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German Pages 427 [428] Year 2016
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 360 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Mathäus Mogendorf
Der strukturell unterlegene Unternehmer im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht Eine vergleichende Untersuchung des europäischen und US-amerikanischen Rechts
Mohr Siebeck
Mathäus Mogendorf, geboren 1984; Studium der Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School, Hamburg; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Privat- und Handelsrecht an der Bucerius Law School; Master of Laws an der University of California, Berkeley, School of Law; Referendariat am Kammergericht, Berlin; seit 2015 Rechtsanwalt in Berlin.
e-ISBN PDF 978-3-16-154589-4 ISBN 978-3-16-154563-4 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2016 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit hat im Wintersemester 2013/2014 der Bucerius Law School in Hamburg als Dissertation vorgelegen. Die mündliche Prüfung fand am 10. November 2015 in Hamburg statt. Literatur und Rechtsprechung konnten bis November 2015 ausgewertet werden. Danken möchte ich zuvorderst meinem Lehrer Professor Dr. Karsten Thorn, der das Thema der Arbeit anregte und stets zu Diskussionen darüber bereit war. Die Zeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promotionsstudent an seinem Lehrstuhl an der Bucerius Law School war juristisch wie persönlich außerordentlich bereichernd. Für die umfassende Unterstützung und Förderung meiner wissenschaftlichen Arbeit bin ich sehr dankbar. Professor Dr. Florian Faust gilt mein Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens und für viele gute Ratschläge zum Thema dieser Arbeit. Steven Leunert, Paul Hauser, Thomas Richter, Sarah Nietner und Alexander Iken waren stets bereit, sich mit meiner Arbeit auseinanderzusetzen. Ich danke Ihnen für unzählige wertvolle Anregungen. Tobias von Arciszewski und Nikolaus Schmidt-Hamkens haben dankenswerterweise das Korrekturlesen übernommen. Ferner gilt mein Dank der Studienstiftung des deutschen Volkes, welche die Entstehung dieser Arbeit mit einem Promotionsstipendium gefördert hat. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern. Auf ihre Unterstützung habe ich mich immer verlassen können. Berlin, 10. Oktober 2016
Mathäus Mogendorf
Inhaltsübersicht Vorwort ........................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis ............................................................................................. XI Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................XIX
Einführung ....................................................................................................... 1 § 1 Gegenstand der Arbeit ............................................................................. 1 § 2 Ziel der Arbeit und Gang der Darstellung............................................... 4
Kapitel 1: Der strukturell unterlegene Unternehmer ........................... 6 § 1 Der Subway-Fall ..................................................................................... 6 § 2 Der Begriff des strukturell unterlegenen Unternehmers ......................... 6 § 3 Merkmale struktureller Unterlegenheit ................................................. 10 § 4 Folgen struktureller Unterlegenheit ...................................................... 17 § 5 Rechtspolitische Erwägungen zur Erforderlichkeit eines schützenden Eingriffs ............................................................................ 20
Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts ......................... 26 § 1 Deutsches Recht..................................................................................... 26 § 2 Überblick über weitere europäische Rechtsordnungen ......................... 35 § 3 US-amerikanisches Recht ...................................................................... 40 § 4 Schlussfolgerung.................................................................................... 46
Kapitel 3: Gerechtigkeit im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht ........................................................................ 51 § 1 Ziele des Internationalen Privatrechts .................................................. 51 § 2 Übertragung auf das Internationale Zivilverfahrensrecht .................... 57
X
Inhaltsübersicht
§ 3 Die Vornahme eines Interessenausgleichs ............................................ 58
Kapitel 4: Schutz auf Ebene des Internationalen Privatrechts ........ 70 § 1 Europäisches Kollisionsrecht ................................................................ 70 § 2 US-amerikanisches Kollisionsrecht ..................................................... 156 § 3 Rechtsvergleich.................................................................................... 196
Kapitel 5: Schutz auf Ebene des Internationalen Zivilverfahrensrechts ............................................................ 215 § 1 Europäisches Internationales Zivilverfahrensrecht ............................. 215 § 2 Deutsches Internationales Zivilverfahrensrecht .................................. 236 § 3 US-amerikanisches Zivilverfahrensrecht ............................................. 293 § 4 Rechtsvergleich.................................................................................... 317
Kapitel 6: Systematisierung de lege ferenda ..................................... 325 § 1 Der persönliche Schutzbereich ............................................................ 328 § 2 Die Ausgestaltung des Schutzes ........................................................... 345
Kapitel 7: Zusammenfassung und Ausblick ...................................... 379 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 381 Materialienverzeichnis .................................................................................... 399 Sachregister ..................................................................................................... 401
Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ................................................................................................ IX Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................XIX
Einführung ....................................................................................................... 1 § 1 Gegenstand der Arbeit ............................................................................. 1 § 2 Ziel der Arbeit und Gang der Darstellung............................................... 4
Kapitel 1: Der strukturell unterlegene Unternehmer ........................... 6 § 1 Der Subway-Fall ..................................................................................... 6 § 2 Der Begriff des strukturell unterlegenen Unternehmers ......................... 6 § 3 Merkmale struktureller Unterlegenheit ................................................. 10 A. Wirtschaftliche Stärke........................................................................ 11 B. Juristische und geschäftliche Unerfahrenheit ..................................... 12 C. Unterlegene Marktmacht.................................................................... 13 D. Informationsasymmetrie .................................................................... 14 E. Zwischenergebnis ............................................................................... 16 § 4 Folgen struktureller Unterlegenheit ...................................................... 17 § 5 Rechtspolitische Erwägungen zur Erforderlichkeit eines schützenden Eingriffs ............................................................................ 20
XII
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts ......................... 26 § 1 Deutsches Recht..................................................................................... 26 A. §§ 84 ff. HGB .................................................................................... 26 I. Handelsvertretervertrag .................................................................. 26 II. Vertragshändlervertrag .................................................................. 29 III. Franchising................................................................................... 31 B. Versicherungsrecht ............................................................................ 32 C. § 307 BGB ......................................................................................... 32 I. Einführung ...................................................................................... 32 II. AGB-Kontrolle am Beispiel des Franchisevertrags ...................... 34 § 2 Überblick über weitere europäische Rechtsordnungen ......................... 35 A. Handelsvertreterrecht in der EU ........................................................ 36 B. Sonstige Regelungen der Mitgliedstaaten .......................................... 37 I. Überblick ........................................................................................ 37 II. Der Schutz des Subunternehmers .................................................. 38 § 3 US-amerikanisches Recht ...................................................................... 40 A. Überblick ........................................................................................... 40 B. Rechtslage in den Einzelstaaten und im Bund ................................... 41 I. Bundesrecht .................................................................................... 41 II. Rechtslage in den Einzelstaaten .................................................... 43 § 4 Schlussfolgerung.................................................................................... 46 A. Erforderlichkeit des schützenden Eingriffs ........................................ 47 B. Unterschiede in Schutzniveau und Regelungstechnik ........................ 48 C. Wettbewerb der Rechtsordnungen ..................................................... 49
Kapitel 3: Gerechtigkeit im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht ........................................................................ 51 § 1 Ziele des Internationalen Privatrechts .................................................. 51 A. Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit ....................................... 51 B. „Materialisierung“ des IPR ................................................................ 54 § 2 Übertragung auf das Internationale Zivilverfahrensrecht .................... 57 § 3 Die Vornahme eines Interessenausgleichs ............................................ 58
Inhaltsverzeichnis
XIII
A. Parteiautonomer Interessenausgleich ................................................. 59 B. Erforderlichkeit der Begrenzung der Parteiautonomie ....................... 62 C. Herstellung internationalprivat- und verfahrensrechtlicher Gerechtigkeit ...................................................................................... 63 D. Die maßgeblichen Interessen ............................................................. 64 I. Schutz der strukturell unterlegenen Partei ...................................... 64 II. Interessen der überlegenen Partei .................................................. 65 III. Rechtssicherheit ........................................................................... 65 IV. Internationaler Entscheidungseinklang ........................................ 66 V. Ökonomische Analyse .................................................................. 68
Kapitel 4: Schutz auf Ebene des Internationalen Privatrechts ........ 70 § 1 Europäisches Kollisionsrecht ................................................................ 70 A. Grundsatz der freien Rechtswahl ....................................................... 70 B. Einschränkungen der Parteiautonomie ............................................... 71 I. Binnensachverhalt und Binnenmarktklausel................................... 71 II. Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz ......................................... 73 III. Transportverträge ......................................................................... 73 IV. Versicherungsverträge ................................................................. 74 1. Die Rechtslage nach der Rom I-Verordnung .............................. 75 a) Überblick ................................................................................ 75 b) Die Beschränkungen der Rechtswahl nach Art. 7 Abs. 3....... 77 2. Der Schutzzweck der Norm ........................................................ 79 3. Die Abgrenzungskriterien ........................................................... 82 4. Zwischenergebnis ....................................................................... 87 V. Schutz des Unternehmers durch Eingriffsnormen ......................... 88 1. Einführung .................................................................................. 89 a) Sonderprivatrecht als Eingriffsnorm ...................................... 89 b) Inländische Eingriffsnormen .................................................. 93 c) Ausländische Eingriffsnormen ............................................... 94 2. Die Ingmar-Entscheidung des EuGH ......................................... 97 a) Urteil des EuGH und Schlussantrag des Generalanwalts ....... 97 b) Analyse des Urteils .............................................................. 100 c) Schaffung von Richtlinienkollisionsrecht ............................ 109 d) Folgerungen aus der EuGH-Entscheidung ........................... 111 e) Zwischenergebnis ................................................................. 118 3. Die Subunternehmerentscheidung der Cour de cassation ......... 119 a) Der Sachverhalt und die Entscheidung ................................. 119 b) Analyse des Urteils .............................................................. 121 c) Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten ................................ 124
XIV
Inhaltsverzeichnis
d) Zwischenergebnis................................................................. 130 4. Ergebnis .................................................................................... 131 C. Objektive Anknüpfung ..................................................................... 134 I. Einleitung ..................................................................................... 134 II. Franchise- und Vertriebsverträge ................................................ 136 1. Interessenausgleich anhand der charakteristischen Leistung .... 137 a) Franchiseverträge ................................................................. 137 b) Der Vertriebshändlervertrag................................................. 139 c) Kollisionsrechtlicher Interessenausgleich ............................ 140 2. Interessenausgleich anhand von Regelanknüpfungen zugunsten der schwächeren Partei ........................................... 142 a) Die Schutzwirkung der Vorschriften .................................... 142 b) Rechtssicherheit ................................................................... 146 c) Internationaler Entscheidungseinklang ................................ 148 d) Rechtsökonomische Betrachtung ......................................... 148 3. Zwischenergebnis ..................................................................... 149 III. Versicherungsverträge ............................................................... 150 1. Rechtslage nach der Rom I-VO ................................................ 151 2. Kollisionsrechtlicher Interessenausgleich ................................. 153 3. Zwischenergebnis ..................................................................... 154 IV. Ergebnis ..................................................................................... 155 § 2 US-amerikanisches Kollisionsrecht ..................................................... 156 A. Einleitung......................................................................................... 156 B. Systematik des Internationalen Vertragsrechts im Restatement of the Law (Second) Conflict of Laws ................................................. 160 I. Überblick ...................................................................................... 160 II. Rechtswahl .................................................................................. 161 III. Objektive Anknüpfung............................................................... 163 C. Einschränkungen der Rechtswahl nach § 187 Abs. 2 Restatement (Second) Conflict of Laws ............................................................... 165 I. Einführung .................................................................................... 165 II. Prüfungsreihenfolge .................................................................... 166 III. Fundamental Policy ................................................................... 166 IV. Die international zwingende Durchsetzung der lex fori ............. 171 1. Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al. ......................................................................................... 171 a) Sachverhalt ........................................................................... 171 b) Urteilsbegründung ................................................................ 172 c) Analyse ................................................................................. 173 2. Tendenz des Heimwärtsstrebens ............................................... 175
Inhaltsverzeichnis
XV
3. Günstigkeitsprinzip und räumlich begrenzter Anwendungswille .................................................................... 177 a) Die unterschiedlichen Strömungen in der Rechtsprechung .. 177 b) Stellungnahme ...................................................................... 182 V. Die international zwingende Durchsetzung ausländischen Rechts ......................................................................................... 184 1. Durchsetzung forumsfremder policy gegenüber der lex fori .... 184 2. Durchsetzung der lex fori gegenüber forumsfremder policy .... 186 a) Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.......................................................................... 186 b) Bewertung der Entscheidung ............................................... 188 c) Schlussfolgerungen .............................................................. 190 VI. Zwischenergebnis ...................................................................... 192 D. Objektive Anknüpfung .................................................................... 193 § 3 Rechtsvergleich.................................................................................... 196 A. Regelungstechnik ............................................................................. 196 I. Subjektive Anknüpfung ................................................................ 196 1. Fundamental policy und Eingriffsnormen ................................ 198 2. Zu berücksichtigende Rechtsordnungen ................................... 200 II. Objektive Anknüpfung ................................................................ 202 B. Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit ...................................... 204 I. Schutzintensität ............................................................................. 204 1. Subjektive Anknüpfung ............................................................ 204 2. Objektive Anknüpfung ............................................................. 209 II. Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit .............................. 210 III. Rechtsökonomische Erwägungen .............................................. 212 C. Ergebnis ........................................................................................... 213
Kapitel 5: Schutz auf Ebene des Internationalen Zivilverfahrensrechts ............................................................ 215 § 1 Europäisches Internationales Zivilverfahrensrecht ............................. 215 A. Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen ..................... 216 I. Überblick ...................................................................................... 217 II. Schutzintensität ........................................................................... 218 III. Persönlicher Schutzbereich ........................................................ 220 IV. Räumlicher Schutzbereich ......................................................... 222 V. Zwischenergebnis........................................................................ 224 B. Allgemeine Missbrauchskontrolle ................................................... 225
XVI
Inhaltsverzeichnis
I. Zulässigkeit einer unionsrechtlichen Missbrauchskontrolle ......... 226 1. Wortlaut .................................................................................... 227 2. Historie ..................................................................................... 228 3. Systematik ................................................................................ 228 4. Telos ......................................................................................... 230 II. Rückgriff auf die lex causae? ...................................................... 231 III. Zwischenergebnis ...................................................................... 233 C. Absicherung international zwingenden Rechts ................................ 233 D. Zwischenergebnis ............................................................................ 236 § 2 Deutsches Internationales Zivilverfahrensrecht .................................. 236 A. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen .............................. 236 I. Verbleibender Anwendungsbereich des autonomen Zivilverfahrensrechts .................................................................. 236 II. Der Sonderfall des § 215 VVG ................................................... 237 1. Definition des Schutzbereichs .................................................. 238 2. Bewertung ................................................................................. 240 III. Überblick über § 38 ZPO ........................................................... 241 IV. Ansatzpunkte einer Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen .................................................... 244 V. Allgemeine Missbrauchskontrolle .............................................. 246 1. Entwicklung der Rechtsprechung ............................................. 247 2. Dogmatische Verankerung ....................................................... 248 a) Das auf eine allgemeine Missbrauchskontrolle anwendbare Recht ................................................................ 249 b) Anwendbarkeit deutschen Rechts ........................................ 250 c) Anwendbarkeit ausländischen Rechts .................................. 251 VI. Absicherung international zwingenden Rechts .......................... 255 1. Entwicklung der Rechtsprechung ............................................. 256 2. Dogmatische Verankerung ....................................................... 259 3. Statthaftigkeit einer präventiven Prüfung ................................. 265 VII. Zwischenergebnis ..................................................................... 270 1. Schutzwirkung .......................................................................... 270 2. Rechtssicherheit ........................................................................ 272 B. Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen ......................................... 273 I. Struktur des Schiedsverfahrens ..................................................... 273 II. Allgemeine Missbrauchskontrolle ............................................... 274 1. Das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht ............... 274 2. Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach lex causae ....... 277 3. Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach deutscher lex fori ........................................................................................... 279 III. Absicherung international zwingenden Rechts .......................... 283
Inhaltsverzeichnis
XVII
1. Aufhebungs- und Anerkennungsverfahren ............................... 284 2. Präventive Kontrolle im Einredeverfahren ............................... 285 a) Dogmatische Einordnung ..................................................... 286 b) Statthaftigkeit einer präventiven Kontrolle .......................... 287 c) Verlagerung der Prüfung in das Schiedsverfahren ............... 289 IV. Zwischenergebnis ...................................................................... 293 § 3 US-amerikanisches Zivilverfahrensrecht............................................. 293 A. Einleitung......................................................................................... 293 B. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen .............................. 295 I. Grundsatz der Parteiautonomie ..................................................... 295 II. Einschränkungen aufgrund Missbrauchs überlegener Verhandlungsposition ................................................................. 297 III. Einschränkung aufgrund der Umgehung zwingenden Rechts.... 299 IV. Zwischenergebnis ...................................................................... 303 C. Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen ......................................... 303 I. Das auf Schiedsvereinbarungen anwendbare Recht ..................... 304 II. Einschränkungen aufgrund Missbrauchs überlegener Verhandlungsposition ................................................................. 307 III. Einschränkung aufgrund der Umgehung zwingenden Rechts.... 308 1. Bundesrechtliche public policy ................................................. 309 2. Einzelstaatliche public policy ................................................... 312 3. Aufhebung sowie Anerkennung und Vollstreckung ................. 315 IV. Zwischenergebnis ...................................................................... 316 § 4 Rechtsvergleich.................................................................................... 317 A. Regelungstechnik ............................................................................. 317 I. Missbrauchskontrolle.................................................................... 317 II. Prozessuale Absicherung international zwingenden Rechts ........ 318 III. Schaffung von zwingenden Schutzgerichtsständen ................... 320 B. Internationalprozessrechtliche Gerechtigkeit ................................... 320
Kapitel 6: Systematisierung de lege ferenda ..................................... 325 § 1 Der persönliche Schutzbereich ............................................................ 328 A. Überblick ......................................................................................... 328 B. Modell 1: Allgemeine Kontrolle ...................................................... 328 C. Modell 2: Vertragstypenabhängige Kontrolle .................................. 329 D. Modell 3: Definition des strukturell unterlegenen Unternehmers .... 331 E. Stellungnahme .................................................................................. 337
XVIII
Inhaltsverzeichnis
I. Identifikation der schwächeren Partei........................................... 337 II. Rechtssicherheit .......................................................................... 339 III. Rechtsökonomische Betrachtung ............................................... 341 IV. Zwischenergebnis ...................................................................... 344 § 2 Die Ausgestaltung des Schutzes ........................................................... 345 A. Internationales Privatrecht ............................................................... 345 I. Objektive Anknüpfung ................................................................. 345 II. Subjektive Anknüpfung ............................................................... 347 1. Modell 1: Ausschluss der Parteiautonomie ............................... 347 2. Modell 2: Erfordernis eines freien Aushandelns ....................... 348 3. Modell 3: Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen ...... 348 4. Modell 4: Günstigkeitsprinzip .................................................. 350 5. Stellungnahme .......................................................................... 351 a) Schutz der schwächeren Partei ............................................. 351 b) Interessen der strukturell überlegenen Partei ....................... 353 c) Rechtssicherheit ................................................................... 353 d) Rechtsökonomische Betrachtung ......................................... 355 e) Zwischenergebnis ................................................................. 361 III. Ermittlung des Formstatuts ........................................................ 362 IV. Normvorschlag .......................................................................... 364 B. Internationales Zivilverfahrensrecht ................................................ 365 I. Kontrolle bereits im Erkenntnisverfahren ..................................... 365 II. Beschränkung von Gerichtsstandsvereinbarungen ...................... 366 III. Klägergerichtsstand .................................................................... 368 1. Binnenmarktsachverhalte.......................................................... 370 2. Sachverhalte mit Drittstaatenbezug .......................................... 371 3. Zwischenergebnis ..................................................................... 373 IV. Besonderheiten für Versicherungssachen .................................. 375 V. Vollstreckung .............................................................................. 375 VI. Schiedsverfahrensrecht .............................................................. 376 VII. Normvorschlag ......................................................................... 377
Kapitel 7: Zusammenfassung und Ausblick ...................................... 379 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 381 Materialienverzeichnis .................................................................................... 399 Sachregister ..................................................................................................... 401
Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. EG ABl. EU Abs. AcP AEntG
AEUV
AG Am. J. Comp. L. Am. J. Trial Advoc. AnwBl. AnwK App. Div. Art. ATTR Aufl. AWD BAG BB Bd. BGB BGBl. BGH BGHZ Brüssel I-VO
anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft (1958 ff.) Amtblatt der Europäischen Union (2003 ff.) Absatz Archiv für die civilistische Praxis (1820 ff.) Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer vom 26.02.1996 (BGBl. I S. 227 ff.) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 9.4.2008 (ABl. EU Nr. C 115 vom 09.05.2008, S. 47 ff.) Amtsgericht The American Journal of Comparative Law (Ann Arbor, Michigan, 1952 ff.) American Journal of Trial Advocacy (Birmingham, Alabama, 1972 ff.) Anwaltsblatt (1926–1933, 1951 ff.) Anwaltkommentar Appellate Division Artikel Antitrust & Trade Regulation Report (Washington, D.C., 1961 ff.) Auflage Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (1958–1974) Bundesarbeitsgericht Betriebs-Berater – Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft (1946 ff.) Band Bürgerliches Gesetzbuch vom 19.08.1896 (RGBl. S. 195 ff.) Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (1951 ff.) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG Nr. L 12 vom 16.01.2001, S. 1 ff.)
XX Brüssel Ia-VO
BT-Drucks. Bus. Law. BVerfG bzw. Cal.App.3rd / 4th Bus. & Prof. Code Cal. L. Rev. Cass. Cass. civ. Cass. com. C. D. Cir. CMLR Cornell L. Rev. Cornell Int’l L. J. D D. DB Del. Code Ann. ders. dies. d.h. DStR Duke L. J. DZWiR ebd. E. D. EFZG
EG EGV
Einl. Entrepreneurial Bus. L. J. EU EuGH EuGHE EuGVÜ
Abkürzungsverzeichnis Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU Nr. L 351 vom 20.12.2012, S. 1 ff.) Drucksachen des Deutschen Bundestages (1949 ff.) Business Lawyer (Chicago, 1946 ff.) Bundesverfassungsgericht beziehungsweise California Appellate Reports, Third / Fourth Series Business and Professions Code California Law Review (Berkeley, 1912 ff.) Cour de cassation (Frankreich) Cour de cassation, chambre civile (Frankreich) Cour de cassation, chambre commerciale (Frankreich) (Federal District Court for the) Central District (of) Circuit of the Court of Appeals Common Market Law Review (Den Haag, 1963 ff.) Cornell Law Review (Ithaca, 1915 ff.) Cornell International Law Journal (Ithaca, 1968 ff.) Recueil Dalloz (Paris, 1924–1944; 2003 ff.) United States District Court Der Betrieb (1948 ff.) Delaware Code Annotated derselbe dieselbe(n) das heißt Deutsches Steuerrecht (1991 ff.) Duke Law Journal (Durham, North Carolina, 1957 ff.) Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (1999 ff.) ebenda (Federal District Court for the) Eastern District (of) Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) vom 26.05.1994 (BGBl. I S. 1014) Europäische Gemeinschaft(en) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 07.02.1992 (BGBl. II S. 1253, 1256) in der Fassung vom 02.10.1997 (BGBl. II S. 287) Einleitung Entrepreneurial Business Law Journal (Buffalo, New York, 2006 ff.) Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entschei-
Abkürzungsverzeichnis
EuLF EuÜ
EUV
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EWG EWiR EWS EuZ f. F.2d F.3d FAA Fed. Appx. ff. Fn. Ford. L. Rev. Franchise L. J. FS F.Supp. F.Supp. 2d ggf. GPR GWB HandelsvertreterRL
HGB h.L h.M. HOAI Hous. J. Int’l L. Hrsg. Hs. i.d.R. Ill. App. 3d
XXI
dungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (BGBl. 1972 II S. 774 ff.) The European Legal Forum, deutschsprachige Ausgabe (2000–2004) Genfer Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.1961 (BGBl. 1964 II S. 426) Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon vom 13.12.2007 (konsolidierte Fassung: ABl. EU Nr. C 115 vom 09.05.2008, S. 13 ff.) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (1990 ff.) Römisches EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.06.1980 (BGBl. 1986 II S. 810) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (1985 ff.) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht, Betriebs-Berater für Europarecht (1990 ff.) Zeitschrift für Europarecht (Zürich, 1998 ff.) folgende/r Federal Reporter, Second Series Federal Reporter, Third Series Federal Arbitration Act (9 U.S.C. §§1–16; 201–208) Federal Appendix folgende Fußnote Fordham Law Review (New York, 1914 ff.) Franchise Law Journal (Chicago, 1968 ff.) Festschrift Federal Supplement Federal Supplement, Second Series gegebenenfalls Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht (2003 ff.) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27.07.1957 (BGBl. I S. 1081) Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. EG Nr. L 382 vom 31.12.1986, S. 17) Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. S. 219) herrschende Lehre herrschende Meinung Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vom 17.09.1976 (BGBl. I S. 2805) Houston Journal of International Law (Houston, 1978 ff.) Herausgeber Halbsatz in der Regel Illinois Appellate Court Reports, Third Series
XXII i.S.d. i.V.m. IHR Ill. Rev. Stat. Int’l Law. IPR IPRax IPRG IZVR JBl. JALC J. Int’l Arb. JbPraxSchG JR J. Priv. Int’l L. JZ LA Rev. Stat. LG lit. Marq. L. Rev. M. D. Md. L. Rev. Misc. 2d Minn. Stat. MünchKomm MuSchG
m.w.N. N. C. App. N. D. N. E. 2d Neb. Rev. St. NiPR NJOZ N.J. Stat. Ann. N.J.Super NJW NJW-RR NK-BGB Nr. NVwZ NY OGH
Abkürzungsverzeichnis im Sinne des / der in Verbindung mit Internationales Handelsrecht (1999 ff.) Illinois Revised Statute The International Lawyer (Chicago, 1967 ff.) Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (1981 ff.) Schweizerisches Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 1.1.1989 (AS 1988, S. 1776 ff.) Internationales Zivilverfahrensrecht Juristische Blätter (Wien, 1872 ff.) The Journal of Air Law and Commerce (Chicago, Dallas, 1930 ff.) Journal of International Arbitration (Den Haag, 1984 ff.) Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit (1988– 1991) Juristische Rundschau (1947 ff.) Journal of Private International Law (Oxford, 2005 ff.) Juristenzeitung (1951 ff.) Louisiana Revised Statute Landgericht littera Marquette Law Review (Milwaukee, 1916 ff.) (Federal District Court for the) Middle District (of) Maryland Law Review (Baltimore, 1936 ff.) Miscellaneous Reports, Second Series Minnesota Statute Münchener Kommentar Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz), in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.06.2002 (BGBl. I S. 2318) mit weiteren Nachweisen North Carolina Appellate Court Reports (Federal District Court for the) Northern District (of) North Eastern Reporter, Second Series Nebraska Revised Statute Nederlands internationaal privaatrecht ('s-Gravenhage, 1983 ff.) Neue juristische Online-Zeitschrift (2001 ff.) New Jersey Statute Annotated New Jersey Superior Court Reporter Neue Juristische Wochenschrift (1947 ff.) NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (1986 ff.) Nomos Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (1982 ff.) New York Österreichischer Oberster Gerichtshof
Abkürzungsverzeichnis OLG Or. Rev. Stat. P. 3d PWW R+S RabelsZ RDC-TBH Rev. crit. dr. int. pr. Rev. dr. immob. RGBl. Riv. dir. int. priv. e proc RIW RL Rn. Rom I-VO
Rom II-VO
Rs. S. s. SchiedsVZ S. Ct. S. D. S. E. 2d Sem. Jur. s. o. So. 2d s. u. SubUntG
S. W. 3d Tex. Int’l L. J. Tex. L. Rev. Tul. L. Rev. u. a. U. Chi. L. Rev. UCLA L. Rev.
XXIII
Oberlandesgericht Oregon Revised Statute Pacific Reporter, Third Series Prütting/Wegen/Weinreich, BGB Kommentar Recht und Schaden (1974 ff.) Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (1927 ff.) Revue de Droit Commercial – Tijdschrift voor Belgisch Handelsrecht (Brüssel, 1983 ff.) Revue critique de droit international privé (Paris, 1934 ff.) Revue de droit immobilier (Paris, 1979 ff.) Reichsgesetzblatt Rivista di diretto internationale privato e processuale (Padua, 1965 ff.) Recht der internationalen Wirtschaft, Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (1975 ff., vorher AWD) Richtlinie Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU Nr. L 177 vom 04.07.2008, S. 6 ff. Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), ABl. EU Nr. L 199 vom 30.07.2007, S. 40 ff. Rechtssache Seite siehe Zeitschrift für Schiedsverfahren (2003 ff.) Supreme Court Reporter (Federal District Court for the) Southern District (of) South Eastern Reporter, Second Series Semaine Juridique (Paris, 1927 ff.) siehe oben Southern Reporter, Second Series siehe unten Französisches Subunternehmergesetz, Loi n° 75-1334 du 31 décembre 1975 relative à la sous-traitance (Journal Officiel vom 03.01.1976, S. 80 ff.) South Western Reporter, Third Series Texas International Law Journal (Austin, 1972 ff.) Texas Law Review (Austin, 1922 ff.) Tulane Law Review (New Orleans, 1929 ff.) unter anderem University of Chicago Law Review (New York, 1933 ff.) University of California, Los Angeles, Law Review (Los Angeles, 1953 ff.)
XXIV U. Kan. L. Rev. UNÜ
UrhG U. S. U. S. C. v. Vand. J. Transnat’l L. Vand. L. Rev. verb. VersR vgl. VO Vor VuR Wash. L. Rev. Wash Rev. Code W. D. WiB Wis. L. Rev. WL WM Yale L. J. YbPIL z. B. ZEuP ZfRV
ZHR ZIP ZPO ZRP ZVglRWiss ZZP
Abkürzungsverzeichnis University of Kansas Law Review (Lawrence, Kansas, 1952 ff.) New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.06.1958 (BGBl. 1961 II S. 122) Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 09.09.1965 (BGBl. I S. 1273) United States Reports United States Code versus Vanderbilt Journal of Transnational Law (Nashville, 1967 ff.) Vanderbilt Law Review (Nashville, 1947 ff.) verbundene Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung (1950 ff.) vergleiche Verordnung Vorbemerkung Verbraucher und Recht (1986 ff.) Washington Law Review (Seattle, 1925 ff.) Washington Revised Code (Federal District Court for the) Western District (of) Wirtschaftsrechtliche Beratung (1994–1997) Wisconsin Law Review (Madison, Wisconsin, 1920 ff.) Westlaw Citations Wertpapier-Mitteilungen (1947 ff.) Yale Law Journal (New Haven, Connecticut, 1892 ff.) Yearbook of Private International Law (Den Haag, 1999 ff.) zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (1993 ff.) Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht (Wien, 1991 ff.); davor Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Wien, 1960–1990) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (1962 ff.) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (1980 ff.) Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 (RGBl. S. 83) Zeitschrift für Rechtspolitik (1968 ff.) Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (1878 ff.) Zeitschrift für Zivilprozeß (1943 ff.)
Einführung § 1 Gegenstand der Arbeit § 1 Gegenstand der Arbeit
„Die Parteiautonomie verliert ihren Sinn – ebenso wie die materiellrechtliche Vertragsfreiheit –, wenn sie zur Herrschaft des Stärkeren über den Schwachen wird.“1 Diesen Gedanken formulierte Neuhaus bereits im Jahre 1962. Zu dieser Zeit, in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, entwickelten sich Ansätze zu einem systematischen Schutz einer als strukturell unterlegen empfundenen Partei im europäischen Internationalen Vertrags- und Zivilverfahrensrecht. Bereits im Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 19682 finden sich Schutzbestimmungen zugunsten von Versicherungsnehmern und Teilzahlungskäufern. 3 Das römische EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von 1980 (EVÜ)4 sah eine Beschränkung der Parteiautonomie zugunsten von Verbrauchern und Arbeitnehmern vor. 5 Nach dem Bericht zum EVÜ von Giuliano und Lagarde ist Telos dieser Sonderregeln „eine geeignetere Regelung für Sachverhalte zu finden, bei denen die Interessen der Vertragschließenden nicht auf der gleichen Ebene liegen, um damit jener Partei, die in diesem Zusammenhang sozial und wirtschaftlich als die schwächere anzusehen ist, einen angemesseneren Schutz zu gewähren.“ 6 Insbesondere zugunsten des Verbrauchers flankieren diese Vorschriften den gleichzeitig entstandenen materiellrechtlichen Verbraucherschutz. 7 Ziel dieser Regelungen ist der Schutz einer ihrem Vertragspartner gegenüber als strukturell unterlegen angesehenen Partei.8 1
Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, S. 172. Art. 7–12 sowie 13–15 EuGVÜ. 3 Zum Schutzzweck: Jenard-Bericht, ABl. EG Nr. C 59 vom 05.03.1979, S. 33. 4 Art. 5, 6 EVÜ. 5 Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 20 f. und 22 f. 6 Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 22 f. 7 Kluth, Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 23; grundlegend zum Verbraucher als unterlegener Partei: Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 63 ff. 8 von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 399; MünchKommBGB/Martiny Art. 8 Rom I-VO Rn. 2; Staudinger/Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 1. 2
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Einführung
In jüngerer Vergangenheit taucht die Frage auf, inwieweit im internationalen Rechtsverkehr auch zwischen kommerziell tätigen Parteien ein Schutz des Schwächeren erforderlich ist.9 Im Zuge der Ausdehnung des kollisions- und verfahrensrechtlichen Verbraucherschutzes ist in der Literatur immer wieder festgestellt worden, dass keinesfalls allein Verbraucher schutzbedürftig seien, sondern dass es auch zwischen Klein- und Großunternehmen zu Asymmetrien kommen könne.10 Zunächst blieb dieser Befund ohne Konsequenz. Noch 1974 stellte von Hoffmann fest, die Vorstellung, dass im internationalen Handelsverkehr durch Vertragsfreiheit zugleich Vertragsgerechtigkeit verbürgt werde, sei weitgehend ungebrochen. Staaten würden ihre eigene Vorstellung von Vertragsgerechtigkeit hinter dem Nutzen der Teilhabe am freien internationalen Handelsverkehr zurückstellen. 11 Diese Feststellung scheint nicht länger haltbar.12 Vielmehr finden sich in Gesetzgebung wie Rechtsprechung Hinweise darauf, dass auch ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers rechtspolitisch gewollt ist und de lege lata bereits existiert.13 Ausgangspunkt ist das materielle Recht, in welchem sich eine Vielzahl von Schutzbestimmungen auch zugunsten kommerziell tätiger Parteien finden. Im deutschen Recht sind dies etwa die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach § 307 BGB14 sowie die Regelungen der §§ 84 ff. HGB zugunsten des Handelsvertreters, deren analoge Anwendung auf Franchisenehmer und Vertriebshändler erwogen wird. 15 Im belgischen Recht schreibt ein Gesetz Ansprüche des Vertragshändlers fest,16 in mehreren europäischen Staaten, zuvorderst in Frankreich, existieren Schutzvorschriften zugunsten des Subunternehmers. 17 Die europäischen Versicherungsrichtlinien sehen Begünstigungen auch zugunsten des kommerziell tätigen Versicherungsnehmers
9 von Hoffmann, IPRax 1989, 261, 266; Kroeger, Der Schutz der marktschwächeren Partei, S. 69 ff.; Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 100 f.; Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1573, 1578; Weller, IPRax 2011, 429, 435. 10 Kroeger, Der Schutz der marktschwächeren Partei, S. 69; Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 42 ff.; Reinhart, FS Trinkner, S. 657, 667; Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 100 f. 11 von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 401. 12 Später zeigt auch von Hoffmann, IPRax 1989, 261, 266 Parallelen zwischen dem Schutz des Handelsvertreters und dem von Wohnraummietern auf. 13 Ein Überblick findet sich bei Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1573, 1577 f. 14 Zur Wirkung des § 307 BGB im Handelsverkehr: MünchKommBGB/Basedow § 310 Rn. 3 f. 15 MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn. 16, 21. 16 Loi du 13 avril 1971 relative à la résiliation unilatérale des concessiones de vente / Gesetz vom 13. April 1971 über die Kündigung von Vertragshändlerverträgen (deutsche Übersetzung abgedruckt in Stumpf, Der Vertragshändlervertrag, S. 245 ff.; im Überblick: Stumpf, RIW 1993, 542. 17 Rechtsvergleichend dazu: Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 61 ff.
§ 1 Gegenstand der Arbeit
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vor.18 In den Vereinigten Staaten finden sich in vielen Einzelstaaten besondere Regelungen, die die Privatautonomie zugunsten von Franchisenehmern und Vertragshändlern einschränken.19 Die zunehmende Internationalisierung des Handelsverkehrs wirft die Frage auf, welche Folgen sich aus der Existenz eines solchen materiellrechtlichen Schutzes für das europäische Internationale Privat- und Verfahrensrecht ergeben. Indizien für dessen Berücksichtigung sind allgegenwärtig. In der Rom I-Verordnung finden sich mit Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) sowie Art. 7 Abs. 3 Bestimmungen, welche ausweislich der Verordnungsbegründung dem Schutze von Franchisenehmern, Vertriebshändlern und kommerziell tätigen Versicherungsnehmern, mithin eines als strukturell unterlegen angesehenen Unternehmers, zu dienen bestimmt sind. 20 Während die Rom I-Verordnung zugunsten von Franchisenehmern und Vertriebshändlern nur im Falle des Fehlens einer Rechtswahl eingreift, wird der Versicherungsnehmer auch vor einer ihm ungünstigen Rechtswahl bewahrt. Der Europäische Gerichtshof hat ferner den von der Handelsvertreterrichtlinie vorgesehenen Ausgleichsanspruch als Eingriffsnorm qualifiziert und damit der Disposition der Parteien zulasten des Handelsvertreters entzogen. 21 Die französische Cour de cassation sieht das französische Subunternehmergesetz als rechtswahlfest an; 22 Entsprechendes gilt für das belgische Vertragshändlergesetz. 23 Die deutsche Rechtsprechung hält Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten von Drittstaaten für unwirksam, wenn die Nichtanwendung deutscher Eingriffsnormen durch das prorogierte Gericht zu befürchten ist. 24 Darüber hinaus findet sich im autonomen deutschen Recht eine Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen, die den Anspruch erhebt, auch den unternehmerischen Rechtsverkehr zu regeln. 25 Im europäischen Internationalen Verfahrensrecht besteht mit den Art. 10–16 Brüssel Ia-Verordnung ein Schutzregime zugunsten auch des kommerziell tätigen Versicherungsnehmers. Auf diese Weise
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MünchKommVVG/Looschelders § 210 Rn. 1. Dazu ausführlich unten § 3B.II. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005), 650 endg., S. 6; Erwägungsgründe 32, 33 Rom I-VO. 21 EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd./.Eaton Leonhard Technologies Inc.), NJW 2001, 2007. 22 Cass. mixte, Urteil vom 30.11.2007, N° 06–14.006, D 2008, 5; Cass. civ., Urteil vom 30.01.2008, Bull. Civ. III Nr. 16; Cass. Civ., Urteil vom 08.04.2008, Urteil N° 07-10.763, Clunet 2008, 1075; Cass. civ., Urteil vom 25.02.2009, Urteil N° 07-20.096, Bulletin d’information n° 250. 23 Siehe dazu Art. 6 Loi du 13 avril 1971 relative à la résiliation unilatérale des concessiones de vente. 24 So zuletzt OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322. 25 BGH, Urteil vom 03.12.1973, VersR 1974, 470. 19 20
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Einführung
wird der materiellrechtliche Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers auch internationalzivilprozessrechtlich abgesichert. Es finden sich damit zwar diverse Ansätze zum Schutz eines strukturell unterlegenen Unternehmers im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, diese bleiben jedoch Stückwerk. Zum einen ist unklar, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um einen Unternehmer als schützenswert anzusehen, zum anderen findet sich eine große Anzahl unterschiedlicher Regelungstechniken, die zum Schutz unterlegener Unternehmer angewandt werden. Dieser Befund weckt die Befürchtung, die unübersichtliche Rechtslage de lege lata könnte die Rechtssicherheit, eines der Primärziele des europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, 26 im internationalen Handelsverkehr beeinträchtigen. Zugleich ist zweifelhaft, ob auf diese Weise ein Schutz der schwächeren Partei wirksam gewährleistet wird.
§ 2 Ziel der Arbeit und Gang der Darstellung § 2 Ziel der Arbeit und Gang der Darstellung
Diese Arbeit soll zum einen die unterschiedlichen Wirkungen von Schutzbestimmungen zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer de lege lata im deutschen und europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht darstellen. Die jeweiligen Schutzmechanismen sollen auf ihre Wirksamkeit und die durch sie verursachte Belastung des Handelsverkehrs untersucht werden. Im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung soll das US-amerikanische Recht herangezogen werden. In den Vereinigten Staaten entwickelte sich bereits in den 1960er Jahren ein Schutz insbesondere von Franchisenehmern und Vertriebshändlern. Es ist daher zu überprüfen, inwieweit das USamerikanische Recht Gemeinsamkeiten zum europäischen Ansatz aufweist und ob das amerikanische Regelungsmodell Impulse für eine Neuordnung des europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrechts liefern kann. Hierauf aufbauend ist es weiteres Ziel dieser Arbeit, einen Vorschlag zur Systematisierung des Schutzes einer kommerziell tätigen, strukturell unterlegenen Partei de lege ferenda zu entwickeln. In einem ersten Schritt soll zunächst eine Annäherung an den Begriff des strukturell unterlegenen Unternehmers unternommen werden. Zu fragen ist, aufgrund welcher faktisch-wirtschaftlichen Gegebenheiten es zur Unterlegenheit einer kommerziell tätigen Partei kommt und wie sich diese auf Vertragsverhandlungen und den Inhalt eines Vertrags auswirken kann. In einem knappen Überblick werden sodann beispielhaft materiellrechtliche Schutzbestimmungen zum Ausgleich struktureller Unterlegenheit im Handelsverkehr dargestellt, um den erforderlichen Hintergrund für die Betrachtung des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts zu bilden. Im Folgenden sind die Ziele 26
Erwägungsgrund 6 Rom I-VO; Erwägungsgrund 15 Brüssel Ia-VO.
§ 2 Ziel der Arbeit und Gang der Darstellung
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und Wertungen des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts zu ermitteln, die als Maßstab für die weitere Untersuchung dienen. Anschließend werden in einem ersten Schwerpunkt die verschiedenen Mechanismen des europäischen Internationalen Privatrechts zur Einschränkung der Privatautonomie im Handelsverkehr analysiert. Hierzu zählen zuvorderst die Sonderkollisionsnorm für Versicherungsverträge sowie die Begrenzung des Vertragsstatuts zugunsten international zwingenden Rechts. Die Untersuchung soll dabei zwischen der Durchsetzung von unionsrechtlichen und nationalen Eingriffsnormen unterscheiden. In einem zweiten Schritt wird die objektive Anknüpfung auf einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers hin untersucht. Es ist das Ziel dieses Abschnitts zu bewerten, inwieweit Schutzerwägungen zugunsten der schwächeren Partei wirken und möglicherweise andere Ziele des Internationalen Privatrechts, wie etwa das Auffinden des Sitzes eines Rechtsverhältnisses, beeinträchtigen. 27 Anschließend folgt die vergleichende Untersuchung der subjektiven wie objektiven Anknüpfung im USamerikanischen Recht. Einen zweiten Schwerpunkt der Arbeit bildet die Untersuchung des Internationalen Zivilverfahrensrechts. Zu untersuchen ist zunächst das vereinheitlichte europäische Internationale Zivilprozessrecht im Hinblick auf Versicherungssachen und die Existenz einer allgemeinen Missbrauchskontrolle. Mangels einer umfassenden unionsweiten Rechtsvereinheitlichung ist sodann auf das deutsche Internationale Zivilverfahrensrecht einzugehen. Die Betrachtung muss dabei zwischen der Überprüfung von Gerichtsstands- und der von Schiedsvereinbarungen differenzieren. Im Anschluss ist der europäischen bzw. deutschen Rechtslage wiederum die US-amerikanische gegenüberzustellen, um zu ermitteln, welchem Regelungsmodell es eher gelingt, einen effektiven Schutz der schwächeren Partei zu bewirken, ohne den Handelsverkehr unverhältnismäßig zu beeinträchtigen. Auf den rechtsvergleichend gewonnenen Erkenntnissen aufbauend soll sodann ein Vorschlag zur Neuordnung des Schutzes des strukturell unterlegenen Unternehmers einen dritten Schwerpunkt der Arbeit bilden. Hierzu wird zunächst ein Versuch zur Definition des strukturell unterlegenen Unternehmers unternommen, um dann eine effiziente Regelung zu dessen Schutz auf Ebene des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts zu entwickeln.
27
So die Befürchtung von Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 255; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 535; Weller, IPRax 2011, 429, 436.
Kapitel 1
Der strukturell unterlegene Unternehmer § 1 Der Subway-Fall § 1 Der „Subway-Fall“
Das folgende Beispiel soll die Annäherung an den Begriff des strukturell unterlegenen Unternehmers anschaulich machen.1 Der in Berlin wohnhafte Deutsche A beschließt, sich als Franchisenehmer der B selbstständig zu machen. Bei B handelt es sich um einen im US-Bundesstaat New York ansässigen, international erfolgreich operierenden Konzern, der in 98 Ländern ein Netz von 34.726 durch Franchisenehmer betriebenen Schnellrestaurants unterhält.2 Die Restaurants der B erfreuen sich weltweit großer Popularität. Im Internet füllt A ein „Bewerbungsformular“ der B aus. Aufgrund der Angaben des A, über hinreichend finanzielle Mittel zu verfügen, wendet sich C, eine in Amsterdam ansässige Tochtergesellschaft der B, an A und übermittelt ihm im eigenen Namen einen standardisierten Franchisevertrag, der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der C enthält. Unter anderem enthalten diese eine Klausel, nach welcher sämtliche Streitigkeiten zwischen A und C durch ein am Sitz der B in New York ansässiges Schiedsgericht beizulegen sind. Der Vertrag enthält zudem eine Rechtswahlklausel zugunsten liechtensteinischen Rechts. A unterzeichnet den Vertrag. In der Folgezeit eröffnet er nach den Vorgaben der C ein Schnellrestaurant in Berlin, investiert € 200.000 und beschäftigt zwei Angestellte. Nach zwei Jahren des Geschäftsbetriebs kommt es zwischen A und C zu Streitigkeiten über die Höhe der abzuführenden Franchisegebühren. A verweigert die von C verlangte Nachzahlung, woraufhin C ein Schiedsverfahren in New York einleitet.
§ 2 Der Begriff des strukturell unterlegenen Unternehmers § 2 Der Begriff des strukturell unterlegenen Unternehmers
Eine faktische Betrachtung des geschilderten Sachverhaltes lässt keinerlei Zweifel an der Unterlegenheit des Franchisenehmers gegenüber dem Fran1 Der Sachverhalt ist angelehnt an OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, S. 658. 2 Die Daten entstammen Samtleben, FS von Hoffmann, S. 1066, der die Franchiseverträge der US-amerikanischen Aktiengesellschaft Doctor’s Associates, Inc., welche unter der Marke Subway auftritt, untersucht.
§ 2 Der Begriff des strukturell unterlegenen Unternehmers
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chisegeber.3 Fraglich ist jedoch, woher diese rührt. Grundsätzlich ist eine überlegene Verhandlungsposition einer Vertragspartei aus einer Vielzahl von Gründen vorstellbar. Eine solche kann sich aus überlegenem Wissen, wirtschaftlichem Geschick und unternehmerischem Sachverstand oder aufgrund eines Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage ergeben. Eine günstigere Verhandlungsposition, die sich für eine Partei aufgrund dieser Faktoren ergibt und die sich in einer einseitigen Vertragsgestaltung niederschlagen kann, ist dem marktwirtschaftlichen System immanent. Sie folgt grundsätzlich aus situativen Besonderheiten. Im geschilderten Fall verhält es sich anders. Die Unterlegenheit des Franchisenehmers ergibt sich weitgehend unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls. Vielmehr ist im obigen Fall bereits von vornherein ersichtlich, dass der Franchisenehmer dem Franchisegeber unterlegen ist. Dies ergibt sich aus dem beim Abschluss des Franchisevertrags typischerweise vorliegenden wirtschaftlichen Gefälle zwischen den Vertragsparteien sowie der nicht notwendigerweise, aber häufig bestehenden juristischen und wirtschaftlichen Unerfahrenheit des Franchisenehmers. Es kommt hinzu, dass der Franchisenehmer in aller Regel austauschbar ist, weil er lediglich eine Vertriebstätigkeit erbringt, die vergleichsweise geringe eigene wirtschaftliche Fähigkeiten erfordert. Der Franchisegeber hingegen verfügt über ein wertvolles Geschäftsmodell, von welchem der Franchisenehmer für seinen wirtschaftlichen Erfolg abhängig ist. Ersetzte man in dem Beispielsfall die genannten Franchisegeber und Franchisenehmer durch andere Parteien oder änderte den Vertragsinhalt vom Betrieb eines Schnellrestaurants zu dem einer Tankstelle, so bliebe die faktisch-wirtschaftliche Unterlegenheit des Franchisenehmers bestehen. Das Verhältnis der Vertragspartner zueinander ist von ungleicher Struktur; die Überlegenheit der einen Partei gegenüber der anderen ist struktureller Art. Der Begriff der strukturellen Unterlegenheit ist dabei nicht neu. Für Verbraucher und Arbeitnehmer wird seit längerem pauschal vermutet, dass diese in entsprechenden Vertragsbeziehungen als die sozial und wirtschaftlich schwächere Partei anzusehen sind und sich ihre Interessen nicht mit denen ihrer Vertragspartner decken.4 Dies gilt erst recht im internationalen Kontext. Magnus geht von einem „strukturellen Informations- und Erfahrungsungleichgewicht“ bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen aus, 5 Martiny sieht ein „faktisches Ungleichgewicht der Vertragsparteien“ im internationalen Arbeitsvertrag.6 Im Internationalen Versicherungsrecht erkennt Roth ein „typisches Ungleichgewicht“ der Vertragspartner, 7 nach Thorn ist der 3 Allgemein zur Unterlegenheit des Franchisenehmers: Wagenseil, Die Sittenwidrigkeit von Franchisevereinbarungen, S. 146 ff. 4 Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 22 f. 5 Staudinger/Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 1. 6 MünchKommBGB/Martiny Art. 8 Rom I-VO Rn. 2. 7 W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 445.
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Kapitel 1: Der strukturell unterlegene Unternehmer
Beförderte beim Personenbeförderungsvertrag als die „strukturell schwächere Vertragspartei“ anzusehen. 8 Thorn sieht zudem, dass auch zwischen Unternehmern „strukturelle Ungleichgewichtslagen“ bestehen können. 9 Es drängt sich die Vermutung auf, dass sich die Existenz derartiger struktureller Ungleichgewichte zwischen Unternehmern nicht auf den beispielhaft behandelten Franchisevertrag beschränkt, sondern vielmehr eine Reihe von Vertragskonstellationen vorstellbar ist, in denen es zu einem ähnlichen strukturellen Gefälle kommt. Bislang fehlt es jedoch an einer abstrakten rechtlichen Einordnung, obwohl einer solchen große Bedeutung zukäme. Die Differenzierung zwischen lediglich aufgrund der Umstände des Einzelfalls unterlegenen Parteien und strukturell unterlegenen Parteien hat zum Ziel, eine maßgeschneiderte Lösung zum Ausgleich derartiger Ungleichgewichte zu finden. Eine Korrektur in Einzelfällen ist auch ohne eine Kategorisierung mittels einer generalklauselartigen Missbrauchskontrolle möglich, welche sich im deutschen Recht etwa in § 138 BGB findet. Eine solche Lösung kann Härtefälle erfassen und mittels Typisierung die Durchsetzung bestimmter, als missbräuchlich eingestufter Vertragsbestimmungen und Geschäftspraktiken verhindern. Sie wird jedoch durch vom Einzelfall abgeleitete richterliche Rechtsfortbildung geprägt. Da sich Fälle struktureller Unterlegenheit nicht bis ins Detail gleichen, führt ein generalklauselartiger Schutz zu Rechtsunsicherheit und aus Sicht beider Parteien zu geringerer Vorhersehbarkeit. Die Identifikation von strukturell unterlegenen Parteien kann es hingegen ermöglichen, einen gruppenspezifischen Schutz zu gewährleisten, ohne zugleich nicht schutzbedürftige Teilnehmer des Rechtsverkehrs zu beeinträchtigen oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtssicherheit zu verursachen.10 Der Versuch einer solchen Einordnung in die Begrifflichkeiten des europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrechts muss mit der Untersuchung des in der Rom I-VO verwendeten11 und von der Brüssel Ia-VO angedeuteten12 Unternehmerbegriffs beginnen. 13 Unternehmer in diesem Sinne ist eine Partei, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt.14 Sinn und Zweck der Begriffsfestlegung ist es, die Abgrenzung zum Verbraucher zu ermöglichen. 15 Diesem Kriterium folgend fallen im internati8
Rauscher/Thorn Art. 5 Rom I-VO Rn. 76. Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1579. 10 Eine Differenzierung zwischen struktureller Unterlegenheit und solcher im Einzelfall nimmt auch Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 46 vor. 11 Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO; dazu Rauscher/Heiderhoff Art. 6 Rom I-VO Rn. 24. 12 Siehe Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO; dazu Rauscher/Staudinger Vor Art. 15–17 Brüssel I-VO Rn. 2. 13 Zur Entwicklung des europäischen Unternehmerbegriffs: Staudinger/Habermann § 14 BGB Rn. 4 ff. 14 Rauscher/Heiderhoff Art. 6 Rn. 24; Sachse, Der Verbrauchervertrag, 90–92. 15 Staudinger/Magnus Art. 6 Rn. 51. 9
§ 2 Der Begriff des strukturell unterlegenen Unternehmers
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onalen Handelsverkehr beide Parteien eines Vertrags in dieselbe Kategorie. Will man eine Partei als ihrem Gegenüber unterlegen und daher schutzbedürftig identifizieren, so ist eine Binnendifferenzierung nötig, die das geltende Unionsrecht nicht vornimmt. Im deutschen Recht normiert § 14 Abs. 1 BGB einen situativen Unternehmerbegriff, nach welchem Unternehmer ist, wer in Ausübung seiner gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeiten handelt. 16 Dieser ist insoweit enger als der Unternehmerbegriff der Rom I-Verordnung, als er die Selbstständigkeit der beruflichen Tätigkeit erfordert.17 Gemeinsam ist beiden Definitionen jedoch, dass sie keine Binnendifferenzierung zwischen verschiedenen Unternehmern ermöglichen.18 § 512 BGB beschreibt als rechtliche Kategorie den Existenzgründer, zu dessen Gunsten im Falle der Gewährung bestimmter Darlehensverträge, Zahlungsaufschübe oder sonstiger Finanzierungshilfen Verbraucherschutzvorschriften anwendbar sind. Der sachliche wie persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift ist freilich eng.19 Das Handelsrecht kennt nach § 1 Abs. 2 HGB die Differenzierung zwischen einem Handelsgewerbe, das nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, und einem Handelsgewerbe, bei welchem dies nicht der Fall ist. Das HGB kategorisiert Gewerbetriebe anhand der betriebswirtschaftlichen Erforderlichkeit kaufmännischer Einrichtungen.20 Freilich ist Zweck der Kategorisierung weniger der Schutz einer möglicherweise unterlegenen Partei, sondern vielmehr den Bedürfnissen des Handelsverkehrs nach erhöhtem Verkehrsschutz, Rechtssicherheit und formloser Geschäftsabwicklung nachzukommen. 21 Vor diesem teleologischen Hintergrund scheint das Erfordernis eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs nur wenig geeignet, um auf die strukturelle Unterlegenheit eines Unternehmers zu schließen, denn die Gruppe der Gewerbebetriebe, die hiervon erfasst werden, bleibt denkbar heterogen. Zwar verbietet sich eine pauschale Festlegung, doch ist wohl schon ab € 100.000 Jahresumsatz von der Erforderlichkeit einer kaufmännischen Einrichtung auszugehen.22 Die Gruppe potentiell strukturell unterlegener Parteien ist somit größer als die vom Ausschluss des § 1 Abs. 2 HGB erfassten Kleingewerbes. Da es an einer rechtlichen Einordnung des strukturell unterlegenen Unternehmers bislang fehlt, ist dieser Begriff zunächst mit Leben zu füllen. Hierfür
16
Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch § 14 Rn. 1. Zu den Unterschieden des deutschen und unionsrechtlichen Unternehmerbegriffs MünchKommBGB/Micklitz § 14 BGB Rn. 32. 18 Staudinger/Habermann § 14 Rn. 14. 19 MünchKommBGB/Schürnbrand § 512 Rn. 3, 7 f. 20 MünchKommHGB/K. Schmidt § 1 Rn. 72. 21 Canaris, Handelsrecht, § 1 Rn. 18 f. 22 MünchKommHGB/K. Schmidt § 1 Rn. 74 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 17
10
Kapitel 1: Der strukturell unterlegene Unternehmer
liegt es nahe, die Ursachen der strukturellen Unterlegenheit eines Unternehmers zu untersuchen, die zu deren Merkmalen werden.
§ 3 Merkmale struktureller Unterlegenheit § 3 Merkmale struktureller Unterlegenheit
Es sind grundsätzlich drei Arten von Kriterien zur Definition einer strukturell unterlegenen Partei denkbar. In Betracht kommt zum einen, auf den Zweck des Rechtsgeschäftes abzustellen. Dieser Ansatz lässt die persönlichen Merkmale einer Partei grundsätzlich außer Betracht. Das europäische Kollisions- und Verfahrensrecht zum Schutze des Verbrauchers orientiert sich weitgehend hieran, indem es lediglich darauf abstellt, ob eine Partei im Falle des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts zu einem gewerblichen oder nicht gewerblichen Zweck handelt. 23 Im hier untersuchten Kontext ist dieser Ansatz wenig ergiebig, denn der Zweck, zu welchem die Parteien handeln, ist stets auf beiden Seiten ein gewerblicher.24 Zudem lässt der Vertragszweck nur sehr bedingt Rückschlüsse auf die Schutzbedürftigkeit einer Partei zu.25 Eine weitere Möglichkeit, eine schutzbedürftige Partei zu bestimmen, ist eine Orientierung am Vertragsgegenstand. 26 Diese Herangehensweise findet sich an vielen Stellen im Kollisionsrecht. Sie gilt etwa für Personentransportverträge, Arbeitsverträge, Versicherungsverträge, Franchise- und Vertriebsverträge. Der Verordnungsgeber hat in der Rom I-Verordnung bestimmte Vertragstypen benannt, bei denen es typischerweise zu einem strukturellen Ungleichgewicht kommt. Die benannten Vertragstypen haben gemein, dass typischerweise eine Partei der anderen unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls unterlegen ist. Diese Vertragstypen betreffen zumeist Konstellationen, in denen eine Partei wirtschaftlich schwächer, juristisch wie geschäftlich unerfahrener ist und zudem eine austauschbare Rolle einnimmt, was sie dazu zwingt, unter Umständen nachteilige Vertragsbedingungen hinzunehmen. Dies sind relevante Faktoren, auf welche es noch näher einzugehen gilt. 27 Mittels eines solchen sachbezogenen Ansatzes ist eine typisierte Erfassung der schwächeren Partei in bestimmten Fallgruppen möglich. Dieser Ansatz birgt freilich die Gefahr einer Beschränkung auf eine beispielhafte und damit zwangsläufig unvollständige Aufzählung bestimmter Vertragstypen. 23 Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 86 ff.; Staudinger/Weick § 13 BGB Rn. 41; „funktionell“ bezeichnet diesen Ansatz Kroeger, Der Schutz der marktschwächeren Partei, S. 17. 24 Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 101. 25 Kappus, NJW 1997, 5653, 2654; Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 138. 26 Kroeger, Der Schutz der marktschwächeren Partei, S. 22–24; Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 75–79. 27 Siehe unten § 3A–§ 3D.
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Ungeeignet ist darüber hinaus die abstrakte Bestimmung eines Vertragsgegenstands etwa anhand des Volumens einer Transaktion. 28 Ein solches lässt keine Rückschlüsse auf ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen zwei Parteien zu. Anders als im Falle typischer Verbrauchertransaktionen können sowohl gleichstarke als auch unterschiedlich mächtige Unternehmer Verträge mit erheblichem Volumen durchführen. Schließlich ist es möglich, auf personenbezogene Merkmale zurückzugreifen, um eine unterlegene Partei zu beschreiben. 29 Dieser Ansatz ist der einzige, der die schwächere Partei selbst in den Blick nimmt und deren Eigenschaften untersucht. Er soll daher den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden. A. Wirtschaftliche Stärke Von besonderer Relevanz für die Begründung struktureller Überlegenheit ist die wirtschaftliche Stärke einer Partei. Ausgangspunkt ist die naheliegende Beobachtung, dass Kleinunternehmen aufgrund ihrer geringen Wirtschaftskraft als schwächere Partei anzusehen sind. 30 Eine geringe Wirtschaftskraft ist objektiv messbar. Denkbar ist es, hierzu auf betriebswirtschaftliche Kennzahlen, wie etwa Jahresumsatz, Bilanzsumme oder Beschäftigtenanzahl, abzustellen. Die Bewertung derartiger Kriterien ist absolut ebenso wie relativ zum Vertragspartner möglich. Im Falle struktureller Unterlegenheit wird in der Regel eine Schwäche in beiderlei Hinsicht vorliegen. Zum einen kommt ein Unterschreiten bestimmter absoluter Grenzen bei den genannten Kennzahlen in Betracht, die auf das Vorliegen eines Kleinunternehmers schließen lassen. Zum anderen wird die strukturelle Unterlegenheit maßgeblich dadurch begründet, dass die andere Partei eine erheblich größere wirtschaftliche Kraft aufweist. Wirtschaftliche Stärke kann einem Unternehmen ermöglichen, Mitarbeiter zur Marktbeobachtung zu beschäftigen, was ihm ein überlegenes Wissen in Vertragsverhandlungen verschaffen kann. 31 Eine Partei, die über eine starke wirtschaftliche Stellung verfügt, kann Vertragsverhandlungen dominieren, weil sie über die nötigen Ressourcen verfügt, im Zweifel eher von einem Vertragsschluss abzusehen als nachteilige Vertragsbedingungen zu akzeptieren. Eine wirtschaftlich weniger starke Partei kann dagegen eher auf den Abschluss eines Vertrages auch zu ungünstigen Bedingungen angewiesen sein. Handelt es sich um Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung, so 28
Kroeger, Der Schutz der marktschwächeren Partei, S. 23. Kroeger, Der Schutz der marktschwächeren Partei, S. 14 ff.; Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 79 ff. 30 Kroeger, Der Schutz der marktschwächeren Partei, S. 69 ff.; Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 42–44; Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 100 f. 31 Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 43. 29
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Kapitel 1: Der strukturell unterlegene Unternehmer
kann bereits eine wirtschaftliche Abhängigkeit des schwächeren Vertragspartners vom Vertrag entstanden sein, wohingegen das wirtschaftlich stärkere Gegenüber meist auf eine Vielzahl anderer Vertragspartner zurückgreifen kann. 32 B. Juristische und geschäftliche Unerfahrenheit Ein weiteres Merkmal struktureller Unterlegenheit, das häufig kleine Unternehmer treffen wird, stellt die geschäftliche wie juristische Unerfahrenheit der schwächeren Partei dar. Anders als der Begriff der wirtschaftlichen Übermacht ist Unerfahrenheit nicht anhand objektiver Kriterien verallgemeinerungsfähig, sondern nur aufgrund einer Einzelfallbetrachtung zu ermitteln. Indes sind Situationen erkennbar, in denen eine solche Unerfahrenheit in der Regel vorliegt. Nimmt ein Kleinunternehmer erst mit Abschluss des relevanten Vertrages seine gewerbliche Tätigkeit auf, was insbesondere bei Franchisenehmern nicht selten der Fall sein dürfte, fehlt es ihm an kaufmännischer Erfahrung. 33 Nimmt er, wie bei Franchiseverträgen üblich, Hilfe des Franchisegebers in Anspruch, um kaufmännische Grundkenntnisse zur erlangen, offenbart sich ein Abhängigkeitsverhältnis. Für Großunternehmen, die international tätig werden, rentiert sich ferner die interne oder externe Beschäftigung von Anwälten, die auf internationale Vertragsgestaltung spezialisiert sind.34 Großunternehmen können die Folgen internationalprivat- und verfahrensrechtlicher Vertragsgestaltung kostengünstig erfassen und die sich daraus ergebenden Chancen nutzen, denn durch die massenweise Erbringung einer Leistung amortisieren sich die Rechtsberatungskosten aufgrund der Vielzahl gleichartiger Verträge. Ein kleinerer Unternehmer, der in der Regel national und nur ausnahmsweise international operiert, wird tendenziell im internationalen Rechtsverkehr unerfahrener sein. Die Folgen einer bestimmten Klausel sind für ihn ohne weiteres kaum absehbar. 35 Man stelle sich die überlegenen juristischen Fertigkeiten der Rechtsabteilung eines global operierenden Versicherers gegenüber einem Kleinunternehmen vor, das im Zweifel keine Juristen beschäftigt. Das Abschätzen von Chancen und Risiken der Wahl bestimmter Foren oder Rechtsordnungen ist für diesen nur möglich, wenn er auf externen Rat zurückgreift. Dies ist zwar denkbar, jedoch mit einem relativ betrachtet ungleich höheren Aufwand verbunden als für sein Gegenüber.36 Ist der Vertragspartner zudem wirtschaftlich derart überlegen, 32
Zum Franchisevertrag: Wagenseil, Die Sittenwidrigkeit von Franchiseverträgen, S. 147 f.; ähnlich zum Subunternehmer: Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 47. 33 Wagenseil, Die Sittenwidrigkeit von Franchiseverträgen, S. 149. 34 Vgl. zum Verbrauchervetrag: Dauner-Lieb, Der Verbrauchervertrag, S. 72. 35 Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 43. 36 Vgl. zum Verbrauchervertrag: Sachse, S. 12.
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dass er ohnehin in der Lage ist, seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen durchzusetzen, stehen die Kosten der juristischen Untersuchung der Vertragsbedingungen außer Verhältnis zum gewonnenen Nutzen.37 Obwohl ein Vertragsschluss zwei Willenserklärungen erfordert, kann eine solche Partei damit zur faktisch vertragsgestaltenden Partei werden. 38 C. Unterlegene Marktmacht Die Unterlegenheit einer Partei mag indiziert sein, wenn sie wirtschaftlich schwächer und juristisch unerfahrener ist als ihr Gegenüber. Die Konsequenzen eines solchen Missverhältnisses sind freilich nicht in allen Fällen gleich schwerwiegend. Eine strukturell nachteilige Beziehung zulasten der schwächeren und unerfahrenen Partei ergibt sich primär dann, wenn sie im Vertragsgefüge eine austauschbare Rolle übernimmt und einem spezialisierten Vertragspartner gegenübertritt, der seine Leistung typischerweise massenweise erbringt, also nur geringfügige Anpassungen für den jeweiligen Vertrag vornehmen muss. Vertreibt die wirtschaftlich überlegene Partei ein Produkt unter einer Marke mit einem hohen Wiedererkennungswert – plastische Beispiele sind Automobilmarken oder Schnellrestaurantketten – so kann ein kleiner Zulieferer oder Vertriebspartner leicht als austauschbares Element einer Vertragsbeziehung erscheinen, was dessen Verhandlungsposition schwächt. Eine solche Austauschbarkeit besteht typischerweise in sämtlichen Vertriebsverträgen im weiteren Sinne, also in Franchise-, Vertragshändlerund Handelsvertreterverträgen, da es dem Vertragspartner jederzeit freisteht, den Vertrieb seiner Produkte anders zu organisieren und ggf. selbst zu übernehmen.39 Ähnliches gilt im Falle von Versicherungs- oder Darlehensverträgen, bei denen die schwächere Partei auf die Dienstleistung des anderen angewiesen ist und es sich zudem um ein komplexes Rechtsprodukt handelt. Mittels Subunternehmerverträgen ist eine Vielzahl von Subunternehmern in ein komplexes Großprojekt eingebunden, auf dessen Planung und Entwicklung sie kaum Einfluss haben. 40 Auch bei Personentransportverträgen handelt es sich typischerweise um Leistungen, die massenförmig erbracht werden. Das Schicksal der Austauschbarkeit teilen spezialisierte Zulieferer, die Großunternehmen beliefern. Zu denken ist beispielsweise an Zulieferer von Automobilherstellern oder großen Supermarktketten. Doch auch im Fall gewöhnlicher Kaufverträge kommt eine Austauschbarkeit der schwächeren Partei in Betracht, wenn beispielsweise ein Kleinunternehmen seine technische Einrichtung bei einem international tätigen, spezialisierten Großkonzern erwirbt. 37 38
Vgl. zum Verbrauchervertrag: Rühl, Statut und Effizient, S. 559. Von „einem Diktat der Vertragsbestimmungen“ spricht Keller, FS Vischer, S. 175,
176.
39 40
Vgl. von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 403. Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 45 f.
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In diesem wie in einigen anderen der genannten Fälle ist zu bedenken, dass auch die zunächst als überlegen eingestufte Vertragspartei austauschbar sein kann. So steht es einem Versicherungsnehmer offen, sich zwischen verschiedenen Versicherern zu entscheiden. Entsprechendes gilt für Personentransportverträge. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, belastet die Austauschbarkeit die unterlegene Partei jedoch deutlich stärker und wird grundsätzlich auch nicht durch den vermeintlichen Wettbewerb auf Seiten des Gegenübers wieder ausgeglichen. 41 Die negativen Folgen fehlender Marktmacht können sich verschärfen, wenn eine Vertragsverlängerung ansteht. Zu diesem Zeitpunkt wird die unterlegene Partei häufig aufgrund umfangreicher eigener Investitionen in eine Vertragsbeziehung von deren Verlängerung finanziell abhängig sein. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die unterlegene Partei über wenige oder nur einen einzigen Vertragspartner verfügt. Eine solche Fixierung auf nur einen Vertragspartner kann wiederum bei Vertragshändlern, Handelsvertretern, Franchisenehmern und Zulieferern vorliegen. 42 In einem solchen Fall wird der Druck auf die unterlegene Partei, auch für sie negative Vertragsbedingungen hinzunehmen, besonders groß sein. Dies kann wirtschaftlich ruinöse Folgen haben. Anders kann es sich verhalten, wenn der wirtschaftlich und womöglich auch juristisch unterlegene Vertragspartner selbst ein hoch spezialisiertes Produkt anbietet, für das nur wenige alternative Anbieter zur Verfügung stehen. Eine solche Situation verschafft auch einem kleinen Unternehmen erhebliche Marktmacht, die es ihm ermöglicht, die Nachteile geringer Größe und juristischer Unerfahrenheit auszugleichen. Der Kleinunternehmer kann eigene Vertragsbedingungen durchsetzen. Die hierzu ggf. notwendige Einholung juristischen Sachverstandes ist nicht länger zwecklos, sondern ermöglicht es ihm, dem Vertragspartner als ebenbürtig oder gar überlegen gegenüberzutreten. In diesem Fall ist auch ein Kleinunternehmen nicht länger austauschbarer Teil des Vertrags und mithin nicht strukturell unterlegen. D. Informationsasymmetrie Der protektionistische Eingriff zugunsten des Verbrauchers im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht wird primär mit dessen Position als schwächerer Partei begründet, die sich einer Ausnutzung der Marktmacht eines strukturell überlegenen Unternehmers gegenübersieht.43 In der jüngeren Auf41
Dazu unten § 3D. Zu Subunternehmern: Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 47. 43 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 63 ff.; 109 ff.; Priest, 90 Yale L. J.1297, 1299 ff. (1981); grundlegend: Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 285 ff. 42
§ 3 Merkmale struktureller Unterlegenheit
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arbeitung des internationalprivatrechtlichen Verbraucherschutzes wird diese Begründung von einigen Autoren nicht länger als ausreichend angesehen. 44 Denn das grundsätzliche wirtschaftliche Übergewicht des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher werde zumindest teilweise durch den Wettbewerb mit anderen Unternehmern ausgeglichen. Die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers im Internationalen Vertragsrecht ergebe sich vielmehr aus dem Informationsgefälle zwischen Verbraucher und Unternehmer.45 Auch im internationalen Handelsverkehr stellt sich die Frage, ob die wirtschaftliche Schwäche einer Partei durch den Wettbewerb zwischen wirtschaftlich stärkeren und erfahreneren Vertragspartnern um den Abschluss eines Vertrags mit der schwächeren Partei ausgeglichen wird. Im Ergebnis ist dies nicht der Fall.46 Die wirtschaftlich größere und juristisch erfahrenere Partei wird einem Angebot auf Abschluss eines Vertrages typischerweise ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen beifügen, die im hier untersuchten Kontext in aller Regel eine Gerichtsstands- und Rechtswahl beinhalten werden. Selbst in Verträgen zwischen solchen Unternehmen, zwischen denen keine wirtschaftliche Unterlegenheit besteht, und in Branchen, in denen ein funktionierender Wettbewerb existiert, werden Allgemeine Geschäftsbedingungen meist unwidersprochen akzeptiert.47 Der Grund dafür ist, dass es sich für das Gegenüber des AGB-Verwenders in aller Regel nicht lohnt, die meist komplexe Eventualitäten regelnden Vertragsbedingungen verschiedener möglicher Vertragspartner zu vergleichen, Gegenvorschläge zu machen und umfassende Vertragsverhandlungen zu führen. Ein solches Vorgehen ist zwar möglich, in aller Regel jedoch unverhältnismäßig, da im Voraus kaum vorhersehbar ist, ob eine Klausel im Streitfalle juristisch und ökonomisch relevant werden könnte.48 Während diese Erwägungen grundsätzlich für sämtliche Fälle der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gelten, wiegen sie im Falle eines strukturellen Ungleichgewichts für den wirtschaftlich schwachen und juristisch unerfahrenen Unternehmer besonders schwer.49 Im Moment des Vertragsschlusses ist es dem wirtschaftlich unterlegenen Unternehmer, der mit den eine Rechtswahl oder Zuständigkeitsabrede enthaltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Gegenübers konfrontiert wird, zwar theoretisch möglich, diese auf ihre materiellrechtlichen Auswirkungen zu untersuchen. 44
Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 572 (2011); Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), S. 559,
560.
45
Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 41; Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 572 (2011); Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 12. 46 Zur parallelen Situation bei Verbraucherverträgen: Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 576 (2011); dies., Statut und Effizienz, S. 559. 47 So MünchKommBGB/Basedow Vor § 305 BGB Rn. 4. 48 MünchKommBGB/Basedow Vor § 305 BGB Rn. 5. 49 Vgl. zum Verbrauchervertrag: Dauner-Lieb, Der Verbrauchervertrag, S. 72 f.
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Ein solches Vorgehen wäre jedoch mit einer beträchtlichen Erhöhung der Transaktionskosten verbunden. 50 Zu untersuchen wären sowohl die internationalprivat- und prozessrechtlichen Auswirkungen der Geschäftsbedingungen des Vertragspartners als auch solche seiner Konkurrenten, die als alternative Vertragspartner in Betracht kommen. Da insbesondere Kleinunternehmer kaum über hinreichenden eigenen juristischen Sachverstand verfügen dürften, erfordert eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vom ausländischen Vertragspartner vorgegebenen Bedingungen die Heranziehung anwaltlichen Rats.51 Soll dieser die Auswirkungen der Rechts- und Gerichtsstandswahl vollständig abbilden, so ist der typischerweise im selben Staat ansässige Rechtsanwalt der unterlegenen Partei gezwungen, ein aus seiner Perspektive ausländisches Recht zu untersuchen und möglicherweise gar einen Rechtsvergleich vorzunehmen. 52 Dieses Unterfangen ist mit erheblichen Kosten verbunden, was für den Kleinunternehmer eine abschreckende Wirkung haben kann.53 Wenigstens ex ante werden sich diese Kosten für die unterlegene Partei als unverhältnismäßig darstellen, da einerseits nicht mit Sicherheit feststeht, dass es zu rechtlichen Streitigkeiten kommen wird, und anderseits bezweifelt werden darf, ob das eigene Wissen um die Folgen der vorgeschlagenen Vertragsbedingungen erfolgversprechende Nachverhandlungen ermöglichen würde. Zudem mag bei der wirtschaftlich schwächeren Partei die Ansicht vorherrschen, von alternativen Vertragspartnern sei kein günstigeres Angebot zu erwarten. Es entsteht ein Informationsgefälle zulasten kleiner, unerfahrener Unternehmer, weil diese keine Möglichkeit haben, die Allgemeinen Vertragsbedingungen des in Aussicht genommenen Vertragspartners mit verhältnismäßigem Aufwand zu untersuchen, geschweige denn hieran anschließend den Vertrag mitzugestalten. 54 Das Informationsgefälle verhindert auf diese Weise den Ausgleich fehlender wirtschaftlicher Stärke und juristischer Erfahrung durch grundsätzlich funktionierenden Wettbewerb auf Seiten des überlegenen Vertragspartners. E. Zwischenergebnis Strukturell unterlegen ist ein Unternehmer folglich, wenn er über nur geringe wirtschaftliche Stärke verfügt, juristisch wie geschäftlich relativ unerfahren ist und aufgrund des besonderen Vertragsgefüges eine austauschbare Rolle einnimmt. Ein an sich funktionierender Wettbewerb auf Seiten der strukturell 50
Vgl. zum AGB-Recht: MünchKommBGB/Basedow Vor § 305 BGB Rn. 5. Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 43. 52 Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 12. 53 Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 576 (2011). 54 Zum Verbraucherschutzrecht: Dauner-Lieb, Der Verbrauchervertrag, S. 72f.; Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 576 (2011); vgl. zum AGB-Recht: MünchKommBGB/Basedow Vor § 305 BGB Rn. 5. 51
§ 4 Folgen struktureller Unterlegenheit
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überlegenen Partei ist nicht geeignet, die Schwäche des Gegenübers auszugleichen, weil eine vergleichende Untersuchung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen potentieller Vertragspartner nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist.
