfältigen Begründungen für die Vorteilhaftigkeit von Rechtsverfahren gegenüber machtpolitischen oder diplomatischen Methoden tiefer einzusteigen. Die Stichworte Transparenz, Stabilität und Berechenbarkeit können vorerst zusammen mit dem Hinweis genügen, daß Rechtsverfahren eine Rechtssphäre erschaffen, die im GATT z.B. zum Schutze des Individuums insofern dienen kann, als seine Erwartungen vor diskretionären Eingriffen von Hoheitsträgern, z.B. durch fallweise Wirtschaftspolitik, geschützt werden. 12 Rechtsverfahren schränken die Vielfältigkeit möglicher Handlungen ein und sind insofern auch eine Antwort auf den sogenannten "konstitutiven Wissensmangel"13 jedes Menschen über die zukünftigen Folgen seines Handeins und das Handeln anderer. Das gilt in dieser Weise ebenso für das GATT, mit dem Unterschied, daß auf internationaler Ebene so gut wie keine Durchsetzungsinstanzen bestehen, die Selbstbeschränkung also von einer freiwilligen Einhaltung begleitet sein muß. Dennoch vertrauten und vertrauen die Vertragsparteien in großem Stil auf den Rechtscharakter der aufgestellten Regelungen und betrie-
1988, S. 28 f., der eine Tabelle von Protektionsinstrumenten aufstellt. Ausführlich auch die Hypothesen von Voigt, 1992, S. 103 ff. 11 Vgl. nur Ipsen, 1990, S. 1, mit weiteren Literaturhinweisen. 12 Die Rechtssphäre des Individuums besteht also nicht nur für die staatlichen Vertreter, die sich bestimmtes Verhalten gegenseitig zusichern, sonder auch direkt für Produzenten und Verbraucher, die vor der willkürlichen Wirtschaftspolitik v.a. ihrer eigenen Regierung geschützt werden. Dieser Aspekt wird von Autoren immer wieder hervorgehoben.
13 Vgl. Hayek, 1963, S. 45.
14
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
ben unlängst sogar eine weitere Institutionalisierung durch Rechtsverfahren, die einer allgemeinen Tendenz und Forderung in den internationalen Beziehungen nach Verrechtlichung und Institutionalisierung zu entsprechen scheinen. Erschwert - das soll hier bereits kurz angedeutet werden - wird diese Institutionalisierung durch den Interessenkonflikt der Vertragsparteien, die nicht nur zum Vorteile ihrer eigenen Bürger den Handlungsauftrag haben (auch wenn sie bisweilen kurzfristigen Vorteilskalkülen zu unterliegen scheinen), sondern die auch selbst als Unternehmer im internationalen Handel auftreten. Diese problematische Verquickung der Interessen läßt das "comittment" zu Rechtsverfahren im internationalen Handel mitunter fragwürdig erscheinen. Dennoch deuten alle Entwicklungen - zuletzt in den GATTUruguay-Verhandlungen und deren Ergebnissen - eindeutig in Richtung auf zunehmende Verrechtlichung und Institutionalisierung, v. a. auch wegen der gerade vollzogenen Gründung einer vollwertigen internationalen Organisation, der WT0.1 4 Ob eine zunehmende Verrechtlichung und Institutionalisierung in jedem Fall den Erwartungen auf mehr Stabilität im GATT entsprechen kann, wird im letzten Kapitel diskutiert werden. c) Härtenausgleich und Umverteilungsziele: Schon der Blick auf die Präambel zeigt, daß es sich bei den GATI-Zielen nicht, wie gerade von Wirtschaftswissenschaftlern häufig unterstellt 15 , allein um Liberalisierungs-, Gegenseitigkeits- und Nichtdiskriminierungsaspekte handelt, sondern z.B. Gesichtspunkte der Ressourcenverwendung ("developing the full use of the resources of the world") immer schon berücksichtigt wurden. 16 Seit im Jahre 1965 der Abschnitt IV "Handel und Entwicklung" Sonderregelungen für 14 Vgl. die Ausführungen im Teil V der Arbeit zum neuen GATT und der WTO. 15 Vgl. exemplarisch Berg, 1990, S. 470. 16 Zwar wurden auf der "Review Session" 1954/55 Versuche abgeblockt, weitergehende Ziele in die Präambel aufzunehmen (z.B. die Formulierung: "promoting the progressive development of the economies of al1 the contracting parties"; vgl. zum Gestzesentwurf Ll276, W.9127, zur Diskussion SR. 911 8, 19, 47 und verschiedene Berichte W.91164, 197, 198, 236). Aber bereits die Havanna-Charta beinhaltete weiterreichende Ziele (vgl. die Dokumente der" United Nations Conference on Trade and Employment, Havanna, Nov. 1947 - März 1948, insbesondere EICONF.21l-78, EICONF.2178, EICONF.2ISRIl-21, EICONF.2/W1l-15, EICONF.21INFI37, 69, 89, 110, 131, 152, 172, 206 und EICONF.2IC.211-50 und deren Vorläufer in London, Okt.-Nov. 1946, EIPCrTI33, New York, Jan.-Febr. 1947, EIPCrTI34, und Genf, Apr-Okt. 1947, EIPCrTIl86). Die also schon so früh angelegte Ausweitung des Zielkatalogs ist durch die nachfolgenden Vertrags entwicklung nur bestätigt worden.
I. Die internationalen Handelsregeln des GATT
15
Entwicklungsländer bestimmt, kann das GATT keinesfalls mehr einseitig als Instrument zur ausschließlichen Verwirklichung von Freihandel angesehen werden. 17 Legion ist die Zahl der Kritiker, die ihr Bedauern darüber ausgesprochen haben, daß im GATT keine klaren Ziele und Prinzipien vorgegeben sind. Zu diesem Vorwurf tragen maßgeblich auch die große Anzahl von Ausnahmeregelungen und Sondervorschriften bei. Diese befinden sich in beinahe jedem Artikel oder in Anhängen, wie noch zu zeigen sein wird. Doch v.a. die Zielbeziehungen beschäftigen die Kritiker. Allen voran die Verfechter klassischer Außenhandelstheorie, die von Spezialisierungs- und Produktivitätsvorteilen aus internationaler Arbeitsteilung durch Freihandel ausgehen, legen die Ziele des GATT als sich widersprechend aus. Ohne bereits hier in die Diskussion einzusteigen, muß doch vermerkt werden, daß wegen der Freiwilligkeit der GATT-Regelungen dem GATT andernfalls wahrscheinlich der Zuspruch überhaupt versagt geblieben wäre. 18 Oder aber die staatlichen Abwägungen zwischen konfligierenden Zielen, durch die die internationale Realität heute geprägt ist (zugunsten sozialer "Errungenschaften", dem Umweltschutz o.ä.), würden nicht innerhalb des GATT, sondern an den Grenzen des GATT z.B. zwischen dem GATT und anderen (internationalen) Institutionen stattfinden und damit das GATT regelmäßig aushebeln. Theoretisch postulierte Widersprüche könnten zudem durch abweichende Vorstellungen von Freiheit und Selbstbestimmung durchaus einen anderen Gehalt bekommen. 19
Insgesamt muß das GATT als ein Vertragswerk angesehen werden, daß der "Philosophie der schrittweisen Liberalisierung"20 folgt. Nicht nur die verfah17 Die Regelungen des neuen GATT und der WTO gehen in diesen Bereichen sogar noch einen Schritt weiter. So heißt es beispielsweise neuerdings in der Präambel nicht mehr nur: " ... developing the full use of the resources of the world ... ", sondern: "allowing for optimal use of the world' s resources in accordance with the objective of sustainable development, seeking both to protect and preserve the environment and enhance the means for doing so in a manner consistent with their respective needs and concerns at different levels of economic development." Neben den Entwicklungszielen werden nun also auch Umweltziele explizit in der Präambel genannt. Dazu später ausführlicher. 18 Diese Freiwilligkeit wird noch heute formal durch den jederzeit möglichen Austritt (mit 6-monatiger Vorankündigung - mit Ausnahmen) gewährleistet. 19 Diese Diskussion wird am Ende der Arbeit ausführlicher mit Blick auf die neuen Ziele des GATT geführt werden. 20 Blankart, 1994, S. 22, schreibt pauschal: "In jeder Verhandlung wird nur diejenige Marktöffnung zugestanden, die volkswirtschaftlich verkraftbar ist. Ferner
16
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
rensmäßigen Bestimmungen, z.B. der Zollzugeständnislisten oder der Verhandlungsrunden, tragen zu diesem Bild bei. Auch die wachsende Zahl der Vertragsparteien bzw. de facto-Anwender und der immer umfangreicheren Verhandlungsgegenstände deuten in diese Richtung. Ob diese graduellen Entwicklungen insgesamt jedoch eher Richtung Freihandel oder verwaltetem Handel deuten, ist spätestens seit den Ergebnissen der GATT-Uruguay-Runde wieder grundsätzlich unklar. Sicher ist, daß die Liberalisierungs-, Gegenseitigkeits- und Nichtdiskriminierungsziele gegenüber weitergehenden Zielen (z.B. Entwicklungs-, Sozial- und Umweltschutzpolitik) nicht an Bedeutung gewonnen haben, auch wenn hierzu gegenteilige Meinungen geäußert werden. 21
2. Verhaltensvorschriften für Nationalstaaten
Unter "Verhaltensvorschriften für Nationalstaaten" sind jene Regelungen zu verstehen, die verbindliche Anweisungen an die Vertragsparteien enthalten, wie sie sich zu verhalten haben. Dazu gehören aber nicht nur a) Vorschriften, sondern auch b) die ganze Palette von Sonder-, Ausnahme- und Übergangsregelungen. Schließlich sind auch Einigungsverfahren bei Unstimmigkeiten sowie Verfahrens- und Organisationsbestimmungen Verhaltensvorschriften. Ihnen wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Der Zusammenhang zwischen den Verhaltensvorschriften und den Prinzipien und Zielen im GATT ist recht eindeutig. In mehreren Artikeln wird auf die "objectives of the agreement" explizit Bezug genommen22 , aus den übrigen Vorschriften wird leicht die dahinterliegende Intention offenbar. Regeln und tatsächlich praktizierten Verfahren stimmen indes häufig nicht überein. Blanknrt, 1994, S. 25 ff., untersucht den Zusammenhang zwischen Regeln und Verfahren am Beispiel der Allgemeinen Meistbegünstigungsklausel (Art. I GATT), wo sich eine eigenständige Praxis herausgebildet hat. Er zeigt den Zusammenhang zu gestatten Schutzmechanismen den Vertragsparteien, sich vor unvorhergesehenen Auswirkungen der Liberalisierung zu schützen. " 21 Vgl. GroßmannlKoopmannlMichaelowa, 1994, S. 264 ff., sowie in den regelmäßigen GATT-Veröffentlichungen "News 0/ the Uruguay RouM 0/ Multilateral Trade Negotiations", "GAlT WTO News", "GAlT Newsletter Focus" sowie "World Trade Organization". 22 In den Art. XV 7a, XVI 2 u. 5, XVIII 1, XXXVI 1, XXXVII 2 b) iü) sowie in den Anmerkungen zu den Art. XXIV 11 und XXXVI 1 GATT.
I. Die internationalen Handelsregeln des GATT
17
infonnellen Verfahrensmustern auf. Insofern kann es für keine Analyse genügen, die GATT-Regeln nach ihrem Wortlaut auszulegen. Es sind infonnelle Verhaltensmuster der Staatenpraxis in jedem Fall einzubeziehen. Um das Bild aber nicht unnötig zu verwirren, soll die detaillierte Untersuchung v.a. mit dem Fokus "Streitschlichtungsverfahren" geschehen. a) Vorschriften: Die wichtigsten Vorschriften des GATT sind die Allgemeine Meistbegünstigung (Art. 1), die Zollzugeständnislisten (Art. 11), das Verbot quantitativer Handelsbeschränkungen (Art. XI) sowie die sonstigen Gebote der Nichtdiskriminierung ("national treatment"), die in mehreren Artikeln festgeschrieben sind (insbesondere Art. III und XIII). Sie waren von Anfang an die Hauptachsen, entlang derer sich das GATI entwickelt hat. 23 Von diesen Vorschriften gibt es eine Vielzahl von: b) Sonder-, Ausnahme- und Übergangsregelungen: Es ist müßig, die ganze Palette von Sonder-, Ausnahtne- und Übergangsregelungen darzustellen. So gut wie jeder Artikel des GATT enthält irgendwelche Bestimmungen, die die ursprüngliche Vorschrift relativieren. Enthält er sie nicht, so kann man davon ausgehen, daß sie sich in einem rechtserheblichen Anhang, einer Auslegungsbestimmung oder in der infonnellen Praxis auffinden lassen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Artikeln, die von vornherein Sonder-, Ausnahtne- und Übergangsregelungen sind. Hierzu gehören nicht nur der gesamte Abschnitt IV "Handel und Entwicklung", sondern auch eine Anzahl von Einzelvorschriften und das ganze System von Schutzmaßnahtnen. 24 Jeder dieser Artikel
23 Weniger wesentliche Vorschriften beziehen sich auf: "Freedom of Transit" (Art. V), "Anti-Dumping and Counterveiling Duties" (Art. VII), "Fees and Formalities connected with Importation and Exportation" (Art. VIII), "Marks of Origin" (Art. IX), "Publication and Administration of Trade Regulations" (Art. X), "Nondiscriminatory Administration of Quantative Restrictions" (Art. XIII), "Exchange Arrangements" (Art. XV), "Subsidies" (Art. XVI) sowie "State Trading Enterprises" (Art. XVII). 24 Eine Systematisierung der Schutzmaßnahmen leistet Senti, 1986, S. 199 ff. Hierauf wird im Kapitel: "Umgehung und Mißbrauch einzelner Vorschriften", S. 37 ff., näher eingegangen. Hier nur ein Überblick über einzelne Ausnahmeklauseln und Schutzmaßnahmen in ihrer Reihenfolge im Vertrag: "Special Provisions relating to Cinematograph Films" (Art. N), "Restrictions to Safeguard the Balance of Payments" (Art. XII), "Exceptions to the Rule of Non-discrimination" (Art. XIV), "Govemmental Assistance to Economic Development" (Art. XVIII), "Emergency Action on Imports of Particular Products" (Art. XIX), "General Exceptions" (Art. XX), "Security 3 Kopke
18
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
hat - auch innerhalb des GATT und zuletzt bei den GATT-Uruguay-Verhandlungen - Anlaß zu ausgiebigen Diskussionen gegeben, die meist (v.a. bezüglich der Wirtschaftszusammenschlüsse, Art. XXIV) ausgesprochen kontrovers waren. 25 Die praktische Relevanz der einzelnen Artikel zeigt sich vor allem darin, wie häufig sie als Begründungen für zweifelhafte Maßnahmen der Vertragsparteien und bei Auseinandersetzungen geltend gemacht wurden.
3. Das Streitschlichtungsverfahren
Für diese Untersuchung besonders relevante GATT-Bestimmungen sind die beiden "Streitschlichtungsartikel" XXII "Consultation" und XXIII "Nullification or Impairment" . 26 Auf andere Verfahrens- und Organisationsbestimmungen soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden. 27 Exceptions" (Art. XXI) sowie "Territorial Application - Frontier Traffic - CustomsUnions and Free-trade Areas" (Art. XXIV). 25 Vgl. GATT, 1994, S. 735-808, also über 70 Seiten Auslegung allein für Art. XXIV. 26 Unter "Streitschlichtungsverfahren" wird hier entsprechend der offiziellen GATT-Praxis und -Literatur das gesamte Verfahren gemäß der Art. XXII und XXIII GATT verstanden. Diese Interpretation wurde z.B. in der Einigung von 1989 ("Decision on Improvements to the GATT Dispute Settlement Rules and Procedures of 12 April 1989" (GATT/36S/61) erneut bestätigt. Leider entsteht teilweise Verwirrung dadurch, daß nur ein Teil des Verfahren, nämlich nach Art. XXIII Abs. I und 11 GATT mit der Bezeichnung "Streitschlichtungsverfahren" belegt wird. Auch vom GATI selbst wird analytisch unterschieden zwischen jenen Konsultationen (Art. XXII), die in Hinsicht auf Art. XXIII geführt werden und damit zum Streitschlichtungsverfahren dazu gehören und solchen Konsultationen (auch Art. XXII), die gesondert für sich stehen (vgl. GATT, 1994, S. 477 ff und S. 583 ff.). Von letzteren, gesonderten, wurden zwischen 1948 und 1994 (Ende der GATI-Uruguay-Verhandlungen) 98 (ca. 2 p.a.) geführt, davon 63 (1,7 p.a.) vor Beginn der Uruguay-Runde und 35 während (knapp 5 p.a.). Sie stehen indes nicht im Mittelpunkt hiesiger Untersuchungen, stellen sie doch eine Art diplomatischen Verfahrens dar, daß im GATT nicht mehr spezifiziert ist, als durch die Formel, daß sich die Vertragsparteien in "sympathetic considerations" entgegenkommen sollen. 27 Es sind: "Joint Action by the Contracting Parties" (Art. XXV), "Acceptance, Entry into Force and Registration" (Art. XXVI), "Withholding or Withdrawal of Concessions" (Art. XXVII), "Modification of Schedules" (Art. XXVIII), "Tariff Negotiations" (Art. XXVIII bis), "The Relation of this Agreement to the Havanna Charter"
I. Die internationalen Handelsregeln des GATT
19
Entwicklung des Verfahrens: Die GATT-"Streitschlichtungsartikel" XXII und XXIII waren bis zu den Neuerungen durch die GATT-Uruguay-Runde im GATT-Vertrag selbst ziemlich unspezifiziert. Sie bestimmten lediglich, daß bei Uneinigkeiten die beteiligten Streitparteien zunächst bilaterale Verhandlungen führen sollten und, sofern eine Beilegung nicht gelänge, ihren Streitfall vor die CONTRACTING PARTIES28 bringen könnten. In der fast fünfzigjährigen GATT-Praxis vor der Novellierung durch die GATT-UruguayRunde haben sich informelle Regeln herausgebildet, die dann zu mehreren Gelegenheiten formal festgestellt und kodifiziert wurden29 , so insbesondere das 1979 verabschiedete und wiederum weiterentwickelte "Understanding Regarding Notification, Consultation, Dispute Settlement and Surveillance".30 Auf diese Weise entstand nach der Tokyo-Runde ein differenzierteres Streitschlichtungsverfahren, daß zudem wegen der Generalklausei aus Art. XXIII Abs. 1 lit. bund c sehr effizient hätte eingesetzt werden können. Diese Generalklausei bestimmt nämlich, daß eine Beschwerde schon dann möglich (Art. XXIX), "Amendments" (Art. XXX), "Withdrawal" (Art. XXXI), "Contracting Parties" (Art. XXXII), "Accession" (Art. XXXIII), "Annexes" (Art. XXXN), "Nonapplication of the Agreement between particular Contracting Parties" (XXXV).
28 Die Großschreibung entspricht der Handhabung im GATT-Vertragstext, der damit auf das höchste GATT-Gremium, die Vollversammlung der Vertragsparteien hinweist. 29 Auf den Zusammenhang zwischen formalen Regeln und sich herausbildenden, teils informellen Verfahren, kann noch nicht eingegangen werden. Es muß vorerst gelten, was Curzon Price, 1992, S. 88 f., etwa so ausdrückte: Im GATT gäbe es "no formal institutions and procedures" = > flexibility of institutions inspite of the rigidity of the underlying treaty. 30 Vgl. GAITIL/4907, bzw. GAIT/26S/210. Daneben sind relevant: "Decision of 5 April 1966 on Procedures under Article XXIII" (GAIT/14S/18), "Ministerial Declaration of 29 November 1982, Decision on Dispute Settlement" (GAIT/29S/13), "Decision on Dispute Settlement of 30 November 1984" (GAIT/31S/9), "Decision on Improvements to the GATT Dispute Settlement Rules and Procedures of 12 April 1989" (GAIT/36S/61) und schließlich als Ergebnis der Uruguay-Runde: "Decision of 22 February 1994 on Extension of the April 1989 Decision on Improvements to the GATT Dispute Settlement Rules and Procedures" (GAITIL/7416). Einige Autoren, z.B. EvanslWalsh, 1994, S.46, sprechen bei der 197ger Novellierung von einem eigenen, separaten Streitschlichtungsverfahren und einer "balkanization" des Verfahrens; wahrscheinlich weil die Ergebnisse der Tokyo-Runde nur so zögerlich angenommen wurden. Die beiden Verfahren wurden aber in praxi nie nebeneinander, also nie gleichzeitig angewendet, weshalb von einer Weiterentwicklung des ursprünglichen Verfahrens zu sprechen ist.
20
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
ist, wenn durch eine Maßnahme einer Vertragspartei es zu "nullification or impairment" eines Zugeständnisses für eine andere Vertragspartei kommt, auch ohne daß eine Verletzung der GATI-Regeln vorlag. Eine detailliertere Kritik des GATT-Streitschlichtungsverfahrens wird später bei der Untersuchung der Rechtsmittel und -möglichkeiten, gegen GATI-Vertragsverletzungen vorzugehen, durchgeführt (S. 51 ff.). Dort auch Beispiele. Im folgenden beschränke ich mich auf eine knappe Darstellung des sich herausgebildeten Verfahrens, wie es maßgeblich 1979 formalisiert wurde.
Zwei Arten von Streitigkeiten fallen unter Art. XXIII GATT: 1. Eine Vertragspartei kann geltend machen, daß durch das Verhalten eines
anderen bestimmte Vorteile oder Vergünstigungen, die ihr aus den Bestimmungen des GATI-Vertrags zustehen, vorenthalten werden. Es handelt sich hierbei um eine Klage gegen eine Vertragsverletzung.
2. Eine Vertragspartei kann geltend machen, daß sie einen Schaden erlitten hat, weil eine andere Vertragspartei einen nicht aus einem Abkommen oder einer Liste resultierenden Vorteil, direkt oder indirekt durch "nullification" oder "impairment" zunichte gemacht hat; oder - der allgemeinere Vorwurf -, daß die Ziele des Abkommens durch das Verhalten einer anderen Vertragspartei gestört würden. Diese Klagen beruhen auf dem "nonviolation"-Prinzip von GATI-Regeln und -Verfahren.
Folgendes Schlichtungsverfahren mit mindestens 9 Schritten schließt sich
an31 :
1. Als erster Schritt sind bilaterale Beratungen vorgesehen. Die beschuldigte Vertragspartei kann innerhalb von 10 Tagen antworten, die Beratungen sollen binnen 30 Tagen beginnen. 2. Konnten die Beratungen binnen 60 Tagen (nach der Forderung) nicht abgeschlossen werden, kann die beschwerdeführende Partei die Einrichtung eines "panels" oder einer" working party" fordern. 32
31 Hier wird ein "normalen Verlauf" unterstellt, d.h. von eilbedürftigen Fällen, Besonderheiten mit Entwicklungsländern und einigen "Non-Tariff-Agreements" abgesehen. Für den Text der Streitschlichtungs-Art. XXII, XXIII GATT siehe Anhang I. 32 "Panels" sind unabhängige Streitschlichtungsgremien, denen die streitführenden Parteien nicht angehören, an "working parties" können alle interessierten Parteien teilnehmen.
I. Die internationalen Handelsregeln des GAIT
21
3. Die Entscheidung darüber, ob ein "panel" (bzw. eine "working party") eingerichtet wird, soll spätestens während des ersten Treffens des GATTRates 33 entschieden werden, das dem Treffen folgt, auf dem die Forderung nach Einrichtung eines "panels" zum ersten Mal auf der Tagesordnung des GATT -Rates gestanden hat. 4. Die 3 bis 5 Mitglieder des "panels" werden durch den Generaldirektor ernannt. Die Nominierung kann von den Streitparteien einmalig angefochten werden. 5. Das Vorgehen der "panels" ist nicht festgelegt. In der Regel kommt es jedoch zu zwei oder drei Treffen mit den Streitparteien, die ihre Positionen (auch schon vorher) schriftlich oder mündlich vorlegen. "Panel" -Mitglieder können externe Berater hinzuziehen. Dritte Parteien können ihren Standpunkt, nach Mitteilung an den Rat, auch darlegen. 6. Hauptziel eine jeden "panels" ist es, eine "mutually agreed solution" zu erreichen. Ist dies möglich, so teilen sie diese dem Rat mit. Ist es nicht möglich, verfassen die "panel"-Mitglieder einen Bericht ("report") an den GATT-Rat, in dem sie die ermittelten Fakten, die Anwendbarkeit relevanter Vorschriften und ihre Empfehlungen aufführen. 7. Die "reports" gehen zunächst zu den streitenden Parteien, um doch noch eine Lösung zu finden, bevor sie vor den GATT-Rat kommen. Die Zeit von der Verkündigung der "Terms of Reference" eines "panels" bis zur Erstellung des endgültigen "reports" soll generell sechs Monate nicht überschreiten. 8. Der GATT-Rat kann dem "report" zustimmen oder ihn einstimmig ablehen (genau genommen im sog. "Konsensus"-Verfahren). 9. Die Umsetzung der vom GATT-Rat somit empfohlenen Maßnahmen soll sechs Monate nach der Abstimmung erneut auf der Tagesordnung des GATT-Rates stehen und solange stehenbleiben, bis die Angelegenheit beigelegt ist.
33 Der GAIT-Rat ("Council oj Representatives"), in dem jede Vertragspartei Mitglied werden kann, nimmt seit 1960 die laufenden und dringlichen Geschäfte zwischen den Verhandlungen wahr.
22
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen Zu zeigen ist: Die (völker-) rechtlichen Möglichkeiten und Mittel, gegen Vertragsverletzungen anderer Vertragspartner vorzugehen, werden nicht genutzt. Damit laufen rechtliche Vorkehrungen des GATT und des Völkerrechts 34 ins Leere. Wenn nämlich die Vertragspartner nicht gewillt sind, die vertraglichen Regelungen und (leren Beachtung im Verhältnis zueinander geltend zu machen, bliebe zu fragen, erstens, warum sie überhaupt das rechtliche Instrumentarium des Vertrags für ihre Kooperation wählen und, zweitens, da nun doch Verträge geschlossen werden, warum sie nicht konsequent umgesetzt werden, wozu auch gehörte, daß nicht auf ihre rechtliche Durchsetzung verzichtet würde. Die erste Frage kann in dieser Arbeit nur gestreift werden, die zweite ist die zentrale Fragestellung, zu deren Beantwortung die Erklärungsansätze verschiedener Theorien geprüft werden sollen. Hierbei bietet die Rechtswissenschaft theoretisch nur unzureichende Erklärungsansätze. Gilt dasselbe für die Ökonomik? Zunächst ist zu zeigen, (1) wie die Begriffe "Vertragsbruch", "Vertragsverletzung" und "Vertragsumgehung" zu verstehen sind. Ihr Gebrauch ist nicht immer eindeutig. Erster Bezugspunkt sind die Rechtsnonnen des Völkerrechts, die bereits recht detaillierte Abgrenzungen erlauben. Dennoch ist eine rein völkerrechtliche Beschreibung v.a. in bezug auf den Begriff "Vertragsumgehung" ungenügend. Dazu (2) die folgenden Klärungen. Um die praktischen Seiten der Problematik vorzuführen,
34 Zum Begriff .. Völkerrecht" vgl. Ipsen, 1990, S. 1 ff. Die Leistungen des Völkerrecht als Instrument können nach Ipsen, 1990, S. 47 ff., in formale und inhaltliche eingeteilt werden: Völkerrecht dient formal als Verfahren zur Rechtserzeugung, als Verfahren für die Kooperation und zur Institutionalisierung der Kooperation durch internationale Organisationen. Eine inhaltlich gestaltende Wirkung entfaltet Völkerrecht durch: Verhaltensnormen und Sicherung seiner Beachtung. Wirtschajtsvölkerrecht bezieht sich auf wirtschaftliche Aktivitäten. Um eine überblicksartige Vorstellung der (begrenzten) Reichweite von Wirtschaftsvölkerrecht zu erhalten, können hier seine wichtigsten Grundsätze angeführt werden, als da sind: Pacta sunt servanda und Gutgläubige Vertragserjüllung, Vertragsfreiheit, Eigentumsschutz und Friedliche Streitbeilegung; dagegen nicht: Gleichheit und Solidarität, dauerhafte Souveränität über Rohstoffe, ökonomische Aktivität und Reichtum, Vorzugsbehandlung für Entwicklungsländer, Staatskooperation, gemeinsames Erbe der Menschheit, Recht auf Entwicklung usf.
11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
23
werden (3) auch die wichtigsten Fonnen sowie einschlägige Beispiele realisierter Vertragswngehungen im GATT angeführt.
1. Die Begriffe "Vertragsbruch" und "Vertragsverletzung" im Völkerrecht
Grundsätzlich wird im Völkervertragsrecht von einer Gültigkeit und Weitergeltung von Verträgen im Sinne des allgemeinen (Völker-) Rechtsgrundsatzes "pacta sunt servanda" ausgegangen (Art. 42 WVK35). Völkerrechts subjekte müssen jedoch die ihnen zustehenden Ansprüche geltend machen, da ansonsten regelmäßig von konkludenter Zustimmung oder "acquiescence" (qualifiziertes Stillschweigen) ausgegangen wird. 36 Bei völkerrechtlichen (internationalen) Verträgen37 werden Ungültigkeit, Beendigung und Suspendierung unterschieden (Abschnitt I, Teil V, Art. 42-45 WVK). Während Ungültigkeit38 i.d.R. bereits aus dem Vertragsschluß herrührt, gibt es Been-
35 Maßgeblich für eine völkerrechtlicher Beurteilung internationaler Verträge sind die Wiener Vertragsrechtskonventionen WVK und WVKIO von 1969 und 1986, in denen vorwiegend gewohnheitsrechtliche Tatbestände kodifiziert wurden. Sie kann indes wegen ihrer begrenzten Ratifizierung von nicht einmal der Hälfte aller Staaten und zahlreichen Vorbehalten zu verschiedenen Vertragsklauseln nicht als unbestritten gelten (sie ist gern. ihrem Art. 84 I am 27. 1.1980 mit der Hinterlegung der 35. Ratiflkationsurkunde in Kraft getreten. Am 31.12.1989 hatten erst 58 Staaten die WVK ratifiziert, die ihre Bindungswirkung - da sie selbst ein völkerrechtlicher Vertrag ist nur inter partes entfaltet). Die WVKIO war am 31.12.1989 noch nicht in Kraft getreten, da sie nur von 27 Staaten und 10 internationalen Organisationen unterzeichnet, und nur von 6 Staaten ratifiziert wurde. Dennoch kann davon ausgegangen werden, daß die Konventionen ihre völkerrechtliche Bindungswirkung über den Bereich der Ratifizierer und Unterzeichner hinaus entfaltet, da sie zum einen hauptsächlich Völkergewohnheitsrecht kodifiziert hat, zum anderen aber als informeller Maßstab auch für Nicht-Unterzeichner-Staaten fungiert. 36 Vgl. Ipsen, 1990, S. 152 ff. 37 Unter internationale Verträge sind alle völkerrechtlichen Verträge, Übereinkommen, Abkommen, Vereinbarungen, Protokolle, Konventionen, Deklarationen, Pakte u.a.m. zu verstehen, die sich zwar in ihrer Bezeichnung, nicht aber in völkerrechtlicher Hinsicht unterscheiden (vgl. Ipsen-Heintschel v. Heinegg, 1990, S. 100, Rdnr. 5). Auch die Gründung einer Internationalen Organisation ist völkerrechtlich ein internationaler Vertrag, der als Besonderheit allerdings die Erschaffung eines neuen Völkerrechts subjekts umfaßt. 38 Ungültigkeit von Verträgen kann ihre Nichtigkeit und Anfechtbarkeit zur Folge haben. Als Ungültigkeits gründe diskutiert Ipsen, 1990, S. 158 ff (mit weiteren Litera-
24
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
digungs- und Suspendierungsgründe, die einen Fortfall der Vertragsbindung begründen, sich aber nicht direkt auf den Abschluß beziehen. Nur letztere sind gemäß hiesiger Fragestellung nach der Rechtsbeachtung der einmal abgeschlossenen GATT-Verträge wirklich relevant. Dabei können sich drei Gründe für den Fortfall der Vertragsbindung (endgültige Aufhebung des Vertrags bzw. einzelner Vertragsbestimmungen durch Kündigung, Rücktritt und Erlöschen oder vorübergehender Aussetzung seiner Wirksamkeit) ergeben:
l. Der Vertrag sieht selbiges in seinen Bestimmungen vor, 2. die Vertragsparteien treffen nachfolgend diesbezügliche Vereinbarungen oder 3. völkergewohnheitsrechtlich anerkannte - und nunmehr im wesentlichen in den Wiener Vertragsrechtskonventionen kodifizierte - Regeln begründen den Fortfall der Vertragsbindung.
ad 1) Die bisherigen GATI-Verträge kannten keine Bestimmungen, die zu einem Fortfall der Vertragsbindung hätten führen können. Auch ein Auschluß aus dem GATI war bisher nicht vorgesehen. Allerdings haben die vielfältigen Sonder-, Ausnahme- und Übergangsregelungen für einzelne Vertragsteile letztlich eine ganz ähnliche Funktion wie ein vertraglich vereinbarter Fortfall der Vertragsbindung. Gleichermaßen muß die Möglichkeit des jederzeitigen Austritts (Ld.R. mit 6-monatiger Frist, Art. XXXI) ganz im Sinne einer vertraglichen Beendigungsklausel interpretiert werden. Schließlich hat auch die wiederholte Ausweitung der Prinzipien und Ziele (in der Präambel) die Interpretation der Bestimmungen zunehmend erschwert. Die so eröffneten Spielräume wahrzunehmen und auszunutzen könnte unter bestimmten Umständen als Umgehung der Verträge gewertet werden, nicht aber als Vertragsverletzung oder -bruch. ad 2) Nachfolgende Verträge, die einzelne GAlT-Bestimmungen abändern, stellen aus völkerrechtlicher Sicht eine Vertragsverletzung dar, die im Zweifel auch den Tatbestand des Vertragsbruchs erfüllen, sofern sie zwischen einzelnen GATI-Vertragspartnern mit dem Ziel abgeschlossen werden, die GATI-
turhinweisen), Handeln eines zum Vertrags schluß unzuständigen Organs, Irrtum, Betrug und Bestechung, Zwang gegen einen Staatenvertreter, Zwang gegen einen Staat sowie problematische Fälle von "ungleichen Verträgen". Zudem gibt es Verstöße gegen unabdingbares Völkerrecht (ius cogens) sowie vereinzelt auch gegen Völkergewohnheitsrecht.
11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
25
Verträge zwischen ihnen abzuändern. Zwar können Verträge gemäß Art. 54 lit. b WVK durch (auch formloses) Einvernehmen unter den Vertragsparteien jederzeit beendet oder suspendiert werden. Art. 58 WVK sieht für multilaterale Verträge aber eindeutig vor, daß Suspendierung oder Beendigung, die lediglich zwischen einzelnen Vertragsparteien wirken sollen, nur dann zulässig sind, wenn eine solche Möglichkeit im Vertrag vorgesehen ist oder wenigstens durch den Vertrag nicht verboten wird. Letzteres aber auch nur dann, wenn dadurch die Rechte und Pflichten der anderen Vertragsparteien nicht beeinträchtigt werden und sie inter se39 nicht mit dem Ziel und Zweck des Vertrags unvereinbar sind. 4o In den GATI-Verträgen wird eine nachfolgend abändernde Fortbildung der Regeln zwischen nur einzelnen Vertragsparteien nicht vorgesehen, diese wären in den meisten Fällen wohl auch mit den universalen Zielen und Zwecken der GATT-Verträge unvereinbar im Sinne von Art. 58 WVK. Art. XXXV GATT sieht zwar eine "opting-out"-Klausel vor, die aber nur bei Eintritt in das GATT wirksam wird und genau spezifiziert sein muß. Zudem deuten die Regelungen des GATT darauf hin, daß versucht wurde, durch Verbote und die Fonnulierung von Bedingungen für bestimmte Arten von Abkommen von vornherein einzel staatliche Sonderabkommen zu beschränken und auszuschließen (z.B. durch Meistbegünstigung und Nichtdiskriminierung, Art. XXIV GATT mit restriktiven Bedingungen für Zollunionen). Deshalb sind einige Sonderabkommen strenggenommen als Vertragsverletzungen anzusehen.
39 Bei "inter se "-Verträge , die auch als "contracting-out" (nicht zu verwechseln mit dem sog. "opting-out") bezeichnet werden, vereinbaren einzelne Parteien eines multilateralen Vertrags Änderungen, die nur auf ihren Kreis beschränkt bleiben sollen. Man spricht dann von Modijilwtion des Vertrags. Wird mit einem inter seAbkommen gegen die Vorschriften des Art. 41 WVK verstoßen, so bleibt es dennoch inter partes rechtsverbindlich (sofern es nicht gegen völkerrechtliches ius cogens verstößt). Die Parteien des inter se-Abkommens müssen sich freilich völkerrechtlich gegenüber den ursprünglichen Vertragspartnern verantworten, d.h. sie sind verpflichtet, die vertragskonforme Situation im Verhältnis zu den anderen Vertragsparteien wiederherzustellen; vgl. Ipsen, 1990, S. 146. 40 Vgl. Ipsen, 1990, S. 174 f. Art. 58 WVK ist dem Art. 41 WVK ähnlich, der für die ModifIkation (im Gegensatz zur einvernehmlichen Abänderung: "amendment") von Verträgen ähnliche Bedingungen aufstellt. Zu weiteren Bedingungen vgl. Ipsen, 1990, S. 145 f., sowie Art. 40 WVK.
26
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
Hierzu zählen z.B. auch einige Aspekte der EG sowie die meisten VERs41. Es war aber bisher höchstens in AusnahmefaIlen möglich, Verstöße gegen die GATT-Bestimmungen rechtlich eindeutig als solche festzustellen. Zwar wurden von Drittstaaten - und zunehmend auch vom GATT selbst - wiederholt diese Praktiken als vertragsverletzend angezeigt. Zu umfangreichen Untersuchungen, eindeutigen Urteilen oder gar dem Abbruch der beanstandeten Praktiken ist es aber nur in den seltensten Fällen gekommen. In dem Maße, wie es zu juristsich klaren Urteilen nicht kommen konnte, kann also juristisch strengenommen weder von Vertragsbruch noch von Vertragsverletzung eindeutig gesprochen werden. Indes hat es eine Unzahl offensichtlicher Fälle gegeben, die auch ohne richterliches Urteil klar die Tatbestandsmerkmale der Vertragsverletzung aufweisen. Darauf wurde in der Literatur immer wieder verwiesen. 42
ad 3) Die (gewohnheitsrechtlichen) WVK-Regeln beziehen sich im wesentlichen auf drei Bereiche der Vertragsverletzung: nachträgliche Unmöglichkeit der Vertragserjüllung, der grundlegende Wandel der Umstände sowie Vertragsbrüche. Eine nachträgliche Unmöglichkeit der Vertragserjüllung (Art. 61 WVK) kann bzgl. der allgemein formulierten Handelsregeln des GATI nicht angenommen werden, da kein endgültiges Verschwinden oder die Vernichtung eines zur Vertragsausführung unerläßlichen Gegenstandes auftreten kann. Der grundlegende Wandel der Umstände (Art. 62 WVK) muß uns hingegen beschäftigen. Die Geltung der sogenannten .. c1ausula rebus sic stantibus" ist im Völkerrecht noch nicht endgültig gesichert, wird aber dennoch häufig
41 VER: sogenannte "Voluntary Export Restraints": "Selbstbeschränkungsabkommen" . Diese wurden seit dem Abschluß der GATT-Tokyo-Runde (Sept. 1973 - Nov. 1979) zunehmend v.a. von den USA und der EG praktiziert, vgl. GAIT/C/W/590, die eine ausführliche Auflistung aller einzelnen Maßnahmen verzeichnen und Kostecki, 1987, 1991. Nach Angaben verschiedener Handelsdiplomaten waren viele der VERs rechtlich eindeutig vertragsverletzend, wurden aber euphemistisch als "greyarea-measures" bezeichnet und allgemein geduldet. Dies wird gerade im Landwirtschaftssektor deutlich. 42 Vgl. Curzon Price, 1992, S. 90, 92; Großmann/Koopmann/Michaelowa, 1994, S. 256; Hauser/Schanz, 1995 f.; Hudec, 1978, S. 9; Karl, 1983; Long, 1986; McDonald, 1993, S.423; OE CD , 1988, S. 1-5; US Mission Genf, 1982, S.6; Patterson/Patterson, 1987, S. 7. Siehe unten: ,,3. Vertragsverletzungen und -umgehungen im GATT", S. 31 ff.
11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
27
als (Rechtfertigungs-) Grund für die einseitige Beendigung eines Vertrages oder für den Rücktritt geltend gemacht. 43 Im GATI könnte eine Berufung auf die c1ausula dann eine Vertragsverletzung bedeuten, wenn sie mißbräuchlich geschieht. Darin könnte jedoch keine Vertragsverletzung (und kein Vertragsbruch) gesehen werden, solange die Mißbräuchlichkeit nicht nachgewiesen werden kann, bzw. solange es gar nicht erst zu einer völkerrechtlich bedeutsamen Prüfung kommt. In offensichtlichen Fällen könnte bei mißbräuchlicher Geltendmachung der c1ausula auch ohne richterliches Urteil von einer Vertragsverletzung die Rede sein. Der Vertragsbruch LS. der Art. 60 WVK und WVKIO. Unter Vertragsbruch wird im Völkerrecht "die erhebliche Verletzung eines Vertrages" verstanden. 44 Art. 60 WVK regelt die Auslegung und differenziert bei den möglichen Folgen nach bilateralen und multilateralen Verträgen45 : Eine "erhebliche Verletzung" ("material breach") liegt gemäß Art. 60 lit. a WVK in einer nach der WVK nicht zulässigen Ablehnung des Vertrags oder, lit. b, in der Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder -zwecks wesentlichen Bestimmung. In bilateralen Verträgen kann die andere Partei den Vertrag (nach dem Grundsatz der Proportionalität) gänzlich oder teilweise beenden oder suspendieren (Art. 60 I), aber nur wenn sie dieses Recht geltend macht. Dazu muß sie das Verfahren gemäß Art. 65 ff WVK einleiten. Damit wird die Vertragsbeachtung auf eine vorgelagerte Verfahrensebene gehoben.
43 Vgl. Ipsen, 1990, S. 180 ff., der bei der Diskussion des Geltungsgrundes zu dem Schluß kommt, daß bei den einschränkenden fonnulierten Bedingungen des Art. 62 WVK von einer mehrheitlich gewohnheitsrechtlichen Geltung ausgegangen werden kann. Diese Bedingungen sehen vor, daß die clausula nur ausnahmsweise angewendet werden kann, nämlich wenn: ,,- es sich um die Änderung solcher Umstände handelt, die zur Zeit des Vertrags schlusses gegeben waren; - diese Änderung grundlegend ist; - diese Änderung von den Vertragsparteien nicht vorausgesehen wurde; - das bestehen der Umstände eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Parteien bildete, durch den Vertrag gebunden zu sein; und - die Änderung das Ausmaß der aufgrund des Vertrages noch zu erfüllenden Verpflichtungen tiefgreifend umgestaltet." (vgl. Ipsen, 1990, S. 181). Die Beurteilung der Umstände geschieht nach objektiven Kriterien, nicht nach Parteiwillen. 44 Vgl. Ipsen, 1990, S. 175 f., RdNr. 77. 45 Die Bestimmungen des Artikels lassen diejenigen Vertrags bestimmungen unberührt, die gerade im Fall der Vertragsverletzung zur Anwendung kommen sollen (Art. 60 IV WVK), Absatz Verklärt eine Unanwendbarkeit, wenn es um Verträge humanitärer Art sind. Beide tatbestände dürften für das GATT nicht relevanz sein.
28
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
Bei multilateralen Verträgen, bei denen ein angeblicher Vertragsbruch begangen wurde, sind dagegen einige Differenzierungen vonnöten, die im Abs. 11 lit. a, b und c enthalten sind: Gemäß Art. 60 11 lit. a können die übrigen Vertragsparteien einvernehmlich den Vertrag (i) im Verhältnis zwischen ihnen und dem vertragsbrüchigen Staat oder (ii) im Verhältnis zwischen allen Vertragsparteien beenden bzw. ganz oder teilweise suspendieren. Dabei kommen die Verfahrensvorschriften der Art. 65 ff WVK nicht zur Anwendung. Gemäß Art. 60 11 lit. b ist eine besonders betroffene Vertragspartei berechtigt, die Verletzung als einen Grund für die gänzliche oder teilweise Suspendierung des Vertrags im Verhältnis zwischen ihr und der vertragsbrüchigen Partei (also inter partes) gemäß dem Verfahren nach den Art. 65 ff. geltend zu machen. Gemäß Art. 60 11 lit. c, der für sogenannte integrale Verträge bestimmt ist (vgl. Ipsen, 1990, S. 178 f., der als Beispiel Abrüstungsverträge nennt), ist jede außer der vertragsbrüchigen Partei berechtigt, die Vertragsverletzung als Grund für die gänzliche oder teilweise Suspendierung in bezug auf sich selbst gegenüber allen anderen Vertragsparteien geltend zu machen. Das Recht zur Beendigung oder Suspendierung wird im völkerrechtlichen Schrifttum grundsätzlich anerkannt; sowie auch von der "internationalen Judikatur", obwohl sie bisher nur in wenigen Fällen Gelegenheit hatte, sich mit der Frage der erheblichen Vertragsverletzung zu befassen. 46 Die Staatenpraxis ist dagegen uneinheitlich, in vielen Fällen haben sich Staaten auf ein Leistungsverweigerungsrecht wegen angeblicher Vertragsverletzung berufen, um sich lästig gewordener Vertragspflichten zu entledigen. 47
2. "Vertragsumgehung" als Ergänzung der völkerrechtlichen Terminologie
Für den Vertragsbruch sind mithin die völkerrechtlichen Tatbestandsmerkmale der "erheblichen Vertragsverletzung" ausreichend spezifiziert. Die dazu gefällten Urteile und Aussagen des IGH, der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, der ILC, der wissenschaftlichen Literatur und der eingesetzten GATT-panel dienen als Beurteilungsmaßstab. 48 Vertragsbruch in diesem
46 Vgl. Ipsen, 1990, S. 176. 47 Vgl. ebd., mit weiteren Literaturangaben. 48 Vgl. nur Ipsen, 1990, S. 175 ff., mit umfangreichen Literaturnachweisen auf S. 171 f.
11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
29
Sinne ist im GATT bisher nie festgestellt worden. Auch der Begriff" Vertragsverletzung" ist völkererchtlich an klaren Merkmalen festzumachen und vom Vertragsbruch (als erheblicher Verletzung) gut abgrenzbar. Vier Unter-
fälle sind zu unterscheiden: (1) Die Mißachtung oder Verletzung einzelner Vertragsbestimmungen, (2) Die Abänderungen des GATT-Vertrags zwischen einzelnen Vertragsparteien durch nachfolgende Verträge, (3) Die mißbräuchliche Geltendmachung von angeblichen Vertragsverletzungen oder Vertragsbrüchen und (4) Die mißbräuchliche Berufung auf die "clausula rebus sic stantibus". Vertragsverletzungen der ersten und zweiten Art sind im GATT vorgekommen. Mißbräuche, (3) und (4), wurden bisher nicht nachgewiesen.
Vertragsumgehung ist dagegen kein (völker-) rechtlich klar spezifizierter
Begriff. Er bezeichnet in dieser Untersuchung eine Grauzone, die durch zwei
Abgrenzungen definiert werden kann:
(1) Vertragsumgehungen sind Verhaltensweisen, die nach systematischer und/oder teleologischer Auslegung49 rechtlich unzweifelhaft Vertragsverletzungen sind, weil sie Sinn und Zweck des Vertrags zuwiderlaufen, die aber wegen fehlender rechtlicher Verfolgung nicht formalrechtlich als solche festgestellt werden. (2) Vertragsumgehungen sind Verhaltensweisen, die bei einer rechtlichen Überprüfung nicht eindeutig als vertragsverletzend beurteilt werden könnten oder konnten, bei denen aber die herrschende Meinung ist, daß es sich um eine Vertragsverletzung handelt. Sie führen meist zu Forderungen nach einer Novellierung der Verträge.
49 Maßgeblich für die Auslegung von internationalen Verträgen ist i.d.R. Art. 31 WVK, der alle drei Auslegungsmethoden nennt, indem er vorsieht, Verträge seien ..... nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen." Weitere völkergewohnheitsrechtliche Auslegungsregeln sind der Effektivitätsgrundsatz, nach dem ein Vertrag so auszulegen ist, daß sein Gestaltungsziel und Regelungszweck bestmöglich erreicht werden sowie der Grundsatz der "necessary implication", nach dem eine Vertragspartei zur Erfüllung des Vertrages erforderliche Rechte aus dem Vertrag herleiten kann, auch wenn diese nicht ausdrücklich im Vertragstext niedergelegt sind ( .. implied powers"-Lehre). Zu näheren Erörterungen und ergänzenden Auslegungsregeln, insbesondere der dynamischen Interpretation und bei mehrsprachigen Verträgen, vgl. Ipsen-Gloria, 1990, s. 125 ff.
30
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
Die rechtliche "Grauzone" entsteht dadurch, daß ein rechtlicher Tatbestand erst konstatiert werden kann, wenn von anerkannt kompetenter Seite eine verbindliche Überprüfung und Beurteilung stattgefunden hat. Kommt es nicht zu einer rechtlichen Beurteilung, könnte strenggenommen so wie nicht von Vertragsverletzung, auch nicht von Vertragsumgehung (bzw. "circumvention" im neuen GATT oder "bypassing"50) gesprochen werden. Es liegen im GATT aber genügend Fälle vor, in denen Vertragsverletzungen ganz unzweifelhaft sind und dennoch rechtlich nicht verfolgt wurden. Auf diese Fälle konzentrieren sich meine Ausführungen. Sie sind im GATI mehr als nur vereinzelt aufgetreten. Die "Grauzone" entsteht aber auch durch die Schwierigkeiten, die sich jeder rechtlichen Prüfung komplexer Verträge entgegenstellen und die Ergebnisse deshalb manchmal schwer nachvollziehbar machen: Zum einen bestehen gewichtige Auslegungsschwierigkeiten der GATTVerträge wegen der unscharfen Begrifflichkeiten. 51 Die vagen Formulierungen der GATT-Regeln sind wohl nicht unbeabsichtigt oder unbemerkt geschehen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die internationalen Handelsregeln - als Kompromißformein - absichtlich unpräzise gefaßt sind, um breite Spielräume in der rechtlichen Interpretation zu eröffnen. 52 Zum anderen wird die rechtliche Interpretation auch dadurch erschwert, daß juristische Auslegungen immer die Gesamtheit von Zielen und Zwecken im Auge behalten sollten, verschiedene Gewichtungen sich widersprechender Ziele und Zwecke mithin
50 Im EIU-Guide, vgl. EvanslWalsh, 1994. 51 Großmann/Koopmann/Michaelowa, 1994, S. 254: "Zahlreiche Vorschriften waren ungenügend spezifiziert. Unscharfe Antidumping- und Antisubventionsbestimmungen verführten zu protektionistischem Mißbrauch. Die Subventionsregeln waren ungeeignet, eine wettbewerbsverfalschende Industriepolitik: einzudämmen. Wenig präzise Vorgaben für (regionale) Integrationsvorhaben leisteten einer Fragmentierung des Handelssystems Vorschub. "
52 Dieser Tatsache kann hier nicht nachgegangen werden. Auch soll nicht geprüft werden, ob ohne derartige Vagheiten, Härtefallklauseln, Sonder-, Ausnahme- und Übergangsregelungen komplexe Verträge wie das GATT überhaupt noch abgeschlossen würden (wogegen prima facie vielfache plausible Belege vorzubringen wären). Hier gilt es i.S. der aufgeworfenen Fragestellung die Feststellung zu machen, daß im GATT eine Vielzahl rechtlicher Auslegungsspielräume angelegt sind, die jegliche juristische Interpretation erschweren. Tumlir, 1979, S. 9, fordert deshalb, daß GATT Regeln "umfassend" sein sollen, " ... d.h., sie sollten ausschließen, daß anstelle der verbotenen Politik: eine gleichwertige betrieben wird, die nur deswegen 'legal' ist, weil sie von den Regeln nicht ausdrücklich erfaßt ist". Damit wird aber das Auslegungsproblem nicht beseitigt.
H. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
31
zu uneinheitlichen Interpretationen führen. Schließlich sind nicht alle GATTRegeln für die Vertragsparteien zwingender Natur. Einige sind sozusagen nur institutionelle Angebote (ähnlich Allgemeinen Geschäftsbedingungen). Hier ist genau zu differenzieren. 53 Das Problem löst sich auch nicht dadurch, die Begriffsbestimmung mit Interpretationen benachbarter Wissenschaftsdisziplinen, z.B. Politikwissenschaft oder Ökonomie, vorzunehmen, weil sonst das rechtliche Problem verschwimmt. 54 Mithin wird die obige (rechtlich unhandliche) Definition beibehalten, muß damit jedoch die Abgrenzung zwischen noch vertragsgemäßem und schon vertragsumgehendem Verhalten empirisch v.a. am konkreten Einzelfall verdeutlicht werden - in dieser Arbeit also an Beispielen.
3. Vertragsverletzungen und -umgehungen im GATT
Die Abgrenzung zwischen Vertragsverletzungen und -umgehungen und vertragsmäßigem Verhalten ist in den meisten Fällen möglich, wie die folgenden Beispiele zeigen sollen. Hierzu soll a) klargestellt werden, wer die Akteure sind, die im GATT bestimmte typische Vertragsverletzungen begehen, damit b) die einzelnen Arten von Umgehungen, und insbesondere c) die Umgehung des Streitschlichtungsverfahrens aufgezeigt werden kann.
53 Das Streitschlichtungsverfahren gehörte z.B. nicht zu den gänzlich "freiwilligen" Regeln, der Verzicht auf seine Anwendung ist als eine rechtserheblicher Verzicht zu werten, vgl. unten: "Umgehung des Streitschlichtungsverfahrens ", S. 44 ff. 54 Politisch und ökonomisch kommen zur Beurteilung eines vertragsgemäßen Verhaltens als Maßstab nur die Vertragsziele, -zwecke und -prinzipien in Frage. Diese bedürfen hingegen selbst der Interpretation, die - wenn sie dem rechtlichen Bereich entzogen ist - nicht nach anerkannten Maßstäben erfolgen kann. Wie soll dann von den Zielen und Zwecken einzelner Akteure Kenntnis erlangt werden? Eine Rekonstruktion aller Zielvorstellungen aller am Vertragsschluß beteiligter Akteure ist zwar theoretisch nicht ausgeschlossen, praktisch aber undurchführbar. Zudem gibt es offensichtlich wenig Übereinstimmung zwischen jenen, die ihre Zielvorstellungen in die Verträge einbringen und anderen, die später Entscheidungen über Vertragsumgehung oder -verletzung treffen. Zudem handeln alle hoheitlich, also bereits für andere. Diese Problematiken werden unten noch im einzelnen erörtert.
32
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
a) Bestimmung der Akteure Wer sind die an Fragen des internationalen Handels beteiligten Entscheidungsträger? Da die den internationalen Handel und das GATI betreffenden Entscheidungen nur selten an die breitere Öffentlichkeit gelangen, sind die Akteure nur ausnahmsweise bekannt. Geringe Kenntnis verleitet (z.B. in den Medien) häufig dazu, die Entscheidungen einzelner Personen und Persönlichkeiten aus den Augen zu verlieren und zu pauschalen Gruppenbetrachtungen überzugehen. Selbst die wissenschaftliche Diskussion begnügt sich hier häufig mit "Wirtschaftsblöcken" oder "Nationalstaaten" als handelnde Akteure. 55 Auch wenn es schwierig scheint, bis auf einzelne Entscheidungen "hinabzusteigen", um diese in ihren Einflußfaktoren nachzuvollziehen, so ist der Versuch, wenigstens bestimmte Entscheidungsstrukturen aufzudecken, wissenschaftlich unentbehrlich. Nur durch diesen "Durchgriff" bis auf einzelne Individuen kann es möglich werden, das Spannungsfeld zwischen individuellem Entscheidungsverhalten und strukturellen Entscheidungsfreiräumen in den Blick zu bekommen. Dabei sei auf drei für diese Arbeit maßgebliche Klarsteilungen vorab verwiesen: 1. Staaten und Regierungen können überhaupt nicht handeln, sondern immer nur einzelne (natürliche) Personen. 56 2. Einzelne Personen handeln nach eigenen Interessen. 3. Interessen werden durch die Eingebundenheit jedes Individuums in soziale Strukturen zu Handlungsspielräumen.
55 Es ist bequemer, Aussagen über kaum 150 Nationalstaaten und deren Beziehungen untereinander zu formulieren, als über tausende von Staatsrepräsentanten, Staatsvertreter und sonstige Beteiligte, die in unüberschaubaren Handlungsstrukturen agieren und je eigene Vorstellungen hegen. Das Völkerrecht unterstützt mit seiner vornehmlich auf Völkerrechts subjekte abstellenden juristischen Perspektive diese Tendenz. Daß dabei mitunter die Grenze zum Anthropomorphismus überschritten wird, fällt beim GATT umso weniger ins Gewicht, als die sich mit ihm befassenden Entscheidungsträger nur in seltenen Fällen im Licht der "großen Öffentlichkeit" stehen, es also schwer ist, die beteiligten Akteure überhaupt zu identifizieren. Ausnahmen zeigten sich lediglich in den hochstilisierten GATT-Uruguay-Verhandlungen, v.a. in der Endphase, in der gebannt auf die Vertreter von Frankreich und den USA geschaut wurde, sowie auch bei einzelnen Handelskriegen, die nach langen "Drohgebärden" oft zur "Chefsache" erklärt und dann gelöst werden. 56 In dieser Arbeit wird deswegen bezogen auf Staaten, Regierungen und sonstigen Gruppen von "Verhalten", nicht von "Handeln" gesprochen.
H. Vertragsbrüche. Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
33
Im folgenden können einige einordnende und problematisierende Bemerkungen zu den drei Analyseebenen: (1) Staatenzusammenschlüsse, (2) Nationalstaaten und (3) innerstaatliche Entscheidungsstrukturen gemacht werden: Selbst auf diesen "kollektiven" Ebenen werden die Fakten selten hinreichend strukturiert. Bei Wirtschaftsblöcken wäre z.B. zu unterscheiden, ob die Zusammenschlüsse kurz- oder langfristig, aus sachlicher Übereinstimmung, gemeinsamer Betroffenheit oder politischer Zugehörigkeit geschehen. Zwischen den Nationalstaaten können aus einer objektivierenden Sicht nicht nur "starke" und "schwache" unterschieden werden. Innerhalb der Staaten sind genau politische von sachbezogenen Entscheidungsstrukturen zu unterscheiden und soziologische Einflußfaktoren im weitesten Maße zu berücksichtigen und abzugrenzen.
(1) Staatenzusammenschlüsse: Staatenzusammenschlüsse können inter alia unterschieden werden in "Interessengemeinschaften" und "Verbündete". Interessengemeinschaften bilden sich zwischen Staaten dort, wo aus wirtschaftlich sachbezogener Übereinstimmung und/oder Betroffenheit eine gemeinsame Interessenvertretung Vorteile verspricht. In den GATT-UruguayVerhandlungen gab es viele solcher Gemeinschaften oder Koalitionen57 . Am bekanntesten dürfte die Cairns-Gruppe sein. Aber auch die "Gruppe der 77" schloß sich z.B. zu Beginn der Verhandlungen gegen die Einbeziehung von Dienstleistungen zusammen. Auch die OPEC oder Mitglieder von Rohstoffkartellen zählen zu den ungezählten Zweckbündnissen dieser Art, die Entscheidungsräume einengen oder erst schaffen. "Verbündete" nenne ich politische Allianzen, Kooperationen und Koalitionen, die nicht aus einer "fundamentalwirtschaftlich" gemeinsamen Interessenlage entstehen, sondern aus anderen (politischen) Gründen. Hierbei ist an die OECD oder die gegenseitige Rücksichtnahme in der NATO ebenso zu denken, wie an persönliche Freundschaften hochrangiger Politiker über nationalstaatliche Grenzen hinweg. (2) Heterogenität der Nationalstaaten: Zu häufig werden Betrachtungen des GATT gemacht, ohne auf die beträchtlichen Unterschiede einzugehen, die zwischen den Vertragsparteien bestehen. Der GATT-Vertrag, in dem Staaten wie die USA, Supranationale Organisationen wie die EU und Zwerg-Staaten mit gleichen Stimmrechten ausgestattet werden, kann zu Problemen führen, die viel weniger vom Willen der Entscheidungsträger abhängen, als von gene-
57 Hamilton!Whalley. 1989. unterscheiden in ihrem Artikel funktional-zielorientiert nach agenda-moving, proposal-making, blocking und negotiating coalitions. 4 Kopke
34
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
rellen Gerechtigkeitsüberlegungen. Zwei wichtige Dimensionen dieser Heterogenität sind zum einen die unterschiedliche Wirtschaftskraft und zum anderen die machtpolitischen und diplomatischen "Größen"-Unterschiede, die auch als "Verhandlungsmacht" bezeichnet werden. Es bedarf einigen politikwissenschaftlichen Geschicks, diese Unterschiede nach klaren Kriterien zu strukturieren. Hier muß vorerst der Hinweis auf diese Heterogenität genügen, welche über jene z.B. der Mitgliedstaaten der EU weit hinaus geht.
(3) Innerstaatliche Entscheidungsstrukturen: Der Vergleich innerstaatlicher Entscheidungsstrukturen ermöglicht genauere Einblicke in die Interessenlagen und Loyalitäten von Staaten. Sie können nur verstanden werden, wenn die volkswirtschaftlichen und branchenbezogenen Grunddaten bzgl. der einzelnen Verhandlungsgegenstände genau ermittelt und in einen gesamtsoziologischen Zusammenhang gestellt werden. 58 Außerdem müssen Heterogenität und Komplexität der politischen Entscheidungsprozesse möglichst genau nachvollzogen werden. So schwierig eine Zurechnung selbst auf einzelne staatliche Instanzen, aber noch mehr auf einzelne Personen ist, so muß sie dennoch nicht von vornherein aussichtslos sein. Den "verschlungenen Pfaden der Entscheidungsfindung nachzugehen, um markante Merkmale bestimmter Akteure herausstellen zu können" muß in detaillierten Untersuchungen unbedingt geleistet werden, um "Anhaltspunkte zur Erklärung außenwirtschaftspolitischer Aktionen zu bekommen". 59 Im übrigen muß hier der Hinweis auf einschlägige politikwissenschaftliche Literatur genügen. 60 Auf eine Besonderheit ist indes hinzuweisen: Die EU-Mitgliedstaaten werden in Handelsfragen beim GATT durch die EG-Kommission vertreten (Art.
58 So habe ich in Kopke, 1993, S. 10 ff., die soziologischen Grundlinien als "Leitlinien der französischen Außenwirtschaftspolitik" dargestellt. Es fallt für Frankreich z.B. sofort auf, daß eine enge Verbundenheit mit landwirtschaftlichen Belangen auch in jenen Bevölkerungsschichten eine Rolle spielt, die beruflich und privat keinen direkten Kontakt zu diesem Sektor haben, die Landwirtschaft also allein schon dadurch einen überproportional großen Einfluß in der französischen Politik hat. Zudem habe ich die durch die Verhandlungen betroffenen Sektoren im einzelnen analysiert und deren jeweiligen politischen Organisationsgrad festgestellt (ebd., S. 15 ff.). 59 Ebd., S. 10. 60 Hier nur beispielhaft, jeweils mit umfangreichem Literaturkatalog: Alemann/ Forndran, 1983, Benda/Maihojer/Vogel, 1983, Beyme, 1980, Koslowskil Kreuzer/ Löw, 1983, Kremendahl, 1977, Massing/Reichel, 1977, Neumann, 1967, Schneider, 1967, Steffani, 1980, Thaysen et al, 1988.
11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
35
116 EWGV). In weitergehenden Fällen (Dienstleistungen, Urheberrechte, Umweltaspekte o.ä.) gibt es eine gemischte Kompetenz, in der die Kommission nur ein subsidiäres Mandat hat. 61 Aber selbst die originäre gemeinsame 61 Art. 3lit b. EWGV begründet eine gemeinsame Handelspolitik. Zwar kennt der EG-Vertrag keine Begriffsdeftnition der Handelspolitik, aber Art. 113 EWGV enthält einen nicht abschließenden Katalog, wonach die "gemeinsame Handelspolitik nach einheitlichen Grundsätzen" im Bereich der Änderung von Zollsätzen, des Abschlusses von Zoll- und Handelsabkommen, der Vereinheitlichung von Liberalisierungsmaßnahmen, der Ausfuhrpolitik und der handelspolitischen Schutzmaßnahmen, z.B. im Falle von Dumping und Subventionen, gestaltet wird, vgl. Bleckmann-Pieper (1990), S. 680 f., Rdnr. 1741 f. Unter anderem die Formulierung ..... nach einheitlichen Grundsätzen gestaltet" hat zu ausgedehnten Kontroversen über die tatsächlichen EGKompetenzen geführt, von denen hier nur die Ergebnisse kurz angedeutet werden sollen: (1) Art. 113 EWGV begründet eine umfassende und nicht eine nur auf die Gestaltung einheitlicher Grundsätze beschränkte Kompetenz der EG auf dem Gebiet der Handelspolitik (vgl. ebd., S. 681, Rdnr. 1742). Der EG kommt mithin die ausschließliche Kompetenz in handelspolitischen Fragen zu, soweit nicht einzelne Mitglieder durch die Gemeinschaft ermächtigt wurden (vgl. ebd., S. 681 f., Rdnr. 1743). (2) Die EG ist nach Art. 110 EWGV und der Präambel im Interesse der Mitgliedstaaten der EG verpflichtet, im internationalen Bereich eine Politik zu verfolgen, welche auf die Durchsetzung der Prinzipien einer freien Marktwirtschaft gerichtet ist. (vgl. ebd., S. 683, Rdnr. 1748). (3) Zum Begriff der Handelspolitik gehören die Gegenstände Warenverkehr (Rohstoffe und Agrarprodukte, gewerbliche Waren), Dienstleistungen und Zahlungsverkehr im Zusammenhang mit Waren und Dienstleistungsverkehr. Interpretiert man weit (aber im Ergebnis kaum umstritten) Handelspolitik als Außenwirtschaftspolitik, sind gemäß Art. 113 EWGV außerdem Freizügigkeit, Niederlassung, Kapitalverkehr und Verkehr als Themengebiete mit einzubeziehen (vgl. ebd., S. 683 f., Rdnr. 1749). (4) Eine Abgrenzung zwischen (Außen-) Wirtschaftspolitik und Konjunkturpolitik ist für die Praxis wichtig, da der Rat im Bereich der Außenwirtschaftspolitik (Handelspolitik) nach Art. 113 V EWGV mit qualiftzierter Mehrheit entscheiden kann, während für Maßnahmen der Konjunkturpolitik nach Art. 103 11 EWGV Einstimmigkeit erforderlich ist (vgl. Bleckmann-Pieper (1990), S. 684, Rdnr. 1750). Unter Konjunkturpolitik versteht man die Lenkung des gesamten Wirtschaftsablaufs, d. h. die kurl;[ristige Beeinflussung des Brutto- und Nettosozialprodukts, der Einkommensentwicklung, der Beschäftigungslage, der Zahlungsbilanz mit dem Ausland, der Geldwertstabilität, während die vor allem langfristig wirkenden Maßnahmen zur Veränderung der Wirtschaftsstrukturen zur Wirtschaftspolitik im Sinne des Art. 104 EWGV gehören. Dabei kann allerdings weder hinsichtlich der Ziele noch hinsichtlich der Mittel eine klare Grenzlinie zwischen Konjunktur- und Wirtschaftspolitik gezogen werden (vgl. ebd., S. 711, Rdnr. 1811). (5) Bei Maßnahmen, die nicht ohne weiteres und ausschließlich handelspolitische Maßnahmen verfolgen dreht sich ein Streit darum, ob die objektive Eignung einer Maßnahme, den Handelsverkehr zu beeinflussen für ihre Klassifizierung als Handelspolitik ausschlaggebend sein soll,
36
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
Handelspolitik ist noch nicht verwirklicht. 62 Für die Akteure und Entscheidungsträger führt diese zweistufige Konstruktion dazu, daß viele Abstimmungsprozesse zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission in einem formalisierten Verfahren stattfinden.
Insgesamt kann also behauptet werden, daß es durchaus auf die beteiligten Persönlichkeiten ankommt und die Verrechtlichungs- und Institutionalisierungstendenzen nicht einzig aus einer Art "Bürokratielogik" folgen. 63
oder nur die tatsächliche Zielsetzung. Hier spielen insbesondere politische Motive (z.B. bei Embargos) eine Rolle. Der Streit ist nicht eindeutig für alle Anwendungsfalle entschieden; die praktische Anwendung des EWG-Vertrags führt aber zu einer eher weiten Auslegung der EG-Kompetenzen (vgl. ebd., S. 684 ff., Rdnr. 1751 ff.). Der EuGH hat der Kommission in ihren erweiterten Kompetenzansprüchen wiederholt Recht gegeben und ist zu einer Kompetenz der EG-Kommission in allen neuen Verhandlungs gebieten der Uruguay-Runde gekommen Hierbei stützte er sich u.a. auf Art. 210 EWGV, über die Rechtspersönlichkeit der EG, und leitete aus ihr ab, daß der EG Beziehungen zu anderen Staaten im gesamten Rahmen ihrer Zielsetzungen zustehen (vgl. näheres ENA, 1985, Anh. IV). 62 Vgl. CarreaulFlorylJuillard (1990), S. 435, 442, BlecklTUJnn-Pieper (1990), S. 688, Rdnr. 1761. Außerdem enthält Art. 115 EWGV eine - sehr häufig in Anspruch genommene - Schutzklausel, die den Mitgliedstaaten gewisse Beschränkungen des Außenhandels ermöglicht (Weiterexport von nach Deutschland importierten japanische Kraftfahrzeuge nach Italien oder Fernsehern nach Frankreich). Das führt soweit, daß Bleck1TUJnn-Pieper, trotz der diskutierten alleinigen Kompetenz der EG zur Handelspolitik von einer "Nebenaußenhandelspolitik" der Mitgliedsstaaten spricht, vgl. BlecklTUJnn-Pieper (1990), S. 690, Rdnr. 1764. Diese Nebenaußenhandelspolitik besteht zu einem Großteil aus VERs zwischen verschiedenen Herstellern und Produzenten unter staatlicher Beteiligung oder Duldung. 63 Dazu vergegenwärtige man sich beispielsweise die Verhandlungsstrukturen zum Abschluß der GATT-Uruguay-Verhandlungen oder innerhalb eines Streitschlichtungspanels . Dabei können nämlich nicht nur die Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Entscheidungsebenen erkennbar werden, sondern auch der Einfluß von einzelnen Persönlichkeiten, z.B. des Generalsekretärs oder einiger anerkannt geschickter Verhandlungsführer (Bsp.: Mexiko). Hierzu noch einige Anmerkungen: Erstens ist selbst in den stark formalisierten Verhandlung im GATI nicht völlig ohne Einfluß, wer die einzelnen Persönlichkeiten sind, die die Verhandlungen führen. Zweitens entwickelt jede Verhandlung eine Art Eigendynamik, die von den beteiligten Personen und deren Handlungsfreiräumen maßgeblich bestimmt wird. Drittens werden auf höheren Ebenen Entscheidungen eher nach politischen Kalkülen getroffen, als sich die Beteiligten u. U. selbst einzugestehen bereitfmden würden. Viertens kommt es bei politischen Entscheidungen auf die Vorarbeit der Bürokratien an, die für die Auswahl und Aufbereitung der relevanten Informationen eingesetzt werden. Fünftens kann die
H. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
37
b) Umgehung und Mißbrauch einzelner Vorschriften, nichttarifare Handelshemmnisse, Wirtschaftszusammenschlüsse Vertragsumgehung bezeichnet vertragsverletzendes Verhalten, welches nicht rechtserheblich als solches festgestellt wurde. Was oben "rechtliche Grauzone" genannt wurde, kann nun an einzelnen GATT-Vorschriften verdeutlicht werden. Dabei sind es (analog der völkerrechtlichen Systematisierung von Vertragsverletzung) vier Arten von Umgehungen, die im GATT besondere Bedeutung erlangt haben: An erster Stelle fungiert (1) die mißbräuchliche Geltendmachung von angeblichen Vertragsverletzungen oder Vertragsbrüchen und dieserhalb ergriffene Schutzmaßnahmen. Schon weniger eindeutig ist (2) die Umgehung von Schutzmaßnahmen durch diplomatische Einigungen im Vorfeld oder (3) die autonome Festlegung von sog. nichttarifären Handelshemmnissen. Hierdurch werden regelmäßig einzelne Vertragsbestimmungen verletzt. Schließlich sind (4) Zoll- und Freihandelsabkommen (wenn nicht intendiert, so wenigstens faktisch) als nachfolgend abändernde Verträge zwischen einzelnen Vertragsparteien anzusehen. Die folgenden Ausführungen sollen i.S. eines beispielhaften Inventars die Bandbreite aufzeigen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. (1) Der Mißbrauch von Schutzmaßnn.hmen ist so vielfältig, wie die Schutzmaßnahmen selbst. Schutzmaßnahmen sind "staatliche Vorkehren und Vorschriften zugunsten der landeseigenen Wirtschaft" (vgl. Send, 1986, S. 199). Dazu zählen die Abwehrmaßnahmen privater Unternehmer nicht. Ins GATT inkorporiert wurden sie als Ausnahmeregelungen für Notfalle und Notzeiten, ganz im Sinne der im Völkerrecht allgegenwärtigen "c1ausula rebus sic stantibus" (vgl. S. 26). Gemäß unserer rechtlichen Herangehensweise soll eine Systematisierung der verschiedenen Schutzmaßnahmen entsprechend
Eigendynamik auch in den Bürokratien dahingehend beschrieben werden, daß sie bestimmte Aufgaben möglichst umfangreich und endgültig zu regeln trachten, außerdem aber eine möglichst enge Rückkopplung mit den nationalen Wirtschaftsverbänden etc. anstreben. Sechstens ähneln sich Bürokratien gerade in diesem Punkt ganz erstaunlich stark darin, Aspekte der Arbeitsteilung, Professionalisierung und Spezialisierung der Außenwirtschaftspolitik relevant werden und zu einer prägenden Berufsethik sachbezogener Bürokraten führen dürften. So ließe sich siebtens argumentieren, "Bürokratisierung" führe nicht nur zur Erosion des Nationalstaats (so z.B. Guehenno, 1994), sondern entspricht Lw.S. dem, was hier als Verrechtlichung und Institutionalisierung bezeichnet wurde. Dieser Prozeß ist aber achtens in den internationalen Beziehungen noch im Fluß und ohne extreme ("sklerotische") Verkrustungen.
38
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
ihrer vertraglichen Ausgestaltung geschehen. Zu unterscheiden sind: (a) Schutzmaßnahmen gegen Subventionen, (b) Schutz der Zugeständnisse und sonstigen Vorteile64 , (c) Schutzmaßnahmen bei Listenänderungen, (d) Antidumping-Maßnahmen, (e) "die Schutzklausei" nach Art. XIX, (t) Maßnahmen zum Schutz der Landesversorgung, der Nonnen und der Landwirtschaft, (g) Maßnahmen zum Schutz der finanziellen Lage und der Zahlungsbilanz, (h) Maßnahmen zugunsten der Entwicklungsländer, (i) Maßnahmen zum Schutz des Lebens, der Gesunrlheit usw., G) Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit, (k) Schutzmaßnahmen unter »außergewöhnlichen Umständen« sowie (1) das internationale Textilabkommen. Es bedarf keiner großen Phantasie, um die hier befindlichen Mißbrauchspotentiale zu erkennen. Jede dieser Ausnahmeregeln kann für andere, als die vorgesehenen Zwecke funktionalisiert werden. Wichtig sind dabei die Fragen, in wessen Kompetenz die Auslösung der Maßnahme liegt und wie stark der Zustimmungsvorbehalt ist (autonome Entscheidung, mit Notifizierung oder mit Zustimmung der Vertragsparteien). Wegen der besonderen Relevanz seien exemplarisch betrachtet die Schutzmaßnahmen gegen Subventionen, die Antidumping-Maßnahmen sowie die Maßnahmen zum Schutz des Lebens, der
Gesundheit usw. 65
Schutzmaßnahmen gegen Subventionen kommen nach Maßgabe des in den 70er Jahren geschaffenen "Subventionskodex" gegen Exportsubventionen anderer Staaten in Frage, wenn eine Subvention, und daraus kausal ein Schaden oder eine Bedrohung für einen landeseigenen Wirtschaftszweig nachzuweisen ist. 66 Als Gegenmaßnahmen kann ein Ausgleichszoll i.S. von Art. VI GATI erhoben werden, oder ein Streitschlichtungsverfahren gemäß Art.
64 Dies ist das GATT -Streitschlichtungsverfahren, das noch gesondert betrachtet wird. 65 Natürlich widersprechen sich die Einzelbestimmungen teilweise, bzw. konstituieren gegenseitige Ausnahmen und können deshalb einander entgegengehalten werden. So nimmt z.B. Art. XVI GATT Grundstoffe explizit aus den verbotenen Exportsubventionen aus. 66 Vgl. GATI/26S/56 ff: Übereinkommen über Subventionen, sowie BBI. 1979 IlI, S. 257 ff. Schaden kann gemäß Art. 2:1 (b), 6:3 und Fußnote 6 zu Art. 13:4 u.a. sein: Höhe der Importpreise sowie Veränderungen der Produktion, des Absatzes, des Marktanteils, des Gewinns, der Produktivität, der Investitionserträge, der Beschäftigung, der Löhne und des Wachstums. Zum Kausalzusammenhang vgl. Art. 2:1 (c) und 6:4.
11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
39
XXIII GATT ("Klageverfahren")67. Das Ergreifen von Ausgleichszöllen liegt in der alleinigen Kompetenz der betroffenen Importländer ("Behördenverfahren"). Prinzipiell müssen die Ausgleichszölle angemessen sein und nach dem Prinzip der Meistbegünstigung, d.h. auf alle subventionierten Waren, unabhängig von ihrem Herkunftsstaat, erhoben werden. Bei Wegfall der schädigenden oder bedrohenden Wirkung der Ausgangssubvention sind die Schutzmaßnahmen aufzuheben. Die Ausgleichszölle können über die Dauer von vier Monaten provisorisch angewendet werden. Die Initiative geht i.d.R. von den Wirtschaftsverbänden aus. Die jeweilige (nationale) Behörde hat eigene Untersuchungen anzustellen, die binnen eines Jahres abgeschlossen, öffentlich angezeigt und die Ergebnisse bekannt gemacht werden müssen. Die überwiegende Anzahl aller Subventionsverfahren findet über das Behördenverfahren statt, weil die Vertragsparteien es offensichtlich vorziehen, die Kompetenz der Entscheidungsfällung in eigenen Händen zu behalten. Die meisten Ausgleichszölle wurden von den USA gegen Stahl- und Automobilimporte erhoben. 68 Die Tatsache, daß es zu wiederholten Reformen der Subventionsbestimmungen gekommen ist, zuletzt in den GATT-Uruguay-Verhandlungen, ist v.a. auf die gegenseitigen Vorwürfe des Mißbrauchs zurückzuführen. Es handelt sich hier um nach wie vor strittige Punkte, da die Abgrenzung der "Exportsubventionen" von anderen Subventionsarten nie nach völlig eindeutigen Kriterien festgelegt werden konnte. So sind denn Vertragsparteien neben dem Mißbrauch auch häufig auf machtpolitische (Drohung, Zwang) oder diplomatische "Einigungsverfahren" übergeschwenkt, wenn sie sich hiervon größere Erfolgsaussichten versprachen.
Antidumping-Maßnahmen stehen seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der Handeisverhandlungen zwischen den großen Handelsnationen. 69 Über ihre Häufigkeit liegen sogar polit-ökonomische Studien vor, die einen Zusammenhang
67 Dem eigentlichen Streitschlichtungsverfahren wird dabei ein sogenannter "Subventionsausschuß" vorgeschaltet, der das Verfahren aber ansonsten unberührt läßt. 68 Vgl. die einschlägige Literatur. 69 Vgl. Senti, 1986, S. 224 ff., der statistisch belegt, daß 1981/82 nur zwei von
insgesamt 156 Maßnahmen von anderen Ländern als den USA (51), EWG (39) und Kanada (64!) ergriffen wurden.
40
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
mit dem Konjunkturverlauf meinen nachweisen zu können. 70 Die Anzahl der Dumpingverfahren hat im Laufe der Jahre trotz verschiedener VerfahrensKorrekturen ständig zugenommen. 71 Antidumping-Maßnahmen sind Abgaben oder Zölle, die in einem rein nationalen Behördenverfahren (&.0.) festgelegt werden. Wie bei den Schutzmaßnahmen gegen Subventionen muß das Vorliegen von Dumping und die Feststellung einer Schädigung oder Bedrohung eines Wirtschaftszweiges nachgewiesen werden. Da bereits die Feststellung des Dumping mit begrifflichen und praktischen Schwierigkeiten verbunden ist, zudem in einigen Staaten (z.B. USA) strengere Bestimmungen gelten und außerdem keine klare Abgrenzung zwischen dem maßgeblichen Preisdumping und dem letztlich dahinterstehenden Service-, Währungs-, Sozial- und jetzt auch Umweltdumping gelungen ist, bleibt es bei der von Kenneth W. Dam, 1970, S. 174 f., geäußerten Beurteilung (damals zum gerade neugeschaffenen Antidumping-Kodex): Mit all seinen Detailbestimmungen handelt es sich mehr um ein Suchen nach Kompromißlösungen zwischen den unterschiedlichen Handelspraktiken, denn um eine gezielte Anstrengung, die Lücken und Schwächen der Antidumping-Regelungen des GATT auszufüllen und zu verbessern. Die Einzelheiten der komplizierten Problematik sollen hier nicht weiter vertieft werden. 72 Wie hoch das Mißbrauchspotential in diesem Bereich liegt, dürfte deutlich sein. 73 Nicht umsonst wird auch zwischen offe~em
70 Vgl. Magee, 1982/84, S. 211. 71 Vgl. Senti, 1986, S. 225, der auf GATT-Dokumente rekurriert. Allein in den 6 Jahren zwischen 1975176, als das Verfahren sich gerade etabliert hatte, und 1981/82 fand eine Verdoppelung der Klagen statt (156 ggü. 75). Im gleichen Zeitraum verdoppelte sich etwa auch die Zahl der Gegenmaßnahmen (101 ggü. 49) und auch der Preisabsprachen (18 ggü. 9). Während 1975176 jedoch der überwiegende Anteil der Gegenmaßnahmen provisorisch (38) und nur wenige definitiv waren (11), verfünfachte sich zu 1981/82 die Zahl der definitiven Gegenmaßnahmen (60), während die Zahl der provisorischen beinahe konstant blieb (41). Die Anzahl der gegen Entwicklungsländer gerichteten Verfahren hat anteilig in diesem Zeitraum abgenommen (19 ggü. 14). Preisabsprachen sind natürlich als klare Umgehungen der GATT-Regeln anzusehen. Immerhin über 10% aller Dumpingklagen führten zu Preisabsprachen. Im Jahr 1978/88 stieg diese Quote gar bis auf 27% an. Die meisten Preisabsprachen gehen auf das Konto der EWG, ein Großteil allerdings ggü. den ehemaligen RgW-Staaten. 72 Vgl. GATT, 1994; Jackson, 1969; GATT/15S/24 ff.; GATT/26S/171 ff. 73 Großmann/Koopmann/Michaelowa, 1994, S. 254: "Zahlreiche Vorschriften waren ungenügend spezifiziert. Unscharfe Antidumping- und Antisubventionsbestimmungen verführten zu protektionistischem Mißbrauch. Die Subventionsregeln waren ungeeignet, eine wettbewerbsverfalschende Industriepolitik einzudämmen. "
H. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
41
und verstecktem, direktem und indirektem Dumping unterschieden. 74 Die Auslegungsspielräume sind hier so gewaltig, daß von vernünftigen Rechtsregeln kaum noch gesprochen werden kann. Die sich ursprünglich gegen definierte unfaire Handelspraktiken ausländischer Unternehmen oder Regierungen richtenden Bestimmungen des Art. VI GATT werden im Lichte immer neuer staatlicher Interventionen je neu erweitert. 75 An den Subventionsbestimmungen kondensiert die simple Feststellung, daß im GATT Freihandel nur solange gewünscht ist, wie nicht die (kurzfristigen) Interessen der heimischen Wirtschaft gefährdet werden. 76
Die Maßnahmen zum Schutz des Lebens, der Gesundheit usw. des Art. XX GATT sind nicht zu umecht allgemein übereinstimmend als "the most troublesome GATT exceptions" and "the most troublesome administrative barriers to trade" bezeichnet worden77 , und zwar weil "vor allem die sogenannten »allgemeinen« Ausnahmen immer wieder dazu mißbraucht werden, um unter dem Mantel des Konsumentenschutzes die eigene Wirtschaft zu begünstigen"78. Maßnahmen zum Schutze der öffentlichen Sittlichkeit, des Lebens, der Gesundheit, Erhaltung erschöpfbarer Naturressourcen, Rohstoffabkommen, usw. können ohne jegliche Notifizierungspflicht von jeder Vertragspartei völlig autonom festgelegt werden. Hier eröffneten sich prinzipiell unbegrenzte Mißbrauchsmöglichkeiten, die auch durch das Nichtdiskriminierungsprinzip kaum abgeschwächt werden.
74 Vgl. im einzelnen Senti, 1986, S. 233. 75 Nach Auskunft des Bundesministeriums für Wirtschaft wird auch Antidumping, (so wie alle anderen Schutzmaßnahmen) vornehmlich von den großen Industrieländern eingesetzt (ausgenommen die Skandinavier) und richtet sich momentan v.a. gegen die Mittel- und Osteuropäischen Länder, während vormals hauptsächlich asiatische Länder im Mittelpunkt standen. Antidumping ist umso beliebter, als die Schutzklausel (Art. XIX GATI) verpönt ist. 76 Senti, 1986, S. 239, schreibt: "das GATI ermächtigt seine Vertragspartnerstaaten, ungeachtet des Bekenntnisses zu Freihandel, Schutzmaßnahmen zur Erhaltung und Sicherung von Arbeitsplätzen zu ergreifen". 77 Vgl. Jackson, 1969 und Dam, 1970, respektive. 78 Senti, 1986, S. 274.
42
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
(2) Umgehungen der Schutlldausel durch VERs, ERAs, VIEs, OMAs und sonstige informelle Vereinbarungen 79. Der Art. XIX GATT, der nach einem umständlichen Verfahren den Vertragsparteien eine vorübergehende Aussetzung, Rücknahme oder Korrektur eingegangener Verpflichtungen, einschließlich der Zollzugeständnisse, erlaubt, wenn heimische Industrien durch eine unvorhergesehene Zunahme von Einfuhren ernsthaften Schaden erleiden oder zu erleiden drohen, wurde regelmäßig durch sogenannte "grey area measures", insbesondere Freiwillige Exportbeschränkungen (VERs) und Marktabsprachen (OMAs), umgangen. Das Besondere dieser Regelung ist, daß die V erursachung nicht beim Handelspartner liegt, sondern in jeglicher unvorteilhaften Handelsentwicklung liegen kann, also auch die durch eine verfehlte eigene Außenwirtschaftspolitik heraufbeschworene. Sie ist die allgemeinste Form der "clausula rebus sic stantibus" (s.o. S. 26). Populäre Beispiele solcher "diplomatischen" Konfliktlösungsverfahren finden sich zu Hauf, man denke nur an die "selbstauferlegten" Beschränkungen japanischer Automobilimporte in die USA. 80 Aus - nicht zu selten auch artikulierter - GATT-Sicht handelt es sich um Umgehungen von Art. XIX GATT81, der vermieden wird, weil er eine unbequeme Verfahrensvorschrift ist. 82
(3) Nichttarifäre Handelshemmnisse bestehen zum Teil aus technischen Handelshemmnissen, d.h. Produkt- und Prozeßnormen, Hygienestandards, Prüfverfahren, Konformitätskontrollen etc., die zum Zwecke der Importdiskriminierung oder wenigstens ohne deren Berücksichtigung festgelegt wur-
79 Zusätzliche Absprachen sind Export Restraint Agreements Exportbeschränkungsabkommen (ERAs) und Voluntary Import Extensions Freiwilige Importerweiterungen (VIEs). 80 Senti, 1986, S. 214, schreibt, es würden "viele Verhandlungen dem GATT nicht gemeldet und weitab der GATT-Öffentlichkeit geführt".
81 Statt vieler vgl. Curzon/Curzon Prize, 1976, S. 224 ff., und Großmann/ Koopmann/Michaelowa, 1994, S. 254: "Zentrale GATT-Regeln und -Verfahren wurden von den Handelspartnern häufig mißachtet. Beispiele sind die Schutzklausel (Artikel 19) und die Streitschlichtung (Artikel 23). Hier haben oftmals bilaterale Exportbeschränkungen und Importsteigerungen sowie unilaterale Handelssanktionen multilaterale Lösungen verdrängt. Verbraucher- und Drittlandinteressen blieben dabei auf der Strecke." Speziell zu VERs vgl. sehr instruktiv Iones, 1989. 82 Vgl. Senti, 1986, S. 245 ff.
11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
43
den. 83 Ein anderer Teil sind die sogenannten "grey area measures", die den ganzen Erfindungsreichtum nationaler Bürokraten forderten, indem Videorecorder durch kleinste Zollstellen geschleust oder sonstwie diskriminierende Kosten auf Importprodukte geschlagen werden. Als eklatanter Sonderfall in diesem Sinne gilt immer noch Japan, welches sich in seiner institutionellen Struktur nach Ansicht einiger Autoren im legalistisch veranlagten GATISystem nur mühsam unterbringen läßt. 84 Grey area measures haben ständig zugenommen. 85 Sie werden v.a. von den großen, exportorientierten Handelsnationen eingesetzt und sind wegen ihrer mangelnden Transparenz eher unauffällige, aber dafür umso hartnäckigere Umgehungsstrategien. Die Kosten für die Regierung sind niedrig, weil sie schnell und flexibel und sozusagen "tailor-made" administrierbar sind. Die Kosten entstehen den Verbrauchern, die politischen Kosten sind also gering.
(4) "Partikularrecht" nach Art. XXIV - Zollunionen und Freihandelszonen:
Es kann hier nicht die wissenschaftliche Diskussion um die Vor- oder Nachteilhaftigkeit von Handelsblöcken nachvollzogen werden. Die meisten sich auf Art. XXIV GATT berufenden Wirtschaftszusammenschlüsse sind als neue Form des Protektionismus 86 anzusehen, "clearly protectionist in effect if not in intend. "87 Selbst wenn eine Verurteilung als GATI-verletzend bisher nie explizit stattgefunden hat, so handelt es sich aus völkerrechtlicher Sicht doch um partikulares (besonderes) Völkerrecht, welches die ursprünglicheren
83 Großmann/Koopmann/Michaelowa, 1994, s. 262, betonen, daß einige von ihnen zu Handelskonflikten führten und deswegen explizit in die GATT-Uruguay-Runde einbezogen wurden. 84 Krugman (1992), S. 26, schreibt hierzu: "L'economie japonaise peut etre, de jure, aussi ouverte qu' on le souhaite, sa structure institutionnelle collusoire, ou des liens etroits existent entre les entreprises, continue a creer une economie qui est de facto tres protectionniste."
85 Dieses und die folgenden Aussagen vgl. OECD, 1988. 86 Über die Konformität regionaler Wirtschaftsintegration mit dem GATI und ihrer Folgen vgl. Krugman (1992), s. 18 ff.; Ipsen-Gloria (1990), S. 577 f., Rdnr. 15 f.; Dieckheuer (1990), S. 490 f.; THE ECONOMIST (31.10.92a), S. 73; Nbereau (1990), S. 74; Bhagwati (1992), S. 50 ff.; GAIT (10/92b), S. 3 f., Großmann/Koopmann/Michaelowa, 1994, S. 254. 87 EvanslWalsh, 1994, S. 2. Semi, 94, S. 131, stellt ausführliche Untersuchungen an und kommt für alle Integrationsräume zu dem Schluß: "Today they are in direkt competition with GATT."
44
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
GATT-Regeln umgeht. Beispielsweise schränkt "lex specialis" des EG-Rechts die Anwendbarkeit der GATT-Regeln und des Völkerrechts ein, welche mitunter nur subsidiär zur Anwendung kommen. Bleckmann, 1990, Rdnr. 347 ff., kommt aber mit dem EuGH wenigstens zu dem Schluß (Rdnr. 364), Regeln des GATT seien auch innergemeinschaftlich bindend. 88 Daneben gibt es auch Wirtschaftsabkommen, die als klare Verstöße gegen Art. XXIV GATT verurteilt wurden, z.B. die Assoziierungsabkommen der EG (im Falle Südafrikas und Mittel- und Osteuropäischer Länder)
c) Umgehung des Streitschlichtungsverfahrens Das Streitschlichtungsverfahren nimmt eine zentrale Rolle in unseren Untersuchungen ein. Nicht nur, weil es eine wichtige Verfahrensvorschrift des GATT-Vertrags ist, die regelmäßig umgangen wurde, und zwar, wie jetzt zu zeigen sein wird, in vielfältiger Form. 89 Sondern auch, weil es das im GATTVertrag hauptsächlich vorgesehene Rechtsmittel zur Anklage von (vermeintlichen) Vertragsverletzungen ist. 90 Damit hat es eine Doppelfunktion, einerseits als Gegenstand der Klage, andererseits als Rechtsmittel zur Anklage. In diesem Kapitel betrachten wir das Streitschlichtungsverfahren zunächst als Gegenstand der Klage. 91 Diese Klage wäre immer dann zu führen, wenn die Vorschriften der Art. XXII und XXIII GATT, obwohl sie es eigentlich müßten, (1) nicht zur Verwendung kommen, von ihnen (2) regelwidrig abgewichen
88 Landesrecht oder Gemeinschaftsrecht, das allgemeinem Völkerrecht widerspricht, ist immer völkerrechtswidrig (Bleckmann, 1990, Rdnr. 347). Allerdings sind im Völkerrecht alle Verträge zulässig, die nicht gegen ius cogens verstoßen, weshalb z.B. im EG-Recht ohne weiteres Sondervereinbarungen für die EG-Staaten untereinander greifen können (sofern sie auch nicht gegen die GATT-Verträge verstoßen). 89 Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, daß unter "Streitschlichtungsverfahren" das gesamte Verfahren gemäß der Art. XXII und XXIII GATT verstanden wird. Die daneben existierenden gesonderten Konsultationen werden - wie bemerkt - hier nicht weiter berücksichtigt. Der Klarheit halber wird im folgenden allein auf Art. XXIII bezug genommen. 90 Vgl. Dam, 1970, S. 21, der sie zum Kern- und Herzstück der GATT-Schutzmaßnahmen erklärt. Dagegen hält Semi, 1986, S 219, diese Interpretation angesichts eines "im Lichte des im GATI praktizierten Pragmatismus" für "etwas eigenwillig", argumentiert aber nicht überzeugend. 91 Die unterlassene Inanspruchnahme wird später betrachtet (S. 49 ff.).
11. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
45
wird oder (3) ihre Folgen mißachtet, d.h. die Ergebnisse nicht umgesetzt werden. (1) Nichtanwendung des Verfahrens: Die häufigste Art der Vertragsumgehung dürfte die Nichtanwendung des Verfahrens sein. Zwar wurden bis heute ca. 200 Verfahren formal beantragt92 . Davon entfallen aber beinahe die Hälfte auf den Zeitraum der GATI-Uruguay-Verhandlungen. In den 37 Jahren vorher kann mit durchschnittlich rund 3 Verfahren pro Jahr93 von einer eher seltenen Inanspruchnahme ausgegangen werden (die außerordentliche Zunahme seit 1986 ist als Nebeneffekt der Verhandlungsrunde zu sehen). Vergleicht man diese niedrigen Zahlen z.B. mit den unzähligen - auch privaten - Klagen im Rahmen der EG-Verträge, wird unmittelbar die äußerst geringe Inanspruchnahme offenkundig. Da es der Initiative der Streitparteien bedarf, gemäß Art. XXIII vorzugehen und das GATI-Sekretariat bislang weder die Mittel noch die Kompetenzen aufwies, Vertragsverletzungen quasi-offizial zu erkennen, einzuordnen und zu beurteilen, sich jeglicher Nicht-Anwendung also auch keinerlei Schwierigkeiten entgegenstellten, muß davon ausgegangen werden, daß die Fälle, in denen ein eigentlich anzuberaumendes Verfahren nicht begonnen wurde, ungezählt bleiben. Solche Konflikte wurden dann mit anderen Mitteln oder gar nicht "gelöst". Andere Mittel waren Diplomatie und Machtpolitik.
Nun bereitet es wissenschaftlich einige Schwierigkeiten, eine klare Trennlinie zwischen diplomatisch-gütlichen Einigungen im Vorfeld und vertragsverletzender Nicht-Anwendung zu ziehen. Auf diese Problematik wurde bereits eingegangen. Es gibt aber im anderen Extrem (Machtpolitik) genug Fälle, in denen offensichtlich eine Anwendung des GATI-Streitschlichtungsverfahrens notwendig gewesen wäre, z.B. in allen Fällen offener Handelskonflikte ("Handelskriege") zwischen streitenden Vertragsparteien. 94 Statt dessen hät-
92 Nach Angaben des GATT, 1994, S. 718-734, genau 195 Verfahren bis zum 1l. März 1994. 93 Die folgenden Angaben sind eigene Berechnungen nach GATT, 1994, S. 718734. 94 Insbesondere die USA und die EG sind bekanntermaßen an vielen Konflikten beteiligt gewesen. Obwohl beide (vor und während der GATT-UruguayVerhandlungen) an jeweils fast 60 % aller Verfahren beteiligt waren (USA 112 von 190: 57,4 %, EG seit 1963 77 von 137: 56,2 %), führten sie nur vergleichsweise wenig Verfahren gegeneinander: vor 1986: USA gegen EG 4,8 %, umgekehrt 5,6 %,
46
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
ten die Vertragsparteien jedenfalls zunächst die institutionalisierten Verfahren in Anspruch nehmen müssen. Diese "Kriege" haben ausschließlich zwischen den wirtschaftlich und politisch "starken" Handelsblöcken oder -partnern stattgefunden. Es kann wohl angenommen werden, daß "kleine" Staaten" nicht allein wegen fehlender Fähigkeit (z.B. aus mangelnder Ausstattung mit Sachkompetenz, unabkömmlichen Bürokraten o.ä.) "Kriege" vermieden. Vielmehr scheinen hier andere Triebkräfte und Motivationen eine Rolle gespielt zu haben, deren Aufdeckung (als Hauptanliegen dieser Arbeit) mithilfe verschiedener Theorien versucht werden wird.
(2) Regelwidrige Verjahrensbeendigungen stellen den Beobachter analytisch und diagnostisch vor die größten Probleme. Analytisch, weil im GATT-Streitschlichtungsverfahren viele Parameter in das Belieben und Ermessen der streitenden Parteien gestellt sind, eine große Anzahl von Ausweichregelungen vorgesehen sind und das Verfahren insgesamt wenig formal, einheitlich und durchstrukturiert war. So konnten die "panel"-Mitglieder sowie die "terms of reference" von den Streitparteien frei gewählt werden, war im Verfahren beinahe auf jeder Stufe vorgesehen, es zu beenden, wenn eine "mutually agreed solution" zwischen den Streitparteien erzielt wurde 95 und konnten die
1986-1993 einschl.: USA gegen EG 9,9 %, umgekehrt 15,5 %, insgesamt also vor 198614,5 % der Verfahren, während der Uruguay-Runde immerhin 25,4 %.
95 Das panel verfaßte in solchen Fällen einen kurzen Bericht über die Beendigung (vgl. GAIT, 1994, S. 692 ff.), der vom GATT-Rat natürlich angenommen wurde. Hier die wichtigsten Fälle: Nach Einrichtung des panels, aber noch vor der Besetzung des panels oder der Einigung auf die "terms of reference": 1988 wurden angesichts der von Japan ergriffenen Maßnahmen, nach Einrichtung aber noch vor Besetzung der panels abgebrochen: Klage der USA: "Japan - Imports of Beef and Citrus Products" sowie: Kanada und Neuseeland "Japan - Imports of Beef", GA IT/C/M223 , S. 20-23, vgl. zusätzlich: GAITIL/6370, GA ITIL/6322 , GAITIL/6333 , GAITIL/6355, GAIT/C/M/220, S. 3-7. Während der Arbeit des panels, bevor die Streitparteien vom Ergebnis informiert wurden: u.a.: "Japanese Measures on Imports of Leather", Klage der USA, GAITIL/4789, angenommen am 6. Nov. 1979, GAIT/26S/320, 321, Abs. 5; "Japanese Measures on Imports of Leather", Klage von Kanada, GAITIL/5042 , GAIT/27S/118; "Japanese Restraints on Imports of Unmanufactured Tobacco from the United States" , GAITIL5140, angenommen am 11. Juni 1981, GAIT/28S/100, 102, Abs. 11-13; "EEC-Restrictions on Exports of Copper Scrap", GA IT/DS5/R , angenommen am 20. Februar 1990, GAIT/37SI200. Während der Arbeit des panels, nachdem die Streitparteien vom Ergebnis informell informiert wurden, aber noch bevor der panel-Schlußbericht in Umlauf gelangte: vgl. z.B.: "Japanese Measures on Imports of Thrown Silk Yarn", GAITIL4637, angenommen am 17. Mai 1978,
H. Vertragsbrüche, Vertragsverletzungen und Vertragsumgehungen
47
Klagen ganz oder teilweise zurückgezogen werden96 . Gerade diese hannlos wirkenden Vorschriften können aber mißbraucht werden, z.B. wenn durch machtpolitische Instrumente eine Streitpartei in einem bereits angelaufenen Verfahren zu einer "mutually agreed solution" mit Mitteln gedrängt wird, die durch ein neutrales und unparteiisches Schlichtungsverfahren gerade verhindert werden sollten. Damit zur Diagnose-Problematik: Das GAIT-Streitschlichtungsverfahren ist so angelegt, daß es "Handelskriege" durch Verhandlungen und Schlichtung vermeiden hilft. Treten diese dennoch auf, kann klar ein Versagen des Verfahrens diagnostiziert werden. In Abgrenzung zu einer Verrechtlichung und Institutionalisierung der internationalen Beziehungen, d.h. den Verzicht auf undurchschaubare und willkürliche diplomatische und machtpolitische Methoden, bietet das GAIT-Streitschlichtungsverfahren hingegen wenig diagnostische Anhaltspunkte. Dies v.a. deshalb, weil solche Methoden nur selten bekannt werden und für Nichtbeteiligte und betroffene Dritte deshalb nicht transparent sind. Zwar gibt es einige Anhaltspunkte, z.B. daß Verfahren der EG gegen Japan immer durch eine solche "gütliche Einigung" vorzeitig beendet wurden. 97 Auch die Drohung mit der "Section 301 " (ab 1988: "Super 301 ") des U.S. Omnibus Trade and Competitiveness Act dürfte in dieser Weise als machtpolitischer Eingriff interpretierbar sein, der eine Beendigung des Verfahrens i.S. einer Umgehung der GAIT-Regeln geführt hat. 98
GAIT/25S/107, 108-109, Abs. 6-7, mündliche Verhandlung der vom panel dargebrachten .. findings" und dessen Angebot zu weiteren Vorschlägen zu einem bestimmten Datum; Zwischen- und Abschlußbericht des panels über .. United Kingdom - Dollar Area Quotas" , GAITIL3843 , GAITIL3891, beide angenommen am 30. Juli 1973, GAIT/20S/ 230 und 236, 237, Abs. 4-6, Vorstellung des panel-Zwischenberichts, der eine bilaterale Lösung empfahl und feststellte, daß weitere Vorschläge vom panel unterbreitet würden, wenn nicht bis zu einem bestimmten Datum Einigung erzielt sei. Nach Umlauf des ojJizielien panel-Schlußberichts, aber noch vor seiner Zustimmung (Ablehnung) durch den GATI-Rat: 1991, Mexiko klagte gegen die USA .. United States - Restrietions on Imports of Tuna", die Streitparteien beantragten schließlich, daß der panel-report nicht auf die Tagesordnungen der folgenden GATTRats gesetzt würde. Andere Vertragsparteien forderten hingegen die Annahme des Berichts, GATI/C/M/254, S. 21-35. 96 Vgl. GATI, 1994, S. 693 mit weiteren Verweisen. 97 Nach eigenen Berechnungen aus GA TI, 1994, in 7 von 10 Fällen. Vgl. auch Senti, 1986, S. 215. 98 Vgl. z.B. Bayard/Elliott, 1992; McMillan, 1990, sowie Voigt, 1992, S. 95.
48
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GAIT
(3) Die Mißachtung der panel-Ergebnisse kann hauptsächlich auf zweierlei Art geschehen. Einerseits durch die Verhinderung der Annahme des panelAbschlußberichts vor dem GATT-Rat, oder die Nicht-Umsetzung der Ergebnisse. Blockierung des panel-Abschlußberichts: Eine angeklagte Vertragspartei konnte im GATT-Rat die Annahme des panel-Berichts blockieren, weil eine Zustimmung aller Parteien, der Streitparteien eingeschlossen, erforderlich war. In über der Hälfte aller 195 GATT-Streitschlichtungsfälle bis zur Unterzeichnung der Marrakesh-Schlußakte am Ende der Uruguay-Runde ist es nicht zur Annahme des Schlußreports gekommen. 99 Keine Umsetzung der Ergebnisse: Die oben genannten Zahlen verschönern aber das Bild noch erheblich, besonders weil die Annahme des Schlußreports nicht bedeutet, daß die enthaltenen Auflagen und Kompensationen auch wirklich geleistet wurden. 100 Darin haben sich an vorderster Front die großen Handlesnationen unrühmlich hervorgetan. Gerade die USA und die EG akzeptierten zwar mehrfach die Schlußberichte, setzten sie dann aber nicht um. lOl Ein eklantantes Beispiel dieses Verhaltens, das allerdings schon im Zeitraum während der Uruguay-Runde liegt, ist die EU-Bananenimportregelung: Der
99 Die statistischen Angaben beziehen sich auf GAlT, 1994, v.a. S. 718-734. Von den insgesamt 195 Streitschlichtungsverfahren können die letzen 5 wegen der üblichen Länge des Verfahrens nicht bewertet werden. In den verbleibenden 190 begonnen Fällen wurde bei 109, also über 57 % der Fälle, kein Schlußreport angenommen. Berücksichtigt man die Fälle, die durch "gütliche Einigung" ("mutually agreed solution") nach Konsultationen beendet wurden (etwa 10 Fälle, deren Beendigung bei allen als problematisch eingestuft werden kann), so ergibt sich immer noch eine Rate von über 50 %. In dieser Betrachtung ergeben sich keine signifIkanten Unterschiede für die Zeiträume vor und während der Uruguay-Verhandlungen: Bis zum Beginn der Uruguay-Runde wurde in 68 von 124 begonnen Streitigkeiten kein Schlußreport angenommen; das sind ca. 55 % aller Fälle, während der Runde: 41 von 66, also über 62 % der Fälle. 100 Während einige Autoren diesen Umstand für typisch halten (vgl. Großmann/Koopmann/ Michaelawa, 1994, S. 264, Evans/Walsh, 1994, S. 2), errechnete Jackson, 1989, S. 101, daß von 117 angenommenen panel-Berichten nur acht bis zehn nicht umgesetzt wurden. Dabei legt er jedoch eine enge DefInition von Streitschlichtungsverfahren (nur Art. XXIII Abs. II) zugrunde, die nicht mit derjenigen des GAIT übereinstimmt.
101 Vgl. Evans/Walsh, 1994, S. 46, die schreiben: "However, the procedures were a house built on sand. This was shown by a number of high-profile cases in which the guilty party ignored, blocked or dragged its feet in accepting remedies. The USA and the Ee were the most blatant transgressors."
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel
49
aus dem GATT -Streitschlichtungsverfahren resultierende Beschluß wurde von der EG komplett ignoriert. 102 So bliebt schließlich nur die ernüchternde Feststellung: Wenn die Empfehlungen des Berichts innerhalb einer festgesetzten Zeit nicht umgesetzt waren, blieb der Anklageseite keine andere Handhabe, als mit den allgemeinen Mitteln des Völkerrechts vorzugehen.
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel In der Fragestellung der Arbeit und den bisherigen Ausführungen wurde davon ausgegangen, daß es (völker-) rechtliche Mittel 103 gibt, um gegen Vertragsverletzungen anderer Vertragsparteien vorzugehen. Die zentrale Stellung, die diese Annahme in unseren Ausführungen einnimmt, macht es erforderlich, diese rechtlichen Mittel einer genaueren Überprüfung zu unterziehen. Insbesondere muß gezeigt werden, daß die Rechtsmittel tatsächlich brauchbare Handlungsalternativen für die Beteiligten darstellen und nicht etwa von vornherein ausgeschlossen sind, Z.B. wegen Unzulässigkeit oder faktischer Unwirksamkeit. Wir unterscheiden zwischen (1) Rechtsmitteln, die im GATT-Vertrag selbst angelegt sind und (2) Rechtsmitteln, die durch die allgemeinen Rechtsnormen des Völkerrechts bereitgestellt werden. Schließlich soll (3) das Fazit aus den bisherigen Ausführungen gezogen werden.
1. Rechtsmittel der GATT-Verträge
Im bisherigen GATT sind eine Reihe von vertraglichen Mitteln und Möglichkeiten vorgesehen, die es Vertragsparteien ermöglichen, gegen beobachtbare Vertragsverletzungen anderer Vertragsparteien vorzugehen. In Anlehnung an die im Völkerrecht grundlegende Unterscheidung zwischen Selbsthilfemaßnahmen und Streitschlichtungsverfahren, sind für uns insbesondere (a) die Antisubventions- und Antidumpingverfahren und (b) das GATT-Streitschlichtungsverfahren von besonderem Interesse. Sie sind die im GATT-
102 Vgl. Großmann/KoopmannlMichaelowa, 1994, S. 264. 103 Als "Rechtsmittel" werden in dieser Arbeit - gemäß den Erläuterungen in der Einleitung - solche Verfahren bezeichnet, die entgegen (macht-) politischen und diplomatischen Methoden eine bestimmte Struktur besitzen und von den Anwendern und Betroffenen anerkannt sind. j
Kopke
50
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
Vertrag hauptsächlich vorgesehenen Reaktionsmöglichkeiten. Es braucht kaum extra hervorgehoben zu werden, daß das GATT selbst über keine faktische Sanktionsgewalt verfügt, sondern nur Empfehlungen aussprechen kann. Das liegt nicht nur daran, daß es bisher als Staatenabkommen nicht den Status einer internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit, also Völkerrechtssubjektivität innehatte. Auch ist nicht letztlich ausschlaggebend, daß das Sekretariat finanziell und personell ziemlich minderbemittelt war. 104 Vielmehr befindet sich das GATT in puncto Vollzug in bestem Einvernehmen mit allen internationalen Organisationen und dem gesamten Völkerrechtsvollzug, der insgesamt und weiterhin ein wohlwollend-freiwilliger Selbstvollzug der verurteilten Staaten bleiben dürfte. 105
a) Unilaterale Selbsthilfemaßnahmen Unilaterale Selbsthilfemaßnahmen umfassen v.a. die allgemeinen Schutzmaßnahmen gegen Subventionen, Listenänderungen und Dumping, die gegen Regelverstöße eingesetzt werden. Deren mißbräuchliche Anwendung ist oben (S. 37 ff.) bereits diskutiert worden. Bedeutsamer und häufiger als der Mißbrauch, der wegen der ungenauen Rechtslage kaum wirklich nachgewiesen werden kann, sind indes die Umgehungen, die durch "gütliche Einigungen" im Vorfeld (VERs, OMAs, sonstige informelle Absprachen etc.), "grey area measures" und Wirtschaftszusammenschlüsse verübt werden. Trotz ihres unilateralen Charakters sind GATT-Schutzmaßnahmen i.S. unserer Abgrenzung eindeutig zu den rechtlichen Maßnahmen zu zählen, weil sie in ihren Geltungsgründen und Wirkungen relativ gut durchschaubar sind und verfahrensorientiert sind, wodurch Rechtssicherheit entstehen kann. Dies wird durch Mißbrauch und Umgehung natürlich erschüttert. Sie bleiben dennoch wesentliches Rechtsmittel zur Beantwortung von Vertragsverletzungen und -umgehungen, mit Erfolgsaussichten. Ich werde diesen Punkt hier nicht weiter vertiefen, weil alle bedeutenden Fälle dem Streitschlichtungsverfahren vorbehalten waren.
104 Beispielhaft dafür kann die Tatsache angeführt werden, daß die Rechtsabteilung des GATI bislang über nur vier Mitarbeiter verfügte, in anderen Abteilungen ist es kaum besser. 105 Ausnahmen könnten in den autonomen Entscheidungen über die Mittelvergabe durch die Weltbank oder den IWF gesehen werden.
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel
51
b) Das Streitschlichtungsverfahren In diesem Kapitel betrachten wir das GATT-Streitschlichtungsverfahren nicht als Grund für eine Klage, sondern als Rechtsmittel zur Anklage. Im folgenden geht es also nicht mehr darum aufzuzeigen, daß eine eigentlich anzuwendende Vorschrift ignoriert oder regelwidrig abgewandelt wurde, sondern darum, das Streitschlichtungsverfahren als ein Rechtsmittel auszuweisen, dessen Anwendung keine prohibitiven Hindernisse entgegenstanden. Als unbrauchbar müßte es gelten, wenn seine Anwendung keine Aussicht auf Erfolg böte oder andere gravierende Nachteile oder Kosten mit seiner Verwendung verbunden wären. Dies ist zu prüfen. Die wesentlichen Grundzüge des Verfahrens wurden bereits dargestellt (S. 18 ff.). Wie bei der Diskussion der Verletzung und Umgehung der Streitschlichtungsvorschriften (S. 44 ff.) gezeigt, bot das Streitschlichtungsverfahren in der Vergangenheit nicht immer Aussicht auf Erfolg. Zu vielfliltig sind die Möglichkeiten der Umgehung und zu gering die Bereitschaft der Vertragsparteien, sich einem geordneten Rechtsverfahren zu unterwerfen, daß möglichst unabhängig von den jeweiligen Streitparteien ist. War das Verfahren zu schlecht oder zu wenig neutral? Es hat nie an Verbesserungsvorschlägen gemangelt. l06 Während vor Dezember 1993 aber allenthalben verbreiteter Pessimismus hinsichtlich jeglicher Reformvorschläge angebracht schienl07 und pauschal vermutet werden konnte, daß die Vertragsparteien, allen voran die USA mit ihrem "Super 301", nicht bereit sein würden, irgendwelchen ernsthaften Reformvorschlägen zuzustimmen, ist diese Haltung angesichts der erfolgten umfassenden Reformen des GATT-Streitschlichtungsverfahren als überholt und falsch anzusehen. Wieso es gelingen konnte, so weitreichende Reformen durchzusetzen und ein gründlich novelliertes Verfahren zu schaffen, kann nur vermutet werden. So bekunden Vertreter der USA, sie wollten das neuen Verfahren erschöpfend einsetzen, da es gerade dem entspräche, was sie mit ihrer "Section 301" und "Super 301" die ganze Zeit über durchzusetzen versucht hätten. l08 Bei der Einordnung solcher Aussagen ist es indes ratsam, die tatsächlichen Entwicklungen abzuwarten. Klar ist, daß die Frage, ob auch schon früher ein "besseres" Verfahren durchsetzbar gewesen und die "Zurückhaltung" damit vornehmlich
106 Ein umfassender Vergleich von Verbesserungsvorschlägen findet sich bei Petersmann, 1988b, passim. 107 Statt vieler: Voigt, 1992, S. 171 Cf. 108 Vgl. EvanslWalsh, 1994, S. 2.
52
B. Verletzung und
Umgeh~
internationaler Handelsregeln im GATT
aus dem Verfahren selbst erklärlich gewesen ist, wissenschaftlich nur äußerst schwer zugänglich ist. Hier ist aber ein anderer Aspekt wichtiger: Auch schon vor der jüngsten Novelle konnte es nicht als vollkommen aussichtslos gelten, mit dem GATIStreitschlichtungsverfahren gegen Vertragsverletzungen und -umgehungen vertragsrechtlich vorzugehen. Es gibt eine Reihe von Beispielen, in denen das GATI-Streitschlichtungsverfahren seine Aufgaben erfüllen konnte. Einige Autoren hielten es schon für ein ausgesprochen "effektives"109 Instrument. Zwar wurden - wie oben dargelegt - nach unseren Berechnungen der vom GATI selbst veröffentlichten Statistiken in nicht einmal der Hälfte aller Fälle der Schlußbericht des panels angenommen und selbst von diesen war die Umsetzung in vielen Fällen zweifelhaft. Kann aber diese Tatsache dafür ausschlaggebend sein, daß von dem Verfahren in so vielen anderen Fällen von vornherein abgesehen wurde? Hätte nicht um so mehr der Versuch mit dem Verfahren unternommen werden können? Offensichtlich gibt es noch andere wichtige Nachteile und "Kosten". Diese sollen in dieser Arbeit erklärt werden. Vorher seien aber aus Vollständigkeitsgründen, die wichtigsten Kritikpunkte des bisherigen GATI aufgeführt. Daran wird sich auch die Diskussion des neuen Verfahrens im Teil E der Arbeit anschließen. Zu sehen ist aber: Auch die folgenden Problempunkte und Kritikpunkte reichen nicht aus, ein Verfahren zu diskreditieren, das durchaus Aussicht auf Erfolg bot. Es lassen sich zudem nirgends unüberwindliche Hürden oder prohibitive Kosten entdekken. Nicht am Verfahren allein kann es gelegen haben, wenn seine Anwendung im Falle eklatanter Rechtsverstößen nicht je erneut versucht wurde. Das GATI-Streitschlichtungsverfahren ist mithin ein taugliches Rechtsmittel gewesen, um ein Vorgehen gegen Vertragsverletzungen und -umgehungen wenigstens zu versuchen, auch wenn seine zu erwartende Wirksamkeit innerstaatlichen Vergleichen nicht standhalten konnte.
Weitere Kritikpunkte: Oben wurden bereits die Möglichkeiten erörtert, durch regelwidrige Beendigung des Verfahrens, durch Blockieren der Annahme des Berichts vor dem Rat oder durch unterlassene Ergebnisumsetzung, das 109 So schreibt Hilf, 1988, S. 286: "Recently a few serious deadlocks in the GATT-DS (dispute settlement) procedures, all in the field of agriculture and especially under the Subsidies Code, were sufficient to discredit the most effective and unique DS system which economic organizations operating on an worldwide basis have ever experienced." Auch Jackson, 1989, S. 101, hält den Befolgungsgrad des GATTVerfahrens für höher, als den des Internationalen Gerichtshofs.
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel
53
Verfahren zu umgehen. Im folgenden nun einige zusätzliche Kritikpunkte, die v. a. Probleme der fehlenden Neutralität und der kontraproduktiven Umsetzung sind. Neutralitätsprobleme
(1) Die Einleitung des Verfahrens bedarf der Zustimmung durch die Vertragsparteien. Ebenso können diese das Verfahren jederzeit beenden und die Annahme des Schlußberichts verhindern. Es fehlt also an einer neutralen Instanz LS. einer Staatsanwaltschaft, die aufgetretene "Delikte" quasi-offizial verfolgt; ebenso fehlt eine "Berufungsinstanz". (2) Die Kompetenz der panel-Mitglieder ist zweifelhaft, handelt es sich doch in den überwiegenden Fällen um Angehörige nationaler Delegationen mit teils nur geringer Sachkenntnis 11 0 , deren Neutralität zweifelhaft ist. 111 Verstärkt wird dieses Problem durch die fehlende Regelgebundenheit des Verfahrens, worauf auch der Leutwiler-Bericht besonders hingewiesen hat. 112 Daß eine unzureichende Personalausstattung und mangelnde Mittel hinzukommen, braucht nur erwähnt zu werden. 113 (3) Auch Dauer und mangelnde Transparenz des Verfahrens können als neutralitätsgefährdend eingeschätzt werden. So konnten sich v.a. "große" Streitparteien erlauben, durch Verschleppung auf allen Ebenen des Verfahrens außerrechtliche Faktoren ins Spiel zu bringen.l 14 Mangelnde Transparenz führt zu fehlender Öffentlichkeit, welche ein zunehmend kritischer Faktor in den Einschätzungen internationaler Entscheidungsträger sein könnte. Durchsetzungsmängel und Kontraproduktivität: Erkennt man als GATTZiel die Sicherung des erreichten Liberalisierungsniveaus an, so wirkt die Hauptsanktion gegen Vertragsparteien, welche die Empfehlungen aus einem Streitschlichtungsverfahren nicht umsetzen, die Zurücknahme von Zugeständ110 Vgl. Bael, 1988, S. 72. 111 So haben sie laut Jackson, 1979, S.6 f., die Tendenz eher "diplomatischpolitische ", denn juristische Empfehlungen abzugeben. 112 Der Leutwiler-Bericht wurde von unabhängigen Experten im Auftrag des GATT-Sekretariats 1985 fertiggestellt. Den Vorsitz der Arbeitsgruppe führte Fritz Leutwiler. 113 Vgl. Jackson, 1979, S. 7. 114 Vgl. hierzu die amüsante Schilderung zur Kartoffel-Ernte von Curzon/Curzon Price, 1976, 210 ff.
54
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATT
nissen, kontraproduktiv. Erstens, weil sie das ohnehin geschädigte Liberali-
sierungsniveau weiter absenkt, zweitens, weil der sanktionierende Staat seine eigenen Verbraucher schädigt. Richtet sich seine Sanktion aus Effektivitätsüberlegungen gegen andere Branchen oder Produkte, so werden weitere, teils völlig unbeteiligte Marktteilnehmer diskriminiert und benachteiligt. 115 Wie erwähnt, bleiben dem betroffenen Staat als Alternative nur die allgemeinen Mittel des Völkerrechts.
c) Bilanz der Anwendung: unterlassene Inanspruchnahme Sowohl die unilateralen Selbsthilfemaßnahmen, wie auch das GATT-Streitschlichtungsverfahren waren brauchbare Mittel, um gegen Vertragsverletzungen und -umgehungen vorzugehen. Zwar versprachen sie nicht in jedem Falle "Erfolg" (i.S. allseitiger Zufriedenheit). Es ist aber nicht einzusehen, warum ihr Einsatz nicht je erneut versucht wurde. Bezüglich der spärlichen Anwendung muß für das Streitschlichtungsverfahren eine wichtige Differenzierung zwischen den Zeiträumen vor der GATT-Uruguay-Runde und während der Verhandlungen beachtet werden: In den 37 Jahren vor Beginn der GATTUruguay-Verhandlungen, zwischen 1948 und 1986, wurden insgesamt 122 Streitschlichtungsverfahren beantragt, was einer jährlichen Durchschnittsrate von etwas über 3 Verfahren pro Jahr entspricht. 116 Dagegen wurden in dem kurzen Zeitraum während der Uruguay-Runde 1986-1994 (7V2 Jahre) allein 73 Verfahren angestrengt, was einem jährlichen Durchschnitt von beinahe 10 p. a. entspricht.1 17 Diese Verdreifachung, die im übrigen auch nicht allmählich, sondern sprunghaft stattfand, deutet auf prinzipielle Veränderungen hin, die mit Beginn der Runde zusammenfallen. Ob es nun an dem guten Willen der Beteiligten, dem gestiegenen öffentlichen Interesse oder der Selbstverpflichtung der Ministerpräsidenten anläßlich der Erklärung von Punta-del115 Vgl. CurzonlCurzon Price, 1976, S. 210 ff., zu Wein und Hühnern. 116 In nur 8 der 37 Jahre wurden mehr als 4 Verfahren begonnen und in nur 4 Jahren über 5 Verfahren: 1951 (5), 1952 (7), 1956 (5), 1978 (5), 1980 (5), 1982 (7), 1984 (6), 1985 (6). In den sechziger Jahren wurden insgesamt nur 6 Verfahren angestrengt. 117 Gerade zu Beginn der Runde gab es eine Streitschlichtungswelle: 1986: 10, 1987: 11, 1988: 21; die dann - mit der Ernüchterung in den Verhandlungen - wieder merklich abebbte: 1989: 7, 1990: 9, 1991: 4, 1992: 6. Zum Ende der Runde stiegen die Zahl erneut: 1993: 10.
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel
55
Este, zu Beginn der Verhandlungen, gelegen hat, sich während der Verhandlungen verstärkt an die Regeln des GATI zu halten, kann nicht leicht geklärt werden und ist Teil der Fragestellungen dieser Arbeit. Es dürfte jedoch vollkommen unzweifelhaft sein, daß diese sprunghafte Zunahme in engstem Zusammenhang mit den Verhandlungen selbst stand. 118 Ob das derzeitige hohe Niveau beibehalten wird, bleibt fraglich. Für Aussagen über den Zeitraum nach dem Ende der Verhandlungen, reichen die Erfahrungen bisher nicht aus. 119 Es bleibt mithin unklar, ob wir es mit einem temporären Phänomen zu tun haben. Inzwischen wurde aber das Streitschlichtungsverfahren grundlegend überarbeitet, so daß Vergleiche schwieriger werden (s.u.). Für eine Betrachtung muß daraus aber folgen, daß eine klare Zäsur vor Beginn der Uruguay-Runde zu machen ist und die beiden Beobachtungszeiträume jeweils getrennt analysiert werden. Um also einen "Struktureffekt der UruguayRunde" zu vermeiden, beziehen sich die theoretischen Ausführungen dieser
118 Nordgren, 1991, argumentiert in ihrer Studie, daß die Panel nur angestrengt wurden, um die GAIT-Uruguay-Verhandlungen zu beeinflussen. dieser Eindruck würde gestärkt durch die Tatsache, daß die meisten Panels von den USA und den EG angestrengt wurden, wohl um ihre Bereitwilligkeit zu demonstrieren, von multilateralen Verfahren Gebrauch zu machen. Tatsächlich haben zwar auch vor der GATTUruguay-Runde die EG, USA, Japan und Kanada den Hauptteil aller Verfahren angestrengt, dennoch waren es relativ nur halb so viele, wie während der Verhandlungen: 24,3% gegenüber 52,1 % während. Zwischen 1963 und 1993 waren die EG (oder ihre jeweiligen Mitgliedstaaten) an 77 von 137 Streitfallen beteiligt, das sind 56,2% aller Streitfalle. Die USA waren insgesamt an 112 von 190 Streitfallen beteiligt: 57,4%. In 156 von 195 Fällen beantragten sog. "westliche Industriestaaten" das Verfahren (= 80%). Gegen Staaten, die nicht zu den sog. "westlichen Industriestaaten" zählen wurde seit Gründung des GAIT bis zum Ende der Uruguay-Runde in nur 21 von insgesamt 195 Fällen angeklagt (unter 11 %). Dabei klagten sie in nur 3 Fällen gegeneinander (1,5 %) und diese Klagen waren eher politisch motiviert (pakistan gegen Indien 1949, Indien gegen Pakistan 1952, Tschechoslowakei gegen Peru 1954). Diese Zahlen sind vor (82% "westlichen Industriestaaten") und während (76% "westlichen Industriestaaten") der Verhandlungen relativ konstant geblieben.
119 Zwar wurde schon zum mid-term review der GAIT-Uruguay-Verhandlungen 1989 in Montreal ein neues Streitschlichtungsverfahren probehalber eingeführt (vgl. "Decision on Improvements to the GAIT Dispute Settlement Rules and Procedures of 12 April 1989", GAIT/36S/61). Über dessen Ergebnisse sind aber - zumal sein Start während der Uruguay-Runde lag - noch keine gesicherten (und schon gar nicht statistische) Erkenntnisse möglich.
56
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
Arbeit v.a. auf den Zeitraum vor Beginn der Verhandlungen im Sommer 1986. 120 Streitschlichtungsverfahren und gut begründete unilaterale Maßnahmen sind im GATI relativ seltene Ereignisse geblieben. 121 Durchschnittlich drei Streitschlichtungsverfahren pro Jahr sprechen angesichts reichhaltiger HandeIskonflikte nicht gerade für allgemeine Anerkennung und Zuspruch. Aber ganz unabhängig von "Erfolg" oder "Mißerfolg" der (vertrags-) rechtlichen Regelungen und der übergeordneten Frage, ob sie zum Lösen von sich an Handelsfragen entzündenden Konflikten beitragen konnten, bleibt nach den erfolgten Untersuchungen unklar, warum die Inanspruchnahme nicht wenigstens versucht wurde. Insofern ist von unterlassener Inanspruchnahme zu sprechen.
2. Völkerrechtsmittel Neben den im GATT-Vertrag angelegten Verhaltensmöglichkeiten und Streitschlichtungsverfahren existieren im Völkerrecht eine Reihe weiterer Mittel und Möglichkeiten, gegen Vertragsverletzungen vorzugehen, die aus (a) verschiedenen Anspruchsnormen in der Völkerrechtslehre meist in (b) Verfahren der Streitbeilegung und (c) Selbsthilfemaßnahmen eingeteilt werden.
a) Anspruchsnormen Völkervertragsrecht, wie es gewohnheitsrechtlich oder in den Wiener Vertragsrechtskonventionen kodifiziert vorliegt, ist wichtigster Geltungsgrund des Völkerrechts. Demgegenüber nimmt die Bedeutung allgemeiner Rechts-
120 Eine Betrachtung schon einige Jahre zurückliegender Ereignisse im GATI ist für die Untersuchungen kein Hindernis, weil es darum geht aufzuzeigen, welchen Beitrag Theorien der Ökonomik grundsätzlich zu leisten in die Lage setzen. Fundierte Daten liegen ohnehin immer nur über "historische" Phänomene vor. 121 Daß das GATI-Streitschlichtungsverfahren gegenüber vielen anderen multilateralen Streitschlichtungsverfahren als vergleichsweise erfolgreich gilt, darf nicht von der Tatsache ablenken, daß es faktisch im Vergleich zu nationalen Verfahren oder z.B. den Verfahren der EG, nur selten in Anspruch genommen wurde.
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel
57
grundsätze ab. 122 Völkervertragsrecht schafft Anspruchsnormen, die mit anderen völkerrechtlichen Mitteln (Streitschlichtung oder unilateralen Maßnahmen) geltend gemacht werden müssen. 123 Neben dem zentralen vertragsrechtlichen Instrument der Anfechtung sollen im folgenden auch völkerrechtliche Verantwortung und Rechtsmißbrauch als Anspruchsnormen kurz angedeutet werden.
Anfechtung: In der Regel müssen Verträge zur Feststellung ihrer Ungültigkeit 124 sowie zur Geltendmachung eines Fortfalls der Vertragsbindung durch Beendigung oder Suspendierung angefochten werden. 125 Die Anfechtung muß für Mitglieder der WVK gemäß Art. 65 ff in einem Verfahren erfolgen, in
122 Vgl. Ipsen-Heintschel v. Heinegg, 1990, S.207 ff., der definiert (S.208): Allgemeine Rechtsgrundsätze sind "anerkannte Rechtsprinzipien, die allen oder doch den meisten nationalen Rechtsordnungen gemeinsam sind, also ihrem Ursprung nach um sogenannte völkerrechtsfremde Normen, die nicht in einem völkerrechtlichen Rechtserzeugungsverfahren entstanden sind." Art. 38 I lit. c des IGH-Statuts bezeichnet sie als die "von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze". Mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen sind nach herrschender Auffassung v .a. die grundlegende Leitprinzipien gemeint, nicht dagegen die aus diesen Grundsätzen herleitbaren Normen (ebd.): "Eine konkrete Ausgestaltung erfahren diese nationalen Rechtsgrundsätze erst in ihrer Übertragung auf die internationale Ebene." Als Beispile werden genannt: einige Prinzipien der völkerrechtlichen Haftung ("liability"), der Entschädigung ("reparation"), der ungerechtfertigten Bereicherung ("unjust enrichment"), des Eigentums und der Indemnität. Diese prinzipien sind aber selbst nach der Änderung der sowjetischen Völkerrechtsauffassung stark umstritten und werden nur zur als subsidiäre Rechtsquelle betrachtet. 123 Vgl. auch Duckwitz, 1975. 124 Ungültigkeit führt zur Nichtigkeit (rechtlichen Unverbindlichkeit) von Verträgen (Art. 69 I WVK). Sie tritt nach erfolgreicher Anfechtung ein und gilt grundsätzlich ex tunc zwischen allen Parteien für den gesamten Vertrag. Bei rechtskräftiger Feststellung der Ungültigkeit haben die Parteien grundsätzlich gegenseitige Ansprüche auf Wiederherstellung der Lage, die bestanden hätte, wenn es nicht zum Abschluß des Vertrages gekommen wäre (Art. 6911 lit. a WVK). Diese Ansprüche können gemäß Art. 69 III WVK in Fällen von Betrug, Bestechung oder Zwang (gegen einen Staatenvertreter oder einen Staat) nicht von der Partei geltend gemacht werden, der diese Handlung zuzurechnen ist. 125 Auf Ungültigkeit, Beendigung LS. einer endgültigen Aufhebung des Vertrags bzw. einzelner Vertragsbestimmungen durch Kündigung, Rücktritt und Erlöschen sowie die Suspendierung von Verträgen wurde oben bereits hingewiesen. Sie bemessen sich im wesentlichen nach den Art. 42 ff WVK und WVKIO. Im folgenden noch einige zusätzliche Verfahrenshinweise.
58
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
dessen Mittelpunkt, neben Notifizierung und einigen weiteren Verfahrensvorschriften, das UN -Streitbeilegungsverfahren steht. 126 Abgesehen von der Tatsache, daß nicht alle Staaten an die WVK gebunden sind (s.S. 23), gibt es eine Reihe von Ausnahmen, bei denen eine Anfechtung nicht vorgesehen ist: Hierzu zählen alle Fälle von Zwang gegen einen Staat oder Verstöße gegen ius cogens l27 . Der Geltungsbereich der Wiener Vertragsrechtskonventionen erstreckt sich gemäß Art. 73 WVK und Art. 74 I WVKIO zudem nicht auf Fälle der Staatennachfolge, der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit und des Ausbruchs von Feindseligkeiten. Fragen der Staatennachj'olge l28 und des Ausbruchs von Feindseligkeiten (insbesondere bewaffneter Konflikt l29) können für unser Problemfeld unerörtert bleiben. Zur völkerrechtlichen Verant126 Vgl. Ipsen-Fischer, 1990, S. 157 f. 127 Unabdingbares (zwingendes) Völkerrecht. Gemäß den positivistisch formulierten und gleichlautenden Art. 5311 WVK und WVKIO ist eine ..... zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann." Es gibt kaum unabdingbares Völkerrecht, beinahe alles kann durch Verträge bestimmt, verändert oder unberührt bleiben (Ipsen-Heintschel v. Heinegg, 1990, S. 36 ff., mit umfangreicher Literatur). Die wenigen Ausnahmen davon befinden sich hauptsächlich im humanitären Völkerrecht oder im "Kriegsrecht", nämlich: Das Verbot des Sklavenhandels und des Völkermords, das Gebot der Achtung elementarer Menschenrechte, das selbst schon umstritten ist. Für das "Kriegsrecht" ist das Aggressionsverbot zu nennen. Alle anderen Völkerrechtsnormen sind zweifelhaft, insbesondere das Piraterieverbot und Verbot der einseitigen Aneignung der Hohen See sowie einzelne Normen des humanitären Völkerrechts, die direkte Verbote an Staaten und Einzelpersonen enthalten. Ganz sicher nicht zum "ius cogens" gehören: Das Verbot der Verursachung weitreichender, langandauemder und schwerer Schäden für die Umwelt, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die staatliche Souveränität und Unabhängigkeit oder gar die Normen von Treu- und Glauben, Guten Sitten oder Billigkeit. Vom zwingenden Recht zu unterscheiden sind Rechtsprinzipien wie die Formel .. pacta sunt servanda", die dem ius cogens noch vorgelagert sind. Ohne sie wäre Recht gar nicht möglich. Letztere werden meistens als Völkergewohnheitsrecht diskutiert. 128 Für die StaatennachJolge (Staatensukzession) steht für den Bereich internationaler Verträge die Wiener Konvention über die StaatennachJolge in Verträge vom 23.8.1978 zur Verfügung. Sie ist aber noch nicht in Kraft getreten und muß letztlich als gescheitert gelten. Zu Einzelheiten vgl. Ipsen-Heintschel v. Heinegg, 1990, S. 131, mit Literaturverweisen; sowie allgemein zur Staatennachfolge vgl. IpsenGloria, 1990, S. 314 ff. 129 Vgl. Ipsen, 1990, S. 979 ff.
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel
59
wortlichkeit noch einige einführende Charakterisierungen, um eine Abgrenzung von der Fragestellung dieser Arbeit deutlich zu machen. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit (im deutschen Sprachraum teilweise noch: "völkerrechtliche Haftung") setzt ein Geschehen (Tun oder Unterlassen einschließlich dessen tatsächlicher Folgen) voraus, das Völkerrecht verletzt und einem Völkerrechtssubjekt zurechenbar ist. Das Völkerrechtssubjekt ist in diesem Fall völkerrechtlich verantwortlich. Hinter jedem" Tun oder Unterlassen" wird stets menschliches Verhalten, LS. einer Verursachung von natürlichen Personen gedacht. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines als Verbandseinheit gestalteten Völkerrechtssubjekts (Staates) ergibt sich aus der Zurechenbarkeit des menschlichen Verhaltens auf die Verbandseinheit, was bei Organhandein immer zutrifft. Die üblichen Folgen sind der Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung und Genugtuung. 130 Von der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit (auch: Staatenverantwortlichkeit) zu unterscheiden ist das sogenannte Völkerstrajrecht, daß sich statt auf Völkerrechtssubjekte auf die Strafbarkeit natürlicher Personen aus der Verletzung international geschützter Rechtsgüter ergibt und damit für unsere Fragestellung nicht erheblich ist. 131 Völkerrechtliche Verantwortlichkeit ist mithin i.S. einer Anspruchsnorm zu verstehen, die im wesentlichen für allgemeine Völkerrechtsverletzungen in Frage kommt und subsidiär zu vertraglichen Anspruchsnormen geprüft werden kann. Bezogen auf die Problemstellung im GATT ist völkerrechtliche Verantwortlichkeit deshalb nicht zentral, weil es uns um Vertragsverletzungen - der GATT-Verträge - geht, diese aber im Völkervertragsrecht geregelt sind. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bezieht sich hingegen auf Ansprüche, die nicht aus Verträgen Le.S. entstehen, sondern aus der Verletzung allgemeiner Völkerrechtsnormen. 132
130 Wiedergutmachung kann als Naturalrestitution oder Wertersatz geleistet werden. Die Genugtuung, "die gewöhnlich in Fällen von wertmäßig nicht erjaßbaren Völkerrechtsverletzungen, zuweilen aber auch neben der Wiedergutmachung geleistet wird, besteht zumeist in der ausdrücklichen Übernahme der Verantwortung für das völkerrechtsverletzende Verhalten, sowie in der förmlichen Erklärung des Bedauerns.", vgl. Ipsen, 1990, S. 528 f. 131 Vgl. hierzu das Kapitel Völkerstrafrecht in: Ipsen, 1990, S. 531 ff. 132 Es ließen sich in diesem Zusammenhang zwar sozusagen "Ausstrahlungswirkungen" des Vertragsrechts in die völkerrechtliche Verantwortlichkeit prüfen, da nach herrschender Auffassung Völkerrecht ja Konsensrecht ist, strenggenommen also auch alle anderen Völkerrechtsnormen im Wege des Vertrags entstanden sind, selbst
60
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
Ein Sonderfall ist der Rechtsmißbrauch: Das allgemeine Verbot des Rechtsmißbrauchs bezieht sich nach der immer noch grundlegenden Untersuchung von Berber, 1955, S. 138 ff., nur auf das Schikaneverbot, d.h. auf den Fall, in dem ein Staat mit der Ausübung seines Rechts ausschließlich den Zweck verfolgt, einen anderen Staat zu schädigen. 133 Wegen der engen Voraussetzungen, dem Meinungsstreit über Inhalt und Geltung des Verbots und unbestreitbarer Nachweisprobleme, ist deshalb die praktische Bedeutung des völkerrechtlichen Verbots des Rechtsmißbrauchs als gering einzuschätzen. Ipsen, 1990, S. 505, weist darauf hin, daß selbst hochentwickelte Rechtsordnungen (z.B. das engliche und italienische Recht) ein Rechtsmißbrauchsverbot nicht kennen. Es ist deshalb auch nicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz i.S. des Art. 38 I Ht. c lOH-Statut einzuordnen. Auch als allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts kommt es nicht in Frage. Insgesamt ist das Rechtsmißbrauchsverbot somit "de lege lata" kein besonderer Begründungstatbestand der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, sondern geht sozusagen in ihm auf.
b) Friedliche Streitbeilegung Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung bezieht seinen Geltungsgrund nicht allein aus der UN-Charta, wo es an mehreren Stellen Erwähnung findet 134 , sondern ergänzend seine gewohnheitsrechtliehe Geltung aus den zahlreichen Resolutionen der Vereinten Nationen (z.B. die "Friendly Relations"Deklarationl35 ), sowie politisch verbindlichen Dokumenten, wie der KSZEund der KV AB-Schlußakte.
wenn sie nach Art des durch internationale Organisationen geschaffenen sekundären Rechts sind. Dann müßte aber erst recht Völkervertragsrecht die zur Beurteilung maßgeblichen Normen enthalten. Naturrechtliche Begründungen lassen sich dagegen maximal auf ius cogens-Normen anwenden. 133 Darauf weist Ipsen-Heintschel v. Heinegg, 1990, S. 860, im Rahmen des internationalen öffentlichen Umweltrechts hin. Er bezieht sich auf: Berber, 1955: Die Rechtsquellen des internationalen Wassernutzungsrechts . 134 Das UN-Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung ist hauptsächlich im Art. 33 UN-Charta kodifiziert, fmdet sich aber auch schon im Kap. I über Ziele und Grundsätze der VN in den Art. 2 und 3; Vgl. Ipsen-Fischer, 1990, S. 955-978, Kap. 60, zur friedlichen Streitbeilegung, mit umfangreichem Literaturapparat. 135 Die sogenannte "Friendly-Relations"- oder Prinzipien-Deklaration, wie sie in der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 24.10.1970 anläßlich des 25-
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel
61
Es gibt keine verbindliche Festlegung der Mittel und Verfahren, sodaß die Parteien selbst entscheiden können, auf welches Verfahren sie sich einigen wollen. Die Völkerrechtslehre unterscheidet gemeinhin (1) diplomatische Verfahren, (2) internationale Schiedsgerichtsbarkeit, (3) "internationale Gerichtsbarkeit" vor dem IGH. (1) Verhandlungen, Gute Dienste und Vermittlung, Untersuchungs- und Vergleichsverfahren: Diese diplomatischen Verfahren sind im Sinne unserer Begriffsbestimmungen keine eigentlich rechtlichen Verfahren und wären insofern als Umgehungen der GATI-Verträge zu werten. Sie von den eigentlichen Rechtsmitteln abzugrenzen war notwendig, weil ihr Einsatz zur Unwirksamkeit und völkerrechtlichem Effektivitätsverlust des GATI führt und sie keine möglichst anwenderneutralen Verfahren sind. Es erscheint sinnvoll, ihr Spektrum ins Auge zu fassen, um die Vielfältigkeit der Umgehungsmöglichkeiten klar zu erkennen: Zu den diplomatischen Verfahren der friedlichen Streitbeilegung werden in Art. 33 UN-Charta gezählt: Verhandlungen, Gute Dienste und Vermittlung, Untersuchungs- und Vergleichsverfahren. 136
jährigen Jubiläums der Organisation ohne Abstimmung einmütig angenommen wurde, sieht sieben Grundprinzipien vor: Das Gewaltverbot, das Gebot friedlicher Streitbeilegung, das Verbot der Intervention, das Gebot der Kooperation, das Prinzip der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker, das Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten und schließlich die Pflicht aller Staaten, die UN-Charta zu erfüllen. Obwohl diese Deklaration kein bindendes Völkerrecht darstellt, wird die Prinzipiendeklaration zumindest in Teilbereichen eine erhebliche Bedeutung beizumessen sein, schon allein weil sich die Organe der Vereinten Nationen häufig auf sie berufen (vgl. Ipsen-Gloria, 1990, S. 333). Zur KSZE- und der KVAE-Schlußakte vgl. Ipsen-Fischer, 1990, S. 957 f. 136 Verhandlungen dienen meist in einer Frühphase der friedlichen Streitbeilegung zur Klärung der unterschiedlichen Positionen. Sie laufen im Gegensatz zu den übrigen diplomatischen Verfahren ohne Drittbeteiligung ab. Ipsen-Fischer, 1990, S. 959, verweist auf die große Bedeutung einer sorgfaltigen Auswahl der Verhandlungsführer und schreibt weiter: "Die Ausgangsposition der Streitparteien muß auf einen positiven Abschluß gerichtet sein, was Kompromißbereitschaft und Flexibilität verlangt. Einer ihrer Nachteile ist, daß sie nicht geeignet sind, das oft auftretende Machtgefalle zwischen den Verhandlungsparteien zu kompensieren." Gute Dienste und Vermittlung. "Good offices" bezeichnen die Bemühungen einer Drittpartei durch Herstellung von Kontakten zwischen der Drittpartei und den Streitparteien oder durch die Bereitstellung von Möglichkeiten zur Durchführung von Verhandlungen. Der Vermittler ("mediator") übernimmt dagegen durch eine positive Beeinflussung der Verhandlungsatmosphäre oder durch eigenes Eingreifen mit Lösungsvorschlägen eine aktivere Rolle. Wichtige Vermittlungen und Gute Dienste wurden in der Vergangenheit vom
62
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
(2) Die internatiorwle Schiedsgerichtsbarkeit: Anders als bei den diplomatischen Verfahren zielt die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ("arbitration") auf eine für die Parteien verbindliche Entscheidung ab. Wesentliche Elemente des Schiedsverfahrens wie seine Rechtsgrundlage, die Zusammensetzung des Gerichts, die Auswahl des anwendbaren Rechts und die Ordnung des Verfahrens bleiben in der Hand der streitenden Parteien. 137 Trotzdem hat seit der Gründung des Ständigen Schiedshofs in Den Haag 138 , der als Informations- und Vermitdungsorgan die Errichtung von Schiedsgerichten, Z.B. durch Personenlisten über Schiedsrichter erleichtert, nur in wenigen Rechtsbereichen die internationale Schiedsgerichtsbarkeit Bedeutung erlangen können. Hierzu zählt neben dem Seerecht und Grenzkonflikten v.a. das internationale Wirtschaftsrecht. Die meisten Fälle sind im internationalen Wirtschaftsrecht aber zwischen Völkerrechtssubjekten und Privaten oder internationalen Unternehmen entschieden worden. 139
UNO-Generalsekretär, vom UN-Sicherheitsrat, der Generalversammlung (deren Empfehlungen allerdings über ein traditionelles Verständnis diplomatischer Verfahren hinausgeht), schließlich auch von einzelnen Staatenvertretern oder vom Vatikan geleistet - wie auch vom GATI-Generalsekretär. Untersuchungsverfahren ("inquiry" , auch: "fact-fmding") gibt es v.a. im Rahmen der UNO (eingesetzt durch den UNSicherheitsrat). Zweck ist eine unparteiische Tatsachenfeststellung. Zwar müssen die Streitparteien "alle zur vollständigen Erkenntnis und genauen Würdigung in Frage kommenden Tatsachen und notwendigen Mittel der Kommission bereitstellen und für Auskünfte sowie Aufklärungen zur Verfügung stehen", die Besetzung der Kommission kann aber von den Streitparteien entschieden werden und die Ergebnisse binden die Parteien nicht. Trotzdem ist die Bereitschaft zur Nutzung dieses Mittels (sowie seiner Verankerung in den Statuten internationaler Organisationen) seit Mitte des Jahrhunderts stetig zurückgegangen (vgl. ebd., S. 962). Vergleichsverfahren ("conciliation") ergänzen das Untersuchungsverfahren durch den Vorschlag eines unverbindlichen Lösungsvorschlags. Ihre ohnehin geringe Bedeutung hat seit einer Kodifizierung 1928 (Aufnahme in die Generalakte für die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten) mit wenig mehr als 20 durchgeführten Vergleichsverfahren stetig abgenommen (vgl. ebd., S. 964). 137 Vgl. Ipsen-Fischer, 1990, S. 964 ff. 138 1. Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Konflikte von 1899. Ein "Weltschiedsvertrag " scheiterte am 18.10.1907 an der Haltung der damaligen Großmächte, insbesondere des deutschen Reichs; vgl. Horn, 1987, S. 383. 139 Genaugenommen werden Schiedsgerichte hauptsächlich für Streitigkeiten zwischen privaten Wirtschaftssubjekten angerufen, und zwar auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Hier unterliegen sie in aller Regel der Geheimhaltung. Für eine Übersicht und einem Vergleich zwischen der privaten und der "öffentlichen" interna-
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel
63
Ein internationales Schiedsgerichtsverfahren sieht zuerst eine Vereinbarung ("compromis") vor, in der der Streitgegenstand bezeichnet wird und U.U. bereits einvernehmliche Tatsachenfeststellungen, Vereinbarungen über Zuständigkeiten des Schiedsgerichts, seine Organisation, die Verfahrensregeln und das anzuwendende Recht getroffen werden. Dieser "compromis" kann auch vertraglich bestimmt sein. 140 Entscheidungsgrundlag muß nicht notwendigerweise das Völkerrecht sein. Der Schiedspruch entscheidet den Streit verbindlich, kann aber nichtig sein, wenn Kompetenzüberschreitung , Korruption oder schwerwiegende Begründungs- und Verfahrensmängel vorliegen. 141 Nichtbefolgung eines Schiedsspruchs kann nur mit den völkerrechtlichen Mitteln der Retorsion (s.u. S. 64 ff.) sowie erneuten Streitbeilegungsverfahren entgegnet werden.
(3) Die internationale Gerichtsbarkeit vor dem 1GB: Im Gegensatz zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit sind bei der internationalen Gerichtsbarkeit die Besetzung des Gerichts, das anzuwendende Recht und die Verfahrensregeln festgelegt. Für das internationale Handelsrecht kommt insbesondere der IGH in Frage, der nach Art. 7 UN-Charta ein Hauptorgan der VN ist und zudem Bestandteil der UN-Charta, d.h. sein Statut ist automatisch für alle VN-Staaten maßgeblich. 142 Der IGH ist sofort verfügbar. Gemäß seinem Statut ist er für Streitfalle zuständig oder erstellt Rechtsgutachten. Das Verfahren wird zudem wesentlich von der selbstverabschiedeten Geschäftsordnung mitbestimmt. Die Wahl der 15 Richter geschieht so, daß sie in ihrer Gesamtheit eine Vertretung der großen Kulturkreise und der hauptsächlichen Rechtssysteme der Welt darstellen (Art. 9 IGH-Statut). Nur Staaten sind gemäß Art. 34 I IGH-Statut parteifähig, wenngleich es hiervon Ausnahmen gegeben hat. Die Zuständigkeit erstreckt sich (Art. 36 I) prinzipiell auf alle Streitigkeiten der VN und solchen aus völkerrechtlichen Verträgen. Die Zuständigkeit kann auf vier Arten begründet werden: durch ad-hoc-Vereinbaruntionalen Schiedsgerichtsbarkeit sowie weiteren Literaturhinweisen vgl. Voigt, 1992, S.175ff. 140 Z.B. in Handelsverträgen, Investitionsabkommen und Konzessionsverträgen, aber auch im Europäischen Übereinkommen zur friedlichen Streitbeilegung von Streitigkeiten. Auch die VN haben .. Model Rules of Arbitral Procedure" in der Generalversammlung vom 14.11.1958 verabschiedet (GA Res. 1262 [XlIII). 141 Vgl. Ipsen-Fischer, 1990, S. 969 f. 142 Zum Folgenden vgl. Ipsen-Fischer, 1990, S. 970 ff., mit weiteren Literaturhinweisen; sowie: Evensen, 1988; Fitzmaurice, 1986.
64
B .. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
gen zwischen streitenden Staaten, durch Klage einer Partei mit nachträglicher (auch stillschweigender) Zustimmung der anderen, durch Vertragsklauseln, die eine IGH-Zuständigkeit vorsehen und durch Unterwerfungserklärungen von Staaten, die allerdings mit Vorbehalten versehen sein können. Auch der IGH kann also nicht auf eigene Initiative oder aufgrund einer einseitigen Klage tätig werden. Das Urteil wird nach einem schriftlichen und einem mündlichen Verfahren gesprochen und ist regelmäßig mit Sondervoten versehen, die sich auf die Begründung bei gleichem Ergebnis ("separate opinion") oder Widerspruch zum Urteil ("dissenting opinion") beziehen können. Das Urteil ist nicht mehr anfechtbar, Interpretationen oder auch die Neuaufnahme des Verfahrens sind aber möglich. Das Urteil kann nicht zwangsweise durchgesetzt werden, es stehen nur allgemeine Mittel des Völkerrecht zur Verfügung, also diplomatische Verfahren sowie Retorsionen oder Repressalien. Gutachten können nur durch die Organe der UNO eingeholt werden, faktisch aber auch durch Staaten. Die Bereitschaft der Staaten, den IGH anzurufen, stagniert. Einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit steht die Staatengemeinschaft nach wie vor ablehnend gegenüber. 143 Die aufgetretenen Mißachtungen seiner Urteile hinzugenommen, läßt sich insgesamt kein vielversprechendes Bild über den Einfluß des IGH zeichnen.
c) Retorsionen und Handelsembargos?
Retorsionen und Repressalien sind völkergewohnheitsrechtliche Selbsthilfemaßnahmen, die, noch unterhalb der Schwelle des Einsatzes bewaffneter Gewalt, erlaubt sind. 144 Nur Retorsionen können als rechtliche Mittel gewertet werden. Retorsionen stellen nämlich im Gegensatz zu Repressalien keinen Verstoß gegen Völkerrecht dar, sondern lediglich unfreundliche Akte, mit denen der Zweck verfolgt wird, einen anderen Staat zur Beendigung eines unfreundlichen oder völkerrechtswidrigen Aktes zu bewegen. Retorsionen müssen angekündigt werden und verhältnismäßig sein (ähnlich Repressalien). Beispiele sind die Schließung der eigenen Häfen für fremde Schiffe oder die Beendigung von Entwicklungshilfe. Es ist allerdings zu fragen, ob Retorsionen - i.S. unserer Unterscheidung - als Rechtsmittel anzusehen sind, oder vielmehr zu diplomatischen, oder gar Verfahren der Machtpolitik gezählt 143 Vgl. Ipsen-Fischer, 1990, S 978. 144 Vgl. hierzu und dem folgenden Ipsen, 1990, S. 894 ff.
III. Unterlassene Inanspruchnahmen verfügbarer Rechtsmittel
65
werden sollten. Ohne daß eine Entscheidung in dieser Frage von immenser Bedeutung für die Untersuchung ist, kann doch an ihnen, wie auch den folgenden Ausführungen zu Handelsembargos aufgezeigt werden, wie problematisch eine genaue Grenzziehung zwischen Recht, Diplomatie und Macht im Bereich internationaler Beziehungen ist. In Streitfragen des internationalen Handels werden Retorsionen v.a. in Form von Handelsembargos eingesetzt oder angedroht. Das Handelsembargo ist eine besondere Form der wirtschaftlichen Diskriminierung, die eine ein- oder mehrseitige Beschränkung der Einfuhr oder Ausfuhr von Waren, Rohstoffen, Technologie, Kapital oder Dienstleistungen verhängt. Die außenpolitische Zielrichtung unterscheidet das Embargo von handelpolitischen Schutzmaßnahmen. 145 Die UN-Charta sieht in Art. 41 ein Embargo der Staatengemeinschaft als Ganzer, auf Veranlassung des UNSicherheitsrats vor. Dieser Umstand sowie die Tatsache, daß die Staatenpraxis und die Literatur Embargomaßnahmen für völkerrechtlich weitgehend zulässig halten, machen ihren Charakter als unfreundliche Handlung aus. Ihre Wirksamkeit muß als fraglich gelten. 146 Auch Handelsembargos sollen im Rahmen dieser Ausführungen als typische Ausprägungen von Machtpolitik begriffen werden, ihre Androhung bestenfalls als diplomatisches Mittel.
3. Fazit der Untersuchung: Verzicht
Die Rechtsverfahren der GA1T-Verträge ermöglichen die rechtliche Einklage von Vertragsbeachtung. Unilateralen Maßnahmen und dem Streitschlichtungsverfahren stehen ersichtlich keine generellen Hindernisse entgegen und sie bieten trotz großer Verfahrensmängel i.S. mangelnder Neutralität und kontraproduktiver Sanktionspotentiale sogar gewisse Erfolgsaussichten. Dennoch kommen sie nur selten zur Anwendung. Entsprechendes gilt für die völkerrechtlichen Durchsetzungsmittel: Die Anspruchsnormen des Völkervertragsrechts (Anfechtung) und der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit können in friedlichen Streitbeilegungsverfahren oder mithilfe unilateraler Maßnahmen geltend gemacht werden. Für die Begriffsabgrenzungen dieser Arbeit sind nur die Verfahren der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und der internationa-
145 Ders., S. 549 ff., mit weiteren Literaturhinweisen. 146 Vgl. ebd., S. 551. 6 Kopke
66
B. Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln im GATI
len Gerichtsbarkeit vor dem IGH im eigentlichen Sinne rechtliche Verfahren (in Abgrenzung von Diplomatie und Machtpolitik). Retorsionen, Handelsembargos und diplomatische Streitbeilegungsverfahren zählen hierzu ebenso wenig, wie Repressalien und Handelskriege. Der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und den Verfahren vor dem IGH, die jederzeit eingeleitet werden können, stehen keine prinzipiellen Hindernisse entgegen und sie bieten (wenn auch begrenzte) Aussicht auf Erfolg. Dennoch werden sie nur selten angewendet.
Zusammengenommen existierten damit eine Reihe von rechtlichen Mitteln und Möglichkeiten, gegen GATI-Vertragsverletzungen und -umgehungen vorzugehen, die weder in ihrem Zugang beschränkt, noch in ihrer Benutzung durch irgendwelche offensichtlichen Umstände ausgeschlossen waren. Sie kamen nur relativ selten zum Einsatz. Zusammen mit der Tatsache, daß die Verstöße gegen das GATI für jeden ersichtlich geschahen und es dennoch unterlassen wurde, gegen sie mit rechtlichen Mitteln vorzugehen, kann kein anderer Schluß gezogen werden, als daß Vertragsparteien auf die Inanspruchnahme ihrer Rechte verzichteten. Darüber hinaus schien ihnen auch an rechtlichen Überprüfungen nicht gelegen. Wegen dieser öffentlichen Mißachtung ihrer Möglichkeiten, ist es richtig, nicht nur von .. Unterlassung", sondern von .. Verzicht" zu sprechen. In die Fülle von möglichen und teilweise recht unbesonnenen Erklärungen des Verzichts auf rechtliche Durchsetzungsversuche kann nur durch eine strenge Methode wissenschaftliche Klarheit gebracht werden. 147 Hierzu dienen die folgenden Theorie-Überprüfungen.
147 Zur Erinnerung: Die Inanspruchnahme rechtlicher Durchsetzungsmittel als Ausdruck eines Geflechts von Machtpositionen zu konzipieren, ist für eine Erklärung unzureichend, weil erstens das Machtphänomen damit methodisch nur im Umkehrschluß abbildbar ist und zweitens aus dieser Perspektive nie klar werden kann, warum überhaupt internationale Verträge geschlossen werden. Eine wissenschaftlich gern verharmloste "Restrisikobereitschaft" bleibt durchaus klärungsbedürftig.
c. Der Verzicht auf (völker-) rechtliche
Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik Bis hierhin wurde gezeigt, von welchen Akteuren auf welche zur Verfügung stehenden Rechtsmittel verzichtet wurde, mit denen sie eigentlich gegen die Verletzung und Umgehung internationaler Handelsregeln des GATT hätten vorgehen können. Dieser Verzicht bedarf der Erklärung. Es ist zu vermuten, v.a. wegen der vielen Äußerungen von Ökonomen zum Thema internationale Handelsbeziehungen und (welt-) wirtschaftliche Effizienz, daß mit ausgearbeiteten und vieldiskutierten Theorien der Ökonomik befriedigende Erklärungen zur Frage der Rechtsmißachtung im GATI geleistet werden können. Zuerst einige Vorbemerkungen.
I. Vorbemerkungen zu den Theorien Bevor begonnen werden kann, mithilfe der verschiedenen Theorien der Ökonomik Erklärungen für das Phänomen des Rechtsverzichts zu untersuchen, sollen nach (1) einer Begründung zur Auswahl der Theorien (2) einige grundsätzliche Anmerkungen zu den gemeinsamen Annahmen der Theorien vorangestellt werden. Dies kann auch dazu dienen, vorschnelle Ideologiekritik zu vermeiden, eine angesichts der kaum überschaubaren Komplexität der Materie allgegenwärtige Gefahr. Zudem erscheint es zweckmäßig, die gemeinsamen Grundannahmen der Theorien konzentriert darzustellen, um auf spätere Wiederholungen verzichten zu können. Im Anschluß daran können die Theorien einzeln geprüft werden. Um aber ihre Erkenntnisse nutzbar zu machen, müssen sie auf die spezifischen Verhältnisse im GATT und hiesige Fragestellung angewendet werden. Dies geschieht in Form von - im Rahmen der jeweiligen Theorie formulierten - Hypothesen (3). Die Erklärungskraft jeder dieser Hypothesen wird im Hinblick auf den Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche im GATT geprüft, um Erklärungen für den Verzicht aufzuzeigen, oder - wenn diese unmöglich sind - Gründe für das Scheitern, oder Folgerungen nur für bestimmte Teilbereiche oder Teil-Fragestellungen gezogen werden können.
68
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
1. Zur Auswahl der Theorien
Die Auswahl der Theorien erfolgte nach fünf Grundsätzen. 1. Zum einen sollte ein möglichst breites Spektrum ökonomischer Theorien überprüft werden, um möglichst allgemeine Aussagen über "die Ökonomik" machen zu können. Wenigstens aber sollten die am häufigsten für ökonomische Begründungen von Politikforderungen zu Fragen der internationalen Handelsbeziehungen herangezogenen Theorien berücksichtigt werden. 2. Zum anderen waren methodologische Mindestanforderungen an die Theorien zu stellen, die - über eine strenge ökonomische Methodik hinaus - einige Zusatzvoraussetzungen erfüllen mußten, die auch unter dem Stichwort "außermarktliche Ökonomie" diskutiert werden.! 3. Drittens mußte mit jeder Theorie eine Erklärungshypothese zur aufgeworfenen Fragestellung plausibel formulierbar sein. 4. Viertens geht es um Anschluß an die gegenwärtige Forschungsdiskussion, indem möglichst aktuelle Ausarbeitungen der Theorien herangezogen wurden. 5. Schließlich wurde darauf geachtet, nicht allzu spezialisierte und vereinzelte Weiterentwicklungen der Theorien zu untersuchen, weil bei ihnen zum einen gesicherte Erkenntnisse (als Resultat umfassender wissenschaftlicher Diskussionen) noch am wenigstens vorliegen und zum anderen, weil es plausibel ist anzunehmen, daß Politikempfehlungen regelmäßig auf theoretische Hauptströmungen aufsetzen. Da es Anspruch dieser Arbeit ist, die wissenschaftliche Absicherung der gängigen, mit ökonomischen Modellen begründeten Forderungen an die staatliche Handelspolitik (anband eines praktischen Beispiels) zu analysieren, kommt es darauf an, die gebräuchlichsten Argumentationsmuster aufzudekken, die sich auf die Ökonomik berufen. 2 Nur durch ein breites Spektrum überprüfter Theorien lassen sich zudem die im Anschluß versuchten allgemei! Zum Begriffsverständnis der "außermarktlichen Ökonomie" vgl. Frey, 1993.
2 Die gebräuchlichsten Argumentationsmuster können aus methodischen und praktischen Gründen nicht durch empirische Studien aufgedeckt werden, weshalb wesentliches Auswahlkriterium für die Theorien die wissenschaftliche Resonanz (in Literatur, auf Kongressen etc.) sein mußte, vgl. die Ausführungen S. 8, Fußnote 19.
I. Vorbemerkungen zu den Theorien
69
nen Aussagen über die Brauchbarkeit ökonomischer Methodologie für Fragen internationaler Handelsbeziehungen rechtfertigen.
2. Grundlegende Annahmen in der Ökonomik
Zum Begriff" Ökonomik". Ich spreche von (Theorien der) "Ökonomik", weil durch diese Bezeichnung von Anfang an bestimmten Mißverständnissen vorgebeugt werden kann: "Ökonomik" statt "Ökonomie" bezeichnet statt eines bestimmten Untersuchungsgegenstands eine bestimmte Art der Fragestellung. Dies entspricht einer modemen Wissenschaftsauffassung, welche Wissenschaft als Methode des Forschens begreift. 3 Mit einer solchen Festlegung ist aber einsichtig, warum mit Theorien der Ökonomik prinzipiell jede Fragestellung des menschlichen Lebens und Zusammenlebens bearbeitet werden kann4 : sie ist im Grunde eine besondere Handlungstheorie, die nach KfUlppheit und Kosten fragt. So ist beispielsweise die sogenannte "Ökonomische Theorie der Politik" eine Analyse politischer Prozesse mit einem ökonomischen Instrumentarium, gleiches gilt für die uns im folgenden ausgiebig beschäftigende "Ökonomische Theorie des Rechts". 5 Theorien der Ökonomik kommen Ld.R. mit wenigen und präzisen AnfUlhmen zur Beschreibung ihrer Modelle menschlichen Verhaltens aus. Sie entwerfen damit ein spezifisches Menschenbild. Diese Annahmen, die zusammengenommen den Unterschied zu anderen Theorien und Wissenschaftsdisziplinen ausmachen, sind v.a. die Annahme der bewußten Entscheidung (ratiofUlles Handeln, Rationalität), der Eigennutzmaximierung sowie die Annahme des methodologischen Individua-
3 In der modernen Wissenschaftstheorie dominiert die Auffassung, daß sich Einzelwissenschaften nicht nach ihrem Erkenntnisgegenstand voneinander unterscheiden, sondern nach der Art ihrer Fragestellung. Diesen Standpunkt hat schon Mises, 1949, S. 3, vertreten und ist so oder ähnlich nachzulesen u.a. bei Albert, 1979, S. 25, Dietl, 1993, S. 9 ff., Engel, 1991, S. 4, Homann, 1988, S. 113, Homann/Suchanek, 1987, S. 112, Veljanovski, 1982, S. 18, um nur einige zu nennen. 4 Diese Auffassung kulminierte, nicht zuletzt durch die Arbeiten von Becker, 1982, in dem Vorwurf eines "ökonomischen Imperialismus". Vgl. v.a. RadnitVcy/ Bemholz, 1987, sowie Brenner, 1980, Frey, 1990, Hirshleijer, 1985, Homann, 1990, S. 105 f., Homann/Suchanek, 1983, Kirchgässner, 1991, S. 138-142, und zur Beziehung zur Soziologie: Lindenberg, 1990. 5 Einen einführenden Überblick liefern Frey/Sema, 1991. Instruktiv zur Politik z.B. Pommerehne/Frey, 1979, und zum Zivilrecht: Schäfer/Ou, 1986.
70
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
lismus. Jede der in dieser Arbeit betrachteten Theorien beziehen zudem (explizit oder implizit) veränderliche Werte und Normen mit ein und berücksichtigen begrenzte individuelle Informationsfähigkeiten ("bounded rationality", "begrenzte Rationalität"). Die Annahmen im einzelnen: (1) Zweckrationalität (bewußtes Entscheiden): Ökonomische Theorie geht davon aus, daß Individuen ihre Entscheidungen bewußt und im Hinblick auf bestimmte Zwecke treffen. 6 Entscheidungen liegen jedem Handeln zugrunde. Rationales Handeln ist bewußtes Entscheiden aufgrund von kognitiven BewertungsvorgängenJ Über die Bewertungsvorgänge gibt es verschiedenste Vorstellungen. 8 Zweckrationales Handeln setzt Mittel zur Erreichung von bekannten Zwecken ein. Der Begriff der Zweckrationalität wird indes nicht einheitlich verwendet. 9 Er ist in engem Zusammenhang mit den weiteren Annahmen der Ökonomik zu interpretieren.
6 In Situationen, wo Handeln scheinbar auch ohne bewußte Entscheidung möglich ist (bei Standard-Situationen: Treppensteigen, Fahradfahren, Sprechen etc.), wird von Handlungstheoretikern regelmäßig die Hilfsannahme gemacht, daß die Handelnden gemäß einem gespeicherten und abrufbaren Wissen handeln und diesem Wissen ursprünglich (in einem Lernprozeß) eine bewußte Entscheidung zugrundelag (das gilt sinngemäß auch für die der Speicherung zugrunde liegende bewußte Entscheidung, überhaupt zu Speichern). Eine sehr interessante Ausnahme fmdet sich bei Kaulbach, 1986, der Handeln als eine Abfolge von zunächst bewußt planendem und entwerfendem Handeln entwirft, welches dann in einer zweiten - mit der vorigen "inkommensurablen" - Phase mit der Totalität der Handlungsbezüge konfrontiert wird, worauf endlich eine Phase der Identisierung mit der eigenen Handlung folgt. Diese Stückelung des Handlungsprozesses entspricht trotz all ihrer Künstlichkeit viel eher einer individuellen Erfahrung, als die Ausblendung v.a. der zweiten Handlungsphase, die mit aller philosophischen Tradition bricht und sich dennoch in den Wirtschaftswissenschaften durchsetzen konnte. Hierauf ist bei der Diskussion der Habermas' sehen Theorie zurückzukommen. 7 In der Fügung "bewußtes Entscheiden" kann nach einer strengen Auffassung bereits ein Pleonasmus vermutet werden. 8 Die populärste dürfte die Vorstellung der Prioritätenreihen sein, die es jedem Individuum ermöglicht, für jede zwei Alternativen die jeweils vorteilhaftere Entscheidung zu kennen. Auf ihr bauen auch die gängigen Nutzenkalküle der mikroökonomischen Theorie auf. 9 Die Begriffe "Rationalität" und "Zweckrationalität" werden seit den grundlegenden Arbeiten von Max Weber, 1922/85, ununterbrochen kontrovers diskutiert. Die moderne wirtschaftswissenschaftliche Form dieser Diskussion entzündet sich am Konzept der "begrenzten Rationalität".
I. Vorbemerkungen zu den Theorien
71
In der wissenschaftlichen Diskussion tauchen besonders drei Verwendungsarten des Begriffs auf: "Rationalität" kann, erstens, als methodologische Annahme verstanden werden oder, zweitens, als deskriptives Prinzip. Drittens wird "Rationalität" auch als normatives Prinzip verwendet. 10 "Rationalität" als methodologische Annahme kennt zum einen eine aprioristische Sichtweise, nach der jedes Handeln aus ökonomischer Perspektive ex definitione rational istli, und zum anderen die mit dem Namen Milton Friedman verbundene Sichtweise der "Als-üb-Hypothese" .12 Die "Als-üb-Hypothese" besagt, daß es nicht unbedingt notwendig ist endgültig sichere Erkenntnisse für die Motive menschlicher Handlungen zu besitzen, sondern es genügt, wenn sich Individuen im beobachtbaren Ergebnis so verhalten, "als ob" sie rational (oder eigennutzmaximierend, s.u.) handelten. Ein solcher "homo oeconomicus" ist ein reines Kunstprodukt, daß nicht mit der Wirklichkeit übereinzustimmen braucht. Dieses Vorgehen entlastet freilich nur scheinbar vom Begründungsdruck, nähert aber die reine (theoretische) Ökonomik wenigstens an empirische Forschungsmethodiken, v.a. die Verhaltenspsychologie, an. Mit "Rationalität" als deskriptives Prinzip verstanden, wird versucht, empirische Hypothesen aufzustellen; ein in jeder Hinsicht problematisches Unterfangen. 13 Als normatives Prinzip findet sich "Rationalität" z.B. in der Entscheidungstheorie. 14 Ein Minimalkonsens über den Begriff der Zweckrationalität in der Ökonomik besteht wohl allein darin, anzunehmen, daß zweckrational handelt,
10 Vgl. Schlicht, 1990, S. 704 ff. 11 Vgl. Mises, 1949, der - wenn auch nicht explizit - an die Tradition der deutschen Aufklärung, die mit dem Namen Immanuel Kant untrennbar verbunden ist, anknüpft. Dabei liegt m.E. jedoch eine unvollständige Interpretation Kant' scher Kategorien zugrunde, die - um es salopp zu sagen - über das Studium der "Kritik der reinen Vernunft" nicht hinaus gekommen ist. Vgl. zu dieser Sichtweise Mestmäcker, 1985/93, S. 126 ff. Zu Kant vgl. auch die Schrift von 1795: "Zum ewigen Frieden", Kant, 1991, S. 195-251. 12 Vgl. Friedman, 1953, S. 3 ff. Erklärend Homann, 1988, S. 111. Ganz ähnlich auch das Konzept der "conjectural history" , vgl. Ullmann-Margalit, 1978. 13 Problematisch ist Rationalität als deskriptives Prinzip, weil damit unterstellt wird, beobachtbare Individuen würden tatsächlich zweckrational handeln oder entscheiden. Diese Vorstellung scheitert aber schon an einer Selbstbeobachtung: jedes eigene Handeln müßte wenigstens für mich selber als rationales nachvollziehbar sein; die Frage, warum habe ich mich so und nicht anders entschieden, also immer eindeutig und vollständig beantwortbar sein. 14 Vgl. Tietzel, 1981a, S. 119 f.
72
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
wer seine verfügbaren Mittel so einsetzt, daß er sich dadurch subjektiv besser stellt. 15
(2) Eigennutzmaximierung: Mit der Annahme bewußten Entscheidens eng zusammenhängend ist die Annahme der Eigennutzmaximierung, die bedeutet, daß jeder Entscheider nicht nur rational (sich subjektiv bessersteIlend) handelt, sondern sich immer für jene Handlung entscheidet, aus der er die größten Vorteile erwartet. Diese aus handlungstheoretischer Sicht durchaus restriktiv zu nennende Annahme 16 hat ihren Niederschlag im so unscheinbaren Wirtschaftlichkeitsprinzip der Ökonomik gefunden.17 Es bedarf nur der Erwälmung, daß mit "Vorteil" jede beliebige (individuelle) Vorstellung gemeint sein kann, auch eine, die für einen Beobachter u. U. altruistisch wirkt. 18 Wir treffen im übrigen bei der Eigennutzmaximierung wissenschaftstheoretisch auf das gleiche sprachliche Problem der mehrdeutigen Begriffsverwendung , wie bei der "Rationalität", die man als methodologische, deskriptive und normative verstehen kann. Hier bedarf es keiner exakten FestIegung. Die Probleme werden bei der Diskussion der Habermas' schen Theorie aufgegriffen. (3) Methodologischer Individualismus: Für den forschenden Beobachter gilt in der Ökonomik unter allen Umständen die Annahme des methodologischen Individualismus. 19 Hierunter wird verstanden, daß neben den bewußten
15 Für Entscheidungen als Sonderfall der Handlung gilt ensprechend: rational entscheidet, wer die ihm verfügbaren Mittel so einplant, daß er erwartet, sich besserzustellen. Das Gegenteil (irrationales Handeln) heißt Altruismus. 16 Kritisch z.B. (statt vieler): Sen, 1987, S. 15-28. 17 Nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip versuchen Individuen ein vorgegebenes Ziel mit minimalem Aufwand zu realisieren bzw. bei gegebenen Aufwand eine maximale Zielerreichung zu verwirklichen. 18 Eine Vorteilsabwägung geschieht im Vergleich mit möglichen Alternativen, d.h. Individuen können beispielsweise eine Vertragsverletzung durchaus (vorher und/oder hinterher) als nachteilig einschätzen, sie aber dennoch gegenüber allen möglichen Alternativen vorziehen. Vgl. auch Homann/Suchanek, 1983, S. 77. 19 Zum methodologischen Individualismus vgl. grundlegend: Frey, 1990, S. 4 ff., Hayek, 1952a, Homann/Suchanek, 1983, S. 75 f., Kirchgässner, 1991, S. 23-27. Es ist vom "methodologischen" und nicht etwa "ontologischen" oder "normativen" Individualismus die Rede, weil es nicht darum geht zu behaupten, daß sozialen Entitäten grundsätzlich Ergebnisse individuellen Verhaltens sind, sondern es soll allein ein "heuristisches Postulat" in theoretisch fruchtbarer Weise verwendet werden, vgl. zusätzlich Blaug, 1977, S. 50 f., Koller, 1987, Lenk, 1977,35 ff.
I. Vorbemerkungen zu den Theorien
73
Entscheidungsprozessen einzelner, die sich freilich untereinander erfahren, wahrnehmen und Erwartungen in bezug aufeinander haben, keine weiteren kollektiven Realitäten existieren. 20 Nicht nur "kollektivistische Realitäten" werden hierdurch jedoch ausgeblendet, sondern auch die uralte Körper/Geistbzw. Leib/Seele-Diskussion, und zwar zugunsten eines Postulats des reinen Willens, dies auch hinsichtlich des forschenden Beobachters selbst. Der methodologische Individualismus ist kennzeichnendes Merkmal jedes ökonomischen Ansatzes. 21
Bewußtes Entscheiden, Eigennutzmaximierung und methodologischer Individualismus sind sozusagen der "methodisch harte Kern" jeder Ökonomik.
Unmittelbare Folge dieser Grundsätze ist die direkte Zurechenbarkeit jeder beobachtbaren (menschlichen) Handlung zu einem Individuum, dem mithin gesellschaftlich je die Verantwortung für sein Verhalten zugemessen werden kann. Ergänzend zum "harten Kern" der Ökonomik, und als Antwort auf die umfangreiche Kritik, die sie erfahren mußte, beziehen neuere Theorien der Ökonomik bestimmte zusätzliche Annahmen ein, wodurch sie die beobachtbaren Phänomene teilweise realitätsnäher abbilden können, allerdings nur um den Preis einer weniger strengen und schwerer handhabbaren Methodik. Diese ergänzenden Annahmen sind die "bounded rationality" sowie die Einbeziehung von Werten und Normen (sog. "Institutionen").
20 Das Gegenteil eines methodologischen Individualismus wird zumeist mit "methodologischer Kollektivismus" oder auch als "holistisches Ansatz" bezeichnet. Im Kollektivismus wird individuelles Verhalten durch das gesellschaftliche Umfeld (auch: "Zwänge") bestimmt, das Individuum befindet sich in einer (angelernten) Rolle. Grundlegend hierzu v.a. Durkheim, 1961, und Vanberg, 1975. Vgl. aber auch: Blaug, 1980, S.49, Brunner, 1987, S.375, Gäjgen/Monissen, 1978, S.134 f., Hayek, 1952, S. 15, Kirchgässner, 1991, S. 99, Lindenberg, 1990, S. 730 ff., Weise, 1990, S. 26. 21 Auch in der Soziologie gibt es eine individualistische Tradition, beginnend mit Max Weber (vgl. Albert, 1977, S. 218, Fußnote 75) über so illustre Namen wie Georges C. Romans, James Coleman, Karl Opp und Siegwart Lindenberg (vgl. Kirchgässner, 1991, S. 98 ff.). Kirchgässner, 1991, S. 100, stellt dazu indes fest, "daß die individualistisch orientierte Soziologie [00'] bei weitem (noch) nicht die dominierende Richtung darstellt". Auch Vanberg ist trotz seiner soziologischen Ursprünge heute eindeutig zu den Ökonomen zu rechnen, vgl. bereits Vanberg, 1982a. Umgekehrt gibt es auch in der Ökonomik kollektivistische Versuche, vgl. nur Hutter, 1989, Engel, 1991, S. 5, und Witt, 1988, S. 82, Fußnote 6. Bei dieser Klassifizierung wird aber m.E. die modeme Wissenschaftsauffassung zugunsten einer, eigentlich überwundenen, gegenstandsbezogenen Wissenschaftstheorie aufgegeben.
74
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
(4) Unter "bounded rationo.lity" (oft mit "begrenzte Rationalität" übersetzt) wird die Tatsache verstanden, daß Individuen Grenzen in ihrer Fähigkeit der Informationsgewinnung, -verarbeitung und -vermittlung aufweisen. Diese Formulierung entspricht leider nicht einem einheitlichen Sprachgebrauch in der Ökonomik22 , setzt sich aber zunehmend durch. 23 Das Konzept geht auf die Arbeiten des Psychologen Herbert A. Simon24 zurück und ist eine Antwort auf die Problematik, die entsteht, wenn man die Subjektivität des methodologischen Individualismus ernst nimmt und konsequent durchdenkt. Dies führt nämlich zu einer radikalen Preisgabe jedweder Annahme über intersubjektiv gleiche Handlungsweisen und damit zu dem neuen Problem, daß jede Regelmäßigkeit und Erklärungsmöglichkeit beobachtbarer Phänomene in Frage gestellt wird und somit strenggenommen die Theoriefähigkeit sozialer Prozesse. 25 Zur Überwindung dieses Dilemmas, um also trotz Berücksichtigung der Subjektivität individuellen Handelns zu Musteraussagen über Verhaltensregelmiißigkeiten zu gelangen, wird auf die Grundlagen subjektiver Entscheidungsprozesse zurückgegangen und vorgeschlagen, dort die Suche nach Regelmäßigkeiten anzusetzen. Deshalb die Bemühungen auf der
22 Vgl. Furubotn/Richter, 1994, S. 12, Priddat, 1994, S. 3 ff., sowie die Beiträge zur begrenzten Rationalität im Jahrgang 1990 der Zeitschrift Journal olInstitutional and Theoretical Economics (JITE). Extrempositionen beziehen Hart, 1990, S. 699, der das Konzept der "bounded rationality" für überflüssig hält, Schlicht, 1990, S. 716, der dem Konzept vorwirft, es vernachlässige weiterhin wesentliche Elemente realen Verhaltens sowie Langlois, 1990, S. 691 f., der (aus evolutionistischer Sicht) das Konzept grundsätzlich ablehnt, weil in ihm von einem falschen Rationalitätsverständnis ausgegangen würde. 23 Hierzu u.a. Kahnemann, 1994, S. 18 ff., und bezogen auf die Ordnungstheorie und die Neue InstitutionenökonomikLohmann, 1994, S. 7, Mummert, 1994, S. 27 ff. 24 Vgl. Simon, 1978, und schon Simon, 1961, der den Begriff des "satisficing" prägte (vgl. auch March/Simon, 1958, S.48 f.). Demnach brechen Individuen die Suche nach einer Lösung ab, wenn sie mit den gefundenen Ergebnissen bestimmte Anspruchniveaus ("aspiration levels") erfüllen können. In Weiterentwicklungen wird gezeigt, wie diese Anspruchsniveaus selbst, über sogenannte Rückkopplungsprozesse, angepaßt (und damit methodisch endogenisiert) werden (vgl. Schumann, 1992). In der (zu diskutierenden, s.u. S. 151) Neuen Institutionenökonomik sind Williamson (1975, 1985) und North (1990) die Wortführer der "bounded rationality", die indes mit ihrer vertragstheoretischen Rekonstruktion stark in die Nähe des Konzepts des "imperfect information paradigm" und den Ansätzen von Akerlol und Stiglitz (vgl. z.B. 1986, S. 257 ff.) gelangen. Dazu später mehr. 25 Vgl. Shearmur, 1992, S. 115, Witt, 1989, S. 413.
I. Vorbemerkungen zu den Theorien
75
Ebene der Informationsgewinnung, -verarbeitung und -vermittlung, wie sie in der psychologischen deskriptiven Entscheidungstheorie modelliert werden. 26 (5) Die Einbeziehung von " Institutionen " (Werte, Normen, etc.) ist methodisch der Versuch, den faktischen Gegebenheiten durch Aufgabe der restriktiven Annahme, Individuen besäßen fixe Präferenzen (Prioritäten), gerechter zu werden. 27 Im Gegenteil wird versucht (insbesondere von der Neuen Institutionenökonomik), auch der Tatsache wandelnder "Präferenzen" i. w.S. gerecht zu werden oder sie sogar zum eigentlichen Gegenstand der Untersuchung zu machen. 28 Konkret bedeutet dies, daß Institutionen i.S. normativer Regelungen und deren Entstehung, Wandel und Einfluß auf wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung betrachtet wird. 29 Damit wird der unwiderlegbaren Tatsache Rechnung getragen, daß Individuen in eine Gesellschaft hineinsozia-
26 Lohmann, 1994, S. 7, legt dar, daß als Folge dieses Vorgehens die Allgemeinheit der (wissenschaftlichen) Aussagen nicht mehr sehr hoch sein kann, da die "tatsächlich verwandten Regeln der Informationsgewinnung, -verarbeitung und Entscheidungsfmdung einerseits nicht für alle Individuen gleich sind und andererseits nach Entscheidungssituationen differieren" und kommt für die einzusetzende Methodik zu dem Schluß, daß "die Umweltbedingungen der Entscheidungssituation stärker zu berücksichtigen sind, als dies i.d.R. in den ökonomischen Standardmodellen geschieht." Als eine Vorstufe dieses Ansatzes kann übrigens der REMM ("res ourceful , evaluating, maximizing man") angesehen werden, der den traditionellen homo oeconomicus ersetzte, indem die Annahme vollständiger Information fallengelassen, aber an einem allgemeinen Nutzenkonzept festgehalten wurde (vgl. dazu Brunner, 1987, S. 370 ff., Meckling, 1976, S. 548 ff., Tietzel, 1981a, S. 125 , 137, Tietzel, 1981b, S. 218 ff.). 27 Zum Konzept der "Präferenzen" vgl. Stigler/Becker, 1977, sowie Frey, 1990. Zur Kritik des Konzepts fixer Präferenzen vgl. insbesondere: Mittelstraß, 1990, S.26-30. Zur Endogenisierung in der ökonomischen Analyse vgl. Tietzel, 1988, S. 55-64, und Elster, 1981, S. 72-78, und die dort angegebene Literatur. 28 Die Präzeptoren der Neuen Institutionenökonomik Williamson und Nonh halten die Einbeziehung von Institutionen für eine direkte Konsequenz der Annahme der "bounded rationality" (vgl. Williamson, 1975, S. 275, Nonh, 1990, S. 23). Darauf werden wir bei den Diskussionen der Theorien der Neuen Institutionenökonomik im einzelnen eingehen. 29 Daneben sieht Mummen, 1994, S. 3, den zweiten analytischen Zweig der Neuen Institutionenökonomik, der "die" Organisation, darunter insbesondere die "Unternehmung als ökonomische Institution" (vgl. Schumann, 1987, S.212) zum Gegenstand hat und sich mit der Coase'schen Frage nach "The Nature of the Firm" auseinandersetzt (vgl. Coase, 1937).
76
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonontik
lisiert werden und ständig neue Werte, Normen usw. aufnehmen, bestätigen, verwerfen o.ä. Freilich wird mit dieser - für ein realitätsnahes Theoriemodell der Wirklichkeit sehr wichtige - Zusatzannahme aus methodischer Sicht eine gefährliche Flanke geöffnet. Während "konventionelle" Ökonomik von fixen Präferenzen in sich wandelnden Umweltsituationen ausging und somit mithilfe der Nutzenmaximierungsannahme aus beobachtbaren Handlungen auf die zugrundeliegenden Präferenzen (wenigstens annähernd) methodisch sauber schließen konnte, mit den aber einmal bekannten Präferenzen die Grundlage für Prognosen über Verhalten in beschreibbaren Situationen gelegt hatte, wird durch sich wandelnde Präferenzen eine zweite (exogene) Variable eingeführt, die die Eindeutigkeit von Aussagen erschüttert. Ich werde im Rahmen der Theoriediskussionen auf diese Methodenprobleme wiederholt eingehen. Hier noch eine begriffliche Klärung vorweg, nämlich die von Lachmann eingeführte, und in der Ökonomik nach wie vor maßgebende Unterscheidung zwischen "äußeren Institutionen", v.a. geschriebenes Recht, und "inneren Institutionen" als Oberbegriff für Werte, Normen, Einstellungen, Sitten, Konventionen, Gebräuche etc. 30 Über diese (Minimal-) Annahmen hinausgehende Anforderungen (Restriktionen) sind an die Theorien nicht zu stellen. Entweder sind sie bereits in den vorliegenden Annahmen erfaßt (z.B. die "Grenzenlosigkeit menschlicher Bedürfnisse" in der selbstverständlichen Annahme der Knappheit) oder verzichtbar (z.B. die Annahme sinkenden Grenznutzens).
3. Hypothesenbildung innerhalb ausgearbeiteter Theorien
Die Fragestellungen, die mit den beschriebenen Annahmen in der Ökonomik gestellt werden, sind Fragen nach Knappheit, Kosten und Nutzen, oder wie Stiglitz-Schönjelder, 1989, S. 23, formuliert: "Die Ökonomie befaßt sich damit, wie knappe Ressourcen auf verschiedene untereinander konkurrierende Verwendungszwecke verteilt werden." Eine ökonomische Perspektive erlaubt also zunächst eine einfache Feststellung: Verträge werden geschlossen, eingehalten oder rechtlich eingeklagt, weil die jeweiligen Parteien je für sich Vorteile aus ihrem Verhalten erwarten. Parteien setzen sich bei intemationalen
30 Vgl. Lachmann, 1963. Diese in der Ökonontik im Prinzip beibehaltene Unterscheidung wurde im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik verfeinert.
I. Vorbemerkungen zu den Theorien
77
Verträgen aber aus einer Vielzahl von Individuen zusammen, die je in komplizierte Entscheidungsstrukturen und -prozesse eingebunden sind. Hier beginnt die Erklärungsarbeit. Die Erklärung, daß Individuen (Akteure, Entscheidungsträger von Vertragsparteien) Vorteile (auch Nutzen oder vermiedene Kosten) aus ihrem Handeln erwarten, ist in schlichten Vertragssituationen ohne weiteres einsichtig, man denke an einen vollentgeltlichen Austauschvertrag. Oft ist auch unschwer einsehbar, worin der erwartete höhere Nutzen des erhaltenen Tauschgutes (Geld oder Gut) für den Einzelnen liegen könnte. Internationale Verträge mit diesem Instrumentarium zu analysieren stellt sich hingegen als wesentlich komplexer heraus. Erstens sind sehr viele Akteure beteiligt, es gehen also eine Vielzahl von Nutzenvorstellungen in die Formulierungen solche Verträge ein. Zweitens sind die Vertragsgegenstände von einer Art, bei der nicht ohne weiteres einsichtig ist, worin für die einzelnen Beteiligten der jeweilige Nutzen liegen könnte. Drittens gibt es eine ganze Reihe von Problemen mit dem Begriff des internationalen Vertrags selbst, der nicht auf gleich fester Grundlage steht, wie sein Pendant in nationalen Jurisdiktionen. Die vorschnelle Folgerung, daß das ökonomische Instrumentarium sich für die Beschreibung solcher komplexer Vertragssituationen wie dem GATT oder der WTO gar nicht eignet, muß hingegen relativiert werden gegen die Aussage, daß auch in der ökonomischen Theorie eine Art der Arbeitsteilung zwischen mikroökonomischen und makroökonomischen Fragestellungen vorliegt. 31 Denn: selbst wenn es faktisch Schwierigkeiten bereitet, die komplizierten Vorgänge, z.B. während der Verhandlungen der GATT-UruguayRunde, umfassend zu beschreiben, so ist es doch theoretisch in gleicher Weise möglich, wie die Beschreibung eines einfachen Tausch- oder Kaufgeschäfts. Darin liegt eine (wenigstens) methodische Sicherheit. Diese Mikrofundierung (die aus der als grundlegend eingeführten Individualismusannahme herrührt) muß ökonomische Analyse je befahigen, ihre Modelle bis auf individuelle Kosten-/Nutzen-Abwägungen niederzubrechen. Das wiederum führt zu einer unmäßigen "Ausweitung" jeder Theorie, die in ihren Verästelungen kaum noch überschaubar bleiben könnte. Zumindest für übergeordnete Fragestellungen, wie sie in dieser Arbeit untersucht werden, würde eine Zurückverfol31 Diese Mikrofundierung der Makroökonomik wird von einigen Wissenschaftlern abgelehnt. Sie ist auch in der Soziologie von ungebrochener Aktualität, vgl. Alexander et al., 1987, Hechter, 1983. Die Problematik nimmt auch in dieser Arbeit einen zentralen Platz ein.
78
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik:
gung bis auf jede Einzelheit der mikroökonomischen Nutzenvorstellungen zu ausufernden Modellen führen. Die praktischen Probleme der Fragestellung können somit, wenn überhaupt, nur unter Zuhilfenahme bereits existierender und anerkannter Theorieansätze bewältigt werden. Solche Theoriegebäude liegen in der Ökonomik vor. Ihre Erklärungskraft kann u. U. für Fragen internationaler Verträge und deren Beachtung aktiviert werden. Wir gehen deshalb den Weg, den bereits ausgearbeite Theorien durch dieses Dickicht bahnen - nicht immer ohne Schlingen und Angeln, wie sich herausstellen wird. Die hier ausgewählten Theorien, die sich alle in einer dynamischen Forschungsdiskussion befinden, haben sich den grundlegenden Fundierungsproblemen stellen müssen. Sie werden ausgiebig und kontrovers diskutiert, ihre Verwendung kann die Gefahr von groben Vernachlässigungen verringern. Zudem sind sie alle insofern modern, als sie über einfache Gleichgewichtsmodelle hinausgehen und subjektivistisch-individualistisch verankert sind. (Neo-) Klassische Außenhandelstheorie erfüllt die Bedingung des methodologischen Individualismus hingegen nicht. lhre Gleichgewichtsmodelle basieren v.a. auf den drei problematischen Annalunen: (1) Aggregation individueller Daten (Nutzen, Kosten32 etc.), (2) Vernachlässigung von Werten, Normen und Institutionen, indem von Märkten ausgegangen wird, in denen diese Institutionen stabil sind. 33 Die Annahme (3) relativ fixer Präferenzen vernachlässigt Lernverhalten. Zudem muß auch inhaltlich als äußerst fraglich gelten, ob Erkenntnisse neoklassischer Außenhandelstheorie entscheidungsleitend für internationale Entscheidungsträger sein können, wo doch der praktizierte "abgewandelte Merkantilismus" allen ihren Erkenntnissen diametral entgegensteht.
32 Der Kostenbegriff wird unter Ökonomen übereinstimmend LS.v. Opportunitätskosten begriffen. Dagegen wird die Unterscheidung zwischen objektivistischer und subjektivistischer Interpretation (Buchanan, 1969) häufig vernachlässigt. Vgl. hierzu: De AlessilStaaj, 1989, Vaughn, 1979, sowie Schmidtchen, 1993 und Baumann, 1993, S. 230 ff. Mit der Annahme des methodologischen Individualismus ist nur der subjektive Kostenbegriff vereinbar. Neoklassische Wohlfahrtsökonomie macht diese Unterscheidung nicht, vgl. Buchanan, 1969, S. 49 f. 33 Vgl. zu dieser Vernachlässigung North, 1993, S. 159, FurubotnlRichter, 1994, S. 2. Zur Kritik neoklassischer Annahmen grundlegend Berg/Cassel, 1990, S. 185 ff., Hoppmann, 1988, S. 285. Aus systemtheoretischer Sicht Röpke, 1977, S. 15 ff.
11. "Standard-Theorie"
79
Ich habe versucht, alle entscheidenden Theorien der Ökonomik, die diese Bedingungen erfüllen, zu berücksichtigen, so daß als Ergebnis Aussagen über "die Ökonomik" möglich werden. Das Vorgehen wird nun sein, die in der Theorie formulierten Hypothesen an den Realitäten im GATT zu prüfen. Dazu wird zuerst die Theorie in ihren Grundzügen dargestellt, um die Einbindung der Hypothese herauszustellen. Nachfolgend unterziehen ich jede Theorie einer Dogmenkritik - einer Kritik ihrer inneren Konsistenz und der problematischen Voraussetzungen. Anschließend folgt die Untersuchung, wie gut die aufgestellte GATT-bezügliche Hypothese begründet werden kann. Jede Begründung muß an den tatsächlichen Erfahrungen und Beobachtungen mit dem GATT ansetzen. Im Ergebnis kann nach den spezifischen Verhältnissen verschiedener Staaten, bzw. besonderen Umständen verschiedener Einscheidungskonstellationen differenziert und ggf. einzeln auf sie eingegangen werden. Bereits an dieser Stelle eine Übersicht über die jeweils im Rahmen der Theorie aufgestellten und zu untersuchenden Hypothesen, die ich - stark vereinfachend - in die Bereiche klassische Polit-Ökonomik, verjassungsorientierer Neoliberalismus und Neue Institutionenökonomik einteile (siehe Tabelle 1).
11. "Standard-Theorie" Ich bezeichne im folgenden als "Standard-Theorie" eine hier vorgenommene Zusammenfassung verschiedener ökonomischer Theorien, die zusammen zu einer Hypothese für hiesige Fragestellung verdichtet werden können. Es handelt sich bei den Einzelteilen um die ökonomische Theorie des Rechts (Eigentumsrechte), um Teile der Finanzwissenschaft (Rechtfertigung von Staatstätigkeit), sowie die Spieltheorie (Gefangenendilemma), jedoch nur am Rande um Wohlfahrtsökonomik. 34
34 In der (klassischen) Wohlfahrtsökonomik werden Untersuchungen der Wirtschaft unter dem Aspekt der Wohlfahrtsmaximierung einzelner Individuen oder von Gruppen so durchgeführt, daß die Wohlstandsvorstellungen als Nutzen- und Wertvorstellungen einzelner Individuen zu sogenannten Wohlfahrtsfunktionen gebündelt und forrnalrnathematisch nach einern Optimum, meist dem Pareto-Optimum, aufgelöst werden, um damit bestimmte wünschenswerte Wirtschaftskonstellationen zu beschreiben. Klassische Wohlfahrtsökonomik erlaubt es, wegen der Bündelung von Einzelinteressen zu Gruppeninteressen, Aussagen über Kosten und Nutzen von Gütern zu machen, deren Produktion in kollektiven Entscheidungsprozessen beschlossen werden, verletzt damit jedoch die Annahme des methodologischen Individualismus.
80
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik Tabelle 1: Übersicht über die zu prüfenden Theorien und Hypothesen
TheorieBezeichnung Ansätze der klassischen PolitÖkonomik: "Standard-Theorie .. Hegemon- und Dominanztheorie Neue Politische Ökonomie (Olson und Public Choice) Ansätze eines verfassungsorientierten Neoliberalismus : Okonomische Theorie der Verfassung nach Buchanan Ordnungstheorie (Eucken, Hayek, Böhm u.a.)
Zu prüfende Hypothese Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die Kosten des Verzichts, weil •.• ... die Rechtsdurchsetzung ein Kollektivkapitalgut ist, zu dessen Bereitstellung sich einzelne Staaten wegen der hohen Kosten nicht bereitfinden . ... ein internationaler Hegemon (Machtstaat) für jene rechtlichen Durchsetzungsversuche, die er nicht billigt, glaubhaft mit Sanktionen droht. ... die innenpolitischen "Rechtfertigungskosten" gegenüber nationalen Interessengruppen hoch angesetzt werden. Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die Kosten des Verzichts, weil...
... das GATI, als ein "Abrüstung" ermöglichender Verfassungsvertrag, durch rechtliche Durchsetzungsversuche gefährdet werden könnte. ... das GATI als Analogon eines internationalen Ordnungsstaats gesehen wird, der durch rechtliche Durchsetzungsversuche stärker gefährdet wird, als durch Vertragsverletzungen und -umgehungen . Wettbewerb der .. . nationale Entscheidungsträger annehmen, daß rechtliche InstitutioneniSystem- Durchsetzungsversuche internationaler Handelsregeln im Sinne eines negativen Standortfaktors abschreckend auf wettbewerb Investoren wirken. Ansätze der Neuen Die erwarteten Kosten rechtlicher DurchsetzungsInstitutionenökonoversuche sind höher als die Kosten des Verzichts, weil ••• mik: ... die Transaktions- und Informationskosten, die von den Transaktions- und Informationskosten- Akteuren aufzuwenden sind, um die Folgen rechtlicher ökonomik Durchsetzungsversuche im vorhinein abzuschätzen, sehr hoch scheinen . Prinzipal-Agent... weil internationale Entscheidungsträger ihren Informationsvorsprung in einer Weise ausbauen wollen, daß mögTheorie lichst wenig "Öffentlichkeit" Einsicht in ihre Entscheidungsgrundlagen haben kann, was durch Rechtsverfahren relativ schlecht realisierbar ist. Reputationstheorie ... durch rechtliche Durchsetzungsversuche (besonders deren Scheitern) Reputationsverluste befürchtet werden.
11. "Standard-Theorie"
81
Am Beginn jeder der kommenden Theorieerörterungen formuliere ich die zu prüfende Hypothese. Sie lautet für die "Standard-Theorie": Hypothese: Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche der internationalen GAIT-Handelsregeln werden höher eingeschätzt als die eines Verzichts, weil die Rechtsdurchsetzung ein Kollektivkapitalgut ist, zu dessen Bereitstellung sich einzelne Staaten wegen der hohen Kosten nicht bereitjinden.
Zur Beurteilung der Aussagefähigkeit und Erklärungskraft der aufgestellten Hypothese werden im folgenden zunächst (1) die wesentlichen Grundlagen der " Standard-Theorie " in Bezug auf internationale Handelsprobleme dargestellt und (2) kritisiert. Anschließend kann (3) bestimmt werden, für welche Anwendungsbereiche diese Theorie zu brauchbaren Erkenntnissen führen kann.
1. Strategisches Spiel um gefährdete Eigentumsrechte im internationalen Handel
Knappheit und Kosten als zentrale Begriffe jeder Ökonomik und Ausdruck individueller Nutzenvorstellungen lassen sich direkt in die Theorie der Eigentumsrechte transformieren. Deshalb ist auf die Problematik der Eigentumsrechte im internationalen Handel ausführlich einzugehen. Zu bestimmen sei anfangs (a) der Begriff der Eigentumsrechte, um anschließend (b) den Zusammenhang mit internationalen Handelsaspekten vorzustellen und (c) die internationalen Handelsregeln des GATT vor dieser Analysefolie zu interpretieren.
a) Eigentumsrechte, Externe Effekte und Kollektivkapitalgüter "Eigentumsrechte" sei hier als Oberbegriff für Eigentums-, Handlungs-, Verfügungs- oder Nutzungsrechte ("Property Rights")35 genommen. Der ursprüngliche Begriff der Property Rights wurde durch die Sicht begründet, daß nicht der Güteraustausch den zentralen Untersuchungsgegenstand der (ökonomischen) Analyse bildet, sondern die mit ihm verbunden und teils zeitlich vorgelagerten Übertragungen von Rechten an diesen (materiellen und
35 Vgl. Schüller, 1988, S. ISS, Streit, 1991, S.209; grundlegend: Furubotn u. Pejovich, 1972. 7 Kopke
82
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
immateriellen) Gütern. 36 Eigentumsrechte (auch "Handlungsrechte" , da Eigentum gemeinhin als Verfügungsrecht über Güter, also als Handlungsrecht definiert wird) stellen das Bindeglied dar zwischen einer ökonomischen Logik, die nach Knappheit und Kosten (oder Nutzen) fragt und einer rechtlichen Sichtweise, für die Ansprüche (Rechte und Pflichten) und Verträge die kennzeichnenden Begriffe sind. 37 Mit Verträgen werden Eigentumsrechte ausgetauscht und mitunter auch spezifiziert. Der Begriff des "Vertrags" kann dabei entweder so weit gefaßt werden, daß er politische Entscheidungsprozesse als Sonderfall umgreift, oder es kann - enger - eine begriffliche Trennung zwischen "Vertrag" und "Mandat" vorgenommen werden. Letztere Differenzierung kann eng angelehnt an die rechtliche Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht angelegt werden. 38 Die Differenzierung zwischen "Vertrag" und "Mandat" erlaubt es, die übliche Trennung zwischen den Ebenen Privatrecht, Staatsrecht und Völkerrecht nachzuvollziehen, die auch in dieser Arbeit maßgeblich ist. Dabei zielt die Unterscheidung einerseits auf die Adressaten des Rechts (natürliche Personen, juristische Personen, Völkerrechtssubjekte) ab, andererseits auf die Entstehung des Rechts (unter Privaten, zwischen Privaten und Hoheitsträgern oder unter Hoheitsträgern). Dieses gesamte Problemfeld läßt sich aus dem Blickwinkel der Eigentumsrechte so betrachten, daß in Verträgen und politischen Entscheidungprozessen 36 Vgl. zu Property Rights-Theorie: Borchardt, 1977, S. 140 ff., DeAlessi, 1983, S. 64 ff., Gäfgen, 1984, S. 48 ff., Homann, 1989, S. 37 ff., Hutter, 1979, Leipold, 1978, S. 518 ff., Meyer, 1983, S. 144 ff., PicotlDietl, 1990, S. 192 ff., Schüller, 1983, Vanberg, 1982b, S. 65 ff. Auf den Aspekt der "Rahmenfestlegungen", durch die zuerst die Bedingungen für den Austausch von Eigentumsrechten festgelegt werden, kommen ich insbesondere bei der Diskussion der Neuen Institutionenökonomik (Kapitel VIII, S. 151 ff.) zurück. Vgl. hier schon Tietzel, 1981, S. 214. 37 Die Analyse von Eigentumsrechten ennöglicht auch die Einbeziehungen von sich wandelnden Institutionen, Werten und Nonnen. Geschieht diese Wandlung nicht per Vertrag, sondern als Umweltbedingung, sozusagen von außen, so befindet man sich bereits im Methodenbereich der Neuen Institutionenökonomik, welche "Institutionenwandel" endogenisert. Dies wird ausführlich in drei Theorien der Neuen Institutionenökonomik untersucht werden (S. 151 ff.). 38 In Abgrenzung zum Privatrecht ist das öffentliche Recht das Sonderrecht für Hoheitsträger. Die Einteilung ist in der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise für die gesamte Gerichtsbarkeit maßgeblich. Öffentliches Recht regelt - etwas ungenau gesprochen - die Beziehungen von Hoheitsträgern untereinander und gegenüber Privaten, wenn sie in ihrer Funktion als Hoheitsträger auftreten (was bei einem staatlichen Beschaffungsauftrag beispielsweise nicht der Fall sein muß).
II. "Standard-Theorie"
83
spezifische Eigentumsrechte ausgetauscht oder spezifiziert (definiert) werden, allerdings mit dem besonderen Charakteristikum, daß Hoheitsträger (in Ausübung ihres Mandats) Eigentumsrechte für andere, dritte (natürliche) Personen, austauschen und spezifizieren. Die Ökonomik befaßt sich - pauschal gesprochen - mit allen jenen Fragen, die mit der Zuordnung von Eigentumsrechten und den daraus erwachsenden Konsequenzen zusammenhängen unter dem Aspekt der Knapppheit und der Kosten dieser Handlungen. Den Kosten gegenüber stehen individuelle Nutzenvorstellungen. Demgemäß konkurrieren Rechtssubjekte um die knappen Eigentumsrechte und ihre Nutzenvorstellungen bedeuten für sie (Opportunitäts-) Kosten ihrer Handlungen und Entscheidungen für das eine oder andere Eigentumsrecht (bzw. die besondere Ausgestaltung, Definition, des einen oder anderen Handlungs- und Eigentumsrechts). Wie die vielfältigen Eigentumsrechte faktisch zugeordnet werden (per freiwilligen Vertrag oder befristetes, auch z.B. inhaltlich gebundenes Mandat, mit allen ihren Sonder- und Unterformen) ist kennzeichnend für das jeweilige Gesellschaftssystem. Es wird geprägt von den Rahmenbedingungen, die für den Güteraustausch gelten. Eine Auseinandersetzung mit den Einzelheiten der Systematisierung und den verschiedenen Taxonomien erscheint hier entbehrlich. Erkenntlich sein muß, daß es Eigentumsrechte sind, mit denen die wesentlichen Ausprägungen gesellschaftlichen Zusammenlebens beschrieben werden und daß zum einen Eigentumsrechte an Gütern getauscht werden können (durch Verträge o.ä.), zum anderen die Rahmenbedingungen (oft auch als Eigentumsrechte) definiert und festgelegt sein müssen (z.B. Vertragsrecht). 39 Schließlich werden wiederum über diese Rahmenbedingungen (die i. w. S. auch Eigentumsrechte auf einer höheren Stufe sind) selbst Bestimmungen und Regeln vereinbart (Verfassungsrecht, Grundrechte, etc.). Insbesondere die höheren Ebenen der Festlegung und Bestimmung von Eigentumsrechten sollen uns im folgenden weiter beschäftigen. Denn bei dieser Aufgabe tritt regelmäßig hoheitliches Handeln in den Vordergrund. Festlegung und Bestimmung von Eigentumsrechten umfaßt ein weites Untersuchungsfeld und ist bereits vom materiellen Gehalt her nicht trivial: In den
39 Ökonomische Analyse endet meist auf dieser Differenzierungsstufe zwischen Austausch von Eigentumsrechten an Gütern ("institutional arrangement") und Festlegung der Rahmenbedingungen ("institutional environment", z.B. Wirtschaftsordnung), vgl. Tietzel, 1981b, S. 214.
84
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
meisten Gesellschaften kann z.B. Grund und Boden in Privatbesitz sein, Luft aber nicht. An Menschen werden seit langem keine Eigentumsrechte mehr vergeben, wohl aber an Tieren. Viele Gesellschaften kennen Eigentum an Ideen, Erfindungen und weitere Immaterialgüterrechte sowie (Eigentums-) Rechte auf Privatsphäre, usw. Schließlich legen auch Menschenrechte bestimmte Eigentumsverhältnisse fest, z.B. die Unversehrtheit des Körpers, bestimmte Persönlichkeitsrechte, etc. Das kann soweit gehen, daß gesellschaftlich an jeden Einzelnen sogar Verbote ausgesprochen werden, sich seiner Rechte zu entledigen (z.B. die unveräußerliche Würde des Menschen). Nicht alle diese Rechte sind auch formal kodifiziert und gelten dennoch. Es gibt in allen Gesellschaften eine Vielzahl von einzuhaltenden Werten und Normen, deren Charakter als Eigentumsrechte oft erst hervortritt, wenn sie in einen Rechtsstreit rechtserheblich einfließen. Auf internationaler Ebene sind alle diese Festlegungen nicht überall gleichermaßen zutreffend oder verbindlich. Gerade im internationalen Handel treten viele Probleme mangelnder Spezifizierung von Eigentumsrechten offen zutage. 40 Neben der Erkenntnis, daß in einigen Staaten die Festlegung (Definition) von Eigentumsrechten einen hohen Organisationsgrad erreicht hat, in anderen dagegen nicht, stehen aber noch weit gravierendere Probleme zur Erörterung, die bereits im nationalen Rahmen erhebliche Begründungsprobleme bereiten. Sie werden von Ökonomen häufig unter dem Schlagwort "Marktversagen" diskutiert und stehen für die einfache Tatsache, daß (1) für bestimmte Güter die Defintion von Eigentumsrechten de facto so gut wie unmöglich ist, oder unüberschaubare Folgen hätte, weil (2) die Ausübung von Eigentumsrechten mit den Eigentumsrechten anderer in erhebliche Konflikte geraten können (externe Effekte) und daß (3) die (politischen) Veljahren zur Festlegung von Eigentumsrechten erhebliches gesellschaftliches Konfliktpo40 So beispielsweise als in den GATI-Uruguay-Verhandlungen von den westlichen Industriestaaten nach Rechtfertigungen für ihre Forderungen gesucht werden mußte, daß Immaterialgüterrechte (patente, Markenzeichen usf.) auch in Schwellen- und Entwicklungsländrn geachtet und geschützt werden müßten, daß Patentfristen gerade 5 oder 12 Jahre andauern müssen und eine hoheitliche Durchsetzung geboten sei. So ist es bezeichnend, daß die Diskussion um Immaterialgüterrechte in den doch sonst so "erfolgreichen" GATI-Uruguay-Verhandlungen zu keinen substanziellen Verhandlungs-Ergebnissen gelangen konnte. Könnte es also auch an der schwachen Argumentationsbasis gelegen haben, welche kaum mehr theoretischen Rückhalt kannte, als eine kulturindifferente Wachstumsökonomie, die noch vor jeder Analyse Rückständigkeit diagnostizieren konnte?
11. "Standard-Theorie"
85
tential in sich bergen. Schließlich gehört zum "Marktversagen" ebenso, daß (4) bestimmte gesellschaftliche Güter wegen unvollständiger Defintion von Eigentumsrechten nicht privat hergestellt werden, so daß "der Staat" bemüht wird (öffentliche Güter und Kollektivkapitalgüter). 41 Diese Aspekte sollen zunächst für den nationalen Rahmen kurz angerissen werden, um später die noch verschärfte Problematik auf internationaler Ebene ins Auge zu fassen. (1) Unspezifizierte Eigentumsrechte: Für bestimmte Güter bestehen keine Eigentumsrechte. Sie sind deshalb nicht tauschbar. Inwieweit dieser Sachverhalt auf eine technische Unmöglichkeit zurückzuführen ist (z.B. Luft, da sie wegen ihrer ständigen Bewegung unmöglich parzelliert werden kann), oder auf die einfache Tatsache, daß ein Tausch gesellschaftlich nicht erwünscht ist (z.B. Drogen, Sittengesetze), bedürfte einer eigenen Diskussion. Letztlich geht es immer um die Frage: Was kann Eigentum von Einzelnen sein, was nicht? Wie wäre in diesem Zusammenhang z.B. das Eigentum an Flüssen zu beurteilen, oder an Weltmeeren oder ihren Ressourcen?42
(2) Unzulängliche Internalisierung Externer Effekte: Nicht nur, daß für bestimmte Güter die Festlegung von Eigentumsrechten problematisch, ungewohnt oder ausgeschlossen ist. Außerdem kann die Benutzung des Eigentums (die freie Verfügung über den "Gegenstand") zu derartigen Folgewirkungen auf die Mitmenschen führen, daß entweder wegen des Ausmaßes der Verursacher keinesfalls Schadensersatz zu leisten in der Lage wäre, oder die Einwirkungen auf andere mit einem Folgeaufwand an Gegenmaßnahmen, rechtlichen Schritten usw. verbunden wäre, der die ursprüngliche Nutzung (i.S. eines Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes) vollkommen in Frage stellt. Man nennt diese Auswirkungen "externe Effekte"43. In solchen Fällen kann die Verfügung über das Eigentum und seine Ausübung nicht in das freie Belieben Einzelner gestellt werden, sondern bedarf einer gesellschaftlichen Regelung, wenn sozialer Unfriede nicht eskalieren soll. Wegen der teilweise engen Be-
41 StiglitZ-Schönfelder, 1989, S. 214 ff., identifizieren z.B. genau drei Gründe für eine berechtigte Staats intervention: (1) Externe Effekten, (2) Öffentliche Güter, und (3) zur Transaktionskostensenkung, wenn die Struktur von Eigentumsrechten (Verfügungsrechten) ineffizient ist.
42 Gerade im Bereich der Fischerei treten trotz vielfacher Meereskonventionen und bi- und multilateraler Abkommen regelmäßig beachtliche Handelskonflikte auf. 43 Zur Definition "externer Effekte" vgl. einführend Stiglitz-Schönfelder, 1989, S. 208 f.
86
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
ziehungen zwischen der Massierung von Eigentumsrechten und der Konzentration von (politischer) Macht in den Händen Einzelner sowie möglicher "Unabhängigkeitsverluste" als unvermeidliche Folge, kann es auch nicht gleichgültig sein, wie die Eigentumsrechte in concreto verteilt sind (daß z.B. nur einem einzigen alle Seen und Flüsse eines Landes gehören). Die Lösungen der Ökonomik für solche Probleme verschreiben regelmäßig die Internalisierung externen Effekte, d.h. die Verursacher müssen vollständig für die entstandenen Schäden aufkommen. Dies scheitert aber regelmäßig an der unvollständigen Festlegung von Eigentumsrechten: Wie hoch ist denn der Freizeitverlust eines potentiellen Alaska-Urlaubers zu bewerten, der wegen der Gefahr, einsame, aber ölschimmernde Strände nach einer Tankerkatastrophe vorzufinden, seine Urlaubspläne ändert? Gerade für Umweltprobleme offenbart sich die Relevanz unspezifizierter Eigentumsrechte deutlich.
(3) Konjliktträchige Politikprozesse zur Festlegung von Eigentumsrechten:
Wie und nach welchen Kriterien wird für alle jene Bereiche, für die bisher keine Eigentumsrechte oder nur unvollständig definiert waren, eine ZuordnungIVerteilung vorgenommen? Dabei muß man nicht nur an das zu verteilende Aktien- oder Vouchervermögen privatisierter Staatsbetrieben in Mittelund Osteuropa denken, sondern auch an die Einbeziehung von z.B. Gleichberechtigungsaspekten in die nationale Gesetzgebung. Hier existieren offensichtlich keine "Patentlösungen". Während in westlichen Demokratien die Vorstellung dominieren dürfte, daß per rechtlicher Verfahren die wichtigsten dieser Zuordnungsprobleme im Wege der ordentlichen Gesetzgebung etc. geregelt sind oder werden können, ergeben sich selbst hier immer wieder neue Fälle, wo Konfliktpotentiale aufgedeckt werden (z.B. im Bereich der Datenschutz- oder Handelsmarken-Gesetzgebung im Computer-Software-Bereich; bei Bananenimporten). Auch dieses Problemfeld kann hier nur durch einige Stichworte anplausibilisiert werden, um auf Probleme des ökonomischen Konzepts der Eigentumsrechte kursorisch hinzuweisen. Wie zu erkennen ist, lassen sich gerade aus den Bereichen Umweltschutz und Soziales beliebige Beispiele für schwierige oder unmögliche Festlegungen von Eigentumsrechten herbeizitieren, bei denen die externen Effekte nicht internalisiert werden können und zu politisch schwierig zu begründenden Entscheidungen führen. Über diese Fälle hinaus existiert das Problem, daß sich niemand bereitfindet, die zur Produktion, zum Erhalt oder zum Erwerb bestimmter Güter notwendigen Ressourcen aufzubringen, obwohl einer Vergabe von Eigentumsrechten gesellschaftlich nichts im Wege steht. Man bezeichnet diese Güter als:
11. ..Standard-Theorie"
87
(4) Öffentliche Güter und Kollektivkapitalgüter: Reine "öffentliche Güter" werden im allgemeinen durch Nicht-Ausschließbarkeit auf der Angebotsseite und Nicht-Rivalität auf der Nachfrageseite charakterisiert. Als Extrembeispiele solcher Güter werden immer wieder Leuchttürme und die Landesverteidigung genannt. Als Kollektivkapitalgut wird ein öffentliches Gut dann bezeichnet, wenn die Leistungsabgabe des Gutes sich über einen langen Zeitraum erstreckt bzw. sich im Zeitablauf sogar noch vergrößert. Insbesondere mit den Mitteln der Spieltheorie und der Public-Choice-Schule wurde eine ökonomische Modellierung als sogenanntes Gefangenendilemma (PD: "Prisoner's Dilemma") für diese Phänomene unternommen,44 insbesondere auch im Rahmen der sogenannten Trittbrettfahrerproblematik, die auch im internationalen Maßstab existiert (s.u.). Öffentliche und Kollektivkapitalgüter stellen zusammen mit externen Effekten die Hauptrechtfertigungsargumente von Ökonomen dar für die Notwendigkeit eines mit Zwangsgewalt ausgerüsteten Staates. Ein besonderes dieser Kollektivkapitalgüter ist auch die Rechtsordnung45 , für welche aufzukommen man sich in westlichen Demokratien allgemein angewöhnt hat, den Staat vorzusehen. Mit dem Hinweis, daß auch eine internationale Rechtsordnung als ein solches Kollektivkapitalgut analysiert werden kann, wenden wir uns den vielfältigen Problemen auf internationaler Ebene zu.
b) Gefahrdung durch externe Effekte und Staatstätigkeit Problemfelder, die bereits im nationalen Rahmen theoretisch schwer faßbar sind - als Beispiele wurden Umwelt und Soziales, sowie allgemein Öffentliche- und Kollektivkapitalgüter genannt -, werden international zum Prüfstein der Leistungsfähigkeit der internationalen Ordnung. Die Definition und Festlegung von Eigentumsrechten stellt sich in einer international äußerst heterogenen Staatengemeinschaft als kaum zu bewältigende Koordinationsaufgabe heraus. Dabei treten insbesondere drei Problemkreise in den Vordergrund: (1) die durch einzelne Wirtschaftssubjekte hervorgerufenen externen Effekte, (2) die wachsende Interdependenz in der Staatengemeinschaft, die tendenziell jede innerstaatliche (Regierungs-) Maßnahme in die eigene Wirtschaft zu
44 Vgl. Voigt, 1992, S. 43 ff. 45 Buchanan, 1975, S. 107 ff., interpretierte Recht bereits vor über 20 Jahren als öffentliches Kapitalgut.
88
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
einem außenwirtschaftlich bedeutungsvollen Akt macht, es geht also um die externen Effekte von Binnenwirtschaftspolitik und (3) das Auftreten des Nationalstaats als Produzent und Konkurrent im internationalen Handel. Diese drei Problemkreise stehen zudem in einem engen gegenseitigen Wechselspiel, daß hier nur angedeutet wird.
(1) Externe Effekte durch Private: Externe Effekte durch private Wirtschaftssubjekte sind immer dann bedeutungsvoll für andere Länder, wenn ihre privatwirtschaftlichen Entscheidungen einschneidende Auswirkungen auf die Eigentumsrechte der nationalen Wirtschaftssubjekte haben oder sogar in Politikprozesse eingreifen können. Diese Diskussion wird i.d.R. unter den Überschriften der Marktmacht von multinationalen Konzernen (transnationalen Unternehmen46 und Kartellen oder Monopolen) geführt. Deren Einfluß kann, nicht nur in kleineren Nationalstaaten, bedenkliche Stärke annehmen und damit Souveränität aushöhlen. Hinweise auf diese Diskussion, die inzwischen zur Forderung an das GATT geführt hat, Wettbewerbsregeln für Private mit aufzunehmen, müssen hier genügen. 47 Offensichtlich wird in dieser Frage weltweiter Koordinationsbedarf als vordringlich angesehen.
(2) Weltweite externe Effekte binnenwirtschaftlicher Maßnahmen des Staates: Wegen der starken internationalen Interdependenz48 ist generell jede staatliche Maßnahme mit Auswirkungen nicht nur auf die Eigentumsrechte der heimischen Wirtschaftssubjekte verbunden, sondern beeinflußt immer auch die Eigentumsrechte ausländischer Wirtschaftssubjekte: Man spricht von sogenannten "pecuniary external effects"49 innerstaatlicher Wirtschaftspolitik. Besonders deutlich werden diese externen Effekte im Falle von Protektionis-
46 Der Einfluß transnationaler Unternehmen auf Regierungen kleinerer Länder ist beträchtlich. Ihre Einflußnahmen sind geeignet, makroökonomische Effekte hervorzubringen (vgl. Carreau/ Flory/Juillard, 1990, S. 50). Als Beispiele führen sie die die Euromärkte sowie die "Seven Sisters" mit ihrem Lex petrolia an. V gl. zudem Christians, 1990, S. 162 f., bezogen auf Immaterialgüterrechte. 47 Vgl. Blackhurst, 1994; Fikentscher, 1994; Hauser/Schöne, 1994; Jackson, 1994; Messerlin, 1994, Petersmann, 1994a, 1994b, 1994c, Senti, 1994. 48 Die wachsende Interdependenz besteht v.a. im prozentual zunehmenden Außenhandelsanteil vieler Wirtschaften und in der Abhängigkeit von strategischen Importen (Energie) oder auch Exportabhängigkeit (Rohstoffe). Vgl. auch Mestmäcker, 1985/93, S. 122 f. 49 Streit und Voigt, 1993: 45.