§ 4 Folgen struktureller Unterlegenheit § 4 Folgen struktureller Unterlegenheit
Das Unvermögen des strukturell unterlegenen Unternehmers, auf die Vertragsgestaltung Einfluss zu nehmen, kann für diesen gravierende Konsequenzen haben. Der überlegene Vertragspartner wird de facto zur vertragsgestaltenden Partei. Er hat regelmäßig ein Interesse daran, für ihn günstige Kündigungsfristen zu vereinbaren und etwaige nachvertragliche Ausgleichsansprüche ebenso wie Regressansprüche auszuschließen. Grundsätzlich ist es Aufgabe des materiellen Rechts, einer als missbräuchlich wahrgenommenen Ausnutzung von Gestaltungsmacht entgegenzuwirken. 55 Freilich ermöglicht die Überlegenheit einer Partei nicht nur die Nutzung der Spielräume der Privatautonomie, sondern auch diejenigen der Parteiautonomie. Parteiautonomie ist die Freiheit der Parteien, das auf ihr Rechtsverhältnis anwendbare Recht und das hierfür zuständige Gericht zu bestimmen. 56 Die Einbeziehung internationalprivat- und verfahrensrechtlicher Aspekte in die Vertragsgestaltung kann die Umgehung von Schranken des materiellen Rechts ermöglichen. In dieser Arbeit sollen zuvorderst die internationalprivat- und verfahrensrechtlichen Auswirkungen struktureller Unterlegenheit in den Blick genommen werden. Für den Vertragspartner, der aufgrund struktureller Überlegenheit seine eigenen Vertragsbedingungen durchzusetzen vermag, besteht ein hoher wirtschaftlicher Anreiz, eine ihm vertraute und inhaltlich günstige Rechtsordnung sowie die Zuständigkeit eines Forums, in welchem er eine ihn begünstigende Entscheidung erwartet, vorzugeben. Rühl sieht gar eine ökonomische Notwendigkeit für die überlegene Partei, ihre Geschäftsbedingungen derart zu gestalten.57 Tatsächlich ist ein derartiger ökonomischer Druck nicht von der Hand zu weisen. Gibt der überlegene Unternehmer eine für ihn günstige Rechtsordnung vor, so ergibt sich für ihn hieraus eine Kostensenkung, welche ihm einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten verschafft. Denn die Vereinbarung eines günstigen Rechts kann die eigenen Kosten beispielsweise durch Abbedingung eines nachvertraglichen Ausgleichsanspruchs oder Senkung der Kündigungsschwellen 55
Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 13. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 305 f.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, S. 9 f.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 26 f.; Kropholler, IPR, § 40 I, S. 292 f.; Schack, IZVR, Rn. 57. 57 Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 577 (2011); dies., Statut und Effizienz, S. 559. 56
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Kapitel 1: Der strukturell unterlegene Unternehmer
beträchtlich senken und den Gewinn maximieren. Hat etwa ein unabhängiger Vertragshändler ein Produkt im Ausland hinreichend etabliert, mag es für den Hersteller wirtschaftlich sinnvoll sein, den Vertrieb im Ausland selbst zu übernehmen. 58 Da davon auszugehen ist, dass wirtschaftlich ähnlich starke Mitbewerber ebenfalls von der ihnen möglichen Gestaltungsmacht Gebrauch machen werden, wird aus dem potentiellen Wettbewerbsvorteil in dem Moment ein Wettbewerbsnachteil, in welchem die strukturell überlegene Partei auf die Ausnutzung ihrer Gestaltungsmacht verzichtet. Da der strukturell unterlegene Vertragspartner aus den oben genannten Gründen grundsätzlich keine Möglichkeit hat, sich ein umfassendes Bild von den Folgen der Wahl eines fremden Rechts und Forums zu machen, wird er die Wahl einer für ihn günstigeren und für den überlegenen Vertragspartner ungünstigeren Rechtsordnung nicht insofern honorieren, als er bereit ist, an anderer, offensichtlicherer Stelle Abstriche hinzunehmen. Illustriert sei dies am Beispiel eines Versicherungsnehmers, der sich bei der Wahl des Versicherers zuvorderst an der gebotenen Risikodeckung zu einem wettbewerbsfähigen Preis orientiert und in aller Regel nicht die Kosten berücksichtigt, die ihm in einem etwaigen Prozess in einem ausländischen Forum unter Geltung ausländischen Rechts entstehen können. 59 Damit besteht für die aufgrund ihrer Überlegenheit faktisch vertragsgestaltende Partei ein erheblicher Anreiz, den Spielraum, welchen die parteiautonome Bestimmung von Rechtsordnung und Forum ermöglicht, zu ihren Gunsten auszunutzen. Dies sind für sich genommen legitime ökonomische Ziele. Die Konsequenzen können für den strukturell unterlegenen Vertragspartner jedoch gravierend sein. Ein ausländisches Forum hat für ihn zur Folge, dass sich ein etwaiger Prozess erheblich verteuert. Bereits die Anreisekosten sind gegenüber einem inländischen Verfahren erhöht. Er wird ferner genötigt, auf einem ihm unbekannten Markt einen Anwalt zu finden und in einer Fremdsprache in einem ihm nicht vertrauten Gerichtssystem zu prozessieren. Er mag darüber hinaus – zu Recht oder zu Unrecht – fürchten, als Ausländer im Prozess benachteiligt zu werden. Für potentielle Kläger geht hiervon die Abschreckungswirkung aus, eher von der Klage Abstand zu nehmen und auf die Geltendmachung eigener Ansprüche zu verzichten, als eine kostspielige und in ihrem Ausgang ungewisse Klage in einem ausländischen Forum zu erheben. 60 Als potentieller Beklagter kann das unabsehbare Risiko eines ausländischen Prozesses die Vergleichsbereitschaft der unterlegenen Partei zu ihren Lasten erhöhen. 61 58
Dieses Beispiel führt auch von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 403 an. Vgl. zum Verbrauchervertrag: Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 573–575 (2011). 60 Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 24. 61 Ähnlich argumentiert das OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr 2008, Nr. 207, S. 658, 660. 59
§ 4 Folgen struktureller Unterlegenheit
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Ähnliche Folgen können von der Wahl eines ausländischen Rechts ausgehen. Zum einen ist dem strukturell unterlegenen Unternehmer diese Rechtsordnung nicht vertraut. Notwendig ist in der Regel die Mandatierung eines ausländischen oder zumindest die eines besonders qualifizierten inländischen Rechtsanwalts. Von einer fremden Rechtsordnung kann wiederum der Abschreckungseffekt ausgehen, von einer juristischen Auseinandersetzung eher abzusehen. Schwerwiegender sind freilich die materiellrechtlichen Folgen einer Rechtswahl. Ohne das Wissen der strukturell unterlegenen Partei kann eine Rechtswahl zur umfassenden Abbedingung der am gewöhnlichen Aufenthalt dieser Partei geltenden materiellen Vorschriften führen, die auch deren Schutz dienen und damit die materiellrechtliche Lage dieser Partei beträchtlich verschlechtern. In Kombination mit einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines drittstaatlichen Forums oder einer Schiedsvereinbarung kann sich dieser Nachteil maximieren. Enthalten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der faktisch vertragsgestaltenden Partei etwa eine Schiedsklausel zugunsten eines New Yorker Schiedsgerichts und zugleich die Wahl liechtensteinischen Rechts, 62 so ist die unterlegene deutsche Partei im Streitfalle gezwungen, innerhalb kurzer Zeit einen englischsprachigen Juristen zu finden, der vor einem Schiedsgericht in New York auftreten kann und zugleich über Kenntnisse des liechtensteinischen Rechts verfügt. 63 Enthält zudem das liechtensteinische Recht materiell ungünstigere Regeln als das deutsche Recht, so stellt diese Konstellation für einen deutschen Kleinunternehmer eine so beträchtliche Belastung dar, dass zweifelhaft erscheint, ob noch von einer Gewährung effektiven Rechtsschutzes die Rede sein kann. 64 Hiergegen wendet Junker auf tatsächlicher Ebene ein, ein großflächiger Missbrauch unbeschränkter Parteiautonomie sei nicht ersichtlich. Der Ruf nach einem Schwächerenschutz im Internationalen Privatrecht erinnere an Molières „eingebildeten Kranken“. 65 Diese Ansicht scheint nicht mehr haltbar. Das oben skizzierte Beispiel zeigt deutlich, dass überlegene Parteien die ihnen eingeräumte internationalprivat- wie zuständigkeitsrechtliche Gestaltungsfreiheit zu nutzen wissen, um einseitig ihre Interessen zu verfolgen. Die Häufung der ähnlich gelagerten Subway-Entscheidungen66 vor deutschen Gerichten illustriert, wie die Spielräume der Parteiautonomie im internationalen Handel 62 So anscheinend die vormalige Praxis des Unternehmens Doctor’s Associates (Subway). Siehe dazu OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr 2008, Nr. 207, S. 658, 660. 63 OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr 2008, Nr. 207, S. 658, 660. 64 Vgl. Samtleben, FS von Hoffmann, S. 1066, 1075. 65 Junker, IPRax 1993, 1, 3, der sich unter anderem auf von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 400 f. beruft. 66 OLG Dresden, Beschluss vom 07.12.2007, IPRspr. 2007 Nr. 222, 631; OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649; OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659.
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Kapitel 1: Der strukturell unterlegene Unternehmer
gezielt eingesetzt werden, um der überlegenen Partei einen Vorteil zu verschaffen. Selbst wenn die strukturell überlegene Partei von der ihr faktisch möglichen Gestaltungsmacht keinen Gebrauch macht, kann eine objektive Bestimmung des zuständigen Gerichts und anwendbaren Rechts für die unterlegene Partei von Nachteil sein. 67 Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sich die Anknüpfung am Sitz der stärkeren Partei orientiert. Auch in diesem Fall kann ein fremdes, möglicherweise weit entferntes Forum ebenso wie eine unbekannte Rechtsordnung die Kosten eines Prozesses aus Sicht des strukturell unterlegenen Unternehmers so stark erhöhen, dass er davon absieht, das Risiko eines Unterliegens einzugehen.
§ 5 Rechtspolitische Erwägungen zur Erforderlichkeit eines schützenden Eingriffs § 5 Rechtspolitische Erwägungen
Die Gewährung von Privat- wie Parteiautonomie beruht auf der aus der allgemeinen Handlungsfreiheit abgeleiteten Erwägung, die Teilnehmer am Rechtsverkehr seien selbst in der Lage, über eine für beide Seiten vorteilhafte und insofern „richtige“ Ausgestaltung ihres Vertrags zu entscheiden. 68 Kommt es jedoch zu dem oben beschriebenen Kräfteungleichgewicht, so wird die eingeräumte Vertragsfreiheit beider Parteien zur Freiheit einer Partei, dem Gegenüber Vertragsbedingungen zu diktieren. Der Zweck von Privatautonomie und Parteiautonomie wird konterkariert. Der Vertragsinhalt entspricht nur noch formal, nicht mehr auch materiell einer Willenseinigung beider Parteien. Die unterlegene Partei steht vor der Entscheidung, die Rechtswahl der Gegenseite zu akzeptieren oder vom Vertrag Abstand zu nehmen. Sie ist damit in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit eingeschränkt. Damit werden jedoch auch im unternehmerischen Rechtsverkehr Privat- wie Parteiautonomie zu einer „Herrschaft des Stärkeren über den Schwachen“ 69. Soweit sie jedoch die interessengerechte Bestimmung des Vertragsinhalts nicht garantieren, sind sie als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit auch nicht geboten. Freilich folgt allein aus der eingeschränkten Handlungsfreiheit der schwächeren Partei nicht zwingend der Schluss, dass der Handelsverkehr staatlich reguliert werden muss. Es ließe sich argumentieren, ein solcher Eingriff ginge über das sozialstaatlich zwingend Gebotene hinaus. Die skizzierte Wahl des strukturell unterlegenen Unternehmers zwischen der Akzeptanz ungünstiger, potentiell schädlicher Vertragsbedingungen auf der einen und dem Verzicht 67
Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 24. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 55 f. 69 Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, S. 172. 68
§ 5 Rechtspolitische Erwägungen
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auf einen Markteinstieg auf der anderen Seite, ist keine per se untragbare Ungerechtigkeit. Zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist nahezu jeder früher oder später gezwungen, einen Arbeits-, Miet- und Verbrauchervertrag abzuschließen. In diesen Rechtsverhältnissen, in denen eine Partei regelmäßig strukturell überlegen ist und die, qualitativ und quantitativ, von besonders großer sozialer Relevanz sind, erscheint der rechtspolitische Wille zur Regulierung verständlich. Im Handelsverkehr verhält es sich anders. Der Eintritt in diesen ist grundsätzlich freiwillig. Es sind ohne weiteres Erwerbsmöglichkeiten denkbar, die eine Teilnahme am Handelsverkehr vollständig entbehrlich machen. Erst recht gilt dies für den internationalen Handel. Es ließe sich folglich argumentieren, wer in den Handelsverkehr eintrete, gehe freiwillig ein Risiko ein und verlasse aus freien Stücken die staatliche Schutzsphäre, die die Entstehung „gerechter Vertragsverhältnisse“ 70 allein im absolut Notwendigen garantiere. Freilich wird im Folgenden noch zu zeigen sein, dass ein Sozialschutz zugunsten kleiner Unternehmer bereits seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ein häufiges, in diversen Rechtsordnungen präsentes Phänomen ist. Zu denken ist an den US-amerikanischen Franchisenehmer, den deutschen Handelsvertreter, den belgischen Vertragshändler und den französischen Subunternehmer. Der hinter diesen Schutzbestimmungen stehende Gedanke ist ernst zu nehmen. Ein Kleinunternehmer kann einem Vertragspartner ebenso unterlegen sein wie ein Arbeitnehmer. Ist eine einseitige Vertragsgestaltung die Folge, so sind die daraus folgenden negativen Auswirkungen für die strukturell unterlegene Partei unabhängig davon schädlich, ob diese gewerblich handelt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen können durchaus vergleichbar sein. So handelt es sich beispielsweise sowohl beim Arbeitnehmer als auch beim Handelsvertreter um potentiell ihrem entsprechenden Vertragspartner gegenüber unterlegene Parteien, die Vertragsbeziehungen eingehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dass dies in einem Fall durch unselbstständige, im anderen Fall durch selbstständige Tätigkeit erfolgt, vermag die erleichterte Benachteiligung des unterlegenen Unternehmers nicht zu begründen. 71 Auch volkswirtschaftliche Gründe lassen sich für eine Beschränkung der Vertragsfreiheit zugunsten des unterlegenen Unternehmers anführen. Ziel der Marktwirtschaft ist die effiziente Verteilung von Ressourcen. Güter sollen dem Abnehmer möglichst günstig zur Verfügung stehen. 72 Die freie Verteilung von Gütern zu einem möglichst günstigen Preis dient der Volkswirtschaft insgesamt. Angemessene Preise entstehen jedoch nur im Falle der Existenz funktionierenden Wettbewerbs. Funktionierender Wettbewerb wie70
Leible, FS Jayme, S. 485, 492. Vgl. dazu die Gesetzesbegründung der §§ 84 ff. HGB: BT-Drucks. 1/3856, S. 10 f. 72 Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 286. 71
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Kapitel 1: Der strukturell unterlegene Unternehmer
derum ist von materieller Vertragsfreiheit abhängig. 73 Denn kann eine Partei aufgrund überlegener Verhandlungsmacht der anderen Partei einen höheren Preis diktieren, als dem Vertragsgegenstand angemessen ist, entstehen ineffiziente Vertragsverhältnisse. 74 Im Vertragsrecht treffen im Idealfall die Parteien selbst eine kosteneffiziente Lösung. Sie sind grundsätzlich am ehesten in der Lage abzusehen, welche Kombination von Vertragsbedingungen den Nutzen beider Parteien maximiert und die Kosten minimiert. Entsprechendes gilt in internationalen Verträgen für Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarungen. Parteiautonomie sorgt grundsätzlich für Effizienz. 75 Im hier untersuchten Kontext lässt sich das folgendermaßen beispielhaft verdeutlichen: Ein nachvertraglicher Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers verursacht für den Franchisegeber zusätzliche Kosten. Diese wird er im Zweifel versuchen zu minimieren, indem er die vom Franchisenehmer zu zahlenden Gebühren erhöht. Wenn der Franchisenehmer den ökonomischen Nutzen des Ausgleichsanspruchs höher einschätzt als die zusätzlichen Gebühren, so wird er einem solchen Vertragsangebot zustimmen. Der Austausch ist für beide Parteien effizient. 76 Im Falle eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen den Parteien trifft diese Annahme freilich nicht zu. Strukturelle Unterlegenheit führt zur Vorgabe der Vertragsbedingungen durch die überlegene Partei. Ein Wettbewerb um die aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvollen Vertragsbedingungen findet nicht statt, denn die Folgen der vorgegebenen Vertragsbedingungen zu untersuchen, ist für die unterlegene Partei nicht kosteneffizient möglich. 77 Hierdurch entstehen Informationsasymmetrien zulasten der unterlegenen Partei. Es wurde oben bereits ausgeführt, dass Folge solcher Informationsasymmetrien die flächendeckende Durchsetzung von für die unterlegene Partei negativen Vertragsbedingungen ist. 78 Da die unterlegene Partei aufgrund mangelnder Information die Auswirkungen von Rechtswahlklauseln nicht überschauen kann, ist es ihr verwehrt, den für ein Produkt zu zahlenden Preis vom Nutzen der Rechtswahl für sie abhängig zu machen. 79 Hierdurch entsteht für überlegene Parteien der wirtschaftliche Anreiz, wenn nicht die Notwendigkeit, möglichst sie selbst einseitig begünstigende Vertragsbedingungen durchzusetzen.80 Im obigen Beispiel des Franchisevertrags führt das dazu, 73
Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 286. Vgl. Rühl, Statut und Effizienz, S. 448. 75 Rühl, Statut und Effizienz, S. 437 f.; Schäfer/Lantermann, in: Basedow, Jürgen/Kono, Toshiyuki (Hrsg.), An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 92. 76 Vgl. zum Verbraucherschutzrecht: Schäfer/Lantermann, in: Basedow, Jürgen/Kono, Toshiyuki (Hrsg.), An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 106. 77 Rühl, Statut und Effizienz, S. 452. 78 Dazu schon oben § 3D. 79 Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 574 (2011); dies., Statut und Effizienz, S. 448. 80 Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 574 (2011). 74
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dass die durch eine entsprechende Gerichtsstands- und Rechtswahl abgesicherten Vertragsbedingungen zwar keinen Ausgleichsanspruch zugunsten des Franchisenehmers enthalten, die Franchisegebühren jedoch trotz der für den Franchisegeber gefallenen Kosten nicht signifikant sinken. Hieraus ergibt sich eine ineffiziente Verteuerung von Produkten und eine aus ökonomischer Sicht unerwünschte Verteilung von Ressourcen. Schränkt man die Privat- und Parteiautonomie zugunsten der unterlegenen Partei ein, so wird zugleich die Möglichkeit begrenzt, mittels AGB gegen die unterlegene Partei für diese nicht ersichtliche Kostensteigerungen durchzusetzen. Der schwächere Unternehmer kann sich auf die Untersuchung und den Vergleich der Hauptleistungspflichten, also beispielsweise der abzuführenden Franchisegebühren, beschränken. Der Ausgleich eines zwischen zwei Unternehmern bestehenden Ungleichgewichts kann somit die Entstehung effizienter Vertragsverhältnisse fördern und damit der Marktwirtschaft als ganzer dienen. Schutzvorschriften zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers können darüber hinaus die Stabilität eines Wirtschaftssektors sichern. So dient etwa das französische Subunternehmergesetz dazu, die französische Bauwirtschaft vor Ketteninsolvenzen zu bewahren. 81 Subunternehmer sind auf die Zahlungsfähigkeit des Generalunternehmers angewiesen. Da es sich bei Subunternehmern in aller Regel um kleine und mittelständische Betriebe mit geringen Rücklagen handelt, kann die Insolvenz eines Generalunternehmers zum wirtschaftlichen Ruin des Subunternehmers führen. 82 Da ein Generalunternehmer mit diversen Subunternehmern verbunden ist, kann bereits die Insolvenz einiger weniger Generalunternehmer mit spürbaren Auswirkungen für einen ganzen Wirtschaftszweig verbunden sein.83 Ähnliches gilt für einseitige Vertragsbedingungen. Wie bereits erörtert, ist es kosteneffizienter, für den strukturell überlegenen Vertragspartner Vertragsbestimmungen durchzusetzen, die sein Haftungsrisiko begrenzen und eine flexible Vertragslaufzeit zulassen. Um im internationalen Wettbewerb zu bestehen, lastet ein wirtschaftlicher Druck auf ihm, derartige Vertragsbedingungen zu vereinbaren, da andernfalls die Kosten seines Produkts steigen werden. Setzen sich jedoch in einem Wirtschaftszweig flächendeckend für den strukturell unterlegenen Unternehmer ungünstige Vertragsbedingungen durch, die es dem unterlegenen Unternehmer erheblich erschweren, bestehende Ansprüche durchzusetzen, so kann dies in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs zu einer Insolvenz unterlegener Unternehmer führen, die durch ausgeglichene Vertragsbedingungen vermieden worden wäre.
81
Kühnel/Langer, RIW 1977, 610, 612. Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 47 f. 83 Kühnel/Langer, RIW 1977, 610, 612; Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 47 f. 82
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Kapitel 1: Der strukturell unterlegene Unternehmer
Schließlich vermögen Schutzbestimmungen die Markteintrittshürden zur Gründung kleinerer und mittlerer Unternehmen zu senken und können sich auf diese Weite positiv auf die Gründung von Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen auswirken. Der Verweis auf die Möglichkeit, vom Vertrag Abstand zu nehmen, ist dann ökonomisch nicht sinnvoll, wenn sie aufgrund der zu befürchtenden Konsequenzen großflächig zur einzig gewählten Alternative wird, weil sich die Eingehung eines wirtschaftlichen Risikos nicht mehr lohnt. Zugleich ist freilich zu bedenken, dass ein überhöhtes Maß an Regulierung auch eine Markteintrittshürde für den überlegenen Unternehmer bedeutet. Übersteigen die Kosten der Einschränkung von Privat- und Parteiautonomie die anzunehmenden Erträge, so wird ein Unternehmer die Erschließung eines Marktes unterlassen. Ist eine Form des Unternehmertums, bei welcher eine Partei regelmäßig der anderen unterlegen ist, in einer Volkswirtschaft weit verbreitet – etwa in den Vereinigten Staaten das Franchising oder in Frankreich die Subunternehmer – und führt dies regelmäßig zu einer vertraglichen Schlechterstellung einer Partei, kann eine solche Benachteiligung des unterlegenen Unternehmers als materielle Ungerechtigkeit wahrgenommen werden. So verkörpert etwa ein nachvertraglicher Ausgleichsanspruch den fundamentalen Gerechtigkeitsgedanken, dass der Vermittler für eine Leistung, aus welcher der Vertragspartner fortwährende Vorteile zieht, entlohnt werden soll. 84 Verhindert fehlende staatliche Regulierung beispielsweise den Durchgriff des Subunternehmers gegen den Auftraggeber und führt zu der beschriebenen Ketteninsolvenz, kann dies die Beendigung einer ungleich höheren Anzahl von Arbeitsverhältnissen zur Folge haben. Auch wenn sich ein solcher erhöht auftretender Arbeitsplatzverlust nicht gesamtwirtschaftlich auswirken muss, da er unter Umständen andernorts wieder ausgeglichen wird, kann er doch sozialen Unfrieden zur Folge haben, wenn er gesamtgesellschaftlich spürbar als eine einseitige Benachteiligung wahrgenommen wird. In einer sozialen Marktwirtschaft aber gilt es, die Kräfte des freien Marktes zugunsten einer sozialen Ordnung einzuschränken. 85 Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine gewisse Regulierung in den hier beschriebenen Vertragsverhältnissen zwischen Unternehmern auf nationaler Ebene geboten ist, so ist es zwingend, eine solche Beschränkung der Privatautonomie auf der Ebene des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht fortzusetzen. Dieselben sozial- und wirtschaftspolitischen Erwägungen, die für einen Schutz in rein nationalen Sachverhalten sprechen, lassen sich auch für eine Ausdehnung im internationalen Kontext anführen. Insbesondere in Fällen, in denen sich der grenzüberschreitende Charakter des Vertrags allein im ausländischen Sitz des überlegenen Vertragspartners manifestiert, wäh84 85
Canaris, Handelsrecht, § 15 Rn. 102. Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 147.
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rend die Tätigkeit der schwächeren Partei eine rein nationale bleibt, lässt sich eine Unterscheidung nicht rechtfertigen. Darüber hinaus birgt der internationale Rechtsverkehr ein noch größeres Risiko der Ausnutzung struktureller Unterlegenheit des Vertragspartners, indem zum einen nationale Schutzstandards umgangen werden, zum anderen die unterlegene Partei etwa durch einseitig nachteilige Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarungen zusätzlich belastet wird. Hinzu kommen protektionistische Erwägungen. Reguliert ein Staat den inländischen Handelsverkehr, so kann dies mit erhöhten Kosten für Unternehmen einhergehen. Im Inland tätige ausländische Wettbewerber können sich diesen Kosten entziehen, indem sie die Gestaltungsspielräume des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts nutzen. Dies kann die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Wirtschaft, die sich den Regulierungen nicht ohne weiteres entziehen kann, beeinträchtigen. Aus der Perspektive des regulierenden Staates ist es daher erstrebenswert, alle im Inland tätigen Unternehmer denselben Zwängen zu unterwerfen. Entsprechendes gilt für den europäischen Binnenmarkt gegenüber Drittstaaten. Der Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers bleibt nach alledem eine rechtspolitische Entscheidung, die vor allem in ihrer Ausformung und Intensität großen Spielraum lässt. Zwingend ist ein Eingriff zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers nicht in jedem Fall, es sprechen jedoch beachtliche Gründe dafür, der Vertragsfreiheit auch zugunsten einer Regulierung des Handelsverkehrs Grenzen zu setzen.
Kapitel 2
Schutz auf Ebene des materiellen Rechts Der Ausgleich des strukturellen Ungleichgewichts zwischen zwei Vertragsparteien ist zuvorderst Aufgabe des materiellen Rechts. 1 Die Frage nach der Schutzbedürftigkeit von Unternehmergruppen im internationalen Rechtsverkehr muss naturgemäß mit der Betrachtung nationaler Rechtsvorschriften beginnen. Die Bedeutung des Schutzes von Unternehmern durch die Regeln der Internationalen Privatrechts ergibt sich erst daraus, dass im nationalen Recht unterschiedliche Schutzniveaus vorhanden sind.
§ 1 Deutsches Recht § 1 Deutsches Recht
Das deutsche Recht sieht einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers im Versicherungsvertragsrecht und im Handelsvertreterrecht vor. Das Handelsvertreterrecht der §§ 84 ff. HGB ist dabei nach allgemeiner Ansicht analog auf vergleichbare Absatzmittler anzuwenden. Eine Besonderheit des deutschen Rechts ist schließlich die auch im unternehmerischen Rechtsverkehr sehr weitgehende Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach § 307 BGB. A. §§ 84 ff. HGB I. Handelsvertretervertrag Die Regelung des Handelsvertretervertrags findet sich im deutschen Recht in den §§ 84 – 92c HGB.2 Prägend für diese Normierung ist, dass es sich bei den Vorschriften um weitgehend zwingendes Recht handelt, von ihnen also nicht durch Parteivereinbarung zulasten des Handelsvertreters abgewichen werden kann. Diese Vorschriften basieren auf der gesetzgeberischen Intention, den Handelsvertreter vor seinem Vertragspartner zu schützen. 3 Die Schutzwürdigkeit des Handelsvertreters ergibt sich aus seiner strukturellen Unterlegenheit gegenüber dem Unternehmer. Der Handelsvertreter ist „ständig“ (vgl. 1
Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 13. Zu den europarechtlichen Bezügen der Vorschrift siehe unten § 2A. 3 BT-Drucks. 1/3856, S. 10 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 256 ff. 2
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§ 84 Abs. 1 HGB) damit betraut, für den Unternehmer Geschäfte zu vermitteln. Aus dieser Tätigkeit wird der Handelsvertreter nicht selten einen wesentlichen Teil seines Lebensunterhalts bestreiten, weshalb der Vertrag für den Handelsvertreter existenzielle Bedeutung besitzt, der Handelsvertreter für sein Gegenüber hingegen häufig eine austauschbare Rolle einnimmt. 4 Zwingend zugunsten des Handelsvertreters sind zum einen die Pflichten des Unternehmers nach § 86a HGB. Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter die erforderlichen Unterlagen, die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlich sind, zur Verfügung zu stellen und ihn unverzüglich über Annahme oder Ablehnung eines von ihm vermittelten Geschäfts zu unterrichten. 5 Ebenso wenig kann von bestimmten Modalitäten der Provision nach § 87a HGB und § 87c HGB zulasten des Handelsvertreters abgewichen werden. Der Handelsvertreter hat hiernach auch dann einen Anspruch auf Provision, wenn der Unternehmer das vermittelte Geschäft nicht so ausführt, wie es abgeschlossen wurde, oder der Unternehmer die Nichtausführung zu vertreten hat. Der Handelsvertreter soll nicht dadurch benachteiligt werden, dass der Vertragsabschluss aufgrund von Umständen, die in der Sphäre des Unternehmers liegen, unterbleibt.6 Der Abrechnungszeitraum der Provision kann auf höchstens drei Monate erstreckt werden. Die Provision wird anschließend nach §§ 87a Abs. 4, 87c Abs. 1 HGB sofort fällig.7 Nach § 88a Abs. 1 HGB kann der Handelsvertreter nicht im Vorhinein auf gesetzliche Zurückbehaltungsrechte nach § 273 BGB und § 369 HGB verzichten. Vertragsklauseln, welche die Entstehungsvoraussetzungen von diesen zuungunsten des Handelsvertreters einengen sind unwirksam. 8 Um eine Schutzvorschrift zugunsten des Handelsvertreter, die eine gewisse Ähnlichkeit zum Arbeitnehmerschutz aufweist, handelt es sich bei den Kündigungsschutzbestimmungen des § 89 HGB.9 Zwar ist der Handelsvertreter selbstständiger Unternehmer, aufgrund der bereits erörterten Unterlegenheit bei einer wirtschaftlich-faktischen Stellung schien dem Gesetzgeber jedoch eine mit dem Arbeitsrecht vergleichbare Regelung angemessen. 10 § 89 HGB sieht abhängig von der Laufzeit des Vertrags Kündigungsfristen zwischen einem und sechs Monaten vor. Die Kündigungsfrist kann zwar vertraglich verlängert werden, doch darf sich der Unternehmer hierbei keine kürzere Kündigungsfrist einräumen, als er dem Handelsvertreter zubilligt.11
4
Canaris, Handelsrecht, § 15 Rn. 16. Ausführlich MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 86a Rn. 2 ff. 6 BGH, Urteil vom 21.10.2009, NJW 2010, 298; Staub/Emde § 87a Rn. 56 f. 7 Vgl. Urteil vom 21.10.2009 BGH NJW 2010, 298, 299. 8 Oetker/Busche § 88a Rn. 6. 9 MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 89 Rn. 2. 10 BT-Drucks. 1/3856 S. 31. 11 Canaris, Handelsrecht, § 15 Rn. 83; K. Schmidt, Handelsrecht, § 27 V 1. 5
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Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts
Damit der Handelsvertreter das vom Unternehmer erlangte Know-how nach Ende der Vertragslaufzeit nicht ohne weiteres in Konkurrenz zu diesem nutzen kann, hat der Unternehmer ein Interesse daran, eine Wettbewerbsabrede gegenüber dem Handelsvertreter zu vereinbaren. Auch an dieser Stelle greift der Gesetzgeber schützend zugunsten der schwächeren Partei ein. Ein Wettbewerbsverbot unterliegt zeitlichen und räumlichen Beschränkungen nach § 90a HGB. Es darf nicht für länger als zwei Jahre vereinbart werden und darf sich nicht über den Bereich des Handelsvertreterverhältnisses erstrecken. Ferner hat der Unternehmer den Handelsvertreter zu entschädigen. Eine Vereinbarung, die für den Handelsvertreter nachteilig vom gesetzlichen Leitbild abweicht, ist nach § 90a Abs. 4 HGB grundsätzlich unwirksam. 12 Nicht abgewichen werden darf darüber hinaus im Falle eines Handelsvertreters, der allein für einen Unternehmer tätig wird, von per Rechtsverordnung festgelegten Mindestarbeitsbedingungen nach § 92a Abs. 1 HGB.13 Von erheblicher praktischer Relevanz ist der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB.14 Dieser gewährt dem Handelsvertreter Ausgleichsansprüche gegen den Unternehmer für den Fall, dass Letzterem aus Geschäftsverbindungen mit Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Handelsvertretervertrags erhebliche Vorteile erwachsen und die Zahlung eines Ausgleichs der Billigkeit entspricht. Der Billigkeit entsprechen soll ein solcher Anspruch insbesondere dann, wenn dem Handelsvertreter Provisionen entgehen, die ihm ohne die Vertragsbeendigung zugestanden hätten. Der Ausgleichsanspruch zugunsten des Handelsvertreters besteht bereits seit 1953 15 und ist damit keineswegs ein originär gemeinschaftsrechtlicher Anspruch. Indes wurde er durch die Handelsvertreterrichtlinie16 – der die deutsche Regelung als Vorbild diente 17 – modifiziert, sodass diese bei der Auslegung nunmehr zu beachten ist. Bei § 89b HGB handelt es sich um einen Fremdkörper im deutschen Recht, denn grundsätzlich entstehen aus Vorteilen, die einer Partei nach Ende eines Rechtsverhältnisses verbleiben, keinerlei Ansprüche zulasten der bevorteilten Partei, vielmehr enden mit Auslaufen des Schuldverhältnisses die gegenseitigen Rechte und Pflichten.18 Ziel des § 89b HGB ist es, einen Beitrag zur Verbesserung 12 Eine geltungserhaltende Reduktion bleibt freilich denkbar: Baumbach/Hopt § 90a Rn. 31. 13 Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift ist wohl eher gering: MünchKommHGB/ von Hoyningen-Huene § 92a Rn. 4. 14 Allein im Zeitraum von 1990 bis 2012 ergingen hierzu 80 BGH-Entscheidungen. 15 Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung des HGB vom 06.08.1953, BGBl I, 771, 773. 16 Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. EWG Nr. L 382 vom 31.12.1986, S. 17. 17 Balke/de Groot, NJOZ 2010, 1551. 18 Canaris, Handelrecht, § 15 Rn. 100; Martinek/Semler/Habermeier/Semler § 15 Rn. 1.
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der wirtschaftlichen Situation und sozialen Absicherung von Handelsvertretern zu leisten. 19 Eine vertragliche Abbedingung oder Einschränkung des Anspruchs ist zumindest im Vorhinein nach Abs. 4 nicht möglich. 20 II. Vertragshändlervertrag Vertragshändler ist, wer auf gewisse Dauer verpflichtet ist, Waren des Herstellers oder Lieferanten im eigenen Namen und für eigene Rechnung zu vertreiben und dabei in die Verkaufsorganisation des Herstellers eingegliedert ist.21 Synonym zu verstehen ist grundsätzlich der von der Rom I-Verordnung verwendete Begriff „Vertriebshändlervertrag“, wobei freilich dadurch im Einzelfall Abweichungen auftreten können, dass der unionsrechtliche Begriff mittels autonomer Auslegung zu bestimmen ist.22 Eine gesetzliche Regelung des Vertragshändlervertrags findet sich in Deutschland nicht. Eine direkte Anwendung der §§ 84 ff. HGB ist aufgrund der abweichenden Vertragsstruktur nicht möglich. 23 In Betracht kommt jedoch eine analoge Anwendung des Handelsvertreterrechts. Hierfür bedarf es einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage. Die offensichtlich bestehende Regelungslücke erscheint planwidrig, denn dem Gesetzgeber waren die Parallelen zwischen Vertragshändler und Handelsvertreter ebenso bekannt wie eine bereits bestehende, gefestigte Rechtsprechung zur analogen Anwendung des Handelsvertreterrechts auf den Vertragshändler. Hätte der Gesetzgeber eine Begrenzung des persönlichen Schutzbereichs beabsichtigt, so hätte angesichts dessen ein ausdrücklicher Ausschluss nahegelegen. 24 Auch eine Vergleichbarkeit der Interessenlage in den Beziehungen von Handelsvertreter und Vertragshändler gegenüber dem Unternehmer liegt vor.25 Anders als der Handelsvertreter schließt der Vertragshändler zwar Verträge im eigenen Namen ab und tut dies darüber hinaus für eigene Rechnung. Nach außen hin tritt er ferner als selbstständiges Unternehmen auf; ihm sind die Strukturierung von Lagerung und Transport sowie die Absatzfinanzierung überlassen. 26 Ihn treffen damit eine größere kaufmännische Handlungsfreiheit sowie die Pflicht
19 Siehe hierzu insbesondere die Gesetzgebungsmaterialien BT-Drucks. 7/3918, S. 7 ff.; BVerfG, Beschluss vom 22.08.1995, NJW 1996, 381; Canaris, Handelsrecht, § 15 Rn. 104; Eckert, WM 1991, 1237, 1240; Martinek, ZHR 161 (1997), 74; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 89b Rn. 3. 20 MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 89b HGB Rn. 209. 21 BGH, Urteil vom 11.12.1958, BGHZ 29, 83, 87; BGH, Urteil vom 16.02.1961, BGHZ 34, 282, 285; BGH, Urteil vom 21.10.1970, NJW 1971, 29, 30. 22 Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn. 71. 23 Eckert, WM 1991, 1237, 1241. 24 BGH, Urteil vom 11.12.1958, BGHZ 29, 83, 85 f.; K. Schmidt, DB 1979, 2357. 25 Canaris, Handelsrecht, § 17 Rn. 15. 26 Martinek, ZHR 161 (1997), 67, 77.
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zum Einsatz eigenen Kapitals. 27 Freilich bestehen bei einer faktischwirtschaftlichen Betrachtung erhebliche Gemeinsamkeiten mit dem Handelsvertreter. Typischerweise ist der Vertragshändler ähnlich weitgehend in die Vertriebs- und Absatzorganisation des Unternehmers eingebunden. 28 Während der Handlungsspielraum des Vertragshändlers vertraglich stark eingeschränkt ist, verbleibt das wirtschaftliche Risiko seiner Betätigung allein bei ihm. Der Vertragshändler ist auf die funktionierende Marktausrichtung des Unternehmers angewiesen und den Entscheidungen des Unternehmers ausgeliefert. Wirtschaftlich negative Folgen von Fehlentscheidungen trägt er. Mithin lässt sich nicht nur eine Eingliederung in die Absatzstruktur des Unternehmers feststellen, sondern zugleich auch ein Abhängigkeitsverhältnis, was dem Handelsvertretervertrag ähnelt. Hieraus ergibt sich auch eine Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers, welche eine analoge Anwendung der sozialschützenden §§ 84 ff. HGB rechtfertigt.29 Die dargestellte Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen Vertragshändlervertrag und Handelsvertretervertrag kann freilich nicht die vollständige Anwendbarkeit der §§ 84 ff. HGB begründen. Vielmehr ist für jede Norm gesondert festzustellen, ob ihre ratio legis auch auf den Vertragshändler passt.30 Dies wird immer dann zu bejahen sein, wenn die Normen an den Charakter des Handelsvertretervertrags als Geschäftsbesorgungsvertrag anknüpfen. 31 Von besonderer praktischer Relevanz ist auch beim Vertragshändlervertrag die analoge Anwendung des § 89b HGB.32 Nach ganz herrschender Meinung kommt eine solche in Betracht. 33 Die Rechtsprechung gewährt dem Vertragshändler dann einen Ausgleichsanspruch analog § 89b HGB, wenn der Vertragshändler auf ähnliche Art und Weise in die Absatzorganisation des Lieferanten eingebunden ist wie ein Handelsvertreter.34 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Lieferant Einsicht in die Geschäftsunterlagen des 27
Martinek/Semler/Habermeier/Ullrich § 20 Rn. 9. MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn. 16. 29 So im Ergebnis wohl auch Martinek, ZHR 161 (1997), 67, 78; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn. 16; zum Sozialschutz: BT-Drucks. 1/3856, S. 10 f.; Eckert, WM 1991, 1237, 1241; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 256 ff. 30 Canaris, Handelsrecht, § 17 Rn. 20. 31 MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn. 16. 32 Canaris, Handelsrecht, § 17 Rn. 24. 33 BGH, Urteil vom 03.03.1983, NJW 1983, 1789; BGH, Urteil vom 16.01.1986, WM 1986, 530; BGH, Urteil vom 08.06.1988, NJW-RR 1988, 1305; BGH, Urteil vom 07.11.1991, WM 1992, 825, 827; BGH, Urteil vom 10.02.1993, WM 1993, 1464, 1466; Niebling, BB 1997, 2388, 2389; Oetker/Busche § 89b Rn. 60; K. Schmidt, Handelsrecht § 28 III 2; Thume, BB 1994, 2358, 2359; die Gegenansicht verneint die Analogie mangels Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers und verweist auf dogmatische Unterschiede zwischen Vertragshändler und Handelsvertreter: OLG Köln, Urteil vom 20.05.1994, NJWRR 1995, 29, 30 f.; Stumpf, NJW 1998, 12, 16. 34 BGH, Urteil vom 22.10.2003, NJW-RR 2004, 898 m.w.N. 28
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Vertragshändlers nehmen und eine weitgehende Kontrolle über diesen ausüben kann. III. Franchising In Deutschland fehlt es an einer gesetzlichen Regelung des Franchisevertragsrechts.35 Die analoge Anwendung des Handelsvertreterrechts auf den Franchisevertrag wird in der Rechtsprechung und Literatur jedoch überwiegend bejaht. Voraussetzung hierfür ist das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke sowie einer vergleichbaren Interessenlage. Letztlich kann hier auf die Ausführungen zum Vertragshändler verwiesen werden. Von einer planwidrigen Regelungslücke kann bereits aufgrund der fehlenden Normierung des Franchisevertrags ausgegangen werden. 36 Auch der Franchisenehmer ist ferner bei faktisch-wirtschaftlicher Betrachtung mit dem Handelsvertreter vergleichbar. Dem Franchisenehmer ist typischerweise der Alleinvertrieb von Produkten des Franchisegebers zugewiesen. Zugleich ist er insofern ausschließlich an den Vertragspartner gebunden, als ihm zumeist verwehrt ist, Konkurrenzprodukte zu vertreiben. Der Franchisenehmer ist zudem zur ausschließlichen Nutzung der Markenzeichen des Franchisegebers verpflichtet. Dies alles spricht dafür, grundsätzlich von der erforderlichen Eingliederung in eine fremde Absatzorganisation auszugehen. 37 Auch eine vergleichbare Schutzbedürftigkeit ist im Falle des Franchisenehmers gegeben. Aufgrund seiner typischerweise bestehenden wirtschaftlichen Schwäche ist er dem Franchisegeber strukturell unterlegen. Diese Unterlegenheit wirkt sich zum einen vor Vertragsschluss aus, da ein Franchisenehmer ohne Weiteres kaum eine Möglichkeit haben wird, die Rentabilität des Geschäftsmodells zu überprüfen und auf die Vertragsgestaltung Einfluss zu nehmen, sondern vielmehr allein die Wahl hat, den vom Franchisegeber vorgegebenen Vertragsbedingungen zuzustimmen oder vom Vertragsschluss und damit zugleich von der Teilnahme am Franchisesystem Abstand zu nehmen. 38 Insbesondere der Schutz vor willkürlicher Vertragsbeendigung ist für den Franchisenehmer essentiell. Der Franchisenehmer hat typischerweise erhebliche Investitionen in seinen Betrieb getätigt, welche ihren Wert durch eine Beendigung des Franchisevertrags weitgehend verlieren und sich zudem möglicherweise noch nicht rentiert haben. Der Franchisenehmer ist folglich zum einen auf die Wahrung von Kündigungsfristen angewiesen, zum anderen ist der Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers gegen den Franchisegeber nach § 89b 35
Giesler/Nauschütt/Giesler § 4 Rn. 2, 4. Giesler/Nauschütt/Kroll § 7 Rn. 10. BGH, Urteil vom 17.07.2002, DB 2002, 1992; sogar für eine Generalanalogie eintretend: Martinek, ZIP 1988, 1362, 1375. 38 Emerson, 43 Vand. L. Rev. 1503, 1509 (1990); Note, 59 Minn. L. Rev. 1027, 1029 (1974–1975). 36 37
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HGB von Bedeutung. Die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur spricht sich daher für die analoge Anwendung des Handelsvertreterrechts auch auf Franchisenehmer aus;39 die Rechtsprechung ist dem gefolgt. 40 B. Versicherungsrecht Eine beträchtliche Beschränkung der Vertragsfreiheit zum Schutze einer schwächeren Partei nimmt ferner das Versicherungsvertragsrecht vor, das im deutschen Recht im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt ist. Diverse Vorschriften des VVG sind insofern halbzwingender Natur, als sie nicht zulasten des Versicherungsnehmers abdingbar sind.41 Das betrifft zum Beispiel das Widerrufsrecht, Beratungs- und Informationspflichten des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer sowie Kündigungsfristen. 42 Dem Versicherungsnehmer wird für die Versicherung so genannter Massenrisiken dieser Schutz unabhängig davon zuteil, ob es sich um einen Verbrauchervertrag handelt oder der Versicherungsnehmer kommerziell tätig wird. Eine Abweichung von den halbzwingenden Bestimmungen des VVG nimmt erst § 210 VVG vor. Hiernach sind die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG auf Versicherungsverträge über Großrisiken nicht anwendbar. Auf die Differenzierung der Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers anhand der Art des Risikos ist im Rahmen der Untersuchung des Internationalen Privatrechts noch ausführlich einzugehen. 43 C. § 307 BGB I. Einführung Eine ganze erhebliche – rechtspolitisch höchst umstrittene 44 – Beschränkung der Privatautonomie nimmt das deutsche Recht mit den §§ 305 ff. BGB vor. Die deutschen AGB-Vorschriften dienen zwar auch der Umsetzung der Klauselrichtlinie45, sie gehen jedoch insofern über die europäischen Vorgaben 39 Vgl. Baumbach/Hopt § 84 Rn. 12; Eckert, WM 1991, 1237, 1245 f.; Köhler, NJW 1990, 1689, 1690 ff.; Martinek/Semler/Habermeier/Martinek/Habermeier § 25 Rn. 71; Matthießen, ZIP 1988, 1089, 1096; MünchKommHGB/Hoyningen-Huene § 89b Rn. 24; Schacherreiter, Das Franchise-Paradox, S. 57 f.; K. Schmidt, Handelsrecht, S. 770 ff. 40 OLG Celle, Urteil vom 19.04.2007, BB 2007, 1862; LG Frankfurt a.M., Urteil vom 19.11.1999, EWiR 2004, 69; noch ausdrücklich offenlassend: BGH, Urteil vom 23.07.1997, NJW 1997, 3304, 3308; vgl. auch OLG München, Urteil vom 26.06.2002, BB 2002, 2521. 41 Weyers/Wandt, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 141 f. 42 Siehe etwa §§ 6, 7, 8, 11 Abs. 2 sowie 18 VVG. 43 Siehe dazu unten § 1B.IV.3. 44 Siehe etwa Berger, ZIP 2006, 2149; Vertragsfreiheit soll wachsen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.03.2010, Nr. 64, S. 23. 45 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95 vom 21.04.1993, S. 29.
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hinaus, als sie nicht lediglich Verbraucherverträge, sondern auch den Handelsverkehr erfassen. Über die Generalklausel des § 307 BGB ist eine umfassende Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen möglich. Ohne eine solche wäre ein Vertrag allein der Überprüfung anhand des § 138 BGB unterworfen. Hieran scheitern freilich nur Extremfälle, wie etwa eine wucherähnliche Vertragsgestaltung, die ein nicht realisierbares oder vollständig unrentables Geschäftsmodell vorsieht. 46 Jenseits dieser Extremfälle bietet § 307 BGB auch einem Unternehmer bereits dann Schutz, wenn eine Allgemeine Geschäftsbedingung ihn unangemessen benachteiligt. Die Inhaltskontrolle unterscheidet sich dabei nur in Nuancen von der im Rahmen von Verbraucherverträgen vorgenommenen. 47 Zwar bestimmt § 310 Abs. 1 BGB, auf im Handelsverkehr geltende Gewohnheiten und Gebräuche sei angemessen Rücksicht zu nehmen, auch finden die Kataloge der §§ 308 und 309 BGB keine unmittelbare Anwendung. Letztere entfalten aber im Rahmen der Kontrolle nach § 307 BGB immerhin Indizwirkung, sodass eine Differenzierung zwischen Verbraucherverträgen und solchen zwischen zwei Unternehmern in der Praxis kaum stattfindet. 48 Eine der Inhaltskontrolle unterliegende Allgemeine Geschäftsbedingung ist dabei nach § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB bereits gegeben, wenn sie nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde. Von einem Aushandeln kann erst dann ausgegangen werden, wenn der Verwender den in seinen AGB enthaltenen Kerngehalt inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt. 49 Insbesondere in den hier interessierenden Konstellationen, an denen ein strukturell unterlegener Unternehmer beteiligt ist, werden die Vertragsbedingungen im Zweifel von der überlegenen Vertragspartei vorgegeben, ein Aushandeln im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB findet in der Regel im Rahmen des Vertragsschlusses nicht statt. Zwar ist die Durchführung der AGB-Kontrolle unabhängig von der individuellen Schutzbedürftigkeit eines Vertragspartners.50 Da das Vorliegen eines strukturellen Ungleichgewichts jedoch faktisch regelmäßig zur Einschlägigkeit der Inhaltskontrolle führen wird, bewirkt das deutsche Recht einen großflächigen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers.
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LG Karlsruhe, Urteil vom 16.9. 1988, NJW-RR 1989, 822: Lizenz zur Vermarktung eines Buches, das nicht erschienen war; OLG Stuttgart, Urteil vom 13.07.1992, NJW-RR 1993, 654, 655: Pachtzins lag 200% über dem Pachtwert. 47 MünchKommBGB/Basedow § 310 Rn. 2; kritisch: Berger, ZIP 2006, 2149, 2151. 48 Berger, ZIP 2006, 2149, 2151 f. mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 49 BGH, Urteil vom 03.11.1999, NJW 2000, 1110; BGH, Urteil vom 18.04.2002, NJW 2002, 2388; BGH, Urteil vom 19.05.2005, NJW 2005, 2543, 2544. 50 Berger, ZIP 2006, 2149, 2152 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung.
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Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts
II. AGB-Kontrolle am Beispiel des Franchisevertrags Die nach § 307 BGB vorgenommene Inhaltskontrolle soll im Folgenden beispielhaft anhand des Franchisevertrags skizziert werden. Bei Franchiseverträgen handelt es sich regelmäßig um Formularverträge, also für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingungen. 51 Dies ergibt sich zwingend aus der Notwendigkeit, das Franchise-System gegenüber allen Franchisenehmern einheitlich zu gestalten. Der Franchisenehmer, der anstrebt, an einem solchen System teilzunehmen, hat dabei allein die Wahl, den vom Vertragspartner gestellten Vertrag hinzunehmen oder vom Vertragsschluss abzusehen. Auch aufgrund der überlegenen Marktmacht des Franchisegebers werden einzelne Vertragsklauseln im Regelfall nicht zur Disposition des Franchisenehmers stehen. Damit liegen bei Franchiseverträgen regelmäßig Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB vor.52 Hieraus folgt die Eröffnung einer Kontrolle der Vertragsbedingungen nach § 307 BGB. Eine Klausel in einem Franchisevertrag ist nach § 307 Abs. 1 BGB dann unwirksam, wenn sie den Franchisenehmer unangemessen benachteiligt. Eine solche unangemessene Benachteiligung ergibt sich aus einer Abwägung der Interessen von Franchisegeber und Franchisenehmer. Gegeneinander zu gewichten sind einerseits das Interesse des Franchisegebers, sein Vertriebssystems in einer Weise zu organisieren, die es ihm ermöglicht, sein möglicherweise sogar global orientiertes Geschäft einheitlich zu betreiben, was umfassende Kontroll- und Weisungsmöglichkeiten voraussetzt, und andererseits das auch grundrechtlich relevante Interesse des Franchisenehmers, sich unternehmerisch möglichst frei zu entfalten. 53 Hieraus ergibt sich etwa, dass Verhaltensrichtlinien dann als den Franchisenehmer unangemessen benachteiligend anzusehen sind, wenn der Umfang der Vorschriften nicht mehr erforderlich ist, um ein einheitliches Auftreten sicherzustellen. 54 Darunter können Klauseln, die detailliert Art und Weise der Werbung vorschreiben, ebenso fallen wie solche, die für den Franchisenehmer wirtschaftlich sinnlose Ausgaben verursachen, indem sie diesen zur Bewerbung von Produkten des Franchisegebers zwingen, die von seinem Betrieb nicht bezogen werden. 55 Insbesondere eine Verpflichtung zur Befolgung arbeitgeberähnlicher Einzelanweisungen stellt eine unangemessene Benachteiligung dar. 56 Ebenfalls problematisch ist die Tragung der Folgekosten von durch den Franchisegeber beschlossenen Änderungen des Franchisesystems. Erforderliche Nachinvestitionen dürfen nicht zu einer Abwälzung des wirtschaftlichen Risikos allein auf 51
Flohr, Franchise-Vertrag, S. 41; Liesegang, BB 1991, 2381. Giesler/Nauschütt/Giesler § 9 Rn. 7. Böhner, NJW 1985, 2811, 2812; vgl. BGH, Urteil vom 03.10.1984, NJW 1985, 1894. 54 Böhner, NJW 1985, 2811; vgl. BGH, Urteil vom 03.10.1984, NJW 1985, 1894. 55 Giesler/Nauschütt/Giesler, § 9 Rn. 68 Fn. 216. 56 Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt § 307 Rn. 363. 52 53
§ 2 Überblick über weitere europäische Rechtsordnungen
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den Franchisenehmer führen oder in einer Höhe bestehen, die eine Amortisierung in absehbarer Zeit unmöglich macht und damit die Tätigkeit des Franchisenehmers unwirtschaftlich werden lässt.57 Einer Überprüfung nach § 307 BGB unterliegen schließlich Klauseln, welche die ordentliche Kündigung des Vertrags betreffen. Der Franchisenehmer ist, wie bereits dargestellt, wirtschaftlich stark vom Franchisegeber abhängig. Sein wirtschaftlicher Erfolg, insbesondere die Amortisierung seiner Investitionen, steht und fällt mit der Fortführung des Franchisevertrags. Eine plötzliche Beendigung des Franchisevertrags kann für den Franchisenehmer daher gravierende wirtschaftliche Konsequenzen haben. Damit kommt der Klauselkontrolle zur ordentlichen Kündigung die Aufgabe zu, einen Investitionsschutz des Franchisenehmers zu gewährleisten. 58 Kündigungsfristen von unter sechs Monaten werden vor diesem Hintergrund als unzulässig angesehen, eine Frist von einem Jahr hingegen als wirksam. 59 Treuwidrig ist darüber hinaus eine Kündigung durch den Franchisegeber, die den Franchisenehmer zu einem Zeitpunkt trifft, zu welchem sich für ihn vertraglich vorausgesetzte Investitionen bei einer gewöhnlichen Entwicklung noch nicht amortisiert haben können. 60 Darf der Franchisenehmer nach Vertragsbeendigung die Produkte des Franchisegebers nicht weitervertreiben, so ist ein vertraglicher Ausschluss eines Warenrückkaufs unwirksam. 61 Ebenfalls einer strengen Kontrolle unterliegen Wettbewerbsverbote. Zu seiner Gültigkeit muss ein Wettbewerbsverbot hinsichtlich Ort, Zeit und Gegenstand so stark beschränkt sein, dass es den Franchisenehmer in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit nicht unzumutbar beschränkt. Unzumutbarkeit liegt vor, wenn es dem Franchisenehmer verboten wird, weiterhin in derselben Branche tätig zu sein.62
§ 2 Überblick über weitere europäische Rechtsordnungen § 2 Überblick über weitere europäische Rechtsordnungen
In der Europäischen Union bestehen mit dem Handelsvertreterrecht und dem Versicherungsrecht zwei Bereiche, in denen Schutzbestimmungen zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers partiell harmonisiert worden sind. 57 BAG, Urteil vom 24.04.1980, BB 1980, 1471; Ekkenga, Die Inhaltskontrolle von Franchiseverträgen, S. 120 ff.; Liesegang, BB 1991, 2381, 2383. 58 Böhner, NJW 1985, 2811, 2812; Foth, BB 1987, 1270; Liesegang, BB 1991, 2381, 2384; Martinek, ZIP 1988, 1362, 1376. 59 Vgl. BGH, Urteil vom 21.02.1995, WM 1995, 1636, 1638; Giesler/Nauschütt § 9 Rn. 82. 60 Liesegang, BB 1991, 2381, 2384; Martinek/Semler-Martinek/Habermeier § 25 Rn. 33; Pfeifer, S. 214. 61 BGH, Urteil vom 05.11.1997, NJW 1998, 540. 62 Vgl. BGH, Urteil vom 15.03.1989, DB 1989, 1620.
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Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts
Darüber hinaus bestehen in einer Reihe von Mitgliedstaaten nationale Bestimmungen zugunsten kleiner und mittelständischer Unternehmen. A. Handelsvertreterrecht in der EU Eine europaweite Angleichung des Handelsvertreterrechts hat durch die Handelsvertreterrichtlinie63 stattgefunden. Der europäische Gesetzgeber wurde primär tätig, um die Verwirklichung der Grundfreiheiten zu gewährleisten und um zugleich Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Handel abzubauen.64 Hintergrund der Erwägung ist, dass sich ein Unternehmer, der auf verschiedenen Märkten innerhalb der EU Absatzmittler einsetzen möchte, ohne Rechtsangleichung dem erheblichen Aufwand ausgesetzt sieht, sich für jeden Markt auf voneinander abweichende gesetzliche Regelungen einzustellen.65 Darüber hinaus berücksichtigte der europäische Gesetzgeber in seiner Regelung auch den Schutz des Handelsvertreters. Zwar ließ die Richtlinie den Mitgliedstaaten hierbei im Einzelnen Umsetzungsspielraum, dennoch ist eine vergleichsweise weitgehende Rechtsangleichung erfolgt.66 In Bezug auf den praktisch besonders relevanten Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters eröffnet Art. 17 der Handelsvertreterrichtlinie den Mitgliedstaaten freilich zwei Varianten der Umsetzung. Art. 17 Abs. 2 sieht einen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters für seine über das Vertragsende hinauswirkenden Leistungen, insbesondere Profite aus geschlossenen Geschäftsverbindungen, vor. Art. 17 Abs. 3 hingegen gewährt dem Handelsvertreter einen Schadensersatzanspruch für durch Vertragsbeendigung entgangene Provisionen sowie Nachteile, die sich aus im Vertrauen auf den Bestand des Vertrags getätigten und nicht amortisierten Aufwendungen ergeben. Der maßgebliche Unterschied zwischen dem Ausgleichs- und dem Schadensersatzanspruch besteht darin, dass ersterer durch die Jahresdurchschnittsvergütung des Handelsvertreters der letzten fünf Jahre vor Vertragsende gedeckelt ist, letzterer in seiner Höhe hingegen keine Begrenzung kennt. 67 Für das Schadensersatzmodell haben sich Frankreich, das Vereinigte Königreich sowie Irland entschieden.68 Damit bestehen trotz erfolgter Rechtsangleichung noch praktisch relevante Unterschiede zwischen den Handelsvertretergesetzen der Mitgliedstaaten, die dazu führen, dass dem anwendbaren Recht eine besondere Bedeutung zukommt. 63
Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. EWG Nr. L 382 vom 31.12.1986, S. 17. 64 Erwägungsgrund 1 und 2 RL 86/653 EWG. 65 Fischer, ZVglRWiss 101 (2002), 143, 144. 66 Vgl. Fischer, ZVglRWiss 101 (2002), 143, 147 f. 67 Fischer, ZVglRWiss 101 (2002), 143, 154. 68 Fock, in: Saenger/Schulze (Hrsg.) S. 62, 77; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 570.
§ 2 Überblick über weitere europäische Rechtsordnungen
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B. Sonstige Regelungen der Mitgliedstaaten I. Überblick In diversen Mitgliedstaaten bestehen neben dem harmonisierten Handelsvertreterrecht weitergehende Regelungen zum Schutz von Franchisenehmern und Vertriebshändlern.69 In Belgien sticht ein Gesetz zum Schutz des Vertragshändlers hervor.70 Das belgische Gesetz 71 aus dem Jahre 1971 weist dabei einen erheblichen Schutzcharakter zugunsten des Vertragshändlers auf. So wird etwa eine Kündigung des auf unbestimmte Zeit eingegangenen Vertrags bei Nichtvorliegen einer groben Pflichtverletzung durch eine der beiden Parteien vom Setzen einer angemessenen Kündigungsfrist oder von der Zahlung einer angemessenen Entschädigung abhängig gemacht. 72 Die Höchstdauer der Kündigungsfrist, die belgische Gerichte zugunsten des Vertragshändlers angenommen haben, beträgt immerhin drei Jahre. 73 Erschwert ist zudem eine Befristung des Vertrages. Eine neuerliche Befristung ist maximal zweimal möglich, anschließend gilt jede Verlängerung als auf unbestimmte Zeit vereinbart.74 Schließlich gewährt das Gesetz dem Vertragshändler im Falle einer nicht durch ihn provozierten Kündigung einen vergleichsweise weitgehenden nachvertraglichen Ausgleichsanspruch, welcher den aus Art. 17 der Handelsvertreterrichtlinie herrührenden übersteigt.75 Wie aus dem Europarecht bekannt, hat der Unternehmer nach Vertragsschluss eine wesentliche Erhöhung des Kundenstammes, den der Vertragshändler geworben hat und der dem Unternehmer nach Vertragsschluss erhalten bleibt, auszugleichen. 76 Darüber
69 Ein Überblick über sämtliche mitgliedstaatliche Regelungen findet sich bei Martinek/ Semler/Habermeier/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, S. 1495 ff. 70 Martinek/Semler/Habermeier/Flohr/Hanotiau/Lefebvre § 46 Rn. 41; Stumpf, RIW 1993, 542; gesetzliche Regelungen finden sich darüber hinaus noch in Argentinien, Bahrain, Brasilien, in der Dominikanischen Republik, Ecuador, Guatemala, Honduras, Indonesien, Jordanien, Katar, Kolumbien, Kuweit, Libanon, Nicaragua, Oman, Panama, SaudiArabien, in den Vereinigten Arabischen Emiraten; vgl. dazu auch Hepting/Detzer, RIW 1989, 337, 346 Fn. 128. 71 Loi du 13 avril 1971 relative à la résiliation unilatérale des concessiones de vente / Gesetz vom 13. April 1971 über die Kündigung von Vertragshändlerverträgen (deutsche Übersetzung abgedruckt in Stumpf, Der Vertragshändlervertrag, S. 245 ff.; dazu auch Martiny/Schweickert, AWD 1973, 372. 72 SPRL Supercycle v. Société de droit américain Harley Davidson, Cour d'appel de Bruxelles, 20.06.1995, RDC-TBH 1996, 235; Martinek/Semler/Habermeier/ Hanotiau/Lefebvre § 46 Rn. 45. 73 Vgl. NV Renault v. BVBA Garage Gielen, Hof van Beroep Antwerpen, 13.02.1996, RDC-TBH 1997, 37. 74 Martinek/Semler/Habermeier/Hanotiau/Lefebvre § 46 Rn. 49. 75 Vgl. Stumpf, RIW 1993, 542, 543. 76 Zu den detaillierten Anforderungen vgl. Mercedes Benz Belgium v. Garage de Ferrare, Oberlandesgericht Mons, 24.10.1988, R.D.C. 1989, 525.
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Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts
hinaus sind dem Vertragshändler aber auch sonstige Aufwendungen zu ersetzen, die der Vertragshändler in Bezug auf den Vertrag getätigt hat.77 II. Der Schutz des Subunternehmers In Italien78, Frankreich, Luxemburg 79, Belgien80 und Spanien81 finden sich materielle Schutzbestimmungen zugunsten des Subunternehmers. 82 Exemplarisch lässt sich dies am französischen Subunternehmergesetz verdeutlichen.83 Dieses entstand Anfang der 1970er Jahre aus dem politischen Bestreben heraus, kleinere und mittlere Betriebe zu schützen, die sich als Subunternehmer betätigt hatten und infolge der damaligen Wirtschaftskrise überproportional häufig unter den Folgen der Insolvenz von Generalunternehmern litten. 84 Beim Subunternehmer handelt es sich um die gegenüber dem Generalunternehmer strukturell unterlegene Partei, weil eine enorme faktischwirtschaftliche Abhängigkeit besteht. 85 Die wirtschaftliche Existenz des Subunternehmers wird typischerweise ganz erheblich auf der Erfüllung seiner Ansprüche gegen den Generalunternehmer beruhen, seine eigene finanzielle Leistungsfähigkeit häufig nicht ausreichen, um auch im Falle der Insolvenz eines zentralen Vertragspartners wirtschaftlich zu überleben. Das Subunternehmergesetz dient damit der Vermeidung der andernfalls aus der Zahlungsunfähigkeit des Generalunternehmers folgenden Insolvenz des Subunternehmers. 86 Der französische Gesetzgeber hielt den Subunternehmer zum einen für nicht in der Lage, das Insolvenzrisiko, welches er nach allgemeinen vertragsrechtlichen Maßstäben zu tragen hätte, zu übernehmen, und zum anderen im unbeschränkten Rechtsverkehr für unfähig, ein solches durch entsprechende Vertragsgestaltung zu minimieren. Letzteres folgt daraus, dass ein Subunternehmer sich im Zeitpunkt der Auftragsvergabe einer erheblichen 77 In dieser Bestimmung liegt eine gesetzliche Verankerung des Gedankens, der in Deutschland unter dem Stichwort „Investitionsersatzanspruch“ diskutiert wird. Umfassend hierzu Foth, BB 1987, 1270. 78 Gesetz vom 18.06.1998, Nr. 192, Gazzetta Ufficiale Nr. 143 vom 22.06.1998. 79 Gesetz vom 23.07.1991 „ayant pour objet de réglementer les activités de soustraitance“, Mémorial, Journal officiel du Grand-Duché de Luxembourg, Partie A, Nr. 52 vom 08.08.1991, S. 1037 ff. 80 Art. 1798 Code civil (neu gefasst durch Art. 2 des Gesetzes vom 19.02.1990, Moniteur Belge vom 24.03.1990). 81 Art. 1597 Código civil. 82 Eine umfassende Untersuchung der Schutzgesetze findet sich bei Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 51 ff. 83 Loi No. 75–1334 du 31 décembre 1975 relative à la sous-traitance, Journal Officiel vom 03.01.1976, S. 80 ff.; eine umfassende Darstellung in deutscher Sprache findet sich bei Kühnel/Langer, RIW 1977, 610 ff. 84 Kühnel/Langer, RIW 1977, 610, 612. 85 So auch die Stellungnahme des Avocat général zur Entscheidung des Cass. mixte 30.11.2007, D 2008, 5. 86 Kondring, RIW 2009, 118, 122; Kühnel/Langer, RIW 1977, 610, 612.
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Konkurrenz durch andere potenzielle Subunternehmer ausgesetzt sieht, er dem Generalunternehmer folglich keine Vertragsbedingungen diktieren kann, sondern vielmehr die Konditionen hinnehmen muss, die er ihm stellt.87 Subunternehmer (sous-traitant) im Sinne des französischen Gesetzes ist nach Art. 1, wer sich gegenüber einem Generalunternehmer (entrepreneur) vertraglich verpflichtet, in eigener Verantwortung teilweise die Ausführung eines Vertrages zu übernehmen, welchen Letzterer mit einem Hauptauftraggeber (maître de l’ouvrage) geschlossen hat. Bei beiden Verträgen muss es sich um Werkverträge handeln. Nach Art. 3 hat der Generalunternehmer, der beabsichtigt Subunternehmer einzusetzen, jeden Subunternehmervertrag vom Hauptauftraggeber genehmigen zu lassen. Die Rechtsfolgen für den Fall der unterlassenen Genehmigung sind einschneidend. Der Vertrag ist relativ unwirksam. Zwar bleibt der Generalunternehmer dem Subunternehmer gegenüber verpflichtet, er kann seinerseits jedoch keinerlei Rechte aus dem Subunternehmervertrag gegen ihn geltend machen. Kernstück des Subunternehmergesetzes ist der Durchgriffsanspruch des Subunternehmers gegen den Auftraggeber nach Art. 12. Wurde der Subunternehmervertrag vom Auftraggeber genehmigt, so hat der Subunternehmer nach Art. 12 einen Zahlungsanspruch gegen den Hauptauftraggeber, wenn ihn der Generalunternehmer nicht einen Monat nach Eintritt des Zahlungsverzugs befriedigt und der Auftraggeber zudem vom Subunternehmer vom Eintritt des Verzugs unterrichtet worden ist. 88 Art. 12 führt zu einer umfassenden Verlagerung der Insolvenzrisiken. Dem Subunternehmer wird das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners abgenommen, welches nach dem allgemeinen Grundsatz der Relativität der vertraglichen Schuldverhältnisse dieser selbst tragen müsste. Dem Auftraggeber wird ein Insolvenzrisiko aufgebürdet, das sich aus allgemeinen Grundsätzen nicht herleiten lässt. Abgesichert werden die Rechte des Subunternehmers durch Art. 14. Spätestens bei Abschluss des Subunternehmervertrags hat der Generalunternehmer entweder eine selbstschuldnerische Bürgschaft eines staatlich anerkannten Kreditinstituts zu stellen oder alternativ einen Schuldbeitritt des Auftraggebers zu veranlassen. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist der Vertrag wiederum zugunsten des Subunternehmers relativ unwirksam, Ansprüche gegen diesen werden nicht begründet. Hat der Auftraggeber den Vertrag genehmigt, ohne einen Schuldbeitritt zu erklären, so hat der Auftraggeber nach Art. 14-1 einen Nachweis über die Bestellung der Bankbürgschaft zu verlangen. Weitere Pflichten treffen den Auftraggeber aus Art. 14-1, wenn der Generalunternehmer es unterlassen hat, dem Auftraggeber entsprechend 87
Vgl. Kühnel/Langer, RIW 1977, 610, 612. Der Auftraggeber kann dem Subunternehmer all die Einwendungen entgegenhalten, die dem Generalunternehmer aus dem Subunternehmervertrag zustehen: Cour de cassation, 3e Ch. Civ., Urteil vom 15.02.1983, D 1983, 483; Urteil vom 08.03.1983, D 1983, 483. 88
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seiner Pflicht aus Art. 3 den Subunternehmervertrag zur Genehmigung vorzulegen. Dann hat der Auftraggeber, sobald er von der Tätigkeit des Subunternehmers erfährt, unverzüglich auf die Vorlage des Vertrags zur Genehmigung hinzuwirken. Diese Pflicht dient dazu, dem Subunternehmer den Direktanspruch aus Art. 12 zu sichern, da dieser erst durch die Genehmigung entsteht. Verletzt der Auftraggeber die Pflichten aus Art. 14-1, so setzt er sich Schadensersatzansprüchen aus. Das französische Subunternehmergesetz stellt damit ein herausgehobenes Beispiel für einen Eingriff in die Privatautonomie zugunsten eines als strukturell unterlegen angesehenen Unternehmers dar.
§ 3 US-amerikanisches Recht § 3 US-amerikanisches Recht
A. Überblick Die Rechtslage in den Vereinigten Staaten gestaltet sich unübersichtlich. Grund hierfür ist die föderale Struktur der Vereinigten Staaten, die sowohl dem Bundesgesetzgeber als auch den Einzelstaaten jeweils weitreichende Gesetzgebungsbefugnisse einräumt. Insbesondere das Vertragsrecht ist grundsätzlich Gegenstand der Regulierung durch die Einzelstaaten. Dem Bundesgesetzgeber kommt neben der Außen-, Verteidigungs- und Fiskalpolitik insbesondere die Regulierung des zwischenstaatlichen Handels zu, welche ihm durch die so genannte interstate commerce clause der USamerikanischen Verfassung zugewiesen wird. 89 Diese Gesetzgebungskompetenz ist weit zu verstehen und betrifft grundsätzlich jede zwischenstaatliche Verflechtung mit wirtschaftlichem Charakter. 90 Daraus folgt, dass auch Vertragsverhältnisse, sofern sie nicht bloß in einem Staat Wirkung entfalten, der Regulierung durch den Bundesgesetzgeber unterfallen.91 Zwar hat Bundesrecht nach der Supremacy Clause der US-Verfassung grundsätzlich Vorrang vor einzelstaatlichem Recht, 92 es bleibt den Einzelstaaten jedoch unbenommen zusätzliche, strengere Anforderungen an die in ihrem Staat tätig werdenden Parteien zu stellen, soweit der Bundesgesetzgeber ein solches Vorgehen zulässt und die einzelstaatlichen Vorgaben mit denen des Bundesgesetzgebers vereinbar sind (sog. nonpreemptive legislation).93 Größere Bedeutung kommt den einzelstaatlichen Regelungen freilich zu, wenn der Bundesstaat von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. In den Vereinig89
Art. 1 Sec. 8 Clause 3 US Constitution. Grundsätzlich: United States v. Morrison, 529 U.S. 598 (US Supreme Court, 2000); Schramm, ZfRV 2001, 136. 91 United States v. Morrison, 529 U.S. 598 (US Supreme Court, 2000). 92 Article VI, Clause 2 US Constitution; Crosby v. National Foreign Trade Council, 530 U.S. 363, 372–374 (US Supreme Court, 2000). 93 Note, 59 Minn. L. Rev. 1027, 1053f (1974–1975). 90
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ten Staaten finden sich zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer vor allem Schutzbestimmungen für kommerzielle Versicherungsnehmer und Absatzmittler, wie Handelsvertreter, Franchisenehmer und Vertriebshändler. Insbesondere das Franchising, das in den USA seinen Ursprung nahm und ab den 1960er Jahren eine enorme wirtschaftliche Bedeutung erlangte, ist Gegenstand erheblicher Regulierung geworden. 94 Mit der zunehmenden Bedeutung des Franchising und vergleichbarer Absatzmittlungsverträge wurde auch der Missbrauch durch die strukturell überlegene Partei häufiger. Insbesondere kam es vermehrt zu Täuschungen über die Rentabilität von Franchisesystemen, um geschäftlich unerfahrene Franchisenehmer zu Vertragsschlüssen zu verleiten. Ferner wurden bei Vertragsschluss zu erwerbende Geschäftsausstattungen und Warenkontingente zu überhöhten Preisen veräußert. 95 Zugleich zeigte sich, dass das durch das common law geprägte Allgemeine Schuldrecht nicht ausreichte, um dem Absatzmittler hinreichenden Schutz zu bieten. Zwar bestanden vertrags- sowie deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche, sie kamen freilich erst zum Tragen, wenn bereits ein Schaden eingetreten war und der Absatzmittler bereits weitgehende Dispositionen getroffen hatte. 96 Keinerlei Schutz bestand für den Absatzmittler im Hinblick auf die Vertragsbeendigung, die nach allgemeinem Vertragsrecht an keinerlei Bedingungen geknüpft war. Insbesondere weigerten sich Gerichte solche aus Treu und Glauben 97 herzuleiten.98 Zugleich wuchs das Bewusstsein dafür, dass zulasten des Absatzmittlers häufig ein strukturelles Ungleichgewicht vorliegt. 99 Aufgrund der Schutzbedürftigkeit des Absatzmittlers sowie der mangelnden Fähigkeit des common law einen solchen Schutz zu gewährleisten, wurden Anfang der 1970er Jahre die Gesetzgeber mehrerer Einzelstaaten tätig. B. Rechtslage in den Einzelstaaten und im Bund I. Bundesrecht Auf Bundesebene bestehen nur wenige Schutzbestimmungen zugunsten von Absatzmittlern. Die Bundesregierung statuierte 1979 Aufklärungspflichten gegenüber Absatzmittlern durch die Disclosure Requirements and Prohibiti-
94
Emerson, 43 Vand. L. Rev. 1503, 1507 (1990). Statement der Federal Trade Commission zur „Franchise Rule“ im House of Representatives vom 25.06.2002, abrufbar unter ; Haibt/Siemens, RIW 2000, 597, 599; Note, 59 Minn. L. Rev. 1027, 1027 f. (1974–1975). 96 Note, 59 Minn. L. Rev. 1027, 1030 (1974–1975). 97 Im common law: good faith and fair dealing. 98 Note, 59 Minn. L. Rev. 1027, 1035 f. (1974–1975). 99 Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 70 (1990–1991); Emerson, 43 Vand. L. Rev. 1503, 1511 (1990); Pitegoff, 45 Bus. Law. 289 (1989–1990). 95
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Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts
ons Concerning Franchising and Business Opportunities Ventures100.101 Sie verpflichten etwa den Franchisegeber den zukünftigen Vertragspartner mittels eines Formblattes umfassend über das Franchisesystem zu informieren. Zunächst hat der Franchisegeber über die Funktionsweise des Franchising aufzuklären. Er hat unter anderem Daten über die am System beteiligten Franchisenehmer bereitzustellen und darüber zu unterrichten, ob Franchiseverträge im abgelaufenen Geschäftsjahr gekündigt oder nicht verlängert worden sind. Daten über den wirtschaftlichen Erfolg des Franchisesystems sind in Form einer Bilanz für das letzte Geschäftsjahr vorzulegen. Schließlich hat der Franchisegeber seinen künftigen Vertragspartner umfassend über die auf ihn zukommenden Kosten und vertraglichen Verpflichtungen aufzuklären. Für den Franchisenehmer muss ersichtlich sein, was er für die zumeist vorgeschriebene einheitliche Geschäftsausstattung zu entrichten hat, welche Mietzinsforderungen und Anzahlungen auf ihn zukommen. Die Konsequenzen einer Verletzung der Disclosure Requirements sind einschneidend. Die behördlichen Sanktionen reichen von bloßen Geldstrafen bis zu Geschäftsverboten bei schwerwiegenden Verstößen. Die zivilrechtlichen Sanktionen sind den Einzelstaaten überlassen.102 Der Franchisenehmer kann bei unzureichender vorvertraglicher Aufklärung zumeist zwischen einer Rückabwicklung des Franchisevertrags und Schadensersatzansprüchen wählen. Die Regelung der Disclosure Requirements ist im Übrigen nicht abschließend, sie lässt den Einzelstaaten Raum für eigene, weitergehende Regulierung. Auf Ebene der vertraglichen Abwicklung bestehen darüber hinaus lediglich branchenspezifische Regulierungen durch den Bundesgesetzgeber. Zum einen ist hier der Automobile Dealer Franchise Act103 aus dem Jahre 1956 für die Automobilhändlerbranche zu nennen, zum anderen der Petroleum Marketing Practices Act104 aus dem Jahre 1973 für in Franchisesystemen betriebene Tankstellen.105 Ziel dieser Regelungen ist, den Franchisenehmer insbesondere vor willkürlicher Kündigung oder Nichtverlängerung des Franchisevertrags zu schützen. Darüber hinaus existiert auf Bundesebene kein Gesetz, welches die vertraglichen und nachvertraglichen Beziehungen zwischen Absatzmittler und Vertragspartner regelt.106
100
17 C.F.R. § 436 (1998). Emerson, 43 Vand. L. Rev. 1503, 1512 (1990). 102 Vgl. Pitegoff, 45 Bus. Law. 289, 292 (1989–1990). 103 15 U.S.C. §§ 1221–1225 (1988); dazu ausführlich: Macauley, Wis. L. Rev. 483 (1965). 104 15 U.S.C. §§ 2801–2806 (1988). 105 Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 70 (1990–1991); Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 356 (2008–2009). 106 Pitegoff, 45 Bus. Law. 289 (1989–1990); Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 356 (2008–2009). 101
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II. Rechtslage in den Einzelstaaten Die Rechtslage in den Einzelstaaten ist bereits aufgrund der schieren Anzahl von 50 Gesetzgebern unübersichtlich. Im Versicherungsrecht bestehen in den meisten Staaten Gesetze, die die Privatautonomie zugunsten des Versicherungsnehmers beschränken.107 Die Untersuchung des Rechts der Absatzmittlungsverträge wird durch unterschiedliche Arten der Kodifikation erschwert. Während einige Staaten primär Aufklärungspflichten statuiert haben, regulieren andere die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien unmittelbar, in dritten finden sich beide Arten von Gesetzen, während wiederum andere Gesetze erlassen haben, die beide Arten der Regelung in einer Kodifikation verbinden.108 Erschwert wird eine Darstellung des einzelstaatlichen Rechts des Weiteren dadurch, dass die vom Schutzbereich erfassten Absatzmittler variieren. So sehen viele Staaten eine Regulierung von Franchiseverträgen vor, erfassen hiermit jedoch auch Vertragshändler und Handelsvertreter.109 Andere Staaten wiederum haben unterschiedliche Gesetze für einzelne strukturell unterlegene Unternehmer erlassen. 110 Sonderprivatrecht zum Schutz des Franchisenehmers besteht derzeit in 27 Bundesstaaten,111 zum Schutz des 107
W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 27 m.w.N. Pitegoff, 45 Bus. Law. 289, 292 (1989–1990), tabellarische Übersicht auf Seite 322; vgl auch Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 356 ff. (2008–2009). 109 Siehe etwa den Wisconsin Fair Dealership Act (Wisconsin Statutes §§ 135.01 ff.) oder das Puerto Rico Dealers’ Contracts Law, Laws of Puerto Rico Annotated, Title 10, Chapter 14, §§ 278 ff.). 110 Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 356 ff. (2008–2009). Umfassende Nachweise auch bei: Pitegoff, 45 Bus. Law. 289, 295 (1989–1990); tabellarische Übersicht auf Seite 322. 111 Dies sind Arkansas (Arkansas Franchise Practices Act, Arkansas Code §§ 4-72-201 bis 3-72-210), Connecticut (Connecticut General Statutes, §§ 42-133e bis 42-133h), Delaware (Delaware Franchise Security Law, Delaware Code §§ 2551–2556), District of Columbia (Disctrict of Columbia Franchising Act, DC Code, §§ 29.1201 ff.), Hawaii (Hawaii Franchise Investment Law, Hawaii Revised Statutes, §§ 482 E-1 ff.), Illinois (Illinois Franchise Disclosure Act of 1987, Illinois Compiled Statutes, Chapter 815 §§ 705/1 bis 705/44), Indiana (Indiana Deceptive Franchise Practices Law, Indiana Code, Title 23, Article 2, Chapter 2.7, §§ 1–7), Iowa (Iowa Code, Titel XIII§§ 523H.4.1 ff.), Kalifornien (California Franchise Investment Law, California Corporation Code, §§ 31000–31516), Maryland (Maryland Franchise Registration and Disclosure Law, Annotated Code of Maryland, §§ 14-201 bis 14-233), Michigan (Michigan Franchise Investment Law, Michigan Compiled Laws, § 445.1527), Minnesota (Minnesota Statutes § 80C.14), Mississippi (Mississippi Code §§ 75-24-51 ff.); Missouri (Revised Statutes of Missouri, §§ 407.400 ff.), Nebraska (Nebraska Franchise Practices Act, Revised Statutes of Nebraska, §§ 87-401 ff.), New Jersey (New Jersey Franchise Practices Act, New Jersey Revised Statutes, §§ 56:10–1 ff.), New York (New York General Business Law, Art. 33 §§ 680 ff.), North Dakota (North Dakota Franchise Investment Law, North Dakota Century Code, §§ 51-19-01 ff.), Oregon (Oregon Franchise Transactions, Oregon Revised Statutes, §§ 650.005 ff.), Puerto Rico (Laws of Puerto Rico, Title 10 Chapter 14, §§ 178 ff.), Rhode Island (Franchise Investment Act, General Laws of Rhode Island, §§ 19-28.1-1 ff.), South Dakota (South Dakota Codified Laws, § 37-5A-51), Texas (Texas Business Opportunity 108
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Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts
Vertragshändlers in sechs Bundesstaaten. 112 Zugunsten des Handelsvertreters finden sich in 37 Staaten Regelungen. 113 Soweit einzelstaatliche Regelungen existieren, begrenzen diese die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Vertragsparteien. Zwar ist eine Verallgemeinerung aufgrund der Anzahl existierender Gesetze nur schwer möglich, in der Regel verbieten sie jedoch insbesondere eine unzumutbare Veränderung der Vertragsmodalitäten zulasten des Absatzmittlers durch Anpassungsklauseln 114 sowie eine sonstige unfaire Behandlung des Absatzmittlers während der Vertragslaufzeit, worunter insbesondere die Schlechterstellung gegenüber anderen im selben System tätigen Absatzmittler fallen soll.115 Zudem regeln sie die Möglichkeiten der Vertragsbeendigung 116 sowie die Bedingungen, von denen der überlegene Vertragspartner die Verlängerung eines befristeten Vertrags abhängig machen darf.117 Alle untersuchten Gesetze haben gemein, dass sie die Kündigung des Absatzmittlervertrags durch die überlegene Vertragspartei vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abhängig machen. Dies sind zum einen materielle Kündigungsgründe, zum anderen formale Erfordernisse wie Kündigungsfristen. Sie ermöglichen eine Kündigung des Franchisegebers oder Lieferanten unter der Voraussetzung, dass je nach Staat ein good, just oder reasonable cause vorliegt.118 Diese offenen Rechtsbegriffe bedürfen der Konkretisierung. In einer Reihe von Staaten 119 liegt ein good cause vor, wenn der AbsatzmittAct, Texas Business and Commerce Code, §§ 41.001 ff.), Virginia (Virginia Retail Franchising Act, Virginia Code, § 13.1-564), Washington (Washington Franchise Investment Protection Act, Revised Code of Washington, § 19.100 ff.) und Wisconsin (Wisconsin Fair Dealership Act, Wisconsin Statutes §§ 135.01 ff.). 112 Dies sind Kalifornien (California Fair Dealership Law, California Civil Code, Div. 1, Part 2.9, §§ 80 ff.), Maryland ( Maryland Fair Distributorship Act, Annotated Code of Maryland, §§ 11-1301 ff.), North Dakota (North Dakota Franchise Merchandise Return Act, North Dakota Century Code, §§ 51-20.2 ff.), Puerto Rico (Puerto Rico Dealers’ Contracts Law, Laws of Puerto Rico Annotated, Title 10, Chapter 14, §§ 278 ff.), Rhode Island (General Laws, § 6-50-1 ff.) und Wisconsin (Wisconsin Fair Dealership Act, Wisconsin Statutes §§ 135.01 ff.). 113 Siehe dazu umfassende Nachweise bei Martinek/Semler/Habermeier/Flohr/Braun § 77 Rn. 17. 114 Beispielsweise New Jersey: N.J. Stat. Ann. § 56:10-7(e); Washington: Wash. Rev. Code Ann. § 19.100.180(1). 115 Wash. Rev. Code Ann. § 19.100.180(2) (b), (c), (h). 116 Statt vieler siehe Del. Code Ann. tit. 6, § 2551 ff. 117 Nachweise zu einzelstaatlichen Gesetzen bei Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 362f (2008–2009); Pitegoff, 45 Bus. Law. 289, 301 (1989–1990). 118 Hurwitz, 7 Franchise L. J. 3 (1987); die jeweiligen einzelstaatlichen Vorschriften finden sich bei Emerson, 43 Vand. L. Rev. 1511 Fn. 27 (1990). 119 Arkansas, District of Columbia, Connecticut, Hawaii, Illinois, Indiana, Kalifornien, Michigan, Minnesota, Nebraska, New Jersey, Washington und Wisconsin; eine umfassende Übersicht findet sich bei Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 362f. (2008–2009).