11. "Standard-Theorie"
89
mus. 50 Die Folge ist, daß die Regierungen fremder Staaten in die Eigentumsrechte der Wirtschaftssubjekte anderer Staaten eingreifen und damit den völkerrechtlichen Begriff der (innerstaatlichen) Souveränität aushöhlen. Dies umso mehr, als der Eigentumsschutz und die Festlegung einer Eigentumsordnung vorrangige Aufgabe jedes Staates ist, die also durch die Akte anderer Staatsregierungen gefahrdet werden kann. Problematisch werden diese Eingriffe aus zwei Aspekten: Erstens, wenn in verschiedenen Staaten verschiedene Festlegungen für Eigentumsrechte vorherrschen, es also durch ausländische Staatseingriffe zu Strukturverschiebungen kommt, die in nationaler Jurisdiktion unrechtmäßig wären. Zweitens aber, wenn dem Staat überhaupt die Zuständigkeit für bestimmte Bereiche der Eigentumsfestlegung abgesprochen werden, wie dies regelmäßig aus marktwirtschaftlicher Sicht geschieht. Reine Marktwirtschaft erfordert nämlich eine äußerste Zurückhaltung jeglicher Staatsintervention, die, schon binnenwirtschaftlich unerwünscht, durch andere Nationalregierungen verursacht geradezu unerträglich ist. Insbesondere Sozial- und jede sonstige Umverteilungspolitik, die nicht Ergebnis marktmäßiger Prozesse ist, erscheint aus dieser Sicht als unzulässiger Eingriff mit Folgen auch auf fremde Staaten und deren Wirtschaftssubjekte. Deshalb ist aus marktprozeßtheoretischer Sicht auch vollkommen klar, daß solche Umverteilungspolitik nach außen abgesichert werden muß, um zu greifen. Das beginnt mit der Einschränkung der Freizügigkeit und dehnt sich auf alle weiteren Wirtschaftsfaktoren aus, meist in Form eines versteckten Protektionismus. 51 Es erscheint sinnlos, schon hier in die ausgiebige Debatte über Vor- und Nachteile staatlicher Interventionen einzugehen. Erstens ist von den bestehenden Eigentumsordnungen auszugehen, zweitens ist jede Aufrechnung von Nutzen und Kosten mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden und im Sinne eines wohlverstandenen methodologischen Individualismus ohnehin nicht möglich. Drittens wird diese Aufgabe bei der Diskussion der Ordnungs50 Auf diesen Zusammenhang weist u.a. schon Tumlir, 1979, hin. In dieser Weise äußern sich insbesondere GATT-Vertreter, z.B. Blackhurst, 1994: 227, 229; Sutherland, 1994: 4.
51 Vanberg, 1992, behauptet, Protektion sei eigentlich eine rein nationalstaatliche Angelegenheit zwischen den Bürgern und ihren Regierungen, da er vornehmlich den Interessen der eigenen Bevölkerung schade. Dabei geht er aber offensichtlich von vollkommen souveränen Nationalstaaten und der Vorstellung einer verwirklichbaren reinen Marktwirtschaft aus.
90
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
theorie erneut zu stellen sein und viertens wird die ganze Problematik noch durch folgendes wichtige Faktum verschärft:
(3) Regierungen als Produzenten und Konkurrenten im internationalen Handel: Regierungen treten nicht nur als Anbieter von Produkten wie "Sozialstaatlichkeit" und "Infrastruktur" auf (die genaugenommen in jede Debatte über staatliche Förderungspolitik, neben Bildung u.a. auftreten müßten), sondern zudem als privatwirtschaftliche Unternehmer, also als Produzenten und Konkurrenten im internationalen Güterwettbewerb. Dadurch büßen sie eine vorstellbare Neutralität vollends ein. Sie verfolgen ökonomische Eigeninteressen. Dadurch stehen sie also auch international in einer Doppelfunktion, einerseits als Hüter des Eigentums und der Eigentumsordnung und als Rahmensetzer zur (politischen) Neufestlegung von Eigentumsrechten, andererseits aber als Beteiligte und Betroffene im Wettbewerb um diese selben Rechte. 52 Dieser Interessenkonflikt belastet zusätzlich die Position nationaler Regierungen bei Verhandlungen über internationaler Handelsfragen und dürfte bestimmenden Einfluß auf ihr Verhalten als Vertragsparteien haben. Anreize für Vertragsverletzungen und -umgehungen könnten aus dieser Konstellation erklärbar sein.
c) Das GATT als Kollektivkapitalgut in einem internationalen Gefangenendilemma Betrachtet man das GATT als ein internationales Kollektivkapitalgut, so ist aus Sicht der "Standard-Theorie" leicht erklärt, warum sich nur wenige zu seiner Produktion bereitfinden: Für seine Aufrechterhaltung und Durchsetzung entstehen dem einzelnen Kosten, die außer Verhälnis zum erwarteten Gewinn stehen. Zugleich können Trittbrettfahrer nicht ausgeschlossen werden, welche Nachahmungstendenzen auslösen und zu Kritische-MassePhänomene führen. Da keine internationale Regierung existiert, welche diese Aufgaben übernehmen könnte, fällt es auf die Vertragsparteien zurück, sich selbst um die Bereitstellung des GATT und die Einhaltung seiner Regeln zu kümmern und Trittbrettfahrer abzuwehren. Da das GATT mit seinen Regeln
52 Auf diese Verquickung wurde in der ökonomischen und rechtlichen Literatur hinreichend hingewiesen. Vgl. statt vieler: MestTnäcker, 1990, S. 426.
11. "Standard-Theorie"
91
längst besteht, beziehen sich die Kollektivguteigenschaften auf die Aufrechterhaltung und Durchsetzung seiner internationalen Handelsregeln, die gegen Verletzung und Umgehung gesichert werden müssen. 53 Man könnte hier auch etwas abstrakt von Produktion von Stabilität sprechen. So ergibt sich für hiesige Fragestellung die Feststellung: Da die Rechtsdurchsetzung ein Kollektivkapitalgut ist, für dessen Bereitstellung die Vertreter einzelner Staaten hohe Kosten für ihren Nationalstaat erwarten, denen keine unmittelbaren Erträge gegenüberstehen, weil Trittbrettfahren nicht ausgeschlossen werden kann, verzichten sie auf rechtliche Durchsetzungsversuche. Das ist die Ausgangshypothese. Die Begründung hinter einer solchen Argumentation wird gewöhnlich mit Hilfe der ökonomischen Variante der Spieltheorie54 unternommen. Voigt, 1992, prüft die Eignung einer einfachen spieltheoretischen Formulierung für "die internationale Handelsordnung" und zeigt, daß eine reali-
53 Curzon Prize, 1992, S. 89, schreibt: "The only light that economics can shed on this question is to note that even mercantilistic sovereign states can see virtue in swapping trade concessions in a framework of law - otherwise GATI would not exist at all. But the problem is that of any public good: each party to the agreement derives benefit from the general stability and predictability which are the goals of the treaty, and each is in principle willing to place limits on ist own behavior in exchange for generating, collectively, the public good. At the same time however each member, individually, has an incentive to cheat." Vanberg, 1992, S. 378 f., identifiziert für das internationale Gefangenendilemma zwei Probleme: "The first is the implied assumption that free trade is advantageous only if gene rally practiced, while unilateral free trade would be self-damaging to a country. [... ] The second problem with the «international PD» theory is its implied treatment of nations as unit actors, who rationally pursue their interests". Als Gegenposition dazu stellt er den Public ChoiceAnsatz vor. "Public Choice theory [ ... is] systematically drawing the conclusions from [... ] the simple fact that govemments are made up 0/ individual persons who have their own interests, no less than ordinary economic actors, and that they pursue these interests within the constraints that the institutional-constitutional framework imposes on them." [Hervorhebung im Orig.]. 54 Die "Spieltheorie" ist ein Anwendungsgebiet der Mathematik, in dem Entscheidungsprobleme in Form strategischer Spiele modelliert werden. Der Begriff Spiel umfaßt auch soziologische, wirtschaftliche und politische Gegebenheiten (Wettstreit und Wettbewerb, Konkurrenz- und Machtkampf, Konflikt bzw. Kooperation), die - so die Annahmen der betreffenden Soziologen, Ökonomen und Politologen - die gleichen formalen Gegebenheiten aufweisen wie die üblichen, durch feste Spielregeln bestimmten Spiele. Das Hauptziel der Spieltheorie ist das Auffmden der für einen Spieler günstigsten Strategie (Zugfolge, die durch die Regeln zuge1assen ist).
92
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomilc
stische Modellierung nicht mehr formal beherrschbar ist. 55 Zu keinem anderen Ergebnis gelangt North, 1990, S. 15, wenn er schreibt: ..... there is a vast gap between the relatively clean, precise, and simple world of game theory and the complex, imprecise, and fumbling way by which human beings have gone ab out structuring human interaction. Moreover, game theoretic models, like neoclassical models, assume wealth-maximizing players .... Although game theory demonstrates the gains from co operating and defecting in various contexts, it does not provide us with a theory of the underlying costs of transacting and how those costs are altered by different institutional structures. "
2. Kritik
In dem obigen Zitat von North, 1990, klingen bereits schwerwiegende Kritikpunkte an: Die praktischen ModelIierungsschwierigkeiten machen jede wirklichkeitsnahe Formulierung unmöglich, so daß sich Verfechter56 und Kritiker57 einer spieltheoretischen Formulierung internationaler Entscheidungssituationen hauptsächlich um theoretische Detailprobleme streiten, bei denen es je ein Leichtes ist, die Annahmen der Gegenseite zu problematisieren. Hier offenbart sich u. U. der unvermeidbare Konflikt zwischen logisch reinen Modellen und einer unüberschaubaren Komplexität der Wirklichkeit hochausdifferenzierter menschlicher Interaktion. Von diesen praktischen Problemen abgesehen, existieren eine Vielzahl von logischen Kritikpunkten, von denen auf die problematischen Annahmen neoklassischer Modellierungen nicht erneut eingegangen wird. 58 Statt dessen konzentriere ich mich auf Pro-
55 Voigt, 1992, S. 46 ff: geht von einem einmaligen Zwei-Länder-Fall ohne Kommunikation und mit simultanen Zügen aus, wobei nur die beiden Alternativen Freihandel und Zollsetzung möglich sind. Zielfunktion ist dabei der maximale Ertrag aus dem Außenhandel LS. klassischer Außenhandelstheorie a la Ricardo. Auf Freihandel zu setzen wäre dann für jeden Entscheider die schlechteste Alternative. Sodann erweitert Voigt, ebd., die restriktiven Annahmen und meint, daß bei 180 Spielern, die nicht simultan in einem nicht-finiten Spiel, bei gleichzeitiger Kommunikation und vielen abgestuften Zielsystemen agieren, eine (formal-mathematische) Modellierung jegliches Vorstellungsvermögen überstiege.
56 Vgl. u.a. Colman, 1982; GoldsteinlKrasner, 1984; Stein, 1982; UllmannMargalit, 1977. 57 Vgl. u.a. Axelrod, 1984; AxelrodlKeohane, 1986; Buchanan, 1975. 58 Bereits in der Einleitung wurde die klassische Außenhandelstheorie unter diesen Gesichtspunkten verworfen, s.o. S. 78.
11. "Standard-Theorie"
93
bleme grundsätzlicher Art. Zu nennen ist hier zum einen die versteckte Single-actor-Hypothese, zum anderen das eingeschränkte Zielsystem. Die Single-actor-Hypothese besagt, daß Nationalstaaten wie Einzelentscheider angesehen werden. Diese Annahme wird in der oben vorgestellten Modellierung internationaler Probleme, sozusagen "durch die kalte Küche wiedereingeführt" , auch wenn es auf den ersten Blick nicht den Anschein hat und eine prinzipielle Offenheit hinsichtlich eines methodologischen Individualismus v.a. durch die Theorie der Eigentumsrechte gesichert erscheint. Differenziertere Modellierungen, die auch innerstaatliche Entscheidungsprozesse mit einbeziehen, existieren indes nur für ausgesprochene Detailfragestellungen. In dieser Arbeit ist die Annahme des methodologischen Individualismus aber als zentraler Bestandteil der zu prüfenden Theorien eingeführt worden. Der Abschnitt (dieser Arbeit) über die Akteure diente zur Problematisierung gerade dieses Gesichtspunkts. 59 Das durch die Theorie bereits vorgegebene Zielsystem wiegt aus methodischen Gründen U.U. noch schwerer: Wenn Annahmen über die Ziele, z.B. W ohlfahrtsoptimierungsziele60 , der Spieler schon vorgegeben sind, wird die Antwort auf jede Fragestellung nach Motiven für individuelles Handeln schon vorweggenommen. Diese Motive sollen aber gerade erst aufgedeckt werden. 61 Zwar ließen sich u. U. mit Hilfe der Spieltheorie auch andere Zielsysteme einführen und quasi per Hypothese testen. Erstens sind auf diesem Weg bisher
59 Einige Autoren versuchen deshalb, Protektionismus als ein rein innerstaatliches Problem anzusehen, vgl. Schuknecht, 1990; Vanberg, 1992, S. 378 f. Damit wird aber die Fragestellung abgewandelt. 60 Wohlfahrts optimierungs ziele sind schon aus einem einfachen praktischen Grund abzulehnen: Es gibt genug Hinweise darauf, daß es Individuen seltener um ihre absolute Wohlstandspositionen geht, als vielmehr um relative Verbesserungen im Verhältnis zu anderen Individuen (oder Volkswirtschaften). Vgl. zu solchen spieltheoretischen Modellierungsmöglichkeiten von Prestigefragen, Shubik, 1971. 61 Inofern bezieht die "Standard-Theorie" die Voraussetzungen von Institutionen und "bounded rationality" nicht eigentlich mit ein. Zwar müssen auch für ihre Gleichgewichtsmodelle bestimmte Bedingungen immer schon gegeben sein. Diese werden aber von der Theorie erstens nicht thematisiert und zweitens durch andere Annahmen ad absurdum geführt. In diesem Sinne könnte ohne weiteres argumentiert werden, die Theoire gehöre eigentlich überhaupt nicht zum Bereich der für hiesige Untersuchungen zugelassenen Theorien. Es erschien aber dennoch wichtig, die Grundzüge der Theorie darzustellen, weil sie für die meisten Modelle der Ökonomik - z.B. der Neuen Institutionenökonomik - das Fundament bildet.
94
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik.
aber keine überzeugenden Arbeiten bekannt, zweitens löst es nicht das ursprüngliche wissenschaftstheoretische Problem, daß die Antworten bereits vorweg erkannt sein müssen. Es gibt nur eine einzige Hypothese, die nicht in diesen Zirkelschluß verfällt: Alle oder eine hinreichend große Anzahl von Akteuren handeln bewußt oder unbewußt ausschließlich (oder vorwiegend) nach der " Standard-Theorie" . Diese Annahme erscheint aber extrem unwahrscheinlich; Sie zu prüfen sei anderen vorbehalten. Auf die weiteren grundsätzlichen Probleme einer Ökonomik, die von Eigentumsrechten, externen Effekten, Kollektivkapitalgütern und Gefangenendilemmata ausgeht, wird im Laufe der Arbeit wiederholt einzugehen sein. Sie sollen aus Gründen einer kompakten Vorgehensweise hier nicht weiter vertieft werden. In der Literatur finden sich vielfältige Anknüpfungspunkte. 62
3. Eingeschränkte Erklärungskraft für den Verzicht auf Rechtsdurchsetzungsversuche
Die eigentliche Frage, worin die Kosten von Rechtsdurchsetzungsversuchen internationaler Handelsregeln des GATI bestehen, und warum die Kosten eines Verzichts niedriger eingeschätzt werden, kann mit der ökonomischen "Standard-Theorie" nicht beantwortet werden. Dazu müßte es gelingen, ein Spiel zu modellieren, daß in seinen Regeln die Zielsetzungen der Akteure plausibel abbilden könnte. Es gibt nach meiner Erkenntnis aber keine spieltheoretische Formulierung, die auch nur für Teilfragestellungen oder Teilerklärungsbereiche plausible Erklärungen anböten. Vereinzelte Versuche gehen von unakzeptabel einschränkenden Annahmen aus. 63 Viel tiefgreifender ist indes die aufgezeigte methodische Kritik, die mit einer versteckten Single-actor-Hypothese hinter einen methodologischen Individualismus zurückfällt, sowie das vorgegebene Zielsystem, welches Fragen nach der Motivation der Akteure, warum sie verzichten, inhärent gar nicht vorsehen kann. Aus diesen Gründen bietet ökonomische "Standard-Theorie"
62 Unter den Stichworten "Eigentumsrechte" , "externe Effekte", "Kollektivkapitalgüter" und "Gefangenendilemma" existiert ein großes Literaturangebot mit umfangreicher Kritik. Auf die Kritiker der Theorie der Eigentumsrechte wurde oben verwiesen. 63 Vgl. u.a. Goldstein/Krasner, 1984, oder Stein, 1982.
III. Hegemon- und Dominanztheorie
95
keine befriedigenden Erklärungsansätze für die hier gestellte Frage nach dem Verzicht auf internationale Rechtsdurchsetzungsversuche, sind ihre Grundannahmen inakzeptabel.
111. Hegemon- und Dominanztheorie Die Hegemontheorie erklärt eine bestimmte Struktur internationaler Beziehungen aus der Existenz (mindestens) eines Hegemons, der aufgrund ökonomischer, militärischer, politischer oder kultureller Vorherrschaft, also "Macht", seine Vorstellungen durchsetzen kann. Eine Sonderform ist die Dominanztheorie, die insbesondere wirtschaftliche Macht theoretisiert. 64 Die Analyse von Machtphänomenen ist nicht neu und in verschiedensten Formen anhaltend geschätzt. Sie stammt für die internationale Ebene v.a. aus dem Bereich der Politikwissenschaften, wird aber auch vielfach in der Ökonomik eingesetzt. 65 Hauptaussage der Vertreter von Hegemon- und Dominanztheorie ist, daß Strukturen in den internationalen Beziehungen, um Bestand haben zu können, von einem Hegemon, als Machtstaat, produziert und gesichert werden müssen. Interpretiert man den Verzicht auf internationale Rechtsdurchsetzungsversuche unter einem derartigen Strukturaspekt, läßt sich formulieren: Hypothese: Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die eines Verzichts, weil ein internationaler Hegemon (Machtstaat) für jene rechtlichen Durchsetzungsversuche, die er nicht billigt, glaubhaft mit Sanktionen droht.
Hinsichtlich unserer Fragestellung müßte dieser Hegemon also imstande sein, ein Drohpotential zu entwickeln, daß andere Vertragsparteien davon abhält, gegen von ihm gebilligte GATI-Vertragsverletzungen und -umgehungen mit rechtlichen Mitteln vorzugehen. Das Drohpotential könnte er aus der explizit oder implizit angedrohten Verhängung formeller oder informeller Sanktionen beziehen. Insbesondere eigene Rechtsverstöße könnte er in dieser Weise "gutheißen", aber auch bestimmte Verstöße anderer billigen. Die fol-
64 Hierzu ist besonders die im französischen Sprachraum vielzitierte Dominanztheorie von Francois Perroux zu nennen. Vgl. Hülsmann, 1993, mit Literaturkatalog. 65 Vgl. einführend: Arndt, 1971, Blaug, 1964, Böhm-Bawerk, 1914, Galbraith, 1973, Gehlen 1961, Herz/Strabatty, 1991, Heuß, 1972, lsetto-Gillies, 1989, Perroux, 1941, 1948, 1950, 1973, Racine, 1989, Rittig, 1961, Wieser, 1926.
96
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
gende kritische Würdigung dieser Hypothese soll zum einen (1) die theoretische und empirische Fundierung der Hegemon- und Dominanztheorie überprüfen, zum anderen (2) ihre Anwendbarkeit und Erklärungskraft für Problemstellungen im GATT diskutieren.
1. Theoretische und empirische Fundierung Die theoretische Fundierung der Hegemontheorie ist ungenügend. Dies liegt v.a. daran, daß (a) der Begriff des Hegemons, wie auch (b) der dahinterstehende Machtbegrijf nicht anhand abstrakter Kriterien bestimmt oder definiert werden und deshalb unklar bleibt, in welchem kausalen Zusammenhang sie zu Fragen des Verhaltens von nationalstaatlichen Akteuren auf internationaler Ebene stehen, insbesondere also auch hinsichtlich hiesiger Fragestellung nach dem "Rechtsverzichts" im internationalen Handelssystem. (a) "Hegemon": Der Begriff "Hegemon" wird in der Literatur nicht anhand abstrakter Kriterien definiert. 66 Stattdessen werden oft einige seiner Eigenschaften aufgezählt, die er aufweisen müsse, wenn er bestimmte Strukturen (- die in ökonomischer Terminologie als "Güter" zu bezeichnen wären-) produzieren will. So heißt es beispielsweise bei Kindleberger (1986, S. 8) lediglich, ein Hegemon müsse sein " ... willing to bear an undue part of the short-ron costs of these goods, either because it regards itself as gaining in the long ron, or because it is paid in a different coin such as prestige, glory, immortality, or some combination of the two." Diese Bestimmung ist eng an dem Konzept des Kollektivkapitalguts angelehnt - wie sie im vorhergehenden Kapitel: "Standard-Theorie" behandelt und kritisiert wurde. Vor allem methodische Probleme dieses Konzepts führten zu seiner Ablehnnung. Wegen der mangelhaften begrifflichen Bestimmtheit des "Hegemons" ist auch die empirische Evidenz des Theorieansatzes nicht herzustellen. 67 Beschäftigen wir uns deshalb näher mit seinen Grundlagen:
66 Vgl. Voigt, 1992, S. 56. 67 Darauf weist Voigt, 1992, S. 56 ff., hin, indem er für die Frage nach Freihandel und Stabilität im Welthandel die üblichen historischen Belege, Großbritannien im 19. Jahrhundert und die USA nach dem Zweiten Weltkrieg, betrachtet und zu dem Schluß kommt, daß hier eher Koinzidenz, denn Kausalität vorliege. Hü[smann, 1993, S. 57 ff., zeigt die empirische Haltlosigkeit des Dominanzbegriffs anhand des in Frankreich
III. Hegemon- und Dominanztheorie
97
(b) "Macht": Selbst die allgemeinere Frage nach der Begriffsbestimmung von "Macht" konnte für ökonomische Analysen bisher wenig nutzbar gemacht werden - weder mit einem allgemeinen Machtbegriff, noch für den speziellen Fall "wirtschaftliche Macht" . Maßgeblich für den Begriffs "Macht" ist immer noch die weithin akzeptierte Definition von Weber, wonach Macht das Vermögen ist, den eigenen Willen gegen den Willen anderer durchzusetzen. 68 Politische Macht wird entsprechend zumeist als Vermögen angesehen, seinen Willen in solchen Entscheidungsprozessen durchzusetzen, die zu allgemeinverbindlichen Regeln führen; Wirtschaftliche Macht gilt zunächst als die Dispositionsgewalt über knappe Güter (bzw. deren Preise oder Mengen) und somit allgemein als die Inaussichtstellung wirtschaftlicher Nachteile, sogenannte " Dominanz" . Diese Reihe ließe sich nun beliebig verlängern, hätte nicht Weber schon 1921 zutreffend erkannt69 : Der Begriff der "Macht" ist soziologisch amorph. Alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen können jemand in die Lage versetzen, seinen Willen in einer gegebenen Situation durchzusetzen.
Damit hat Weber abschließend erfaßt, worüber auch spätere Theoretisierungen im Ergebnis nie hinausgekommen sind: Die praktischen Abgrenzungsschwierigkeiten der Macht oder Dominanz von anderen Formen zwischenmenschlicher Interaktion sind nur um den Preis willkürlicher Festlegungen der Abgrenzungskriterien zu bewältigen. 7o Das in Machtanalysen bemühte
ungemein populären Konzepts der "contrainte exterieure", des äußeren Zwangs, umfassend auf. Vgl. dagegen: Strange, 1988, Stein, 1984, Haggard/ Simmons, 1987. 68 Vgl. Weber, 1921176, S. 28 f: "Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht. " 69 Ebd., S. 28. 70 Bezogen auf einen Tausch (z.B. von Eigentumsrechten) unterstellt die Machtanalyse implizit, daß es einen ausgeglichenen oder gerechten Tausch geben könne. Dem steht eine ökonomische Logik entgegen: Zu einer Tauschhandlung (Lw.S.) könnte es gar nicht kommen, wenn sich nicht beide Parteien Vorteile aus ihrer Handlung versprechen würden. Wird dem entgegengehalten, Vorteilsüberlegungen träfen nur unter der unrealistischen Annahme der Freiwilligkeit zu ("asymmetrischer Einfluß"), so müßte diese Freiwilligkeit bestimmt werden können. Wie dies aber geschehen soll, ohne die Annahme des methodologischen Individualismus zu verlassen, wird wohl auch zukünftig gänzlich ungeklärt bleiben. Hier befindet man sich inmitten der unauslöschlichen Diskussion um den "wirtschaftstheoretischen Dauerbrenner", ob Wissenschaft zur Bestimmung oder Messung (Vergleich) von Werten befähige. Die 8 Kopke
98
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
undifferenzierte Analyseschema nach "stark" und "schwach" fällt hinter die wissenschaftlichen Errungenschaften der vielfältigen Analysen von Kausalzusammenhängen im Beziehungsfeld gegenseitiger Beeinflussungen weit zurück. Über diese methodische Schwäche kann auch nicht hinweghelfen, wenn in politikwissenschaftlichen Analysen beflissentlich zwischen den drei Bereichen der Macht: physische/militärische (Gewalt), wirtschaftliche (Dominanz und Sanktionen) und informationelle (Propaganda und Manipulation) unterschieden wird. 71 Der Machtbegriff kann somit einer ökonomischen Analyse im wissenschaftstheoretischen Sinn einer methodischen Herangehensweise nicht zugänglich gemacht werden. Zwar führte schon die von Weber selbst vorgenommene idealtypische Unterscheidung in "die Herrschaft kraft Interessenkonstellation (insbesondere kraft monopolistischer Lage), und andererseits die Herrschaft kraft Autorität (Befehlsgewalt und Gehorsamspflicht)"72 eine in der Ökonomik bis heute übliche Differenzierung ein. 73 Den komplexen Interdependenzbeziehungen der Interaktionen auf Weltebene kann aber auch diese Unterscheidung längst nicht gerecht werden. "Herrschaft", als institutionalisierte Macht, kann in dieser Arbeit ohnehin nicht zum Leitbegriff für Fragen nach Dominanz- und Hegemonialbeziehungen gemacht werden, weil erstens eine ausgeprägte Institutionalisierung in den internationalen Beziehungen bisher nicht existiert, und zweitens Institutionalisierungsprozesse gerade das
Tatsache, daß wohl jedes Individuum eine Vorstellung von "Wert" hat, ist bereits die erschöpfende Aussage zu diesem Problemkreis. Selbst hartnäckige Neoklassiker erkennen heute an, daß interindividuelle Nutzen- und Wertvergleiche mit dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Instrumentarium nicht zu bewerkstelligen sind. Insofern soll mit dem Gesagten nicht abgestritten werden, daß es in konkreten Fällen Ausbeutungsbeziehungen oder Kräftegefalle gibt. Es geht aber darum, die Grenzen der wissenschaftlichen Behandlung dieses Problemkreises aufzuzeigen. 71 Vgl. beispielhaft Grosser, 1987, S. 29 ff.
72 Vgl. Weber, 1921/76, S. 542. 73 Daran lehnt sich auch die Mises' sche Unterscheidung zwischen symmetrischen Beziehungen (im Sinne von Vertrag und Koordination) und asymmetrischen Beziehungen (Befehl, Unterwerfung, Hegemonie) an. Das Abgrenzungskriterien liegt hier, darauf macht Hülsmann, 1993, S. 125, Fn. 129, aufmerksam, darin, daß in den symmetrischen "contractual bonds" definierte Quantitäten und Qualitäten ausgetauscht werden, während unter den Bedingungen der asymmetrischen "hegemonic bonds" ein Individuum "neither gives nor receives anything that is definite.", vgl. Mises, 1949, S. 197. Der Freiheitsbegriff der Ordnungstheorie gründet in dieser Unterscheidung.
III. Hegemon- und Dominanztheorie
99
zu Erklärende dieser Untersuchung sind. Deshalb bringt es auch nicht weiter, zu vermuten, daß die Relevanz des Machtbegriffs darin liegen könnte, ein solches Denkschema (Konzept) sei in den Köpfen aller oder der meisten internationalen Entscheidungsträger vorherrschend. Denn damit wäre immer noch nicht beantwortet, woran sich die Unterscheidung von "stark" und "schwach" in concreto und en detail festmacht. 74 Das soll durch die Theorie aber gerade erklärt werden. Macht- und Dominanzvorstellungen können mithin höchstens Verhaltenshypothesen begründen, eignen sich aber nicht als Gegenstand von erklärenden Konzepten. Im folgenden Kapitel gilt es deshalb, die Erklärungskrajt einer auf
die Akteure im GATT bezogenen hegemonial- und dominanztheoretischen Verhaltenshypothese zu prüfen. Zuvor jedoch der Hinweis auf ein weiteres methodisches Problemfeld. Die Beschreibung von Machtphänomenen aus Beobachterperspektive widerspricht - wie gesehen - der Subjektivismusannahme eines methodologischen Individualismus. Selbst wenn man diesen Einwand für nicht durchschlagend hält, da gegen eine Beobachterperspektive regelmäßig solche oder ähnliche Vorbehalte angebracht sind, besteht darüber hinaus die entscheidende Gefahr, bei der Analyse von Machtphänomenen auf internationaler Ebene eine gedankliche Loslösung vom Einzelentscheider zu vollführen und damit erneut zu einer Konzeptualisierung des Nationalstaats als "Single-Actor" zu kommen.
2. Erklärungskraft: "Machtphänomene" und GATT
Sieht man von den diskutierten dogmenkritischen Vorbehalten ab und stellt trotz allem die Frage nach der Erklärungskraft der "Machtanalyse" für die konkreten Verhältnisse im GATT, so sei aus Sicht der Ökonomik zunächst allgemein "Macht" als das individuelle Vermögen definiert, bestimmte Handlungsbedingungen anderer Individuen willkürlich zu ändern, oder anders: als das Vermögen eines Individuums, das Ordnungsgefüge eines anderen autonom zu verändern. Sodann muß eine Beschränkung auf konkrete Verhaltenshypothesen vollzogen werden. 75 Diese inhaltlich auszuarbeiten und zu 74 Auch die vorbildlichen Systematisierungen von Bemholz, 1985, bleiben ungenügend. 75 Zu einer ähnlichen Formulierung gelangt für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen Coleman, 1973, wenn er Macht nach zwei Determinanten beschreibt: "Die
100
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomilc
konkretisieren, dienen die nachfolgenden Besprechungen. Mit der zu prüfenden (Verhaltens-) Hypothese wird der Untersuchungsraum möglicher Fragen nach Machtphänomenen im GATI stark eingeengt. Dies ist indes unschädlich, da es in dieser Arbeit um Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsprozesse auf internationaler Ebene geht und insofern die Formulierung der Hypothese der Kern der mit der Hegemon- und Dominanztheorie überhaupt möglichen Hypothesen ist. Nach dieser Hypothese gibt es (a) einen internationalen Hegemon, der (d) bei rechtlichen Durchsetzungsversuchen, die er nicht billigt, (b) mit formellen oder informellen Sanktionen (c) glaubhaft drohen kann. (a) InternatioTUller Hegemon: Wer könnte überhaupt als internationaler Hegemon fungieren? Die Vertragsparteien des GATT sind ausnahmslos Völkerrechtssubjekte, insbesondere Nationalstaaten sowie die EU. Daneben dürfte es schwierig sein, Personengruppen oder Einzelpersonen zu identifizieren, die durch die Androhung von Sanktionen den Verzicht auf für sie mißbillige rechtliche Durchsetzungsversuche erzwingen könnten. Infrage kämen hier nur kirchliche oder sonstige transnationale Privatvereinigungen, insbesondere multinationale Konzerne. Weniger wahrscheinlich sind dagegen TUltioTUlle Privatvereinigungen, -verbände oder -personen, da ihre Interessen jeweils vornehmlich auf ihre eigene Nation bzw. ihre eigenen Regierungen gerichtet sein dürften (s.u., nächste Theorie). Aber auch für multinationale Konzerne oder sonstige internationale Akteure ist nirgends einzusehen, worin ihr Interesse an der Durchsetzung von "Rechtsverzichten" im internationalen Handel liegen könnte. Es ist somit plausibel, die weiteren Ausführungen auf einzelne oder Gruppen von Nationalstaaten zu beschränken. Ein naheliegendes Vorgehen könnte nun darin bestehen, solche Staaten näher zu untersuchen, die sich viele und gravierende GATI-Vertragsverletzungen und -umgehungen haben zuschulden kommen lassen und diese selten von anderen rechtlich verfolgt wurden. Hieraus könnten freilich nur erste Indizien gewonnen werden, da der Hegemon auch bestimmte Verstöße anderer billigen könnte. Hinzu kommt, daß der Hegemon eine Reihe noch anderer Qualitäten aufweisen müßte, die zunächst geprüft werden sollen.
Kontrolle über Ereignisse und das Interesse der verschiedenen Akteure an diesen Ereignissen". Weitere maßgebende Ausführungen zur Bestimmung von Macht im Wirtschaftsbereich liefern u.a.: Amdt, 1971, Herz/Strabatty, 1991 und StützeI, 1972, S. 190 ff.
III. Hegemon- und Dominanztheorie
101
(b) Formelle oder informelle Sanktionen: Welche Art von Sanktionen könnten von einem Hegemon verhängt werden? Als Sanktion könnte dabei alles gelten, was mit erheblichen Nutzeneinbußen oder Kosten für die übrigen beteiligten internationalen Akteure (Entscheidungsträger) verbunden ist. Hier kommt inhaltlich die gesamte Palette zwischenmenschlicher Beeinflussungen in Frage, die oben schon kritisch erörtert wurden: Androhung von Gewalt, von wirtschaftlichem Ruin oder Ausgrenzung, und zwar jeweils bezogen auf einzelne internationale Entscheidungsträger (meist "Politiker") oder einzelne oder Gruppen von Staatsbürgern, die von den Entscheidungsträgern vertreten werden. Es ist eine schwer zu entscheidende Frage, ob es bei den vorliegenden Fragestellungen zulässig wäre, hauptsächlich nur jene Sanktionen in Betracht zu ziehen, welche den internationalen Handel direkt betreffen. Handelsembargos beispielsweise werden regelmäßig für Zwecke eingesetzt, die nicht direkt Handelsfragen betreffen. Nicht viel anders steht es um einige andere handelspolitische Instrumente. Daß diese Instrumente nicht eigentlich zu handelspolitischen Zwecken eingesetzt werden, ist schon deshalb einsichtig, weil sich embargoverhängende Staaten anerkanntermaßen selbst schlechter stellen, und sei es gegenüber ihren Mitkonkurrenten. Beispiele wie die Diskussionen und Entscheidungen zur COMECON-Liste, zu Südafrika oder China, vor dessen in Aussicht gestellten Marktpotential sich selbst die USA sozusagen verbeugen, geben davon ein beredtes Zeugnis. Umgekehrt könnte es aber Maßnahmen geben, die eindeutig als Sanktionen für Rechtsdurchsetzungsversuche angesehen werden müssen. Hierzu dürften alle unmittelbaren Gegenmaßnahmen gelten. Solche unmittelbaren Reaktionen können nun nicht nur rechtlicher Natur sein, z.B. die rechtmäßige Berufung auf die "safeguard-clause" aus Art. XIX GATT, sondern insbesondere handelt es sich hierbei um informelle Sanktionen. Formelle und legitime Sanktionen unterbleiben aber zumeist (so die Ausgangsthese dieser Arbeit). Unterbleiben sie zugunsten informeller Sanktionen? In dieser Arbeit ist trotz intensiver Befragung verschiedener Wissenschaftler und nationaler Handelsexperten die eindeutige Identifizierung informeller Sanktionen nicht gelungen. Das kann indes an ihrem informellen Charakter liegen. Inhaltlich ist die Bestimmung von (informellen) Sanktionen folglich nicht ohne weiteres zu bewerkstelligen. Unter Umständen könnten aber Untersuchungen des - mehr formalen - Aspekts der "glaubhaften Drohung" weiterführende Aufschlüsse erlauben.
102
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
(c) Glaubhafte Drohungen: Die Entscheidungsträger des als Hegemon fungierenden GATI-Vertragsstaats, dessen Macht sich auf informelle Sanktionen gründen könnte, müßten die Fähigkeit und den Willen besitzen, Sanktionen glaubhaft anzudrohen. Es fällt nicht schwer, "glaubhafte Drohungen" in den internationalen Handelsbeziehungen zu identifizieren. Beispiele sind der U.S.-amerikanische "Super 301" oder das "fast-track"-Mandat des USCongress. 76 Auch Androhungen von Handelskriegen zielen zweifellos in diese Richtung. Neben diesen öffentlich ausgetragenen Konflikten dürfte aber ein Großteil der Drohungen im Wege der "stillen Diplomatie" vollzogen worden sein77 und ist infolgedessen frühestens bei der Öffnung der Archive je 30 Jahre später zugänglich. Aber auch ein Beobachter des internationalen Geschehens kann zu realistischen Vorstellungen darüber kommen, welche Akteure überhaupt die Fähigkeit entwickeln könnten, Sanktionen glaubhaft anzudrohen. Hier engt sich das Feld möglicher Kandidaten stark ein und wir liegen in bester Übereinstimmung mit den im Kapitel "Akteure" gefundenen Ergebnissen der Analysen zu den Haupt-Vertragsverletzem und -umgehern im internationalen Handel: EG und USA. Beide können wohl ohne umfangreiche Erörterungen als fähig betrachtet werden, Sanktionen informell oder formell glaubhaft anzudrohen (ein Sonderfall wäre übrigends das Äquivalent zum sogenannten "vorauseilenden Gehorsam"). Sind sie aber auch willens? (d) Rechtliche Durchsetzungsversuche, die er nicht billigt: Wir haben das Feld möglicher Hegemonaspiranten auf die USA und die EG eingeengt. Beide zeichnen sich durch extrem aggressive Handelspolitik aus. Dabei kann keinesfalls ihr "Willen" (ihrer Entscheidungsträger), die Regeln des GATT einzuhalten und mit rechtlichen Mitteln durchzusetzen, als ihr Merkmal konstatiert werden. Im Gegenteil läßt sich wohl behaupten, daß gerade diese Staaten von "außerrechtlichen" Maßnahmen (insbesondere Diplomatie und Machtpolitik) zur Genüge Gebrauch gemacht haben. Beide haben weder vor Vertragsverlet-
76 Vgl. obige Ausführungen. 77 Daß es zwischen den USA und Japan regelmäßig zu "freiwilligen Exportbeschränkungsabkommen" (VER) von japanischer Seite kam und Japan bis zum Beginn der Uruguay-Runde keine einzige Klage gegen westliche Industrienationen anstrengte bzw. alle gegen Japan gerichteten GATI-Streitschlichtungsverfahren schon im Vorfeld einer "Lösung" zugeführt wurden, stellt nur ein recht offensichtliches Beispiel solcher Phänomene dar. Freilich wird erneut ebenso deutlich, wie unbestimmt die Grenze zwischen Drohungen, d.h. Machtausübung, und gütlicher Einigung sein kann. Zu den Handelspraktiken siehe obige Ausführungen und Senti, 1986.
III. Hegemon- und Dominanztheorie
103
zungen noch -umgehungen des GATT gescheut, noch aber sich bei der Anwendung der GATT-Rechtsinstrumente zuruckgehalten. Die Analyse ihres Verhaltens (im Kapitel "Akteure") konnte hier kein einheitliches Bild i.S. unserer Fragestellung entwerfen. Beide Akteure könnten zwar Hegemonpositionen einnehmen, und zwar auch solche, die i.S. unserer Hypothese Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsprozesse im internationalen Handel stören oder unterbinden - die USA aus einer traditionellen Rolle und allen weiteren Machtattributen, einzelne EG-Staaten über ihre Hebelfunktion der gemeinsamen EG-Handelspolitik. Weder die Außenhandelspolitk der USA, noch jene der EG bzw. einzelner EG-Staaten ist jedoch einheitlich auf Förderung oder Vereitelung von rechtlichen Durchsetzungsversuchen gegen Vertragsverletzungen und -umgehungen der GATT-Regeln geprägt. Vielmehr spielen GATT-Aspekte offensichtlich bei diesen beiden Akteuren nur eine nachgeordnete Rolle und müssen regelmäßig hinter nationalen Interessenkonstellationen zuruckstehen. Seit auch die USA eine vermeintlich festzustellende Führerschaft im internationalen Freihandel aufgegeben zu haben scheinen, kann also nirgends eine Hegemonialmacht im internationalen Handel entdeckt werden. Die Loslösung der Handelsaspekte von sonstigen politischen Erwägungen, also die Verrechtlichung- und Institutionalisierung, ist auch in diesen Ländern mit schmerzhaften Anpassungsprozessen verbunden. Vielleicht können sie es sich einfach eher als "weniger mächtige" Länder leisten, diese Anpassungsprozesse hinauszuzögern.
3. Ergebnis Die Hegemon- und Dominanztheorie kann aus (a) methodischen und (b) faktischen Grunden keine brauchbaren Erklärungen für die Tatsache liefern, daß Vertragsverletzungen und -umgehungen internationaler GATTHandelsregeln nicht mit rechtlichen Mitteln verfolgt werden. Es gibt keinen internationalen Hegemon oder Machtstaat, der durch die glaubhafte Androhung informeller Sanktionen rechtliche Durchsetzungsversuche vereiteln würde. (a) Methodisch bestehen gegen die Hegemon- und Dominanztheorie schwerwiegende Bedenken, die insbesondere daher Iiihren, daß ihre zentralen Begriffe "Hegemon" oder "Macht" nicht mit abstrakten Kriterien definiert werden und daraus Zirkelschlüsse resultieren. Diese Abgrenzungsschwierigkeiten sind wegen der eingesetzen Begrifflichkeiten prinzipiell nicht zu behe-
104
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
ben und verhindern damit jegliche empirische (Rest-) Relevanz des gesamten Konzepts, das zu willkürlichen Ideologien einlädt. (b) Faktisch ist ein solcher Hegemon in den internationalen Handelsbeziehungen nirgends zu erkennen. Glaubhafte Drohungen über Sanktionen könnten zwar bestimmend für die internationalen Beziehungen sein, folgen aber bei den möglichen Hegemonialstaaten EG und USA keinem durchgängigen Muster, weswegen die formulierte Hypothese keine Entsprechung in der Realität aufweist.
IV. Neue Politische Ökonomie nach Olson und Public Choice Es wird als das Verdienst Mancur Olsons angesehen, mit seinen beiden Werken »The Logic of Collective Action« (1965) und »Rise and Decline of Nations« (1982)78 schon früh eine recht solide Brücke zwischen politischer und ökonomischer Theorie geschlagen und sozusagen eine Verbindung offen gehalten zu haben, welche in der sich verbreiternden Kluft zwischen Politikwissenschaft und klassischer, bzw. "mainstream"-Ökonomie, wenn nicht abzubrechen, so mindestens wackelig zu werden drohte. 79 Diese Brücke ist in beiden Richtungen gangbar. Einerseits werden die zentralen Annalunen der Ökonomik, d.h. (1) rationales, (2) eigennutzmaximierendes Verhalten in (3) subjektivistisch-individualistischer Sicht, zur Analyse von Politikprozessen eingesetzt. Andererseits werden politikwissenschaftliche Begriffe wie "Einfluß", "Interessen" und "Gruppen" zu Eingangsdaten für Aussagen über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und langfristigen Entwicklungsaussichten von Gesellschaften. Mit der zunehmenden Nutzung dieses wissenschaftlichen "Infrastrukturangebots" konnten natürlich auch die Mängel dieses Bauwerks nicht im Verborgenen bleiben.
78 Im folgenden zitiert in den deutschen Ausgaben: Die Logik des kollektiven Handeins, Olson, 1968, und: Aufstieg und Niedergang von Nationen, Olson, 1985. 79 Schubert, 1992a, S. 1, meint sogar, daß unter dem Eindruck der Privatisierungs- und DeregulierungsdebaUe der '80er Jahre "fast in Vergessenheit" zu geraten drohte, "daß die Leistungsfähigkeit moderner Marktwirtschaften in einem engen Wechselverhältnis mit entsprechenden staatlich-politischen Aktivitäten steht."
N. Neue Politische Ökonomie nach Olson und Public Choice
105
Der ökonomische Theorieansatz Olsons findet sein politikwissenschaftliches Pendant in der sogenannten Public-Choice-Schule. 80 Während Olson' s Perspektive hauptsächlich zur Betrachtung wirtschaftlicher Wachstumsaspekte dient, fragt Public-Choice-Theorie direkter nach der Beeinflußbarkeit von Hoheitsträgern im politischen Prozeß, v.a. durch Interessengruppen, die sich spezielle Vorteile und Privilegien sichern wollen (sog. "rent-seeking").81 Die Integration von Public Choice und Olsons Interessengruppentheorie beschreibt das Feld der Neuen Politischen Ökonomie. 82 Zusammengenommen läßt sich eine Hypothese der Art ableiten: Hypothese: Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die eines Verzichts, weil die innenpolitischen "Rechtjertigungskosten" gegenüber nationalen Interessengruppen hoch angesetzt werden.
In der folgenden Ausarbeitung ist zunächst, (1) die theoretische Verankerung der Hypothese aufzuzeigen, um anschließend (2) methodische und praktische Probleme dieses Theorieansatzes kritisch zu beleuchten, um (3) seine empirisch-analytische Reichweite für GAIT-Fragestellungen zu überprüfen.
1. Verankerung der Hypothese in der Theorie
Nicht zuletzt wegen der bald unüberschaubaren Literaturfülle zu diesem Themenkomplex, ist für die Untersuchung der Theorien eine Beschränkung auf die für diese Arbeit vordringlichen Aspekte geboten. Insofern wird keine umfassende Diskussion der Theorien angestrebt, sondern vielmehr versucht, die Möglichkeiten und Grenzen des Ansatzes zu bestimmen, d.h. Anwendungsbereich und Aussagekraft zu klären, bevor zur Erklärung der vorliegenden GAIT-Problematik angesetzt wird. (1) Olsons Argumente in seinem politisch-ökonomischen Ansatz können zu drei zentralen Aussagen verdichtet werden: Erstens: Interessengruppen drängen staatliche Entscheidungsträger (Politiker) zu Interventionen und kompen-
80 Einen guten Überblick bietet Mueller, 1989. Die schnell anwachsende Public Choice-Literatur baut v.a. auf den Beiträgen von Buchanan, Downs, Tullock, Krueger und auch Olson auf. 81 Für einen Überblick über die Theorie des "rent-seeking" vgl. Buchananl TollisonlTullock, 1980; Tollison, 1982. 82 Vgl. BemholzlBreyer, 1984.
106
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
satorischen Leistungen sowie zu regulierenden und steuernden Eingriffen in das Marktgeschehen. Diese Eingriffe sind für den marktwirtschaftlichen Prozeß und das wirtschaftliche Wachstum von Gesellschaften abträglich. Je spezieller die durchgesetzten Interessen, desto nachteiliger die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Effizienz. 83 Zweitens: Kleine und homogene Interessengruppen mit spezifischen Zielen sind - im Vergleich zu großen Gruppendurchsetzungsstärker, weil sie bei der Verfolgung ihrer Ziele einen strukturell bedingten organisatorischen Vorteil haben. 84 Drittens: Je länger politische und soziale Stabilität in einem Staat vorherrschen, desto mehr und kleinere und speziellere Interessengruppen entstehen aus dem Prozeß der sozialen Differenzierung und behindern die wirtschaftliche Effizienz. 8S Umgekehrt schaffen soziale Umbruchsituationen Effizienzvorteile, weil die politischen Entscheidungsträger dem Druck gut organisierter strukturkonservierender Interessengruppen entzogen werden oder leichter ausweichen können. 86
83 Neben dem klassischen Argument der interventionsfreien Marktwirtschaft argumentiert Olson, 1985, S. 52, daß spezielle Interessengruppen (z.B. Berufsgewerkschaften, Wirtschaftskartelle) schädlichere Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben, als große, weil sie speziellere Interessen vertreten und somit zu pareto-ineffizienteren Faktor- und Ressourcenallokationen führen, während sich gesellschaftliche Querschnittsgruppen mit allgemeinen Interessen, wie z.B. Konsumenten, Steuerzahler und besondere Gruppen wie Arbeitslose und Arme, praktisch nie zu Interessengruppen (die dann Massenorganisationen wären) organisieren. 84 Der strukturell bedingte organisatorische Vorteil liegt, so Olson, 1968, S. 130, darin begründet, daß Interessengruppen kollektive Güter erstellen, zu deren Produktion, wegen der Nichtausschließbarkeit der Nutzung, folglich für rationale Individuen nur geringe Anreize bestehen. Diese Anreize können aber gerade in kleinen und homogenen Gruppen mit direkter sozialer Interaktion durch soziale Anreize (z.B. Vergünstigungen, Versicherungen, Zwang) selektiv verstärkt werden. 8S Vgl. Olson, 1985, S. 98, 120 ff. Kleine und homogene und spezielle Interessengruppen haben nahezu keine Veranlassung einen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum zu leisten, da auf sie auch nur ein kleiner Teil des so produzierten kollektiven Guts entfällt. Für sie ist es einfacher, über politische Einflußnahme Vorteile für ihre Klientel zu erwirken, z.B. indem sie Innovationen blockieren, Marktzutritte beschränken oder kontrollieren oder Sondertarife, Regulierungsausnahmen und staatliche Protektion einfordern, vgl. auch Blankart, 1983. 86 Unter sozialen Umbruchsituationen sind nicht nur Kriege, Revolutionen oder Wirtschaftskrisen zu verstehen. Auch die Ausweitung von Jurisdiktionen, wie es in der EG geschieht, fällt unter diesen Aspekt (vgl. Olson, 1987). Insofern könnte das GATI durchaus als eine solche jurisdiktionelle Ausweitung aufgefaßt werden. Die von Wolter, 1988, S. 36, vorgebrachten prinzipiellen Einwände (erneute Struktur-
IV. Neue Politische Ökonomie nach Olson und Public Choice
107
Olson postuliert damit, daß politische und soziale Stabilität in Demokratien auf Dauer wachstumsfeindlich ist, weil sie zur Brutstätte strukturkonservierender Interessenkonstellationen und -gruppen werden, die immer stärkeren wirtschaftspolitischen Einfluß erlangen. Gerade auch "die protektionistischen Lager" vermögen es, sich in dieser Weise zu organisieren. 87 (2) Public Choice-Theorie: Public Choice ist neben Olson sozusagen das zweite Standbein der Neuen Politischen Ökonomie. Während Olson sich auf die organisatorischen Vorteile sozial enger (in direkter Interaktion stehender) Kleingruppen konzentriert, wird im Rahmen der Public Choice-Schule versucht, die Strukturen auf der Anbieterseite der Wirtschaftspolitik herauszuarbeiten, d.h. zu ermitteln, warum Politiker dem Druck von Interessengruppen nachgeben. Hierzu ist zuerst die schon alte Unterscheidung zwischen wirtschaftlicher und politischer Effizienz ins Auge zu fassen: Wirtschaftliche Effizienzüberlegungen beziehen sich zumeist auf die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt, die oft unpräzise über das Volkseinkommen zu messen versucht wird. Politische Effizienzüberlegungen (die im Sinne der Public ChoiceTheorie ebenso aus zweckrationalem Handeln resultieren) maximieren Wählerstimmen - zumindest aber die erwartete Wiederwahlwahrscheinlichkeit. Parteien und einzelne politische Entscheider in demokratischen Gesellschaften bevorzugen demnach Wirtschaftsinterventionen zugunsten klar umrissener Wählergruppen, deren Loyalität sie sich durch die Bevorzugung sichern können. Dies umso eher wenn es ihnen gelingen kann, die (gesamtgesellschaftlichen) Kosten solcher Eingriffe zu verdecken, indem sie sie beispielsweise gleichmäßig über das Gros der Wähler abwälzen, oder gar auf Ausländer (ohne Wahlrecht). Beliebt ist es auch, die Kosten, wo möglich, in die Zukunft zu verlagern oder auf möglichst lange Zeiträume zu strecken. 88 (3) Um die Verankerung der GATT-Hypothese in diese Theorien zu verstehen, vergegenwärtigen wir uns zunächst unsere Fragestellung: Warum gehen verkrustung, räumliche Begrenzung) treffen den Kern der Frage nicht. Hierauf ist bei den praktischen Erörterungen zurückzukommen. 87 Vgl. z.B. RowleylTollison, 1986. 88 Hierzu schreibt Wolter, 1988, S, 31: nHandelsbeschränkungen abzielend auf eine Einkommensumverteilung zu Gunsten von Kapitaleignern und Arbeitnehmern in Wirtschaftsbranchen unter Importkonkurrenz auf Kosten von heimischen Konsumenten, von Kapitaleignern und Arbeitnehmern im heimischen Exportbereich, und (je nach Eingriff) von heimischen Steuerzahlern sowie von Ausländern bieten sich unter allen drei Gesichtspunkten geradezu an...
108
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
Vertragsparteien des GATT gegen offensichtliche Vertragsverletzungen und -umgehungen der internationalen GATT-Handelsregeln nicht mit rechtlichen Mitteln vor? Die mit den dargestellten Mitteln der Neuen Politischen Ökonomie zu fOnIlUlierende Hypothese hierzu lautet: Weil die relevanten Entscheidungsträger ihre Wiederwahlchancen durch rechtliche Durchsetzungsversuche gefährdet sehen. Darin liegen für sie die hohen Kosten. Worin aber sehen sie die Gefahr für ihre Wiederwahl bei rechtlichen Durchsetzungsversuchen im internationalen Handelssystem? Darin, daß sich internationale Entscheidungsträger für ihre außenpolitischen Handlungen innenpolitisch rechtfertigen müssen und dies bei rechtlichen Durchsetzungsversuchen nicht gelingt. Dabei geht für sie die höchste Gefahr, wie im Umkehrschluß der Public Choice-Analyse nahegelegt, nicht von der allgemeinen Wählerschaft aus, sondern von den gut organisierten nationalen Interessengruppen, die fähig sind, Wählerstimmen geschlossen zu entziehen. Welche Gründe könnten aber nationale Interessengruppen haben, rechtlichen Durchsetzungsversuchen auf internationaler Ebene ablehnend gegenüberzustehen? Immerhin geht es doch um Regelverstöße anderer Vertragsstaaten bzw. deren Staatsangehöriger. Hierzu die wichtigsten Argumente, oder " Hilfshypothesen" , die unter den Rubriken Dauer, Unsicherheit, Kontrollmöglichkeiten, Zweckbezogenheit, Öffentlichkeit und Kosten hier knapp anplausibilisiert werden kölmen: (a) Dauer: Da rechtliche Durchsetzungsversuche auf internationaler Ebene (darin unterscheiden sie sich nicht von anderen Rechtsverfahren) schon rein formal Ld.R. sehr lange dauern, kann ein spätes Ergebnis für nationale Interessengruppen bereits irrelevant sein, da es ihnen v.a. um die Klärung von unmittelbaren Sachfragen und nicht um Prinzipien geht. 89 Umgekehrt sind die Wahlzyklen von Politikern so kurz, daß sie eventuelle Erfolge nicht mehr selbst einstreichen können. Deshalb stehen sie unter starkem Zeitdruck und bevorzugen direkte MaßnahnIen, die ihnen individuell zugerechnet werden können. (b) Kontrollmöglichkeiten: Aus Sicht der Interessengruppen kann die Kontrolle eines einmal angestrengten internationalen Rechtsdurchsetzungsverfah89 Einen instruktiven Fall hierzu schildern Curzon/Curzon Prize, 1976, S. 213 f: 1970 führte die EG ein Lizenz-System für den Apfel-Import ein, weil im vergangenen Jahr EG-Bauern eine "Überproduktion" erzielt hatten. Australien legte im Rahmen der Art. XXII und XXIII GATI Beschwerde gegen dieses Lizenz-System ein. Die anschließenden Beratungen dauerten gerade so lange, bis die australische Apfelexportsaison beendet war.
N. Neue Politische Ökonomie nach Olson und Public Choice
109
rens sehr schwierig sein. Sie besitzen weder die Kompetenzen, um den Prozeß zu überschauen, noch die notwendigen Kontakte, um ggf. in ihn eingreifen zu können. Für sie liegen Vorteile darin, sich vorwiegend auf ihre herkömmlichen bewährten Informations- und Mitentscheidungskanäle zu verlassen, die sich v.a. auf die nationalen Regierungen stützen. Besonders in großen Staaten dürften Interessengruppen zudem die diplomatischen und machtpolitischen Möglichkeiten ihrer Regierungen überschätzen, während in kleinen Staaten, insbesondere das Vertrauen auf die Erfolge der stillen Diplomatie ausgeprägt sein dürfte. Auf der Seite der Politiker bestehen ähnliche Befürchtungen. Sie müssen beim Rekurs auf internationale Rechtsmittel meist die (Letzt-) Entscheidungsbefugnis an Dritte (Schiedsrichter, panel-Mitglieder etc.) abgeben und fürchten um ihre Kontroll- und Einflußmöglichkeiten. (c) Unsicherheit: So langwierig, unüberschaubar und schlecht kontrollierbar rechtliche Verfahren auf internationaler Ebene sind, so unsicher ist ihr Ausgang. Da erscheinen doch Zusicherungen von Politikern, sich nach ihren Möglichkeiten einzusetzen, allemal die besser kalkulierbare Investition. (d) Zweckhezogenheit: Enggesetzte Verbandszwecke90 stimmen selten mit den handelspolitischen Zielsetzungen von Regierungen überein. Verbandsvertreter haben klare AufgabensteIlungen, die auf die Erzielung von Gruppenvorteilen und -privilegien ausgerichtet sind. An ihnen müssen sie ihre Handlungen messen. Für sie stellt sich die internationale Ebene bestenfalls als ein strategisches Machtspiel dar. Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsinteressen verfolgen sie aus ihrem engen Kurzfrist-Blickwinkel nicht. Auch Politiker können im Gegenzug nur schlecht Zusicherungen machen, die sich auf Prinzipien und Rechtsbeachtung beziehen. Über diplomatische und letztlich machtpolitische Aktionen läßt sich schneller Einigkeit herstellen. (e) Öffentlichkeit ist nicht im Verbandsinteresse, da sich ihre Mitglieder immerhin Privilegien zu Lasten Dritter ausbedingen, und nur dann im Interesse von Politikern, wenn sie Erfolge geltend machen können. Öffentlichkeit führt ferner eine zusätzliche Imponderabilie in die strategische Kalkulation der Beteiligten ein. (t) Kosten: Schließlich entstehen bei Verbänden und Politikern einige An-
passungskosten durch die Umorientierung zu neuen, auf Rechtsverfahren
90 Wirtschafts-, und insbesondere Industrieverbände sind die Art von Interessengruppen, die Olson bei seiner Argumentation hauptsächlich berücksichtigt.
110
c. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
zugeschnittene Politik- und Einflußmethoden auf internationaler Ebene, Kosten die vermeidbar scheinen. Diese Argumente (oder Hilfshypothesen) sind es, die in summa zu der formulierten Hypothese führen, daß die innerstaatlichen Rechtfertigungskosten außerstaatlicher Durchsetzungsversuche kostspieliger erscheinen, als der Verzicht auf Rechtsmittel zugunsten (stiller) Diplomatie und herkömmlichen Machtmethoden. Bevor mit einer genaueren empirisch-analytischen Überprüfung an den konkreten Verhältnissen im GATT begonnen werden kann, bedürfen die methodischen und praktischen Schwächen der Olson' sehen Theorie und der Public Choice-Theorie genauerer Aufschlüsselung, damit die begrenzte Tragfähigkeit der Theorien von vornherein klar ist.
2. Methodische und praktische Schwächen
Die ausufernde Kritik an den Ansätzen von (1) Olson und (2) der Public Choice-Theorie in allen ihren Verästelungen systematisch zu erfassen, ist nicht Anspruch dieses Abschnitts, in dem vielmehr die Leistungsfähigkeit und Tragfähigkeit des Ansatzes allein für GATT-Belange abzumessen ist. Betrachten wir die beiden Theorien der Neuen Politischen Ökonomie gesondert, um (3) zu einem Fazit zu kommen. Methodische Schwächen im wissenschaftstheoretischen Sinne innerer Widersprüchlichkeit oder Verworrenheit werden an der Olson' sehen und der Public Choice-Theorie in der Literatur nur selten bemängelt, ihnen wird im Gegenteil immer wieder "Eleganz" und "Stringenz" nachgesagt. 91 Das dürfte nicht zuletzt an ihren klaren Annahmenstrukturen liegen, die die Theorien als Musterbeispiele für solide Ökonomik auszeichnen. 92 (1) Olson: Ein wichtiger methodologischer Einwand richtet sich allerdings gegen die makroökonomischen Folgerungen, die allen voran Olson aus seinen mikroökonomischen Analysen zieht, namentlich den Aussagen zu gesamtwirtschaftlichen Wachstumsprozessen. Damit zusammen hängt auch die Kritik am normativen Gehalt einer Theorie, die ökonomische Wachstumsprozesse undif91 Vgl. Schubert, 1992a, S. VII, 1992b, S. 187, Waschkuhn, 1992, Lehner, 1992, S.79. 92 Daß die Annahmen der Ökonomik selbst massiver Kritik unterliegen, ist hierbei unberücksichtigt.
N. Neue Politische Ökonomie nach Olson und Public Choice
111
ferenziert als wohlstandsfördernd definiert und damit in gleichgewichtstheoretische und paretoeffizienzorientierte Argumentationsmuster der Neoklassik zurückfällt. 93 Hier liegen aus Sicht eines methodologischen Individualismus logische Brüche vor. 94 Indessen braucht dieser explikative Teil Olsons Theorie hier nicht eingehend erörtert zu werden, da die gestellte Frage nach der Rechtsbeachtung im GATT viel weniger auf makroökonomische Folgerungen von Organisationen und Institutionen abzielt, als vielmehr auf die subjektiven Handlungsmotivationen internationaler Entscheidungsträger . Deshalb die hier gesuchte Verknüpfung mit der Public Choice-Theorie, respektive der Neuen Politischen Ökonomie. Deshalb aber auch die Entbehrlichkeit weiterer Untersuchungen zu den logischen Inkonsistenzen und dem "normativen Überschuß " und der "Ideologieanfälligkeit"95 der Theorie.
Praktische Schwächen bemessen sich v.a. an Fragen der Abbildbarkeit praktisch-konkreter Gegebenheiten, sowie der Anschlußfähigkeit an die Diskussionen in anderen sozialwissenschaftlichen Fachdisziplinen. Anders als auf methodologischer Seite sind unzählige praktische Vorbehalte gegen Olsons Ausführungen vorgebracht worden. Sie beziehen sich auf beinahe jeden Aspekt und jeden Begriff der Theorie und haben durch Olsons (1985) umstrittenen empirischen Versuche nur noch zugenommen. Auf zwei Kembereiche lassen sich die gegen Olsons Ansatz vorgebrachten praktischen Einwände verdichten: Erstens ist die Theorie nur in den engen Grenzen stabiler Standardsituationen innerhalb demokratisch verfaßte Gesellschaften plausibel begründet. Zweitens ist sie unterkomplex in dem Sinne, daß sie keinen Anschluß an Empirie und Terminologie in den jeweiligen Fachdisziplinen findet. Ihre empirisch-analytische Reichweite ist somit schon im Ansatz gering; mit
93 Mjosjet, 1985, S. 79, betitelt Olsons Methode in einen review essay mit: "neoclassical institutionalism" . Beipflichtend Keller, 1992, S. 93.
94 Zur Kritik bzgl. eines mangelnden methodologischen Individualismus vgl. ausführlich Keller, 1992, S. 88-110 (mit Literaturverweisen), der die aggregierende Betrachtungsweise scharf kritisiert, sie aber in Richtung auf einen methodologischen Individualismus für ausbaufähig einstuft. Hierin sei die Korporatismusforschung bereits ein ganzes Stück weiter gediehen. Auch Lehner, 1992, S. 97-87, fordert, das Erklärungspotential der Theorie systematischer für differenzierte Analysen der Staatstätigkeit, insbesondere der Handlungsanreize unterschiedlicher wirtschafts- und sozialpolitischer Strukturen zu nutzen. 95 Letztere Einwände wurden aus systemtheoretischer Sicht v.a. von Amo Waschkuhn, 1992, S. 28 ff., formuliert, können hier aber nicht vertieft werden.
112
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
ihr können nur limitierte Ausschnitte der Realität modelliert werden. Die Kritikpunkte im einzelnen: Stabile Standardsituationen und Demokratie: Homann/Suchanek, 1992, S. 13 ff., machen deutlich, daß der Ansatz ledig-
lich in den Grenzen stabiler Kosten-Nutzen-Relationen gut begründet ist. Über alltägliche und offene Prozesse läßt sich mit Olson hingegen nichts aussagen.)\ber selbst in stabilen Standardsituationen beziehen sich Olsons Analysenhcht einseitig auf Verfallsprozesse. 96 Zwar verweist Olson auf die Grenzen soziologischer und sozialphilosophischer Kategorien, wenn er zeigt, daß immer da, wo individuelle Präferenzen und Interessen systematisch und nachhaltig verletzt werden und damit deren individuelle Kosten erkennbar werden, soziale Rollen, Normen und Werthaltungen "zu teuer" werden und an bindender Wirkung verlieren. Es gelingt ihm aber nicht zu begründen, wie die individuellen Präferenzen und Interessen selbst bedingt sind. Sie bleiben exogene Fixgrößen, die keiner Analyse zugänglich sind. Unterkomplexität: Olson's Theorie bleibt hinter der Komplexität empirisch-realer politischökonomischer Systeme zurück und verkommt damit zu einem "analytischen Korsett" . 97 Auch schafft sie den Anschluß an die Terminologie in den Fachdisziplinen nicht, und weist deshalb eine geringe empirisch-analytische Reichweite auf, weil sie nur limitierte Ausschnitte der Realität modellieren kann. Man könnte auch formulieren: Mangelnde Berücksichtigung empirisch feststellbarer , historisch und institutionell unterschiedlich ausgeprägter Strukturbedingungen für die jeweils konkret gewählte, nationale Interessenvermittlungs- und Politikstrategie. 98 Der - wissenschaftstheoretisch schillem96 Schubert, 1992, S. 187, schreibt: "Diese Sichtweise läßt zwangsläufig Prozesse des - ökonomischen - Niedergangs besonders hervortreten. Die 'Normalsituation' ist für Olson daher die negative, sklerotisierende, den gemeinsamen Nutzen hintertreibende Ausbeutung alters durch ego. Diese 'Normalsituation' kann nur über außerordentliche - im theoretischen Ansatz nicht enthaltene - Umstände und Katastrophen, Kriege, Revolutionen u.ä. durchbrochen werden. Die Voraussetzungen für - ökonomische - Aufstiegsprozesse liegen damit in der gelegentlichen, von außen definierten Katharsis, die jedoch allenfalls temporär und eher zufällig positive Entwicklungen freisetzt. In diesem puritanischen Weltbild ist (schicksalhaft prädestiniert?) die Degeneration, der soziale Alterungsprozeß von Gesellschaften das Normale; die Rekonvaleszenz bleibt - gelegentlicher - externer Fügung überlassen... 97 Schubert, 1992b, S. 187.
98 Vgl. Waschkuhn, 1992, S. 28 ff., der gleich einen differenzierten (systemtheoretischen) Überblick über die Subsysteme in Gesellschaften entgegenstellt (S. 38), um damit die Spezifität von Olson hervorzukehren. Diese Kritik verdichtet er zur These der Ideologieanfälligkeit, indem er argumentiert, Olson würde einseitig nur die
IV. Neue Politische Ökonomie nach Olson und Public Choice
113
de - Begriff der Unterkomplexität, den sich v.a. Systemtheoretiker zu eigen gemacht haben, kann wenigstens verdeutlichen, daß sich Olson nur einem ganz bestimmten Bereich der gesellschaftlichen Wirklichkeit zuwendet: einem nach Märkten durch Geld geordneten, instrumentell-ökonomischen System, bei dem Menschen in bestimmten Markt-Rollen aufeinandertreffen. Jede praktische Sicht macht aber unmittelbar klar, daß dies eine Verkürzung politischer Prozesse bedeutet, weil sich einzelne Individuen in verschiedenen Lebensweltbereichen und je verschiedenen Rollen befinden. 99 Olson's Konzeption von Verbänden greift in ihrem Zuschnitt auf Verteilungskoalitionen (mit ihrer alleinigen Unterscheidung von "special interest" und "encompassing organizations") viel zu kurz und verwischt die Unterscheidung zwischen individuellen und korporativen Akteuren, die dann letztlich doch single-actors sind. 100 Damit tritt aber ein weiterer blinder Fleck zum Vorschein: die unterschiedlichen Binnenstrukturen von Interessengruppen. Woran liegt es, daß sich in Kleingruppen "effizientere" Verhaltensmuster herausbilden? Olson's Andeutungen "sozialer Anreize", die zu strukturell bedingten organisatorischen Vorteilen führen sollen, können über den Status von Behauptungen nicht hinausreichen und sind vertragstheoretisch-rationalistisch (s.u., nächste Theorie). Erklärungen bietet er nicht an.
Insgesamt bleiben Olson's Analysen auf kleine Ausschnitte gesellschaftlicher Prozesse beschränkt, zu denen Politikprozesse nicht gehören. Olson Verteilungswirkungen von Interessengruppen sehen und spezifische Integrations- und Verhandlungsaspekte vernachlässigen. Seine Perspektive erzeuge einen Determinismus, der praktisch nur eine "altliberale-neokonservative" Lösung, nämlich die Abschaffung aller Sonderinteressen, zuläßt. 99 Diesen Aspekt führt z.B. Czada, 1992, S. 57 ff., aus politikwissenschaftlicher Sicht praktisch aus. Er zeigt, wie sich überlappende Mitgliedschaften von Verbandsmitgliedern und das Vorhandensein von "Mitreisenden" - zwar nicht beitragenden, aber mit den jeweiligen Zielen sympathisierenden Individuen, als dem zweiten Gesicht des Trittbrettfahrens - zu einem umfassender Bild vereinen lassen. Wegen der daraus erwachsenden tendenziellen Offenheit von Interessengruppen ("Gesellschaftlichkeit gegenüber den eigenen sowie den anderer Interessen") sind institutionelle Verfestigung nicht mehr nur einseitig als sklerotisch anzusehen, sondern wirken gesamtgesellschaftlich auch integrierend (und in der Folge vielleicht sogar wohlfahrtssteigernd). Diese Tendenz wird, so Czada, S. 63 ff., verstärkt durch einen Wettbewerb der Interessen untereinander, der zwar nicht zu einem pluralistischen Gleichgewicht, aber doch zu einer geringeren sozialen Schließung und Rigidität führt, als sie Olson vorhersieht. 100 Vgl. Keller, 1992, S. 88 ff. 9 Kopke
114
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
dringt zudem zur eigentlichen Problematik: der Binnenstruktur kollektiver Koordinationsleistungen, nicht vor und kann mithin das Spektrum der politischen Interessenvermittlung theoretisch nicht abbilden. 101
(2) Public Choice: Das im Rahmen der Public Choice-Theorie thematisierte
Entscheidungs- und Handlungskriterium der "politischen Effizienz" ist, wie Olsons Interessengruppenanalyse, hauptsächlich aus methodischen Gründen der Vorgehensweise bedenklich. Außerdem modelliert sie systematisch nur eng umgrenzte Ausschnitte der erfahrbaren Wirklichkeit, die im wesentlichen auf bestimmte raum-zeitliche Verhältnisse zugeschnitten sind, insbesondere die USA, und ist dehalb auch praktisch wenig aussagekräftig. Die Methodenprobleme der Public Choice-Theorie rühren zum einen daher, daß sie zumeist in eine neoklassische Argumentation eingebunden wird l02 , zum anderen aber aus einer ungeheuren Verkürzung ihres Differenzierungspotentials: Die Analogie zwischen marktmäßigem und politischem Wettbewerb karikiert politische Prozesse zu einem Zerrbild, das mit der Realität nur noch wenig zu tun hat - auch wenn man diese "Realität" (älmlich vieler Machtphänomene) nur
101 Voelzlww/Hilbert, 1992, S. 127 ff., zeigen, daß bestimmte Verteilungskoalitionen wie technische Nonnung und berufliche Bildung aus polit-ökonomischer Sicht durchaus auch "wohlfahrts steigernd " wirken können, weil sie Ordnungsleistungen erbringen, die Märkte vervollkommnen und Transaktionskosten senken helfen. Am Fallbeispiel Niederlande zeigt Waarden, 1992, S. 139-168, daß es einer Theorie des Einflusses und der Institutionalisierung bedürfte, um auch zwischenverbandlichen Austausch sowie Koalitions- und Kooperationsprozesse abzubilden. Schmid, 1992, S. 169-185, weist auf eine weitere Vernachlässigung der Theorie hin: Interessenvermittlungssysteme müssen in modernen Demokratien grundsätzlich dual, d.h. auf Parteien und Verbände hin konzipiert werden. Er plädoyiert für eine stärkere Konzentration auf arenen- und politikspezifische Untersuchungen über den Zusammenhang von verbandlicher und parteipolitischer Interessenvermittlung. Vgl. zudem Naschold, 1989, S. 210 ff., der fordert, die strategischen Wahlhandlungen der wirtschaftspolitischen Akteure müßten konsequent in ihrem jeweiligen institutionellen Zusammenhang gesehen werden. 102 Eine umfassende Kritik neoklassischer Public Choice-Ansätze leistet Wohlgemuth, 1994a, und kommt zu dem Ergebnis, daß ohne Berücksichtigung begrenzter Infonnationsgewinnungs-, -verarbeitungs- und -übermittlungs fähigkeiten und der Berücksichtigung der jeweiligen Institutionen jeglicher Vergleich politischer und marktlicher Prozesse absurd ist. In der Diskussion brauchen diese Kritikpunkte nicht aufgenommen zu werden, weil gemäß der in dieser Arbeit getroffenen Annahmen für die Ökonomik ("bounded rationality" und Institutioneneinbeziehung) ohnehin neoklassische Public Choice-Varianten nicht in Betracht kommen.
IV. Neue Politische Ökonomie nach Olson und Public Choice
115
als Vorstellungen in den Köpfen der Handelnden modelliert. Weder auf der "Nachfragerseite" noch auf der "Anbieterseite" lassen sich politische Prozesse wie Märkte auffassen. Die "getauschten" "Güter" unterscheiden sich fundamental voneinander und es gibt kein Geld. Daß es Geld gibt deutet nämlich für Tauschmärkte auf einen extrem hohen Grad der Standardisierung von Beziehungen hin, d.h. auf eine Fülle gemeinsam anerkannter Verhaltensregeln bzw. Institutionen, die Verhaltenssicherheit erzeugen, und in die die entgeltlichen Tauschgeschäfte sicher eingebunden sind. Im politischen Prozeß können dagegen erstens Institutionen gegen den Willen anderer umdefiniert werden, zweitens aber, und viel gravierender: politische Akteure können die Institutionen, die ihre eigenen Handlungsbedingungen bestimmen, teilweise verändern, also ihre eigenen Spielregeln (kollektiv) je neu definieren. Darin haben sie zudem ein Monopol. Deshalb sind die Güter des politischen Prozesses wenig standardisiert: weil das staatliche Monopol, legitimen Zwang oder Gewalt auszuüben, ("political rights") kaum übergeordnete Verhaltensnormen kennt (bis auf Verfahrensfragen und z.B. Menschenrechte) und für Individuen extreme Eingriffe mit sich bringen kann. Neben diesen Kritikpunkten generiert auch die - oben schon andiskutierte - "Binnenproblematik" politischer Prozesse vielfaltige Fragen: Auch Bürokraten und andere Beteiligte treffen wichtige (Vor-) Entscheidungen in staatlichen Entscheidungsstrukturen und -prozessen. Deren Motivationen sind aber nicht durch Wahlchancen konzeptionalisierbar. 103 Erheblicher als diese Vernachlässigungen ist aber die generelle Erklärungslosigkeit für individuelle Handlungsmotivationen im politischen Raum. Auch Public Choice-Theorie also ist auf der Systemebene noch
unentwickelt und auf der individuellen Handlungsebene blind.
(3) Fazit: Ist die Neue Politische Ökonomie "ausbaufähig"? Die erörterten methodischen und praktischen Probleme der Neuen Politischen Ökonomie, hier verstanden als Olsons Interessengruppentheorie und der Ausgestaltung des politischen Entscheidungsraums durch Public Choice, haben dem Ansatz
103 Um diesen Aspekt plastisch zu machen denke man z.B. nur einen Moment über die Gesetzgebungsprozesse bei der Verabschiedung einer EG-Richtlinie nach. (Als gutes Beispiel eines differenzierenden Institutionenvergleichs zwischen U. S.amerikanischen Congress und deutschem Bundestag Thaysen, 1988). Entgegengesetzt argumentiert Herrmann-Pillath, 1991, S. 50 ff., kann aber den eigenen Anspruch (zu zeigen, "daß die ökonomischen Interessen beim institutionellen Wandel sich nicht effizienzorientiert artikulieren, sondern zumeist verteilungsorientiert") nicht einlösen. Zur Bürokratietheorie vgl.: Tullock, 1965, Downs, 1967, Niskanen, 1971.
116
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
ganz klare Grenzen gewiesen. Viele Autoren halten den Ansatz dennoch für prinzipiell fruchtbar und nur noch nicht hinreichend "ausgebaut" .104 Dabei treten bei der Einführung des ökonomischen Kalküls in politisch-ökonomische Theoriezusammenhänge zwei Problemkreise, oder "Ausblendungen" 105, besonders in den Vordergrund: Zum einen die Vernachlässigung der Unterschiede bestimmter gesellschaftlicher Konstellationen, die erst Entscheidungsalternativen erlauben; anders gesagt werden die je verschiedenen Institutionen bzw. institutionellen Arrangements nicht mitmodelliert. Dies liegt wohl an dem Theorieanspruch der zeitlosen Gültigkeit. 106 Zum anderen werden die individuellen Motivationen und -anreize der handelnden Akteure ausgeblendet. 107 Ich möchte hier nur andeuten, daß gerade die letztere Problematik elementar mit der spezifisch ökonomischen Rationalität verknüpft ist, worauf ich noch zurückkommen werde. Sie ist deshalb auch nicht "ausbaubar" sondern erfordert ein klares Umdenken. Vorher sollen jedoch die weiteren ökonomischen Theorieansätze geprüft werden, die einen genaueren Zugriff auf die institutionellen Arrangements bei der politischen Vermittlung sozioökonomischer Interessen versprechen - und damit ihre Theorien der ersten Ausblendung entgegensetzen. Doch zuvor zurück zur GATI-Fragestellung.
104 Zusammenfassend Schuben, 1992b, S. 186 f. 105 Vgl. Wilkesmann, 1992, S. 44-56. 106 Dagegen Schuben, 1992b, S. 190 f., mit Blick auf Olson: "Es bleibt schließlich festzuhalten, daß von der Vorstellung raum-zeitloser Theorien - zumindest in den Humanwissenschaften - wohl ein für alle Male Abschied genommen werden muß." Und früher (Schuben, 1991): "Auch die wissenschaftlicher Analyse unterworfene Realität muß immer wieder neu geschaffen und interpretiert und insbesondere die inhaltliche Bedeutung sozialen, ökonomischen und politischen Handelns berücksichtigt werden. 107 Vgl. Luthardt, 1992, dies exemplarisch am Zusammenhang von Organisationskultur und Arbeitsmotivation aufzeigt und weiterhin betont, daß Beteiligungs- und Interessenvermittlungsprozesse von theoretisch strengen Nationalökonomen, auch von Olson, grundsätzlich negativ konnotiert werden. Diese Sichtweise sei aber nicht nur demokratietheoretisch problematisch, sie nehme auch das positive Potential, den Gestaltungsraum und die Veränderungsmöglichkeiten nicht zur Kenntnis, die sich aufgrund vielfältiger Beteiligungsprozesse erschlössen.
V. Ökonomische Theorie der Verfassung nach Buchanan
117
3. Empirisch-analytische Reichweite für GATT-Fragestellungen
Die Polit-Ökonomie von Olson und Public Choice führt geradewegs in den Kembereich unserer Analyse. Die Modellierung von Politik- und Rechtsprozessen mit einer ökonomischen Methode, entspricht gerade den in dieser Arbeit aufgeworfenen Fragestellungen zum GATT. Insbesondere die theoretische Verknüpfung von Macht- und Marktphänomenen läßt ausgedehnte Erklärungspotentiale vermuten. Leider zeigt eine methodische und praktische Kritik, wie unfertig diese Verknüpfung bisher nur vorliegt. Die mit den Begriffen der Theorie recht plausibel formulierbare Hypothese, daß die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche höher sind, als die eines Verzichts' weil die innenpolitischen "Rechtfertigungskosten" gegenüber nationalen Interessengruppen hoch angesetzt werden, widersetzt sich indes einfacher Prüfung, weil Olson und Public Choice-Theorie für eine Erklärung keine weiteren analytischen Differenzierungen bereithalten. In der praktischen GATT -Frage werfen sie ein Bündel von Fragen auf (die hier nicht alle aufgeschrieben werden), können sie aber v.a. wegen ihrer Blindheit für die individuellen Handlungsmotivationen keiner Beantwortung näher bringen. 108 Zwar scheint dadurch der rein-empirische Weg des Testens spezieller Hypothesen prinzipiell noch nicht versperrt. Ob er aber auch praktisch gangbar ist, muß stark bezweifelt werden - wie bereits in der Einleitung dieser Arbeit ausgewiesen.
V. Ökonomische Theorie der Verfassung nach Buchanan Interpretiert man das GATT als einen Verfassungsvertrag i.S. Buchanans 109 , so wäre das GATT als der Versuch der internationalen Akteure anzusehen, durch eine Art "Abrüstungsvertrag" die hohen Kosten des Selbstschutzes einzusparen, indem sie sich gegenseitig vertraglich einen "Nichtangriffspakt" zusichern. Damit versuchen sie nicht nur die innere und äußere staat-
108 Die Analyse politischer Prozesse macht u.a. deutlich, daß es bei ihnen viel weniger um bestimmbare (und tauschbare) Güter geht, als vielmehr um Begründungsund Überzeugungsprozesse. Diese sind in einem Tauschparadigma aber nicht ohne weiteres abbildbar. Dazu ausführlich im Teil D. 109 Vgl. BuchananlTullock, 1962, Buchanan, 1965, 1975, 1977, 1990, sowie Reisman, 1990.
118
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
liche Souveränität sowie ihre Bürger zu schützen, sondern im Handelsbereich insbesondere auch deren in- und ausländischen Eigentums- und Handlungsrechte. Diese Interpretation ist naheliegend, weil es nur eine überschaubare Zahl von Völkerrechtssubjekten gibt, mithin auch im GATT nur wenige Mitgliedsstaaten versammelt sind, bei wenigen "Akteuren" aber einstimmige Entscheidungen (Abstimmungen) möglich sind. Die Voraussetzung der Einstimmigkeit muß laut Buchanan für den Verfassungsvertrag nämlich unbedingt gegeben sein. 110 Da jeder Vertrag, so auch dieser Verfassungs- und Abrüstungsvertrag gebrochen werden kann, verhalten sich die Akteure zurückhaltend mit rechtlichen Durchsetzungsversuchen gegenüber Vertragsverletzungen und -umgehungen, um den ursprünglichen Vertrag nicht in seinem Bestand zu gefährden. Daraus kann formuliert werden: Hypothese: Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die eines Verzichts, weil das GA1T als "AbTÜstung"-ermöglichender Verfassungsvertrag durch rechtliche Durchsetzungsversuche in seinem Bestand gefährdet werden könnte. lll
1. Darstellung und Kritik
Nach der Argumentation von Buchanan befinden sich die Individuen in einem Naturzustand Hobbes'scher Prägung, in dem sie ihre Arbeitskraft zwischen den drei Tätigkeiten Produzieren, Stehlen und Schützen von Gütern aufteilen. Stehlen und Schützen sind Ausdruck fehlender allgemein anerkannter Eigentumsrechte. Durch einen Verfassungsvertrag l12 vereinbaren sie dann einen Rechtsschutzstaat, der eine "Abrüstung" und damit Produktivitäts- und Wohlstandsgewinne ermöglicht. Die gedankliche Übertragung von "Urzuständen" auf heutige Gesellschaften erfordert allerdings einige Flexibilität.
110 Von der ursprünglichen Rechtfertigung der Einstimmigkeit aus Pareto-Optimalitätsüberlegungen scheint Buchanan, z.B. 1991, zunehmend abgegangen zu sein. 111 Diese Hypothese ist vom Wortlaut mt der in dieser Arbeit letztendlich gefundenen Erklärung sehr ähnlich. Eine nähere Betrachtung wird aber zeigen, daß Buchanan als Vertragstheoretiker zu seinem Schluß auf einem ungenügend begründeten Erklärungsweg gelangt. 112 Die lückenhafte und streitige Deftnition des Begriffs "Verfassung", die eigentlich eine deutliche Abgrenzung zu anderen Vertragsarten ermöglichen müßte, soll hier nicht diskutiert werden.
V. Ökonomische Theorie der Verfassung nach Buchanan
119
Unbeantwortet läßt Buchanan auch die Frage, warum sich Individuen als Vertragspartner auch tatsächlich an die getroffenen Vereinbarungen halten sollten. Nach Buchanan tun sie dies nur so lange, wie sie Vorteile aus dem Verfassungsvertrag erwarten, oder Nachteile aus seiner Aufkündigung. Gerade spieltheoretisch ist aber wiederholt nachgewiesen worden, daß auch ein Vertragsbruch enorme Vorteile mit sich bringen kann, wenn der oder die Vertragspartner nicht darauf vorbereitet sind (was mit Buchanan vorausgesetzt werden muß, sonst gäbe es keine Abrüstungsvorteile). Da Vertragsbruch aber nie vollkommen ausgeschlossen werden kann, auch nicht durch Abschluß eines "Meta-Vertrags", der wiederum gebrochen werden könnte, versagt die Buchanan' sche Verfassungs theorie in dem wichtigen Punkt der Erkliirung der Frage, warum Verträge eingehalten werden und warum ihre Beachtung eingeklagt wird. Zudem wäre zu bestimmen, wie die Übertragung auf das GATI bewerkstelligt werden könnte, ohne implizit eine "single-actor"-Hypothese staatlicher Ein-Entscheider einzuführen. Eine notwendige politische Fundierung leistet Buchanan nicht.!13 Vor allem die Frage, worin die persönlichen Vorteile rationaler staatlicher Entscheider beim Abschluß dieses "GATI-Verfassungsvertrags" liegen sollen, entzieht sich dem Bereich Buchanan'scher Erklärungsmöglichkeiten (was freilich eher an der unzureichenden Hypothese liegen mag, als an der Buchanan'schen Theorie). Völlig unklar ist, wie Einstimmigkeit international denkbar sein so11. 114 Schließlich müssen dauerhafte 113 Dabei muß von Buchanan, 1991, abgesehen werden, der sich mit der Supranationalität der EG auseinandersetzt, für hiesige Zwecke aber nicht aufschlußreich ist. 114 Zum Problem der einstimmigen Zustimmung schreibt Ipsen, 1990, S. 13, kritisch: "Verbindliche Verhaltensmuster innerhalb einer organisierten sozialen Kleinoder Groß gruppe entstehen zunächst durch die Einsicht der Beteiligten (der Subjekte) in die Notwendigkeit der Regelung. In den Staaten wird diese jedem sozialen System immanente Regelungsnotwendigkeit durch (vertikale und/oder horizontale) Organisation der Rechtsetzung, des Rechtsvollzugs und der Rechtskontrolle 'verfaßt' . An der als kontinuierlichen Vorgang betrachteten 'Verfassung', selbst geboren aus der Regelungsnotwendigkeit, nehmen die Menschen - als Individuen oder als organisierte Gruppen - mit unterschiedlichem Verständnis, mit unterschiedlichem Einfluß und zudem systembedingt inhaltlich sowie zeitlich nur punktuell (z.B. durch Wahlen und Abstimmungen) teil. Deshalb bleibt der Konsens über die Regelungsnotwendigkeit im Sinne der Zustimmung aller Angehörigen eines Staates stets ein realitätsfemes Ideal, das zumeist durch die Fiktion des Grundkonsenses oder durch Dogmen unterschiedlicher ideologischer Provenienz ersetzt wird. Zwischen den Staaten aber gibt es keine derartige 'Verfassung' der Regelungsnotwendigkeit. Hier geht es nicht um die um-
120
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
Koalitionenbildungen ausgeschlossen115 und eine Erklärung für die Bereitschaft auch größerer Staaten geliefert werden. 116
2. Mangelhafte Erklärungskraft
Sähe man von dieser prinzipiellen Kritik ab, ließe sich für die GATIFragestellung untersuchen, ob Abschluß und Weiterentwicklung des GATI als Äquivalent zu einem Buchanan' schen Verfassungs- und Rechtsschutzstaat gesehen werden können. Daraus müßte zudem plausibel begründbar sein, daß internationale Entscheidungsträger auf den Einsatz rechtlicher Durchsetzungsmittel verzichten. Es müßte also begründbar sein, daß die handelnden Akteure geschehene Vertragsverletzungen und -umgehungen dulden, um einer durch die Anwendung von Rechtsmitteln und -möglichkeiten zu befürchtenden zusätzlichen Konfliktgefahr auszuweichen. Damit könnte aber, wenn überhaupt, nur der Verzicht auf jegliche Durchsetzungsversuche begründet werden. Nicht gezeigt werden könnte, warum - wie im GATI zu beobachtenstatt rechtlicher, machtpolitische oder diplomatische "Konfliktlösungsverfahren" zum Einsatz kommen. Wegen dieser Mängel kann der Buchanan'sche Erklärungsansatz nicht weiterverfolgt werden. Bereits die Formulierung einer Hypothese wirft Probleme auf, die zusammengenommen mit den theoretischen Defiziten zu einer
fassende Regelungsnotwendigkeit, getragen von Abstraktionen wie dem stets autonomen Staatswillen, dem ' Gemein-Willen', dem common consent, dem äqualisierten Willen, der Grundnorm oder der vorgegeben Grundwerte. Hier ist vielmehr stets der Konsens der beteiligten Subjekte untrennbar mit seinem Gegenstand verbunden. " 115 Vgl. Buchanan, 1975, S. 55. 116 Buchanan, 1975, S. 80, schreibt: "On the basis of purely economic motivati-
on, individual members of a dominant and superior group (who consider themselves to be such and who were in the pos session of power) would never rationally choose to adopt constitutional roles giving less fortunately situated individuals a position of equal participation in governmental processes. " Die Rationalität staatlicher Entscheider prüft Voigt, 1992, S. 63 ff. Dabei berücksichtigt er nicht, daß die starke institutionelle Einbindung und - zumindest im Handelsbereich - die geringe Relevanz intuitiver Entscheidungsmomente auch für eine stark zweckrationale Ausrichtung sprechen können. Die Buchanan' sehe Annahme mobiler Entscheidungsträger zur Überwindung dieses Selbstverpflichtungsdilemmas bleibt im Falle der internationalen Handelsordnung zu schwach.
VI. Ordnungstheorie (Eucken, Hayek, Böhm u.a.)
121
Ablehnung der Theorie gereichen muß. So bleibt v.a. im dunkeln, welche Vorbedingungen (oder: Meta-Regeln) es sind, die Individuen zur Einhaltung und Durchsetzung eines einmal geschlossenen (Verfassungs-) Vertrags bewegen, zumal sie es wohl meistens nicht selber gewesen sind, die dem ursprünglichen Vertrag (hier: dem GATT) zugestimmt haben. Bessere Erklärungsangebote zu diesem Fragenkreis könnte u. U. die Ordnungstheorie bieten. 117
VI. Ordnungstheorie (Eucken, Hayek, Böhm u.a.) Hypothese: Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die eines Verzichts, weil das GAlT als Analogon eines internationalen Ordnungsstaats gesehen wird, der durch rechtliche Durchsetzungsversuche stärker gefährdet wird, als durch Vertragsverletzungen und -umgehungen.
Auch heute noch sind "die Grundlagen" von Ordnungstheorie und Ordnungspolitik in der ordoliberalen Schule zu sehen, als deren herausragender Repräsentant Walter Eucken gilt. 118 Für Ordnungstheoretiker lassen sich gesellschaftliche Phänomene durch Ordnungselemente beschreiben und erforschen. In ihrem Selbstverständnis als Liberale haben sie sich v.a. mit der Frage auseinandergesetzt, welche allgemeinen Verhaltensregeln für eine möglichst freie Gesellschaft unabhängiger Individuen notwendig sind. Ihre Befürwortung der Marktwirtschaft resultiert also nicht in erster Linie aus Forderungen nach einem höchstmöglichen Güterniveau (bestmöglicher "Knappheitsüberwindung") sondern vielmehr aus der Überzeugung, daß Marktwirtschaft Ausdruck eines freiheitlichen Prinzips ist. 119
117 Anzumerken ist, daß auch v. Hayek zeitweise eine internationale Verfassung, LS. eines Weltstaates, einer Weltregierung, gefordert hat (vgl. Hayek, 1944/91: 271 ff., Kap. 15). Nähere Analysen v. Hayeks Gesamtwerks führen aber rasch zu der Überzeugung, daß es sich hierbei um einen von ihm später nicht weiter verfolgten "Ausrutscher" handeln muß, der nur aus der besonderen geschichtlichen Situation heraus nachvollziehbar ist. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch Voigt, 1992, S. 69 f. 118 Vgl. Eucken, 1939/89: "Die Grundlagen der Nationalökonomie". 119 Dieser moralphilosophischen Rechtfertigung steht v.a. das Gedankengut der Aufklärung, besonders in den Begriffen Kants, Pate: Freiheit als ungehinderte Willensentfaltung, die ihre einzige Grenze in der nämlichen Entfaltung anderer Individuen besitzt, vgl. Hayek, 1971, S. 13, Freiheit als "Zustand der Menschen, in dem Zwang
122
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
Die allgemeinen Verhaltensregeln, die Spielregeln für eine freie Gesellschaft, müssen nach Ansicht der Ordnungstheoretiker bestimmten formalen und inhaltlichen Bedingungen genügen. Formal müssen sie "universalisierbar" sein. Universalisierbarkeit von Regeln bedeutet seit Kaut, Allgemeinheit, Offenheit und Bestimmtheit (bzw. Eindeutigkeit). 120 Inhaltlich sind mit Eukken "Privateigentum, Vertragsfreiheit und Wettbewerb" gemeint.1 21 Allerdings werden von Ordnungstheoretikern Einschränkungen dieser Prinzipien allgemein anerkannt. Erstens bedarf es eines Staates, um diese für eine Marktwirtschaft funktionalen Regeln durchzusetzen. Zweitens gibt es bestimmte gesellschaftliche Regelungen, die nicht mit solchen Spielregeln der Marktwirtschaft koordiniert werden können. Deshalb erkennen Ordoliberale regelmäßig einen begrenzten Bereich legitimer staatlicher Intervention an, der freilich möglichst gut eingegrenzt sein soll und gegen staatliche Ausweitungsansprüche gesichert werden muß (s.u.). In der Praxis sind ordoliberale Kategorisierungen allenthalben erkennbar: in den meisten westlichen Demokratien werden allgemeine Verhaltensregeln im politischen Prozeß durch Verfassungen und Gesetze festgelegt, d.h. nach möglichst universalisierbaren Verfahren (formaler Aspekt), um die Zwecke Privateigentum, Vertragsfreiheit und Wettbewerb zu fördern oder möglichst wenig zu behindern (inhaltlicher Aspekt). Ordnungstheoretische Forschungen richteten sich zu jeder Zeit auch auf diesen Zusammenhang zwischen "politischem" und" wirtschaftlichem" Prozeß, den bereits Eucken unter dem Stichwort "Interdependenz der Ordnungen" thematisierte. Im Mittelpunkt ordnungstheoretischer Forschungsprogramme stehen regelmäßig zwei Fragen: Erstens, welcher Ordnungsgrundsätze und -prinzipien bedarf es zur Errichauf einige von Seiten anderer Menschen so weit herabgemindert ist, als dies im Gesellschaftsleben möglich ist". 120 "Allgemeinheit" von Regeln bedeutet, daß sie "auf eine unbekannte und unbestimmte Anzahl von Personen und Fällen anwendbar" sind" (vgl. Hayek, 1973/86, S. 73). "Offen" sind Regeln, wenn sie nicht bestimmte Handlungen vorschreiben, sondern nur bestimmte Handlungen verbieten und damit den Akteuren systematisch die Chance lassen, neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken und auszuprobieren (vgl. Hayek, 1969). "Bestimmtheit" bzw. "Eindeutigkeit" bezeichnet die Eigenschaft von Regeln, daß jeder Akteur im vorhinein wissen kann, ob eine geplante Verhaltensweise regelkonform ist oder nicht (vgl. auch Streit, 1991, S. 113). Modeme Rechtspraxis bedient sich mit ihren Begrifflichkeiten der abstrakt-generellen Regeln ganz ähnlichen Prinzipien. 121 Vgl. Eucken, 1939/89, S. 52 ff.
VI. Ordnungstheorie (Eucken, Hayek, Böhm u.a.)
123
tung einer Gesellschaft mit größtmöglicher individueller Freiheit. Zweitens, wie können diese Ordnungsgrundsätze und -prinzipien verwirklicht, gesichert und gegebenenfalls weiterentwickelt werden. Die zweite Frage deutet, wie gesehen, unausweichlich auf den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem und politischem Prozeß und der damit verbundenen Rechtsordnung, aber auch weiteren gesellschaftlichen Ordnungsleistungen. 122 Die Bedeutung der Ordnungs theorie für unsere Fragestellung ergibt sich aus der Überlegung, daß sie ausschlaggebenden Einfluß auf die staatstragenden Überzeugungen vieler Entscheidungsträger und Wähler in dieser Welt haben könnte, indem ihre Erkenntnisse handlungsleitende Funktion für international relevante Entscheidungsträger haben, weil sie prägender Teil ihrer Kalküle, Vorstellungen und Überzeugungen sind. Die Verbreitung dieser Überzeugung kann aus der jahrzehntelangen scharfen Ost-West-Kontroverse im Zuge der Gegenüberstellung zwischen westlichen Marktwirtschaften und sozialistischen Planwirtschaften - von denen sich Ordoliberale hauptsächlich abgegrenzt wissen wollten - erklärt werden, aber auch aus der Tatsache, daß im GATT in erster Linie liberale Prinzipien und Grundsätze zu verwirklichen versucht wurden. 123 Demnach könnte eine Hypothese lauten: Die Beachtung internationaler Verträge - wie das GAlT - kann daraus erklärt werden, daß Entscheidungsträger aus Einsicht in Ordnungszusammenhänge handeln. Diese Einsicht müßte auf die Überzeugung hinauslaufen, daß jede, auf vertraglichen Grundlagen errichtete Ordnung durch Vertragsbruch und Vertragsverletzungen in ihrem Bestand gefahrdet wird. Die Gefahrdung entsteht hierbei v.a. daraus, daß Vertragsverletzungen - sobald sie von einer kritischen Menge von Vertragsparteien nachgeahmt würden ("kritische Masse-Phänomene")zwangsläufig zum Niedergang des Vertrags und folglich seiner Unwirksamkeit führen müssen. Es ist aber leicht einzusehen, daß auch Vertragsumgehungen oder die Nichtverfolgung von Verletzungen einen ebensolchen zersetzenden Effekt hervorrufen müßte. Einsicht in Ordnungszusammenhänge müßte also, wenn sie im Zweifelsfall schon nicht stark genug ist, von selbstverübten Vertragsverletzungen und -umgehungen abzuhalten, so doch wenigstens ein Vorgehen gegen andere Verletzer und Umgeher auslösen. Außerdem werden durchaus Durchsetzungsversuche unternommen, nicht mit rechtlichen, aber
122 Vgl. hierzu das Konzept der "Wirtschaftsverfassung" von Mestmäcker, 1990. 123 Gemeint sind hier die Liberalisierungs-, Gegenseitigkeits- und Nichtdiskriminierungsprinzipien und -ziele (s.o. Teil B).
124
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
mit diplomatischen oder machtpolitischen Methoden. Beim GATT kommt aber hinzu, daß es Ausdruck eines (völker-) rechtlichen Regelungsversuchs ist. Verstöße gegen diesen Regelungsversuch mit Mitteln ahnden zu wollen, die selbst außerhalb dieses Regelwerks liegen, u.U. sogar außerhalb des Völkerrechts, stellen selbst Vertragsverletzungen und -umgehungen (des GATT und des Völkerrechts) dar und können insofern unmöglich aus einer Einsicht in die Ordnungswirkung von Rechtsverfahren herrühren. Vielmehr ist es ein ordnungstheoretischer Allgemeinplatz, daß für das Funktionieren einer Ordnung die Ordnungsregeln nicht nur eingehalten werden müssen, sondern daß es auch spezifischer Anstrengungen bedarf, Vertragsverletzungen und -umgehungen anderer zu unterbinden und Nachahmungen entgegenzutreten. Will man also zeigen, warnm auf rechtliche Durchsetzungsversuche der GATT-Verträge verzichtet wird, kann ein Verweis auf die "Einsicht in Ordnungsprinzipien" keine überzeugenden Anhaltspunkte für eine Erklärung der beobachtbaren Verhältnisse liefern: Da im GATT liberale Prinzipien vorwiegen, müßte es an erster Stelle auf Beachtung und Durchsetzung dieser Prinzipien ankommen. Zudem ist einsichtig, daß die Regeln mit rechtlichen, nicht mit anderen Mitteln durchgesetzt werden müssen, da es sich beim GATT um eine Rechtsordnung handelt, die durch jegliche machtpolitische oder diplomatische Konfliktlösungsbestrebungen ausgehöhlt würde. Da zudem Vertragsverletzungen und -umgehungen öffentlich und ganz unverdeckt geschehen, kann auch schlecht eingewendet werden, auf die Rechtsdurchsetzung würde mit dem Hintergedanken verzichtet, eine Gefahrdung der Ordnung sei nicht wahrscheinlich, weil die begangenen Vertragsverletzungen und -umgehung von niemandem bemerkt würden, ein rechtlicher Durchsetzungsversuch hingegen überhaupt erst "die Öffentlichkeit" auf den Plan rufen würde. Eine andere Art von "Einsicht in Ordnungszusammenhänge " könnte aber u. U. zu einer plausibel begründbaren Hypothese führen:
1. Die Interpretation des GATT als "Ordnungsstaat der Welthandelsordnung"
Die Ordnungstheorie behandelt also die Frage, welche Regeln funktional für Marktprozesse sind und wie sie durchgesetzt, gesichert und weiterentwikkelt werden können. Im nationalen Rahmen dient hierzu der (Rechts-) Staat. Entgegen der Auffassung einiger liberaler Fundamentalisten und Anarchiker fordern Ordoliberale somit einen Staat für bestimmte Aufgaben, zu denen im
VI. Ordnungstheorie (Bucken, Hayek, Böhm u.a.)
125
Rahmen der Durchsetzung, Sicherstellung und Entwicklung der marktwirtschaftlichen Ordnungsbedingungen auch Aufgaben, wie die Kodifizierung von Privatrecht, die Bereitstellung von Kollektivgütern oder Sozialhilfe und Bildungsaufgaben zählen. Dies alle indes als begrenzter Rechtsstaat und ohne ausgedehnte Sozialstaatallüren. Eine schöne Utopie? Bezogen auf die internationale Ebene müßten ordnungstheoretische Grundfragen lauten: Welche Regeln sind funktional für weltweite Marktprozesse und wie ließen sie sich weltweit durchsetzen, sichern und weiterentwickeln? Denn nur durch weltweite Marktprozesse, so eine folgerichtige Argumentation, wäre weltweite individuelle Freiheit und "Knappheitsüberwindung" denkbar. Die Antwort auf die Frage nach den für weltweite Marktprozesse funktionalen Regeln ist auch ganz einfach: Es sind auf internationaler Ebene dieselben Regeln, wie auf nationaler, nur daß sie sich nun auf alle Menschen beziehen und damit erstmals im Wortsinn "universal" wären. Selbst wenn solche Regeln aber existierten, steht für ihre Durchsetzung, Sicherung und Entwicklung kein dem Nationalstaat analoger Weltstaat zur Verfügung. Könnten aber die im GATI kodifizierten internationalen Handelsregeln (bzw. das GATI) von internationalen Entscheidungsträgern, auch wenn theoretisch einiges dagegen spricht124 , als Ersatz- oder Vorläuferorganisation für einen durchsetzenden, sichernden und weiterentwickelnden Welt-Ordnungsstaat im Handelsbereich angesehen werden? Dafür sprechen die vielfältigen Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsentwicklungen in der jüngsten Staatenpraxis und im Völkerrecht, von denen die Supranationalität der EU die Speerspitze bildet. 125 Um die empirische Seite einer solchen Analogieüberle124 Tumlir bezeichnet es z.B. als "Denkfehler", die Welt über die Exekutive integrieren zu wollen, vgl. 1979, S. 15.
125 Mit dem Begriff "Supranationalität" wird im Völkerrecht ein (neuer) Typus internationaler Organisationen bezeichnet, der sich durch eigene Recht- und Gesetzgebungskompetenzen, Unabhängigkeit einiger seiner Organe, eine Gerichtsbarkeit und Finanzautonomie auszeichnet, das Mehrheitsprinzip zuläßt und u. U. (nach herrschender Meinung) eine eigene (noch partikulare) Völkerrechtspersönlichkeit besitzt (vgl. Ipsen-Epping, 1990, S. 72 f., RdNr. 17 ff.). Diese Elemente gehörten bisher alle zum ureigensten Kompetenzbereich von Nationalstaaten. Institutionalisierungstendenzen untergraben damit das im Völkerrecht ansonsten noch geltende Souveränitätskonzept. Schon der Ausbau des GATT zur WTO (als eine Art drittem Standbein neben IWF und Weltbank) oder die Entwicklungen zu einem weltweiten humanitären Völkerrechts unter dem Stichwort "universale Menschenrechte" sind deutlicher Ausdruck weltweiter Institutionalisierungen.
126
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
gung zu überprüfen muß gezeigt werden, wie durch sie der beobachtbare Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche theoretisch begründbar ist. Dazu wird angenommen, daß bei den relevanten Entscheidungsträgern zwar das GA1T als eine Art Ordnungsstaat der internationalen Handelsordnung angesehen wird, indes keine Einsicht in die Ordnungszusammenhänge der internationalen Handelsordnung besteht (sonst würden sie die Verträge nicht umgehen und nicht auf Durchsetzungsversuche verzichten). Rechtliche Verfolgung von Vertragsverletzungen und -umgehungen - und darin liegt der Kern der zu formulierenden Hypothese - könnten aus dieser Sichtweise als "staatsgefährdend" (für den Welt-Teilordnungsstaat) angesehen werden und unterbleiben deshalb, während die zersetzenden Wirkungen der Verletzungen an sich nicht erkannt werden. Die Akteure achten also auf die Schäden für den "Ordnungsstaat" , nicht aber auf jene für die "Ordnung" an sich, weshalb für sie auch kein Interesse an rechtlicher Verfolgung besteht. Denn der "Schaden" für den "Ordnungsstaat" kann nachträglich nicht wieder geheilt, könnte im Fall einer rechtlichen Verfolgung aber sogar noch vergrößert werden. So ließe sich auch formulieren: nicht auf die Durchsetzung der Ordnung und die Nachahmungsprävention komme es an, sondern auf die Vermeidung einer zusätzlichen Konflikteskalation, die aus rechtlichen Durchsetzungsversuchen resultieren könnte. 126 Vor einer eingehenderen Erörterung dieser Hypothese 127 soll aber überprüft werden, ob es aus ordnungstheoretischer Sicht überhaupt begründbar ist,
126 Diese Argumentation gilt freilich nur für den Fall der Diplomatie als "Ersatz"Durchsetzungsverfahren, nicht für die Machtpolitik, die ja absichtsvoll auf Konfrontation abstellt. 127 Es lassen sich noch weitere und komplizierte Hypothesen zur Erklärung des Verzichts auf Rechtsdurchsetzungsversuche aus Einsicht in Ordnungs zusammenhänge konzipieren. Diese sind hingegen hinsichtlich einer möglichen Verbreitung als allgemeine Überzeugungen der relevanten Akteure wenig plausibel und laufen zudem auf eine ähnliche Prüfung hinaus. Es wird deswegen auf eingehendere Erörterungen verzichtet. Hier nur einige Hinweise: Eine Hypothese könnte beispielsweise lauten, daß staatliche Entscheidungsträger mit der schrittweisen Konstruktion eines Weltstaates im Regelungsbereich der Welthandelsordnung LS. des GATI die Hoffnung verbinden, weitreichende Souveränitätsverluste vermeiden zu können, wenigstens aber nicht mehr Souveränität einbüßen zu müssen, als alle anderen Beteiligten. Deshalb unternehmen sie zwar Anstrengungen zur Erhaltung und Weiterentwicklung des GATI, entscheiden in Einzelfällen aber weiterhin so, als wenn sie vollständig souverän wären. Eine andere Hypothese könnte lauten, daß Entscheidungsträger auf inter-
VI. Ordnungstheorie (Eucken, Hayek, Böhm u.a.)
127
das GATT als Analogon zum Nationalstaat zu betrachten. Genaugenommen kommt es darauf an zu zeigen, daß relevante Entscheidungsträger von einer solchen Analogie überzeugt sind. Da ein wissenschaftlicher Beweis ihrer Überzeugungen für die GATT-Praxis aber empirisch unmöglich ist - auch wegen der politischen Aktualität und Brisanz der Thematik -, muß sehr sorgfaltig die Plausibilität einer Analogie herausgearbeitet werden. Dabei gilt es, nicht an Wortlauten oder Bezeichnungen stehenzubleiben, da ordnungstheoretische Konzepte auch handlungsleitend sein könnten, ohne daß Entscheider umfassende Kenntnis vom ordnungstheoretischen Begriffsapparat haben. Die kommenden Ausführungen sind aus allen diesen Gründen relativ ausführlich.
2. Analogieprüfung zum nationalen Ordnungsstaat
Ob eine Analogie zwischen dem GATT als "Ordnungsstaat der Welthandelsordnung" und der ordnungstheoretischen Staatskonzeption herzustellen ist, kann am Beispiel der "Privatrechtsgesellschaft" von Franz Böhm untersucht werden. Das von Böhm entwickelte Konzept der Privatrechtsgesellschaft dient als Bezugspunkt, weil es - trotz einiger Weiterentwicklungen, auf die im Anschluß eingegangen wird - eine kompakte und gleichzeitig maßgebende Gesamtschau auf die ordnungstheoretischen Gesellschaftsvorstellungen wirft, indem es nicht nur die für Marktprozesse funktionalen Regeln aufdeckt, sondern sich gleichzeitig den Fragen der Durchsetzung, Sicherung und Entwicklung dieser Regeln stellt. Um die fortlaufende Argumentation nicht mit langwierigen Theoriedarstellungen zu belasten, kann auf die Beschreibung der ordnungstheoretischen Gesellschaftskonzeption nur verwiesen werden. 128 Gehen wir also deshalb
nationaler Ebene das Nachahmungsproblem nicht erkennen und sich gegenüber dem GATT (als Quasi-Weltstaat im Handelsbereich) ganz ähnlich verhalten, wie nationalstaatliche Regelanwender gegenüber ihrem Nationalstaat, nämlich in der Annahme, eine einzelne Regelumgehung würde nicht ins Gewicht fallen. 128 Die Zusammenstellung über die Privatrechtsgesellschaft von Böhm wurde nicht in die Arbeit aufgenommen. Vgl. hierzu v.a. Böhm, 1966, sowie ergänzend: Böhm, 1928/60, 1946/60, 1950/80, 1953/60, 1957/60, 1958/80, 1961/80, 1969/80, 1971/80a, b, die in einer ausführlichen (aber hier nicht wiedergegebenen) Analyse den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt wurden.