§ 3 US-amerikanisches Recht
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ler wesentliche Vertragspflichten verletzt, andere sehen von einer Definition ab und zählen stattdessen Regelbeispiele auf, die den Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung zu konkretisieren suchen. In einer größeren Anzahl von Staaten fallen hierunter die Betriebsaufgabe durch den Absatzmittler, eine Verurteilung des Absatzmittlers im Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit, der Zahlungsverzug, die Insolvenz oder geschäftsschädigendes Verhalten gegenüber Kunden. In Betracht kommt eine Kündigung auch bei der Veräußerung konkurrierender Produkte, wenn der Absatzmittlungsvertrag den ausschließlichen Vertrieb vorsah. 120 Uneinheitlich wird von den US-amerikanischen Gerichten beurteilt, inwieweit ökonomische Gründe aus Sicht des Franchisegebers bzw. Lieferanten eine Kündigung rechtfertigen können. Im Ausgangspunkt stellen die untersuchten Gesetze für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes allein auf das Verhalten des Absatzmittlers ab.121 Freilich wird dem Vertragspartner des Absatzmittlers weithin jedenfalls dann ein Kündigungsrecht zugestanden, wenn er beabsichtigt, ein Marktsegment aufzugeben. 122 Doch selbst dies wird zumeist recht strengen Voraussetzungen unterstellt. Nicht ausreichen soll es dementsprechend, wenn der Franchisegeber oder Lieferant lediglich im Rahmen einer Unternehmensumstrukturierung den Franchisenehmer, Vertriebshändler oder Handelsvertreter durch eine eigene Filiale ersetzen will. 123 Auch die sonstige Aufnahme eines Wettbewerbs mit dem eigenen Absatzmittler wird im Übrigen als vertragswidrig angesehen. 124 Selbst wenn grundsätzlich ein Kündigungsgrund vorliegt, ist die Vertragsbeendigung durch den Vertragspartner des Absatzmittlers in der Regel an zusätzliche formale Voraussetzungen wie die Schriftform und die Wahrung einer Kündigungsfrist gebunden.125 Die Kündigungsfristen variieren von Staat zu Staat und sind abhängig vom Kündigungsgrund.126 Die Fristen betragen meist zwischen zehn und neunzig Tagen. Liegt der Kündigungsgrund in der beabsichtigten Betriebsaufgabe durch den Franchisegeber oder Lieferanten, so kann die Frist bis zu sechs Monate betragen. 120 Nachweise zu einzelstaatlichen Gesetzen bei Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 362f (2008–2009); Pitegoff, 45 Bus. Law. 289 (1989–1990). 121 Hurwitz, 7 Franchise L. J. 3, 3 f. (1987). 122 St. Joseph Equipment v. Massey-Ferguson, 546 F.Supp. 1245 (W.D. Wisconsin, 1982); Medina & Medina v. Country Pride Foods, Ltd., Bus. Franchise Guide (CCH) 9245 (1st Cir., 1988); Hurwitz, 7 Franchise L. J. 3, 3 f. (1987). 123 Kealey Pharmacy & Home Care Servs. v. Walgreen Co., 761 F.2d 345 (7th Cir., 1985). 124 Carlos v. Philips Business Systems, 566 F.Supp. 769 (E.D. New York 1983); Executive Business Systems v. Philips Business Systems, Bus. Franchise Guide 7703 (E.D. New York, 1981). 125 Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 361 (2008–2009). 126 Für eine umfassende tabellarische Übersicht siehe Pitegoff, 45 Bus. Law. 289, 325 (1989–1990).
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Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts
Ein Schutzbedürfnis des Absatzmittlers besteht aus Sicht der einzelstaatlichen Gesetzgeber auch bei befristeten Verträgen. Eine Reihe von Staaten verlangt wie bei der Kündigung auch für die wirksame Nichtverlängerung eines Absatzmittlungsvertrags das Vorliegen eines good cause, also regelmäßig das Vorliegen eines Grundes, der andernfalls auch eine Kündigung rechtfertigen würde. Andere Staaten haben aus Sicht des Franchisegebers oder Lieferanten liberalere Bestimmungen erlassen, die in einer Reihe weiterer Fälle die Nichtverlängerung zulassen. 127 Auch diese Gesetzen haben wiederum gemein, dass sie eine Nichtverlängerung allein unter der Bedingung ermöglichen, dass sich die Investitionen des Absatzmittlers bereits amortisiert haben oder ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu seinen Gunsten stattfindet.128 Auch die Nichtverlängerung bedarf in vielen Jurisdiktionen einer fristgerechten Ankündigung durch den überlegenen Vertragspartner. Die Fristen gehen dabei zum Teil deutlich über das für die Kündigung Erforderliche hinaus. In Kalifornien beträgt die Frist zur Ankündigung 180 Tage, in Washington sogar ein Jahr. Im Falle der unrechtmäßigen Beendigung des Vertrags stellt sich schließlich die Frage nach den Rechtsbehelfen des Absatzmittlers. Auch in diesem Punkt variieren die einzelstaatlichen Bestimmungen zum Teil erheblich. Neben Schadensersatz einschließlich punitive damages129 bei Vorliegen einer schädigenden Pflichtverletzung, kommen vor allem der Rückkauf des Inventars bzw. noch nicht veräußerter Ware in Betracht. Eine bemerkenswerte Begünstigung des Absatzmittlers stellt es dar, dass in einigen Staaten auch in solchen Fällen, in denen der überlegene Vertragspartner den Vertrag mit good cause kündigt oder nicht verlängert, dieser zum Rückkauf verpflichtet ist. 130 In den übrigen Staaten besteht eine entsprechende Pflicht des Franchisegebers allein im Falle einer unrechtmäßigen Kündigung bzw. Nichtverlängerung des Vertrags. Die Verpflichtung zum Schadensersatz umfasst zumeist auch den Wert, um welchen sich der Betrieb des Absatzmittlers durch die Vertragsbeendigung reduziert.131
§ 4 Schlussfolgerung § 4 Schlussfolgerung
Betrachtet man die Ausführungen zu den untersuchten Vorschriften im materiellen Recht, fällt zweierlei auf. Gemeinsam haben die dargestellten Normierungen einerseits eine beachtliche Schutzdichte zugunsten der als unterlegen 127
Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 361 (2008–2009). Vgl. Thompson v. Atlantic Richfield, 649 F.Supp. 969 (W.D. Washington, 1986). 129 American Business Interiors v. Haworth, 798 F.2d 1135 (8 th Cir., 1986). 130 Pitegoff, 45 Bus. Law. 289, 303 (1989–1990). 131 Ein Beispiel findet sich in Ill. Rev. Stat. ch. 121 ½ 1720 (Supp. 1989). 128
§ 4 Schlussfolgerung
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angesehenen Vertragspartei, andererseits sind die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen sowohl im Hinblick auf die Modalitäten als auch das Niveau des staatlichen Schutzeingriffs erheblich. A. Erforderlichkeit des schützenden Eingriffs Zwar hat die oben durchgeführte Untersuchung allein exemplarischen Charakter, doch stechen bereits hierbei auffällige Gemeinsamkeiten der Normierungen hervor. Während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der allgemeine Vertragsrechtsverkehr als grundsätzlich keiner staatlichen Regulierung bedürftig angesehen wurde, kam es in allen untersuchten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg und zunehmend im Laufe der 1960er und 70er Jahre zu einem Gesinnungswechsel der jeweiligen Gesetzgeber. Im Rahmen einer sozialer werdenden Marktwirtschaft wurden die durch einen freien Markt hervorgebrachten Ergebnisse skeptischer betrachtet, die Insolvenz von Unternehmern zunehmend politisiert. In den Vereinigten Staaten kam es im Zuge der stärker werdenden Popularität von modernen Vertriebsmethoden vermehrt zu einer Ausnutzung der liberalen Rechtslage durch Franchisegeber. 132 In Frankreich häuften sich Insolvenzen in der Subunternehmerbranche; 133 gesetzgeberische Zurückhaltung war politisch zunehmend weniger opportun. Während kaum zu bestreiten sein dürfte, dass wirtschaftliche Ungleichgewichte ebenso Teil eines marktwirtschaftlichen Geschehens sind wie Insolvenzen, kam in den dargestellten Fällen hinzu, dass die Leidtragenden durchweg eine strukturell unterlegene Rolle im Verhältnis zum Vertragspartner einnahmen. Diese Abhängigkeit führte dazu, dass die überlegenen Vertragspartner die ihnen gewährte Vertragsfreiheit ausnutzten, um die wirtschaftlichen Risiken der Geschäftsverbindung auf die jeweils strukturell unterlegene Partei abzuwälzen. Diese Benachteiligung traf Gruppen, die zahlenmäßig politische Relevanz besaßen. Subunternehmer spielen für die französische Wirtschaft traditionell eine große Rolle;134 dass in den Vereinigten Staaten unzählige Franchisenehmer existieren, liegt auf der Hand. 135 Um auf die bestehenden Missstände zu reagieren, wurden in allen untersuchten Beispielen gesetzliche Regelungen erlassen, die zum Teil einen bemerkenswerten Schutzcharakter aufweisen, die sich vor dem Hintergrund schuldrechtlicher Dogmatik häufig eher atypisch darstellen und die einen erheblichen Eingriff in die Privatautonomie bewirken. Der französische Gesetzgeber ermöglicht die Durchsetzung quasivertrag132 Statement der Federal Trade Commission zur „Franchise Rule“ im House of Representatives vom 25.06.2002, abrufbar unter ; Haibt/Siemens, RIW 2000, 597, 599; Note, 59 Minn. L. Rev. 1027, 1027 f. (1974–1975). 133 Kühnel/Langer, RIW 1977, 610, 612. 134 Vgl. Kühnel/Langer, RIW 1977, 610, 611 f. 135 Emerson, 43 Vand. L. Rev. 1503, 1506 ff. (1990).
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Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts
licher Ansprüche des Subunternehmers gegen den Auftraggeber, ohne dass zwischen diesen zuvor eine schuldrechtliche Beziehung vorlag, und verlagert damit das Insolvenzrisiko des Generalunternehmers auf den Auftraggeber. 136 Der europäische Gesetzgeber gewährt Ausgleichsansprüche für Vorteile, die nach Vertragsbeendigung entstehen, und damit zu einem Zeitpunkt, zu welchem Vertragsparteien grundsätzlich keine derart weitgehenden Pflichten mehr treffen.137 Noch weiter geht hier der belgische Gesetzgeber, der über den Ausgleichsanspruch hinaus auch die bloße Befristung eines Vertragshändlervertrags erschwert.138 Die US-amerikanischen Gesetzgeber schließlich gehen so weit, die Kündigung eines Franchisevertrags dann unmöglich zu machen, wenn der Franchisenehmer eine prinzipiell zur Kündigung berechtigende Tatsache oder ein derartiges Verhalten beseitigt. 139 Allen untersuchten Gesetzen ist zudem gemein, dass sie eine pauschale Betrachtung vornehmen. Den als schutzbedürftig angesehenen Unternehmern wird der genannte Schutz unabhängig davon zuteil, ob im konkreten Fall tatsächlich ein Ungleichgewicht vorliegt. Es findet eine pauschalisierende Betrachtung anhand von Vertragstypen statt. Diese Herangehensweise hat in der Literatur vielfach die Kritik hervorgebracht, es komme durch die pauschale Betrachtung zu einer Benachteiligung der eigentlich als überlegen angesehenen Vertragspartei.140 B. Unterschiede in Schutzniveau und Regelungstechnik Die dargestellten Gemeinsamkeiten der gesetzlichen Regelungen sowie die Ähnlichkeiten der Motive, von denen sie getragen sind, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass erhebliche Unterschiede zum einen in der Art und Weise bestehen, in welcher der Schutz der schwächeren Partei in den einzelnen Rechtsordnungen realisiert wird. Zum anderen sind große Ungleichheiten im Schutzniveau zwischen den verschiedenen Jurisdiktionen aufzufinden. Während der Subunternehmervertrag in Frankreich eine umfassende Regelung gefunden hat, findet sich im BGB mit § 641 Abs. 2 BGB nur eine einzige Vorschrift, welche dem Schutz des Subunternehmers gilt und diesem die beschleunigte Fälligkeit seines Anspruchs auf Werklohn gegen den General-
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Siehe oben § 2B.II. Martinek/Semler/Habermeier/Semler § 15 Rn. 1; vgl. auch die umfassende Diskussion bei Canaris, Handelsrecht § 15 Rn. 98 ff. 138 Oben § 2B.I. 139 Kritisch hierzu Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 361 (2008–2009). 140 Ferrari, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa S. 57, 87; Hurwitz, 7 Franchise L. J. 3 f. (1987); Kessedjian, in: Basedow/Baum/Nishitani (Hrsg.), Japanese and European Private International Law in Comparative Perspective, S. 105, 124 Fn. 45. 137
§ 4 Schlussfolgerung
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unternehmer sichert. 141 Von einem Durchgriffsanspruch gegen den Auftraggeber ist das weit entfernt. 142 Der Handelsvertreter wird in der Europäischen Union ein nachvertraglicher Ausgleichs- oder Schadensersatzanspruch nach Art. 17 Handelsvertreterrichtlinie zugestanden, in den Vereinigten Staaten besteht ein solcher Anspruch nicht flächendeckend. Die Vereinigten Staaten, isoliert betrachtet, machen schließlich die Zersplitterung der Rechtslage besonders plastisch. Die überblicksartig dargestellten 20 bis 25 Einzelstaaten, die wie auch immer geartete Schutzvorschriften zugunsten von Absatzmittlern erlassen haben, dürfen nicht den Blick dafür trüben, dass andere Staaten vollständig darauf verzichtet haben, Sondergesetze zu schaffen. 143 C. Wettbewerb der Rechtsordnungen Das hohe Schutzniveau für bestimmte Arten von Verträgen in einigen Rechtsordnungen einerseits und die erheblichen Unterschiede andererseits, die bei einer vergleichenden Betrachtung zwischen den Jurisdiktionen zu Tage treten, führen dazu, dass es für den Rechtsanwender von besonderer Bedeutung ist, welches Recht Anwendung findet. Eine Rechtswahl kann erhebliche Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Vertragsgestaltung und damit einhergehend auf die wirtschaftlichen Folgen von Leistungsstörungen haben.144 Für den als strukturell überlegen angesehenen Unternehmer wird es regelmäßig von großem Vorteil sein, eine Rechtsordnung zur Anwendung kommen zu lassen, die ein geringeres Schutzniveau aufweist, sodass beispielsweise ein Franchisegeber ohne Weiteres und ohne sich Ansprüchen ausgesetzt zu sehen, den Absatzmittlungsvertrag beenden kann oder ein Auftraggeber durch Einschaltung eines Generalunternehmers Vertragsrisiken von sich abwälzen kann.145 Der strukturell unterlegene Unternehmer auf der anderen Seite hat ein Interesse an der Anwendung von ihm ein hohes Schutzniveau bietenden Rechtsordnungen. Für beide Vertragsparteien erlangt das anwendbare Recht folglich erhebliche Bedeutung. 146 Es kommt zu einem Wettbewerb der Rechtsordnungen vor dem Hintergrund widerstreitender Parteiinteressen. Damit besteht freilich aus Sicht derjenigen Gesetzgeber, 141 Zum Normzweck: Regierungsbegründung BT-Drucks. 14/1246 S. 7; MünchKommBGB/Busche § 641 Rn. 20; Palandt/Sprau § 641 Rn. 7. 142 Kritisch zum geringen Schutz des Subunternehmers im deutschen Recht: Kolbe/ Kopp/Römmelt, ZRP 2002, 145, 145 f.; Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 53. 143 Blair/Lafontaine, The Economics of Franchising, 276–278; Klick/Kobayashi/ Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 356, 361 (2008–2009). 144 Bauch, 14 Franchise L. J. 91 (1994–1995); Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, S. 20 ff.; Klick/Kobayashi/Ribstein, 3 Entrepreneurial Bus. L. J. 355, 367 (2008–2009); Pitegoff, 14 Franchise L. J. 89, 117 (1989–1990). 145 Vgl. Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 59 (1990–1991). 146 Mankowski, RIW 2003, 2, 4.
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Kapitel 2: Schutz auf Ebene des materiellen Rechts
welche die Schutzgesetze aus sozialpolitischen Erwägungen heraus erlassen haben, die Gefahr der Umgehung von Normen, welche ausdrücklich für eine gegebene Vertragskonstellation erlassen wurden. Hat ein Gesetzgeber im materiellen Recht eine Vertragspartei als strukturell unterlegen und daher schutzbedürftig eingestuft, so ist es nur konsequent, diese Wertung auch im Kollisionsrecht und im Internationalen Zivilverfahrensrecht umzusetzen. Ist es Absicht des Gesetzgebers, die von ihm erlassenen Schutznormen auch bei Vereinbarung einer gegenläufigen Rechtswahlklausel Anwendung finden zu lassen, so muss er die Möglichkeiten der Rechts- und Forumswahl einschränken. Eine solche Einschränkung ist mittels des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts möglich. Die Erörterung ist folglich auf dieser Ebene fortzusetzen.
Kapitel 3
Gerechtigkeit im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht Dem Internationalen Privat- und Verfahrensrecht kommt eine besondere Relevanz für den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers zu. Ohne gesetzgeberischen Eingriff droht die Entstehung ungerechter Vertragsverhältnisse. Zu untersuchen ist zunächst, an welchen Maßstäben sich eine internationalprivat- und verfahrensrechtliche Lösung messen lassen muss, um Gerechtigkeit zu gewährleisten. Denn internationalprivat- und verfahrensrechtliche Gerechtigkeit wird traditionell von materiellrechtlicher Gerechtigkeit unterschieden.1
§ 1 Ziele des Internationalen Privatrechts § 1 Ziele des Internationalen Privatrechts
A. Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit Das Internationale Privatrecht hat zum Ziel das anwendbare Recht zu bestimmen. Dieses Ziel erreicht es grundsätzlich ohne Berücksichtigung des hierdurch mittelbar erzielten materiellen Ergebnisses. Internationalprivatrechtlich gerecht ist eine Lösung folglich dann, wenn das „räumlich beste“, nicht das inhaltlich angemessene Recht zur Anwendung gelangt. 2 Dieses Prinzip geht zurück auf Friedrich Carl von Savigny, der 1849 postulierte, „daß bei jedem Rechtsverhältnis dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältnis seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist, (worin dasselbe seinen Sitz hat).“ 3 Dieser Ansatz, das anwendbare Recht aufgrund des „Sitzes“ eines Rechtsverhältnisses zu bestimmen, prägt bis heute das europäische Kollisionsrecht. 4 Die grundsätzliche Fragestellung des IPR ist das Auffinden derjenigen Rechtsordnung, die zu einem Sachverhalt die engste Verbindung aufweist.5 Die engste Verbindung 1
Kegel/Schurig, IPR, § 2 I, S. 131; Kropholler, IPR, § 4 I, S. 24 f.; Lüderitz, FS Kegel, S. 31. 2 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 52; Kegel/Schurig, IPR, § 2 I, S. 131; Kropholler, IPR, § 4 I, S. 25. 3 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, S. 27 f., 108. 4 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 50; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 35. 5 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 31 f.; Kropholler, IPR, § 3 I, S. 16.
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Kapitel 3: Gerechtigkeit im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht
mag räumlicher, sachlicher, sozialer oder persönlicher Natur sein. 6 Entscheidend ist, dass das anwendbare Recht grundsätzlich allein anhand kollisionsrechtlicher Kriterien ermittelt wird. Internationalprivatrechtlich gerecht ist nicht die Erzielung eines bestimmten materiellen Ergebnisses, sondern die Anwendung einer bestimmten sachgerechten Rechtsordnung. 7 Das IPR ist lediglich Rechtsanwendungsrecht. 8 Gegenläufige Ansätze, wie etwa Leflars „better law approach“, der sich unmittelbar am materiellen Ergebnis der in Betracht kommenden Rechtsordnungen orientiert, haben sich in Europa nicht durchsetzen können. 9 Das liegt nicht zuletzt daran, dass eine Bestimmung des materiell besten Rechts abstrakt überhaupt nicht, doch auch im konkreten Fall kaum anhand objektiver Kriterien möglich scheint. 10 Eine Berücksichtigung dieses Prinzips, so die berechtigte Befürchtung, würde meist zur Anwendung der lex fori führen, da ein Richter am ehesten das ihm vertraute Recht für inhaltlich angemessen erachten wird. 11 Aus dem Ansatz Savignys, das anwendbare Recht grundsätzlich allein anhand kollisionsrechtlicher Kriterien zu ermitteln, folgt die Gleichwertigkeit sämtlicher Rechtsordnungen und die grundsätzliche Neutralität des Kollisionsrechts gegenüber den materiellrechtlichen Wertungen einer bestimmten Rechtsordnung. 12 Vorzug dieser strengen Neutralität ist im Idealfall die Erzielung internationalen Entscheidungseinklangs.13 Nach Savigny soll das IPR bewirken, „daß auch die Rechtsverhältnisse, in Fällen einer Collision der Gesetze, dieselbe Beurteilung zu erwarten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder jenem Staate das Urtheil gesprochen werde.“14 Denn materiellrechtliche Wertungen unterschiedlicher Gesetzgeber mögen voneinander abweichen, die räumliche Einordnung eines Sachverhalts hingegen ist stets dieselbe. 15 Im Ausgangspunkt ist die engste Verbindung eines Sachverhalts zu einer Rechtsordnung folglich unzweifelhaft anhand genuin internationalprivatrechtlicher Kriterien zu ermitteln. Als weitgehend geklärt kann wohl gelten, dass das Auffinden der engsten Verbindung kein lediglich räumlich zu verstehen-
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Kropholler, IPR, § 4 II, S. 25; Lüderitz, FS Kegel, S. 31; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 107. 7 Kropholler, IPR, § 4 II, S. 25; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 35. 8 Rehbinder, JZ 1973, 151. 9 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 46 ff.; inhaltlich dazu siehe unten § 2A. 10 Hohloch, Das Deliktsstatut, S. 234. 11 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 35. 12 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, S. 24 f., 27 f.; umfassend dazu: Kegel/Schurig, IPR, § 2 I, S. 132; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 35. 13 Grundsätzlich dazu: Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3., S. 139 ff.; Kropholler, IPR, § 6 I, S. 36 ff.; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 38–44. 14 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, S. 27. 15 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 32; Kropholler, IPR, § 3 I, S. 17.
§ 1 Ziele des Internationalen Privatrechts
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der Prozess ist, sondern das Ergebnis einer Interessenabwägung darstellt.16 Die Einzelheiten sind umstritten. Kegel und Schurig fordern eine Berücksichtigung von Partei-, Verkehrs- und Ordnungsinteressen, 17 Neuhaus stellt formale und materiale Maximen auf, 18 Kropholler hält die Wertungen für entscheidend,19 Sonnenberger spricht von Abwägungstopoi.20 Ist auch die exakte Bezeichnung, Kategorisierung und Bewertung einzelner, bei der Ermittlung des „richtigen“ Rechts zu berücksichtigender Aspekte umstritten, so weichen die einzelnen Autoren in den zu berücksichtigen Interessen – der Einfachheit halber soll dieser Begriff verwendet werden – meist nur wenig voneinander ab. Insbesondere im Internationalen Vertragsrecht sind zuvorderst die Interessen der am Vertrag beteiligten Parteien zu berücksichtigen. 21 Parteien haben ein primäres Interesse daran, dass ein ihnen vertrautes Recht zur Anwendung gelangt. 22 Da die diesbezüglichen Vorstellungen der Parteien freilich häufig gegenläufig sein dürften, bedarf es der Heranziehung weiterer Kriterien. 23 Beiden Parteien ist das Interesse gemein, das auf ihren Vertrag anwendbare Recht im Voraus sicher ermitteln zu können. Die Gewährleistung von Rechtssicherheit ermöglicht es ihnen, die Kosten und Risiken eines Vertragsschlusses zu berücksichtigen, indem sie etwa die Höhe eines Prozessrisikos in die Preisgestaltung miteinfließen lassen. 24 Hiermit im Zusammenhang steht ein Interesse der Parteien am internationalen Entscheidungseinklang. Denn die Rechtssicherheit wird auch dadurch erhöht, dass die Parteien sich auf die Geltung des von ihnen vorhergesehenen Rechts unabhängig vom zuständigen Forum verlassen können. 25 Darüber hinaus haben die Parteien ein Interesse daran, die vom Kollisionsrecht abhängige Ermittlung der materiellen Rechtslage möglichst kostengünstig vornehmen zu können. 26 16 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II, S. 134 f.; Kropholler, IPR, § 5 I, S. 31 f.; Lüderitz, FS Kegel, S. 31, 34 f.; MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 79 f.; Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 24. 17 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II, S. 134 ff. 18 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, § 20, S. 103–111; dem folgt Lüderitz, FS Kegel, S. 31, 54. 19 Kropholler, IPR, § 5 II, S. 33 f. 20 MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 86 f. 21 Kropholler, IPR, § 5 I 2., S. 32; MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 86; Rehbinder, JZ 1973, 151, 154. 22 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 1., S. 135 f.; Kropholler, IPR, § 5 I 2., S. 32 f.; MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 88. 23 Kropholler, IPR, § 5 I 2., S. 32 f. 24 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3. c), S. 143; Kropholler, IPR, § 4 IV, S. 30 f.; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 104 f.; Schack, Der Verbrauchervertrag, S. 37. 25 Kropholler, IPR, § 6 I, S. 36 f.; MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 89; als „Ordnungsinteresse“ und nicht als Parteiinteresse stufen Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3., S. 139 f. den internationalen Entscheidungseinklang ein. 26 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3. d), S. 143.
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Kapitel 3: Gerechtigkeit im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht
B. „Materialisierung“ des IPR Traditionell beschränkt sich das IPR auf das Auffinden derjenigen Rechtsordnung, welche die im Rahmen der kollisionsrechtlichen Interessenabwägung ermittelte engste Verbindung aufweist. Das so gefundene materiellrechtliche Ergebnis wird lediglich in Extremfällen mittels des ordre public korrigiert, um besonders schwerwiegende Wertungswidersprüche – insbesondere solche zu den Grundrechten – zu beseitigen. 27 Mag internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit im Ausgangspunkt auch noch heute allein anhand kollisionsrechtlicher Kriterien zu bestimmen sein, so kann von einer Neutralität des Internationalen Privatrechts gegenüber den Wertungen des materiellen Rechts jedoch keine Rede mehr sein. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Wandlung der Funktion des Privatrechts im Ganzen. 28 Das Privatrecht im Allgemeinen und das Vertragsrecht im Besonderen haben im Laufe des 20. Jahrhunderts erhebliche Veränderungen erlebt. War es im ausgehenden 19. Jahrhundert noch von einem weitgehend liberalen Gesellschaftsbild geprägt, in welchem es Aufgabe des Privatrechts war, den Rahmen für eine freie Interaktion der Parteien zu setzen, so wurde es in der Folgezeit, besonders in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr vom Konzept der Sozialen Marktwirtschaft geprägt. Diese Entwicklung zeichnet sich durch ein zunehmendes Hineinwirken öffentlicher Interessen in das Privatrecht aus. Ziel des Vertragsrechts ist zunehmend nicht länger allein der Ausgleich privater Parteiinteressen, es dient vielmehr zugleich der Durchsetzung politischer Ordnungs- und Gerechtigkeitsvorstellungen. 29 Typische Beispiele sind das Verbrauchervertragsrecht, Wohnungsmietrecht, Arbeits- und Versicherungsvertragsrecht. Die existenzielle Bedeutung dieser Vertragstypen für das Gemeinwohl hat zu einer zunehmenden inhaltlichen Gestaltung dieser durch das Privatrecht geführt. 30 Bereits 1973 führte Rehbinder in diesem Kontext auch das Handelsvertretervertragsrecht als soziales Schutzrecht zugunsten des „machtlosen kleinen Geschäftspartners“ an, in welchem sich ein öffentliches Interesse an der Regulierung des freien Wettbewerbs widerspiegele. 31Anerkennt man diese Entwicklung, so ist freilich das Internationale Privatrecht hiervon nicht auszunehmen. Ebenso wenig wie das materielle Vertragsrecht frei von sozialem Gestaltungswillen ist, ist das Internationale Vertragsrecht noch bloßes wertneutrales
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Kegel/Schurig, IPR, § 2 III, S. 145 ff.; Kropholler, IPR, § 5 III, S. 34 f.; Rehbinder, JZ 1973, 151 spricht von „materiellrechtlichen Randkorrekturen“; siehe dazu auch die Spanierentscheidung des BVerfG, Urteil vom 04.05.1971, BVerfGE 31, 58. 28 Keller, FS Vischer, S. 175, 176; Rehbinder, JZ 1973, 151, 153. 29 Keller, FS Vischer, S. 175, 176; Rehbinder, JZ 1973, 151, 154. 30 Keller, FS Vischer, S. 175, 176; Rehbinder, JZ 1973, 151, 154. 31 Rehbinder, JZ 1973, 151, 155.
§ 1 Ziele des Internationalen Privatrechts
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Rechtsanwendungsrecht. 32 Nach Neuhaus ist das IPR an die Wertentscheidungen einer nationalen Rechtsordnung als ganzer gebunden. 33 Ein von politischen Interessen und Wertungen unbeeinflusstes Kollisionsrecht ist für Lehmann „in der heutigen Zeit reine Träumerei“. 34 Das Kollisionsrecht steht normenhierarchisch auf derselben Stufe wie das Sachrecht und ist denselben, nicht zuletzt auch verfassungsrechtlichen, Wertungen unterworfen. Das materielle Recht ist von einer Vielzahl komplexer sozialer, politischer und ökonomischer Wertentscheidungen getragen.35 Diese Wertentscheidungen eines nationalen oder supranationalen Gesetzgebers verlieren nicht ihre Begründung, weil ein Sachverhalt um einen Auslandsbezug erweitert wird. Ein Gesetzgeber kann, im Gegenteil, sehr wohl ein berechtigtes Interesse daran haben, seine gesellschaftsgestaltenden Wertentscheidungen auch dann durchzusetzen, wenn eine private Partei, die Adressat einer Normierung ist, grenzüberschreitend tätig wird. 36 Was im Sachrecht rechtspolitisch gewollt ist, wird im Kollisionsrecht entsprechend zu beurteilen sein. 37 Andernfalls besteht die Gefahr der Umgehung der genannten Wertungen durch Anwendung eines fremden Rechts oder der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts. In Zeiten einer globalisierten Wirtschaft sind grenzüberschreitende Kontaktaufnahme und Vertragsabschluss ohne größeren logistischen Aufwand durchführbar. Vorbereitung und Abschluss eines Franchisevertrags mit einem ausländischen Franchisegeber können, wie oben beschrieben, ausschließlich über das Internet erfolgen.38 Angesichts der Absenkung vieler Handelsbarrieren ist darüber hinaus der Umzug eines Unternehmens in einen anderen Staat zur Umgehung einer als belastend empfundenen Regulierung ohne weiteres denkbar. Wenn ein Gesetzgeber eine Partei als ihrem Gegenüber strukturell unterlegen einstuft und im Sachrecht Normen schafft, um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, so liegt es nahe, dieselbe Partei im Internationalen Privatrecht als ebenso strukturell unterlegen einzustufen, will man nicht Wertungswidersprüche provozieren.39 Entscheidet sich ein Gesetzgeber, das Verhältnis zwischen individueller Freiheit und staatlichem Eingriff im Rahmen der Privatautonomie auf eine bestimmte Art und Weise zu regeln, so liegt es nahe, 32 Hirse, Die Ausweichklausel im IPR, S. 235; Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 260; Rehbinder, JZ 1973, 151, 155; ebenso Neuhaus, RabelsZ 35 (1971), 401, 417; vgl. zur entsprechenden Wertung im Deliktsrecht: Hohloch, Das Deliktsstatut, S. 251. 33 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 36 f.; ders., RabelsZ 35 (1971), 401, 417, der freilich einer weitgehenden Materialisierung kritisch gegenübersteht. 34 Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 259. 35 Rehbinder, JZ 1973, 151, 155. 36 Rehbinder, JZ 1973, 151, 155; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466, 482. 37 Hohloch, Das Deliktsstatut, S. 251; Kropholler, IPR, § 5 II 2., S. 33 f. 38 Oben § 1. 39 von Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rn. 84; Kropholler, IPR, § 5 II 2., S. 34; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466, 482.
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Kapitel 3: Gerechtigkeit im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht
eine parallele Wertentscheidung bei der Abwägung von Freiheit und staatlicher Korrektur bei der Bemessung der Parteiautonomie vorzunehmen. 40 Es bleibt insofern bei den von Savigny geprägten traditionellen Grundsätzen des Kollisionsrechts, als das anwendbare Recht unabhängig vom materiellen Ergebnis bestimmt wird, es kommt jedoch zu einer Parallelität der Wertungen zwischen Sachrecht und Kollisionsrecht, die sich beispielsweise in der Ausgestaltung des kollisionsrechtlichen Anknüpfungsmoments niederschlagen. 41 Folge dieser so genannten „Materialisierung“42 des Internationalen Privatrechts ist nicht die Verdrängung der oben genannten kollisionsrechtlichen Interessen, denn ein Sachverhalt mit Auslandsbezug birgt Besonderheiten gegenüber dem reinen Inlandssachverhalt, wohl aber ihre Ergänzung und Neugewichtung im Lichte sachrechtlicher Wertungen.43 Das Kollisionsrecht muss dabei stets den Wandel materiellrechtlicher Wertungen berücksichtigen und widerspiegeln. 44 Im europäischen Recht sind zwei materielle Wertungen hervorzuheben, von denen ein besonderer Einfluss auf das Kollisionsrecht ausgeht. 45 Einerseits folgt aus den Grundfreiheiten ein Gebot zur Förderung des Binnenmarktes. Innerhalb der Union soll ein möglichst ungehinderter und effizienter Wirtschaftsverkehr gewährleistet werden. 46 Eine prominente Rolle nehmen im Unionsrecht andererseits soziale Erwägungen ein. Art. 3 Abs. 3 EUV nennt die Soziale Marktwirtschaft als Unionsziel. Art. 9 AEUV bestimmt: „Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen trägt die Union den Erfordernissen im Zusammenhang [...] mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes [...] Rechnung.“
Aus dem materiellen Unionsrecht folgt somit das Gebot, einen besonderen Schutz des Schwächeren zu gewährleisten. Auch diese Wertung strahlt auf das Kollisionsrecht aus. 47 Unausweichliche Folge der „Materialisierung“ ist, dass ein internationaler Entscheidungseinklang nur noch bei Gleichlauf der sachrechtlichen Wertungen der beteiligten Staaten zustande kommt. 48 Die 40
Kropholler, IPR, § 5 II 2., S. 34. Kropholler, IPR, § 5 II 2., S. 34; Lüderitz, FS Kegel, S. 31, 35; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466, 482 spricht von einer „natürlichen Parallelwertung“. 42 Zum Begriff im internationalprivatrechtlichen Kontext: Neuhaus, RabelsZ 35 (1971), 401, 407; allgemein zur Materialisierung des Privatrechts: Canaris, AcP 200 (2000), 273, 273 ff. 43 Rehbinder, JZ 1973, 151, 157. 44 Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466, 481. 45 Weller, IPRax 2011, 429, 433–435. 46 MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 97; Weller, IPRax 2011, 429, 433. 47 Weller, IPRax 2011, 429, 434 f.; siehe zudem KOM(2005), 650 endg., S. 6; kritisch: Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 255. 48 Rehbinder, JZ 1973, 151, 156; Weller, IPRax 2011, 429, 436. 41
§ 2 Übertragung auf das Internationale Zivilverfahrensrecht
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Bestimmung des anwendbaren Rechts anhand der materiellrechtlichen Wertungen des angerufenen Forums kann daher an sich unerwünschtes forum shopping begünstigen.49
§ 2 Übertragung auf das Internationale Zivilverfahrensrecht § 2 Übertragung auf das Internationale Zivilverfahrensrecht
Die zum IPR angestellten Erwägungen treffen entsprechend auch auf das Internationale Zivilverfahrensrecht zu. Im Grundsatz ist auch das zuständige Forum nach genuin internationalprozessrechtlichen Kriterien und unabhängig vom dort erwarteten Ergebnis zu ermitteln. 50 Wie im IPR ist damit auch im Internationalen Zuständigkeitsrecht das Auffinden des unter Berücksichtigung prozessrechtlicher Gerechtigkeit örtlich „richtigen“ Gerichts vor dem Hintergrund einer wertenden Interessenabwägung zu treffen. 51 Grundsätzlich haben sowohl Kläger als auch Beklagter ein Interesse an der Zuständigkeit eines Gerichts in vertrauter Umgebung. Anders als im IPR, in dem das Interesse der Parteien an der Anwendung des ihnen bekannten Rechts grundsätzlich gleichwertig ist, besteht im Prozessrecht die Tendenz, die Interessen des Beklagten stärker zu gewichten, denn der Kläger hat das Geschehen durch die Klageerhebung in der Hand, wohingegen der Beklagte sich ohne entsprechende Vorbereitungs- und Bedenkzeit verteidigen muss. Aus dieser Gewichtung der Interessen zugunsten des Beklagten entwickelt sich der Grundsatz actor sequitur forum rei.52 Beide Parteien hingegen haben ein Interesse an einer rechtssicheren Bestimmbarkeit des zuständigen Forums, da erst dieses die zuverlässige Berechnung der mit einem Vertrag verbundenen Kosten und Risiken ermöglicht. 53 Kosteneffizient ist für die Parteien zudem ein sach- und beweisnahes Gericht, da ein solches die Kosten des Prozesses verringert.54 Nicht zuletzt haben beide Parteien, zuvorderst der Kläger, ein Interesse daran, einen angestrebten Titel im Ausland am Belegenheitsort des Vermögens des Beklagten, also typischerweise an dessen Wohnsitz, vollstrecken zu können. 55 Wie schon die ursprüngliche Neutralität des IPR basiert auch die Grundkonzeption der Neutralität des Verfahrensrechts auf der Idee der Austauschbarkeit bzw. Gleichwertigkeit der Gerichte. Freilich ist ohne weiteres ersichtlich, dass die Zuständigkeit eines Gerichts erhebliche Konsequenzen auf die 49 Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 259 f.; Weller, IPRax 2011, 429, 436; zu den Problemen des forum shopping allgemein: Kropholler, FS Firsching, S. 165, 166 ff. 50 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 37. 51 Geimer, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 1126; Linke/Hau, IZVR, Rn. 130. 52 Geimer, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 298; Schack, IZVR, Rn. 222. 53 Geimer, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 1132; Schack, IZVR, Rn. 233. 54 Schack, IZVR, Rn. 231. 55 Linke/Hau, IZVR, Rn. 131; Schack, IZVR, Rn. 234.
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mit einem Prozess verbundenen Kosten sowie dessen Ausgang haben kann. Dies kann zum einen in der geographischen Entfernung einer Partei zum Gerichtsort oder mangelnder Vertrautheit mit diesem begründet sein. Zum anderen richten sich das anzuwendende Verfahrens- sowie das Kollisionsrecht nach dem zuständigen Gericht.56 Aufgrund dieser Bedeutung der internationalen Zuständigkeit für ein Verfahren kann sich auch internationalprozessrechtliche Gerechtigkeit nicht unabhängig von materiellrechtlichen Parallelwertungen entwickeln. Zwar ist das zuständige Gericht wie das anwendbare Recht grundsätzlich unabhängig vom dadurch bedingten materiellrechtlichen Ergebnis zu ermitteln, die auf materiellrechtlicher Ebene getroffenen Wertungen schlagen freilich auch hier auf die internationalprozessrechtliche Ebene durch. Dem IZVR kann die Rolle zukommen, die Wertungen des materiellen Rechts abzusichern, um nicht einen Wertungswiderspruch innerhalb einer Rechtsordnung zu schaffen. 57 So hat der Staat auch im IZVR verfassungsrechtliche Wertungen, wie beispielsweise die Garantie effektiven Rechtsschutzes oder das Sozialstaatsprinzip, zu berücksichtigen. Aus europarechtlicher Sicht sprechen auch hier die Grundfreiheiten für die Schaffung eines rechtssicheren und effizienten Systems internationaler Zuständigkeit, das geeignet ist, den Binnenmarkt zu fördern.
§ 3 Die Vornahme eines Interessenausgleichs § 3 Die Vornahme eines Interessenausgleichs
Die Benennung der relevanten Faktoren zur Bestimmung internationalprivatund verfahrensrechtlicher Gerechtigkeit wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis diese zueinander stehen und auf welche Weise ein zwischen verschiedenen Interessen bestehender Konflikt aufzulösen ist. Zumindest im Internationalen Vertragsrecht genießt der grundsätzliche Vorrang der Parteiautonomie zu diesem Zweck weitgehende Akzeptanz. 58 Lüderitz formuliert, das anwendbare Recht gegen den Willen der betroffenen Parteien zu bestimmen, sei „Besserwisserei“. 59
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Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 37. Schack, IZVR, Rn. 237. 58 von Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rn. 67 ff.; Kropholler, IPR, § 40 II, S. 294; Leible, FS Jayme, S. 485, 485 f. 59 Lüderitz, FS Kegel, S. 31, 48 f. 57
§ 3 Die Vornahme eines Interessenausgleichs
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A. Parteiautonomer Interessenausgleich Parteiautonomie ist die Freiheit der Parteien, das auf ihr Rechtsverhältnis anwendbare Recht und das hierfür zuständige Gericht zu bestimmen. 60 Die Parteiautonomie ist nahezu weltweit als Grundprinzip des Internationalen Vertragsrechts anerkannt und stellt damit einen wichtigen allgemeingültigen Grundsatz im internationalen Handelsverkehr dar. 61 Im Unionsrecht bildet die freie Rechtswahl einen „Eckstein“ des Internationalen Vertragsrechts, die Wahrung der Vertragsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Wahl des Gerichtsstands ist ein primäres Ziel der Brüssel Ia-Verordnung.62 Die theoretischen Ursprünge der Parteiautonomie gehen wohl auf Charles Dumoulin im 16. Jahrhundert zurück und wurden im Laufe der Jahrhunderte nicht zuletzt von Friedrich Carl von Savigny weiterentwickelt. 63 Das Reichsgericht erkannte den Vorrang der Parteiautonomie erstmals 1882 an; 64 seitdem darf diese in der deutschen Rechtsprechung als etabliert gelten. 65 Jedenfalls in ihrem Kernbestand ist die Parteiautonomie ein Ausfluss der grundrechtlich in Deutschland wie in der Europäischen Union geschützten Allgemeinen Handlungsfreiheit. 66 Ob auch aus den europäischen Grundfreiheiten das Erfordernis der Garantie von Parteiautonomie folgt, ist lebhaft umstritten. 67 Die Befürworter dieser These argumentieren, das Ausweichen auf objektive Anknüpfungen belaste den grenzüberschreitenden innereuropäischen Wirtschaftsverkehr, indem es eine verlässliche Prognose über das auf Verträge anwendbare Recht erschwere und stelle daher ein Handelshemmnis dar. 68 Ob sich diese Ansicht angesichts eines nunmehr unionsweit vereinheitlichen Systems der objektiven Anknüpfung halten lässt, erscheint zweifelhaft. 69 Zutreffend ist freilich, dass die Parteiautonomie am ehesten dem Bedürfnis
60 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 305 f.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, S. 9 f.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 26 f.; Kropholler, IPR, § 40 I, S. 292 f.; Schack, IZVR, Rn. 57. 61 Leible, FS Jayme, S. 485, 486; zum Ausschluss der Parteiautonomie in Brasilien, Uruguay, im Iran, im Irak, im Jemen und Jordanien siehe Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32, 34 ff. 62 Erwägungsgrund 11 Rom I-VO; Erwägungsgrund 19 Brüssel Ia-VO. 63 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, S. 203 ff.; zur historischen Entwicklung der Parteiautonomie: von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 67 ff.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, S. 16 ff.; von Hoffmann/Thorn, § 2 Rn. 16, 29 ff.; Junker, IPRax 1993, 1, 2; Leible, FS Jayme, S. 485; Siehr, FS Keller, S. 485, 485 f. 64 RG, Urteil vom 08.07.1882, RGZ 9, 225, 227. 65 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 69. 66 Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 GG Rn. 19; Weller, IPRax 2011, 429, 431 f.; im Übrigen auch Junker, IPRax 1993, 1, 2. 67 Umfassende Nachweise finden sich bei von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 2. 68 von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 4 m.w.N. in Fn. 12. 69 Zweifelnd auch: Leible, FS Jayme, S. 485, 502; Prölss/Armbrüster, DZWir 1993, 449, 457.
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der Parteien nach Rechtssicherheit Geltung verschafft und damit eine grundfreiheitenkonforme Anknüpfung des Vertrags sicherstellt. 70 Ein generalisierendes, alle Eventualitäten berücksichtigendes System der objektiven Anknüpfung muss demgegenüber zwangsläufig Unsicherheiten mit sich bringen und ist nur begrenzt in der Lage, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. 71 So kann etwa die Qualifikation eines komplexen Vertrags nicht immer offensichtlich sein und eine Anknüpfung erst nach Vornahme einer wertenden Gesamtbetrachtung ermöglichen, die den Parteien im Vorhinein keine umfängliche Bewertung ihres Haftungsrisikos erlaubt.72 Deutet eine Auswertung der internationalprivatrechtlich relevanten Interessen auf mehrere Rechtsordnungen hin, so erspart der Rückgriff auf den Parteiwillen dem Normgeber oder Richter einen mühsam vorzunehmenden Ausgleich gegensätzlicher Interessen. 73 Hieraus folgern Kegel und Schurig, das Einräumen von Parteiautonomie sei eine bloße Verlegenheitslösung. 74 Diese Kritik ist nicht völlig von der Hand zu weisen, denn eine räumliche, sachliche oder persönliche Nähe des gewählten Rechts zum Sachverhalt im Sinne kollisionsrechtlicher Interessenabwägung ist nicht zwingend erforderlich. Es mag also zweifelhaft sein, ob die Wahl der Parteien tatsächlich internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit im Sinne des Auffindens der engsten Verbindung garantiert. Indes ist die Ermitlung der engsten Verbindung wie oben beschrieben das Ergebnis einer Interessenabwägung. Im Internationalen Vertragsrecht gilt es grundsätzlich allein die Interessen der beteiligten Parteien auszugleichen. 75 Es liegt folglich nahe, diesen internationalprivat- und verfahrensrechtlichen Interessenausgleich den Parteien selbst zu überlassen. So ist Leible zuzustimmen, der die Gewährung von Parteiautonomie für ein Gebot der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit hält. 76 Sieht man nach Savigny die Aufgabe des IPR darin, den Sitz eines Rechtsverhältnisses festzustellen,77 so sind es im Lichte der Allgemeinen Handlungsfreiheit die Parteien, die am besten in der Lage sind, diesen zu bestimmen. 78 Parteiautonomie ermöglicht ihnen, auf den konkreten Sachverhalt zugeschnittene Vereinbarungen zu treffen und dabei die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksich70
3.
71
Junker, IPRax 1993, 1, 2; Leible, FS Jayme, S. 485, 502; Mankowski, RIW 2003, 2,
Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, S. 22; von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 397; Kropholler, IPR, § 40 III 2., S. 296; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 172. 72 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 76; Kropholler, IPR, § 40 III 2., S. 296 f.; siehe auch Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 153 f. 73 Kegel/Schurig, IPR, § 18 I 1. c), S. 653. 74 So aber Kegel/Schurig, IPR, § 18 I 1. c), S. 653. 75 Lüderitz, FS Kegel, S. 31, 48 f.; vgl. MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR, Rn. 86. 76 Leible, FS Jayme, S. 485, 487 f. 77 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, S. 28, 108. 78 Lüderitz, FS Kegel, S. 31, 48 f.
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tigen. Den Anforderungen des von komplexen Sachverhalten, mit möglichen Berührungspunkten zu einer Vielzahl von Rechtsordnungen geprägten Internationalen Handelsrechts wird eine parteiautonome Bestimmung des zuständigen Gerichts und des anwendbaren Rechts am ehesten gerecht.79 Die Parteien können etwa ein Forum bestimmen, an welchem sie den größten richterlichen Sachverstand vermuten, und ein Recht zur Anwendung kommen lassen, das für den zu schließenden Vertrag ausgewogene Haftungsbestimmungen bereithält.80 Die Möglichkeit, über das anwendbare Recht und das zuständige Gericht selbst zu bestimmen, ist in einem an der Freiheit des Individuums ausgerichteten Rechtssystem der natürliche Weg zur Beantwortung der rechtlichen Zweifelsfrage nach zuständigem Forum und berufener Rechtsordnung. 81 Nicht zuletzt ist die Gewährung von Parteiautonomie mikro- und makroökonomisch sinnvoll. 82 Unternehmen wird die Möglichkeit eingeräumt, sämtliche Verträge in grenzüberschreitenden Transaktionen demselben Recht und der Zuständigkeit desselben Gerichts zu unterstellen. Vertreibt etwa ein Unternehmen ein Produkt mittels örtlicher Vertragshändler in verschiedenen Staaten, so erleichtert eine einheitliche Rechts- und Gerichtsstandswahl für alle Verträge die Vertragsgestaltung und die Kalkulation des Haftungsrisikos. Die Gewährung von Parteiautonomie erleichtert den Einstieg in einen neuen Markt, weil sie die notwendige juristische Anpassung an diesen auf das öffentliche Recht reduziert. Sie senkt damit Transaktionskosten und fördert den internationalen Handel.83 Schließlich folgt die Rechtfertigung der Parteiautonomie aus einer Transposition der materiellrechtlichen Privatautonomie auf die Ebene des Internationalen Privat- und Zuständigkeitsrechts. Der Gedanke, die Parteien wüssten ihre Vertragsbeziehungen eher selbst zu regeln als vom Gesetzgeber vorgegebene typisierende Normen, prägt die Privatautonomie. Ist es den Parteien überlassen, die Modalitäten ihrer Beziehung materiellrechtlich selbst zu bestimmen, so ist es eine logische Konsequenz, ihnen auch die autonome Bestimmung des kollisionsrechtlichen Sitzes ihres Rechtsverhältnisses zu ermöglichen und eine entsprechende Freiheit bei der Wahl des Gerichtsstandes einzuräumen.84 Die Parteiautonomie wird damit zur Fortsetzung der Privatau79 Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, S. 21; von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 398; Kropholler, IPR, § 40 III 2., S. 296. 80 Vgl. von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 398. 81 Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32, 51 f.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, S. 24 f.; Junker, IPRax 1993, 1, 2; Kropholler, IPR, § 40 III 2., S. 296; Leible, FS Jayme, S. 485, 487 f. 82 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 76; von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 397 f. 83 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 76; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, S. 21. 84 von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 397–399; Kropholler, IPR, § 5 II 1., S. 34; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 169 f.; Weller, IPRax 2011, 429, 432.
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Kapitel 3: Gerechtigkeit im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht
tonomie im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr. Sie geht freilich noch über diese hinaus, indem sie die Abwahl intern zwingenden Rechts ermöglicht. 85 Bestehen indes schon keine Schranken im materiellen Recht, ist auch die Gewährung von Parteiautonomie unbedenklich. B. Erforderlichkeit der Begrenzung der Parteiautonomie Aus den offensichtlichen Vorzügen der Parteiautonomie folgt nicht der Schluss, dass sie schrankenlos zu gewährleisten ist. Die Gewährung von Parteiautonomie birgt die Gefahr, dass nicht das Gericht für zuständig erklärt und die Rechtsordnung zur Anwendung berufen wird, die zur Regelung des Sachverhalts am besten geeignet sind, sondern dass der strukturell überlegene Vertragspartner seine relative Verhandlungsstärke ausnutzt, um die Gegenseite zu übervorteilen. 86 Die Versuchung für eine Partei, ein ihr vertrautes Forum oder besonders günstiges Recht durchzusetzen, ist, wie gesehen, groß, da hieraus ganz erhebliche Vorteile erwachsen können. „Die Parteiautonomie verliert ihren Sinn – ebenso wie die materiellrechtliche Vertragsfreiheit –, wenn sie zur Herrschaft des Stärkeren über den Schwachen wird.“ 87 Diesen Gedanken von Neuhaus gilt es aufzugreifen. 88 Missbraucht die überlegene Partei die eingeräumte Parteiautonomie zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen, ist die Schaffung internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit nicht länger gewährleistet. Ziel der Parteiautonomie ist es, den Parteien zu ermöglichen, von ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit Gebrauch zu machen und den Sitz ihres Rechtsverhältnisses selbst zu bestimmen. Wie bereits untersucht, hat die strukturell unterlegene Partei keinerlei Möglichkeit, von ihrer Handlungsfreiheit Gebrauch zu machen.89 Die Bestimmung von anwendbarer Rechtsordnung und zuständigem Gericht erfolgt einseitig. Es besteht die Gefahr, dass die überlegene Partei diese Machtfülle ausnutzt, um der schwächeren Partei zu schaden. 90 Zur Wiederherstellung von allgemeiner Handlungsfreiheit und internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit ist eine Einschränkung der Parteiautonomie vorzunehmen, um zu gewährleisten, dass eine Rechtsordnung Anwendung findet, die den Interessen beider Parteien gerecht wird. Ein weiteres Argument für die Einschränkung der Parteiautonomie ergibt sich aus der Übertragung materiellrechtlicher Wertungen in IPR und IZVR. 85
Weller, IPRax 2011, 429, 432. von Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rn. 84; von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 399; Junker, IPRax 1993, 1, 3; MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 94; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 172. 87 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 172. 88 Ihm folgen etwa von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396; Kropholler, IPR, § 40 IV 1., S. 297. 89 Leible, FS Jayme, S. 485, 492; Weller, IPRax 2011, 429, 432; siehe bereits oben § 4. 90 von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 399. 86
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Ist im materiellen Recht die Privatautonomie zugunsten des Schutzes einer schwächeren Partei eingeschränkt, so verliert die Parteiautonomie nach von Hoffmann „ihre materielle Rechtfertigung“. 91 Dort, wo der Gesetzgeber eine Partei als schutzbedürftig einstuft und deshalb (einfach) zwingendes Recht schafft, muss es ihm möglich sein, dieses Ziel auch auf Ebene des Kollisionsund Zuständigkeitsrechts zu verfolgen. Andernfalls droht hierüber eine Aushöhlung des gesetzgeberischen Ziels mittels Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarung. So wie die Parteiautonomie eine Erweiterung der materiellrechtlichen Dispositionsfreiheit in das Kollisionsrecht darstellt, so folgt aus der Materialisierung des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts eine Ausstrahlung von Beschränkungen der Privatautonomie auf die Parteiautonomie.92 C. Herstellung internationalprivat- und verfahrensrechtlicher Gerechtigkeit Die obigen Ausführungen machen deutlich, dass unbeschränkte Parteiautonomie im Fall strukturell ungleicher Vertragsverhältnisse regelmäßig nicht zur Entstehung eines internationalprivat- und prozessrechtlich gerechten Ergebnisses beiträgt.93 Die zentrale Frage dieser Arbeit ist folglich, was an die Stelle einer parteiautonom bestimmten Lösung treten kann. Hierzu sind zunächst Kriterien zu ermitteln, an denen sich bemessen lässt, ob ein Eingriff des Gesetzgebers die Wiederherstellung internationalprivat- und verfahrensrechtlicher Gerechtigkeit bewirkt. Untrennbar verbunden sind dabei die gerechte Ausgestaltung einer Einschränkung der Parteiautonomie und die Ermittlung des anwendbaren Rechts mittels objektiver Anknüpfung bzw. die des zuständigen Forums mittels gesetzlicher Gerichtsstände. Das im Falle fehlender Rechts- oder Forumswahl ermittelte Ergebnis kann einerseits Maßstab sein, um die missbräuchliche Ausnutzung von Parteiautonomie zu bewerten. Andererseits kann es als Auffanglösung dienen, wenn eine Rechtsoder Forumswahl für missbräuchlich und daher als unwirksam zu erachten ist. Nicht zuletzt gewinnt die Frage nach der objektiven Anknüpfung im IPR und der gesetzlichen Gerichtsstände im IZVR für den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers auch dann Bedeutung, wenn die Parteien von ihrer Autonomie keinen Gebrauch gemacht haben. Zweifelsohne ist die Gefahr der Benachteiligung für die strukturell unterlegene Partei im Falle einer Ausnutzung der Parteiautonomie größer als im Falle ihrer Abwesenheit. Doch auch dann kann eine rein an internationalprivat- und prozessrechtlichen Kriterien orientierte Lösung zur Benachteiligung der strukturell unterlegenen Par91
von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 399. von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 399; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 170; Weller, IPRax 2011, 429, 435; zur Entwicklung des „sozialen Vertragsrechts“ Keller, in: FS Vischer, S. 175, 175 ff. 93 Leible, FS Jayme, S. 485, 492. 92
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tei führen. Beispielhaft sei angeführt, dass die regelmäßige Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der vertragscharakteristischen Leistung nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht zur Anwendung des am Sitz des Franchisegebers geltenden Rechts führt.94 Die im Falle des Fehlens einer Zuständigkeitsvereinbarung anwendbare zivilprozessuale Grundregel des actor sequitur forum rei erfordert von der strukturell unterlegenen Partei die Erhebung einer etwaigen Klage am Sitz des Vertragspartners. Dies kann aufgrund der Entfernung, der mangelnden Vertrautheit mit einem fre mden Gerichtssystem und den Auswirkungen auf das anwendbare Kollisionsund Sachrecht mit erheblichen Belastungen verbunden sein. Sowohl als Ersatz einer unwirksamen Rechts- oder Gerichtsstandswahl als auch im Falle des Fehlens einer solchen stellt sich folglich die Frage, welche Auswirkungen die Materialisierung des IPR und IZVR auf die objektive Anknüpfung und die gesetzlichen Gerichtsstände hat. D. Die maßgeblichen Interessen Vor dem Hintergrund der Hypothese, dass die Gewährung unbeschränkter Parteiautonomie den Interessen der strukturell unterlegenen Partei zuwiderläuft, soll es Aufgabe dieser Arbeit sein, Modelle zum Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gebot internationalprivat- und verfahrensrechtlicher Gerechtigkeit zu untersuchen. Die folgenden Interessen sind hierbei zu beachten und gegeneinander abzuwägen. I. Schutz der strukturell unterlegenen Partei Dem idealtypischen kollisionsrechtlichen Interesse der schwächeren Partei entspricht es zunächst, eine Rechtsordnung zur Anwendung gelangen zu lassen, mit der sie eng verbunden und daher vertraut ist. 95 Regelmäßig entspricht dies dem an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Recht. 96 Nicht von der Hand zu weisen ist darüber hinaus ein Interesse der schwächeren Partei an der Anwendung einer Rechtsordnung, die sie materiell begünstigt. 97 Vergleichbares gilt auf Ebene des IZVR. Auch hier hat die unterlegene Partei ein Interesse an der Zuständigkeit eines eng verbundenen Gerichts, da sie mit dessen Verfahrensrecht im Zweifel eher vertraut ist und sich sprachliche Barrieren sowie hohe Prozesskosten eher vermeiden lassen werden. 98 Hinzu 94
Siehe dazu unten § 1C.II.1.a). Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 1., S. 135 f.; Kropholler, IPR, § 5 I 2., S. 32 f.; MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 88. 96 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 1., S. 135 f.; MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 88; ausführlich zur zunehmenden Berücksichtigung des gewöhnlichen Aufenthalts gegenüber der Staatsangehörigkeit: von Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 Rn. 5 ff. 97 MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 89. 98 Schack, IZVR, Rn. 230. 95
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kommt ein Interesse daran, dass das zuständige Gericht mittels seines Kollisionsrechts zur Anwendung einer vertrauten und zudem möglichst materiell günstigen Rechtsordnung gelangt. Besonderes Gewicht erhalten die Interessen der strukturell unterlegenen Partei aufgrund der oben beschriebenen Materialisierung von Internationalem Privat- und Verfahrensrecht. So folgt etwa aus dem europarechtlichen Prinzip des Sozialschutzes das Gebot, die Interessen einer schwächeren Partei auch bei der Ausgestaltung des Europäischen Kollisions- und Verfahrensrechts zu berücksichtigen. 99 Auch im Zivilprozessrecht sind grundsätzliche Wertungen, wie etwa das Gebot effektiven Rechtsschutzes, zu berücksichtigen. 100 II. Interessen der überlegenen Partei Obwohl dem Schutz der schwächeren Partei besondere Bedeutung zukommt, darf die Untersuchung eines Gerichtsstands bzw. einer Kollisionsnorm die berechtigten Interessen der Gegenseite nicht außer Acht lassen. Im Ausgangspunkt hat auch ein überlegener Vertragspartner ein Interesse an der Anwendung einer eng verbundenen, möglichst auch materiellrechtlich günstigen Rechtsordnung sowie ein entsprechendes verfahrensrechtliches Interesse. Diese Interessen werden sich nicht selten in der Zulassung und Aufrechterhaltung einer parteiautonom getroffenen Entscheidung niederschlagen. Die parteiautonome Festlegung von anwendbarem Recht und zuständigem Gericht ermöglicht der überlegenen Partei, die eine Vielzahl vergleichbarer Verträge abschließt, durch die gleiche Ausgestaltung sämtlicher Verträge einen Rationalisierungseffekt zu erzielen.101 So ist es offensichtlich günstiger, eine große Anzahl von Prozessen am selben Forum und in derselben Rechtsordnung zu führen, anstatt qualifizierte Anwälte für eine Vielzahl von Alternativen zu beschäftigen. III. Rechtssicherheit Das Gebot der Rechtssicherheit begrenzt das Streben nach internationalprivatrechtlicher Einzelfallgerechtigkeit zugunsten einer generalisierenden Betrachtung. 102 Dies ermöglicht es, vorhersehbare Ergebnisse zu erzielen, woran beide Parteien ein Interesse haben.103 Diesem Interesse kommt besonderes Gewicht zu, denn erst diese Wahrung von Rechtssicherheit ermöglicht den 99 Kropholler, IPR, § 5 II 2., S. 34; Schack, IZVR, Rn. 237; vgl. MünchKommBGB/ Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 94. 100 Schack, IZVR, Rn. 236. 101 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 76; von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 397 f. 102 Kropholler, IPR, § 4 IV, S. 30. 103 Kropholler, IPR, § 4 IV und § 5 I 3., S. 30 f. und 33; MünchKommBGB/ Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 88; Schack, IZVR Rn. 233; als Ordnungsinteresse stufen Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3. c), S. 143 das Interesse an Rechtssicherheit ein.
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Parteien eine verlässliche Berechnung der mit einem Vertrag verbundenen Chancen und Risiken. 104 Kann die strukturell unterlegene Partei im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht mit letzter Sicherheit abschätzen, ob sie von schützenden Regelungen profitieren wird, so kann hiervon eine abschreckende Wirkung ausgehen. Vermag die stärkere Partei nicht vorauszusehen, an welchem Forum und unter Geltung welchen Rechts sie gerichtspflichtig wird, so muss sie die Möglichkeit eines ungünstigen Ergebnisses in die Kosten des angestrebten Vertrags miteinbeziehen. Kann die überlegene Partei aufgrund ihrer Marktposition diese Kosten an den Vertragspartner weitergeben, so wird auch er an den Kosten der Rechtsunsicherheit beteiligt. IV. Internationaler Entscheidungseinklang Beide Parteien haben grundsätzlich ein Interesse am internationalen Entscheidungseinklang.105 Die ergebnisgleiche Bewertung eines Rechtsstreits unabhängig vom anwendbaren Kollisionsrecht macht forum shopping zwecklos, erhöht die Voraussehbarkeit einer Entscheidung und erleichtert folglich ebenfalls die Einschätzung der mit einem Vertrag verbundenen Risiken. 106 Entsprechendes gilt auf Ebene des Verfahrensrechts. Die international einheitliche Gestaltung von Zuständigkeiten kann die Entstehung einander widersprechender Urteile verhindern. Urteile, die aufgrund international anerkannter Zuständigkeit eines Forums ergangen sind, sind zudem mit höherer Wahrscheinlichkeit auch im Ausland vollstreckbar. 107 Auch hieran haben im Ausgangspunkt beide Parteien ein Interesse. Oben bereits angeklungen ist, dass die Materialisierung des Kollisionsund Verfahrensrechts in aller Regel dann den internationalen Entscheidungseinklang konterkariert, wenn ein ausländischer Staat die materiellrechtlichen Wertungen des normgebenden Staates nicht teilt. 108 Dies mag man bedauern,109 indes warnen Kegel und Schurig zu Recht davor, den internationalen Entscheidungseinklang als Hauptfaktor internationalprivatrechtlicher Gerech-
104
Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3. c), S. 143. Kropholler, IPR, § 6 I, S. 37; MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 89. Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3., S. 139 f. und Schack, IZVR, Rn. 239 stufen das Interesse am Entscheidungseinklang als Ordnungsinteresse ein. Ein wesentlicher Unterschied ergibt sich aus der unterschiedlichen Kategorisierung indes nicht. Ebenfalls als zu berücksichtigendes Interesse wird der interne Entscheidungseinklang genannt. Im Internationalen Vertragsrecht, das den Gegenstand dieser Untersuchung bildet, sind hier keine Konflikte zu befürchten. 106 MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 89; zu den Problemen des forum shopping allgemein: Kropholler, FS Firsching, S. 165, 166 ff. 107 Schack, IZVR, Rn. 239. 108 Rehbinder, JZ 1973, 151, 156; Weller, IPRax 2011, 429, 436. 109 Kritisch zur diesbezüglichen Tendenz im europäischen Kollisionsrecht insbesondere Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 259 f.; Weller, IPRax 2011, 429, 436. 105
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tigkeit anzusehen. 110 Schack formuliert, eine zu starke Gewichtung des internationalen Gleichklangs von Entscheidungszuständigkeit käme einer „Selbstaufgabe“ gleich. 111 Selbst die Bestimmung des anwendbaren Rechts anhand einer rein kollisionsrechtlichen Interessenabwägung lässt eine Vielzahl von Anknüpfungslösungen zu. So wird bereits die erforderliche Gewichtung von Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit schaffender Standardisierung beispielsweise in Europa und den Vereinigten Staaten uneinheitlich beurteilt.112 Internationaler Entscheidungseinklang ist ebenso wie die Einheitlichkeit internationaler Zuständigkeiten ein Ideal, das sich aus Sicht des nationalen ebenso wie des europäischen Gesetzgebers praktisch kaum erreichen lässt. Eine Orientierung an internationalen Gepflogenheiten, so sie denn im Detail tatsächlich bestehen, kollidiert zudem beinahe zwangsläufig mit eigenen materiellrechtlichen Wertungen. 113 Solange freilich nicht sämtliche Jurisdiktionen auf eine Durchsetzung eigener Interessen verzichten, kann eine zu starke Orientierung am internationalen Entscheidungseinklang zur Benachteiligung einer im Staat des relevanten Normgebers ansässigen Partei führen. Demgegenüber gilt es die Nachteile einer Orientierung an nationalen oder europäischen Interessen abzuwägen. Während sich die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen nicht von der Hand weisen lässt, erscheint die Unmöglichkeit der Anerkennung und Vollstreckung einer an einem exorbitanten Gerichtsstand ergangenen Entscheidung im Ausland hinnehmbar, wenn mit vollstreckungstauglichem Vermögen des Beklagten im Inland zu rechnen ist. 114 Nach alledem ist der internationale Entscheidungseinklang im Folgenden zwar zu berücksichtigen, aber weniger stark zu gewichten als die übrigen Interessen. 115 Zur Schaffung internationalen Entscheidungseinklangs und einer daraus folgenden Eindämmung des forum shopping scheint eine unilaterale, nationale oder europäische Herangehensweise nach alledem der falsche Weg. Ein vielversprechender Ansatz ist eine weltweite völkerrechtliche Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts oder eine ebensolche Beschränkung exorbitanter Gerichtsstände.116 Eine solche Entwicklung ist momentan noch nicht ersichtlich.
110
Kegel/Schurig, IPR, § 2 II, 3., S. 140. Schack, IZVR, Rn. 240. 112 Kropholler, IPR, § 4 IV, S. 30 f.; Rühl, Statut und Effizienz, S. 316 ff. 113 Vgl. Kegel/Schurig, IPR, § 2 II, 3., S. 140. 114 Schack, IZVR, Rn. 242. 115 von Bar/Mankowski, IPR, § 6 Rn. 58 sehen den Entscheidungseinklang als „einen Faktor unter mehreren“. 116 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II, 3., S. 140; Kropholler, FS Firsching, S. 165, 170–172. 111
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V. Ökonomische Analyse Eine weitere Möglichkeit, die Wirksamkeit einer Kollisionsnorm und eines Gerichtsstands zu beurteilen, verspricht die ökonomische Analyse des Rechts. Methodisch handelt es sich im Ausgangspunkt neben der klassisch kollisionsrechtlichen Methode im Sinne Savignys und der politischen Methode im Sinne Curries um einen weiteren Weg zur Bestimmung der Ausgestaltung einer Kollisionsnorm.117 Wie bereits erörtert, ist das europäische Internationale Privatrecht zwar von der klassischen Methode im Sinne Savignys geprägt, von einer ausschließlich an kollisionsrechtlichen Kriterien orientierten Anknüpfung, deren Ziel das Auffinden des sachlich bzw. räumlich nächsten Rechts ist, kann freilich keine Rede mehr sein. Die Materialisierung des Kollisionsrechts erlaubt im Rahmen der Suche nach der engsten Verbindung zunehmend die Berücksichtigung von Zielen und Wertungen des materiellen Rechts. Das materielle Unionsrecht ist nach Art. 26 AEUV vom Ziel eines effizienten Binnenmarktes geprägt, der den ungehinderten Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet.118 Diese Zielvorstellung prägt das Unionsrecht sehr weitgehend und fordert im Grundsatz die Ausgestaltung effizienter, den Binnenmarkt fördernder Normen. 119 Bis zum Vertrag von Lissabon war das europäische Internationale Privat- und Verfahrensrecht ausdrücklich an die Förderung des Binnenmarktes gebunden. Somit ist im Zuge der Materialisierung des Kollisions- und Verfahrensrechts zur Bestimmung internationalprivat- und verfahrensrechtlicher Gerechtigkeit auch die Schaffung ökonomisch möglichst effizienter Lösungen zu berücksichtigen.120 Mit der klassischen kollisionsrechtlichen Suche nach der engsten Verbindung eines Sachverhalts zu einer Rechtsordnung hat die ökonomische Analyse gemein, dass sie auf einen Ausgleich der Interessen der beteiligten Parteien abzielt.121 Insofern fügt sich die ökonomische Analyse des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts in diese Untersuchung ein. Ziel der ökonomischen Analyse des Rechts ist die Beurteilung von Rechtsnormen anhand ihrer Effizienz. Effizient ist eine Regelung dann, wenn sie zu einer Verteilung knapper Ressourcen führt, die ein möglichst hohes Maß an Bedürfnisbefriedigung sichert, mit anderen Worten wenn ihr Nutzen ihre Kosten übersteigt.122 Rühl hat die Tauglichkeit der unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe der ökonomischen Analyse des Rechts bezüglich des Internationalen Privatrechts untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass auch Kollisionsnor117
Rühl, Statut und Effizienz, S. 188 ff. Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 26 AEUV Rn. 15. 119 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 26 AEUV Rn. 17. 120 Weller, IPRax 2011, 429, 433. 121 Rühl, Statut und Effizienz, S. 190. 122 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 1 und 35; Siehr, FS Firsching, S. 269, 271. 118
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men einer ökonomischen Analyse mit dem Ziel der Verteilungseffizienz zugänglich sind.123 Auf ihre Ergebnisse soll an dieser Stelle verwiesen werden.124 Ziel einer kollisions- und verfahrensrechtlichen Lösung aus ökonomischer Perspektive ist, wie oben erörtert, der Ausgleich des strukturellen Ungleichgewichts zwischen zwei Parteien mit dem Ziel, eine effiziente Verteilung von Ressourcen wiederherzustellen. 125 Die Beseitigung des Ungleichgewichts muss dabei ihrerseits auf effiziente Art und Weise erfolgen. 126 Ein schützender Eingriff zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen den Parteien darf keine Kosten verursachen, die seinen Nutzen aufzehren. Folglich sind die Lösungen des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht zum Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers de lege lata und de lege ferenda auf die durch sie verursachten Kosten zu untersuchen. Eine kosteneffiziente Lösung ist einerseits im Sinne des Normgebers, um den beschriebenen Missstand wirksam beheben zu können. Sie liegt andererseits im Interesse der Parteien. Die überlegene Partei hat ein Interesse an einer möglichst transaktionskostengünstigen Durchführung des Vertrags trotz Beschränkungen der Parteiautonomie. Die unterlegene Partei wird zwar durch einen schützenden Eingriff davor bewahrt, einen zu hohen Preis für ungünstige Vertragsbedingungen zu zahlen. Indes verteuert die Schaffung eines Schutzniveaus abhängig von dessen Modalitäten das von der überlegenen Partei angebotene Produkt. Die unterlegene Partei hat ein Interesse daran, dass diese Verteuerung so gering wie möglich ausfällt. Stehen der aus dem schützenden Eingriff resultierende Aufwand und die damit verbundene Verteuerung außer Verhältnis zu dem mit der Vertragsdurchführung angestrebten Gewinn, so verlieren schließlich beide Parteien das Interesse am Vertragsschluss, was ebenfalls offensichtlich unerwünscht ist.
123
Rühl, Statut und Effizienz, S. 160. Rühl, Statut und Effizienz, S. 146 ff. Siehe oben § 5. 126 Rühl, Statut und Effizienz, S. 460, 566f; Schäfer/Lantermann, in: Basedow, Jürgen/Kono, Toshiyuki (Hrsg.), An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 106. 124 125
Kapitel 4
Schutz auf Ebene des Internationalen Privatrechts Im Folgenden sind zunächst das europäische und sodann das USamerikanische Kollisionsrecht zu untersuchen. In einem Rechtsvergleich ist anschließend festzustellen, welche Rechtsordnung die vorzugswürdigeren Ansätze zum Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers aufweist.
§ 1 Europäisches Kollisionsrecht § 1 Europäisches Kollisionsrecht
Im europäischen Kollisionsrecht sind zum einen die aus Schutzerwägungen vorgenommenen Beschränkungen der freien Rechtswahl und zum anderen Tendenzen zum Schutz einer schwächeren Partei im Rahmen der objektiven Anknüpfung zu analysieren. A. Grundsatz der freien Rechtswahl Das europäische Internationale Schuldvertragsrecht ist in der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht 1 (Rom I-Verordnung) kodifiziert. Die Rom I-Verordnung hat mit Wirkung zum 17. Dezember 2009 das Römische EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (EVÜ), das in den Art. 27 bis 36 EGBGB umgesetzt worden war, ersetzt. 2 Art. 3 der Rom I-VO gewährt den Parteien eines Vertrags die Freiheit, das auf diesen anwendbare Recht einvernehmlich zu bestimmen. 3 Die freie Rechtswahl ist „Eckstein“4 des europäischen Internationalen Vertragsrechts. Zwar ist die Parteiautonomie Grundsatz der internationalprivatrechtlichen Betrachtung und Ausgangspunkt der Frage nach dem auf einen Schuldvertrag anwendbaren Recht, sie birgt jedoch die Gefahr des Missbrauchs durch eine überlegene Partei. Zu überprüfen gilt es im Folgenden, anhand welcher Kriterien der strukturell unterlegene 1
ABl. EU Nr. L 177 vom 04.07.2008, S. 6. MünchKommBGB/Martiny Vor Art. 1 Rom I-VO Rn. 1, 12. 3 Zum Begriff der Parteiautonomie ausführlich von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 26; Kropholler, IPR, § 40 I, S. 292 ff. 4 Erwägungsgrund 11 Rom I-VO. 2
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Unternehmer identifiziert wird und auf welche Art und Weise eine Einschränkung der Rechtswahl zu dessen Schutz bewirkt wird. B. Einschränkungen der Parteiautonomie I. Binnensachverhalt und Binnenmarktklausel Zunächst besteht eine Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeiten durch Art. 3 Abs. 3 sowie Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO. Art. 3 Abs. 3 regelt den so genannten Binnensachverhalt. Sind alle Elemente eines Sachverhalts mit Ausnahme der Rechtswahl und ggf. zusätzlich einer Gerichtsstandswahl in einem einzigen Staat belegen, 5 so kann durch Rechtswahl nicht von den zwingenden Normen dieses Staates abgewichen werden. Die Rechtswahl bleibt in diesen Fällen zwar wirksam, sie hat indes, soweit zwingendes Recht entgegensteht, nur materiellrechtliche Wirkung, das gewählte Recht ersetzt folglich nur die dispositiven Normen der eigentlich anwendbaren Rechtsordnung. 6 Entsprechendes gilt für die so genannte Binnenmarktklausel des Art. 3 Abs. 4, welche zwingendes Unionsrecht in Sachverhalten, welche ausschließlich im Gebiet der Europäischen Union belegen sind, für unabdingbar erklärt. 7 Telos der beiden Regelungen ist es, die Umgehung zwingenden nationalen Rechts bzw. Unionsrechts durch künstliche Schaffung eines Auslandsbezugs zu verhindern.8 Manches spricht dafür, dass insbesondere die Binnenmarktklausel einen Schutz auch des unterlegenen Unternehmers im grenzüberschreitenden Verkehr wenn nicht bezweckt, so jedenfalls bewirkt bzw. potentiell bewirken könnte.9 Als Beispiel mag folgende, an die Ingmar-Entscheidung10 des EuGH angelehnte Konstellation dienen: Ein deutscher Unternehmer schließt mit einem französischen Handelsvertreter einen Handelsvertretervertrag. Um die Geltung des sowohl in Deutschland als auch in Frankreich umgesetzten Art. 17 der Handelsvertreterrichtlinie zu umgehen, setzt der strukturell überlegene Unternehmer eine Rechtswahl zugunsten kalifornischen Rechts 5
Erwägungsgrund 15 Rom I-VO; Heiss, in: Ferrari/Leible (Hrgs.), The Rome I Regulation, S. 1, 2. 6 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 29; MünchKommBGB/Martiny Art. 3 Rom I-VO Rn. 94. 7 Leible, in: Ferrari/Leible (Hrsg), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 41, 50 f.; Magnus, IPRax 2010, 27, 33 f.; Thiede, in: Verschragen (Hrsg.) Rechtswahl, S. 51, 57 f. 8 Heiss, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), The Rome I Regulation, S. 1, 4; Kieninger, EuZ 2007, 22, 23; MünchKommBGB/Martiny Art. 3 Rom I-VO Rn. 4; Staudinger/Magnus Art. 3 Rom I-VO Rn. 133; Thiede, in: Verschraegen (Hrsg.) Rechtswahl, S. 51, 57 f.; Wagner, IPRax 2008, 377, 380. 9 Kropholler, RabelsZ 42 (1978), 634, 645; Mankowski, IHR 2008, 133, 136; vgl. Leible, in: Ferrari/Leible (Hrsg), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 41, 53 f. 10 EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd ./. Eaton Leonhard Technologies Inc.), NJW 2001, 2007. Dazu ausführlich noch unten § 1B.V.2.
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durch.11 Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO greift nicht, da kein rein nationaler Sachverhalt vorliegt. Der Schutz des Handelsvertreters im dargestellten Beispiel wird jedoch über die Binnenmarktklausel des Art. 3 Abs. 4 gewährleistet, da es sich um einen Binnenmarktsachverhalt handelt.12 Die Wahl kalifornischen Rechts hat im Beispielsfall folglich allein materiellrechtliche Wirkung und berührt damit nicht die Anwendung zwingenden Unionsrechts. Nach Art. 19 der Handelsvertreterrichtlinie handelt es sich beim Ausgleichsanspruch des Art. 17 RL insoweit um zwingendes Recht, als dass hiervon nicht zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden kann. Art. 17 RL findet folglich in der Form Anwendung, in welcher er im Gerichtsstaat umgesetzt worden ist.13 Die Schutzwirkung des Art. 3 Abs. 4 ist freilich sowohl räumlich als auch sachlich stark eingeschränkt. Räumlich reicht sie nur so weit, wie tatsächlich ein Binnenmarktsachverhalt vorliegt. Ist ein rechtserheblicher Aspekt des Sachverhalts in einem Drittstaat angesiedelt, so ist die Abwahl auch zwingenden Unionsrechts grundsätzlich möglich.14 Der sachliche Anwendungsbereich ist ebenfalls schmal, denn die Anzahl gegenwärtig in Betracht kommender einfach zwingender Vorschriften des Unionsrechts, die den Schutz des unterlegenen Unternehmers bezwecken, ist gering. 15 Zu denken wäre an sonstige nicht abdingbare Vorschriften der Handelsvertreterrichtlinie, sofern man diese nicht als Eingriffsnormen ansieht. Darüber hinaus sind auch Teile der Zahlungsverzugsrichtlinie 16, die allein im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern gilt, gemäß deren Art. 3 Abs. 3 zwingend.17 Die Bedeutung der Binnenmarktklausel zum Schutz des unterlegenen Unternehmers ist damit momentan vergleichsweise gering. Einhergehend mit dem Bedeutungszuwachs des Europäischen Privatrechts ist eine größere praktische Relevanz der Binnenmarktklausel in den hier untersuchten Fällen indes denkbar. 18
11 Die Erörterung dieser hypothetischen Konstellation vor Inkrafttreten der Rom I-VO findet sich auch bei Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 294. 12 Rauscher/von Hein Art. 3 Rn. 129, 106 ff. 13 Rauscher/von Hein Art. 3 Rn. 127 hält dies für prozessökonomisch vertretbar. 14 Kieninger, EuZ 2007, 22, 24; mit Bezug auf die „Ingmar-Konstellation“: Rauscher/von Hein Art. 3 Rn. 130. 15 Mankowski, IHR 2008, 133, 136. 16 Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. EG Nr. L 200 vmo 08.08.2000, S. 35; die deutsche Umsetzung findet sich in den §§ 286, 288 BGB. 17 Kieninger, EuZ 2007, 22, 24. 18 Vgl. Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 29.
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II. Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz Eine erhebliche und praktisch bedeutsame19 Einschränkung der Privatautonomie nehmen Art. 6 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO für Verbraucherund Individualarbeitsverträge vor. Telos beider Bestimmungen ist der Schutz der schwächeren Vertragspartei, als welche Verbraucher und Arbeitnehmer im Vergleich zu Unternehmer und Arbeitgeber angesehen werden. 20 Eine ausführliche Untersuchung dieser beiden Normen soll an dieser Stelle nicht erfolgen, da weder die eine noch die andere den Schutz des unterlegenen Unternehmers betrifft. Insbesondere ist Art. 8 Rom I-VO nach allgemeiner Ansicht nicht analog auf Unternehmer wie etwa den Handelsvertreter anwendbar. Der europäische Arbeitnehmerbegriff verlangt unter anderem die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers, die mit der beim Handelsvertreter vorhandenen Entscheidungsfreiheit und dessen unternehmerischem Risiko nicht vereinbar ist.21 III. Transportverträge Eine weitere Einschränkung der Rechtswahlfreiheit findet sich in der Rom IVerordnung für Transportverträge. Art. 5 Abs. 2 Rom I-VO schränkt die Rechtswahlmöglichkeiten im Rahmen von Personenbeförderungsverträgen ein. Gewählt werden kann allein das Recht des Staates, in dem die zu befördernde Person oder der Beförderer ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, in dem der Beförderer seine Hauptverwaltung hat, sowie das am Abgangs- oder Bestimmungsort des Personentransports geltende Recht. Telos der Norm ist wohl primär der Schutz des Verbrauchers. 22 Ein solcher ist durch Art. 5 auch deshalb notwendig, weil der eigentlich verbraucherschützende Art. 6 gemäß Abs. 4 lit. b) auf Transportverträge keine Anwendung findet. Zu beachten ist freilich, dass der Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 keineswegs zwischen Verbrauchern und Unternehmern differenziert. 23 Gemäß Erwägungsgrund 32 Rom IVO will die Verordnung ein angemessenes Schutzniveau für die „zu befördernde Person“ sicherstellen. Ausdrücklich wird damit auch der Geschäftsreisende von der Rechtswahlbeschränkung erfasst und durch sie geschützt. Ein solcher Schutz auch des Unternehmers erfolgt, weil dieser als die zu befördernde Vertragspartei dem Beförderer unabhängig davon strukturell unterle-
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Mankowski, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 171, 172 m.w.N. Vgl. Erwägungsgründe 23, 25, 35 Rom I-VO. 21 Palandt/Thorn Art. 8 Rom I-VO Rn. 3; Rauscher/von Hein Art. 8 Rom I-VO Rn. 18; vgl. zu Art. 21 Brüssel I-VO: OLG Hamburg, Urteil vom 14.04.2004, NJW 2004, 3126, 3127 f.; zum Arbeitnehmerbegriff: EuGH, Urteil vom 03.07.1986, Rs. C-66/85 (Deborah Lawrie-Blum ./. Land Baden-Württemberg), NVwZ 1987, 41. 22 Vgl. Magnus, IPRax 2010, 27, 38; Mankowski, IHR 2008, 133, 140. 23 MünchKommBGB/Martiny Art. 5 Rn. 1; Rauscher/Thorn Art. 5 Rn. 77. 20
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gen ist, ob die Reise aus privaten oder gewerblichen Zwecken erfolgt. 24 Der Passagier tritt dem Beförderungsunternehmen als austauschbarer Vertragspartner gegenüber. Er hat typischerweise keinerlei vertragliche Gestaltungsmacht, sondern wird sich vielmehr den Vertragsbedingungen des Beförderers ausgesetzt sehen. 25 Dass auch das Transportunternehmen austauschbar sein kann, beseitigt das strukturelle Ungleichgewicht aufgrund der Informationsasymmetrie zwischen den Parteien nicht. 26 Zweifelhaft ist jedoch, ob Art. 5 Abs. 2 Rom I-VO überhaupt einen Schutz des Passagiers bewirkt. 27 Die eröffneten Rechtswahlmöglichkeiten erfordern zwar eine sachliche bzw. räumliche Nähe des gewählten Rechts zum Vertrag, jedoch keine Nähebeziehung zur unterlegenen Partei. Dem Beförderer ist es möglich, sein ihm vertrautes Heimatrecht typischerweise mittels seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Anwendung kommen zu lassen. Für den Passagier ist das anwendbare Recht damit zwar voraussehbar, eine Schutzwirkung durch die Anwendung einer ihm vertrauten Rechtsordnung wird ihm jedoch nicht zuteil. So bewirkt die Rechtswahlbeschränkung einen minimalen internationalprivatrechtlichen Schutz vor unbeschränkter Rechtswahl, das im Ergebnis anwendbare Recht obliegt freilich faktisch der Entscheidung des überlegenen Vertragspartners, denn dieser hat es in der Hand, über den Sitz seines Unternehmens zu bestimmen. Nach Mankowski wird die Rechtswahlbeschränkung des Art. 5 Abs. 2 Rom I-VO zur „Farce“. 28 IV. Versicherungsverträge Einen interessanteren Ansatz zum Schutz auch des strukturell unterlegenen Unternehmers vor missbräuchlicher Ausnutzung von Parteiautonomie bietet Art. 7 Rom I-VO. Er regelt das auf Versicherungsverträge anwendbare Recht. Der Versicherungsnehmer wurde bereits im EuGVÜ vom 27. September 196829 als typischerweise strukturell schwächere Vertragspartei angesehen. Diese grundsätzliche Wertung trifft das europäische Internationale Privatund Verfahrensrecht bis heute. Die Umsetzung dieses Grundgedankens gilt es im Folgenden zu untersuchen.
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Rauscher/Thorn Art. 5 Rn. 77. Rauscher/Thorn Art. 5 Rom I-VO Rn. 76 f. 26 Siehe bereits oben § 3D. 27 Kritisch: Magnus, IPRax 2010, 27, 38; Mankowski, IHR 2008, 133, 140; Nielsen, in: Ferrari/Leibe (Hrsg.) The Rome I Regulation S. 99, 107. 28 Mankowski, IHR 2008, 133, 140. 29 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.09.1968, BGBl. 1972 II, S. 774. 25
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1. Die Rechtslage nach der Rom I-Verordnung a) Überblick Das Kollisionsrecht der Versicherungsverträge ist ebenso wie das diesbezügliche materielle Recht komplex und soll an dieser Stelle nicht umfassend beleuchtet werden. Dies gilt auch und insbesondere für die zum Teil erhebliche Kritik, die in der Literatur an der Neuregelung in der Rom I-Verordnung geäußert worden ist.30 Sie mag in vielerlei Fällen berechtigt sein, doch würde eine umfassende Stellungnahme über das Ziel dieser Untersuchung hinausgehen. In einem Teilaspekt ist das Versicherungsrecht für diese Untersuchung freilich von besonderem Interesse. Gemäß Erwägungsgrund 32 Rom I-VO strebt der Verordnungsgeber einen Schutz bestimmter Versicherungsnehmer an. Die Kriterien, anhand derer der Verordnungsgeber die Schutzbedürftigkeit auch von Unternehmern fest macht und damit eine Einschränkung der Parteiautonomie rechtfertigt, gilt es näher zu betrachten. Die Regelung des Internationalen Versicherungsvertragsrechts vor Inkrafttreten der Rom I-Verordnung war kompliziert, abhängig von Art des Versicherungsvertrags und Belegenheit des zu versichernden Risikos waren entweder das EVÜ, autonomes Kollisionsrecht oder Richtlinienkollisionsrecht anwendbar.31 Mit der Geltung der Rom I-Verordnung beschränkt sich die Anzahl der Rechtsquellen im Internationalen Versicherungsvertragsrecht nunmehr auf diese, 32 insbesondere Richtlinienkollisionsrecht tritt nach Art. 23 Rom I-VO ausnahmsweise hinter die Regelung der Rom I-Verordnung zurück. Beibehalten wurde indes die Differenzierung nach Art des Versicherungsvertrags und Art sowie Belegenheitsort des Risikos. Zu unterscheiden ist zunächst zwischen Rückversicherungsverträgen, Versicherungsverträgen über Großrisiken und solchen über Massenrisiken. 33 Für Rückversicherungsverträge existiert keine Sonderregelung, sie sind nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO nicht vom Anwendungsbereich des Art. 7 erfasst. Für sie gilt bei Vorliegen einer wirksamen Rechtswahl außer in Binnensachverhalten die unbeschränkte Rechtswahl nach Art. 3. Da an Rückversicherungsverträgen kein Verbraucher beteiligt ist, kommt eine Einschränkung über Art. 6 Rom I-VO nicht in Betracht.34 Für Versicherungsverträge über Großrisiken trifft Art. 7 Rom I-VO zwar eine eigene Regelung, sie ver30
Fricke, VersR 2008, 443, 443 f. Heiss, FS Kropholler, S. 459, 460; ders.,YbPIL 2008, 261, 263; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 538 f.; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 10; Perner, IPRax 2009, 218, 222; weniger kritisch: Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 111; Heinze, NiPR 2009, 445, 453. 31 Fricke, VersR 2008, 443, 445; Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 109 f.; Staudinger/Armbrüster Art. 37 EGBGB Anh I Rn. 1 ff. 32 Fricke, VersR 2008, 443, 445; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 460. 33 Zur Abgrenzung zwischen Groß- und Massenrisiken ausführlich unten § 1B.IV.3. 34 Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 9.
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weist jedoch unabhängig vom Belegenheitsort des Risikos ebenfalls auf Art. 3 VO, ermöglicht also wiederum die weitgehend unbeschränkte Rechtswahl. Unterschiede zu Rückversicherungsverträgen bestehen insoweit keine. Für Massenrisiken schließlich trifft Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO eine nach dem Belegenheitsort des Risikos differenzierende Regelung. Zur Bestimmung des Begriffs Belegenheit verweist Art. 7 Abs. 6 auf die einschlägigen Schadensund Lebensversicherungsrichtlinien. 35 Belegenheitsort des Risikos ist danach bei der Versicherung von unbeweglichen Sachen sowie der zur Immobilie gehörigen beweglichen Sachen der Lageort, bei Fahrzeugen der Zulassungsstaat, bei Versicherungen, die maximal viermonatige Reisen betreffen, der Ort des Vertragsschlusses, in allen anderen Fällen der gewöhnliche Aufenthalt des Versicherungsnehmers. 36 Liegt das zu versichernde Risiko danach außerhalb eines EUMitgliedstaates, so finden nach herrschender Ansicht wiederum die allgemeinen Regeln der Art. 3 ff. Anwendung. 37 Ist das Risiko hingegen in einem Mitgliedstaat belegen, so kommt die Sonderkollisionsnorm des Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO zur Anwendung. Diese Aufspaltung produziert zwar – wie zu zeigen sein wird –38 Wertungswidersprüche, de lege lata folgt sie jedoch zwingend aus dem eindeutigen Wortlaut wie auch aus dem Willen des Verordnungsgebers. 39
35 Art. 2 lit. d) der Zweiten Richtlinie 88/357/EWG des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs (ABl. EWG 1988 Nr. L 172 vom 04.07.1988, S. 1) sowie Art. 1 Abs.1 lit. g) der RL 2002/83/EG (ABl. EG 2002 Nr. L 345 vom 19.12.2002, S. 1). 36 Ausführlich: Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 3 f.; MünchKommBGB/ Martiny Art. 7 Rn. 44 ff.; Reithmann/Martiny/Schnyder Rn. 4733. 37 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 123; Heinze, NiPR 2009, 445, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 477; Katschthaler/Leichsenring, r + s 2010, 45, 49; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 8; MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rn. 26; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 131; Reithmann/Martiny/Schnyder Rn. 4734. 38 Siehe unten § 1B.IV.2. 39 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 123; MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rn. 26; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 131. Siehe insbesondere auch Erwägungsgrund 33 Rom I-VO. Fricke, VersR 2008, 443, 449 hingegen sieht in der Beschränkung der Regelung auf in Mitgliedstaaten belegene Risiken ein Redaktionsversehen des Verordnungsgebers und will Art. 7 Abs. 3 auch auf sonstige Versicherungsverträge über Massenrisiken anwenden; zurückhaltender: Rauscher/Fricke, Art. 7 Rom I-VO Rn. 16. Heiss, FS Kropholler, S. 459, 462 f. will Art. 7 Abs. 3 VO zumindest auf solche Massenrisiken anwenden, die in den EWR-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein belegen sind. Hiergegen spricht indes der eindeutige Wortlaut des Art. 1 Abs. 4 Rom I-VO, der eigens für Art. 7 eine Definition des Begriffs Mitgliedstaat vornimmt, die EWR-Staaten jedoch ausspArt. Dazu: Reithmann/Martiny/Schnyder Rn. 4735.
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b) Die Beschränkungen der Rechtswahl nach Art. 7 Abs. 3 Einzig für Verträge, die ein in einem Mitgliedstaat belegenes Massenrisiko betreffen, trifft Art. 7 Abs. 3 VO damit eine von den allgemeinen Vorschriften abweichende Regelung. Insbesondere ordnet Art. 7 Abs. 3 eine vom Grundsatz des Art. 3 Rom I-VO abweichende Einschränkung der freien Rechtswahl an. Die Parteien dürfen kein beliebiges Recht wählen, sondern allein die Art. 7 Abs. 3 UAbs. 1 lit. a) bis e) aufgezählten Rechtsordnungen. Wählbar ist zunächst gemäß lit. a) das Recht des Belegenheitsortes des Risikos. Dies ist freilich nicht als Gewährung von Privatautonomie anzusehen, da auch die objektive Anknüpfung im Falle des Fehlens einer Rechtswahl zum Recht des Belegenheitsortes führt. 40 Im Umkehrschluss aus Art. 7 Abs. 3 UAbs. 1 lit. e) ist es dem Rechtsanwender insbesondere verwehrt, gemäß lit. a) für Verträge, die in verschiedenen Mitgliedstaaten belegene Risiken betreffen, das Statut eines Belegenheitsorts für den gesamten Vertrag zu wählen.41 Darüber hinaus ist das Recht des Staates wählbar, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Da Risikobelegenheit und gewöhnlicher Aufenthalt des Versicherungsnehmers zumeist übereinstimmen, eröffnet freilich auch lit. b) im Regelfall keine über das ohnehin nach objektiver Anknüpfung anwendbare Recht hinausgehenden Wahlmöglichkeiten. 42 Etwas anderes gilt allein dann, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Versicherungsnehmers nicht mit dem Zulassungsstaat des versicherten Fahrzeugs, dem Belegenheitsort der versicherten Immobilie oder dem Abschlussort der Reiseversicherung übereinstimmen. Für Lebensversicherungen gilt nach lit. c) zusätzlich43 eine Wahlmöglichkeit zugunsten des Mitgliedstaates, dessen Staatsangehörigkeit der Versicherte besitzt. Eine solche wird erst dann relevant, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Versicherten, der zugleich mit der Belegenheit des Risikos übereinstimmt, 44 von der Staatsangehörigkeit abweicht. 45 Die Regelung betrifft damit vor allem Fälle, in welchen EUBürger von der Freizügigkeit Gebrauch machen, der (vorübergehende) Umzug in einen anderen Mitgliedstaat soll die Möglichkeiten der Rechtswahl nicht beeinflussen. 46 Für solche Versicherungsverträge, bei denen der zu versichernde Schadensfall nur in einem Mitgliedstaat eintreten kann, der nicht mit dem Belegenheitsort des Risikos übereinstimmt, so ist auch das 40 Fricke, VersR 2008, 443, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 465; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5; Perner, IPRax 2009, 218, 221. 41 Heiss, FS Kropholler, S. 459, 465 f.; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5. 42 Fricke, VersR 2008, 443, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 466 f.; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5; MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rn. 27. 43 Fricke, VersR 2008, 443, 448. 44 Reithmann/Martiny/Schnyder Rn. 4733. 45 Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5. 46 Fricke, VersR 2008, 443, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 467; ders., YbPIL 2008, 261, 270; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5.
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Recht dieses Mitgliedstaates nach lit. d) wählbar. Das mag insbesondere bei der Versicherung von Fahrzeugen oder sonstigen Transportmitteln, die in einem anderen Staat eingesetzt werden, als sie zugelassen sind, in Betracht kommen.47 In solchen Fällen ist die Risikobelegenheit am Ort der Zulassung zu lokalisieren, die versicherten Schäden dürften freilich regelmäßig am Einsatzort eintreten. Gleiches gilt etwa bei Reiseunfallversicherungen, deren Belegenheit bei einer Laufzeit von höchstens vier Monaten am Ort des Vertragsschlusses verortet ist, die jedoch ausschließlich Schäden umfasst, die am Zielort der Reise entstehen. 48 In solchen Fällen hat zum einen das Recht am Ort des Schadensfalls einen engeren Bezug zum Sachverhalt als das des Risikobelegenheitsortes. Zum anderen erlaubt diese Rechtswahl dem Versicherer Gleichklang mit dem im Schadensfall relevanten Deliktsstatut herzustellen, 49 das gemäß Art. 4 Rom II-VO ebenfalls an den Ort des Verletzungserfolgs anknüpft. Darüber hinaus eröffnet lit. e) in den hier interessierenden Vertragsbeziehungen zwischen zwei Unternehmern eine weitere Möglichkeit der Rechtswahl. Übt der Versicherungsnehmer eine gewerbliche, industrielle oder freiberufliche Tätigkeit aus und deckt der Versicherungsvertrag Risiken ab, die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten belegen sind, so ist neben dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers auch das an einem der Belegenheitsorte geltende Recht wählbar. Die bei der Anwendung von lit. a) resultierende Vertragsspaltung bei Belegenheitsorten in verschiedenen Mitgliedstaaten wird damit im unternehmerischen Rechtsverkehr vermieden. 50 Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 enthält schließlich eine Ermächtigung an die Mitgliedstaaten, weitere Rechtswahlmöglichkeiten zu schaffen. Räumen der Staat der Risikobelegenheit oder der des gewöhnlichen Aufenthalts des Versicherungsnehmers den Parteien weitere Rechtswahlmöglichkeiten ein, so können die Parteien hiervon Gebrauch machen. 51 Ein völliger Verzicht auf Rechtswahlbeschränkungen ist damit denkbar. 52 Diese Regelung passt nicht recht in das Gefüge des Art. 7, weil es die austarierte Abstufung und Unterscheidung zwischen den Arten von Versicherungsverträgen zu einem erheblichen Teil wieder aufhebt und den Schutzzweck des Art. 7 konterkariert.53 Die Bestimmung bestand zuvor bereits im Richtlinienrecht und ist einem Kom47
Vgl. MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rn. 30. Vgl. Perner, IPRax 2009, 218, 221 Fn 35. 49 Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 6; Soergel/von Hoffmann Art. 37 EGBGB Rn. 100; Staudinger/Armbrüster Art. 7 Rom I-VO Rn. 14. 50 Fricke, VersR 2008, 443, 448; Perner, IPRax 2009, 218, 221. 51 Eine Übersicht über nationale Regelungen findet sich bei Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 121 f. 52 Heiss, FS Kropholler, S. 459, 471. 53 Kritisch auch: Heiss, FS Kropholler, S. 459, 471; für eine Beibehaltung der Bestimmung hingegen: Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 121. 48
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promiss zwischen im Versicherungsvertragsrecht eher einen liberalen Standpunkt vertretenden Mitgliedstaaten und solchen mit stärker protektionistischer Haltung geschuldet. 54 Deutschland hat von der Erweiterung der Wahlmöglichkeit bislang keinen Gebrauch gemacht. 55 2. Der Schutzzweck der Norm Aus dem Ausgeführten wird deutlich, dass Art. 7 Rom I-VO eine nach dem Grad der Schutzbedürftigkeit des Vertragsteilnehmers differenzierende Anknüpfung der Versicherungsverträge bezweckt. 56 Offensichtlich keinerlei Schutzbedürftigkeit sah der Verordnungsgeber für Rückversicherungsverträge. Schließen zwei Versicherungsunternehmen einen Vertrag, bedarf keine der Parteien eines kollisionsrechtlichen Schutzes, vielmehr ist davon auszugehen, dass diese auf einem freien Versicherungsmarkt über einen vergleichbaren juristischen Sachverstand sowie ähnliche wirtschaftliche Durchsetzungskraft verfügen. Dasselbe nimmt der Verordnungsgeber bei Versicherungsverträgen über Großrisiken an. Auch hier handeln im Geschäftsverkehr erfahrene Gesellschaften. Es besteht kein strukturelles Ungleichgewicht und im Regelfall auch keine situative Unterlegenheit des Versicherungsnehmers. Für einen schützenden Eingriff des Gesetzgebers besteht keine Notwendigkeit und damit auch keine Rechtfertigung. 57 Anders verhält es sich im Bereich der Massenrisiken. Hier hat es sich der Verordnungsgeber zum Ziel gesetzt, ein angemessenes kollisionsrechtliches Schutzniveau zu gewährleisten. 58 Dieser Schutz kommt ganz ausdrücklich auch Unternehmern zu. 59 Zwar differenziert die Verordnung im Bereich der Massenrisiken in Art. 7 Abs. 3 lit. e) zwischen Verbrauchern und Unternehmern, doch ist der Schutz des Unternehmers in der Rolle des Versicherungsnehmers nur unwesentlich geringer als der des Verbrauchers. Gewählt werden kann allein das Recht des Risikobelegenheitsortes, des Schadensortes und des Sitzes bzw. der tätig werdenden Niederlassung des Versicherungsnehmers. Der Belegenheitsort des Risikos fällt in den meisten relevanten Fällen mit
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Basedow/Drasch, NJW 1991, 785, 792; Heinze, NiPR 2009, 445, 449. Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 7; MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rn. 32; anders noch Perner, IPRax 2009, 218, 221. 56 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 111. 57 Heinze, NiPR 2009, 445, 447; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 4; Perner, IPRax 2009, 218, 220; Staudinger/Armbrüster Art. 7 Rom I-VO Rn. 5. 58 Erwägungsgrund 32 Rom I-VO. 59 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 115; 123 f.; Heinze, NiPR 2009, 445, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 477; Staudinger, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 225, 241. 55
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dem Sitz der Hauptniederlassung zusammen. 60 Sind nicht zu einer Niederlassung gehörende, sonstige Gebäude versichert, ist die lex rei sitae wählbar. 61 Der Versicherungsnehmer wird damit entweder mit seinem Heimatrecht oder dem Recht am Ort seiner Tätigkeit konfrontiert. In Betracht kommen folglic h allein Rechtsordnungen, zu denen der Versicherungsnehmer eine enge Verbindung hat, die ihm vertraut sind und mit deren Anwendung er rechnen darf.62 Dem Versicherer ist es folglich unmöglich, eine Rechtswahlklausel zugunsten seines eigenen Niederlassungsrechts – wenn diese nicht mit den oben genannten übereinstimmt – oder sonstiger Rechtsordnungen durchzusetzen, die der Versicherungsnehmer nicht ohne über das Normalmaß hinausgehenden juristischen Rat überblicken könnte. Eine Rechtswahl, die zu einem anderen als dem nach objektiver Anknüpfung vorgesehenen Recht führt, ist die Ausnahme. 63 Dass der Verordnungsgeber nur minimal danach differenziert, ob der Versicherungsnehmer Verbraucher oder Unternehmer ist, macht deutlich, dass aus Sicht des Verordnungsgebers ein vergleichbares Schutzbedürfnis besteht. Ein kommerziell tätiger Versicherungsnehmer wird in Vertragsverhandlungen typischerweise mit standardisierten AGB konfrontiert, auf deren Gestaltung er entweder mangels juristischen Vermögens oder aufgrund wirtschaftlicher Unterlegenheit faktisch keinen Einfluss nehmen kann. 64 Offensichtlich in den Blick genommen werden durch die Schutzbestimmungen kleine und mittlere Unternehmer, die im internationalen Rechtsverkehr meist vor die Wahl gestellt werden dürften, entweder einem vorformulierten Versicherungsvertrag zuzustimmen oder auf den Vertragsschluss zu verzichten. 65 Bemerkenswert ist, dass der Schutz des gewerblichen und freiberuflichen Versicherungsnehmers räumlich über das allgemeine Verbraucherschutzniveau hinausgeht. Der Schutz des Art. 7 greift sogar dann, wenn der (so genannte aktive) 66 Versicherungsnehmer auf eigene Initiative den Vertragsschluss mit einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Versicherer sucht. Der durch Art. 6 Rom I-VO gewährte Verbraucherschutz ermöglicht den Parteien hingegen die unbeschränkte Rechtswahl nach Art. 3 VO, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers ausgerichtet hat oder dort seine Tätigkeit ausübt, sondern viel60 Fricke, VersR 2008, 443, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 466 f.; vgl. auch Reithmann/Martiny/Schnyder Rn. 4733; zur Anwendung des Rechtsgedankens des Art. 19 Rom I-VO: Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 4. 61 Vgl. MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rn. 46. 62 Vgl. Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5; MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rn. 23. 63 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 111. 64 Gruber, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 4 f. 65 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 116. 66 Heiss, FS Kropholler, S. 459, 468; W.-H. Roth, FS E. Lorenz, S. 631, 653.
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mehr der Verbraucher von sich aus grenzüberschreitend aktiv geworden ist. 67 Staudinger sieht diese Diskrepanz als „systemwidrig“ an, 68 auch andere Stimmen in der Literatur verneinen das Schutzbedürfnis des aktiven Versicherungsnehmers. 69 Festzustellen ist, dass der Verordnungsgeber durch die weitgehende Übernahme des Regelungskonzeptes der Versicherungsrichtlinien70 an deren Schutzerwägungen71 festhält. 72 Der Schutz auch des aktiven Versicherungsnehmers entspricht dem Telos der Norm. Der Versicherungsnehmer bedarf gesetzlichen Schutzes, weil er sich in Vertragsverhandlungen aufgrund juristischer Unerfahrenheit, wirtschaftlicher Schwäche und unterlegener Verhandlungsposition nicht gegen Rechtswahlklauseln zugunsten des Versicherers erwehren kann. 73 Mit Grenzübertritt ändert sich die aus diesen Faktoren resultierende Schutzbedürftigkeit nicht. Die Besserstellung des überlegenen Vertragspartners hinsichtlich des räumlichen Anwendungsbereichs im Falle eines Verbrauchervertrags im Sinne von Art. 6 Rom I-VO ergibt sich weniger aus der mangelnden Schutzwürdigkeit des „aktiven“ Verbrauchers, sondern daraus dass der „alltägliche“ Verbrauchervertrag anders als das versicherungsvertragliche Dauerschuldverhältnis punktueller Natur ist und der gewöhnliche Aufenthalt des Verbrauchers für den Unternehmer im Falle des Vertragsschlusses im Ausland nicht ohne weiteres erkennbar ist. Ein in Frankreich ansässiger Verkäufer eines Verbrauchsgutes kann unmöglich absehen, dass ein ihn vor Ort aufsuchender potentieller Käufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Die Anwendung deutschen Rechts wäre eine überraschende Konsequenz. Beim Versicherungsvertrag hingegen ist dem Versicherer der gewöhnliche Aufenthalt des Versicherungsnehmers zwingend bekannt. Die Rechtsfolgen eines Sachverhalts mit Auslandsberührung sind für diesen folglich absehbar und kalkulierbar. Die unterschiedliche Behandlung von Verbraucher- und Versicherungsverträgen ist gerechtfertigt. Angesichts des herausgearbeiteten Schutzzweckes des Art. 7 Abs. 3 überrascht freilich, dass die Verordnung den genannten Schutz nur dann gewährt, wenn das Risiko in einem Mitgliedstaat belegen ist.74 Die Beibehaltung der Differenzierung nach dem Risikobelegenheitsort, welche schon im Richtli67
Zum Begriff des Ausrichtens: MünchKommBGB/Martiny Art. 6 Rom I-VO Rn. 31 ff. 68 Staudinger, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 225, 241. 69 Heiss, FS Kropholler, S. 459, 468 ff.; W.-H. Roth, FS E. Lorenz S. 631, 653. 70 Zweite Richtlinie „Schadenversicherung“ (Richtlinie 88/357/EWG vom 22.06.1988, geändert und ergänzt durch die Richtlinien 92/49/EWG und 2002/13/EG) – Zweite Richtlinie „Lebensversicherung“ (RL 90/619/EWG vom 08.01.1990, geändert und ergänzt durch die RL 92/96/EWG und 2002/12/EG). 71 vgl. Erwägungsgründe 5, 6, 11 der RL 88/357/EWG. 72 vgl. Looschelders, FS E. Lorenz S. 441, 459 f. 73 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 116. 74 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 539.
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nienrecht bestand, ist den Uneinigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten im Gesetzgebungsprozess geschuldet. Ähnlich wie im Falle der erweiternden Rechtswahlmöglichkeit nach Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 stellt die Regelung einen Kompromiss zwischen Mitgliedstaaten mit einer liberalen und solcher mit einer eher protektionistischen Einstellung zur Rechtswahlbeschränkung dar.75 Im Gesetzgebungsprozess wehrte sich insbesondere das Vereinigte Königreich dagegen, den Schutz des Unionsrechts drittstaatlichen Versicherungsnehmern zukommen zu lassen und damit die Kosten für Versicherer in die Höhe zu treiben.76 Doch selbst wenn man es als legitimes Ziel ansähe, nur in der Europäischen Union ansässige Unternehmen zu schützen, würde dieses verfehlt.77 Ein deutscher Kleinunternehmer, der seine in Polen und der Ukraine belegenen Betriebsstätten von einem polnischen Versicherer versichern lässt, wird im ersten Fall mit einer zu seinen Gunsten beschränkten, im zweiten Fall mit einer unbeschränkten Rechtswahlmöglichkeit des Versicherers konfrontiert. Dass das Schutzbedürfnis des deutschen Unternehmers im Fall des Drittstaatbezugs geringer ist, leuchtet nicht ein. 78 Hätte der Verordnungsgeber allein in der Union ansässige Unternehmen schützen wollen, so wäre eine Unterscheidung nach dem gewöhnlichen Aufenthalt bzw. dem Lageort der Hauptverwaltung des Unternehmens denkbar gewesen. 79 Diese Differenzierung führt zudem zu Friktionen mit dem Zivilprozessrecht. Der Schutz der Brüssel Ia-Verordnung wird anders als nach Art. 7 Rom I-VO unabhängig davon gewährt, ob das Risiko in einem Mitgliedstaat belegen ist. Versichert ein deutscher Versicherungsnehmer bei einem englischen Versicherer eine in der Ukraine belegene Fertigungsstätte, so kann der Versicherungsnehmer zwar in Deutschland aufgrund des von Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO geschaffenen Klägergerichtsstands Klage erheben, eine Rechtswahl zugunsten englischen Rechts wäre indes zulässig. Der ökonomisch sinnvolle Gleichlauf von Forum und anwendbarem Recht wird hierdurch gestört. 3. Die Abgrenzungskriterien Die dargestellte Schutzlücke für in Drittstaaten tätig werdende Unternehmern täuscht nicht darüber hinweg, dass der Verordnungsgeber sehr wohl kleine und mittlere Unternehmen für schutzwürdig gegenüber dem Versicherer eingestuft, solche Unternehmen, die Großrisiken versichern, hingegen als dem 75
Heinze, NiPR 2009, 445, 448. Heinze, NiPR 2009, 445, 448. 77 Fricke, VersR 2008, 443, 448. 78 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 123 f.; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 462; 477; W.-H. Roth, FS Lorenz, S. 631, 641; vgl. Heinze, NiPR 2009, 445, 448. 79 Fricke, VersR 2008, 443, 448; Staudinger, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 225, 241. 76
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Vertragspartner ebenbürtig angesehen hat.80 Bei letzteren bestehen folglich kein Bedürfnis nach schützender Intervention und keine Rechtfertigung der Einschränkung der Parteiautonomie. Zu untersuchen gilt es nunmehr die Kriterien anhand derer der Verordnungsgeber zwischen schutzbedürftigen und nicht schutzbedürftigen Unternehmern differenziert. Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO verweist zur Definition von Großrisiken auf Art. 5 lit. d) der RL 73/239/EWG 81 und definiert drei Kategorien von Risiken. Risiken der ersten Kategorie sind hiernach allein aufgrund ihrer Art Großrisiken. Dazu zählen Versicherungen für Schäden an Schienenfahrzeugen, Luftfahrzeugen, See- und Binnenschiffen sowie Transportgütern und Haftpflichtversicherungen für Landtransporte. Kredit- und Kautionsversicherungen sind in einer zweiten Kategorie dann als Großrisiko einzustufen, wenn der Versicherungsnehmer eine gewerbliche, bergbauliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt und das versicherte Risiko mit dieser in Verbindung steht. Eine dritte Kategorie bilden Kasko-Versicherungen für Landfahrzeuge, Versicherungen für Feuer-, Frost-, Hagel-, Elementar- und sonstige Sachschäden, Haftpflichtversicherungen für Landtransporte, sonstige allgemeine Haftpflichtversicherungen sowie Versicherungen für verschiedene finanzielle Verluste wie beispielsweise Berufsrisiken oder Gewinnausfall. Risiken in dieser Kategorie stellen allein dann ein Großrisiko dar, wenn der Versicherungsnehmer eine bestimmte Größe aufweist. Die relevante Schwelle erreicht ein Unternehmen, das zwei der drei folgenden Merkmale überschreitet: 6,2 Mio. Euro Bilanzsumme, 12,8 Mio. Euro Nettoumsatzerlöse, im Durchschnitt 250 Arbeitnehmer pro Wirtschaftsjahr.82 Gehört das betroffene Unternehmen einem Konzern an, so ist dessen Konzernbilanz maßgeblich, um die wirtschaftliche Stärke des Versicherungsnehmers zutreffend widerzuspiegeln. 83 Diese Bestimmung hat zur Folge, dass zu einem Konzern gehörende Gesellschaften im Allgemeinen als Versicherungsnehmer eines Großrisikos anzusehen sein werden. Da Konzerngesellschaften unabhängig von ihrer Größe von der wirtschaftlichen Stärke und dem juristischen Sachverstand des Konzerns profitieren, ist es folgerichtig, sie selbst dann als nicht schutzbedürftig anzusehen und ihnen die freie Rechtswahl zu ermöglichen, wenn sie für sich genommen unter den Schwellenwerten der
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Dörner, Art. 10 EGGVG Rn. 9; Fricke, VersR 2008, 443, 446; Looschelders/ Smarowos, VersR 2010, 1, 5; Perner, IPRax 2009, 218, 220. 81 Erste Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), ABl.EWG Nr. L 228 vom 16.08.1973, S. 3. 82 Details zur Berechnung dieser Kriterien finden sich bei Dörner, Art. 10 EGGVG Rn. 15 ff. sowie Gruber, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 79 f. 83 Gruber, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 80 f.
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Richtlinie bleiben. 84 Für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Kriterien ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, denn zu diesem Zeitpunkt wirkt sich eine etwaige Unterlegenheit des Versicherungsnehmers auf die Vertragsgestaltung aus. 85 Der europäische Gesetzgeber geht davon aus, dass Versicherungsnehmer, welche die genannten Risiken der ersten und zweiten Kategorie – zu denken ist etwa an Schienen-, Luftfahrzeug- und Seeschifffahrtskaskoversicherungen – versichern, typischerweise nicht schutzbedürftig sind. 86 Risiken der dritten Kategorie lassen per se auf keine Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers schließen. Ob eine solche vorliegt, soll sich vielmehr aus einer Bewertung der wirtschaftlichen Potenz des Versicherungsnehmers ergeben. Überschreitet der Versicherungsnehmer zwei der genannten Schwellenwerte, gilt er als nicht schutzbedürftig. Fraglich ist dabei freilich, ob die Kriterien Bilanzsumme, Nettoumsatz und Anzahl der Arbeitnehmer tauglich sind, um internationalprivatrechtliche Schutzbedürftigkeit zu definieren. Von Interesse ist dafür zunächst ihr Ursprung. Die Differenzierung zwischen Groß- und Massenrisiken wurde 1988 mit der zweiten Schadensversicherungsrichtlinie 87 eingeführt, die insofern den im Rahmen der Rom I-VO relevanten Art. 5 der RL 73/239/EWG88 ergänzt hat. Mit Inkrafttreten der RL 2009/138 EG 89 zum 6. Januar 2010, welche die bisherigen Versicherungsrichtlinien ersetzt, bleiben die Differenzierungskriterien für Großrisiken unverändert. Der ursprüngliche Kommissionsentwurf zur zweiten Schadensversicherungsrichtlinie wies zunächst einen deutlich liberaleren Ansatz auf. Gemäß Art. 4 sollte die Rechtswahl zugunsten der Rechtsordnung eines Mitgliedstaates für sämtliche unter die Richtlinie fallenden Risiken unbeschränkt möglich sein. Für Verträ84
Uebel, S. 121. Fricke, VersR 2008, 443, 446; Gruber, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 82. 86 Vgl. Erwägungsgrund 5 Zweite RL 88/357/EWG des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG, ABl. EWG Nr. L 172 vom 04.07.1988, S. 1. 87 Zweite RL 88/357/EWG des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG, ABl. EWG Nr. L 172 vom 04.07.1988, S. 1. 88 Erste Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), ABl. EWG Nr. L 228 vom 16.08.1973, S. 3. 89 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl.EU Nr. L 355 vom 17.12.2009, S. 1. 85
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ge über Risiken der ersten Kategorie sollte auch die Rechtswahl zugunsten drittstaatlichen Rechts eröffnet sein. Zu einer stärkeren Beschränkung kam es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens. Das Europäische Parlament setzte die heute geltende Stufenregelung durch, nach welcher der Grundsatz der freien Rechtswahl (auch zugunsten mitgliedstaatlichen Rechts) von der Regel zur Ausnahme wurde. Risiken der dritten Kategorie sollten erst dann dem gewählten Recht unterliegen, wenn die Versicherungssumme eine bestimmte Grenze überstieg.90 Im Laufe des Verfahrens wurde dieses Konzept im Grundsatz beibehalten, das Kriterium Versicherungssumme freilich durch die erwähnten Bilanzkennzahlen ersetzt. Die Einstufung anhand von Bilanzsumme, Nettoerlösen und Anzahl der Arbeitnehmer wurde der Sache nach aus Art. 11 der Vierten Richtlinie über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen 91 übernommen. 92 Diese Richtlinie dient der Koordinierung der mitgliedstaatlichen Vorschriften über Gliederung und Inhalt des Jahresabschlusses. Die deutsche Umsetzung erfolgte unter anderem durch § 267 HGB.93 Zweck dieser Regelung ist es, Unternehmen, die zwei der genannten Kriterien nicht überschreiten, bilanzrechtlich zu privilegieren. 94 Grundsätzlich sollen der Aufwand der Aufstellung von Jahresabschlüssen sowie die mit der Offenlegung einhergehende Preisgabe von Betriebsgeheimnissen im Verhältnis zum Informationsinteresse der möglichen Adressaten stehen. Bei kleineren und mittleren Unternehmen dürfte das Adressateninteresse gewöhnlich geringer sein als bei Großunternehmen. An sie dieselben Bilanzierungsvorschriften zu stellen, wäre folglich unverhältnismäßig. 95 Kleinere und mittlere Kapitalgesellschaften können daher aufgrund der Privilegierung eine verkürzte Gewinn- und Verlustrechnung nach § 276 HGB und eine verkürzte Bilanz nach § 266 HGB aufstellen und unterliegen längeren Aufstellungsfristen nach § 264 HGB.96 Für Versicherungsunternehmen ist die Privilegierungsvorschrift des § 267 HGB gemäß § 341a Abs. 2 Satz 1 HGB nicht anwendbar. Zweifelhaft erscheint, ob die Übernahme bilanzrechtlicher Kriterien für Zwecke des Internationalen Versicherungsrechts sachgerecht ist. 97 Zu bedenken ist, dass dem Bilanzrecht andere Ziele zugrunde liegen als dem Internati90 Siehe Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum Kommissionsvorschlag, KOM(1975) 516 endg., ABl. EWG Nr. C 36 vom 13.02.1978, S. 16. 91 Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. EWG Nr. L 222 vom 14.08.1978, S. 11. 92 BT-Drucks. 11/6341 S. 20; Dörner, Art. 10 EGGVG Rn. 15; Gruber, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 79. 93 MünchKommHGB/Reiner § 267 Rn. 1. 94 Vgl. Erwägungsgrund 7 RL 78/660/EWG; MünchKommHGB/Reiner § 267 Rn. 1. 95 MünchKommHGB/Reiner § 267 Rn. 1. 96 Zu den Details siehe: MünchKommHGB/Reiner § 267 Rn. 1. 97 Kritisch auch Fricke, IPRax 1990, 361, 362.
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onalen Privatrecht. Beide Regelungskomplexe verfolgen unterschiedliche Schutzrichtungen. Dem Bilanzrecht kommt insbesondere eine Schutzfunktion gegenüber Kapitalgebern und sonstigen Vertragspartnern zu, die über die gesellschaftsrechtliche Vermögensverteilung informiert werden sollen. 98 § 267 HGB will einen Interessenausgleich zwischen diesem Schutzinteresse und der Belastung des Unternehmers durch Bilanzierungsvorschriften herstellen. Sinn und Zweck des internationalen Versicherungsrechtes ist es hingegen, eine sachgerechte Differenzierung zwischen solchen Versicherungsne hmern, die vor einer freien Rechtswahl zu schützen sind, und solchen, die dem Versicherer ebenbürtig gegenüber stehen, zu gewährleisten. Dass sich aus bilanzrechtlichen Kriterien Bilanzsumme, Nettoumsatz und Anzahl der Arbeitnehmer bilanzrechtliche Schlüsse ziehen lassen, liegt nahe. Ob sich aus denselben Kriterien eine schützenswerte Unterlegenheit in Vertragsverhandlungen sowie eine verminderte Durchsetzungsfähigkeit von Ansprüchen ableiten lässt, erscheint fraglich. Die Grenzziehung ist letztlich willkürlich, die maßgeblichen Zahlen scheinen aus der Luft gegriffen. Der Rückgriff auf diese scheint eher der Tatsache geschuldet, dass andere Orientierungspunkte nicht ersichtlich waren und die politische Durchsetzbarkeit eines schon bestehenden Konzeptes im konfliktreichen IPR der Versicherungsverträge am ehesten denkbar schien. Für die Übernahme lassen sich durchaus bestehende Gemeinsamkeiten der bilanzrechtlichen wie der internationalprivatrechtlichen Nutzung der Kennzahlen anführen. In der einen wie in der anderen Konstellation nimmt der Gesetzgeber anhand ihrer einen Interessenausgleich zwischen zwei Parteien vor. Im Falle des Bilanzrechts kommt es zu einer Abwägung der Gläubigerinteressen an einer umfassenden Bilanzierung und der Interessen des Unternehmers, den Bilanzierungsaufwand gering zu halten und die Offenbarung von Betriebsinterna zu beschränken. Im Falle des Internationalen Versicherungsrechts nimmt der Verordnungsgeber anhand der Kennzahlen eine Abwägung des Interesses des Versicherers an freier Vertragsgestaltung sowie des Versicherungsnehmers am Schutz vor Ausnutzung dieser durch den Versicherer vor. Ferner kommt den Kriterien in beiden Fällen Schutzfunktion zugunsten des kleinen und mittleren Unternehmers zu. Im Bilanzrecht wird der unter die Schwelle fallende Unternehmer vor dem nicht unbeträchtlichen Aufwand des Erstellens einer umfassenden Bilanz geschützt. Im IPR darf der unter die Schwelle fallende Unternehmer auf den Schutz vor einem überlegenen Vertragspartner vertrauen. Selbstredend liegen beiden Bereichen unterschiedliche Zielsetzungen zugrunde, diese weichen jedoch nicht derart weit voneinander ab, dass eine Übernahme aus dogmatischer Sicht unvertretbar erscheint. Es bleibt die Frage, ob die Abgrenzung von internationalprivatrechtlicher Schutzbedürftigkeit anhand von Unternehmenskennzahlen über98
MünchKommHGB/Ballwieser § 238 Rn. 1.
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haupt ein gangbarer Weg ist. Zu bedenken ist insbesondere, dass diese dem Versicherer im Rahmen der Vertragsgestaltung eine beachtliche Untersuchungsobliegenheit hinsichtlich der Kennzahlen des Vertragspartners aufbürdet.99 Lassen jedoch weder der Vertragstyp noch der Vertragsgegenstand eine eindeutige Einstufung zu, erscheint eine Alternative nicht ersichtlich. Dass einer derartigen Abgrenzung zwangsläufig eine gewisse Willkür innewohnt, trifft zwar zu, ist jedoch ebenfalls unvermeidbar. 4. Zwischenergebnis Im Rahmen dieser Untersuchung interessiert vor allem die Frage, ob durch Art. 7 Rom I-VO ein wirksamer Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers gewährleistet wird. Das Ergebnis fällt zwiespältig aus. Art. 7 soll den Konflikt zwischen der Parteiautonomie als Grundsatz des europäischen Internationalen Privatrechts und einem angemessenen Schutz des schwächeren Vertragspartners auflösen. 100 Dies stellt aus Sicht des Verordnungsgebers deshalb eine erhebliche Herausforderung dar, weil gerade die Beschränkung des freien Marktes im Rechtsverkehr zwischen Unternehmern rechtspolitisch umstritten ist. 101 Im Versicherungsrecht kommt hinzu, dass insbesondere auf Seiten der Befürworter einer freien Rechtswahl mächtige Interessenvereinigungen stehen. Es dürfte diesem Hintergrund geschuldet sein, dass das in Art. 7 Rom I-VO normierte Internationale Versicherungsvertragsrecht eine Vielzahl von Unstimmigkeiten aufweist. Mit der Schaffung des Art. 7 Rom IVO bezweckte der Verordnungsgeber den Schutz des unterlegenen Versicherungsnehmers, die Regelung ist vom dem Ziel getragen, einen solchen zu gewährleisten.102 Dies gelingt teilweise recht effektiv. Die zunächst vorzunehmende Differenzierung zwischen Groß- und Massenrisiken überzeugt. Anhand der Vertragsart oder der Bilanzkennzahlen des Versicherungsnehmers auf die wirtschaftliche und juristische Durchsetzungskraft und daraus auf eine bestehende Schutzbedürftigkeit zu schließen, erscheint als gangbarer Weg. Die daraufhin folgende Beschränkung der Parteiautonomie für in der Europäischen Union belegene Massenrisiken schützt den Versicherungsnehmer umfassend.103 Er wird allein mit Rechtsordnungen konfrontiert, denen er sich durch seine geschäftliche Tätigkeit ohnehin aussetzt. Die Wahl eines Rechts, zu welchem er keine Verbindung aufweist, wird ausgeschlossen. Die Regelungstechnik, die der Verordnungsgeber zur Einschränkung der Parteiau99
Vgl. Gruber, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 82. Vgl. Gruber, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 6; Looschelders, FS Lorenz S. 441, 460. 101 Fricke, VersR 2008, 443, 444; Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 118; Heinze, NiPR 2009, 445, 448; Wilderspin, ERA-Forum 2008, 259, 270 f. 102 Erwägungsgrund 32 Rom I-VO; Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 111; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5. 103 Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5. 100
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tonomie wählt, weicht von der des internationalprivatrechtlichen Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzes ab. Während nach Art. 6 und 8 Rom I-VO das gewählte Recht lediglich durch den Schutzstandard der am gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Rechtsordnung modifiziert wird, grundsätzlich aber jede Rechtsordnung gewählt werden kann, 104 bietet Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO einen Numerus clausus an wählbaren Rechtsordnungen. Anders als Art. 6 und Art. 8 blendet Art. 7 Rom I-VO indes die materiellen Auswirkungen auf die strukturell unterlegene Partei aus. Ob das vom Versicherer bevorzugte Recht möglicherweise im Ergebnis günstiger für den Versicherten wäre, bleibt außer Betracht. Der gewährleistete Schutz ist allein internationalprivatrechtlicher Natur. Es wird lediglich die sachliche bzw. räumliche Nähe einer Rechtsordnung zum Versicherungsvertrag gewährleistet. Die Differenzierung der Verordnung zwischen solchen Risiken, die in Mitgliedstaaten belegen sind, und solchen in Drittstaaten wurde bereits oben als dogmatisch schwer nachvollziehbar kritisiert. 105 Der Unternehmer, der ein Massenrisiko zu versichern gedenkt, wird nicht dadurch weniger schutzbedürftig, dass dieses in einem Drittstaat belegen ist. Zugutehalten mag man der Regelung, dass sie aus Sicht des Versicherungsnehmers immerhin eine klare Grenzziehung ermöglicht. Dieser muss, sobald er außerhalb der Union tätig wird, damit rechnen, dass er seines Schutzes verlustig wird und diese Tätigkeit folglich mit erhöhtem juristischem Aufwand verbunden ist. Die Öffnungsklausel des Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 zugunsten der freien Rechtswahl aufgeschlossenerer Mitgliedstaaten schließlich ist schlicht abwegig. Ermöglichen der Staat der Risikobelegenheit oder der, in welchem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, eine weitergehende, potentiell unbeschränkte Rechtswahl, so wird der Schutz des Art. 7 vollständig aufgehoben, der Telos der Vorschrift konterkariert. 106 Letztlich bietet Art. 7 damit einen interessanten Ansatz sowohl hinsichtlich der Bestimmung des schutzbedürftigen Unternehmers als auch hinsichtlich der Modalitäten des Schutzes durch die Beschränkung der Rechtswahl, welcher freilich unter der inkonsequenten Umsetzung leidet und daher an Effektivität einbüßt. V. Schutz des Unternehmers durch Eingriffsnormen Zum Schutz des Versicherungsnehmers hat der Verordnungsgeber eine Einschränkung der wählbaren Rechtsordnungen vorgenommen. Eine weitere Möglichkeit, den schwächeren Unternehmer vor den Konsequenzen einer freien Rechtswahl zu schützen, ist die Schaffung international zwingenden 104
MünchKommBGB/Martiny Art. 6 Rn. 41; Art. 8 Rn. 25. Oben § 1B.IV.3. 106 Kritisch auch: Heiss, FS Kropholler, S. 459, 471; für eine Beibehaltung der Bestimmung hingegen: Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 121. 105
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Rechts, so genannter Eingriffsnormen. Der Versuch, den Schutz einer schwächeren Partei mittels einer Sonderanknüpfung außerhalb des Vertragsstatuts zu gewährleisten, ist kein neuer Ansatz. Bereits 1974 beschrieb von Hoffmann die Nutzung international zwingenden Rechts zu diesem Zwecke. 107 Zwar greift Art. 9 Rom I-VO unabhängig vom Vorliegen einer Rechtswahl und modifiziert auch das mittels objektiver Anknüpfung ermittelte Statut. Zum Schutze des strukturell unterlegenen Unternehmers kommt Art. 9 Rom I-VO jedoch insbesondere als Einschränkung von diesen benachteiligenden Rechtswahlvereinbarungen in Betracht, was eine Einordnung an dieser Stelle rechtfertigt. 1. Einführung Um die Tauglichkeit des Schutzes einer strukturell unterlegenen Partei durch international zwingendes Recht zu bewerten, ist zunächst der Begriff der Eingriffsnorm zu konkretisieren und deren Stellung in der Rom I-Verordnung zu untersuchen. a) Sonderprivatrecht als Eingriffsnorm Eingriffsnormen sind gemäß der Legaldefinition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des eigentlich gewählten Vertragsstatuts Anwendung finden, wenn der relevante Sachverhalt in ihren Anwendungsbereich fällt. 108 Um nach Art. 9 Rom I-VO als Eingriffsnorm zu gelten, muss eine Vorschrift danach einen internationalen Geltungsanspruch sowie eine überindividuelle Zielrichtung aufweisen. 109 Der internationale Geltungsanspruch einer Norm ergibt sich in seltenen Fällen unmittelbar aus dem Wortlaut, 110 typischerweise erst bei teleologischer Auslegung. 111 Gemäß Erwägungsgrund 37 Rom I-VO 107
von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 400 ff. Die Definition wurde bewusst EuGH, Urteil vom 23.11.1999, verb. Rs. C-369/96 und C-374/96 (Strafverfahren gegen Jean-Claude Arblade und Arblade & Fils SARL und Bernard Leloup, Serge Leloup und Sofrage SARL), EuGHE 1999, I-8453, I-8513 Rn. 31 entnommen. Siehe dazu die Begründung des Verordnungsentwurfs: KOM(2005) 650 endg. S. 8; kritisch hierzu: Mankowski, IHR 2008, 133, 147; Rauscher/Thorn Art. 9 Rn. 7. 109 MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rn. 13; Rauscher/Thorn Art. 9 Rn. 8, 10; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 46; Thorn, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 129, 131 f. 110 So etwa § 130 Abs. 2 GWB (dazu Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 182) oder § 32b UrhG (dazu MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 86). 111 Harris, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 269, 294; Kropholler, IPR, § 52 IX 1., S. 498; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rn. 11; Thorn, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 129, 132. 108
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sind Eingriffsnormen durch dieses Kriterium insbesondere von einfach zwingendem Recht abzugrenzen, welches grundsätzlich, mit Ausnahme der Fälle der Art. 3 Abs. 3 und 4, Art. 6 Abs. 2 sowie 8 Abs. 1 VO, durch Rechtswahl abdingbar ist.112 Eine überindividuelle Zielrichtung soll eine Norm dann aufweisen, wenn sie nicht allein dem vertragsrechtlichen Ausgleich der Parteiinteressen, sondern (zudem) der Durchsetzung öffentlicher Interessen dient und insbesondere sozial- oder wirtschaftspolitische Zwecke verfolgt, die vom Normgeber als so gewichtig angesehen werden, dass sie einen Eingriff in die Parteiautonomie erfordern.113 Typischerweise handelt es sich hierbei um Normen des öffentlichen Rechts, zwingend ist dies jedoch keineswegs. Eine Abgrenzung anhand der Rechtsgebiete erscheint wenig sinnvoll. 114 Ob der Gesetzgeber eine Regelung im obigen Sinne durch eine zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Vorschrift vornimmt, ist für ihre Wirkungskraft unerheblich, die Form des gesetzgeberischen Tätigwerdens ist austauschbar. 115 Für diese Abhandlung von besonderer Relevanz ist die Frage, inwieweit hierunter Normen des Sonderprivatrechts fallen. 116 Es interessieren insbesondere solche Vorschriften des Sonderprivatrechts, die den Schutz einer strukturell unterlegenen Partei betreffen. Ins Auge fallen hier zunächst die Vorschriften des Arbeitnehmer-, Verbraucher- oder auch Mieterschutzes,117 darüber hinaus kommen jedoch auch solche Normen in Betracht, die den Schutz des Handelsvertreters, des Franchisenehmers, des Subunternehmers oder sonstiger als strukturell unterlegen angesehener Unternehmer zum Ziel haben. 118 Zu untersuchen gilt es, ob die bereits genannten Schutzvorschriften als Eingriffsnormen klassifiziert werden können, folglich ein Schutzbedürfnis sich auch gegen eine Rechtswahl durchsetzt.119 Subsumiert man unter die eingangs angeführte Definition der Eingriffsnorm, so wäre dies dann der Fall, wenn die betroffenen Normen des Sonderprivatrechts auch entscheidende öffentliche Belange verfolgten und, so eine zielführende vom BGH vorgenommene Ergänzung des Wortlauts, diese nicht lediglich als Reflex beträ112
Harris, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 269, 292 f.; Thorn, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 129, 131. 113 Magnus, IPRax 2010, 27, 41; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rn. 13; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 10; Schacherreiter, in: Verschraegen (Hrsg.) Rechtswahl, S. 69, 72. 114 So auch schon die Gesetzesbegründung zu Art. 34 EGBGB: BT-Drucks. 10/504, S. 83. 115 MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 13; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom IVO Rn. 11; Schacherreiter, in: Verschraegen (Hrsg.) Rechtswahl, S. 69, 74. 116 Eine „ewige Streitfrage“ nennt dies Freitag, IPRax 2009, 109, 112. 117 Freitag, in Leible (Hrsg.) Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 167, 178. 118 Bonomi, YbPIL 2008, 285, 293; Freitag, IPRax 2009, 109, 112; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 11. 119 Ein Überblick zum Streitstand findet sich bei Schacherreiter, in: Verschraegen (Hrsg.) Rechtswahl, S. 69, 76 ff.
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fen. 120 Dies erscheint zweifelhaft, weil Schutzvorschriften zugunsten des Verbrauchers, Arbeitnehmers, Handelsvertreters, Franchisenehmers etc. primär den Individualinteressen der schwächeren Partei dienen und damit letztlich einen Interessenausgleich zwischen den Parteien vornehmen. 121 Mankowski und andere wollen Sonderprivatrecht daher wohl vollständig aus dem Anwendungsbereich von Art. 9 ausnehmen.122 Diene eine Norm dem individuellen Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien, so komme ihre Anwendung allein über das Vertragsstatut bzw. über dessen Modifikation durch einen Günstigkeitsvergleich nach Art. 6 und 8 Rom I-VO in Betracht. Nur wenn die Norm primär überindividuelle Ziele verfolge, sei eine Qualifikation als Eingriffsnorm möglich. 123 Eine Norm könne schwerpunktmäßig nicht zugleich beide Ziele verfolgen. 124 Unter Art. 9 fielen danach allein klassisches öffentliches Wirtschaftsrecht wie beispielsweise Außenhandelsrecht oder Wettbewerbsrecht. 125 Diese Ansicht unterstützen andere Stimmen in der Literatur aus systematischen Gründen. 126 Die Rechtswahl beschränkende Sonderkollisionsnormen, über welche Sonderprivatrecht berücksichtigt werden könne und sich ggf. auch gegenüber einer Rechtswahl durchsetze, seien in der Rom I-Verordnung mit den Art. 3 Abs. 4 sowie Art. 5, 6, 7, 8 und Art. 23 Rom I-VO abschließend geregelt. Eine Sonderanknüpfung von individualschützendem Sonderprivatrecht sei daher über Art. 9 Rom I-VO nicht möglich. 127 Zwar ist dieser Gedanke de lege ferenda durchaus erwägenswert, de lege lata hingegen ist zweifelhaft, ob eine solche Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 9 VO dem Willen des Verordnungsgebers entspricht, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. 128 Nicht von der Hand zu weisen ist, dass sonderprivatrechtliche Normen auch sozialpolitische Zwecke verfolgen und ihnen eine sozialmarktwirtschaftliche Regulierungsfunktion zukommen kann, die Telos und Wirkungskraft
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BGH, Urteil vom 13.12.2005, NJW 2006, 762, 764; Bonomi, YbPIL 2008, 285, 293; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 11. 121 Freitag, in Leible (Hrsg.) Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 167, 178; Mankowski, RIW 1993, 453, 461; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 107. 122 Mankowski, IHR 2008, 133, 147; ders. IPRax 1994, 88, 94; ders. RIW 1993, 453, 461; zustimmend: Junker, IPRax 2000, 65, 70; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 108; kritisch auch: Kühne, FS Heldrich, S. 815, 820; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom IVO Rn. 15 f. 123 Mankowski, IPRax 1994, 88, 94. 124 Mankowski, IPRax 1994, 88, 95. 125 Schacherreiter, in: Verschraegen (Hrsg.) Rechtswahl, S. 69, 77. 126 MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 221; Niggemann, IPRax 2009, 444, 450; zurückhaltender: Freitag, IPRax 2009, 109, 112. 127 MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 221; Niggemann, IPRax 2009, 444, 450; zurückhaltender: Freitag, IPRax 2009, 109, 112. 128 Freitag, IPRax 2009, 109, 112.
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der Norm ganz wesentlich prägen. 129 Der Schutz einer schwächeren Partei betrifft nicht nur deren individuelles Interesse am Ausgleich von strukturellen Defiziten, er kann vielmehr zugleich einen wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmen der Marktordnung bilden. So argumentiert auch das Bundesarbeitsgericht, das § 14 Abs. 1 MuSchG und § 3 EFZG als Eingriffsnormen qualifiziert hat, weil sie nicht allein den Interessen des Arbeitnehmers zugute kämen, sondern darüber hinaus im Falle des Mutterschutzes grundrechtlich geschützte Gemeinschaftsgüter sicherten oder im Falle des Entgeltfortzahlungsgesetz der finanziellen Entlastung der Allgemeinheit dienten.130 Eine ähnliche Position nahm der BGH zu § 4 HOAI a.F.131 ein. Diese Vorschrift, welche die Vereinbarung von Mindesthonorarsätzen fingiert, soll nach Ansicht des BGH nicht (allein) einen Interessenausgleich der Parteien bewirken, vielmehr diene sie (zugleich) als Regelung der Berufstätigkeit der Architekten und Ingenieure sowie des Mieterschutzes dem öffentlichen Interesse, indem sie einen unbegrenzten Mietanstieg sowie einen ruinösen Preiswettbewerb zwischen Architekten und Ingenieuren zu verhindern bezwecke. 132 Freilich weist der BGH an anderer Stelle am Beispiel der Vorschriften zum Verbraucherdarlehen darauf hin, dass ein bloß reflexartiger Schutz öffentlicher Interessen nicht ausreichen kann. 133 Zwar könne der regulierende Eingriff in den Verbraucherkreditvertrag auch mit einer aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden Marktregulierung begründet werden, diese stelle jedoch nicht das primäre Ziel des Verbraucherkreditrechts dar. 134 In seiner Ingmar-Entscheidung hat der EuGH im Jahre 2000 Sonderprivatrecht zum Schutz des Handelsvertreters als Eingriffsnorm qualifiziert.135 Ob sich daraus auch nach Inkrafttreten der Rom I-Verordnung noch Schlüsse hinsichtlich des Anwendungsbereichs von Art. 9 Rom I-VO ziehen lassen, ist umstritten. Zum Teil wird vorgebracht, die ausdrückliche Aufnahme der zu wahrenden öffentlichen Interessen in den Tatbestand des Art. 9 Rom I-VO spreche für die Absicht des Verordnungsgebers, den Anwendungsbereich von Eingriffsnormen zu verengen, mit der Folge dass Sonderprivatrecht nicht
129 Bonomi, YbPIL 2008, 285, 293; Lorenz, RIW 1987, 569, 580; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 11. 130 BAG, Urteil vom 12.12.2001, IPRax 2003, 258, 261. 131 Mit Wirkung zum 18.08.2009 ersetzt durch § 7 Abs. 6 Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. 132 BGH, Urteil vom 27.02.2003, IPRax 2003, 449, 451; kritisch dazu: Kilian/Müller, IPRax 2003, 436, 438; Kühne, FS Heldrich, S. 815, 822. 133 BGH, Urteil vom 13.12.2005, NJW 2006, 762, 764. 134 BGH, Urteil vom 13.12.2005, NJW 2006, 762, 764. 135 EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd ./. Eaton Leonard Technologies Inc.), EuGHE 2000 I 9325; zustimmend: Jayme, IPRax 2001, 190, 191; Reich, EuZW 2001, 51, 52.
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länger als international zwingendes Recht anzusehen sei. 136 Dagegen lässt sich freilich anführen, dass die Gesetzgebungsmaterialien jeden Hinweis darauf vermissen lassen, dass eine Abkehr von der Ingmar-Rechtsprechung beabsichtigt war. 137 Festzuhalten ist, dass es bis zu einer klärenden Entscheidung des EuGH sehr wohl möglich scheint, einzelne Normen des Sonderprivatrechts als Eingriffsnorm zu qualifizieren. 138 Es ist jedoch stets positiv festzustellen, dass die betreffende Norm ein substantiiertes überindividuelles Ziel verfolgt und nicht allein dem privaten Interessenausgleich dient. Ein pauschales Urteil verbietet sich indes, die Entscheidung, ob eine Eingriffsnorm vorliegt, ist im Einzelfall vor Wortlaut, Telos und Entstehungsgeschic hte der betreffenden Norm zu treffen. b) Inländische Eingriffsnormen Sollen inländische Eingriffsnormen zur Anwendung kommen, was nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO möglich ist, ist darüber hinaus erforderlich, dass der Sachverhalt einen hinreichenden Inlandsbezug aufweist. 139 Anders als bei ausländischen Eingriffsnormen, für welche Art. 9 Abs. 3 VO einen solchen Bezug zum eingriffsnormgebenden Staat definiert, 140 ergibt sich dieses Erfordernis nicht unmittelbar aus dem Wortlaut. Vor einem völkerrechtlichen Hintergrund ist jedoch recht offensichtlich, dass sich ein legitimes öffentliches Interesse des normgebenden Staates nur dann gegenüber der Wahl zugunsten ausländischen Rechts durchsetzen kann, wenn ein hinreichender Territorialitätsbezug besteht.141 Schwierig zu bestimmen ist freilich, welche Anforderungen an einen hinreichenden Inlandsbezug zu stellen sind. Angesichts der Vielzahl durch Eingriffsnorm erfasster Konstellationen erscheint eine pauschale Lösung kaum möglich. 142 Um die in Betracht kommenden Kriterien 136
MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) IPR Einl. Rn. 190; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rn. 14; zweifelnd auch: MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 221. 137 Rauscher/Thorn Art. 9 Rn. 11; a.A.: Freitag, in: Leible (Hrsg.) Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 167, 191; Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 232. 138 von Hoffmann/Thorn, IPR § 10 Rn. 96; Reithmann/Martiny/Häuslschmid Rn. 2223; Schacherreiter, in: Verschraegen (Hrsg.) Rechtswahl, S. 69, 82 f. 139 Erman/Hohloch Art. 34 EGBGB Rn. 13; Kropholler, IPR, § 52 IX 1., S. 498; Magnus, IPRax 2010, 27, 41; MünchKommBGB/Martiny Rn. 122; Rauscher/Thorn Rn. 15; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 564; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 81 ff.; anders wohl Jayme/Johler, IPRax 1997, 385, 400. 140 Siehe dazu auch schon Art. 7 Abs. 1 EVÜ; Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 24. 141 Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 15; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 82. 142 MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 123; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 15; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 85; a.A.: Lehmann, Zwingendes Recht dritter Staaten im internationalen Vertragsrecht, S. 223 f.
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einzugrenzen, sind in der Literatur umfassende Fallgruppen gebildet worden.143 Einen hinreichenden Inlandsbezug können unter anderem ein inländischer Erfüllungsort, 144 ein inländischer gewöhnlicher Aufenthalt des Schuldners,145 Belegenheit des Vertragsgegenstands, 146 eine Berufs- oder Erwerbstätigkeit im Inland 147 sowie eine Auswirkung auf den inländischen Markt im wettbewerbsrechtlichen Sinne begründen. 148 Erforderlich ist stets, dass nicht allein eines der genannten Kriterien im Inland belegen ist, sondern vielmehr eine hinreichende Beziehung zwischen dem vorliegenden Kriterium und der konkreten Eingriffsnorm besteht. 149 So liegt es etwa nahe, im Rahmen von gewerberechtlichen Vorschriften eine Berufstätigkeit im Inland zu fordern.150 Bei kartellrechtlichen Normen kommt es hingegen nicht auf den Ursprung der Wettbewerbsbeschränkung, sondern allein auf den Ort der Auswirkung an, wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 130 Abs. 2 GWB ergibt.151 c) Ausländische Eingriffsnormen Ausländischen Eingriffsnormen kann nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO unter deutlich engeren Voraussetzungen Wirkung verliehen werden. 152 In Betracht kommen allein Normen des Staates, in welchem der Erfüllungsort der ver143 Siehe etwa MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 125 ff.; kritisch Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 15. 144 Jedenfalls im Sinne des tatsächlichen Leistungsortes: siehe dazu etwa die Ausfü hrungen zum Transportrecht bei Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 170 oder zum Architektenvertrag bei Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 576 sowie Kropholler, IPR, § 52 IX 1., S. 499; kritischer zum Kriterium des Erfüllungsortes: MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 125. 145 MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 126; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 15. 146 Insbesondere bei Immobilienverträgen: MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom IVO Rn. 127 f.; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 15; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 566 ff.; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 152. 147 EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd ./. Eaton Leonard Technologies Inc.), EuGHE 2000 I 9325; Heß, NJW 1999, 2485, 2486; Krapfl, IPRax 2002, 380, 382; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 127 f.; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 571; vgl. OLG Frankfurt a.M., IPRax 2002, 399, 400 zu den Anforderungen an § 49b BRAO. 148 MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 133; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 15; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 610; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom IVO Rn. 182. 149 Vgl. MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 125 f. 150 Ausführlich: Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 569 ff. 151 BGH, Urteil vom 29.05.1979, BGHZ 74, 322, 324; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 610 m.w.N. 152 Die Reichweite der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen ist komplex und soll hier nur insoweit thematisiert werden, als es für den Gang der Darstellung vonnöten ist. Eine ausführliche Aufarbeitung der Thematik findet sich bei Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung, S. 67 ff.
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traglichen Verpflichtungen liegt. Wie der Begriff des Erfüllungsortes auszulegen ist, ist umstritten. 153 In Betracht kommen sowohl eine Bestimmung nach der lex causae154 als auch eine rein faktische Bestimmung. 155 Für letzteres spricht, dass Art. 9 Abs. 3 VO vor allem deshalb die Eingriffsnormen des Erfüllungsortes berücksichtigt, weil diesen von staatlicher Seite am ehesten zur Durchsetzung verholfen werden kann. Eine solch staatliche Intervention, mit welcher das anwendbare Eingriffsrecht gleichlaufen soll, findet freilich allein am tatsächlichen Erfüllungsort statt. 156 Ob Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO Sperrwirkung gegenüber sonstigen drittstaatlichen Eingriffsnormen entfaltet, ist umstritten.157 Hierfür spricht jedoch sowohl die Entstehungsgeschichte der Verordnung als auch das Ziel der Vereinheitlichung des europäischen Kollisionsrechtes, das durch eine erweiterte Anwendung ausländischen Kollisionsrechts konterkariert würde. 158 Die Eingriffsnormen des Erfüllungsortes sind zudem allein insofern zu berücksichtigen, als sie die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Nicht in Betracht kommen damit Normen des Erfüllungsortes, die einen Anspruch begründen, wie etwa der Direktanspruch des Subunternehmers gegen den Auftraggeber nach dem französischen Subunternehmergesetz 159 oder Ausgleichsansprüche des Handelsvertreters nach der Handelsvertreterrichtlinie.160 Dies beschränkt zwar die zu berücksichtigenden ausländischen Eingriffsnormen, was die Kollisionsrechtsvereinheitlichung fördert,161 freilich gewinnt das unerwünschte forum shopping dadurch eine gewisse Attraktivität, dass ausländische Gerichte zum Teil daran gehindert sind, dieselben Eingriffsnormen anzuwenden wie Gerichte im Staat des Erfüllungsortes. 162 Als Rechtsfolge eröffnet Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO dem Richter Ermessen, ob der Eingriffsnorm des ausländischen Erfüllungsortes Wirkung zu verleihen ist. Bei dieser Ermessensentscheidung sind nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 Rom IVO Art und Zweck der Norm sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich 153
Übersicht bei MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 116. Hierfür Kindler, Einführung in das neue IPR des Wirtschaftsverkehrs, S. 69. 155 So Freitag, IPRax 2009, 109, 114; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 64; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 643. 156 Freitag, IPRax 2009, 109, 114; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 64; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 643. 157 Brödermann, NJW 2010, 807, 812; Überblick bei Staudinger/Magnus, Art. 9 Rom IVO Rn. 123 f.; ausführlich auch: Harris, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 269, 310 ff. 158 Einsele, WM 2009, 289, 296 f.; Freitag, IPRax 2009, 109, 115; Mankowski, IHR 2008, 133, 148. MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 113; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 61; a.A.: Rühl, FS Kropholler, S. 187, 206 f.; weniger restriktiv auch Staudinger/Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 124. 159 Dazu oben § 2B.II. 160 Bonomi, YbPIL 2008, 285, 299; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 68. 161 Freitag, IPRax 2009, 109, 115. 162 Kritisch: Bonomi, YbPIL 2008, 285, 299. 154
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aus Anwendung oder Nichtanwendung der Norm ergeben. Letztlich ist es an dieser Stelle Aufgabe des nationalen Richters festzustellen, ob Ziel und Wirkung der ausländischen Eingriffsnormen mit inländischen Wertungen übereinstimmen oder diesen widersprechen. 163 Die Bewertung der Auswirkungen der Eingriffsnormanwendung muss vor dem Hintergrund der Abwägung von Gläubiger- und Schuldnerinteressen unter Berücksichtigung der der lex causae entstammenden Vertragspflichten erfolgen. 164 Ergibt sich aus der lex causae eine am Erfüllungsort rechtlich missbilligte Pflicht, so liegt es im Interesse des Schuldners, eine entsprechende Verbotsnorm des Erfüllungsortes über Art. 9 Abs. 3 zur Anwendung kommen zu lassen, da er andernfalls zur Erfüllung verurteilt werden könnte, hierzu aber aufgrund der Verbotsgesetze am Erfüllungsort nicht in der Lage wäre. 165 Hinsichtlich Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten wird im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 zum Teil von einer Anwendungspflicht 166 oder zumindest einer „weitgehenden Ermessensreduzierung“167 ausgegangen. Dies soll aus dem Grundsatz der Unionstreue nach Art. 4 Abs. 3 EUV folgen.168 Hierfür spricht zum einen die Parallele zur Brüssel Ia-Verordnung, im Rahmen welcher sich die Mitgliedstaaten verpflichten, Urteile anderer Mitgliedstaaten weitgehend kontrollfrei anzuerkennen, zum anderen lässt sich auch das Ziel der Rom I-Verordnung, einen Entscheidungseinklang zu erreichen, für die weitgehende Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen anführen. 169 Allein auf diese Weise ist sichergestellt, dass die anwendbaren Eingriffsnormen nicht doch vom Gerichtsstaat abhängen und damit unionsinternem forum shopping Tür und Tor geöffnet wäre. Forum shopping bleibt freilich auch nach dieser Ansicht innerhalb der Union möglich und aus Parteisicht ggf. zielführend, da Art. 9 Abs. 3 die Berücksichtigung von Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten nur in einem Teilbereich zulässt. Die Berücksichtigung sonstiger ausländischer Eingriffs163
Bonomi, YbPIL 2008, 285, 298; Freitag, IPRax 2009, 109, 111; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 119; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 628; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 71. 164 MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rn. 120; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 72. Zum EVÜ bereits Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 25. 165 Harris, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 269, 327 f.; Rauscher/Thorn Rom I-VO Rn. 72. Zum EVÜ bereits Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980. S. 1, 25. 166 Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S. 319 ff.; Freitag, in Leible (Hrsg.) Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 167, 184 f.; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 114. 167 Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 73; Thorn, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 129, 147. 168 Freitag, in Leible (Hrsg.) Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 167, 184; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 73; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 114. 169 Freitag, in Leible (Hrsg.) Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 167, 185; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 73.