128
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im. Erklärungsfeld der Ökonomik.
direkt über zur Beurteilung dieses Konzepts und einiger Weiterentwicklungen. Die Beurteilung soll zuerst (1) Weiterentwicklungen der "Privatrechtsgesellschaft" und der Ordnungstheorie untersuchen. Sodann kann neben (2) einigen "dogmenkritischen" Ergänzungen und der Untersuchung offener Fragen und der Annahmenplausibilität eine Beurteilung v.a. hinsichtlich der Frage geschehen, inwiefern (3) die Annahmen, Aussagen und Folgerungen der Ordnungstheorie auch auf eine internationale Ordnungsebene, insbesondere die internationale Handelsordnung, übertragbar sind. Denn nur dann dürfte die Aussage zu begründen sein, Entscheidungsträger in internationalen Handelsfragen interpretieren das GATT als einen "Ordnungsstaat der internationalen Handelsordnung" . (1) Weiterentwicklungen der "Privatrechtsgesellschajt" und der Ordnungstheorie: Sowohl bei dem für die Ordnungstheorie maßgebenden Konzept der Privatrechtsgesellschaft, als auch bei sonstigen grundlegenden Aspekten der Ordnungstheorie (beispielsweise der Marktformenlehre, den Vorstellungen über Entwicklungsprozesse von Recht oder der Marktprozeßtheorie) kann man nirgends von wesentlichen Weiterentwicklungen sprechen. 129 Lediglich bei den Staatsaufgaben hat es einige Präzisierungsversuche gegeben, die aber kaum über bloße Neubenennungen hinausgehen. 130 Dazu im folgenden einige Amnerkungen: Streit, z.B. 1991, S. 43, als moderner Vertreter der Ordnungs-
129 Vgl. hierzu nur die Veröffentlichungen in den Foren der Ordnungstheorie: ORDO und IITE, oder die Arbeiten am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschafts systemen, MPI Jena. Aus "wissenschaftsphilosophischer und methodologischer" Sicht vgl. Herrmann-Pillath, 1991. Auch einige Theoriezweige, z.B. Evolutorische Ökonomik, Theorie des Systemwettbewerbs oder sogar die Neue Institutionenökonomik. (s.u.) werden mitunter als Weiterentwicklungen der Ordnungstheorie begriffen. In dieser Arbeit werden sie aber entsprechend ihrer Entwicklungsgeschichte, ihres Selbstverständnisses und ihrer methodologischen Differenzierungsmerkmale als eigenständige Theoriezweige behandelt, die sich von ordnungstheoretischen Grundlagen gelöst haben. Umgekehrt bescheinigt Herrmann-Pillath, 1991, S.47, auch der Ordnungstheorie: "Sie ist keine synkretistische Kombination unterschiedlicher ökonomischer Teildisziplinen, sondern eine eigenständige Theorie mit spezifischen epistemischen Standards und Fundamentalhypothesen. " 130 Staats aufgaben nach Böhm sind: Rechtsetzung von Privatrechts normen, Wettbewerbsbedingungen schaffen, Bereitstellen einer stabilen Währung, Erziehung und Bildung, vgl. Böhm, 1966, verschiedene Stellen.
VI. Ordnungstheorie (Bucken, Hayek, Böhm u.a.)
129
theorie 131 , zählt verschiedenste Aufgaben zu den Feldern staatlicher Betätigung in einer reinen Marktwirtschaft [Hervorhebungen nicht im Original]: "Erforderlich ist zumindest ein rechtlicher Rahmen sowie staatliche Betätigung, die darauf gerichtet ist, diesem Rahmen Geltung zu ve~schaffen. Darüber hinaus kann staatliche Aktivität im Bereich der Wirtschaft darin bestehen, eine Versorgung mit Kollektivgütem zu gewährleisten. Ferner wäre es staatliche Aufgabe, den Wettbewerb vor Beschränkungen durch die privaten Wirtschajtssubjekte zu schützen. Entscheidend ist jedoch, daß die Beantwortung der ökonomischen Grundfragen in all den Fällen privaten Entscheidungsträgern überlassen bleibt, wo dies möglich ist. Wirtschaftspolitik gibt es lediglich insofern, als die zuvor genannten Mindestvoraussetzungen für das Funktionieren dieses Ordnungs typs zu schaffen sind. Auf keinen Fall ist wirtschaftspolitisches Handeln darauf gerichtet, durch Interventionen spezifische Marktergebnisse zu begünstigen oder gar herbeizuführen. Insofern könnte die reine Marktwirtschaft auch als interventionsfrei charakterisiert werden. "
Ohne in eine vertiefende Kritik einzusteigen kann vermerkt werden, daß mit Wendungen wie "Versorgung mit Kollektivgütern" , "Beschränkungen durch die privaten Wirtschaftssubjekte" , Privatwirtschaft überall, "wo dies möglich ist" und "spezifische Marktergebnisse zu begünstigen", also hinsichtlich jeder bezeichneten Staatsaufgabe, keine wesentlichen Weiterentwicklungen stattgefunden haben, die über die bereits von Eucken formulierten Aufgaben und Prinzipien hinausgehen. 132 Für den in hiesiger Arbeit gebotenen begrifflichen Präzisierungsgrad lassen sich daraus keine weiterführenden Hinweise ableiten. Obiges Zitat ist im übrigen programmatisch für die Situation in der Ordnungstheorie insgesamt, weil Ordnungstheoretiker ihre an den Schnittstellen zu anderen Wissenschaftsdisziplinen liegenden Begrifflichkeiten nicht hinreichend explizieren und validieren, so daß sie unbestimmt bleiben und ihre Argumentationen tendenziell zirkulär sind. Der allgemeine Verfahrenshinweis: "so wenig Staat, wie möglich", auf welchen ordnungstheoretische Aussagen regelmäßig hinauslaufen, kann über den Mangel an Stringenz und begrifflicher Unbestimmtheit (v.a. des Grundwerts "Freiheit") nicht hinwegtäuschen. 133 Mit diesen theoretischen Defiziten befindet sich die Ordnungstheorie unterdessen in bester Gesellschaft mit dem Neoliberalismus
131 Er ist geschäftsführender Direktor des 1993 neugegründeten Max-PlanckInstituts zur Erforschung von Wirtschafts systemen in Jena und hatte vorher den Hayek-Lehrstuhl in Freiburg LBr. inne. 132 Vgl. hierzu nur den Artikel "Ordoliberalismus" in: Gabler, 1993. 133 V gl. exemplarisch die ungenügenden Düferenzierungen für die BegfÜfe "Freiheit" und "Gerechtigkeit" von Streit, 1988. 10 Kopke
130
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
insgesamt, dessen Vertretern kaum präzisere Bestimmungen der Staatstätigkeit gelungen sind. 134 Die Vielzahl auslegungs- und konkretisierungsbedürftiger Begriffe, die von Ordnungstheoretikern verschieden verstanden und bei einzelnen Autoren nicht klar umrissen werden, verhindert aber nicht nur eine klare Bestimmung der Bereiche legitimer Staatstätigkeit, sondern beläßt auch sonstige Weiterentwicklungen im Bereich begrifflicher Akrobatik. 135 Alle Fragen und Probleme des sogenannten "Marktversagens" werden dabei beflissentlich ausgespart oder kurzerhand in die Ägide der Staatsaufgaben eingestellt. Daß mit diesem ordoliberalen Instrumentarium einige Staatsaufgaben (z.B. staatliche Wettbewerbssicherung) als systembedingt und damit unverzichtbar herausgestellt und damit auch einige zwischenstaatliche Organisationsaspekte kritisiert werden kännen136 , kann als Errungenschaft gefeiert werden, bietet aber wenig Raum für differenzierte Untersuchungen und findet keinen Anschluß an die aktuellen Forschungsdiskussionen in den sozialwissenschaftlichen Fachdisziplinen. 134 Aber selbst der Vergleich mit streng liberalen Autoren (Friedman) oder gar Sozialphilosophen (Nozick) kann hier nicht mehr Bestimmtheit schaffen. So beschreibt Friedman, 1962, S. 34, als Staatsaufgaben: (1) Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, (2) DefInition von Eigentumsrechten, (3) Medium für Spielregeländerungen, (4) Entscheidung über Streitigkeiten aus der Interpretation von Regeln, (5) Durchsetzung der Erfüllung von Verträgen, (6) Förderung des Wettbewerbs, (7) Bereitstellung einer Währungsverfassung, (8) Entfaltung von Aktivitäten um technischen Monopolen entgegenzuwirken und solche Nachbarschaftseffekte zu bewältigen, die weithin als hinreichend wichtig erachtet werden, um staatliche Interventionen zu rechtfertigen, (9) Ergänzung der privaten Wohltätigkeit und Schutz der Familie bei dem Bemühen, den Unmündigen, ob geistig Behinderten oder Kind, eine Eingliederung in die Gesellschaft zum eigenen Unterhaltserwerb zu schaffen. Nozick argumentiert in "Anarchy, State and Utopia" grundsätzlicher, scheint mir aber mit seinem Begriffsapparat keine für diese Arbeit zusätzlichen Differenzierungspotentiale eröffnen zu können. Für genauere Begründungen reicht hier der Raum nicht. 135 Im Bereich der Wettbewerbssicherung sowie der Sicherung der Ordnungsprinzipien (der Privatrechts gesellschaft) sind die in der Ordnungstheorie diskutierten Empfehlungen so vielfältig und heterogen, daß auf eine Darstellung von vornherein verzichtet werden muß. Auch über andere Bereiche der Ordnungstheorie, z.B. das Bildungswesen oder die Währungs stabilisierung , haben Weiterentwicklungen stattgefunden, die sich aber kaum wesentlich auf die Frage erstrecken, worin die genuine Aufgabe des Staates dabei liegen soll. 136 So ist es eine ordnungstheoretische Perspektive, die es noch am ehesten erlaubt, z.B. die Forderungen der sogenannten "Neuen Weltwirtschafts ordnung " zu kritisieren. Vgl. hierzu Mestmäcker, 1985193, S. 122 ff.
VI. Ordnungstheorie (Bucken, Hayek, Böhm u.a.)
131
Zusammenfassend muß festgestellt werden, daß die Weiterentwicklungen der Ordnungstheorie weder insgesamt, noch in Einzelheiten wesentliche neue Erkenntnisse zur Frage der Rechtfertigung von Staatsaufgaben liefern können und daß ein breiterer Konsens nur über die Grundannabmen besteht, der Staat habe mehr als nur ein "Nachtwächterstaat" zu sein. Nicht zuletzt durch diese theoretische Stagnation und Erklärungslücke bleibt unklar, mit welchen Mitteln und Methoden der Staat die Sicherung der ordoliberalen (Spiel-) Regeln vornehmen soll. (2) Modellkonsistenz, offene Fragen und Annahmenplausibilität: Unter dem Begriff "Modellkonsistenz" kann in erster Näherung verstanden werden, daß sich einzelne Aussagen der Theorie nicht gegenseitig widersprechen. Sie hat mit der Annahmenplausibilität viele Überschneidungspunkte, z.B. darin, daß auch einzelne Annahmen zueinander in Widerspruch stehen können. Bei Modellen, die sich auf hohem Abstraktionsniveau mit gesamtgesellschaftlichen Phänomenen befassen, zudem aber eine handelnsorientierte Fundierung im Schnittbereich von staats- und rechtsphilosophischen, sowie psychologischen und soziologischen Erkenntnissen zu bewältigen trachten, ist es nicht problemlos möglich, eklatante Inkonsistenzen festzustellen; zu vielfaItig sind die Betrachtungsebenen und zu vage die konstatierten Zusammenhänge. Die Gefahr vorschneller Ideologiekritik ist groß. Die Testbarkeit der Aussagen dagegen klein. Deshalb dürften für eine Beurteilung insbeseondere offengebliebene Fragen und die Plausibilität der zugrundeliegenden Annahmen eine wichtigere Rolle spielen. Offengebliebene Fragen und ungenügend begründete Annahmen gibt es beim ordnungstheoretischen Ansatz wenigstens in folgenden Bereichen137 : Normntive Aussagen: Ordnungstheoretiker wähnen sich in der Lage, Aussagen über die für eine freie Gesellschaft funktionalen Regeln und deren Sicherung machen zu können und stützen sich - wie sie selbst mitunter zugeben - auf naturrechtliche Grundvorstellungen, die nicht weiter wissenschaftlich hinterfragt werden (nicht weil es unmöglich wäre, sondern weil es dann um Fragestellungen aus anderen Wissenschaftsdisziplinen ginge, v.a. der
137 Ich weiche im folgenden aus Übersichtlichkeitserwägungen ab von der unter Ordnungstheoretikem üblichen systematischen Einteilung in: (a) Vorbedingungen für Marktwirtschaft, (b) Wettbewerb und private Macht, (c) Staats aufgaben und Staatsmacht und (d) wirtschaftlicher Einfluß auf den politischen Prozeß.
132
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
Anthropologie, Ethnologie, Soziologie und Philosophie).138 Durch diese unhinterfragte Fundierung werden weiterführende Erkenntnismöglichkeiten systematisch abgeschnitten. Die Leistungen der Ordnungstheorie bestehen mithin vielmehr darin, ihren spezifischen Freiheitsbegriff durch die gesellschaftsbezogenen Ausführungen expliziert zu haben, weniger in einer Erklärung realer Umstände.
Trennung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht: Ordnungstheoretikern gelingt es nicht, eine klare Grenze zwischen privatem und öffentlichem Recht zu bestimmen. Das entspricht der mangelnden Bestimmung zulässiger Staatsaufgaben (s.o.). Dieses Defizit wird im internationalen Rahmen noch problematischer, da international "der Staat" noch offensichtlicher als Interessenverteter von Privaten und "Öffentlichkeit" auftritt, und zwar weil er nicht nur selbst Unternehmer ist, sondern darüber hinaus die Unternehmen seines eigenen Landes zu schützen den Auftrag hat. 139 Weil Staatsaufgaben nicht sinnvoll eingrenzbar sind, verschwimmen die begrifflichen Grenzen von äußerer und innerer Souveränität. Die Grenzen der Vertragsjreiheit und vertraglicher Selbstverpflichtung beschreiben Ordnungstheoretiker nicht mit klaren Kriterien, sondern meist mit geschichtlichen Betrachtungen und verweisen auf den Wettbewerb als Machtbegrenzungsinstrument und zur Verhinderung von Ausbeutung (z.B. Böhm, 1966, S. 127). Die Kriterien des Privatrechts (Sittlichkeitsgebot, Treu und Glauben) sind für Machtphänomene aber viel zu wenig spezifiziert. Privatrechtsentwicklung und Regelevolution: Ordnungstheoretiker betrachten spontane Regelbildungsprozesse, die sich innerhalb eines gesetzten Rahmens von Meta-Regeln vollziehen, wobei die Begriffe der "Spontaneität" und der "Regel" (Spielregel) ziemlich unbestimmt bleiben, hauptsächlich in der Abgrenzung zwischen "spontaner Ordnung" und "Organisation" .140 Sollte
138 Mit diesen wertenden Aussagen durchbrechen sie ihre eigene Maxime, daß menschliches Wissen notwendig "mangelhaft" ist, vgl. StreitlWegner, 1989. 139 Mestmäcker, 1985/93, S. 124, "Im. gleichen Maße, in dem die Staaten selbst am Wirtschaftsverkehr teilnehmen, versagen die auf Trennung von Staat und Unternehmen beruhenden wirtschaftsrechtlichen Instrumente. " Vgl auch ebd., S. 131. 140 In einer Organisation versucht die Organisationsspitze mit Hilfe von spezifischen Handlungsanweisungen (im Extremfall von Befehlen) unter Verwendung zentralisierten Wissens eine bestimmte, von ihr erwünschte Koordination von Individuen zu realisieren. Die vorherrschende Sozialbeziehung zwischen Organisationsspitze und
VI. Ordnungstheorie (Bucken, Hayek, Böhm u.a.)
133
dieses Vorgehen für den Vergleich gesamtgesellschaftlicher Wirtschaftsordnungen141 auch hilfreich sein, so ist es für theoretische Fragen zu internationalen Handelsregeln und für Fragen praktischer Wirtscluljtspolitik unzweifelhaft zu überschlägig und viel zu wenig ausgearbeitet. Damit ist der Gedanke der Privatrechtsentwicklung für gegenwärtige Rechtsprozesse, insbesondere des Völkerrechts, zu wenig gehaltvoll. 142 Das ist nicht nur bedauerlich l43 , sondern müßte zum Ausgangspunkt für fortgesetze Forschungsbemühungen gemacht werden. Offensichtlich ist das Potentialordnungstheoretischer Differenzierungen mit der obigen Zweiteilung bereits erschöpft. 144
Privatrechtsunterschiede: Fragen, wie unterschiedlich die sich innerhalb verschiedener "Privatrechtsgesellschaften" ausbildenden privaten Regelsysteme im Ergebnis sein können, wurden von Ordnungstheoretikern weder explizit gestellt, noch implizit beantwortet. Wie verhält es sich z.B. mit UnterIndividuen ist demnach die Herrschaft (institutionalisierte Macht). Die Organisationsspitze ist mit umfassenden Zwangsrechten ausgestattet. Aufgrund der beschränkten Möglichkeiten der Wissensnutzung können in einer Organisation nur Koordinationsergebnisse von niedriger Komplexität erreicht werden. In einer spontanen Ordnung ergibt sich das Koordinationsergebnis daraus, daß Individuen bei der Verfolgung ihrer selbstgesetzten Ziele durch allgemeine, negative, d.h. abstrakte Regeln beschränkt sind. Dies bedeutet, daß die Individuen gleichgeordnet sind. Hierbei wird das spezifische, dezentrale Wissen der Individuen benutzt. Das sich aus freiwilligen Vereinbarungen ergebende Koordinationsergebnis ist nicht geplant und für einen außenstehenden Beobachter nicht vorweg angebbar. Es lassen sich nur Musteraussagen mit der Aussage treffen, welche Koordinationsergebnisse vermutlich nicht eintreten werden. Vgl. zu diesem Themenkreis v.a. Böhm, 1950; Eucken, 1940/89, S. 78 ff.; Hayek, 1963, 1967, 1973 (Kap. 2), 1975; Streit, 1991, S. 24 ff.; Vanberg, 1982 (Kap. 1 u. 2). 141 Vgl. Eucken, 1940/89, S. 39 ff. 142 Versteht man den Gedanken der privaten Rechtsentwicklung allerdings als eine normative Aussage, könnte man "Versagenssymptome" heutiger Rechtsentwicklung an der Abweichung von der so aufgestellten Norm festmachen. Die Grenze zur Ideologie ist hier m.E. aber klar überschritten. 143 Mestmäcker, 1985/93, S. 131: "Ein Grund für einen teilweisen Funktionsverlust des Internationalen Privatrechts ist das Vordringen der zwingenden Normen öffentlichen Wirtschaftsrechts. " Und später: "es ist ein Kennzeichen für den fortschreitenden Protektionismus zwischen den Industriestaaten, daß sie nicht mehr bereit sind, die internationale Anwendung nationalen Wirtschaftsrechts, insbesondere des Kartellrechts, hinzunehmen, wenn dadurch nationale Unternehmen betroffen werden." 144 Entscheidende Impulse gibt hierzu auch Wirt, 1987, 1992.
134
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
schieden in der Ausgestaltung der Gewerbefreiheit? Bereits aus der Verschiedenartigkeit der Privatrechtssysteme könnten nämlich internationale Konflikte entspringen. Hier wäre zuerst zu klären, welche Bestandteile konstitutiv für das Privatrecht einer Privatrechtsgesellschaft sind und wie z.B. internationales Privatrecht diese Konflikte zu lösen imstande wäre.
Praktische Verwirklichung der Privatrechtsgesellschaft: Ordnungstheoretiker geben nur undeutliche Hinweise, wie eine Verwirklichung der Privatrechtsgesellschaft praktisch-pragmatisch, sozusagen aus dem Status-Quo bestehender Gesellschaften heraus, zu verwirklichen ist. Hierzu konzentrieren sich die meisten Aussagen der Ordnungstheorie, wenn überhaupt eine Rechtfertigung versucht wird, auf den Evolutionsgedanken, daß sich Recht in einer Gesellschaft ohne private Herrschaft, sozusagen von unten nach oben entwikkelt, dem Staat also nur die Aufgabe der Kodifizierung bleibt. Eine solche Vorstellungen läßt aber gewichtige - wieder praktische - Fragen offen. Einerseits wird erklärt, daß wirksames Recht sich nur im Raum der Gesellschaft entwickeln kann, andererseits soll aber eine Kodifizierung (in Gesetzen etc.) vermittels des Staates geschehen, weil sie für alle Bürger allgemeingültig zu erfolgen habe. Damit wird aber deutlich, daß durchaus nicht von einem allgemeinen Konsens über das zu kodifizierende Recht oder seine Ausgestaltung ausgegangen wird, sonst bedürfte es gar keiner Kodifizierung. Damit wird der Staat aber wieder als ein politischer Entscheidungsträger konzipiert, der sich über die Wünsche und Vorstellungen einiger und u. U. auch vieler seiner Bürger aufgrund irgendeiner Legitimation hinwegsetzen kann. Die Grenzziehung zwischen der freiheitlichen Idee privater Rechtsentwicklung und dem staatlichen Zwang allgemeingültiger Gesetze wird von den Ordnungstheoretikern nicht durch überprüfbare Kriterien vorgenommen, sondern verschwimmt zumeist in einem undeutlichem Nebel sprachlicher Ausdrücke. 145
145 Dabei scheint regelmäßig die Annahme gemacht zu werden, daß sich unter Privaten die "richtigen" Regeln herausbilden werden. Daß eine Entwicklung über vermeidbare Umwege geschehen und u. U. verfügbare geschichtliche Erfahrungen unnötig vernachlässigen könnte, paßt zu diesem Gedanken nicht. Es kann aber gefragt werden, ob nicht auch erweiterte Regelbildungsverfahren funktional sein können, um eine Privatrechtsgesellschaft erwachsen zu lassen? In Richtung (demokratische) Gesetze hat Böhm die engen Regelentstehungsbedingungen bereits selbst gedehnt. Wie aber sind z.B. Gewohnheitsrechtsbildungen in internationalen Privatverträgen zu beurteilen, und v.a. welche Personen werden an einer verbindlichen Kodifizierung beteiligt? Könnten schließlich auch völkerrechtliche Verträge (analog zu nationalstaatlichen Gesetzen) unter gewissen Voraussetzungen legitime Bindungswirkung auf
VI. Ordnungstheorie (Bucken, Hayek, Böhm u.a.)
135
Zugang zur Macht: Fragen des Zugangs zur Macht haben sich Ordnungstheoretiker zwar teilweise gestellt, Fragen der konkreten Ausgestaltung der politischen Ordnung, der Entscheidungsstrukturen und Rekrutierung aber vorwiegend anderen Wissenschaftszweigen überlassen und sich auf die Formulierung von leitenden Prinzipien beschränkt. Das wird auch in Böhms Konzept der Privatrechtsgesellschaft zur Genüge deutlich. Menschenbild: So wie das Konzept der Privatrechtsgesellschaft LS. Böhms, wird in der Ordnungstheorie auf den Erfahrungen bestimmter Kulturkreise aufgebaut, die man westliche Industrienationen nennen könnte. (3) Analogie zum internationalen Ordnungsstaat: Kann das GATT als "Ordnungsstaat der Welthandelsordnung" analog zur ordnungstheoretischen Konzeption des Nationalstaates begriffen werden? Hierzu bedürfte es eines bestimmten Minimums an sachlicher Übereinstimmung, zumindest aber dürfen keine offensichtlichen Widersprüche eine Analogie ausschließen. Es kann nämlich nicht davon abstrahiert werden, daß internationale Entscheidungsträger über Theorie- und Sachkenntnis und Erfahrungen verfügen, so daß ihnen allzu kurzschlüssige Analogien nicht unterlaufen dürften. Ob eine sachliche Übereinstimmung vorliegt, soll nun geprüft werden, indem (a) die "Internationalität" der Ordnungstheorie untersucht wird, um im Anschluß (b) erweiterte Analogieüberlegungen mithilfe ordnungstheoretischer Konzepte zu versuchen und ihre jeweilige Plausibilität zu bestimmen. (a) "Internationalität" der Ordnungstheorie kann exemplarisch am Böhm' schen Konzept untersucht werden, da es auch in dieser Beziehung stellvertretend für die gesamte Ordnungstheorie stehen kann. Ausgangsbeobachtung ist die - von Böhm nicht thematisierte 146 - Vielfalt von Gesellschaftsstrukturen in der Welt. 147 Hierzu lassen sich drei Thesen über das Konzept der Privatrechtsgesellschaft formulieren und diskutieren:
Private entfalten, beispielsweise wenn bestimmte Beschlußverfahren eingehalten würden? Wie sind andere Rechtsquellen des Völkerrechts zu beurteilen? 146 So auch Böhm, 1969/80, der das (fehlende) Recht internationaler Kartelle allein aus nationaler Perspektive thematisiert. 147 Die in der Welt obwaltende Vielfalt kann angedeutet werden durch Stichwörter wie: verschiedene Regierungs- und Institutionenstrukturen, mehr oder minder demokratische Staatsformen, unterschiedlichste Menschenrechtsverständnisse, Sozialbedingungen und Korruptionsgrade sowie divergierende Hierarchisierungs- und Elitenbildungsmuster , aber auch Gewerbeordnungen usw.
136
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik.
1. Das Konzept hat nur in westlichen Kulturstaaten realistische Verwirklichungsaussichten. 2. Es berücksichtigt in seiner nationalstaatlichen Konzeption keine Außeneinflüsse aus anderen Staaten und Gesellschaften. 3. Es liegt nur für einen nationalstaatlichen Ordnungsrahmen ausgearbeitet vor, weshalb es wenig Aussagewert für Problemstellungen einer internationalen Ordnung hat. ad 1) Zu Fragen der Verwirklichungsaussichten in Gesellschaften, die nicht dem westlichen Kulturkreis angehören, äußert sich Böhm nirgends explizit. Auch seine historischen Beispiele geben keine weiterführenden Aufschlüsse. Problematisch könnten in anderen Gesellschaften aber schon die (teils impliziten) Grundannahmen der Knappheitsüberwindung und individuellen Freiheitsverwirklichung sowie sonstige Vorbedingungen für den Marktmechanismus und die Rechtsstaatlichkeit sein. Böhm vertraut offensichtlich darauf, daß im Grundsatz freiheitliche Prinzipien in jeder Gesellschaft über kurz oder lang zu verwirklichen sind, ihnen keine fundamentalen gesellschaftlichen Kräfte entgegenstehen. 148 Das bedeutet aber nichts anderes, als daß die (naturrechtlichen) Grundlagen der Ordnungstheorie als valide Annahmen für alle Menschen, respektive Gesellschaften, zutreffen müHten. Dieses unter Ordnungstheoretikern verbreitete Vertrauen wird aber ansonsten nur von wenigen Sozialwissenschaftlern bedingungslos geteilt. ad 2) Zur Frage, ob das Konzept der Privatrechtsgesellschaft Außeneinflüsse aus anderen Staaten und Gesellschaften berücksichtigt, hat Tumlir, 1989,S. 138, bemerkt: "It is, in effect, the legal equivalent to determining economic policy on a c10sed economy model." Diese Aussage kann durch weiterführende Untersuchungen nur bestätigt werden. 149 Außeneinflüssen tut Böhm nicht einmal Erwähnung. Bezüglich anderer Ordnungstheoretiker muß festgestellt werden, daß sie entweder Außeneinflüsse und internationale Interdependenzen überhaupt nicht berücksichtigen, oder es ihnen nicht gelingt, sie
148 In den Worten Böhms (1953/60: 83): "So setzen die Anhänger des Rechtsstaats ihr Vertrauen in einige wenige lapidare Grundmaximen des Gesetzes (der Rechtsordnung) und in einige wenige Spielregeln, denen sie die Kraft zutrauen, eine Gesellschaft freier Menschen sehr verschiedener Kulturstufe, verschiedener Denkweise und verschiedener Zeitalter zu ordnen. U
149 Vgl. die Anmerkungen in Fußnote 128, S. 127.
VI. Ordnungstheorie (Eucken, Hayek, Böhm u.a.)
137
in ihr ordnungstheoretisches Modell zu integrieren. Dieses Defizit ist umso schwerwiegender, als es sich bei der Ordnungstheorie um ein Gleichgewichtsmodell handelt, dessen Auffangpotential für exogene Störungen aufgezeigt werden müßte. ad 3) Können die Erkenntnisse Böhm' s und anderer Ordnungstheoretiker auf einen internationalen Ordnungsrahmen übertragen werden? Denkbar sind zwei Varianten. Die erste, unter Ordnungstheoretikern systematisch eingesetzte Variante erklärt internationale Handelsfragen, indem sie die internationale Handelsordnung als eine Kooperation vieler nationalstaatlicher Privatrechtsgesellschaften modelliert. 150 Diese Variante muß nicht nur zur Voraussetzung machen, daß die kooperierenden Staaten bereits verwirklichte Privatrechtsgesellschaft sind, sondern wirft zusätzlich gewichtige Koordinationsprobleme auf. lSI Diese, selbst bei der Kooperation perfekter Privatrechtsgesellschaften verbleibenden Koordinationsprobleme werden zwar gerne an den Rand der Erörterungen gedrängt, bedürften aber in praxi einer Regelung, über die ordnungstheoretisch nichts bekannt ist. Innerhalb jedes Nationalstaates müßte zur Verwirklichung der Privatrechtsgesellschaft eine (rechts-) staatlichen Selbstbeschränkungen, also eine Kompetenzabgabe zurück in die Privatrechtssphäre vollzogen werden. Selbst aus ordnungstheoretischer Sicht kann solch ein Ansatz nicht befriedigen. Die andere Variante konzipiert eine Übertragung der Ordnungstheorie auf die internationale Ebene im Sinne eines Analogons zwischen Weltstaat und Nationalstaat. Auf die Probleme einer solchen Analogie soll näher eingegangen werden:
Ordnungstheorie unterscheidet, wie gesehen, nur zwischen einer privaten und einer Staatsebene. Dazwischen existieren keine Gewalten. Die Staatsebene verfügt als alleinige über Herrschaftsgewalt, ist aber von vornherein beschränkt. Die private Ebene kontrolliert die staatliche Gewalt. Eine über dem Staat angeordnete supranationale Herrschaftsebene kann es in diesem Modell nicht geben und es ließe sich nur auf Kosten der staatlichen Herrschaftsgewalt realisieren, d.h. indem dem Nationalstaat Kompetenzen entzogen werden, die auf einer übergeordneten Ebene angesiedelt werden. Da sich aber Ordnungs-
150 Vgl. z.B. Streit und Voigt, 1993, sowie Voigt, 1992.
151 Voigt, 1992: 26, vetmutet Koordinationsbedarf (1) bei der Spezifizierung von Eigentumsrechten, einbezogen der "internationalen Allmende-Güter", (2) bei einer internationalen Währungs ordnung sowie (3) bei unbeschränktem grenzüberschreitendem Faktorverkehr .
138
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
theorie nicht mit arbeitsteiligen Herrschaftskompetenzen befaßt hat, ist vollkommen unklar, wie die gesamte Herrschaftsgewalt mit einem Mal "supranationalisiert" werden sollte. Die so eröffnete einzige Möglichkeit eines Super-Weltstaates ist natürlich absurd. Dies dürfte der Grund sein, warum in der Ordnungstheorie keine brauchbaren Konzepte für internationale Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsprozesse diskutiert werden. 152 Das starre Analyseschema kann sich den tatsächlichen Gegebenheiten nicht öffen. Daß das GATT weder formal noch inhaltlich eine solche Staatsähnlichkeit aufweist ist einleuchtend. 153 Daraus folgt unmittelbar, daß es aus (streng) ordnungstheoretischer Sicht keine sinnvolle Analogie zwischen dem GATT und dem nationalen Ordnungsstaat gibt.
152 Genaugenommen werden internationale Prozesse gänzlich vernachlässigt. Als einzige Ausnahme davon können die Versuche von Wilhelm Röpke, v.a. 1945/79, gelten. Aber auch er geht über eine nationalstaatliche Betrachtungsebene nicht eigentlich hinaus, wenn er schreibt (ebenda, S. 105 f.): "Die wirtschaftliche Integration - in ihrem räumlichen Bereich und in ihrer Intensität - setzt immer eine entsprechende außerwirtschaftliche, 'soziale' Integration im Sinne der genannten Rahmenbedingungen voraus. Die wirtschaftliche Integration kann auf die Dauer nicht weiter reichen als die soziale, und sie ist auch in ihrer Stärke durch den Grad der sozialen bestimmt. Das ist schlechthin das oberste Gesetz, aus dem Aufstieg und Verfall, Expansion und Kontraktion der Wirtschaft in der Geschichte der Menschheit begriffen werden müssen. Gewiß weiß jeder nationalökonomisch Gebildete, daß sich der internationale Wirtschaftsverkehr in seinem Wesen nicht vom binnenländischen unterscheidet. Aber es wird doch jetzt klar, worin das eigentliche Problem seiner Entfaltung liegt, wenn wir ihn mit dem binnenländischen vergleichen. Wir erkennen, daß die Schwierigkeit darin besteht, für den internationalen Wirtschaftsverkehr einen rechtlich-moralischinstitutionellen Rahmen zu fmden und zu sichern, der demjenigen des intranationalen auch nur einigermaßen nahekommt. " Röpke stellt heraus, daß Liberalität im Sinne des 19. Jahrhunderts (gemäß den Auffassungen von Hume und Smith) die grundsätzliche Entpolitisierung des wirtschaftlichen Bereiches und der äußersten Trennung der Sphären des Staates und der Wirtschaft bedeutete. Diese Trennung ist international nicht gegeben. Hinzu komme die zunehmende Nationalisierung und Politisierung des Menschen als Folge einer zu großen Souveränität der Nationalstaaten (Röpke, S. 40), ein Problem, daß nur durch eine föderale Struktur nicht nur der Nationalstaaten, sondern auch supranationaler Körperschaften zu lösen ist. In dieser Forderung klingt eine leise Analogie zum nationalen Ordnungs staat durch. 153 Eine gesonderte Prüfung nach "Ausschlußkriterien" , d.h. die Suche nach Gründen, warum eine derartige Analogie sicher ausgeschlossen werden kann, blieb erfolglos. Auf die aufgetretenen, auch methodischen Probleme der Prüfung kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden.
VI. Ordnungstheorie (Bucken, Hayek, Böhm u.a.)
139
(b) Erweiterte Analogieüberlegungen: Das Konzept der Privatrechtsgesellschaft und die Ordnungstheorie insgesamt bieten also keine Ansätze zur Behandlung internationaler Fragestellungen. Eine erweiterte Betrachtung könnte allerdings neue Erklärungsspielräume eröffnen. Hierzu einige Begriffsklärungen vorab: Unter "internationaler Handelsordnung" sei "die Gesamtheit aller Regeln und Vorgehensweisen verstanden, unter welche die beteiligten Regierungen ihre Handelspolitiken gestellt haben" .154 Eine Ordnung besteht aus verschiedenen "Teilordnungen" 155. "Internationaler Handel" bezieht sich ordnungstheoretisch auf Güter und Dienstleistungen, nicht auf die Faktoren (Arbeit und Kapital).
Die internationale Handelsordnung könnte nun als Teilordnung einer Weltwirtschaftsordnung begriffen werden. Die Weltwirtschaftsordnung ist in diesem Sinne umfassender als die internationale Handelsordnung, da mit ihr alle wirtschaftlich relevanten Ordnungsfragen beschrieben werden, einschließlich beispielsweise Fragen der Währungsordnung und der "Wirtschaftsverfassung" .156 Der Fokus der internationalen Handelsordnung liegt dagegen ausschließlich auf Regeln für den internationalen Handel. Es ist zweckmäßig, eine solche Unterscheidung zwischen der internationalen Handelsordnung und der Weltwirtschajtsordnung zu machen, weil das national154 Vgl. Voigt, 1992,22, der weiter ausführt: "Dies können Regeln sein zur gegenseitigen Abgrenzung der als ordnungskonform perzipierten Handelspolitiken, zur Abgrenzung zwischen wettbewerbskonformer und wettbewerbsbeschränkender Nutzung der Handlungsfreiheit durch private Wirtschaftssubjekte, aber auch Regeln zur Lösung von Konflikten, falls man sich in der Interpretation der ersten Regelkategorie einmal uneins sein sollte. Auf einer Meta-Ebene könnte eine internationale Handeisordnung auch Regeln darüber enthalten, nach welchem Procedere die beiden ersten Regelkategorien geändert werden können. [... ] Die internationale Handelsordnung besteht jedoch nicht nur aus formalisierten bzw. kodifIzierten Handelsregeln, sondern auch aus einem informellen Normengerüst. « 155 Vgl. zum Konzept der "Teilordnungen" Eucken, 1940/89; Mestmäcker, 1990, S. 415 ff., Voigt, 1992, S. 22.
156 Streit, 1991: 31, deftniert: "Die Wirtschaftsverfassung liefert den Rahmen kodifIzierten Rechts für eine marktwirtschaftliche Ordnung. Sie umfaßt die Gesamtheit der verbindlichen in der Verfassung, aber auch in anderen Rechtsbereichen kodifIzierten Regelungen, mit deren Hilfe eine marl-unäßige Koordination und wettbewerbliche Kontrolle privaten Wirtschaftens gewährleistet werden soll. Zusammen mit den für das gesellschaftliche Wirtschaften ebenfalls relevanten informellen Regeln, die im Gewohnheitsrecht, den Konventionen und Sitten angelegt sind, bildet sie die Wirtschafts ordnung. " Vgl. auch Mestmäcker, 1990.
140
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
staatliche Konzept der Privatrechtsgesellschaft sich hinsichtlich der Staatstätigkeit auf die nationale (Gesamt-) Wirtschaftsordnung bezieht, übertragen auf die internationale Ebene also eine (Gesamt-) Weltwirtschaftsordnung beschreibt (und nicht nur eine Welt-Handelsordnung). Das Analogon zum Ordnungsstaat der Ordnungstheorie, der alle wirtschaftlich relevanten Bereiche umfaßt, wäre auf internationaler Ebene dann ein Weltstaat, dessen Aufgabe es sein müßte, einen weltwirtschaftlichen Ordnungsrahmen bereitzustellen, zu sichern und weiterzuentwickeln. Das GATT kommt aber bestenfalls als Analogon einer Welthandelsordnung in Frage und dafür gibt es national keine ordnungstheoretische Ensprechung. Vertragsrecht oder das Wettbewerbsrecht einer Kartellbehörde, vielleicht auch das Gesellschaftsrecht, sind hoffnungslos unvollständige Vergleiche. Da es aber bei hiesigen Analogieüberlegungen nicht auf theoretische Perfektion ankommt, noch um den Nachweis bestimmter Überzeugungen, sondern allein darauf, ob Ordnungsvorstellungen bewußt oder unbewußt die Entscheidungen relevanter Akteure prägen könnten, soll von den engen Vorgaben der Ordnungstheorie zugunsten einiger Erweiterungen abgewichen werden. Dazu greifen wir das von Eucken, Mestmäcker u.a. entworfene, einer systemtheoretischen Sichtweise nahestehende Konzept der Teilordnungen erneut auf: Demnach stehen verschiedene gesellschaftliche Teilordnungen miteinander in ausgeprägter Interdependenz. Die Arbeitsteilung innerhalb moderner Gesellschaften vollzieht sich nicht allein bezogen auf die Produktion und Allokation von Gütern (und Dienstleistungen), sondern sie bezieht sich auch auf eine Spezialisierung zwischen wirtschaftlichem, politischem und rechtlichem Prozeß.157 Auf internationaler Betrachtungsebene erstreckt sich die Arbeitsteilung auf verschiedene internationale Organisationen, die sich auf eingegrenzte Regelungsbereiche internationaler Ordnungsfragen spezialisieren. Das GATT könnte aus dieser Sicht - so die Hypothese - als Teilordner der Weltwirtschaftsordnung begriffen werden, und zwar jener Teilordnung, die sich mit den Regeln des internationalen Handels auseinandersetzt. 158
157 Auch die (so noch recht grob beschriebene) Ausdifferenzierung in Legislative, Exekutive und Iudikative sind Ergebnis von arbeitsteiligen Prozessen. Genauso sind Nationalstaaten stark ausdifferenzierte soziale Gebilde, die lediglich aus einer völkerrechtlichen Warte flktiv wie "single actors" aufgefaßt werden. 158 Dabei fallt es auch nicht schwer, andere internationale Teilordner zu identillzieren, beispielsweise die Weltbank, das IWF für die internationale Währungs ordnung oder auch die UNO für eine Friedens ordnung. Eine solche Sicht wird durch die
VI. Ordnungstheorie (Bucken, Hayek, Böhm u.a.)
141
Für diese Analogie muß freilich die erschöpfende Zweiteilung in "privat" und "staatlich" aufgegeben werden, um parallele Teilordnungen innerhalb jeder der beiden Sphären zuzulassen. Darin besteht die eigentliche Erweiterung (zur Ordnungstheorie), die es erlaubt das ordnungstheoretische Denkschema in Spielregeln und spontanen Ordnungen, Marktprozesse und Demokratie (Verfahrensgerechtigkeit) sowie den Gegensatzpaaren "Staat" und "Gesellschaft" sowie "Freiheit" und "Gleichheit" auch auf einer internationalen Ebene nutzbar zu machen. Hierbei werden die Voraussetzungen für eine Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft auf Weltebene durch die Vorstellung paralleler Teilordnungen als jeweilige Vorbedingungen erkenntlich und die Entwicklung des Völkerrechts könnte i.S. einer übergeordnete Ordnungsebene erfaßt werden, womit mehr als zwei Ebenen notwendig wären. Dieser Gedanke einer vielstufigen Ordnungstheorie mit Parallelordnungen braucht für hiesige Fragestellung nicht zu einer ausgearbeiteten Theorie weiterentwickelt zu werden, um damit eine Analogie zwischen GATT und Ordnungsstaat streng wissenschaftlich begründen zu können, bzw. alle Facetten eines GATT als "Ordnungsstaat der Welthandelsordnung" ganz ausleuchten zu können. Wie in der Hypothese angenommen, haben die relevanten Entscheidungsträger keine umfassende Einsicht in Ordnungszusammenhänge, könnten indes (subjektiv) die Entwicklungen im GATT als eine dem nationalen Ordnungsstaat analoge Entwicklung betrachten. Dies erscheint wahrscheinlich, weil auch internationale Entscheidungsträger hochspezialisierte Funktionsträger sind, die hauptsächlich mit Funktionsträgem gleicher Funktionsgebiete und Hierarchiestufen kommunizieren und wegen ihrer Fachkenntnisse ihren Ordnungsbereich überblicken. Damit kontrollieren sie einen begrenzten Ordnungsbereich, zusammen mit ihren Kollegen aus anderen Ländern, und grenzen sich von anderen, sozusagen parallelen Ordnungsbereichen ab, in die sie weniger Einblick haben. Die Ordnungsfunktion ihres Wirkungskreises und dessen Institutionen (und Organisationen) können sie erkennen. Die mit internationalen Handelsfragen befaßten internationalen Entscheidungsträger können die Ordnungs funktion des GATT für internationale Han-
neuesten Entwicklungen im GATT, insbesondere die Gründung der WTO, nur noch plausibler. Übrigends entspricht das GATT tendenziell den Forderungen nach (formaler) Universalisierbarkeit und (inhaltlicher) Privateigentum, Vertragsfreiheit und Wettbewerb. Dies kann hier nicht im einzelnen nachvollzogen werden. Vgl. aber z.B. Art. XI Abs. I GATT.
142
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
delsfragen erkennen. Diese dürfte der Konzeption des ordnungstheoretischen Ordnungsstaats sehr nahe kommen.
Ergebnis der Analogieüberlegungen ist mithin, daß erstens keine ordnungstheoretischen Konzepte für die internationale Ebene vorliegen, daß zweitens mit dem ordnungstheoretischen Instrumentarium internationale Aspekte auch nicht sinnvoll bearbeitet werden können, daß aber drittens eine erweiterte Ordnungstheorie die Annahme zuläßt, internationale Entscheidungsträger verhielten sich so, als wenn sie von einer Analogie zwischen dem Ordnungsstaat der Ordnungstheorie und dem GATT als "Ordnungsstaat der Welthandelsordnung" überzeugt wären, wodurch dieser Analogieüberlegung handlungsleitende Funktion zugebilligt werden könnte.
3. Kritische Würdigung des ordnungstheoretischen Erklärungsansatzes "But from time to time it is probably necessary to detach oneself from the technicalities of the argument and to ask quite nalvely what it is a11 about. " Hayek, 1937, S. 54.
Die zu überprüfende und zu begründende Hypothese lautete, daß bei den relevanten Entscheidungsträgern auf internationaler Ebene zwar keine Einsicht in die Ordnungszusammenhänge der internationalen Handelsordnung besteht (sonst würden sie die Verträge nicht umgehen und jegliche Umgehung einzuklagen versuchen), daß sie aber die Entwicklung des GATT als eine in Richtung auf einen "Ordnungsstaat der Welthandelsordnung" auffassen, dem jegliche Durchsetzungsversuche schadeten. Die Analogie läßt sich mit einem streng ordnungstheoretischen Begriffsapparat nicht rekonstruieren - wie in der Diskussion ordnungstheoretischer Konzepte gezeigt werden konnte. Das ist aber auch entbehrlich, da bei internationalen Entscheidungsträgern ohnehin nicht von vornehmlich streng ordnungstheoretischen Überzeugungen auszugehen ist. Vielmehr erscheint es wegen der funktionsspezifischen Ausdifferenzierung der Aufgabenbereiche internationaler Akteure durchaus plausibel, daß sie ihren funktionsspezifischen Wirkbereich und dessen Institutionen als "Ordnungsbereich " ansehen, und sich somit den handelsbezogenen Teilbereich eines gedachten Weltstaates (also das GATT) als eine Art "Ordnungsstaat der Welthandelsordnung" repräsentieren und rekonstruieren.
VI. Ordnungstheorie (Bucken, Hayek, Böhm u.a.)
143
Freilich ist bei diesem Ergebnis die Begrenztheit der Ausgangshypothese im Auge zu behalten: Inwieweit die hier in Frage stehenden Entscheidungsträger tatsächlich eine Ordnungsfunktion des Staates anerkennen, in die Ordnungszusammenhänge freiheitlicher Prinzipien aber keinen oder zuwenig Einblick haben, müßte empirisch nachgewiesen werden - ein Nachweis, das wurde betont, der kaum oder nicht zu leisten ist. 159 Auch ist problematisch, daß eine solche Sicht von jeglichen Durchsetzungsversuchen abhalten müßte, also auch von diplomatischen und erst recht von machtpolitischen. Dies ist aber häufig im GATT nicht der Fall. Schließlich waren Erklärungen nur mit einer "erweiterten" Ordnungssicht möglich. Ordnungstheorie Le.S. konnte keine Erklärungskraft entfalten. Damit bleibt auch aus ordnungs theoretischer Sicht unklar, warum Verträge eingehalten oder durchgesetzt werden. Aus diesen Gründen können die Erklärungsversuchen nicht auf der Stufe der Ordnungstheorie stehenbleiben. Insbesondere erscheint eine wesentlich differenzierte Institutionenbetrachtung unbedingt erforderlich, die über die enge Ordnungssicht der Ordnungstheorie hinausreicht (s.u. im Kapitel VIII: Neue Institutionenökonomik, S. 151). Insofern die Ordnungstheorie bestenfalls als regulatives Prinzip handlungsleitend sein kann, ist ihre Erklärungskraft entsprechend unentfaltet und für die komplizierten Entscheidungsprozesse zum und im GATT unangemessen.
159 Dagegen liegt es in den Aussagen der Ordnungstheorie, daß aus der Analogievorstellung des GA'IT als "Ordnungsstaat der Welthandels ordnung " auch der Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche erklärbar wird. Eine ausführliche Herleitung kann hier unterbleiben, da angesichts der vorgebrachten Kritik dieser Aspekt von nachrangiger Bedeutung ist.
144
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik.
VII. Wettbewerb der Institutionen/ Systemwettbewerb 1. Darstellung
Es gibt inzwischen zahlreiche theoretische Ansätze im Bereich des Wettbewerbs der Institutionen, oder auch "institutionellen Wettbewerbs", indes keine geschlossene und ausgearbeitete Theorie. 160 Gemäß der theoretischen Vorgaben und Anforderungen in dieser Arbeit ist hier die neoliberale Variante weiterzuverfolgen. 161 Gemeinsames Grundscliema der Theorieansätze ist die Vorstellung, daß immobile Faktoren um mobile Faktoren miteinander in Konkurrenz treten, i.S. eines Standortwettbewerbs zwischen Nationalstaaten. 162 Zu den immobilen Faktoren werden u.a. die Institutionen eines Staates gezählt. Trotz teilweise sehr verschiedener Verwendungen des Institutionenbegriffs werden die staatlich kodifizierten Rechtsregeln (Rechtsnormen) in jedem Fall hinzu gezählt. 163 Anbieter dieser Institutionen sind politische Entscheidungsträger, i.d.R. gewählte Regierungspolitiker. Nachfrager der
160 Ihre Vertreter argumentieren teilweise aus neoklassischer Perspektive (vgl. Arrow, 1951, Gordon, 1983, Musgrave/Musgrave, 1989, Oates, 1972, Sinn, 1990, Tiebout, 1956) oder vor dem Hintergrund einer ordnungstheoretischen Wettbewerbsperspektive (vgl. Streit, 1994, S. 14, Vihanto, 1992, Vanberg, 1993). 161 Systemwettbewerb konnte in dieser Arbeit im Umkreis des "verfassungsorientierten Neoliberalismus" angeordnet werden, weil - entsprechend der aufgestellten Mindestanforderungen an die Theorien - die neoklassische Variante nicht in Betracht kommt. Die Verfassungsorientierung liegt hier nicht in der Behandlung des GATI als eine Art Verfassung, sondern der Betrachtung nationalstaatlicher Verfassungen, die untereinander im Wettbewerb stehen. 162 Vgl. Giersch, 1994, S. 9 ff. 163 Der Wettbewerb unter den Anbietern immobiler Ressourcen (politikern) kann sich auf verschiedene "Institutionen" beziehen und unter verschiedenen Umständen stattfmden. So wird neben der üblichen Analyse der Gesetze eines Staates im Vergleich zu anderen Staaten ("inteIjurisdiktioneller Wettbewerb", der auch für hiesige Zwecke maßgeblich ist), v.a. untersucht, wie der Wettbewerb sich ausgestaltet von: (1) Nationalstaaten in einer Wirtschaftsgemeinschaft (vg. Siebert/Koop, 1990, Vanberg, 1993), (2) Teilstaaten eines föderalen Staates (Dye, 1990, Bish, 1988 bzgl. USA), aber auch von: (3) Nationalstaaten um Direktinvestitionen (Porter, 1990), (4) privaten Rechtsentwicklungen (Streit, 1987, für Schwarzmärkte, de Soto, 1990, für Lateinamerika) sowie sogar (5) von ganzen Zivilisationen (Hayek, 1967, 1988, Jones, 1981, Rosenberg/Birdl.ell, 1986, und Berman, 1993, über den Aufstieg westlicher Gesellschaftsformen).
VII. Wettbewerb der Institutionen! Systemwettbewerb
145
Institutionen sind die Entscheider über mobile Ressourcen, d.h. Unternehmer, Manager und Bürokraten. Mobile Ressourcen sind v.a. Arbeit und Kapital. In die Produktionsstandortentscheidung der Entscheider über mobile Ressourcen gehen die Qualitäten verschiedener institutioneller Arrangements in den verschiedenen Ländern ein, so daß sie per "exit" (LS. Hirschmanns l64 ) tendenziell ihr Kapital oder ihre Arbeitskraft eher in jene Länder verlagern, deren institutionelles Arrangement ihnen für ihre Zwecke am geeignetsten erscheint. 165 Diese " Abwanderung" wirkt, so die Theorie, als Signal auf die politischen Entscheidungsträger zurück, die nun ihrerseits in der Ausgestaltung und Revision der institutionellen Arrangements die manifestierten Entscheidungen der" Unternehmer" berücksichtigen können und dafür "erfolgreiehe" institutionelle Arrangements anderer Staaten gegebenenfalls kopieren können. Somit unterliegen die Anbieter institutioneller Arrangements einem Wettbewerb, der demjenigen auf Märkten bezüglich der Ergebnisse, wie auch der Prozesse ("exit", statt wie im politischen Entscheidungsprozeß "voice", Hirschmann, 1970) ähnlich ist. Als Resultat dieses Prozesses werden vorwiegend jene Institutionen angeboten, die den Ansprüchen der Entscheider über mobile Ressourcen am geeignetsten erscheinen. Übertragen auf die Vorgänge im GATT müßte die Vorstellung bestätigt werden können, daß der (politische) Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche gegen GATT-Vertragsverletzungen und -umgehungen Teil jener gewünschten Institutionen ist, die mitentscheidend für die Auswahl eines Investitionsstandortes für mobile Ressourcen sind. Aber nicht nur muß dieser Verzicht den Entscheidern über mobile Ressourcen wichtig für ihre Standortwahl sein, sondern auch der gesamte Rückkopplungsprozeß in die Politik müßte aufzeigbar sein. Also: Hypothese: Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die eines Verzichts, weil nationale Entscheidungsträger annehmen, daß rechtliche Durchsetzungsversuche internationaler Handelsregeln im Sinne eines negativen Standortfaktors abschreckend auf Investoren wirken.
164 Vgl. Hirschmann, 1970 (dt. 1974: "Abwanderung und Widerspruch: Reaktionen auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten"). Hierzu auch: Bajoit, 1988, der "Apathie" als mögliche Reaktion hinzugezählt wissen will. 165 Diese "exit"-Entscheidungen und damit diese Art der "choice of rules" sind vollkommen individuelle Entscheidungen, die nicht mit den Buchanan'schen kollektiven "choice of rules" (vgl. Buchanan, 1990b) zu verwechseln sind. Deshalb spricht Wohlgemuth, 1994b, passim, von "collective choice of ruiers". 11 Kopke
146
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
Eine Begründung dieser Hypothese könnte wie folgt lauten: Unternehmer vertreten die Auffassung, daß sie von staatlicher Protektion im Sinne ihrer Zwecke mehr profitieren, als von Freihandel bzw. Rechtstreue ihrer Regierung. 166 Rechtliche Durchsetzungsversuche der GATT-Regeln, die also auf Rechtstreue und gegebenenfalls sogar auf Freihandel abzielen, müßten dabei als Indiz für mangelnden Protektionswillen von seiten des Staates angesehen werden. Politikern wiederum, als internationale Entscheidungsträger, sind diese Auffassungen zu Standortfaktoren geläufig. Sie versuchen durch Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche ein investitions freundlicheres Unternehmer-Klima zu schaffen. Diese Begründung erscheint plausibel, weil es Unternehmern als Anbieter mobiler Ressourcen Ld.R. weniger um Ordnungsprinzipien im Welthandel geht, als um ihre eigenen unmittelbaren Profite. Ihre Mobilität könnte es ihnen r"lauben, jeweils in den Staat mit der höchsten "Protektion" für ihre Branche zu "flüchten". Ebenso plausibel ist es, daß Politiker sich nach den vollzogenen oder angdrohten Unternehmerentscheidungen richten. 167 Sind diese Plausibilitätsüberlegungen aber auch bei einer Konfrontation mit der faktischen Realität untemehmerischen und politischen Verhaltens ausreichend zu begründen?
166 Vanberg 1992, S. 378, bezogen auf ein intranationales Gefangenendilemma: aus der Sicht einzelner Interessengruppen innerhalb einer Nation könne es durchaus von Vorteil sein, protegiert zu werden. Aus Verfassungsökonomischer Sicht handelten diese Interessengruppen innerhalb des Verfassungsrahmens und stellen sich die Frage nicht aus einer gesamt-nationalen Perspektive (hätten sie nämlich zwischen einer protektionistischen und einer nicht-protektionistischen Wirtschaft aus einem überlegenen Standpunkt zu wählen, würden sie sich mit Sicherheit für die nicht-protektionistische entscheiden, weil dort das Güterniveau höher sei). 167 Es ist wichtig zu sehen, daß bereits die glaubhafte Androhung von Abwanderung oder - noch direkter - von Wählerstimmenentzug, vergleichbare Reaktionen bei Politikern auslösen können. Auf "glaubhafte Drohungen" ist noch im Rahmen der Analyse der Neuen Institutionenökonomik (Kapitel VIII: S. 151 ff.) einzugehen. Dort werde ich auch eine besondere Variante des Systemwettbewerb-Arguments diskutieren, welche den Kausalmechanismus über die .. Öffentliche Meinung" rekonstruiert, die Reputationstheorie. Hierzu besonders aufschlußreich Sartori, 1987, S. 152 ff., der auf von Politikern antizipiertes Wählerverhalten eingeht. Zudem kann aus Systemwettbewerbssicht argumentiert werden, der Zusammenbruch der Sowjetunion hätte allein aufgrund des Vergleichsdrucks, also sogar ganz ohne Faktorbewegungen stattgefunden, weil der allgemeine politische Druck angewachsen ist. Diese Diskussion kann hier nicht weiterverfolgt werden.
VII. Wettbewerb der Institutionen! Systemwettbewerb
147
2. Kritik
Die Theorie des Systemwettbewerbs ist mit vielfältigen Problemen verbunden, die im folgenden in Frageform angedeutet werden. Hierzu unterscheiden wir zunächst in den unternehmerischen Entscheidungsbereich, in dem die Anbieter mobiler Ressourcen Entscheidungen über Produktionsstandorte treffen und den politischen Entscheidungsbereich, in dem die Anbieter von institutionellen Arrangements Entscheidungen über Veränderungen dieser Institutionen treffen.
Probleme im Entscheidungsbereich der Unternehmer 1. Wie mobil ist der Faktor Arbeit? Könnte im Falle mangelnder Mobilität theoretisch auch allein vom mobilen Faktor Kapital ausgegangen werden? Welche gesetzlichen oder faktischen Beschränkungen obliegen der Mobilität von Faktoren? 2. Welche Rolle spielen die institutionellen Arrangements bei (unternehmerischen) Entscheidungen über Produktionsstandorte tatsächlich? 3. Welche Institutionen sind es genau, die miteinander in Wettbewerb treten? Die Begriffe "Freihandel", "Protektion" und "Rechtstreue" bedürften der Präzisierung. 4. Warum widersprechen sich die Protektionsvorstellungen verschiedener Produzentengruppen nicht gegenseitig? 5. Da es den Unternehmern, die implizit bestimmte Institutionen wählen, nicht um die Regeln an sich geht, sondern um ihren eigenen erwarteten Vorteil, ist i.S. eines methodologischen Individualismus ungewiß, welcher Art diese Vorteilsvorstellungen sind (von den beobachtbaren Wahlhandlungen unabhängige Kriterien sind nicht aufzustellen). 6. Ein weiteres methodisches Problem besteht darin, daß jeder "exit" mit (Opportunitäts-) Kosten verbunden ist, deren Höhe individuell verschieden eingeschätzt werden kann und von Beobachtern nicht unabhängig von der beobachtbaren Wahlhandlung beurteilbar ist. 168
168 Dies ist das allgemeine Argument, daß Kosten immer subjektiv eingeschätzt werden. Vgl. hierzu Wiseman, 1989, Buchanan, 1969. Die Theorie des Systemwettbewerbs beinhaltet selbst keine Aussagen über Kosteneinschätzungen. Auf die hierzu regelmäßig herangezogene Transaktions- und Informationskostenproblematik wird in
148
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
Insgesamt erscheint dieser Teilbereich mit einigem empirischem Aufwand und herkömmlichen Methoden noch hinreichend belegbar. Wie steht es dagegen mit dem politischen Bereich?
Probleme im Entscheidungsbereich der Politiker Aussagen im Bereich der Anbieter von institutionellen Arrangements, die Entscheidungen über Veränderungen von Institutionen treffen, sind wesentlich komplexer und auch von Public Choice-Ansätzen (vgl. z.B. Porter, 1990) keinesfalls befriedigend beantwortet. Hierbei müssen zwei Fragestellungen auseinandergehalten werden. Erstens, wie erfahren Politiker von den Präferenzen der Unternehmer, wenn diese nicht explizit ausgedrückt werden. Zweitens, welche Handlungsspielräume besitzen Politiker zur Veränderung der institutionellen Arrangements innerhalb ihrer Jurisdiktion. Es ist zu fragen:
... zur Signalwirkung ... 1. Welcher Art ist der Signalmechanismus der einzelnen "exit"Entscheidungen der Entscheider über mobile Faktoren, der auf die Entscheidungen von Politikern zurückwirkt? Muß hier der wählerstimmenmaximierende Politiker der Public Choice-Theorie bemüht werden? Oder entdecken Politiker die Standortfaktoren auf andere Weise?169 2. Wie demokratisch muß das politische System sein, damit ein Signalmechanismus in Wahlen wirksam werden kann? 3. Können Konstellationen auftauchen, in denen andere Interessengruppen systematisch die Effekte der "exit"-Entscheidungen überkompensieren? Wie kann man davon ausgehen, daß die für Mobilressourcenentscheider den folgenden Abschnitten ausführlich eingegangen (s.u. Kapitel VIII: Neue Institutionenökonomik, S. 151). 169 Wohlgemuth, 1994b, S. 11 f., schreibt zur Wechselwirkung von "factor movements and voter movements": Abwanderung mobiler Ressourcen: (1) reduziere die Produktivität immobiler Ressourcen, die nun weniger ausgelastet seinen. Daraus resultierten private Einkommenseinbußen, die sich im Wahlverhalten niederschlügen. (2) Durch den Abfluß von Ressourcen sinke tendenziell auch die "tax base" und damit die öffentlichen Einnahmen, mit allen ihren Folgen für den Handlungsspielraum von Politikern, insbesondere im Bereich der wahlwirksamen Verteilungspolitik. Wohlgemuth, 1994b, S. 12, führt weiter aus: "at the same time net capital exports may, via induced increases in interest-rates, raise the price of debt-fmanced govemment spending."
VII. Wettbewerb der Institutionen! Systemwettbewerb
149
vorteilhaften Institutionen nicht für viele andere nachteilhaft sind und diese größeren Einfluß auf das politische Entscheidungskalkül erlangen?170 4. Können einzelne Produzentengruppen und Entscheider über mobile Ressourcen u. U. eine so dominante Stellung einnehmen, daß der politische Prozeß (durch Korruption) gefährdet wird?
... zum Handlungsspielraum ... 1. Wie können Politiker als "agents of collective action" reagieren, da sie doch nicht wie Unternehmer flexibel Entscheidungen treffen oder gar mit ihrem "institutionellen Angebot" experimentieren können? 2. Wie groß sind ihre Aussichten, den Erfolg ihrer Handlungen auch selbst in Wahlen, durch Prestige o.ä., ernten zu können? Wie gut überschauen Politiker die vielschichtigen Verflechtungen der Institutionen und scheuen sich deshalb vor schnellen und beherzten Entscheidungen? 3. Wie unterscheiden Politiker, ob die Ursachen für Abwanderung national und institutionell bedingt sind? 4. Wie kann der gesamte Bereich informeller und indirekter Institutionen, die u. U. wichtige Standortfaktoren sind, von Politikern beeinflußt werden? 171 5. Wie vereinbaren Politiker die notwendigen institutionellen Veränderungen zur Anziehung von Ressourcen, ohne Widersprüche mit ihren (ideologischen) Politiklinien, welche doch Garanten ihrer Glaubwürdigkeit sind? 6. Wie verhindern Politiker, daß institutionelle Wettbewerbsvorteile von anderen Regierungen nicht zum Anstoß für Deregulierungswettläufe werden, bei denen alle Errungenschaften im sozialen oder Umweltbereich aufs Spiel gesetzt werden müßten (sog. "competition in laxity")? 7. Warum sollten sich Politiker zur Ausschaltung des lästigen Wettbewerbs nicht international koordinieren, bzw. ihre Politiken "hannonisieren"?
170 Während Korrelationen zwischen der ökonomischen Gesamtsituation eines Regierungsgebiets und Wählerverhalten recht plausibel klingen und auch bereits empirisch getestet wurden (vgl. SchneiderlFrey, 1988), rallt es schwer, den Zusammenhang zwischen Exit der Unternehmer und Voice der Wähler herzustellen. 171 "Interne Institutionen" "evolve as a result of market processes and other forms of spontaneous individual action" (vgl. Lachmann, 1970, S. 81); Informelle Institutionen sind "socially sanctioned norms of behavior" (vgl. North, 1990, S. 40).
150
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
Diese Fragebeispiele dürften genügen, um die mangelhafte wissenschaftliche Durchdringung der komplizierten Kausalketten zwischen Institutionen und Abwanderung aufzuzeigen. Empirische Tests hierfür aufzustellen, dürfte kaum, oder aber nur um den Preis wenig verallgemeinerbarer Ergebnisse möglich sein. Schumpeters Analyse des dynamische Politikertypus' greift hier sicher zu kurz. 172 Im internationalen Systemwettbewerb erscheint insbesondere das Problem des sogenannten "social dumping" oder "environmental dumping", und anderer (auch von den Ordnungstheoretikern) als Marktversagen klassierter, empirisch wichtiger Phänomene theoretisch vollkommen ungelöst. Die GATTUruguay-Verhandlungen drohten insbesondere wegen dieser Aspekte wiederholt zu scheitern. Es wird in der Staatenpraxis inzwischen fraglos akzeptiert, Sozial- und Umweltklauseln in internationale Verträge zu integrieren - so auch im GATT.
3. Resultate
Bevor diese Fragenkomplexe für eine internationale Ebene nicht wenigstens ansatzweise geklärt sind, erscheint eine Anwendung der Theorie des Systemwettbewerbs im Sinne eines gültigen Erklärungsansatzes gänzlich aussichtslos. Insbesondere im Bereich politischer Entscheidungsträger , und deren Perzeption von Abwanderung und ihrer Reaktionsmöglichkeiten, befindet sich die Theorie komplett in einem Anfangsstadium. Für eine Erklärungskraft entfaltende Handlungsanalyse fehlen v.a. die begrifflichen Differenzierungsmöglichkieten im Bereich der "Institutionen". So liegt es nicht an der hier aufgeworfenen differenzierten Frage nach den
verschiedenen Durchsetzungsarten, daß mit der Theorie des Systemwettbe-
werbs keine nützlichen Erklärungsansätze möglich sind. Für einen detaillierteren Argumentationsversuch fehlt v.a. die empirische Basis, die selbstverständlich nach der institutionellen Situation der einzelnen Länder und ihren faktischen Vernetzungen im internationalen Handel differenzieren müßte.
172 Vgl. Schumpeter, 1942176.
VIII. Neue Institutionenökonomik
151
VIII. Neue Institutionenökonomik Die vorangegangenen Diskussionen haben gezeigt, daß im Bereich der soweit betrachteten Ökonomik die institutionellen Vorbedingungen für individuelles Handeln nicht hinreichend berücksichtigt werden. Entgegen ihres selbsterhobenen Anspruchs, der sich deutlich von neoklassischen Theorien distanziert, verbleibt auch bei ihnen die Behandlung der institutionellen Einbindung menschlichen Handeins zu unbestimmt oder zu starr für überzeugende Erklärungsansätze der beobachtbaren Verhaltensweisen im Bereich des GATT. Die Neue Institutionenökonomik hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Vernachlässigungen herkömmlicher Theorie zu überwinden. Es handelt sich um einen relativ neuen Theoriezweig der Ökonomik, der weniger als geschlossene Schule, als vielmehr als ein neues Forschungsprogramm aufgefaßt wird. 173 Deshalb soll zuerst (1) ein Überblick über die gemeinsamen Grundlagen der Neuen Institutionenökonomik vorangestellt werden, bevor (2) der "Totalverzicht" auf jegliche Durchsetzungsversuche mit einer Hypothese aus dem Bereich der Transaktions- und Informationskostenökonomik zu erklären versucht wird, und im Anschluß (3) der Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche mit dem charakteristischen Ansatz der Neuen Institutionenökonomik, der Prinzipal-Agent-Theorie, mit welcher v. a. Informationsasymmetrien bei Vertragsbeziehungen untersucht werden.
1. Grundlagen der Neuen Institutionenökonomik
(a) Einführung: Die Bezeichnung "Neue Institutionenökonomik" wird für jene Ansätze der Ökonomik verwendet, die die Untersuchung handlungsleitender Institutionen, insbesondere deren Wirkung, Entstehung und Wandel in den Mittelpunkt stellen und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Arten von Institutionen und Regeln aufzudecken versuchen. Der Institutionenbegriff wird hierbei recht vielfältig verwendet. 174 Neben sehr allgemeinen Bestimmungen, wie: "organizations of all kinds"175 oder "Vereinbarungen [... ], die
173 Vgl. Langlois, 1986, S.252, NablilNugent, 1989, S. 10, Ribhegge, 1991,
S.38.
174 Vgl. Dietl, 1993, S. 89, der Sprachverwirrungen beim Institutionenbegriff thematisiert. 175 Williamson, 1985, S. 16.
152
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
wiederholte Beziehungen zwischen Menschen fonnen"176, finden sich auch inhaltlich bestimmtere Abgrenzungen, die Anschluß an die Sozialwissenschaften suchen, indem sie als Institutionen unterscheiden177 : (1) Entscheidungssysteme - Regeln oder Verfahren, mit denen in der Gesellschaft Entscheidungen getroffen werden (z.B. Preissysteme und Märkte, Demokratien, Hierarchien, Verhandlungssysteme). (2) Normen, Traditionen und andere Verhaltensregeln - Diese liegen nicht nur dort vor, wo ansonsten keine kodifizierten Gesetze und schriftlichen Regeln existieren, sondern sie sind auch Grundlage und Voraussetzung jeder wirksamen Regel und jedes Gesetzes. Demnach liegen, vereinfacht gesagt, für die Anwendung rechtlich-kodifizierter Regeln selbst bestimmte Nonnen, Konventionen und Verhaltensmuster zugrunde, die ebenso als Institutionen und Regeln begreitbar sind. Die Unterscheidungen zwischen diesen beiden Ebenen ist in Bezeichnungen wie äußeren und inneren (Lachmann) oder formellen und informellen (North) sprachlich festgehalten. 178 Diese Arten von Institutionen bilden die Haupt-Untersuchungslinie der Neuen Institutionenökonomik. (3) Organisationen - Zusammenschlüsse von Individuen, z.B. Staaten, Verbänden, Finnen, Bürokratien, Clubs und informellen Vereinigungen, zu denen bisweilen sogar Familien gezählt werden. Die institutionelle Eingebundenheit des Individuums in diese Art des "korporativen HandeIns" , um mit den Worten Vanbergs zu sprechen, bezieht sich auf: Ressourcenpooling, Entscheidungskoordinierung und Gewinnverteilung. 179 Es ist unmittelbar einleuchtend, daß alle drei Arten von Institutionen auf die mit Entscheidungen zum GATI befaßten internationalen Akteure wirken. Die institutionelle Einbindung von Entscheidern in internationalen Handels-
176 Siehe Frey, 1993. Auch Streit, 1992a, S. 56, der die Begriffe "Institutionen" und "Regeln" weitgehend synonym verwendet, definiert Institutionen allgemein als "gesellschaftlich anerkannte Regeln für angemessenes Verhalten [... ], die von vielen Akteuren in sich wiederholenden Entscheidungssituationen genutzt werden können und genutzt werden". 177 Vgl. zum Folgenden Frey, 1993. 178 Vgl. Lachmann, 1970, S. 81. Interne Institutionen "evolve as a result of market processes and other forms of spontaneous individual action", externe "constitute, as it were, the outer framework of society, legal order". North, 1990, S. 40, definiert "informal constraints" als "socially sanctioned norms of behavior", während "formal rules [... ] political (andjudicial) rules, economic rules and contracts" ausmachen. 179 Vgl. Vanberg, 1982a.
VIII. Neue Institutionenökonomik
153
fragen wurde im Teil "Akteure" exemplarisch aufgezeigt. Gewinnbringend erscheint die Betrachtung von Institutionen bzgl. des GATT v.a. deshalb, weil bei Vertragsverletzungen und -umgehungen, aber auch bei dem Verzicht auf rechtliche Verfolgung, eine Diskrepanz u.a. zwischen äußeren, also den kodifizierten Rechtsnormen des GATT, und inneren, also den zwischen Akteuren zwanglos akzeptierten Verhaltensweisen gegenüber Regelverstößen, vorzuliegen scheint rwerte- und Normen-Aspekt). Gleichzeitig ist die verfahrensmäßig und organisatorisch starke Einbindung aller Beteiligten (Entscheidungssystem- und Organisationsaspekt) offensichtlich. Immerhin sind sie in aller Regel Funktionsträger nationaler Politik und formalistischer Bürokratien. Die Betrachtung von Institutionen ist in den Sozialwissenschaften keineswegs neu, insbesondere nicht in der Soziologie, die gar als "Wissenschaft von den Institutionen" geprägt wurde. 180 Der herkömmlichen (neoklassischen) Ökonomik sind sie indes weitgehend fremd geblieben. Dagegen haben klassische Ökonomik und ihre Weiterentwicklungen, so auch die Ordnungstheorie, Institutionen immer schon berücksichtigt, allerdings nicht als zu erklärende Variable, sondern nur als Rand- oder Nebenbedingung (im sog. "exogenen Datenkranz,,).181 Die Neue Institutionenökonomik unternimmt insofern den Versuch einer Integration herkömmlicher ökonomischer mit soziologischer Theorie und beendet den "sozialwissenschaftlichen Separatismus"182, der zur Ausbildung unterschiedlicher Forschungsmethodiken geführt hat. Aber auch mit der Rechtswissenschaft, der Moralphilosophie oder der Sozialanthropologie, um nur einige zu nennen, ergeben sich für die Neue Institutionenökonomik zahlreiche Berührungspunkte. Entsprechend ihrer Herkunft teilen sich auch die Vertreter institutionenökonomischer Ansätze in jene, die Weiterentwicklungen neoklassischer Modellogik betreiben und andere, die sich v.a. ordnungstheoretisch verankert wissen möchten. 183 180 Durkheim, 1961, s. 100. Vgl. zudem Brunner, 1987, 34, und Vanberg, 1982b, S. 50 f.
s. 367, Dietl,
1993, S.
181 Vgl. Eucken, 1969/89, S. 156, Herrmann-Pillath, 1991, S.9, 32, Leipold, 1989a, S. 129, Schüller, 1992, S. 41 f., Tietzel, 1991, S. 9. Dagegen versteht sich die Neue Institutionenökonomik, um mit den Worten von Becker, 1982, zu sprechen, als "ökonomischer Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens", vgl. Kirchgässner, 1991, S. 100 f., 126, Leipold, 1989b, S. 16. 182 Siehe Mummert, 1994, S. 2. 183 Diese Unterscheidung wird insbesondere bei den unterschiedlichen Untersu-
chungsgegenständen deutlich: Während die Apologeten neoklassischer Provenienz
154
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
Im Objektbereich haben sich zwei analytische Zweige der Neuen Institutionenökonomik herausgebildet: Während sich die einen mit Werten und Normen (i.S. sich wandelnder Präferenzen) in Marktbeziehungen beschäftigen, gehen die anderen "Organisationen" nach und verfolgen die Coase'sche Frage nach "The Nature of the Firm", mit der Firma als paradigmatischer Figur der Organisation. 184 Beide Zweige bedienen sich indes einer charakteristischen - und wie zu zeigen sein wird, einschneidenden - Vereinfachung durch eine Hilfskonstruktion. Demnach wird auch jede Organisation vertragstheoretisch rekonstruiert, d.h. als durch Vertrag zustandegekommen (um-) definiert: jede Organisationsbeziehung wird zu einer vertraglichen. 18S Vertragsbeziehungen kommen nämlich mit der einschränkenden Annahme von Institutionen allein LS. von Werten, Normen, Traditionen etc. (Institutionen vom Typ 2 obiger Klassifikation) aus. Nur diese sind nämlich beim Abschluß von Verträgen maßgeblich. Sowohl die Frage nach "Entscheidungssystemen" im obigen Sinne, als auch jene nach "Organisationen" werden durch dieses Konstrukt entbehrlich. Diese Vereinfachung birgt aber Schwierigkeiten: Schon die naheliegende Frage nach der Einhaltung von Verträgen kann mit einer solchen Konstruktion nicht mehr sinnvoll bewältigt werden. Diese Problematik wird sogleich in der Grundsatzkritik wieder aufgenommen - zunächst seien die übrigen Gemeinsamkeiten der Ansätze der Neuen Institutionenökonomik kurz dargelegt: Entsprechend der vorgenommenen Einschränkungen auf den Werte- und Normen-Aspekt (Typ 2), werden unter "Institutionen" in der Ökonomik al-
ihren eingefahrenen Kategorien von Gleichgewichtspreisen und -märkten sowie volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen LS. von Sozialprodukten und Wachstum treu bleiben, verschreiben sich die marktprozeßtheoretisch geprägten "Ordnungs-Saurier" vornehmlich der Analyse spontaner Ordnungen und ihrer Bedingungen. Mummert, 1994, S.8 ff., sieht die Grundlagen der Neuen Institutionenökonomik durch die deutsche Historische Schule sowie die amerikanischen Institutionalisten gelegt. Vgl. hierzu ausführlicher Elsner, 1986, Gruchy, 1972, Schumpeter, 1965. Da in dieser Arbeit neben den Annahmen der Eigennutzmaximierung und der Zweckrationalität auch die Annahme des methodologischen Individualismus vorausgesetzt wird, ist die auf neoklassischen Gleichgewichtsvorstellungen aufsetzende Variante der Neuen Institutionenökonomik für hiesige Untersuchungen nur wenig relevant. 184 Vgl. beispielhaft: North, 1990, und Williamson, 1975 im Gegensatz dazu Schumann, 1987, S. 212, und schon Coase, 1937.
185 Vgl. auch Williamson, 1990, S. 61 f. Eindeutig in diesem Sinne auch Mummert, 1994, S. 3, der sich auf Jensen/Meckling, 1976, S. 310 beruft.
VIII. Neue Institutionenökonomik
155
lenthalben also solche nonnativen Regelungen verstanden, die "die Wahl von Handlungsoptionen einschränken [ ... ] und durch entsprechende Anreize (Sanktionen) absichern" .186 Aber nicht nur diese "choice within rules" ist Gegenstand und Erkenntnisziel der Untersuchungen, sondern auch die Entstehung und Gestaltung von Institutionen ("choice of rules").187 Damit befinden wir uns wieder bei der aus der Ordnungstheorie bekannten Zweiteilung, die dort als "spontane Ordnungen" und "Organisationen" behandelt wird; auf die diesbezügliche Kritik sei verwiesen (s.o. S. 127 ff.). Auch alle anderen Systematisierungen von Institutionen innerhalb der Neuen Institutionenökonomik weisen diese analytische Dualität auf und reichen somit analytisch nicht wesentlich weiter. Das gilt auch für die North 'sche Unterscheidung zwischen fonnellen und infonnellen Regeln, die nach dem Grad der Kodifiziertheit differenziert 188 und noch verfeinert und erweitert wurde l89 , v.a. um den entscheidenden Aspekte der Sanktionsbedingtheit l90 . Die entscheidende Aussage der Neuen Institutionenökonomik ist, daß Institutionen die Funktion (oder Wirkung) haben, Unsicherheit in menschlichen Austauschprozessen zu verarbeiten und zu reduzieren, weil sie regelmäßiges Verhalten antizipierbar machen. 191 Diese Verringerung der Unsicherheit steht
186 Vgl. Schenk, 1992, S. 341. 187 Vgl. Leipold, 1989b, S. 15. Vgl. auch Davis/North, 1971, die "institutional environment" und "institutional arrangement" voneinander abgrenzen, sowie die "inneren" gegenüber "äußeren" Institutionen nach Lachmann, 1963, S. 67. 188 Vgl. North, 1990, S. 4 ff., Lin, 1989, S. 7, Leipold, 1989b, S. 14, Picot/Dietl, 1990, S. 178. North (1991) unterscheidet begrifflich bei den formellen Institutionen zwischen rechtlichen, politischen, ökonomischen und vertraglichen Regeln. Diese Unterscheidung hält er aber selbst nicht durch; vielleicht weil er damit in die Schußlinie der "Vertragsdenker" geraten ist. 189 Vgl. beispielhaft Gäfgen, 1982, S. 19 f. 190 Häufig wird die Möglichkeit der Sanktion als konstitutives Merkmal von Institutionen bestimmt: EgerlWeise, 1990, S. 81, nennen formelle Institutionen solche, bei denen die Sanktionshandlungen organisiert, zentralisiert und normiert sind. Ebenso Voss, 1985, S. 3, der den Begriff der sanktionierten "sozialen Norm" vorzieht, während Elster, 1989b, S. 104, und auch Platteau, 1992, S. 13, darauf verweisen, daß informelle Institutionen v.a. durch informelle Sanktionen (soziale Ächtung, Scham, "schlechtes Gewissen", etc.) wirksam sind. Auf diese Zusammenhänge verweist Mummert, 1994, S. 6 f. 191 Vgl. z.B. Heiner, 1983, S. 573, Hutchinson, 1984, S. 25 f., North, 1990, S.3.
156
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
in engem Bezug zur Annahme der "bounded rationality". Wegen der begrenzten individuellen Infonnationsverarbeitungs- und -vermittlungsfahigkeiten (bei subjektiver Wahrnehmung) treten für jeden Entscheider sogenannte Transaktionskosten auf. Transaktionskosten bilden den genuinen Ausgangspunkt institutionentheoretischer Analyse. In der Neuen Institutionenökonomik haben insbesondere zwei theoretische Ansätze relativ scharfe Konturen entwickelt: Einerseits eine direkt an der Transaktionskostenproblematik ansetzende Theorie, in der Entscheidungsprozesse und -situationen bei unvollständiger Infonnation und kostspieligen Infonnationsprozessen untersucht werden. Zum anderen die Prinzipal-Agent-Theorie, die Vertragsbeziehungen analysiert, indem die systematischen Infonnationsasymmetrien zwischen Vertragspartnern betrachtet werden. Für diese beiden Ansätze können plausible Hypothesen fonnuliert und sodann einer eingehenden Prüfung unterzogen werden. Zuvor jedoch einige grundsätzliche, wissenschaftstheoretische Kritikpunkte am "Forschungsprogramm" der Neuen Institutionenökonomik. (b) Unzulänglichkeiten vertragstheoretischer Rekonstruktionen im Völkerrecht: Im folgenden sollen einige Überlegungen zu den institutionellen Bedin-
gungen angedeutet werden, unter denen Individuen überhaupt nur bereit sind, miteinander Verträge zu schließen. Dieser institutionentheoretische Einschub soll auf die Unzulänglichkeiten vertragstheoretischer Rekonstruktion und Redefinition wirklicher Interaktionsmuster, besonders im Völkerrecht, hindeuten. 192 Wie schon mehrfach begründet, spielen dabei für die Frage des Abschlusses von Verträgen im wesentlichen die gleichen Überlegungen eine Rolle, wie bei Fragen nach der Vertragseinhaltung oder der hier relevanten
Vertragsdurchsetzung.
Normenkompatibilität und Bindungswille: Verträge können nur geschlossen werden, wenn in etwa gleiche Vorstellungen darüber vorliegen, was ein Vertrag ist und mit welchen Verpflichtungen er verbunden ist. Dazu gehört nicht nur die Metanonn "paeta sunt servanda", sondern auch Fragen, wie, wann und wo die Vertragsleistungen erbracht werden müssen, was bei NichtLeistung erfolgt, wie eventuelle Streitigkeiten beigelegt werden könnten und welche Sanktionsmechanismen eingesetzt werden dürfen. Auch reicht es nicht,
192 Erst aus institutionentheoretischer Sicht können diese Einwände verständlich sein, weshalb bei der Kritik der Vertragstheorie eher logische Probleme aufgegriffen wurden. Im folgenden sind erste Andeutungen auf den nächsten Teil der Arbeit enthalten.
VIII. Neue Institutionenökonomilc
157
diese Modalitäten im Vertrag selbst zu bestimmen, da - unter der Annahme opportunistischen Verhaltens - gerade Einhaltung und Durchsetzung des Vertrags das Problem sind. Für internationale (Staaten-) Verträge greifen in der Regel die Normen des Völkerrecht, die aber erstens nicht frei von Unbestimmtheiten und Anfechtungen sind, zweitens die Vertragsparteien nicht zu möglichst vollständigen Verträgen zwingen können, weil es eine solche Völkerrechtsnorm nicht gibt. Selbst wenn man die anhaltende Bereitschaft, Verträge unbedingt einzuhalten bei Völkerrechtssubjekten voraussetzen könnte, verbliebe somit aus der Unvollständigkeit jedes Vertrags heraus zwischen den Vertragsparteien Einigungsbedarf. Kurzum, es muß einen Konsens über bestimmte Grundwerte und den ("guten") Glauben an deren Einhaltung geben, damit vom Rechtsgeschäft " Vertrag " überhaupt Vorteile erwartet werden können. Insofern bieten die Rechtsnormen des Völkerrechts nur Anhaltspunkte für die Beurteilung ihrer Verbindlichkeit und Beachtung. Darüber können auch einige Fortschritte bei der Kodifizierung nicht hinwegtäuschen. 193
Verständigung über Vertragsinhalte: Eine weitere wichtige Bedingung für Vertragsschlüsse dürfte sein, daß ein beiderseitiges Vertrauen darüber vorherrscht, daß Verständnis über die vertraglich vereinbarten Leistungen vorliegt. Mit Verständnis soll die informationstechnische Seite eines Vertrags verstanden werden, in dem Sinne, daß ähnliche Kommunikationsvoraussetzungen (Sprache, Lebenswelt etc.) gegeben sein müssen. Nur so ist inhaltlich-sachliche Übereinstimmung über Vertragsgegenstände und -verfahren möglich. Auch hier gilt, daß die Verhältnisse in internationalen völkerrechtlichen Verträgen erheblich komplexer sein können, als auf privatwirtschaftlicher Ebene. Historische Beispiele (z.B. das unterschiedliche Demokratieverständnis im Potsdamer Abkommen oder im Kalten Krieg) zeugen von diesen zwischenstaatlichen Schwierigkeiten, die aus Nichtbeachtung der Bedingung der Verständlichkeit entstehen können. Dabei ist nicht allein an sprachliche Uneinigkeiten zu denken. Während im nationalen Rahmen jede Abmachung in einem vielfältigen rechtlichen und vor allem auch Normenzusammenhang stehen, ermangelt es international an rahmensetzenden Rechtsnormen und gemeinsamen Grundwerten. Auch immer komplexere, nur noch für Spezialisten verständliche Vertragskonstruktionen (siehe GATI) tragen zu schwieri-
193 Ob dagegen der Wegfall der sozialistischen Vereinbarungsiehre (vgl. Ipsen, 1990, S. 8 f., RdNr 21 ff.) zu mehr interpretativer Einheitlichkeit im Völkerrecht führen wird, kann noch nicht abgesehen werden.
158
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomilc
gen Verständigungsbedingungen bei und können zu diesbezüglichem Mißtrauen führen.
Absehbarkeit der wichtigsten Vertragsjolgen: Es ist anzunehmen, daß Verträge nur dann abgeschlossen werden, wenn ihre Folgen wenigstens in Grundzügen abzusehen sind. Auch bei Verträgen, die über Prinzipien oder Verhaltensmaximen abgeschlossen werden, kann man aber davon ausgehen, daß sich die Vertragsschließenden einigermaßen klare Vorstellungen über die Folgen - nun aus der Anwendung der Prinzipien - machen können. In völkerrechtlichen Verträgen, die - wie das GATT - sehr prinzipienlastig sein können, erscheint die Absehbarkeit möglicher Folgen generell schwierig. Mit aus diesem Grund werden fast immer Ausnahme-, Härte- und Ausweichklauseln in völkerrechtlichen Verträgen vereinbart. Die Willkür in der Auslegung kann dann jedoch zu Umgehungen des Vertragszwecks leicht ausgenutzt werden, insbesondere wenn keine gemeinsamen Werte den Handlungsspielraum einschränken oder sich Vertragsparteien auf unbestimmt formulierte Vertragsklauseln berufen können. Je schlechter die Absehbarkeit möglicher Folgen aus dem Vertragsschluß, desto unwahrscheinlicher, so eine Vermutung, dürfte der Abschluß solcher Verträge sein. Tatsächlich kommt es aber auf zwischenstaatlicher Ebene faktisch zu vielfaltigen Vertragsschlüssen; aber nur ein Teil dieser Komplexität kann durch vertragliche Bestimmungen aufgefangen werden, Z.B. durch Vertragsformeln, die sie zu "self-executing contracts" werden lassen. (c) GrundsatzJcritik: Die Neue Institutionenökonomik bietet den - meines Erachtens - weitest gediehenen theoretischen Ansatz der Ökonomik zur Erklärung individuellen Entscheidungsverhaltens in sozialen Zusammenhängen. Freilich sind die entwickelten Begriffe auch mit Problemen behaftet, von denen hier insbesondere (1) die wohl beinahe unmögliche empirische Überprüfung an erster Stelle stehen muß, daneben aber (2) die ganz entscheidende Verkürzung des Institutionenbegriffs zu thematisieren ist, welche sinnvolle Erklärungsmöglichkeiten schon im Vorfeld abschneidet. (1) Unmögliche empirische Überprüfung: Aus wissenschaftstheoretischer Sicht muß jede Theorie praktisch überprütbar sein. 194 Zugegeben hat man es bei der empirischen Überprüfbarkeit geisteswissenschaftlicher Theorien mit
194 Eine ausführliche wissenschaftstheoretische Grundsatzdiskussion wird im nächsten Teil gebündelt erfolgen.
VIII. Neue Institutionenökonomik.
159
einem kritischen Punkt zu tun. Deshalb ist es umso wichtiger, daß wenigstens die zentralen Begriffe empirisch untermauert werden können. Dies ist beim Institutionenbegriff der Neuen Institutionenökonomik aber ausgesprochen schwierig. Der wichtigste Streit entzündet sich v.a. daran, ob für einen Beobachter allein schon eine Verhaltensregelmäßigkeit den Rückschluß auf wirksame Institutionen zuläßt 195 , oder ob eine Unterscheidung in regelhaftes und regelgebundenes Verhalten einzuführen ist, daß also Institutionen nur dann als handlungsleitend angesehen werden, wenn dem Entscheider andere Alternativen auch tatsächlich offenstanden.1 96 Letztere, auf Anhieb plausible Bestimmung, wirft aber die uralte Frage auf, welches menschliche Verhalten riaturgesetzlich, welches normativ bedingt ist, und wo die freie Willensentscheidung einsetzt. Für eine empirisch-verhaltenstheoretische Überprüfung ist die differenzierte Formulierung insofern gänzlich unbrauchbar. Sie kann uns jedoch bereits auf eine begriffliche Analysefolie hinweisen, die uns im nächsten Teil der Arbeit, bei der allgemeinen Kritik der Ökonomik, noch zu beschäftigen hat.
(2) Verkürzung des Institutionenbegrijfs: Kaum weniger problematisch ist
aber eine einschneidende begriffliche Verkürzung des Institutionenbegriffs, die die analytischen Möglichkeiten stark einschränkt. Wie oben ausgeführt, schnüren die Ansätze der Neuen Institutionenökonomik den ursprünglich recht differenzierten Begriff der Institution im Sinne von (1) Entscheidungssysternen, (2) Normen, Traditionen und Verhaltensregeln sowie (3) Organisationen, durch eine vertragstheoretische Rekonstruktion und Redefinition des ersten und dritten Aspekts (Entscheidungssysteme und Organisationen) auf die alleinige Begriffskomponente (2) Normen, Traditionen und Verhaltensregeln ein. Zwar lassen sich auch innerhalb dieses verbleibenden Bereichs mehrere Institutionenebenen erkennen. Diese sind aber meist wieder auf die prinzipielle Zweiteilung in Verhaltensregelmäßigkeiten und bedingende Regeln zurückgeschnitten, eine Zweiteilung, die zunächst auch ganz unabhängig von den Unterteilungen in "formell-informell", "intern-extern", "spontan-organisiert" ist (da z.B. auch formelle Regeln zueinander in mehrfachen hierarchischen Beziehungen stehen können). Viel schwerwiegender ist aber, daß diese
195 So z.B. Witt, 1988, z.B. S. 82: "Verhaltensregelmäßigkeiten [... ] die mit hinreichender Gleichförmigkeit auftreten, wenn Individuen in dieselben Handlungssituationen kommen". 196 Vgl. z.B. Weise/Brandes, 1990, S. 174 f.
160
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
"Einschnürung" auf nur diese eine Begriffskomponente (Typ 2) überhaupt geschieht. Eine vertragstheoretische Rekonstruktion führt nämlich per definitionem wieder die freiwillige Zustimmung der Beteiligten zu den jeweiligen (fiktiven) Verträgen ein, so daß der Einfluß von Institutionen i. w.S. letztlich wieder ausgeblendet bzw. ad absurdum geführt wird. 197 Zusammen mit Organisations- und Entscheidungssystemeinflüssen als Institutionen sui generis werden aber wesentliche Tatsachen sozialer Interaktion schlicht wegdefiniert. Individuen werden in der Realität aber unleugbar mit ihrer faktischen Einbindung in bestehende Institutionen i.S. von Organisationen oder Entscheidungssystemen konfrontiert, ohne daß sie in irgendeiner Weise zugestimmt hätten - wie vertragstheoretisch unterstellt wird. Beispielsweise wird jedes Individuum in bestehende Gesellschaftsstrukturen hineingeboren, muß sich mit Rechtstatbeständen und kulturell-zivilisatorischen Faktizitäten abfinden. Das allein aus reiner Logik motivierte Gegenargument, es läge doch immerhin weiter im freien Entschluß jedes Einzelnen, diesen Faktizitäten auch nachträglich die Zustimmung zu entziehen (bzw. die Genehmigung zu verweigern), kann unmittelbar als absurd zurückgewiesen werden, und zwar aus logischen, wie aus praktischen Gründen. Praktisch ist es für den Einzelnen so gut wie unmöglich, größere Bereiche gesellschaftlicher Gegebenheiten in einer Welt zunehmender Arbeitsteilung und Interdependenzen zurückzuweisen, ohne sich aus der Gesellschaft auszuschließen. Logisch ist es einem in eine bestimmte Gesellschaft hineinsozialisierten Individuum gar nicht möglich, die Bedingtheit seines HandeIns zu erkennen, bzw. von seinem freien Willen abzugrenzen. Hier kommt zu der "uralten" Körper-/Geist- bzw. Leib-/Seele-Problematik die unwiderlegbare Erkenntnis hinzu, daß es für ein sich an seinen Erfahrungen mit der Außenwelt selbst konstituierendes Bewußtsein unmöglich ist, die Grenzen seiner Freiheit selbst zu bestimmen, geschweige denn, danach zu handeln. 198 Diese fundamentale Rationalitätsproblematik, die in der Ökonomik zugunsten einer bisweilen auf die Spitze
197 Den Institutionenbegriff auf den Fokus individueller Freiwilligkeit zu reduzieren, ist durchaus intendierter Zweck dieser Hilfskonstruktion. Damit fällt aber die ökonomische Analyse "als Forschungsprogramm" wieder in die alten Bahnen einfacher Zweckmäßigkeitsüberlegungen zurück. 198 Wohlgemerkt geht es hier um eine praktische Erkenntnis. Wie die Grenzen rein theoretischer Erkenntnis von innen her bestimmbar sind, hat wohl immer noch Kant, 188711993, am eindringlichsten in seiner "Kritik der reinen Vernunft" dargelegt.
VIII. Neue Institutionenökonomik
161
getriebenen reinen Begriffslogik vernachlässigt wird, muß noch weiter beschäftigen. Dazu soll der nächste Teil dieser Arbeit dienen. Dort wird auch der hier vertretene Standpunkt einer möglichst realitätsnahen Modellbildung genauer begründet werden können.
Zusammenfassend bleibt hinsichtlich der Neuen Institutionenökonomik zu bemerken, daß in dem verbleibenden Wirklichkeitsausschnitt selbst für ganz einfache Fragestellungen die theoretische Behandlung von Institutionen vollkommen unzureichend ist. Betrachten wir hierzu kursorisch das Beispiel der Vertragseinhaltung (entsprechend Vertragsdurchsetzung): Vertragseinhaltung - das hat nicht zuletzt die Analyse der Buchanan' schen Verfassungstheorie gezeigt 199 - läßt sich nicht vertragstheoretisch rekonstruieren. Stattdessen tritt die Modellogik unmittelbar in einen infiniten Regreß, wenn es zur Vertragseinhaltung eines zusätzlichen Vertrags bedürfte etc. In gleicher Weise gelangte im übrigen auch die Ordnungstheorie mit der Dualität von spontanen Ordnungen, innerhalb gefügter Organisationen, in einen Argumentationszirkel, wie die fruchtlosen Ansätze v. Hayeks, auch die Evolution ganzer Gesellschaften mit diesem Schema zu erklären, nur besonders prägnant zeigen. 200 Vergegenwärtigt man sich zudem die Entscheidungssituation beispielsweise eines Handelsdiplomaten, so wird deutlich, daß er sich in einem durchregulierten
199 Vgl. Kapitel V: Ökonomische Theorie der Verfassung nach Buchanan, S. 117. 200 Vgl. Hayek, 1963, 1967a, S. 15 ff. Hier nur eine knappe Skizze: nach Hayek's Evolutionstheorie entstehen Regeln und Normen spontan, sozusagen in einem Prozeß kultureller Evolution, bei dem sich jeweils die "besseren" Regeln durchsetzen. "Besser" sind diejenigen Regeln, die erwartete Vorteile für die Mitglieder der regelanwendenden Gruppe versprechen, bzw. ihr Überleben sichern. Diese Regeln haben nur Bestand, wenn sie innerhalb der Gruppe und in Abgrenzung von anderen Gruppen als "erfolgreich" angesehen werden. Methodologisch versucht Hayek somit, den "Erfolg" von Regelsystemen (LS. eines Überlebens seiner Gruppemnitglieder, ihrer wirtschaftlichen Leistung o.ä.) als externes Kriterium aufzubauen, das über die Einhaltung bestimmter Regelsysteme entscheidet. Da es aber offensichtlich nicht um ein Überleben oder Aussterben der regelanwendenden Gruppenmitglieder gehen kann, sondern lediglich die Regeln durch Innovation und Nachahmung sich fortentwickeln und an die gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen, liegt dieser Theorieansatz sehr nah an jenem des Wettbewerbs der Institutionen (Systemwettbewerb), mit allen dazugehörigen Problemen. Wie der begriffslogische Zirkel aufzulösen sein könnte, wird wohl immer Hayeks Geheimnis bleiben, der bis zuletzt an dieser Evolutionstheorie festgehalten hat - vielleicht, weil ihn die Systemebene generell mehr beschäftigt hat, als die Individualebene, z.B. beim individuellen Wissenserwerb (vgl. StreitlWegner, 1989, S. 187). 12 Kopke
162
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik.
Entscheidungssystem befindet, das er vertraglich bestenfalls durch Austritt aus seinem Dienst durchbrechen könnte. Ebenso wird sein Entscheidungsverhalten stark von der jeweiligen Organisation, deren Angehörige und ihrer Identifikation sowie deren Beziehungen zu anderen Organisationen geprägt sein, macht es also einen Unterschied, ob er im GATT-Sekretariat arbeitet oder beispielsweise in der U.S.-amerikanischen ITC 201 . Kurzum: Die Redefinition faktisch vielschichtiger Bedingtheiten hin zu vertraglichen Interaktionsbeziehungen ist praktisch wie logisch mit so gravierenden Verkürzungen des Institutionenbegriffs verbunden, daß er für die meisten zwischenmenschlichen Interaktionsmuster nicht mehr zu überzeugenden Erklärungen und Begründungen führen kann. Das Individuum verbleibt als homo oeconomicus in seiner Isolation als unabhängiger Entscheider mit freiem Willen. 202 So benehmen sich die Vertreter der Neuen Institutionenökonomik eines grandiosen Erklärungspotentials. Deswegen ist die Integration mit soziologischer Theoriebildung wohl als in den Anfangen steckengeblieben zu bezeichnen. 203 Dennoch ist die Neue Institutionenökonomik gegenüber herkömmlicher Ökonomik bereits eine bedeutende Annäherung und besserer Anschluß an sozialtheoretische Erkenntnisse. Ein erschöpfenderer Integrationsversuch soll im nächsten Teil der Arbeit unternommen werden. Trotz solcher prinzipiellen Einwände gegen die Neue Institutionenökonomik sollen ihre beiden prominentesten Theorieansätze im folgenden genauer untersucht werden. Es handelt sich um die Transaktions- und Informationskostenökonomik, sowie den Prinzipal-Agent-Ansatz, in welchen sich für die konkrete GATT-Fragestellung plausible Hypothesen formulieren lassen.
201 ITC: International Trade Commission (Handelsbehörde der USA). 202 Es kann schon hier am Rande darauf hingewiesen werden, daß alle übrigen Ansätze der Ökonomik, die sich der Institutionenproblematik ja noch weniger geöffnet haben, diesem Vorwurf der Erklärungslosigkeit in nur noch stärkerem Maße unterliegen. 203 Das mag u.a. daran liegen, daß auch im soziologischen Sprachgebrauch der Institutionenbegriff "äußerst heterogen und unscharf" ist, sofern pauschal auf die "sozialstrukturellen Rahmenbedingungen" verwiesen wird, vgl. Vanberg, 1982b, 55. Zudem scheint sich eine Zweiteilung in "organisierte soziale Kollektive" und "normative Muster oder für komplexe normative Regelungen" herauszuschälen (vgl. ebd.), die der in der Ökonomik. üblichen sehr ähnlich ist.
VIII. Neue Institutionenökonomik
163
2. Transaktions- und Informationskostenökonomik "The worth of new knowledge cannot begin to be asserted until we have it. But then it is too late to decide how much to spend on breaching the walls to encourage its arrival. " Shackle, 1972, S. 272 f.
Das Transaktionskostenkonzept ist der Grundbaustein der Neuen Institutionenökonomik. Der Begriff der Transaktionskosten hatte schon eine lange und wechselvolle Geschichte hinter sich, als er Ende der sechziger Jahre explizit von der Neuen Institutionenökonomik aufgegriffen wurde. Zwar differieren die Bestimmungen verschiedener Autoren nach wie vor teils erheblich, dennoch scheint sich die von FurubotnlRichter vorgeschlagene" weite" Definition allgemeiner Anerkennung zu erfreuen. 204 Diese verstehen unter Transaktionskosten Kosten, die mit 1.) der Erstellung ("creation", "enforcement" und "restructuring") und 2.) der Nutzung von Institutionen verbunden sind, sogenannte Anbahnungs-, Aushandlungs- und Kontrollkosten. 20 5 "Weit" ist diese Definition, weil sie sich von der ursprünglichen Coase'schen Unterscheidung in Transaktionskosten (auf Märkten) im Gegensatz zu Organisationskosten (in Hierarchien) gelöst zu haben scheint, indem ein weiterer Institutionenbegriff verwendet wird. 206 Diese Entwicklung ging einher mit der fortschreitenden Ablösung des Transaktionskostenkonzepts vom neoklassisch-wohlfahrtsökonomischen Gleichgewichtsparadigma vollkommener Märkte. 207 Spätestens
204 Ganz ähnlich die Definitionen von Dietl, 1993, s. 108, North, 1990, S. 27, Williamson, 1985a, S. 20-22. Die Vielfalt beschreiben Gäfgen, 1984, S. 52, und WallislNorth, 1986, S. 96. 205 Vgl. FurubotnlRichter, 1991, S. 8. Siehe auch Bössmann, 1982, S. 664. 206 Vgl. Coase, 1937 und 1960. Unter "Markttransaktionen" wird einheitlich die Übertragung von Eigentumsrechten verstanden. 207 Eine erneute Kritik der Neoklassik, auch bezüglich der neoklassischen Variante der Transaktionskostentheorie, ist im hiesigen Rahmen nur begrenzt möglich. Neben den prinzipiellen Einwänden von oben (vgl. S. 78) ist v.a. darauf hinzuweisen, daß der Versuch der Neoklassik, Institutionen und Transaktionskosten in die ansonsten "institutionenneutrale" (vgl. Streit, 1992d, S. 84 f.) Gleichgewichtslogik einzufügen, zu logischen Widersprüchen und Tautologien führt, vgl. Kiwit, 1994, S. 2 ff., weil die Annahme vollständiger Information nur punktuell verlassen wird. Vgl. auch Demsetz, 1969. Zum Verhältnis der frühen Transaktionskostenökonomik zur Neoklassik, auf der sie aufsetzt, vgl. Eggertsson, 1990, S. 6, Furubotn/Richter, 1991,
164
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
aber seit den einschlägigen Arbeiten Williamsons (dem Begründer der Transaktionskostentheorie) und der damit einhergehenden vertragstheoretischen Umdeutung, kann indes bezweifelt werden, ob die erfolgte Erweiterung nicht letztlich wieder relativiert, wenn nicht revidiert wurde. Nach Williamson sind Transaktionskosten nämlich Kosten der Vorbereitung, Inkraftsetzung, Überwachung, Durchsetzung sowie Veränderung von Institutionen i.S. von Verträgen. 208 Ob mit dieser vertragstheoretischen "Überwindung" (so sinngemäß Willamson) der klassischen Dichotomie zwischen Märkten und Hierarchien der analytische Raum erweitert wurde, muß indes bezweifelt werden. 209 Daran kann auch die Berücksichtigung von "Nichtstandard-Verträgen,,210 und
S. I, Richter, 1990, S. 573, und Schenk, 1992, S. 352 f. Auch die durch Stigler, 1961, begründete "Informationsökonomik" ist eine rein neoklassische Transaktionskostenvariante. Zur Abgrenzung: Eggertsson, 1990, S. 15. einen Überblick: HirshleijerlRiley, 1979, und Rothschild, 1973. Kritisch: Tietzel, 1985, S. 27, Streit/ Wegner, 1989, S. 185. 208 Williamson, 1985, S. ix, der sogar vom "contractual man" spricht (ebd., Kap. 2). Dabei prägte er insbesondere den Begriff des opponunistischen Verhaltens als eine besonders starke Form des Selbstinteresses von Akteuren, zu deren Verhaltensweisen auch "lying, stealing, and cheating" zu zählen sind (vgl. Williamson, 1987, S. 47). Dieser als bedeutend herausgestellte Aspekt ist aber für jede Analyse der Wirklichkeit ohnehin vorauszusetzen. Die Fragestellung dieser Arbeit zielt auch auf die Erklärung dieser Verhaltensweisen ab. 209 Vgl. ausführlich Kiwit, 1994, S. 21 ff.
210 Als Beispiele werden Ld.R. enumerativ genannt: Franchising, vertikale Preisbindungen, territoriale Beschränkungen des Absatzkreises, Exklusiv- und Auschließlichkeitsverträge, Blockbuchungen usf. Für den internationalen Leistungsaustausch werden von Spieltheoretikern - als im Williamson Sinne "Nichtstandard-Vertragspraktiken" - verschiedene informelle Sanktionsmechanismen untersucht, unter dem gemeinsamen Erkenntnisziel der Erklärung von Tauschhandlungen (Lw.S.), die einen nicht-simultanen Leistungsaustausch beinhalten, was bei völkerrechtlichen Verträgen regelmäßig der Fall sein dürfte. Durch informelle Sanktionsmechanismen könnte somit das internationale Vorleistungsproblem "simultanisiert" werden (vgl. Vanberg, 1992, S. 376). Folgende Figuren werden dabei verwendet: Hostages: Kann ein Geschäft nicht simultan ausgeführt werden, so verlangt die zuerst liefernde Partei einen "hostage" - einen Pfand -, um die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen späteren Lieferung der anderen Vertragspartei zu erhöhen. Dabei muß der hostage nur für die Partei von Wert sein, die später zu liefern sich verpflichtet hat, ein physischer Übergang von dieser Partei ist u. U. nicht erforderlich. Collaterals: Ein Collateral hat gegenüber dem hostage für beide Parteien einen Wert. Hands-tying bezeichnet allgemein den Versuch, einer nicht erfüllenden Partei zusätzliche Kosten aufzubürden. Erklärungen für die Wirkung dieser sogenannten selbstvollziehenden Verträge (vgl.
VIII. Neue Institutionenökonomik
165
sogenannter "Kooperation"211 nichts ändern; so lange nicht, wie das Grundschema an der zweckrationalen Eigennutzmaximierung festhält. Nach Williamson verdanken gerade komplexe Verträge, d.h. solche mit komplexen, zukunftsbezogenen Transaktionen und damit - für begrenzt rationale Akteure - schlechter Vorhersehbarkeit der Vertragsfolgen, ihre Verwirklichung der vertrauensschaffenden Kraft von Institutionen. Diese werden für komplexe Verträge notwendig, weil die transaktionsspezifischen Investitionen, die nach ihrer Aufwendung verloren sind212 und für neue Vertragsbeziehungen neu aufgewendet werden müssen, hoch sind. Da auch Williamson die Schwierigkeiten einer (komparativen) empirischen Überprüfung des wenig operationalisierten Begriffs der Transaktionskosten sieht, schlägt er vor, über die Dimension der Spezijität von Transaktionen eine mittelbare Maßgröße, ein Kriterium einzuführen, mit dem die ihr zugeordneten Transaktionskosten bestimmt werden könnten. 213 Auch den Begriff der Spezifität vermag Williamson aber nur zirkulär zu bestimmen und konstatiert dadurch - wie auch Kiwit, 1994, S. 30, richtig feststellt - einen Glaubenssatz, welcher empirischer Überprüfung nicht zugänglich ist. Die Transaktionskostentheorie wird nicht zuletzt deswegen allgemein nur als "heuristisches Konzept" angesehen. 214 Auch Williamson hat sich in seinen Arbeiten hauptsächlich mit gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen beschäftigt (und ist dabei, nebenbei be-
Klein, 1985, S. 595) setzen also am Eigeninteresse der Akteure an. Siehe auch Voigt, 1992, S. 89 ff.
211 Unter "Kooperation" wird hierbei die langfristig angelegte Zusammenarbeit zweier Kooperationspartner in ausgewählten Bereichen verstanden, die durch eine zweiseitige Organisations struktur überwacht wird, wobei die Partner rechtlich und - außerhalb der ausgewählten Bereiche - auch wirtschaftlich selbständig bleiben, vgl.
Kiwit, 1994, S. 21.
212 Transaktionsspezifische Investitionen sind solche, die auf spezifische Vertragsbeziehungen zugeschnitten sind. Sie sind "sunk costs", weil sie für andere Transaktion wertlos sind. Hierin bleibt Williamson allerdings sehr vage: "Asset specifity [... ] has a relation to the notion of sunk cost.", vgl. ders., 1989, S. 142. 213 Genau besehen unterscheidet Williamson, 1985, die drei Dimensionen von Transaktionen Spezifität, Unsicherheit und Häufigkeit, von denen ihm erstere aber als wichtigste erscheint. 214 Vgl. FurubotnlRichter, 1991, S. 8, Gäfgen, 1982, S. 36, Richter, 1990, S. 576.