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normen hängt nach wie vor vom Gerichtsstaat ab, was eine gewisse Rechtsunsicherheit fortbestehen lässt. 170 Die Art der Wirkungsverleihung drittstaatlicher Eingriffsnormen schließlich ist umstritten, 171 hat für den weiteren Fortgang der Arbeit aber nur geringe Relevanz, sodass insofern auf die einschlägige Spezialliteratur verwiesen sei.172 2. Die Ingmar-Entscheidung des EuGH Ein Schutz des Unternehmers durch Eingriffsnormen wurde vom EuGH durch die Ingmar-Entscheidung173 begründet. Es gilt zu untersuchen, ob es sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung handelte oder sich aus ihr vielmehr Verallgemeinerungen ableiten lassen. a) Urteil des EuGH und Schlussantrag des Generalanwalts Der Entscheidung liegt ein vergleichsweise einfacher Sachverhalt zugrunde. Die Ingmar GB Ltd (Ingmar) mit Sitz im Vereinigten Königreich und die Eaton Leonard Technologies Inc. (Eaton) mit Sitz in Kalifornien schlossen 1989 einen Vertrag, aufgrund dessen Ingmar für Eaton als Handelsvertreter im Vereinigten Königreich sowie in Irland tätig werden sollte. Qua Rechtswahl unterstand der Vertrag kalifornischem Recht. Nachdem 1996 der Vertrag beendet wurde, forderte Ingmar von Eaton unter anderem eine Entschädigung für die Vertragsbeendigung. Ingmar stützte dieses Begehren auf die britische Commercial Agents Regulations 1993, durch welche die EGHandelsvertreterrichtlinie in nationales Recht umgesetzt worden war. Nachdem der Londoner High Court of Justice das Begehren mit der Begründung abgewiesen hatte, es sei kalifornisches Recht auf den Vertrag anwendbar, das einen derartigen Ausgleichsanspruch nicht vorsehe, wandte sich der Court of Appeal mit der Vorlagefrage, ob die Vorschriften der Handelsvertreterrichtlinie über den Ausgleichsanspruch trotz einer ausdrücklichen, gegenläufigen Rechtswahl anwendbar seien, nach Art. 234 EG (nunmehr Art. 267 AEUV) an den EuGH. Dieser entschied, bei Art. 17 und 18 der Handelsvertreterrichtlinie handele es sich um international zwingendes Recht, das sich, wenn der anspruchsberechtigte Handelsvertreter seine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt habe, gegenüber einer Rechtswahl unabhängig davon durchsetze, ob auch der Vertragspartner seinen Sitz in der Union habe.174 Zur Begründung
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Bonomi, YbPIL 2008, 285, 299; kritisch auch Freitag, IPRax 2009, 109, 116. Überblick bei Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 74 ff. Siehe etwa Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung, S. 94 ff. 173 EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd ./. Eaton Leonard Technologies Inc.), EuGHE 2000 I 9325. 174 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9335 Rn. 26. 171 172
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verweist der EuGH auf den Telos der Richtlinie. 175 Diese diene zum einen der Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen und damit dem Schutz vor Wettbewerbsverfälschungen innerhalb der Union. 176 Zum anderen bezwecke die Richtlinie den Schutz des Handelsvertreters, was sich unter anderem daraus ergebe, dass gemäß Art. 19 HandelsvertreterRL von den Bestimmungen des Art. 17 HandelsvertreterRL nicht zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden könne. 177 Der doppelte, für die gemeinschaftliche Rechtsordnung bedeutsame Zweck der Richtlinie erfordere es, dass die Bestimmungen über den Ausgleichsanspruch unabhängig vom anwendbaren Recht gälten, sofern ein hinreichend starker Unionsbezug vorliege, der sich insbesondere aus einer Tätigkeit in der Union ergebe.178 Zur näheren Untersuchung des recht knapp gehaltenen Urteils liegt es nahe, die Schlussanträge des Generalanwalts Léger, dessen Ausführungen sich der Gerichtshof anschließt, heranzuziehen. 179 Dieser erörtert zunächst, ob die Richtlinie auf die vorliegende Konstellation, in welcher ein Unternehmer mit Sitz in einem Drittstaat beteiligt ist, überhaupt räumlich anwendbar ist oder es nicht vielmehr zu einer exterritorialen Anwendung von Gemeinschaftsrecht komme, was völkerrechtlich problematisch sei. 180 Um festzustellen, welcher Bezug zur Union erforderlich ist, um die Anwendung von Unionsrecht zu rechtfertigen, greift Léger auf im Kartellrecht entwickelte Grundsätze des EuGH zurück.181 Zu Art. 81 EG (nun Art. 101 AEUV) hatte der Gerichtshof entschieden, es genüge für dessen Anwendbarkeit, wenn sich das beanstandete Kartell auf die Interessen der Union auswirke, selbst wenn die wettbewerbsbeeinträchtigenden Handlungen in Drittstaaten bzw. von in Drittstaaten niedergelassenen Unternehmen durchgeführt wurden. Ein Verstoß gegen das Territorialitätsprinzip liege nicht vor. 182 Der Generalanwalt wendet diesen Rechtsgedanken auf den vorliegenden Fall mit der Begründung an, sowohl das Kartellrecht als auch die Handelsvertreterrichtlinie berührten das Interesse eines fairen Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft. 183 Auch im Falle des innerhalb der Union tätigen Handelsvertreters liege ein hinreichender territorialer Bezug zum Unionsrecht vor, der nicht nur die Anwendung des Unionsrechts rechtfertige, sondern den Wirtschaftsteilnehmern sogar einen Anspruch darauf gewähre, sich auf ihre aus der Niederlassungs- und Dienst175
EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9335 Rn. 25. EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 f. Rn. 23 f. 177 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 Rn. 21. 178 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9335 Rn. 25. 179 Im Volltext abgedruckt bei: EuGHE 2000 I 9307 ff. 180 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9310 Rn. 18; 9311 Rn. 22. 181 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9312 Rn. 17 ff. 182 EuGH, Urteil vom 27.09.1988, C-89/85 (A. Ahlström Osakeyhtiö und andere gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften), EuGHE 1988, 5193. 183 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9313 Rn. 33. 176
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leistungsfreiheit folgenden Rechte berufen zu können, zu deren Ausfluss auch die Handelsvertreterrichtlinie gehöre. 184 Das Argument Eatons, die Richtlinie solle allein die Handelsbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten angleichen, gehe daher fehl. Ziel der Richtlinie sei es vielmehr, die Nutzung der Grundfreiheiten durch in der Union ansässige Handelsvertreter unabhängig davon zu stärken, ob alle Vertragsparteien in der Union ansässig seien. 185 Dieser Gedanke werde durch das weitere Ziel der Richtlinie, einen unionsweiten sozialen Mindestschutz des Handelsvertreters herzustellen, bestätigt.186 Einen solchen bezwecke die Richtlinie nicht allein für den Handelsverkehr zwischen in der Union ansässigen Wirtschaftsteilnehmern, wie sich aus der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie ergebe. 187 Léger folgert hieraus, der räumliche Anwendungsbereich der Handelsvertreterrichtlinie sei bereits dann eröffnet, wenn der Handelsvertreter in einem Mitgliedstaat niedergelassen sei und in der Union tätig werde. 188 Dass sich die Richtlinienbestimmungen über den Ausgleichsanspruch schließlich auch gegen eine Rechtswahl durchsetzen, entnimmt der Generalanwalt einer teleologischen Auslegung der Richtlinie. Eine parteiautonome Abwahl der Richtlinie würde nicht nur den Schutz des Handelsvertreters beeinträchtigen, sondern zudem in der Union ansässige Unternehmer einem erheblichen Wettbewerbsnachteil aussetzen, weil für diese die Richtlinienbestimmungen zweifelsohne zwingendes Recht darstellten. 189 Darüber hinaus würde eine unbegrenzte Rechtswahl den in einer überlegenen Verhandlungsposition befindlichen Unternehmer dazu veranlassen, eine Rechtswahlklausel zu seinen Gunsten durchzusetzen, und damit den Schutzzweck der Richtlinie untergraben.190 Dass der Schutz der vermögensrechtlichen Stellung des Handelsvertreters gerade nicht zur Disposition der Parteien stehen solle, werde freilich durch Art. 19 HandelsvertreterRL unterstrichen, der den Ausgleichsanspruch nach Art. 17 HandelsvertreterRL jedenfalls der Privatautonomie
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EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9314 Rn. 36 f. EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9315 Rn. 43 ff. 186 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9316 Rn. 53 f. 187 Erwägungsgrund 2 Richtlinie 86/653/EWG: „Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen beeinflussen die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der Gemeinschaft spürbar und beeinträchtigen den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr. Diese Unterschiede erschweren im Übrigen auch erheblich den Abschluss und die Durchführung von Handel svertreterverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Handelsvertreter, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.“ Der vom Verfasser hervorgehobene Relativsatz soll nach Ansicht Légers gerade nicht für die Gewährleistung des Schutzes gelten (EuGHE 2000 I 9307, 9317 Rn. 54). 188 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9317 Rn. 55. 189 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9319 Rn. 68. 190 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9320 Rn. 70. 185
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entziehe.191 Art. 19 HandelsvertreterRL sei aufgrund dessen als „Polizeigesetz“ im Sinne des Art. 7 Abs. 2 EVÜ,192 der Vorgängernorm zu Art. 9 Rom I-VO, zu qualifizieren und setze sich auch gegenüber einer anderslautenden Rechtswahl durch. 193 b) Analyse des Urteils Für eine Analyse der Ingmar-Entscheidung ist zunächst zu untersuchen, ob Generalanwalt und Gerichtshof dahingehend zuzustimmen ist, dass es sich bei Art. 17 HandelsvertreterRL um international zwingendes Recht handelt. In der dazu ergangenen Literatur halten sich zustimmende und ablehnende Ansichten in etwa die Waage.194 Als Ausgangspunkt der Betrachtung bietet sich zunächst eine Subsumtion unter die Definition des Art. 9 Abs. 1 Rom IVO an. Zwar galt diese zum Zeitpunkt des Urteils noch nicht, die Definition wurde jedoch der Arblade-Entscheidung195 des EuGH entnommen, die bereits vor der Ingmar-Entscheidung erging. 196 Für zukünftige Schlussfolgerungen erscheint es ohnehin sinnvoll, mit Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO auf nunmehr geltendes Recht zurückzugreifen. Zugleich ist die umstrittene Frage zu klären, ob die Grundsätze der Ingmar-Entscheidung nach Inkrafttreten der Rom IVerordnung weitergelten können. 197 Um als Eingriffsnorm zu gelten, müsste Art. 17 HandelsvertreterRL danach einen internationalen Geltungsanspruch sowie eine überindividuelle Zielrichtung aufweisen. Generalanwalt Léger und ihm folgend der EuGH stützen den international zwingenden Charakter der Norm im Wesentlichen auf drei Argumente. Zum einen führen sie den Wortlaut des Art. 19 Handels-
191
EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9320 Rn. 74 f. Das EVÜ war zeitlich nicht auf den Vertrag zwischen Ingmar und Eaton anwendbar, weil dieses für das Vereinigte Königreich erst am 01.04.1991 in Kraft getreten ist, der Vertrag jedoch bereits 1989 geschlossen wurde. Léger wendet gleichwohl die Rechtsgedanken des EVÜ an. 193 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9307, 9323 Rn. 88 f. 194 Zustimmend: Jayme, IPRax 2001, 190; Kindler, BB 2001, 11; Reich, EuZW 2001, 51, 52; Staudinger, NJW 2001, 1974, 1975; wohl auch Nemeth/Rudisch, ZfRV 2001, 179, 183; kritisch: Freitag, EWiR 2000, 1061, 1062; ders./Leible, RIW 2001, 287, 291 f.; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; Martiny, ZEuP 2001, 308, 331; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 54 ff.; Schurig, FS Jayme, S. 837, 844. 195 EuGH, Urteil vom 23.11.1999, verb. Rs. C-369/96 und C-374/96 (Strafverfahren gegen Jean-Claude Arblade und Arblade & Fils SARL und Bernard Leloup, Serge Leloup und Sofrage SARL), EuGHE 1999, I-8453. 196 KOM(2005) 650, S. 8: freilich wird kritisiert, dass der EuGH in der IngmarEntscheidung auf die in Arblade aufgestellten Grundsätze nicht einging: MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) IPR Einl. Rn. 190 Fn. 652. 197 Kritisch dazu: MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) IPR Einl. Rn. 190; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rn. 14; Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 232; zweifelnd auch: MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 221. 192
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vertreterRL an,198 zum anderen stützen sie sich auf den Zweck des Art. 17 HandelsvertreterRL, einen effektiven Schutz des Handelsvertreters 199 sowie einen unverfälschten Wettbewerb 200 zu gewährleisten. (i) Das Wortlautargument Gemäß Art. 19 HandelsvertreterRL können „[d]ie Parteien vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarungen treffen, die von Artikel 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen.“ Während der Wortlaut wohl keine Indizien hinsichtlich einer überindividuellen Zielrichtung erkennen lässt, ist fraglich, ob sich daraus ein internationaler Geltungsanspruch ableiten lässt. Léger unterscheidet in seinen Schlussanträgen zwei Kategorien von Normen innerhalb der Handelsvertreterrichtlinie. Eine erste umfasse Normen, von denen abgewichen werden könne. Darunter fielen etwa Art. 6, welcher die Bemessung der Vergütung regelt oder Art. 13, der die Formlosigkeit des Handelsvertretervertrags zur Disposition der Parteien stelle. 201 Eine zweite Kategorie von Normen sei zwingend. Hierzu gehöre Art. 17 aufgrund des Wortlauts von Art. 19 HandelsvertreterRL.202 Diese zwingenden Normen seien zugleich zwingende Normen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 EVÜ.203 Es entsteht der Eindruck, der Generalanwalt setze damit einfach zwingende Vorschriften, von denen innerstaatlich aufgrund Parteivereinbarung nicht abgewichen werden kann, mit international zwingenden Normen, die auch durch Rechtswahl nicht abdingbar sind, gleich. 204 Léger scheint zu ignorieren, dass zwar sehr wohl alle international zwingenden Normen zugleich innerstaatlich zwingend sind, dies umgekehrt jedoch keineswegs der Fall ist. 205 Recht offensichtlich trifft einen Normgeber einen größeren Begründungsaufwand, eine eigene Vorschrift selbst gegenüber der Rechtswahl zugunsten eines Drittstaates durchzusetzen. 206 Deshalb sind an das Vorliegen einer Eingriffsnorm die oben genannten hohen Voraussetzungen zu stellen. Nähme man diese Unterscheidung zwischen einfach und international zwingenden
198 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 Rn 22; Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9320 Rn. 74 f. 199 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9333 f. Rn. 20 f.; Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9320 Rn. 70. 200 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 f.; Rn. 24; Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9319 Rn. 68. 201 Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9322 Rn. 82. 202 Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9323 Rn. 86. 203 Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9323 Rn. 88. 204 Freitag, EWiR 2000, 1061, 1062; ders./Leible, RIW 2001, 287, 292; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 304; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 55. 205 Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 55; vgl. auch von Hoffmann/Thorn, IPR § 10 Rn. 96. 206 Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 55.
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Normen nicht vor,207 stellte man Parteiautonomie mit Privatautonomie gleich und würde erstere dramatisch beschränken. 208 Dass Léger dies bezweckt scheint angesichts der Bedeutung, die er selbst in seinen Schlussanträgen der Rechtswahlfreiheit zumisst, 209 unwahrscheinlich. Umso unverständlicher ist die mangelnde Differenzierung. Ob auch der EuGH es versäumt, zwischen einfach und international zwingendem Recht zu differenzieren, ist angesichts der knappen Begründung schwer zu beurteilen. 210 Bei wohlwollender Lesart greift der Gerichtshof auf den Wortlaut des Art. 19 HandelsvertreterRL lediglich als Indiz zurück und schließt vom einfach zwingendem auf den international zwingenden Charakter der Vorschrift. 211 Ein solcher Schluss erscheint bei Vorliegen weiterer Hinweise möglich. Freilich bleibt festzuhalten, dass der Wortlaut allein weder genügt, um einen internationalen Geltungsanspruch der Norm noch deren überindividuelle Zielsetzung zweifelsfrei zu begründen. Beides könnte sich jedoch bei teleologischer Auslegung ergeben. (ii) Das Schutzargument Primäres Ziel der Handelsvertreterrichtlinie, das grundsätzlich einen internationalen Geltungswillen begründen könnte, ist der Schutz des Handelsvertreters.212 Generalanwalt und Gerichtshof berufen sich auf diesen sozialen Mindestschutz, um den international zwingenden Charakter von Art. 17 HandelsvertreterRL zu begründen. 213 Wäre dieser Schutz durch Rechtswahl abdingbar, so würde er angesichts der typischerweise überlegenen Verhandlungsposition des Vertragspartners einen großen Teil seiner Wirksamkeit einbüßen. 214 In der Literatur ist dieses Argument erheblicher Kritik ausgesetzt. Vielfach wird vorgebracht, der Handelsvertreter sei schon gar nicht schutzwürdig, sodass hieraus erst recht kein internationaler Geltungswille folgen könne. 215 Handelsvertreter seien nicht stets strukturell unterlegene Einfirmenvertreter. Es existierten durchaus Handelsvertreter, die als juristische Person organisiert 207
Eine „kollisionsrechtliche Binsenweisheit“ nennen diese Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292. 208 Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; grundlegend zu Privat- und Parteiautonomie: von Hoffmann/Thorn, IPR § 10 Rn. 26; Kropholler, IPR, § 40 I, S. 292. 209 Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9318 Rn. 57; 9320 Rn. 72. 210 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 Rn. 22. 211 Staudinger, NJW 2001, 1974, 1976; vgl. Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 55. 212 Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter. 213 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 Rn. 21; Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9316 Rn. 52. 214 Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9320 Rn. 70. 215 Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 291; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 56 f.
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seien und eine erhebliche Marktmacht aufwiesen.216 Die Schaffung von international zwingendem Recht im Unternehmerverkehr stelle eine „Bevormundung geschäftserfahrener Vertragsparteien“ 217 dar. Schwarz bezeichnet den kollisionsrechtlichen Schutz des Unternehmers als unüblich, wenn nicht sogar systemwidrig.218 Den Kritikern ist zuzugestehen, dass zweifelsohne Handelsvertreter vorstellbar sind, die ihrem Vertragspartner ebenbürtig oder sogar überlegen sind. Einem solchen mag es auch gelingen, sich die Abbedingung des nachvertraglichen Ausgleichsanspruchs durch eine höhere Provision entgelten zu lassen. 219 Wie an anderer Stelle bereits ausführlich dargelegt worden ist, ist dies freilich nicht der Regelfall. Typischerweise ist davon auszugehen, dass eine strukturelle Ungleichgewichtslage zwischen dem Handelsvertreter und seinem Vertragspartner besteht.220 Letztlich erscheint es ohnehin verfehlt, an dieser Stelle zu entscheiden, ob eine Schutzbedürftigkeit des Handelsvertreters in jeglicher Situation gegeben ist. Der Richtliniengeber hat sich für eine pauschalisierende Betrachtung des Handelsvertreterschutzes entschieden. Gemäß Art. 19 HandelsvertreterRL ist der Ausgleichsanspruch unabhängig davon intern zwingend, ob im konkreten Fall tatsächlich eine Ungleichgewichtslage besteht. Eine solche Entscheidungsprärogative steht dem Richtliniengeber zu. Erkennt man jedoch an, dass der Verordnungsgeber auf materiellrechtlicher Ebene bewusst auf eine Differenzierung zwischen schutzbedürftigen und wirtschaftlich potenten Handelsvertretern verzichtet hat, so erscheint es legitim, diese Wertung auch auf kollisionsrechtliche Ebene zu übertragen und das Ziel des Schutzes durch die Schaffung von Eingriffsnormen abzusichern.221 Dass hierin ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit des Handelsvertreters liegen mag, ist unbestritten; die Gefahr einer Bevormundung geschäftserfahrener Vertragsparteien ist nicht von der Hand zu weisen. Freilich hat der Richtliniengeber eine solche mit der Schaffung des Art. 19 HandelsvertreterRL billigend in Kauf genommen. Die Unabdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs im Binnenmarktsachverhalt stellt bereits einen Eingriff in die Privatautonomie der Unternehmer dar. Es erscheint nicht abwegig, dass der Richtliniengeber einen vergleichbaren Eingriff in die Parteiautonomie ebenfalls vorzunehmen bereit war. 222 Noch weitergehend lässt sich vorbringen, dass der bezweckte effektive Schutz des 216
Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 291; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 56 f. 217 Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292. 218 Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 57. 219 So argumentieren Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 57. 220 Siehe bereits oben § 2. 221 Staudinger, NJW 2001, 1974, 1975; a.A.: Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 56. 222 a.A.: Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; kritisch wohl auch: Martiny, ZEuP 2001, 308, 331.
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Handelsvertreters erst durch die Rechtswahlfestigkeit gewährleistet wird. 223 Ein solcher kollisionsrechtlicher Schutz ist auch nicht systemfremd. Zu denken ist zum einen daran, dass auch der Versicherungsnehmer bereits aufgrund vermuteter Unterlegenheit internationalprivatrechtlichen Schutz erfährt. Zum anderen erklärt die Rom I-Verordnung den Schutz der strukturell vergleichbaren Franchisenehmer und Vertriebshändler zumindest im Rahmen der objektiven Anknüpfung selbst zum kollisionsrechtlichen Ziel. 224 Eine teleologische Auslegung ergibt folglich, dass auch der Schutz des Handelsvertreters in Sachverhalten mit Drittstaatenberührung vom Telos der Richtlinie erfasst ist.225 Die Annahme eines internationalen Geltungswillen von Art. 17 HandelsvertreterRL ist damit sehr wohl begründbar. Sehr viel zweifelhafter ist freilich, ob mit einer überindividuellen Zielrichtung auch das zweite, für eine Eingriffsnorm konstitutive Kriterium gegeben ist. 226 Art. 17 HandelsvertreterRL müsste dazu im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO entscheidend für die soziale, wirtschaftliche oder politische Ordnung der Union bzw. der Mitgliedstaaten sein. Bei einer sonderprivatrechtlichen Norm wie Art. 17 HandelsvertreterRL soll dies dann der Fall sein, wenn sie nicht allein dem privaten Interessenausgleich dient, sondern zugleich auch öffentliche Interessen verfolgt.227 Ob ein Schutz des Handelsvertreters durch einen nachvertraglichen Ausgleichsanspruch tatsächlich entscheidend für die Wahrung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung der Mitgliedstaaten ist, ist zweifelhaft. Dafür lässt sich vorbringen, ähnlich wie etwa arbeitnehmer- oder mieterschützende sonderprivatrechtliche Vorschriften solle auch das Handelsvertreterrecht wirtschafts- und sozialpolitische Rahmenbedingungen schaffen, indem strukturell unterlegene Unternehmer vor einer gesellschaftlich missbilligten Ausnutzung der freien Marktwirtschaft durch ihre Vertragspartner geschützt werden. Reich will einen solchen Schutz des strukturell unterlegenen Handelsvertreters vor aufgezwungenen, ihn benachteiligenden Vertragsklauseln sogar aus der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit ableiten. 228 Hiernach wäre ein Schutz des Handelsvertreters im öffentlichen Interesse sogar geboten. In der Tat hat etwa das Bundesverfassungsgericht die Regelung des § 90a Abs. 2 Satz 2 HGB a.F., die unter besonderen Umständen ein entschädigungsloses Wettbewerbsverbot zulasten des Handelsvertreters ermöglichte, für mit Art. 12 GG unvereinbar gesehen und dies auch mit der strukturell schwachen Vertragsverhandlungsposition des Handelsvertreters 223
Kindler, BB 2001, 11, 12; wohl auch Staudinger, NJW 2001, 1974, 1975. KOM(2005) 650 endg. S. 6; kritisch: Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 535. 225 Anders noch zur deutschen Rechtslage vor der Ingmar-Entscheidung mit Verweis auf § 92c HGB: Wegen, WiB 1994, 255, 256; Stötzel, EWS 1999, 212, 215. 226 Kritisch: Freitag, EWiR 2000, 1061, 1062. 227 Siehe schon oben § 1B.V.1.a). 228 Reich, NJW 1994, 2128, 2130. 224
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begründet.229 Freilich ist die Berufsfreiheit bei Wettbewerbsverboten evident betroffen. Ob auch der nachvertragliche Ausgleichsanspruch die Berufsfreiheit des Handelsvertreters in einem Maße materialisiert, die auf ein dringliches sozialpolitisches Interesse hindeutet, ist hingegen zweifelhaft. 230 Ein Vergleich zu anderen Normen des Sonderprivatrechts bekräftigt diese Bedenken. Während der arbeitsrechtliche Mutterschutz oder der soziale Mieterschutz ganz offensichtliche und entscheidende öffentlichen Interessen verfolgen, die als essentiell für die Wahrung einer sozialen Ordnung angesehen werden können und gleichwertig neben das Ziel des privaten Interessenausgleichs treten,231 bleibt ein hinreichend gewichtiges Interesse beim Handelsvertreterschutz bestenfalls vage. 232 Eine größere Vergleichbarkeit besteht zwischen Verbraucherkreditrichtlinie 233 und Handelsvertreterrichtlinie. Zur deutschen Umsetzung der Richtlinie im Verbraucherkreditgesetz 234 hat der BGH entschieden, diese verfolge als primäre Ziele, den „Schutz des einzelnen Verbrauchers vor einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Interessen sowie [die] Korrektur der strukturellen Ungleichgewichtslage gegenüber dem professionellen, in der Regel finanziell weit überlegenen Anbieter und damit dem Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien.“ 235 Das zugleich bestehende öffentliche Interesse an einem privatrechtlichen Verbraucherschutz sowie die Marktregulierungsfunktion träten dahinter als bloßer Reflex zurück. Eine Eingriffsnorm liege daher nicht vor.236 Eine Übernahme dieser Argumentation für den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters ist naheliegend. Hier wie dort bezwecken die Schutzvorschriften primär einen Interessenausgleich zwischen Privaten. Das öffentliche Interesse am Schutz des Handelsvertreters ist nicht hinreichend gewichtig, um eine international zwingende Geltung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zu rechtfertigen. 237
229
BVerfG, Beschluss vom 07.02.1990, NJW 1990, 1469, 1471. Kritisch auch Stötzel, EWS 1999, 212, 216; anders: Reich, NJW 1994, 2128, 2130. 231 BAG, Urteil vom 12.12.2001, IPRax 2003, 258, 261. 232 Im Ergebnis so auch Stötzel, EWS 1999, 212, 216. 233 Richtlinie 87/102/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. EWG Nr. L 42 vom 12.02.1987, S. 48), zuletzt geändert durch die Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Änderung der Richtlinie 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. EG Nr. L 101 vom 01.04.1998, S. 17). 234 Mittlerweile ersetzt durch die §§ 491 ff. BGB (siehe dazu MünchKommBGB/ Schürnbrand § 491 Rn. 1). 235 BGH, Urteil vom 13.12.2005, NJW 2006, 762, 763 f. 236 BGH, Urteil vom 13.12.2005, NJW 2006, 762, 764. 237 So im Ergebnis auch Font y Segura, EuLF 2000/01, 179, 180; Stötzel, EWS 1999, 212, 216; anders wohl Roya Farmand, S. 275, die den sozialschützenden Aspekt der Handelsvertreterrichtlinie als Zwischenziel zum Abbau von Wettbewerbsverfälschungen ansieht. 230
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(iii) Das Wettbewerbsargument Als weiteren Begründungsansatz für den international zwingenden Charakter des Art. 17 HandelsvertreterRL führen Léger und ihm folgend der EuGH den Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen an. Dehnte man die Verpflichtung z ur Leistung des Ausgleichsanspruchs nicht auf solche Unternehmer aus, die ihren Sitz zwar außerhalb der Union hätten, wohl aber über einen Handelsvertreter im Binnenmarkt tätig würden, so verfügte der drittstaatliche Unternehmer über einen Wettbewerbsvorteil. 238 Diesem Argument scheinen sie noch größere Bedeutung zuzumessen als dem Schutz des Handelsvertreters. 239 Die Gefahr der Wettbewerbsungleichheit ist auf den ersten Blick nicht abwegig. Ein drittstaatlicher Unternehmer, der seine Produkte über Handelsvertreter in der Union vertreibt, könnte den Ausgleichsanspruch der Richtlinie durch Rechtswahl abbedingen und müsste diesen nicht in seine Preiskalkulation einbeziehen. Sind hingegen sowohl der Handelsvertreter als auch sein Vertragspartner in der Union ansässig, so versperrt ihnen Art. 3 Abs. 4 Rom IVO die kollisionsrechtliche Wahl eines drittstaatlichen Rechts.240 Diese Ungleichbehandlung könnte einem drittstaatlichen Unternehmer ermöglichen, seine Produkte in der Gemeinschaft günstiger anzubieten als in Mitgliedstaaten ansässige Konkurrenten. 241 In der Folge würde der unionsinterne Handel gegenüber dem drittstaatlichen an Attraktivität verlieren. Der mit der Richtlinie verfolgte Zweck der Handelserleichterung würde sein Ziel verfehlen und sich letztlich gegen die Teilnehmer am unionsinternen Handel wenden. 242 Die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen könnte grundsätzlich einen hinreichend gewichtigen Zweck darstellen, der zur Wahrung der wirtschaftlichen und politischen Organisation der Gemeinschaft im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO erforderlich ist, um so eine international zwingende Anwendung des Art. 17 HandelsvertreterRL zu rechtfertigen. Man mag einwenden, staatlicher Protektionismus komme letztlich individuellen, inländischen Unternehmern zugute und diene ähnlich wie der Schutz vor strukturell überlegenen Vertragspartnern dem bloßen Individualschutz des Unternehmers. Freilich ist die Angleichung von Wettbewerbsbedingungen – auch aus protektionistischen Erwägungen heraus – grundsätzlich ein wirtschaftspolitisches Ziel, das die Schaffung eines wirtschaftlichen Rahmens zur Förderung des innergemeinschaftlichen Handels bezweckt.243 Zwar profitiert hiervon zweifelsohne auch der einzelne Unternehmer. Es ließe sich jedoch argumentieren, 238 Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9319 Rn. 68; knapper: EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 f. Rn. 24. 239 Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 59. 240 Siehe dazu schon oben § 1B.I. 241 Die Darstellung dieser Argumentation findet sich auch bei: Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Kindler, BB 2001, 11, 12; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 60. 242 Kindler, BB 2001, 11, 12; Staudinger, NJW 2001, 1974, 1975. 243 Font y Segura, EuLF 2000/01, 179, 180.
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Art. 17 HandelsvertreterRL diene in dieser Hinsicht nicht primär dem Ausgleich privater Interessen, sondern der Stabilisierung eines ganzen wirtschaftlichen Sektors.244 Bereits die Richtigkeit dieser Prämisse, der Verzicht auf die international zwingende Anwendung des Art. 17 HandelsvertreterRL habe spürbare Wettbewerbsverzerrungen zur Folge, lässt sich bezweifeln. Problematisch ist hieran zum einen, dass die Richtlinie schon unionsintern keine einheitlichen Wettbewerbsbedingungen schafft.245 Art. 17 HandelsvertreterRL überlässt den Mitgliedstaaten die Wahl, die nachvertragliche Entschädigung des Ha ndelsvertreters über einen auf die Höhe einer durchschnittlichen Jahresprovision gedeckelten Ausgleichsanspruch oder über einen nicht limitierten Schadensersatzanspruch umzusetzen. Das Schadensersatzmodell wurde in Frankreich umgesetzt, die französische Rechtsprechung erkennt regelmäßig zwei Jahresprovisionen als ersatzfähig an, wohingegen der deutsche Anspruch gemäß § 89b Abs. 2 HGB auf eine Jahresprovision begrenzt ist. 246 Damit mag durch die Richtlinie ein Mindeststandard geschaffen werden, eine Angleichung der Kosten eines Handelsvertretervertrags findet jedoch nicht statt. 247 Selbst wenn man annimmt, schon die Vereinheitlichung der Mindestanforderungen an den Handelsvertreterausgleich benachteilige innereuropäische Unternehmer gegenüber drittstaatlichen, ist zu bedenken, dass für letztere die Tätigkeit im Binnenmarkt ohnehin zusätzliche Kosten verursacht. Anders als von einem Teil der Literatur vorgebracht, dürfte ein solcher Wettbewerbsvorteil im Regelfall zwar nicht dadurch ausgeglichen werden, dass sich der Handelsvertreter, der qua Rechtswahl auf seinen europarechtlichen Ausgleichsanspruch verzichtet, dies durch eine erhöhte Provision entgelten lässt. Denn er wird zumeist aufgrund struktureller Unterlegenheit keine hinreichend starke Verhandlungsposition einnehmen, um eine solche durchzusetzen. 248 Zulasten des drittstaatlichen Unternehmers wirken sich indes die fehlende Erfassung von den Grundfreiheiten, die in Zöllen und sonstigen Handelsschranken resultieren kann, sowie mutmaßlich höhere Transportkosten aus. 249 Doch selbst wenn man davon ausgeht, der innergemeinschaftliche Handel würde unter der lediglich intern zwingenden Anwendung des Art. 17 HandelsvertreterRL leiden, ist der Argumentation von EuGH und Generalanwalt 244
Font y Segura, EuLF 2000/01, 179, 180. Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 64. 246 Klein, in: Saenger/Schulze (Hrsg.), S. 103, 105; Legeais, in: Saenger/Schulze (Hrsg.), S. 95, 99. 247 Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 65; eine wettbewerbserhebliche Angleichung sehen: EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 Rn. 21; Font y Segura, EuLF 2000/01, 179, 180. 248 a.A.: Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 65. 249 Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 65. 245
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zu widersprechen. Soweit die Handelsvertreterrichtlinie den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen anführt, liegt es nahe, davon auszugehen, dass dieses Ziel vornehmlich der Kompetenzbegründung der Union im Sinne der Art. 114, 115 AEUV (ex Art. 94 f. EGV) dient.250 Versucht man, den Telos der Richtlinie zu ermitteln, so ist zu beachten, dass die EU in der Vergangenheit eine Vielzahl von Unionsinstrumenten auf diese Ermächtigungsgrundlagen gestützt hat. 251 Ziel der hierauf gestützten Unionsrechtsakte ist die Beseitigung von Handelshemmnissen zwischen den Mitgliedstaaten, nicht jedoch der Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, die durch drittstaatliche Rechtsordnungen entstehen. 252 Wollte der Unionsgesetzgeber auch dieses Ziel erreichen, hätte dies den weitgehenden Verzicht auf Parteiautonomie zur Folge. Jede einfach zwingende, wirtschaftsrechtliche Norm kann potentiell Kosten für diejenigen Parteien verursachen, die ihr unterworfen sind, und sie damit gegenüber solchen Parteien benachteiligen, welche sich einer solchen koste nrelevanten, einfach zwingenden Norm entziehen können. Daraus stets auf einen internationalen Geltungswillen zu schließen, hätte zur Folge, dass jegliches zwingende Unionsprivatrecht, das für den Unternehmer kostenrelevant ist, auch im drittstaatlichen Kontext nicht abbedungen werden dürfte, um den unionsinternen Wettbewerb nicht zu gefährden. 253 Die Unterscheidung zwischen intern und international zwingenden Normen würde faktisch aufgehoben. Ein solches Ergebnis ist mit Erwägungsgrund 37 Rom I-VO, der die engere Auslegung des Begriffs der Eingriffsnorm gegenüber einfach zwingendem Recht anordnet, ebenso wenig vereinbar wie mit dem Vorrang der Parteiautonomie als „Eckstein“ des europäischen Internationalen Privatrechts.254 Sehr wohl kann eine Einzelbetrachtung ergeben, dass das Erfordernis der Wettbewerbsgleichheit einen internationalen Geltungswillen begründet, wenn über das pauschal-formelhafte Funktionieren des Binnenmarktes hinaus konkrete, für die Union bedeutsame Ziele verfolgt werden. 255 Die Begründung dafür, dass von der Nichtanwendung des Art. 17 HandelsvertreterRL in Drittstaatensachverhalten eine über das Normalmaß jeder einfach zwingenden, wirtschaftsrechtlichen Norm hinausgehende, unerträgliche Belastung für den Binnenmarkt ausgeht, bleiben Gerichtshof und Generalanwalt schuldig.
250
Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 305; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 61. Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 109; Beispiele finden sich ebenda in Fn, 39, 40. 252 Freitag, EWiR 2000, 1061, 1062; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 61 m.w.N. 253 Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 61 f. 254 Dazu Erwägungsgrund 11 Rom I-VO sowie Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 62. 255 Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 309; Roya Farmand, S. 284; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 42. 251
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c) Schaffung von Richtlinienkollisionsrecht Eine in der Literatur vertretene Ansicht interpretiert die Ausführungen des EuGH methodisch anders. 256 Es bedürfe zur Umsetzung der Vorgaben der Ingmar-Entscheidung keines Rückgriffs auf Art. 9 Rom I-VO. Vielmehr schaffe der Gerichtshof mit der Ingmar-Entscheidung neben die Rom IVerordnung tretendes Richtlinienkollisionsrecht.257 Anders als die zeitlich der Handelsvertreterrichtlinie nachfolgenden Verbraucherschutzrichtlinien nehme erstere keine Bestimmung ihres räumlichen Anwendungsbereichs vor. 258 Die zentralen verbraucherschützenden EU-Richtlinien enthalten seit Beginn der 90er Jahre Kollisionsnormen, die ihren Anwendungsbereich über reine Binnenmarktsachverhalte hinaus ausdehnen.259 Auch in Sachverhalten mit Drittstaatenbezug gilt europäisches Verbraucherschutzrecht, wenn ein hinreichend starker Bezug zu mitgliedstaatlichem Territorium gegeben ist. 260 Die Ansicht in der Literatur, die eine Umsetzung der Ingmar-Entscheidung über Art. 23 Rom I-VO vorzieht, argumentiert, auch in Bezug auf die Handelsvertreterrichtlinie begründe der EuGH ein Interesse der Union an einer Durchsetzung gegenüber drittstaatlichem Recht. 261 Da die Handelsvertreterrichtlinie bereits 1986 erging und folglich in Kraft trat, bevor der Unionsgesetzgeber begann, eine kollisionsrechtliche Marktabgrenzung in den Verbraucherschutzrichtlinien vorzunehmen, lasse sich aus dem Fehlen einer ausdrücklichen kollisionsrechtlichen Regelung nicht der Schluss ziehen, argumentum e contrario
256 Reithmann/Martiny/Freitag, Rn. 601; zur alten Rechtslage vor Inkrafttreten der Rom I-Verordnung: NK-BGB/Leible, Art. 46b EGBGB Rn. 53 f.; Bitterich, VuR 2002, 155, 161 ff. 257 NK-BGB/Leible, Art. 46b EGBGB Rn. 53 f.; Bitterich, VuR 2002, 155, 161 ff.; Reithmann/Martiny/Freitag, Rn. 601. 258 Font y Segura, EuLF 2000/01, 179; Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 291; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 304; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 49 f. 259 Zu denken ist hier etwa an Art. 7 Abs. 2 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter), Art. 6 Abs. 2 Klausel-Richtlinie (Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen), Art. 12 Abs. 2 Fernabsatz-Richtlinie (Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz), Art. 9 Time-Sharing-Richtlinie (Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien) und Art. 22 Abs. 4 VerbraucherkreditRichtlinie (Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates). 260 MünchKommBGB/Martiny Art. 46b EGBGB Rn. 57. 261 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 Rn. 21, 23; Staudinger, NJW 2001, 1974, 1975.
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komme die Annahme einer der Handelsvertreterrichtlinie immanenten Kollisionsnorm nicht in Betracht.262 Dem europäischen Gesetzgeber steht es grundsätzlich zu, Kollisionsrecht neben der Rom I-Verordnung zu schaffen. Art. 23 Rom I-VO bestätigt, dass die Verordnung nicht abschließend gegenüber sonstigem Gemeinschaftskollisionsrecht zu verstehen ist. Die Schaffung weiteren Richtlinienkollisionsrechts auch zum Schutze des strukturell unterlegenen Unternehmers ist möglich. Dass sich bereits die Ingmar-Entscheidung unter Art. 23 Rom I-VO fassen lässt, wird dennoch zu Recht bestritten.263 Bereits die Konstruktion einer Kollisionsnorm analog der Verbraucherschutzrichtlinien wirft Zweifel auf. Denn für Richtlinien, die keine ausdrücklichen Kollisionsnormen enthalten, sieht Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO nunmehr eine eigene abschließende Regelung vor.264 Zum anderen spricht der Wortlaut des Art. 23 Rom I-VO, der allein „Vorschriften des Gemeinschaftsrecht“265 Vorrang vor der Rom IVerordnung zuerkennt, gegen diese Lösung. Dass hierunter auch Richterrecht fallen könnte, erscheint zweifelhaft. 266 Schließlich ist die Ausdehnung des Richtlinienkollisionsrechts auch nicht wünschenswert. Sie würde den Zweck der Rom I-Verordnung, das europäische Kollisionsrecht zu vereinheitlichen, konterkarieren.267 Ziel der Rom I-Verordnung ist gerade die Vermeidung der Aufteilung des Unionskollisionsrechts auf mehrere Rechtsakte. 268 Schließlich würde der Annahme, die Ingmar-Entscheidung schaffe der Rom I-Verordnung vorrangiges Richterrecht, zumindest in Deutschland die mitgliedstaatliche Umsetzung fehlen. Eine analoge Anwendung des Art. 46b EGBGB de lege lata zur Umsetzung der EuGH-Vorgaben scheidet aus. 269 Es ist kaum möglich, in Anbetracht der ausdrücklichen Aufzählung von erfassten Richtlinien in Art. 46b Abs. 4 EGBGB eine planwidrige Regelungslücke zur Umsetzung derartigen Richtlinienkollisionsrechts auszumachen. 270 Hinzu 262
Font y Segura, EuLF 2000/01, 179; Jayme/Kohler, IPRax 2000, 454, 455; Staudinger, NJW 2001, 1974, 1976; vgl. auch Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 304; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 50. 263 MünchKommBGB/Martiny, Art. 23 Rom I-VO Rn. 10; Rauscher/von Hein, Art. 3 Rom I-VO Rn. 132; Rauscher/Thorn, Art. 23 Rom I-VO Rn. 6; Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 232; Staudinger/Magnus, Art. 23 Rom I-VO Rn. 15. 264 Rauscher/von Hein, Art. 3 Rom I-VO Rn. 132; Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 232; a.A.: Bitterich, VuR 2002, 155, 161 ff. 265 Hervorhebung durch den Verfasser. 266 MünchKommBGB/Martiny, Art. 23 Rom I-VO Rn. 10; Rauscher/Thorn, Art. 23 Rom I-VO Rn. 6; Staudinger/Magnus, Art. 23 Rom I-VO Rn. 15. 267 Magnus, IPRax 2010, 27, 32. 268 Erwägungsgrund 40 Satz 1 Rom I-Verordnung. 269 MünchKommBGB/Martiny Art. 46b Rn. 112; Palandt/Thorn Art. 46b EGBGB Rn. 2; Staudinger/Magnus Art. 46b EGBGB Rn. 55. 270 MünchKommBGB/Martiny Art. 46b Rn. 112; Palandt/Thorn Art. 46b EGBGB Rn. 2; Staudinger/Magnus Art. 46bEGBGB Rn. 55; a.A.: NK-BGB/Leible Art. 46b Rn. 53 f.
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kommt, dass der Gesetzgeber bei der Revision des Art. 29a EGBGB durch Art. 46b EGBGB im Jahre 2009 sehr wohl die Möglichkeit besessen hätte, den Schutz des Handelsvertreters zu berücksichtigen. Im Ergebnis ist die Umsetzung der Ingmar-Entscheidung im Rahmen des Art. 23 Rom I-VO damit zum einen aus unionsrechtlichen Erwägungen, zum anderen zumindest bezüglich Deutschland auch aus Gründen des nationalen Rechts abzulehnen. d) Folgerungen aus der EuGH-Entscheidung Zwar hat die oben durchgeführte Untersuchung gezeigt, dass es vorzugswürdig ist, Art. 17 HandelsvertreterRL weder als international zwingendes Recht nach Art. 9 noch als vorrangiges Richtlinienkollisionsrecht über Art. 23 Rom I-VO durchzusetzen. Bei der Untersuchung des Schutzes des strukturell unterlegenen Unternehmers de lege lata ist freilich die Auffassung des EuGH bis auf weiteres unabhängig davon zu respektieren, ob man sie als Schaffung von Richtlinienkollisionsrecht oder als Definition einer Eingriffsnorm wahrnimmt. Denn in der Rechtssache Unamar hat der Gerichtshof seine Auffassung im Jahre 2013 noch einmal bestätigt.271 Im Lichte der IngmarEntscheidung konsequent entschied der EuGH in Unamar, dass die beschriebenen Grundsätze auch im innereuropäischen Kontext Geltung beanspruchen. Die Durchsetzung einer nationalen Umsetzung des aus der Handelsvertreterrichtlinie folgenden Ausgleichsanspruchs als Eingriffsnorm ist auch dann möglich, wenn sie zugunsten des Handelsvertreters von der Umsetzung in einem anderen Mitgliedstaat abweicht. 272 Dass der Verordnungsgeber mit der Schaffung von Art. 9 Rom I-VO der Ingmar-Entscheidung entgegenwirken wollte, ist ebenfalls zweifelhaft.273 Geht man folglich davon aus, dass der EuGH auch künftig auf seiner Einstufung beharrt, so sind in einem nächsten Schritt die hierausfolgenden Schutzwirkungen zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers zu untersuchen. Von Bedeutung ist, dass der Schutzcharakter des Ausgleichsanspruchs es wohl auch aus Sicht des EuGH nicht allein vermag, den international zwingenden Charakter der Norm zu begründen, sondern es der zusätzlichen Heranziehung wirtschaftspolitischer Gründe bedarf. 274 Obwohl der EuGH dem in der Union tätigen Handelsvertreter im Ergebnis kollisionsrechtlichen Schutz vor einer ihn benachteiligenden Rechtswahl gewährt, verbieten sich daher Verallgemeinerungen dergestalt, alle Richtlinien, die den Schutz be271
EuGH, Urteil vom 17.10.2013, Rs. C-184/12 (United Antwerp Maritime Agencies ./. Navigation Maritime Bulgare), EuZW 2013, 956. 272 EuGH (Fn. 271), EuZW 2013, 956, 959. 273 MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) Einl. IPR Rn. 190; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 52; im Übrigen bereits oben § 1B.V.1.a); zurückhaltender: MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 221. 274 § 1B.V.2.b)(ii).
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stimmter Personengruppen verfolgten, seien aufgrund der IngmarEntscheidung als international zwingend anzusehen. 275 Eine Norm, die den Individualschutz verfolgt, kann im Einzelfall wohl auch nach Ansicht des EuGH nur dann nach Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO international zwingend sein, wenn dieser Schutz von Teilnehmern des Rechtsverkehrs zugleich ein gewichtiges öffentliches Interesse berührt. (i) Analoge Anwendung der „Ingmar-Grundsätze“ Eine Verallgemeinerung der Ingmar-Rechtsprechung ist damit allein in einem engen Rahmen möglich. In Betracht kommt ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers über Eingriffsnormen zum einen, wenn man qua Analogie den Anwendungsbereich der Handelsvertreterrichtlinie auf vergleichbare Vertriebsverträge ausweitet. Denkbar ist dies insbesondere beim Vertragshändler- oder Franchisevertrag. Dazu müsste eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage vorliegen. Anders als das Recht der Mitgliedstaaten basiert das Unionsrecht auf dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. 276 Aus diesem folgt, dass eine planwidrige Regelungslücke allein in den Bereichen angenommen werden kann, in denen der Unionsgesetzgeber die Kompetenz besitzt, gesetzgeberisch tätig zu werden, die also zumindest potentiell dem Unionsrecht unterfallen und nicht den Mitgliedstaaten vorbehalten sind.277 Es lässt sich in Anlehnung an die Terminologie des UN-Kaufrechts auch von „interner Lückenfüllung“ 278 sprechen. Für sonstige Vertriebsverträge ist die Annahme einer Unionskompetenz denkbar. Ebenso wie die Handelsvertreterrichtlinie ließen sich auch entsprechende Regelungen für sonstige Vertriebsverträge auf Art. 114 Abs. 1 AEUV stützen, der der Union eine Rechtssetzungskompetenz zur Angleichung derjenigen Vorschriften eröffnet, die für die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes von Bedeutung sind.279 Entsprechend den Erwägungsgründen zur Handelsvertreterrichtlinie ließe sich auch für andere Vertriebsverträge begründen, eine Angleichung sei notwendig, um bestehende Wettbewerbsverzerrungen abzubauen und die grenzüberschreitende Berufsausübung in der Union zu erleichtern.280 Eine potentielle Kompetenz des Unionsgesetzgebers, das Recht sonstiger Vertriebsverträge zu harmonisieren, bestünde folglich, eine Rechtsfortbildung des EuGH dürfte diesen Bereich als „interne Lücke“ also betreffen. Gegen die 275
Vgl. Mankowski, IHR 2008, 133, 147; a.A.: Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 309. Grabitz/Hilf/Bast/von Bogdany Art. 5 EUV Rn. 13. 277 Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre, S. 373, 385 Rn. 29 f. 278 Vgl. zur Unterscheidung zwischen internem und externem System: Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre, S. 373, 385 Rn. 29 f. 279 Grabitz/Hilf/Tietje Art. 95 EGV Rn. 34 ff. 280 Vgl. Erwägungsgrund 1 der RL 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter. 276
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Annahme einer Analogie spricht auch nicht, dass die vom Unionsrecht geregelten Bereiche vor dem Hintergrund der Gesamtrechtsordnung per se Ausnahmecharakter aufweisen. 281 Aus dem Gleichheitsgrundsatz des Unionsrechts folgt vielmehr, dass gleiche Tatbestände ggf. per Analogie zur gleichen Rechtsfolge führen. 282 Die Übereinstimmungen zwischen der Tätigkeit des Handelsvertreters und der des Vertragshändlers sowie des Franchisenehmers sind bereits untersucht worden. 283 Wie im deutschen Recht ist es daher auch auf Unionsebene vertretbar, aufgrund der strukturellen Ähnlichkeiten der Vertragstypen eine vergleichbare Interessenlage anzunehmen. Zweifelhaft erscheint indes, ob die Lücke auch planwidrig ist. Das Handelsvertreterrecht hat der Unionsgesetzgeber mittels Richtlinie vereinheitlicht, die den Mitgliedstaaten beträchtliche Umsetzungsspielräume lässt. 284 Das heißt, die Lückenhaftigkeit der Regelung des Unionsrechts ist zum Teil sogar beabsichtigt.285 Darauf zu schließen, der Unionsgesetzgeber habe zwar bereits das Handelsvertreterrecht nicht abschließend regeln wollen, wohl aber sei die zum Handelsvertreterrecht ergangene Regelung auf andere Vertriebsverträge zu übertragen, erscheint gewagt. Auch die bisherige Kasuistik des Gerichtshofs legt einen behutsamen Umgang mit dem Instrument der Analogie nahe. So hat der Gerichtshof etwa Lücken innerhalb einer Verordnung per Analogie geschlossen286 oder erwogen, Ausnahmen vom Anwendungsbereich einer Richtlinie auf eine andere Richtlinie anzuwenden.287 Soweit ersichtlich hat der Gerichtshof bislang jedoch noch keine vom Unionsgesetzgeber unberührte Materie qua Analogie einer unionsrechtlichen Regelung unterworfen. Eine analoge Anwendung der Handelsvertreterrichtlinie durch den EuGH auf sonstige Vertriebsverträge und erst recht eine der zu ihrer international zwingenden Geltung entwickelten Grundsätze ist daher unwahrscheinlich. 288 Naheliegend ist eine Übertragung der Erwägungen des EuGH freilich für den Fall, dass die Union selbst eine mit der Handelsvertreterrichtlinie vergleichbare Regelung des Vertragshändler- oder Franchisevertrags schaffen sollte. In diesem Fall wäre ein entsprechend gestalteter Ausgleichsanspruch sowohl im Hinblick auf den dadurch gewährten Schutz, insbesondere aber aufgrund der 281
Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre, S. 373, 385 Rn. 37. Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre, S. 373, 385 Rn. 32. 283 Siehe bereits oben § 1A. 284 Siehe bereits oben § 2A. 285 Vgl. freilich allgemeiner: Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre, S. 373, 385 Rn. 30. 286 EuGH, Urteil vom 19.11.2009, Rs. C-402/07 und C-432/07 (Christopher Sturgeon, Gabriel Sturgeon und Alana Sturgeon gegen Condor Flugdienst GmbH (C-402/07) und Stefan Böck und Cornelia Lepuschitz gegen Air France SA (C-432/07)), EuZW 2009, 890, 892 f. 287 EuGH, Urteil vom 11.05.2006, Rs. C-340/04 (Carbotermo SpA und Consorzio Alisei gegen Comune di Busto Arsizio und AGESP SpA), EuGHE 2006, 4137 Rn. 51. 288 Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2120. 282
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bezweckten Wettbewerbsangleichung, als international zwingend einzustufen. (ii) Folgen für das mitgliedstaatliche Recht Eine von den obigen Ausführungen losgelöste Frage stellt die Übertragung der Ingmar-Grundsätze auf vergleichbare Fälle im mitgliedstaatlichen Recht dar. Die herrschende Meinung in Deutschland bejaht die analoge Anwendung des § 89b HGB auf den Vertragshändler 289 und den Franchisenehmer 290. Fraglich ist, ob im Lichte der Ingmar-Rechtsprechung auch der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers und Franchisenehmers nach deutschem Recht als Eingriffsnorm zu qualifizieren ist. Insofern sind aus der EuGH-Entscheidung nur sehr bedingt Schlüsse für das mitgliedstaatliche Recht zu ziehen. Der Gerichtshof äußert sich ausschließlich zur Auslegung der Richtlinie, die europarechtlich allein für Handelsvertreter greift.291 Allein soweit Handelsvertreter betroffen sind, bindet die Einschätzung des EuGH die Mitgliedstaaten.292 Eine Pflicht der Mitgliedstaaten, Art. 17 HandelsvertreterRL international zwingend auf Vertragshändlerverträge anzuwenden, besteht folglich nicht.293 Kindler will einen Schutz des Vertragshändlers dadurch erreichen, dass er die Wahl einer mit dem Sachverhalt nicht hinreichend verbundenen Rechtsordnung unter dem Gesichtspunkt der Umgehung 294 als unzulässig ansieht. 295 Für die „Ingmar-Konstellation“ wäre diese Lösung bereits nicht zielführend, weil Kindler auch die am Sitz des Lieferanten geltende Rechtsordnung als mit dem Sachverhalt hinreichend verbunden ansieht. 296 Hiernach wäre drittstaatliches Recht folglich wählbar. Darüber hinaus überzeugt der Rückgriff auf das Institut der Gesetzesumgehung bereits systematisch nicht, um weitere Einschränkungen der Rechtswahl zu schaffen. Die Rom I289
BGH, Urteil vom 03.03.1983, NJW 1983, 1789; BGH, Urteil vom 16.01.1986, WM 1986, 530; BGH, Urteil vom 08.06.1988, NJW-RR 1988, 1305; BGH, Urteil vom 07.11.1991,WM 1992, 825, 827; BGH, Urteil vom 10.02.1993, WM 1993, 1464, 1466; Niebling, BB 1997, 2388, 2389; Oetker/Busche § 89b Rn. 60; K. Schmidt, Handelsrecht § 28 III 2; Thume, BB 1994, 2358, 2359 290 OLG Celle, Urteil vom 19.04.2007, BB 2007, 1862; LG Frankfurt a.M., Urteil vom 19.11.1999, EWiR 2004, 69; Baumbach/Hopt § 84 Rn. 12; Eckert, WM 1991, 1237, 1245 f.; Köhler, NJW 1990, 1689, 1690 ff.; Martinek/Semler/Habermeier/Martinek/ Habermeier § 25 Rn. 71; Matthießen, ZIP 1988, 1089, 1096; MünchKommHGB/Hoyningen-Huene § 89b Rn. 24; Schacherreiter, Das Franchise-Paradox, S. 57 f.; K. Schmidt, Handelsrecht, S. 770 ff. 291 Reithmann/Martiny/Häuslschmid Rn. 2307. 292 Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2120; Reithmann/Martiny/Häuslschmid Rn. 2307. 293 Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 310; Reithmann/Martiny/Häuslschmid Rn. 2307. 294 Zum Begriff: von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 122 ff.; Kegel/Schurig, IPR § 14. 295 Kindler, RIW 1987, 660, 664. 296 Kindler, RIW 1987, 660, 661.
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Verordnung eröffnet mit Ausnahme der Art. 3 Abs. 3 und 4 grundsätzlich die Möglichkeit auch eine unbeteiligte Rechtsordnung zu wählen, die Einschränkungen der Art. 5 ff. Rom I-VO sind insoweit als abschließend anzusehen. 297 Denkbar wäre es freilich, dass etwa deutsche Gerichte sich im Rahmen einer analogen Anwendung des § 89b HGB der Argumentation des EuGH anschlössen und auf vergleichbare Weise den Eingriffsnormcharakter auch für Vertragshändler und Franchisenehmer bejahten. Da der BGH den bloßen von einer Norm bezweckten Individualschutz zu Recht nicht ausreichen lässt, um deren Eingriffsnormqualität zu begründen, wäre weiterhin erforderlich, dass § 89b HGB auch im Hinblick auf den Vertragshändler ein öffentliches Interesse verfolgte. 298 Zweifelhaft ist, ob sich die Wettbewerbserwägung des EuGH mangels unionsweiter Vereinheitlichung des Vertragshändlerrechts auf die analoge Anwendung übertragen lässt. Begründen ließe sich dies mit der analogen Erwägung, ein allein in Deutschland ansässiger Lieferant sei aufgrund des Binnensachverhalts (Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO) an deutsches einfach zwingendes Recht gebunden, wogegen ausländische Unternehmer das Recht eines anderen Staates vereinbaren könnten, das keinen Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers kenne und somit Kostenersparnisse an Kunden weitergeben könnten. Soweit ersichtlich ist eine derartige Argumentation in der deutschen Rechtsprechung jedoch bislang ohne Präzedenzfall. Vielmehr hat die deutsche Rechtsprechung vor der Ingmar-Entscheidung den international zwingenden Charakter des § 89b HGB bereits in direkter Anwendung auf Handelsvertreter aus gutem Grund verneint.299 Es liegt folglich nahe, diese Ansicht der Rechtsprechung auch auf die analoge Anwendung zu übertragen. 300 Ebenso wenig kommt die Qualifikation sonstiger Schutznormen des deutschen Rechts als Eingriffsnormen in Betracht.301 (iii) Teleologische Reduktion der Ingmar-Grundsätze? Versucht man aus der Ingmar-Entscheidung des EuGH weitere, allgemeine Schlüsse ziehen, so stellt sich die Frage, ob sich Art. 17 HandelsvertreterRL auch dann gegen eine Rechtswahl durchsetzt, wenn das gewählte Recht dem Handelsvertreter einen vergleichbaren oder einen weitergehenden Ausgleichsanspruch als das Unionsrecht gewährt. Sieht man die Begründung des international zwingenden Charakters der Norm primär im Schutz des Handelsvertreters, so liegt das Ergebnis auf der Hand. Erfährt der Handelsvertre297
Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 307; Reithmann/Martiny/Häuslschmid Rn. 2309. 298 BGH, Urteil vom 13.12.2005, NJW 2006, 762, 763 f. 299 BGH, Urteil vom 30.01.1961, NJW 1961, 1061. 300 MünchKommBGB/Martiny, Art. 4 Rom I-VO Rn. 117; Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2120. 301 MünchKommBGB/Martiny, Art. 4 Rom I-VO Rn. 117.
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ter durch eine drittstaatliche Rechtsordnung einen vergleichbaren Schutz, bedarf es keiner zwingenden Durchsetzung des Unionsrechts. Zu beachten ist indes, dass viele drittstaatliche Schutzvorschriften häufig ihrerseits ihren Anwendungsbereich auf in ihrem Staat ansässige Parteien beschränken. 302 Generalanwalt Léger weist darauf hin, dass es der Richtlinie allein auf die Verhinderung einer Beeinträchtigung der vermögensrechtlichen Stellung des Handelsvertreters ankommt. 303 Eine Einschränkung der Parteiautonomie aufgrund zwingender Durchsetzung des Unionsrechts wäre mangels einer derartigen Beeinträchtigung nicht zu rechtfertigen. 304 In der Literatur wird vorgeschlagen, dazu einen Günstigkeitsvergleich zwischen dem durch Rechtswahl berufenen Statut und dem Mindeststandard der Richtlinie durchzuführen. 305 In Betracht käme ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken der Art. 6 Abs. 2, 8 Abs. 1 Rom I-Verordnung.306 Da die Richtlinie nur einen sehr begrenzten Teil des Handelsvertreterrechts reguliert und bislang nur der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters als international zwingend eingestuft worden ist, wäre ein solcher Günstigkeitsvergleich bei isolierter Betrachtung der nachvertraglichen Ansprüche nach einer wie der anderen Rechtsordnung ohne größere Schwierigkeiten durchzuführen. 307 Dass dies kein Sonderproblem des Handelsvertreterrechts ist, zeigt ein Blick auf den ebenfalls international zwingenden, in § 32 UrhG normierten Vergütungsanspruch des Urhebers, der ganz primär einen Schutz des Urhebers vor parteiautonomer Abbedingung deutschen Rechts bewirkt. 308 Auch für diesen Anspruch wird vorgeschlagen, mittels teleologischer Reduktion ausnahmsweise auf die Durchsetzung deutscher Eingriffsnormen zu verzichten, wenn das qua Rechtswahl bestimmte ausländische Recht dem Urheber einen vergleichbaren oder günstigeren Vergütungsanspruch sichert. 309 Das Anliegen einer teleologischen Reduktion ist verständlich und macht doch ein weiteres Mal die mangelhafte Eignung von Eingriffsnormen zum Schutze einer Partei deutlich. Denn Eingriffsnormen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie unbedingte und vom gewählten Recht unabhängige Anwendung beanspruchen. Einem Günstigkeitsvergleich sind sie damit im Grunde nicht zugänglich. Problematischer ist die Vornahme eines Günstigkeitsvergleichs im Übrigen, wenn man die Wettbewerbsangleichung als primären Begründungsstrang 302
Insbesondere zum US-amerikanischen Recht: unten § 2C.IV.3. Léger, EuGHE 2000 I 9307, 9320 Rn. 75. 304 Font y Segura, EuLF 2000/01, 179, 181; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 310; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 67; Staudinger, NJW 2001, 1974, 1976. 305 Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 310; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 67; ähnlich zu Verbraucherschutz-Richtlinien: Staudinger, IPRax 1999, 414, 417. 306 Vgl. Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 310; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 67. 307 Vgl. zum Günstigkeitsprinzip beim Verbrauchervertrag: MünchKommBGB/Martiny Art. 6 Rom I-VO Rn. 47. 308 Pütz, Parteiautonomie im internationalen Urhebervertragsrecht, S. 177. 309 Pütz, Parteiautonomie im internationalen Urhebervertragsrecht, S. 177 f. 303
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des EuGH für den international zwingenden Charakter der Norm mit in die Abwägung einbezieht. 310 Wie bereits ausgeführt, misst der Gerichtshof der Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zur Begründung des Eingriffsnormcharakters des Art. 17 HandelsvertreterRL eine hohe Bedeutung bei.311 Die in Bezug auf den Schutz des Handelsvertreters durchaus denkbare Lösung eines Günstigkeitsvergleichs stößt hier an ihre Grenzen. Ziel der Wettbewerbsangleichung durch den international zwingenden Art. 17 HandelsvertreterRL ist das Funktionieren des Binnenmarktes und die Verhinderung der Benachteiligung von mitgliedstaatlichen Unternehmern gegenüber solchen aus Drittstaaten. 312 Der Schutz von Individualinteressen tritt in den Hintergrund. Der dem Rechtsgedanken der Art. 6 Abs. 2, 8 Abs. 1 Rom I-VO entnommene Günstigkeitsvergleich hingegen findet vor dem Horizont einer konkreten Vertragspartei statt. 313 Will man die Durchsetzung einer drittstaatlichen Norm, die den Handelsvertreter gegenüber europäischem Recht begünstigt, vor dem wettbewerblichen Hintergrund bewerten, so sind deren Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen in der Union ansässigen Unternehmern und solchen in Drittstaaten zu prüfen. Wählen ein drittstaatlicher Unternehmer und ein in der Union tätiger Handelsvertreter das Heimatrecht des Unternehmers, welches dem Handelsvertreter einen günstigeren Ausgleichsanspruch gewährt als Art. 17 HandelsvertreterRL, so sind die negativen Auswirkungen auf in der Union tätige Unternehmer sehr begrenzt. Eine drittstaatliche Niedrigpreiskonkurrenz ist nicht zu befürchten, da der drittstaatliche Unternehmer den höheren Ausgleichsanspruch wiederum in seine Preiskalkulation einbeziehen müsste. Zu bedenken ist des Weiteren, dass die Handelsvertreterrichtlinie aufgrund der alternativen Umsetzungsmöglichkeiten in Art. 17 ohnehin keine vollständige Vereinheitlichung des Handelsvertreterrechts vornimmt, sondern allein einen Mindeststandard schafft, der nicht unterschritten werden soll. 314 Eine einheitliche Wettbewerbssituation wird damit schon innerhalb der Union nicht hergestellt, sodass erst recht Abweichungen vom Mindeststandard, die letztlich zulasten des drittstaatlichen Unternehmers wirken dürften, keine Verzerrung des Wettbewerbs zulasten der in der Union ansässigen Unternehmer bewirken. 315 Damit entfällt freilich das öffentliche Interesse, das die international zwingende Durchsetzung des Art. 17 HandelsvertreterRL gegenüber dem von den Parteien gewählten dritt310
Vgl. zum Wohnungsmietrecht: Kropholler, RabelsZ 42 (1978), 634, 652; siehe zudem: Font y Segura, EuLF 2000/01, 179, 181; weniger kritisch: Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 67. 311 § 1B.V.2.b)(iii). 312 § 1B.V.2.b)(iii). 313 MünchKommBGB/Martiny Art. 6 Rom I-VO Rn. 46 f.; Art. 8 Rn. 40. 314 EuGH (Fn. 173), EuGHE 2000 I 9325, 9334 Rn. 21; Font y Segura, EuLF 2000/01, 179, 180; ausführlich: Fock, in: Saenger/Schulze (Hrsg.) S. 62, 77 ff. 315 Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 67.
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staatlichen Recht rechtfertigt. Eine international zwingende Durchsetzung des Art. 17 HandelsvertreterRL ist folglich auch aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive nur dann geboten, wenn das ausländische Recht vom Schutzniveau der Richtlinie negativ abweicht. 316 In einem zweiten Schritt wäre freilich zu überprüfen, ab welcher Intensität einer Abweichung Wettbewerbsverzerrungen zu befürchten sind. Dies ist deutlich schwerer zu bewerten als die einem Günstigkeitsvergleich eher zugängliche Schutzwirkung der Norm. Es wird deutlich, dass die teils sonderprivatrechtlich, teils ordnungspolitisch begründete international zwingende Geltung die Vornahme eines Günstigkeitsvergleichs erschwert. 317 Da der Schutzaspekt allein jedoch keine international zwingende Geltung begründen kann, weisen Eingriffsnormen im Ergebnis nicht die nötige Flexibilität auf, um einen wirksamen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers zu gewährleisten. e) Zwischenergebnis Wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt, fällt es schwer, die IngmarEntscheidung zu verallgemeinern. Es ist bereits unsicher, ob der EuGH auch unter der nunmehr geltenden Definition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO vergleichbare Konstellationen entsprechend entscheiden würde. 318 Inwieweit sich übertragbare Tendenzen aus dem Urteil ableiten lassen, bleibt Spekulation. Zwar erzielt die international zwingende Anwendung der Richtlinie tatsächlich ein höheres Schutzniveau des in der Union tätigen Handelsvertreters im internationalen Rechtsverkehr, weil ihm durch Rechtswahl der Ausgleichsanspruch nicht entzogen werden kann. Jedoch folgt aus „Ingmar“ auch eine nicht zu unterschätzende Rechtsunsicherheit, weil sich zum einen aus den knappen, vagen Aussagen des Gerichtshofs kaum Grundsätzliches ableiten lässt,319 zum anderen jedoch die quantitative Ausdehnung der als Eingriffsnormen zu qualifizierenden Bestimmungen möglich erscheint, weil eine Vielzahl von Bestimmungen letztlich wettbewerbsrelevant sind. 320 Mit Schaffung der Rom I-Verordnung hat der Unionsgesetzgeber in dieser Hinsicht keine Verbesserungen erzielt, denn die vage Definition des Art. 9 Rom I-VO gibt dem Rechtsanwender nur wenig mehr Sicherheit an die Hand, um zu erkennen, wann international zwingendes Recht vorliegt.321
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Ebenso: Font y Segura, EuLF 2000/01, 179, 181; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 310; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 67; Staudinger, NJW 2001, 1974, 1976. 317 Kropholler, RabelsZ 42 (1978), 634, 652. 318 MünchKommBGB/Sonnenberger (5. Auflage) IPR Einl. Rn. 190; Reithmann/ Martiny/Häuslschmid Rn. 2223. 319 Vgl. Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 311. 320 Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 61 f. 321 Magnus, IPRax 2010, 27, 41; Mankowski, IPRax 2006, 101, 109; ders., IHR 2008, 133, 147; anders noch die Hoffnung von Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 311.
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3. Die Subunternehmerentscheidung der Cour de cassation Während es dem europäischen Gesetzgeber grundsätzlich frei steht, weitere Kollisionsnormen zum Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers innerhalb oder außerhalb der Rom I-Verordnung zu schaffen,322 bleibt für die Mitgliedstaaten zu diesem Zwecke allein die Öffnung des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO. Der mitgliedstaatliche Versuch diese Lücke zu nutzen, findet sich beispielsweise in der belgischen Rechtsprechung zum Schutz des Vertragshändlers und in der französischen zum Schutz des Subunternehmers. 323 An der Rechtsprechung der französischen Cour de cassation zum französischen Subunternehmer soll dieses Vorgehen im Folgenden exemplarisch untersucht werden. Im Jahre 2007 entschied der französische Gerichtshof, die Bestimmungen des französischen Subunternehmergesetz (SubUntG)324 seien international zwingendes Recht im Sinne von Art. 7 Abs. 2 EVÜ, sofern sich die Baustelle, auf welcher der Subunternehmer tätig geworden sei, in Frankreich befinde.325 Es folgten mehrere bestätigende Entscheidungen der Cour de Cassation.326 Die Subunternehmerentscheidungen weisen eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zur Ingmar-Konstellation auf. Auch in den französischen Fällen handelt es sich um ein Schutzgesetz, das dem strukturell unterlegenen Unternehmer einen schuldrechtlichen Anspruch zubilligt, der zugleich die Preiskalkulation des Auftraggebers prägen dürfte und folglich wettbewerbsrelevant ist. a) Der Sachverhalt und die Entscheidung Die den Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte sind recht ähnlich: Es wird ein französischer Subunternehmer für einen deutschen Generalunternehmer auf einer französischen Baustelle tätig, vertraglich vereinbart wird die Anwendung deutschen Rechts. Zunächst war der Gerichtshof am 23. Januar 2007 davon ausgegangen, die Vorschriften des Subunternehmergesetzes, relevant ist dabei vor allem der Durchgriffsanspruch nach Art. 12, seien keine Eingriffsnormen im Sinne des (damals noch geltenden) Art. 7 Abs. 2 EVÜ.327 Diese Ansicht stieß nicht nur in der französischen Literatur auf Zustimmung. 328 322
Vgl. Staudinger/Magnus, Art. 23 Rom I-VO Rn. 17. Zum belgischen Recht : Rigaux/Fallon, Droit International Privé, Rz. 1342. 324 Loi n° 75–1334 du 31 décembre 1975 relative à la sous-traitance. 325 Cass. mixte, 30.11.2007, D 2008, 5. 326 Cass. civ., 30.01.2008, Bull. Civ. III Nr. 16; Cass. civ., 08.04.2008, Urteil N° 07– 10.763, Clunet 2008, 1075. Cass. civ., 25.02.2009, Urteil N° 07–20.096, Bulletin d’information n° 250. 327 Cass. civ. 1e, 23.01.2007, D. 2007, 2568; zur diesbezüglichen materiellen Recht bereits oben § 2B.II. 328 Borysewicz/Loncle, D 2007, 2008; Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 505; C. Roth/Brüning, Les Annonces de la Seine N° 51, 23.07.2007, S. 4ff; anders wohl ein 323
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Diese Rechtsprechung änderte sich freilich noch im selben Jahr. Am 30. November 2007 entschied die chambre mixte329 der Cour de cassation entgegensetzt.330 Der zugrundeliegende Sachverhalt war weitgehend identisch mit dem der vorangegangenen Entscheidung, es handelte sich sogar um dieselbe Baustelle, allein der klagende Subunternehmer war ein anderer. Vertraglich vereinbart war die Anwendung deutschen Rechts. Die Cour de cassation bejahte dennoch die Möglichkeit eines Direktanspruchs gegen den Auftraggeber und begründete dies mit der Qualifikation von Art. 12 des Subunternehmergesetzes als international zwingendes Recht im Sinne von Art. 7 Abs. 2 EVÜ,331 der unabhängig von der aufgrund Rechtswahl anwendbaren Rechts Anwendbarkeit beanspruche. Noch etwas weiter ging das Gericht mit seiner Entscheidung vom 30. Januar 2008.332 In dem zugrundeliegenden Sachverhalt beauftragte eine belgische Gesellschaft einen deutschen Generalunternehmer, der wiederum einen ebenfalls deutschen Subunternehmer betraute. Der Hauptauftrag unterstand aufgrund Rechtswahl schweizerischem Recht, der Subunternehmervertrag deutschem Recht. Nach Insolvenz des Generalunternehmers verklagte der Subunternehmer eine französische Tochtergesellschaft der Auftraggeberin, auf welche die Ansprüche übergegangen waren, in Frankreich. Der einzige Bezug der ursprünglichen Dreiparteienkonstellation zu Frankreich bestand in der dort gelegenen Baustelle. Der Durchgriffsanspruch wurde dennoch als rechtswahlfest angesehen. In weiteren, wiederum sehr ähnlichen Sachverhalten festigte die Cour de Cassation ihre Rechtsprechung in Entscheidungen vom 8. April 2008333 sowie 25. Februar 2009334. Die Begründungen von Generalanwalt und Gericht in der Entscheidung der chambre mixte lehnen sich an die Ingmar-Entscheidung des EuGH an und
“offener Brief” französischer Rechtswissenschaftler, Sem. Jur. 2006, 2313, der indes seinerseits auf heftige Kritik stieß (dazu Jayme, IPRax 2008, 187); Ein Überblick über die Reaktionen in der französischen Literatur zu den Subunternehmerentscheidungen findet sich bei Niggemann, IPRax 2009, 444, 447. 329 Die Chambre mixte ähnelt in ihrer Funktion dem Großen Senat des BGH. Sie tritt nach Art. L. 431–5 des Code de l’organisation judiciaire zusammen, wenn eine Kammer der Cour de cassation von der vorherigen Entscheidung einer anderen Kammer abzuweichen beabsichtigt. 330 Cass. mixte, 30.11.2007, N° 06–14.006, D. 2008, 5 m. Anm. Delpech. 331 Bereits zweifelhaft ist, ob das EVÜ angesichts der durch den EuGH vorgenommenen deliktischen Qualifikation der action directe (EuGH, Urteil vom 17.06.1992, Jakob Handte & Co. GmbH ./. Traitements mécano-chimiques des surfaces SA, Rs. 26/91, EuGHE 1992 I 3967) überhaupt einschlägig ist. Diese Frage soll hier jedoch dahinstehen, da auch Art. 16 der andernfalls einschlägigen Rom II-VO der Berücksichtigung von Eingriffsnormen Raum lässt. 332 Cass. civ., 30.01.2008, Bull. Civ. III Nr. 16. 333 Cass. civ., 08.04.2008, Urteil N° 07–10.763, Clunet 2008, 1075. 334 Cass. civ., 25.02.2009, Urteil N° 07–20.096, Bulletin d’information n° 250.
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verweisen auf diese. 335 Die Erwägungen ähneln den oben angestellten. Das Subunternehmergesetz bezwecke den Schutz einer strukturell unterlegenen Vertragspartei und sei daher gemäß Art. 15 SubUntG einfach zwingendes Recht.336 Die zweite zentrale Erwägung, auf welche sich das Gericht in seiner Entscheidung beruft, ist die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen. 337 Das Subunternehmergesetz stelle eine erhebliche Belastung des Auftraggebers dar, die für die Vertragspartner des Subunternehmers einen besonderen Anreiz bildeten, eine andere Rechtsordnung zu wählen als die französische. In reinen Binnensachverhalten ermögliche auch eine Rechtswahl aufgrund von Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO keine Abwahl zwingenden französischen Rechts. 338 Gestattete die französische Rechtsprechung in Konstellationen mit Auslandsberührung, etwa in Verträgen mit ausländischen Subunternehmern, die Abwahl der zwingenden Bestimmungen des Subunternehmergesetzes, entstünde ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für französische Subunternehmer.339 Die Schutzanordnung des französischen Gesetzgebers zugunsten des Subunternehmers würde dessen Position im internationalen Wettbewerb erheblich schwächen. Mithin diene die Qualifikation als Eingriffsnorm nicht zuletzt, wenn nicht sogar primär, 340 der Beibehaltung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft. 341 b) Analyse des Urteils Zwar war die Rom I-Verordnung auch zum Zeitpunkt der Urteile der Cour de cassation nicht in Kraft getreten, indes bietet es sich auch hier an, mangels zuvor bestehender allgemeingültiger Definition zu prüfen, ob der aus Art. 12 SubUntG folgende Anspruch nach geltender Rechtslage als international zwingendes Recht anzusehen ist. Dies wäre nach Art. 9 Rom I-VO der Fall, wenn die Norm einen internationalen Geltungswillen aufwiese sowie ein übergeordnetes öffentliches Interesse verfolgte. Der Wortlaut ist dabei von geringer Aussagekraft. Gemäß Art. 12 Abs. 2 und Art. 15 SubUntG sind Parteivereinbarungen, welche die Bestimmungen des Subunternehmergesetzes und insbesondere den Durchgriffsanspruch ab335 Stellungnahme des Generalanwalts Guérin Fn. 39, abrufbar unter . 336 Cass. mixte 30.11.2007, N° 06–14.006, D 2008. 5; siehe auch insbesondere die Einlassungen des Generalanwalts Guérin, abrufbar unter . 337 Ausführlich hierzu die Ausführungen des Generalanwalts Guérin, abrufbar unter . 338 Vgl. Palandt/Thorn Art. 3 Rom I-VO Rn. 5. 339 Stellungnahmen von Generalanwalt Guérin und Berichterstatterin Monéger, abrufbar unter ; zustimmend: Kondring, RIW 2009, 118, 123. 340 Vgl. Boyault/Lemaire, D 2008, 753; Kondring, RIW 2009, 118, 123. 341 Dies ergibt sich wiederum aus den Stellungnahmen von Generalanwalt Guérin und Berichterstatterin Monéger, abrufbar unter .
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bedingen, unwirksam. Freilich begründet dies allein den intern zwingenden Charakter des Gesetzes.342 Für den internationalen Geltungswillen ist der Wortlaut lediglich ein Indiz. Es ist folglich eine teleologische Auslegung vorzunehmen, um festzustellen, ob der Durchgriffsanspruch des Subunternehmers so entscheidend für die Wahrung der französischen öffentlichen Ordnung ist, dass er auch gegenüber einer anderslautenden Rechtswahl Geltung zu beansprucht.343 Wie schon in Ingmar kommt zunächst das Ziel des Gesetzes in Betracht, dem Subunternehmer Schutz aufgrund seiner strukturellen Unterlegenheit zu gewähren.344 Wie oben bereits ausgeführt, sind Subunternehmer typischerweise nicht in der Lage, sich in Vertragsverhandlungen mit einem Generalunternehmer durchzusetzen, was seine Begründung in ihrer regelmäßig geringen Größe sowie dem erheblichen Wettbewerb mit konkurrierenden Subunternehmern findet. Darüber hinaus besteht zumeist eine starke finanzielle Abhängigkeit von der umgehenden Begleichung von Forderungen gegenüber dem Generalunternehmer. 345 Dass diese Annahme nicht in jedem Fall zutrifft, es sich beim Subunternehmer im der Cour de cassation vorliegenden Fall sogar um eine Konzerngesellschaft mit gewisser Marktmacht handelte, stellt dabei für sich genommen noch kein valides Gegenargument dar. 346 Der französische Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, den Schutz des Subunternehmers aufgrund der pauschalen Annahme struktureller Unterlegenheit zu gewährleisten. Dennoch stellt sich auch an dieser Stelle die Frage, ob der Schutz des Subunternehmers ein für die Wahrung der wirtschaftlichen Organisation Frankreichs entscheidendes öffentliches Interesse im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO darstellt.347 Stellt man als Zweck des Gesetzes allein auf den unmittelbaren Individualschutz des Subunternehmers vor vertraglichen Benachteiligungen ab, so ist die Annahme eines solches Interesses zweifelhaft, denn wie oben ausgeführt, bedarf es zumindest eines korrespondieren öffentlichen Interesses, wenn man Sonderprivatrecht als Eingriffsnorm zu qualifizieren beabsichtigt. 348 Ein solches ließe sich annehmen, wenn man den Schutz des Subunternehmers nur als erforderliches Mittel ansieht, um die Funktionsfähigkeit der französischen Bauwirtschaft zu gewährleisten. So argumentiert die Cour de cassation, der Schutz des Subunternehmers durch den Direktanspruch gegen den Auftraggeber diene der Verhinderung von 342
Vgl. das Votum der Berichterstatterin Monéger, B b) 1., abrufbar unter ; zustimmend: Kondring, RIW 2009, 118, 122. 343 Piroddi, YbPIL 2008, 593, 600 f. 344 So auch die Stellungnahme des Generalanwalts Guérin, abrufbar unter . 345 Siehe schon oben § 2B.II. 346 A.A.: Piroddi, YbPIL 2008, 593, 604. 347 Zweifelnd auch Kondring, RIW 2009, 118, 122. 348 Siehe hierzu schon oben § 1B.V.1.a).
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Insolvenzen in der Subunternehmerbranche und dadurch mittelbar der Stabilität eines ganzen Wirtschaftssektors. 349 Andernfalls, so die Erwägung des Gerichtshofs, könnte die Insolvenz schon einer geringen Anzahl von Generalunternehmern, nachfolgende Insolvenzen der mit diesen vertraglich verbundenen Subunternehmer bewirken und damit einen Sektor, der von großer Bedeutung für die französische Wirtschaft ist, erheblich beeinträchtigen. 350 Erkennt man an, dass die Funktionsfähigkeit der Subunternehmerbranche von ihrem Schutz vor Insolvenzen durch Art. 12 SubUntG abhängt und diese Branche zugleich einen relevanten Anteil an der französischen Wirtschaftsleistung hat, so scheint es vertretbar, den international zwingenden Schutz des Subunternehmers tatsächlich als erforderlich zur Wahrung eines übergeordneten öffentlichen Interesses im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO anzusehen. Hierin liegt ein relevanter Unterschied zur Ingmar-Entscheidung des EuGH, in welcher zweifelhaft war, ob der Individualschutz des Handelsvertreters von signifikanter wirtschaftlicher Bedeutung für die Europäische Union ist. 351 Fraglich ist freilich, ob diese Argumentation auch in Fällen trägt, in denen es sich beim Subunternehmer zu dessen Gunsten der Durchgriffsanspruch des Art. 12 SubUntG international zwingend angewendet wird, nicht um einen in Frankreich ansässigen Betrieb handelt. 352 In der Entscheidung der Cour de cassation vom 30. Januar 2008 353 kommt der Schutz des Subunternehmergesetzes einem deutschen Subunternehmer zugute, den alleinigen Bezug zu Frankreich stellte die in Frankreich belegene Baustelle dar. Die These, der Schutz eines deutschen Subunternehmers bzw. der deutschen Subunternehmerbranche sei von besonderer Relevanz für die Wahrung öffentlicher französischer Interessen, lässt sich schwerlich begründen. 354 Das Beharren des Gerichtshofs auf seiner Argumentation auch in dieser Konstellation lässt Zweifel an den Behauptung des Gerichts aufkommen, die international zwingende Wirkung des Subunternehmergesetzes diene primär dazu, Ketteninsolvenzen zu vermeiden und damit die Stabilität der Branche zu sichern. 355 Während eine Anknüpfung des international zwingenden Charakters des Art. 12 SubUntG an die französische Nationalität des Subunternehmers wohl recht offensichtlich mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV kollidieren würde,356 wäre eine Anknüpfung an den Sitz des Subunternehmers in Frank349
Votum der Berichterstatterin Monéger, B b) 2., abrufbar unter . 350 Votum der Berichterstatterin Monéger, B b) 2., abrufbar unter . 351 Siehe schon oben § 1B.V.2.b)(ii). 352 Kritisch auch: d’Avout/Bollée, D 2008, 2560, 2565; Piroddi, YbPIL 2008, 593, 606. 353 Cass. civ., 30.01.2008, Bull. Civ. III Nr. 16. 354 Kritisch auch: d’Avout/Bollée, D 2008, 2560, 2565; Piroddi, YbPIL 2008, 593, 606. 355 Boyault/Lemaire, D 2008, 753, 754; Piroddi, YbPIL 2008, 593, 607. 356 Votum der Berichterstatterin Monéger, B b) 2., abrufbar unter .
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reich möglicherweise in Betracht zu ziehen. Für eine solche ließe sich anführen, dass sie eher dem Zweck des Subunternehmergesetzes, die französische Subunternehmerbranche vor wirtschaftlichen Schieflagen zu bewahren, entspräche.357 Dass es nach Ansicht des Gerichtshofs für die international zwingende Anwendbarkeit des Durchgriffsanspruchs genügen soll, wenn die Baustelle in Frankreich belegen ist, spricht dafür, den entscheidenden Grund für die Qualifikation als Eingriffsnorm eher in der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zu sehen. 358 Die Argumentation ist mit derjenigen der IngmarEntscheidung vergleichbar.359 Könnten ausländische Subunternehmer in Frankreich tätig werden, ohne dass das Subunternehmergesetz Anwendung fände, so wäre ihre Beauftragung für den Generalunternehmer günstiger als die eines französischen Konkurrenten, denn der mit den Bestimmungen des Subunternehmergesetzes einhergehende Verwaltungsaufwand ebenso wie die zu erbringende Bürgschaft oder Bankgarantie verursachen für diesen Kosten, die der Generalunternehmer regelmäßig an den Auftraggeber weitergeben dürfte.360 Auch einem Direktanspruch wäre ein Auftraggeber nicht ausgesetzt, sodass auch er ein erhöhtes Interesse daran haben dürfte, ausländische Subunternehmer in Frankreich einzusetzen, die keinerlei diesbezügliche Kosten verursachen. Die Beauftragung eines französischen Subunternehmers verlöre aufgrund der Schutzbestimmungen erheblich an Attraktivität, er erlitte einen erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber ausländischen Konkurrenten. 361 Die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen, so ließe sich argumentieren, wird insoweit vom Telos des Subunternehmergesetzes erfasst, als die Schutzbestimmungen des Gesetzes andernfalls einen erheblichen Nachteil des zu schützenden Subunternehmers bewirken würden, ihr Schutzzweck mithin leerliefe. Nimmt man den Rückgriff auf das Argument der Wettbewerbsverzerrungen zur Begründung eines öffentlichen Interesses ernst, so folgt hieraus freilich die oben skizzierte, abzulehnende Ausuferung international zwingenden Rechts.362 c) Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten Anders als in der Ingmar-Konstellation ist im Falle mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen darüber hinaus zu untersuchen, ob die international zwingende Anwendung nationalen Rechts einen Eingriff in die Grundfreiheiten des 357
Berlioz, Sem. Jur. 2008, 1201, S. 23, 25; siehe auch Kondring, RIW 2009, 119, 123. Kondring, RIW 2009, 118, 123; Piroddi, YbPIL 2008, 593, 607. 359 So auch die Stellungnahme des Generalanwalts Guérin, abrufbar unter ; Kondring, RIW 2009, 118, 124; Piroddi, YbPIL 2008, 593, 608; siehe auch Niggemann, IPRax 2009, 444, 449 f. 360 Siehe hierzu bereits oben § 2B.II. 361 Kondring, RIW 2009, 118, 124; Piroddi, YbPIL 2008, 593, 607 f. 362 Kondring, RIW 2009, 118, 124 f. 358
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AEUV darstellen kann. In Betracht kommt insbesondere eine Verletzung der in Art. 56 AEUV garantierten Dienstleistungsfreiheit.363 Diese untersagt grundsätzlich Beschränkungen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten, unabhängig davon ob sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell wirken, auch dann wenn sie keine direkte Benachteiligung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstellen. 364 Das Erbringen von Bau- und Werkleistungen wie sie in der Subunternehmerbranche üblich sind, stellt dabei eine Dienstleistung im Sinne des Art. 56 AEUV dar.365 Zwar ist umstritten, ob sich aus den Grundfreiheiten vorbehaltlich einer Rechtfertigung das Gebot unbeschränkter Parteiautonomie ableiten lässt.366 Zweifelsohne können Beschränkungen der Rechtswahl abhängig von ihrer Intensität einen Eingriff in die Grundfreiheiten darstellen.367 Dies gilt nicht zuletzt für Eingriffsnormen, sofern diese den Marktzugang für ausländische Anbieter behindern.368 Insbesondere handelt es sich bei Eingriffsnormen zumeist nicht um bloße, von den Verkehrsfreiheiten nicht erfasste, Verkaufsmodalitäten im Sinne der Keck-Rechtsprechung 369 des EuGH.370 Denn Eingriffsnormen berühren in aller Regel nicht den Absatz inländischer und ausländischer Erzeugnisse und Dienstleistungen in gleicher Weise, sondern führen zu einer ungleich stärkeren Belastung des ausländischen Anbieters in grenzüberschreitenden Verträgen.371 Die Bestimmungen des Subuntergesetzes erhöhen den Verwaltungsaufwand von Generalunternehmer und Auftraggeber sowie deren Kosten. 372 Neben der offensichtlichen Kostensteigerung, die den Auftraggeber durch die mögliche direkte Inanspruchnahme nach Art. 12 SubUntG durch den Subun363 Piroddi, YbPIL 2008, 593, 610 f.; vgl. auch Kondring, RIW 2009, 118, 124; Niggemann, IPRax 2009, 444, 450; Perreau-Saussine, Clunet 2008, 1076, 1085. 364 Grabitz/Hilf/Randelzhofer/Forsthoff Art. 49/50 EGV Rn. 67; vgl. EuGH, Urteil vom 11.07.1974, Rs. 8/74, (Benoit und Gustave Dassonville), EuGHE. 1974, 837. 365 Grabitz/Hilf/Randelzhofer/Forsthoff Art. 49/50 EGV Rn. 46 mit umfangreichen Nachweisen. 366 Dahin gehend: Grundmann, IPRax 1992, 1, 4; W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 652; von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 4; zurückhaltender: Leible, FS Jayme, S. 485, 502 f. 367 Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S. 144 ff.; Grundmann, IPRax 1992, 1, 4; Leible, FS Jayme, S. 485, 502f; W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 652; von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 4. 368 Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S. 144 ff.; Grundmann, IPRax 1992, 1, 4; W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 660. 369 EuGH, Urteil vom 21.11.1993, verb. Rs. C-267/91; C-268/91 (Keck und Mithouard), EuGHE 1993, I-6097. 370 Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S. 135 ff.; von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 10. 371 Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S. 139 f.; von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 10. 372 Piroddi, YbPIL 2008, 593, 610.
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ternehmer trifft, ist der Generalunternehmer verpflichtet, bei Anwendbarkeit des Subunternehmergesetzes gemäß Art. 14 SubUntG zugunsten des Subunternehmers eine Bürgschaft zu erbringen oder auf einen Schuldbeitritt des Auftraggebers hinzuwirken. Aus Art. 3 SubUntG folgen weitere Anforderungen an Generalunternehmer und Auftraggeber. Letzterer hat ersteren zur Vorlage des Subunternehmervertrags zwecks Genehmigung aufzufordern. Der Generalunternehmer muss zugleich einen Nachweis über die Bürgschaft erbringen. Unternehmer aus anderen Mitgliedstaaten werden bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten in Frankreich durch das Subunternehmergesetz mit einem Haftungsregime konfrontiert, das zusätzliche wirtschaftliche und administrative Belastungen verursacht und sich nicht durch eine Rechtswahl beseitigen lässt.373 Der EuGH hat vergleichbare Regelungen als geeignet angesehen, die Attraktivität des Erbringens grenzüberschreitender Dienstleistungen zu senken.374 Die international zwingende Anwendbarkeit des Subunternehmergesetzes stellt damit einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV dar.375 Die Annahme eines Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit führt freilich noch nicht zu einem Verstoß gegen dieselbe. Die Rechtfertigung eines Eingriffs, der keine direkte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstellt,376 durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses ist möglich. 377 Auch eine Einschränkung der Parteiautonomie durch derart zwingende Gründe ist möglich. 378 In Betracht kommen zwei Argumentationsstränge zur Begründung eines rechtfertigenden zwingenden Allgemeininteresses. Sie entsprechen den oben zur Begründung eines öffentlichen Interesses im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO angeführten. Denkbar ist es zunächst, den Schutz der französischen Subunternehmer vor Benachteiligungen in Vertragsverhandlungen sowie die damit einhergehende Verhinderung von Insolvenzen als durch das Subunternehmergesetz verfolgten Zweck anzusehen. Es ist anzunehmen, dass dieser Zweck des Gesetzes, ein taugliches rechtfertigendes Allgemeininteresse im Sinne der Grundfreiheiten darstellt. 379 In Wolff & Mül373
Piroddi, YbPIL 2008, 593, 610. EuGH, Urteil vom 24.01.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções Lda), NZA 2002, 207, 208; EuGH, Urteil vom 12.10.2004, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller GmbH & Co. KG ./. José Filipe Pereira Félix), EuZW 2005, 93, 94. 375 Piroddi, YbPIL 2008, 593, 610 f.; vgl. auch Kondring, RIW 2009, 118, 124; Niggemann, IPRax 2009, 444, 450; Perreau-Saussine, Clunet 2008, 1076, 1085. 376 Dass zwingende Gründe des Allgemeinwohls bloße Beschränkungen zu rechtfertigen vermögen, ist unstreitig. Umstritten ist lediglich die hier nicht relevante Frage, ob auch die Rechtfertigung direkter Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls möglich ist. Siehe dazu Grabitz/Hilf/ Randelzhofer/Forsthoff Art. 49/50 EGV Rn. 176. 377 Grabitz/Hilf/Randelzhofer/Forsthoff Art. 49/50 EGV Rn. 175. 378 W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 661; von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 20. 379 Piroddi, YbPIL 2008, 593, 612 f. 374
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ler hatte der EuGH in einer vergleichbaren Konstellation zu entscheiden. 380 Streitig war, ob die Verpflichtung des Arbeitnehmerentleihers, für die Lohnforderung des Arbeitnehmers gemäß § 1a AentG a.F.381 wie ein Bürge zu haften, einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit darstellte. Der EuGH sah in den zusätzlichen wirtschaftlichen Belastungen des Entleihers zwar einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit des EG-Vertrags, hielt diesen jedoch aufgrund des durch das Gesetz bezweckten Arbeitnehmerschutzes, der einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstelle, für gerechtfertigt.382 Angesichts dessen, dass auch das Subunternehmergesetz vergleichbare wirtschaftliche Hürden schafft, um dadurch sowohl den Individualschutz als auch die Stabilität einer Branche zu sichern, erscheint es vor dem Hintergrund der Wolff & Müller-Entscheidung naheliegend, auch in diesen Zielen des Subunternehmergesetzes zwingende Gründe des Allgemeininteresses zu erblicken.383 Darüber hinaus müsste die die Dienstleistung einschränkende Maßnahme auch geeignet und erforderlich sein, um das mit ihr verfolgte Ziel zu erreichen.384 Geeignet ist die international zwingende Anwendung des Subunternehmergesetzes zum Schutz des französischen Subunternehmers zweifelsohne, fraglich erscheint jedoch deren Erforderlichkeit angesichts der Schutzausdehnung auch auf ausländische Unternehmer. 385 Es ist keine mitgliedstaatliche Kompetenz ersichtlich, Maßnahmen zum Schutz von in anderen Mitgliedstaaten belegenen Rechtsgütern zu erlassen. 386 Folglich können derartige Maßnahmen auch grundsätzlich nicht erforderlich sein. 387 Dass es für den Schutz des französischen Subunternehmers bzw. der französischen Subunternehmerbranche erforderlich ist, auch ausländischen, in Frankreich tätigen Subunternehmern eine Abweichung qua Rechtswahl zu versagen, ist schwer begründbar.388 Denkbar ist es des Weiteren den Schutz der französischen Wirtschaft vor ruinöser Konkurrenz aus anderen Mitgliedstaaten mit niedrigeren Schutzstandards für Subunternehmer als zwingenden Grund des Allgemeininteresses 380 EuGH, Urteil vom 12.10.2004, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller GmbH & Co. KG ./. José Filipe Pereira Félix), EuZW 2005, 93. 381 Nunmehr § 14 des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 799). 382 EuGH, Urteil vom 12.10.2004, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller GmbH & Co. KG ./.José Filipe Pereira Félix), EuZW 2005, 93. 383 Kondring, RIW 2009, 118, 124; Piroddi, YbPIL 2008, 593, 613. 384 Grabitz/Hilf/Randelzhofer/Forsthoff vor Art. 39–55 EGV Rn. 157 f. 385 Piroddi, YbPIL 2008, 593, 614. 386 Vgl., freilich hier verallgemeinert, EuGH, Urteil vom 23.05.1990, Rs. C-169/89 (Strafverfahren gegen Gourmetterie Van den Burg BV), EuGHE 1999 I 2143 Rn. 15. 387 von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 24. 388 Piroddi, YbPIL 2008, 593, 614.
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anzusehen, der die Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit durch die international zwingende Anwendung französischen Rechts rechtfertigt. 389 Zweifelhaft ist jedoch, ob der Schutz der eigenen Wirtschaft vor Wettbewerb innerhalb der Union ein legitimes, vom Unionsrecht gebilligtes Ziel sein kann. Schließlich ist es gerade Ziel der Dienstleistungsfreiheit, einen weitgehend unbeschränkten Binnenmarkt zu gewährleisten. Damit einhergehende Benachteiligungen der eigenen Wirtschaft sind grundsätzlich in Kauf zu nehmen.390 Dennoch ist die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH uneinheitlich. Der Gerichtshof entschied 1982 in Seco391 und 1999 in Eurowings392, dass ausländische Unternehmer treffende Abgaben und sonstige Hürden, die Vorteile des ausländischen Unternehmers gegenüber der inländischen, strikter regulierten Wirtschaft ausgleichen, einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit darstellen, der gerade nicht durch das Ziel gleicher Wettbewerbsbedingungen zu rechtfertigen ist. 393 In den Folgejahren bestätigte der EuGH in Finalarte und Portugaia Construções, der Schutz der inländischen Wirtschaft sei nicht als taugliches Allgemeininteresse im Sinne der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Grundfreiheiten anzusehen. 394 Dagegen weist die Entscheidung Wolff & Müller aus dem Jahre 2004 in eine andere Richtung. 395 In dieser sah der Gerichtshof die Verhinderung von Wettbewerbsbegünstigungen, welche Unternehmern aus anderen Mitgliedstaaten zugute kommen, weil sie nicht an soziale Mindeststandards des Tätigkeitsstaates gebunden sind, als zwingenden Grund des Allgemeininteresses zur Rechtfertigung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit an. 396 Das Herausarbeiten von Unterschieden in den zugrundeliegenden Sachverhalten fällt schwer. Während die streitgegenständliche Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit in Eurowings in einer Steuer bestand, die im Gros der Fälle allein grenzüberschreitende
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Piroddi, YbPIL 2008, 593, 613. Grabitz/Hilf/Randelzhofer/Forsthoff vor Art. 39–55 EGV Rn. 166. 391 EuGH, Urteil vom 03.02.1982, Rs. C-62/81 (Aktiengesellschaft französischen Rechts Seco und Aktiengesellschaft französischen Rechts Desquenne & Giral ./. Etablissement d'assurance contre la vieillesse et l'invalidité), EuGHE 1982, 223. 392 EuGH, Urteil vom 26.10.1999, Rs. C-294/97 (Eurowings Luftverkehrs AG ./. Finanzamt Dortmund-Unna), EuGHE 1999, 7447. 393 EuGH (Fn. 391), EuGHE 1982, 223, 236 f. Rn 13 f.; EuGH (Fn. 392), EuGHE 1999, 7447, 7476 Rn 43. 394 EuGH, Urteil vom 25.10.2001, Rs. C-49/98 (Finalarte Sociedade de Constru¢ão Civil Lda ./. Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft), EuZW 2001, 759 Rn. 39; EuGH, Urteil vom 24.01.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções Lda), EuZW 2002, 245 Rn. 26; zustimmend: Reich, EuZW 2007, 391, 395. 395 EuGH, Urteil vom 12.10.2004, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller GmbH & Co. KG ./. José Filipe Pereira Félix), EuZW 2005, 93. 396 EuGH, Urteil vom 12.10.2004, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller GmbH & Co. KG ./. José Filipe Pereira Félix), EuZW 2005, 93, 95 Rn. 41. 390
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Verträge betraf,397 weisen sowohl Portugaia Construções398 als auch Wolff & Müller399 erhebliche Übereinstimmungen mit der durch das Subunternehmergesetz bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit auf. Gegenstand des Verfahrens war in beiden Fällen das deutsche Arbeitnehmerentsendegesetz400, das letztlich einen Schutz der deutschen Unternehmer vor „unlauterem Wettbewerb“ 401 ausländischer Niedriglohnanbieter bezweckt, wogegen der gleichfalls erreichte Sozialschutz zugunsten entsandter Arbeitnehmer in den Hintergrund tritt. 402 Eine Verallgemeinerung der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist angesichts sich widersprechender Entscheidungen schwierig. Greift man auf Wolff & Müller und damit das jüngere Urteil zurück, so ist eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen jedenfalls als zwingender Grund des Allgemeininteresses anzuerkennen, wenn diese zugleich ein soziales Schutzanliegen verfolgt. 403 Überträgt man die Argumentation des Gerichtshofs auf das französische Subunternehmergesetz, so verfolgte dessen international zwingende Anwendbarkeit nicht nur ein legitimes Ziel zur Einschränkung der Grundfreiheiten, so ndern wäre hierzu auch geeignet und erforderlich. 404 Die Wolff & Müller- sowie die Ingmar-Entscheidung weisen erhebliche Gemeinsamkeiten im Begründungsansatz auf. Wenigstens mittelbar haben beide Entscheidungen die Legitimation der international zwingenden Durchsetzung inländischen Rechts zum Inhalt. In beiden Konstellationen führt der Gerichtshof als Argumente für die Begründung von Eingriffsrecht bzw. dessen Bestehen vor den Grundfreiheiten sowohl die Schutzbedürftigkeit der schwächeren Partei als auch den Schutz der inländischen Wirtschaft vor ausländischem, weniger reguliertem Wettbewerb an. Während die IngmarEntscheidung hingegen allein den drittstaatlichen Handel beschränkt, kann der aus Wolff & Müller folgende Schluss des Gerichtshofs vor den Wertungen der Grundfreiheiten nicht überzeugen, denn er legitimiert eine beachtliche
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EuGH, Urteil vom 26.10.1999, C-294/97 (Eurowings Luftverkehrs AG ./. Finanzamt Dortmund-Unna), EuGHE 1999, 7447, 7475 Rn. 35. 398 EuGH, Urteil vom 24.01.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções Lda), EuZW 2002, 245. 399 EuGH, Urteil vom 12.10.2004, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller GmbH & Co. KG ./. José Filipe Pereira Félix), EuZW 2005, 93. 400 Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 799). 401 EuGH, Urteil vom 12.10.2004, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller GmbH & Co. KG ./. José Filipe Pereira Félix), EuZW 2005, 93, 95 Rn. 41. 402 EuGH, Urteil vom 24.01.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções Lda), EuZW 2002, 245, 246 Rn. 25. 403 Den Schutz des Wettbewerbs als zwingenden Grund erkennt auch von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 22 an; a.A.: Reich, EuZW 2007, 391, 395. 404 Kondring, RIW 2009, 118, 124; a.A.: Piroddi, YbPIL 2008, 593, 613.
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Behinderung des Handels im Binnenmarkt.405 Auch in Wolff & Müller wird wiederum deutlich, dass eigentlicher Zweck und Hintergedanke der international zwingenden Anwendung inländischen Rechts weniger der Schutz einer schwächeren Partei als vielmehr die Wettbewerbsbeschränkung zugunsten der inländischen Wirtschaft sind.406 Die Anerkennung protektionistischer Maßnahmen zum wirtschaftlichen Schutz inländischer Unternehmer ist in einem freien Binnenmarkt jedoch bedenklich. Sie greift das Konzept in seinem Fundament an.407 Dem EuGH in Wolff & Müller folgend bereits den Schutz des inländischen Unternehmers vor „unlauterem“408 Wettbewerb als zwingendes Allgemeininteresse anzusehen, scheint mit den Grundfreiheiten kaum vereinbar.409 Die international zwingende Anwendung des französischen Subunternehmergesetzes durch die Cour de cassation stellt damit einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit des AEUV dar. d) Zwischenergebnis Die Subunternehmer-Entscheidungen der Cour de cassation sind letztlich eine konsequente Übertragung der vom EuGH geschaffenen Prinzipien auf die nationale Ebene. Die Konsequenz ist nicht unproblematisch. Die französische Rechtsprechung greift sogar in Vertragsverhältnisse zwischen nicht in Frankreich ansässigen Unternehmern ein. Die Schutzwirkung des Subunternehmergesetzes wird auf Gruppen ausgedehnt, die nicht unter den Schutzzweck der Norm fallen.410 Die hinter der Vorgehensweise der Cour de cassation stehende Absicht, Wettbewerbsverzerrungen zugunsten heimischer Unternehmer zu vermeiden, ist zwar nachvollziehbar, mit derselben Begründung ließe sich freilich ebenso rechtfertigen, das gesamte einfach zwingende Privatrecht, das in Binnensachverhalten nicht umgangen werden kann, zu Eingriffsnormen zu erheben.411 Anders als zwingendes Unionsrecht kann nationales Eingriffsrecht zudem einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Grundfreiheiten darstellen.
405
Piroddi, YbPIL 2008, 593, 613; kritisch auch: Reich, EuZW 2007, 391, 395; zustimmend hingegen: Kondring, RIW 2009, 118, 124. 406 Vgl. Piroddi, YbPIL 2008, 593, 613. 407 Von einer „Erschütterung in den Grundfesten“ sprechen Grabitz/Hilf/ Randelzhofer/Forsthoff vor Art. 39–55 EGV Rn. 166. 408 EuGH, Urteil vom 12.10.2004, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller GmbH & Co. KG ./. José Filipe Pereira Félix), EuZW 2005, 93, 95 Rn. 41. 409 Kritisch auch: Reich, EuZW 2007, 391, 395. 410 D’Avout/Bollée, D 2008, 2560, 2565. 411 Berlioz, Sem. Jur. 2008, 1201; d’Avout/Bollée, D 2008, 2560, 2565; PérinetMarquet, Rev. dr. immob 2008, 272; als „sehr naheliegend“ bezeichnet dies Niggemann, IPRax 2009, 444, 447; vgl. zur Ingmar-Entscheidung bereits: Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 292; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 59.
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4. Ergebnis Abschließend ist festzustellen, dass in den untersuchten Einzelfällen durch die international zwingende Anwendung materiellrechtlicher Schutzvorschriften tatsächlich ein erhöhter Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers bewirkt wird. Der in der Union tätige Handelsvertreter kann seines Ausgleichsanspruchs durch Rechtswahl nicht verlustig werden, die Position des in Frankreich tätigen Subunternehmers wird durch einen rechtswahlfesten Durchgriffsanspruch gestärkt, der die Auswirkungen der Insolvenz des Generalunternehmers für ihn minimiert. Dass in den genannten Fällen tatsächlich ein Schutz der unterlegenen Partei bewirkt wird, darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass Eingriffsnormen denkbar ungeeignet sind, um einen systematischen Schutz des unterlegenen Unternehmers zu bewirken. Dies ergibt sich zum einen aus den bereits dargestellten Schwierigkeiten der Definition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO. Spricht man mit einem beachtlichen Teil der Literatur Sonderprivatrecht bereits per se ein hinreichendes öffentliches Interesse im Sinne der Norm ab, so scheidet eine international zwingende Qualifikation von vornherein aus. 412 Akzeptiert man mit dem EuGH,413 der Cour de cassation414 sowie einem anderen Teil der Literatur 415, dass auch Sonderprivatrecht grundsätzlich ein öffentliches Interesse im Sinne des Art. 9 Rom I-VO verfolgen kann, so ist wiederum fraglich, worin dieses bei Schutznormen zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers besteht. Zweifelhaft ist es, ein öffentliches Interesse im Schutz des Unternehmers vor Benachteiligungen in Vertragsverhandlungen durch Ausnutzung der gewährten Parteiautonomie zu sehen, denn wie oben ausgeführt wurde, verfolgen entsprechende materiellrechtliche Normen primär den Interessenausgleich zwischen zwei Parteien, von denen die eine aufgrund ihrer vermuteten Unterlegenheit staatlichen Schutz erfährt. 416 Hierin ein konkretes öffentliches Interesse jenseits der Gewährung allgemeiner sozialmarktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen auszumachen, fällt schwer. 417 Einen systematischen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers über Art. 9 Abs. 1 Rom I412 Junker, IPRax 2000, 65, 70; Mankowski, IHR 2008, 133, 147; ders. IPRax 1994, 88, 94; ders. RIW 1993, 453, 461; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 108; kritisch auch: Kühne, FS Heldrich, S. 815, 820; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rn. 15 f.; MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 221. 413 EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd ./. Eaton Leonard Technologies Inc.), EuGHE 2000 I 9325. 414 Cass. mixte 30.11.2007, N° 06–14.006, D 2008, 5; Cass. civ. 30.01.2008, Bull. Civ. III Nr. 16; Cass. civ. 08.04.2008, Urteil N° 07–10.763, Clunet 2008, 1075 ; Cass. civ. 25.02.2009, Urteil N° 07–20.096, Bulletin d’information n° 250. 415 von Hoffmann, IPRax 1989, 261, 266; Lorenz, IPRax 1994, 429, 431; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 11; Reich, NJW 1994, 2128; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 21. 416 Siehe oben § 1B.V.2.b)(ii). 417 Vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2005, NJW 2006, 762, 764.
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VO zu gewährleisten, ist indes zum Scheitern verurteilt, solange der bloße Individualschutz kein hinreichendes öffentliches Interesse begründen kann. Den Schutz des Unternehmers aber von unstimmigen und in ihrer Konsequenz problematischen protektionistischen Erwägungen abhängig zu machen, kann ebenso wenig überzeugen. Zum anderen wird durch die konturlose Ausdehnung der Erhöhung von einfach zwingendem Recht zu Eingriffsnormen zum Schutz des Unternehmers das primäre Ziel der Rom I-Verordnung,418 die Vereinheitlichung des internationalen Privatrechts und die daraus folgende Angleichung und leichtere Vorhersehbarkeit materiellrechtlicher Ergebnisse unabhängig vom Forum konterkariert.419 Über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO wendet jedes Gericht allein die Eingriffsnormen seines Forumstaates an. Die Berücksichtigung auch ausländischer Eingriffsnormen über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO hilft in den hier interessierenden Fällen nicht weiter, weil es sich bei den im Raum stehenden Schutzvorschriften zugunsten von Unternehmern zumeist nicht um Vorschriften handeln wird, die die Erfüllung eines Vertrags im Sinne von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 unrechtmäßig werden lassen. 420 Verklagt beispielsweise ein in Frankreich tätiger deutscher Subunternehmer den ebenfalls in der Bundesrepublik ansässigen Auftraggeber, so wäre Frankreich zwar möglicherweise Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtungen. Doch handelt es sich etwa beim Durchgriffsanspruch nach Art. 12 SubUntG nicht um eine Norm, die die Durchführung des Vertrags unrechtmäßig werden lässt. Sie kann daher über Art. 9 Abs. 3 von deutschen Gerichten bei einer Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts nicht berücksichtigt werden. 421 Klagte der Subunternehmer hingegen in Frankreich, so würden ihm dortige Gerichte trotz Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts aufgrund der Berücksichtigung nationaler Eingriffsnormen nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO einen Direktanspruch gewähren. Unterschiedliche Foren kämen damit innerhalb der Union zu einem anderen materiellen Ergebnis. Der von der Rom I-Verordnung angestrebte internationale Entscheidungseinklang wird beeinträchtigt. 422 Die ursprünglich durch die Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts bezweckte Entbehrlichkeit des forum shopping wird aufgehoben. 423 Es steht zu befürchten, dass sich die Möglichkeit des forum shopping bzw. der fehlende internationale Entscheidungseinklang zulasten des eigentlich zu schützenden strukturell unterlegenen Unternehmers auswirkt. Dessen Vertragspartner wird im Zweifel über die stärkere Verhandlungsposition verfügen, die es ihm erlaubt, eine für ihn 418
Erwägungsgrund 6 Rom I-VO; Magnus, IPRax 2010, 27, 27 f. Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 542; Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1579. 420 Rauscher/Thorn Art. 9 Rn. 68; kritisch: Bonomi, YbPIL 2008, 285, 299. 421 Rauscher/Thorn Art. 9 Rn. 68; kritisch; Bonomi, YbPIL 2008, 285, 299. 422 Bitterich, GPR 2006, 161, 163. 423 Bonomi, YbPIL 2008, 285, 299; zu den Zielen der Vereinheitlichung des Kollisionsrechts: Rauscher/von Hein Einl. Rom I-VO Rn. 1. 419
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günstige Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines Forums durchzusetzen, das die den schwächeren Subunternehmer schützenden Eingriffsnormen nicht anwenden kann. Wie noch zu zeigen sein wird, gelingt es dem europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht nicht, dies vollumfänglich zu verhindern.424 Der über Art. 9 Rom I-VO gewährte Schutz ist damit nicht nur dogmatisch zweifelhaft, vielmehr ist er auch lückenhaft. 425 Der staatliche Eingriff in Verträge zwischen Unternehmern durch international zwingendes Recht schafft damit eine beträchtliche Rechtsunsicherheit für grenzüberschreitend operierende Unternehmer. Neben dem internationalen Entscheidungseinklang, wird auch die Einheitlichkeit der Anknüpfung, die eine Rechtswahl eigentlich bewirken sollte, zunichte gemacht. 426 Anstatt einen Vertrag einheitlich einer Rechtsordnung zu unterstellen und dadurch materielle Harmonie zu gewährleisten, kommt es vielmehr zu einer Durchmischung des gewählten Statuts mit den international zwingenden Elementen des Rechts des Forumstaates, was die Rechtsanwendung und die Vorhersehbarkeit des materiellrechtlichen Ergebnisses erschwert. 427 Die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts wird darüber hinaus durch die schwere Erkennbarkeit von Eingriffsnormen getrübt. Ob eine nationale Regelung eine Eingriffsnorm darstellt, ist nur in seltenen Fällen dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen, in weiteren Fällen folgt dies zumindest aus ständiger Rechtsprechung, doch ist der Rechtsanwender bei einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Art. 9 Rom I-VO nicht davor gefeit, durch die Rechtsprechung mit weiteren, „neuen“ Eingriffsnormen konfrontiert zu werden. Die Definition der international zwingenden Anwendbarkeit in jedem Unionsrechtsakt separat, wie mit dem über Art. 23 Rom I-VO vorrangigen Richtlinienkollisionsrecht besteht, erhöht zwar die Vorhersehbarkeit insofern, schafft aber ein Anknüpfungssystem neben der Rom I-Verordnung, das wiederum die Vereinheitlichung des IPR durch die Verordnung konterkariert. 428 Doch selbst die Definition durch den nationalen Gesetzgeber als Eingriffsnorm garantiert keine umfassende Rechtssicherheit, solange unsicher ist, inwieweit der EuGH eine Subsumtion nationaler Vorschriften unter Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO überprüft. Schließlich ist anzumerken, dass die Durchsetzung weiterer Schutznormen neben den Sonderkollisionsnormen der Art. 5–8 Rom I-VO sich systematisch nur bedingt in das Regelungskonzept der Verordnung einfügt. Der Verord424
Zu den internationalzivilfahrensrechtlichen Aspekten dieses Vorgehens siehe unten §
1C.
425
Vgl. Bonomi, YbPIL 2008, 285, 299. Freitag, in: Leible (Hrsg.) Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 167, 178; Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1579. 427 Freitag, in: Leible (Hrsg.) Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 167, 178. 428 Magnus, IPRax 2010, 27, 32; ausführlich: Bitterich, GPR 2006, 161. 426
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nungsgeber hat für Vertragstypen, bei denen er die Notwendigkeit des Schutzes einer Partei gesehen hat, Sonderkollisionsrecht geschaffen. Einen Schutz weiterer strukturell unterlegener Vertragsparteien über das Einfallstor des Art. 9 VO zu systematisieren, erscheint daher fragwürdig. 429 Sieht man die Ähnlichkeiten, die sich rechtspolitisch etwa zwischen dem Schutz des Verbrauchers und dem des strukturell unterlegenen Unternehmers aufzeigen lassen,430 so liegt es nahe einen Schutz des Handelsvertreters über eine mit dem Art. 6 Rom I-VO vergleichbare Regelungstechnik zu gewähren. 431 Eingriffsnormen stellen nach alledem ein wenig geeignetes Mittel dar, um einen allgemeinen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers zu gewährleisten. C. Objektive Anknüpfung I. Einleitung Treffen die Vertragsparteien keine Rechtswahl, so ist das anwendbare Recht mittels objektiver Anknüpfung zu bestimmen. Diese richtet sich zuvorderst nach den Sonderkollisionsnormen der Art. 5–8 Rom I-VO.432 Liegt kein besonderer Vertragstyp im Sinne dieser vor, so ergibt sich das Vertragsstatut aus Art. 4 Rom I-VO. Ziel der objektiven Anknüpfung ist es, einen Vertrag derjenigen Rechtsordnung zu unterstellen, welche die räumlich bzw. sachlich engste Verbindung zum Vertragsgegenstand aufweist. 433 Die Bestimmung der engsten Verbindung ergibt sich grundsätzlich aus einem Ausgleich zuvorderst kollisionsrechtlicher Interessen. Zu berücksichtigen sind die Interessen beider Parteien an der Anwendung einer Rechtsordnung, die eine besondere räumliche Nähe zu ihrem gewöhnlichen Aufenthalt aufweist, und an der Gewährung von Rechtssicherheit. Daneben tritt ein Interesse am internationalen Entscheidungseinklang. Wie an anderer Stelle bereits erörtert, sind die abzuwägenden Interessen grundsätzlich internationalprivatrechtlicher Natur, eine Abwägung muss sich jedoch auch an materiellrechtlichen Gerechtigkeitserwägungen des jeweiligen Normgebers orientieren. Schließlich ist eine Überprüfung der Ausgestaltung der objektiven Anknüpfung auch an ökonomischen Kriterien möglich und sinnvoll. 434
429
Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1579. Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 294; Niggemann, IPRax 2009, 444, 449 f. 431 Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1579; vgl. auch Niggemann, IPRax 2009, 444, 450. 432 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 5; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom IVO Rn. 1. 433 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 4; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom IVO Rn. 14; Wagner, IPRax 2008, 377, 380. 434 Siehe bereits oben § 3D.V 430
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Wie schon in der Vorgängernorm des Art. 4 EVÜ435 richtet sich die Bestimmung des objektiven Vertragsschwerpunktes auch in der Rom IVerordnung grundsätzlich nach der charakteristischen Leistung des Vertrags.436 Das anwendbare Recht bestimmt sich gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom IVO nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Partei, die eben diese erbringt. Anders als nach altem Recht enthält Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO der Anknüpfung an die charakteristische Leistung vorangehende Regelanknüpfungen, die für bestimmte Vertragstypen das objektiv anwendbare Recht festlegen. Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem nach Abs. 1 oder 2 bestimmten Recht aufweist, so ist nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO das Recht dieses Staates anzuwenden. 437 Liegt hingegen kein in Abs. 1 genannter Vertrag vor und ist auch die Bestimmung einer vertragscharakteristischen Leistung im Sinne des Abs. 2 nicht möglich, so bestimmt sich das anwendbare Recht aufgrund der Generalklausel des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO nach einer Untersuchung aller Einzelfallumstände. 438 Für diese Untersuchung von besonderer Relevanz sind die Regelanknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) für Franchise- und Vertriebsverträge. Sie verweisen für die Bestimmung des mangels Rechtswahl anzuwendenden Rechts auf den gewöhnlichen Aufenthalt von Franchisenehmer und Vertriebshändler. Der Verordnungsgeber begründet diese Anknüpfung zugunsten von Franchisenehmer und Vertriebshändler damit, dass das materielle Unionsrecht beide Parteien als die schwächere Partei ansehe. 439 Da es sich bei dem einen wie bei dem anderen Vertragstyp um ein Geschäft handelt, das allein zwischen Unternehmern zustande kommt, beabsichtigt der Verordnungsgeber damit den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers.440 Eine Sonderregelung, die für diese Untersuchung ebenfalls von Bedeutung ist, trifft die Rom I-Verordnung mit Art. 7 für Versicherungsverträge. Wie schon im Rahmen der subjektiven Anknüpfung differenziert der Verordnungsgeber die Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers auch hier nach Art und Belegenheit des Risikos. Für die als schutzbedürftig eingestuften Verträge über in der EU belegene Massenrisiken erklärt Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 mangels Rechtswahl das Recht am Belegenheitsort des Risikos für anwendbar. Wie bereits untersucht, stellt die Anknüpfung an den Risikobele435
Staudinger/Magnus Art. 28 EGBGB Rn. 63; Wagner, IPRax 2008, 377, 380 f. Erwägungsgrund 19 Rom I-VO; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 4; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 15; Wagner, IPRax 2008, 377, 382. 437 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 244 ff.; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 134 ff.; Wagner, IPRax 2008, 377, 381. 438 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 268 ff.; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 153 ff.; Wagner, IPRax 2008, 377, 381 f. 439 KOM(2005) 650 endg., S. 6; Bonomi, YbPIL 2008, 165, 174. 440 Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1573. 436
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genheitsort eine besondere Nähe zum Versicherungsnehmer her. Dieser Schutz kommt explizit auch Unternehmern zu. 441 Es gilt zu untersuchen, ob die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Franchisenehmers bzw. Vertriebshändlers sowie an den Belegenheitsort des versicherten Risikos dem Telos der objektiven Anknüpfung gerecht wird und tatsächlich diejenige Rechtsordnung zur Anwendung beruft, welche die räumlich bzw. sachlich engste Verbindung zum Vertrag aufweist und dadurch internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit herstellt. Ferner ist festzustellen, ob ein effektiver Schutz des strukturell unterlegenen Unterne hmers im Rahmen der objektiven Anknüpfung gewährleistet wird. Überlegungen zur Schutzbedürftigkeit des Unternehmers drängen sich im Bereich der subjektiven Anknüpfung zwar eher auf. Während eine durch die stärkere Partei oktroyierte Rechtswahl eine vorsätzliche Benachteiligung des Vertragspartners verfolgen kann, führt die objektive Anknüpfung grundsätzlich zu einer Rechtsordnung die einen engen Bezug zum Sachverhalt hat und sich materiellrechtlich nicht per se nachteilig auf die unterlegene Vertragspartei auswirkt. Das Kollisionsrecht kann den Schutz einer Partei jedoch nur ganzheitlich verfolgen. Eine einseitige Begünstigung der überlegenen Vertragspartei durch die objektive Anknüpfung würde die zur Beschränkung der Rechtswahl angestellten Überlegenen konterkarieren. Nicht zuletzt kann die objektive Anknüpfung als Maßstab für Überprüfung der Zulässigkeit einer Rechtswahl bzw. im Falle der Unwirksamkeit einer Rechtswahl als Ersatz für das gewählte Recht dienen. II. Franchise- und Vertriebsverträge Nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-Verordnung ebenso wie schon nach Geltung von Art. 4 Abs. 2 EVÜ weist grundsätzlich diejenige Rechtsordnung die engste Verbindung zu einem Vertrag auf, die am gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der charakteristischen Leistung des Vertrags gilt. 442 Dies galt vor Inkrafttreten der Rom I-Verordnung auch für Vertriebs- und Franchiseverträge. Mit Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) weicht die Rom I-Verordnung für Franchise- und Vertriebsverträge hiervon ab. Dies ist Ziel erheblicher Kritik in der Literatur geworden. 443 Ziel der folgenden Untersuchung ist es, festzustellen, welcher Weg der Anknüpfung im Falle der Vertriebsverträge einen vorzugswürdigen Interessenausgleich garantiert.
441 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 117; Heinze, NiPR 2009, 445, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 477; Staudinger, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 225, 241. 442 MünchKommBGB/Martiny Rn. 4; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 15. 443 Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 252; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 535; Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2092; Weller, IPRax 2011, 429, 436.
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1. Interessenausgleich anhand der charakteristischen Leistung Telos des Anknüpfungsmerkmals der vertragscharakteristischen Leistung ist die Ermittlung eines räumlichen bzw. sachlichen Vertragsschwerpunktes, ohne auf außerhalb des Vertrags liegende Umstände wie etwa Abschlussoder Erfüllungsort zurückgreifen zu müssen. 444 In der Rom I-Verordnung fehlt es an einer Definition der charakteristischen Leistung. 445 Jedenfalls eine negative Umschreibung kann dem Giuliano/Lagarde-Bericht zum EVÜ entnommen werden, der die in Geld zu erbringende Gegenleistung einer der Parteien als für den Vertrag nicht charakteristisch ansieht. Charakteristische Leistung sei vielmehr diejenige, für die Zahlung geschuldet werde. 446 Die sei beispielsweise in der Übertragung von Eigentum, in der Lieferung von beweglichen Sachen, in der Überlassung einer Sache zum Gebrauch, in der Erbringung einer Dienstleistung oder in der Durchführung einer Beförderung zu sehen. 447 Charakteristisch für einen Vertrag ist folglich die Leistung, die dem Vertrag sein Gepräge gibt, für ihn typisch ist und ihn von anderen Vertragstypen unterscheidbar macht. 448 Die Bewertung des Interessenausgleichs anhand der charakteristischen Leistung wirft die Frage auf, welche Partei in den hier interessierenden Konstellationen die den Vertrag charakterisierende Leistung erbringt. a) Franchiseverträge Während die von Giuliano und Lagarde abgeleitete Formel, charakteristisch sei diejenige Leistung, für die Zahlung geschuldet werde und die dem Vertrag sein Gepräge gebe, in vielen Fällen die Bestimmung der charakteristischen Leistung und anhand dieser die engste Beziehung des Vertrags zu einer Rechtsordnung ohne Weiteres ermöglicht, 449 führt sie bei Franchiseverträgen aufgrund deren komplexen Austausches von Leistungen zu Schwierigkeiten. Durch einen Franchisevertrag verpflichtet sich der Franchisegeber, dem Franchisenehmer ein Vertriebskonzept zu überlassen. Dazu gehören unter anderem die Einräumung von Marken und sonstigen gewerblichen Schutzrechten, der Transfer von Know-how, die fortwährende Beratung und Schulung sowie die Gewährung des Rechts bestimmte Waren oder Dienstleistungen zu vertreiben. Hinzukommen kann auch die entgeltliche Überlassung von Geschäftsräumen. Im Gegenzug verpflichtet sich der Franchisenehmer einerseits 444
von Hoffmann/Thorn, IPR § 10 Rn. 43. Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 78. 446 Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 18. 447 Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 18. 448 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 45; Kropholler, IPR, § 52 III, S.466; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 147 f.; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 78; Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn. 113. 449 Aufzählung bei von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 46. 445
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zur Zahlung eines Entgelts, zum anderen zum Absatz der Waren oder Dienstleistungen des Franchisegebers. 450 Es handelt sich um einen typengemischten Vertrag sui generis, der dienst- und werkvertragliche Elemente ebenso wie lizenz-, pacht- und gesellschaftsvertragliche Elemente sowie eine geschäftsbesorgungsvertragliche Komponente enthält bzw. enthalten kann. 451 In der Literatur herrscht aufgrund der Komplexität des Verpflichtungsgeflechts Streit über die charakteristische Leistung des Franchisevertrags. 452 Zum einen wird vertreten der Franchisenehmer erbringe die vertragscharakteristische Leistung, die engste Beziehung weise der Vertrag folglich zu der an dessen gewöhnlichem Aufenthalt geltenden Rechtsordnung auf. 453 Hierfür lässt sich anführen, der Franchisevertrag sei letztlich eine besondere Form des Vertriebsvertrags, in welchem es dem Franchisenehmer zufalle, ein für eine Vielzahl von Fällen entwickeltes Vertriebskonzept auszugestalten und zu organisieren.454 Andere sehen den prägenden Charakter des Vertrags in den Vertragspflichten des Franchisegebers. 455 Der Franchisegeber überlasse dem Franchisenehmer ein vollständiges, standardisiertes Betriebskonzept, in die sich der Franchisenehmer als ein austauschbarer Teil des Ganzen einfüge. 456 Von Hoffmann und Thorn lehnen eine typisierende Betrachtung ab und wollen die engste Verbindung eines Franchisevertrags zu einer Rechtsordnung durch eine Einzelfallbetrachtung ermitteln. 457 Der OGH hat das Recht des Staates für maßgeblich gehalten, für das im Rahmen eines Franchisevertrags Immaterialgüterrechte eingeräumt werden. 458 Eine Stellungnahme soll an dieser Stelle dahinstehen. Nach Inkrafttreten der Rom I-VO ist die Bestimmung der charakteristischen Leistung beim Franchisevertrag von lediglich beschränktem, rein akademischem Nutzen. Bereits der Überblick über die hierzu vertretenen Ansichten verdeutlicht, dass die Anknüpfung an die charakteristische Leistung mit einem Verlust an Rechtssicherheit einhergeht.
450
Bräutigam, WiB 1997, 897; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 49. Hiestand, RIW 1993, 173, 174; Plassmeier, S. 93 ff. 452 Überblick bei Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2094–2097; Staudinger/Magnus Art. 28 EGBGB Rn. 296–300. 453 Bamberger/Roth/Spickhoff Art. 28 EGBGB Rn. 54; Giesler/Nauschütt/Krümmel § 18 Rn. 26; Schlemmer, IPRax 1988, 252, 253; Staudinger/Magnus Art. 28 EGBGB Rn. 297. 454 Giesler/Nauschütt/Krümmel § 18 Rn. 26; Staudinger/Magnus Art. 28 EGBGB Rn. 297, 300. 455 Bräutigam, WiB 1997, 897, 899; Ferrari, in: Ferrari/Leible (Hrsg) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 57, 86 f.; Hiestand, RIW 1993, 173, 175; Plassmeyer, S. 119; von Bar, IPR, Rn. 499. 456 von Bar, IPR, Rn. 499; Ferrari, in: Ferrari/Leible (Hrsg) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 57, 86 f.; Martinek/Semler/Habermeier/Oechsler § 60 Rn. 21. 457 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 49; Soergel/von Hoffmann Art. 28 EGBGB Rn. 275. 458 OGH, IPRax 1988, 242. 451
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b) Der Vertriebshändlervertrag Nicht einfacher ist die Bestimmung der charakteristischen Leistung beim Vertriebshändlervertrag. Der Vertriebshändler veräußert im eigenen Namen und für eigene Rechnung Waren des Lieferanten, der häufig zugleich Hersteller ist und ist zur Förderung dessen Absatzes verpflichtet. 459 Der Vertriebshändlervertrag stellt nur einen Rahmenvertrag dar, der den Vertragshändler in das Vertriebssystem des Lieferanten einbindet und diesen zu dessen Interessenwahrung verpflichtet. 460 Im Gegenzug erhält der Vertragshändler die Möglichkeit durch den Vertrieb von Produkten des Lieferanten Gewinn zu erzielen. Dies wird dem Vertragshändler durch den Bezug der Produkte des Lieferanten zu einem unter dem Marktwert liegenden Preis ermöglicht. 461 Vom Rahmenvertrag zu trennen sind die Kaufverträge über die Lieferung von zum Vertrieb bestimmten Waren sowohl in materieller als auch in internationalprivatrechtlicher Hinsicht.462 Während im Rahmen der einzelnen Lieferverträge grundsätzlich der Lieferant die vertragscharakteristische Leistung erbringt, 463 ist die Bestimmung der charakteristischen Leistung beim Rahmenvertrag wiederum umstritten. Die in Deutschland zu Art. 4 EVÜ herrschende Meinung sah die Leistung des Vertragshändlers mit der Begründung als charakteristisch an, der Vertragshändler habe die Produkte des Vertragspartners auf Lager zu halten und abzusetzen sowie den Kundendienst durchzuführen. 464 Die Pflicht des Lieferanten zur Bereitstellung trete dahinter zurück. 465 Nach anderer, insbesondere in der französischen Rechtsprechung zum EVÜ vertretener Ansicht, erbringt hingegen der Lieferant die charakteristische Leistung. Denn eine Verpflichtung zum Vertrieb ohne Zurverfügungstellung von zu vertreibenden Produkten sei
459 Canaris, Handelsrecht, § 17 Rn. 4; zur Konkretisierung der Absatzförderungspflicht fordert die deutsche Rechtsprechung, dass der Vertriebshändler die Interessen des Unternehmers „in einer der Geschäftsbesorgung ähnlichen Weise wahrnimmt“: BGHZ 54, 338, 344. 460 Canaris, Handelsrecht, § 17 Rn. 7. 461 Vgl. BGHZ 124, 351, 365. 462 Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn. 72. 463 OLG Düsseldorf, RIW 1996, 958, 959; MünchKommBGB/Martiny (4. Auflage) Art. 28 EGBGB Rn. 228; Staudinger/Magnus Art. 28 EGBGB Rn. 292; anders noch Martiny, AWD 1972, 165, 169, der freilich in MünchKommBGB/Martiny (4. Auflage) Art. 28 EGBGB Rn. 228 eingesteht, dass sich diese Meinung nicht hat durchsetzen können und von ihr Abstand nimmt. Denkbar ist freilich die Annahme einer engeren Verbindung zum Statut des Rahmenvertrags, was im Einzelfall in Betracht kommt, wenn der Rahmenvertrag bereits Detailregelungen für die Ausgestaltung der einzelnen Lieferverträge enthält: MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 130; Palandt/Thorn Art. 4 Rn. 17; Rauscher/Thorn Art. 4 Rn. 54; anders: OLG Düsseldorf, RIW 1996, 958, 959. 464 Canaris, Handelsrecht, § 17 Rn. 31 ff.; 42 ff. 465 MünchKommBGB/Martiny (4. Auflage) Art. 28 EGBGB Rn. 227; Reithmann/ Martiny/Häuslschmid Rn. 2299; Soergel/von Hoffmann Art. 28 EGBGB Rn. 265.
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inhaltsleer.466 Eine weitere in der Rechtsprechung vertretene Ansicht sieht die engste Verbindung des Vertragshändlervertrags zu dem Recht des Tätigkeitsortes des Vertragshändlers, 467 was relevant wird, wenn Tätigkeitsort und Sitzstaat auseinanderfallen. Für diese Ansicht wird angeführt, die Verpflichtungen beider Parteien seien auf den Tätigkeitsort ausgerichtet. Eine Stellungnahme kann an dieser Stelle dahinstehen. Letztlich wird auch für Vertriebsverträge die besondere Schwierigkeit der Bestimmung einer charakteristischen Leistung deutlich. c) Kollisionsrechtlicher Interessenausgleich Vor dem Hintergrund des Ziels eines kollisionsrechtlichen Interessenausgleichs hinterlässt die Anknüpfung von Franchise- und Vertriebsverträgen an die charakteristische Leistung einen zwiespältigen Eindruck. Die Interessen beider Vertragsparteien an der Anwendung eines mit ihnen eng verbundenen Rechts stehen sich grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Es ist folglich ein Kriterium zu wählen, dass diesen Konflikt zugunsten einer Seite entscheidet. Per se ist die Anknüpfung an die charakteristische Leistung hierzu ein legitimes Mittel. Die charakteristische Leistung prägt die sozio-ökonomische Funktion des Vertrags. 468 Durch die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der charakteristischen Leistung kommt es zwar zu einer Begünstigung eben dieses Vertragspartners, denn es findet das ihm vertraute Heimatrecht Anwendung. 469 Dies lässt sich jedoch dadurch rechtfertigen, dass der Erbringer der vertragscharakteristischen Leistung die komplexere Verbindlichkeit zu erfüllen hat, die einer ausführlicheren rechtlichen Regelung bedarf, wohingegen die gesetzliche Regelung einer bloßen Geldzahlung vergleichsweise einfach ist.470 Bedenklich ist freilich, dass die charakteristische Leistung gegenüber materiellrechtlichen Schutzanliegen „blind“ ist. In dieser Hinsicht bleiben die Ergebnisse der Anknüpfung an die charakteristische Leistung zufällig. Ob Vertriebshändlern oder Franchisenehmern ein Schutz zukommt, ist bei Anknüpfung an die charakteristische Leistung davon abhängig, welche Partei man als Erbringer eben dieser ansieht. Materiellrechtliche Wertungen außer Acht zu lassen, verspricht den Vorteil, eher internationalen Entscheidungseinklang zu erzielen, da etwa die materiellrechtliche Wertung, den Franchise466
Siehe etwa Cass. com., Urteil vom 15.05.2001, Rev. crit. dr. int. pr. 91 (2002), 86; Cass. com., Urteil vom 25.11.2003, Rev. crit. dr. int. pr. 93 (2004), 102; so wohl auch die italienische Rechtsprechung : Corte di cassazione, Riv. dir. int. priv. e proc. 2007, 194. 467 BGH, Urteil vom 22.09.1971, BGHZ 57, 72, 76; OLG Hamburg, Urteil vom 09.07.1976, IPRspr. 1976 Nr. 125b; LG München, Urteil vom 24.05.1982, IPRspr. 1982 Nr. 141. 468 Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 18. 469 Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 80. 470 Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn. 113.
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nehmer als schwächere Partei anzusehen, nicht jeder Gesetzgeber teilen wird.471 Internationaler Entscheidungseinklang setzt freilich voraus, dass andere Normgeber den internationalprivatrechtlichen Interessenausgleich ebenfalls anhand der charakteristischen Leistung vornehmen und zugleich Einigkeit über den Erbringer eben dieser besteht. Letzteres war bereits unter den Mitgliedstaaten des EVÜ umstritten. Das Erzielen internationalen Entscheidungseinklangs bleibt folglich auch bei alleiniger Berücksichtigung der charakteristischen Leistung illusorisch. Besonders abträglich ist die Anknüpfung an die charakteristische Leistung in den oben untersuchten Fällen der Rechtssicherheit. Der Meinungsstand zur Anknüpfung von Franchise- und Vertriebsverträgen verdeutlicht das. Gegenläufige Ansätze wurden mit jeweils guten Argumenten vertreten. Der Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten mangelte es an Einheitlichkeit. 472 Französische Gerichte sahen die charakteristische Leistung des Vertragshändlervertrags zum Teil in der Verpflichtung des Herstellers den Vertragshändler exklusiv zu beliefern, zum Teil in der Lieferung der Waren. 473 Die italienische Corte di cassazione kommt aufgrund einer Einzelfallbetrachtung ebenfalls zum Recht des Lieferanten. 474 Deutschland,475 die Niederlande,476 Österreich477 und Spanien478 folgten der oben vertretenen Ansicht nach welcher der Vertragshändler die charakteristische Leistung erbringt. 479 Die Uneinheitlichkeit liegt in der Komplexität der Vertragstypen begründet, die eine rechtssichere Einordnung kaum möglich macht. Aus rechtsökonomischer Sicht wird zugunsten der Anknüpfung an die charakteristische Leistung vorgebracht, dass es sich bei der charakteristischen Leistung zumeist zugleich um die berufstypische handelt. 480 Die Anwendung der am gewöhnlichen Aufenthalt des zum Zwecke seiner beruflichen Tätigkeit Handelnden geltenden Rechtsordnung führt zu dessen Begünstigung, indem typischerweise alle von diesem geschlossene Verträge eines Typs, 471
Weller, IPRax 2011, 429, 436. Magnus, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 27, 41 f.; Mankowski, IPRax 2006, 101, 103 f. 473 Siehe etwa: Cass. com., Rev. crit. dr. 91 (2002), 86; Cass. com., Rev. crit. dr. int. pr 93 (2002), 103; ausführlich: Ancel, Rev. crit. dr. int. priv. 2008, 651. 474 Corte di cassazione, Riv. dir. int. priv. e proc. 2007, 194. 475 BGH, Urteil vom 09.11.1994, BGHZ 127, 368; OLG Koblenz, Urteil vom 16.01.1992, IPRax 1994, 46. 476 Hoge Raad, Urteil vom 24.05.1991, NILR 1993, 239. 477 OGH, Urteil vom 20.01.1999, ÖJZ 1999, 504. 478 AP Barcelona, Urteil vom 28.04.2000, Anuario español de derecho internacional privado 2002, 679. 479 Überblick über die Rechtsprechung der Mitgliedstaaten zitiert nach Ancel, YbPIL 2008, 221, 225 f. 480 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 47; nach Rühl, Statut und Effizienz, S. 543 f. verbietet sich eine pauschale Betrachtung, die ökonomische Effizienz der Anknüpfung an die charakteristische Leistung könne nur im Einzelfall bestimmt werden. 472
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einheitlich seinem Heimatrecht unterstellt werden, was diesem die internationale Geschäftsabwicklung erleichtert. 481 Franchisegeber und Lieferant sind im internationalen Kontext grundsätzlich diejenigen Parteien, die in einer Vielzahl von Staaten tätig werden. Unterhält ein Franchisegeber Vertragsbeziehungen zu Franchisenehmern in diversen Ländern und unterstehen diese im Falle objektiver Anknüpfung sämtlich dem Recht des Franchisegebers kommen ihm Rationalisierungseffekte zugute. Seine Rechtsermittlungskosten verringern sich zudem beträchtlich, die Abwicklung sämtlicher Franchiseverträge wird für ihn günstiger. Hiervon kann potentiell auch der Franchisenehmer profitieren. Da jedoch uneinheitlich beurteilt wird, welche Partei in den genannten Fällen die charakteristische Leistung erbringt, bleibt auch hier ein ökonomisch günstiger Effekt unsicher. 2. Interessenausgleich anhand von Regelanknüpfungen zugunsten der schwächeren Partei Mit der Rom I-Verordnung hat der europäische Gesetzgeber der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der Partei, welche die charakteristische Leistung erbringt, einen Katalog von Regelanknüpfungen vorangestellt. Für Franchise- und Vertriebsverträge bestehen nunmehr Regelanknüpfungen mit den lit. e) und f). Franchiseverträge unterstehen nach Art. 4 Abs. 1 lit. e) Rom IVO mangels Rechtswahl der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt des Franchisenehmers. Vertriebsverträge nach Art. 4 Abs. 1 lit. f) Rom I-VO dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Vertriebshändlers. Im geschäftlichen Verkehr, der für diese Vertragsarten der Regelfall darstellten dürfte, befindet sich der gewöhnliche Aufenthalt nach Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO am Ort der Hauptverwaltung. Auch die Regelanknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) Rom I-VO sind vor dem Hintergrund eines internationalprivatrechtlichen Interessenausgleichs zu untersuchen. a) Die Schutzwirkung der Vorschriften Die Kollision der grundsätzlich gleichwertigen Interessen der Vertragsparteien an der Anwendung einer ihnen vertrauten Rechtsordnung wird zugunsten von Vertragshändler, und Franchisenehmer aufgelöst. Ausschlaggebend ist hierfür die Erwägung materiellrechtliche Gerechtigkeit auch auf Ebene des Kollisionsrechts zu verwirklichen, indem die materiellrechtlich als schwächer angesehene Partei auch internationalprivatrechtlichen Schutz erfährt. Die Kommission begründet sowohl die gefundene Lösung des Art. 4 Abs. 1 lit. e) für Franchiseverträge als auch diejenige des lit. f) für Vertriebsverträge damit, dass das materielle Gemeinschaftsrecht den Franchisenehmer 481
MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 147; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 82.
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und den Vertriebshändler als schwächere Partei ansehe. 482 Zweifelhaft ist jedoch, ob die Begründung trägt. Der Kommissionsentwurf führt zu den Vorschlägen zu Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f)483 an, das materielle Gemeinschaftsrecht sehe Franchisenehmer und Vertragshändler als schwächere Partei an. Unklar bleibt, welches materielle Gemeinschaftsrecht der Verordnungsgeber im Sinn hatte, mangelt es doch an einer unionsrechtlichen Regelung eben dieser Vertragstypen. 484 Allein das europäische Kartellrecht enthält Bestimmungen für Franchise- und Vertriebsverträge, die aber keinen Hinweis auf die Schutzbedürftigkeit dieser Unternehmergruppen beinhalten. 485 Darüber hinaus sind einzig die nach bestrittener Ansicht als Vertriebsvertrag einzustufenden Handelsvertreterverträge bislang durch die Handelsvertreterrichtlinie teilweise materiellrechtlich vereinheitlicht worden. 486 Dass die Handelsvertreterrichtlinie den Handelsvertreter als die unterlegene Partei ansieht, ist oben ausführlich dargestellt worden.487 Die Annahme einer strukturellen Unterlegenheit von Franchisenehmer und Vertragshändler liegt zwar nahe, hat aber bislang keine Entsprechung im Unionsrecht gefunden. Die Kommissionsbegründung behauptet folglich einen materiellrechtlichen Schutz, der in dieser Form nicht existiert. 488 Zutreffend ist die Einstufung von Vertragshändler und Franchisenehmer als strukturell unterlegener Partei – entgegen anderslautender Ansicht 489 – dennoch.490 Typischerweise fallen diese Parteien unter die oben aufgestellten Kriterien struktureller Unterlegenheit. Akzeptiert man die Argumentation des Verordnungsgebers, Franchisenehmer und Vertriebshändler seien die schwächere Partei, bleibt zu erörtern, ob die Abwendung von der primären Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der charakteristischen Leistung einen adäquaten Schutz der schwächeren Partei gewährleistet. Im Verbrauchervertragsrecht wird vorgebracht, die Anknüpfung an die charakteristische Leistung bevorzuge bereits per se tendenziell die Partei, die diese Leistung berufsmäßig erbringe, 482
KOM(2005), 650, S. 6. Im ursprünglichen Entwurf noch lit. g) und h). 484 Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2083 ff. 485 Regelungen enthalten etwa die Verordnung (EWG) Nr. 4087/88 der Kommission vom 30.11.1988 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Franchisevereinbarungen, ABl. EWG Nr. L 359 vom 28.12.1988, S. 46 und die VO (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 27.12.1999 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. EG Nr. L 336 vom 29.12.1999, S. 21. 486 Reithmann/Martiny/Häuslschmid Rn. 2161. 487 Siehe hierzu schon oben § 2A. 488 Kritisch auch: Ancel, YbPIL 2008, 221, 226; Kessedjian, in: Basedow/Baum/ Nishitani (Hrsg), Japanese and European Private International Law in Comparative Perspective, S. 105, 124 Fn. 45. 489 So etwa Ancel, YbPIL 2008, 221, 226; Ferrari, in: Ferrari/Leible (Hrsg) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 57, 87; Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2092. 490 Dazu bereits oben 0; im Übrigen auch García Gutiérrez, YbPIL 2008, 233, 239. 483
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gegenüber dem bloßen Abnehmer. 491 Regelmäßig wird der die charakteristische Leistung erbringende Verkäufer oder Dienstleister über einen höheren Professionalisierungsgrad verfügen, womit auch eine stärkere Stellung beim Vertragsschluss und eine überlegene wirtschaftlich-faktische Position einhergehen, welche die Durchsetzung von eigenen und die Abwendung gegnerischer juristischer Ansprüche erleichtern kann. 492 Darin liegt der Grund, warum im Rahmen von Verbraucherverträgen eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der charakteristischen Leistung durch Art. 6 Rom I-VO zugunsten der am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers geltenden Rechtsordnung verdrängt wird.493 In den internationalen Handelsverkehr lassen sich diese Überlegungen jedoch nicht übertragen. 494 Dass der Erbringer der charakteristischen Leistung zugleich den höheren Professionalisierungsgrad aufweist und über eine strukturell überlegene Position verfügt, ist nicht zwingend. Insbesondere bei Zulieferern von Großunternehmen ist ohne weiteres die gegenteilige Konstellation vorstellbar, möglicherweise sogar vorherrschend.495 Eine grundsätzliche Benachteiligung des strukturell unterlegenen Unternehmers durch die Anknüpfung an das Recht des Erbringers der charakteristischen Leistung ist folglich nicht festzustellen. Ob die Anknüpfung an die charakteristische Leistung zu einer Schlechterstellung der schwächeren Partei führt, kann folglich nur für jeden Vertragstyp separat bestimmt werden. 496 Im internationalen Handelsverkehr verursacht die charakteristische Leistung unter Schutzaspekten rein zufällige Ergebnisse. Ob ein Franchisenehmer oder Vertriebshändler von der Anwendung seines Heimatrechts ausgehen darf, hängt davon ab, welcher Ansicht man zur Bestimmung der charakteristischen Leistung folgt. Die Regelanknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) vermeiden dies. Vielmehr findet mangels Rechtswahl das am gewöhnlichen Aufenthalt des Franchisenehmers und Vertriebshändlers geltende Recht Anwendung. Da diese beruflich handeln, kommt gemäß Art. 19 Rom I-VO das an ihrem Geschäftssitz geltende Recht zur Anwendung. Dies ist für den Franchisenehmer und den Vertriebshändler von Vorteil, weil eine diesen vertraute Rechtsordnung Anwendung findet. 497 Es ist davon auszugehen, dass sie zumindest über grundlegende Kenntnisse der in ihrem Geschäftsumfeld gelten491
Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57, 79; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 154; Staudinger/Magnus, Art. 28 EGBGB Rn. 65. 492 Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57, 79; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 154; Rauscher/Heiderhoff Art. 6 Rom I-VO Rn. 1. 493 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 154; Rauscher/Heiderhoff Art. 6 Rom I-VO Rn. 1. 494 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 154. 495 Dies eingestehend: Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57, 79. 496 Kritischer: Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57, 79. 497 Vgl zu den für den Verbraucher beabsichtigten Vorteilen: Staudinger/Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 127.
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den Rechtsordnung verfügen. Im Zweifel ist damit der unterlegenen Partei das Einholen von Rechtsrat vergleichsweise transaktionskostengünstig möglich. Käme man aufgrund der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der charakteristischen Leistung zur Anwendung der Rechtsordnung des überlegenen Vertragspartners, so fände mit dem Recht des Franchisegebers bzw. Lieferanten in internationalen Vertragskonstellationen eine für den Franchisenehmer bzw. Vertriebshändler unbekannte Rechtsordnung Anwendung. Dies würde letztere, welche sich regelmäßig aufgrund der Vertragsbedingungen ebenso wie aufgrund eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts ohnehin in einer schwächeren Position befinden, eine Durchsetzung der ihnen zustehenden Ansprüche im Streitfalle zusätzlich erschweren, da ihnen die schnelle und kostengünstige Einholung von Rechtsrat nicht ohne Weiteres möglich ist. Der dem strukturell unterlegenen Unternehmer durch die Anwendung seines Heimatrechts eingeräumte Schutz, ist rein internationalprivatrechtlicher Natur. Es findet eine Rechtsordnung Anwendung, mit welcher er räumlich eng verbunden ist. Materiellrechtliche Folgen der Rechtsanwendung für den strukturell unterlegenen Unternehmer bleiben außer Betracht. Denn dass beispielsweise von der am Sitz des Franchisenehmers geltenden Rechtsordnung auf materiellrechtlicher Ebene eine tatsächliche Schutzwirkung ausgeht, ist nicht zwingend. 498 Eine solche würde sich aus Sicht des Franchisenehmers an einer strengen AGB-Kontrolle, günstigen Kündigungsbedingungen, einer Einschränkung der Zulässigkeit von Vertragsstrafen oder etwa dem Bestehen eines nachvertraglichen Ausgleichsanspruchs bemessen. 499 Es ist freilich ebenso möglich, dass die am Sitz des Franchisegebers geltende Rechtsordnung den Franchisenehmer in diesen Punkten materiellrechtlich besser stellt.500 Es lässt sich einwenden, der Franchisenehmer dürfe allein auf die Reichweite „seiner“ Rechtsordnung vertrauen, etwaige Begünstigungen der Rechtsordnung des Franchisegebers hingegen seien rein zufällig.501 Die Schutzwirkung der Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) bleibt dennoch begrenzt. Eine materiellrechtliche Besserstellung des Franchisenehmers und des Vertriebshändlers gegenüber einer Anknüpfung an den Sitz des Franchisegebers oder Lieferanten findet nur dann statt, wenn die an deren Sitz geltende Rechtsordnung die schwächere Partei begünstigt.502 In der umgekehrten Situation be498
Ancel, YbPIL 2008, 221, 226. Hierzu bereits oben § 1A.III. 500 Vgl. zur verbraucherschützenden Norm des Art. 29 Abs. 2 EGBGB: Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 192 f. 501 Vgl. zur inhaltlichen Begründung des Günstigkeitsprinzips im Rahmen des Art. 6 Rom I-VO bzw. Art. 5 EVÜ siehe Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 182 ff. sowie Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 22 ff. 502 Vgl. Ancel, YbPIL 2008, 221, 226. 499
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wirkt die Regelung sogar eine materiellrechtliche Schlechterstellung der strukturell unterlegenen Partei.503 Der einzige Schutz, den Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) zugunsten von Vertriebshändler und Franchisenehmer gewähren, ist die Anwendbarkeit des der unterlegenen Partei vertrauten Rechts. Ein weitergehender Schutz wäre durch die Schaffung eines Günstigkeitsvergleichs, ähnlich wie in Art. 6 und 8 Rom I-VO zu erreichen gewesen, indem man die Anwendbarkeit der Rechtsordnung am Sitz des Franchisenehmers unter die Bedingung der materiellrechtlichen Günstigkeit der Rechtsordnung am Sitz des Franchisenehmers gestellt hätte.504 Eine weitere ganz offensichtliche Schutzlücke stellt die mangelnde Rechtswahlfestigkeit der Bestimmungen des Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) statt. Der über die objektive Anknüpfung erreichte Schutz lässt sich ohne weiteres durch die Vereinbarung einer Rechtswahl umgehen.505 b) Rechtssicherheit Nach den Erwägungen der Kommission tritt die strenge Orientierung an der charakteristischen Leistung auch deshalb in den Hintergrund, weil die Bestimmung dieser in den genannten Fällen in den Mitgliedstaaten umstritten war.506 Zweifelsohne gelingt dem Verordnungsgeber mit diesem Vorgehen ein Gewinn an Rechtssicherheit, denn die umstrittene Anknüpfung der genannten Vertragstypen wird einer eindeutigen Lösung zugeführt. 507 Durch die Neuregelung entfällt der Streit um die Bestimmung der vertragscharakteristischen Leistung. 508 Größere Bedeutung für die Gewährleistung von Rechtssicherheit kommt nun freilich den Definitionen der Vertragstypen zu. Während für die Generalklausel des Art. 4 Abs. 2 EVÜ die exakte Typisierung eines Vertrags weitgehend entbehrlich war, da eine charakteristische Leistung auch für jeden Einzelfall bestimmbar ist, ist für die Bestimmung des Vertragsstatuts nach Art. 4 Rom I-VO die Subsumtion unter einen Regelfall entscheidend.509 Es ist folglich damit zu rechnen, dass Letzteres zukünftig an Bedeu-
503 Vgl. zur verbraucherschützenden Norm des Art. 29 Abs. 2 EGBGB: Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 192 f. 504 García Gutiérrez, YbPIL 2008, 233, 242; allgemeiner: Ancel, YbPIL 2008, 221, 226. 505 Vgl. García Gutiérrez, YbPIL 2008, 233, 242; insbesondere kommt im Falle einer Rechtswahl im Regelfall auch kein Schutz aus Art. 9 Rom I-VO in Betracht: MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 117. 506 KOM(2005), 650, S. 6. 507 Ferrari, in: Ferrari/Leible (Hrsg) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 57, 86 f.; Mankowski, IPRax 2006, 101, 103 f.; Wagner, IPRax 2008, 377, 382. 508 Magnus, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 27, 41 f. 509 Ancel, YbPIL 2008, 221, 227.