166
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik.
merkt, in die alte Falle der Diskussion um gesamtgesellschaftliche Effizienz gefallen).215 Dagegen haben sich neuere institutionentheoretische Ökonomikansätze auch mit Untersuchungen von Transaktionskosten auf individuellesubjektiver Ebene beschäftigt. 216 Ganz in diesem Verständnis soll hier deshalb auch von Transaktions- und Informationskosten gesprochen werden, damit von Anfang an das subjektive Prinzip den gängigen Transaktionskostenansätzen von Coase, Williamson und North entgegengestellt wird. Es kann dann formuliert werden: Hypothese: Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die eines (gänzlichen) Verzichts, weil die Transaktions- und Informationskosten, die von den Akteuren aufzuwenden sind, um die Folgen rechtlicher Durchsetzungsversuche im vorhinein abzuschätzen, sehr hoch scheinen.
Betont sei, daß diese Hypothese explizit für einen Verzicht auf jegliche Durchsetzungsversuche formuliert wurde, weil nicht einsichtig ist, warum machtpolitische oder diplomatische Verfahren hinsichtlich ihrer Folgen als besser antizipierbar angesehen werden sollten, als rechtliche. 217 Welche Transaktions- und Informationskosten könnten also bestimmend für einen ("Total-") Verzicht auf Durchsetzungsversuche sein? Anders formuliert: Aus welchen Motiven sind die internationalen Akteure bei ihren Entscheidungen 215 Vgl. Dow, 1993. Insgesamt ist festzuhalten, daß die Transaktionskostenökonomik. auch nur vermeintlich einen besseren Zugriff zur Erklärung von "Marktversagen" zuläßt. Zwar konnte der neoklassische Ansatz mit Eigentumsrechten und einem absoluten Versagensbegriff mit dem Ansatz des relativen Marktversagens teilweise überwunden werden. Relatives Marktversagen vergleicht nämlich bestehende institutionelle Arrangements mit institutionellen Alternativen hinsichtlich ihrer jeweiligen Transaktionskosten in einer komparativen Analyse (vgl. Arrow, 1969, S. 48, und Schenk, 1980) statt absolute "Abweichungen" vom "Ideal" vollkommener Märkte bestimmen zu wollen (das Hayek' sche "Wissensproblem" , vgl. Hayek, 1937, 1945176, 1969, sowie Streit/Wegner, 1989). Aber auch bei diesem verbesserten Ansatz bleibt unklar, auf welcher Grundlage die Kosten berechnet werden können. Der hiesige Kostenbegriff ist nämlich subjektiv-individuell bestimmt. Ausführlich zu externen Effekten auch Kiwit, 1994, S. 11 ff. 216 Siehe z.B. Mummert, 1994a. 217 Das alleinige Argument, es handele sich bei Diplomatie und Machtpolitik um eingespielte Verfahren, für die eine institutionelle Infrastruktur und Erfahrungswerte vorliegen, während der Ausgang rechtlicher Verfahren auf völkerrechtlicher Ebene noch zu schwer einzuschätzen seien, kann ohne eine umfassende Überprüfung nicht ausschlaggebend sein. Auf eine Überprüfung soll aber im hiesigen Rahmen verzichtet werden.
VIII. Neue Institutionenökonomik
167
so vorsichtig, daß sie lieber gar nicht handeln, um nicht unabsehbare Folgen heraufzubeschwören? Natürlich gibt es eine ganze Palette denkbarer negativer Folgen, die aus rechtlichen Durchsetzungsversuchen resultieren könnten. Diese sind (aus Public Choice-Perspektive) sowohl im persönlichen Nahbereich des Individuums zu vermuten, z.B. Prestige-, Karriere- oder Sicherheitserwägungen des Entscheiders, wie auch in seiner Aufgaben- oder Rollenidentifikation, LS.v. Berufsethik, allgemein Überzeugungen und Ideologien. Gerade aus letzterem Aspekt heraus entsteht aber das Gegenargument, daß für jeden Beobachter das Völkerrecht klar als Versuch der Transaktionskostenverringerung anzusehen sein müßte. Ohne in langwierige Spekulationen einzutreten, dürfte schon nach diesen Sätzen deutlich geworden sein, daß die Transaktions- und Informationskostenanalyse zwar ein schon wesentlich differenzierteres Analyseschema zur Untersuchung von Rechtsprozessen bereitstellt, als alle bisher untersuchten Ansätze, aber für hiesige Fragestellung - selbst als heuristisches Prinzip - nicht wesentlich weiterhilft: Die Identifikation der jeweiligen Kosten könnte nur durch ausgedehnte empirische Untersuchungen geleistet werden. Die Transaktions- und Informationskostenökonomik bietet hierzu kaum Hilfen, da ihre Grundlagen noch zu wenig erwiesen und anerkannt sind. Auf die vielfältigen logischen und begrifflichen Inkonsistenzen wurde oben bereits bei der Diskussion der Neuen Institutionenökonomik hingewiesen.
3. Prinzipal-Agent-Theorie als Erklärungsansatz
Die Prinzipal-Agent-Theorie wird als charakteristischer Ansatz der Neuen Institutionenökonomik angesehen. 218 In ihm werden zwischenmenschliche Interaktionen als Ausprägungen (expliziter oder impliziter) Vertragsbeziehungen betrachtet. 219 Dabei stehen zweiseitige Beziehungen im Vordergrund, bei denen der "Agent" im Auftrag bzw. im Interesse des "Prinzipalen" handeln
218 Vgl. Mummen, 1994, S. 36. 219 Vertragsbeziehungen sind im vertragstheoretischen Ansatz per definitionem zweiseitig. Außerdem sind sie freiwillig. Zwar wird von einigen Vertretern der Disziplin reklamiert, die Neue Institutionenökonomik könne auch autoritäre und Zwangsverhältnisse abbilden, weil vertragliche Bindung nicht freiwillig erfolgen müsse (vgl. North, 1988, S. 208). Diese Begriffsverdrehung ist aber eine "contradiction in trems", die den Begriff des Vertrags aushebelt.
168
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik:
SOll.220 Die Interessenvertretung kann natürlich nur unvollständig geschehen, weil Prinzipal und Agent Entscheidungen verschieden treffen, z.B. weil sie über verschiedene Nutzenfunktionen verfügen221 , über verschiedene Fähigkeiten der Informationsgewinnung, -verarbeitung und -vermittlung ("bounded rationality") und damit Informationsasymmetrien. Arrow, 1985, S. 38 f., systematisiert diese Beziehung nach "hidden information" und "hidden action": Danach kann im ersten Fall der Prinzipal zwar die Handlungen des Agenten beobachten, kann diese aber schlecht beurteilen, weil er über weniger Informationen verfügt als der Agent. Oder, zweiter Fall, der Prinzipal kennt das Ergebnis, nicht aber die Handlungen seines Agenten, die dieses Ergebnis u. U. nur teilweise herbeigeführt haben. Da in der Neuen Institutionenökonomik von unvollständigen Verträgen222 und opportunistischem Verhalten ausgegangen wird, entstehen dem delegierenden Prinzipal Kosten zur Überwachung und Kontrolle des Agenten oder zur Einrichtung eines Anreizsystems, das den Agenten zu möglichst konformem Verhalten führt (sogenannte " Agency-Kosten,,223). Der eigentliche Erklärungsansatz der Prinzipal-Agent-Theorie für Interaktionsbeziehungen liegt nun darin, daß Agenten bewußt Informationsasymmetrien herbeiführen oder für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Informationsasymmetrien entstehen, weil zur Erlangung verlässlicher Informationen Transaktionskosten aufgewendet werden müssen. Bezogen auf hiesige GATT-Fragestellung kommen als Agenten die Entscheidungsträger über internationale Handelsfragen und das GATT in Betracht, als Prinzipale die Bürger und Wähler eines Staates. 224
220 Meist wird diese Beziehung als "Agency-Beziehung" bezeichnet, vgl.
Prattrzeckhauser, 1985, s. 1-35. Mummert, 1994, S. 34 ff., weist unter Bezug auf Schumann, 1992, S. 458 und Dietl, 1993, S. 134 f., darauf hin, daß die Auseinander-
entwicklung von der ursprünglichen Agency-Theorie und der auf ihr autbauenden Prinzipal-Agent-Theorie wieder überwunden ist, weil auch Agency-Beziehungen mittlerweile unvollständige Vertragsbeziehungen berücksichtigen. 221 Vgl. Eggertsson, 1990, S. 41, Jensen/Meckling, 1976, S. 308. Mit der Theorie der Eigentumsrechte wäre zu zeigen, daß selbst bei identischen Nutzenfunktionen die Interessen von Prinzipal und Agent auseinanderfallen, sofern sie nicht über exakt gleiche Eigentumsrechte verfügen. 222 Vgl. Williamson, 1993, S. 41 f. 223 Siehe Jensen/Meckling, 1976, S. 308 ff. 224 Ähnlich Wohlgemuth, 1994b, S. 9: "Politicians are the agents of a quasienterprise consisting of millions of principals." Wesentlich schwieriger dürfte es sein,
VIII. Neue Institutionenökonomik
169
Daraus läßt sich fonnulieren: Hypothese: Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die eines Verzichts, weil internationale Entscheidungsträger ihren Informationsvorsprung in einer Weise ausbauen woUen, daß möglichst wenig "Öffentlichkeit" Einsicht in ihre Entscheidungsgrundlagen haben kann, was durch Rechtsverjahren relativ schlecht realisierbar ist.
Weil also Rechtsverfahren - so die Hypothese - regelmäßig mit höheren Öffentlichkeitsgraden verbunden sind, als diplomatische oder machtpolitische, bzw. weil die Wahrscheinlichkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung u. U. geringer eingeschätzt wird, verzichten die internationalen Akteure (Politiker, Bürokraten, Diplomaten etc.) auf rechtliche Durchsetzungsversuche im GATT. Die Öffentlichkeitsbeteiligung scheuen sie, weil diese sozusagen die Kontrolle des Prinzipalen darstellt und Konsequenzen auf die Weisung haben könnte. Entscheidend dürfte dabei sein, daß sie durch öffentliche Diskussionen und eventuell dadurch ausgelöste "Recherchen" (z.B. von Journalisten, Ausschüssen, Wissenschaftlern) ihren Infonnationsvorsprung einbüßen, der ihnen ansonsten Kompetenz und Sicherheit bot und bietet. Hinter solchen Argumenten lassen sich verschiedene individuelle Motive denken. Neben dem schon bei der obigen Diskussion der Transaktions- und Infonnationskostenökonomik angeklungenen Vorsichtsmotiv, könnten v.a. Karrieregründe und Profilierungsdenken, Machtstreben und andere individuelle Motive ausschlaggebend sein. Schließlich könnte auch eine Art von "Unrechtsbewußtsein" dazu führen, daß einer befürchteten Aufdeckung durch Verschwiegenheit vorzubeugen versucht wird. Dies um so eher, als auch der Verdacht bestehen könnte, die beteiligten internationalen Agenten würden sich untereinander kollusiv zum Nachteil der Prinzipale verhalten. 225 Solche "psychologischen" Motive wer-
als Prinzipale Vorgesetzte innerhalb von hierarchischen Bürokratien o.ä. zu konzipieren. Mindestens aber müßte dafür die Untersuchung raum-zeitlich sehr stark eingeschränkt werden. 225 Wohl aus der Gefahr vor Kollusion der Regierungen gegen ihre Bürger und Wähler zielten viele Reformvorschläge des GATT auf eine stärkere Öffentlichkeitsund Privatbeteiligung ab. Auf einige Beispiele wurde oben bereits eingegangen (z.B. obligatorischer GATT-Gerichtshof; Staaten-/Regierungs-Berichterstattungspflichten; Kompetenz des GATT-Sekretariats, selbst Studien durchzuführen; DrittparteienBeschwerderecht beim GATT über das Verhalten/das Zusammenwirken anderer, "Super-GATT": permanent Ministerial-level body of limited membership, Klagerecht von Individuen wegen Nicht-Anwendung von GATT -Regeln gegen die eigene Regierung bei den eigenen Gerichten, "protection balance sheet"). Bei solchen Erklä-
170
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
den von der Prinzipal-Agent-Theorie selbst aber nicht thematisiert. Das theoretische Erklärungspotential ist folglich mit den unscharfen Begriffen der Theorie ziemlich beschränkt. Es wäre Aufgabe einer Theorie der Ökonomik, die jeweiligen individuellen Motive i. S. v. allgemeinen Handlungsmustem mit Kosten-/Nutzen- und Knappheitsbegriff zu reformulieren. Dazu könnten entscheidungstheoretische Modelle u. U. einen Beitrag leisten. Es liegen aber keine befriedigenden Entscheidungsmodelle vor, die mit ökonomischen Begriffen die individuell-psychologischen Handlungsmotive beschreiben könnten. 226 Einen ersten, aber ganz und gar unvollständigen Ansatz bietet die nachfolgend diskutierte Reputationstheorie.
IX. Reputationstheorie Auch die Reputationstheorie wird mittlerweile zu Erklärungsversuchen internationaler Rechtsphänomene herangezogen. 227 Reputation dient dabei zur Erklärung individuellen Verhaltens.
1. Reputation als informeller Sanktionsmechanismus Reputation dient als Oberbegriff für die Begriffe Ehre und Prestige. Voigt, der Reputationsüberlegungen explizit auf die internationale Ebene angewendet
rungsmustern könnte auch versucht werden, Regelmäßigkeiten in den allgemeinen Wechselwirkungen zwischen inneren/internen und äußeren/externen Institutionen aufzudecken, z.B. um zu zeigen, warum sich Individuen auf bestimmte Weise verhalten, obwohl sie damit u. U. gegen Gesetze verstoßen; Für internationale Akteure im GATT also beispielsweise derart: Weil im GATT externe/äußere Institutionen aufgestellt wurden, die inneren/internen Institutionen widersprechen oder mit ihnen konfligieren. Zur allgemeinen Wechselwirkung zwischen inneren/internen und äußeren/externen Institutionen liegen aber bislang noch keine brauchbaren Erkenntnisse vor. Vgl. hierzu die ersten Tastversuche zur Aufstellung von allgemeinen Aussagen bei KiwitlVoigt, 1994. 226 Vgl. auch die Versuche von Lohmann, 1994. 227 Vgl. Alt/Calvert/Humes, 1988, sowie Voigt, 1992, S. 76 ff., der die Anwendung der Reputationstheorie auf Phänomene des Völkerrechts als eine Weiterentwicklung der Neuen Institutionenökonomik begreift, und zwar, weil sich letztere bisher vornehmlich mit Institutionenphänomenen unter Privatrechtssubjekten, bzw. zwischen Privatrechts subjekten und dem Staat beschäftigt habe.
IX. Reputationstheorie
171
hat, versteht darunter den "guten Ruf", "den die jeweils betrachtete Regierung sowohl bei anderen Regierungen als auch in den Öffentlichkeiten verschiedener Staaten genießt. Sie kann auch verstanden werden als »publicly known value compliance«" . 228 Diese Überlegung bindet er in eine Systemwettbewerbshypothese ein, um damit die Stabilität der internationalen Ordnung zu erklären, die trotz der Abwesenheit einer übergeordneten, staatsgleichen Ordnungsinstanz nicht zu Chaos im Hobbes ' schen Sinne führt. 229 Genau besehen müßte gelten, daß jedes Individuum von sich und bestimmten anderen eine Einschätzung der jeweiligen Reputation hat und diese Einschätzung unmittelbar handlungsleitend ist. Damit ist Reputation als eine Art informeller Sanktionsmechanismus dargestellt. Bezogen auf die Frage der Rechtsdurchsetzung im GATT könnte eine plausible Hypothese im Rahmen der Reputationstheorie lauten: Hypothese: Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die eines Verzichts, weil durch rechtliche Durchsetzungsversuche (besonders deren Scheitern) Reputationseinbußen befürchtet werden.
Als Bedingungen für Reputation werden genannt: 1. Kritischer Öffentlichkeitsgrad, 2. Gleiche Perzeption von Sachverhalten und 3. Ähnliche Bewertungsnormen. Leider existieren aber nur vollkommen unzureichende Aussagen zur genaueren Bestimmung dieser Bedingungen. Letziich verweisen die Bedingungen der gleichen Perzeption von Sachverhalten und ähnlichen Bewertungsnormen auf verständigungsorientierte Vorstellungen; ohne zu wissen, was unter den gewählten Begriffen je zu verstehen ist, bleibt die Reputationstheorie aber ein diffuses hermeneutisches Konzept. Statt dessen werden schnelle Folgenabschätzungen angestellt und gemutmaßt, daß durch Transaktionskostenverrlngerungen, i.S. technischer Verbesserungen der Kommunikationsmög-
228 Siehe Voigt, 1992, S. 79.
229 Voigt, 1992, nimmt in seiner Untersuchung von Anfang an eine streng ordnungstheoretische Perspektive ein und fragt sich, wie auf internationaler Ebene Ordnung ohne Ordnungs staat entstehen könne. Seine Argumentation ist indes nur scheinbar am Entscheidungsverhalten einzelner Subjekte ausgerichtet, da er in seiner Argumentation methodisch die Systemebene nie verläßt. Darin ist er ganz Ordnungstheoretiker.
172
C. Verzicht auf Durchsetzungsversuche im Erklärungsfeld der Ökonomik
lichkeiten, z.B. durch häufigere Kontakte, billige Kommunikation oder Transparenz der Handlungen internationaler Akteure, auch die Bedingungen für den Reputationsmechanismus verbessert werden. Genausowenig wird klar, ob Politiker und Bürokraten aus Eigennutzmotiven, die im persönlichen Geltungsbereich verankert sind, bestimmte reputationsfördernde Handlungen vornehmen, oder ob ihr Handeln aus einer Identifikation mit einem "Land" oder anderen abstrakten Zielen motiviert ist.
2. Erklärungskraft der Reputationstheorie
Auf der derzeitigen Ausarbeitungsstufe kann die Reputationstheorie bestenfalls als Sammel- und Auffangkategorie für alle in Diskussionen zwischen Wirtschaftswissenschaftlern ungenügend operationalisierbaren Sozialphänomene sowie "psychologischen" Phänomene und Probleme angesehen werden: Immer wenn klare Kausalbeziehungen begrifflich schwer zu fassen sind, wird auf Reputation abgestellt. Der Versuch, Reputation indes auf die Institutionenkategorie 2 (Normen, Traditionen und andere Verhaltensregeln) "zurückzuschneidern" muß als gescheitert gelten. Ihr Erklärungspotential entwickelt eine solche Theorie bestenfalls durch wohlwollendes Verständnis, als durch abgesicherte Begriffe. An dieser Schnittstelle zu sozialtheoretischen Betrachtungen wird die "Sprachlosigkeit" jeder Ökonomik besonders sinnfällig. Dort, wo die eigentliche Analyse überhaupt erst beginnen müßte, bricht sie ab, weil sie aus den Zwängen vertragstheoretischer Freiwilligkeitsdogrnen nicht herauszuführen vermag. Indes zeichnen sich hier schon die ersten Anforderungen an eine Theorie ab, die ihrem Erklärungsanspruch für Sozialprozesse durch genügende Berücksichtigung des Individuums gerecht werden kann.
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz 1 "Positivität, Legalität, Formalität sind allgemeine Merkmale einer rechtsverbindlichen Institutionalisierung von wohlumschriebenen Bereichen strategischen Handelns. Sie machen die Form explizit, aufgrund deren das modeme Recht die funktionalen Imperative eines über Märkte regulierten Wirtschaftsverkehrs erfüllen kann. Aber diese Systemfunktionalität ergibt sich aus Rechtsstrukturen, in denen zweckrationales Handeln allgemein werden kann; sie erklärt nicht, wie diese Rechtsstrukturen selbst möglich sind ... Habermas über Webers Rechtssoziologie2
Die Fragestellungen dieser Arbeit lauteten: Warum verzichten Akteure internationaler Handelspolitik darauf, Vertragsverletzungen und -umgehungen der internationalen GATI-Handelsregeln mit rechtlichen Mitteln zu verfolgen? Können Theorien der Ökonomik sinnvolle Erklärungsansätze für Rechtsund Politikprozesse auf internationaler Ebene leisten? In der Ökonomik3 geht man davon aus, daß die jeweiligen Akteure Vorteile aus ihren Handlungen erwarten. Es müßten somit spezifische Vorteile darin vermutet werden, nicht mit rechtlichen Mitteln gegen die Vertragsverletzungen und -umgehungen vorzugehen - oder spezifische Nachteile ("Kosten") vermieden, die aus der
1 Im Anschluß an Thomas Kuhn, 1981, werden philosophiegeschichtlich drei Stadien unterschieden, die "Paradigmen" genannt werden. Diese lassen sich grob als ontologisches, mentalistisches und linguistisches Paradigma bezeichnen, wobei zunächst das Sein, dann das Bewußtsein und schließlich die Sprache im Mittelpunkt der Untersuchungen stand. In der Ökonomik ist die linguistische Wende zum sprachphilosophischen Paradigma (noch) nicht vollzogen worden, während Habermas zweifellos zu den Sprachphilosophen, und zwar den pragmatischen zu zählen ist. 2 Habermas, 1988 I, S. 352. 3 .. Ökonomik" verstanden als Forschungsmethode unter bestimmten Annahmen (s.o. S. 67 ff.).
174
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
Einklage von Vertragsbeachtung erwachsen könnten. Die untersuchten Theorien sollten dazu dienen, diese Vor- bzw. Nachteile aus den GATI-spezifischen Handlungssituationen der Entscheidungsträger heraus zu bestimmen bzw. bestimmbar zu machen. Dies ist in nur sehr eingeschränkter Weise gelungen, wobei befriedigenden Erklärungsversuchen (mit den jeweiligen Hypothesen) v.a. ganz grundsätzliche Probleme entgegenstehen. Aufgabe dieses Teils der Arbeit soll es sein zu erklären, warum die Ökonomik ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden kann, weshalb mithin auch alle vorschnell aus ihr gezogenen Folgerungen und Politikempfehlungen wissenschaftstheoretisch problematisch und mithin unsicher sind. Um also zu klären, warum ökonomische Modellogik zur Erklärung von rechtlich-politischen Prozessen im internationalen Raum unzureichend ist, werden (I.) die gefundenen Erklärungslücken der Ökonomik zusammengefaßt und analysiert, ihnen (11.) die Theorie des kommunikativen Handeins von Habermas gegenübergestellt, um (III.) eine Synthese der beiden Theorieansätze als neue Methode vorzustellen.
I. Erklärungslücken der Ökonomik "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen. " Wittgenstein, 1918 4
Es wurden in der Arbeit ausgearbeitet vorliegende Theorien der Ökonomik herangezogen, weil eine empirische Untersuchung aus methodischen und praktischen Erwägungen nicht in Frage kommen konnte 5 und der Anschluß an die aktuelle Forschungsdiskussion erwünscht ist. Die untersuchten Theorien gehen über ein enges Ökonomieverständnis hinaus, indem sie - explizit oder implizit - die Grenzen individueller Informationsgewinnungs-, -verarbeitungs4 Wittgenstein, 1918/84, S. 85, Ziffer 7 und letzter Satz seines "Tractatus logicophilosophicus". Und schon im Vorwort (S. 9): "Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen, und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen". 5 Diese Gründe liegen nicht nur darin, daß praktisch z.B. Umfragen unter den relevanten Persönlichkeiten nur mit allerhöchstem Aufwand und nur zweifelhaften Ergebnissen zu realisieren wären. Methodisch müßte eine Interpretation der Resultate selbst wieder vor dem Hintergrund bestimmter Theorien erfolgen, deren Güte allererst begründet werden müßte usf.
I. Erklärungslücken der Ökonomik
175
und -vermittlungsfähigkeiten (sog. "bounded rationality") sowie Werte, Normen, Sitten, Gebräuche, kurz: "Institutionen" berücksichtigen, d.h. die Wirkungen der Begrenzungen und Institutionen auf das individuelle Verhalten studieren oder wenigstens anerkennen. Kurzum, sie versuchen eine Endogenisierung der ehemals als fix angenommenen Präferenzen und deren Änderungen. Trotz dieser Erweiterungen zeichnet die gewählten Theorien aus, daß sie weiterhin mit wenigen und kontrollierbaren Verhaltensannahmen auskommen. Sie befähigen nur zur Untersuchung bestimmter Arten von Fragestellungen, nämlich solchen nach Knappheit und Kosten und Nutzen. Welche Schwierigkeiten es bereitet, mit dem ökonomischen Instrumentarium politisch-rechtlich-praktische Phänomene - wie die hier vorgelegten Fragestellungen - befriedigend zu erklären, sollte durch die Ausführungen des vorgehenden Teils der Arbeit deutlich geworden sein. Jede der Theorien wies ihre eigenen Schwachpunkte auf und/oder ließ Erklärungen nur in eng umgrenzten Bereichen zu. Darüber hinaus kann aber gezeigt werden, daß es für alle Theorien gemeinsame Problemkreise gibt, die in ihren gemeinsamen Annahmen, also den zentralen Annahmen der Ökonomik zu lokalisieren sind: Das methodisch zwar vorteilhafte aber für Erklärungen zu enge AnnahmenKorsett schneidet viele wichtige Begründungen für bestimmtes zwischenmenschliches Verhalten ab und verhindert somit befriedigende Erklärungen sozialer Phänomene der Art, wie sie auf internationaler Ebene im GATT vorzufinden sind. Um dies zu rekapitulieren, werden im folgenden die problematischen Annahmen und Fragestellungen als solche betrachtet, indem zunächst (1) eine Zusammenstellung der Probleme innerhalb der einzelnen Theorien der Ökonomik angefertigt wird, die uns (2) auf die Probleme der Grundannahmen der Ökonomik zurückverweist, sowie (3) auf die eingeschränkten Arten ökonomischer Fragestellungen.
1. Zusammenstellung der vorgefundenen Theorieprobleme Die nachstehende Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die vorgefundenen Probleme bei der Anwendung ökonomischer Theorien auf die Fragestellung dieser Arbeit. Sie listet für jede der Theorien zum einen die wichtigsten Argumente der Annahmen- und Methodenkritik, sowie zum zweiten den Befund zum jeweiligen Erklärungspotential für die GATT-Fragestellung.
176
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz Tabelle 2: Zusammenstellung der vorgefundenen Theorieprobleme
Bezeichnung
"StandardTheorie"
Hegemonund Dominanztheorie
Neue Politisehe Ökonomie nach Olson und Public Choice
geprüfte Hypothese
Methoden- und Annahmenkritik
Erklärungspotential für die Fragestellung
Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die Kosten des Verzichts, weil ...
(Welche theorieimmanenten Inkonsistenzen und restriktive Annahmen begrenzen das Modell?)
(Bietet die Theorie einen sinnvollen Erklärungsansatzjür die GAIT-Problematik ?/)
... die Rechtsdurchsetzung ein Kollektivkapitalgut ist, zu dessen Bereitstellung sich einzelne Staaten wegen der hohen Kosten nicht bereitfmden. ... ein internationaler Hegemon (Machtstaat) für jene rechtlichen Durchsetzungsversuche, die er nicht billigt, mit Sanktionen droht.
... die innenpolitisehen "Rechtfertigungskosten" gegenüber nationalen Interessengruppen hoch angesetzt werden.
- Gleichgewichtsmodell - versteckte Singleactor-Annahme - festgelegtes Zielsystem
- methodisch unhaltbare Annahmen - Modellierungsschwierigkeiten der GATT-Verhältnisse
- Die zentralen Begriffe "Hegemon" und "Macht" sind nicht anhand abstrakter Kriterien defmiert - praktische Abgrenzungsschwierigkeiten verhindern empirische Relevanz - makroökonomische Folgerungen sind nicht belegt. Dadurch "normativer Überschuß" - nur stabile Standardsituationen in Demokratien modellierbar - Unterkomplexität
- die Methoden- und Annahmenmängel wiegen schwer - die Hypothese findet keine mögliche Entsprechung in der Realität
- logische Makro-/ Mikro-Problematik ungelöst - empirisch-analytische Reichweite methodisch stark eingeschränkt - keine ausreichend differenzierte Hypothese verfügbar
(Fortsetzung) a) In dieser Tabelle können die in den vorstehenden Ausführungen gefundenen Ergebnisse nur stichwortartig wiedergegeben werden. Deshalb besteht zunächst auch keine Systematik zwischen den verschiedenen Punkten.
I. Erklärungslücken der Ökonomik
177
(Fortsetzung Tabelle 2) Bezeichnung
geprüfte Hypothese
Methoden- und Annahmenkritik
Erklärungspotential für die Fragestellung
Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die Kosten des Verzichts, weil...
(Welche theorieimmanenten Inkonsistenzen und restriktive Annahmen begrenzen das Modell?)
(Bietet die Theorie einen sinnvollen Erldärungsansatzjür die GAIT-Problematik?)
Verfassungs- ... das GATT, als ein - "Naturzustand" ist theorie nach "Abrüstung" ermögbegriffl. ungeklärt lichender Verfas- infiniter Regreß bei Buchanan sungsvertrag, durch der Erklärung von rechtliche DurchsetVertragseinhaltung zungsversuche und -durchsetzung gefäbrdetvverden - Einstimmigkeitskönnte. voraussetzung ist extrem restriktiv Ordnungs... das GATT als - naturrechtliche Letztbegriindung theorie Analogon eines (Bucken, internationalen ist problematisch, Hayek, Ordnungs staats viele offene Fragen Böhm u.a.) gesehen vvird, der - zu unspezifische durch rechtliche InstitutionenbeDurchsetzungstrachtung: simple versuche stärker Zvveiteilung in prigefährdet vvird, als vate und staatliche durch Vertrags- keine Parallel-Teilverletzungen und ordnungen abbildbar, vvenig Diffe-umgehungen. renzierungsschärfe für GATT-Fragen - theoretischer ZuWettbevverb ... nationale Entder Institutio- scheidungsträger sammenhang verbleibt unbestimmt nenl System- annehmen, daß vvettbevverb rechtliche Durchset- - unbestimmte Kausalkette vvegen zungsversuche vieler offener Frainternat. Handelsregen hinsichtlich geln LS. eines negativen Standortfaktors unternehmerischen und politischen abschreckend auf Verhaltens Investoren vvirken.
- theoretische Mängel unüberwindbar - bestenfalls Verzicht auf jegliche Durchsetzungsversuche begründbar
- nur mit einer stark "erweiterten" Ordnungstheorie sind Erklärungen überhaupt denkbar - empirische Bestätigung vvegen Allgemeinheit der Thesen nicht zu erbringen - nur Verzicht auf jegliche Durchsetzungsversuche begründbar - theoretisch unbestimmt - keine überzeugenden empirischen Untersuchungen für Politikerverhalten bekannt
(Fortsetzung) 13 Kopke
178
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
(Fortsetzung Tabelle 2) Bezeichnung
Transaktionsund Informationskostenökonomik
PrinzipalAgentTheorie
Reputationstheorie
geprüfte Hypothese
Methoden- und Annahmenkritik
Erklärungspotential für die Fragestellung
Die erwarteten Kosten rechtlicher Durchsetzungsversuche sind höher als die Kosten des Verzichts, weil ...
(Welche theorieimmanenten Inkonsistenzen und restriktive Annahmen begrenzen das Modell?)
(Bietet die Theorie einen sinnvollen ErklärungsansatzjUr die GATT-Problematik?)
- empirische Uberprüfung unmöglich - Verkürzung des Institutionenbegriffs auf die vertragstheoretische Komponente - Entscheidungssystem- und Organisationenbedingte Handlungsmotive sind ... internationale ausgeblendet Entscheidungsträger - allgemeine Bezieihren Informationshungen zwischen verschiedenen Invorsprung in einer Weise ausbauen stitutionentypen wollen, daß mög(formellJinformell, lichst wenig "Öffent- intern/extern, innere/äußere) unlichkeit" Einsicht in ihre Entscheidungsbekannt grundlagen haben kann, was durch Rechtsverfahren nur relativ schlecht realisierbar ist. - schwammige Be... durch rechtliche Durchsetzungsgriffsverwendung als Auffangversuche (besonders kategorie für eideren Scheitern) gentl. erst zu unReputationsverluste tersuchende indivibefürchtet werden. duelle Entscheidungsmotive
- selbst LS. eines heuristischen Konzepts keine ausgearbeiteten, erwiesenen, überprüfbaren oder anerkannten Ausarbeitungen bekannt - Vorsichtsmotiv zu wenig tragfähig
... die Transaktionsund Informationskosten, die von den Akteuren aufzuwenden sind, um die Folgen rechtlicher Durchsetzungsversuche im vorhinein abzuschätzen, sehr hoch scheinen.
- individuelle Motivationen für internationales Beziehungsgeflecht nicht aus gearbeitet - IdentifIkation der Prinzipale und Akteure unzureichend - Kollusionsaspekt mit verfügbaren Begriffen schlecht analysierbar
- nicht ausgearbeitet - kann eigenem Erklärungsanspruch wegen "Vertragsdenken" nicht gerecht werden
l. Erklärungslücken der Ökonomik
179
2. Restriktive Grundannahmen der Ökonomik
Die identifizierten und oben angeführten Einzelprobleme der untersuchten Theorien lassen sich (sofern es sich nicht um Inkonsistenzen der Argumentation handelt) auf die jetzt zu betrachtenden ökonomischen Grundannahmen zurückführen, sowie (3.) auf die festgelegte Art der Fragestellung nach Knappheit und Kosten und Nutzen. Im folgenden ist die grundsätzliche Kritik, wie sie bereits am Anfang der Theoriediskussionen (vgl. S. 67 ff.) angedeutet wurde, aufzugreifen, um daraus schließlich zentrale Anforderungen an ein erweitertes Forschungsprogramm, eine verbesserte Methode abzuleiten. Daß die vorgefundenen Theorieprobleme bis hin zu ihren problematischen Annahmen zurückverfolgt werden können, ist naheliegend, weil "Ökonomik" i.S. eines Forschungsprogramms, einer Methode verstanden wird, so daß die Grundannahmen zwangsläufig zum Dreh- und Angelpunkt, aber eben auch zum "Engpaß" jeder Untersuchung werden. Dies erkannt, ließe sich mutmaßen, eine fundierte Kritik hätte ebensogut direkt an den problematischen Annahmen der Ökonomik ansetzen können, ohne den "Umweg" über eine konkrete, praktische Problemstellung zu nehmen. Die explanatorische Kraft der Ökonomik hätte dann unmittelbar in Frage gestellt, ihre Anwendbarkeit rundweg negiert werden können. Damit hätte aber dem dreifachen Anspruch dieser Untersuchung nicht gerecht werden können, nämlich erstens konkret aufzuzeigen, daß auf Theorien der Ökonomik gründende Argumentationen und Politikempfehlungen (z.B. für "Freihandel") wenigstens problematisch und zweifelhaft sind, weil - wie gezeigt wurde - die Theorien der Ökonomik für praktisch-moralische Fragestellungen keine sinnvollen Analysemöglichkeiten eröffnen6 ; Zweitens aber ist es Anspruch dieser Arbeit die aufgeworfene GATT-Fragestellung einer tatsächlichen Beantwortung näher zu bringen. Dazu wäre es ohnehin notwendig geworden, die konkreten Probleme des Verzichts auf rechtliche Durchsetzungsversuche (als Reaktionen auf Vertragsverletzungen und -umgehungen im GATT) umfassend zu analysieren. Schließlich, und drittens, setzt sich jede abstrakte Theoriediskussion unweigerlich dem Vorwurf aus, unfundierte Ideologiekritik zu betreiben, womög-
6 So gesehen, könnte die Analyse der konkreten GATI-Fragestellung als eine Überprüfung der grundsätzlichen Tauglichkeit der Ökonomik für gesellschaftliche Fragestellungen begriffen werden. Hauptergebnis dieser Tauglichkeitsprüfung ist dann, daß sich Erkenntnisse der Ökonomik bestenfalls auf Entscheidungen eines wirtschaftenden Individuums beziehen können, aber keine Verallgemeinerungen auf eine soziale Ebene ermöglicht.
180
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
lich noch mit dem speziellen Argument, die Kritik hätte nicht die Theorie in ihrem Gesamtzusammenhang gewürdigt, sondern einzelne Aspekte isolierend und verfaIschend herausgegriffen. Die gewählte Vorgehensweise war also darauf ausgerichtet, diesem dreifachen Anspruch gerecht zu werden und die genannten Vorwürfe zu entkräften. Darüber hinaus wurden die vorangegangenen Theorieerörterungen in eine Abfolge gereiht, die entlang einer zunehmenden "Öffnung" der zunächst sehr restriktiven Grundannabmen erfolgte. In diesem Sinne sind die Erklärungsmöglichkeiten mit zunehmender Öffnung wohl auch "besser" geworden. Aus den Ansätzen der Neuen Institutionenökonomik konnten schon ziemlich klar konkrete" Weiterentwicklungsnotwendigkeiten" abgelesen werden. Allerdings ist es falsch, die Neue Institutionenökonomik lediglich als noch nicht ausreichend ausgebaut anzusehen. 7 Vielmehr hält sie an ökonomischen Grundannahmen fest, welche Erklärungen zwischenmenschlicher Interaktionen grundsätzliche Beschränkungen auferlegen. Solche grundsätzlichen Beschränkungen können eben auch nicht einfach durch einige Erweiterungen an der Peripherie überwunden werden, sondern bedürfen einer prinzipiellen Neuorientierung, eines wirklichen "Paradigmenwechsels" , um fruchtbar für realistische Erklärungen werden zu können. lm folgenden sollen die wichtigsten Erklärungslücken der Ökonomik kurz vor-, dann ihnen die Theorie des kommunikativen Handeins als Gesamtmodell entgegengestellt werden. Aus dieser Gegenüberstellung kann die ganze Tragweite der Problematik erkannt werden und die Forderung nach einem "Paradigmenwechsel" in Form einer Synthese von beiden Theoriezweigen verständlich werden. Für die folgende Diskussion soll ein typischer Einwand vorweggenommen werden: Engagierte Ökonomen halten jeder Kritik ihrer Annahmen entgegen, es handele sich doch nur um methodische Annahmen im Sinne eines "AlsOb "-Prinzips , bzw. einer "conjectural history", nicht um normative Behauptungen und auch nicht um empirische Befunde. Damit ziehen sie sich auf die in der Ökonomik diskutierten verschiedenen Verwendungsarten des Rationalitätskonzepts zurück. Diesen Einwand ernst zu nehmen, hieße aber, die Öko-
7 So ließe sich argumentieren, Neue Institutionenökonomik müßte nur bzgl. der interaktionsrelevanten Konsequenzen individuell begrenzter informationeller Fähigkeiten weiterentwickelt ("bounded rationality") und Institutionen hinreichend ernstgenommen werden, insbesondere hinsichtlich der unmäßigen Reduktion auf Einzelaspekte oder der vertragstheoretischen Umdefmitionen.
I. Erklärungslücken der Ökonomik
181
nomik im Bereich reiner Begrifflichkeiten zu verorten und ihr konsequent jegliches Erklärungspotential für empirisch beobachtbare Phänomene abzusprechen (sofern sie nicht gerade den Bereich introspektiver Erkenntnisgewinnung betreffen). 8 Selbst wenn man glaubte, auf empirische Rückversicherung vollständig verzichten zu können und keinen Anschluß an die fortgeschrittene sozialwissenschaftliehe Diskussion sucht, verbleiben mit einer ökonomischen Logik unüberwindliche Erklärungsprobleme verbunden, die man zusammenfassend auf die Aussage verdichten kann: Die Ökonomik konzipiert ein Menschenbild am Denkmodell der analytischen Handlungstheorie. Ihre Annahme der Zweckrationalität ist extrem restriktiv, ebenso die Vorstellung einer Eigennutzmaximierung. Ihrer Vorgabe des methodologischen Individualismus kann sie selbst nicht gerecht werden, "bounded rationality" und die Einbeziehung von Institutionen sind uneingelöste Programme geblieben. Die gesamte Bandbreite und Tragweite ökonomischer Erklärungslücken kann ausführlich erst nach den Erörterungen der wesentlich erklärungskräftigeren Theorie des kommunikativen Handelns erfolgen. 9 Bevor diese grundsätzlichen Kritikpunkte der Ökonomik durch die Gegenüberstellung mit der Habermas' sehen Theorie im einzelnen erarbeitet werden, soll der besondere Aspekt eingeschränkter Fragemöglichkeiten vorweggenommen werden.
3. Unzureichende Möglichkeiten der Fragestellung
Die Fragestellungen der Ökonomik nach Knappheit und Kosten und Nutzen sind nicht zufällige Festlegungen einer im Entfalten begriffenen Ökonomik; Sie folgen zwingend aus ihren Grundannahmen der Zweckrationalität, Eigen-
8 Die dementsprechende epistemologische Aussage, die Annahmen der reinen Ökonomik stünden schließlich für die menschlichen Erkenntnisfähigkeiten überhaupt und seien sozusagen Strukturbedingungen unseres Denkens an sich, scheitert nicht nur wegen ihrer krassen Selbstbezüglichkeit, sondern v.a. auch am Konzept des methodologischen Individualismus, der dann konsequent Ökonomik als introspektive Selbsterfahrung umdeuten müßte. 9 Es müßte vielleicht extra betont werden, daß neben den Erklärungsmängeln realer Phänomene, eine Theorie nur aus der Perspektive anderer, selbst kritisierbarer Theorien beurteilt werden kann. Deshalb wurde hier auch das Vorgehen gewählt, zunächst - im nächsten Kapitel - die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas vorzustellen, um erst im Anschluß die Kritik aus einer Gegenüberstellung offenkundig werden zu lassen.
182
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
nutzmaximierung und des methodologischen Individualismus und sind insofern zwangsläufig. Auch periphere Erweiterungen können an dieser Bedingtheit nichts ändern. Es bedürfte schon fundamentaler Veränderungen, um auch die Möglichkeiten der Fragestellung wirklich zu erweitern. Wie also deutlich wurde, sind es vorwiegend Fragen der sozialen Interaktion, die sich dem forschenden Zugriff des Ökonomen entziehen. Seine Modellkonzeption erlaubt es nicht, den Transmissionsmechanismus von gesamtgesellschaftlichen Phänomenen auf individuelle Handlungsmotive aufzudecken oder umgekehrt aus individuellen Nutzen- und Kostenvorstellungen soziale Phänomene "hochzuprojezieren", oder gar bestimmte Interaktionsmuster tendenziell zu antizipieren. Insofern bleiben Handlungsmotive und Sozialphänomene eine Angelegenheit anderer Sozialwissenschaften, vorneweg der Psychologie und Soziologie, aber wohl auch der Philosophie, der Anthropologie und Ethnologie. Erste Ansätze entscheidungstheoretischer Verhaltensmodelle, halten zwar auch in der Ökonomik Einzug. 10 Erstens sind damit aber noch keine Begriffe zur Analyse gesamtgesellschaftlicher Interaktionsprobleme geschaffen - und schon gar nicht auf internationaler Ebene. Zweitens aber klammem sich ihre Autoren trotz durch die erweiterte Annahmenstruktur möglich gewordener "Raumgewinne" eng an ihre gewohnten Begrifflichkeiten, die für die internationale Ebene vollkommen unzureichend sind. Aber nicht einmal für Selbstbeobachtungen reicht diese Art der Ökonomik, die in ihrer Begriffslogik noch hinter philosophisch längst überkommene Logik- und Empiriedogmen einer falsch verstandenen Aufklärung zurückfällt. 11 Die ganze Tragweite dieser Kritik soll im folgenden am Modell des kommunikativen HandeIns von Habermas aufgezeigt werden. Dabei kann es nicht so sehr um eine umfassende Aufarbeitung der Habermas' schen Theorie gehen, sondern vorwiegend darum, den Erklärungsmöglichkeiten der Ökonomik ein sozialtheoretisches Gesamtmodell entgegenzustellen, welches hiernach in entscheidender Weise zu einer Weiterentwicklung ökonomischer Modellbildung dienen kann.
10 Als interessantes Beispiel vgl. das Entscheidungsmodell von Lohmann, 1994. 11 Vgl. Fetscher, in: Schmidt, 1989.
H. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
183
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handeins von Habermas "Die Theorie des kommunikativen Handelns ist keine Metatheorie, sondern Anfang einer Gesellschaftstheorie, die sich bemüht, ihre kritischen Maßstäbe auszuweisen. " Habermas 12
Auch die Theorie des kommunikativen Handeins von Habermas stellt sich der klassischen Frage, wie soziale Ordnung möglich ist und welche Arten der Koordination bestehende Ordnungen ermöglichen. Im Rahmen der unternommenen Theorieprufungen dieser Arbeit wurde diese allgemeine Frage stark konkretisiert und auf die viel speziellere Frage zuruckgeschnitten, warum internationale Akteure darauf verzichten, gegen Vertragsverletzungen und -umgehungen der GATT-Regeln mit rechtlichen Mitteln vorzugehen. Diese Konkretisierung erschien notwendig, weil erst auf dieser Konkretisierungsebene Anschluß an die Begrifflichkeiten ökonomischer Theoriebildung gefunden werden kann. Außerdem sollte vermieden werden, eine allzu abstrakte und von der Praxis losgelöste Fragestellung vorzulegen, die sich jederzeit dem Vorwurf mangelnder Relevanz ausgesetzt hätte. Um den Preis der geringeren Verallgemeinerbarkeit konnte somit ein bestehendes Erklärungsproblem tatsächlich aufgedeckt werden. Die bei Theorien der Ökonomik vorgefundene mangelhafte Erklärungskraft zeugt aber durchaus nicht von der Spezifität der gestellten Frage, sondern, wie im vorherigen Kapitel bereits angedeutet werden konnte, von grundsätzlichen methodischen Schwierigkeiten, insbesondere den restriktiven und wirklichkeitsfremden Annahmen. Ökonomische Forschungslogik unterliegt - verkürzt gesagt - einem epistemologischen Konstruktionsmangel, der sie für Erklärungen sozialer Ordnung letztlich untauglich macht. Die Untauglichkeit der Ökonomik kann anhand einer Gegenüberstellung mit der umfassenderen Theorie des kommunikativen Handeins von Habermas noch deutlicher werden. Indes sind auch die Erklärungsmöglichkeiten der Theorie des kommunikativen Handeins noch nicht hinreichend zur Erklärung der Verhältnisse im
12 Habermas, 1988 I, S. 7, im Vorwort zur Theorie des kommunikativen Handelns.
184
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
GATI, wie bei ihrer Anwendung auf die konkrete Fragestellung (Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche) exemplarisch deutlich werden wird. Weil also sowohl Ökonomik als auch Theorie des kommunikativen Handeins erweiterungsbedürfiig sind, wird eine Synthese aus beiden im anschließenden Teil (III.) erarbeitet und kritisch überprüft. Ich meine nämlich zeigen zu können, daß sich die Defizite jeder der beiden Theorien durch eine Synthese ausgleichen lassen und daraus ein methodisch handhabbarer , theoretisch fruchtbarer und praktisch aussagekräftiger Ansatz entwickeln läßt. Diese Synthese greift die methodologischen Mängel der Ökonomik in einem neuen Forschungsansatz auf und vollzieht damit den für die Ökonomik meines Erachtens unbedingt notwendigen Paradigmenwechsel im Sinne der linguistischen Wende, weg von den starren Fundamenten einer Bewußtseins- und Subjektphilosophie, hin zu den neuen Ufern einer pragmatischen Spr~.chphiloso phie. 13 Gleichzeitig erweitert sie die Erklärungsmöglichkeiten der Theorie des kommunikativen Handeins und wendet sie konsequent auf neue praktische Fragestellungen an. Hiernach kann auch deutlich werden, warum gerade die Theorie des kommunikativen Handeins von Habennas für unsere Untersuchungen ausgewählt wurde. Zunächst sollen (1) Grundzüge der Theorie des kommunikativen Handeins dargestellt werden, um (2) in der Gegenüberstellung mit der Ökonomik die methodischen Unzulänglichkeiten der letzteren für Fragestellungen der sozialen Ordnung herauszustellen. Durch (3) die Anwendung der Theorie des kommunikativen Handeins auf die GATI-Fragestellung wird erkenntlich, daß auch sie noch keine hinreichenden Erklärungsmöglichkeiten eröffnet und es einer Synthese bedarf.
13 Der ganze Sinn dieser Forderung nach einer linguistischen Wende, und zwar hin zu einer pragmatischen Sprachphilosophie, kann sich erst im Laufe der weiteren Ausführungen vollends erschließen. Hier nur soviel: Während in der Bewußtseinsphilosophie die Bedingungen und Grenzen des Denkens kritisch untersucht wurden und werden, sind es in der Philosophie nach der linguistischen Wende die Bedingungen und Grenzen der Sprache. Weil Sprache eben nicht bloß Ausdrucksmittel des Denkens ist, sondern selbst die Grenzen des Denkens bestimmt, muß sie zunächst selbst Gegenstand der Forschung sein (Wittgenstein: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt", und "es gibt keine der Sprache vorgängige Logik"). Pragmatisch ist Sprachphilosophie, wenn sie nüchtern nach den Bedingungen für Sprache fragt, ohne weitergehende Festlegungen zu treffen (vgl. ausführlich Bahermas, 1973b). Maßgeblich zur linguistischen Wende v.a. Apel, 1994.
H. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen HandeIns
185
1. Grundzüge der Theorie des kommunikativen Handelns " ... : es geht zunächst um einen Begriff der kommunikativen Rationalität, der hinreichend skeptisch entwickelt wird und doch den kognitiv-instrumentellen Verkürzungen der Vernunft widersteht; sodann um ein zweistufiges Konzept der Gesellschaft, welches die Paradigmen Lebenswelt und System auf eine nicht nur rhetorische Weise verknüpft; und schließlich um eine Theorie der Modeme, die den Typus der heute immer sichtbarer hervortretenden Sozialpathologien mit der Annahme erklärt, daß die kommunikativ strukturierten Lebensbereiche den Imperativen verselbständigter, formal organisierter Handlungssysteme unterworfen werden." Habermas 14
Bei der Darstellung der Theorie des kommunikativen Handeins von Habennas muß eine Konzentration auf jene Aspekte erfolgen, die für die in dieser Arbeit aufgeworfene Fragestellung unmittelbar relevant sind (was angesichts der Theoriefülle auf starke Einschränkungen hinausläuft). Die gesonderte Darstellung und Betrachtung soll es ennöglichen, ein abgerundetes Bild der Theorie zu zeichnen, bevor eine Gegenüberstellung mit der Ökonomik geschieht. Ein abgerundetes Bild erscheint notwendig, weil Ökonomik und Theorie des kommunikativen Handeins nicht nur in Teilen auseinanderfallen, sondern grundlegend verschiedene Weltbilder entwerfen, angefangen beim (wissenschaftlichen) Wahrheitsbegriff, bis hin zur Modellierung menschlichen Bewußtseins. Ohne eine gewisse Sorgfalt könnte ansonsten die anschließende Gegenüberstellung zu einer sinnlosen Abrechnung, könnten die praktischen Erwägungen zur zahnlosen Ideologiekritik verkommen. 1S 14 Habermas, 1988 I, S. 8. IS Reese-Schäfer, 1991, S. 11 f., schreibt entsprechend: »Sprachlich den Anschluß zu schaffen zwischen den entwickeltsten und durchdachtesten Formen der gegenwärtigen Sozialwissenschaften und philosophischen Denkansätzen - das ist es, worauf Habermas hinauswill. Seine Methode geht darauf aus, verschiedene Theoriesprachen kompatibel zu machen. [ ... ] Der Mangel vieler Bücher, Aufsätze und Vorträge zu Habermas besteht darin, daß sie für seine Vorgehensweise kein Verständnis entwikkein und sich zufriedengeben mit dem bloßen Nacherzählen von Theorieversatzstücken, die dadurch nicht zugänglicher werden. Solche Veröffentlichungen verlangen
186
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
Es ist kein einfaches Unterfangen, eine Einführung in die Habennas' sche Theorie zu beginnen, zu vielfältig sind die internen Verweise und die Bezüge zu anderen Wissenschaftsdisziplinen, Menschen- und Gesellschaftsbildern. Ich wähle einen soziologischen Zugang, weil er am meisten der betrachteten Fragestellung entspricht und die Gegensätzlichkeit zur Ökonomik am besten ausleuchten kann: Auch den Begriff der Ökonomik habe ich als einen soziologischen übernommen, der die Betrachtungsebenen erstens gesellschaftlicher Ordnung und zweitens individuellen Verhaltens zur Erschaffung und Aufrechterhaltung dieser Ordnung auseinanderhält und u. U. drittens gesamtgesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu beschreiben befähigt. Insbesondere die ersten beiden Aspekte standen bisher im Mittelpunkt der Theorieprüfungen, nicht zuletzt, weil die konkrete GATI-Fragestellung in dieser Richtung einengend fonnuliert war. Auch zur Habermas' schen Theorie sollen zunächst die ersten beiden Aspekte im Vordergrund stehen, die mit den Begriffen "Handlungstheorie" und "Diskursethik" bezeichnet werden können. Der dritte Aspekt: gesamtgesellschaftliche Entwicklungen zu beschreiben und vorherzusehen, kann vorerst hinter der positiven Beschreibung innergesellsclUljtlicher Ordnungszusammenhänge und deren Fundierung in individuellem Verhalten zurückstehen. Für gesamtgesellschaftliche Entwicklungstendenzen und sogar Prognosen sei der letzte Teil der Arbeit vorbehalten. Entlang dieser drei soziologischen Betrachtungsebenen soll nun die Darstellung der Theorie des kommunikativen Handeins erfolgen, indem zuerst (a) die individuelle Handlungsebene beschrieben wird, die sich um den zentralen Begriff der "kommunikativen Rationalität" entwickelt. Anschließend wird (b) der Übergang zur Systemebene nachgezeichnet, der die individuelle Lebenswelt mit den mediengesteuerten Systemen strategischer Rationalität kontrastiert und dabei der (nonnativen) Diskursethik ihren pragmatischen Platz zuweist. Schließlich sollen (c) die gesellschaftstheoretischen Implikationen und die Diagnose der Gesellschaft (sog. "Theorie der Modeme") knapp umrissen werden.
dann entweder eine gewisse Gläubigkeit, oder sie üben eine nur scheinbar überlegene, in Wirklichkeit aber dogmatische Kritik an Habermas." Ebenso Puntel, 1993, S. 144. Als abschreckendes Beispiel einer unkritischen Gegenüberstellung mit neoklassischer Ökonomie vgl. Teepe, 1992.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
187
a) Kommunikative Rationalität und kommunikatives Handeln .. Für jede Soziologie mit gesellschaftstheoretischem Anspruch stellt sich das Problem der Verwendung eines (ja stets normativ gehaltvollen) Rationalitätsbegriffs auf drei Ebenen. Sie kann weder der metatheoretischen Frage nach den Rationalitätsimplikationen ihrer leitenden Handlungsbegriffe, noch der methodologischen Frage nach den Rationalitätsimplikationen des sinnverstehenden Zugangs zum Objektbereich, noch schließlich der empirisch-theoretischen Frage ausweichen, in welchem Sinne die Modernisierung von Gesellschaften als Rationalisierung beschrieben werden kann. " Habermas 16
Auch für Habermas ist jedes Handeln rational motiviert. Dabei bezeichnet Rationalität jedoch nicht die einengende Zweckrationalität Weber'scher Prägung, sondern den wesentlich weiteren Begriff der "kommunikativen Rationalität".n Ihm entsprechen kommunikative Handlungen. Zwar schließt sich Habermas dem Weber' sehen Rationalitätsverständnis an, entwickelt dieses aber abweichend von Weber auch entlang der sog. "Wertrationalität" weiter. Nach Weber läßt sich Rationalität durch die Unterscheidung von Geltungsansprüchen beschreiben. Geltungsansprtiche repräsentieren bestimmte individuelle Wertsphären. Zu unterscheiden sind kognitive, moralisch-praktische und ästhetisch-expressive Geltungsansprtiche bzw. Wertsphären. 18 Während Weber jedoch durch die alleinige Analyse kognitiver Geltungsansprtiche, LS. von Zweckrationalität, seine Gesellschaftsdiagnose ungebührend einengt, greift Habermas auch die moralisch-praktischen sowie ästhetisch-expressiven
16 Habermas, 1988 I, S. 8.
17 Habermas, 1988 I, S. 207 ff., entwickelt den Begriff der kommunikativen Rationalität mit der Methode einer .. Theoriegeschichte in systematischer Absicht", beginnend mit Max Webers Theorie der Rationalisierung. Hierzu kritisch ReeseSchäfer, 1991, S. 31 f. 18 Es braucht wohl kaum noch erwähnt zu werden, daß diese Kategorisierung Kant ' scher Erkenntnisphilosophie entspringt, die im Sinne Kuhn' s indes im Bereich reiner Bewußtseinsphilosophie verbleibt.
188
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
Momente der Rationalität auf und sucht dafür Anschluß an modeme handlungsbezogene Sprachtheorien. Hierzu muß noch einmal etwas weiter ausgeholt werden, indem (1) auf die Konsenstheorie der Wahrheit eingegangen wird, (2) die Sprechakttheorie zum Begriff des kommunikativen Handeins ausgebaut und (3) das Konzept der Lebenswelt vorgestellt wird. (1) Die Konsenstheorie der Wahrheit löst sich ab von den herkömmlichen (substantiellen) Wahrheitsbegriffen und überführt ihn konsequent in einen Verfahrensbegriff. Der philosophisch weniger geschulte Wissenschaftler mag bedenken, daß der Wahrheitsbegriff nicht intuitiv zugänglich ist und sich im Laufe der Wissenschaftsentwicklung durchaus verändert hat. 19 Konstant geblieben ist, daß auf die Frage, ob etwas wahr ist oder nicht, ausschließlich mit "ja" oder "nein" geantwortet werden kann. Es können hier nicht die verschiedenen Entwicklungsstufen des Wahrheitsbegriffs diskutiert werden, als deren wichtigste neben der Konsenstheorie sicherlich die Evidenztheorie, die Korrespondenztheorie und die Kohärenztheorie gelten können. 20 Der Habermas' sche Begriffsapparat kann aber wenigstens im Ansatz vorgestellt werden. 21
"Konsenstheorie der Wahrheit" bedeutet keineswegs, daß alles wahr ist, worüber Konsens erzielt werden kann oder wird, sondern operiert mit einem Zweistufen-Modell. Will man beispielsweise eine Wette über einen inhaltlich umstrittenen Sachverhalt abschließen, so muß formal Konsens darüber bestehen, was der Fall sein soll und zu welchem Zeitpunkt er eintreten muß, damit eine Wette als gewonnen gelten kann. 22 Innerhalb dieses Konsens-Rahmens läßt sich dann ("absolut" und "objektiv") sagen, ob etwas wahr ist oder nicht. Ein solcher Konsens kann nun auf ganze Gesellschaften bezogen werden oder auch auf Forschergemeinschaften etc. eh. S. Peirce entwickelte hieraus den
19 Es mag etwas zu weit ausgeholt scheinen, bis auf philosophische Wahrheitsbegriffe zurückzugehen, um eine soziologische Theorie auszubreiten. Ich halte es hierin jedoch mit Walter Reese-Schäfer, 1991, S. 15, 17 ff., der in seiner Einführung zu JÜfgen Habermas betont: "Die ersten Schwierigkeiten mit Habermas-Texten beginnen sich aufzulösen, wenn man sich mit der Konsenstheorie vertraut macht. " 20 Eine kritisch-systematische Darstellung von ..Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie" liefert Puntel, 1993. 21 Vgl. vertiefend v.a. Habermas, 1973a, 1973b. Kritisch Puntel, 1993, S. 144 ff. 22 Vgl. Reese-Schäfer, 1991, S. 17 f.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
189
Grenzfall der unbegrenzten Gemeinschaft aller Verstandeswesen ("indefinite community"), bzw. Forschergemeinschaft ("community ofinvestigators").23 Entsprechend seiner sprachphilosophischen Ausrichtung konzipiert Habermas diesen zweistufigen Konsensbegriff der Wahrheit im Bereich sprachlicher Verständigung, also Sprechakten. Hierzu dient ihm die Unterscheidung zwischen (Sprech-) Handlungen und Diskurs - ganz ähnlich dem Wettbeispiel. Über in Sprechhandlungen erhobene Geltungsansprüche muß analog den formalen Wettbedingungen vorab Konsens herrschen, bevor inhaltliche Aussagen möglich sind (zwischen wahr und falsch unterschieden werden kann). Diskurs bietet die Möglichkeit, mit sprachlichen Mitteln über die problematisch gewordenen Geltungsansprüche Argumente (nicht Informationen) auszutauschen, wozu die ursprünglichen Handlungszusammenhänge verlassen (bzw. unterbrochen) werden müssen. 24 Damit ist Wahrheit innerhalb dieses Zweistufen-Schemas konzipiert als "Geltungsanspruch, den wir mit Aussagen verbinden, indem wir sie behaupten" . 25 Wahre Aussagen befinden sich in einem Rahmen anerkannter, konsentierter Geltungsansprüche. Da dieser Konsens über Geltungsansprüche auf der Diskursebene erst hergestellt werden muß, falls er nicht in Form einer geteilten Lebenswelt vorliegt, wird Wahrheit zu einem Verfahrensbegriff. Habermas präzisiert das Verfahren zur "Herstellung" von Konsenswahrheit, indem er schreibt: Wahrheit meint einen (wenigstens potentiell) diskursiv einlösbaren Geltungsanspruch. 26 Der Geltungsanspruch muß mithin in
23 Charles Sanders Peirce begründete den amerikanischen Pragmatismus, den er selbst später relativierend "Pragmatizismus" nannte. Auf ihm beruhen die pragmatischen Überlegungen auch von Habermas. 24 Habermas, 1984, S. 131: "Um Diskurse zu führen, müssen wir in gewisser Weise aus Handlungs- und Erfahrungszusammenhängen heraustreten; hier tauschen wir keine Informationen aus, sondern Argumente, die der Begründung (oder Abweisung) problematisierter Geltungsansprüche dienen. "
25 Vgl. Habermas, 1973a, S. 212. 26 Der Begriff "Wahrheit" ist - wie gesagt - allein eine linguistiche Kategorie. Au-
ßersprachliche Erfahrungen werden dagegen mit dem Begriff der "Objektivität" bezeichnet, vgl. Habermas, 1973b, S. 389: "Die Objektivität einer Erfahrung bedeutet, daß jedermann mit dem Erfolg oder Mißerfolg bestimmter Handlungen rechnen kann; die Wahrheit einer in Diskursen behaupteten Proposition bedeutet, daß jedermann mit Gründen veranlaßt werden kann, den Geltungsanspruch der Behauptung als berechtigt anzuerkennen. "
190
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
einem Diskurs durch gute Gründe und Argumente einlösbar sein oder wenigstens als potentiell einlösbar gelten. Freilich bleibt nun zu klären, wie "Diskurs" beschaffen sein muß, um konsensstiftende Wirkung per Begründung und Argumentation entfalten zu können. Habermas definiert hierzu bestimmte formale Eigenschaften und faßt sie im Begriff der idealen Sprechsituation zusammen. Eine ideale Sprechsituation wird charakterisiert durch vier Bedingungen, vgl. hierzu Habermas, 1984, S. 177 f.: 1. "Alle potentiellen Teilnehmer eines Diskurses müssen die gleiche Chance haben, kommunikative Sprechakte zu verwenden, so daß sie jederzeit Diskurse eröffnen sowie durch Rede und Gegenrede, Frage und Antwort perpetuieren können. 2. Alle Diskursteilnehmer müssen die gleiche Chance haben, Deutungen, Behauptungen, Empfehlungen, Erklärungen und Rechtfertigungen aufzustellen und deren Geltungsanspruch zu problematisieren, zu begründen oder zu widerlegen, so daß keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt. [ ... ]
3. Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde gleiche Chancen haben, repräsentative Sprechakte zu verwenden, d.h. ihre Einstellungen, Gefühle und Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Denn nur das reziproke Zusammenstimmen der Spielräume individueller Äußerungen und das komplementäre Einpendeln von Nähe und Distanz in Handlungszusammenhängen bieten die Garantie dafür, daß die Handelnden auch als Diskursteilnehmer sich selbst gegenüber wahrhaftig sind und ihre innere Natur transparent machen. 4. Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde gleiche Chancen haben, regulative Sprechakte zu verwenden, d.h. zu befehlen und sich zu widersetzen, zu erlauben und zu verbieten, Versprechen zu geben und abzunehmen, Rechenschaft abzulegen und zu verlangen usf. Denn nur die vollständige Reziprozität der Verhaltenserwartungen, die Privilegierung im Sinne einseitig verpflichtender Handlungs- und Bewertungsnormen ausschließen, bieten die Gewähr dafür, daß die formale Gleichverteiliung der Chancen, eine Rede zu eröffnen und fortzusetzen, auch faktisch dazu genutzt werden kann, Realitätszwänge zu suspendieren und in den erfahrungsfreien und handlungs entlasteten Kommunikationsbereich des Diskurses überzutreten. "
Diese Bedingungen einer idealen Sprechsituation werden oft zusammengenommen auch als "herrschafts freier Diskurs" bezeichnet. Habermas hat natürlich selbst gesehen, daß empirische Situationen den formalen Kriterien der idealen Sprechsituationen kaum entsprechen und sogar in der Retrospektive ungewiß bleiben muß, ob sie erfüllt waren oder nicht. 27 Aus wahrheits-
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
191
theoretischer Sicht muß hierin aber keinesfalls ein Problem gesehen werden, da der konsenstheoretische Wahrheitsbegriff vollkommen entlastet ist von jeglichem Absolutheitsanspruch und dem Anspruch auf zeitlose Gültigkeit. 28 Hingegen betrachtet Habermas die ideale Sprechsituation auch nicht als bloßes Konstrukt, als unerreichbares Ideal oder bloß "regulative Idee" im Kant'schen Sinne. Vielmehr - und darin liegt das eigentlich geniale der Wendung - ist die ideale Sprechsituation eine in Diskursen von den Beteiligten unvermeidlich reziprok vorgenommene Unterstellung. Diese "diskursive Einstellung" ist nämlich notwendig für Verständigung überhaupt. Verständigung setzt also immer schon voraus, daß die Kommunikationspartner sich gegenseitig einen herrschaftsfreien Diskurs unterstellen. In diesem Sinne stellt sie das (normative) Fundament sprachlicher Verständigung dar: sie wird antizipiert und sie ist als antizipierte Grundlage wirksam. 29 Mit dieser Wendung ist es Habermas gelungen, eine Brücke zwischen Theorie und Empirie zu schlagen; oder wie Zimmerli, 1994, schreibt: "ließ sich nun, auf dem Umwege über die Kommunikationstheorie, das Fundament allen theorie- und praxisorientierten Denkens freilegen: die »kontrafaktisch immer schon unterstellte ideale Gesprächssituation eines herrschaftsfreien Diskurses«." Der bezeichneten Kommunikationstheorie und den Diskursarten muß im Rahmen der Sprechakttheorie noch einige Aufmerksamkeit gewidmet werden, bevor daraus ein klares Bild des kommunikativen Handeln entstehen kann.
(2) Sprechakttheorie und kommunikatives Handeln: Habermas unterscheidet zwischen Sprechen und Handeln. Beides faßt er unter "Handlungen". Dabei ist Handeln beschrieben als "Zwecktätigkeiten, mit denen ein Aktor in die Welt eingreift, um durch die Wahl und den Einsatz seiner Mittel gesetzte Ziele zu realisieren"; Sprachliche Äußerungen sind beschrieben als "Akte, mit denen sich ein Sprecher mit einem anderen über etwas in der Welt ver-
27 Vgl. Habermas, 1984, S. 179 f: "In der Retrospektive können wir häufig genug feststellen, wann wir ideale Sprechsituationen verfehlt haben. Allerdings fehlt ein externes Kriterium der Beurteilung, so daß wir in gegebenen Situationen niemals sicher sein können, ob wir einen Diskurs führen oder ob wir nicht vielmehr unter Handlungszwängen agieren und Scheindiskurse vorführen... 28 Vgl. die Argumentation bei Reese-Schäfer, 1991, S. 21. Kritisch Puntel, 1993, S. 157 ff. 29 Vgl. Puntel, 1993, S. 157.
192
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
ständigen möchte"30 (sog. "Sprechakte"). Diese Beschreibungen gelten in dieser Weise aber nur für Selbstbeobachtungen. Für die Beobachterperspektive eines Dritten ergibt sich das fundamentale Problem, daß Intentionen eines zwecktätigen Handeins am beobachtbaren Verhalten nicht unmittelbar ablesbar sind, sondern z.B. aus der Situation heraus interpretiert werden müssen. 31 "Im Falle nichtsprachlicher Handlungen ist die Intention des Handelnden dem manifesten Verhalten nicht zu entnehmen, sie läßt sich allenfalls indirekt erschließen. Hingegen gibt ein Sprechakt dem Hörer von sich aus die Intentionen des Sprechers zu verstehen. Sprachliche Äußerungen identifizieren sich selbst, weil sie selbstbezüglich strukturiert sind und den Verwendungssinn des in ihnen ausgedrückten Inhalts kommentieren. "32 Oder auch: "Sprechhandlungen interpretieren sich selbst; sie haben nämlich eine selbstbezügliche Struktur. "33 Mit diesem Fokus bringt Habermas die linguistische Wende in der Philosophie zur Geltung, die der Tatsache Rechnung trägt, daß Beobachter niemals Kenntnis von den Intentionen hinter dem Handeln anderer haben können, wohl aber den Sinn einer sprachlichen Aussage umfassend begreifen können. Es gibt noch weitere Unterschiede zwischen Sprechen und Handeln: Während die Zwecktätigkeit als zielgerichteter und kausal wirksamer Eingriff in die objektive Welt konzipiert wird, bei dem ein Handlungsplan zugrundeliegt, der als Handlungsziel einen kausal zu bewirkerulen Zustarul in der objektiven Welt vorsieht, der unabhängig von den eingesetzten Mitteln bestimmt wird, gehorchen Sprechakte diesen Bedingungen nicht. Mit ihnen wird das ganz
30 Vgl. Habermas, 1992, S. 63, in seinem synoptischen Aufsatz: "Handlungen, Sprechakte, sprachlich vermittelte Interaktion und Lebenswelt", S. 63-104. 31 Vgl. hierzu die Ausführungen zur "Problematik des Sinnverstehens in den Sozialwissenschaften", in: Habennas, 1988 I, S. 152-206, insbesondere die zwei Abschnitte: "(c) Der sozialwissenschaftliche Interpret als virtueller Teilnehmer", S. 167 ff., und ,,(d) Unvermeidlichkeit rationaler Deutungen", S. 171 ff. 32 Vgl. Habennas, 1992, S. 54 f (in: "Motive nachmetaphysischen Denkens"). 33 Habennas, 1992, S. 65, und später: Dieser performative Sinn einer Sprechhandlung erschließt sich freilich nur einem potentiellen Hörer, der in der Einstellung einer zweiten Person die Beobachterperspektive zugunsten der Teilnehmerperspektive aufgegeben hat. Man muß dieselbe Sprache sprechen und gleichsam in die von einer Sprachgemeinschaft intersubjektiv geteilte Lebenswelt eintreten, um aus der eigentümlichen Reflexivität der natürlichen Sprache Vorteil zu ziehen und die Beschreibung einer mit Worten ausgeführten Handlung auf das Verständnis der impliziten Selbstkommentierung dieser Sprechhandlung zu stützen. "
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
193
anders strukturierte Ziel der Verständigung verfolgt, daß sich in die "Unterzwecke" aufspalten läßt: "daß der Hörer die Bedeutung des Gesagten verstehen und die Äußerung als gültig anerkennen möge". 34 So kann weder die Bedeutung des Gesagten unabhängig von den linguistischen Mitteln der Verständigung definiert werden, noch kann der Sprecher Verständigung als ein kausal zu bewirkendes Ziel verfolgen. "Schließlich bilden [ ... ] der Kommunikationsvorgang und das Resultat, zu dem er führen soll, keine innerweltlichen Zustände. "35 Ich habe auf die Unterscheidung zwischen Sprechen und Handeln etwas mehr Raum verwendet, weil daran nicht nur die Essenz der linguistischen Wende der Wissenschaftstheorie kondensieren kann, sondern auch, weil hier ganz deutlich zutage tritt, daß man mit dem herkömmlichen Rationalitätskonzept der Zweckrationalität dem Phänomen der sprachlichen Interaktion nicht gerecht werden kann. Hierzu Habermas, 1992, S. 67 f: Wenn wir von der kommunikativen Verwendung propositionalen Wissens in Sprechakten ausgehen, treffen wir auf ein Konzept der Verständigungs rationalität, das in der Bedeutungstheorie anband der Bedingungen für die Akzeptabilität von Sprechhandlungen geklärt werden kann. Diesem Begriff liegt intuitiv die Erfahrung der zwanglos einigenden, konsens stiftenden Kraft der argumentativen Rede zugrunde. Während die Zweckrationalität auf die Bedingungen für kausal wirksame Interventionen in die Welt existierender Sachverhalte verweist, bemißt sich die Rationalität von Verständigungsprozessen an dem Zusammenhang von Gültigkeitsbedingungen für Sprechakte, Geltungsansprüchen, die mit Sprechakten erhoben werden, und Gründen für die diskursive Einlösung dieser Ansprüche.
Es ist Habermas Anliegen, deutlich zu machen, daß sich diese beiden Rationalitätsarten nicht füreinander substituieren lassen, sowenig wie sich die zugrundeliegenden Handlungstypen aufeinander reduzieren lassen. Wie entsteht daraus Ordnung? Die Begriffe "sprachliche Interaktion" und "soziale Handlung" sind, so Habermas, komplexe Begriffe, die aus einer Verbindung von zweckrationalem
34 Vgl. Habermas, 1992, S. 66. 35 Vgl. Habermas, 1992, S. 66, der auf S. 67 über Sprechakte zusammenfassend schreibt: "sie sind auf illokutionäre Ziele gerichtet, die nicht den Status eines innerweltlich zu realisierenden Zwecks einnehmen, [die] nicht ohne die ungezwungene Kooperation und Zustimmung eines Adressaten verwirklicht und nur mit Rekurs auf das dem sprachlichen Medium selbst innewohnende Konzept der Verständigung erklärt werden können ... 14 Kopke
194
D. Paradigmenwechsel und neuer Porschungsansatz
und verständigungsorientiertem Handeln hervorgehen. Eine dieser Verbindungen ist das kommunikative Handeln. "Interaktionen" entstehen aus der Lösung des Problems, die Handlungspläne mehrerer Aktoren so miteinander zu koordinieren, daß die Handlungen aneinander Anschluß finden. 36 Diese Handlungskoordinierung wird notwendig, wenn ein Aktor seinen Handlungsplan nur mit Handlungen (oder Unterlassungen) anderer Aktoren durchführen kann, was in gesellschaftlichen, sozialen Zusammenhängen der Fall ist - so wie auch bei allen rechtlichen und politischen Prozessen. Wird bei einer solchen Handlungskoordinierung Sprache nur als Medium zur Übertragung von Informationen benutzt, liegt der Interaktionstypus der strategischen Handlung vor, wird sie dagegen als Quelle der sozialen Integration in Anspruch genommen, so handelt es sich um kommunikative Handlungen. 37 Kommunikatives Handeln unterliegt den strengen Bedingungen, die auf die oben bereits geschilderte Unterstellung einer idealen Sprechsituation hinauslaufen. Die ideale Sprechsituation setzt voraus, daß die Aktoren ihre am Erfolg kontrollierten Handlungspläne unterbrechen und ihren Handlungsmodus ändern. 38 Das bedeutet aber auch, daß Verständigung nur solange funktioniert, wie mindestens eine Seite davon ausgeht, daß verständigungsorientierte Kommunikation vorliegt. Umgekehrt "scheitert eine latent strategische
36 Vgl. Habermas, 1992, S. 68 f: ,,»Anschluß« heißt hier zunächst nur die Reduktion des Spielraums kontingent aufeinandertreffender Wahlmöglichkeiten auf ein Maß, welches die radikale Vernetzung von Themen und Handlungen in sozialen Räumen und historischen Zeiten möglich macht. .. 37 Vgl. Habermas, 1992, S. 69: "Während hier die konsens erzielende Kraft der sprachlichen Verständigung, d.h. die Bindungsenergien der Sprache selbst für die Koordination der Handlungen wirksam wird, bleibt dort der Koordinationseffekt abhängig von einer über nicht-sprachliche Tätigkeiten laufenden Einflußnahme der Aktoren auf die Handlungssituation und aufeinander." 38 Vgl. Habermas, 1992, S. 72, der fortführt: "Die kommunikative Schaltung über vorbehaltlos ausgeführte Sprechakte setzt die egozentrisch auf den jeweiligen Aktor zugeschnittenen Handlungsorientierungen und -verläufe unter die strukturellen Beschränkungen einer intersubjektiv geteilten Sprache. Diese erzwingen von den Handelnden einen Perspektivenwechsel: die Aktoren müssen von der objektivierenden Einstellung eines erfolgs orientiert Handelnden, der etwas in der Welt bewirken will, übergehen zur performativen Einstellung eines Sprechers, der sich mit einer zweiten Person über etwas in der Welt verständigen will."
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
195
Handlung, sobald der Adressat entdeckt, daß der Gegenspieler seine Erfolgsorientierung nur zum Scheine ausgesetzt hat" . 39
strategische
kommunikative
Abbildung 1: Abgrenzung kommunikativen Handeins
Der hier zur Verfügung stehende Rahmen erlaubt keine vertiefenden Erörterungen dieser Zusammenhänge. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Handeln und Sprechen, als einerseits instrumentelle, andererseits soziale Handlung sowie die Unterteilung sozialer Handlungen in strategische und kommunikative (siehe Abb. 1). Habermas verfolgt diese Begriffe im Rahmen seiner Bedeutungstheorie bis hin zu den in Sprechakte eingebetteten Aussagen, die er als Basiseinheit seiner sprachtheoretischen Untersuchungen nimmt. 40 Die bedeutungstheoretische Fundierung kann hier angedeutet werden: Die Bedeutungen von Aussagen, die in Form von Sprechakten bzw. Sprechhandlungen getätigt werden, liegen nicht nur in ihrem propositionalen Gehalt (inhaltliche Darstellung von existierenden Sachverhalten: Information), sondern zweitens auch darin, daß sie Ausdruck von Intentionen sind und drittens der Aktualisierung und Herstellung von interaktiven Beziehungen dienen. 41 Entsprechend definiert Habermas verschiedene Handlungsarten, die 39 Vgl. Habermas, 1992, S. 72. 40 Vgl. Puntel, 1993, S. 145. 41 Vgl. insbesondere den Aufsatz "Zur Kritik der Bedeutungstheorie" in: Habermas, 1992, S. 105-135, wo er unter Verwendung des Bühler'schen Sprachfunktionen-
schema (vgl. Bühler, Karl (1934): Sprachtheorie, Jena) die drei Sprachtheorien der
196
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
sich auf verschiedene Bedeutungsgehalte von Sprechakten beziehen. Diese sind respektive: strategisches (zielgerichtetes, teleologisches), normatives und dramaturgisches Handeln. Sie entsprechen den Sprachfunktionen nach Bühler (Darstellung, Appell und Ausdruck). Die Bedeutungen von Sprechakten lassen sich, wie gesehen, nach den mit ihnen erhobenen Geltungsansprüchen analysieren, die den Bühler'schen Sprachfunktionen korrespondieren. 42 Während für die Darstellung von Sachverhalten Wahrheit der korrespondierende Geltungsanspruch ist, ergeben sich für den Ausdruck von Intentionen und für die Aktualisierung und Herstellung interaktiver Beziehungen die wahrheitsanalogen Bedingungen der normativen Richtigkeit und der subjektiven Wahrhaftigkeit. 43 Zusammengenommen ergibt sich folgendes Schema: Tabelle 3: Handlungsarten und -bezüge Handlungsart
Sprachfunktion nach Bühler
Bedeutung des Sprechakts
Geltungsanspruch
Aktor Weltbezug
strategisch
Darstellung (von propositional Gegenständen und Sachverhalten)
Wahrheit
Aktor objektive Welt
normativ
Appell (an einen Empfinger)
intentional (illokutionär)
Richtigkeit
Aktor soziale Welt
dramaturgisch
Ausdruck (eines Senders)
perlokutionär
Wahrhaftigkeit
Aktor subjektive Welt
Verständigung
reflexiver Bezug auf alle drei Welten
kommunikativ
.. intentionalistischen Semantik" (Grice, Bennett, Schiffer), .. formalen Semantik" (Frege, Wittgenstein I, Dummett) und der .. Gebrauchstheorie der Bedeutung" (Wittgenstein 11 et. al.) kritisiert und bedeutungstheoretisch im Begriff des kommunikativen Handelns zusammenführt. 42 Vgl. Habermas, 1992, S. 80 f: .. Wir verstehen eine Sprechhandlung, wenn wir die Art von Gründen kennen, die ein Sprecher anführen könnte, um einen Hörer davon zu überzeugen, daß er unter den gegebenen Umständen berechtigt ist, Gültigkeit für seine Äußerung zu beanspruchen - kurz: wenn wir wissen, was sie akzeptabel macht. " 43 Vgl. auch Habermas, 1988 I, S. 149 ff.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
197
Mit strategischem, zielgerichtetem Handeln koordinieren Menschen ihre (arbeitsteiligen) Handlungen in der objektiven Welt. 44 Diese Handlungen können gemessen am Erfolg gelingen oder mißlingen. Daneben handeln Menschen aber auch aufgrund von Werten und Normen in der sozialen Welt. Diese normativen Handlungen können allein aufgrund ihres Übereinstimmens mit den bestehenden Normen i.S. von Richtigkeit beurteilt werden. Schließlich zeigen Menschen bei allen Handlungen auch einen Teil von sich selbst, von ihren Absichten, Bedürfnissen, Ängsten etc. Solche Motive können vorgetäuscht, die Wahrhaftigkeit dieses dramaturgischen Handeins entsprechend angezweifelt werden. 45 Kommunikatives Handeln ist nun gewissermaßen die Zusanunenführung aller drei Handlungsarten in ein Konzept. 46 Der Begriff der Verständigung an sich wird bei der Erörterung des Lebenswelt-Konzepts noch eine Rolle spielen; es ist klar, daß er - wie auch jener des kommunikativen Handeins - ein normativ gehaltvoller Begriff ist, zumal er in "der holistischen Verfassung" natürlicher Sprachen gründet. 47
44 Habermas verknüpft die Handlungsarten und die mit ihnen erhobenen Geltungsansprüche mit einer abgewandelten Form der Popper' schen Dreiweltentheorie, vgl. Habermas, 1988 I, S. 114 ff. Abgewandelt ist die Dreiweltentheorie, weil sie nicht im Sinne Poppers als drei Regionen der objektiven Welt zu verstehen sind, sondern in jeder Sprechhandlung immer gleichzeitig auf sie alle drei Bezug genommen wird: ..... mit unseren Sprechhandlungen beziehen wir uns bei wechselnden Thematisierungen gleichzeitig auf etwas in der objektiven, subjektiven und sozialen Welt; zwecktätig intervenieren wir allein in die objektive Welt." (1992, S. 132). 45 Vgl. Horster, 1990 S. 79 f. Hierzu Habermas, 1988 I, S. 35: .. Das Wissen, das in normenregulierten Handlungen oder in expressiven Äußerungen verkörpert ist, verweist [ ... ] nicht auf die Existenz von Sachverhalten, sondern auf die Sollgeltung von Normen und das zum Vorschein-Kommen subjektiver Erlebnisse." 46 Es sei nur darauf hingewiesen, daß neben den Bedingungen der Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit auch Verständlichkeit, i.S. einer gemeinsamen Sprache etc., für Verständigung vorausgesetzt werden muß. Verständlichkeit ist Teil des ohnehin mitgedachten lebensweltlichen Hintergrunds. 47 Die Problematik solcher Überlegungen kann hier nur durch einige Zitate anplausibilisiert werden: .. Das Konzept des kommunikativen Handeins entfaltet die Intuition, daß der Sprache das Telos der Verständigung innewohnt." (vgl. Habermas, 1992, S. 75). Verständigung verweist auf die Akzeptabilität und Gültigkeit von Äußerungen: .. Einverständnis über etwas bemißt sich an der intersubjektiven Anerkennung der Gültigkeit einer grundsätzlich kritisierbaren Äußerung." (S. 75 f.). Daraus folgt die holistische Verfassung natürlicher Sprachen: .. Insofern gehört die Orientierung an der möglichen Gültigkeit von Äußerungen zu den pragmatischen Bedingungen nicht
198
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
Der erst provisorisch eingeführte Begriff des Diskurses, als ein von Sprechern in einer unterstellten idealen Sprechsituation auf allen Sprachebenen geführten rationalen Argumentation über Geltungsansprüche, entspricht dem des kommunikativen HandeIns: Nur mit kommunikativem Handeln können Diskurse geführt werden, d.h. können Geltungsansprüche mit Gründen diskursiv eingelöst werden. Indes muß gesehen werden, daß die verschiedenen Geltungsansprüche zwar problematisiert, in der Realität aber nicht vollständig überprüft bzw. bewiesen werden können: Normativ~ Richtigkeit und Wahrhaftigkeit eines Sprechers können nie gänzlich geklärt werden. Es ist dieses Problem, das Habermas dazu veranlaßt hat, den pragmatischen Ansatz der unterstellten idealen Sprechsituation einzuführen. Bevor nun dargelegt werden kann, wie das Konzept der Verständigung und des kommunikativen Handeins Erklärungen gesellschaftlicher Prozesse ermöglicht, und damit der Schritt von der individuellen Handlungsebene zur Systemebene vollzogen wird, gilt es noch einen genaueren Blick auf das Lebenswelt-Konzept zu werfen.
(3) Das Lebenswelt-Konzept: Habermas schreibt48 : "Die Last der Plausibi-
lisierung von Geltungsansprüchen übernimmt prima facie ein unthematisch mitlaufendes, relativ vordergründiges Wissen, auf das sich die Beteiligten in der Form von pragmatischen und semantischen Voraussetzungen stützen. " Das von Husserl eingeführte und von Wittgenstein ausgearbeitete Lebenswelt-Konzept entspringt aus der Analyse der Bedingungen für Verständigung. Habermas erweitert dieses Konzept und benutzt es nicht phänomenologisch, sondern "formalpragmatisch" . 49 Es geht darum, die in bestimmten Sprechzu-
erst der Verständigung, sondern schon des Sprachverstehens selber." (S. 76). Auch der gesamte Sinn der "pragmatischen Wende" sei hier nur angedeutet (S. 127 f.): "In einer Sprache ist jede einzelne Sprechhandlung über logisch-semantische Fäden mit vielen anderen potentiellen Sprechhandlungen verknüpft, welche die pragmatische Rolle von Gründen übernehmen können. [ ... ] Die Orientierung an Geltungsansprüchen gehört zu den pragmatischen Bedingungen möglicher Verständigung - und des Sprachverstehens selber." 48 Habermas, 1992, S. 89.
49 Während der Systemfunktionalismus a la Luhmann mit seinen "grenzerhaltenden Systemen" sich vom intuitiven Wissen der Lebenswelt und ihrer Angehörigen vollkommen abschneidet, führt der hermeneutische Zugang zu diesem Wissenspotential notwendig über die (mindestens virtuelle) Teilnahme an der Kommunikation, läßt also keine sozialwissenschaftlich-theoretische Beobachterperspektive zu (vgl.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
199
sammenhängen immer schon mitgedachten Präsuppositionen zu analysieren. Und zwar ist es für Verständigung unmöglich denkbar, daß alle Geltungsanspruche je per diskursiven Sprechakten konsentiert würden. Vielmehr können Verständigung und kommunikatives Handeln nur im Horizont geteilter, und deshalb unproblematischer Hintergrundüberzeugungen stattfinden50 : "Dieser lebensweltliche Hintergrund dient als Quelle für Situationsdefmitionen, die von den Beteiligten als unproblematisch vorausgesetzt werden. Bei ihren Interpretationsleistungen grenzen die Angehörigen einer Kommunikationsgemeinschaft die eine objektive Welt und ihre intersubjektiv geteilte soziale Welt gegen die subjektiven Welten von Einzelnen und (anderen) Kollektiven ab. Die Weltkonzepte und die korrespondierenden Geltungsanspriiche bilden das formale Geriist, mit dem die kommunikativ Handelnden die jeweils problematischen, d.h. einigungsbedürftigen Situationskontexte in ihre als unproblematisch vorausgesetzte Lebenswelt einordnen. Die Lebenswelt speichert die vorgetane Interpretationsarbeit vorangegangener Generationen; sie ist das konservative Gegengewicht gegen das Dissensrisiko, das mit jedem aktuellen Verständigungsvorgang entsteht ...
Hintergrundüberzeugungen lassen sich differenzieren in solche, die - z.B. bei Mißverständnissen - problematisch und dann Gegenstand von Diskursen werden können ("situationsbezügliches Horizontwissen" und "themenabhängiges Kontextwissen"), und andererseits ein sogenanntes "lebenswelt1iches Hintergrundwissen" , welches selbst dem methodisch-forschenden Zugriff kaum zugänglich zu machen ist. 5 1 Letzteres zeichnet sich nach Habermas durch drei Eigenschaften aus 52 : ,,1. Sie ist den erlebenden Subjekten fraglos Habermas, 1992, S. 83 f.). Formalpragmatisch ist die Lebenswelt schlicht Bedingung für Verständigungsprozesse. Es ist der Symbolischen Interaktionismus nach G. H. Mead, der aus der (performativen) Teilnehmerperspektive harausführt in eine sozialwissenschaftlich-theoretische Beobachterperspektive.
50 Vgl. Habermas, 1988 I, S. 107 ff. 51 Das lebensweltliche Hintergrundwissen ist nur "Stück für Stück" durch methodische Anstrengungen, z.B. mit dem von Husserl entwickelten Verfahren der "eidetischen Variation", zugänglich, und auch nur in engen Grenzen. Deshalb hat schon Husserl das Krisenmotiv eingeführt. Nur in einer Krise können auch diese Tiefenschichten des Selbstverständlichen offengelegt werden (vgl. Habermas, 1992, S. 90 ff.). Auf diese Weise muß vorausgesetzt werden, daß Handelnde wissen, z.B.: wie man sich an Geltungsansprüchen orientiert und sich gegenseitig Zurechnungsfahigkeit imputiert; wie man Gegenstände identiftziert und so den Kontakt zwischen Sprache und Welt herstellt; wie man zwischen illokutionären und perlokutionären Zielen unterscheidet, die subjektive und die soziale Welt von der objektiven trennt, vom Handeln zur Argumentation übergeht usf. 52 Vgl. Habermas, 198811, S. 198-202, zitiert nach Reese-Schäjer, 1991, S. 37.
200
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
gegeben, so daß sie gar nicht problematisiert werden, sondern allenfalls zusammenbrechen kann. 2. Ihre Gemeinsamkeit geht jedem möglichen Dissens voraus. Sie kann nicht in intersubjektiv geteiltem Wissen kontrovers werden, sondern höhstens zerfallen. 3. Situationen wechseln, die Grenzen der Lebenswelt sind aber unüberschreitbar und bilden einen prinzipiell unerschöpflichen Kontext." Praktisch besteht die Lebenswelt "aus individuellen Fertigkeiten, dem intuitiven Wissen, wie man mit einer Situation fertig wird, und aus sozial eingeübten Praktiken, dem intuitiven Wissen, worauf man sich in einer Situation verlassen kann" . 53 Es ist hier nicht ein Anliegen, die Einzelheiten des Lebenswelt-Konzepts darzustellen. 54 Entscheidend ist, seine Funktion zu sehen, die es ausweist als (formalpragmatische) Bedingung für Verständigung: Nur auf dem vertrauten Hintergrund der Lebenswelt ist Verständigung unter Menschen überhaupt möglich. Zweitens aber ist das Konzept Grundlage für den Übergang zur Systemebene und die Beantwortung der Frage, wie aus "sozialem Handeln" soziale Ordnung entstehen kann. Denn bisher wurde die Lebenswelt aus der (individuellen) Teilnehmerperspektive vorgestellt. Gesellschaft ist aber "gleichzeitig als System und Lebenswelt zu konzipieren". 55
b) Gesellschaft als System und symbolisch strukturierte Lebenswelt "Bei zunehmender Rationalisierung der Lebenswelt kann die in der Sprache enthaltene Hintergrundüberzeugung zur Diskussion gestellt und zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht werden ... 56
Nachdem nun die individuellen Voraussetzungen des kommunikativen Handeins und die Bedeutung der "kommunikativen Rationalität" klarer sind, ist zu zeigen, wie daraus eine soziale Ordnung entstehen kann. Hierzu betrachten wir die Lebenswelt nicht weiter aus der Teilnehmerperspektive eines
53 Habermas, 1984, S. 593.
54 Vgl. zu Einzelheiten u.a. Habermas, 1992, S. 88 ff., wo er die Charakteristika für unthematisches Wissen, insbesondere seine unvermittelte Gewißheit, seine totalisierende Kraft sowie seinen Holismus herausstellt. 55 Vgl. Habermas, 198811, S. 180. 56 Detlef Horster, 1990 S. 29, der aufWittgenstein verweist.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
201
in der Gesellschaft handelnden Subjekts, sondern begreifen Gesellschaft nun als System von Handlungen und deren Koordinierung. War bisher die Lebenswelt als (pragmatische) Bedingung für Verständigung zu sehen, so steht nun die Reproduktion von Lebenswelt im Vordergrund. Das Wissen der Lebenswelt ist in der Sprache enthalten und reproduziert sich gewissermaßen über deren Aneignung bei der Ausbildung von Selbstbewußtsein. Sprachliche Symbole wiederum entstehen aus gesellschaftlicher Interaktion. Damit sind, stark verkürzt gesprochen, Sprache, Individuum und Gesellschaft direkt miteinander verwoben. Sprache und kommunikatives Handeln bilden das Gemeinsame einer aus Individuen bestehenden Gesellschaft, in die die Menschen hineinsozialisiert werden - in einem Prozeß gleichzeitiger Individualisierung und Vergesellschaftung. 57 Daraus folgt: "In kommunikativen Bildungsprozessen bilden und erhalten sich die Identität des Einzelnen und die des Kollektivs gleichursprünglich. "58 Stärker als bei allen anderen Aspekten kommunikativen Handeins erschaffen sich Menschen im normativen Handeln ihre Wirklichkeit selbst. Ihre Identität bildet sich an ihren Werten und Normen. Hier müssen die ausführlichen Erörterungen und Begründungen zum symbolischen Interaktionismus sowie zur Gesellschaft als sich durch Sprache reproduzierendes System übergangen werden. 59 Im Ergebnis rekonstruiert Habermas die Begriffe Kultur (kollektiver Wissensvorrat), Gesellschaft
57 Vgl. Habermas, 1992, S. 32, im Aufsatz "Metaphysik nach Kant": "Die reziproken, durch die Sprecherrollen festgelegten interpersonalen Beziehungen ermöglichen ein Selbstverhältnis, welches die einsame Reflexion des erkennenden oder handelnden Subjekts auf sich als vorgängiges Bewußtsein keineswegs voraussetzt. Vielmehr entsteht die Selbstbeziehung aus einem interaktiven Zusammenhang." und Habermas, 1992, S. 217: "Deshalb ist das ursprüngliche Selbstbewußtsein kein dem Subjekt innewohnendes, ihm zur Disposition stehendes, sondern ein kommunikativ erzeugtes Phänomen. "
58 Habermas, 1985, S. 1043, der fortfährt: "Mit dem System der Personalpronomina ist nämlich in den verständigungsorientierten Sprachgebrauch der sozialisatorischen Interaktion ein unnachgiebiger Zwang zur Individuierung eingebaut; über dasselbe Medium der Alltagssprache kommt aber zugleich die vergesellschaftende Intersubjektivität zum Zuge." 59 Vgl. ausführlich Habermas, 1988 H, Teil V., S. 7-170 und Teil VI. Zweite Zwischenbetrachtung: System und Lebenswelt, S. 171-194. Besonders aufschlußreich auch Habermas, 1992, S. 187-241: ,,8. Individuierung durch Vergesellschaftung. Zu George Herbert Meads Theorie der Subjektivität".
202
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
(legitime Ordnungen zur Solidaritätssicherung) und Persönlichkeitsstrukturen (Motive und Fertigkeiten, die ein Subjekt instandsetzen, zu sprechen und zu handeln und dabei die eigene Identität zu sichern), und argumentiert wie folgt 60 : "Man kann sich nun die Komponenten der Lebenswelt, nämlich die kulturellen Muster, die legitimen Ordnungen und die Persönlichkeitsstrukturen als Verdichtungen und Ablagerungen dieser durchs kommunikative Handeln hindurchlaufenden Prozesse der Verständigung, der Handlungskoordinierung und der Vergesellschaftung vorstellen. Was aus den Ressourcen des lebensweltlichen Hintergrundes ins kommunikative Handeln eingeht, durch die Schleusen der Thematisierung hindurchfließt und die Bewältigung von Situationen ermöglicht, bildet den Stock eines in der kommunikativen Praxis bewährten Wissens. Dieser verfestigt sich auf Bahnen der Interpretation zu Deutungsmustem, die tradiert werden; es verdichtet sich im Interaktionsnetz sozialer Gruppen zu Werten und Normen, auf dem Wege über Sozialisationsprozesse zu Einstellungen, Kompetenzen, Wahmehmungsweisen und Identitäten. Die Komponenten der Lebenswelt resultieren aus der, und erhalten sich durch die, Kontinuierung gültigen Wissens, die Stabilisierung von Gruppensolidaritäten und die Heranbildung zurechnungsfähiger Aktoren...
Kommunikativ Handelnde befinden sich in allen drei Welten (Kultur, Gesellschaft, Persönlichkeitsstrukturen) gleichzeitig, so wie kommunikative Handlungen gleichzeitig die drei Bedeutungsaspekte der Darstellung, des Ausdrucks und des Appells mit sich führen, um damit rationales Einverständnis und Verständigung zu erzielen. Die drei Welten sind miteinander und ineinander verschränkt. Sie sind keine Systeme, "die füreinander Umwelten bilden". "Aber ebensowenig bildet die Lebenswelt eine Art Behälter, in dem die Individuen wie die Teile eines Ganzen eingeschlossen wären. Die subjektphilosophische Denkfigur versagt nicht weniger als die systemtheoretische. "61
60 Habermns, 1992, S. 96. 61 Habermns, 1992, S. 100. Und später (S. 101): "Kulturell überlieferte Gehalte sind potentiell stets das Wissen von Personen; ohne die hermeneutische Aneignung und Fortbildung des kulturellen Wissens durch Personen bilden sich und erhalten sich keine Traditionen. [... ] Entsprechend sind normative Ordnungen, ob sie sich nun zu Institutionen verfestigen oder als flüchtige Kontexte in der Schwebe bleiben, immer Ordnungen von interpersonalen Beziehungen." Zur Kritik der Systemtheorie ausführlich Habermns, 198811, S. 295 ff.
.... ,
....
tI.f~.01)
- -
-
~
tll)ct
v~
Ressource
"'4(.1.:
t"1)
,
~
~
c: ·ü ~ .;
+ c:
c:
~
·N
.~
-;;
~
v -1-____ I
J,I.I
oll!
.E! . ·wo. -; !.t
g °i
::E
0
c: ~ .;
"'./
././
~.;)~\,
~
~~~'~'?/ fI:.:.-"":'
Ol).f. .... "
.,." ..........
l'.f"tI~ 41)0~. G ...... ftl" 1',0 %~, t"4.r, ~~.f.
" ......
- - - - I > Leistung
"
~,.~
[iUi~rJ
t
./
./ ././
w
o
N
[
'"8-
::z::
:-;-
ii·
'"
~
::I. (>
~o
~
~
~
~
~
tJj
;:=
204
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
c) Gesellschaftsdiagnose: Verrechtlichung in Wirtschaft und Verwaltung "Indem sich die Subsysteme Wirtschaft und Staat über die Medien Geld und Macht aus einem in den Horizont der Lebenswelt eingelassenen Institutionssystem ausdifferenzieren, entstehen formal organisierte Handlungsbereiche , die nicht mehr über den Mechanismus der Verständigung integriert werden, die sich von lebensweltlichen Kontexten abstoßen und zu einer Art normfreier Sozialität gerinnen ... Habermas 62
Es können hier nur einige Aspekte der vielfaltigen Denkanstöße herausgegriffen werden, die Habermas mit seinen gesellschaftskritischen Äußerungen gegeben hat. 63 Zur Analyse gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse hält Habermas v.a. die Medienanalyse für nützlich. Medien sind u.a. Geld und Macht, die im Konzept der Kommunikation zwar aufgehen, aber eine Art Spezialcode bilden. Die Subsysteme Wirtschaft und Staat mit den Lebenswelten Privatsphäre und Öffentlichkeit sind gewissermaßen die Prototypen einseitig auf den Aspekt der Zweckrationalität strategischen Handeins ausgerichteter Gesellschaftsbereiche. Nun ist das Problem moderner Gesellschaften, grob gesprochen, die Verrechtlichung von Lebensweltbereichen, die sich hierfür nicht eignen, weil sie auf die sinnstiftenden Funktionen verständigungsorientierter Interaktionen angewiesen sind: "Es geht darum, Lebensbereiche, die funktional notwendig auf eine soziale Integration über Werte, Normen und Verständigungsprozesse angewiesen sind, davor zu bewahren, den Systemimperativen der eigendynamisch wachsenden Subsysteme Wirtschaft und Verwaltung zu verfallen und über das Steuerungsmedium Recht auf ein Prinzip der Vergesellschaftung umgestellt werden, das für sie dysfunktional ist. "64 Dysfunktional ist eine zu
62 Habermas, 198811, S. 455.
63 Vgl. Habermas, 1992, S. 234: "In der Soziologie ist es üblich, Prozesse der gesellschaftlichen Modernisierung unter zwei verschiedenen Aspekten zu beschreiben: als funktionale Differenzierung des gesellschaftlichen Systems und als Enttraditionalisierung der Lebenswelt. .. Uns interessiert v.a. der erste Aspekt der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Vgl. auch Habermas, 198811, S. 489 ff. und 548 ff. 64 Habermas, 198811, S. 547.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
205
weit getriebene Verrechtlichung, da sie zu einer "Kolonialisierung" der individuellen Lebenswelt führe, und zwar weil einerseits die Gesellschaft in Funktionsbereiche ausdifferenziert wird, in denen Individuen nur noch Funktionsträger sind, ohne vollkommene Integration zu erfahren, während sich die Differenzierungslinien dieser Funktionen wandeln; andererseits sich das Individuum aber in der Lage befindet, sich seine soziale Welt als eine selbst und in Eigenleistung aufgebaute vorstellen zu müssen. Dazu ist es aber nicht ausschließlich aus sich selbst heraus und vollkommen rational fähig, sondern bedarf des interpersonellen (genauer: interkommunikativen) Zusammenhangs, wie er nur aus dem symbolischen Interaktionismus a la Mead denkbar ist und sich über die Sprache und das kommunikative Handeln der Erklärung und Nachempfindung erschließt65 : Die Verrechtlichung führt zur Bürokratisierung und Monetarisierung von Kernbereichen der Lebenswelt. 66 Die Ausdifferenzierung verschiedener Gesellschaftsbereiche in deutlich unterscheidbare Handlungsdimensionen von strategischem, normativem und dramaturgischem Handeln wird von Habermas nicht per se negativ bewertet. Solche Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsprozesse können durchaus handlungs- und begründungsentlastende Wirkung haben. Entsprechend unterscheidet er Prozesse der Verrechtlichung danach, "ob sie sich an die vorgängigen Institutionen der Lebenswelt anschließen und sozial integrierte Handlungsbereiche rechtlich überformen, oder ob sie die für systemisch integrierte Handlungsbereiche konstitutiven Rechtsbeziehungen nur verdichten". 67 Erstere führen, wie gesagt, per Kolonialisierung zur Zersetzung der Lebenswelt. Außerdem leben solche Handlungsbereiche sozusagen parasitär von den weiterhin integrierend wirkenden Lebensweltbereichen, die auch die Rationalitätsdimensionen der Richtigkeit und Wahrhaftigkeit sozial kultivieren. Bei den Systemen Rechtsprechung, Wirtschaft und Politik, so Habermas, muß man sich fragen, ob sie sich mit ihren Eigengesetzmäßigkeiten nicht längst von ihrem Zweck, für den sie erschaffen wurden, gelöst haben. Es ist ein Prozeß,
65 Vgl. Habermas, 1992, S. 234 ff. 66 Horster, 1990 S. 92, schreibt zusammenfassend: "Das, was .oben hinsichtlich der kulturellen Entwicklung als Entzauberung bezeichnet wurde, kann mit Weber, Marx und Lukäcs für die Dimension menschlicher Erfahrung und menschlichen Handelns Verdinglichung genannt werden. Verdinglichung ist das Reduzieren eines Handelns, das erst durch Sinngebung und normative Rechtfertigung zur Geltung kommt, auf sein rein zweckrationales Element. " 67 Habermas, 1981 11, S. 537.
206
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
der an die "Entsprachlichung" von Recht und Wirtschaft durch Macht und Geld, die indes - so scheint Habermas anzunehmen -, natürliche Schranken hat. Hierzu Horster, 1990 S. 95: Die Instrumentalisierung der Vernunft, wie man die einseitige Betonung der Zweck-Mittel-Rationalität philosophisch bezeichnet, kann nicht bis ins Unendliche weitergetrieben werden. Praktisch-politisch formuliert: Man kann das Individuum durch Systemintegration (Belohnung-Bestrafung) nicht in jeder Hinsicht an die Gesellschaft binden, und objektivierende sozialwissenschaftliche Forschung kann nur sehr begrenzt »wahre« Aussagen über Menschen machen. Schließlich bleibt normative Legitimation in der Politik unumgänglich. Wissenschaftlich gesprochen: Soziale Prozesse können nicht vollständig objektiviert werden, wenn man an einem alles umfassenden Anspruch, menschliches Verhalten zu verstehen und zu erklären, festhalten will.
Diese Überlegungen werden noch vertieft.
2. Kritik und GegenübersteUung zur Ökonomik
Soweit die einführende Darstellung der Theorie des kommunikativen Handelns. Im folgenden erfolgt (a) die Gegenüberstellung mit der Ökonomik. Zum einen, um (b) die Erklärungsdefizite der Ökonomik für praktische Fragen der sozialen Ordnung aus verständigungsorientierter Sicht zu begründen. Zum anderen, um (c) deutlich werden zu lassen, wie die Theorie des kommunikativen Handeins eine zur Ökonomik sozialwissenschaftlich überlegene Theoriesicht entfaltet. Es sei vorab angemerkt, daß es nicht darum gehen kann, eine fundierte Kritik der Habermas' schen Theorie auszuarbeiten. Diese Aufgabe wäre im vorgegebenen Rahmen kaum erfüllbar. Ich begnüge mich deshalb auf eine kurze Darstellung im nächsten Abschnitt sowie mit Hinweisen und relevanten Literaturangaben. 68 Mein Anliegen in dieser Arbeit ist es vielmehr, die Erklärungsmöglichkeiten und Defizite der Ökonomik herauszuarbeiten. Für diesen Zweck kann die Kritik an der Theorie des kommunikativen Handeins auf ein unbedingt notwendiges Minimum beschränkt werden.
68 Vgl. das Kapitel: ansatzes" , s.u. S. 224 ff.
"Grenzen des verständigungs orientierten Erklärungs-
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
207
a) Gegenüberstellung Die vorangegangenen Darstellungen sollten u.a. zeigen, daß eine einfache Gegenüberstellung von Ökonomik und Theorie des kommunikativen HandeIns nicht gelingen kann. Zu verschieden sind die Argumentationsebenen. Und doch treten beide mit dem Anspruch auf, soziale Phänomene, insbesondere auch Rechts- und Politikprozesse mit ihrem Instrumentarium erklärbar zu machen. Dieses Kapitel dient dazu, einen Überblick über die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Theoriegebäuden zu schaffen, bevor im Anschluß (Kapitel b: Defizite der Ökonomik aus verständigungsorientierter Sicht, S. 207 ff.) eine fundierte Kritik der Ökonomik geleistet wird. Ökonomik repräsentiert vollständig einen Spezialfall der Theorie des kommunikativen HandeIns. Es ist der zweckrationale Anteil kommunikativen Handelns. Zu den ökonomischen, operiert die Theorie des kommunikativen Handelns immer noch zusätzlich mit weiteren Aspekten, vgl. nachstehende Tabelle 4: Theoriegegenüberstellung. Kommunikatives Handeln stellt neben den theoretischen Diskurs, der ursächliche Erklärungen über behauptete Wahrheiten in der objektiven Welt liefert, den praktischen Diskurs, der begründend Rechtfertigungen über gebotene Richtigkeit oder bewertete Angemessenheit (Wahrhaftigkeit) erlaubt.
b) Defizite der Ökonomik aus verständigungsorientierter Sicht "Für den sozialwissenschaftlichen Beobachter können also in der Lebenswelt, die er analysiert, Handlungssequenzen (und unter Umständen Handlungssysteme) auftreten, die nicht über Werte, Normen und Verständigungsprozesse, sondern allenfalls über gegenseitige Beeinflussung, z.B. durch Markt- oder Machtbeziehungen, integriert sind ... 69
Die Theorie des kommunikativen HandeIns kann als eine der Ökonomik überlegene Theoriesicht bezeichnet werden, weil sie die Ökonomik als einen Spezialfall beinhaltet. Für sie liegen die ökonomischen Annahmen der Zweckrationalität und Eigennutzmaximierung in Gesellschaftsbereichen vor, die
69 Habermas, 1992, S. 98.
208
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
Tabelle 4: Theoriegegenüberstellung70 UnterscheidungsKriterium
Ökonomik (ausschließlich)
Theorie des kommunikativen Handeins (zusätzlich)
Rationalitätstyp
Zweckrationalität
kommunikative (Wert-) Rationalität
Paradigma
Bewußtsein und Denken
Sprechen und Selbsterkenntnis
Einstellung des Handelnden
zielgerichtet
perfonnativ
Aktionsmittel
Handlungen
Gründe
Erfolgskriterium
Gelingen
Richtigkeit und Angemessenheit
Einsichtsmotive
Macht, Drohung, Sanktion, Kosten
diskursive Gründe und Geltungsansprüche
Freiwillige soziale Ordnung aus:
Gegenseitigkeitserwartungen auf der physischenEbene
Gegenseitigkeitserwartung hinsichtlich Verständigungseinstellung
Diskursart
theoretischer Diskurs
praktischer Diskurs
Sprechhandlungen Behauptungen
Gebote und Bewertungen
Wahrheit kontroverser Geltungsanspruch
Richtigkeit und Angemessenheit
Begründungen
Erklärungen
Rechtfertigungen
"data"
Ursachen (bei Ereignissen)
Gründe
Motive (bei Handlungen) "warrant"
empirische Gleichförmigkei- Handlungs-I Bewertungsten, Gesetzeshypothesen nonnen oder Prinzipien
"backing"
Beobachtungen, Befragungsergebnisse, Feststellungen
Angaben von gedeuteten Bedürfnissen (Werten), Folgen, Nebenfolgen etc.