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tung gewinnen wird. 510 Die Auslegung der Begriffe Franchisevertrag und Vertriebsvertrag ist zweifelsohne autonom vorzunehmen.511 Doch fehlt es bislang an allgemeinverbindlichen Definitionen der Begriffe, woran sich bis zu einer Charakterisierung durch den EuGH wenig ändern dürfte. Für den Franchisevertrag schlägt Dutta vor, auf die diesbezügliche Definition der Franchise-GVO512 zurückzugreifen, laut welcher es sich beim Franchise um einen Vertrag über „eine Gesamtheit von Rechten an gewerblichem oder geistigem Eigentum wie Warenzeichen, Handelsnamen, Ladenschilder, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Urheberrechte, Know-how oder Patente, die zum Zwecke des Weiterverkaufs von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen an Endverbraucher genutzt wird“ 513 handelt.514 Dieser Rückgriff ist zwar nicht zwingend, erscheint aber praktikabel. Beim Vertriebsvertrag stellt sich ebenfalls die Frage nach der Umgrenzung des Begriffs. Die Rom I-Verordnung stellt in Erwägungsgrund 17 lediglich klar, dass es sich beim Vertriebsvertrag um einen besonderen Dienstvertrag handelt. Eine Definition bleibt der Verordnungsgeber schuldig. So bleibt etwa offen, ab welcher Regelungsidentität ein Rahmenvertrag einen Vertriebsvertrag darstellt oder bloß eine Reihe von Kaufverträgen zusammenfasst. 515 Fraglich ist darüber hinaus insbesondere, ob neben dem Vertragshändlervertrag auch der Handelsvertretervertrag als Vertriebsvertrag im Sinne des Art. 4 Abs. 1 lit. f) anzusehen ist. Dies wird von der wohl herrschenden Meinung bestritten.516 Der Handelsvertreter unterscheide sich durch ein mangelndes eigenes Absatzrisiko vom Vertriebshändler, der seinerseits zwar in die Absatzorganisation des Herstellers eingebunden, jedoch auf einer eigenen Stufe stehe, wohingegen der Handelsvertreter lediglich Absatzhelfer des Unternehmers sei.517 Bei einer faktisch wirtschaftlichen Betrachtung kann ein Handelsvertreter eine dem Vertragshändler vergleichbare Stellung im Vertriebs510
Vgl. zur Problematik der Bestimmung des Dienstleistungsvertrags im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO EuGH, Urteil vom 23.04.2009, Rs. C-533/07 (Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch ./. Gisela Weller-Lindhorst), EuGHE 2009, 3327. 511 Ancel, YbPIL 2008, 221, 227; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 22; Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn. 71. 512 VO (EWG) Nr. 4087/88 der Kommission vom 30.11.1988 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von Franchisevereinbarungen, ABl. EWG Nr. L 359 vom 28.12.1988, S. 46. 513 Art. 1 Abs. 3 lit.a VO (EWG) Nr. 4087/88 der Kommission vom 30.11.1988 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von Franchisevereinbarungen, ABl. EWG 1988 Nr. L 359 vom 28.12.1988, S. 46. 514 Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2099. 515 Ancel, YbPIL 2008, 221, 228. 516 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 118; Reithmann/Martiny/ Häuslschmid Rn. 2137; Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn. 71; a.A.: Rauscher/ Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 55. 517 Reithmann/Martiny/Häuslschmid Rn. 2137; Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn. 71.
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system des Herstellers einnehmen, was gegen diese Ansicht spricht.518 Lehnt man mit der herrschenden Meinung eine Subsumtion unter lit. f) ab, so ist über Art. 4 Abs. 1 lit. b), worunter der Handelsvertretervertrag als Dienstvertrag fällt, freilich ebenfalls das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Handelsvertreters anwendbar, sodass die praktischen Unterschiede begrenzt sind.519 Das Beispiel macht indes deutlich, welche Bedeutung die nicht immer offensichtliche Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 4 Abs. 1 für die Bestimmung des anwendbaren Rechts gewinnen kann. Festzuhalten ist, dass durch die Abkehr von der charakteristischen Leistung für typische Verträge ein ganz erheblicher Gewinn an Rechtssicherheit erzielt wird. In Grenzfällen hingegen wirft die Regelanknüpfung neue Schwierigkeiten bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts auf.520 c) Internationaler Entscheidungseinklang Vielfach kritisiert wird, die Berücksichtigung materiellrechtlicher Kriterien führe zur Beeinträchtigung des internationalen Entscheidungseinklangs. Da nicht sämtliche Gesetzgeber weltweit die Einstufung von Franchisenehmern und Vertriebshändlern als schutzbedürftig teilten, führe eine Orientierung hieran zu einer unterschiedlichen Anknüpfung. Diesem Argument ist zum einen entgegenzuhalten, dass sich – wie noch zu zeigen wird – auch international, insbesondere in den Vereinigten Staaten, eine Tendenz erkennen lä sst, Franchisenehmer und Vertriebshändler mittels objektiver Anknüpfung zu schützen,521 zum anderen ist auch die charakteristische Leistung kein Kriterium, welches sich universeller Akzeptanz erfreut. Wie bereits zuvor angemerkt, ist der internationale Entscheidungseinklang zwar ein zu berücksichtigender Faktor, ihm kommt jedoch ohnehin nur untergeordnete Bedeutung zu.522 d) Rechtsökonomische Betrachtung Die Anknüpfung an den Sitz von Franchisenehmer und Vertriebshändler ist aus Sicht des jeweiligen Vertragspartners besonders dann ökonomisch ungünstig, wenn er in einer Vielzahl von Staaten tätig wird. Er ist gezwungen sich für die Erschließung jeden neuen Marktes auf eine andere Rechtsordnung einzustellen, sich entsprechenden Rechtsrat zu suchen und seine Verträge anzupassen. Diese Kosten verteuern die Durchführung des Vertrags erheblich, sie können zudem eine Markteintrittsbarriere darstellen, die der interna518
Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 55. Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 55; Staudinger/Magnus Art. 4 Rom I-VO Rn. 71. 520 Ancel, YbPIL 2008, 221, 228. 521 Dazu noch unten § 2D. 522 Dazu oben § 3D.IV. 519
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tional tätige Unternehmer nur dann überwinden wird, wenn er sich von dem betreffenden Markt eine hohe Profitabilität verspricht. Hierunter kann die schwächere Partei ebenso leiden, wie unter den erhöhten Kosten des Vertrags, an welchen diese beispielsweise durch eine niedrigere Provision beteiligt werden dürfte. Die Schaffung größerer Rechtssicherheit führt zumindest insofern zu einer Begrenzung dieser Kosten, als sie die verlässliche Kalkulation derselben ermöglicht. Dem strukturell unterlegenen Unternehmer schließlich kommen die ökonomischen Vorzüge der Anwendung einer ihm vertrauten Rechtsordnung zugute. Das Auffinden rechtlichen Rates wird für ihn günstiger; vorvertragliche Beratung, so er sie denn in Anspruch nimmt, ist für ihn leichter zugänglich. Ein aufgrund der Anwendung einer fremden Rechtsordnung aufwändiger Prozess bleibt ihm im Streitfall erspart. 3. Zwischenergebnis Im Ergebnis kann die Lösung der Rom I-Verordnung für die objektive Anknüpfung von Franchise-, Vertriebs- und Handelsvertreterverträgen überzeugen. Etwaige Rechtsunsicherheiten, die zuvor aufgrund divergierender Rechtsprechung bestanden, werden durch die Regelanknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO weitgehend ausgeräumt. 523 Die von kritischen Stimmen in der Literatur vorgebrachten Bedenken, die Einführung des Schutzgedankens in das System der objektiven Anknüpfung, sei als Fremdkörper anzusehen, der die Anwendung des räumlich am engsten verbundenen Rechts verhindere, 524 vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Die Beachtung des Schutzgedankens ist im Zuge einer zunehmenden Materialisierung des Kollisionsrechts konsequent und richtig. Das Kollisionsrecht kann sich nicht vollständig von materiellrechtlichen Wertungen lösen. Die internationalprivatrechtliche Nähe zum Vertrag bleibt überdies auch mit der Anknüpfung an den Sitz der schwächeren Vertragspartei gewahrt. Selbst wenn man bestreitet, die Pflichten des Franchisenehmers und des Vertriebshändlers charakterisierten den jeweiligen Vertrag, so kommt dem am Sitz der Absatzmittler durchgeführten Vertrieb jedenfalls eine für den Vertrag wesentliche Bedeutung zu. Eine sachliche und räumliche Nähe des Vertrags zum Sitz dieser Parteien ist nicht zu leugnen. Zudem kann bezweifelt werden, dass die Anknüpfung an den Sitz des Erbringers der charakteristischen Leistung eine treffsichere Bestimmung des „Sitzes“ des Rechtsverhältnisses ermöglichte. Bereits unter Geltung des Art. 4 Abs. 2 EVÜ kamen die Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der charakteristischen Leistung zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wessen Leis523 Ancel, YbPIL 2008, 221, 231; Ferrari, in: Ferrari/Leible (Hrsg) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 57, 86 f. 524 Ferrari, in: Ferrari/Leible (Hrsg) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 57, 86 f.; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 535; Weller, IPRax 2011, 429, 436; zweifelnd auch: Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2092.
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tung als die charakteristische Leistung anzusehen war, war hochgradig umstritten. Erst recht muss folglich in Zweifel gezogen werden, dass ein Beharren auf dieser Lösung internationalen Entscheidungseinklang garantieren könnte. Zweifelhaft bleibt die Begrenzung des Schutzgedankens auf die objektive Anknüpfung, denn eine Schutzwirkung zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers folgt aus den Bestimmungen des Art. 4 Rom I-VO lediglich in sehr begrenztem Maße. 525 Eine solche besteht einzig darin, dem unterlegenen Unternehmer mangels Rechtswahl die ihm vertraute Rechtsordnung zur Anwendung zu bringen. Der Schutz ist damit lediglich internationalprivatrechtlicher Natur. Ob damit auch das für ihn materiell günstigere Recht Geltung beansprucht, ist eine Frage des Einzelfalls und letztlich dem Zufall überlassen. Im Falle einer ihm möglicherweise aufgrund der wirtschaftlichen Stärke des Vertragspartners aufgezwungenen Rechtswahl, die ein für den strukturell unterlegenen Unternehmer nachteiliges Recht zur Folge hat, bietet Art. 4 anders als Art. 6 oder 8 Rom I-VO keinen Schutz. 526 Die im materiellen Recht auffindbaren Schutzbestimmungen zugunsten des Franchisenehmers sowie des Vertragshändlers und Handelsvertreters finden damit im Internationalen Privatrecht nur eine unzureichende Entsprechung. Der von ihnen intendierte Schutz der schwächeren Partei lässt sich, wenn nicht ein Binnensachverhalt vorliegt oder die relevante Schutznorm ausnahmsweise als Eingriffsnorm anzusehen ist, durch eine Rechtswahl umgehen, die praktisch den Regelfall darstellen dürfte. 527 Der Verordnungsgeber hat letztlich in der zuvor umstrittenen Frage nach der Bestimmung der charakteristischen Leistung bei Franchise- und Vertriebsverträgen das Bedürfnis des strukturell unterlegenen Unternehmers nach der Anwendung einer ihm vertrauten Rechtsordnung, den Ausschlag geben lassen und damit die Schutzbedürftigkeit des Unternehmers als Faktor eingeführt, um das objektiv anwendbare Recht zu bestimmen. Einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers erreicht die Rom I-Verordnung mit den Bestimmungen des Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) nur sehr bedingt. III. Versicherungsverträge Wie oben im Rahmen der Rechtswahl bereits beleuchtet, weisen auch die Regelungen zum Versicherungsvertrag im Rahmen von Versicherungsverträgen über Massenrisiken einen Schutzcharakter auf, der auch Unternehmern zugutekommt. 528 Für die objektive Anknüpfung von Versicherungsverträgen schafft Art. 7 Rom I-VO von Art. 4 Rom I-VO abweichende Sonderanknüp525
Ancel, YbPIL 2008, 221, 226 f.; wohl auch: Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2092. García Gutiérrez, YbPIL 2008, 233, 242. 527 García Gutiérrez, YbPIL 2008, 233, 242. 528 Siehe hierzu bereits § 1B.IV.1.b) 526
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fungen. Wiederum gilt es zu untersuchen, inwieweit diese ein internationalprivatrechtlich gerechtes Ergebnis gewährleisten. 1. Rechtslage nach der Rom I-VO Die Komplexität der Regelung der Versicherungsverträge ist oben bereits ausführlich beleuchtet worden. Im Rahmen der objektiven Anknüpfung setzt sich die Komplexität der Regelung fort. Wiederum ist zu unterscheiden z wischen Rückversicherungsverträgen, Versicherungsverträgen über Groß- und solchen über Massenrisiken. Bei letzteren ist zu differenzieren, ob sich der Belegenheitsort des Risikos in der EU oder außerhalb der Union befindet. 529 Während die Anknüpfung von Rückversicherungsverträgen umstritten530 und für diese Untersuchung ohne Relevanz ist, 531 unterstehen Versicherungsverträge über Großrisiken mangels Rechtswahl gemäß Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 Rom I-VO dem am gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherers geltenden Recht. Eine Ausweichklausel zugunsten einer engeren Verbindung ist zwar vorgesehen. Eine solche engere Verbindung zum Ort der Risikobelegenheit anzunehmen, dürfte freilich an der Systematik des Art. 7 Rom I-VO scheitern, denn der Verordnungsgeber beabsichtigte eine von der Anknüpfung für Verträge über Massenrisiken nach Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 Rom I-VO abweichende Lösung zu schaffen. 532 Solche über in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union belegene Massenrisiken gemäß Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 Rom I-VO unterstehen hingegen der Rechtsordnung des Staates, in dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses das Risiko belegen ist. Deckt ein Vertrag in verschiedenen Mitgliedstaaten belegene Risiken ab, so ist nach Art. 7 Abs. 5 Rom I-VO eine Vertragsspaltung vorzunehmen und jedes Risiko separat anzuknüpfen. 533 Versicherungsverträge, die ein außerhalb der Union belegenes Risiko abdecken, sind nach herrschender Meinung als Dienstleistungsverträge anzusehen und richten sich damit Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO, der auf das am gewöhnlichen Aufent529 Hierzu bereits ausführlich: § 1B.IV.1; ein Überblick findet sich auch bei: Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 2 ff. sowie Perner, IPRax 2009, 218, 220 ff. 530 Für das Recht des Erstversicherers: MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rom I-VO Rn. 18; Rauscher/Fricke Art. 7 Rom I-VO Rn. 7; Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 133; Reithmann/Martiny/Schnyder Rn. 4753; Staudinger/Armbrüster Art. 7 Rom I Rn. 8; für das Recht des Rückversicherers: Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 9; Magnus, IPRax 2010, 27, 39; Mankowski, VersR 2002, 1177, 1183 ff. Perner, IPRax 2009, 218, 220; Staudinger, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa S. 225, 231. 531 Zumeist dürfte ohnehin eine Rechtswahl vorliegen: Rauscher/Fricke Art. 7 Rom IVO Rn. 7; Staudinger/Armbrüster Art. 7 Rom I Anh Rn. 8. 532 Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 4; weniger strikt: Fricke, VersR 2008, 443, 447; Rauscher/Fricke Art. 7 Rn. 12; offen lassend: MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rom I-VO Rn. 22. 533 Rauscher/Fricke Art. 7 Rom I-VO Rn. 44.
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halt des Versicherers geltende Recht verweist. 534 Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man stattdessen Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO für anwendbar hält und auf die charakteristische Leistung des Versicherers abstellt. 535 Zu erwägen ist freilich eine engere Verbindung des Versicherungsvertrags zur am Belegenheitsort des Risikos geltenden Rechtsordnung über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO anzunehmen.536 Auf diese Weise lässt sich eine Gleichbehandlung mit den Verträgen über in der Union belegene Risiken herstellen, die nach Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 Rom I-VO ebenfalls dem am Ort der Risikobelegenheit geltenden Rechtsordnung unterliegen. 537 Hiergegen wird eingewandt, der Verordnungsgeber habe durch das Erfordernis der offensichtlich engeren Verbindung in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO einen engen Maßstab an den Anwendungsbereich der Ausweichklausel anzulegen beabsichtigt538 und durch den eindeutigen Wortlaut der Norm bekräftigt, außerhalb der EU belegene Risiken nicht der Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO zu unterstellen, sondern mit der Folge separat anzuknüpfen, dass auf Verträge mit Risikobelegenheit außerhalb der EU eine andere Rechtsordnung anwendbar ist.539 Jedoch wird die Berechnung des zu versichernden Risikos ganz maßgeblich durch die örtlichen und rechtlichen Gegebenheiten des Belegenheitsortes geprägt, sodass die Anwendung dieser Rechtsordnung eine kollisionsrechtlich enge Verbindung auch dann gewährleistet, wenn man annimmt, eine Berücksichtigung des Schutzes des Versicherungsnehmers sei außerhalb des Art. 7 Rom I-VO aus systematischen Gründen unzulässig. 540 Damit unterliegen Versicherungsverträge über Großrisiken dem am gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherers geltenden Recht, für Verträge über Massenrisiken kommt die Rechtsordnung des Ortes der Risikobelegenheit zur Anwendung.
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Heiss, FS Kropholler, S. 459, 477; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 8; MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rom I-VO Rn. 26; Staudinger/Armbrüster Art. 7 Rom IVO Anh Rn. 6; Staudinger, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa S. 225, 230. 535 PWW/Ehling Art. 7 Rom I-VO Rn. 13; Reithmann/Martiny/Schnyder Rn. 4745. 536 Rauscher/Fricke Art. 7 Rom I-VO Rn. 39 f.; ders., VersR 2008, 443, 452; Rauscher/Thorn, Art. 4 Rom I-VO Rn. 133; zum selben Ergebnis kommt Fricke mit dem noch weitergehenden Vorschlag die Differenzierung nach Belegenheitsort als Redaktionsvers ehen anzusehen und auch Verträge über außerhalb der EU belegene Risiken unmittelbar Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 Rom I-VO zu unterwerfen: ders., VersR 2008, 443, 448. 537 Rauscher/Fricke Art. 7 Rom I-VO Rn. 40. 538 Zur offensichtlich engeren Verbindung: Magnus, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 27, 48 f.; Mankowski, IHR 2008, 133, 137; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 248; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 626. 539 Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 8. 540 Rauscher/Thorn, Art. 4 Rom I-VO Rn. 133.
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2. Kollisionsrechtlicher Interessenausgleich Die Anknüpfung von Verträgen über Großrisiken folgt dem Prinzip, die engste Verbindung eines Vertrags zum gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der charakteristischen Leistung zu sehen, denn die charakteristische Leistung erbringt der Versicherer.541 Für die diesbezügliche die Begünstigung des Versicherers spricht, dass der Versicherer die rechtlich komplexere Leistung erbringt,542 und von einem Rationalisierungseffekt profitiert, wenn er – wie häufig – vergleichbare Produkte in diversen Staaten anbietet. Denn qua objektiver Anknüpfung unterstehen sämtliche seiner Verträge dann seinem Sitzrecht. In grenzüberschreitenden Vertragskonstellationen stellt dies eine nicht zu unterschätzende Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar. 543 Es kommt eine Rechtsordnung zur Anwendung, mit welcher der Versicherungsnehmer nicht vertraut ist. Das Einholen von Rechtsrat wird kostspieliger. Auch im Rechtsverkehr zwischen Unternehmern nimmt der Verordnungsgeber zu Recht ein Schutzbedürfnis an, das insbesondere in der hochspezialisierten Versicherungsbranche zu Tage tritt. 544 Es ist davon auszugehen, dass auch kleine und mittlere Unternehmen den Vertragsbedingungen eines Versicherers ohne eigene Gestaltungsoptionen ausgesetzt sind. Für den Versicherungsnehmer, der einen Vertrag über die Versicherung von Massenrisiken schließt, stellt die Abwendung von der Anknüpfung an die charakteristische Leistung und damit von der Anwendung des Sitzrechts des Versicherers zugunsten des Rechts des Risikobelegenheitsortes eine Begünstigung dar.545 Denn, wie oben bereits untersucht, befindet sich der Risikobelegenheitsort in der Vielzahl der Fälle am gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers. 546 Es findet damit das am Sitz des Versicherungsnehmers oder einer Zweigniederlassung geltende Recht Anwendung. Mit diesem ist
541 Rauscher/Thorn, Art. 4 Rom I-VO Rn. 132; ausführlich zur Diskussion um die charakteristische Leistung beim Versicherungsvertrag: MünchKommBGB/Martiny (4. Auflage), Art. 37 EGBGB Rn. 191 f. Der Streit hat nach Inkrafttreten der Rom I-VO freilich an Bedeutung verloren. 542 Siehe schon oben § 1C.II.1. 543 MünchKommBGB/Martiny (4. Auflage) Art. 37 EGBGB Rn. 192. 544 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 117; Heinze, NiPR 2009, 445, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 477; Staudinger, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 225, 241. 545 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 117; Reithmann/Martiny/Schnyder Rn. 4747; vgl. auch Fricke zu Rückversicherungsverträgen: VersR 2008, 443, 446; Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 192 f. 546 Art. 7 Abs. 6 Rom I-VO verweist insoweit auf Art. 2 lit. g) RL 88/357/EWG; Fricke, VersR 2008, 443, 448; Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 117; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 474; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5; MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rom I-VO Rn. 27.
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Kapitel 4: Schutz auf Ebene des Internationalen Privatrechts
der Versicherungsnehmer vertraut, im Falle juristischer Streitigkeit ist die Einholung von Rechtsrat einfacher und kostengünstiger möglich. 547 Für den Versicherer ist diese Anknüpfung weniger vorteilhaft, denn er ist gezwungen, sich für die Erschließung eines jeden ausländischen Marktes auf eine andere Rechtsordnung einzustellen. Dies verursacht zusätzliche Transaktionskosten, die den Versicherungsvertrag verteuern. Es steht zu befürchten, dass der Versicherer diese Kosten an den Versicherungsnehmer weitergibt. Freilich ist zu bedenken, dass der Versicherer sich bei der Aufnahme einer Tätigkeit auf einem neuen Markt unabhängig vom Vertragsstatut mit dem dort geltenden Versicherungsaufsichtsrecht wird auseinandersetzen müssen.548 Eine Berücksichtigung der dortigen Rechtsordnung findet folglich ohnehin statt. Schließlich garantiert die Anknüpfung an den Ort der Risikobelegenheit eine hinreichende räumliche und sachliche Nähe zum Vertragsgegenstand. Wie bereits festgestellt, bestimmt sich die Höhe des zu versichernden Risikos anhand lokaler Gegebenheiten. Das Ortsrecht kann diese am ehesten berücksichtigen. 3. Zwischenergebnis Letztlich gelingt dem Verordnungsgeber durch die Anknüpfung an den Risikobelegenheitsort eine Besserstellung des Versicherungsnehmers bei Verträgen über Massenrisiken durch die Anwendbarkeit einer mit diesem räumlich eng verbundenen Rechtsordnung. Als Ergebnis einer internationalprivatrechtlichen Interessenabwägung kann dies grundsätzlich überzeugen. Es kommt eine Rechtsordnung zur Anwendung, die eine internationalprivatrechtliche Nähe zum Versicherungsvertrag aufweist; die aus dem materiellen Recht abgeleitete Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers wird berücksichtigt. Der Schutz des Versicherungsnehmers beschränkt sich freilich auf die Anwendbarkeit einer diesem vertrauten Rechtsordnung. 549 Ob diese den Versicherungsnehmer tatsächlich materiell begünstigt oder sogar schlechter stellt als das Recht des Versicherers, welches aufgrund einer Anknüpfung an die charakteristische Leistung anwendbar wäre, bleibt außer Betracht. 550 Ein Günstigkeitsvergleich findet nicht statt. 551 Die Anknüpfung an den Risikobelegenheitsort überzeugt dennoch. Zum einen berücksichtigt sie den aufgrund der Materialisierung des Kollisionsrechts gebotenen Schutz des Versiche547
Vgl. zur verbraucherschützenden Norm des Art. 29 Abs. 2 EGBGB: Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 192 f. 548 Zum Zusammenspiel von Versicherungsaufsichtsrecht und Versicherungsvertragsrecht: W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 176 ff. 549 Vgl. zur verbraucherschützenden Norm des Art. 29 Abs. 2 EGBGB: Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 192 f. 550 Zur Parallele bei Vertriebsverträgen: § 1C.II.2.a). 551 Vgl. zur verbraucherschützenden Norm des Art. 29 Abs. 2 EGBGB: Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 192 f.
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rungsnehmers, zum anderen folgt aus ihr auch unter Abwägung rein kollisionsrechtlicher Interessen die Anwendung der Rechtsordnung mit der engsten Verbindung.552 Sie kommt daher auch dem internationalen Entscheidungseinklang zugute. IV. Ergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass auch bei fehlender Rechtswahl ein gewisser Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers von der Rom IVerordnung bewirkt wird. Die Gesetzestechnik ist dabei in allen untersuchten Fällen dieselbe. Es kommt die am gewöhnlichen Aufenthalt des strukturell unterlegenen Unternehmers geltende Rechtordnung zur Anwendung. Ein Schutz des Unternehmers findet durch die Anwendung eines ihm vertrauten Rechts statt. Der Verordnungsgeber wählt damit eine rein formale Perspektive, eine materielle Überprüfung findet nicht statt. Diese Regelungstechnik entspricht derjenigen zur objektiven Anknüpfung von Verbraucherverträgen nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO.553 Er bezweckt dem strukturell unterlegenen Unternehmer den Schutzstandard seines Umweltrechts zu bewahren, nicht ihm die aus seiner Perspektive zufälligen Begünstigungen einer dritten Rechtsordnung zu gewähren. 554 Der Vergleich von Franchise- und Vertriebsverträgen auf der einen und Versicherungsverträgen auf der anderen Seite macht auch eine weitere Limitierung des Schutzansatzes auf Ebene der objektiven Anknüpfung deutlich. Nimmt der Verordnungsgeber wie im Falle von Franchise- und Vertriebsverträgen zugleich keine Einschränkung der Rechtswahl vor, kann der durch eine den strukturell unterlegenen Unternehmer begünstigende objektive Anknüpfung bewirkte Schutz ohne weiteres umgangen werden. Die Befürchtung, die Einführung des Schutzgedankens in das System der objektiven Anknüpfung konterkariere dessen Sinn und Zweck, bewahrheitet sich indes nicht. Die in den untersuchten Fällen durch den Verordnungsgeber zur Anwendung bestimmten Rechtsordnungen weisen trotz der Abweichung von der Anknüpfung an die charakteristische Leistung eine große sachliche bzw. räumliche Nähe zum jeweiligen Lebenssachverhalt bzw. Vertragsverhältnis auf und stellen einen nachvollziehbaren internationalprivatrechtlichen Interessenausgleich dar. 555 Die objektive Anknüpfung ist folglich geeignet, auch dem Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers zu dienen.556 552
Fricke, VersR 2008, 443, 449; Rauscher/Thorn Art. 4 Rn. 133. Vgl. zur Wirkungsweise der Vorgängernorm Art. 29 Abs. 2 EGBGB: Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 192 f. 554 Vgl. zum Verbraucherschutzrecht des Art. 29 Abs. 2 EGBGB: Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 193; Kropholler, IPR, § 52 V 4, S. 485. 555 Anders die Befürchtung von Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 535 und Reithmann/Martiny/Dutta, Rn. 2092. 556 a.A.: Reithmann/Martiny/Dutta, Rn. 2092. 553
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Kapitel 4: Schutz auf Ebene des Internationalen Privatrechts
§ 2 US-amerikanisches Kollisionsrecht § 2 US-amerikanisches Kollisionsrecht
A. Einleitung Um die zum europäischen Kollisionsrecht gefundenen Ergebnisse besser einordnen und bewerten zu können, soll an dieser Stelle ein Vergleich mit dem US-amerikanischen Internationalen Privatrecht erfolgen. Ein solcher Rechtsvergleich steht vor der Schwierigkeit, dass ein einheitliches USamerikanisches Kollisionsrecht nicht existiert. Das Kollisionsrecht liegt in der Zuständigkeit der Einzelstaaten. 557 Die einzelstaatlichen Gerichte wenden folglich ihr eigenes Kollisionsrecht an. Einzelstaatliches Kollisionsrecht wenden auch die Bundesgerichte an. Die aus der Entscheidung des US Supreme Courts in Erie Railroad v. Tompkins hervorgehende so genannte ErieDoktrin verbietet den Bundesgerichten im Bereich der gesetzgeberischen Zuständigkeit der Einzelstaaten, bundesrechtliches common law zu schaffen.558 Die Entscheidung gilt auch im Kollisionsrecht und zwingt Bundesgerichte dazu, das Kollisionsrecht des Einzelstaates anzuwenden, in welchem es seinen Sitz hat. 559 Das einzelstaatliche Kollisionsrecht stellt zugleich Internationales Privatrecht und interlokales Privatrecht dar, regelt also nicht nur die Konflikte mit ausländischen Rechtsordnungen, sondern auch solche mit den Rechtsordnungen anderer US-Bundesstaaten. Während die Mehrzahl der vorhandenen Entscheidungen interlokaler Natur ist, nimmt die USamerikanische Rechtsprechung im Regelfall keine Differenzierung zwischen internationalen und interlokalen Sachverhalten vor, sodass Rückschlüsse auf das Internationale Privatrecht zulässig sind. 560 Unübersichtlicher wird die Rechtslage dadurch, dass allein die Staaten Oregon561 und Louisiana 562 ihr Kollisionsrecht umfassend kodifiziert haben. Darüber hinaus bestehen bereichsspezifische Kodifikationen im Uniform Commercial Code (UCC), die sich freilich auf den sachlichen Anwendungsbereich des UCC, hervorzuheben sind Kauf- und Mietvertragsrecht sowie Wertpapier- und Kreditsicherungsrecht, beschränken. 563 Im Übrigen unter557 Klaxon Co. v. Stentor Electric Manufactoring Co, 313 U.S. 487 (US Supreme Court, 1941); ein Überblick findet sich bei Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 229 ff. 558 Zur Erie-Doktrin: Erie Railraod v. Tompkins, 304 U.S. 64 (US Supreme Court, 1938); zur Entscheidung ausführlich: Younger, 56 Tex. L. Rev. 1011 (1977–1978); aus deutscher Perspektive: Göthel, ZVglRWiss 99, 338, 339. 559 Klaxon Co. v. Stentor Electric Manufactoring Co, 313 U.S. 487 (US Supreme Court, 1941). 560 Siehe § 3 Restatement (Second) Conflict of Laws sowie comment c, S. 6 f.; instruktiv die Entscheidung Stawski Distributing Co., Inc. v. Browary Zywiec S.A., 349 F.3d 1023, (7th Cir., 2003) zu einem Sachverhalt mit Auslandsberührung. 561 Or. Rev. Stat. §§ 81. 100–135 (2001), in Kraft seit 01.01.2002, ausführlich dazu: Symeonides, RabelsZ 67 (2003), 726 ff. 562 Louisiana Civil Code Art. 3515–3549. 563 Siehe insbesondere § 1–301 UCC.
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liegt das IPR dem case law der einzelstaatlichen Gerichte. Diese folgen zudem unterschiedlichen Ansätzen (approaches), in der Bestimmung des anwendbaren Rechts. So ist etwa nach dem auch im ersten Restatement Conflict of Laws niedergelegten traditionellen vested rights approach grundsätzlich jedes Gericht gehalten, seine eigene Rechtsordnung anzuwenden. 564 Eine Ausnahme bestehe allein für in einem anderen Hoheitsgebiet erworbene Rechte, die zu respektieren seien. Die Beurteilung dieser erworbenen Rechte richte sich wiederum allein nach dem am Ort ihres Erwerbs geltenden Recht. Folglich sei im Deliktsrecht das Recht des Erfolgsortes, im Sachenrecht das Recht des Belegenheitsortes und im Vertragsrecht das Recht des Abschlussortes anwendbar.565 Die governmental interest analysis, ein weiterer Ansatz, untersucht die Interessen der von einem Sachverhalt berührten Rechtsordnungen. Hat eine Rechtsordnung ein rechtliches Interesse an der Regelung des Sachverhalts, so kommt sie zur Anwendung. Im Falle eines Interessenkonflikts findet die lex fori Anwendung.566 Nach dem better law approach soll im Falle eines Interessenkonflikts zwischen mehreren Staaten hingegen der Rechtsordnung der Vorrang einzuräumen sein, die auf materieller Ebene aus sozioökonomischer Perspektive die passenderen Regeln bereitstellt.567 Die Anwendung dieses Prinzips dürfte aufgrund seiner Offenheit nicht selten zur Anwendbarkeit der lex fori führen. 568 Der significant contacts approach schließlich unterstellt einen Sachverhalt ungeachtet politischer Wertungen der Rechtsordnung, mit welcher die meisten (physischen) Berührungspunkte bestehen. Im Unterschied zum traditionellen vested rights approach des ersten Restatement wird dabei nicht auf eine einzelne räumliche Verknüpfung abgestellt, sondern es werden verschiedene Anhaltspunkte mit in die Erwägung einbezogen. 569 Letztlich ist die Rechtslage schwer zu erfassen. Zur Bestimmung des anwendbaren Rechts gilt es zunächst zu eruieren, welchem approach die Rechtsprechung in einem bestimmten Bundesstaat folgt. Dies wird dadurch erschwert, dass häufig für verschiedene Teilbereiche des Kollisionsrechts wiederum unterschiedliche Ansätze zur Anwendung kommen. Insbesondere folgen das Internationale Vertrags- und Deliktsrecht nicht immer denselben Prinzipien. 570 Zudem tendieren Gerichte dazu, approaches zu kombinieren und eigene Ansätze zu entwickeln. 571 Doch selbst wenn sich 564
Zum vested rights approach: Richman/Riley, 56 Md. L. Rev. 1196, 1197 ff. (1997). Dieser Ansatz wurde etwa im Restatement (First) Conflict of Laws niedergelegt. Siehe dazu etwa §§ 208 ff., 332 sowie §§ 377 ff. 566 Ausführlich: Curry/Kay/Kramer, Conflict of Laws, S. 132 f. 567 Leflar, 54 Cal. L. Rev. 1584, 1587 f. (1966). 568 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides, § 2.24; aus deutscher Perspektive siehe dazu: von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 45. 569 Hay/Borchers/Symeonides, § 2.22. 570 Instruktiv die Übersicht bei Hay/Borchers/Symeonides, § 2.20 Table 3. 571 Ausführlich: Hay/Borchers/Symeonides, § 2.25. 565
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Kapitel 4: Schutz auf Ebene des Internationalen Privatrechts
bestimmen lässt, welchem Ansatz in einem Einzelstaat der Vorzug gegeben wird, so bietet dieser approach häufig doch nur Richtlinien von generalklauselartiger Weite. Anstatt feste Anknüpfungsregeln aufzustellen, eröffnen die approaches dem Richter ein zum Teil beträchtliches Ermessen bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts, was dessen Vorhersehbarkeit erschwert und damit sowohl die Rechtssicherheit beeinträchtigt als auch die wissenschaftliche Untersuchung des Kollisionsrechtes behindert. Der Versuch einer Analyse des US-amerikanischen Internationalen Vertragsrecht wird durch das Bestehen des Restatement (Second) Conflict of Laws572 erleichtert. Dabei handelt es sich um den 1971 veröffentlichten Versuch einer Systematisierung des Fallrechts durch das American Law Institute, einer privaten Vereinigung von Professoren, Richtern und Anwälten. Aufgabe des Restatement ist es einerseits, das bestehende case law zusammenzufassen und damit zu ermöglichen, die geltende Rechtslage zu erschließen. Andererseits ist es Ziel des Restatement, einen Beitrag zur Entwicklung des Rechts zu leisten. Letzteres ist bei der Heranziehung des Restatement zu beachten. Es spiegelt nicht nur die geltende Rechtslage wider, sondern versucht auch eigene Akzente bei der Rechtsvereinheitlichung zu setzen. 573 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass dem Restatement nicht der Charakter einer zwingenden Rechtsnorm zukommt. Seine dennoch bestehende Tauglichkeit zum nachfolgenden Rechtsvergleich ergibt sich aus seiner im Vergleich zu den anderen genannten Ansätzen weitreichenden Akzeptanz. Die Gerichte in 24 USBundesstaaten folgen dem Restatement in Fällen des Internationalen Deliktsrechts,574 23 Staaten in Fragen des hier interessierenden Internationalen Vertragsrechts.575 Es kommt hinzu, dass viele Bundesgerichte das zweite Restatement in ihren Entscheidungen beachten. 576 Im Vergleich dazu folgen dem better law approach allein zwei Staaten im Internationalen Vertragsrecht,577 der governmental interest analysis schenken im Vertragsrecht keinerlei Staaten mehr Beachtung, sondern allein Kalifornien und der District of
572
Im Folgenden zitiert als Restatement (Second). Hay/Borchers/Symeonides, § 2.14. 574 Dies sind Alaska, Arizona, Colorado, Connecticut, Delaware, Florida, Idaho, Illinois, Iowa, Maine, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New Jersey, Ohio, Oklahoma, South Dakotah, Tennessee, Texas, Utah und Washington (zitiert nach Hay/Borchers/Symeonides, § 2.23 Table 7). 575 Dies sind Alaska, Arizona, Colorado, Connecticut, Delaware, Idaho, Illinois, Iowa, Kentucky, Maine, Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, New Hampshire, Ohio, South Dakotah, Texas, Utah Vermont, Washington und West Virginia (zitiert nach Hay/Borchers/Symeonides, § 2.23 Table 7). 576 Hay/Borchers/Symeonides, § 2.23; Symeonides, 56 Md. L. Rev. 1248, 1269 (1997). 577 Minnesota und Wisconsin (zitiert nach Hay/Borchers/Symeonides, § 2.20 Table 3); im Internationalen Deliktsrecht sind es zusätzlich Arkasas, New Hampshire und Rhode Island. 573
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Columbia im Internationalen Deliktsrecht.578 Die Gerichte in zwölf Staaten wenden nach wie vor den im ersten Restatement niedergelegten traditionellen vested rights approach an.579 Der significant contacts approach schließlich erfährt im Internationalen Vertragsrecht Zustimmung in fünf Rechtsordnungen.580 Die übrigen Staaten wenden individuelle, durch die eigene Rechtsprechung entwickelte Grundsätze an, die häufig mehrere Ansätze miteinander verbinden.581 Als prominente Beispiele hierfür können New York und Kalifornien dienen. Der New York Court of Appeals hat traditionell die governmental intererest analysis angewendet, kombiniert diese jedoch nunmehr mit dem significant contacts approach.582 Auch die kalifornischen Gerichte gehen im Internationalen Vertragsrecht wie im Deliktsrecht von einer eigenen Variante der interest analysis aus. Der so genannte comparative impairment approach berücksichtigt bei der Interessenabwägung, in welchem Maße die Anwendung forumfremden Rechts die Interessen der zu berücksichtigenden Staaten beeinträchtigen würde, und wendet das Recht desjenigen Staates an, dessen Interessen durch eine Nichtanwendung des eigenen Rechts am stärksten belastet würden. Im Vertragsrecht berücksichtigt die kalifornische Rechtsprechung in dieser Abwägung jedoch zudem die Wertungen des Restatement. 583 Freilich sind rein quantitative Vergleiche der einzelnen approaches mit Vorsicht zu betrachten. Sie basieren auf der Auswertung nicht immer eindeutiger und nicht immer aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung. In einigen Rechtsordnungen etwa hatten die obersten Gerichte Gelegenheit, in einem Teilgebiet des Internationalen Privatrechts durch Änderung ihrer Rechtsprechung zum Restatement (Second) zu wechseln. Hingegen kann es im Internationalen Vertragsrecht viele Jahre dauern, bis ein tauglicher Fall die obersten Gerichte erreicht und eine Zuordnung dieser Rechtsordnungen zu einem der approaches möglich wird.584 Eine quantitative Einordnung schließlich stößt spätestens dann an ihre Grenzen, wenn Gerichte dazu übergehen, mehrere approaches zu kombinieren oder ihre Entscheidungen lediglich in Teilen an die Vorschriften des Restatement anzulehnen. 585 Dennoch ist eine 578
Hay/Borchers/Symeonides, § 2.24. Dies sind Alabama, Florida, Georgia, Kansas, Maryland, New Mexico, Oklahoma, Rhode Island, South Carolina, Tennessee, Virginia und Wyoming (zitiert nach Hay/ Borchers/Symeonides, § 2.21 Table 6). 580 Arkansas, Indiana, Nevada, North Carolina, Puerto Rico (zitiert nach Hay/Borchers/ Symeonides, § 2.20 Table 3). 581 Dies sind das Hawaii, Kalifornien, Massachusetts, New Jersey, New York, North Dakota, Pennsylvania und der District of Columbia (zitiert nach Hay/Borchers/ Symeonides, § 2.20 Table 3). 582 In re Allstate Ins. Co, 81 N.Y.2d 219 (New York Court of Appeals, 1993). 583 Nedlloyd Lines v. Superior Court, 3 Cal.4th 459 (California Supreme Court, 1992). 584 Symeonides, 56 Md. L. Rev. 1248, 1261 f. (1997). 585 Symeonides, 56 Md. L. Rev. 1248, 1262 f. (1997). 579
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Entwicklung hin zu einer Ausbreitung des zweiten Restatement zu beobachten.586 Von den Teilrechtsordnungen, die seit den 1980er Jahren den von ihnen angewandten approach gewechselt haben, sind nahezu sämtliche obersten Gerichte zur Anwendung des zweiten Restatement umgeschwenkt.587 Dass nunmehr die einfache Mehrheit der Einzelstaaten dem Restatement (Second) folgt, beeinflusst wiederum die Suche nach einem zweckmäßigen approach zur Bestimmung des anwendbaren Rechts in anderen Staaten. Es lässt sich dabei eine Tendenz feststellen, sich der Mehrheitsauffassung anzuschließen.588 In Fällen, in welchen die für diese Arbeit besonders relevante Reichweite von Rechtswahlvereinbarungen zur Entscheidung steht, ist die Akzeptanz des einschlägigen § 187 Restatement (Second) besonders hoch. Auch Staaten, die sonst anderen approaches folgen, messen die Reichweite und etwaige Beschränkungen der Wirksamkeit von Rechtswahlklauseln an den vom zweiten Restatement aufgestellten Maßstäben. 589 Der Vergleich mit den oben untersuchten Rechtswahlbeschränkungen der Rom I-Verordnung soll daher anhand der entsprechenden Normen des Restatement (Second), insbesondere § 187, erfolgen. B. Systematik des Internationalen Vertragsrechts im Restatement of the Law (Second) Conflict of Laws I. Überblick Das Restatement (Second) Conflict of Laws regelt das Internationale Vertragsrecht in den §§ 186–207. § 187 betrifft die Möglichkeit der Rechtswahl, § 188 die allgemeine objektive Anknüpfung. Die §§ 189–197 weisen Sonderanknüpfungen für bestimmte Arten von Verträgen auf, die im Falle einer fehlenden Rechtswahl eingreifen. Dem europäischen Ansatz der Rom IVerordnung nicht unähnlich, existieren Sonderkollisionsnormen für Verträge über unbewegliche Sachen, Versicherungsverträge, Darlehensverträge, Sicherungsverträge, Dienstverträge sowie Transportverträge. Die §§ 198–207 schließlich regeln Teilfragen wie etwa Geschäftsfähigkeit und Form sowie den Umfang des Vertragsstatuts, das die Folgen der etwaigen Nichtigkeit eines Vertrags wegen Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz, Täuschung und Drohung ebenso umfasst wie die Auslegung des Vertrags.
586 Symeonides, 57 Am. J. Comp. L. 269, 278 f. (2009); ders., 56 Md. L. Rev. 1248, 1250 (1997). 587 Borchers, 42 Am. J. Comp. L. 125, 132 (1994); Symeonides, 57 Am. J. Comp. L. 269, 278 f. (2009). 588 Borchers, 42 Am. J. Comp. L. 125, 132 (1994); Symeonides, 57 Am. J. Comp. L. 269, 278 f. (2009). 589 Borchers, 42 Am. J. Comp. L. 125, 135 f. (1994); Hay/Borchers/Symeonides, § 2.23; Symeonides, 45 Am. J. Comp. L. 447, 488 (1997).
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II. Rechtswahl § 187 Restatement (Second) gliedert sich in drei Absätze. Abs. 1 enthält zunächst die vergleichsweise unproblematische Zulässigkeit einer materiellrechtlichen Rechtswahl. Eine Rechtswahl ist danach gültig, soweit von ihr lediglich die dispositiven Bestimmungen einer Rechtsordnung betroffen sind. § 187 Abs. 1 Restatement (Second) betrifft damit allein die privatautonome Regelung des Vertragsinhaltes. Da es sich bei der „Wahl“ einer Rechtsordnung in diesem Sinne lediglich um einen Verweis auf Vorschriften handelt, die auch ausdrücklich als Vertragsbestimmungen in diesen hätten aufgeno mmen werden können, unterliegen sie keinerlei kollisionsrechtlicher Beschränkung.590 Ob es sich im konkreten Fall um die Abbedingung bloß dispositiven Rechts handelt, bestimmt die Rechtsordnung, die mangels Rechtswahl aufgrund objektiver Anknüpfung nach § 188 Restatement (Second) anwendbar wäre.591 Die im Rahmen dieser Arbeit relevantere Regelung enthält § 187 Abs. 2 Restatement (Second) Conflict of Laws. Diese betrifft die Zulässigkeit der Abbedingung einfach zwingenden Rechts, mithin die kollisionsrechtliche Rechtswahl. Begrenzt wird deren Zulässigkeit zum einen durch das Erfordernis eines substantiellen Zusammenhangs der Rechtswahl zum Sachverhalt oder eines aus Sicht der Parteien vernünftigen Grundes für die Wahl (Abs. 2 lit. a). Besteht ein substantieller Zusammenhang zwischen Sachverhalt und gewählter Rechtsordnung, bestehen gegen die Rechtswahl aus Sicht des Restatement zunächst keine Bedenken. Ein hinreichender Zusammenhang soll etwa zum domicile oder Sitz einer der Parteien, sofern es sich um die geschäftsausführende Niederlassung handelt, 592 zum Erfüllungsort sowie zum Ort des Vertragsschlusses, soweit dieser nicht völlig willkürlich gewählt ist,593 bestehen.594 Fehlt es an einem engen Zusammenhang zwischen zugrundeliegendem Vertrag und gewählter Rechtsordnung, so erfordert das Restatement einen vernünftigen Grund für die Rechtswahl. Ein solcher soll dann nicht vorliegen, wenn das betroffene Recht allein aus Abenteuerlust oder um dem Richter Denkübungen zu ermöglichen, gewählt wurde. 595 Diese nicht besonders praxisnahe Konkretisierung eines mangelndes Interesse der Parteien führt letztlich dazu, das Erfordernis einer Nähebeziehung zum gewählten Recht aufzugeben, denn ein wie auch immer geartetes, über solche 590
Hay/Borchers/Symeonides, § 18.2. § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, c. S. 563. 592 Duplan Corp. v. W.B. Davis Dosiery Mills Inc., 442 F.Supp. 86 (S.D. New York, 1977); H.B. Fuller Co. v. Hagen, 363 F.Supp. 1325 (W.D.N.Y.1973). 593 So das § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, f. S. 567; wohl gar keine hinreichende Verbindung zum Ort des Vertragsschlusses sehen Hay/Borchers/Symeonides, § 18.3 sowie Prebble, 58 Cornell L. Rev. 433, 441 (1973). 594 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, f. S. 567. 595 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, f. S. 567. 591
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Kapitel 4: Schutz auf Ebene des Internationalen Privatrechts
Abwegigkeiten hinausgehendes Interesse an einer Rechtswahl wird man zwei miteinander kontrahierenden Parteien wohl grundsätzlich unterstellen können. Diese liberale Auffassung des Restatement (Second) hinsichtlich der Wahl eines neutralen Rechts findet freilich Einschränkungen im case law. Zwar hat der US Supreme Court in M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Company596 die Wahl eines neutralen Forums in einem internationalen Sachverhalt für rechtmäßig erachtet, ob dieses Urteil aber auch die Zulässigkeit der Wahl einer neutralen Rechtsordnung zur Folge hat und darüber hinaus auch in inneramerikanischen Sachverhalten Wirkung entfaltet, wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beurteilt. 597 Die Rechtsprechung folgt dem Vorschlag des Restatement nur sehr bedingt.598 Während einige Gerichte etwa das Interesse der Parteien anerkennen, eine neutrale Rechtsordnung zu wä hlen,599 wird häufig ein in seiner Intensität unterschiedlicher räumlicher Bezug zur gewählten Rechtsordnung gefordert.600 Die US-amerikanischen Gerichte messen folglich die kollisionsrechtliche Wahl eines neutralen Rechts an strengeren Maßstäben als die europäischen nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO. Letztere verzichtet bei Vorliegen eines Mehrstaatensachverhalts auf jegliche räumliche Beziehung des gewählten Rechts zum Sachverhalt. 601 Das Beharren der US-amerikanischen Rechtsprechung auf einer Beziehung des Rechts zum Sachverhalt hat in einigen Bundesstaaten, allen voran New York, den Gesetzgeber auf den Plan gerufen. 602 Das erhebliche wirtschaftliche Interesse New Yorks daran, bundesweit wie international als neutrales Forum wahrgeno mmen zu werden, führte im Jahre 1984 zu einer Erweiterung des New Yorker IPR, welche die Wirksamkeit der Wahl New Yorker Rechts auch dann gewährleistet, wenn keinerlei räumliche Beziehung des Vertrags zum Staat New York gegeben ist und es sich um einen Nichtverbrauchervertrag mit einem
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M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Company, 407 U.S. 1 (US Supreme Court, 1972). Für das Erfordernis eines räumlichen Bezugs zum gewählten Recht: Hay/Borchers/Symeonides, § 18.3; dagegen: Borchers, 28 Vand. J Transnat’l L. 421, 438 (1995); ein Überblick findet sich bei Göthel, ZVglRWiss 99, 338, 350 f. 598 Friedler, 37 U. Kan. L. Rev. 471, 490 (1989). 599 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500 (Court of Appeals California, 2011); Capital Nat. Bank of New York v. Mc Donald’s Corp., 625 F.Supp. 874, 880; (S.D New York, 1986). 600 Zum Beispiel: Sentinel Indu. Contracting Corp. v. Kimmins Indus. Serv. Corp., 743 So. 2d 954 (Supreme Court of Mississippi, 1999); Cable Tel Services, Inc. v. Overland Contracting, Inc., 574 S.E. 2d 31 (Court of Appeals North Carolina, 2002); CCR Data Sys., Inc. v. Panasonic Communications & Sys. Co., 1995 WL 54380 (D. New Hampshire, 1995) (zitiert nach Hay/Borchers/Symeonides, § 18.3 Fn. 15). 601 MünchKommBGB/Martiny Art. 3 Rom I-VO Rn. 22; Rauscher/von Hein Art. 3 Rom I-VO Rn. 47; Rühl, FS Kropholler, S. 187, 192. 602 Friedler, 37 U. Kan. L. Rev. 471, 496 f. (1989). 597
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Streitwert von wenigstens $ 250.000 handelt. 603 Ähnliche Kodifikationen finden sich in Kalifornien 604 und Delaware605.606 Darüber hinaus findet die Parteiautonomie ihre Schranken in der fundamental policy-Klausel des § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second). Die Rechtswahl ist dann unwirksam, wenn die Anwendung des vereinbarten Rechts gegen die fundamental policy des Staates verstoßen würde, dessen Recht aufgrund objektiver Anknüpfung nach § 188 Restatement (Second) anwendbar wäre, und dieser Staat zugleich ein erheblich größeres Interesse an der Regelung des Sachverhalts hat, als der Staat dessen Rechtsordnung gewählt wurde. 607 § 187 Abs. 3 legt schließlich fest, dass es sich bei der Verweisung auf das gewählte Recht im Zweifel um eine Sachnormverweisung handelt. 608 Bereits an dieser Stelle wird ein bemerkenswerter Unterschied zum europäischen Recht offenbar. Im Rahmen der Rom I-Verordnung kommt es sowohl im Eingriffsrecht nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO als auch für die ordre public-Kontrolle des Art. 21 Rom I-VO auf die wesentlichen Grundsätze des Forums an, 609 wogegen das Restatement den Grundwertungen des aufgrund objektiver Anknüpfung anwendbaren Rechts den Vorrang einräumt. 610 Letztlich beschränken nicht die Rechtsnormen des Forums die Parteiautonomie, sondern diejenigen des Staates, der die engste Verbindung zum Vertrag aufweist. Ebenfalls im Kontrast zur Rom I-Verordnung steht das Erfordernis einer Interessengewichtung des Staates der gewählten Rechtsordnung und des Staates des objektiv anwendbaren Rechts. Die Bestimmung der widerstreitenden Interessen erfolgt dabei nach den Auslegungsgrundsätzen des Forums.611 III. Objektive Anknüpfung Im Falle fehlender Rechtswahl richtet sich das auf einen Vertrag anwendbare Recht vorrangig nach den Spezialregelungen der §§ 189–199 sowie 203 Restatement (Second), die Sonderregelungen für einzelne Vertragstypen aufweisen. Im hier untersuchten Zusammenhang ist insbesondere auf die 603
New York General Obligations Law §§ 5–1401–1402. California Civil Code § 1646.5. 605 § 2708 Delaware Code, Title 6 Commerce and Trade. 606 Ausführlich zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen: Friedler, 37 U. Kan. L. Rev. 471, 498 ff. (1989). 607 Siehe dazu ausführlich unten § 2B.III. 608 Dazu § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, h. S. 569. 609 MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 27 ff., Art. 21 Rn. 3; Rauscher/ Thorn Art. 21 Rom I-VO Rn. 5. 610 Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 63 (1990); rechtsvergleichend: Hay/Borchers/ Symeonides, § 18.4 (1). 611 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568. 604
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Kapitel 4: Schutz auf Ebene des Internationalen Privatrechts
Regelung der § 193 sowie § 196 Restatement (Second) hinzuweisen. Gemäß § 193 unterstehen Verträge über Kredit-, Feuer- und Schadensversicherungen dem Recht am Belegenheitsort des Risikos. § 196 unterstellt Dienstverträge dem Recht des Ortes an dem die Dienstleistung vertraglich zu erbringen ist. Kaufverträge über Immobilien unterstehen gemäß § 189 Restatement (Second) schließlich dem Recht am Belegenheitsort des Grundstücks, solche über bewegliche Sachen nach § 191 Restatement (Second) dem Recht des Erfüllungsortes. Verträge über Lebensversicherungen richten sich nach dem Recht am Domizil des Versicherten (§ 192 Restatement (Second)), Bürgschaftsverträge nach dem Recht der gesicherten Forderung. Darlehensverträge unterstehen dem am Erfüllungsort der Rückzahlungsverpflichtung geltenden Recht (§ 195 Restatement (Second)). Für Beförderungsverträge besteht mit § 197 Restatement (Second) eine Sonderanknüpfung, die das Recht des Abgangsortes des Transports beruft. Jede der genannten Spezialregelungen weist zudem eine Ausweichklausel zugunsten einer möglichen engeren Verbindung auf. Liegt kein eigens geregelter Fall vor, so unterstehen Verträge mangels einer Rechtswahl gemäß § 188 Restatement (Second) der Rechtsordnung, zu welcher der Vertrag die engste Verbindung aufweist. 612 Zu beachten ist, dass für jede streitige Frage, die engste Verbindung gesondert zu bestimmen ist, der Vertrag nicht zwingend einer einzigen Rechtsordnung unterliegt. 613 Zur Bestimmung der engsten Verbindung sind Beziehungen zum Ort des Vertragsschlusses sowie der Vertragsverhandlungen, dem Erfüllungsort, dem Lageort des Vertragsgegenstandes und dem domicile, Wohnort bzw. Sitz der Parteien zu gewichten. 614 Hintergrund dieser Auswahl ist, dass auf diese Weise die Interessen sämtlicher vom Vertrag berührter Staaten berücksichtigt werden können. 615 Diese Gewichtung der in Betracht kommenden Nähebeziehungen ist vor den Kriterien des § 6 Abs. 2 Restatement (Second) vorzunehmen. Zu beachten sind a. b. c. d. e.
die Bedürfnisse der zwischenstaatlichen und internationalen Ordnungen, die rechtspolitischen Interessen des Forums, die rechtspolitischen Interessen anderer, vom Streitgegenstand betroffener Staaten, der Schutz berechtigter Erwartungen, die Grundwertungen des betroffenen Rechtsgebietes,
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§ 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, f. S. 583. Der diesbezügliche Wortlaut des § 188 Abs. 1 Restatement (Second) lautet “The rights and duties of the parties with respect to an issue in contract are determined by the local law of the state which, with respect to that issue, has the most significant relationship to the transaction […]” (Hervorhebung durch den Verfasser). Siehe dazu auch § 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, d. S. 579 sowie Göthel, ZVglRWiss 99 (2000), 338, 363. 614 Details: § 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, e. S. 579 ff. 615 § 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, e. S. 579. 613
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Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit sowie Einheitlichkeit des Ergebnisses und die Einfachheit der Bestimmung und Anwendbarkeit des anwendbaren Rechts.
Im Rahmen des § 188 Restatement (Second) soll von den genannten Faktoren aufgrund der Bedürfnisse des Rechtsverkehrs im Internationalen Vertragsrecht dem Schutz der berechtigten Erwartungen bzw. der Rechtssicherheit besonderes Gewicht zukommen. 616 Freilich findet bereits an dieser Stelle eine Abwägung der Parteiinteressen mit den wirtschafts-, sozial-, und rechtspolitischen Interessen der vom Streitgegenstand berührten Staaten statt. 617 Letzteren wird umso mehr Gewicht zukommen, je stärker die in § 188 Restatement (Second) genannten Berührungspunkte eines Staates zu dem Vertrag ausfallen.618 Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass in die objektive Bestimmung des Vertragsstatuts ein bemerkenswertes Maß an rechtspolitischen Wertungen des Forums und sonstiger tangierter Staaten miteinfließt. 619 Liegen der Ort der Vertragsverhandlungen sowie der Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtungen im selben Staat, so wird nach § 188 Abs. 3 Restatement (Second) vermutet, dass zu diesem Staat die engste Verbindung besteht. C. Einschränkungen der Rechtswahl nach § 187 Abs. 2 Restatement (Second) Conflict of Laws I. Einführung Als die Rechtswahl der Parteien durchbrechende fundamental policy sieht der offizielle Kommentar zum Restatement (Second) Conflict of Laws unter anderem solche Normen an, die eine schwächere Partei vor der überlegenen Verhandlungsposition des Vertragspartners zu schützen beabsichtigen. 620 Durch § 187 Abs. 2 lit. b) Restatement (Second) ist damit auch ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers möglich. Dieser soll im Folgenden anhand verschiedener Gerichtsentscheidungen zu Franchise- und Vertriebsverträgen illustriert werden. Zu beachten ist dabei, dass die folgenden Entscheidungen zumeist von Bundesgerichten stammen. Bundesgerichte sind zum einen nach 28 U.S.C. § 1331 zuständig für Klagen, die allein auf Bundesrecht fußen. Dies ist bei den hier vorliegenden Streitigkeiten des Vertragsrechts zumeist nicht der Fall, da das streitentscheidende Vertragsrecht in den Regelungsbereich der Einzelstaaten fällt. 621 Zum anderen besteht eine Zuständigkeit der Bundesgerichte aufgrund der so genannten diversity jurisdic616
§ 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, b. S. 576 f. § 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, b. S. 577 f. 618 § 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, b. S. 578; Göthel, ZVglRWiss 99 (2000), 338, 364 f. 619 Vgl. Göthel, ZVglRWiss 99 (2000), 338, 371. 620 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568. 621 Siehe dazu wiederum die Erie-Doktrin: Erie Railraod v. Tompkins, 304 U.S. 64 (US Supreme Court, 1938). 617
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tion nach 28 U.S.C. § 1332, wenn die Parteien unterschiedlichen (Einzel-) Staaten angehören, der Streitwert USD 75.000 überschreitet und keine ausschließliche einzelstaatliche Zuständigkeit gegeben ist, wie das etwa im Familienrecht regelmäßig der Fall ist.622 Die hier interessierenden internationalprivatrechtlichen Fallkonstellationen zwischen Unternehmern fallen in aller Regel in die diversity jurisdiction der Bundesgerichte. Die Bundesgerichte wenden in diesen Fällen grundsätzlich das Recht, einschließlich des Kollisionsrechts, desjenigen Einzelstaates an, in welchem der Gerichtsbezirk belegen ist, und sind dabei an die höchstrichterliche Rechtsprechung des jeweiligen Einzelstaates gebunden. Dies ergibt sich wiederum aus der Erie-Doktrin, nach welcher Bundesgerichte außerhalb der Regelungskompetenz des Bundes auch im Rahmen ihrer Zuständigkeit kein eigenes Bundesrecht schaffen dürfen. 623 II. Prüfungsreihenfolge Aus § 187 Abs. 2 lit. b) Restatement (Second) ergibt sich die folgende Prüfungsreihenfolge für den Bestand von Rechtswahlklauseln vor der fundamental policy eines interessierten Staates. 624 In einem ersten Schritt ist zu untersuchen, welches Recht die objektiv engste Verbindung zum Vertrag aufweist und daher gemäß § 188 Restatement (Second) anwendbar wäre. Stimmt die objektiv anwendbare Rechtsordnung mit der gewählten überein, so besteht kein Konflikt. Besteht nach § 188 hingegen die engste objektive Verbindung des Vertrags zu einem anderen Recht, so ist zu prüfen, ob der Staat, dessen Recht abgewählt wurde, ein erheblich größeres Interesse an der Regelung der streitigen Frage als der Staat des gewählten Rechts hat. Wird ein solch gewichtigeres Interesse festgestellt, so ist im Folgenden zu untersuchen, ob die Anwendung des gewählten Rechts gegen die fundamental policy dieses Staates verstößt. III. Fundamental Policy Von großer Bedeutung für die Bewertung des Unternehmerschutzes ist die inhaltliche Bestimmung des Begriffs fundamental policy. Der offizielle Kommentar zum Restatement verzichtet bewusst auf eine Definition, 625 gibt dem Rechtsanwender jedoch einige Hinweise zur Eingrenzung an die Hand. Die Auslegung richte sich nach der Methodik des berufenen Forums. 626 Da es sich bei den Umsetzungen des Restatement um einzelstaatliches Recht handelt, findet eine autonome Qualifikation nicht statt. Jeder Staat bestimmt 622
Ankenbrandt v. Richards, 504 U.S. 689 (US Supreme Court, 1992). Erie Railroad v. Tomkins, 304 U.S. 64 (S.C., 1938). 624 Angelehnt an: Bauch, 14 Franchise L. J. 91, 92 (1994–1995). 625 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568. 626 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568. 623
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danach grundsätzlich selbst, was er als fundamental policy des objektiv anwendbaren Rechts ansieht und anerkennt. 627 Bei relativer Betrachtung seien an die Gewichtigkeit der fundamental policy der nach objektiver Anknüpfung anwendbaren Rechtsordnung umso höhere Anforderungen zu stellen, je enger der räumliche Bezug des Vertrags zum gewählten Recht bzw. je räumlich weiter entfernt der Vertrag vom objektiv anwendbaren Recht sei. Sei der Schwerpunkt des Vertrages zwar ermittelbar, aber zu schwach ausgeprägt, weil zu einer Reihe von Staaten Berührungspunkte bestünden, so sei die Beachtlichkeit einer fundamental policy zweifelhaft. 628 Abzugrenzen ist der Begriff der fundamental policy des § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) zum Begriff der public policy des § 90 Restatement (Second). Letzterer greift allein in solchen Fällen ein, in denen wesentliche, „tiefverwurzelte“ Rechtsgrundsätze des Forums verletzt zu werden drohen. 629 Er ist vergleichbar mit dem ordre public des Art. 21 Rom I-VO.630 An eine rechtswahleinschränkende fundamental policy im Sinne des § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) sind gemäß dem offiziellen Kommentar geringere Anforderungen zu stellen, als an die public policy des § 90 Restatement (Second).631 Bei der Abgrenzung ist ferner zu bedenken, dass bereits die Ermittlung des subjektiv wie objektiv anwendbaren Rechts umfassenden Raum für rechtspolitische Wertungen des Forums lässt. Im Falle der Wahl einer Rechtsordnung ist bereits nach §§ 187 Abs. 2 lit. b, 188 Restatement (Second) zu überprüfen, ob die Rechtswahl gegen eine fundamental policy der am engsten verbundenen Rechtsordnung verstößt. Anders als nach europäischem Recht erfolgt das dazu zunächst erforderliche Auffinden des objektiv anwendbaren Rechts nicht ausschließlich aufgrund räumlicher Bezugspunkte. Vielmehr lassen §§ 188, 6 Restatement (Second) bereits Raum für rechtspolitische Wertungen des Forums. 632 Aufgrund des Zusammenspiels der §§ 187, 188, 6 Restatement (Second) kann bereits bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts auf die rechtspolitischen Interessen des Forums Rücksicht genommen werden. Da die Anforderungen an diese wiederum geringer sind als die des public policy-Vorbehalts des § 90 Restatement (Second), bleibt für § 90 Restatement (Second) im Rahmen des anwendbaren Rechts nur wenig Raum. Erschwert wird die Abgrenzung dadurch, dass die einschlägige Recht627 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568; Göthel, ZVglRWiss 99 (2000), 338, 352 f. 628 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568. 629 „Some fundamental principle of justice, some prevalent conception of good morals, some deep-rooted tradition of the common weal.” Loucks v Standard Oil Co. of N.Y., 224 N.Y. 99, 111 (Court of Appeals New York, 1918). 630 Hay/Borchers/Symeonides, § 18.4 (1). 631 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 569; siehe auch Hay/Borchers/Symeonides, § 18.4 (1). 632 Rechtsvergleichend: Göthel, ZVglRWiss 99 (2000), 338, 369.
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sprechung die rechtspolitischen Erwägungen des § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) nicht einheitlich bezeichnet. Während einige Entscheidungen wie auch der Wortlaut des Restatement von fundamental policy633 sprechen, bezeichnen andere Entscheidungen dasselbe Phänomen als public policy634. In wieder anderen Urteilen werden eine Rechtswahl durchbrechende, international zwingende Normen als fundamental public policy635 bezeichnet. Die Ungenauigkeit der Bezeichnung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen Rechtswahlbeschränkungen nach § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) und einer allgemeinen public policy-Kontrolle des Restatement zu differenzieren ist und an erstere grundsätzlich weniger strenge Anforderungen zu stellen sind als an letztere.636 Aufgrund des Gesagten lässt sich eine Eingrenzung des Terminus fundamental policy versuchen. Zum einen ist nicht erforderlich, dass die Folgen der zu überprüfenden Rechtswahl die Grundfesten des Forums oder der aufgrund objektiver Anknüpfung anwendbaren Rechtsordnung erschüttern. 637 Zugleich kann freilich nicht jede einfach zwingende Vorschrift des objektiv anwendbaren Rechts genügen, um eine Rechtswahl zu beschränken. Das würde zu dem Ergebnis führen, dass einer Rechtswahl nur Geltung zukäme, wenn das gewählte Recht dem objektiv anwendbaren entspräche und die von den Verfassern des Restatement wie auch von der US-amerikanischen Rechtsprechung hochgehaltene Parteiautonomie konterkarierten.638 Als Beispiele für Vorschriften, die das erforderliche Maß an rechtspolitischer Zielsetzung aufweisen, nennt der offizielle Kommentar Verbotsgesetze, welche die Vertragserfüllung unrechtmäßig werden lassen, ebenso wie solche Bestimmungen, die eine schwächere Partei gegen die überlegene Verhandlungsmacht ihres Vertragspartners zu schützen beabsichtigen. Hierunter fielen auch die gesetzli633 Electrical and Magneto Service Co. Inc. v. Ambac International Corporation, 941 F.2d 660 (8 th Cir., 1991); JRT, Inc. v. TCBY Systems, Inc.; TCBY Enterprises, Inc.; Americana Foods, Inc 52 F.3d 734 (8 th Cir., 1995). 634 Cherokee Pump & Equipment Inc. v. Aurora Pump, a Unit of General Signal and General Signal Corp., 38, F.3d. 246, 252 (5th Cir., 1994); Kent Klosterman v. Choice Hotels International, Inc., 2005 WL 1177947 (D. Idaho, 2005). 635 Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666 (Superior Court of New Jersey, App. Div. 1986); Tele-Save Merchandising Company v. Consumers Distributing Company, Ltd., 814 F.2d 1120 (6th Cir., 1987); Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734 (8th Cir., 1989); Beatty Caribbean, Inc., v. Viskase Sales Corporation, et al., (D. Puerto Rico, 2003), 241 F.Supp.2d 123; Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450 (D. Maryland, 2005). 636 Vgl. Hay/Borchers/Symeonides, § 18.4 (1). 637 Vgl. § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568 f.; Hay/Borchers/Symeonides, § 18.4 (1). 638 Instruktiv ist die Entscheidung des Court of Appeals 5 th Circuit Cherokee Pump & Equipment Inc. v. Aurora Pump, a Unit of General Signal and General Signal Corp., 38 F.3d. 246, 252 (5th Cir., 1994). Hay/Borchers/Symeonides, § 18.4 (2).
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chen Rechte eines Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer. 639 Nicht ausreichen sollen hingegen bloße Formvorschriften, allgemeine Vorschriften des Vertragsrechts sowie solche Regeln, die offensichtlich nicht mehr zeitgemäß sind.640 Trotz dieser Hinweise bleibt die Vorschrift des § 187 Abs. 2 lit. b denkbar vage. Der unbestimmte Rechtsbegriff fundamental policy lässt dem Richter Spielraum für Wertungen. Eine weitere Annäherung an die inhaltliche Bestimmung des Begriffs fundamental policy muss daher anhand einer Untersuchung der einschlägigen Rechtsprechung erfolgen. Schutzvorschriften im Verbraucher- und Arbeitsrecht werden recht weitgehend als fundamental policy anerkannt. Vertragliche Abbedingungen solcher Vorschriften, welche das gewählte Recht ermöglichen würde, scheitern meist an der Unwirksamkeit der Rechtswahl.641 Dies gilt auch für verbraucherschützende prozedurale Regelungen wie die Möglichkeit von class action suits.642 Im Arbeitsrecht stellen gesetzliche Beschränkungen von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten eine fundamental policy dar.643 Besonders weit reichen die rechtswahleinschränkenden Wirkungen des § 187 Abs. 2 lit. b) Restatement (Second) im Versicherungsrecht. Die einzelstaatlichen Versicherungsvertragsgesetze sind als fundamental policy des jeweiligen Staates zumeist in Gänze international zwingendes Recht. 644 Als rechtswahldurchbrechende fundamental policy werden Versicherungsvertragsgesetze auch dann anerkannt, wenn sie Schutzwirkung zugunsten von Unternehmern entfalten.645 Im Bereich der Vertriebs- und Franchiseverträge werden in der Regel Bestimmungen als fundamental policy anerkannt, die den Franchisenehmer vor der willkürlichen Beendigung oder Nichtverlängerung des Franchise- oder Vertriebsvertrags schützen. Dies gilt beispielsweise für entsprechende Bestimmungen des California Equipment Dealers Act 646, des California Fran639
§ 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568 f. § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568. 641 Hoffmann v. Citibank (South Dakota), N.A., 546 F.3d 1078 (9 th Cir., 2008); McKee v. AT & T Corp., 164 Wash.2d 372 (Supreme Court Washington, 2008). 642 Klussman v. Cross Country Bank, 134 Cal.App.4th 1283 (Court of Appeals California, 2005); Discover Bank v. Superior Court, 36 Cal.App.4th 148 (Supreme Court California, 2005); Fiser v. Dell Computer Corporation, 188 P.3d 1215 (Supreme Court New Mexico, 2008). 643 DCS Sanitation Management, Inc. v. Castillo, 435 F.3d 892 (8th Cir., 2006); Brown & Brown, Inc. v. Mudron, 379 Ill.App.3d 724 (Court of Appeal Illinois, 2008); Price & Price Mech. of N.C. Inc. v. Miken Corp., 191 N.C.App. 177 (Court of Appeals North Carolina, 2008). 644 Nelson v. Aetna Life Ins. Co., 359 F.Supp. 271, 290 (W.D. Missouri, 1973); Param Petroleum Corp. v. Commerce and Industry Ins. Co., 296 N.J.Super 164 (New Jersey Superior Court, App. Div., 1997); Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7. (4). 645 Siehe beispielsweise: General Ceramics Inc. v. Firemen's Fund Ins. Companies, 66 F.3d 647, 655 (3rd Cir., 1995). 646 California Bus. & Prof. Code § 22900–22927. 640
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chise Relationship Act647, des Connecticut Franchise Practices Act 648,649 des Indiana Code650,651 des Puerto Rico Distributorship Act652,653 des Washington Franchise Investment Protection Act654 ebenso wie für die 90-tägige Kündigungsfrist des Missouri Franchise Relationship Law655.656 Ebenfalls als international zwingend wird das Verbot der willkürlichen Ungleichbehandlung von Franchisenehmern angesehen. 657 Rechtswahlfest ist ferner die Verpflichtung des Franchisegebers oder Lieferanten, überschüssige Geschäftsausstattung nach Vertragsbeendigung zurückzuerwerben.658 Auch so genannte Franchise Registration and Disclosure Laws,659 die Eintragungs- und Aufklärungspflichten für den Franchisenehmer begründen bzw. dem Franchisenehmer diese flankierende Schadensersatzersatzansprüche einräumen, sind als rechtswahleinschränkende fundamental policy angesehen worden. 660 Weniger eindeutig ist die Rechtslage betreffend der Begrenzungen vertraglicher Wettbewerbsverbote. Zum Teil werden entsprechende Gesetze als fundamental policy angesehen, weil sie persönliche Freiheiten einschränkten und damit wesentliche Rechtsgrundsätze berührten. 661 Nach Ansicht anderer Gerichte seien sie als für die geschäftliche Tätigkeit erforderliches Mittel ohnehin flächendeckend anerkannt, weshalb ihnen nicht der Status einer fundamental policy zukomme.662 Nicht als fundamental policy in Betracht kommen Verjährungsvorschriften. Der dahinterstehende Gedanke der Rechtssicherheit 647
California Bus. & Prof. Code § 20000 ff. Conn.P.A. 1982–445. 649 Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666, 673 (New Jersey Supreme Court, 1986). 650 Ind. Code § 23–2-2–7-1. 651 Wright-Moore Corp. v. Ricoh Corp., 908 F.2d 128, 131–134 (7th Cir., 1990). 652 Law 75 of June 24, 1964, P.R. Laws Ann. tit. 10 § 278 et seq. (1997). 653 Beatty Caribbean, Inc., v. Viskase Sales Corporation, et al., 241 F.Supp.2d 123, 128 (D. Puerto Rico, 2003). 654 Wash. Rev. Code § 19.100. 655 Mo. Rev. Stat. § 407.405 (1986). 656 Electrical and Magneto Service Co. Inc. v. Ambac International Corporation, 941 F.2d 660, 663 (8th Cir., 1991). 657 Niedergelegt in Ind. Code § 23–2-2.7–2(5). Siehe dazu Wright-Moore Corp. v. Ricoh Corp., 908 F.2d 128, 139 (7 th Cir. 1990). 658 So etwa in Tennessee gemäß Tenn. Code. Ann. § 47–25–1301 ff. Dazu: Power & Telephone Supply Co., Inc. v. Harmonic, Inc., 268 F.Supp.2d 981, 987 (W.D.Tennessee, 2003). 659 Zum Begriff siehe oben § 3B. 660 Chong v. Friedman, 2005 WL 2083049 *4 (Court of Appeals California, 2005); Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 454 (D. Maryland, 2003). 661 Cherry, Bekaert & Holland v. Brown, 582 So. 2d 502 (Supreme Court Alabama, 1991); Mia Machado-Miller v. Mersereau & Shannon, LLP, 43 P.3d 1207, 1212 (Court of Appeals Oregon, 2002) m.w.N. 662 Thera-Kinetics, Inc. v. Managed Home Recovery, Inc., an Ohio corporation, and Victoria Hawley, 1997 WL 610305 *3 (N.D. Illinois, 1997) m.w.N. 648
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wird als zu allgemein angesehen. Ferner seien Unterschiede zum Verjährungsrecht anderer Staaten zu gering, als dass die in einem Staat eingeräumte Möglichkeit der Verjährungsverkürzung geeignet sei, die fundamental policy eines anderen Staates zu verletzen. 663 Das Schriftformerfordernis des Staates New York für Kaufverträge stellt keine fundamental policy dar, weil es kein erhebliches wirtschaftspolitisches Interesse widerspiegelt.664 Obwohl die untersuchte Rechtsprechung nicht immer einheitlich ist, so ist doch eine Tendenz erkennbar, solchen Gesetzen den international zwingenden Charakter einer fundamental policy zuzuerkennen, die implizit oder explizit die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen, den Schutz einer unterlegenen Partei zu gewährleisten. 665 Es überrascht dabei nicht, dass hierbei weniger Rechtsgrundsätze des common law in Betracht kommen, als vielmehr spezifische, gesetzliche Bestimmungen. 666 IV. Die international zwingende Durchsetzung der lex fori Die Untersuchung soll im Folgenden zwischen der Durchsetzung von zwingenden Bestimmungen der lex fori und zwingenden Bestimmungen forumsfremder Rechtsordnungen differenzieren. Da es sich beim Kollisionsrecht der Einzelstaaten grundsätzlich um case law handelt, ist in beide Phänomene anhand von Beispielentscheidungen einzuführen. Um den Untersuchungsgegenstand einzugrenzen, soll die Rechtslage am Beispiel der Franchise- und Vertriebsverträge untersucht werden. Da sich die Regelungstechnik nicht gegenüber anderen Vertragstypen unterscheidet, sind Verallgemeinerungen insoweit zulässig. 1. Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al.667 a) Sachverhalt Die in Maryland ansässige Klägerin schloss mit der in Texas ansässigen Beklagten einen Franchisevertrag, auf dessen Grundlage die Klägerin als Franchisenehmer der Beklagten in Maryland Autozubehör vertreiben sollte. Die 663 Superfos Investments Limited, t/a Superfos Trading, Inc. v. Firstmiss Fertilizer , 809 F.Supp. 450, 455 (S.D. Mississippi, 1992). 664 Spink & Son, Ltd. v. General Atlantic Corporation et al., 167 Misc.2d 120, 124 (Supreme Court, New York County, 1996). 665 Ein Hinweis darauf findet sich in der einschlägigen Rechtsprechung immer wieder. Siehe etwa: Wright-Moore Corp. v. Ricoh Corp., 908 F.2d 128, 134 (7 th Circ. 1990); Electrical and Magneto Service Co. Inc. v. Ambac International Corporation, 941 F.2d 660, 663 (8th Cir. 1991); Beatty Caribbean, Inc., v. Viskase Sales Corporation, et al., 241 F.Supp.2d 123, 129 (D. Puerto Rico, 2003). 666 Wright-Moore Corp. v. Ricoh Corp., 908 F.2d 128, 132 (7th Cir., 1990). 667 Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450 (D. Maryland, 2005).
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von der Beklagten gelieferten Produkte stimmten jedoch nicht mit den vertraglichen Vorgaben überein und waren daher für den Vertrieb nicht geeignet. Die Klägerin ging gegen die Beklagte vor einem Bundesgericht in Maryland mit der Begründung vor, sie habe gegen das Maryland Franchise Registration and Disclosure Law668 verstoßen, indem sie zum einen das Franchise nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, behördlich registriert habe und zum anderen bei Vertragsschluss falsche Angaben über die Funktionsfähigkeit des Franchisesystems gemacht habe. Der Franchisevertrag beinhaltete eine Rechtswahl zugunsten texanischen Rechts. 669 b) Urteilsbegründung Das Bundesgericht hielt im Ergebnis die Rechtswahl für unwirksam und das Recht von Maryland auf das Vorbringen der Klägerin für anwendbar. Das Gericht erklärte zunächst das Kollisionsrecht von Maryland für die weiteren Feststellungen für einschlägig, was sich aus dem Bestehen der diversity jurisdiction des Gerichts ergebe. 670 In Maryland gälten ferner die von § 187 Restatement (Second) aufgestellten Prinzipien der Einschränkung der Rechtswahl. 671 Aufgrund dieser sei zunächst festzustellen, welcher Staat gemäß § 188 Restatement (Second) die engste Verbindung zum Sachverhalt aufweise, auf die international zwingenden Bestimmungen welchen Staates folglich abzustellen sei. Es sei unstreitig, dass das Maryland Franchise Registration and Disclosure Law auf sämtliche Franchiseverträge anwendbar sei, die durch Annahme des Vertragsangebots in Maryland zustande gekommen seien. Die objektiv engste Verbindung bestehe folglich zu Maryland.672 Daraufhin untersuchte das Gericht, ob das Franchisegesetz eine strong public policy673 Marylands verkörpere. Die Tatsache, dass ein forumsfremdes Gesetz von innerstaatlichem Recht abweiche, sei allein nicht ausreichend, vielmehr sei seine erhebliche Verletzung öffentlicher Interessen vonnöten. 674 Hierzu verweist das Urteil auf die Gesetzesbegründung zum Franchise Registration and Disclosure Law. Dieses sei dazu bestimmt, den Franchisenehmer vor 668 Maryland Franchise Registration and Disclosure Law, MD Code Ann., Business Regulation §§ 14–201–14–233 (2004) und Maryland Business Opportunity Sales Act, MD Code Ann., §§ 14–101–14–129 (2004). 669 Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 453 f. (D. Maryland, 2005). 670 Siehe dazu bereits oben § 2C.I. 671 Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 457 (D. Maryland, 2005). 672 Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 458 (D. Maryland, 2005), siehe insbesondere auch FN 8 des Urteils. 673 Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 458 (D. Maryland, 2005). 674 Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 457 (D. Maryland, 2005).