70 Vgl. u.a. Habermas, 1988 I, S. 44 ff., 1984, S. 162 ff., sowie Horster, 1990,
S. 46 ff.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
209
nach strategischen Handlungsmustern ausdifferenziert sind, namentlich Wirtschaft und Staat (bzw. Verwaltung). In diesen Gesellschaftsbereichen wird die Komplexität individueller Entscheidungsfindung über die Steuerungsmedien Geld und Macht reduziert. Sie liegen in modemen Gesellschaften in Form verrechtlichter und institutionalisierter Interaktionen vor. Außerhalb dieser ausdifferenzierten Bereiche finden zwar auch strategisch-zielgerichtete, also zweckrationale Handlungen statt, diese sind aber als ein Versagen aufzufassen, in denen kommunikatives Handeln ausgesetzt wird und zum strategischen verkommt. Dann teilen die Handelnden nicht mehr eine gemeinsame Lebenswelt. Gleichwohl - und das kann gar nicht deutlich genug hervorgehoben werden - sind auch diese Bereiche, also v.a. Macht- und Marktbeziehungen (aber sogar Kriege), in umliegende Verständigungsbereiche eingebettet und von diesen abhängig. Sie entwickeln sich sozusagen auf einer zweckrationalen "Institutionen-Insel" in einem Meer verständigungsorientierter gesellschaftlicher Interaktionen. Zu der Einsicht, daß auch Markthandlungen institutionell abgesichert sein müssen, haben sich mittlerweile nicht nur Ökonomen der Neuen Institutionenökonomik durchgerungen. Habermas ist es aber mithilfe der Integration des symbolischen Interaktionismus eines G. H. Mead und dem erweiterten Lebenswelt-Konzept gelungen zu erkliiren, wie Verständigungsprozesse zur Emergenz sozialer Ordnungen führen: nämlich dadurch, daß die Ontogenese des Selbstbewußtseins über sprachlichkommunikative Verständigungsprozesse ausgebildet wird und sich Werte und N armen aus sprachlicher Interaktion bilden und verändern - und selbst wieder auf die Sprache zurückwirken. Die Kritik an der Ökonomik, die hier allein auf ihre mangelhafte Erklärungskraft für Sozialphänomene abstellt, kann auf verschiedenen Argumentationsebenen erfolgen. Nähern wir uns von der untersten Abstraktionsebene, (1) der Empirieschwäche, um über (2) die Defizite in der sozialwissenschajtlichen Anschlußfähigkeit schließlich (3) zum philosophischen Grundproblem vorzustoßen. Durch dieses Vorgehensweise kann man wohl am besten zu einer Erkliirung der Defizite der Ökonomik kommen. (1) Empirieschwäche: Die gescheiterten Erklärungsversuche dieser Arbeit haben für das praktische GAIT-Problem (Verzichts auf rechtliche Durchsetzungsversuche) exemplarisch verdeutlichen können, daß empirische Fragestellungen mit einem ökonomischen Instrumentarium nicht hinreichend klärbar sind. Die obigen allgemeinen Ausführungen zu den "Erklärungslücken der Ökonomik" (S. 174 ff.) waren darauf angelegt, das einstweilen nur exempla1~
Kopkc
210
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
risch erzielte Ergebnis - zumindest bzgl. der empirischen Aussagefähigkeit der Ökonomik - auf die ökonomischen Grundannahmen und die daraus erzwungene Art der Fragestellungen nach Knappheit und Kosten und Nutzen zurückzuführen und damit zu der generellen Aussage zu kommen: Ökonomik ermöglicht keine brauchbaren Erklärungen gesellschaftlicher Rechts- und Politikprozesse. Die Theorie des kommunikativen Handeins konnte eine erste Erklärung für diese "Empirie-Blindheit" der Ökonomik bereitstellen: Ökonomik blendet mit ihrem ausschließlichen Fokus auf zweckrationale Entscheidungsprozesse wichtige Bereiche der Rationalität aus und ist deshalb höchstens für eng umgrenzte Lebensbereiche erklärungskräftig, nämlich insbesondere für die rechtlich-institutionell eingemauerten Bereiche Marktwirtschaft und Verwaltungshandeln. Mit dieser eingeschränkten Forschungsperspektive auf zweckrationale Subsysteme gelangt die Ökonomik im Ergebnis aber bestenfalls zu einer Klärung der Strukturen der Zwecktätigkeit. Angewendet auf vornehmlich verständigungsorientierte Lebensbereiche, wie Familie und andere noch wenig institutionalisierte Interaktionssphären, ist ihre empirische Brauchbarkeit wegen der restriktiven handlungstheoretischen Grundannahmen gering. Hier wird mit der Ökonomik bestenfalls eine Methode der Begriffsanalyse betrieben und ihre Aufgabe mißverstanden als die einer metatheoretischen Klärung von Grundbegriffen.
(2) Defizite in der sozialwissenschajtlichen Anschlußfähigkeit: Ökonomik findet keinen Anschluß an sozialwissenschaftliche Theorie- und Begriffsbildung - wird er überhaupt gesucht? Vielmehr erzeugt sie einen Satz von theoretischen Problemen, die für die Zwecke der Gesellschajtstheorie zu unspezifisch sind. Dies soll bezogen auf die (individuelle) Rationalitätsproblematik und die soziale Ordnung noch näher ausgeführt werden. Rationalitätsproblematik: Das entworfene atomistische Handlungsmodell eines einsamen Aktors, der nur zweckrational in die soziale Welt eingreift, ganz so wie in die physische, die er instrumentell handhabt, vernachlässigt diejenigen Aktor-Welt-Bezüge, die für die Erklärung sozialer Interaktion notwendig sind. Daran ändern auch die wenig durchdachten Integrationsversuche von Werten und Normen, kurz: " Institutionen" , und auch die Annahme begrenzter individueller Informationsaufuahme-, -verarbeitungs und -übermittlungsfähigkeiten ("bounded rationality") nichts, da sie nicht zu einem geschlossenen Handlungmodell integriert werden können, solange ihre Widersprüchlichkeit mit der zentralen Annahme der Zweckrationalität nicht berück-
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
211
sichtigt wird. 71 Für den sozialwissenschaftlichen Beobachter können daraus die Mechanismen der Handlungskoordinierung, durch die interpersonale Beziehungen zustande kommen und zu Ordnungen gerinnen, nicht aufgedeckt werden. Das Konzept der Verständigung kann in ein zweckrationales Zielsystem der Ökonomik auch nicht integriert werden. Es ist nämlich nicht dasselbe, ob handelnde Individuen Verständigung als eines ihrer Ziele begreifen, das sie zweckrational verfolgen, oder ob Verständigung eine Grundvoraussetzung für eben jene soziale Interaktion selbst ist und die individuelle Bewußtseinsbildung nur über den Verständigungsprozeß überhaupt plausibel erklärbar ist. Verständigung kann also nicht als eine in Entscheidungen zur freien Disposition stehende oder auch nur individuell verschieden vorliegende Präferenz behandelt werden, weil sie selbst Bedingung der Möglichkeit für Erkenntnis und Interesse, Sinn und Lebenswelt ist, deren sich Individuen in ihren sozialen Interaktionen je neu vergewissern müssen. Dazu gleich noch einige philosophische Anmerkungen (s. S. 212).
Soziale Ordnung: Verständigung ist bei der Erklärung sozialer Interaktion unerläßlich. Sie ist dem Begriff der sozialen Ordnung selbst inhärent - sofern man ihn nicht auf naturwissenschaftliche Ereignisse reduziert. Die (umgekehrte) Vorstellung, daß sich soziale Ordnung allein über Konsensbildungsprozesse sollte ausbilden können, ist absurd. Neben der immanenten Tautologie ("doppelte Kontingenz der Normenanalyse") sieht Habermas zusätzlich das hohe praktische Dissensrisiko eines wie auch immer vermittelten Einigungsprozesses.72 Schließlich erhält das Dissensrisiko ständig neue Nah-
71 Dadurch wird die Ökonomik: auch als Handlungstheorie problematisch; vgl. schon Wohlrapp, 1979. Hierzu meint Habermas, 1992, S. 82, überzeugend, erst das Konzept des kommunikativen Handeins sei ein Konzept, das - "im Sinne einer schwachen transzendentalen Notwendigkeit" - aus der Egozentrik einer zweckrationalen Ausrichtung herauszutreten, "und sich den öffentlichen Kriterien der Verständigungsrationalität zu stellen" erlaubt. Nur mit ihm kann das Problem der doppelten Kontingenz der Normenanalyse sinnvoll angegangen werden. Habermas sieht seit Hobbes keine überzeugende Antwort auf dieses, aus der Zweckrationalitätserwägung entstehende Problem. 72 Interessant sind seine Ausweichüberlegungen für den Fall, daß ein Dissens einmal stattgefunden hat (vgl. Habermas, 1992, S. 84 f.): "Einfache Reparaturleistungen; Dahinstellen und Ausklammern kontroverser Geltungsansprüche mit der Folge, daß der gemeinsame Boden geteilter Überzeugungen schrumpft; Übergang zu auf-
212
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
rung durch neue Erfahrungen, die somit einen "Springquell von Kontingenz" darstellen. Auf dieses "Erfahrungsproblem" waren wir schon bei der Analyse von vertrags- und verfassungsökonomischen Ansätzen sowie bei der Institutionenökonomik gestoßen. Die grundlegende Erfahrung des Vertragsbruchs bzw. von Vertragsverletzungen und -umgehungen sowie sonstiger Normenund Regelabweichung könnte zu immer ausgefeilteren Vertrags- und Verfassungskonstruktionen führen, ohne indes dabei das eigentliche sozial wissenschaftliche und praktische Konsensproblem aufzulösen. Wohlgemerkt dienen ja "Institutionen" auch der Ökonomik zur Reduktion von Komplexität. Anders als beim Habermas' schen Lebenswelt-Konzept bietet die Ökonomik aber keine überzeugenden Ansätze zur Erklärung der Emergenz oder Veränderung von Institutionen. Zaghafte Versuche sind weit entfernt vom Ausarbeitungsstand der Lebensweltanalyse. Ökonomik scheitert mithin in dem Versuch, Institutionen in ihre Analyse zu endogenisieren, aus konzeptionellen Gründen. (3) Das philosophische Grundproblem: Da die Ökonomik die Rationalität von Zweck-Mittel-Beziehungen in den Vordergrund stellt, indem sie Handlungen allein als zwecktätige Eingriffe in die objektive Welt begreift, konzipiert sie Handlungen unter der ontologischen Voraussetzung genau einer Welt existierender Sachverhalte. Damit verfällt sie in die alten Weisen einer Bewußtseinsphilosophie, die die Grenzen des Denkens auszuloten trachtete und untrennbar mit den Namen Descartes und Kant verbunden bleibt. Während philosophisch der Paradigmenwechsel zu einer Sprachphilosophie ("linguistische Wende") längst vollzogen ist, schlagen sich Ökonomen noch immer mit dem uralten Problem herum, wie aus einer (sozialwissenschaftlichen) Beobachterperspektive auf die individuellen Motive des Handeins geschlossen werden könnte. Dabei ist aus der Sicht eines richtig verstandenen Individualismus von vornherein klar, daß ein solcher Schluß logisch unmöglich ist, ohne wenigstens fiktiv (oder: "virtuell") in die Teilnehmerperspektive gewechselt zu haben. Solange die so naheliegende Unterscheidung zwischen Beobachter- und Teilnehmerperspektive so offensichtlich ignoriert wird, ist Ökonomik trotz aller "Als-ob-Interpretationen" und "conjectural history" methodologisch unhaltbar. Gegen die Ökonomik verdichtet sich der uralte hermeneutische Voraussetzungsvorwurf des "immer schon" aller Welterklärungen zu einem haltlosen Rückfall in korrespondenztheoretische Wahrheitskategorien, ein Rückfall, der sich an sozialen Fragestellungen schon überlange wendigen Diskursen mit ungewissem Ausgang und Problematisierungseffekten; Abbruch der Kommunikation oder schließlich; Umstellung auf strategisches Handeln ...
H. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
213
erfolglos abgearbeitet hat. 73 Daß Ökonomik mit ihrer theorielastigen Begriffslogik weit entfernt von jeglichem Pragmatismus verharrt, sei dabei nur erwähnt. Freilich stellt sich die entscheidende Frage, ob die zu so radikaler Kritik befahigende Perspektive einer verständigungsorientierten Theorie selbst überzeugendere Erklärungsmöglichkeiten für praktisch-konkrete Gesellschaftsfragen eröffnet, oder nicht in einem wohlfeilen Eklektizismus steckenbleibt. Es gilt die Vermutung zu entkräften, daß die als so dringend notwendig erachtete Ausweitung des Rationalitätsbegriffs nicht umgekehrt seine methodische Handhabbarkeit zerrüttet und für theoretische Modelle zu unspezifisch wird. So läßt sich zusammenfassen74 :
Zusammengenommen liegen die Hauptprobleme der Ökonomik darin, daß sie nur eine Klärung der Strukturen der Zwecktätigkeit unternimmt, indem sie mit der Methode der Begriffsanalyse und einer relativ engen Problemjassung ein atomistisches Handlungsmodell eines einsamen Aktors entwirft und dabei Mechanismen der Handlungskoordinierung, durch die interpersonale Beziehungen zustande kommen, vernachlässigt. Sie konzipiert Handlungen unter der ontologischen Vorraussetzung genau einer Welt existierender Sachverhalte und vernachlässigt diejenigen Aktor-Welt-Bezüge, die für soziale Interaktion notwendig sind, weil sie die Rationalität von Zweck-Mittel-Beziehungen in den Vordergrund stellt, indem sie Handlungen allein als zwecktätige Eingriffe in die objektive Welt begreift. Zudem versteht die Ökonomik ihre Aufgabe als die einer metatheoretischen Klärung von Grundbegriffen und achtet nicht auf die empirische Brauchbarkeit handlungstheoretischer Grundannahmen. Damit findet sie kaum Anschluß an die sozialwissenschajtliche Begriffsbildung und erzeugt vielmehr einen Satz von theoretischen Problemen, die für die Zwecke der Gesellschajtstheorie zu unspezijisch sind.
73 Vgl. auch Habermas, 1992, S. 149: "Nun läßt sich aber ein privater, sei es vorsprachlicher oder auch nur monologischer Zugang zu Geltungsbedingungen nur um den Preis einer nach meiner Auffassung unhaltbaren Korrespondenztheorie der Wahrheit verteidigen." 74 In Anlehnung an Habermas, 1988 I, S. 369 ff.
214
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
c) Warum Habennas? "Die Theorie des kommunikativen Handelns nimmt die Spannung zwischen Faktizität und Geltung schon in ihre Grundbegriffe auf. Mit dieser riskanten Entscheidung wahrt sie den Anschluß an die klassische Auffassung eines, wie immer auch vermittelten, internen Zusammenhangs zwischen Gesellschaft und Vernunft, also zwischen Beschränkungen und Zwängen, unter denen sich die Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens vollzieht, einerseits und der Idee einer bewußten Lebensführung andererseits ... 75
Die Theorie des kommunikativen Handeins ist nicht die einzige, die Ökonomik umgreifende und vollständig als Spezialfall führende Theorie. 76 Deshalb bedarf es der Begründung, warum gerade diese Theorie für eine Gegenüberstellug und Fundamentalkritik der Ökonomik als geeignet gewählt wurde. Eine Beantwortung in wenigen Sätzen ist schwierig. Deshalb soll gezeigt werden, in welche übergeordnete "moralphilosophische" Überlegungen Habennas die Theorie stellt. Hierzu zeichen wir nach, wie Habennas das Konzept der kommunikativen Vernunft für die Erklärung von Rechts- und Politikprozessen nutzbar zu machen gedenkt. 77 Diese ihn als Philosoph und Soziologen ausweisenden Ausführungen sollen stellvertretend für viele Einzelargumente die Aktualität, Tragweite und Tragfähigkeit der Theorie des kommunikativen Handeins und der Diskursethik zur Erklärung beobachtbarer gesellschaftlicher Phänomene vorführen. 78 Ich begreife insofern die Theorie des kommunikativen Handeins gleichennaßen als Radikalisierung und konsequente Weiterentwicklung der Ökonomik, indem sie ihre Grundannahmen überprüft und berichtigt.
75 Babermas, 1993, S. 23. 76 Z.B. der über Kommunikationscodes operierende Systemfunktionalismus nach Parsons und Luhmann erfüllt u.U. diese Bedingungen. Dabei entfernt er sich meines Erachtens aber so weit vom methodologischen Individualismus, daß er hier nicht weiter zu berücksichtigen ist. 77 Die folgenden Ausführungen lehnen sich im wesentlichen an die Ausführungen in Babermas, 1993: "Faktizität und Geltung" an, in denen er die Diskurstheorie des Rechts zur Erklärung realgesellschaftlicher Rechts- und Politikprozesse nutzt.
78 Vgl. Apel, 1992.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
215
Kommunikative Vernunft als Mittlerin zwischen Faktizität und Geltung: Die klassische praktische Vernunft im aristotelischen Sinne wurde durch die neuzeitliche Umstellung in eine Subjektphilosophie sinnentleert, das Individuum sozusagen aus seinem gesellschaftlichen Zusammenhang gerissen und nur über mühsame Hilfskonstruktionen - allerdings erfolglos - wieder zu verankern versucht. Individuelle und gesellschaftliche Vernunft, also die Eingebundenheit individuellen HandeIns in gesellschaftliche Sinnzusammenhänge, fallen - so auch in der Ökonomik - unversöhnlich auseinander, sowohl in Modellen eines gesellschaftlichen Funktionalismus, wie auch in solchen empiristischer Relativität. 79 Dagegen setzt Habermas das Konzept der kommunikativen Vernunft, das als Weiterentwicklung der neuzeitlichen praktischen Vernunft das Individuum aus den Irrwegen einer reinen Subjektphilosophie zurückführt in den Sinnzusammenhang einer sprachlich vermittelten gesellschaftlichen Interaktion80 : "Ich habe deshalb mit der Theorie des kommunikativen Handelns einen anderen Weg eingeschlagen: an die Stelle der praktischen Vernunft tritt die kommunikative. Das ist mehr als ein Etikettenwechsel. [ ... ] Die kommunikative unterscheidet sich von der praktischen Vernunft zunächst dadurch, daß sie nicht länger dem einzelnen Aktor oder einem staatlich-gesellschaftlichen Makrosubjekt zugeschrieben wird. Es ist vielmehr das sprachliche Medium, durch das sich Interaktionen vernetzen und Lebensformen strukturieren, welches kommunikative Vernunft ermöglicht. Diese Rationalität ist dem sprachlichen Telos der Verständigung eingeschrieben und bildet ein Ensemble zugleich ermöglichender und beschränkender Bedingungen. Wer immer sich einer natürlichen Sprache bedient, sieht sich genötigt, eine performative Einstellung einzunehmen und sich auf bestimmte Präsuppositionen einzulassen. Er muß unter anderem davon ausgehen, daß die Beteiligten ihre illokutionären Ziele ohne Vorbehalte verfolgen, ihr Einverständnis an die intersubjektive Anerkennung von kritisierbaren Geltungsansprüchen binden und die Bereitschaft zeigen, interaktionsfolgenrelevante Verbindlichkeiten, die sich aus einem Konsens ergeben, zu übernehmen. Was derart in die Geltungsbasis der Rede eingelassen ist, teilt sich auch den übers kommunikative Handeln reproduzierten Lebensformen mit. Die kommunikative Rationalität äußert sich in einem dezentrierten Zusammenhang transzendental ermöglichender, strukturbildender und imprägnierender Bedingungen, aber sie ist kein subjektives Vermögen, das den Aktoren sagen würde, was sie tun sollen ...
79 Habermas, 1993, S. 16, schreibt zur modernen Systemtheorie: "Von der Selbstbehauptung der naturalistisch begriffenen Individuen bei Hobbes führt die Linie einer konsequent verfolgten Eliminierung praktischer Vernunft bei Luhmann zur Autopoiesis selbstbezüglich gesteuerter Systeme ... 80 Habermas, 1993, S. 17 f.
216
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
Dabei verfällt die kommunikative Vernunft nicht in die anmaßenden Wege
klassischer praktischer Vernunft normativer Vorgaben: "Die kommunikative
Vernunft [... ] hat einen normativen Gehalt nur insofern, als sich der kommunikativ Handelnde auf pragmatische Voraussetzungen kontrafaktischer Art einlassen muß. Er muß nämlich Idealisierungen vornehmen - z.B. Ausdrücken identische Bedeutungen zuschreiben, für Äußerungen einen kontextüberschreitenden Geltungsanspruch erheben, den Adressaten Zurechnungsfähigkeit, d.h. Autonomie und Wahrheit, sich und anderen gegenüber, unterstellen. "81 Statt an Normen, kann sich der kommunikativ Handelnde an Geltungsansprüchen orientieren, ohne daß diese für ihn zwingenden Charakter haben. Vielmehr kommt es bei der Regeleinhaltung darauf an, daß diese rational einsichtig sind und dieser Geltungsanspruch diskursiv eingelöst werden kann.
Habermas macht klar, warum es nicht trivial ist, bei der Analyse von Gesellschaftssystemen, Rechts- und Demokratieprozessen bei einem Vernunftund Rationalitätskonzept anzusetzen: Weil nur über die sozialintegrativen Kräfte von rational motivierten Verständigungsprozessen "die auf der Basis einer aufrechterhaltenen Gemeinsamkeit von Überzeugungen Distanzen und anerkannte Differenzen" Konflikte begrenzt werden können. Einer an Geltungsansprüchen orientierten und auf normative Traditionen rekurrierenden Rechtstheorie wird zwar vom systemtheoretischen Funktionalismus vorgeworfen, obsolet zu sein und eine theoretische "Engführung" faktischer gesellschaftlicher Komplexität vorzunehmen. 82 Dagegen versichert Habermas, den (bisher auf individuelle Willensbildung zugeschnittenen) diskurstheoretischen Ansatz, der mit dem Konzept der kommunikativen Rationalität und Vernunft sowie des kommunikativen Handeins einhergeht, auch für Rechtsfragen fruchtbar machen zu können und damit die Dichotomie zwischen objektivistisch-funktionalistischer Faktizität und normativistisch-idealisierender Geltung teilweise aufheben zu können. Wie dieser theoretische Anspruch eingelöst werden kann, soll in den folgenden Ausführungen am konkreten Beispiel der aufgeworfenen GATIProblematik überprüft werden.
81 Habermas, 1993, S. 18. 82 Vgl. Luhmann, 1986, S. 51, Fn. 28.
H. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen HandeIns
217
3. Erklärungspotential für die Verhältnisse im GATT "Kommunikatives Handeln unterscheidet sich also vom strategischen dadurch, daß sich eine erfolgreiche Handlungskoordinierung nicht auf die Zweckrationalität der Handlungsorientierungen, sondern auf die rational motivierende Kraft von Verständigungsleistungen, d.h. auf eine Rationalität zurückführen läßt, die sich in Bedingungen für kommunikativ erzieltes Einverständnis manifestiert. " Habermas 83
Habennas hat nicht explizit über das GATI oder Aspekte des internationalen Handels geschrieben. 84 Zur Erklärung der gestellten GATI-Frage ist es also zunächst erforderlich, in den Begriffen der Theorie eine plausible Hypothese zu fonnulieren, die alsdann überprüft werden kann. Hierzu werden (a) die Vertragsschlüsse und Vertragsanwendungen der GATI-Verträge als verständigungsorientierte Handlungen rekonstruiert und (b) der Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche als Handlungen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der diskursiven Verständigungshaltung zwischen den Vertragsparteien interpretiert. An den methodischen Schwierigkeiten können (c) die Grenzen dieses Ansatzes für die konkrete Frage aufgedeckt und verallgemeinert werden.
a) Vertragsschluß und -anwendung als kommunikative Verständigungshandlungen Die am GATT-Diskurs beteiligten Akteure richten ihre Handlungen auf ein rational zu erzielendes Einverständnis aus. Thre Handlungszwecke bestehen also nicht, wie in der Ökonomik unterstellt, ausschließlich in diesen oder jenen Präferenzen oder Zielen, die sie je für sich zweckrational zu verwirklichen trachten. Sondern sie verfolgen das Ziel der Verständigung per rationa-
83 Bahermas, 1992, S. 130.
84 Bahermas, 1993, diskutiert aber (soziologische) Fragen der sozialen Ordnung sowie gesamtgesellschaftlicher Rechts- und Politikphänomene, die meines Erachtens von Fragen der internationalen Ordnung kaum noch zu trennen sind.
218
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
lem Einverständnis. 85 Es geht ihnen also nicht allein darum, das GATT und seine Regeln als Wahrheiten dieser Welt zu etablieren, sondern zudem immer auch darum, Einverständnis über deren (normative) Richtigkeit zu erlangen und dabei die Angemessenheit (Wahrhaftigkeit) ihrer Selbstdarstellungen zu gewahren. Rationales Einverständnis muß aber nicht nur beim Vertragsschluß, sondern je neu bei der Umsetzung und Anwendung von Verträgen erarbeitet werden. Dies wird deutlich wenn man bedenkt, daß das GATT - wie die meisten internationalen Verträge - in seinem Regelwerk weite Interpretationsspielräume eröffnet und außerdem immer wieder sachlich kontroverse Forderungen aus den verschiedensten und auch unerwartetsten Richtungen aufttreten können, besonders weil "organisierte Interessen" das GATT zunehmend als Ansatzpunkt und Instrument ihrer Interessenvertretung begreifen. Es sei hier nur darauf hingewiesen, wieviel mehr Aufwand es von den internationalen Entscheidungsträgern erfordert, bei auftretenden Problemen im Sinne eines rationalen Einverständnisses vorzugehen: Die diskursive Einlösung von Geltungsansprüchen durch die rationale Kraft von Gründen in einem herrschaftsfreien Diskurs ist nicht nur unbequem, sondern hat auch keine so einfachen Erfolgsbedingungen, wie strategisches Handeln. 86 Andererseits bedarf es hauptsächlich der richtigen Einstellung. Die kann im GATT durchaus vorliegen. Kommunikation und Diskurs (z.B. über die Kommunikationsbedingungen) müssen längerfristig scheitern, wenn sie nicht auf allen Seiten als kommunikatives Handeln praktiziert werden, d.h. von allen aktiv und je erneut versucht wird, den Diskurspartner zu verstehen und seine eigenen Äußerungen auf ein wechselseitiges Verständnis hin auszurichten. 87 Dabei bedeutet "scheitern",
85 Es ist daran zu erinnern, daß "rationales Einverständnis" im kommunikativen Sinn normatives und dramaturgisches Handeln zusätzlich zum strategisch-zweckrationalen konzipiert. 86 Nur zur Erinnerung: Der "herrschaftsfreie Diskurs" ist nicht etwa eine faktische Gegebenheit ("Faktizität"), sondern eine kontrafaktische Unterstellung von seiten der Diskursteilnehmer. Ohne diese Einstellung wäre Verständigung gar nicht möglich. Aus Forschungssicht ist sie mithin eine rein pragmatische Bedingung für kommunikatives Handeln. 87 Genaugenommen könnte es auch hinreichen, wenn durchgängig auf einigen Seiten kommunikatives Handeln vorherrscht, das von den anderen, strategisch Handelnden, beständig ausgenutzt werden kann. Einseitiges strategisches Handeln dürfte aber auf Dauer in den internationalen Beziehungen unmöglich zu verbergen sein.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
219
daß die Sphäre sprachlicher Verständigung durch Übergang auf eine strategische Kommunikation (z.B. Drohung) oder gar den Einsatz außersprachlicher Koordinationsmittel (v.a. "Machtpolitik"), verlassen wird. In den Worten von Habermas: der Diskurs bricht ab wenn die Beteiligten nicht die kontrafaktische "Präsupposition" einer idealen Sprechsituation unterstellen.
Im GATI war zu beobachten: Die verständigungsorientierten Handlungsketten, die einerseits bei den Vertragsschlüssen beginnen und in der Einhaltung und Umsetzung der Verträge hätten fortgesetzt werden müssen, andererseits im Zuge der Vertragsanwendung bei allen neu auftretenden Problemen je neuer Verständigungsleistungen bedurft hätten (v.a. um "Anschlußfähigkeit der Handlungen" zu ermöglichen), wurden von strategisch handelnden Akteuren durch Vertragsverletzungen und -umgehungen unterbrochen. 88 Der verständigungsorientierte Diskurs brach ab und verkam, zumindest partiell oder kurzfristig, zu einem strategischen, was sich in weiteren Vertragsverletzungen und -umgehungen zeigte und bisweilen zu ausgewachsenen "Handelskriegen" "hochschaukelte". Dies um so mehr, als solche Verständigungsabbrüche mehr als nur vereinzelt, also systematisch aufgetreten sind. Es stellt sich also die Frage, auf welche Weise auf den Abbruch der Verständigung hätte reagiert werden können. Denkbare Reaktionsmöglichkeiten sind: (1) Abbruch der Kommunikation; (2) Dahinstellen und Ausklammern kontroverser Geltungsansprüche mit der Folge, daß der gemeinsame Boden geteilter Überzeugungen schrumpft; (3) gänzliche Umstellung auf strategisches Handeln; (4) Übergang zu aufwendigen Diskursen mit ungewissem Ausgang und Problematisierungen; (5) Versuch, die strategisch Handelnden auf eine verständigungsorientierten Linie zurückzubringen. Es ist zu überlegen, wie diese Alternativen als Hypothesen plausibel den Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche begründen könnten. Die ersten drei Aspekte (Abbruch der Kommunikation, Ausklammern des Problems, Umstellung auf strategisches Handeln) führen unweigerlich zu demjenigen Verhalten, was in dieser Arbeit als Machtpolitik definiert wurde. Die vierte Alternative: Übergang zum aufwendigen Diskurs (d.h. Problematisierung der 88 Aus welchen Gründen je erneut strategisches Handeln aufgetreten ist, muß hier unerörtert bleiben. Hierfür gibt es viele Gründe, die alle unter dem Aspekt der mangelnden Einsichtigkeit zusammengeführt werden könnten. Beispiel: sie waren nicht "Beteiligte" an der ursprünglichen Verständigung und fühlen sich nicht gebunden oder verstehen die Regelungen (und ihren Kompromißcharakter) nicht, z.B. weil sie nur auf den Vertragstext achten (dies geschah übrigens auch in den panels häufiger).
220
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
Kommunikationsbedingungen etc.), verweist dagegen auf Grundsatzdebatten, wie sie für Neuverhandlungen typisch wären. 89 Aus diesen vier Alternativen lassen sich aber mit der Theorie des kommunikativen Handeins keine eigentlichen Erklärungen formulieren, sie bezeichnen nur die jeweilige Reaktionsmöglichkeit: Die Frage, warum in dieser und nicht in anderer Weise reagiert wird, bleibt ungeklärt. 90 Aussichtsreicher ist die verbleibende, fünften Reaktion.
b) Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche, um zum verständigungsorientierten Kommunikationsmodus (Diskurs) zurückzufinden Hypothese: Die am GATT-Diskurs beteiligten Akteure streben mit dem Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche an, einen Abbruch verständigungsorientierter Kommunikation zu verhindern bzw. zu einem verständigungsorientierten Kommunikationsmodus (Diskurs) zurückzufinden.
Anders fomuliert, läuft die Hypothese darauf hinaus zu behaupten, daß es den beteiligten Akteuren auf eine Verständigung, ein gemeinsames Einverständnis, wesentlich stärker ankommt, als z. B. darauf, ihre individuellen Ziele (Präferenzen) zweckrational zu verwirklichen. In dieser Formulierung steckt implizit die Erwägung, daß es bei internationalen Verträgen oft weniger um konkrete inhaltliche Einzelheiten geht, als vielmehr darum, in bestimmten Sachbereichen überhaupt Einverständnis und Übereinstimmung zu erzielen, und zwar v.a. zum Abbau von Unsicherheiten in den gegenseitigen Beziehun-
89 Tatsächlich wurden ja bisher immer schon kurze Zeit nach Beendigung der Verhandlungsrunden wieder Rufe nach Neuverhandlungen vernehmlich. Dies gehört, so scheint es, zum politischen Geschäft derjenigen, die sich zu profilieren trachten und am erzielten Verhandlungskompromiß keinen oder nur unbedeutenden Anteil hatten (sich z.B. nicht durchsetzen konnten). Dies könnte dann die gleiche Rige von Personen sein, aus deren Reihen die Vertragsverletzungen und -umgehungen begangen und als probate Verhaltensweisen angesehen werden, die "unvermeidlich" sind. 90 Gleichwohl liefert die Theorie des kommunikativen Handeins auch für Machtpolitik einige Erklärungsansätze, weil sie die Bedingungen für kommunikatives Handeln pragmatisch beschreiben kann und somit befähigt, Differenzierungen in der faktischen Bedingungskonstellation vorzunehmen. "Erklärungen" sollen hier aber umfassender angelegt werden, als allein in Begriffsdifferenzierungen.
H. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handeins
221
gen. Die formaljuristische Ausgestaltung des bisherigen GATT-Regelwerks könnte eine solche Vennutung durchaus stützen: Hier wurden nicht detaillierte und ausgefeilte Handlungsgebote fonnuliert - dazu taugen schon die zur Verwendung kommenden unbestimmten Rechtsbegriffe wenig. Sondern es wurden überschlägige Handlungsnonnen als Richtwerte und Sollvorschriften festgelegt, von denen es für jegliche Eventualitäten Ausnahmen und Ausweichmöglichkeiten gibt. (Freilich nicht so viele, daß nicht dennoch eindeutige Vertragsverletzungen und -umgehungen vorkommen würden). Der Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche rührt, so die Hypothese, aus der Überzeugung und Einstellung der Beteiligten, daß rechtliche Durchsetzungsversuche einer Verständigung hinderlich sein können, bzw. einem Wiederaufbau der Verständigung entgegenstehen könnten. In diesem Sinne wäre der Verzicht als eine Art vertrauensbildende Maßnahme zu begreifen. Natürlich müßte hierfür gezeigt werden, (1) daß eine solche Überzeugung vorherrscht und gegebenenfalls (2) warum. ad (J): Ob die Überzeugung vorherrscht, durch Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche verständigungsorientierte Kommunikation zu fördern, könnte u. U. empirisch aufzeigbar sein, z.B. durch Befragungen. Diese Befragungen müßten einen Zusammenhang (mindestens eine positive Korrelation) nachweisen, zwischen dem Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche und der Überzeugung, damit verständigungsorientierte Anschlußfähigkeit herzustellen. Einmal abgesehen von den praktischen Realisierungsschwierigkeiten solcher Befragungen, werde ich im folgenden aufzeigen, daß es ausreichen kann, sich die Gründe für die "Warum-Frage" zu vergegenwärtigen: ad (2): Zur Frage, warum internationale Entscheidungsträger meinen, durch den Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche verständigungsorientierte Anschlußfähigkeit sicherzustellen, liefert Habennas in seinem Werk eine Fülle von Argumenten, die hier nur schlaglichtartig beleuchtet werden können. Am einsichtigsten dürfte wohl die simple Überlegung sein, daß der Wert von Verträgen in der Hauptsache in ihrer Einhaltung liegt. Ein überhaupt nicht eingehaltener Vertrag ist wertlos, oder gar kontraproduktiv, weil er vom Abschluß neuer Verträge abhält. Deshalb kann es aus verständigungsorientierter Sicht vollkommen rational sein, nach einmal geschehenen Vertragsverletzungen und -umgehungen durch nur behutsame Reaktionen den Vertrag selbst retten zu wollen. Mit dieser Begründung ließen sich natürlich nur der
222
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
"Total-Verzicht", wie er in dieser Arbeit genannt wurde, und die "diplomatischen" Anstrengungen begründen; die machtpolitische Variante scheidet aus. 91 Der Versuch, den Vertrag an sich zu retten, kann bei mehrseitigen, multilateralen Verträgen mit weniger Vorsicht geschehen, als bei bilateralen, da es Ld.R. einer kritischen Masse, also mehrerer Regelverletzungen bedarf, um mehrseitige Verträge ineffektiv zu machen oder ganz zu stürzen. Zweitens läßt sich diese Erklärung auch auf eine höhere Regelebene weiterverfolgen. Demnach versuchen die Akteure gegen Vertragsverletzungen und -umgehungen nicht mit rechtlichen Mitteln vorzugehen, weil die Wirksamkeit rechtlicher Mittel selbst auf ihrer Durchsetzung beruht. Für die Durchsetzung kommen aber wiederum nur verständigungsorientierte oder machtpolitische Reaktionsmöglichkeiten in Frage. Läßt man letztere unberücksichtigt, bleibt zu erwarten, daß die mit der jeweiligen Vertragsverletzung und -umgehung verfolgten Ziele, die ja schon einmal verständigungsverletzend verfolgt wurden, auch ein weiteres Mal gegenüber Verständigungsüberlegungen dominieren werden. Freilich muß berücksichtigt werden, daß die Regelverletzung sich dadurch auf eine "höhere Ebene" verlagert und damit (aus Prinzipienabwägungen) tendenziell "gravierender" ist. Es ist aber dagegen zu halten, daß zum einen auf internationaler Ebene nicht viele rechtliche Ebenen existieren (Vertragsrecht, Völkerrecht, zwingendes Völkerrecht, Völkerrechtsprinzipien), zum anderen diese Ebenen nur recht undeutlich voneinander getrennt werden können, und schließlich Prinzipienerwägungen unter dem Druck Z.B. "weltpolitischer" Ereignisse zu einer Rolle nur nachrangiger Bedeutung degenerieren können, wie die je erneuten Menschenrechtsverletzungen in Kriegssituationen illustrieren. Anders gesagt: Recht setzt eine (rationale) Einigung über Metaregeln, ein Vorabverständis immer schon voraus. Diese Vorab-Einigung ist international nur schwach, was an den noch recht unstrukturierten Beziehungen liegen mag, die mit immer neuen Problemen konfrontiert werden, ohne das gleichzeitig eine universale Betroffenheit vorliegt, so daß die Regelungsnotwendigkeit nicht für alle gleichermaßen einsichtig ist.
91 Man könnte Versuchen, die Anwendung von Machtaspekten, Zwang und Gewalt i.S. eines einmaligen "Wachrüttelns" der Gegenparteien zu konzipieren: wenn kurzzeitige Machtausübung allein darauf angelegt wäre, wieder zu einem verständigungsorientierten Dialog zurückzufmden. Diese Hilfshypothese braucht hier nicht vertieft werden.
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen HandeIns
223
Schließlich konnte Habermas überzeugend darlegen, daß für die Angehörigen einer (gemeinsamen) Lebenswelt eine Verständigungshaltung i.S. einer "schwachen transzendentalen Notwendigkeit" wirkt, die rationale Orientierung an Geltungsansprüchen mithin (wenigstens partiell und langfristig) quasi selbstverständlich ist - wohlgemerkt nur in einer gemeinsamen Lebenswelt. 92 Diese Überlegungen allgemeiner Art dürften hinreichend begründen, warum internationale Entscheidungsträger meinen, durch den Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche verständigungsorientierte Anschlußfähigkeit sicherzustellen. Damit ist die aufgestellte Hypothese bestätigt. Dem Einwand, dieses Ergebis sei wenig spektakulär und könne vielleicht auch ohne Rekurs auf die Theorie des kommunikativen Handeins geradewegs erzielt werden, sei entgegengehalten, daß es allein Habermas gelungen ist, überhaupt die individuellen Beweggründe und Bedingungen offenzulegen, aus denen heraus Individuen eine verständigungsorientierte Kommunikation anstreben. Gerade in Verträgen ist der vermeintliche " Konsens " eben nicht konstruktivistisch zusammengepuzzled, sind auf keinen Fall alle Übereinstimmungen konsensuell ausgehandelt: Sondern Verträge entstehen aus einem rationalen Einverständnis, das aus einem sprachlich vermittelten, gemeinsamen lebensweltlichen Zusammenhang herrührt, welcher vielen Handlungen unhinterfragt zugrunde liegt. Deshalb bleiben auch alle Erklärungsansätze, die Vertragseinhaltung allein aus einer unterstellten Langfristigkeit der Vertrags geltung herzuleiten versuchen, in ihren Erklärungen merkwürdig unvollständig: sie können die individuellen Beweggründe nicht aufdecken. Übrigens ist auch der Einwand nicht gerechtfertigt, es handele sich beim GATT prototypisch um die Bereiche " Wirtschaft " und " Verwaltung " , also gerade jene, die schon seit Max Weber als zweckrational ausdifferenzierte Teilsysteme der Gesellschaft gelten. Tatsächlich könnte man (recht ungenau) die Entscheidungen zu Einhaltung und Durchsetzung internationaler GATTHandelsregeln als Verwaltungshandeln ansehen und das GATT inhaltlich dem Bereich Wirtschaft zurechnen. Die Weber 'sehe, und so auch die Habermas 'sehe Analyse setzt aber für die Zurechnung ganz klare Kriterien, nämlich die Steuerung über die Medien Geld und Macht. Beide liegen beim GATI nicht vor: Weder ist Vertragseinhaltung, oder sind Vertragsverletzungen und
92 Vgl. hierzu insbesondere nochmal seine "Erläuterungen zur Diskursethik": Habennas, 1991, die als eine aufwendige philosophische Rechtfertigung gelesen werden können.
224
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
-umgehungen überwiegend über Geld gesteuerte Prozesse, noch verfolgen die internationalen Entscheidungsträger primär machtpolitische Interessen in ihren GATT-bezüglichen Entscheidungen. Internationale Verträge - das kann wohl generell behauptet werden - befinden sich auf so unsicherem Grund, daß von starker rechtlicher Ausdifferenzierung nicht gesprochen werden kann. Diese Erkenntnis trifft im besonderen für das in starkem Wandel begriffene GATT zu. Es kann indes nicht verschwiegen werden, daß es einige ernstzunehmende Einwände gegen die Erklärungsleistungen der Theorie des kommunikativen HandeIns gibt: Auch verständigungsorientierte Theorieansätze sind von begrenzter Erklärungskraft.
c) Grenzen des verständigungsorientierten Erklärungsansatzes Während auf dem vorangegangenen allgemeinen Argumentationsniveau die aufgestellte Hypothese als hinreichend begründet gelten kann, ist doch auf zwei Auffälligkeiten in der Begründung hinzuweisen, die die Habermas' sehe Theorie des kommunikativen HandeIns in ihrer Erklärungskraft einschränken dürften. Sie werden deutlich, wenn man sich auf spezifische Probleme der individuellen Entscheidungsebene zurückbesinnt. Allerdings ist Habermas diesbezüglich verschieden interpretierbar , so daß die nun folgenden Erörterungen u. U. nur den Status von Klärungen haben.
Die erste Auffälligkeit besteht darin, daß die Theorie des kommunikativen HandeIns, anders als im Namen suggeriert, eine sprachpragmatische Theorie darstellt, deren Basis-Analyseeinheit "Sprechakte" bzw. "Sprechen" ist. Dabei scheint es Habermas nicht darauf angekommen zu sein klarzumachen, daß auch schriftliche Kommunikation zur Erkärung der meisten Sozialbeziehungen berücksichtigt werden müssen. Schrift fügt zwei Dimensionen zur Sprachanalyse hinzu: einerseits eine räumliche, weil Sprecher und Hörer nicht in räumlicher Nähe zueinander sein müssen (was nebenbei bemerkt bei" Telekommunikation" auch nicht der Fall ist); andererseits eine zeitliche Dimension, weil elementare Gleichzeitigkeitsbedingungen, wie z.B. in einer Unterhaltung, nicht mehr erfüllt sind. Dies kann soweit gehen, historische Schriftstücke verständigungsorientiert interpretieren zu müssen. Schriftliche Kommunikation und andere modeme Kommunikationsmedien spielen heute eine nicht zu unterschätzende Rolle und sollten in Theorien über
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
225
internationale Beziehungen nicht vernachlässigt werden. 93 So kann es auch für eine Erklärung der Interaktionen im GATI wohl nicht genügen, als Beteiligte und Akteure nur die jeweils in einem (höchst-) persönlichen Dialog befindlichen Staatsrepräsentanten anzusehen. Wenn mit einem allgemeineren Begriff der "Beteiligten" operiert werden soll, der nicht nur unmittelbar Anwesende umfaßt, sondern alle, die am Entscheidungsprozeß teilhaben und dafür je eigene Entscheidungen treffen und äußern, dann muß auch der schriftlichen und jeder anderen Form sprachlicher Äußerungen ihre pragmatische Rolle zugewiesen werden. Dies wird im anschließend zu diskutierenden Syntheseversuch mit Bezug auf das pragmatische Lebenswelt-Konzept geschehen.
Die zweite Auffälligkeit ist, daß in der Theorie des kommunikativen Handelns unklar bleibt, ob Individuen eigennutzorientiert handeln oder nicht. Zwar handeln auch die Individuen der Habermas'schen Analyse - in einem erweiterten Sinn - rational und zweckorientiert. Der weitgefaßte Rationalitätsbegriff sind aber für ein in einfachen Kausalbeziehungen geschultes Wissenschaftsdenken gewöhnungsbedürftig. Wohlgemerkt kann natürlich von Eigennutzmaximierung mit Habermas nicht ausgegangen werden. Maximierungsabwägungen über die drei Handlungsdimensionen der Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit zu bestimmen und voneinander abzugrenzen, dürfte mit einigen Schwierigkeiten einhergehen. Es soll noch geprüft werden, ob der so gewendete Eigennutzbegriff für eine systematische und handhabbare Forschungsmethode nicht zu unscharf wird. Denn auf die Annahme der Eigennutzorientierung der handelnden Akteure kann aus methodologischen Gründen auf keinen Fall verzichtet werden. Ansonsten würde der Begriff des Individuums als genuine Handlungseinheit verschwimmen. Auch diesem Problemfeld wird im anschließenden Syntheseversuch gebührend Rechnung getragen. Es wäre wünschenswert, die Theorie des kommunikativen HandeIns an dieser Stelle einer zusätzlichen "Fundamentalkritik" zu unterziehen. Dies kann hier nicht geleistet werden, weil sonst erneut eine übergeordnete und zwar diesmal auf philosophischem Begründungsniveau ruhende Theoriesicht ent-
93 Dagegen ist es unerheblich, daß die beteiligten Akteure verschiedene Sprachen sprechen. Hieran kann nur noch deutlicher werden, daß die sozialintegrative und identitätsstütende Kraft der Sprache nicht eingeengt auf eine bestimmte Muttersprache, sondern im sprachphilosophisch-pragmatischen Sinn zu verstehen ist. 16 Kopke
226
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
wickelt werden müßte, wofür hier kein Raum ist. Es müssen deshalb einige Hinweise und die wichtigsten Literaturangaben genügen. 94
94 Besonders zu empfehlen für eine allgemeine Einführung scheint mir McCarthy, 1989. Daneben sei verwiesen auf: Beier, Fred-Jürgen (1986): Die Körpernatur des Menschen als Grenze für einen objektivistischen Naturbegriff, Ein "blinder Fleck" in der Erkenntnistheorie von Jürgen Habennas, in: Soziale Welt, H. 4, Jg. 37, S. 446464. Benhabib, Seyla und Rödel, Ulrich (1991): Modelle des öffentlichen Raums: Hannah Arendt, die liberale Tradition und Jürgen Habennas, in: Soziale Welt, H. 2, Jg. 42, S. 147-165. Benhabib, Seyla (1982): The methodological illusions of modem political theory, the case of Rawls and Habermas, Politikbegriffe, Hrsg: Rüdiger Bubner , Konrad Cramer, Reiner Wiehl, Göttingen, S. 47-74. Bogner, Christoph (1990): Die Versöhnung der mit sich selber zerfallenen Modeme, Zum Verhältnis von Ethik und Gesellschaftstheorie bei Jürgen Habermas, zug!. Univ. Diss., München. Bolte, Gerhard (Rrsg.) (1989): Unkritische Theorie gegen Habennas, Lüneburg. Burger, Rudolf (1988): Lob der Niedertracht, Probleme mit der Universalethik von Habennas und Apel, in: Leviathan, H. 4, Jg. 16, S. 443-456. Eder, Klaus und Habermas, Jürgen (1976): Zur Struktur einer Theorie der sozialen Funktion, Lepsius, R.M., Hrsg., Zwischenbilanz der Soziologie. Verhandlungen des 17. Deutschen Soziologentages, Stuttgart, 1976, S. 37-48. Frank, Manfred (1989): Jean-Francois Lyotard und Jürgen Habermas über Dissens und Konsensus, Mensch und Modeme: Beiträge zur philosophischen Anthropologie und Gesellschaftskritik, hrsg. von Clemens Bellut u. Ulrich Müller-Schöll, Würzburg, S. 208-224. Freitag, Barbara (1983): Theorie des kommunikativen Handelns und genetische Psychologie, Ein Dialog zwischen Jürgen Habennas und Jean Piaget, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, H. 3, Jg. 35, S. 555-576. Habermas, Jürgen (1986): Entgegnung, Kommunikatives Handeln: Beiträge zu Jürgen Habennas' "Theorie des kommunikativen Handelns, hrsg. von Axel Honneth u. Hans Joas, Frankfurt a.M., S. 327-405. Habermas, Jürgen (1984): Replik auf Einwände (1980), Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handeins, Jürgen Habennas, Frankfurt a.M., S. 475-570. Haungs, Peter (1988): Diesseits oder jenseits von Carl Schmitt? Zu einer Kontroverse um die Frankfurter Schule und Jürgen Habennas, Politik, Philosophie, Praxis: Festschrift für Wilhelm Hennis zum 65., Geburtstag, hrsg. von Hans Maier, Ulrich Matz, Kurt Sontheimer u. Paul-Ludwig Weinacht, Stuttgart, S. 526-544. Honneth, Axel und McCarthy, Thomas und OjJe, Claus und Wellmer, Albrecht und Habennas, Jürgen (1989): Zwischenbetrachtungen im Prozeß der Aufklärung, Jürgen Habennas zum 60. Geburtstag, Frankfurt a.M. Hoppe, Hansgeorg (1992): Ethische Positionen im Vergleich: Utilitarismus (Rare) - Vertragstheorie (Rawls) - Diskursethik (Apell Habennas), in: Deutsche Zeitschriftfür Philosophie, H. 5, Jg. 50, S. 503-512. Horster, Detlef (1989): Erkenntnis und Moral bei Habermas, Theorie und Praxis heute: ein Kolloquium zur Theorie und politischen Wirksamkeit von Jürgen Habermas, Frankfurt a.M., S. 22-31. Horster, Detlef (1991): Jürgen Habennas, mit einer Bibliographie von Rene Görtzen, Stuttgart. Katzenbach, Dieter (1992): Die soziale Konstitution der Vernunft, Erklären, Verstehen und Verständigung bei Piaget, Freud
11. Erklärungskraft der Theorie des kommunikativen Handelns
227
Die Theorie des kommunikativen Handeins ist auch von philosophischer Warte nur schwer angreifbar. Ihre selbstreflexiven und relativierenden Züge schinnen sie gewissennaßen vor allzu leichfertig dogmenkritischen Attacken ab. Habermas unterfangen, "mit soziologischen Mitteln philosophische Probleme auflösen zu können"95 ist nicht weniger ein Vorstoß, mit philosophi-
schen Mitteln soziologische Probleme aufzulösen.
Lubmann kann noch als der schärfste Kritiker der Habennas' schen Theorie-Konzeption angesehen werden. Aber auch diese Debatte hat nicht über das Erscheinen der "Theorie des kommunikativen Handeins" 1981 durchgetragen, die Gegensätze werden kaum noch ausgespielt. Im Grunde stritten sie in den siebziger Jahren um den Punkt, ob systemtheoretische Strukturierungs-
und Habermas, Heidelberg. Kern, Lucian (1986): Von Habermas zu Rawls, Praktischer Diskurs und Vertragsmodell im entscheidungslogischen Vergleich, Gerechtigkeit, Diskurs oder Markt? : die neuen Ansätze in der Vertragstheorie, Lucian Kern, Hans-Peter Müller (Hrsg.), Opladen, S. 83-95. Kochinke, JÜfgen (1988): Versuch, Habermas kritisch zu lesen, in: Leviathan, H. 1, Jg. 16, S. 44-76. Kunneman, Harry und Böttner, A. und Binner, R. und Wörner, R. (1991): Der Wahrheitstrichter, Habermas und die Postmoderne, Frankfurt a.M. McCarthy, Thomas (1989): Kritik der Verständigungsverhältnisse, Frankfurt a.M. Müller-Schöll, Ulrich (1989): Vernunft und Augenblick, Zur Binnenstruktur der Lebens-Welt bei Jürgen Habermas und Ernst Bloch, Mensch und Moderne: Beiträge zur philosophischen Anthropologie und Gesellschaftskritik, hrsg. von Clemens Bellut u. Ulrich Müller-Schöll, Würzburg, S. 183-207. Negt, Oskar et.al. (1989): Theorie und Praxis heute, Ein Kolloquium zur Theorie und politischen Wirksamkeit von Jürgen Habermas, Frankfurt a.M. Niekierk, Petrus Johannes van (1982): Demokratie und Mündigkeit, Eine kritische Auseinandersetzung mit der politischen Philosophie von Jürgen Habermas, Univ. Diss, Frankfurt a.M. Schmidt, Siegfried J. (1982): Zur Grammatik sprachlichen und nichtsprachlichen Handelns, Sprachphilosophische Bemerkungen zur soziologischen Handlungstheorie von Jürgen Habermas. Schrape, Klaus (1977): Theoretische Einführung, Rekonstruktion und Kritik der Theorie von Jürgen Habermas, zugl. Univ. Diss., Basel. Schwarzburg, Detlef (1990): Abstraktes Denken und verwissenschaftlichte Gesellschaft, Zum Theorie-Praxis-Verhältnis bei Weber, Habermas, Popper und Feyerabend, Frankfurt a.M. Söllner, Alfons (1982): Jürgen Habermas und die kritische Theorie des gegenwärtigen Rechtsstaates, Versuch einer wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung, in: Leviathan, H. 1, Jg. 10, S. 97-131. Wenzel, Harald und Hochmuth, Uwe (1989): Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaft, Die Kontingenz von Kommunikation, Zur kritischen Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas, in: Kö[ner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, H. 2, Jg. 41, S. 241-269. 95 Reese-Schäfer, 1991, S. 12.
228
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
prinzipien der erfahrbaren Welt auch auf leblose Dinge und sogar Ideen und Vorstellungen übertragen werden können, so wie Luhmann es konsequent umsetzt. Dabei verläßt er gleichwohl den Boden des Individualismus nur scheinbar, weil er die Selbstbezüglichkeit auch des wissenschaftlichen Beobachters immer im Auge behält. Sein Argument könnte formuliert werden: es komme doch schließlich nur auf die Vorstellungen der Beobachter an, worin sie jeweils Systeme erkennen oder nicht. Darin ist er pragmatischer als Habermas, der letztlich Selbstbezüglichkeit eben nur bei lebenden, also "Bewußtseinssystemen" , anerkennen will und damit von einem Wahrheitsbegriff, der latent mitgetragen eben doch nicht von jeglicher Relativität entkleidet ist, nicht ganz ablassen will. 96 Von seinen Wurzeln in der Kritischen Theorie hat sich Habermas meines Erachtens weitestgehend gelöst. 97 Ein Kritikpunkt soll noch gesondert angeführt werden. Es ist der Vorwurf der mangelnden TheorieschäTje, in dem Sinne, daß mit dem durch die Theorie
96 Bruckmeier, Karl (1988): Kritik der Organisationsgesellschaft, Wege der systemtheoretischen Auflösung der Gesellschaft von M. Weber, Parsons, Luhmann und Habermas, Zugl. Berlin, Freie Univ., Diss. Johannes, Rolf (1989): Über die Welt, die Habermas von der Einsicht ins System trennt, hrsg. v. Gerhard Bolte, LÜlleburg, S. 39-66. Vgl. auch Habermas, Jürgen (1971): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, hrsg. von J. Habermas und L. Luhmann, Die Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung, Frankfurt. Hierzu sind 1974 und 1975 zwei Ergänzungsbände erschienen, mit namhaften Autoren. 97 Hier nur eine Auswahl: Gebauer, Richard (1991): Fragwürdige Umgangsformen: Jürgen Habermas und das vemunftkritische Erbe der Älteren Kritischen Theorie, Unübersichtliche Modeme? Rolf Eickelpasch (Hrsg.), Opladen, S. 11-33. Habermas, Jürgen und FTÜchtl, Josef (1987): Kritische Theorie und Frankfurter Universität, Eine Art Schadens abwicklung, Frankfurt a.M., S. 57-63. Habermas, Jürgen (1985): Drei Thesen zur Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Die Frankfurter Schule und die Folgen: Referate eines Symposiums der Alexander von HumboldtStiftung vom 10.-15. Dezember 1984 in Ludwigsburg, hrsg. von Axel Honneth u. Albrecht Wellmer, Berlin u. a., S. 8-12. Honneth, Axel (1982): Von Adomo zu Habermas, Zum Gestaltwandel kritischer Gesellschaftstheorie, Sozialforschung als Kritik: zum sozialwissenschaftlichen Potential der Kritischen Theorie, hrsg. von Wolfgang Bonss u. Axel Honneth, Frankfurt a.M., S. 87-126. Schiller, Hans-Ernst (1989): Habermas und die Kritische Theorie, Unkritische Theorie: gegen Habermas, hrsg. v. Gerhard Bolte, Lüneburg, S. 101-121. Zimmermann, Rolf (1985): Utopie - Rationalität - Politik, Zu Kritik, Rekonstruktion und Systematik einer emanzipatorischen Gesellschaftstheorie bei Marx und Habermas, Freiburg u. a.
Hr. Explikationskraft einer neuen Synthese
229
bereitgestellten methodischen Instrumentarium keine testbaren Aussagen erzielbar seien und somit eine wichtige Voraussetzung wissenschaftlicher Theorien, die Überprüfbarkeit, nicht zweifelsfrei gegeben wäre. Das eigentliche Problem der Theorie des kommunikativen Handeins ist aber nicht ihre mangelnde theoretische Fundierung oder begriffliche Unschärfe. 98 Vielmehr entspringen solche Einwände einer nur oberflächlicher Theoriekenntnis. Es ist zu bedenken, daß auch in dieser Arbeit nur ein knapper Überblick geleistet wurde, der nur als eine Zusammenschau von Ergebnissen angelegt werden konnte. Ich halte die Eklektizismus-Befürchtung, wie auch die Befürchtung mangelnder Begriffsbestimmtheit für unbegründet und durch ein vertieftes Studium der Theorie jederzeit ausräumbar . Hingegen scheint die Theorie bislang nicht mit wenigen griffigen Annahmen konzentriert darstellbar zu sein. Dafür ist sie u. U. auch zu vielschichtig. Für hiesige Belange der Explikation internationaler Rechts- und Politikprozesse bietet es sich deshalb an, in Anlehnung an die "Theorieschärfe" der Ökonomik, bestimmte Annahmen als Grundbausteine zu definieren und aufeinander zu beziehen, um daraus Modelle und Hypothesen zu formulieren. Auf diesen Zweck hin ist die Synthese mit der Ökonomik angelegt.
III. Explikationskraft einer neuen Synthese In dieser Arbeit wurden zunächst die wichtigsten Theoriezweige der Ökonomik anband einer praktischen GATI-Fragestellung hinsichtlich der Frage überprüft, ob mit ihnen internationale Rechts- und Politikprozesse erklärbar werden. Es waren keine befriedigenden Erklärungsansätze auffindbar - und auch nicht möglich: Aus der Zusammenstellung der Theoriedefizite konnte deutlich werden, daß die strengen Annahmen der Ökonomik nur extrem begrenzte Möglichkeiten der Fragestellung eröffnen. Institutionell unbestimmte soziale Interaktionsphänomene sind typischerweise nicht abbildbar und entsprechend nicht erklärbar. Eine systematische Kritik der ökonomischen An98 Gerade der erweiterte Rationalitätsbegriff, das Lebenswelt-Konzept und der Begriff der "idealen Sprechsituation", der zwar pragmatisch, aber deswegen nicht weniger kontingent ist, haben immer wieder Argwohn geweckt. Solcher Verdacht hat sicher eine gewisse Berechtigung, bedenkt man die - nicht selten als eklektisch bezeichnete - Vorgehensweise von Habermas. Allerdings scheint bei genauerer Betrachtung auch der Eklektizismus-Vorwurf bestenfalls mit Blick auf eine WissenschaftsÄsthetik nachvollziehbar, methodologisch ist er einfach falsch.
230
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
nahmen wurde aus einer übergeordneten Theoriesicht, der verständigungsorientierten Theorie des kommunikativen Handeins von Habennas unternommen - "übergeordnet", weil sie die der Ökonomik zentrale Annahme der Zweckrationalität als SpeziaUall vollständig enthält. Mit der Theorie des kommunikativen Handeins wurde ein Erklärungsversuch der konkreten GATT-Problematik exemplarisch vorgeführt, um ihre Erklärungskraft für Fragen der sozialen Interaktion, sogar für die internationale Ebene, unter Beweis zu stellen. Dabei sind einige "AuffäIligkeiten" oder Unklarheiten offenkundig geworden sowie das Erfordernis nach einer besser darstellbaren Annahmenstruktur , ähnlich jener der Ökonomik. Die Beziehungen zwischen den beiden Theorien lassen eine methodisch abgerundete Synthese zu, die im folgenden vorgestellt wird. Hierbei soll die Erklärungskraft des verständigungsorientierten Theorieansatzes mit den methodisch-fonnalen Möglichkeiten der Ökonomik vereint werden. Zwar könnte - das sei noch vorweggenommen - der Eindruck entstehen, die Synthese sei stark Habennas-Iastig, während die Annahmen der Ökonomik beinahe komplett aufgegeben würden. Es sei aber daran erinnert, daß durch die Einbeziehung von Institutionen und die Annahme der "bounded rationality" die Ökonomik diese Theorieentwicklung selbst vorgibt und es bisher sozusagen nur am Mut zum radikalen Paradigmenwechsel gemangelt hat. Diese Zaghaftigkeit liegt meines Erachtens nicht etwa nur in einer Art Fachdünkel begründet, sondern v.a. in der falschen Befürchtung, ohne die Annahme der Zweckrationalität müßten alle Theoriemodelle zu undeutlichen Spekulationen verkommen. Diese Vorstellung ist unbegründet. Dies nachzuweisen, wird (1) die Synthese von Ökonomik und Theorie des kommunikativen Handeins als eine neue Methode konzipiert, die sich (2) an der konkreten GATT-Fragestellung bewähren muß - und kann, wie (3) in der Schlußbetrachtung zusammenfassend zu resümieren ist.
1. Die Synthese von Ökonomik und verständigungsorientierter Theorie als neue Methode
Um eine möglichst knappe Übersicht (in bekannten Begriffen) zu ennögliehen, wird die neue Synthese als Erweiterungen der bestehenden Theorien analysiert, und zwar (a) für die Ökonomik und (b) für die Theorie des kommunikativen Handeins. Daraus werden (c) die wissenschaftstheoretischen Folgerungen gezogen, insbesondere werden die nötigen theoretisch-dogmen-
III. Explikationskraft einer neuen Synthese
231
kritischen Überlegungen zur Annahmenplausibilität, inneren Konsistenz und Widerspruchsfreiheit der neuen Theorie angestellt.
a) Erweiterungen der Ökonomik Die neue Synthese ist ein ökonomischer Ansatz mit Änderungen99 : 1. Die Annahme der Zweckrationalität wird zugunsten einer Verständigungsrationalität ("kommunikative Rationalität") erweitert, was einen sprachpragmatischen Paradigmenwechsel impliziert. Dieser wiederum gründet in einer konsenstheoretischen Wahrheitskonzeption, die an die Stelle der Korrespondenztheorie tritt. 2. Die Annahme der Eigennutzmaximierung ist nicht mehr vertretbar, wohl aber die Annahme der Eigennutzorientierung. Diese muß im verständigungsorientierten Rationalitätsansatz explizit verankert werden. Eigennutzorientierung ist aus wissenschaftstheoretischen Erwägungen unverzichtbar, weil sonst Individuen nicht mehr als Handlungseinheiten begriffen werden können und damit vom methodologischen Individualismus abgewichen würde. 3. Der methodologische Individualismus wird beibehalten. Er verändert aber durch die erweiterten Rationalitätsannahmen und der individuellen Orientierung an Geltungsansprüchen seinen Charakter, indem explizit die Unterscheidung zwischen Teilnehmer- und Beobachterperspektive beachtet wird. 100 4. Die Annahme begrenzter Informationsgewinnungs-, -verarbeitungs, und -vermittlungsfahigkeiten ("bounded rationality") wird ausgebaut und verstärkt durch die konsenstheoretische Wahrheitskonzeption der Kommunikationstheorie.
99 Die Diskussion erfolgt entlang der Annahmen der Ökonomik, weil der Begriff "Ökonomik" als eine wissenschaftliche Methode entlang bestimmter Annahmen eingeführt wurde.
100 Vom methodologischen Individualismus abzuweichen, ist erstens aus Sicht jeder der Theorien nicht notwendig und ist zweitens meines Erachtens aus wissenschaftstheoretischen Gründen indiskutabel, v.a. bei Betrachtung der kollektivistischen und funktionalistischen Alternativen.
232
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
5. Die Einbeziehung von "Institutionen" wird - anders als beim uneingelösten Anspruch der Ökonomik - auch wirklich in die Theorie endogenisiert, und zwar durch das Lebenswelt-Konzept, daß auch Veränderungen dieser Lebenswelt beschreibbar macht.
b) Erweiterungen der Theorie des kommunikativen HandeIns: schriftliche Verständigung und Eigennutzorientierung Die neue Synthese ist ein verständigungsorientierter Ansatz mit Änderungen: (1) Die sprachbezogene Theorie muß um die Berücksichtigung bestimmter schriftlicher Verständigungen erweitert werden. (2) "Eigennutzorientierung" muß theoretisch explizit verankert werden.
(1) Schriftliche Verständigung Kommunikatives Handeln genügt Verständigungsbedingungen, wenn die beteiligten Aktoren sich kooperativ und aufeinander abstimmend verhalten. und bereit sind, ihre illokutionären Ziele vorbehaltlos und aufrichtig zu verfolgen. Dazu verwenden sie Sprechhandlungen in einer pe1j'ormativen Einstellung und orientieren sich an wechselseitig erhebbaren, kritisierbaren Begründungen. Sie nutzen die Bindungeffekte von Sprechangeboten, indem der Sprecher glaubhafte Gewähr für die Gültigkeit des Gesagten übernimmt und sie übertragen diese Bindungseffekte auf die interaktionsfolgenrelevanten Verbindlichkeiten. Insofern ist Sprache Vermittlerin von Anschlußfähigkeit der Handlungen. Tatsächlich dürften in den internationalen Beziehungen Sprechakte eine zentrale Rolle einnehmen, die mithin ihre sozialintegrative und identitätsstiftende Kraft voll entfalten können. Daneben existieren aber eine Vielzahl von sprachlichen, aber nicht-mündlichen Interaktionen; z.B. innerhalb der nationalen Bürokratien und zwischen Repräsentanten verschiedener Staaten. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß diese Handlungen auf keinen Fall unberücksichtigt bleiben können. lOl Dies akzeptiert, wäre also von
101 Dagegen dürften nicht-sprachlich vermittelte Interaktionen in den internationalen Beziehungen tatsächlich weniger wichtig sein.
III. Explikationskraft einer neuen Synthese
233
einem neuen Forschungsansatz - der Synthese - auf jeden Fall zu fordern, daß sie auch nicht-mündliche soziale Interaktionen berücksichtigt. Damit wird aber ein Erweiterung, mindestens aber eine Klärung der Theorie des kommunikativen Handeins erforderlich. Erstens ist nämlich eine Abgrenzung zwischen Sprechen und sonstigem tätlichen Handeln schwieriger, sobald die Bedingungen von Gleichzeitigkeit und persönlicher Anwesenheit aufgehoben werden. Zweitens muß gezeigt werden, daß die pragmatische Bedingung, jederzeit in einen (Meta-) Diskurs überwechseln zu können, auch bei einer schriftlichen Kommunikation entweder gegeben oder wenigstens analog unterstellt ist. Denn an dieser Möglichkeit einer idealen Sprechsituation bemißt sich die Bereitschaft der Beteiligten, die entsprechenden (und erforderlichen) Präsuppositionen vorzunehmen. Meine These ist, daß beide Aspekte ohne größere Schwierigkeiten in die Theorie des kommunikativen Handeins integriert werden können. Erstens sind "Sprechen" und "Handeln" auch bei Einbeziehung schriftlicher Kommunikation noch hinreichend voneinander unterscheidbar. Zweitens können Interaktionspartner auch bei zeitlich-räumlich verschobenen Kommunikationen eine verständigungsorientiert-perfonnative Einstellung einnehmen 102; oder anders gesagt, kann die rational motivierende Kraft verständigungsorientierter Kommunikation auch bei bestimmten schriftlichen Kommunikationsangeboten vorliegen. Beide Aspekte verweisen nämlich auf das zentrale Kriterium der gemeinsamen Lebenswelt. Schriftliche Kommunikation kann also aus verständigungsorientierter Sicht genau dann als Äquivalent von kommunikativen Sprechakten konzipiert werden, wenn die Interaktionspartner weiterhin die kontrafaktische Präsupposition einer idealen Sprechsituation vornehmen. Es ist also zu klären, wann dies der Fall ist. Hierfür hat Habennas durchaus den Weg vorgezeichnet: Ideale Sprechsituationen werden unterstellt, wenn ein gemeinsamer lebensweltlicher Zusammenhang existiert. Freilich entwickelt sich die Argumentation in beide Richtungen: Der lebensweltliche Zusammenhang entsteht selbst nur aus der Sprachverbundenheit, mit jeweils vorausgegangenen Unterstellungen idealer Sprechsituationen. Diese Tautologie (die gewissennaßen gleichzeitig Stärke und Schwäche der Theorie ist: Stärke für die Erklärungskraft, Schwäche für die methodische Handhabbarkeit) läßt sich pragmatisch abschwächen, wenn
102 Z.B. wenn die schriftliche Kommunikation nur eine mündliche ersetzt.
234
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
man bedenkt, daß die Sprachsozialisation sich vornehmlich langfristig ausbildet, während die Unterstellung der idealen Sprechsituation je neu vorgenommen werden muß und insofern kurzfristigen Entscheidungseinflüssen unterliegenkann. Untersuchen wir relativ kurzfristige Entscheidungsprozesse, so ist v.a. der Aspekt der Beeinflussung der kommunikativen Einstellung durch die (relativ stabile) gemeinsame Lebenswelt maßgeblich. Mit dieser gemeinsamen Lebenswelt entsteht bei Interaktionen eine Art "gemeinsamer Verhandlungsraum" , der z.B. durch eine Beschäftigung mit gleichen Sachaspekten (z.B. GATI, internationaler Handel) und ähnlichen funktionalen Einbindungen (z.B. in hierarchische Bürokratiestrukturen, oder befristete demokratischparlamentarische Mandate) einhergeht. Hierzu im folgenden noch genauere Systematisierungen.
(2) Eigennutzorientierung "Jedes Ich, jedes Subjekt ist eingebunden in ein Diskursuniversum, das den Mitgliedern einer Gemeinschaft in einem bestimmten Konflikt einen Platz jenseits der bestehenden Ordnung einzunehmen ermöglicht, so daß sie auch einen Konsens erzielen können über gewandelte Sitten und über l'leudefInitionen von Werten. Dieses die jeweilige Ordnung transzendierende Diskursuniversum enthält im Prinzip alle vernünftigen Wesen, die mit der Situation, um die es geht, in irgendeiner Weise zu tun haben. Es ist sozusagen eine ideale Welt, nicht von substanziellen Dingen, aber von geeigneten Methoden. " Reese-Schiifer, 1991, S. 52, zur Moralphilosophie von Mead
Handeln Individuen eigennutzorientiert? Diese Frage stellt sich v. a. aus der sozialwissenschaftlichen Beobachterperspektive. Die Frage ist mit der Rationalitätsproblematik eng verknüpft, weshalb - wie oben bereits angedeutet - die Bedeutung des Begriffs "Eigennutz" sich in der verständigungsorientierten Handlungstheorie auf alle drei Arten der Rationalität erstrecken muß, also eine kognitive, moralische und ästhetische. Diese Rationalitätsarten sind durch die Geltungsansprüche der Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit
III. Explikationskraft einer neuen Synthese
235
repräsentiert. Damit wird freilich der Eigennutzbegriff in eine Richtung gewendet, die mit dem allein zweckrationalen (kognitivistischen) Nutzenbegriff der Ökonomik nur noch teilweise übereinstimmt, im übrigen aber allgemeiner ist. Eigennutz wird bei Habermas auf ein rationales Einverständnis hin konzipiert, nicht nur auf die Verwirklichung von Zwecken. Berücksichtigt man diese erweiterte Bestimmung, so fordert auch Habermas nicht zur Preisgabe der Eigennutzhypothese auf. Es sind aber die Konsequenzen auch deutlich zu erkennen: Wie im Eingangszitat hervorgehoben, gehören nun auch moralische und sogar ästhetische Erwägungen zur Rationalität und können entsprechend eigennutzorientiert sein. Damit ist aus Beobachterperspektive immer auch die Möglichkeit jedes Individuums zu würdigen, sich in die Rolle bzw. Situation eines anderen hineinzuversetzen, oder sogar in einen "verallgemeinerten Anderen" ("moralische Vernunft"). Eine in dieser Weise erweiterte Eigennutzthese ist methodisch nur handhabbar, weil es Habermas gelungen ist, die Voraussetzungen und Bedingungen der verschiedenen Rationalitätsarten hinreichend deutlich zu machen. Er hat in seinem umfangreichen Werk nämlich die Komponenten des Eigennutzkonzepts differenziert untersucht und in allen Einzelheiten beschrieben. Diese Art der Eigennutzorientierung korrespondiert im übrigen direkt mit dem Begriff der komunikativen (verständigungsorientierten) Rationalität und kann deshalb zu einer in sich geschlossenen Methode führen.
c) Zusammenfassung: Die zentralen Annahmen der neuen Methode Die zentralen Annahmen des neuen Forschungsansatzes lauten: 1. Verständigungsrationalität, die sich auch auf bestimmte schriftliche Kommunikationsakte erstreckt; 2. Eigennutzorientierung, die auf rationales Einverständnis abstellt; 3. Methodologischer Individualismus, bei dem zwischen Teilnehmer- und Beobachterperspektive differenziert wird; 4. Informationelle Beschränkungen, die in einer konsenstheoretischen Wahrheitskonzeption gründen;
236
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
5. Institutionelle Eingebundenheiten, die durch Lebenswelt-Gesichtspunkte beschreibbar sind. Die beiden letzten Annahmen (4. und 5.) lassen sich auch zusammenführen zur Bestimmung individueller und gemeinsamer Lebenswelten. Mit diesen Annahmen können handhabbare Modelle formuliert, plausible Hypothesen gebildet und sinnvolle Erklärungen gefunden werden (s.u.). Vorab sollen aber die theoretische Merkmale der neuen Methode kritisch geprüft werden. 2. Anwendbarkeitsvoraussetzungen der neuen Methode
Die dargelegte neue Forschungsmethode muß sich praktisch bewähren. Bevor ich sie aber - im letzten Teil der Arbeit - auf konkrete Fragestellungen des neuen GATT und der WTO anwende, müssen ihre Qualifikation und ihre Möglichkeiten theoretisch noch genauer herausgestellt werden. Es muß (a) die analytische Geschlossenheit der Methode begründet werden. Zudem möchte ich (b) mit einem Fragenschema aufzeigen, wie die neuen Annahmen zu operationalisierten Modellen konkretisiert werden können, um (c) die durch sie eröffneten Möglichkeiten für die GATT-Problematik theoretisch-allgemein einzuschätzen. a) Analytische Geschlossenheit Von einer Forschungsmethode ist zu fordern, daß sie in analytisch geschlossener Form vorliegt, worunter v. a. zu verstehen ist, daß sich (1) ihre Annahmen nicht widersprechen, (2) in einem wechselseitigen Verweisungszusammenhang stehen und (3) vollständig sind. Sie müssen (4) dem wissenschaftstheoretischen Leitbild entsprechen, mit möglichst wenig Annahmen auszukommen, die also nicht untereinander redundant sind. Da es unmöglich ist, auf dem zur Verfügung stehenden Raum, umfangreiche theoretischdogmenkritische Überlegungen darzustellen, die neben der Überprüfung der Annahmenplausibilität und der inneren Konsistenz und Widerspruchs freiheit der neuen Methode auch noch ihre wissenschaftstheoretische Strenge nachweisen kann, habe ich mich entschieden, ihre Tauglichkeit mithilfe einer Plausibilitäts- und Analogieüberlegung erkennbar zu machen. Sie führt zu dem gleichen Ergebnis, daß die neue Forschungsmethode den genannten Anforderungen entspricht:
III. Explikationskraft einer neuen Synthese
237
Man kann davon ausgehen, daß die beiden Theoriezweige Ökonomik und Theorie des kommunikativen Handeins bereits einem propädeutischen Vorstadium entwachsen sind und mithin je für sich innere Konsistenz und theoretischer Strenge besitzen. Dies ist für die Ökonomik gut einsichtig, liegen doch ihre Annahmen in knapper und präziser Form vor. Aber auch die Theorie des kommunikativen Handeins erfüllt diese Bedingungen. Allerdings ist sie durch ihre wesentlich größere Allgemeinheit auch viel breiter angelegt. 103 In der Synthese wurden die beiden Theorien in einer Weise kombiniert, die inhaltlich die allgemeineren Vorgaben der Kommunikationstheorie aufgreift und sie auf die methodisch strenge Form der Annahmen der Ökonomik bringt. Während sich bis hierher die Synthese als ein riskantes Unterfangen darstellte, kann sie jetzt v.a. als Vorgehen angesehen werden, welches die Erkenntnisse von Habermas auf die methodische Fornl der Ökonomik bringt und sich dabei eng an die Vorgaben der jeweiligen Theorien, auch der Ökonomik hält: Die genau fünf zentralen Annahmen der Synthese sind an die Annahmenstruktur der Ökonomik angepaßt. Weil dem ökonomischen Begriffsapparat Redundanzen nicht vorgeworfen werden können, kann auch der neuen synthetischen Methode dieser Vorwurf erspart bleiben, sofern ihre Elemente (Annahmen) ebenso in einem inneren Verweisungszusammenhang stehen und vollständig sind. Letzteres wurde aber durch die inhaltlich enge Anlehnung an die Theorie des kommunikativen Handeins sichergestellt, deren "Erweiterungen" sich als Klärungen herausstellen ließen. Diese Plausibilitäts- und Analogieüberlegungen zur methodischen Geschlossenheit der neuen, aus der Synthese entstandenen Methode können hier nicht umfassender entwickelt, sondern nur auf diese Weise im Ergebnis dargelegt werden. In den kommenden Ausführungen können ihre analytischen Qualifikationen aber unter Beweis gestellt werden.
103 Ich habe bereits betont (vgl. Grenzen des verständigungsorientierten Erklärungsansatzes, S. 224), daß die Unklarheiten über die Theorie des kommunikativen Handelns weniger in ihr selbst angelegt sind, als vielmehr v.a. durch unqualifIzierte Nacherzählungen auftreten.
238
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
b) Operationalisiertes Fragenschema Nimmt man als Grundfrage jene nach dem zu erzielenden rationalen Einverständnis (Sachverhalt, Thema, Verhandlungsergebnis), so sind nachfolgen-
de, aus den zentralen Annahmen abgeleitete, Vorfragen klärungsbedürftig: Dieses Einverständnis wird erzielt zwischen ...
1. Welchen Akteuren (internationale Entscheidungsträger: Politiker, Bürokraten, Parlamentarier, Interessenvertreter , etc.)? 2. Mit welchen Geltungsansprüchen (Wahrheit, Richtigkeit, Wahrhaftigkeit)? 3. Mit welchen Gründen/ Argumenten? 4. Unter Bezug auf welche gemeinsamen Lebenswelten (die sich durch welche informationelle Beschränkungen, institutionellen Einbindungen und Institutionenvariabilitäten auszeichnet)? Diese Fragen stellen sich freilich nur dann in der vorbezeichneten Weise, wenn die Akteure in einer unterstellten idealen Sprechsituation rationales Einverständnis per kommunikativem Handeln zu erzielen trachten. Kann hiervon nicht ausgegangen werden, müssen zunächst die verschiedenen Handlungsbereiche abgesteckt werden, um die Bereiche kommunikativen Handeins aufzudecken, für die eine verständigungsorientierte Analyse möglich erscheint. Hierzu müßte die Interaktion nach einzelnen Bereichen differenziert betrachtet werden, um je strategisches, normatives, dramaturgisches von kommunikativem Handeln abzugrenzen und gesondert zu analysieren. Hierbei ist sorgfältig abzuwägen, ist andererseits aber wohl auch nicht ohne einige Hilfskonstruktionen auszukommen. Beispielsweise kann es bei längeren Kooperationsbeziehungen, die nicht auf Unterdrückung oder Macht beruhen, naheliegen davon auszugehen, daß verständigungsorientierte Interaktionsmuster vorliegen und für diese Kooperationen genutzt werden. Denn wirkliche Kooperation ist nur mit Verständigung denkbar, und Verständigung fußt in kommunikativem Handeln. 104
104 Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, daß dieser Langfristcharakter sich nicht durch ein langfristiges strategisches Spiel modellieren läßt. Von einem unendlichen Spiel zu sprechen pervertiert hingegen den Grundcharakter der Zweckrationalität. Aus spieltheoretischer Sicht könnte Verständigungshandeln aber umgekehrt u. U . als konsequente Erweiterung i.S. unendlicher (Sprach-) Spiele angesehen werden.
III. Explikationskraft einer neuen Synthese
239
c) Theoretische Möglichkeiten für die GATT-Problematik Die einzelnen Fragen, wie sie vorstehend in dem operationalisierten Fragenschema aufgeführt sind, stehen - wie schon die zentralen Annahmen der Synthese - in einem gegenseitigen (holistischen) Verweisungszusammenhang . Deswegen ist es möglich, wenn sie vollständig sind, je nach Informationslage des forschenden Beobachters, statt der Grundfrage nach rationalem Einverständnis, einen anderen Fokus zu setzen. Entsprechend den fünf methodischen Frage-Dimensionen (s.o.: vier, plus Grundfrage) könnte beispielsweise auch nach den bestmöglichen Diskurspartnern gefragt werden, wenn die zu erzielenden Einverständnisse ebenso bekannt sind, wie die möglichen Kommunikationsmodi, Geltungsanspruche, GlÜnde und jeweiligen Lebenswelten. Entsprechend ließen sich auch Fragen nach den bestmöglichen Geltungsanspruchen und GlÜnden oder dem zu wählenden Kommunikationsmodus stellen. Schließlich könnte auch die Frage nach den individuellen Lebenswelten und deren Entwicklungen und Veränderungen erforscht werden, oder direkt die (Veränderungen der) gemeinsamen Lebenswelten. Dies wie gesagt jeweils, sofern alle anderen Angaben in hinreichendem Umfang vorliegen. Diese fünf Frage-Dimensionen sind prinzipiell auf alle sozialen Interaktionen anwendbar, so auch für Fragestellungen zum GAIT. In der je unbekannten Frage-Dimension können hierfür Hypothesen gebildet und überpruft werde.n. Dies wird im folgenden Teil der Arbeit für die neue WTO, insbesondere deren rechtlichen Beachtung und Durchsetzung geschehen, wobei exemplarisch der Bezugspunkt Umweltschutz herausgegriffen wird, der sich als besonders komplex, darum aber auch als besonders anschaulich darstellt. Das Besondere an der neuen Methode ist, daß sie es erstmals ermöglicht, auch Aspekte des neuen GAIT und der WTO, die bisher nur als Rechtsnormen vorliegen, hinsichtlich ihrer zukünftigen Anwendung (Beachtung und Durchsetzung) differenziert zu untersuchen. Rechtsbeachtung und -durchsetzung, soviel schon hier, sind möglich, wenn via Verständigungsleistungen die Eskalation von Konflikten vermieden werden kann. Dazu muß bei bekannten Akteuren und beschreibbaren Lebenswelten v.a. die Frage-Dimension der Geltungsanspruche in den Mittelpunkt geruckt werden: Sind bestimmte rationale Einverständnisse mit den verrechtlichten und institutionalisierten Verfahren wahrscheinlich erzielbar oder nicht? Letztlich werden auch die Ergebnisse der praktischen Anwendung im nächsten Kapitel daruber entscheiden, ob es gelungen ist, mit der neuentwikkelten Methode ein analytisches Instrumentarium bereitzustellen, das schon
240
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
jetzt brauchbare Aussagen über die zukünftige Funktionsweise des neuen Rechts- und Politikgebildes WTO ermöglicht. Hier aber schon die theoretischen Vorüberlegungen, warum von einer Eignung generell ausgegangen werden kann: Das Verfahren ist "methodisch sauber" hergeleitet worden: Die konkrete Fragestellung dieser Arbeit nach dem Verzicht auf rechtliche Durchsetzungsversuche als Reaktion auf Vertragsverletzungen und -umgehungen im GATT konnte mit der Theorie des kommunikativen Handeins befriedigend beantwortet werden. Außerdem wurde gezeigt: Die neue Methode ist - so wie die Habermas' sche Methode - zur Erklärung von Sozialphänomenen, auch für internationale Rechts- und Politikprozesse, gut geeignet. Weil sich die neue Methode in diesem Sinne am bisherigen GATT bewähren konnte, gehe ich davon aus, daß sie auch zum Verständnis des neuen GATT und der WTO beitragen kann. Dieser Analogie-Schritt ist methodologisch problematisch. Er ist jedoch zu rechtfertigen, weil die neue Forschungsmethode einen extrem allgemeinen Erklärungsansatz anbietet. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht halte ich sie insofern - analog zur Theorie des kommunikativen Handelns - für ziemlich unangreitbar. Leider konnte dies aus Platzgründen schon für die Habermas' sche Theorie nicht nachgewiesen werden. Dazu hätten nämlich die Grundlagen wissenschaftsphilosophischer Überlegungen ausgebreitet werden müssen. Hier nur noch soviel: Die Habermas' sche Theorie ist durchaus selbstbezüglich; sie kann ihre eigenen Grundlagen selbst erkären, sie nimmt den Widerspruch zwischen Teilnehmer- und Beobachterperspektive in sich auf. 105 Dies gilt ebenso für den neuen Ansatz. Bezüglich des verständigungsorientierten Ansatzes muß vielmehr einer anderen Befürchtung begegnet werden, nämlich daß die theoretischen Begrifflichkeiten nicht genügend ausdifferenziert sind bzw. nicht genügend analytische Schärfe für die Erklärung komplexer Sozialprozesse aufweisen. Damit ist aber ein methodisch-praktisches Problem angesprochen: zu viele Einflußfaktoren verwirren das Bild und verkomplizieren jede einfache Modellsicht. Um diese Problematik kalkulierbar und kontrollierbar zu machen, wurde die Theorie des kommunikativen Handeins auf eine einfache Annahmenstruktur ,
105 Diese "Selbstbezüglichkeit" halte ich im übrigen für eine bedeutende Güteeigenschaft umfassender philosophischer Explikationsversuche. Auf die hier eigentlich notwendige Henneneutik-Dislcussion muß leider auch verzichtet werden. Ich verweise diesbezüglich insbesondere auf die Ausführungen von Apel, 1994, Teil II, S. 223-377.
III. Explikationskraft einer neuen Synthese
241
ähnlich jener der Ökonomik zugeschnitten. Dies war ohne wesentliche Veränderungen der Theorie möglich und kann letztlich als reiner Klärungsversuch gelten.
3. Schlußüberlegungen " ... Diese Versuche [das transzendentale Bewußtsein in Sprache, Handlung oder Leib «verkörpert» zu denken und die Vernunft in Gesellschaft und Geschichte zu «situiereID>] müssen sich nicht in der Sackgasse einer phänomenologischen Anthropologie verfangen; sie können auch zu einer Revision tiefsitzender ontologischer Vorurteile führen, etwa zur sprachpragmatischen Überwindung der logozentrischen Engführung einer ontologisch auf die Frage nach dem Sein des Seienden, erkenntnistheoretisch auf die Bedingungen objektivierender Erkenntnis und semantisch auf die Wahrheitsgeltung assertorischer Sätze fixierten Überlieferung. Auf dem Wege der Sprachpragmatik kann man zu komplexeren Weltbegriffen gelangen und jene Prämissen außer Kurs setzen, unter den sich die traditionelle KörperGeist-Problematik allein stellt. ,,106
Die neue Methode rüstet, so das Ergebnis der Erörterungen, den forschenden Beobachter gut aus für eine sinnverstehende Explikation sozialer Interaktionsprozesse, wie sie auch im GATI vorlagen und in der WTO zu erwarten sind. Sie macht wegen ihrer Allgemeinheit, bei gleichzeitig ausgeprägter begrifflicher Ausdifferenzierung und methodischer Übersichtlichkeit auch zukünftige Rechts- und Politikentwicklungen im neuen GATT und der WTO beurteilbar. Das wird im folgenden Teil der Arbeit praktisch vorgeführt werden. Die neue Methode nimmt das Spannungsverhältnis zwischen Teilnehmerund Beobachterperspektive in ihre Grundannahmen auf, wie mit folgender Gegenüberstellung nochmals vergegenwärtigt werden kann (siehe Tabelle 5). Die Synthese aus den beiden Theorien entspricht inhaltlich im wesentlichen der Theorie des kommunikativen Handeins, methodisch wurde sie stark an die geschlossene Annahmenstruktur der Ökonomik angelehnt. Die methodischen Möglichkeiten wurden durch einen operationalisierten Fragenkatalog angedeutet. Die theoretischen Möglichkeiten für das GATI und Problemstellungen zu sozialen Interaktionen im Rahmen von internationalen Rechts- und Politikprozessen konnten ersatzweise durch vorsichtige Plausibilitäts- und Analogieüberlegungen gerechtfertigt werden.
106 Habermas, 1992, S. 28; vgl. auch Habermas, 1988 I, S. 115-151. 17 Kopke
242
D. Paradigmenwechsel und neuer Forschungsansatz
Tabelle 5: Teilnehmer- versus Beobachterperspektive
Ökonomik
Theorie des kommunikativen Handeins
(individuelle) Teilnehmerperspektive
Welche Alternative kostet mich am wenigsten, bzw. bei welcher wird mein Nutzen maximiert?
Wie kann ich rationales Einverständnisses erzielen? Mit welchen Argumenten kann ich meinen Gesprächspartner überzeugen?
(sozialwissenschaftliehe) Beobachterperspektive
Aktor X entscheidet (handelt) gemäß seinen Präferenzen optimal; welche Alternative müßte er wählen, wieviel "kostet" sie ihn? Vor welchem begrenzten Informationshorizont trifft er seine Entscheidungen und unter welchen Umweltbedingungen?
Aktor X versucht rationales Einverständnis zu erzielen, indem er mit der kontrafaktischen Präsupposition einer "idealen Sprechsituation" in eine Kommunikation oder einen Diskurs eintritt. Mit welchen Gründen könnte er Geltungsansprüche erheben? Welche Lebenswelt-Differenzen bestehen?
(sinnverstehende Explik1ltion)
Entsprechend den methodischen Annahmen der Theorie-Synthese können sich die zu gewinnenden Erkenntnisse auf verschiedene Aussagebereiche erstrecken (Frage-Dimensionen). Diese sind: 1. ) Welches rationale Einverständnis? 2.) Welche Beteiligten? 3.) Welche Handlungsarten (Geltungsansprüche) 4.) Welche Gründe? und 5) Welche Lebenswelten? Damit kann beispielsweise für das neue Streitschlichtungsverfahren gefragt werden, ob es zur Vermeidung von Konflikten (Bezug auf bestimmtes rationales Einverständnis) mit seiner verrechtlichten und institutionalisierten Ausgestaltung (Bezug auf bestimmte Geltungsansprüche) prinzipiell auch für zunehmend wichtigere und komplexe Anwendungsfälle, wie z.B. den Umweltschutz geeignet ist.
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen mit der neuen Methode Ich habe gezeigt, daß internationale Rechts- und Politikprozesse mit den Theorien der Ökonomik nicht befriedigend erklärbar sind, und zwar aus ganz grundsätzlichen Erwägungen. Dieses Ergebnis war das Resultat nicht nur der gescheiterten Erklärungsversuche einer praktischen GATI-Fragestellung (zum "Rechtsverzicht"), sondern auch einer wissenschaftstheoretisch fundierten Gegenüberstellung mit einer allgemeineren ("übergeordneten") Theorie. Deren Erklärungskraft konnte an der gleichen praktischen Frage demonstriert werden. Wenngleich die Theorie des kommunikativen Handeins von Habermas inhaltlich Rechtsbeachtung und Rechtsverzicht überzeugend erklären konnte, liegt sie indes in einer methodisch wenig "geschlossenen" Form vor. Deshalb habe ich die Synthese aus Ökonomik und Theorie des kommunikativen Handelns darauf angelegt, den verständigungsorientierten Erklärungsansatz in eine methodisch handhabbare Form zu bringen - damit er zur Erklärung von internationalen Rechts- und Politikprozessen einsetzbar wird. Es war wichtig, diese gesamte Argumentation anhand eines praktischen (GATI-) Problems zu entwickeln, weil sonst der Vorwurf nicht entkräftet gewesen wäre, die Ablehnung der Ökonomik sei aus Ideologiekritik erfolgt. Der Praxisbezug ist aber auch wichtig, weil es in dieser Arbeit neben den methodischen Aspekten um die Beantwortung der einen konkreten Fragestellung geht, wie sich Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO zukünftig gestalten werden. Schließlich dürfte eine Beurteilung des neuen GATI, der neuen WTO, ohnehin nur vor dem Hintergrund eines fundierten Verständnisses der Gesamtproblematik der Rechtsanwendung und -durchsetzung im internationalen Beziehungsfeld möglich sein. Die eingangs gestellte Frage, warum Akteure internationaler Handelspolitik
im bisherigen GA1T darauf verzichtet haben, mit rechtlichen Mitteln gegen
Vertragsverletzungen und -umgehungen der GATI-Regeln vorzugehen, erachte ich in der vorliegenden allgemeinen Form für geklärt. 1 Der verständigungsorientierte Ansatz konnte die durch die Ökonomik unbeantwortet gelassenen
244
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
Erklärungslücken ausfüllen, indem mit i1un systematisch begründet werden konnte, warum es für internationale Entscheidungsträger individuell rational sein kann, auf Vertragsverletzungen und -umgehungen nicht sogleich mit rechtlichen Gegenmitteln zu reagieren. Jeder Vertragsbruch verweist nämlich über das gesetzte Recht hinaus auf übergeordnete Rechtsnormen oder einen übergeordneten Rechtsrahmen. Liegt ein solcher nicht vor, verweist er auf andere soziale Interaktionsmuster. So verweist beispielsweise ein privatrechtlicher Vertragsbruch in den übergeordneten Rechtsraum der (nationalen) Privatrechtsordnung, die durch eine Reihe von "Rahmen"-gesetzen beschrieben wird und selbst in eine übergeordnete Verfassungsordnung eingebunden ist. Völkerrecht aber besitzt keinen übergeordneten Rechtsrahmen, weswegen regelmäßig der Rekurs auf andere soziale Interaktionsmuster notwendig wird: Machtpolitik durch unilaterale Drohungen und Sanktionen, die in offener Weise oder auf dem Wege der stillen Diplomatie eingesetzt werden. 2 Sie unterscheiden sich ganz grundsätzlich von berechenbaren Rechtsverfahren. Da allein strategisch-zweckrationale Interaktionsmuster (wie die der Ökonomik) keine hinreichenden Erklärungen ermöglichen, wurde in dieser Arbeit für die internationale Ebene der Explikationsansatz eines öffentlichen, also für alle Beteiligten offenen und transparenten, verständigungsorientierten politischen Diskurses zusätzlich aufgezeigt. Der verständigungsorientierte politische Diskurs ist eine echte Alternative für die Explikation internationaler Beziehungen, weil er als pragmatische Bedingung für jede Verständigung konzipiert ist - für alle jene Fälle also, bei denen die Erklärung mit einem gegenseitigen strategischen Kalkül unvollständig bleibt. 3 Hierzu ist es zwar aufwendig, die je individuellen Lebenswelten zu rekonstruieren und aus ihnen
1 Wie am Beginn der Arbeit ausgeführt, sind Erklärungen zu der Frage, warum überhaupt Verträge abgeschlossen werden, ebenso möglich. Sie wurden in dieser Arbeit indes nur gestreift, weil die vorgelegte Fragestellung präziser handhabbar war und zielsicherer in die ökonomische Problematik führen konnte. 2 Im Völkerrechtsschrifttum wird in der sog. "völkerrechtlichen Verantwortlichkeit" die Notion selbstverständlich anerkannt, daß Völkerrechtssubjekte nach Völkerrechtsverletzungen in besonderen Beziehungen zueinander stehen. Völkerrechtswissenschaftler tun sich aber mit seiner praktischen Handhabung schwer, da es über den Rahmen juristischer Methodik hinausweist. VgI. Ipsen, 1990, S. 531 ff. 3 Hierzu besonders erhellend die Ausführungen in Habermas, 1991, S. 219-226, zur Moralfrage im Tier- und Umweltschutz.
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
245
auf Verständigungsbeziehungen und insbesondere auf pragmatische Verständigungshaltungen zu schließen. Da aber ohne pragmatische Verständigungshaltungen, wie Habermas gezeigt hat, rationales Einverständnis überhaupt unmöglich ist, verbleibt für eine fundierte sozialwissenschaftliehe Untersuchung letztlich nur diese Möglichkeit. Exkurs: Es ist das Anliegen dieser Arbeit, die dem wissenschaftlichen Beobachter recht unstrukturiert vorliegenden internationalen Beziehungen zu systematisieren. Ausgehend von der politikwissenschaftlichen Begriffsabgrenzung zwischen Völkerrecht, Machtpolitik und Diplomatie, ist nun der Begriff des verständigungsorientierten politischen Diskurses hinzugekommen. Er fügt sich problemlos in einen methodologischen Individualismus ein und vermeidet dadurch die gängigen Betrachtungen von Nationalstaaten als single-actors. Zudem offenbart das Verständigungskonzept seine eigenen Erkenntnisgrundlagen, indem es den beobachtenden Wissenschaftler als (fIktiven) Teilnehmer explizit konzipiert.
Mit dem verständigungsorientierten Erklärungsansatz und seiner "methodischen Bändigung" in einer Synthese als neue Methode, sind - so die Überlegung - nicht nur vergangene Beziehungen, im alten GATT, sinnvoll interpretierbar; Sondern die strenge Methode erlaubt es erstmals auch, plausible Überlegungen zur zukünftigen Rechtsanwendung, -beachtung und -durchsetzung im neuen GATT und der WTO anzustellen. Dabei müssen die wissenschaftstheoretischen Anforderungen an solche prospektiven Überlegungen möglichst hoch gesteckt werden. 4 Wie werden sich also Rechtsbeachtung und -durchsetzung im neuen GATT und der WTO gestalten? Welche Aussagen sind mithilfe der neuen wissenschaftlichen Perspektive schon jetzt über die neuen Verträge möglich, die in rechtlich kodifizierter Form vorliegen und in diesem Jahr auch bereits völkerrechtlich in Kraft getreten sind?5 Entsprechend der in Teil B dieser Arbeit vorgenommenen Abgrenzungen zwischen Vertragsbruch, Vertragsverletzungen und -umgehungen und der Analyse der Ausgangsbeobachtung (Vertragsverletzungen und -umgehungen) geht es auch im folgenden um die Frage, ob
4 Statt einer ausgereiften und empirisch unterlegte Detailanalyse, kann es im folgenden im wesentlichen nur darum gehen, die Möglichkeiten der neuen Methode praktisch, an einem Beispiel, zu demonstrieren. 5 Ende Mai 1995 hatten bereits 96 Vertrags staaten die WTO ratifIziert und sind damit formal Mitglieder geworden, vgl. World Trade Organization, Press Release 14, 31. Mai 1995.
246
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
die neuen Rechtsregeln beachtet und rechtlich wirksam ("effektiv") werden, oder eventuell ebenso verletzt und umgangen werden, wie schon die Regeln des alten GATI. Diese Problemstellung kann bezogen auf die neue WT06 verdichtet werden zu der Frage, ob das neue wrO-Streitschlichtungsverjahren nicht in gleicher Weise verletzt und umgangen wird, wie schon das bisherige (GAIT-) Streitschlichtungsverfahren. Der Fokus allein auf das Streitschlichtungsverfahren, als die für die Untersuchung hauptsächlich relevante WTORechtsregel, beschränkt die Forschungsperspektive nur unbedeutend. Wie nämlich im Teil B dieser Arbeit gezeigt wurde, deutet die Suche nach rechtlichen Reaktionsweisen zu Vertragsverletzungen und -umgehungen letztlich auf das multilaterale Streitschlichtungsverfahren, sei es das vertragliche GATIGetzt WTO-) Verfahren oder auch die Verfahren im universalen Völkerrecht. Denn bei allen unilateralen Maßnahmen ist zwar im GATI mitunter (formal-) juristisch ein genuiner Rechtscharakter gegeben; In der Abgrenzung zu Diplomatie und Machtpolitik reichen die begrifflichen und faktischen Differenzierungsmöglichkeiten der Völkerrechtstaxonomie aber i.d.R. nicht für eine klare Abgrenzung, v.a. nicht was den Mißbrauch und die Umgehung anbelangt. 7 Mit dem neuen WTO-Streitschlichtungsverfahren dürfte somit der wichtigste Bezugspunkt für die Beurteilung von Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO eingeschätzt werden, zumal es sich nach Gründung der "full fledged" WTO anbietet, - strenger als bisher - auch jeden Rekurs auf universales Völkerrecht als Umgehung der WTO-Streitschlichtung anzusehen, weil WTO-Mitglieder laut Vertragstext numnehr verpflichtet sind, von dem WTO-Streitschlichtungsverfahren Gebrauch zu machen, wann immer es anwendbar ist. Als Beispiel für zu erwartende Probleme für Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO diene in dieser Arbeit der Umweltschutz. Im bisherigen GATI gab es (historisch bedingt) so gut wie keine Umweltbestimmungen. Auch muß der Versuch, den veränderten weltpolitischen Aufmerksamkeiten
6 Ich werde im folgenden weniger von "dem neuen GATI und der WTO" sprechen, als meistens, trotz geringfügiger Ungenauigkeiten, nur noch von "der WTO". 7 Es läßt sich nun also formulieren, daß es auf die Anwendung multilateraler Verfahren ankommt (im Gegensatz zu unilateralen). Ich bin im Teil B der Arbeit aber bewußt von der Abgrenzung "Rechtsverfahren" versus "Machtpolitik" und "Diplomatie" ausgegangen, um diese Erkenntnis selbst herzuleiten und am Beginn der Arbeit den entscheidenden Fokus zu setzen.
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
247
für die Umwelt im Rahmen des "alten" GATT-Streitschlichtungsverfahrens gerecht zu werden, als gescheitert angesehen werden. Teilweise ließen die GATT-Regeln keine entsprechenden rechtlichen Interpretationen zu. Zumeist haben aber die internationalen Handelsexperten der Streitschlichtungs-Panels die Herausforderung an ihre Auslegungsleistungen nicht erkannt oder einfach nicht angenommen. Sie sind so zu Interpretationen gekommen, die in klarem Widerspruch zu international anerkannten Umweltschutzabkommen stehen. Ein gewichtiger Punkt bei der Erklärung dürfte die ganz offensichtliche Geringschätzung oder gar Ignoranz der Handelsexperten gegenüber der gewachsenen Bedeutung von Umweltschutzaspekten in den internationalen Beziehungen gewesen sein. In der Abwägung zwischen dem abstrakten Freihandelsprinzip und den legitimen Ausnahmen aus Gründen des Umweltschutzes, dürften sie die tatsächlichen Interessen- und Machtlagen entweder gründlich verkannt haben, oder aber sie haben ihren Gestaltungsspielraum bewußt benutzt, um den Faktizitäten entgegenzuwirken. Die Folgen für das GATT sind bekannt: es wurde ersetzt. Wie auch immer die individuellen Motivationen der vielen einzelnen Entscheidungsträger, Akteure und Beteiligten zu beurteilen sind: Es waren zweifelsohne Versäumnisse dieser Art, die zur Novellierung und den Ausbau des GATT zur WTO geführt haben. In den neuen Verträgen wurde Umweltschutzerfordernissen nun etwas Ausdruck verschafft. Haben die vereinbarten Rechtsregeln aber hinsichtlich ihrer internationalen Beachtung und Durchsetzung realistischere Erfolgsaussichten, als die überkommenen GATT-Regeln? Bedenkt man allein die zusätzlichen Probleme aus neuen Vertragsgegenständen, ist unmittelbar einsichtig, daß keine schnellen Antworten möglich sind. Die Erwartungen an, und damit der Legitimationsdruck auf die WTO, und insbesondere ihr neues Streitschlichtungsverfahren, sind beträchtlich gestiegen. Sollte es aber in der WTO, wie im bisherigen GATT mißlingen, die wichtigen Aspekte veränderter internationaler Beziehungs- und Interessenlagen - und dazu gehören insbesondere auch Umweltschutzaspekte - zu integrieren, wird die WTO insgesamt unglaubwürdig werden und durch verschlechterte Beachtung und Durchsetzung ihren Rechtscharakter einbüßen. Die Verständigungsnotwendigkeiten, die aus der gemeinsamen Umwelt und der Notwendigkeit ihres Schutzes entspringen, können in die Systematik der in dieser Arbeit entwickelten verständigungsorientierten Methode eingestellt und gemäß der fünf Frage-Dimensionen untersucht werden: Mit (erstens) welchen Akteuren (internationale Entscheidungsträger, etc.), die (zweitens) welche Geltungsansprüche (Wahrheit, Richtigkeit, Wahrhaftigkeit) mit
248
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
(drittens) welchen Gründen und Argumenten und (viertens) unter bezug auf welche gemeinsamen Lebenswelten (informationelle Beschränkungen, institutionellen Einbindungen, etc.) rekurrieren, ist (fünftens) rationales Einverständnis über die WTO, ihr Streitschlichtungsverfahren sowie materielle Aspekte (hier: internationaler Umweltschutz) möglich? Zur Einlösung dieses analytischen Anspruchs, wird in der weiteren Untersuchung zunächst (A) das "institutionell verbesserte" GATT-IWTO-Streitschlichtungsverfahren vorgestellt und international eingeordnet und sodann (B) hinsichtlich seiner "Erfolgsaussichten" (Rechtsbeachtung und -durchsetzung) mit Bezug auf den Umweltschutz untersucht. Schließlich können (C) einige abschließende Bemerkungen über die WTO zur Formulierung praktischer Politikempfehlungen führen.
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung Für die Streitschlichtung - wie für die meisten Aspekte des novellierten GATT - wurde ein Weg der Verrechtlichung- und Institutionalisierung eingeschlagen, der das ganze Verfahren legalistischer gemacht hat. Indessen gab es auch einige "Flexibilisierungen", insbesondere durch die WTO, wie im folgenden zu zeigen sein wird. Inzwischen liegen die neu geschaffenen Rechtsnormen als Vertragstexte vor. Es verbleiben aber gewichtige Zweifel, ob die Novellierungen des Streitschlichtungsverfahrens wirkliche "Verbesserungen" für seine Beachtung und Durchsetzung sein werden - scheinen doch viele Rechtsnormen aus der engen legalistischen Sicht von Juristen entstanden, denn aus einer Würdigung praktischer Realisierbarkeitserwägungen. Solche Zweifel verstärken sich, bedenkt man, welche neuen Anforderungen an das Verfahren allein dadurch entstehen, daß einige Vertragsgegenstände ganz neu hinzugekommen sind; Zu nennen sind hier insbesondere: Landwirtschaft, Dienstleistungen und Fragen geistigen Eigentums - schließlich aber auch Aspekte des Umweltschutzes etc. Bei den Verhandlungen über geistige Eigentumsrechte sind auch nur mühsam Minimalkompromisse erzielt worden. Der internationale Schutz geistigen Eigentums ist moralisch kaum zu begründen. Am Themenbereich Landwirtschaft wären beinahe die Verhandlungen geplatzt. Über die Auswirkungen freien Dienstleistungshandel bestehen große Unsicherheiten. Wie sollen da zukünftige Panel-Mitglieder zu Entscheidungen
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
249
und Resultaten kommen, die rechtlich anerkannt und durchsetzbar wären? Die Idee globalen Handels hat aber auch andere Problemkreise in den Vordergrund gerückt: Umweltschutz, soziale Sicherheit, Immigration, etc. Fragen des Umweltschutzes greife ich exemplarisch heraus. Gegenstand der folgenden Überlegungen soll die Frage sein, in welcher Weise die vielen Streitpunkte, die auch in der wissenschaftlichen Literatur nicht weniger kontrovers diskutiert werden, in Zukunft bewältigt werden können. An der beispielhaft gewählten Umweltproblematik dürfte sich paradigmatisch die ganze Problematik des neuen Streitschlichtungsverfahrens nachvollziehen lassen. 8 Da zudem die obligatorische Inanspruchnahme des Streitschlichtungsverfahrens vereinbart wurde, könnte sich an ihm gar das "Schicksal" von Rechtsbeachtung und -durchsetzung der ganzen WTO und des mit ihr verbundenen multilateralen Welthandelssystem brechen. Im folgenden möchte ich zunächst (1) die Streitschlichtung in einen Gesamtzusammenhang der internationalen Handelsbeziehungen stellen, um (2) die neuen WTO-Streitschlichtungsregeln im einzelnen zu untersuchen und (3) die methodische Anbindung an die verständigungsorientierte Forschungsmethode zu schaffen.
1. Streitschlichtung in den internationalen Handelsbeziehungen Um den Platz der Streitschlichtung auch in den zukünftigen internationalen Handelsbeziehungen bestimmen zu können, sollen im folgenden zunächst (a) die neuen internationalen Handelsregeln kurz skizziert werden, sowie (b) deren Einbindung in die neue WTO, die eine zentrale Stellung im geplanten
8 Die gleiche exemplarische Anschaulichkeit weisen u. U. auch Sozialaspekte (Stichwort: "Sozialdumping") auf. Bei "Umwelt" und "Soziales" handelt es sich um typische Bereiche sogenannten "Marktversagens", die jedem Ökonomen Kopfzerbrechen bereiten - wenn nicht theoretisch, so doch wenigstens praktisch. Ich wähle den Bereich Umwelt, weil die zukünftigen Entwicklungen im Sozialbereich schwerer abschätzbar scheinen. So ist z.B. absehbar, wie zukünftig die Mobilität des Faktors Arbeit international geregelt sein wird. Umweltprobleme globalisieren sich dagegen mit sozusagen naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit, selbst wenn die Sensibilität der Betroffenen schwankt. Im Umweltbereich liegen im übrigen auch Erfahrungen mit kooperativer Konfliktlösung vor, vgl. Bingham, 1986; Lake, 1980.
250
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
Welthandelssystem einnimmt. Dadurch kann es (c) möglich werden, bereits erste Feststellungen über die zukünftige Rolle der multilateralen Streitschlichtung in den internationalen Handelsbeziehungen vorzunehmen.
a) Neue internationale Handelsregeln Die klassischen Vertrags- und Verhandlungsgegenstände, Waren und Zölle, sind durch die Novellierung des GATT und die Gründung der WTO als Ergebnis der GATT-Uruguay-Verhandlungen wesentlich erweitert worden. Zu unterscheiden ist mindestens in (1) neue Prinzipien und Ziele und (2) neue Regeln und Verfahren.
(1) Neue Prinzipien und Ziele? Das proklamierte Hauptziel der GATTUruguay-Verhandlungen wird in der Literatur allgemein in der Stärkung des multilateralen Handelssystems gesehen. 9 Abgesehen von den Schwierigkeiten einer solchen Formulierung, die von den individuellen Vorstellungen abstrahiert, müßte auch allererst geklärt werden, was unter "Stärkung" verstanden werden soll, und welche Regeln als "multilaterale Handelsregeln" gelten sollen. Hier wird unter Ökonomen vielfach die Ansicht vertreten, Ziel des GATT sei immer schon allein die Verwirklichung von "Freihandel" gewesen. Deshalb wird ja auch mit teils großer Skepsis auf die Neuerungen des GATT/ der WTO geblickt, in denen von klaren Freihandelsprinzipien teilweise erheblich abgewichen wird. Bereits am Beginn dieser Arbeit (S. 7 ff.) habe ich aber demonstriert, daß erstens neben "Freihandel" auch bisher schon weitergehende Zielvorstellungen formuliert waren und zweitens jede Formulierung "nationalstaatlicher" oder "globaler" Zielvorstellungen an der wirklichen Vielfliltigkeit individueller Handlungsmotivationen vorbeiführt, mit den genannten wissenschaftstheoretischen Problemen. Dennoch sind gesamtstaatliche Ziele, oder auch "die Ziele von internationalen Organisationen" oder "der Verhandlungen" die Betrachtungsebene vieler Untersuchungen mit wissenschaftlichem Anspruch. Es handelt sich meines Erachtens hierbei um eine eher gefährliche Abstraktion, der die Un-
9 Blankart, 1994, S. 21: "Schon gemäß der Diagnose von Punta deI Este sollte ja dem damals drohenden Protektionismus mit wirksameren - stärkeren - Regeln begegnet werden; an dieser Absicht hat auch die im Verlauf der Verhandlungen eingetretene Rezession nichts geändert. "
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
251
terstellung zugrundeliegt, Individuen könnten sich vollständig mit abstrakten Zwecken identifizieren. Was aber bedeutet das abstrakte Ziel "Freihandel"? Jede ernsthafte Diskussion, die nicht an Prinzipien und vagen Generalklausein stehenbleiben will, dürfte sich schon an diesem Punkt in unauflösbaren Schwierigkeiten verfangen. Weil in der hiesigen Arbeit aber keine umfassende Darstellung aller möglichen Ziele versucht wird, verbleibt auch hier vorerst nur der allgemeine Analyseweg, zu schauen, ob die Verhandler der GATT-Uruguay-Verhandlungen sich auf jene gemeinsamen Formulierungen ihrer Vertragsziele einigen konnten, die den bedeutenden Interessenkonstellationen und -strömungen im internationalen Handel entsprechen. Von den meisten Autoren wird die Ansicht vertreten, die Vertragsziele hätten sich im Vergleich zum bisherigen GATT nicht geändert. Blankart, 1994, S. 27, z.B. behauptet, die Ergebnisse der Verhandlungen hätten diesbezüglich keine größeren Neuerungen gebracht: Ein Vergleich mit dem status quo ante macht aber deutlich, daß die UruguayRunde - materiell - im Grunde genommen nichts anderes getan hat, als die Geltung der herkömmlichen GATT-Maximen auszubauen und zu erweitern [ ... ] Auch die neugeschaffene Welthandels organisation muß in diesem Sinne verstanden werden, nämlich als Garantie für eine kohärente Anwendung der traditionellen Philosophie sowohl in «alten» wie auch in den «neuen» Gebieten. lO
Immerhin wird zugegeben, daß Liberalisierungen nur schrittweise werden erfolgen können. ll Eine Analyse der Vertragstexte bestätigt diese Auffassung. Indes ist natürlich durch den Verhandlungsprozeß selbst in Form von Hintergrundpapieren und Argumentationen einiger "Grundsatz-Staub" aufgewirbelt worden. Dieser hat im Ergebnis aber nur zu einigen halbherzigen Neuformulierungen der Präambel gereicht. So sind keine weiterführenden Aspekte (insbesondere "Umwelt" und "Soziales") in das Welthandelssystem explizit verankert worden.
10 Und schon vorher: Blankart, 1994, S. 21: "Das imposante Ergebnis der Uruguay-Runde bestätigt also im wesentlichen die herkömmliche GATT-Philosophie und benützt auch größtenteils die alten GATT-Instrumente zu ihrer Durchsetzung." 11 Blankart, 1994, S. 22: Das GATT-System stellt "der reinen Freihandelsphilosophie die Philosophie der schrittweisen Liberalisierung entgegen ...
252
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
Ein anderer unerwarteter Widerstand hat sich während der GATT-Uruguay-Verhandlungen von einer ganz unvermuteten Seite artikuliert: Extreme Liberale sehen ihrerseits im neuen GATT und der WTO ihre Interessen gefährdet, die auf mehr Freihandel gerichtet sind. Sie meinen, ganz ohne GATT-fWTO wäre dem internationalen Freihandelssystem wohl weniger Schaden zugefügt worden, v.a. weil sich die "Verwaltung des Handels" dann nicht ausgedehnt hätte. 12 Beide Fronten formieren sich also gegen übertriebene Verrechtlichungs- und Institutionalisierungstendenzen im internationalen Handelssystem, sei es aus einer Abwägung zwischen Freihandels- und anderen Interessen, sei es aus einer radikalen Forderung nach mehr Freihandel. Übereinstimmen könnten sie in ihren pessimistischen Einschätzungen zukünftiger Rechtsbeachtung und -durchsetzung der neugeschaffenen internationalen Handelsregeln. An den Zielen ist also kaum wesentliche Arbeit geleistet worden. Lediglich die Aspekte der "nachhaltigen Entwicklung" und des Umweltschutzes sind in der ansonsten unveränderten Präambel neu benannt. Schon deshalb bieten sie sich für die kommende beispielhafte Analyse an. Indes muß vollkommen zweifelhaft bleiben, ob diesen neuen Zielvorgaben ein realistischer Stellenwert eingeräumt werden wird.
(2) Neue Regeln und Verfahren: An dieser Stelle kann es hinreichen, einen kurzen Überblick über die im übrigen umfassenden Neuerungen der GATTUruguay-Runde mit einigen ausschnittartigen Literaturhinweisen zu vermitteln. Es zeigt sich, daß es auf dem Gebiet internationaler Handelsregeln und Verfahren eine Fülle von Neuerungen gegeben hat 13 : 1. Es wurden neue Regelungen (z.B. für den Warenursprung 14) geschaffen. 2. Zentrale GATT-Regeln (z.B. Art. XIX, "Antidumping"15) wurden gründlich novelliert. 12 Vgl. hierzu die bissige Kritik im "The WTO-Reader" (Rockwell, 1994), zusammengestellt vom Ludwig van Mises Institute in Alabama, das sich für Klein- und Mittelunternehmen stark macht. 13 Vgl. als Einführung Hauser/Schanz, 1995, S. 49 ff; für einen schnellen Überblick Blankart, 1994, S. 18 ff., oder Großmann/Koopmann/Michaelowa, 1994, S. 256. Siehe auch Greenaway/Sapir, 1992; Hoekman, 1992.
14 Vgl. Asakura, 1993; Hoekman,1993a; Vermulst, 1992. 15 Vgl. u.a. Finger, 1992; Horlick, 1993; Nicolaides, 1990; Petersmann, 1990a; Tharakan, 1993; interessant auch schon Viner, 1923.
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
253
3. Zahlreiche Bestimmungen (z.B. die Antisubventionsbestimmungenl6) wurden spezifiziert. 4. Mehrere bislang ausgenommene Warenbereiche (z.B. Textil l7 , Landwirtschaft l8 ) wurden reintegriert. 5. Das Dienstleistungsabkommen GATSI9, das Abkommen über geistige Eigentumsrechte TRIPs20 sowie die Übereinkünfte über Direktinvestitionen TRIMs21 wurden ganz neu aufgenommen und führen damit nun zur Berücksichtigung so gut wie aller für den internationalen Handel relevanten Austauschaspekte. 6. Für regionale Wirtschaftszusammenschlüsse (Art. XXIV GATT) wurden etwas schäifere Regeln formuliert. 22 7. Das Verfahren des Trade Policy Review Mechanism TPRM wurde institutionalisiert. Es soll mehr Transparenz durch eine zyklische neutrale Beurteilung der nationalstaatlichen Handelspolitiken ermöglichen. 23 8. Das bisherige Streitschlichtungsveifahren wurde gründlich novelliert (dazu ausführlich unten, S. 261 ff.).
16 Vgl. Bourgeois, 1991, Hujbauer, 1990. 17 Vgl. Cline, 1990; Erzan/Holmes, 1990; Schöppenthau, 1993; Tang, 1989. 18 Vgl. Hathaway, 1990; Hoekman, 1989; Insergent/Rayner/Hine, 1994; Rayner/ Insergent/Hine, 1993. 19 Vgl. Beath, 1990; Breuss, 1990; Messerlin/Sauvant, 1990; Hindley, 1990; Hoekman, 1993; McCulloch, 1990. 20 Vgl. Christians, 1990; Dhanjee/Boisson de Chazoumes, 1990; GadbawlRichards, 1988; Maskus, 1990; Subramanian, 1990. 21 Vgl. Christy, 1991; Cottier, 1992; Graham/Krugman, 1990; Greenaway, 1992; Root, 1990; Scheibach, 1992; Tschojen, 1992; USITC, 1988. 22 Zunehmende "Regionalisierungstendenzen" werden durch die neuen WTORegeln kaum begrenzt. Im übrigen handelt es sich auch hier nach wie vor um eine Durchsetzungsfrage. Senti, 1994, S. 131 ff., behandelt die Frage, welche Auswirkungen wirtschaftliche Integrationszonen auf die GAIT-Regeln haben und daß die neuen Regeln gegenüber den alten keine Verbesserungen gebracht haben. Erste wissenschaftliche Bemühungen sind Bhagwati, 1992, zu verdanken. Grundlegend aber bereits Dam, 1963. Siehe außerdem Jackson, 1993, Lloyd, 1992, Nunnenkamp, 1993, 1994. 23 Vgl. z.B. Curzon Price, 1992, S. 96 ff.; Qureshi, 1990, 1992.
254
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
Zusammengenommen zielen die meisten Neuregelungen zum einen auf legalistischere, automatisierte Verfahrensabläufe ab, zum anderen auf stärkere Öffentlichkeitsbeteiligungen. 24 So läßt sich angesichts der vielfältigen Neufassungen aus juristischer Sicht durchaus von "Erfolgen" der GATT-Uruguay-Runde sprechen. Derenpraktische Umsetzung, Beachtung und Durchsetzung ist darum aber noch nicht gesichert. Nicht nur von Ökonomen wird zudem kritisiert, daß das neue Instrumentarium in seiner Reichweite hinter den Erfordernissen eines integrierten bzw. einheitlichen Ansatzes zurückgeblieben ist. Beispielsweise schreiben Großmann/Koopmann/Michaelowa, 1994, S.254: "Das GATT war vornehmlich auf die Regelung - und den Abbau - handelspolitischer Eingriffe an der Grenze ausgelegt. Mit wachsender Verflechtung der Volkswirtschaften rücken jedoch die außerwirtschaftlichen Nebenwirkungen binnenwirtschaftlicher Interventionen und zugleich deren Anfälligkeit gegenüber außenwirtschaftlichen Einflüssen immer stärker in das Blickfeld. Der hieraus erwachsenden Notwendigkeit internationaler Abstimmung wurde das multilaterale Regelwerk nicht gerecht. " Eine solche "Abstimmungsnotwendigkeit" ist auch der Umweltschutz, der sowohl binnenwirtschaftlich, wie global, Regulierungsaufwand erfordert - sei es mit marktwirtschaftlichen Instrumenten, sei es mit direkten staatlichen Eingriffen. 25
Fazit: In der knappen Darstellung des novellierten GATT sollte v.a. erkennbar werden, daß bei den Prinzipien und Zielen keine wirklichen Weiterentwicklungen stattgefunden haben, während die praktischen Anforderungen aus Regeln und Verfahren enorm gestiegen sind: Einerseits wegen der ganz 24 Nach wie vor wird die Öffentlichkeits beteiligung als wirksame Maßnahme zur Rechtsbeachtung und -durchsetzung angesehen. Regelmäßig gefordert wurden: Ein GATI-Gerichtshof, Staaten-/Regierungs-Berichterstattungspflichten, ein DrittparteienBeschwerderecht beim GATI über das Verhalten/das Zusammenwirken anderer, aber auch ein "Super-GATI" als permanent Ministerial-level body of limited membership. Diese Vorschläge wurden teilweise in den Beschlüssen der GATT-Uruguay-Runde festgehalten und verwirklicht. Weiterhin Forderungen geblieben sind: Ein individuelles Klagerecht bei den eigenen Gerichten gegen die eigene Regierung wegen NichtAnwendung von GATI-Regeln; ein "protection balance sheet" usf. 25 Selbst diese Erkenntnis ist unter Ökonomen nicht unbestritten. Auf die Diskussionen im Schnittpunkt zwischen Umwelt und Ökonomie kann hier aber nur hingewiesen werden. Vgl. als Einführung z.B. Endres, 1993, 1994.
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
255
entscheidenden Erweiterungen im Aufgabenbereich (Regeln), die v.a. durch die Einbeziehung neuer Vertragsgegenstände entstanden sind. Die daraus höchstwahrscheinlich erwachsenden Probleme sollten nicht unterschätzt werden. Andererseits steigen die praktischen Anforderungen wegen der hohen Erwartungen an die neuen Verfahren, insbesondere das neue Streitschlichtungsverfahren. Vertragsgegenstände und neue Verfahren erfassen nun zusammengenommen so gut wie jeden Aspekt des Austausches über internationale Grenzen hinweg. Zukünftig wird somit kein Aspekt des internationalen Handels der Problematisierung im neuen Welthandelssystem entgehen können. So vorteilhaft diese Willensbekundungen für Juristen und Freihändler prima facie auch klingen mögen. Unvermeidbar damit einhergehende Probleme sind jetzt schon in klaren Konturen zu erkennen. Wenn erst einmal die handelsrelevanten Aspekte von Waffen, Drogen, Umwelt und Immigration ins Blickfeld rollen, könnten sogar bisherige Konsensbereiche in den Strudel umfassender Problematisierungen gezogen werden, fragwürdig werden, überholt erscheinen. Ob also die Freihandelsidee mittel- und langfristig durch einen solchen umfassenden Ansatz gestärkt wurde, oder aber nun unter der Last zunehmender Rechtfertigungsnotwendigkeiten zusammenbrechen wird, ist eine durchaus offene und berechtigte Frage. Dieser Frage werden wir im folgenden am Beispiel eines dieser neuen Aufgabenbereiche, dem Umweltschutz, genauer nachgehen. Viel dürfte davon abhängen, ob die neugeschaffenen GATI-fWTORegeln und Institutionen den abzusehenden Anforderungen gewachsen sein werden. Immerhin sind die Verhandler und Entscheidungsträger , die teilhatten an den Diskussionen und am Abschluß der GATI-Uruguay-Runde, natürlich nicht blind gewesen für die Tatsache, daß gewichtige und auch qualitativ neuwertige Problemkomplexe entstanden sind. So zeugt ihre Antwort: die Gründung der Welthandelsorganisation WTO, welche neben Weltbank und IWF zu einem dritten Standbein und Pfeiler des Weltwirtschaftssystems werden soll und einigen Handlungsspielraum zugesprochen bekommen hat, von der klaren Einsicht in die Notwendigkeit, ein gestärktes Forum zur Problembewältigung zu schaffen, und so durch einen ständigen Dialog ein Potential an Weiterentwicklungsflexibilitäten bereitzustellen. 26 Auf die allgemeinen
26 Angesichts der weitverbreiteten Erwartungen und Hoffnungen, die an diese neue Konstruktion geknüpft sind, setzt sich der lapidare Hinweis auf die marode Lage
256
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
Aspekte dieses Versuchs, durch Gründung einer internationalen Organisation den Problemdruck aufzufangen, ist nun genauer einzugehen.
b) Weiterentwicklungsflexibilitäten durch die WTO? An die Stelle des bisherigen GATT-Vertrags tritt nun die Welthandelsorganisation WTO als eine internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit, aber ohne wirkliche Supranationalität. 27 Sie ist die rechtliche Dachorganisation ("chapeau" in der Sprache der Handelsdiplomaten) für die im Rahmen der GATT-Uruguay-Verhandlungen ausgehandelten Abkommen: das Warenabkommen, das Dienstleistungsabkommen und das Abkommen über geistiges Eigentum, sowie die sogenannten plurilateralen Abkommen28 . Die WTO soll einen einheitlichen Rahmen für diese Abkommen (zusammen mit dem weiterhin geltenden "GATT 1947") schaffen, der zudem ein einheitliches Streitschlichtungsverfahren vorsieht sowie den sogenannten "Trade Policy Review Mechanism" TPRM zur multilateralen Überprüfung der Handelspolitiken der Mitgliedstaaten. Desweiteren soll die WTO v.a. mit lWF und Weltbank kooperieren. 29 Als besonderes Merkmal ist hervorzuheben, daß Mitglie-
von IWF und Weltbank und ihrer immer unklarer werdenden Zielsetzungen leicht dem Vorwurf des Zynismus aus - wird dadurch aber natürlich nicht unrichtiger (vgl. auch THE ECONOMIST, 10. Juni 1995, S. 13 f., 19 ff.). 27 Mit dem Begriff "Supranationalität" wird im Völkerrecht ein (neuer) Typus internationaler Organisationen bezeichnet, der sich durch eigene Recht- und Gesetzgebungskompetenzen, Unabhängigkeit einiger seiner Organe, eine Gerichtsbarkeit und Finanzautonomie auszeichnet sowie das Mehrheitsprinzip zuläßt und u. U. (nach herrschender Meinung) eine eigene (partikulare) Völkerrechtspersönlichkeit besitzt (vgl. Ipsen-Epping, 1990, S. 72 f., RdNr. 17 ff.). 28 Plurilaterale Abkommen (nur von einem Teil der WTO-Mitglieder unterzeichnet): (1) Übereinkommen über den Handel mit Zivilluftfahrtzeugen, (2) Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, (3) Übereinkommen über Milcherzeugnisse und (4) Übereinkommen über Rindfleisch; vgl. GAIT Final Act, 1993, Annex 4. 29 Vgl. GAIT Final Act, 1993, Art. III: Functions of the WTO. Blanknrt, 1994, S. 20, schreibt: "Das revidierte GATT 1994 (Warenhandel inkl. Landwirtschaft), das Dienstleistungsabkommen (GATS) und das Abkommen über geistiges Eigentum werden unter dem gemeinsamen «Dach» der neuen Organisation verwaltet, deren Aufgabe es sein wird: - die entsprechende Infrastruktur bereitzustellen; - eine in allen drei Bereichen kohärente Praxis (insbesondere Streitbeilegung) sicherzustellen; - und schließlich, eine wirksame Vertretung des multilateralen Handelssystems in anderen
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
257
der der WTO (bis auf die plurilateralen Abkommen) alle Abkommen der WTO auf einmal und bedingungslos ratifizieren müssen. Zwar sind mit dem alten "GATT 1947" die in den länderspezifischen Listen auf insgesamt weit mehr als 10.000 Seiten niedergelegten Zollbindungen und -senkungen sowie die vereinbarten Erstverpflichtungen für die Liberalisierung des Dienstleistungshandels integrale Bestandteile der neuen Welthandelsordnung. Der "single-package"-Ansatz gewährleistet aber ein Einfrieren der seit Abschluß der Tokio-Runde bestehenden "Zersplitterung des Welthandelssystems"3D. Die WTO ist zudem angelegt als ein Diskussions- und Umsetzungsforum für alle (zukünftigen) Handelsbelange zwischen ihren Mitgliedern. 31 Insbesondere mit dieser Zweckbestimmung wird die Hoffnung verbunden, sozusagen einen ersten Schritt zur Weiterentwickelbarkeit des GATT gemacht zu haben. Gerade der Aspekt der "Weiterentwicklungsflexibilität" könnte entscheidend für die Zukunft des GATT und der WTO sein. Wenn es gelingt, die unumgänglichen Problemfelder internationaler Handelsbeziehungen in die Diskussionen innerhalb der WTO einzubinden, könnte die allergrößte Gefahr für GATT und WTO: die Konfrontation mit anderen internationalen Übereinkommen und sonstigen gefestigten Interessensphären (Umweltschutz, Menschenrechte, etc.), reduziert werden. Dieses Konfrontationspotential erscheint gerade im Umweltschutz hoch. Man bedenke nur die gesteigerte Betroffenheit und Sensibilität breiter Bevölkerungsschichten in den wichtigen Handelsnationen. Die Rio-Konvention über nachhaltige Entwicklung, das Verhandlungsmandat über die Klimakonvention und auch die Bemühungen zum Schutz der Ozonschicht sind eindringliche Beispiele für solche Entwicklungen. 32 Diese dürften zukünftig an Bedeutung nur noch hinzugewinnen. Damit könnten sie aber auch international ein Gewicht erlangen, das dazu geeignet ist, das
internationalen wirtschaftspolitischen Instanzen (wie insbesondere Weltbank und Währungsfonds) sicherzustellen." Vgl. zur Übersicht Hauser/Schanz, 1995, S. 53 ff. 30 Vgl. statt vieler Jackson, 1989, S. 55.
31 Art. III, Abs. 2 GATI Final Act bestimmt: "The WTO shall provide the forum
for negotiations among its Members concerning their multilateral trade relations in maUers dealt with under the agreements in the annexes to this Agreement. The WTO mayaiso provide a forum for further negotiations among ist Members concerning their multilateral trade relations, and the framework for the implementation of the results of such negotiations, as may be decided by the Ministerial Conference." 32 Auf diese Konventionen und Problemfelder wird unten (S. 277 ff.) eingegangen. Dort auch Literaturhinweise. 18 Kopke
258
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
GATT sozusagen auszuhebeln, weil seine Prinzipien mit den gegengerichteten Zielen und Anschauungen nicht mehr in Einklang zu bringen sind. 33 So ist meiner Ansicht nach das Überleben des GATT überhaupt nur zu sichern, wenn in ihm alle bedeutenden Aspekte des Handels mitberücksichtigt werden können. Inwieweit der Umweltschutz ein solcher wichtiger Aspekt ist oder werden wird, sei noch zu erörtern. Die Weiterentwicklungsflexibilitäten durch die WTO können hier nicht in allen Einzelheiten ausgeleuchtet werden. Zu ihnen gehört neben dem neuen Streitschlichtungsverfahren, das unten noch genauer untersucht werden soll, u.a. auch, daß in der WTO nun regelmäßige Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen vereinbart sind, die WTO rechtlich gestärkte Organe mit erweiterten Befugnissen und wesentlich höherer Mitarbeiterzahl bereitstellt34 , sowie daß endlich sie allein zur Auslegung ihrer Verträge befugt ist. Alle diese Möglichkeiten können intelligent genutzt, oder in einem unerbittlichen Prinzipiendogmatismus erstarren und dadurch erneut zum Nährboden für lauter werdende Forderungen nach einer Novellierung des Welthandelssystem werden. Es ist für diese Arbeit entbehrlich, auf alle Besonderheiten der Organe und ihrer Funktionen, der Auslegungsbestimmungen und der regelmäßigen Verhandlungen einzugehen, weil große Unsicherheiten über deren Anwendung und Ausgestaltung ohnehin keine präzisen Abschätzungen und Aussagen erlauben würden - sind doch internationale Organisationen im Strom der internationalen Ereignisse regelmäßig für Überraschungen gut. Was also generelle Aussagen über das Welthandelssystem angeht, kann insofern wissenschaftlich bestenfalls gewissermaßen der .. warnende Zeigefinger" erhoben werden. Bezüglich den Detailaspekten des Umweltschutzes in der multilateralen Streitschlichtung können aber genauere Untersuchungen durchaus präzisere Aussagen ermöglichen.
33 Auch Aktionen von Nicht-Regierungsorganisationen, wie Greenpeace, finden zunehmend in breiten Bevölkerungskreisen Unterstützung, wie die Ereignisse um die Versenkung der Ölplattform Brent Spar erneut offenbart haben. 34 In der WTO gibt es als oberstes Organ die Ministerkonferenz, deren ständige Vertretung ein Allgemeiner Rat ist. Die Ministerkonferenz etabliert und ernennt den Generaldirektor, der das Sekretariat der WTO leitet. Außerdem etabliert die Ministerkonferenz die Komitees für Handel und Entwicklung, für Zahlungsbilanzbeschränkungen sowie für Haushalt, Finanzen und Verwaltung. Der Allgemeine Rat unterstützt den Dispute Settlement Body und den Trade Policy Review Body und leitet den TRIPs-Rat, den Rat für Güterhandel und den Rat für Dienstleistungen.
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
259
c) Multilaterale Streitschlichtung in den internationalen Handelsbeziehungen Der Aspekt einer durch andere internationale Übereinkommen und "die öffentliche Meinung" ausgehebelten WTO kann noch deutlicher werden, betrachtet man die internationale Streitschlichtungslandschaft. In den meisten internationalen Verträgen gibt es nämlich Bestimmungen über Streitschlichtung, die teils erheblich voneinander und vom allgemeinen UNO-Verfahren abweichen. Auch das GATI-Streitschlichtungsverfahren war vor der Uruguay-Runde stark "zersplittert" in viele Einzelverfahren, z.B. mit Sonderregelungen in den Kodizes für Subventionen und Gegenmaßnahmen ("countervailing measures"). Im übrigen wurden während der GATI-Uruguay-Runde verschiedene Novellierungen für die einzelnen Verhandlungsbereiche vorgeschlagen, dann aber in ein einheitliches Verfahren überführt, welches allerdings bedingte Rückgriffe auf die ursprünglichen Spezialregelungen erlaubt. 35 Das neue WTO-Streitschlichtungsverfahren ist also nur ein Verfahren unter vielen internationalen, vieler verschiedener Abkommen, deren Ergebnisse sich bisweilen widersprechen können. Daraus entsteht die Gefahr des sogenannten "Forum-Shopping", d.h. Vertragsparteien versuchen, immer gerade jene vertraglichen Regeln in Anspruch zu nehmen, die für das jeweilige Anliegen am erfolgversprechendsten scheinen. 36 Diesem Problem wurde für die WTO dadurch gegenzusteuern versucht, daß eine obligatorische Anwendung eingeführt wurde. Diese gilt nicht nur gegenüber allen unilateralen Verfahren (die hier wegen ihres mangelnden Rechtscharakters nicht weiter analysiert werden), sondern auch gegenüber anderen internationalen Verträgen. So oder so entsteht aus der Widersprüchlichkeit verschiedener Verfahren eine zusätzliche Politisierung der zur Klärung anstehenden Sachverhalte. Es soll hier nur kurz daran erinnert werden, daß neben den völkervertraglichen Streitschlichtungsverfahren auch privatrechtliche Streitschlichtungsver-
35 Vgl. unten S. 261 ff sowie v.a. Kohona, 1994, S. 25 ff. 36 Die Frage, welches Streitschlichtungsverfahren (welches internationalen Vertrags) jeweils in Frage kommt, ist völkerrechtlich noch vollkommen ungeklärt. Dem GATT-Verfahren wurde gegenüber anderen Streitschlichtungsverfahren bisher wenigstens zugute gehalten, daß es mit wirklichen Sanktionen (durch die Aussetzung von Zugeständnisse etc., s.o. S. 28 ff.) ausgestattet ist. Auch der WTO-Ausschuß für "Handel und Umwelt" wird sich nach Aussagen eines Delegationsleiters mit diesem Problem intensiviert beschäftigen.
260
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
fahren existieren. 37 Sie sind v.a. deswegen interessant. weil hier auf privatrechtlicher Ebene teilweise recht ähnliche Probleme bestehen und gelöst wurden und eine gegenseitige Befruchtung mit den völkerrechtlichen Verfahren durchaus denkbar wäre. Dem privaten Handelsrecht wird dabei gerne Vorbildcharakter zugeschrieben, es wird als beispielgebend für die internationalen Beziehungen zwischen Staaten angesehen. 38 Dabei wird aber i.d.R. übersehen, daß die zu schlichtenden Vertragsgegenstände z.B. bei Kaufleuten in einem erheblich engeren Auslegungs- und Interaktionsrahmen stattfinden. als die Probleme unter Politikern. Wenn letztlich nur "kaufmännische" und betriebswirtschaftliche Belange berücksichtigt werden müssen. sind gütliche Lösungen weniger unwahrscheinlich. Zudem sind Wirtschaftsbeziehungen. auch internationale. ohnehin das Paradebeispiel für verrechtlichte und institutionalisierte Beziehungen. die beinahe komplett über das Medium Geld gesteuert sind. und sich (sogar in den internationalen Beziehungen) sozusagen innerhalb eines übergeordneten Handlungsrahmens abspielen. 39 Am Beispiel der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit kann mithin eher der Unterschied zu völkerrechtlichen Streitschlichtungsverfahren deutlich werden. Gerade in politisch sensiblen Bereichen, wie Umweltschutz oder soziale Sicherheit, würden die Vorkehrungen der privaten Schiedsgerichtsbarkeit zu kurz greifen und damit insgesamt problematisch werden. Noch dazu handelt es sich vornehmlich um bilaterale Schiedsverfahren. Würden an sie die A1lgemeingültigkeits- und Öffentlichkeitsbedingungen multilateraler Streitschlichtungsverfahren gestellt, dürften wohl auch Ökonomen angesichts der zu erwartenden mageren Ergebnisse ihre Rede vom Vorbildcharakter vorerst einstellen. 40
37 Für einen Überblick zu privaten internationalen Schiedsgerichtsverfahren vgl. z.B. Benson, 1988, Milgrom/North/Weingast, 1990.
38 Vgl. z.B. Voigt, 1992, S. 175 ff., mit weiteren Literaturhinweisen.
39 Vgl. bereits Kahn, 1961, S. 40. 40 Abgesehen davon können private internationale Schiedsgerichte aber den Beobachter auf die Tatsache hinweisen, daß in bestimmten Bereichen Staatseingriffe entbehrlich sein können. Hauptvorteil privater Arrangements ist dabei, daß einige Konflikte vermieden werden können, welche aus dem logischen Widerspruch eines Staates entstehen, der gleichzeitig Regelbefolgung zusichern soll, andererseits aber diskretionär Regeländernderungen in seiner Funktion als Sicherheitsagentur durchsetzen muß. Vgl. zu diesem Dilemma Hoppe, 1993, insbesondere Kapitell.
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
261
2. Das novellierte WTO-Streitschlichtungsverfahren
Als besondere internationale Handelsregel soll nun das neue WTO-Streitschlichtungsverfahren betrachtet werden. Auch hierbei ist es nicht notwendig, alle Verfahrens-Aspekte und deren mögliche Konsequenzen in allen Einzelheiten zu diskutieren. 41 Stattdessen kann zunächst ein allgemeinen Überblick über die rechtlichen und institutionellen Neuerungen gewährt werden, bevor dann die Beachtung und Durchsetzung des Verfahrens etwas genauer am Beispiel des Umweltschutzes untersucht werden kann. Zunächst eine knappe Darstellung der wesentlichen Veränderungen gegenüber dem alten GATIStreitschlichtungsverfahren. Dabei gilt die Aufmerksamkeit besonders Verständigungsmerkmalen. Kritik am alten Verfahren gab es aus ganz verschiedensten Richtungen. Darauf wurde oben bereits eingegangen. Handelsdiplomaten klagten meist über juristische Formalien: So konnten Vertragsparteien selbst die Schiedsrichter (Panel-Mitglieder) bestimmen, das Verfahren vorzeitig abbrechen, Fristen beinahe beliebig hinauszögern, die Annahme des Berichts vor dem Rat blockieren oder einfach die geforderten Maßnahmen nicht, nur teilweise oder aber stark verzögert umsetzen. Hinzu kamen die Probleme fehlender Neutralität und kontraproduktiver Umsetzungsbeschlüsse. Daneben existiert eine Unzahl von inhaltlichen Kritikpunkten, die sich auf die beteiligten Personen, die Begründungen und herangezogenen Begründungsnormen (Anspruchsgrundlagen, Geltungsgründe) ebenso beziehen, wie auf die materiellen Ergebnisse. Insbesondere die internationale "Umweltlobby" reagierte mit Empörung auf einige einschlägige Entscheidungen umweltrelevanter Panel-Verfahren, wie noch auszuführen sein wird (S. 281 ff.). Die folgende überblickartige Darstellung der wichtigsten Neuerungen soll die Beurteilung begründen, daß es im Streitschlichtungsverfahren einen gewaltigen Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsruck gegeben hat. Dabei ist zu unterscheiden in a) prozessuale Verschärfungen, b) die nun obligatorische Anwendung und quasi-offiziale Weiterverfolgung sowie c) eine Diskussion der vermeintlich "besseren" Durchsetzungsmöglichkeiten.
41 Vgl. die Ausführungen von: BastlSchmidt, 1991; Brodnig, 1990; CanalForgueslOstrihansky, 1990; Davey, 1990; Hudec, 1990; Jäger, 1992; Kovenockl Thursby, 1992; Parker, 1989; Pescatore, 1993; PescatorelDaveylLowenjeld, 1993; Petersmann, 1988a, 1988b, 1993.
262
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
a) Prozessuale Verschärfungen Wie bereits hervorgehoben, ist das WTO-Streitschlichtungsverfahren nun ein einheitliches Verfahren für alle Abkommen der GATT-Uruguay-Runde, das nur in AusnahmefaIlen durch die Sonderbestimmungen einzelner Zusatzabkommen geringfügig erweitert werden kann. 42 Das Verfahren wird vom sogenannten Dispute Settlement Body DSB verwaltet, der dem Allgemeinen Rat (als ständige Vertretung der Ministerkonferenz) unterstellt ist. Der DSB beruft die Panels ein, nimmt deren Berichte an und überwacht die Implementierung der Panel-Berichte. Wegen der gerafften Darstellung, werden für die Beschreibung der einzelnen Verfahrensschritte hier Hauser/Schanz, 1995, S. 238 f., zitiert. Paragraph 6-16: Das Panel-Verfahren Ein Panel ist auf Antrag der klagenden Partei einzuberufen, sofern der DSB den Antrag nicht einstimmig ablehnt. Das Panel ist aufgefordert, den Streitfall auf der Grundlage der relevanten Vertragstexte so zu erwägen, dass der DSB auf der Grundlage des Panelberichts geeignete Empfehlungen an die Adresse der Konfliktparteien aussprechen kann. Die Zusammensetzung der Panels ist wie folgt geregelt: Es handelt sich in der Regel um drei ausgewiesene Experten mit oder ohne Regierungsmandat, wobei keines der Panel-Mitglieder Staatsangehöriger einer der Streitparteien sein darf. Das WTO-Sekretariat führt eine Liste geeigneter Personen und schlägt daraus Kandidaten vor. Können sich die Streitparteien über die Panel-Zusammensetzung nicht einigen, kann der WTO-Generaldirektor entscheiden. Die Höchstdauer zwischen der Einberufung des Panels bis zur Vorlage des Abschlussberichts beträgt sechs, in begründeten Ausnahmen bis zu neun Monaten. Der Abschlußbericht ist angenommen, sofern der DSB - spätestens 60 Tage nach Vorlage durch das Panel - ihn nicht einstimmig ablehnt oder eine der Parteien Berufung einlegt. Paragraph 17: Unabhängige Berufungsinstanz Legt eine Partei Berufung ein, gelangt der Fall vor den Berufungsausschuss (Standing Appellate Body). Dieses Gremium ist neu im Rahmen der UruguayRunde geschaffen worden. Es besteht aus sieben Mitgliedern, die dem Rotationsverfahren unterliegen, für jeweils vier Jahre gewählt werden, keine Regierungsvertreter sein dürfen sowie ausgewiesene Fachleute in internationalem Recht, Handel und den Themenbereichen der streitfallrelevanten Verträge sein müssen. Gegenstand von Berufungsklagen können rechtliche Aspekte der Panel-Berichte sein. Der Berufungsausschuß soll sein Urteil binnen 60 Tagen, in begründeten Ausnahmen in bis zu 90 Tagen fällen.
42 Vgl. Kohona, 1994, S. 25 ff.
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
263
Der Bericht des Berufungsausschusses (Appellate Report) ist vom DSB anzunehmen oder einstimmig abzulehnen und von den Streitparteien als endgültig und verbindlich anzuerkennen. Paragraph 20: Zeitrahmen für DSB-Entscheidungen Von der Paneleinberufung bis zur Entscheidung des DSB über Annahme oder Ablehnung des Berichts sollen keinesfalls mehr als neun Monate bzw. inklusive Berufungsverfahren keinesfalls mehr als 12 Monate vergehen.
Bereits aus dieser Zusammenfassung läßt sich die starke juristisch-formale Verrechtlichung und Institutionalisierung des Verfahrens deutlich herauslesen. Ein Vergleich mit dem Originaltexten bestätigt diesen Eindruck. Besonders die detaillierten (und knapp bemessenen) Fristen befremden angesichts einer unbestreitbaren Vagheit des gesamten Verfahrens und der Verhandlungsgegenstände sowie angesichts der geringen Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Was nützen zudem die aus dem GATI-Streitschlichtungsverfahren beibehaltenen Aufforderungen, zu einer "mutually agreed solution" zu gelangen, wenn bei der nachgeschalteten Umsetzung und Durchsetzung wieder Automatismen Platz greifen sollen. Hier bestehen nach wie vor Sprünge in der Herangehensweise an internationale Streitfälle. Andererseits hat es auch einige "Flexibilisierungen" im Sinne von erweiterten Möglichkeiten verständigungsorientierter Diskurse gegeben. Zu nennen sind hier insbesondere:
1. Paragraph 3.2 DS Understanding43 bestimmt für das WTO-Streitschlichtungsverfahren einen klaren Bezug zum Völkerrecht, der in dieser Weise im GATI nicht bestand. 44
43 "DS Understanding": Uruguay Round "Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes", vgl. MTN/FA II-A2, 15 December 1994. Das Uruguay Round (DS) Understanding beinhaltet einige Merkmale, die in den ,,1989 Improvements to the GAIT Dispute Settlement Rules and Procedures" noch nicht enthalten waren.
44 Vgl. Kohona, 1994, S. 29, die ausführt: "The adherence to the rules of interpretation of public internationale law in the implementation of the provisions of the Covered Agreements will contribute towards enhancing the security, certainty and predictability of the system and provide a greater juristic basis for the decisions of the DSB. However, this will require a sympathetic and sensitive approach from those charged with resolving disputes in view of the need to produce results which are compatible with the long-standing objective of the GAIT system of seeking results which are generally acceptable to the parties and, consequently, effective. "
264
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
2. Paragraph 3.9 DS Understanding bestimmt, daß die WTO (Ministerkonferenz und Allgemeiner Rat) zur Auslegung der Vertragstexte alleinzuständig ist. 3. Paragraph 10 DS Understanding bestimmt, daß Drittparteien im PanelVerfahren zuzulassen und ihre Meinugen voll zu berücksichtigen sind. 4. Bei der Zusammensetzung der Panels, Paragraph 8 DS Understanding, wurde mehr Wert auf Expertise und Erfahrungen, insbesondere auch in dem fraglichen Streitgebiet gelegt. 5. Paragraphen 17, 18, 19 DS Understanding beinhalten die Bestimmungen über die neue Berufungsinstanz (Appelate Body). Zwar sind deren Entscheidungen endgültig bindend. Dennoch wird zumindest eine zusätzliche Instanz geschaffen, die ex post angemessenere Entscheidungen treffen kann und ein zusätzliches Argumentationsforum bietet. Alle diese Bestimmungen sind aber gewissermaßen nur Angebote an die Ausführenden und können ob ihrer Unbestimmtheiten nur bedingte Garanten für eine ausgewogene und realistische Anwendung des neugeschaffenen Verfahrens abgeben. So kann der Bezug zum so viel weiter entwickelten Völkerrecht für einen konstruktiven Dialog genutzt, oder aber einseitig gehandhabt werden; So verbleibt es im Ermessen der Berufungsinstanz, wie sie ihre wichtigen Auslegungsbefugnisse einsetzt. Auch ist noch ungewiß, welche Personen letztlich in die Berufungsinstanz gewählt werden. Zwar soll es sich um Personen handeln, "of recognized authority, with demonstrated expertise in law, international trade and the subject matter of the covered agreements generally. " (Paragraph 17.3). Werden sie aber auch im inhaltlichen Bereich der Panel-Streitigkeiten ausgewiesene Kenner sein müssen? Hier scheinen die Anforderungen an die Panel-Mitglieder, die zudem einen "sufficiently diverse background and a wide spectrum of experience" haben sollen (Paragraph 8.2), allgemeiner zu sein. Die Erfahrungen mit den einseitigen Auslegungen der bisherigen Streitschlichtungs-Panels und den verpaßten Chancen, Spielräume auszunutzen, zeichnen ein düsteres Bild für die billige Berücksichtigung legitimer Umweltschutzinteressen im neuen Streitschlichtungsverfahren. Insofern scheint mir die Beurteilung einer der beteiligten Handelsdiplomaten (Australien) über die "Realitäten, die mit der Implementierung ökonomischer Rechte und Pflichten" in die internationalen Beziehungen verbunden sind, auch entschieden zu optimistisch: 45
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
265
Although this approach might seem unsatisfactory from a strictly legal perspective, the drafters have acknowledged the realities associated with the implementation of international economic rights and obligations, and have accepted the need to preserve the effectiveness of the international trading framework which is finely balanced between legal rights and obligations and political, economic and other constraints. It is acknowledged that there is a risk to the system in pushing legal rights and obligations too far. Effective implementation of legal rights and obligations, taking into account political and other realities, is more conducive to the gradual evolution of international dispute settlement in the area of international trade.
Können die Bestimmungen über die obligatorische Anwendung und quasioffiziale Weiterverfolgung, sowie über die neuen Durchsetzungsmöglichkeiten skeptischere Einschätzungen über das neue Verfahren doch noch relativieren?
b) Obligatorische Anwendung und quasi-offiziale Weiterverfolgung WTO-Mitglieder sind laut Paragraph 23.2 DS Understanding verpflichtet, von dem WTO-Streitschlichtungsverfahren Gebrauch zu machen, wann immer es anwendbar ist. 46 Diese Vorschrift ist hauptsächlich in Abgrenzung zu allen unilateralen Maßnahmen zu lesen. Sie kann aber auch dahingehend ausgelegt werden, daß gegenüber anderen internationalen Streitschlichtungsverfahren das WTO-Verfahren Vorrang hat, jedenfalls aber auch zum Einsatz kommen muß. An diese Bestimmung des neuen WTO-Streitschlichtungsverfahrens werden ebenso große Erwartungen geknüpft, wie an einige Automatismen, die das Verfahren aus seinem ursprünglich eher "diplomatischen Charakter" in einen eher "gerichtsmäßigen Prozeß" transfonnieren sollen. 47 Die quasi-offiziale Weiterverfolgung soll v.a. durch zwei Regelungen gewährleistet werden. Einerseits durch die Regelung des sogenannten "umge-
45 Kohona, 1994, S. 30, über die Bestimmung der vorsichtigen Verwendung des Verfahrens (paragraph 3.7 DS Understanding). 46 Vgl. GAIT/MTN/FA 1I-A2, S. 17, ("Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes"); Vgl. außerdem die Einschätzungen von Curzon Price, 1992, S.90 ff., Großmann/Koopmann/Michaelowa, 1994, S.264, Hauser/Schanz, 1995, S. 244 f., Oppermann/Beise, 1994, S. 197.
47 Vgl. Hauser/Schanz, 1995, S. 245.
266
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
kehrten Konsens", wonach z.B. die Berichte der Panel vom DSB nur noch geschlossen abgelehnt werden können (während sie bisher einstimmig angenommen werden mußten). Dadurch werden die bisherigen Obstruktionsversuche einzelner Vertragsparteien schwieriger. Andererseits verfolgt, z.B. nach Abschluß des Panel-Verfahrens, der DSB die Umsetzung quasi-offizial weiter und erschwert damit Umgehungsmöglichkeiten durch verzögerte oder unterlassene Umsetzung. Die Inanspruchnahme des Streitschlichtungsverfahrens kann durch diese Normen allein aber wohl nicht gesichert werden, zumal zentrale Normen einander widersprechen, mindestens aber zwischen ihnen eine Abwägung zu treffen ist. Wie ist Z.B. das Zusammenspiel von obligatorischer Anwendung (§ 23.2) und der "mutually acceptable solution" (§ 3.7) auszugestalten? Wie die gütliche Einigung mit der quasi-offizialen Weiterverjolgung? Solche Bestimmungen lassen das Gespenst "Vertragsumgehung" wieder deutlich am Horizont aufsteigen. Zumindest können wohl die hieraus resultierenden Umgehungsmöglichkeiten nicht übersehen werden - so wie überhaupt die "proper balance between the rights and obligations of members" (§ 3.3 DS Understanding) von jeglichem Prinzipiendiskurs und rechtlicher Überschaubarkeit weit entfernt sind.
c) "Bessere" Durchsetzungsmöglichkeiten? Bevor die praktischen Erwägungen der zukünftigen Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO am Beispiel des Umweltschutzes erörtert werden können, sollen die vertraglich festgelegten Durchsetzungsmöglichkeiten angedeutet werden. Hierzu seien wieder Hauser/Schanz, 1995, S. 239 f., zitiert: Paragraph 21: Umsetzung der Empfehlungen Die Umsetzung der Panel-Empfehlungen soll möglichst sofort erfolgen, andernfalls innerhalb eines "angemessenen Zeitraums", der in beiderseitigem Einvernehmen oder nötigenfalls durch ein Schiedsgericht festzusetzen ist, wobei die maximale Richtzeit 15 Monate beträgt. Der DSB überwacht die Implementation. Die beschuldigte Partei hat regelmäßig über die Fortschritte bei der Umsetzung zu berichten. Paragraph 22: Kompensation und Aussetzung von Zugeständnissen Für den Fall, dass die Partei die Empfehlungen nicht in der vereinbarten Frist umsetzt, können zwischen der geschädigten und der beschuldigten Partei auf freiwilli-
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
267
ger Basis Kompensationen ausgehandelt werden. Lehnt die beschuldigte Partei ab oder kommt keine Einigung zustande, kann die geschädigte Partei beim DSB beantragen, GATI-vertragliche Konzessionen gegenüber der beschuldigten Partei aussetzen zu dürfen. Der DSB gibt dem statt oder lehnt einstimmig ab. Die aufgehobenen Konzessionen sollen im Unfang den zuvor entstandenen Schädigungen durch die andere Partei äquivalent sein und den gleichen Sektor betreffen, in dem die strittige Maßnahme der anderen Partei zum Einsatz kommt. Sofern dies nicht praktikabel oder wirksam ist, kann eine Konzession aus einem anderen Vertrag aufgehoben werden, allerdings nur, wenn "die Umstände schwerwiegend genug" sind. Alle solche Aufuebungen sind vorübergehender Natur und zeitlich befristet bis zur endgültigen Rücknahme der strittigen Maßnahme oder anderweitigen Befolgung der Panel-Epfehlungen.
Auch die Hintergrundpapiere und sonstigen Äußerungen in den Verhandlungen lassen keinen anderen Schluß zu, als daß sich die Vertragsparteien bei den Neuregelungen stark auf eine juristische Sichtweise eingelassen haben. Denn zweifelsohne wurden die Rechtsnormen juristisch festgezurrt. Dies gilt insbesondere für die erweiterten Durchsetzungsinstrumente. Läßt sich daraus aber ihre zukünftige Geltung ableiten, die doch für die faktische Rechtsbeachtung und -durchsetzung so wichtig ist? Das kann letztlich nur durch genauere Untersuchungen an Beispielen herausgefunden werden. Zwei Feststellungen können aber schon hier angeführt werden: Erstens scheinen bereits in den Vertragstexten die Verrechtlichungs- und Institutionalisierungstendenzen, also die Erstarrungen, gegenüber den "Flexibilisierungen", i.S. von Öffnungen hin zu verständigungsorientierten politischen Diskursen, zu überwiegen. Zweitens verbleiben auch zukünftig hinreichend viele Möglichkeiten zur Umgehung des Verfahrens. Eine vollständige Absicherung des Verfahrens ist weder politisch durchsetzbar, noch juristisch im Bereich des Möglichen. Schon die zweifelhafte Qualität der Vertragstexte, die mitunter ins Narrative übergehen, ist dazu geeignet, allzu hohe Erwartungen gehörig zu dämpfen. 48 Die Vorstellung totaler Kontingenz völkerrechtlicher N ormen und Institutionen wird durch solche Nachlässigkeiten natürlich genährt. So begnügen sich kompetente Beobachter der internationalen Szene weiterhin in die resignative Aussage, die Regeln seien gut, aber es komme eben
48 Vgl. Kohona, 1994, S. 46, über den "inconsistent drafting style".
268
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
letztlich auf den politischen Willen der Beteiligten an. 49 Diese Arbeit geht weiter.
3. Methodisches: Geltungsgründe und Kommunikationsarten im institutionalisierten Verfahren
Das verrechtlichte und institutionalisierte WTO-Streitschlichtungsverfahren steht in dem Spannungsverhältnis zwischen juristisch "verbesserten" Regeln und deren faktischer Anwendung. Es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, daß es für Vertragsparteien auch zukünftig möglich sein wird, unliebsame Regelungen zu umgehen, gegebenenfalls aber auch ohne besondere Rücksicht auf die Gültigkeit universalen Völkerrechts zu verletzen. Deshalb kann es im Sinne eines effektiven Völkerrechts nicht sinnvoll sein, immer neue und strengere Rechtsnormen aufzustellen, wenn diese faktisch unwirksam sind, da sie umgangen werden. Für die Effektivität des Völkerrechts sogar kontraproduktiv sind diese Rechtsnormen, wenn sie nicht nur umgangen, sondern rechtserheblich verletzt werden. Dies nicht nur, weil dadurch der Glaube an die Gültigkeit völkerrechtlicher Bestimmungen erschüttert wird, sondern v. a. , weil Völkerrecht allenthalben als Konsensrecht angesehen wird, Verletzungen
49 Großmann/Koopmann/Michaelowa, 1994, S. 264: "Durch das neue Streitschlichtungsverfahren mit seinen gut strukturierten Vorschriften werden die Verteidigungsmöglichkeiten von kleinen und wirtschaftlich schwachen Ländern deutlich verbessert. Betroffene Staaten können sich einem Urteils spruch nicht mehr entziehen, indem sie ihn einfach ignorieren, wie es jüngst wieder bei der Frage der EU-Bananenimportregelung geschehen ist. Ausschlaggebend dafür ist die Aufwertung der Schiedsgerichte und der ständigen Berufungsinstanz. Empfehlungen und Entscheidungen dieser neutralen Gremien wird Vorrang vor einseitig erhobenen Forderungen mächtiger handelspolitischer Kontrahenten eingeräumt. [... ] Im Prinzip sollten daher unilaterale Pressionen und Sanktionen, wie sie etwa die USA in der Vergangenheit mehrfach praktiziert haben, künftig weitgehend ausgeschlossen sein, Dies setzt allerdings die Bereitschaft der WTO-Mitglieder voraus, sich der neuen Welthandelsordnung zu unterwerfen." Ebenso Nunnenkamp, 1994, S. 267: "Der Konflikt zwischen ausufernder bilateraler und relativ schwacher multilateraler Streitschlichtung dürfte auch nach Gründung der WTO fortbes,tehen. Trotz der prozeouralen Verbesserungen, die die Uruguay-Runde für die multilaterale Streitschlichtung gebracht hat, werden die führenden Vertragsparteien auch in Zukunft den Kurs bestimmen. Sie müßten davon ablassen, zunehmend auf eigene Vergeltungspotentiale zu bauen, um die WTO zu einem schlagkräftigen Instrument werden zu lassen ...
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
269
insofern dessen Geltungsgrund selbst (nämlich als nachfolgende Bestimmungen) rechtswirksam aufzuheben geeignet sind. 50 Habermas thematisiert dieses Spannungsverhältnis unter den Begriffen "Faktizität und Geltung". Demnach muß (stark verkürzt) Recht gelten, um faktisch beachtet und durchgesetzt zu werden. Geltung erlangt Recht aber nicht allein aus zweckrationalen Gegenseitigkeitserwartungen; Sondern zusätzlich bedarf es grundlegender Verständigungsleistungen. Verständigung kann auf der Grundlage unproblematisch mitlaufender gemeinsamer lebensweltlicher Wissenshorizonte erzielt werden, wenn die Beteiligten eine pragmatische Haltung einnehmen. Diese beiden Bedingungen: eine gemeinsame Lebenswelt und eine pragmatische Verständigungshaltung, liegen aber in vielen sozialen Beziehungen nicht ohne weiteres vor - so wohl oft nicht in den internationalen. Für jede Beurteilung von Verrechtlichung und Institutionalisierung kommt es nach Habermas darauf an, ob bereits bestehende und faktisch wirksame, d.h. allgemein anerkannte und geltende Regeln lediglich zusätzlich rechtlich kodifiziert werden, oder ob Rechtsnormen konstitutiv für neue, bisher nicht geltende Normen sein sollen. Letztere können ihre Geltung nämlich nicht aus einem vorgängigen Einverständnis oder einem begründenden, herrschaftsfreien Diskurs beziehen, sondern bestenfalls über die Andr:ohung von Sanktionen wirken. Daraus folgt: Recht kann eine gemeinsame Lebenswelt nicht diskretionär erschaffen, sondern nur handlungs- und begründungsentlastende Wirkung in vorher bereits sozial integrierten Interaktionsbereichen entfalten. Dies ist das zentrale Ergebnis der Habennas' schen Rechtsanalyse. Insofern ist für die Texte des neuen WTO-Streitschlichtungsverfahrens zu prüfen, ob mit ihnen vorgängige Einverständnisse (über das Verfahren i. w . S. und seine möglichen Ergebnisse) nur ergänzend rechtlich kodifiziert wurden, oder ob mit ihnen versucht wurde, via Rechtsetzung neue Normen zu schafjen. In letzterem Fall könnte Bindungswirkung, also Rechtsbeachtung und -durchsetzung, nur über Sanktionsbeziehungen erzielt werden. Diese sind aber
50 Vgl. Lutz, 1991. Übrigens könnte auch die Revision eines Vertrags als Zeichen seiner Unzulänglichkeiten und Folge seiner Nichtbeachtung gewertet werden. Dieser Aspekt soll hier aber v.a. wegen methodischer Schwierigkeiten unberücksichtigt bleiben. Mangelnde Rechtsbeachtung und -durchsetzung kann auch weiterhin an Vertragsverletzungen und -umgehungen und unterlassenen Durchsetzungsversuchen festgemacht werden.
270
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
in den internationalen Beziehungen dauerhaft nicht möglich, oder, wenn überhaupt, nur für einige "Supermächte", deren Fortbestehen freilich selbst nicht als unbegrenzt angenommen werden kann. Fazit: eine weltwirtschaftliche Integration, die sich allein auf Rechtsverfahren stützt, kann nicht gelingen, wenn nicht schon ein vorgängiges Verständnis über die fraglichen Werte und Normen vorliegt. Dies führt übrigens in einem Umkehrschluß auch zu der Erkenntnis, daß Völkerrecht in jenen Bereichen, in denen es faktische Geltung innehat, nicht ausschließlich Konsensrecht LS. eines kurzschlüssigen do ut des sein kann. Nun ist es schwierig und aufwendig, theoretisch-abstrakt nachzuweisen, oder Kriterien dafür aufzustellen, ob dem neuen WTO-Streitschlichtungsverfahren ein solches vorgängiges Einverständnis zugrunde liegt, ob also die Kodifizierung nur vorgängige Normen und Institutionen rechtlich überformt, oder versucht wurde, ganz neue Normen zu erschaffen. Diese Kriterien müssen nämlich entsprechend der neugewonnenen Untersuchungsmethode mithilfe einer sorgfältigen Rekonstruktion derjenigen je individuellen Lebenswelten und pragmatischen Einstellungen geschehen, welche als bestimmend für die gesuchten Handlungs- und Kommunikationsarten und Begründungsmuster anzusehen sind. 51 Diese aufwendige Analyse kann im folgenden nicht für alle Aspekte des WTO-Streitschlichtungsverfahrens geleistet werden, sondern bestenfalls anband eines einschlägigen Beispiels exemplarisch aufgezeigt werden - dem Umweltschutz. 52 Wegen der repräsentativen Beispielhaftigkeit des 51 Ein irgendwie abstrakter Nachweis eines vorgängigen Einverständnisse ist kaum zu führen. Feststeht, daß das bisherige GAIT-Streitschlichtungsverfahren in vielfältiger Weise verletzt und umgangen und mehrfach novelliert wurde, von einem vorgängigen Einverständnis also sicher nicht ausgegangen werden kann. Es ließe sich nun argumentieren, daß dies nur an seiner rechtlichen Unvollkommenheit lag und die jetzt stattgefundene Regelverschärfung gerade über die Schwelle zu allgemeiner Anerkennung und Geltung verhelfen würde. Diese Argumentation ist aber kaum wirklich zu belegen. Schließlich deuten auch die scharfen Kontroversen im Verhandlungsverlauf für das neue Streitschlichtungsverfahren nicht gerade auf Übereinstimmung hin. Allerdings müßten hier zunächst die Verzerrungen, die aus Verhandlungstaktik usf. entstanden sind, aufgedeckt und von wirklichen Unstimmigkeitsbekundungen separiert werden. Es verbliebe aber die ganz wesentliche Problematik, daß die Verhandler der Uruguay-Runde nicht dieselben Personen (-kreise) sind, die die Regeln später interpretieren, beachten und durchsetzen - oder eben nicht. 52 Auch Habermas, 198811, S. 539 f., hat sich über den Umweltschutz als eine Thematik ausgesprochen, die offensichtlich und zu früh in die Verrechtlichung gesteuert wird.
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
271
Umweltschutzes als Untersuchungsgegenstand und seiner genuinen und wachsenden Bedeutung, könnten schließlich Rückschlüsse auf die Rechtsbeachtung und -durchsetzung im gesamten WTO-Streitschlichtungsverfahren möglich sein. Das Streitschlichtungsverfahren ist nun selbst wiederum als wichtigster Anzeiger zukünftiger Rechtsbeachtung und -durchsetzung im gesamten WTOWelthandelssystem anzusehen und verweist uns damit auf die Ausgangsfragestellung dieser Arbeit, nach Rechtsbeachtung und -durchsetzung in GATI und WTO zurück. Das Streitschlichtungsverfahren eignet sich hervorragend für die Anwendung mit der in dieser Arbeit entwickelten verständigungsorientierten Methode, weil es der bezeichnende Fall eines Argumentationsforums ist, in dem gute Gründe über Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit von bestimmten staatlichen Maßnahmen ausgetauscht werden. Und zwar - das ist der Fokus der Analyse - im Zuge einer mehrseitigen Suche nach rationalem Einverständnis ("mutually agreed solutions") über staatliches und zwischenstaatliches Handeln. Damit die Ergebnisse, die diesen "Begründungsabtauschen" entspringen, aber allgemeine Anerkennung finden und Geltung haben können, muß das Verfahren (für verständigungsorientierte Integrationsbereiche) möglichst einem idealen Diskurs, einer idealen Sprechsituation angenähert sein. Diese Argumentation baut sich um den zentralen Begriff des "kommunikativen Handeins" auf, der neben zweckrationalen, auch normative und dramaturgische Aspekte der Handlungsrationalität integriert. So ist den beteiligten Individuen immer auch an Aspekten normativer Richtigkeit der Verhandlungsergebnisse gelegen, ist ihnen weiterhin ihre Selbstdarstellung und die der anderen aus Wahrhaftigkeitsgründen wichtige Beurteilungsgrundlage. So kann argumentiert werden, daß in Verhandlungen immer auch der Versuch, einen verständigungsorientierten Diskurs aufzubauen und überhaupt erst rationales Einverständnis zu erzielen, eine wichtige, teils eigenständige individuelle Handlungsmotivation ist. Wie durch diese Überlegungen Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO beeinflußt werden, kann hier bereits kurz angedeutet werden: Ein Aspekt möglichst "idealer Diskurse" ist, daß der Argumentationsrahmen ausreichend offen für akzeptable Gründe ist. Zentral für die Zulässigkeit von Gründen im WTO-Streitschlichtungsverfahren sind zunächst die materiellen Rechtsregeln der WTO und der novellierten GATT-Verträge, also die Vertragstexte. Ist z.B. eine wichtige Begründungslinie für eine staatliche Maßnahme im Vertragstext nicht vorgesehen, oder durch entgegenstehende Nor-
272
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
men sogar ausgeschlossen, dann könnte dadurch der Vertragstext (das Verfahren) selbst unter Rechtfertigungsdruck geraten. Werden beispielsweise Menschenrechte, Sozialbelange, Wanderungsbewegungen, bewaffnete Konflikte oder eben auch Umweltschutzaspekte international allgemein als zulässige und wichtige Rechtfertigungstatbestände für bestimmte staatliche Maßnahmen anerkannt (und zwar obwohl dadurch bestimmte GATT-Bestimmungen wie Meistbegünstigung, Nichtdiskriminierung o.ä. abgeschwächt werden), so wird ein Rechtsverfahren, das diese Gründe als unzulässig disqualifiziert oder sonstwie indirekt ausschließt, selbst problematisch. Dies zumindest solange, wie dieses Verfahren nicht über jeden Zweifel erhaben etabliert und allgemein anerkannt ist. Das wird im folgenden Kapitel anband des konkreten Beispiels Umweltschutz veranschaulicht werden. An solchen praktischen Fragestellungen gerinnt die übergeordnete Problematik, ob die Verrechtlichung und Institutionalisierung im GATT "zu weit getrieben" wurde, also keinen Anschluß mehr an vorgängige Überzeugungen findet. Diese "Übertreibung" kann sich aber auch auf formale Verfahrensfragen erstrecken. Wenn Z.B. bestimmte Beweisfristen für eine konkrete Problemstellung als zu knapp bemessen angesehen werden, gerät ebenso das Verfahren selbst unter Druck. 53 Die generelle Problematik von Rechtsverfahren ist mithin, daß sie nicht flexibel abgewandelt werden können - schon gar nicht bei mehrseitigen internationalen Verträgen. Dadurch entfällt die Möglichkeit, jeweils neu in verständigungsorientierten politischen Diskursen Einigkeit über problematisch
53 Diese Argumentation kann vorab an einem weiteren Extrembeispiel verdeutlicht werden: Hätte im bisherigen GATI eine Vertragspartei es unternommen, mit einem Streitschlichtungsverfahren gegen ein Importverbot z.B. von Elfenbein, oder irgendeiner unter die Washingtoner-Artenschutzkonvention fallenden Tierart vorzugehen, so hätte die GATI-Auslegungspraxis zu keinem anderen Ergebnis führen können, als daß es sich um eine GATI-Vertragsverletzung handelt (vgl. McDonald, 1993, S. 403 ff., sowie S. 455 ff., die ausführlich diesen Nachweis führt). Artenschutz ist aber ein international allgemein anerkannter Wert, so daß das GATI-Streitschlichtungsverfahren und seine Begriindungsnormen sofort selbst als untauglich unter Beschuß gekommen wären. Hätte es nun schon damals eine quasi-offiziale Rechtsverfolgung gegeben, oder einige unbelehrbare Staatenvertreter, so wären die rechtsformal richtig erzielten GATI-Ergebnisse vollends problematisch geworden. Sie wären weltweit als unhaltbar zurückgewiesen worden. Rechtsbeachtung und Durchsetzung des Streitschlichtungsverfahrens hätten grobe Rückschläge hinnehmen müssen. Ganz ähnlich schreibt Chamovitz, 1993, S. 488: " ... it seems unlikely that the GATI would flirt with institutional suicide by directly challenging a major environmental treaty like the Montreal Protocol. ..
I. Verrechtlichung und Institutionalisierung der Streitschlichtung
273
gewordene Sachverhalte oder Begriffe zu erzielen. Der Hauptvorteil von Recht, Verhaltenssicherheiten zu erzeugen, kann sich mithin bei institutionell unbestimmten Rahmenbedingungen in sein Gegenteil verkehren; dann nämlich, wenn rechtliche Starrheiten verhindern, daß spezifisch angepaßte Einigungen zustandekommen. Dies sind die Umstände, aus denen Umgehungen und Verletzungen sowie schließlich Revisionen von Rechtsregeln herrühren. Die wichtigste Gegenposition dieser Argumentation ist eine (rechts-) dogmatische Prinzipienargumentation. Demnach sollten rechtliche Weiterentwicklungen ausschließlich mit Bezug auf klare Prinzipien erfolgen, weil es sonst zu Verzettelungen der Anstrengungen und zu einer Aushöhlung von Prinzipien komme, woraus Nichtbeachtung resultiere. 54 Diese Prinzipienargumentation wird in den kommenden Ausführungen berücksichtigt werden. Sie wird in den meisten Ausprägungen unter dem Deckmantel einer vermeintlich unangreifbaren Ökonomik betrieben. Kann also das gerade novellierte WTO-Streitschlichtungsverfahren die Ansicht von Curzon/Curzon Price, 1976, S.241, Anm. 1 und S. 207, obsolet machen, das Handelssystem sei «too immature and fragile to operate a system of sanctions,., oder trifft diese Ansicht auch heute noch, 20 Jahre später, angesichts neuer Herausforderungen zu? Danach hätten die aus Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsprozessen resultierenden Sanktionen im GATI einen Schneeballeffekt und führten zur Ausweitung von Konflikten, statt zu ihrer Eindämmung. In dieser Weise könnte durch die erfolgte Verrechtlichung und Institutionalisierung der Vorteil der Handlungs- und Begründungsentlastung um den Nachteil erkauft worden sein, die sozialintegrierenden Bindungseffekte kommunikativen Handeins und verständigungsorientierter Kommunikation nicht mehr verfügbar halten zu können und mithin die Effektivität des geschaffenen Rechts selbst zu gefährden.
54 Vgl. z.B. Mestmäcker, 1985/93, S. 129, der mit Kant'schen Kategorien operiert, indes meines Erachtens die volle Bedeutung Kant' scher Vernunftanalyse, insbesondere hinsichtlich der "praktischen Vernunft", nicht voll erfaßt hat. Vgl. zu diesem Themenkreis obige Ausführungen über den Paradigmenwechsel der modemen Philosophie und Wissenschaftstheorie. Saage, 1989, S. 192-234, spricht ebenso verkürzend von der "besitzindividualistischen Perspektive" der politischen Theorie Kants. 19 Kopke
274
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
11. "Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung am Beispiel der neuen Umweltschutzziele Wird die zukünftig noch wachsende Bedeutung des Umweltschutzes durch die WTO-Normen ausreichend antizipiert und seine Problematik im WTOStreitschlichtungsverfahren hinreichend flexibel Berücksichtigung finden können? Oder werden sich die internationalen Handelsregeln und ihre Interpreten erneut als zu starr und inflexibel erweisen, um den faktischen Veränderungen gebührend Rechnung zu tragen? Die Versäumnisse des bisherigen Verfahrens und die zunehmende Bedeutung des Umweltschutzes in den internationalen Beziehungen sind Gegenstand der folgenden Überlegungen. Es kann gezeigt werden, (1) daß Fragen des Umweltschutzes zukünftig von Welthandelsfragen nicht mehr getrennt behandelt werden können; dies nicht zuletzt wegen der globalen Umweltbedrohungen. Diesen Entwicklungen ist (2) in GATT und WTO so gut wie keine Bedeutung zugemessen worden. Die unvermeidlichen Konflikte werden sich v.a. im neuen Streitschlichtungsverfahren abspielen. Bereits bisherige GATT-Streitschlichtungs-Panels haben sich durch grobe Mißachtung e1emetarer Umweltschutzmaximen den Unmut eines Großeils der internationalen Beobachter zugezogen. Wie ist es nun (3) um die Diskursbedingungen in der neuen WTO bestellt?
1. Umweltschutz in den internationalen Handelsbeziehungen
Die zunehmend wachsende Bedeutung des Umweltschutzes in den internationalen Handelsbeziehungen ist allgemein anerkannt. 55 Sie macht sich aus Sicht der Ökologen derzeit v.a. an zwei Problemkreisen fest: einerseits an globalen Umweltproblemen (Erwärmung der Erdatmosphäre, Ozonloch, radioaktive Verseuchung, Verschmutzung der Weltmeere, Artenschutz, Entforestation usf.). Andererseits rücken regional begrenzte "pollution spillovers" immer stärker ins Bewußtsein. Aus Sicht der Verfechter eines liberalen und multilateralen Welthandelssystems sind Umweltschutzaspekte aber dazu
55 Vgl. u.a. Esty, 1994, S. 225; Hauser/Schanz, 1995, S. 258, McDonald, S. 398. Einen guten Überblick über das internationale öffentliche Umweltrecht bieten IpsenlHeintschel v. Heinegg, 1990, S. 805-870. Sie zeigen auch auf, daß der Großteil des internationalen Umweltrechts Vertragsrecht (im Gegensatz zu Gewohnheitsrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen) ist.
11. "Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung
275
geeignet, das Freihandelskonzept zu beschneiden. Schlimmstenfalls würde Umweltschutz als Vorwand für einen neuen Protektionismus dienen. 56 Zur Strukturierung dieser noch relativ neuen Debatte soll kurz angedeutet werden, (a) warum zukünftig mit zunehmender Relevanz des Umweltschutzgedankens zu rechnen sein wird und (b) wie sich dieser Aspekt bereits heute in den internationalen Handelsbeziehungen niederschlägt und (c) welche Verständigungsnotwendigkeiten daraus erwachsen.
a) Wachsende Interdependenz und gemeinsame Betroffenheit Internationaler Handel ist ein zunehmend globales Phänomen. Die Öffnung der meisten Staatsgrenzen für Waren und Kapital hat die Interdependenzen moderner Volkswirtschaften bereits himeichend offenkundig werden lassen. Mit der Einbeziehung weiterer Austauschaspekte unter den Begriffen freier Dienstleistungsverkehr und weltweiter Schutz geistigen Eigentums werden zunehmende wohlstandsfördernde Wirkungen grenzüberschreitenden Güteraustausches erwartet. 57 Es ist aber notwendig zu sehen, daß freier Güterverkehr "wohlstandsfördernd" nur sein kann, wenn er im Rahmen allgemein anerkannter Normen und Institutionen stattfindet, welche teils kontingent vereinbart werden können (z.B., daß der Handel mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten unerwünscht ist), teils aber auch notwendige Voraussetzungen sind (z.B. Rechtssicherheit). In Fällen, wo eine gemeinsame Wertebasis nicht problemlos gegeben ist, kann von "Wohlstand" nur schlecht gesprochen werden. 58 Werte, Normen und Institutionen sind veränderbar. Neue Nonnen und Institutionen können sich herausbilden, alte in den Hintergrund gedrängt werden. "Umweltschutz" ist ein Konzept, daß seit einigen Jahrzehnten zuneh-
56 Vgl. Sorsa, 1992.
57 Hier ist von den "Begriffen freier Dienstleistungsverkehr und weltweiter Schutz geistigen Eigentums" die Rede, weil es sich hier um kontingente Setzungen aus zumeist statistischen DefInitionserfordernissen handelt, die widersprechend und unscharf sind. 58 Auf verschiedene Wohlstandskonzepte kann hier nicht eingegangen werden. Es muß der Hinweis genügen, daß ein methodologischer Individualismus keine pauschalen Bestimmungen zuläßt, worin Wohlstand individuell und gesellschaftlich besteht.
276
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
mender Auttnerksamkeit teilhaftig wird, dessen Bedeutung permanent zu wachsen scheint. Dabei ist es nicht immer ganz einfach, die klaren Grenzen des Konzepts zu bestimmen. Zu vage sind v.a. noch seine Begriffe, die z.B. den legitimen und notwendigen "Schutz" der Umwelt von übertriebener Vorsicht abzugrenzen geeignet sein sollen. 59 Auch hier kann keine abschließende Definition und Kategorisierung geboten werden. (Ein intuitives Begriffsverständnis kann für die folgenden Ausführungen himeichen.) Genauso unzweifelhaft ist, daß der Umweltschutzgedanke auch ein zunehmend internationalisiertes Phänomen ist. Grenzüberschreitende Umweltverschmutzungen haben im Bewußtsein aller Interessierten beständig einen wichtigeren Platz eingenommen. 60 Nicht nur unmittelbare Betroffenheit aus Umweltschäden spielen dabei eine maßgebliche Rolle, sondern in einer modemen Mediengesellschaft zudem das Bewußtsein von Umweltschäden an femen Stellen dieser Erde, bei denen eine eigene Gefährdung mit den gegenwärtigen Mitteln der Wissenschaft noch nicht eindeutig nachweisbar ist. Hier entsteht die Betroffenheit nicht aus einem Eigennutzgedanken oder dem Vorsichtsprinzip, sondern aus einem moralischen Empfinden. Vielleicht ist es auch die intuitiven Erkenntnis, daß soziale Integration v.a. über gemeinsame Werte und Normen geschieht, ein Auseinanderfallen in bestimmten Sachthemen auch Verständigung in anderen Themenbereichen erschweren könnte. Umweltschutz, Menschemechte o.ä. sind solche Themen. Solange diese Werte, Normen und Institutionen aber nicht allgemein anerkannt sind, bedarf es spezifischer Verständigungsleistungen, bevor marktmäßiger Austausch (nicht im Sinne eines unbeeinflußten Anarchismus, sondern LS. einer in "westlichen Industriestaaten" heute gängigen Ausprägung) gepflegt werden kann. 61 Die Situation erforderlicher Verständigungsleistun-
59 Vgl. Ipsen/Heintschel v. Heinegg, 1990, S. 809 ff., über die Probleme der Begriffsbestimmung von" Umwelt". Zur Notendigkeit normativ betriebener Ökonomik für den Umweltschutz: Aguilera-Klink, 1994; Booth, 1994; Dovers, 1994; Mohr, 1994. 60 Vgl. Mestmäcker, 1985, S. 122, der die Forderung nach globalem Umweltschutz in gleicher Weise für ein internationales Phänomen hält, das durch tatsächliche Konflikte aus gesteigerten Interdependenzen entspringt, wie die Forderung nach Freihandel. 61 Jede andere Lösung trägt sich mit anarchischen Vorstellungen. Anarchie erscheint mir problematisch, nicht wegen des theoretisch denkbaren stabilisierten End-
11. "Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung
277
gen liegt für den Umweltschutz vor. Das Konzept ist als generelle Norm (noch) nicht allgemein anerkannt; insbesondere nicht weltweit. Entgegen den international kontinuierlich ansteigenden Möglichkeiten des Informations- und Güteraustausches, befinden sich Umweltschutzaspekte noch in einer Art konstituierenden (oder: "analytischen") Phase. Dieser Phase bereits entwachsen sind die meisten Umweltschutzkonzepte auf nationaler Ebene, in den meisten westlichen Demokratien. In ihnen haben sich die Verständigungsprozesse mittlerweile quasi-institutionalisiert, sind sie in einen rechtlich-verfahrensmäßig abgesicherten Verhandlungsprozeß eingebunden, in dem bereits Automatismen Platz greifen. Dieser Apekt kann hier nicht in allen Einzelheiten aufgezeigt werden. Wichtig ist v.a. zu sehen, daß auch der internationale Koordinierungsbedarf auf dem Gebiet des Umweltschutzes stetig steigt. 62
b) Internationale Abkommen und WTO Weltweit gibt es weit über 120 Umweltschutzabkommen oder völkerrechtliche Verträge, in denen der Umweltschutz eine wesentliche Stellung einnimmt. Wirklich globale Abkommen, in denen der Großteil aller Staaten Vertragsparteien sind, gibt es aber erst einige wenige. Zu nennen sind hier: 1. Protokoll von Montreal63 , 2. Basler Konvention64 , 3. Washingtoner-Konvention65 , 4. Rio-Convention on Sustainable Development (CSD)66. In diesen
zustands, sondern wegen des ungeklärten praktischen Wegs aus dem derzeitigen Status Quo dorthin.
62 Das Bewußtsein über die eine gemeinsame globale Umwelt und die allseitigen Abhängigkeiten und Notwendigkeiten weltweiter Umweltschutzanstrengungen dürfte nicht zuletzt auch durch die kernwaffentechnische Bedrohung, sowie einige Öl- und Nuklearkatastrophen geschärft worden sein. Ein solches bewußtsein hat sich aber inzwischen auch schon in sensibleren Bereichen eingestellt, wie im nächsten Kapitel kurz angedeutet werden kann. 63 "Montreal Protocol on Substances That Deplete the Ozone Layer", vom 16. September 1987, welches am 1. Januar 1991 in Kraft getreten ist. 64 "Basel Convention on Trade in Hazardous Waste" , vom 22. März 1989. 65 "Convention on International Trade in Endangered Species Flora", vom 3. März 1973.
0/ Wild Fauna
and
66 Sog. "Earth Summit" im Rahmen der UNCED: United Nations Con/erence on Environment and Development. Dort wurde die sogenannte ,,Agenda 21" abgeschlossen .. Der "Earth Summit" dürfte bislang die (auch im Bewußtsein der "internationa-
278
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
Abkommen standen allgemeine Aspekte des "Freihandels" denn auch im Hintergrund. 67 Für den Handelsbereich maßgeblich sind die ausgehandelten Bestimmungen der regionalen Wirtschaftszusammenschlüsse, insbesondere der Europäischen Union und der NAFfA. 68 An ihnen kann deutlich werden, welchen wichtigen Rang Umweltschutz in Freihandelsvereinbarungen einnehmen kann und mit welchem Aufwand der Versuch unternommen wird, Freihandel und Umweltschutz zu sich gegenseitig fördernden Zielvorgaben zu machen, statt sie gegeneinander auszuspielen. Es muß an dieser Stelle unterbleiben, die zahlreichen und vielschichtigen Argumente zum Zusammenhang zwischen Handel und Umwelt nachzuvollziehen. Diese Debatte fügt sich ein in die übergeordnete Diskussion über Umwelt und Entwicklung, die durch die desolate Lage der Menschen in Entwicklungsländern nur ihre besondere Brisanz erhält, ansonsten aber für alle Staaten relevant ist (z.B. für "Arbeitsplätze"). Ich begnüge mich deshalb mit wichtigen Literaturverweisen und greife bei der Diskussion der GATI-IWTO-Umweltaspekte die wichtigsten Aspekte auf (s.u. S. 281 ff.).69
len Öffentlichkeit") einflußreichste globale Manifestation des Umweltschutzgedankens gewesen sein (worin denn wohl auch der Haupterfolg zu sehen ist), vgl. Esty, 1993. 67 Konflikte waren schon wegen der unbestimmten umweltpolitischen Zielvorgaben, die oft nur als allgemeine Pflichten mit Begriffen wie "Verbesserung", "Reduktion" etc. eingefordert werden, nicht abzusehen. An unbestimmten Rechtsbegriffen scheitert nämlich jede eindeutige Auslegung und mithin Durchsetzung. Der Trend scheint jedoch auch hier in Richtung stärkerer Konkretisierungen der Zielvorgaben zu gehen, wie die Formulierungen im Rio-Abkommen (CSD) mit seinen konkreten Reduzierungsvorgaben nahelegt. 68 Vgl. zur NAFTA- und EU-Diskussion u.a. Baldock/Keene, 1993; DeBelivue et al., 1994; Hofgard, 1993; und eher einseitig: Petersmann, 1993a. In der NAFTA bestimmt beispielsweise Art. 104.2, daß internationale Umweltabkommen bei Handeisstreitigkeiten vorrangig berücksichtigt werden müssen. Am Beispiel der EU kann auch das Argument entwickelt werden, die Einbeziehung von möglichst vielen handeisrelevanten Aspekten in ein Abkommen, vergrößere die gegenseitigen Abhängigkeiten und ermögliche damit bessere Durchsetzungsmöglichkeiten LS. eines "crossretaliation". Von diesem Stadium dürfte die WTO aber noch so weit entfernt sein, daß dieser Aspekt getrost unanalysiert bleiben kann. 69 Allgemeine Literatur zum Thema "Handel und Umwelt", vgl. die umfangreiche Bibliographie der OE CD , 1994, sowie zusätzlich: Anderson/Blackhurst, 1992; Bhagwati, 1993; Buckley, 1993; Daly/Goodland, 1994; Dunoff, 1992; Ekins/Folke/ Costanza, 1994; Esty, 1993; RfJpke, 1994; Steininger, 1994; Stevens, 1994; UNCIAD,
H. "Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung
279
Von den meisten internationalen Beobachtern wird kein Zweifel gelassen, daß auch in der WTO zukünftig Umweltschutzaspekte eine dominante Rolle spielen werden (müssen) 70. Die WTO wäre im Umweltbereich aber in jedem Fall nur ein internationales Abkommen neben anderen - mit dem (eventuell) erheblichen Unterschied, daß ihr mit dem neuerlichen Status einer internationalen Organisation eine erhöhte Geltung zufallen könnte. Aber doch wohl nur, wenn sie die umweltpolitische Herausforderung auch kompetent aufnimmt.
c) Fazit: Verständigungsnotwendigkeiten Wenn man also davon ausgehen kann, daß Umweltschutz zukünftig an Bedeutung im Bewußtsein von immer mehr Menschen noch zunehmen wird, dann dürfte erkenntlich sein, daß sich hier Konfliktpotentiale mit einem Freihandelspostulat ergeben, welches von dieser Seite bisher unbehelligten war. Notwendige Umdenkprozesse werden nicht ohne Widerstände geschehen. Viel wird davon abhängen, ob die etablierte Freihandelsgemeinde die umweltpolitische Herausforderung annimmt oder (weiterhin) zu ihr auf Konfrontationskurs geht. Einiges hängt davon ab, wie es die "Umweltgemeinde" verstehen wird, sich zu artikulieren. Die Verständigungsnotwendigkeiten entstehen aber nicht nur aus diesem Konflikt, sondern auch, weil im volkswirtschaftlichen Freihandelspostulat, ebenso wie bei der naturwissenschaftlichen Absicherung des Umwelt-Schutzgedankens, noch immer und jeweils erneut begriffliche Unsicherheiten bestehen und neu auftauchen. Deren Klärung ist aber trotz oft 1991; UNDP, 1992; Whalley, 1991; World Commission on Environment and Development, 1987; World Bank, 1992; Young, 1994. 70 Dagegen antwortete die Bundesregierung (der BRD) erst kürzlich (BundesDrucksache 13/926, 30.3.95, S.2) auf eine große Anfrage zu " Umweltschutzstandards im freien Welthandel": "Eine Festlegung von ökologischen Mindeststandards kann nach Auffassung der Bundesregierung nicht in der WTO erfolgen, da sie für die Gestaltung der internationalen Umweltzusammenarbeit weder über das Mandat noch über die entsprechende umweltspezifische Kompetenz verfügt." In der Antwort der Anfrage "Außenhandel" (Bundes-Drucksache 13/1435, S. 3, 6) bezeichnet die Bundesregierung es aber als einen ihrer Schwerpunkte, die Arbeit im WTO-Ausschuß "Handel und Umwelt" zu fördern, befmdet über deren Diskussion aber, sie sei noch in "einer analytischen Phase". Mein Argument ist, daß im WTO-Streitschlichtungsverfahren einer Berücksichtigung umweltrelevanter Argumente nicht ausgewichen werden kann.
280
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
vorliegenden akuten Handlungsbedarfs nicht schnell genug möglich, so daß die Kontroversen, statt zu wissenschaftlichen Dialogen, eher zu Glaubensund Prinzipienfragen werden. Nimmt man die soziale Komponente dieser Debatte (Umwelt und Entwicklung, Spaltung in Erste und Dritte Welt) hinzu, scheint der Umfang der notwendigen diskursiven Anstrengungen beinahe unüberschaubar groß. Die vielfältigen Diskussionen und Denkansätze in Literatur und Politik offenbaren v.a. eines: Es wird keine Patentrezepte oder Allheilmittel für die Widersprüche zwischen Umweltschutz und Freihandel geben. Es wird ein Prozeß der Kooperation und Kompromißfindung sein müssen, der weniger im Bereich von Wissenschaft, als mit politischen Begriffen auszutragen sein wird. Vorschläge, wie ein zukünftiges Zusammenspiel aussehen könnte, liegen teilweise schon recht detailliert vor7l , so wie auch Reformvorschläge des (eben erst reformierten) GATT. Die Diskussionen werden nicht erleichtert durch die Tatsache, daß Phänomene der Umweltverschmutzung i.d.R. mit der politischen Aufteilung dieser Welt in Nationalstaaten und deren Grenzziehungen keinen logischen Zusammenhang bilden, es mithin eines Übersetzungsvorgangs an der Grenze von Naturwissenschaft und Politik bedarf, der nicht immer verständigungsorientiert geführt wird und eigentlich dem Subsidiaritätsprinzip zu neuer Glorie verhelfen müßte. 72 Für die hiesige Fragestellung wichtig ist die Feststellung: Im Umweltbereich sind ausgeprägte Verständigungs- und Kooperationsleistungen erforderlich, die durch eine rein strategische Interaktion nicht erfüllt werden kön7l Vgl. nur Smith, 1993, S. 533 ff., 544, Kelly, 1993, sowie die mit einigem Einfluß in Sachen "Handel und Umwelt" ausgestattete, gleichnamige OBCD Arbeitgruppe, die 1993 (allerdings - um Kompetenzkonflikte mit dem GATI zu vermeiden - nur recht allgemeine) "Verfahrensleitlinien zu Handel und Umwelt" herausgegeben hat. Kritisch Stevens, 1993. Die OBCD wird auch in Wissenschaftlerkreisen als kompetente Beobachterin der Handel und Umwelt-Debatte anerkannt. Im Rahmen der GATI/ WTO-Diskussion unten noch weitere Literaturhinweise. 72 Die aus Umweltschutzaspekten fragwürdige Kompetenzaufteilung in Nationalstaaten stehen einem theoretisch notwendigen Subsidiaritätsprinzip entgegen. Dies lassen Yarbrough/Yarbrough, 1994, deutlich werden. Ökonomische "Faktor-Logik" und völkerrechtliche "Souveränitäts-Logik", spannen ein begrifflich noch zu wenig bestimmtes Interaktionsfeld. Vgl. zur Geographie auch Ritter, 1994, S. 164 ff. Aus Sicht der meisten Umweltschützer liegt mithin in der Regionalisierung des Welthandels und in "loeal action" die beste Chance verbesserten Umweltschutzes, vgl. Me Callum , 1993.
H. "Erfolgs aussichten" der WTO-Streitschlichtung
281
nen. Außerdem ist das institutionelle Gerüst in den internationalen Beziehungen noch nicht ausgebildet genug, als daß hierin auf Verständigungsleistungen bereits verzichtet werden könnte. Insbesondere gibt es keine standardisierten Kommunikationsmedien, wie beispielsweise Geld oder Macht. Deshalb ist jeder "Automatisierungsversuch" , d.h. der Versuch, Umweltschutz unter die Ägide einer nach Verfahren organisierten Bürokratie zu stellen, zum Scheitern verurteilt. Die internationalen Beziehungen sind von einer Art, in der Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsbestrebungen im Umweltschutz zukünftig zu Verletzungen und Umgehungen der jeweiligen Verträge führen werden und an eine multilaterale Durchsetzungsfähigkeit nicht zu denken ist.
2. Umweltschutz in GATT und WTO
Um die Möglichkeiten zur Integration von Umweltschutzaspekten im Rahmen der neuen Welthandelsorganisation zu prüfen, muß zunächst (a) das unrühmliche Erbe der GATT-Streitschlichtungsverfahren auf diesem Gebiet aufgezeigt werden. Dann kann nämlich klar werden, daß (b) auch in der WTO keine wirklichen Anstrengungen zu diesem Zweck unternommen wurden und auch ansonsten keine Voraussetzungen geschaffen wurden, die (c) die notwendigen Diskursbedingungen hätten fördern können.
a) Hintergrund: Umweltschutz im Prüffeld des bisherigen GATI Im GATT ist es erst in einigen wenigen Gelegenheiten zu rechtserheblichen Beurteilungen von Umweltschutzaspekten gekommen. In diesen Fällen haben jedoch die Streitschlichtung-Panels in ihren Urteilen so kraß die Sensibilitäten internationaler Umweltschützer verletzt, daß es zu einer kompletten Diskreditierung des Freihandels in diesen Kreisen kommen mußte. Daneben hat sich, wohl noch verstärkt durch die Verhandlungen der GATI-Uruguay-Runde, eine intensive Diskussion um die Beziehungen zwischen dem GATI und dem Umweltschutz entwickelt, auf die hier nur hingewiesen werden kann. 73 In
73 Einen guten Überblick über die umweltrelevanten GATI-Bestimmungen geben ThomaslTereposky, 1993. Vgl. aber auch Arden-Clarke, 1991; Chamovitz, 1993; Cherry, 1993; Eglin, 1993a; Esty, 1993; GAlT, 1992; HousmanfZaelke, 1993; Ipsen,
282
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
diesen bisweilen hoffnungslos verworrenen Diskussionen hat jede nur denkbare Meinung ihre Anhänger gefunden. Die Argumentationen reichen von Aussagen, daß Freihandel die Umwelt zerstöre, bis zu Aussagen, daß nur durch Freihandel die Umwelt zu retten sei74 , von dem Argument, daß Umweltaspekte das GATT zerstören würden, bis zu dem Argument, daß nur durch die Integration von Umweltschutzaspekten das GATT überlebensfahig sei.7 5 Auf eine Rekapitulation muß hier verzichtet werden. In dieser Arbeit geht es um die Frage, wie Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO zu beurteilen sind. Zu diesem Zweck wurde eine Methode entwickelt, mit der differenzierte Analysen des bisherigen GATT möglich werden, derart, daß auch bestimmte Prognosen für die neue WTO gewagt werden können. Die Analyse wird hier am Beispiel des Umweltschutzes entwickelt. Die maßgebliche Perspektive und Fragerichtung ist somit, ob die Verständigungseifordemisse eingehalten wurden. Beginnen wir deshalb wieder mit dem alten GA1T-Streitschlichtungsverfahren. Wie angedeutet, haben die wenigen Gelegenheiten, in denen GATT-Streitschlichtungs-Panels sich zu umweltrelevanten Sachthemen geäußert haben, zu allseitigem Unverständnis geführt, und das nicht nur unter Umweltschützero. 76 Die Streitschlichtungs-Panels hatten sich bei ihrer Entscheidungsfindung an die übliche Prüfungsmethodik gehalten, bei der zuerst geprüft wird, ob die strittige Maßnahme GATT-Bestimmungen verletzt (Prüfung nach "like product", "Diskriminierung", "Protektionismus", "technisches Handelshemmnis" , "unerlaubtes Labelling", "verbotene Subvention"), um anschließend zu überprüfen, ob nicht eine zulässige Ausnahme geltend gemacht werden kann. Bei den Ausnahmen handelt es sich v.a. um Art. XX, lit. bund g
(zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und
1991; Kulessa, 1992; McDonald, 1993; Moss, 1993; Patterson, 1992; Smith, 1993; Syverson, 1993. 74 Vgl. die gegensätzlichen Argumentationen von Bhagwati, 1993, versus Daly, 1993. Siehe auch HousmanfZaelke, 1993, und Bergeijk, 1991, mit einem "illustrative empirical test" . 75 Vgl. z.B.Chamovitz, 1993, S. 488, s.o. Fußnote 53, S. 272. 76 Es handelt sich um die Streitschlichtungsfalle: Thunfisch I und 11 (Mexiko-USA) vgl. GAITIL/519B, Zigarettenimport- und Werbeverbot (USA-Thailand) vgl. GAIT/DSlOlR 20B-09, Flottenverbrauch von Kraftfahrzeugen (EG-USA), Benzolgehalt im Importbenzin (Venezuela-USA). Vgl. u.a. Jackson, 1992 Kohona, 1994, McDonald, 1993, Petersmann, 1991, 1992, 1993.
H. "Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung
283
Pflanzen, sowie zur Erhaltung erschöpjlicher Naturschätze).77 Wendete man
die Panel-Ergebnisse auch auf andere mögliche Konfliktfälle an, so zeigt sich, daß das GATI vollständig in Widerspruch mit den wichtigsten internationalen Übereinkommen im Umweltschutz steht, namentlich dem Montrealer Protokoll zu ozonschichtzerstörenden Stoffen, der Basler Konvention über den Export gefährlicher Stoffe, dem Washingtoner Artenschutzabkommen und der Rio-Konvention über nachhaltige Entwicklung, um nur einige zu nennen. 78
Daß es bislang nicht zu gravierenden Auseinandersetzungen gekommen ist, verdankt sich allein der Tatsache, daß sich alle Beteiligten bislang "vornehm zurückgehalten" haben, vielleicht um genau diesen Eklat zu verhindern. Angesichts solcher Erkenntnisse nützen indes auch die Beteuerungen so mancher Autoren nichts, im GATT seien diese Umweltaspekte eigentlich kein prinzipielles oder gar kein Problem. 79 Tatsache ist, daß der vorhandene Interpretationsspielraum faktisch nicht genutzt wurde, um Umweltschutzaspekte auf intelligente Weise in das GATT-Welthandelssystem einzubinden. Dabei hätten schon allein die ungenauen Begriffsbestimmungen ("like product"80, "necessary to protect,,81 etc.) diesbezüglich hinreichende Möglichkeiten geboten. Im
77 Art. XX, lit. bund g GATI (zitiert nach Senti, 1986, S. 402): Unter dem Vorbehalt, dass die folgenden Maßnahmen nicht so angewendet werden, dass sie zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen gleiche Verhältnisse bestehen, oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen, darf keine Bestimmung dieses Abkommens so ausgelegt werden, dass sie eine Vertragspartei daran hindert, folgende Massnahmen zu beschliessen oder durchzuführen: [. ..} (b) Massnahmen zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen; [. ..} (g) Massnahmen zur Erhaltung erschöpjlicher Naturschätze, sofern solche Massnahmen im Zusammenhang mit Beschränkungen der inländischen Produktion oder des inländischen Verbrauches angewendet werden [. . .]. Vgl. auch Charnovitz, 1991. Diese Bestimmungen sind im übrigen die einzigen relevanten Umweltbestimmungen im GATI gewesen (und in der
WTO so gut wie auch geblieben, vgl. unten).
78 Vgl. die Ausführungen von McDonald, 1993, welche die GATI-Streitschlichtungslogik mit Bezug auf diese Umweltabkommen durchkonjugiert. 79 Vgl. z.B. Palmeter, 1993; ThomasfIereposky, 1993. 80 So wäre es nötig gewesen in die Defmtion dessen, was "gleichartige Produkte"
sind, auch den Produktionsprozeß mit zu beurteilen, sind es doch regelmäßig umweltgefährdende Produktionsweisen, die zum Streitpunkt werden. 81 Am Begriff des "Notwendigen" bricht sich vollends die Beliebigkeit der PanelAuslegungen.
284
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
übrigen unterliegt aber die gesamte GATI-Freihandelslogik, mit ihrer starken Souveränitätskonzeption, einem anachronistischen Konstruktionsfehler. 82
b) Umweltschutzaspekte in der WTO Schon im bisherigen GATI hätten also durch vorausschauende Vertragsauslegungen Umweltschutzaspekte berücksichtigt werden können. Diese Chance wurde verpaßt. Jetzt liegen mit der WTO neue Rechtsnormen vor. Wird aber ihre Auslegung und Anwendung der international gestiegenen Bedeutung des Umweltschutzes wenigstens zukünftig gerecht werden können? Im Umweltbereich bestätigt sich leider auf extreme Weise, was schon oben über die neuen internationalen Handelsregeln allgemein ausgesagt wurde: Zwar wurden" Umweltschutz" und "nachhaltige Entwicklung" als neue Ziele in die Präambel aufgenommen83 , aber durch keinerlei Rechtsregelungen im Vertragstext materiell abgesichert. 84 Deshalb wird der unvermeidliche Konflikt sich erneut im Rahmen des Streitschlichtungsverfahrens abspielen. Der Ausschuß für Handel und Umwelt ist nämlich ein "zahn- und kopfloser Tiger", der übrigens auch keine eigentliche Neuerung ist, sondern nur endlich aktiviert wurde. 85
82 So ist im internationalen öffentlichen Umweltrecht (1) das Konzept der eingeschränkten Souveränität gewohnheitsrechtlich genauso anerkannt, wie (2) der Grundsatz der billigen (fairen und gerechten) Aufteilung gemeinsamer natürlicher Ressourcen, vgl. Ipsen/Heintschel Y. Heinegg, 1990, S. 848 ff., 850 ff., 857 ff., mit ausfürhlichen Literaturverweisen. Es ist also zu hoffen, daß die stärkere Anbindung an das allgemeine Völkerrecht den Streitschlichtungs-Panels zukünftig krasse Fehler vermeiden helfen kann. 83 Vgl. Präambel altes GATT: " ... developing the full use of the resources of the world ... "; Präambel WTO: " ... allowing for optimal use of the world' s resources in accordance with the objective of sustainable development, seeking both to protect and preserve the environment and enhance the means for doing so in a manner consistent with their respective needs and concerns at different levels of economic development." 84 Als Ausnahme könnte man das ,,Agreement on sanitary and phytosanitary measures" sehen, daß aber nur einen kleinen Teilbereich umweltrelevanter Themen abdecken kann. Vgl. GAlT Final Act, 1993. 85 Der WTO-Ausschuß für Handel und Umwelt wurde bereits im November 1971 im Rahmen der Bestimmungen der Joint Action (Art. XXXV GATT) eingerichtet und
11. "Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung
285
Bleibt die Frage, ob es zukünftigen WTO-Streitschlichtungs-Beteiligten gelingen wird, in ihrer Vorgehensweise und Ergebnissen eine verständigungsorientierte Anbindung zu den Interessen der kraftsammelnden internationalen "Umweltschützergemeinde" zu schaffen. Wie oben gesehen, sind aber auch die aus der WTO und dem neuen Streitschlichtungsverfahren möglichen Flexibilisierungen keineswegs dazu angetan, eine pessimistische Sichtweise zu relativieren. Es bedürfte gewaltiger individueller Anstrengungen, die eröffneten Spielräume hinsichtlich (1) Bezug zum allgemeinen Völkerrecht und internationalen Umweltschutzabkommen, (2) eigenständiger umweltfreundlicher WTO-Vertragsauslegung, (3) Einbeziehung von Umweltschutz-Interessenvertretern und (4) konsequenter Anrufung der Berufungsinstanz bei umweltpolitisehen Fehlentscheidungen, zu nutzen.
c) Gegenwärtige Diskursbedingungen Die vorangegangenen Ausführungen konnten verdeutlichen, daß ökologischen Erwägungen in modemen Gesellschaften und fortgeschrittenen Volkswirtschaften ein zunehmend höherer Stellenwert eingeräumt wird, und zwar sowohl in der Wissenschaft, wie in der Politik. Die Zahl jener, die Umweltschutz zu ihrem professionellen Anliegen gemacht haben, steigt beständig und besitzt schon jetzt einige Durchschlagskraft, die sich auch in der politischen sollte bei Bedarf tätig werden. Seine Funktionen sind (vgl. GAIT, 1994): ,,1. to examine upon request any specific matters relevant to the trade policy aspects of measures to control pollution and protect human environment especially with regard to the application of the provisions of the General Agreement taking into account the particular problems of developing countries; 2. to report to the Council'." (vgl. GAIT/C/M/ 74 S. 3-4; GAITIL/3622/Rev.l). 1991 wurde der Ausschuß das erste Mal einberufen (vgl. Ll3538, C/MI74, sowie GAIT/MTN.TNCIW/47). Der Ausschuß steht für alle Vertragsparteien, jetzt WTO-Mitglieder, offen (vgl. GAIT/C/MI252 , S. 24-31). In dem ersten Zwischenbericht des vorbereitenden Ausschusses im Jan. 1993, der nach Angaben seiner Mitglieder "nicht besonders inhaltsschwer ist", werden die weiteren Untersuchungslinien festgelegt: 1. Handelsbeschränkungen durch internationale Umweitabkommen, 2. Transparenz, 3. Labelling, Recycling usf. Seit Februar 1995 tagt nun der Ausschuß und plant, Ende 1996 einen ersten Ergebnisbericht vorzulegen (an den aber nicht allzu große Erwartungen genüpft werden sollten). Insgesamt handelt es sich um ein wenig überzeugendes Alibi-Gremium mit eher bürokratischer, denn politischer Arbeitsweise. Vgl. außerdem: GAIT/C/M/247, GAIT/C/M/248 , GAIT/C/M/ 250; GAITITRE/l fortlaufend, GAITITREIW/l fortlaufend (GAITITRE steht für die Dokumente der "Group on Environmental Measures and International Trade").
286
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
Entscheidungsfindung deutlich artikuliert. Dieser Befund trifft zu, unabhängig von der Frage, wie die irreversiblen Veränderungen, die Menschen in der Welt verursachen, bewertet werden und ob durch die Denaturierung der Umwelt, die aus bestimmter Perspektive mit quasi-naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit voranschreitet, alsbald den Menschen ihre eigene Lebensgrundlage geraubt sein wird. Die "Umweltschützer-Gemeinde" formiert sich um das gemeinsame Ziel, den Eingriff des Menschen in seine Umwelt in erträglichen Maßen zu halten, wozu u.a. gehört, gewisse Vorsicht bei Eingriffen walten zu lassen, deren Auswirkungen schlecht oder vorerst gar nicht abzusehen sind (" Vorsichtsprinzip"). Die sich herausbildenden kommunikativen Semantiken (N. Luhmann würde eher von "Kommunikationscodes" sprechen) zeichnen sich durch spezifische Begriffsbildungen und deren hermeneutischen Absicherungen in einem Netz von Begründungsdiskursen ab. Solche Diskurse sind für Außenstehende bisweilen nur noch mühsam nachvollziehbar. In diesem " Gemeinde "-Charakter nähern sich "die versammelten Umweltschützer" beträchtlich an die systemische Integrität der "Freihandels-Gemeinde" der international sprachlich-begrifflich verbundenen Handelsexperten an, die realpolitisch bereits über erhebliches Gewicht verfügt. Deren Kommunikationen (bisweilen kaum weniger abgehoben vom unbefangenen Allgemeinverständnis) bewegen sich ebenso in gefügten Begrifflichkeiten, Begründungsund Argumentationsmustern und auf den Grundlagen eingefahrener Kenntnisse und verfügbarer Informationskanäle - teils wohl auch eingeschworen auf partikulare Glaubenssätze. Kurzum, hier werden jeweils Lebenswelten geteilt. Geteilte Lebenswelten vereinfachen (oder ermöglichen gar erst) Verständigung und rationales Einverständis. Für Außenstehende und zueinander handelt es sich bei diesen Kommunikationsgemeinschaften um Expertenkulturen, die gewissermaßen in ihren eigenen Geltungszusammenhängen verharren und in eingefahrenen Verständigungsbedingungen das Umweltschutz- oder Freihandelskonzept perpetuieren und die Anbindung nach außen nur bedingt suchen. 86 Es kann wohl kaum 86 Habermas (1988a), S. 328 f., diskutiert diesen Anbindungsaspekt unter der Bezeichnung .. Bedingungen für Lebensordnungen": .. 1. Die kulturelle Wertsphäre muß an entsprechende Handlungssysteme (durch Interessen geprägt) so angeschlossen werden, daß eine nach Geltungsanspriichen spezialisierte Wissensproduktion und vermittlung sichergestellt ist; 2. das von Expertenkulturen entwickelte kognitive Potential muß seinerseits an die kommunikative Alltagspraxis weitergeleitet und für soziale Handlungssysteme fruchtbar gemacht werden; 3. schließlich muß die kulturel-
11. "Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung
287
überbetont werden, daß die Verständigungsbedingungen innerhalb solcher Expertenkulturen fundamental durch die jeweiligen Lebenswelten bestimmt werden und sich gewissermaßen selbst generieren und je neu konstituieren. Teilnehmer können sich aber innerhalb dieser Systeme nicht nur verstehen, sondern sie vergewissern sich zudem gleichzeitig ihrer lebensweltlichen Sinnzusammenhänge. 87 Eine differenzierte Lebensweltanalyse a la Habermas, Husserl, Wittgenstein kann die Gemeinsamkeiten kommunikativ verwobener Interaktionsmuster praktisch-pragmatisch und erkenntnistheoretisch überzeugend aufarbeiten und in die Analyse informationeller Beschränkungen der Individuen ("bounded rationality") und ihrer Abhängigkeit von handlungsleitenden Institiutionen88 , einbinden. Wie anders hätte es kommen können, als daß ein Zusammentreffen dieser beiden mehr oder minder abgeschlossenen Verständigungskreise zu Konflikten führen mußte, da sie nun im gleichen Normsetzungsbereich tätig wurden. Diese Konflikte werden noch überlagert von all jenen Problemen, die mit dem Aufeinandertreffen von etablierten mit reformerischen Kräften regelmäßig einhergehen. Insgesamt sind also die Diskursbedingungen einer "idealen Sprechsituation" in keiner Weise auch nur annähernd erfüllt. 89
le Wertsphäre so ausgewogen institutionalisiert werden, daß die ihnen korrespondierenden Lebensordnungen hinreichend autonom sind, um nicht den Eigengesetzlichkeiten heterogener Lebensordnungen untergeordnet zu werden. " 87 Für solche sozialen Interaktionen gewährt auch die Systemtheorie hilfreiche Analyse- und Beurteilungsmöglichkeiten, nämlich der systemischen Eigenschaften dieser Kommunikationsgemeinschaften. Es ist allerdings hervorzuheben, daß Systemtheorie sich ab dem Moment in Gegensatz zum methodologischen Individualismus stellt, in dem nicht mehr Individuen als elementare Beobachtungseinheit angesehen werden, sondern z.B. Kommunikationskonzepte o.ä.; vgl. meine Ausführungen und Verweise auf den S. 169 ff., sowie v.a. Habermas, 1971, einschl. Supplemente 1 u. 2, Luhmann, 1984, Habermas, 1985a. Systemtheoretische Überlegungen können hier nicht vertieft werden. 88 Vgl. zu "Institutionen" und "bounded rationality" (begrenzte Informationsaufnahme, -verarbeitungs- und -vermittlungsfähigkeiten) die Ausführungen auf S. 50 ff. Es ist das Charakteristische der ökonomischen Analyse, daß sie strikt vom Individuum als elementare Handlungseinheit ausgeht. Dieser Ansatz wird hier beibehalten. Die juristische Sichtweise von Staaten usw. als Makrosubjekte, eignet sich für eine sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise hingegen nicht. Sie kann mit gleichen Gründen abgelehnt werden, wie die Verfalschungen der (ökonomischen) Neoklassik. 89 Zur Erinnerung: Zur idealen Sprechsituation ("herrschaftsfreier Diskurs") gehörte insbesondere (Habermas, 1984, S. 177 f.), daß (1) alle potentiellen Teilnehmer
288
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
Was die Analyse mit der Theorie des kommunikativen Handeins (bzw. mit der in dieser Arbeit entwickelten Methode, welche selbst den Versuch darstellt, eine sprachliche Anbindung zwischen einer ökonomischen ExpertenkultUT und der Soziologie zu schaffen) klarmachen sollte, ist insbesondere, daß die Konflikte nicht etwa vornehmlich aus einem politischen Unwillen der Beteiligten (und schon gar nicht "der Staaten") entstehen, sondern aus elementaren Verständigungsschwierigkeiten. Diese wurzeln zum einen in unterschiedlichen Begriffsapparaten, sowie in der mangelnden Achtung vor den Begrifflichkeiten der jeweiligen Gegenseite. Eigentlich erklärend ist aber erst der Hinweis, daß diese Unterschiede aus den spezifischen Kommunikationsbedingungen entstehen und nicht vorwiegend aus einem irgendwie gearteten Unwillen. Dies zu erkennen ist wesentlich, weil jede rein willensbestimmte, kognitive Entscheidungsfindung, wie sie von der Ökonomik propagiert wird, Handlungen nur als bewußte Entscheidungen aus freiem Willensentschluß konzeptualisieren kann, was die Beschreibung und Erklärung sozialer Interaktionen teils erheblich beschneidet. 90 Die Habermas' sche Analyse kann aber
eines Diskurses die gleiche Chance haben, kommunikative Sprechakte zu verwenden, so daß sie jederzeit Diskurse eröffnen sowie durch Rede und Gegenrede, Frage und Antwort perpetuieren können; daß (2) alle Diskursteilnehmer die gleiche Chance haben, Deutungen, Behauptungen, Empfehlungen, Erklärungen und Rechtfertigungen aufzustellen und deren Geltungsanspruch zu problematisieren, zu begründen oder zu widerlegen, so daß keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt; daß (3) zum Diskurs nur Sprecher zugelassen sind, die als Handelnde gleiche Chancen haben, repräsentative Sprechakte zu verwenden, d.h. ihre Einstellungen, Gefühle und Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Denn nur das reziproke Zusammenstimmen der Spielräume individueller Äußerungen und das komplementäre Einpendeln von Nähe und Distanz in Handlungszusammenhängen bieten die Garantie dafür, daß die Handelnden auch als Diskursteilnehmer sich selbst gegenüber wahrhaftig sind und ihre innere Natur transparent machen, und daß (4) zum Diskurs nur Sprecher zugelassen sind, die als Handelnde gleiche Chancen haben, regulative Sprechakte zu verwenden, d.h. zu befehlen und sich zu widersetzen, zu erlauben und zu verbieten, Versprechen zu geben und abzunehmen, Rechenschaft abzulegen und zu verlangen usf. Denn nur die vollständige Reziprozität der Verhaltenserwartungen, die Privilegierung im Sinne einseitig verpflichtender Handlungs- und Bewertungsnormen ausschließen, bieten die Gewähr dafür, daß die formale Gleichverteilung der Chancen, eine Rede zu eröffnen und fortzusetzen, auch faktisch dazu genutzt werden kann, Realitätszwänge zu suspendieren und in den erfahrungsfreien und handlungsentlasteten Kommunikationsbereich des Diskurses überzutreten. 90 Die meisten wissenschaftlichen Analysen der internationalen Beziehungen gereichen gerade bis zu dieser Aussage: Es komme nach allem Gesagten letztlich auf
11 ... Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung
289
nicht nur begründen und erklären, aus welchen Unzulänglichkeiten Konflikte entstehen; Mit ihr kann dezidiert-differenziert analysiert werden, welcher Art die Konfliktherde sind. Dies folgt unmittelbar aus den pragmatischen Bedingungen für Verständigung und rationalem Einverständnis: Die pragmatischen Bedingungen für Verständigung ließen erkennen: Kommunikation kann auf verschiedenen Ebenen scheitern. Neben dem begrifflichen Problem (der Annahme, daß Begriffe für verschiedene Personen identisch sind) und der übergeordneten Frage einer pragmatischen Verständigungshaltung (verständigungsorientierte Einstellung), kann Kommunikation scheitern (1) auf der kognitiven, (2) auf der normativen und (3) auf der dramaturgischen Ebene. Es ist nämlich jeweils etwas Verschiedenes, ob die Ablehnung Z.B. einer Aufforderung aus Gründen kognitiven Unwillens, moralisch-ethischer Abscheu oder aber Zweifeln an der Wahrhaftigkeit des Aussprechenden geschieht. Es muß anderen Arbeiten vorbehalten bleiben, die in der WTO zukünftig stattfindenden Diskussionen (v.a. in den Streitschlichtungspanels 91 ) auf diese Elemente hin im einzelnen zu erforschen und zu bewerten. In dieser Arbeit sind die Analysemöglichkeiten aufgezeigt worden. Dabei ist jedenfalls klar geworden, daß die derzeitigen Verständigungsbedingungen in der WTO, wie schon im GATT, auf ein Zusammentreffen der ökonomischen und ökologischen Expertenkulturen nicht ausreichend vorbereitet sind. Die institutionellen Angebote der WTO ermöglichen vielleicht zaghafte Annäherungsversuche, vermögen den negativen Befund aber nicht zu erschüttern: Der Versuch, durch Verrechtlichung und Institutionalisierung insbesondere des Streitschlichtungsverfahrens, mehr Regelhaftigkeit in den internationalen Handelsbeziehungen sozusagen ~u erzwingen, dürfte scheitern. Er verkennt die ei-
den ..politischen Willen" der Beteiligten an, ob sie die gebotenen Chancen ergriffen oder nicht. Dagegen, mit der verständigungsorientierten Analyse ließ sich aufzeigen, daß dieser .. politische Wille" selbst bestimmten Bedingungen unterliegt. 91 Übrigens sind in diesem Zusammenhang nicht nur die unmittelbar beteiligten Entscheidungsträger im GATI/ der WTO ausschlaggebend für die Verständigungsbedingungen, sondern alle internationalen Entscheidungsträger, die sich an den Ergebnissen ihre Meinungen bilden und diese Meinungen in ihre eigene Entscheidungsfindung eingehen lassen. Für sie muß das GATI verständlich, müssen die PanelErgebnisse und Entscheidungen nachvollziehbar sein und ihre Ergebnisse für richtig gehalten werden. Schließlich müssen sie ihre eigene Rolle anerkennen und andere Diskursteilnehmer für glaubwürdig halten. 20 Kopke
290
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
gentlichen Probleme der Rechtsbeachtung und -durchsetzung im internationalen Handel.
3. Ergebnis: Schlechte "ErColgsaussichten" zukünftiger Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO "Der erste Schritt zur Rekonstruktion der Bedingungen sozialer Integration führt zum Begriff der Lebenswelt. Den Bezugspunkt bildet das Problem, wie aus Konsensbildungsprozessen, die durch eine explosive Spannung zwischen Faktizität und Geltung bedroht sind, soziale Ordnung soll hervorgehen können. [... ] Die auf dem Nein-sagen-Können beruhende rationale Motivation zum Einverständnis hat gewiß den Vorzug einer gewaltlosen Stabilisierung von Verhaltens erwartungen. Aber das hohe Dissensrisiko, das durch Erfahrungen, also durch überraschende Kontingenzen immer neue Nahrung erhält, würde soziale Integration über verständigungsorientierten Sprachgebrauch ganz unwahrscheinlich machen, wenn das kommunikative Handeln nicht in lebensweltliche Kontexte eingebettet wäre, die für Rückendeckung durch einen massiven Hintergrundkonsens sorgen. [... ] Die Lebenswelt bildet gleichzeitig den Horizont für Sprechsituationen und die Quelle von Interpretationsleistungen, während sie sich ihrerseits nur durch kommunikative Handlungen hindurch reproduziert." (Habennas, 1993, S. 37 f.).
Geht man davon aus, daß der Dialog zwischen Ökologen und Ökonomen - und zwar LS. verständigungsorientierter politischer Dialoge - so oder so wird stattfinden müssen, kann vor dem Hintergrund der Aussage, die WTO biete institutionell und im Bewußtsein der Beteiligten nicht den adäquaten Rahmen für diese Auseinandersetzungen92 , zum Schluß nur die Folgerung bleiben, daß die essentiellen Diskussionen dann nicht innerhalb des durch die WTO gesetzten Rahmens stattfinden werden, sondern an seinen Außengrenzen. Diese Verschiebung des Konflikts an die Organisationsgrenzen (der WTO) muß aber zwangsläufig zu Belastungen der WTO als Organisation und Institution selbst führen. Nach allen in dieser Arbeit entwickelten und zugrundegelegten Erkenntnissen läßt sich hierbei denn auch zu keiner anderen Prognose kommen, als daß die WTO bei dieser Kraftprobe aller Voraussicht nach die Verliererin sein
92 Vgl. z.B. die Argumentation von Eglin, 1993, der als Vertreter des GATT auf dem Standpunkt steht, die Umwelt könne mit anderen Maßnahmen und in anderen Gremien, als dem GATT/ der WTO, besser geschützt werden. Ähnlich Moltke, 1993.
11. "Erfolgsaussichten" der WTO-Streitschlichtung
291
wird. Damit würden Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO vollends erodiert. 93 Dieses Ergebnis ist Ausfluß der Analyse der Verständigungsbedingungen in der neuen WTO, mit besonderem Blick auf ihre neuen Verhandlungsgegenstände (Dienstleistungen, geistiges Eigentum) und ganz besonders dem halbherzigen Versuch, auch Umweltschutzgesichtspunkten gerecht zu werden (die wenigstens angedeutet werden konnten). Gerade Umweltschutz bietet hierin das paradigmatische Beispiel: Er ist viel zu komplex, als daß er sozusagen nur am Rande mitberücksichtigt werden könnte, und er ist viel zu bedeutend, um vernachlässigt zu werden. Seine Bedeutung erwächst aus der zunehmenden internationalen Verflechtung und gegenseitige Beeinflussung, die zukünftig - man denke nur an die technischen Fortschritte der Massenmedien - noch beträchtlich steigen dürften. Die Verrechtlichung und Institutionalisierung, der Versuch, eine Entpolitisierung des internationalen Handels und der relevanten Umweltschutzaspekte zu erzwingen, dürfte scheitern. Davon zeugen nicht zuletzt die begrifflichen Unklarheiten. Was "Freihandel", "Nichtdiskriminierung" , "Protektionismus" oder "internationaler Umweltschutz", "notwendige Interventionen" usf. im Lichte zunehmender Verflechtungen eigentlich bedeuten, ist international keineswegs ausgemacht. Juristen geraten hier an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, ebenso eine kurzsichtig betriebene Ökonomik. 94 Nun ist es umgekehrt für Rechtsprozesse nichts Ungewöhnliches, daß Begriffe entwickelt, interpre-
93 Buckley, 1993, S. 143, schreibt: "If the GATI' does not accommodate legitimate environmental concerns, then domestic trade interests will be outvoted by domestic protectionist alliances and creative illegality will crumble the GATI into regional trade blocks." Pessimistische Zukunftsaussichten für die WTO-Streitschlichtung vermuten auch andere Autoren, allerdings mit anderen Gründen (vgl. z.B. Nunnenluzmp, 1994, S. 267). 94 Ress, 1994, stellt die eingeschränkte Sichtweise von Juristen heraus und bestätigt (S. 280), daß sogar die International Law Commission (lLC), die - im Rahmen der UNO - maßgeblich an der Interpretation von Völkerrecht mitwirkt, sowie auch das Institut de Droit International (IDI) , welches einen kaum weniger prominenten Rang bei der Bestimmung von Völkerrecht hat, in rein juristischen Denkkategorien operieren und ökonomische oder Machtaspekte nicht berücksichtigen. Sein eigener Demonstrationsversuch, wie ökonomische Nutzenkonzepte in die Analyse von Völkerrecht und internationalen Verträgen integriert werden können, gerät aber zum Schaustück ökonomischer Kurzsichtigkeit. Gleich im Anschlußkommentar präsentiert Bemholz, 1994, die gleiche Schwäche. Vgl. auch Behrens, 1988.
292
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
tiert, für Einzelfälle ausgelegt, über Sachverhalte entschieden und neues Recht geschaffen wird. Erstens sind die bisherigen Interpretationsleistungen aber gänzlich ungenügend. Zweitens darf diese Rechtsprechung die Anbindung an vorgängige Normen nicht verlieren, muß sich im gesellschaftlichen Gesamtgefüge ausreichend absichern und rückversichern können. Diese Leistung ist den WTO-Streitschlichtungs-Panels nicht zuzutrauen. Hier betätigen sich die falschen Personen.
IH. Politikempfehlungen Es ist ein großer und epistemologisch einschneidender Schritt, ausgehend von der bisherigen Methodendiskussion und den Untersuchungen eines empirisch-praktischen Problems, zu der Formulierung von Empfehlungen an die Praxis zu gelangen. Es war aber von Anbeginn ein Anliegen dieser Arbeit, bis zu den Niederungen praktischer Politik vorzustoßen, weil sich die Relevanz aller Theorie zuletzt an der Empirie messen lassen muß. Eine Arbeit im Bereich der internationalen (Wirtschafts-) Beziehungen muß zuletzt also zur Frage empirischer Realisierbarkeit ihrer Erkenntnisse zurückfinden. Die folgenden Politikempfehlungen95 sind im Anschluß an die in dieser Arbeit entwickelten Argumentationen formuliert. Dabei muß auf umfangreiche Nachweise verzichtet werden, so daß dieser Teil der Arbeit nur den Status einer Art Ausblick haben kann, eines Fingerzeigs, an welchen Nahtstellen zwischen Wissenschaft und Politik weiterhin dringender Forschungs- und Handlungsbedarf besteht. Die Empfehlungen sollen nicht auf der Ebene der
95 Der Begriff "Politikempfehlung" sei hier i.S. einer wissenschaftlichen Politikberatung verwendet, und ich möchte diesen mit Höfte, 1985, S. 248 f., LS. einer wissenschaftlichen Konzeptplanung verstehen, und weniger als das, was man "Dauerkommunikation zwischen Wissenschaft und Politik" genannt hat, also das ständige Gespräch zwischen den wissenschaftlichen Experten verschiedener Disziplinen und den Trägem der politischen Entscheidung. (Vgl. Lenk, 1972, S.69. Die Wendung "DauerkommunikLltion zwischen Wissenschaft und Politik" geht aber auf Habermas, 1986, S. 120 ff., und sein pragmatisches Modell zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik zurück). Auch soll "Politikempfehlung" nicht hauptsächlich auf das schwer faßbare Dreiecksverhältnis: Wissenschaft - Medien - Politik, reduziert werden. Adressaten von Politikempfehlungen seien mithin nicht nur "Politiker" Le.S. Vgl. auch grundsätzlicher Mittelstraß, 1979, Wassermann, 1990, Habermas, 1972, Künzler, 1989.
III. Politikempfehlungen
293
üblichen pauschalen Forderungen nach mehr Demokratisierung, erweiterterten Beteiligungsverhältnissen und mehr Transparenz stehenbleiben. Die verständigungsorientierte Analyse befähigt, die einzelnen beteiligten Individuen, die "Akteure" und "Entscheidungsträger" , in den Blick zu bekommen und ihr Handeln gleichzeitig als zweckrationales, normatives und dramaturgisches zu verstehen. So sollen für die Formulierung von Politikempfehlungen in einem ersten Schritt (1) die üblichen Reformvorschläge zur Integration von Umweltschutzaspekten vor dem Hintergrund der Verständigungsnotwendigkeiten kurz kritisch geprüft werden, um (2) den Kernpunkt der Problematik zu einer praktischen Handlungsanweisung auszuformulieren; nämlich im wrO-Streitschlichtungs- und Welthandelssystem höhere Priorität und größere Aufmerksamkeit auf die Auswahl der Entscheidungsträger zu legen. Diese Empfehlung ist das konsequente Ergebnis einer Habermas' schen Lebensweltanalyse und berücksichtigt am besten die praktischen Reformhemmnisse unter Zeitdruck. Schließlich müssen (3) noch einige deutliche Worte zu den Geltungsgründen ökonomischer Argumentationen ausgesprochen werden.
1. Beurteilung institutioneller Optionen An dieser Stelle können die in Literatur und Praxis vieldiskutierten Optionen zur Integration der beiden internationalen Themenbereiche Freihandel und Umweltschutz angedeutet werden, um eine erste Beurteilung nach verständigungsorientierten Gesichtspunkten zuzulassen. Anspruch kann es dabei nur sein, auf die Probleme der diskutierten Lösungsvorschläge überschlägig hinzuweisen. 96 Dabei greife ich auch nur die wichtigsten Vorschläge heraus.
Institutionelle Optionen zur Reform des eben erst reformierten GATI müßten zwei Bedingungen genügen, um als "erfolgversprechend" für die WTO angesehen werden zu können: Sie müßten einerseits einen verständigungsorientierten politischen Diskurs zwischen Freihändlern und Umweltschützern ermöglichen und andererseits realpolitisch durchsetzbar sein. Zur Strukturierung der Erörterung der Verständigungsaspekte soll unterschieden werden in einerseits Ansätze, die zur "Dezentralisierung" der Kompetenzen
96 Vgl. aber auch: McDonald, 1993, S. 462 ff. sowie Chamovitz, 1993, S. 475 ff. Schließlich BaldocklKeene, 1993, die ihre Argumentation stark an der EU aufhängen.
294
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
führen, d.h. die Stellung der nationalstaatlichen Autonomie wieder stärken. Hierunter sind zu fassen: (a) Ausbau und Stärkung der Ausnahmeklauseln des Art. XX GATT, oder (b) Schaffung neuer Ausnahme-Tatbestände für die Umwelt, z.B. analog dem Abschnitt IV für Handel und Entwicklung, welcher Ausnahmetatbestände für Entwicklungsländer vorsieht. Auf der anderen Seite kommen aber auch Zentralisierungsoptionen in Frage, bei denen zusätzliche Entscheidungs- und Handlungskompetenzen auf die internationale Ebene verlagert werden. Hierunter fällt (c) die Stärkung des WTO-Ausschusses für Handel und Umwelt und (d) der Ausbau der WTO zu einer supranationalen Organisation. Eine (e) enge Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen und NGOs.97 Schließlich wird (f) die Gründung einer eigenständigen und neutralen internationalen Organisation diskutiert, die sich vornehmlich dem Problemfeld "Handel und Umwelt" (bzw. "Entwicklung und Umwelt") widmen sollte. 98 Realisiert werden könnten solche Vorhaben durch eine sogenannte "Green Round" oder durch kontinuierliche Weiterentwicklungsprozesse, z.B. im Rahmen der in der WTO neu eröffneten Spielräume, oder durch staatliche Initiativen. 99 Nun ist kaum anzunehmen, daß eine neue Verhandlungsrunde noch in diesem Jahrzehnt durchsetzbar ist. Bis dahin könnten aber schon die ersten Konfrontationen und Fehlentscheidungen zu empfindlichen Einbrüchen in Rechtsbeachtung und -durchsetzung der neuen WTO geführt haben. Damit verbleiben nur die inkrementalen Weiterentwicklungsmöglichkeiten, und zwar auf Initiative der WTO oder ihrer Mitglieder. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß in einem solchen kontinuierlichen Prozeß ganze Vertragsklauseln abgeändert würden (Option a), oder neue Ausnahmetatbestände für die Umwelt geschaffen würden (Option b). Ein ganz neuer Abschnitt "Handel und Umwelt" erscheint utopisch. Die Zentralisierungsoptionen sind letztlich nur auf Initiative der WTO selbst zu erwarten. Der Ausschuß für Handel und Umwelt ist aber schon wegen seiner Besetzung schlecht gerüstet, glaubhaft Initiativfunktion zu übernehmen (Option c)100. Wie der Ausbau der WTO zu einer supranationalen Organisation vonstatten gehen sollte (Option d), bleibt gänzlich 97 Dies ist auch eine Forderung der 3. CSD Nachfolge-Sitzung vom 11.-28. April 1995. 98 Vgl. Goldmann, 1992, S. 1279 ff. 99 Vgl. Patterson, 1991. 100 Vgl. Fußnote 85 auf S. 284.
III. Politikempfehlungen
295
unklar. Die Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen und NGOs (Option e) dürfte dagegen noch zu unspezifisch sein. Eine neue internationale Organisation zu gründen (Option t) wirft schließlich mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Keine der Optionen scheint gute Verständigungsbedingungen zu schaffen und realistische Verwirklichungsaussichten zu haben. lOl Wie sind pragmatische Lösungen möglich?
2. Empfehlung: Die richtigen Akteure ins Streitschlichtungsverfahren
Da also aus Verständigungsgesichtspunkten, wie aus der Perspektive realpolitischer Durchsetzungsmöglichkeiten keine der diskutierten institutionellen Optionen wirkliche Aussicht auf "Verbesserungen" bieten kann, schlage ich folgende Lösung vor, die auf der Überlegung beruht, daß Verständigung am ehesten erfolgreich i. S. rational motivierter Einverständnisse sein kann, wenn sie auf der Grundlage gemeinsamer Lebenswelten stattfinden kann. Lebenswelten lassen sich aber nicht ohne weiteres erschaffen, anlernen oder reproduzieren. Deshalb verbleibt nur der konsequente Schluß, auf bereits verfügbare Lebenswelten zurückzugreifen, d.h. auf Individuen, welche den nötigen Hintergrund aufweisen und dadurch ähnliche Verständigungsbedingungen schaffen können. Es müssen also in die Streitschlichtungs-Panels Schlichter und Schiedsrichter berufen werden, die auch ökologiepolitisch ausgewiesene Kenner und Persönlichkeiten sind. Nur so können gute Bedingungen für rationale Einverständnisse innerhalb der Panels und für begrifflich-verständigungsorientierte Anbindungen nach außen an die Freihandels- und die Umweltschutzgemeinde erzielt werden. Wichtig wäre, daß es sich tatsächlich um politisch orientierte Ökologen handelt, und nicht um Fachexperten, da sonst die kommunikative Anbindung nicht ohne weiteres gesichert wäre. Nur vor dem Hintergrund gemeinsamer Lebenswelten kann sich auch ein Diskurs entfalten, der auch bis auf alle Ebenen der Öffentlichkeit durchgetragen werden kann. Dies erscheint zunehmend wichtiger, da die internationale Umweltsituation und die neue WTO mit wesentlich stärkerer Öffentlichkeitsbeteiligung rechnen müssen. Durch die Auswahl der "richtigen" Individuen ließe sich mithin in den recht unstrukturierten internationalen Handelsbeziehungen noch am besten eine praktisch-pragmatische Annäherung an die Ideal-
101 Auf eine ausführliche Argwnentation muß hier verzichtet werden. Vgl. aber die Literatur: Fußnote 96 S. 293.
296
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
vorstellung und regulative Idee eines idealen Diskurses, einer idealen Sprechsituation vollführen. Was die praktischen Realisierungsaussichten dieser Empfehlung angeht, so dürften die realpolitische Widerstände überwindbar sein.· Eher ein Problem könnte es darstellen, die handelspolitisch und umweltpolitisch versierten Persönlichkeiten ausfindig zu machen, da es ihrer noch wenige geben dürfte. Allerdings muß es als Frage der Prioritätensetzung angesehen werden, ob es der WTO gelingen kann, die ausgewiesenen "Größen" und "Kapazitäten" auf diesem Gebiet zu rekrutieren. Meine Aussage ist, daß diese Personalpolitik die höchste Priorität überhaupt haben müßte - ganz konkret: zur Rettung des gegenwärtigen Welthandelssystem. 102 Dabei darf der Blick indes nicht zu stark in Richtung Universitäten gewendet werden, da die aufgeworfenen Probleme politisch-praktisch erfahrener "Manager" bedürfen und es sich nicht um wissenschaftlich beantwortbare Fragen handelt: Auch zukünftige (Welt-) Handelspolitik hat im Umweltbereich nicht genuin (natur-) wissenschaftliche Problemstellungen zu lösen, sondern sich vordringlich dem Aspekt zuzuwenden, wie kommunikative Anbindung zwischen den vielen verschiedenen Interessengruppierungen und somit die Integration in einer gemeinsamen "Gesellschaft" (oder "family", wie im angloamerikanischen Raum neuerdings formuliert wird) zukünftig zu bewerkstelligen sein wird. Außerdem entscheiden wohl nur "Politiker" - gemessen an den Herausforderungen - hinreichend "mutig". Dabei ist Umweltschutz nur ein Bereich ausgewiesenen Integrationsbedarfs. Soziale und ethische Fragen werden nicht weniger im Brennpunkt internationaler Aufmerksamkeit sein. Viel hängt also von der Auswahl der zukünftigen Panel-Mitglieder ab. Ihr Handlungsspielraum ist bezogen auf den Umweltschutz durch die neugefaßte Präambel größer geworden; ihre Interpretationsleistungen werden maßgeblichen Einfluß darauf haben, welche Vorstellungen sich zukünftig über den Charakter einer globalen und allgemeinen Welthandelsorganisation herausbilden werden. Ökologiepolitisch kommunikationsfähige Handelsexperten sind der pragmatische Schlüssel zu einem verständigungsorientierten Diskurs zwischen den Fronten aus Freihändlern und Umweltschützern.
102 Andere Besetzungen der Streitschlichtungsverfahren wurden gelegentlich auch von anderen Autoren eingefordert, indes aus andem Gründen und recht pauschal; vgl. HousmanfZaelke, 1993, S. 568.
III. Politikempfehlungen
297
3. Gründe, Geltungsgründe und Ökonomik
Diese Arbeit richtet sich in erster Linie an Ökonomen. An deren Sprachgebrauch und Begriffsapparat soll sie anknüpfen. Die ausführlichen Prüfungen der Erklärungskraft ökonomischer Theorien für eine praktische Fragestellung der internationalen Rechtsbeachtung und -durchsetzung sowie die anschließenden Überlegungen zu einer allgemeineren sozialwissenschaftlichen Theorie haben deutlich herausgestellt, daß Ökonomik bei Erklärungen internationaler Rechts- und Politikprozesse systematisch zu kurz greift. Dies konnte auf verschiedenen Ebenen nachgewiesen werden. Damit bleiben ökonomische Erklärungen auch für wesentliche Aspekte der Entwicklungen im GATT und der Beurteilung der neuen Welthandelsorganisation WTO unvollständig. Freihandel zu fordern, ohne die allgemeinen Bedingungen sozialer Interaktionen komplexer Vertragshandlungen beschreiben und erklären zu können, ist wissenschaftstheoretisch problematisch. Diese Unvollständigkeit ökonomischer Analysen offenbart sich in logischen Zirkelschlüssen: wenn klar wird, daß internationale Verträge unmöglich
als rein zweckrationale Tauschhandlungen rekonstruierbar sind. Damit ist der Geltungsgrund ökonomischer Argumentationen stark eingeschränkt bzw. zweifelhaft. 103 Sie offenbart sich methodisch, wenn klar wird, daß selbst unter Ökonomen die zugrundeliegenden Begriffe wie "Freihandel", Nichtdiskriminierung" , "Protektion" oder "notwendige Staatsaufgaben" uneinheitlich verwendet und verstanden werden, oft sogar sich widersprechende Bedeutungen vermischt werden. Schließlich offenbart sich die Unvollständigkeit der Ökonomik auch praktisch in einer Art Sprachlosigkeit; immer dann, wenn schließlich auf einen "politischen Willen" oder "Unwillen" verwiesen wird - methodisch also eine diffuse Sammelkategorie für ungeklärte Fragen. 104
103 Als "Geltungsgrund" einer Argumentation soll nach wie vor verstanden werden, daß der Sprecher (u.U. auch nur implizit) glaubhaft die Gewähr dafür übernimmt, daß er in der Lage und Willens ist, im Falle der Problematisierung gute Gründe zur Stützung seiner Argumentation ins Feld zu führen. 104 Beispielhaft für die verkürzte Sicht von Ökonomen und ihre letztendliche Sprachlosigkeit stehe hier nochmal eine Aussage von Curzon Price, 1992, S. 109: "In a primitive legal system such as that governing relations between sovereign states, one cannot expect that the rules will always be observed (they are not always observed even in advanced legal systems benefitting from judges, bailiffs and prisons!). All one can hope for is that such common rules as can be identified will increase the propensity to act (or not to act) in a certain manner. 'Enforcement' of rules is impossible in a
298
E. Rechtsbeachtung und -durchsetzung in der WTO: Vorhersagen
Die ökonomische Sichtweise ist für elementare Verständigungsprozesse blind. Sie macht nicht erkennbar, daß sich Sinn überhaupt nur in einer Lebenswelt konstituieren kann, und zwar in einer, die individuell erkenntnistheoretischem Wandel unterworfen ist, und in welcher für Sozialbeziehungen keine klaren Erfolgsbedingungen bestimmbar sind, auch nicht für das je eigene Handeln. Jede "soziale Welt" ist nämlich über fundamental andere Reproduktionsbedingungen konstituiert, als die durch Naturgesetze bestimmte materielle Welt, in welche instrumentelle Eingriffe mit der eindeutigen Erfolgsbedingung des Gelingens ausgeführt werden können. Am Thema Umweltschutz konnte paradigmatisch aufgezeigt werden, daß viele soziale Interaktionsbereiche noch vielfältiger Verständigungs- und Interpretationsleistungen bedürfen, bevor sie in einem Prozeß der Verrechtlichung und Institutionalisierung ihrer politischen Brisanz enthoben und in den verfahrensmäßig automatisierten Betrieb einer internationalen Bürokratie überführt werden können. Natürlich hat auch schon das bisherige GATT auf diesem Gebiet vielleicht so manchen Handelsstreit oder schwere Krisen vermeiden helfen können. Doch schon bei früheren Versuchen der Verrechtlichung ist es "gesprengt" worden. Der neuen WTO wird es angesichts der zusätzlichen Aufgabengebiete nicht anders ergehen. "Verbesserte" Rechtsbeachtung und -durchsetzung sind nicht zu erwarten. Die Grenzen der Ökonomik sind also klar gezogen. Sie führt - und das als ein letzter, methodologischer Gesichtspunkt - aus dem (wissenschaftstheoretischen) Dilemma einer reinen Beobachterperspektive nicht heraus und kann deshalb auch nicht die Selbstbezüglichkeit der eigenen Anstrengungen angemessen würdigen. Hingegen begreift sich diese Arbeit als Argumentation in einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft und als den Versuch, die Grenzen möglicher Diskurse von innen heraus zu bestimmen. Wem dieser Anspruch zu mäßig
primitive legal system. Respect for rules occurs only on a voluntary basis and increasing respect for them involves an understanding on the part of the 'individuals ' in the system that in the long run they stand to gain from a general acceptance of the rules. Frequently, this long-term advantage has to be offset against short-term gains that can be enjoyed from the gratification of immediate desires, which are in conflict with the system. Only accumulated experience can teach actors in the system where their interest lie, and even then they will opt for short-term gratification if their timehorizons are short ...
III. Politikempfehlungen
299
erscheint, dem sei mit dem noch Kant' scher Denktradition verhafteten Höffe, 1985, S. 296 f., entgegengehalten: "Aufgrund der Mannigfaltigkeit ihrer Sachkenntnisse und methodischen Verfahren prüfen die Wissenschaften insgesamt alternative Vorschläge und eliminieren jene, die ihren Anforderungen: konsistenter Begriffsbildung, methodischer Bewährung an der Erfahrung usf., nicht genügen. Alle Vorschläge, die zu den Rationalitätskriterien - in einem weiten, auch hermeneutische, kritische und reflexive Verfahren einschließenden Sinn von Rationalität - im Widerspruch stehen, sind auszuschließen. Dieses Verfahren führt in der Regel zu einem Lösungsraum und nur in Sonderfällen zu einer einzigen Lösung. [... ] Die Wissenschaft hat für die Politik den Rang einer negativen Instanz. "
So bleibt als abschließende Botschaft dieser Arbeit: Rationalität und Wissenschaftlichkeit enden keineswegs dort, wo die Grenzen der Zweckrationalität erreicht sind. Rein ökonomische Argumentationen sind je neu mit dem Bewußtsein dieser Beschränkungen zu überprufen.
F. Ergebnisse der Arbeit Theorien der Ökonomik ("Ökonomik" verstanden als Forschungsmethode unter bestimmten Annahmen) ermöglichen keine umfassenden Erklärungen für Rechtsbeachtung und -durchsetzung internationaler Verträge. Dies wurde für das GATT anhand gescheiterter Erklärungsversuche der praktischen Frage deutlich: Warum haben Akteure internationaler Handelspolitik überwiegend darauf verzichtet, gegen Vertragsverletzungen und -umgehungen der internationalen GATT-Handelsregeln mit den vertraglichen und im Völkerrecht verfügbaren rechtlichen Mitteln vorzugehen? Die Theoriedefizite der Ökonomik sind jedoch grundsätzlicher Art. Sie resultieren aus den Annahmen der Zweckrationalität und der Eigennutzmaximierung, sowie aus einem undifferenzierten methodologischen Individualismus. Trotz der Einbeziehung von handlungsleitenden Werten und Normen ("Institutionen") und der Berücksichtigung begrenzter individueller Informationsaufnahme-, -verarbeitungsund -übermittlungsfähigkeiten ("bounded rationality"), vereiteln diese Annahmen sinnvolle Antworten auf die generelle Frage, warum Individuen überhaupt Verträge abschließen, wenn deren Einhaltung ungewiß ist und Durchsetzungsversuche offensichtlich nicht rechtfertigt. Erklärungskräftiger ist die verständigungsorientierte Theorie des kommunikativen Handeins von Habermas, die eine allgemeinere Theoriesicht sozialer Interaktionen entfaltet. Sie enthält die Ökonomik vollständig als einen Spezialfall und kann mithin ökonomische Unzulänglichkeiten ausweisen. An die Stelle zweckrationaler Eigennutzmaximierung als individuelle Handlungsmotivation setzt sie das allgemeinere Konzept der Suche nach rationalem Einverständnis. Damit kommen für den wissenschaftlichen Beobachter auch institutionell unbestimmte Rechts- und Politikprozesse ins Blickfeld, und mithin auch sinnvolle Antworten auf Fragen zur Rechtsbeachtung und -durchsetzung auf internationaler Ebene. Demnach sind Verträge soziale Interaktionen, die nur dann als Verknüpfungen von individuell zweckrationalen Handlungen rekonstruiert werden können, wenn sie in einem institutionell umfassend ausgestalteten sozialen Kontext stehen; ansonsten bedürfen Rechtsbeziehungen zusätzlicher und je
F. Ergebnisse der Arbeit
301
erneuter Verständigungsleistungen. Institutionell umfassend ausgestaltete soziale Kontexte liegen in den internationalen Beziehungen in aller Regel nicht vor. Unzureichende Verständigungsleistungen sind es also, die anstelle von Rechtsverfahren häufig zu diplomatischen und machtpolitischen Methoden führen. Eine erste Folgerung aus diesen Feststellungen muß lauten, daß Politikempfehlungen, die sich in der Hauptsache auf ökonomische Erkenntnisse berufen, wissenschaftstheoretisch problematisch sind: Sie stehen unter dem restriktiven Vorbehalt, daß die ihnen zugrunde liegenden Theoriemodelle - gemessen an den wissenschaftlichen Möglichkeiten - rechtlich-politische Interaktionsprozesse nur äußerst unvollständig abbilden und erklären können. In dieser Hinsicht muß die Ökonomik den Anschluß an aktuelle sozialwissenschaftliche Forschungsdiskussionen erst wieder finden. Problematisch werden mithin z.B. auch pauschale Forderungen nach Freihandel, da sie die Faktizitäten internationaler Rechts- und Politikprozesse ohne Klärung ausklammern. Eine Theoriesynthese, die inhaltlich am verständigungsorientierten Ansatz angelehnt ist und sich methodisch-formal an der Strenge der Ökonomik orientiert, kann völkerrechtliche Vertragsbeziehungen in eine methodisch handhabbare Form bringen und ihre Erfolgsaussichten (i.S. von faktischer Bindungswirkung) pragmatisch bestimmbar machen. Auf diese Weise wird auch das WTO-Streitschlichtungsverfahren, das in rechtlich-kodifizierter Form vorliegt, bezüglich seiner bevorstehenden Anwendung beurteilbar. Damit sind wichtige Aspekte zukünftiger Rechtsbeachtung und -durchsetzung in den internationalen Handelsbeziehungen schon jetzt theoretischer Analyse zugänglich.
Am Beispiel des neu in den Vertragstext aufgenommenen Umweltschutzes, kann mit der neuen Methode aufgrund einer detaillierten Untersuchung vorhergesagt werden, daß die Verrechtlichung und Institutionalisierung der WTO-Streitschlichtung nicht den gewünschten Erfolg verbesserter Rechtsbeachtung und -durchsetzung zeitigen wird. Insofern wird der - bislang noch wenig beachtete - Umweltschutz zum Testfall für die kommenden Handelskonflikte in der WTO. Ergebnisse dieser Art können wissenschaftlich begründete Politikempfehlungen zu Fragen internationaler Rechts- und Politikprozesse rechtfertigen. Diese sind: Rechtsbeachtung und -durchsetzung können der WTO in den
302
F. Ergebnisse der Arbeit
internationalen Handelsbeziehungen nur gesichert werden, wenn sie umweltpolitische Kompetenzen integrieren kann. Dies dürfte bei den derzeitigen Interessenlagen und Verständigungsbedingungen am ehesten durch Neubesetzungen der WTO-Streitschlichtungs-Panels möglich sein. Im Prozeß der Rechtsauslegung müssen Personen beteiligt werden, die Anschluß auch an die umweltpolitischen Diskurse herzustellen vermögen. Nur auf diese Weise werden die neuen internationalen Handelsregeln auch faktisch Geltung erlangen können.
Literaturverzeichnis Aguilera-Klink, Frederico (1994): Some notes on the misuse of classic writings in economics on the subject of common property, in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 1, S. 221-228. Albert, Hans (1977): Individuelles Handeln und soziale Steuerung. Die ökonomische Tradition und ihr Erkenntnisprogramm, in: Lenk, 1977, S. 177-225. - (1979): The Economic Tradition. Economies as a Research Programme for Theoretical Social Science, in: Brunner, Karl (Hrsg.): Economies & Social Institutions. Insights from the Conference on Analysis and Ideology, Rochester, S. 1-27. Alemann, U. v. / Fomdran, E. (Hrsg.) (1983): Interessenvermittlung und Politik, Iilteresse als Grundbegriff sozialwissenschaftlicher Lehre und Analyse, Opladen. Alexander, J. C. / Giesen, B. / Münch, R. / Smelser, N. J. (Hrsg.) (1987): The Micro-Macro Link, Berkeley, Los Angeles. Alt, J. / Calvert, R. / Humes, B. (1988): Reputation und Hegemonie Stability: A Game-Theoretic Analysis, in: The Economic Record, Vol. 82, No. 2, S. 445-466. Anderson, Kym / Blackhurst, Richard (Hrsg.) (1992): The Greening of World Trade Issues, London. Apel, Karl-Otto (1992): Diskurs und Verantwortung: das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral, (v.a. Diskursethik als Verantwortungsethik und das Problem der ökonomischen Rationalität), Frankfurt am Main, S. 270-305. - (1994): Transformation der Philosophie, Bd. 1: Sprachanalytik, Semiotik, Hermeneutik, 5. Auf!. (erste Auf!. 1976), Frankfurt am Main. Arden-Clarke, Charles (1991): The general Agreement on Tariffs and Trade, Environment Proteetion and Sustainable Development, World Wildlife Fund Discussion Paper, Genf. Amdt, Helmut (1971): Ökonomische Theorie der Macht, in: ders. (Hrsg.): Die Konzentration in der Wirtschaft, 2. Aun., Berlin, S. 99-136.
Arrow, Kenneth J. (1951): Social Choice and Individual Values, New Yorkl London. - (1969): The Organization of Economic Activity: Issues pertinent to the Choice of Market versus Nonmarket Allocation, in: U.S. Joint Economic Committee, 91st Session, Bd. 1, WashingtonD.C., S. 59 ff. - (1985): The Economics of Agency, in: Pratt J. W. /ZeckhauserR. J., S. 37-51.
304
Literaturverzeichnis
Asakura, H. (1993): The Hannonized System and Rules of Origin, in: Journal 01 World Trade, Vol. 27, Nr. 4, S. 5-21. Axelrod, R. (1984): The Evolution of Cooperation, New York (dt.: Die Evolution der Kooperation, 1987, München). Axelrod, R. I Keohane, R. (1986): Achieving Cooperation under Anarchy: Strategies and Institutions, in: Kenneth A. Oye (Hrsg.): Cooperation under Anarchy, Princeton University Press, S. 226-254. Bael, I. van (1988): The GAIT Dispute Settlement Procedure, in: Journal 01 World Trade Law, Vol. 22, No. 4, S. 67-77. Bajoit, Guy (1988): Exit, voice, loyalty ... and apathy - Les reactindividuelles au mecontentement, in: Revuelran9aise de sociologie, Nr. 29, S. 325-345. Baldock, David / Keene, Edward (1993): Incorporating Environmental Considerations in Common Market Arrangements, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vol23, Nr. 2, S. 575-606. Baruzzi, Arno (1993): Einführung in die politische Philosophie der Neuzeit, 3. Aufl. (erste Aufl. 1983), Dannstadt. Bast, J. / Schmidt, A. (1991): Das GAIT-Streitschlichtungsverfahren, in: Recht der Internationalen Wirtschaft, Nr. 11, S. 929-934. Baumann, Bemd (1993): Offene Gesellschaft, Marktprozeß und Staatsaufgaben: Möglichkeiten und Grenzen ökonomischer Theorien zur Erklärung der Funktionsweise offener Sozialsysteme und zur Legitimation staatlichen Handelns in offenen Gesellschaften, Baden-Baden. Bayard, T.O. / Elliott, K.A. (1992): Aggressive Unilateralism and Seetion 301: Market Opening or Market Closing?, in: World Economy, Nr. 15, S. 685-706. Beath, H. (1990): Innovation, Intellectual Property Rights and the Uruguay Round, in: World Economy, Nr. 13, S. 411-426. Becker, Gary S. (1982): Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens, Tübingen. Behrens, P. (1988): Über das Verhältnis der Rechtswissenschaft zur Nationalökonomie, in: Jahrbuchjür Neue Politische Ökonomie, Nr. 7, S. 209-228. Benda, E. / Maiholer, W. / Vogel, H.-I. (Hrsg.) (1983): Handbuch des Verfassungsrechts , Berlin. Benson, B. (1988): The Spontaneous Evolution of Commercial Law, in: Southem Economic Journal, Vol. 55, S. 644-661. Berg, Hartmut / Cassel, Dieter (1990): Theorie der Wirtschaftspolitik, 4. Aufl., München.
Literaturverzeichnis
305
Bergeijk, Peter A.G. van (1991): International Trade and the Environmental Challenge, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 25, Nr. 6, S. 105-115. Berman, Harold J. (1993): Law and Revolution - The Formation of the Western Legal Tradition, Cambridgel London. Bemholz, Peter (1985): The Internationale Game of Power, BerlinI New York/ Amsterdam. - (1985a): Ex Ante Safeguards Against Ex Post Opportunism in International Treaties, Kommentar zum gleichnamigen Aufsatz von Ress, 1994, in: JITE, Vol. 150, Nr. 1, S. 304-309. Bemholz, Peter 1 Breyer, Friedrich (1984): Grundlagen der Politischen Ökonomie, 2. Aufl., Tübingen. Beyme, K. v. (1980): Interessengruppen in der Demokratie, Frankfurt am Main. Bhagwati, Jagdish (1992): Regionalism versus Multilateralism, in: World Economy, Vol. 15, Nr. 5, S. 535-555. - (1993): Debate: Does Free Trade Harm the Environment? The Case for Free Trade, in: Scientific American, Vol. 269, Nr. 5. Biervert, Bernd 1 Held, Martin (1989): Ethische Grundlagen der ökonomischen Theorie. Eigentum, Verträge, Institutionen, Frankfurt am Mainl New York. Bigham, Gail (1986): Resolving Environmental Disputes: A Decade of Experience, Washington, DC. Bish, Robert L. (1987/88): Federalism: a market economics perspective, in: Gwartney, James D. 1 Wagner, Richard E. (Rrsg.): Punlic Choice and Constitutional Economics, Greenwich! London, S. 351-368. Blackhurst, Richard (1994): Competition Policies: National Versus Multilateral Jurisdiction, in: AussenwirtschaJt, Jg. 49, Heft IIIIII, S. 223-229. Blankart, C. H. (1983): "Warum wächst der Sozialstaat ?", in: Koslowski, P. 1 Kreuzer, Ph. 1 Löw, R. (Rrsg.): Chancen und Grenzen des Sozialstaats, Tübingen. - (1994): Das Ergebnis der Uruguay-Runde: Ein historischer Markstein, Schluß stein oder Startblock?, in: AussenwirtschaJt, Jg. 49, Heft I, S. 17-29. Blaug, Mark (1964): A Case of Emperor's Clothes: Perroux's theories of Economic Domination, in: Kyklos, Nr. 17, S. 551-564. - (1980): The Methodology of Economics, Cambridge. Bleckmann, Albert (1990): Europarecht, 5. Aufl. Köln! BerlinI Bonn! München.
21 Kopke
306
Literaturverzeichnis
Böcken!örde, Ernst-Wolfgang (1972/92): Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, wiederabgedruckt in: (Ders.): Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt am Main. Böhm, Franz (1928/60): Das Problem der privaten Macht, in: Reden und Schriften, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, Karlsruhe, S. 25-45. - (1946/60): Die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die politische Verfassung, in: Reden und Schriften, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, Karlsruhe, S. 46-68. - (1950/80): Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, in: Freiheit und Ordnung in der Marktwirtsclulft, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, BadenBaden, S. 53-103. - (1953/60): Der Rechtsstaat und der soziale Verfassungsstaat, in: Reden und Schriften, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, Karlsruhe, S. 82-150. - (1957/60): Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft zwischen Juristen und Volkswirten an der Universität Freiburg in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts (Das Recht der Ordnung der Wirtschaft), in: Reden und Schriften, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, Karlsruhe, S. 158-175. - (1958/80): Wettbewerbsfreiheit und Kartellfreiheit, in: Freiheit und Ordnung in der Marktwirtsclulft, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, Baden-Baden, S.233-262. - (1961/80): Das Janusgesicht der Konzentration, in: Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, Baden-Baden, S.213-232. - (1966): Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, in: ORDO 17, S. 75-15l. - (1969/80): Das Recht der internationalen Kartelle, in: Freiheit und Ordnung in der Marktwirtsclulft, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, Baden-Baden, S.263-294. - (1971/80a): Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft, in: Freiheit und Ordnung in der Marktwirtsclulft, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, Baden-Baden, S. 195-209. - (1971/80b): Wirtschaftsordnung und Geschichtsgesetz, in: Freiheit und Ordnung in der Marktwirtsclulft, Herausgegeben von Ernst-Joachim Mestmäcker, BadenBaden, S. 169-193.
Böhm-Bawerk, Eugen v. (1914): Macht oder ökonomisches Gesetz?, in: Zeitschrift für Volkswirtsclulft, Nr. 23, S. 205-271. Booth, Douglas E. (1994): Ethics and the limits of environmental economics, in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 1, S. 241-252.
Literaturverzeichnis
307
Borchardt, Knut (1977): Der "Property Rights-Ansatz" in der Wirtschaftsgeschichte Zeichen für eine systematische Neuorientierung des Faches?, in: Kocka, S. 140156. Bourgeois, J.H.J. (1991): Subsidies and International Trade, Deventer, NL. Brenner, R. (1980): Economics - An Imperial Science ?, in: Journal of Legal Studies, Nr. 9, S. 179 ff. Breuss, F. (1990): Internationaler Handel mit Dienstleistungen - theoretische Ansätze, in: Aussenwinschajt, Nr. 45, S. 105-130. Brodnig, G. (1990): Die friedliche Streitbeilegung im Rahmen des Allgemeinen Zollund Handelsabkommen, Wien. Brunner, Kar! (Hrsg.) (1979): Economics & Social Institutions. Insights from the Conference on Analysis and Ideology, Rochester. - (1987): The Perception of Man and the Conception of Society: Two approaches to understanding society, in Economic Inquiry, Vol. 25, S. 367-388. Buchanan, James M. (1965): An Economic Theory of Clubs, in: Economica, Vol. 32, S. 1-14. - (1969): Cost and Choice - An Inquiry into Economic Theory, Chicago. - (1975): The Limits of Liberty - Between Anarchy and Leviathan, Chicago/ London. - (1977): Freedom in Constitutional Contract - Perspectives of a Political Economist, College Station! London. - (1990): Politische Ökonomie als Verfassungstheorie, Privatdruck der Bank Hofmann AG, Zürich. (1990b): The Domain of Constitutional Economics, in: Constitutional Political Economy, Bd. 1 (1), S. 1-18. - (1991): Möglichkeiten einer europäischen Verfassung, in: ORDO, Vol. 42, S. 127137. Buchanan, James M. / Tollison, R. D. / Tullock, Gordon (Hrsg.) (1980): Towards a theory of the rent seeking society, College Station. Buchanan, James M. / Tullock, Gordon (1962): The Calculus of Consent - Logical Foundations of Constitutional Democracy, Ann Arbor. Buckley, Ralf (1993): International Trade, Investment and Environmental Regulation, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 27, Nr. 4, S. 101-143 .. Bühler, Kar! (1934): Sprachtheorie, Jena.
308
Literaturverzeichnis
Canal-Forgues, Eric / Ostrihansky, Rudolf (1990): New Developments in the GA'IT Dispute Settlement Procedures, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 24, Nr. 2, S. 6790. Carreau, Dominique / Flory, Thiebaut / Juillard, Patrick (1990): Droit international economique, Paris. Cassan, Herve / Feuer, Guy (1985): Droit international du developpement, Paris. Chamovitz, Steve (1991): Exploring the Environmental Exception in GA'IT Art. XX, in Journal ofWorld Trade, Vol. 25, Nr. 5, S. 37-55.
- (1993): The Environment vs. Trade Rules: Defogging the Debate, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vol23, Nr. 2, S. 475-518. Cherry, C.A. (1993): Environmental Regulation within the GA'IT regime - A new defInition of 'product', in: UCLA Law Review, Nr. 40, S. 1061-1099. Christians, Andreas (1990): Immaterialgüterrechte und GA'IT: Die Initiative zur Fortentwicklung des internationalen Schutzes geistigen Eigentums im Rahmen der Uruguay-Runde, Frankfurt am Mainl Bernl New Yorkl Paris. Christy, P.B. (1991): Negotiating Investment in the GA'IT: A Call for Functionalism, in: Michigan Journal of International Law, Nr. 12, S. 743-798. Cline, William R. (1990): The Future of World Trade in Textiles and Apparel, Washington, DC. Coase, Ronald H. (1937): The Nature ofthe Firm, in: Economica, Bd. 4, S. 386 ff.
- (1937): The Problem of Social Cost, in: Journal of Law and Economics, Bd. 3, S. 1 ff. Colman, A. (1982): Game Theory and Experimental Games, The Study of Strategic Interaction, Oxford. Cottier, T. (1992): Intellectual Property in International Trade Law and Policy: The GA'IT Connection, in: Aussenwirtschajt, Nr. 47, S. 79-105. Curzon Prize, Victoria (1992): New Institutional Developments in GA'IT, in: Minnesota Journal ofGlobal Trade, Vol. 1, S. 87-110. Curzon, Gerard / Curzon Prize, Victoria (1976): The Management of Trade Relations in the GA'IT: in: Shonjield, Andrew (Hrsg.): International Economic Relations of the Western World 1959-1971, Vol. 1: Politics and Trade, London, S. 143-283. Czada, Roland (1992): Interessengruppen, Eigennutz und Institutionenbildung: Zur politischen Logik des kollektiven Handelns, in: Schubert, Klaus (Hrsg.): Leistungen und Grenzen politisch-ökonomischer Theorie, Eine kritische Bestandsaufnahme zu Mancur Olson, Darmstadt, S. 57-78.
Literaturveneichnis
309
Czada, Roland / Dittrich, W. (1980): Politisierungsmuster zwischen Staatsintervention und gesellschaftlicher Selbstverwaltung, in: Range, V. (Hrsg.): Am Staat vorbei. Politik der Selbstregulierung von Staat und Arbeit, Frankfurt am Mainl New York, S. 195-226. Czada, Roland / Windhoff-Heritier, A. (1991): Political Choice. Institutions, Rules and the Limits of Rationality, Frankfurt am Mainl New York. Daly, Herman E. (1993): Debate: Does Free Trade Harm the Environment? The Perils of Free Trade, in: Scientific American, Vol. 269, Nr. 5. Daly, Herman E. / Goodland, Robert (1994): An ecological-economic assessment of deregulation of international commerce under GATT, in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 1, S. 73-92. Dam, Kenneth W. (1963):Regional Economic Arrangements and the GATT: The Legacy of a Misconception, in: University of Chicago Law Review, Nr. 30, S. 615665. - (1970): The GATT: Law and International Economic Organization, Chicago/ London.
Davey, William J. (1987): Dispute Settlement in GATT, in: Fondham International LawReview, Nr. 11, S. 57-101. Davis, Lance / North, Douglass C. (1971): Institutional Change and American economic Growth, Cambridge. De Alessi, Louis (1983): Property Rights, Transaction Costs, and X-Efficiency: An Essay in Economic Theory, in: American Economic Review, Nr. 73, S. 64-81. De Alessi, Louis / Staaf, Robert J. (1989): Subjective Value in Contract Law, in: JITE, Bd. 145, S. 561 ff. DeBellevue, Edward B. / Hitzei, Eric / Cline, Kenneth / Benitez, Jorge A. / RamosMiranda, Julia / Segura, Olman (1994): The North American Free Trade Agreement: an ecological-economic sythesis for the United States and Mexico, in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 1, S. 53-71. Demsetz, Harold (1969): Information and Efficiency: Another Viewpoint, in: the Journal ofLawand Economics, Bd. 12, S. 1 ff. Dhanjee, R. / Boissan de Chazoumes, L. (1990): TRIPs: Objectives, Approaches and Basic Principles of the GATI and of Intellectual Property Conventions, in: Journal ofWorld Trade, Nr. 24, S. 5-15. Dieckheuer, Gustav (1990): Internationale Wirtschaftsbeziehungen, München 1990. Dietl, Helmut (1993): Institutionen und Zeit, Tübingen. Dovers, Stephen R. (1994): A framework for scaling and framing policy problems in sustainability, in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 1, S. 93-106.
310
Literaturverzeichnis
Dow, Gregory K. (1993): The Appropiability Critique of Transaction Cost Economics, in: Pitelis, Christos (Hrsg.): Transaction Costs, Markets and Hierarchies, Oxford, S. 101 ff. Downs, Anthony (1967): An Economic Theory ofDemocracy, New York. Dubischar, Roland (1983): Einführung in die Rechtstheorie, Darmstadt. Duckwitz, E. (1975): Rechtsfolgen bei Verletzung völkerrechtlicher Verträge, Berlin. Dunoff, Jeffrey L. (1992): Reconcilmg International Trade with Preservation of the Global Commons: Can We Prosper and Protect?, in: Washington Lee Law Review, Vol. 49, Nr. 1407, S. 1407-1454. Durkheim, Emile (1961): Die Regeln der soziologischen Methode, Neuwied. Dye, Thoma R. (1990): American Federalism - An Inquiry into Economic Theory, University of Chicago Press, Chicago. Eggertsson, Thrainn (1990): Economic Behavior and Institutions, Cambridge. Eglin, Richard (1993): Enlisting the Support of Liberal Trade for Environmental Protection and Sustainable Development, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vo123, Nr. 2, S. 697-700. - (1993a): GATT and Environment, in: Ecodecision, März. Ekins, Paul/ Folke, Carl/ Costanza, Robert (1994): Trade, environment and development: the issues in perspective, in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 1, S. 112. Elsner, Wolfram (1986): Ökonomische Institutionenanalyse, Berlin. Elster, Jon (1981): Logik und Gesellschaft. Widersprüche und mögliche Welten, Frankfurt am Main. - (1987): Subversion der Rationalität, Frankfurt am Mainl New York. - (1989): The Cement of Society. A Study of Social Order, Cambridge. - (1989b): Social Norms and Economic Theory, in: Journal ves, Vol. 3, Nr. 4, S. 99-117.
0/ Economic Perspecti-
ENA (1985): Politique de la France dans le cadre des nouvelles nt!gociations du GATT: le cas des services, Direction des Etudes, unveröffentlichter Seminarbericht des Seminars "La France et l' exportation", Paris, Juli 1985. - (1989): Les relations economiques Franco-Americaines dans le contexte communautaire et international, Direction de la Formation Continue et de la Recherche, unveröffentlichter Seminarbericht, Paris, Juli 1989. Endres, Alfred (1993): Die Ökonomie natürlicher Ressourcen, Darmstadt. - (1994): Umweltökonomie, Darmstadt.
LiteratUl"Verzeichnis
311
Engel, Günther (1991): Wirtschaftsethik als ökonomische Theorie der Moral - Ein Überblick; Beitrag Nr. 52 des Volkswirtschaftlichen Seminars der Universität Göttingen, Göttingen. Esty, Daniel C. (1993): Beyond Rio: Trade and the Environment, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vo123, Nr. 2, S. 387-396. - (1993a): GATTing the Greens - Not Just Greening the GATT, in: Foreign Affairs, Vol. 72, Nr. 5, S. 32-36. - (1994): Greening the GATT - Trade, Environment, and the Future, Washington, DC.
Etzioni, A. (1967): Soziologie der Organisationen, München. Eucken, Walter (1939/89): Die Grundlagen der Nationalökonomie, 9. Aufl., BerlinI Heidelbergl New York etc. Evans, Phillip I Walsh, James (1994): The EID guide to the new GATT, Research Report, The Economist Intelligence Unit: London. Evensen, J. (1988): The International Court of Justice - Main Characteristics and its Contribution to the Development of Modern Law of Nations, in: Nordic Journal 0/ International Law, Nr. 57, S. 3-46. Fetscher, Irlng (1989): Aufklärung und Gegenaufklärung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Schmidt, 1989, S. 522-547. Fikentscher, Wolfgang (1983): Weltwirtschaftsrecht, Bd. I, München. - (1994): Competition Rules for Private Agents in the GATTIWTO System, in: Aussenwinschajt, Jg. 49, Heft ll1III, S. 281-326.
Finger, Michael J. (1992): Dumping and Antidumping: The Rhetoric and the Reality of Protection in Industrial Countries, in: World Bank Research Observer, Vol. 7, Nr. 2, S. 121-143. Fitzmaurice, G. (1986): The Law and Procedure of the International Court of Justice, Vol. I, Cambridge. Frry, Bruno (1990): Ökonomie ist Sozialwissenschaft. Die Anwendung der Ökonomie auf neue Gebiete, München. - (1993): Außermarktliche Ökonomie, in: Gabler Winschajts-Lexikon, 13. Aufl., Wiesbaden, verschiedene Stichwörter.
Frry, Bruno I Serna, Angel (1991): Recht und Wirtschaft: Bemerkungen zu einem interdisziplinären Forschungsprogramm, in: Staatswissenschajten und Staatspraxis, Heft 1, S. 534-547. Friedman, Milton (1953): The Methodology of Positive Economics, in: Friedman, Milton: Essays in Positive Economics, Chicago, S. 3-43.
312
Literaturverzeichnis
- (1962): Capitalism and Freedom, Chicago und London. Furubotn, Eirik G. / Pejovich, Svetozar (1972): Property Rights an Economic Theory: A Survey of Recent Literature, in: Journal of Economic Literature, Nr. 10, S. 1137-1162. Furubotn, Eirik G. / Richter, R. (1991): The New Institutional Economics: An Assessment, in: Dies.: The New Institutional Economics. A Collection of Articles from the Journal of Institutional and Theoretical Economics, Tübingen, S. 1-32.
- (1994): The New Institutional Economics. An Assessment, in: lIrE, Vol. ISO, S. 1-32. Gadbaw, R.M. / McLachlan, D.L. (1988): Intellectual Property Rights. Global Consensus, Global Conflict ?, London. Gäfgen, Gerard (1982): Insitutioneller Wandel und ökonomische Erklärung, in: Jahrbuchjür Neue Politische Ökonomie, Bd. 2, S. 19-49.
- (1984): Entwicklung und Stand der Theorie der Property Rights: Eine kritische Bestandsaufnahme, in: Neumann, 1984. Gäfgen, Gerard / Monissen, Hans (1978): zur Eignung soziologischer Paradigmen. Betrachtungen aus Sicht des Ökonomen, in: Jahrbuch jür Sozialwissenschaft, Nr. 29, S. 113-144. Galbraith, Kenneth (1973): Power and the Useful Economist, in: American Economic Review, Nr. 63, S. 1-11. GATT (1992): Trade and the Environment, Briefmg No. 1529.
- (1O/92b): Regionalisme et multilateralisme sont les deux faces de la meme piece; grace a la surveillance que le GATT exerce, la piece ne se deprecie pas, in: GATT Focus - Bulletin d 'information, Nr. 93, September 1992, S. 3 f. - Final Act (1993): Final Act Embodying the Results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations, Genf.
- (1994): Analytical Index: Guide to GATT Law and Practice, 6. Aufl., Genf. GATT/.. S/... : Basic Instruments and Selected Documents (BISD), Nr des Supplements zum Band IV: "text in force 1969", Genf. GATT/C/M/... : Council Minutes, Genf. GATT/DS . ./R: Dispute Settlement Panel Reports, Genf. GATTIL/... : General Documents: Notifications, Communications, Membership", seit 1952 in fortlaufender Serie, Genf. Gehlen, Arnold (1961): Soziologie der Macht, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 7, Tübingen, S. 77-81.
Literaturverzeichnis
313
Giersch, Herbert (1994): Economic Dynamism: Lessons From German Experience, (noch unveröffentlichter) Eröffnungsvortrag zur 5. Jahrestagung der Internationalen Schumpeter-Gesellschaft, Münster, 18. August. Goldman, Patti A. (1992): Resolving the Trade and Environment Debate: In Search of a Neutral Forum and Neutral Principles, in: Washington and Lee Law Review, Vol. 49, Herbst 1992, Nr. 4, S. 1279-1298. Goldstein, J. / Krasner, S. (1984): Unfair Trade Practices: The Case for a Differential Response, in American Economic Review, Vol. 74, Nr. 2, S. 282-287. Göhler, G. (Hrsg.) (1987): Grundlagen der Theorie politischer Institutionen, Opladen. Gordon, Roger H. (1983): An Optimal Taxation Approach to Fiscal Federalism, in: Quartely Journal 0/ Economics, Nr. 98, S. 567-586. Graham, E.M. / Krugman, Paul R. (1990): Trade-Related Investment Measures, in: Schott, 1990. Greenaway, D. (1992): Trade Related Investment Measures and Development Strategy, in: Kyklos, Nr. 45, S. 139-159. Greenaway, D. / Sapir, A. (1992): New Issues in the Uruguay Round - Services, TRiMs and TRIPs, in: European Economic Review, Nr. 36, S. 509-518. Grosser, Dieter (1987): Politikwissenschaftliche Analyse, in: Hartwich, HansHermann (Hrsg.): Politik im 20. Jahrhundert, 4. Aufl., Braunschweig, S. 15-40. Großmann, Harald / Koopmann, Georg / Michaelowa, Axel (1994): Die neue Welthandelsorganisation: Schrittmacher für den Welthandel?, in: Wirtschaftsdienst, 1994: Nr. V, S. 256-264. Gruchy, Allan G. (1972): Contemporary Economic Thought. The Contribution of Neo-Institutional Economics, Clifton. Guehenno, Jean-Marie (1994): La fm de la democratie, Paris. Habermas, Jürgen (1971): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, hrsg. von J. Habermas und L. Luhmann, Die Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung, Frankfurt. (Hierzu sind 1974 und 1975 zwei Ergänzungsbände mit namhaften Autoren erschienen, Hrsg.: Maciejewski, Franz). - (1972): Strukturwandel der Öffentlichkeit, 6. Aufl., Neuwied. - (1973a): Wahrheitstheorien, in: Wirklichkeit und Reflexion. W. Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen, S. 211-265. - (1973b): Erkenntnis und Interesse, Frankfurt. - (1984): Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt am Main. - (1985): Moral und Sittlichkeit, in: Merkur, Nr. 12, S. 1041 ff.
314
Literaturverzeichnis
- (1985a): Der philosophische Diskurs der Modeme, Frankfurt am Main. - (1986): Technik und Wissenschaft als 'Ideologie', 3. Aufl. (zuerst 1969), Frankfurt am Main. - (1988 I und 11): Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bände, Frankfurt am Main (Erstausgabe 1981). - (1983): Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt am Main. - (Hrsg.) (1991): Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt am Main, v.a. S. 119226. - (1992): Nachmetaphysisches Denken; Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main (zuerst 1988). - (1993): Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 3. Aufl., Frankfurt am Main (1 Aufl. 1992). Haggard, S. / Simmons, B. (1987): Theories on international regimes, in: International Organization, Vol. 41, No. 3, S. 491-517. Hamilton, Caleen / WIUllley, John (1989): Coalitions in the Uruguay Round, in: Weltwirtschajtliches Archiv, No. 125 (3), 1989, S. 545-562. Hart, Oliver (1990): Is "Bounded Rationality" an Important Element of a Theory of Institutions ?, in: lITE, Vol. 146, S. 696-702. Hartwich, Hans-Hermann (1987): Entwicklungspolitik, in: Hartwich, Hans-Hermann (Hrsg.): Politik im 20. Jahrhundert, 4. Aufl., Braunschweig, S. 451-479. Hathaway, D.E. (1990): Agriculture, in: Schott, 1990. Hauser, Heinz / Moser, Peter / Platana, Renaud / Schmid, Ruedi (1988): Der Beitrag von Jan Tumlir zur Entwicklung einer ökonomischen Verfassungstheorie internationaler Handelsregeln, in: ORDO, Vol. 39, S. 219-237. Hauser, Heinz / Schanz, Kai-Uwe (1995): Das neue GATT, Die Welthandelsordnung nach Abschluß der Uruguay-Runde, München! Wien. Hauser, Heinz / Schöne, Wolfgang (1994): Is there a Need for Internationals Competition Rules ?, in: Aussenwirtschajt, Jg. 49, Heft llllII, S. 205-222. Hayek, Friedrich A. v. (1937): Economics and Knowledge, in: Economica, Nr. IV, S.28-49. - (1944/91): Der Weg zur Knechtschaft, München. - (1945): The Use of Knowledge in Society, in: American Economic Review, Nr. 35, S.519-530. - (1952): Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Zürich. - (1952a): The Counter Revolution of Science, Glencoe.
Literaturverzeichnis
315
- (1963): Arten der Ordnung, in: ORDO, Nr. 24, S. 3-20. - (1967): Notes on the Evolution of Systems of Rules of Conduct - The Interplay between Rules of Individual Conduct and the Social Order of Actions, abgedruckt in: Ders.: Studies in Philosophy, Politics and Economics, Chicago, S. 66-81. - (1967a): Grundsätze einer liberalen Gesellschaftsordnung, in: ORDO, Nr. 18, S. 11-33. - (1969): Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in Ders. (Hrsg.): Freiburger Studien, Tübingen, S. 248-265. - (1971/91): Die Verfassung der Freiheit, Tübingen. - (1973/86): Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 1: Regeln und Ordnung, 2. Auf!. , Landsberg am Lech, (engl. Orig. 1973: Law, Legislation and Liberty).
- (1988): The Fatal Conceit - The Errors of Socialism, London. Hechter, M. (Hrsg.) (1983): The microfoundations ofmacrosociology, Philadelphia. Heiner, R. (1983): The Origin of Predictable Behavior, in: Economic Review, Vol. 72, Nr. 4, S. 560-595. Herrmann-Pillath, Carsten (1991): Der Vergleich von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen: Wissenschaftsphilosophische und methodologische Betrachtungen zur Zukunft eines ordnungstheoretischen Forschungsprogramms, in: ORDO, Bd.42, S. 15-67. Herz, Bernhard 1 Strabatty, Joachim (1991): Zur Frage internationaler Dominanzbeziehungen - Eine Analyse der Machtverteilung auf Weltwirtschaftsgipfeln, in: Kyklos, Nr. 44, S. 35-55. Heuß, Ernst (1972): Macht oder ökonomisches Gesetz, in: Zeitschriftjür die gesamte Staatswissenschaft, S. 185-195.
- (1991): Wo steht die deutschsprachige Wirtschaftstheorie heute?, in: ORDO, Bd. 42, S. 117-126. Hilf, Meinrad (1988): Settlement of Disputes in International Economic Organizations: Comparative Analysis and Proposals for Strengthening the GATI Dispute Settlement Procedures, in: Petersmann, E.-U. 1 Hilf, M. (Hrsg.): The New GATI Round of Multilateral Trade Organizations - Legal and Economic Problems, Deventerl Boston, S. 285-322. Hindley, B. (1990): Services, in: Schott, 1990. Hirschmann, Albert O. (1970): Exit, Voice, and Loyalty - Responses to Decline in Firms, Organizations, and States, Cambridge, USA (dt. 1974). Hirshleijer, Jack (1985): The Expanding Domain of Economics, in: American Economic Review, Nr. 75, S. 53-68.
316
Literaturverzeichnis
Hirshleijer, Jack / Riley, John G. (1979): The Analytics of Uncertainty and Infonnation. An Expository Survey, in: Journaiod Economic Literature , Bd. 17, S. 1375 ff. Hoekman, Bernard M. (1989): Agriculture and the Uruguay Round, in: Journal of World Trade, Nr. 23, S. 83-96.
- (1992): Market Access through Multilateral Agreement: From Goods to Services, in: World Economy, Nr. 15, S. 707-727. - (1993): Safeguards Provisions and International Trade Agreements Involving Services, in: World Economy, NT. 16, S. 29-49. - (1993a): Rules of Origin for Goods and Services: Conceptual Issues and Economic Considerations, Centre for Economic Policy Research Discussion Paper Series, Nr. 821, London. Höffe, Otfried (1985): Strategien der Humanität, Frankfurt am Main (erste Aufl. 1975, Freiburg). Hofgard, Kurt C. (1993): Is This Land Really Our Land?: Impacts of free trade agreements on U.S. environmental Proteetion, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vo123, NT. 2, S. 635-681. Homann, Karl (1988): Philosophie und Ökonomik - Bemerkungen zur Interdisziplinarität, in: Jahrbuchjür Neue Politische Ökonomie, Bd. 7, S. 99-127.
- (1989): Vertragstheorie und Property-Rights-Ansatz - Stand der Diskussion und Möglichkeiten der Weiterentwicklung, in: Biervert, B. / Held, M.: Ethische Grundlagen der ökonomischen Theorie, Frankfurt am Mainl New York, S. 37-69. (1990): Strategische Rationalität, kommunikative Rationalität und die Grenze der ökonomischen Vernunft, in: Ulrich, Peter (Rrsg.): Auf der Suche nach einer modernen Wirtschaftsethik. Lernschritte zu einer reflexiven Ökonomie, Bernl Stuttgart, S. 103-119. Homann, Karl / Suchanek, (1983): Methodologische Überlegungen zum ökonomischen Imperialismus, in: Analyse und Kritik, S. 70-93.
- (1988): Philosophie und Ökonomik - Bemerkungen zur Interdisziplinarität, in: Jahrbuchjür Neue Politische Ökonomie, Bd. 7, S. 99-127. - (1992): Grenzen der Anwendbarkeit einer »Logik des kollektiven Handeins«, in: Schubert, Klaus (Rrsg.): Leistungen und Grenzen politisch-ökonomischer Theorie, Eine kritische Bestandsaufnahme zu Mancur Olson, Darmstadt, S. 13-27. Hoppe, Hans-Hennann (1993): The Economies and Ethics of Private Property, Boston! Dordrechtl London. Hoppmann, Erich (1968): Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, in: Schneider, H. K. (Rrsg.): Grundlagen des Wettbewerbspolitik, in: Schriften des Vereinsjür Sozialpolitik, Bd. 48, S. 9 ff.
Literaturverzeichnis
317
- (1987): Ökonomische Theorie der Verfassung, in: ORDO, Bd. 38, S. 31-45. Horlick, Gary (1993): How the GATT became Protectionist - An Analysis of the Uruguay Round Draft Final Antidumping Code, in: Journal of World Trade, Vol. 27, Nr. 5, S. 5-17. Horn, Hannelore (1987): Auswärtige und internationale Politik, in: Hartwich, HansHermann (Hrsg.): Politik im 20. Jahrhundert, 4. Aufl., Braunschweig, S. 481-510. Horster, Detlef (1990): Habermas zur Einführung, Hamburg. Housman, Robert F. I Ztlelke, Durwood J. (1993): Making Trade and Environmental Policies Mutually Reinforcing: Forging Competitive Sustainability, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vo123, Nr. 2, S. 545-574. Hudec, Robert E. (1978): Adjudication on International Trade Disputes, TPRM Report.
- (1990): Dispute Settlement, in: Schott, 1990. Hujbauer, Gary C. (1990): Subsidies, in: Schott, 1990. Hülsmann I. Guido (1993): Kritik der Dominanztheorie: Zur machttheoretischen Wirtschaftsanalyse Fran90is Perroux' und zur Bedeutung von auf sie zurückgehenden wirtschaftspolitischen Vorschlägen, R.G. Fischer: Frankfurt am Main. Hutchinson, Terence (1984): Institutionalist Economics Old and New, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Nr. 140, S. 20-29. Hutter, Michael (1979): Die Gestaltung von Property Rights als Mittel gesellschaftlich-wirtschaftlicher Allokation, Göttingen.
- (1989): Die Produktion von Recht. Eine selbstreferentielle Theorie der Wirtschaft, angewandt auf den Fall des Arzneimittelpatentrechts, Tübingen, 1989. Isetto-Gillies, Grazia (1989): Some indicators of multinational domination of national economies: analysis for the UK and other developed countries, in: International Review of Applied Economics, Nr. 3, S. 25-45. Insergent, K.A. I Rayner, A.I. I Hine, R.C. (Hrsg.) (1994): Agriculture in the Uruguay Round, London. Ipsen, Knut (mit Koautoren: Epping, V.; Fischer, H.; Gloria, C.; Heintschel v. Heinegg, W.) (1990): Völkerrecht, 3. Aufl., München.
- (1991): Reform des Welthandels systems ? - Perspektiven zum GATT und zur Uruguay-Runde, Frankfurt am Main et al. Jackson, John H. (1969): World Trade and the Law of GATT, Indianapolisl Kansas Cityl New York.
- (1979): Governmental Disputes in International Trade Relations: A Proposal in the Context of GATT, in: Journal ofWorld Trade Law, 1979, S. 1 ff.
318
Literaturverzeichnis
- (1989): The World Trading System - Law and Policy of International Economic Relations, Cambridge, MA. - (1992): World Trade Rules and Environmental Policies: Congruence or Conflict?, in: WashingtonandLeeLawReview, Vol. 49, Nr. 4, S. 1227-1278. - (1993): Regional Trade Blocks and the GATT, in: World Economy, Nr. 16, S. 121-131. - (1994): Alternative Approaches for Implementing Competition Rules in International Economic Relations, in: Aussenwirtschaft, Jg. 49, Heft IIIIII, S. 177-200.
Jäger, T. (1992): Streitbeilegung und Überwachung als Minel zur Durchführung des GATT, BaselJ Frankfurt am Main. Jensen, Michael C. / Meckling, William A. (1976): Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, in: Journal of Financial Economics, Nr. 3, S. 305-360. Jones, Kent (1989): Voluntary Export Restraints: Political Economy, History and the Role ofthe GATT, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 23, Nr. 3, S. 125-140. Kahn, Paul (1961): La vente commerciale internationale, Paris. Kahnemann, D. (1994): New Challenges to the Rationality Assumption, in: JITE, Vol. 150, S. 18-36. Kant, Immanuel (1991): Zum ewigen Frieden, in: Kant, Immanuel: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Bd. I, hrsg. von Weischedel, Wilhelm, Frankfurt am Main, S. 195-251. - (1887/1993): Kritik der reinen Vernunft, Stungart.
Karl, W. (1983): Vertrag und spätere Praxis im Völkerrecht, Berlin. Kaulbach, Friedrich (1986): Einführung in die Philosophie des Handeins, 2. unveränd. Aufl., Darmstadt. Keller, Berndt (1992): Olsons »Rise and Decline of Nations« oder: Die Grenzen eines neoklassischen Institutionalismus, in: Schubert, Klaus (Hrsg.): Leistungen und Grenzen politisch-ökonomischer Theorie, Eine kritische Bestandsaufnahme zu Mancur Olson, Darmstadt, S. 88-110. Kelly, William B. (1993): A Need for Education and Reconciliation, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vol 23, Nr. 2, S. 703-704. Khavand, Fereydoun A. (1992): Les diplomaties commerciales et l'Uruguay Round, in: Le Trimestre du monde, No. 16, 4. Trimester 1991, gekürzt abgedruckt in: Problemes economiques (Economie internationale), No. 2.262, 12. Februar 1992, S.20-24.
Literaturverzeichnis
319
Kindleberger, C. (1986): International Public Goods without International Government, in: American Economic Review, Vol. 76, No. 1, S. 1-13. Kirchgässner, Gebhard (1991): Homo Oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Tübingen. Kiwit, Daniel (1994): Zur Leistungsfabigkeit neoklassisch orientierter Transaktionskostenansätze, Diskussionsbeitrag am Max-Planck-Institut Jena. Klein, Benjamin (1985): Self-Enforcing Contracts, in: JITE, Bd. 141, S. 594 ff. Kohona, Palitha T.B. (1994): Dispute Resolution under the World Trade Organization, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 28, Nr. 4, S. 23-47. Koller, Peter (1987): Neue Theorien des Sozialkontrakts, Berlin. Kopke, Alexander (1993): Erfolgsaussichten der französischen Außenwirtschaftspolitik vor dem Hintergrund der Entwicklungen im GATT, unveröffentlichte Diplomarbeit an der TU Berlin, Institut für Volkswirtschaftslehre - Internationale Beziehungen, Prof. Lechner. Koslowski, P. und Kreuzer, Ph. und Löw, R. (Hrsg.) (1983): Chancen und Grenzen des Sozialstaats, Tübingen. Kostecki, Michel M. (1987): Export-restraint Arrangements and Trade Liberalization, in: World Economy, Nr. 10, S. 425-444. - (1991): Marketing strategies and Voluntary Export Restraints, in: JournalofWorld Trade, Vol. 25, Nr. 4, S. 87-100. Kovenock, D. I Thursby, M. (1992): GATT, Dispute Settlement and Cooperation, in: Economics and Politics, Nr. 4, S. 151-170. Kremendahl, H. (1977): Pluralismustheorie in Deutschland. Entstehung, Kritik, Perspektiven, Leverkusen. Krugman, Paul (1992): The Move Towards Free Trade Zones, in: Economic Review, review ofthefederal reserve bank of Kansas City, November-Dezember 1991; gekürzt abgedruckt unter: L' emergence des zones regionales de libre-echange: justitication economiques et politiques, in: Problemes economiques, Economie internationale, No. 2.289, 2. September 1992, S. 18-27. Kruse, A. (1965): Außenwirtschaft, Berlin. Kuhn, Thomas S. (1981): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 5. Aufl., Frankfurt am Main. Kulessa, M.E. (1992): Free Trade and the proteetion of the environment - Is the GATT inneed ofreform? in: Intereconomics, Nr. 27, S. 165-173.
320
Literaturverzeichnis
Künzler, Jan (1989): Medien und Gesellschaft, Die Medienkonzepte von Talcott Parsons, Jürgen Habermas und Niklas Luhmann, Stuttgart. Lachmann, Ludwig M. (1963): Wirtschaftsordnung und wirtschaftliche Institutionen, in: ORDO, Bd. 14, S. 63-77. Lakatos, I. (1974): FalsifIkation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme, in: Lakatos, I. / Musgrave, A. (Hrsg.): Kritik und Erkenntnisfortschritt, Braunschweig, S. 89-189. Lake, Laura (Hrsg.) (1980): Environmental Mediation: The Search for Consens, Colorado. Langlois, Richard N. (1986): Economics as a process. Essay in the New Institutional Economics, Cambridge. - (1990): Bounded Rationality and Behaviorism: A Classification and Critique, in JITE, Vol. 146, S. 691-695. Lehner, Franz (1983): Economists, Sociologists and the Market, in: Sodeur, W.: Ökonomische Erklärungen sozialen Verhaltens, Duisburg, S. 89-12l. - (1992): Interessenstrukturen und Wirtschaftspolitik: Leistungen und Deftzite von Olsons Theorie, in: Schubert, Klaus (Hrsg.): Leistungen und Grenzen politischökonomischer Theorie, Eine kritische Bestandsaufnahme zu Mancur Olson, Darmstadt, S. 57-78. Leipold, Helmut (1978): Theorie der Property Rights: Forschungsziele und Anwendungsbereiche, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Nr. 11, S. 518-525. - (1989a): Das Ordnungsproblem in der ökonomischen Institutionentheorie, in: ORDO, Bd. 40, S. 129-146. (l989b): Neuere Ansätze zur Weiterentwicklung der Ordnungstheorie, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 8, S. 13-29. Lenk, Hans (1972): Erklärung - Prognose - Planung, Freiburg i.Br. - (1977): Der methodologische Individualismus ist (nur ?) ein heuristisches Postulat, in: EichnerlHabermehl (Hrsg.), 1977, S. 34-45. - (1987): Zwischen Sozialpsychologie und Sozialphilosophie, Frankfurt am Main. LE MONDE (21.5.91): Page politique, S. 3. Lindenberg, Siegwart (1990): Homo Socio-Oeconomicus: The Emergence of a General Model of Man in the Social Sciences, in: JITE, Nr. 146, S. 727-748. Lloyd, P.J. (1992): Regionalisation and World Trade, in: OECD Economic Studies, Nr. 18, S. 7-43.
Literaturverzeichnis
321
Lohmann, Heiko (1994): Die Möglichkeit einer entscheidungstheoretischen Pundierung des Entstehens der Regulierung von Vertrags inhalten - Das Beispiel des Reisevertragsrechts, unveröffentlichtes Diskussionspapier am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena. Long, Olivier (1986): Law and its Limitations in the GAIT Multilateral Trade System, Dordrecht. Luhmann, Niklas (1983): Legitimation durch Verfahren, Frankfurt am Main (Original 1969).
(1984): Soziale Systeme; Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main. - (1986): Intersubjektivität oder Kommunikation, in: Archivo di Filosofia, Vol. LIV, S. 51 ff. - (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main. Lutz, James M. (1991): GAIT Reform or Regime Maintenance: Differing Solutions to World Trade Problems, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 25, Nr. 2, S. 107-126. Magee, Stephen P. (1982/84): Protectionism in the United States, University of Texas at Austin, 1982, zitiert nach Frey, Bruno S. (1984): The public choice view of international political economy, in: Internation Organization, Nr. 38, 1, S. 21 ff. March, James G. und Simon, Herbert A. (1958): Organizations, New York. Marinkovic, R. (1991): Le marche commun d' Amerique latine, in: Revue de politique internationale, Belgrad, No. 985, 20. April 1991, S. 29-3l. Maskus, K.E. (1990): Normative Concerns in the International Protection of Intellectual Property Rights, in: World Economy, Nr. 13, S. 387-409. Massing, P. / Reichei, P. (Hrsg.) (1977): Interesse und Gesellschaft. Deftnitionen Kontroversen - Perspektiven, München. McCalium, Scon (1993): Local Action in a New World Order, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vo123, Nr. 2, S. 621-634. McCarthy, Thomas (1989): Kritik der Verständigungsverhältnisse, Frankfurt am Main. McCulioch, R. (1990): Services in the Uruguay Round, in: World Economy, Nr. 13, S.329-348. McDonald, Janet (1993): Greening the GAIT: Harmonizing Free Trade and Environmental Protection in the New World Order, in: Environmental Law, Volume 23, Nr. 2. McMillan, J. (1990): The Economics of Section 301: A Game-Theoretic Guide, in: Economics and Politics, Nr. 2, S. 45-57. 22 Kopke
322
Literaturverzeichnis
Meckling, William H. (1976): Values and the Choice of the Model of the Individual in the Social Sciences, in: Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, Vol. 117, S. 545-560. Merle, Marcel (1988): Sociologie des relations internationales, 4. Auflage, Paris. Messerlin, Patrick A. 1 Sauvant, K.P. (1990): The Uruguay Round: services in the world economy, Washington, DC.
- (1994): Should Antidumping Rules be replaced by National or International Competition Rules ?, in: Aussenwirtschaft, Jg. 49, HeftII/III, S. 351-374. Mestmäcker, Ernst-Joachim (1978): Die sichtbare Hand des Rechts: Über das Verhältnis von Rechtsordnung und Wirtschafts system, Baden-Baden. - (1985193): Rechtsfragen einer Ordnung der Weltwirtschaft, in: Ders. (Hrsg.): Recht in der offenen Gesellschaft: Hamburger Beiträge zum deutschen, europäischen und internationalen Wirtschafts- und Medienrecht, Baden-Baden, 1993, S. 122-133.
- (1990): Wirtschaftsrecht, in: Rabels-Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Nr. 54, S. 409-430. - (1993a): Rechtsfragen einer Ordnung der Weltwirtschaft, in: Ders.: Recht in der offenen Gesellschaft, Nomos: Baden-Baden, S. 122-133. - (1993b): Staatliche Souveränität und offene Märkte, Konflikte bei der extraterritorialen Anwendung von Wirtschaftsrecht, in: Ders.: Recht in der offenen Gesellschaft, Nomos: Baden-Baden, S. 134-182. Meyer, Willi (1983): Entwicklung und Bedeutung des Property Rights-Ansatzes in der Nationalökonomie, in: Schüller (Hrsg.), S. 1-44. Milgrom, Paul, North 1 Douglass C. 1 Weingast, B. (1990): The Role of Institutions in the Revival of Trade: The Law Merchant, Private Judges, and the Champagne Pairs, in: Economics and Politics, Vol. 2, S. 1-23. Mises, Ludwig v. (1949): Human Action. A Treatise on Economics, London, New Haven. Mittelstraß, Jürgen (1979): Beratung und Kontrolle; Bermerkungen zur Rolle unabhängigen Sachverstandes im System wirtschaftlichen Handelns, in: Ders. (Hrsg.) Methodenprobleme der Wissenschaften vom gesellschaftlichen Handeln, Prankfurt am Main.
- (1990): Wirtschaftsethik oder der erklärte Abschied vom Ökonomismus auf philosophischen Wegen, in: Ulrich, Peter (Hrsg.): Auf der Suche nach einer modemen Wirtschaftsethik. Lernschritte zu einer reflexiven Ökonomie, Bem! Stuttgart, S. 17-38. Mjosfet, L. (1985): Review essay: The limits of neoclassical institutionalism, in: Journal of Peace Research, Nr. 22, S. 79-86.
Literaturverzeichnis
323
Mohr, Ernst (1994): Environmental norms, society, and economies, in Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 1, S. 229-239. Molsberger, losef / Kotios, Angelos (1990): Ordnungspolitische DefIzite des GATT, in: ORDO, Bd. 41, S. 93-115. Moltke, Konrad v. (1993): The Last Round: The General Agreement on Tariffs and Trade in the Light of the Earth Summit, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vo123, Nr. 2, S. 519-532. Moss, Ambler H. (1993): Global Trade as a Way to Integrate Environmental Protection and Sustainable Development, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vo123, Nr. 2, S. 711-713. Mueller, Dennis C. (1989): Public Choice 11 - A Revised Edition of Public Choice, Cambridge. Mummert, Uwe (1994): Die Neue Institutionenökonomik, unveröffentlichtes Diskussionspapier am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena.
- (1994a): Informelle Information in ökonomischen Transformationsprozessen, Dissertation, Göttingen (erscheint demnächst). Musgrave, Richard E. / Musgrave, Peggy B. (1989): Public Finance in Theory and Practice, 5. Aufl, New York. Nabli, Mustapha / Nugent, Jeffrey B. (Hrsg.) (1989): The New Institutional Economies and Development. Theory and Applications to Tunesia, North Holland/ Amsterdam. Naschold, F. (1989): Politik und politische Institutionen in neokorporatistischen und Public-choice-Ansätzen - Anmerkungen zu einem Theorieprogramm, in: Hartwich, H.-H. (Hrsg.): Macht und Ohnmacht politischer Institutionen, Opladen, S.21O221. Nau, Henry R. (Hrsg.) (1989): Domestic Trade Politics and the Uruguay-Round, New York 1989. Neumann, F. (1967): Demokratischer und autoritärer Staat. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt am Main. Nicolaides, P. (1990): The Conduct of Anti-Dumping Policy, in: Aussenwirtschaft, Nr. 44, S. 29-57. Niskanen, William A. (1971): Bureaucracy and Representative Democracy, Chicago. North, Douglass C. (1983): A theory of economic change, in: Science, Nr. 219, S. 163-164.
- (1988): Theorie des institutionellen Wandels. Eine neue Sicht der Wirtschaftsgeschichte, Tübingen (zuerst 1981).
324
Literaturverzeichnis
- (1990): Institutions, Institutional Change and Econonomic Perfonnance, Cambridge. - (1991): Institutions, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 5, Nr. 1, S. 97112.
Nunnenkamp, Peter (1993): The World Trading System at the Crossroads: Multilateral Trade Negotiations in the Era of Regionalism, in: Aussenwirtschaft, Jg. 48, Heft II, S. 177-201. - (1994): Nach der Uruguay-Runde: Triebkräfte und Sprengsätze für die Weltwirtschaft, in: Zeitschriftfür Wirtschaftspolitik, Jg. 43 Heft 3, S. 251-269.
Oates, Wallace E. (1972): Fiscal Federalism, New York. OECD (1988): Note to Members of the Trade Committee: Trends in the use of new types of trade-restraining measures (Note by the Secretariat), TD/88.259. - (1994): Bibliography of Trade and Environment Literature, Paris.
Olson, Mancur (1968): Die Logik des kollektiven HandeIns. Kollektive Güter und die Theorie der Gruppen, Tübingen (2. Aufl. 1985) (engl. Original 1965). - (1985): Aufstieg und Niedergang von Nationen. Ökonomisches Wachstum, Stagflation und soziale Starrheit, Tübingen (engl. Original 1982). - (1987): Economic Nationalism, The Welfare State and Economic Growth, 6th Harry G. Johnson Memorial Lecture, March 12, Genf.
Oppennann, T. / Beise, M. (1994): Die neue Welthandelsordnung - ein stabiles Regelwerk für weltweiten Freihandel?, in: Europa-Archiv, Folge 7, S. 195-202. Palmeter, David (1993): Environment and Trade: Much Ado About Little? Review Essay ofthe Greening ofWorld Trade Issus, von Anderson, Kym / Blackhurst, Richard (Hrsg.) (1992), in: Journal ofWorld Trade, Vol. 27, Nr. 3 S. 55-70. Parker, R.P. (1989): Dispute Settlement in the GATT and the Canada-U.S. free Trade Agreement, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 23, nr. 3, S. 83-93. Patterson, Eliza (1991): International Trade and the Environment: Institutional Solution, in: Environmental Law Reporter, Vol 21, Nr. 10. - (1992): GATT and the Environment - Rules Changes to Minimize Adverse Trade Effects, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 26, Nr. 3, S. 83-93.
Patterson, Gardner / Patterson, Eliza (1987): Objectives of the Uruguay Round, in: Finger, Michael J. / Olechowski, Andrezej (Hrsg.): The Uruguay Round: A Handbook on the Multilateral Trade Negotiations, Washington, DC. Pebereau, Michel (1990): La politique economique de la France: Les relations economiques financieres et monetaires internationales, Paris.
Literaturverzeichnis Perroux, Paris.
Fran~ois
325
(1941): Cours d'economie politique, Bd. 4: La valeur des biens,
- (1948): Esquisses d 'une tMorie de l' economie dominante, in: Economie applique, Bd. 1, S. 248-300. - (1950): Note sur le dynarnisme de la dornination, in: Economie applique, Bd. 1, S.245-258. - (1973): Pouvoir et economie, Paris/ BriisseU Montreal. Pescatore, P. (1993): The GATT Dispute Settlement Mechanism, in: Journal World Trade, Vol. 27, Nr. 1, S. 5-20.
0/
Pescatore, P. / Davey, William J. / Lowen/eld, A.F. (Hrsg.) (1993): Handbook of GATT Dispute Settlement, New Yorkl Deventer. Peters, B. (1991): Rationalität, Recht und Gesellschaft, Frankfurt am Main. Petersmann, Ernst-Ulrich (1988a): Strengthening GATT Procedures for Settling Trade Disputes, in: World Economy, Nr. 11, S. 55-89. - (1988b): Proposals for Improvements in the GATT Dispute Settlement System - A Survey and Comparative Analysis, in: Dicke, D. / Petersmann, E.-U. (Hrsg.): Foreign Trade in the Present and a New International Economic Order, Fribourg, S.340-393. - (1990): Need for Reforming Antidumping Rules and Practices - The Messy World of Fourth-Best Policies, in: Aussenwirtschajt, Jg. 45, S. 179-198. - (1991): Trade Policy, Environmental Policy and the GATT, in: Aussenwirtschajt, Jg. 46, S. 197 ff. - (1992): Umweltschutz und Welthandels ordnung im GATT-, OECD- und EWGRahmen, in: Europa-Archiv, S. 257 ff. - (1993): International Trade Law and International Environmental Law - Prevention and Settlement of Disputes in GATT, in: Journal 0/ World Trade, Vol. 27, Nr. 1, S. 43-81. - (1993a): Freier Warenverkehr und nationaler Umweltschutz in EWG und EWR, in: Aussenwirtschajt, Jg. 48, Heft I, S. 95-128. - (1994a): Proposals for Negotiating International Competition Rules in the GATTWTO World Trade and Legal System, in: Aussenwirtschajt, Jg. 49, Heft II11II, S. 231-277. - (1994c): Why Do Govemments Need the Uruguay Round Agreements, NAFTA and the EEA ?: Ein historischer Markstein, Schlußstein oder Startblock?, in: Aussenwirtschajt, Jg. 49, Heft I, S. 17-29. Picot, Arnold / Dietl, Helmut (1990): Transaktionskostentheorie, in: Wirtschajtswissenschajtliches Studium, Nr. 4, S. 178-184.
326
Literaturverzeichnis
Platteau, Jean-Phillipe (1992): The Free Market is not readilly transferable: Reflections on the links between markets, social relations, and moral norms, paper prepared for the 25th Jubilee of the Institute of Development Studies. Pommerehne, Wemer W. / Frey, Bruno S. (Hrsg.) (1979): Ökonomische Theorie der Politik, Heidelberg. Porter, Michael E. (1990): The Comparative Advantage of Nations, Londonl Basingstoke. Posner, R (1992): ECOJ1omic Analysis of Law, 4. Aufl., Boston u.a. (1. Aufl. 1973). Pratt, John W. / Zeckhauser, Richard J. (1985): Principals and Agents: An Overview, in: Dies.: Principals and Agents: The Structure of Business, Harvard, S. 1-35. Priddat, B. (1994): Die Zeit der Institutionen. Elemente einer Theorie der Institutionen in der Ökonomie, Diskussionspapier Universität WittenlHerdecke. Puntel, Lorenz Bruno (1993): Wahrheitstheorien in der Neueren Philosophie, 3. erw. Aufl., Darmstadt. Qureshi, A.H. (1990): The New GATI Trade Policy Review Mechanism: An Exercise in Transparency or 'Enforcement' ?, in: Journal of World Trade, Vol. 24, Nr. 3, S. 147-160. - (1992): Some Reflections on the GATI TPRM, in the Light of the Trade Policy Review ofthe European Communities, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 26, Nr. 6, S. 103-120. Racine, Jean (1989): Developpement et independance: jusqu' ou compter sur ses propres forces?, in: Revue Tiers Monde, Nr. 119, S. 491-512. Radnitlky, G. / Bemholz, P. (1987): Economic imperialism. The economic approach outside the field of economics, New York. Rayner, A.J. / Insergent, K.A. / Hine, RC. (1993): Agriculture in the Uruguay Round: An Assessment, in: Economic Journal, Nr. 103, S. 1513-1527. Reese-Schäfer, Walter (1991): Jürgen Habermas, Frankfurt/ New York. Reisman, D. (1990): The Political Economy of James Buchanan, College Station. Ress, Georg (1994): Ex Ante Safeguards Against Ex Post Opportunism in International Treaties: Theory and Practice of International Public Law, in: JITE, Vol. 150, Nr. 1, S. 279-303. Ribhegge, Hermann (1991): Die Beiträge der Neuen Institutionenökonomik zur Ordnungspolitik, in: Jahrbuchjür Neue Politische Ökonomie, Bd. 10, S. 38-60. Richter, Rudolf (1990): Sichtweise und Fragestellungen der Neuen Institutionenökonomik, in: Zeitschrift jür Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Nr. 110, S. 571591.
Literaturverzeichnis
327
Ritter, Wigand (1994): Welthandel - Geographische Strukturen und Umbruche im internationalen Warenaustausch, Darmstadt. Rittig, Giesbert (1961): Macht in der Wirtschaft, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 7, Tübingen, S. 81-88. Rockwell, Llewellyn H. (Hrsg.) (1994): The WTO-Reader; Free-Market Critiques of the World Trade Organization, Ludwig von Mises Institute, Auburn, Alabama. Root, F.R. (1990): International Trade and Investment, Cincinnati, Ohio, et al. Repke, Inge (1994): Trade, development and sustainability - a critical assessment of the "free trade dogma", in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. I, S. 13-22. Röpke, Jochen (1977): Die Strategie der Innovation: eine systemtheoretische Untersuchung der Interaktion von Individuum, Organisation und Markt im Neuerungsprozeß, Tübingen. Röpke, Wilhelm (1945179): Internationale Ordnung - heute, 3. Aufl., Bernl Stuttgart. Rosenberg, Nathan / Birdzell, Luther E. Jr. (1986): How the West Grew Rich: The Economic Transformation ofthe Industrial World, New York. Rothschild, Michael (1973): Models of market organization with imperfect information: A survey, in: The Journal of Political Economy, Bd. 81, S. 1283 ff. Rowley, C. K. / Tollison, R. D. (1986): Rent Seeking und Trade Protectionism, in: Aussenwirtschaft, Nr. 41, S. 405-328. Rowley, C. K. / Tollison, R. D. / Tullock, G. (1987): The political economy of rent seeking, Boston! Dordrecht. Saage, Richard (1989): Vertrags denken und Utopie: Studien zur politischen Theorie und zur Sozialphilosophie der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main. Sartori, Giovanni (1987): The Theory of Democracy Revisited, Part One: The Contemporary Debate, Chatham. Schäfer, H.-B. / Ott, C. (1986): Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Heidelberg. Scheibach, R. (1992): Importrelevante Investitionsauflagen und das GATT, Frankfurt am Main. Schelling, T. (1960): The Strategy of Conflict, Cambridge. Schenk, Ekkehart (1990): Die Neuen Institutionenökonomie - Ein Überblick über wichtige Elemente und Probleme der Weiterentwicklung, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Nr. 112, S. 337-378. - (1980): Merktversagen und Bürokratieversagen, in: Boettcher, Herder-Dornreich / Schenk, Karl-Ernst (Hrsg.): Neue Politische Theorie als Ordnungstheorie, Tübingen.
328
Literaturverzeichnis
- (1992): Die Neue Institutionenökonomie - Ein Überblick über wichtige Elemente und Probleme der Weiterentwicklung, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Bd. 112, S. 337 ff.
Schlicht, Ekkehart (1990): Rationality, Bounded or not, and Institutional Analysis, in: JITE, Vol. 196, S. 703-719. Schmidt, Jochen (Hrsg.) (1989): Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart, Darmstadt (insbesondere die Beiträge von Ueding, G., Mittelstraß, J. / Fetscher, 1.). Schmidtchen, Dieter (1993): Time, Uncertainty, and Subjectivism: Giving More Body to Law and Economies, in: International Review of Law and Economics, Bd. 13, S. 61 ff. Schmitt, Carl (1934): Über die drei Arten des Rechtswissenschaftlichen Denkens, Wien. Schneider, Friedrich / Frey, Bruno S. (1988): Politico-Economic Models of Macroeconomic Policy, in: Willet, Thomas D. (Hrsg.): Political Business Cycle, Durham. Schneider, H. (1967): Aufgabe und Selbstverständnis der politischen Wissenschaft, Darmstadt. Schöppenthau, Philip v. (1993): Multifaserabkommen - Quo vadis? Der Welttextilhandel nach der Uruguay-Runde, in: Aussenwirtschaft, Nr. 48, S. 309-336. Schott, J.J. (Hrsg.) (1990): Completing the Uruguay Round, Washington, DC. Schubert, Klaus (1989): Politische Interessenvermittlung und die Logik staatlicher Regulation, Opladen. - (1991): Politikfeldanalyse - Eine Einführung, Leverkusen. - (1992a): Der politisch-ökonomische Ansatz Mancur Olsons: Eine problemorientierte Einleitung und Übersicht, in: Ders. (Hrsg.): Leistungen und Grenzen politischökonomischer Theorie, Eine kritische Bestandsaufnahme zu Mancur Olson, Darmstadt, S. 1-9. - (1992b): Leistungen und Grenzen des politisch-ökonomischen Ansatzes von Mancur Olsons: Ein Resümee, in: Ders. (Hrsg.): Leistungen und Grenzen politischökonomischer Theorie, Eine kritische Bestandsaufnahme zu Mancur Olson, Darmstadt, S. 186-19l.
Schubert, Klaus / Nordhause-Janz, J. (1988): Olsons politisch-ökonomische Theorie der Interessenvermittlung. Voraussetzungen, Implikationen, Kritik, in: Luthardt, W. / Waschkuhn, A. (Hrsg.): Politik und Repräsentation. Beiträge zur Theorie und zum Wandel politischer und sozialer Institutionen, Marburg, S. 65-78. Schuknecht, L. (1990): Proteetion - An Intra-National Prisonners' Dilemma, in: Aussenwirtschaft, Vol. 45, S. 39-55.
Literaturverzeichnis
329
SchülleT, Alfred (Hrsg.) (1983): Property Rights und ökonomische Theorie, München.
- (1988): Ökonomik der Eigentumsrechte in ordnungstheoretischer Sicht, in: Cassel, Dieter et. al.: Ordnungspolitik, München, S. 155-183. - (1992): Ansätze einer Theorie der Transformation, in: ORDO, Bd. 43, S. 35-63. Schumann, Jochen (1987): Die Unternehmung als ökonomische Institution, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, S. 212-217.
- (1992): Grundzüge der mikroökonomischen Theorie, 6. Aufl., Berlin! Heidelberg. SchumpeteT, Joseph A. (1942/76): Capitalism, Socialism and Democracy, 5. Aufl., London! Boston! Sydney.
- (1965): Geschichte der ökonomischen Analyse (11), in: Ders. (Hrsg.): Grundriss der Sozialwissenschaft, Bd. 6, Göttingen. Seidenfu,s, Hellmuth St. (1984): Erfolgsaussichten der peripheren Integration, in: Aldrup, Dieter (Hrsg.): Weltwirtschaft und nationale Wirtschaftspolitik - Strukturprobleme der achtziger Iahre, Göttingen 1984, S. 78-95. Sen, Amartya K. (1970): Collective Choice and Social Welfare, Amsterdam, North Holland.
- (1987): On Ethiks and Economies, Cambridge, Mass. Senti, Richard (1986): GATT. System der Welthandels ordnung. Zürich.
- (1994): Die Integration als Gefahr für das GATT, in: Aussenwirtschaft, Ig.49, Heft I, S. 131-150. Shackle, George L. S. (1972): Epstemics & Economies - A Critique of Economic Doctrines, Cambridge. ShearmuT, I. (1992): Subjectivism, Explanation and the Austrian Tradition, in: Caldweil, B. I. / Boehm, S (Hrsg.): Austrian Economies: Tensions and New Directions, Boston u.a., S. 103-128. Shubik, M. (1971): Games of Status, in: BehavioTal Science, Vol. 16, S. 112-129. SiebeTt, Horst / Koop, Michael I. (1990): Institutional Competition. A Concept for Europe?, in: AussenwiTtschaft, Nr. 45 (IV), S. 439-462. Simma, Bruno (1972): Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, Berlin. Simon, Herbert A. (1961): Administrative Behavior, 2. Aufl., New York.
- (1978): Rationality as a Process and as Product of Thought, in: American Economic Review, Vol. 68, Nr. 2, S. 1-16.
330
Literaturverzeichnis
Sinn, Hans-Werner (1990): The Limits to Competition between Economic Regimes. A Concept for Europe ?, in: Aussenwirtschajt, Jg. 45, Heft IV, S. 439-462. Smith, Michael B. (1993): GA'IT, Trade, and the Environment, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vol23, Nr. 2, S. 533-544. Smouts, Marie-Claude (1986): L' organisation international, rose des vents dans l' espace cardinal, in: Revue jran~aise de science politique, Nr. 20, Paris Dezember 1986. Sorsa, P. (1992): GA'IT and the Environment, in: World Economy, Nr. 15, S. 115133. Soto, Hernando de (1990): The Other Path. The Invisible Revolution in the Third World, New York. Steffani, W. (1980): Pluralistische Demokratie, Opladen. Stein, A. (1982): Coordination and Collaboration: Regimes in an Anarchie World, in International Organization, Vol. 36, Nr. 2, S. 115-140. - (1984): The Hegemon's Dilemma: Great Britain, the United States, and the International Economic Order, in: International Organization, Vol. 38, No. 2, S. 355386.
Steininger, Karl (1994): Reconciling trade and environment: towards a comparative advantage for long-term policy goals, in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 1, S. 23-42. Stevens, Candice (1993): The OE CD Guiding Principles Revisited, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vol23, Nr. 2, S. 607-620. - (1994): The Greening of Trade, in: OECD Observer, Nr. 187, S. 32-34.
Stigler, George J. (1961): The Economies of Information, in: The Journal oj Political Economy, Bd. 69, S. 213 ff. Stigler, George J. / Becker, Gary S. (1977): De gustibus non est disputandum, in: American Economic Review, Jg. 67, S. 76-90. Stiglitz, Joseph E. (1986): The New Development Economics, in: Worls Development, Vol. 14, Nr. 2, S. 257-265. Stiglitz, Joseph E. / Schönjelder, Bruno (1989): Finanzwissenschaft, 2. Auß., München/Wien. Strange, Susan (1988): States and Markets, London. Streit, Manfred E. (1987): Economic Order and Public Policy - Market, Constitution and the Welfare State, in: Pething, Rüdiger / Schlieper, Ulrich (Hrsg.): Efficiency, Institutions, and Economic Policy, BerlinI Heidelberg, S. 1-21.
Literaturveneichnis
331
- (1988): Freiheit und Gerechtigkeit - Ordnungspolitische Aspekte zweier gesellschaftlicher Grundwerte, in: ORDO, Bd. 39, S. 33-53. - (1991): Theorie der Wirtschaftspolitik, 4. Auflage, Düsseldorf. - (1992a): Zur Theorie des Wettbewerbs, in: Wirtschaftspolitische Blätter, Jg. 39, S.55-66. - (1992b): Die Interdependenz der Ordnungen - Eine Botschaft und ihre aktuelle Bedeutung, in: Ordnung in Freiheit, Symposium aus Anlaß des 100. Jahrestages des Geburtstages von Walter Eucken am 17. Januar 1991, Tübingen, S. 5-30. - (1992c): Wissen, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung - Zum Gedenken an Friedrich August von Hayek - in: ORDO, Bd 43, S. ??-?? (1992d): Das Wettbewerbskonzept der Ordnungstheorie, in: Görgens, Egon 1 Tuchtfeld, Egon (Hrsg.): Die Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung - Perspektiven und Probleme, Ernst Dürr zum 65. Geburtstag, Bem! Stuttgartl Wien, S. 83 ff. - (1994): Westeuropas Wirtschaftsverfassungen unter dem Druck des Systemwettbewerbs, in: List-Forum, Nr. 2/94, S. 11-20. Streit, Manfred E. 1 Voigt, Stefan (1993): The Economics of Conflict Resolution in International Trade, in: Mestmäcker, Ernst-Joachim (Hrsg.) Baden-Baden. Streit, Manfred E. 1 Wegner, Gerhard (1989): Wissensrnangel. Wissenserwerb und Wettbewerbsfolgen - Transaktionskosten aus evolutorischer Sicht, in: ORDO, Bd. 40, S. 183-200. Stützel, Wolfgang (1972): Preis, Wert und Macht, Aalen. Subramanian, A. (1990): TRIPs and the Paradigm of the GATT: a Tropical, Temperate View, in: World Economy, Nr. 13, S. 509-52l. Sutherland, Peter (1994): Australia and New Zealand in the New World Trade Area, Address to the Australia - New Zealand Business Council in Auckland, 29 September 1994, in: GAlT WTO News, Nr. GW/07, 27 September. Genf. - (1994a): Global Trade - The Next Challenge, in: Aussenwirtschaft, Nr. 49, S. 716. Syverson, Michelle (1993): GATT, the Environment, and the Third World, in: Environmental Law, Sonderausgabe: Trade and the Environment, Vol23, Nr. 2, S. 715-719. Tang, X. (1989): Textiles and the Uruguay Round of Multilateral trade Negotiations, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 23, Nr. 3, S. 51-68. Teepe, Ralf (1993): Die diskurstheoretische Konzeption von Jürgen Habermas aus der Sicht der ökonomischen Theorie, Diskussionspapier an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Fakultät für Wirtschaftswissenschaften.
332
Literaturverzeichnis
TharakiJn, P.K.M. (1993): Contingent protection: The US and EC Anti-Dumping Actions, in: World Economy, Nr. 16, S. 575-600. Thaysen, Uwe / Davidson, Roger H. / Livingston, Robert G. (Hrsg.) (1988): USKongreß und Deutscher Bundestag, Bestandsaufnahmen im Vergleich, Opladen. The Economist (31.10.92): Building blocks or stumbling blocks?: Are regional trading blocks a better route to global free trade than multilateral trade negociations ?, in: The Economist, Vol. 325, No. 7783, 31. Okt.- 6. Nov. 1992, S. 73. - (10.6.95): This year's summit, sowie: The G7 Summit, A modest proposal, in: The Economist, Vol. 335, No. 7918, 10. - 16. Juni 1995, S. 13 fund 19 ff. Therien, Jean-Philippe (1990): Une voix pour le Sud: le discours de la CNUCED, M ontreal 1990. Thomas, Christopher / Tereposky, Greg A. (1993): The Evolving Relationship Between Trade and Enwironmental Regulation, in: Journal 0/ World Trade, Vol. 27, Nr. 4, S. 23-45. Tiebout, Charles M. (1956): A Pure Theory of Local Expenditures, in: Journal Political Economy, Nr. 64, S. 416-424.
0/
Tietzel, Manfred (1981a): Die Rationalitätsannahme in den Wirtschaftswissenschaften oder: Der homo oeconomicus und seine Verwandten, in: Jahrbuch jür Sozialwissenschaften, Bd. 32, S. 115-138. - (1981b): Die Ökonomie der Property Rights: Ein Überblick, in: Zeitschrift jür Wirtschaftspolitik, Bd. 30, S. 207-243. - (1991): Der neue Institutionalismus auf dem Hintergrund der alten Ordnungsdebatte, in: Jahrbuchjür Neue Politische Ökonomie, Bd. 10, S. 3-37. Tollison, Robert D. (1982): Rent Seeking - A Survey, in: Kyklos, Nr. 35, S. 575-602. Tscho/en, F. (1992): Multilateral Approaches to the Treatment of Foreign Investment, in: Foreign Investment Law Journal, Nr. 7, S. 384-427. Tullock, Gordon (1965): The Politics of Bureaucracy, Washington D.C. Tumlir, Jan (1979): Weltwirtschaftsordnung: Regeln, Kooperation und Souveränität, Kieler Vorträge, Nr. 87, Tübingen. - (1983): International Economic Order and Democratic Constitutionalism, in: ORDO, Bd. 34, S. 71-83. - (1989): Franz Böhm and the development of Economic-constitutional Analysis, in: Peacock, Alan / Willgerodt, Hans (Hrsg.): German Neo-Liberals and the Social Market Economy, London. Ullmann-Margalit, E. (1977): The Emergence of Norms, Oxford. - (1978): Invisible-Hand Explanations, in: Synthese, Bd. 39, S. 263 ff.
Literaturverzeichnis
333
UNCTAD (1991): Environment and International Trade, Report by the Secretary General of UNCTAD, Genf. UNDP (1992): Human development report, New York. USIrEC (1988): Economic Effects of Intellectual Property Rights Infringement, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 22, Nr. 4, S. 101-114. US Mission Genf(1982): Daily Bulletin, Nr. 219 vom 18. Dezember. Vanberg, Viktor (1975): Die zwei Soziologien: Individualismus und Kollektivismus in der Sozialtheorie, Tübingen. - (1982a): Markt und Organisation: Individualistische Sozialtheorie und das Problem des korporativen Handelns, Tübingen. - (1982b): Der individualistische Ansatz zu einer Theorie der Entstehung und Entwicklung von Institutionen, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 2, S. 50-69. - (1992): A Constitutional Political Economy Perspective on International Trade, in: ORDO, Bd. 43, S. 375-392. - (1993): Constitutionally Constrained and Safeguard Competition in Markets and Politics - With Reference to a European Constitution, in: Journal des Economistes . et des Etudes Humaines, Nr. 4, S. 3-27. - (1994): Wettbewerb in Markt und Politik - Anregungen für die Verfassung Europas, COMDOK, Sankt Augustin.
Vanberg, Viktor / Kerber, Wolfgang (1994): Institutional Competition Among Jurisdictions: An Evolutionary Approach, in: Constitutional Political Economy, Nr. 5 (2), S. 193-219. Vaughn, Karen I. (1979): Does it matter that costs are subjective?, in: Southem Economic Journal, Bd. 46, S. 702 ff. Veljanovski, Cento G. (1982): The New Law-and-Economics. A Research Review, Centre for Socio-Legal Studies, Oxford. Vermulst, E. (1992): Rules of Origin as Commercial Policy Instruments - Revisited, in: Journal ofWorld Trade, Vol. 26, Nr. 6, S. 61-102. Vihanto, Martti (1992): Competition Between Local Governments as a Discovery Procedure, in: JIrE, Nr. 148, S. 411-436. Viner, J. (1923): Dumping: A Problem in International Trade, Chicago. Voigt, Stefan (1992): Die Welthandels ordnung zwischen Konflikt und Stabilität Konfliktpotentiale und Konfliktlösungsmechanismen, Haufe: Freiburg. Voigt, Stefan / Kiwit, Daniel (1994): On the Iterrelatedness of Internal and External Institutions, unveröffentlichtes Diskussionspapier am Max-Planck-Institut Jena.
334
Literaturverzeichnis
Voss, Thomas (1985): Rationale Akteure und soziale Institutionen: Beitrag zu einer endogenen Theorie sozialen Tauschs, München. Wallis, John J. / North, Douglass C. (1986): Measuring the Transaction Sector in the American Economy, 1870-1970, in: Engermann/Gallmann, S. 95-161. Waschkuhn, Amo (1992): Grenzen des politisch-ökonomischen Ansatzes Olsons aus systemtheoretischer Sicht, in: Schubert, Klaus (Hrsg.): Leistungen und Grenzen politisch-ökonomischer Theorie, Eine kritische Bestandsaufnahme zu Mancur 01son, Darmstadt, S. 28-43. Wassermann, Rudolf (1990): Politik im mediatisierten Dialog, in: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Internationale Koordination und Kooperation: stille Diplomatie, politischer Dialog, innovativer Wettbewerb, Hamburg, S. 17-27. Weber, Max (1921/76): Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl., Tübingen. - (1922/85): Wirtschaft und Gesel1schaft: Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. rev. Aufl., besorgt von Johannes Winckelmann: Tübingen. Weise, Peter (1989): Homo oeconomicus und homo sociologicus. Die Schreckensmänner der Sozialwissenschaften, in: Zeitschriftjür Soziologie, Jg. 18, S. 148-161. - (1990): Der synergetische Ansatz zur Analyse der gesel1schaftlichen Selbstorganisation, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 8, Individuel1es Verhalten und kol1ektive Phänomene, Frankfurt. Whalley, J. (1991): The interface between environmental and trade policies, in: EconomicJoumal, Nr. 101, S. 180-189. Wiesenthai, H. (1987a): Rational choice. Ein Überblick über Grundlinien, Theoriefelder und neuere Themenakquisition eines sozialwissenschaftlichen Paradigmas, in: Zeitschriftjür Soziologie, Nr. 16, S. 434-449. Wieser, Friedrich von (1926): Das Gesetz der Macht, Wien. Williamson, Oliver E. (1985): The Economic Institutions of Capitalism. Firms, Markets, Relational Contracting, New York. - (1989): Transaction Cost Economics, in: Schmalensee, Richard / Willig, Robert D. (Hrsg.): Handbook of Industrial Organization, Bd. I, S. 135 ff. - (1993): The Evolving Science of Organization, in: JITE, Nr. 149/1, S. 36-63. Wiseman, Jack (1989): Cost, Choice and Political Economy, Cheltenham. Wirt, Ulrich (1987): Individualistische Grundlagen der Evolutorischen Ökonomik, Tübingen. - (1989): Subjectivism in Economics - A Suggested Reorientation, in: Grunert:, K. G. / Ölander, F (Hrsg.): Understanding Economic Behaviour, Dordrecht u.a., S. 409-431.
Literaturveneichnis
335
- (1992): Turning Austrian Economics into an Evolutionary Theory, in: Calswell, Bruce J. / Böhm, Stephan (Hrsg.): Austrian Economics: Tensions and New Directions, Boston! Dordrechtl London.
Wittgenstein, Ludwig (1918/84): Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt am Main. Wohlgemuth, Michael (1994a): Economic and Political Competition in Neoclassical and Evolutionary Perspektive, Diskussionsbeitrag am MPI zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena. - (1994b): Institutional Competition - An Unfmished Agenda, unveröffentlichtes Diskussionspapier des MPI zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena.
Wohlrapp, Harald R. (1979): Handlungsforschung, in: Ders. (Hrsg.) Methodenprobleme der Wissenschaften vom gesellschaftlichen Handeln, Frankfurt am Main. Wolter, Frank (1988): Freihandel und Gruppeninteresse, in: Streit, Manfred E. (Hrsg.): Wirtschaftspolitik zwischen ökonomischer und politischer Rationalität; Festschrift für Herbert Giersch, Wiesbaden, S. 27-44. World Bank and Oxford University Press (1992): World Development Report - Development and the Environment, Washington, DC. World Commission On Environment And Development, WCED (The Brundtland Commission) (1987): Our Common Future, New York. World Trade Organization, Press Release, verschiedene Nummern, ab 27. Januar 1995. Yarbrough, Beth V. / Yarbrough, Robert M. (1994): International Contracting and Territorial Control: The Boundary Question, in: I/TE, Vol. 150, No. 1, S. 239278. Young, Michael D. (1994): Ecologically-accelerated trade liberalisation: a set of disciplines for environment and trade agreements, in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 1, S. 43-52. Zimmerli, Walter Ch. (1994): Ein widerständiger Denker. Hommage an den Philosophen Jürgen Habermas, in: Süddeutsche Zeitung, 18./19. Juni 1994, Feuilleton. Zoller, Elisabeth (1992): Droit des relations exterieures, Paris.