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erheblichen Verlusten zu schützen, die aufgrund von Verletzungen vorvertraglicher Informationspflichten durch den Franchisegeber entstünden. 675 Die besondere Schutzfunktion der gesetzlichen Bestimmungen ergebe sich schließlich aus ihrer vertraglichen Unabdingbarkeit gemäß § 14-226 Maryland Business Regulation676: “As a condition of the sale of a franchise, a franchisor may not require a prospective franchisee to agree to a release, assignment, novation, waiver, or estoppels that would relieve a person from liability under this subtitle.”
Weil texanisches Recht keinerlei vergleichbare Schutzgesetze zugunsten des Franchisenehmers für den Fall einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung aufweise, würde eine wirksame Rechtswahl einer vertraglichen Abbedingung der Schutzbestimmungen gleichkommen und daher § 14-226 Business Regulation zuwiderlaufen. Es sei dem Willen des Gesetzgebers zu entnehmen, dass dieser dem Franchisenehmerschutz eine besondere Bedeutung zugemessen habe und diese folglich eine fundamental public policy des Staates Maryland darstellten, welche durch die Rechtswahlklausel verletzt sei.677 Schließlich sei festzustellen, ob Maryland ein erheblich größeres Interesse an der Streitentscheidung als Texas aufweise. Dies sei fraglos der Fall. Die Aufklärungspflichten seien gegenüber einem in Maryland ansässigem Unternehmen verletzt worden, das zudem seinen franchisevertraglichen Pflichten allein in Maryland nachkommen sollte. Ferner sei die schutzsuchende Partei als in Maryland ansässiger Franchisenehmer das primäre Ziel des gesetzgeberischen Ansinnens, was ein erhebliches Interesse begründe. Texas hingegen sei allein der Sitz des Franchisegebers. Im Übrigen habe es die Beklagte versäumt, ein zu berücksichtigendes Interesse des Staates Texas darzulegen. 678 c) Analyse Die Entscheidung des Bezirksgerichts Maryland scheint von der Absicht getragen, aus Schutzerwägungen heraus das eigene zwingende Recht gegenüber einer anders lautenden Rechtswahl durchzusetzen. Die Rechtsanwendung ist dabei nur grob an den in §§ 187, 188 Restatement (Second) niedergelegten Prinzipien orientiert. So unterlässt das Gericht nahezu vollständig die kollisionsrechtliche Bestimmung der engsten Verbindung des Vertrags zu 675 Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 458 (D. Maryland, 2005), mit Verweis auf MD Code Ann., Business Regulation § 14– 202 (2004). 676 MD Code Ann. Business Regulation § 14–226 (2004). 677 Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 459 (D. Maryland, 2005). 678 Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 459 (D. Maryland, 2005).
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einer Rechtsordnung. Das Gericht nimmt keine Gewichtung der in § 188 Restatement (Second) genannten räumlichen Berührungspunkte des Vertrags vor, sondern schließt aus dem behaupteten internationalen Geltungswillen des Franchisegesetzes auf eine engste Verbindung des Sachverhalts zu Maryland. Hierfür mag sprechen, dass Erfüllungsort und Sitz einer der Parteien auf Maryland hindeuten, doch unterlässt das Gericht an dieser Stelle jegliche Bewertung der Berührungspunkte des Vertrags zu Texas. Allein aus dem Anwendungswillen des zwingenden Rechtes von Maryland auf die engste Verbindung zu schließen, erscheint fragwürdig, denn der Blick auf die materiellen Schutzbestimmungen zugunsten des Franchisenehmers ist nach dem Restatement erst dann eröffnet, wenn festgestellt wurde, dass die engste Verbindung des Sachverhalts zu dem gesetzgebenden Staate besteht. Die anschließende Erörterung, ob das Franchise Registration and Disclosure Law eine fundamental policy darstelle, entspricht dagegen den Vorgaben des Restatement. Aus dem Willen des Gesetzgebers und dem intern zwingenden Charakter der Normen auf den international zwingenden Charakter zu schließen und die besondere Bedeutung der Normen für die wirtschaftspolitische Ordnung Marylands abzuleiten, erscheint legitim. Gemäß § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) ist schließlich ein Interesse des Staates Maryland erforderlich, das dasjenige des Staates Texas übersteigt. Ein solches will das Gericht aus den räumlichen Berührungspunkten des Vertrags zum Staat Maryland ableiten, der ein erhebliches Interesse daran habe, in seinem Territorium ansässige Franchisenehmer vor Aufklärungspflichtverletzungen zu schützen, wohin gegen das Interesse des Staates Texas als bloßer Sitz des Franchisegebers zurückstehen müsse. Diese Argumentation überrascht angesichts der Ausführungen des Gerichts zu der die Rechtswahl einschränkenden fundamental policy nicht, doch kommt diesem Merkmal kein zusätzliches Gewicht zu, nachdem bereits der unbedingte Geltungswille der Bestimmungen des Staates Maryland bejaht wurde. Insbesondere die Feststellung, die Beklagte treffe die Beweislast für ein etwaiges Interesse des Staates Texas, macht deutlich, dass das Gericht keine umfassende Interessenabwägung durchführt, sondern der unbedingten Geltung der lex fori zur Durchsetzung verhilft. Die Rechtsfolge ist umfassend: Die Rechtswahl wird für unwirksam erklärt. Das Recht von Maryland findet folglich auf die Beurteilung des Vertrags ausschließliche Anwendung. 679
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Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 459 (D. Maryland, 2005).
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2. Tendenz des Heimwärtsstrebens In der amerikanischen Rechtsprechung findet sich eine Fülle im Ergebnis gleichlautender Entscheidungen. 680 Die untersuchten Urteile belegen, dass US-amerikanische Gerichte dazu tendieren, zum Schutz einer am Forum ansässigen, schwächeren Partei die lex fori gegenüber einer anderslautenden Rechtswahl als international zwingendes Recht durchzusetzen. 681 Den Vorgaben des Restatement (Second), welche die Durchsetzung der lex fori nur zulassen, wenn diese aufgrund der engsten Verbindung zum Sachverhalt das objektiv anwendbare Recht darstellt und das Forum zugleich ein größeres Interesse an der Regelung des Sachverhalts aufweist als der Staat des gewählten Rechts, wird dabei wenig Beachtung geschenkt. Wenn eine Subsumtion unter die Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) überhaupt stattfindet, so erfolgt sie meist oberflächlich, um mit dem Schutz des Franchisenehmers oder Vertragshändlers das vom Forum gewünschte Ergebnis zu erzielen. Die engste Verbindung gemäß §§ 187 Abs. 2 lit. b, 188 Restatement (Second) wird zum Sitz des Franchisenehmers bzw. Vertriebshändlers angenommen. Diese Annahme wird zumeist dadurch unterstützt, dass sich dort der Erfüllungsort des Vertrags befindet.682 Indes verzichten die Entscheidungen darauf, eine umfassende Abwägung der weiteren Faktoren des § 188 Restatement (Second) vorzunehmen, die zur räumlichen Schwerpunktbestimmung gleichberechtigt heranzuziehen sind. Darüber hinaus schenken die Gerichte der Regelung des § 196 Restatement (Second), der eine vorrangige Sonderregelung für die objektive Anknüpfung von Dienstverträgen enthält, keinerlei Beachtung. Der Begriff der Dienstleistung ist weit zu verstehen. Ihm unterfallen grundsätzlich auch Vertriebs- und Vertreterverträge.683 Dem nach § 196 für die Anknüpfung allein relevanten Erfüllungsort billigen die untersuchten Entscheidungen freilich bei dem Auffinden des Vertragsschwerpunktes nach § 188 entscheidendes Gewicht zu. Zumeist pau680
Siehe etwa Henson v. GTE Products Corporation, 34 F.3d 1066 (Table) (4 th Cir., 1994); Stawski Distributing Co., Inc. v. Browary Zywiec S.A., 349 F.3d 1023 (7 th Cir., 2003); Bridge Fund Capital Corp. v. Fastbucks Franchise Corp., 622 F.3d 996 (9th Cir., 2010); Caribbean Wholesales & Service Corp. v. US JVC Corp, 855 F.Supp. 627 (S.D. New York, 1994); Power & Telephone Supply Co., Inc. v. Harmonic, Inc. 268 F.Supp2d. 981 (W.D. Tennessee, 2003); Beatty Caribbean, Inc., v. Viskase Sales Corporation, et al., , 241 F.Supp.2d 123 (D. Puerto Rico, 2003); American Express Financial Advisors, Inc. v. Yantis, 358 F.Supp.2d 450 (D. Iowa, 2005); Kent Klosterman v. Choice Hotels International, Inc., 2005 WL 1177947 (D. Idaho, 2005); Rutter v. BX of Tri-Cities, Inc., 60 Wash. App. 743 (Washington Court of Appeals, 1991); Instructional Systems, Inc. v. Computer Curriculum Corp., 130 N.J. 324 (New Jersey Supreme Court, 1992); Chong v. Friedman, 2005 WL 2083049 (California Court of Appeals, 2005). 681 So anhand anderer Beispiele auch: Bauch, 14 Franchise L. J. 91, 98 (1994–1995); Pitegoff, 14 Franchise L. J. 89, (1994–1995). 682 Pitegoff, 9 Franchise L. J. 1, 3 (1989–1990). 683 Hay/Borchers/Symeonides, § 18. 29; Pitegoff, 9 Franchise L. J. 1, 3 (1989–1990).
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schal wird sodann ein vorrangiges Interesse des Forums gegenüber dem Staat des gewählten Rechts angenommen, das sich aus der gesetzgeberischen Intention des Schutzes der schwächeren Partei ergebe, denn der Staat, dessen Rechtsordnung gewählt wurde, habe sein Desinteresse dadurch bekundet, dass er keine vergleichbaren Schutzbestimmungen geschaffen habe.684 Ob dieser Staat möglicherweise ein Interesse daran hat, seine mutmaßlich aus ebensolchen gesetzgeberischen Intentionen folgenden wirtschaftsliberaleren Normen anzuwenden, wird in keiner der Entscheidungen erörtert. Die Schutzgesetze zugunsten von Franchisenehmern und Vertriebshändlern werden schließlich großzügig als fundamental policy anerkannt, was die Gerichte nicht zuletzt aus dem ausdrücklich durch die Gesetzgeber festgelegten, einfach zwingenden Charakter der Bestimmungen ableiten. Keines der untersuchten Urteile stellt in Frage, ob der Schluss vom Ausschluss der Privatautonomie auf die Einschränkung der Parteiautonomie vom Willen des Gesetzgebers getragen und vom Telos des Restatement gedeckt ist. Das Restatement benennt die Beschränkung der fundamental policy nach § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) lediglich als Ausnahme vom Grundsatz der Parteiautonomie. Eine partielle Gleichsetzung von einfach zwingendem Recht und fundamental policy führt zu einer beträchtlichen Einschränkung der Parteiautonomie. Es lässt sich eine Tendenz zur international zwingenden Durchsetzung der lex fori beobachten, die die Vorgaben des Restatement häufig überdehnt. Es wird wiederum deutlich, dass es sich beim Restatement nicht um ein Gesetz, sondern um einen approach handelt, der als Richtschnur lediglich Leitlinien vorgibt. Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass die Durchsetzung der lex fori im Zweifel auch gegen die Wertungen des Restatement erfolgt, findet sich in Maher and Associates, Inc. v. Quality Cabinets 685, einer Entscheidung des Appellate Court of Illinois. Ein in Illinois ansässiger Handelsvertreter hatte sich mit dem in Texas ansässigen Geschäftsherrn vertraglich auf die Anwe ndung texanischen Rechts geeinigt. Das Gericht sah es zwar als erwiesen an, dass der den Handelsvertreter schützende Illinois Sales Act eine fundamental policy des Staates Illinois darstellte, es konzedierte jedoch zugleich, dass kein Interesse des Staates Illinois erkennbar sei, welches das Interesse des Staates Texas erheblich überstieg, da beide Staaten etwa gleichstarke Verbindungen zum Sachverhalt aufwiesen. 686 Um dennoch die gewünschte Anwendung des Schutzgesetzes zu erreichen, entschied sich das Gericht, von den Vorgaben des Restatement (Second) abzuweichen. 684
Pitegoff, 9 Franchise L. J. 1, 3 (1989–1990). Maher and Associates, Inc. v. Quality Cabinets, 640 N.E.2d 1000 (Appellate Court Illinois, 1994). 686 Maher and Associates, Inc. v. Quality Cabinets, 640 N.E.2d 1000, 1006 (Appellate Court Illinois, 1994). 685
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„Thus, if we were to apply the Restatement test rigidly, we would have to conclude that Texas law must apply because this matter does not satisfy both prongs of the Restatement test. However, the analysis contained in the Restatement is a guide for courts; it is not black-letter law to be upheld against all other considerations. […] If we were to use the Restatement formulation to insist that Texas law be applied to this matter, we would thwart the strong public policy of protecting sales representatives in Illinois, because Texas has no law which provides the strongest protection offered by the Sales Act […]. Therefore, we decline to use the Restatement rigidly and conclude that the choice-of-law clause in the agreement is void. We will apply Illinois law in this matter.“ 687
Im Ergebnis werden die untersuchten Entscheidungen nur selten der Tatsache gerecht, dass das Restatement anders als Art. 9 der Rom I-Verordnung grundsätzlich nicht der Anwendung der fundamental policy der lex fori Raum lässt, sondern solcher der aufgrund der engsten Verbindung objektiv anwendbaren Rechtsordnung. 3. Günstigkeitsprinzip und räumlich begrenzter Anwendungswille a) Die unterschiedlichen Strömungen in der Rechtsprechung Zu einer Abweichung von den oben aufgestellten Grundsätzen kommen einige amerikanische Gerichte dann, wenn das gewählte Recht günstiger für den zu schützenden Unternehmer ist als die lex fori. Besonders deutlich wird dies an der Entscheidung 1-800-GOT JUNK? LLC v. Superior Court of Los Angeles688. Der kanadische Franchisegeber hatte den mit dem kalifornischen Franchisenehmer bestehenden Vertrag mit der Begründung fristlos gekündigt, der Franchisenehmer habe den Franchisegeber über einige ausgeführte Aufträge nicht in Kenntnis gesetzt und die für diese Aufträge anfallenden Franchisegebühren nicht abgeführt. 689 Gewählt hatten die Parteien das Recht des Staates Washington. Die kalifonischen Gerichte hatten zu beurteilen, ob es sich beim California Franchise Relationship Act (CFRA)690 um eine die Rechtswahl einschränkende public policy im Sinne des § 187 Abs. 2 Restatement (Second) handele.691 Hierfür spreche die Intention des kalifornischen Gesetzgebers, durch die Vorschriften des CFRA die Investitionen strukturell unterlegener Franchisenehmer vor einem Verlust durch die willkürliche Beendigung oder Nichtverlängerung des Franchisevertrags zu schützen. Das Gesetz be687 Maher and Associates, Inc. v. Quality Cabinets, 640 N.E.2d 1000, 1006 (Appellate Court Illinois, 1994). 688 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500 (Court of Appeals California, 2011), mit Anmerkung Symeonides, 59 Am. J. Comp. L 303, 364 f. (2011). 689 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500, 507 (Court of Appeals California, 2011). 690 California Bus. & Prof. Code § 20000 ff. 691 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500, 516 (Court of Appeal California, 2011).
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grenzt Kündigungsmöglichkeiten des Franchisegebers auf das Vorliegen bestimmter Kündigungsgründe. 692 Ferner bestimmt das Gesetz, dass jegliche vertragliche Abweichung von seinen Bestimmungen gegen die kalifornische public policy verstößt: “Any condition, stipulation or provision purporting to bind any person to waive compl iance with any provision of this law is contrary to public policy and void.”693
Das kalifornische Gericht kam nach Auslegung der Norm zu dem Ergebnis, nicht die Anwendung des kalifornischen Gesetzes sei durch die Bestimmung zwingend vorgeschrieben, sondern lediglich die Gewährung des hierdurch gebotenen Schutzstandards. 694 Das Gericht nahm sodann einen Vergleich der Bestimmungen des CFRA mit den entsprechenden Vorschriften des Staates Washington vor. Ein solcher Rechtsvergleich ergebe, dass das gewählte Recht des Staates Washington dem Franchisenehmer einen höheren Schutzstandard gewährleiste. Während der CFRA elf Gründe nenne, einen Franchisevertrag fristlos zu kündigen, gebe es diese Möglichkeit nach dem Recht von Washington allein in vier Fällen. 695 Nach dem Recht von Washington 692 California Bus. & Prof. Code § 20021: If during the period in which the franchise is in effect, there occurs any of the following events which is relevant to the franchise, i mmediate notice of termination without an opportunity to cure, shall be deemed reasonable: (a) The franchisee or the business to which the franchise relates has been the subject of an order for relief in bankruptcy, judicially determined to be insolvent, […] (b) The franchisee abandons the franchise by failing to operate the business for five consecutive days […]; (c) The franchisor and franchisee agree in writing to terminate the franchise; (d) The franchisee makes any material misrepresentations relating to the acquisition of the franchise business or the franchisee engages in conduct which reflects materially and unfavorably upon the operation and reputation of the franchise business or system; (e) The franchisee fails, for a period of 10 days after notification of noncompliance, to comply with any federal, state or local law or regulation applicable to the operation of the franchise; (f) The franchisee, after curing any failure in accordance with Section 20020 engages in the same noncompliance whether or not such noncompliance is corrected after notice; (g) The franchisee repeatedly fails to comply with one or more requirements of the franchise, whether or not corrected after notice; (h) The franchised business or business premises of the franchise are seized, taken over, or foreclosed by a government official […] (i) The franchisee is convicted of a felony or any other criminal misconduct which is relevant to the operation of the franchise; (j) The franchisee fails to pay any franchise fees or other amounts due to the franchisor or its affiliate within five days after receiving written notice that such fees are overdue; or (k) The franchisor makes a reasonable determination that continued operation of the franchise by the franchisee will result in an imminent danger to public health or safety. 693 California Bus. & Prof. Code § 20010. 694 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500, 518 (Court of Appeals California, 2011). 695 Wash. Rev. Code § 19.100.180: (2) […] (j) A franchisor may terminate a franchise without giving prior notice or opportunity to cure a default if the franchisee: (i) Is adjudi-
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stelle die Nichtaufklärung über Einkünfte durch den Franchisenehmer keinen Grund für eine fristlose Kündigung dar, wohingegen das kalifornische Recht eben diese nach § 20021 lit. d) California Bus. & Prof. Code ermögliche. Die gewählte Washingtoner Regelung sei damit im konkreten Fall für den Franchisenehmer günstiger als die kalifornische, die Rechtswahlklausel stelle folglich keine Abweichung von der public policy Kaliforniens dar. Die Rechtswahl sei daher wirksam im Sinne des § 187 Abs. 2 Restatement (Second).696 Die Tendenz, Normen der lex fori, welche den Charakter einer fundamental policy haben, dann nicht durchgreifen zu lassen, wenn deren Schutzzweck auch vom gewählten Recht gewährleistet wird, findet sich auch in anderen Entscheidungen. 697 Es findet dann das gewählte Recht einschließlich dessen Schutzbestimmungen Anwendung. Hieran schließt sich freilich die dogmatische Frage an, ob die Schutzbestimmungen des gewählten Rechts Anwendung finden können, wenn sich ihr Anwendungswille auf die im normgebenden Staat befindlichen Personengruppen beschränkt. Die einschlägigen Gesetze bezwecken häufig allein den Schutz der im eigenen Staat ansässigen Unternehmergruppen, sind folglich grundsätzlich nicht auf Unternehmer aus anderen Staaten anwendbar.698 Das die Entscheidung in 1-800-GOT JUNK? LLC v. Superior Court of Los Angeles699 fällende Gericht hielt diese Erwägungen für irrelevant. Die Rechtswahl der Parteien umfasse das materielle Recht Washingtons unabhängig von möglichen territorialen Beschränkungen in Gänze.700 Eine weitere Begründung erfolgte nicht. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch der Court of Appeals for the 9th Circuit in der Entscheidung Gravquick v. Trimble701. Es stritten ein kalifornischer Lieferant und ein dänischer Vertragshändler um die Wirksamkeit der cated a bankrupt or insolvent; (ii) makes an assignment for the benefit of creditors or similar disposition of the assets of the franchise business; (iii) voluntarily abandons the franchise business; or (iv) is convicted of or pleads guilty or no contest to a charge of violating any law relating to the franchise business […]. 696 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500, 518 (Court of Appeals California, 2011). 697 Vgl. A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317 (1 st Cir., 1996); Burgo v. Lady of America, etc., et al. No. SA CV 05–0518 (C.D. California, 2006); Wimsatt. v. Beverly Hills Weight etc. Internat., Inc. 38 Cal.Rptr.2d 612 (Court of Appeals California, 1995). 698 Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7 (3). 699 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500 (Court of Appeal California, 2011), mit Anmerkung Symeonides, 59 Am. J. Comp. L. 303, 364 f. (2011). 700 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500, 519 (Court of Appeal California, 2011); zustimmend: Symeonides, 59 Am. J. Comp. L. 303, 366 f. (2011). 701 Gravquick A/S v. Trimble Navigation International Limited, 323 F.3d 1219 (9th Cir., 2003).
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Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Vertragshändlervertrags. Gewählt worden war kalifornisches Recht. In Rede stand die Anwendbarkeit des California Equipment Dealers Act zugunsten des dänischen Vertragshändlers. Zwar gestand das Gericht in seiner Entscheidung ein, das kalifornische Parlament habe mit der Schaffung des Gesetzes den Schutz kalifornischer Vertragshändler als primäres Ziel verfolgt, doch habe es dies bewusst nicht im Wortlaut des Gesetzes festgelegt. Eine entsprechende Passage sei im Gesetzgebungsverfahren wieder gestrichen worden. Der California Equipment Dealers Act sei daher auch zugunsten des dänisches Vertragshändlers anzuwenden.702 Anders sah der Court of Appeals for the 9th Circuit die Rechtslage in der Entscheidung Taylor v. 1-800-GOT-JUNK? LLC703. Diese betraf einen kanadischen Franchisegeber, der mit einem in Oregon ansässigen Franchisenehmer wiederum die Anwendbarkeit der Rechtsordnung des Staates Washington vereinbart hatte. Der Franchisenehmer warf dem Franchisegeber die Verletzung von im Washington Franchise Protection Act 704 vorgesehenen Aufklärungspflichten vor. Das Gericht hielt die Schutzbestimmungen Washingtons zugunsten des Franchisenehmers für unanwendbar, weil diese allein für in Washington entfaltete Geschäftstätigkeit gälten. 705 Der die vorvertraglichen Aufklärungspflichten regelnde § 19.100.170 des Washington Code bestimmt: “It is unlawful for any person in connection with the offer, sale, or purchase of any fra nchise or subfranchise in this state directly or indirectly: (1) To make any untrue statement of a material fact […]”706
Aus dem Wortlaut der Vorschrift folgerte das Gericht einen auf Washington beschränkten Anwendungswillen der Norm. 707 Die Frage, ob als fundamental policy eines Staates zu qualifizierende Normen, die den Schutz einer bestimmten Personengruppe bezwecken, von einer vertraglichen Rechtswahl erfasst werden und damit unabhängig vom international zwingenden Recht der lex fori zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers eingreifen, ist Gegenstand zahlreicher USamerikanischer Entscheidungen geworden. Die überwiegende Anzahl der Gerichte lehnt die Anwendung der Schutzbestimmungen trotz entsprechender Rechtswahl dann ab, wenn der zu schützende Unternehmer nicht im normge702 Gravquick A/S v. Trimble Navigation International Limited, 323 F.3d 1219, 1223 (9th Cir., 2003). 703 Loren Taylor and Sage Taylor v. 1–800-GOT-JUNK? LLC, 387 Fed.Appx. 727 (9th Cir., 2010). 704 Wash. Rev. Stat. § 19.100 ff. 705 Loren Taylor and Sage Taylor v. 1–800-GOT-JUNK? LLC, 387 Fed.Appx. 727, 729 th (9 Cir., 2010). 706 Hervorhebung durch den Verfasser. 707 Loren Taylor and Sage Taylor v. 1–800-GOT-JUNK? LLC, 387 Fed.Appx. 727, 729 (9th Cir., 2010).
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benden Staat ansässig ist. 708 Meist wird dies auf den Wortlaut der entsprechenden Normen gestützt. So gibt der kalifornische Franchise Relationship Act etwa vor: „The provisions of this chapter apply to any franchise where either the franchisee is domiciled in this state or the franchised business is or has been operated in this state.”709
Das Wisconsin Fair Dealership Law definiert einen Vertragshändler, auf welchen die entsprechenden Schutzbestimmungen anwendbar sind, als “a person who is a grantee of a dealership situated in this state.”710
Vergleichbare Regelungen existieren in weiteren Staaten, darunter auch Illinois und New York. 711 Die Rechtslage ist folglich uneinheitlich. Die wohl überwiegende Anzahl der Gerichte versucht, mittels Auslegung zu bestimmen, ob eine Norm im Rahmen eines Günstigkeitsvergleichs zugunsten einer nicht am Forum ansässigen strukturell unterlegenen Partei berücksichtigt werden kann oder ihr Anwendungsbereich territorial beschränkt ist. 712 In vielen Fällen ergibt diese Auslegung, dass eine Anwendung der als fundamental policy zu qualifizierenden Normen auf außerhalb des normgebenden Staates liegende Sachverhalte nicht in Betracht kommt.713 Andere Entschei708 Bimel-Walroth Co. v. Raytheon Co., 796 F.2d 840, 843 f. (6th Cir., 1986); Peugeot Motors of America, Inc. v. Eastern Auto Distributors, Inc. 892 F.2d 355, 358 (4th Cir., 1989); Highway Equip. Co. v. Caterpillar Inc., 908 F.2d 60 (6 th Cir., 1990); Fred Briggs Distributing Company, Inc. v. California Cooler, Inc., 1993 WL 306157 *1 (9 th Cir., 1993); Generac Corp. v. Caterpillar Inc. 172 F.3d 971, 973 (7 th Cir., 1999); Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7 th Cir., 2003). 709 California Bus. & Prof. Code § 20015 (Hervorhebung durch den Verfasser). 710 Wisconsin Statutes Annotated § 135.02 (Hervorhebung durch den Verfasser). 711 Instruktiv, weil die Statuten mehrerer Staaten vergleichend: A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317, 322 (1st Cir., 1996). Zu New York siehe Peugeot Motors of America, Inc. v. Eastern Auto Distributors, Inc. 892 F.2d 355, 358 (4th Cir., 1989); zu Illinois: Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7 th Cir., 2003). 712 Bimel-Walroth Co. v. Raytheon Co., 796 F.2d 840, 843 f. (6th Cir., 1986); Peugeot Motors of America, Inc. v. Eastern Auto Distributors, Inc. 892 F.2d 355, 358 (4th Cir., 1989); Fred Briggs Distributing Company, Inc. v. California Cooler, Inc., 1993 WL 306157 *1 (9 th Cir., 1993); A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317, 322 (1st Cir., 1996); Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7th Cir., 2003); Gravquick A/S v. Trimble Navigation International Limited, 323 F.3d 1219, 1223 (9th Cir., 2003); Loren Taylor and Sage Taylor v. 1–800-GOT-JUNK? LLC, 387 Fed.Appx. 727, 729 (9th Cir., 2010). 713 Bimel-Walroth Co. v. Raytheon Co., 796 F.2d 840, 843 f. (6th Cir., 1986); Peugeot Motors of America, Inc. v. Eastern Auto Distributors, Inc. 892 F.2d 355, 358 (4th Cir., 1989); Fred Briggs Distributing Company, Inc. v. California Cooler, Inc., 1993 WL 306157 *1 (9 th Cir., 1993); A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317, 322 (1st Cir.,
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dungen hingegen erkennen auf diesem Wege keine Beschränkung des Anwendungsbereichs der entsprechenden Normen. 714 Eine zweite Strömung in der Rechtsprechung sieht den Anwendungswillen einer Norm als unerheblich an und verzichtet auf dessen Ermittlung. Die Parteien seien frei darin, eine Rechtsordnung in ihrer Gänze zu wählen. 715 Symeonides schließt sich dieser Auffassung an.716 Die Auslegung einer Rechtswahlklausel könne ergeben, dass die Parteien eine umfassende materiellrechtliche Inkorporation der Vorschriften der gewählten Rechtsordnung in den Vertrag bezweckten. In einem solchen Fall könne die Vertragsauslegung zu dem Ergebnis führen, dass die Parteien etwaige territoriale Beschränkungen der gewählten Normen konkludent abbedingen wollten. § 187 Restatement (Second) lasse eine derartige materiellrechtliche Inkorporation grundsätzlich zu. Unter den Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 stehe es den Parteien frei, zwingendes Recht durch das von ihnen gewählte zu ersetzen. Da diese Voraussetzungen in den untersuchten Fällen gegeben seien, ermöglichten es Partei- wie Privatautonomie einer Norm trotz eines gegenläufigen Anwendungswillens Geltung zu verschaffen. 717 Beachtliche Teile der Rechtsprechung lehnen diese Argumentation als „paradox“718 ab.719 Die Parteien könnten sich nicht einerseits auf eine Rechtswahl zugunsten des schutznormgebenden Staates berufen, zugleich aber auf einen von dieser abweichenden Parteiwillen, denn der Parteiwille habe bereits in der Rechtswahl Ausdruck gefunden. Dieser zu folgen, beinhalte auch die Anwendbarkeit von deren Restriktionen. 720 b) Stellungnahme Eine Stellungnahme ist in zwei Punkte zu untergliedern. Logisch vorrangig ist die Frage, ob Normen, die als fundamental policy qualifiziert werden, 1996); Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7th Cir., 2003); Gravquick A/S v. Trimble Navigation International Limited, 323 F.3d 1219, 1223 (9th Cir., 2003); Loren Taylor and Sage Taylor v. 1–800-GOT-JUNK? LLC, 387 Fed.Appx. 727, 729 (9th Cir., 2010). 714 Gravquick A/S v. Trimble Navigation International Limited, 323 F.3d 1219 (9th Cir., 2003). 715 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500, 519 (Court of Appeal California, 2011). 716 Symeonides, 59 Am. J. Comp. L. 303, 366 f. (2011). 717 Symeonides, 59 Am. J. Comp. L. 303, 366 f. (2011). 718 Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7 th Cir., 2003). 719 Siehe insbesondere die Entscheidungen der Court of Appeals 9 th Circuit sowie 7 th Circuit: Loren Taylor and Sage Taylor v. 1–800-GOT-JUNK? LLC, 387 Fed.Appx. 727, 729 (9th Cir., 2010); Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376 (7th Cir., 2003). 720 Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7 th Cir., 2003).
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überhaupt von einer Rechtswahl erfasst werden können. Zweifelhaft ist das für die so genannten Registration and Disclosure Laws, die Pflichten gegenüber dem Sitzstaat begründen und folglich eher einen öffentlich-rechtlichen Charakter aufweisen. Vorschriften auf vertragsrechtlicher Ebene hingegen, wie sie sich beispielsweise in den Franchise Relationship Laws finden und aus europäischer Sicht wohl als Sonderprivatrecht gelten würden, sind Teil des Vertragsstatuts und damit grundsätzlich von dessen Wahl erfasst. Insoweit stimmen die oben genannten Urteile überein. 721 Sieht man die Normen als wählbar an, so ist in einem zweiten Schritt mittels Auslegung festzustellen, ob die gewählten Normen den jeweiligen Sachverhalt sachlich und vor allem auch räumlich erfassen. § 187 Abs. 3 Restatement (Second) sieht für das Internationale Vertragsrecht eine Sachnormverweisung vor, diese schließt jedoch allein die Anwendbarkeit des Kollisionsrechts der gewählten Rechtsordnung aus. Beschränkungen des räumlichen Anwendungsbereichs der gewählten Sachnormen fallen nicht hierunter. 722 Die Auslegung muss vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Willens und des Wortlautes der Norm stattfinden. An dieser Stelle besteht am ehesten Spielraum, eine Anwendung der fundamental policy auf nicht im normgebenden Staat ansässige Unternehmer zu begründen. 723 In vielen Fällen dürfte eine solche freilich bereits am eindeutigen Wortlaut der entsprechenden Normen scheitern. 724 Kommt man zu dem Ergebnis, der Anwendungswille einer Norm erfasse den Sachverhalt nicht, so erscheint die von Symeonides sowie dem kalifornischen Court of Appeals in 1-800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County725 vertretene Lösung über eine Auslegung des Parteiwillens zweifelhaft. Symeonides ist zuzugestehen, dass es rechtstechnisch denkbar ist, eine Parteivereinbarung so auszulegen, dass sie zugleich die dispositiven Bereiche des gewählten Statuts modifiziert. Freilich handelt es sich bei den als fundamental policy zu qualifizierenden Normen in allen untersuchten Fällen zugleich um einfach zwingendes Recht. Ob sich dieses durch Parteivereinbarung modifizieren lässt, erscheint fraglich und ist wiederum durch Auslegung zu ermitteln. Verfolgt die Norm einen Schutzzweck, wie zumeist 721
Siehe etwa Gravquick A/S v. Trimble Navigation International Limited, 323 F.3d 1219, 1223 (9th Cir., 2003); Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7th Cir., 2003). 722 Zutreffend: Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7th Cir., 2003). 723 Insofern überzeugend: Gravquick A/S v. Trimble Navigation International Limited, 323 F.3d 1219, 1223 (9 th Cir., 2003). 724 Vgl. Loren Taylor and Sage Taylor v. 1–800-GOT-JUNK? LLC 387 Fed.Appx. 727, 729 (9th Cir., 2010); Gravquick A/S v. Trimble Navigation International Limited, 323 F.3d 1219, 1223 (9th Cir., 2003); Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7th Cir., 2003). 725 1–800-Got Junk? LLC, v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500, 519 (Court of Appeal California, 2011).
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in den untersuchten Fällen, so ist eine Verschärfung qua Parteivereinbarung vorstellbar. Zwar ist nicht recht einsichtig, weshalb ein strukturell überlegener Unternehmer konkludent der Ausweitung des territorialen Anwendungsbereichs einer Schutznorm zugunsten seines Vertragspartners zustimmen sollte, denkbar ist ein derartiger Parteiwille im Einzelfall dennoch. 726 Im Ergebnis ist die Einschränkung einer Rechtswahl durch die fundamental policy der lex fori trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 Restatement (Second) dann nicht erforderlich, wenn das gewählte Statut im konkreten Einzelfall einen höheren Schutzstandard verspricht und die diesen Standard begründenden Normen den Sachverhalt räumlich erfassen bzw. ihr Anwendungsbereich durch (konkludente) vertragliche Vereinbarung auf den Sachverhalt ausgedehnt worden ist. Ein Günstigkeitsprinzip im Bereich der Rechtswahlbeschränkungen ist damit zwar im Ansatz erkennbar, dürfte indes zumeist am fehlenden Vorliegen der Voraussetzungen scheitern. V. Die international zwingende Durchsetzung ausländischen Rechts Die Untersuchung ergibt eine deutliche Tendenz der amerikanischen Gerichte, die Leitlinien des Restatement so auslegen, dass sie eine international zwingende Durchsetzung der lex fori ermöglichen. In einem nächsten Schritt ist zu überprüfen, inwieweit die amerikanische Rechtsprechung eine Beschränkung der lex fori zugunsten ausländischer international zwingender Normen zulässt. Gemäß § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) wäre das dann der Fall, wenn eine ausländische Rechtsordnung die engste Verbindung zum Sachverhalt aufweist und zugleich dieser Staat ein erheblich größeres Interesse an der Streitentscheidung besitzt. Die Zulässigkeit der Anwendung forumsfremden Rechts wird in der amerikanischen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Zunächst ist im Folgenden auf eine seltener vertretene Ansicht einzugehen, welche die Anwendung forumsfremder international zwingender Normen zulassen will. Im Anschluss daran erfolgt eine Untersuchung der weiter verbreiteten Strömung, die sich der Berücksichtigung einer forumsfremden fundamental policy widersetzt. 1. Durchsetzung forumsfremder policy gegenüber der lex fori Entscheidungen, welche die Beschränkung der lex fori zugunsten forumsfremder international zwingender Normen zulassen, sind rarer gesät, als solche Urteile, die auf der international zwingenden Durchsetzung der lex fori beharren.727 In Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc.728 hatte die 726 So Symeonides, 59 Am. J. Comp. L. 303, 366 f. (2011); anders: Cromeens, Holloman, Sibert, Incorporated v. AB Volvo, 349 F.3d 376, 386 (7 th Cir., 2003). 727 Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7. 728 Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1986).
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Appellate Division des Superior Court of New Jersey über die Klage eines in Connecticut ansässigen Franchisenehmers gegen dessen Franchisegeber mit Sitz in New Jersey wegen vermeintlich ungerechtfertigter Beendigung des Franchisevertrags zu entscheiden. Der Vertrag enthielt eine Rechtswahlklausel zugunsten des Rechts von New Jersey. 729 Das Gericht wendete § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) an und stellt fest, dass eine Rechtswahl zugunsten der lex fori hinter der fundamental policy des Sitzstaates des Franchisenehmers zurückstehen müsse. Die Rechtsordnung Connecticuts als Heimatstaat des Franchisenehmers habe zum einen eine enge Beziehung zum Sachverhalt, zum anderen bestehe ein vorrangiges Interesse Connecticuts an der fairen Behandlung seiner Franchisenehmer.730 Die Schutzbestimmungen des Staates Connecticut, die in ihrer Wirkung über die des Forums hinausgi ngen, bezweckten den Ausgleich der ungleichen Verhandlungsmacht zwischen Franchisenehmer und Franchisegeber und stellten daher eine fundamental policy Connecticuts dar.731 Das Gericht schloss mit der rechtspolitischen Äußerung, nähme es keine Beschränkung der Parteiautonomie vor, würde die strukturelle Überlegenheit des Franchisegebers qua einer von diesem durchgesetzten Rechtswahl zu dem unerwünschten Ergebnis führen, den Franchisenehmer des vom jeweiligen Gesetzgeber intendierten Schutzes zu berauben.732 In der vergleichbar gelagerten Entscheidung Economou v. Physicians Weight Loss Centers of America 733 entschied ein Federal District Court in Ohio über die Klage eines in New Jersey ansässigen Franchisenehmers gegen den Franchisegeber mit Sitz in Ohio wegen eines Verstoßes gegen den New Jersey Franchise Practises Act 734. Gewählt hatten die Parteien das Recht von Ohio. In der Anwendung des § 187 Restatement (Second) kommt das Gericht zu dem Ergebnis mangels Rechtswahl komme gemäß § 188 Restatement (Second) das Recht New Jerseys zur Anwendung. Zwar weise der Sachverhalt Berührungspunkte sowohl mit der Rechtsordnung Ohios als auch New Jerseys auf, doch sprächen für die engste Verbindung des Sachverhaltes zu New Jersey der dortige Sitz des Klägers sowie die Tatsache, dass das streit-
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Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666, 671 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1986). 730 Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc.,208 N.J.Super 666, 672 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1986). 731 Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666, 672 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1986). 732 Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666, 671 f. (Superior Court New Jersey, App. Div., 1986). 733 Economou v. Physicians Weight Loss Centers of America, 61 ATRR 59 (N.D. Ohio, 1991). 734 N.J. Rev. Stat. Section 56:10–5 ff.
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gegenständliche Geschehen dort stattgefunden habe. 735 Der New Jersey Franchise Practises Act stelle eine fundamental policy des Staates New Jersey dar, welche die in Vertragsverhandlungen strukturell unterlegene Partei zu schützen bezwecke. Dessen Nichtanwendung sei mit erheblichen Nachteilen für den Franchisenehmer verbunden. Der gemäß § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) vorzunehmende Interessenvergleich ergebe schließlich, dass das Interesse New Jerseys, dort ansässige, kleine und unterlegene 736 Franchisenehmer zu schützen, das Interesse Ohios, die zwischenstaatlichen Vertragsbeziehungen von Franchisegebern zu fördern, überwiege. 737 Folglich sei trotz anderslautender Rechtswahl zugunsten der lex fori das Recht New Jerseys anwendbar. 2. Durchsetzung der lex fori gegenüber forumsfremder policy a) Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.738 Den beiden oben genannten Entscheidungen stehen diejenigen gegenüber, in welchen es die Gerichte ablehnen, die lex fori hinter forumsfremdem international zwingenden Recht zurückstehen zu lassen. Beispielhaft ist dafür die Entscheidung Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.739.740 Der Court of Appeals for the 8th Circuit hatte über eine Klage der in Minnesota ansässigen Franchisenehmerin gegen die Franchisegeberin mit Sitz in Nebraska zu entscheiden. Der Franchisevertrag enthielt eine Rechtswahl zugunsten des Rechts von Nebraska. Die Klägerin forderte von der Beklagten Schadensersatz wegen Bruchs des Franchisevertrags. In erster Instanz erklärte ein Federal District Court in Nebraska unter Anwendung des eigenen Kollisionsrechts die Rechtswahlklausel für wirksam. Der Court of Appeals, der in seiner Entscheidung aufgrund der Grundsätze der diversity jurisdiction ebenfalls das Kollisionsrecht Nebraskas anzuwenden hatte, 741 folgte dieser Einschätzung. Die Richter begannen mit Ermittlung derjenigen 735 Economou v. Physicians Weight Loss Centers of America, 61 ATRR 59 (N.D. Ohio, 1991). 736 Im Original: „small and powerless“, Economou v. Physicians Weight Loss Centers of America, 61 ATRR 59 (N.D. Ohio, 1991). 737 Economou v. Physicians Weight Loss Centers of America, 61 ATRR 59 (N.D. Ohio, 1991). 738 Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734 (8th Cir., 1989). 739 Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734 (8th Cir., 1989). 740 Für die exemplarische Bedeutung dieser Entscheidung siehe auch: Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7; Meaney, 15 Franchise L. J. 75, 76 (1995–1996); kritisch: Bauch, 14 Franchise L. J. 91, 93 (1994–1995); Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 76 (1990–1991). 741 Siehe dazu bereits oben § 2C.I.
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Rechtsordnung, zu welcher der Sachverhalt die engste Verbindung aufweist. Die Bezüge zu Nebraska und Minnesota seien etwa gleichbedeutend. Für die engste Beziehung zu Nebraska sprächen der dortige Sitz der Beklagten, der Ort des Vertragsschlusses sowie die dort stattgefundenen Vertragsverhandlungen. In Minnesota hingegen seien der Sitz der Klägerin und der Erfüllungsort belegen sowie ein großer Teil des Kundenstammes der Franchisenehmerin ansässig. 742 Eine überwiegende Beziehung zu einem der beiden Staaten bestehe damit nicht. Auch ein vorrangiges Interesse Minnesotas an der Streitbeilegung sei nicht vorhanden, was das Gericht nicht näher begründete.743 Schließlich sei fraglich, ob der Minnesota Franchise Act, dessen Anwendung die Klägerin begehrt, eine fundamental policy Minnesotas darstelle und folglich der Rechtswahl vorgehe. Zwar bezwecke dieses Gesetz den Schutz des Franchisenehmers und stelle dazu über das allgemeine Vertragsrecht hinausgehende Rechtsbehelfe zur Verfügung. Für dessen Qualifikation als fundamental policy spreche auch die einfachgesetzliche Unabdingbarkeit.744 Doch zum einen könne das Gericht keinerlei Ungleichgewichte in der Verhandlungsmacht der beiden Parteien feststellen. Der Beweis eines Missbrauchs einer überlegenen Verhandlungsposition sei jedoch erforderlich, um einen staatlichen Eingriff in die Parteiautonomie zu rechtfertigen. Die Klägerin habe es in der Hand gehabt, eine für sie günstigere Rechtswahl auszuha ndeln.745 Zum anderen werde das als fundamental policy anzusehende wirtschaftspolitische Bestreben Minnesotas Franchisenehmerschutz zu gewährleisten, durch die gleichwertige rechtspolitische Zielsetzung Nebraskas, die Rechtswahlfreiheit der Parteien zu garantieren, beschränkt. 746 Die Rechtswahlklausel zugunsten der Rechtsordnung von Nebraska sei folglich wirksam. Zugleich sei jedoch auch das Franchisegesetz des Staates Nebraska nicht einschlägig, da dieses ausdrücklich nur für in Nebraska ansässige Franchisenehmer gelte.747 Eine Anwendung ausländischen Eingriffsrechts zulasten der lex fori nimmt der Court of Appeals nicht vor.
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Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 739 (8 th Cir., 1989). 743 Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 738 f. (8th Cir., 1989). 744 Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 738 (8 th Cir., 1989). 745 Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 739 (8 th Cir., 1989). 746 Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 740 (8th Cir., 1989). 747 Neb.Rev.St. § 87–403: “Sections 87–401 to 87–410 apply only to a franchise (1) the performance of which contemplates or requires the franchisee to establish or maintain a place of business within the State of Nebraska (2) […]”.
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b) Bewertung der Entscheidung Die Entscheidung Modern Computer Systems stieß in der US-amerikanischen Literatur auf erhebliche Kritik. Vielfach wird sie als Fehlentscheidung angesehen. 748 Zum einen wird vorgebracht, die engste Verbindung des Sachverhalts im Sinne der §§ 187 Abs. 2 lit. b, 188 Restatement (Second) sei zum Sitzstaat des Franchisenehmers anzunehmen. 749 Grundsätzlich legt § 188 Abs. 2 Restatement (Second) dasselbe Gewicht auf den Ort des Vertragsschlusses (lit. a) wie auf den Sitz der Parteien (lit. e) und den Erfüllungsort (lit. c). Die offizielle Kommentierung des Restatement sieht vor, der Parteiautonomie insbesondere dann Vorrang einzuräumen, wenn die örtlichen Berührungspunkte des Vertrags so verteilt sind, dass ein räumlicher Schwerpunkt nur mit großer Schwierigkeit bestimmbar ist. 750 Dies ist hier nicht der Fall. Vielmehr legt eine wertende Betrachtung der Faktoren, die § 188 in Verbindung mit § 6 Restatement (Second) auch vor dem Hintergrund rechtspolitischer Ziele vorschreibt, eine Gewichtung zugunsten Minnesotas nahe. Die Vertragsabwicklung sollte vollständig in Minnesota stattfinden. Dort erfüllte nicht nur der Franchisenehmer seine Pflicht, sondern dorthin lieferte auch der Franchisegeber alle für das Franchise wesentlichen Gegenstände. 751 Die Interessenabwägung des Court of Appeals zwischen den beteiligten Staaten schließlich fällt sehr knapp aus und steht zudem auf fragwürdiger Grundlage. Nimmt man eine Interessenabwägung anhand der gesetzgeberischen Intentionen vor, so ergibt sich, dass § 87-403752 des Nebraska Franchise Statute allein die Absicht verfolgt, in Nebraska ansässige Franchisenehmer zu schützen und folglich nur mit diesen abgeschlossene Verträge zu regulieren. Der Gesetzgeber des Staates Minnesota hingegen hat mit § 80C.21 seinen Willen zum Ausdruck gebracht, die das Franchising regulierenden Normen auf alle in Minnesota ansässigen Franchisenehmer unabdingbar anzuwenden.753 Aus rechtspolitischer Perspektive erscheint es folglich überzeu-
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Siehe etwa Bauch, 14 Franchise L. J. 91, 95 f. (1994–1995); Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 76 ff. (1990–1991); Meaney, 15 Franchise L. J. 75, 76 (1995–1996). 749 Minderheitenvotum der Richter Heaney und Lay, Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 741 f. (8th Cir., 1989).; Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 76 f. (1990–1991). 750 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment g. S. 568. 751 Minderheitenvotum der Richter Heaney und Lay, Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 741 f. (8th Cir., 1989); Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 76 f. (1990–1991). 752 Neb. Rev. St. § 87–403. Siehe Wortlaut schon in Fn. 747. 753 Minn. Stat. § 80C.01 ff., insbesondere auch § 80C.21: „Any condition, stipulation or provision purporting to bind any person acquiring any franchise to waive compliance with any provision of sections 80C.01 to 80C.22 or any rule or order thereunder is void.”
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gend, ein vorrangiges Interesse Minnesotas am vorliegenden Fall anzunehmen.754 Die Ablehnung des Bestehens einer vorrangigen fundamental policy hält einer kritischen Betrachtung im Lichte des Restatement nur bedingt stand. Ohne Relevanz scheint zunächst die Feststellung im konkreten Fall läge keinerlei Ungleichgewicht zwischen den Parteien vor. Unabhängig davon, dass dies bereits auf rein tatsächlicher Ebene bestritten wird, 755 ist es rechtlich irrelevant, denn weder der Minnesota Franchise Act noch die §§ 187, 188 Restatement (Second) erfordern ein Ungleichgewicht im konkreten Fall. 756 Vielmehr ist zur Begründung einer fundamental policy allein auf die Intention des Gesetzgebers abzustellen, ein Gesetz als so grundlegend für die öffentliche Ordnung einzustufen, dass es auch durch Rechtswahl nicht abbedungen werden kann. 757 Dem Gesetzgeber von Minnesota kam es darauf an, den dort ansässigen Franchisenehmer unabhängig von konkreten Umständen vor einem Verlust der durch den Minnesota Franchise Act garantierten Rechte zu schützen. 758 Neben der Erweiterung der Rechte des Franchisenehmers gegenüber dem common law spricht hierfür vor allem die Unabdingbarkeitsklausel des § 80C.21 Minnesota Code. Stimmen in der amerikanischen Literatur wollen in diesem Fall von der einfach gesetzlichen Unabdingbarkeit auf die Qualifikation als international zwingende public policy schließen.759 Es wird angenommen, der Gesetzgeber bringe mit der Unabdingbarkeit ein umfassendes Schutzanliegen zum Ausdruck, sodass ein Rückschluss von der durch den Gesetzgeber angeordneten, einfachgesetzlichen Unabdingbarkeit auf eine Rechtswahlbeschränkung legitim sei.760 Folgt man dieser Argumentation, so 754 Minderheitenvotum der Richter Heaney und Lay, Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 741 Fn. 1 (8 th Cir., 1989); Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 76 f. (1990–1991). 755 Es handelte sich um ein „Zwei-Mann-Start-Up“ (Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 76 Fn. 90 (1990–1991)). 756 Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 77 (1990–1991). 757 Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 77 (1990–1991). 758 Ausführlich: Note, 59 Minn. L. Rev. 1027, 1045 f. (1974–1975), im Übrigen auch: Minderheitenvotum der Richter Heaney und Lay, Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 742 (8th Cir., 1989). 759 Bauch, 14 Franchise L. J. 91, 95 (1994–1995); Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 77 (1990–1991); Meaney, 15 Franchise L. J. 75, 76 (1995–1996); im Übrigen auch: Minderheitenvotum der Richter Heaney und Lay, Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 742 (8th Cir., 1989). 760 Siehe etwa das Minderheitenvotum der Richter Heaney und Lay, Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 743 (8 th Cir., 1989).: „[…] the Minessota Legislature prohibits any transaction inted to narrow or eliminate the applicability of the Minnesota Franchise Act. Thus, the choice of law provision […] violates the Act and violates a fundamental public
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bildet der Franchisenehmerschutz eine Ausprägung der fundamental policy Minnesotas, was letztlich auch der Court of Appeals anzuerkennen scheint. 761 Da auch viel dafür spricht, die engste Verbindung des Vertrags im Sinne des § 188 Restatement (Second) zu Minnesota sehen, und ein besonderes Interesse Minnesotas am Schutz der dort ansässigen Franchisenehmer zu bejahen ist, sind die Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) zur Anwendung der Schutzbestimmungen Minnesotas trotz gegenläufiger Rechtswahl erfüllt. c) Schlussfolgerungen Das Urteil des Court of Appeals in Modern Computer Systems ist folglich zu Recht Ziel erheblicher Kritik geworden. Die Anwendung der Prinzipien des Restatement (Second) Conflict of Laws vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr wäre es in Anbetracht der Bedeutung, die § 187 Restatement (Second) forumsfremdem international zwingenden Recht einräumt, angezeigt gewesen, die lex fori hinter der fundamental policy Minnesotas zurückstehen zu lassen. Eine Änderung der Rechtsprechung des Court of Appeals for the 8th Circuit hat jedoch nicht stattgefunden. Vielmehr findet sich eine Reihe Modern Computer Systems folgender Entscheidungen, die allesamt zu dem Ergebnis führen, die lex fori nicht hinter forumsfremdem Recht zurücktreten zu lassen.762 Dieses Vorgehen lässt sich nicht allein im 8th Circuit beobachten, auch die Court of Appeals 5th Circuit und 6th Circuit tendieren dazu, den Parteien in den genannten Konstellationen die freie Rechtswahl zu überlassen.763 Die liberale Einstellung des Court of Appeals for the 8th Circuit zur Parteiautonomie findet ihre Grenzen freilich in der Modern Computer Systems nachfolgenden Entscheidung Electrical and Magneto764. Zur Revision stand
policy.” Zustimmend: Bauch, 14 Franchise L. J. 91, 95 (1994–1995); Carpinello, 74 Marq. L. Rev. 57, 77 (1990–1991); Meaney, 15 Franchise L. J. 75, 76 (1995–1996). 761 Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734, 740 (8 th Cir., 1989). 762 Ein Überblick findet sich bei Bauch, 14 Franchise L. J. 91, 93 (1994–1995); siehe insbesondere Commercial Property Investments, Inc v. Quality Inns International, Inc. 938 F.2d 870 (8 th Cir., 1991); JRT, Inc. v. TCBY Systems, Inc.; TCBY Enterprises, Inc.; Americana Foods, Inc., 52 F.3d 734 (8th Cir., 1995); Carlock v. Pillsbury Co., 719 F.Supp 791 (D. Minnesota, 1989). 763 Tele-Save Merchandising Company v. Consumers Distributing Company, Ltd., 814 F.2d 1120 (6 th Cir., 1987); Banek v. Yogurt Ventures U.S.A., Inc., 6 F.3d 357 (6 th Cir., 1993); Cherokee Pump & Equipment Inc. v. Aurora Pump, a Unit of General Signal and General Signal Corp., 38, F.3d. 246 (5 th Cir., 1994). 764 Electrical and Magneto Service Co. Inc. v. Ambac International Corporation, 941 F.2d 660 (8th Cir., 1991).
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ein Fall des Federal District Court for the Western District of Missouri765, in welchem ein in Missouri ansässiger Vertriebshändler seinen in South Carolina ansässigen Lieferanten auf Schadensersatz wegen Verletzung der Kündigungsschutzbestimmungen des § 407.405 Missouri Franchise Relationship Law verklagte. 766 Der Vertrag enthielt jedoch eine Rechtswahl zugunsten der Rechtsordnung von South Carolina. Dasselbe Gericht, das zwei Jahre zuvor in Modern Computer eine Rechtswahldurchbrechung zugunsten der fundamental policy eines anderen Staates abgelehnt hatte, stellte nunmehr fest, das Missouri Franchise Relationship Law bezwecke, den strukturell unterlegenen Marktteilnehmer zu schützen. Um dieser Funktion gerecht zu werden, sei es notwendig, dessen Bestimmungen als international zwingende fundamental policy anzusehen. 767 Zur anderslautenden Ansicht in Modern Computer Systems bestehe kein Widerspruch, denn der Unterschied zu Electrical and Magneto sei darin zu sehen, dass im ersten Fall der District Court of Nebraska sich mit einer Rechtswahlklausel zugunsten der lex fori konfrontiert sah, wohingegen es in der dem Gericht vorliegenden Entscheidung auf eine Abwägung der fundamental policy des Forums und einer Rechtswahl zugunsten eines Drittstaates ankomme. Der Court of Appeals führt dazu aus: “The distinction is significant because it is harder to convince a court to ignore a choice of law provision in favor of its forum's law than it is to convince a court to ignore such a provision selecting a foreign forum's law. Consequently, the Modern Computer analysis is not useful in this case.” 768
Die Tendenz, zwischen eigenen und fremden zwingenden Bestimmungen hinsichtlich der international zwingenden Durchsetzung zu differenzieren, wird durch die zeitlich Electrical and Magneto nachfolgende Entscheidung JRT v. TCBY769 – wiederum des Court of Appeals for the 8th Circuit – bestätigt. Darin stimmte der Court of Appeals der Ansicht des District Court for the Eastern District of Arkansas zu, der die Wirksamkeit einer Rechtswahl zugunsten des Rechts von Arkansas auch gegenüber dem entgegenstehenden Franchisegesetz Michigans, wo der Franchisenehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, annahm, folglich eine Einschränkung der gewählten lex fori
765 Electrical and Magneto Service Co., Inc. v. Ambac International Corp., 745 F.Supp. 1501 (W.D. Missouri, 1991). 766 Mo. Rev. Stat. § 407.405 (1986). Dieses fordert eine 90-tägige Kündigungsfrist für Vertriebs- und Franchiseverträge. 767 Electrical and Magneto Service Co. Inc. v. Ambac International Corporation, 941 F.2d 660, 663 (8th Cir., 1991). 768 Electrical and Magneto Service Co. Inc. v. Ambac International Corporation, 941 F.2d 660, 664 (8th Cir., 1991). 769 JRT, Inc. v. TCBY Systems, Inc.; TCBY Enterprises, Inc.; Americana Foods, Inc., 52 F.3d 734 (8th Cir., 1995).
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zugunsten forumsfremder international zwingender Bestimmungen ablehnte.770 VI. Zwischenergebnis Es ist folglich festzustellen, dass in der US-amerikanischen Rechtsprechung ein breiter Konsens hinsichtlich der international zwingenden Durchsetzung der lex fori vor dem gewählten Recht eines Drittstaates besteht. Uneinheitlich ist die Rechtsprechung, wenn es darum geht, international zwingendes Recht eines Drittstaates hinter dem Recht des Forums zurücktreten zu lassen. Eine beachtliche Strömung in der Rechtsprechung differenziert zwischen der Durchsetzung der fundamental policy der lex fori und solcher forumsfremder Rechtsordnungen und lehnt die Anwendung letzter ab. 771 Weder durch den Wortlaut noch durch die Systematik der §§ 187, 188 Restatement (Second) Conflict of Laws wird dieses Ergebnis gedeckt. Vielmehr wird durch die Tendenz, die lex fori anzuwenden, ein erhebliches Maß an Protektionismus deutlich. Gerichte am gewöhnlichen Aufenthalt des Franchisenehmers legen die Bestimmungen des Restatement so aus, dass sie die Unwirksamkeit einer Rechtswahl zugunsten der am Sitz des Franchisegebers geltenden Rechtsordnung zur Folge haben und kommen stattdessen zur Anwendung der den Franchisenehmer schützenden lex fori. Gerichte am Sitz des Franchisegebers hingegen tendieren zum Teil dazu, den am Forum ansässigen Unternehmer durch Aufrechterhaltung der von ihm typischerweise aufgrund überlegener Verhandlungsmacht durchgesetzten Rechtswahl zu begünstigen.772 Es entsteht der Eindruck, das Auffinden des anwendbaren Rechts finde weniger durch eine Anwendung fester Anknüpfungsregeln statt, als vielmehr im Rahmen einer Interessenanalyse, die häufig zugunsten des Forums ausfällt. 773 Obwohl das Restatement die international zwingende Durchsetzung der lex fori als eigene Kategorie nicht kennt, sondern unter den Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) allein der objektiv am engsten mit dem Sachverhalt verbundenen Rechtsordnung Vorrang vor einer Rechtswahl einräumt, legen die US-amerikanischen Gerichte § 187 Abs. 2 Restatement (Second) so aus, dass dieser ihnen die Durchsetzung der Eingriffsnormen des Forums eröffnet. Deutlich wird hieran, dass es sich beim Restatement nicht um staatliches Recht handelt, sondern lediglich um einen akademischen Vorschlag zur Vereinheitlichung des Kollisionsrechts. Während aus Sicht des 770 JRT, Inc. v. TCBY Systems, Inc.; TCBY Enterprises, Inc.; Americana Foods, Inc., 52 F.3d 734, 739 (8th Cir., 1995). 771 Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7; Symeonides/Perdue/von Mehren, Conflict of Laws, S. 334–336. 772 Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7; Symeonides/Perdue/von Mehren, Conflict of Laws, S. 334–336. 773 Vergleiche zum interest analysis approach ziehen auch Symeonides/Perdue/von Mehren, Conflict of Laws, S. 336.
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Wissenschaftlers alle Rechtsordnungen grundsätzlich gleichwertig sein mögen und ihrem zwingenden Recht folglich gleichberechtigte international zwingende Geltung zu verschaffen ist, ist die Perspektive des Gesetzgebers und des Richters eine andere. Insbesondere in Bereichen wie dem Vertriebsrecht oder dem Versicherungsrecht sind die einzelstaatlichen Gesetzgeber in der Vergangenheit immer wieder aktiv geworden, um aus sozial- und wirtschaftspolitischen Gründen einen Schutz des unterlegenen, heimischen Unternehmers zu gewährleisten. 774 Gerichte tendieren dazu, der eigenen Rechtsordnung, mit welcher sie zudem vertraut sind, und den rechtspolitischen Entscheidungen „ihres“ Gesetzgebers den Vorrang einzuräumen, um dem am Forum ansässigen Unternehmer die schützenden Wirkungen der lex fori zugute kommen zu lassen. Gleichartige Wertentscheidungen forumsfremder Gesetzgeber entfalten in der Praxis, auch wenn sie aus Sicht des § 187 Restatement (Second) gleichwertig sind, nicht dieselbe Überzeugungskraft. D. Objektive Anknüpfung Zu untersuchen ist im Folgenden, inwiefern auch die objektive Anknüpfung des § 188 Restatement (Second) einem Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers gerecht wird. Zwar enthält das Restatement mit § 196 eine Sonderregelung für Dienstverträge bereit, wonach auf diese das Recht des vertragsgemäßen Erfüllungsortes der Dienstleistung anwendbar ist. Der Begriff der Dienstleistung ist weit zu verstehen. Er ist eher vergleichbar mit dem europäischen als dem deutschen Dienstleistungsbegriff und hat den Anspruch auch Franchise- und Vertriebsverträge zu erfassen. 775 Zu bedenken ist jedoch, dass die meisten hier analysierten Entscheidungen auf die Regelung des § 196 Restatement (Second) nicht unmittelbar zurückgreifen, sondern ungeachtet der Systematik des Restatement das objektiv anwendbare Recht mittels der lex generalis § 188 Restatement (Second) bestimmen. 776 Der praktische Unterschied ist freilich gering, da die Gerichte dem Erfüllungsort des Franchise- oder Vertriebsvertrags bei der Bestimmung des Vertragsschwerpunktes großes Gewicht beimessen. 777 Ähnliches gilt für Versicherungsverträge, für die das Restatement mit § 193 eine Sonderkollisionsnorm bereithält, welches die Anwendbarkeit der am Risikobelegenheitsort geltenden Rechtsordnung bestimmt. Nur wenige 774
Siehe dazu schon oben § 3B.II. § 196 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, a. S. 623; Hay/Borchers/Symeonides, § 18. 29; Pitegoff, 9 Franchise L. J. 1, 3 (1989–1990). 776 Symeonides, 45 Am. J. Comp. L. 447, 488 (1997). 777 Kent Klosterman v. Choice Hotels International, Inc., 2005 WL 1177947 (D. Idaho, 2005); Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450 (D. Maryland, 2005). 775
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Entscheidungen rekurrieren auf diese Norm, 778 die übrigen kommen jedoch über § 188 Restatement (Second) zu einem vergleichbaren Ergebnis, indem die engste Verbindung eines Versicherungsvertrags zum Risikobelegenheitsort gesehen wird.779 Die Generalklausel der objektiven Anknüpfung nach § 188 Restatement (Second) schließlich ist der Berücksichtigung rechtspolitischer Wertungen gegenüber aufgeschlossen. 780 Zwar sind gemäß § 188 Abs. 2 Restatement (Second) zunächst die räumlichen Bezugspunkte des Vertrags im Bezug auf den Streitgegenstand zum Ort der Vertragsverhandlungen und des Vertragsschlusses, zum Erfüllungsort, zum Lageort des Vertragsgegenstandes sowie zum domicile bzw. Sitz der Parteien zu bestimmen. 781 Doch hat deren Gewichtung vor den Kriterien des § 6 Restatement (Second) zu erfolgen, nach welchen im Internationalen Vertragsrecht primär die Parteierwartungen und die Interessen der tangierten Staaten von Bedeutung sind. 782 Einerseits weist § 188 damit einen weiten Tatbestand auf, der Raum für die Berücksichtigung unterschiedlichster, auch objektiv unbedeutender räumlicher Kontakte lässt, andererseits wird die Vielzahl der zu berücksichtigen räumlichen Kontakte unter anderem durch die rechtspolitischen Interessen des Forums und anderer beteiligter Staaten gefiltert. Bereits bei der Bestimmung des objektiven Rechts bleibt folglich Raum für Schutzerwägungen zugunsten eines strukturell unterlegenen Unternehmers. Exemplarisch783 hierfür ist die Entscheidung A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation 784 des Court of Appeals for the First Circuit. Gegenstand des Verfahrens war die Klage eines Vertragshändlers gegen seinen Lieferanten auf Schadensersatz wegen Beendigung der Ausschließlichkeit der Vertriebsvereinbarung. Streitig war die Anwendbarkeit der den Vertragsunternehmer schützenden Bestimmungen des Rechts von Puerto Rico.785 Mangels Rechtswahl beurteilte das Gericht das auf den Sachverhalt anwendbare Recht nach § 188 Restatement (Second) und benannte die
778
So aber Amica Mut. Ins. Co. v. Fogel, 656 F.3d 167 (3rd Cir., 2011). Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7. (4); Param Petroleum Corp. v. Commerce and Industry Ins. Co., 296 N.J.Super 164 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1997); Nelson v. Aetna Life Ins. Co., 359 F.Supp. 271, 290 (W.D. Missouri, 1973). 780 Rechtsvergleichend: Göthel, ZVglRWiss 99 (2000), 338, 371. 781 Ausführlich: § 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, e. S. 579 ff. 782 § 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, b/c. S. 576 ff. 783 Dogmatisch vergleichbar ist die Entscheidung Spink & Son, Ltd. v. General Atlantic Corporation et al, 167 Misc.2d 120 (Supreme Court, New York County, 1996), in welcher ebenfalls zwingendes Recht im Rahmen der objektiven Anknüpfung berücksichtigt wird. Weitere Entscheidungen finden sich bei Symeonides, 45 Am. J. Comp. L.447, 490 (1997). 784 A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317 (1 st Cir., 1996). 785 Law 75 of June 24, 1964, P.R. Laws Ann. Tit. 10 § 278 ff. (1997). 779
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hierfür relevanten räumlichen Kontakte. 786 Die Orte der Vertragsverhandlungen sowie des Vertragsschlusses befanden sich in Missouri, der Erfüllungsort war nach Ansicht des Gerichts zweigeteilt. Die Beklagte erfüllte ihre vertragliche Pflicht zur Warenlieferung an ihren Lagern in Pennsylvania und Missouri, die Klägerin hingegen war verpflichtet, die Waren in Puerto Rico zu vertreiben. Die engste Beziehung einer Rechtsordnung zum Vertragsgegenstand hing nach Ansicht des Gerichts von dessen Bestimmung ab. Sehe man die zu liefernden Waren als Vertragsgegenstand an, befinde sich dieser in den Warenlagen in Missouri und Pennsylvania. Zwar würden diese anschließend nach Puerto Rico versandt, doch seien sie zu diesem Zeitpunkt bereits Vertragsgegenstand zwischen dem Vertragshändler und dem Endabnehmer. Betrachte man hingegen die ausschließlichen Vertriebsrechte als Vertragsgegenstand, so sei dieser zweifellos in Puerto Rico zu lokalisieren. Der Sitz der Parteien schließlich deute ebenfalls nicht auf das Recht von Puerto Rico, denn die Klägerin habe ihren Unternehmenssitz in New Jersey, die Beklagte betreibe ihr Geschäft von Missouri und Pennsylvania aus. 787 Die räumlichen Kontakte zu Puerto Rico seien damit vergleichsweise schwach ausgeprägt. Bei einer Gewichtung derselben vor den Kriterien des § 6 Restatement (Second) seien hingegen auch die Interessen der beteiligten Staaten in die Abwägung miteinzubeziehen. Der in Frage stehende Puerto Rico Dealer’s Act verkörpere eine gewichtige public policy, da er zur Verhinderung der ökonomischen Ausbeutung von Vertragshändlern erlassen worden sei, 788 woraus sich ein vorrangiges Interesse Puerto Ricos ergebe, zu verhindern, dass Vertriebsverträge willkürlich gekündigt würden.789 Für die Anwendung des Dealer’s Act sei kein Sitz des Vertragshändler in Puerto Rico erforderlich, eine geschäftliche Tätigkeit genüge. Die übrigen vom Sachverhalt betroffenen Staaten, Missouri und New Jersey, wiesen zwar vergleichbare Schutzgesetze auf,790 die jedoch nur für Vertragshändler anwendbar seien, die in diesen Staaten tätig würden, was nicht der Fall sei. Aufgrund dieser gesetzlichen Wertungen der tangierten Staaten genügten die räumlichen Beziehungen des Vertrags zu Puerto Rico, um dessen Recht mittels objektiver Anknüpfung zur Anwendung kommen zu lassen. 791 Deutlich wird an dieser Entscheidung, dass 786 A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317, 320 (1 st Cir., 1996). 787 A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317, 320 (1 st Cir., 1996). 788 A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317, 321 f. (1st Cir., 1996). 789 74 F.3d 317, 321 mit Verweis auf Medina & Medina v. Country Pride Foods, Ltd., 858 F.2d 817, 820 (1 st Cir., 1988). 790 Mo. Rev. Stat. §§ 407.405, 407.410 (1974) und N.J. Rev. Stat. § 56:10–5 (1971), die eine 90- bzw. 60-tägige Kündigungsfrist für Vertriebsverträge festschreiben. 791 A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317, 323. (1st Cir., 1996).
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die objektive Anknüpfung nach § 188 Restatement (Second) dem Richter ebenso viel Spielraum zur Berücksichtigung der fundamental policy lässt wie § 187 Restatement (Second) für die Rechtswahl. Mittels objektiver Anknüpfung findet somit tendenziell diejenige Rechtsordnung Anwendung, die ein zu berücksichtigendes Interesse an der Anwendung ihrer Schutzbestimmungen hat.
§ 3 Rechtsvergleich § 3 Rechtsvergleich
Im Folgenden soll zunächst auf die Unterschiede in der Regelungstechnik zwischen dem Unionsrecht und der am Restatement (Second) Conflict of Laws angelehnten Rechtsprechungspraxis der US-amerikanischen Gerichte eingegangen werden, um in einem zweiten Schritt bewerten zu können, welches Kollisionsrecht einen effektiveren Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers besorgt und dadurch internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit herstellt. Erschwert wird der Rechtsvergleich dadurch, dass im Unionsrecht mit der Rom I-Verordnung eine Kodifikation vorliegt, die zwar insbesondere im Bereich der Eingriffsnormen unterschiedlichen Interpretationen zugänglich ist, jedoch grundsätzlich verbindlich ist. Diesem allein die Regelung des Restatement gegenüber zu stellen, mag akademisch reizvoll sein, führt jedoch an der Rechtspraxis vorbei. Vielmehr ist bei der Bewertung des Restatement immer wieder zu beachten, dass verbindlich zum einen allein das einzelstaatliche Kollisionsrecht ist, welches sich zwar häufig am Restatement orientiert, jedoch eigene Akzente setzt, zum anderen die Ansätze der Einzelstaaten bzw. Gerichtsbezirke zum Teil voneinander abweichen. 792 A. Regelungstechnik I. Subjektive Anknüpfung Die Rom I-Verordnung weist eine Vielzahl an Regelungstechniken auf. Drei verschiedene Ansätze bestehen zum internationalprivatrechtlichen Schutz der schwächeren Partei. Die mit Art. 5 und 7 Rom I-VO existierenden Regelungen für Beförderungsverträge und, von größerer Bedeutung, für Versicherungsverträge beschränken die wählbaren Rechtsordnungen. Beide Kollisionsnormen bewirken eine pauschale Einschränkung der Parteiautonomie zugunsten der in Art. 5 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO enumerierten Rechtsordnungen unabhängig davon, welche materiellrechtlichen Normen durch die Rechtswahl zur Anwendung berufen bzw. von der Anwendung
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Borchers, 42 Am. J. Comp. L 125, 135 (1994); Symeonides, 59 Am. J. Comp. L. 303, 331 (2011); ders., 56 Md. L. Rev. 1248, 1261 (1997).
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ausgeschlossen werden. 793 Hervorzuheben ist des Weiteren, dass beide Normen bereits im Tatbestand eine Bestimmung des zu schützenden Personenkreises vornehmen. Insbesondere Art. 7 Rom I-VO nimmt anhand der Klassifizierung von Risiken eine bemerkenswert detaillierte Abgrenzung von schutzbedürftigen und nicht schutzbedürftigen Versicherungsnehmern vor. 794 Einen weniger pauschalen Ansatz hält die Verordnung mit Art. 6 und 8 vor. Anders als nach Art. 5 und 7 erfolgt aufgrund dieser keine generelle Beschränkung der Rechtswahlmöglichkeiten, sondern lediglich eine Ergebniskorrektur.795 Einzelne Bestimmungen des gewählten Statuts müssen dann hinter dem am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers oder am gewöhnlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers geltenden Recht zurückstehen, wenn diese der zu schützenden Partei im konkreten Fall einen höheren Schutzstandard bieten. Auch diese Kollisionsnormen grenzen mit den durch die Rechtsprechung fest umrissenen Begriffen Verbraucher und Arbeitnehmer den zu schützenden Personenkreis deutlich ab.796 Während dieser Ansatz dogmatisch interessant ist und bei einer Bewertung des kollisionsrechtlichen Unternehmerschutzes de lege ferenda eine Rolle spielt, ist er an dieser Stelle nur von untergeordneter Bedeutung, da ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers durch die Bestimmungen der Art. 6 und 8 Rom I-VO weder bezweckt noch bewirkt wird. Das Sonderkollisionsrecht der Art. 5–8 Rom I-VO verfolgt das Ziel, die unterlegene Vertragspartei zu schützen. 797 Zwar wird, wie umfangreich untersucht worden ist, auch durch gemäß Art. 9 Rom I-VO zu berücksichtigende Eingriffsnormen in bestimmten Konstellationen ein Schutz der schwächeren Partei bewirkt, doch ist der Fokus dieser Regelung ein anderer. Nicht der Schutz einer schwächeren Vertragspartei, sondern die Durchsetzung gewichtiger staatlicher Interessen steht im Vordergrund. 798 Stellt der Schutz einer schwächeren Partei im konkreten Fall ein solches Interesse dar, so kann dieser über Art. 9 bewirkt werden. 799 Dieser unterschiedliche Ansatzpunkt ist 793
Vgl. Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5: Staudinger/Magnus Art. 5 Rom IVO Rn. 3. 794 Hierzu ausführlich oben § 1B.IV.3. 795 Ragno, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 129, 151 f.; Rauscher/Heiderhoff Art. 6 Rom I-VO Rn. 51; Staudinger/Magnus Art. 8 Rom I-VO Rn. 68 ff. 796 Junker, in: Ferrari / Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 111, 113 f.; Ragno, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 129, 133 ff. 797 Gruber, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation, S. 109, 119; Mankowski, IHR 2008, 133, 140; Rauscher/Heiderhoff Art. 6 Rn. 1; Staudinger/Magnus Art. 8 Rom I-VO Rn. 68. 798 Palandt/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 5; Sonnenberger, IPRax 2003,104, 107 f.; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 57; Thorn, in: Ferrari / Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 129, 132 ff. 799 Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 11; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 60; Thorn, in: Ferrari / Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 129, 133.
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freilich von großer Bedeutung für die Einordnung und Bewertung der Schutzwirkungen des Art. 9 Rom I-VO. Denn die von Art. 9 ausgehende Wirkung wird durch das Erfordernis des Bestehens eines öffentlichen Interesses stark eingeschränkt. 800 Auch die Regelungstechnik unterscheidet sich erheblich von den sonderkollisionsrechtlichen Bestimmungen der Art. 5 und 7 Rom I-VO. So wird durch Art. 9 nicht die Auswahl der wählbaren Rechtsordnungen beschränkt, sondern die gewählte Rechtsordnung lediglich durch international zwingende Normen einer anderen Rechtsordnung modifiziert. 801 Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Regelungsansätzen der Rom IVerordnung kennt das amerikanische internationale Schuldvertragsrecht nur eine einzige Art und Weise der Rechtswahlbegrenzung. Die Regelung des § 187 Abs. 2 lit. b Restatement (Second) Conflict of Laws weist dabei Parallelen zu Art. 9 Rom I-VO auf, denn auch die Regelung des Restatement begrenzt nicht pauschal die wählbaren Rechtsordnungen, sondern gibt allein unter den erörterten Voraussetzungen einzelnen Normen des Staates mit der engsten Verbindung zum Streitgegenstand den Vorrang vor dem gewählten Statut. Eine Übereinstimmung besteht auch in Bezug auf die generalklauselartige Weite des Tatbestands beider Normen sowie darin, dass beide Regelungen ausdrücklich Raum für die Berücksichtigung öffentlicher Interessen des normgebenden Staates im Einzelfall lassen. 1. Fundamental policy und Eingriffsnormen Fraglich ist zunächst, inwiefern sich die Anforderungen an die materiellrechtlichen Normen unterscheiden, die erfüllt sein müssen, damit diese eine Rechtswahl durchbrechen. Um nach Art. 9 Rom I-Verordnung als international zwingendes Recht zu gelten, ist erforderlich, dass die Eingriffsnorm von einem Staat als entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Organisation, angesehen wird.802 Wie weit sich der Tatbestand erstreckt, ist umstritten. 803 Während marktordnenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften unstreitig Eingriffsnormcharakter zukommen kann, 804 ist dies bei sonderprivatrechtlichen Schutzvorschriften unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsprechung 800
Siehe dazu bereits oben § 1B.V.4; sowie Garía Gutiérrez, YbPIL 2008, 233, 240 f.; MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 117. 801 Kuckein, Eingriffsnormen, S. 70 f.; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 565; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 87. 802 Palandt/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 5; Sonnenberger, IPRax 2003,104, 107 f.; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 57; Thorn, in: Ferrari / Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 129, 132 ff. 803 Dazu ausführlich: § 1B.V.1.a). 804 Kühne, FS Heldrich, S. 815, 820 ff.; Mankowski, IPRax 1994, 88, 95; ders. RIW 1993, 453, 461; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 15 f.Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 35 ff.; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 569 ff.
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und überwiegenden Tendenzen in der Literatur ebenso wie der in dieser Arbeit herausgearbeiteten Ansicht wohl nur dann der Fall, wenn die in Frage stehende Schutznorm ein besonderes öffentliches Interesse nicht nur als Reflex verfolgt, sondern der Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers neben der individuellen Begünstigung ein genuin öffentliches Interesse darstellt oder ein solches Ziel mittelbar verfolgt. 805 Dies wird nur selten der Fall sein. Die Schaffung bloßen Individualschutzes jedoch genügt nicht. 806 Letztlich sind die Voraussetzungen, unter denen sich eine Norm als international zwingend im Sinne des Art. 9 Rom I-VO qualifizieren lässt, eng. Um in den Anwendungsbereich der Regelung des § 187 Abs. 2 Restatement (Second) zu fallen, ist erforderlich, dass die entsprechende Norm eine fundamental policy verkörpert.807 Wie beim Begriff der Eingriffsnorm handelt es sich auch bei der fundamental policy um einen unbestimmten Rechtsbegriff von erheblichem Auslegungsspielraum, welcher erst in der Konkretisierung durch die offizielle Kommentierung des Restatement wie durch die Rechtsprechung Gestalt annimmt. Er umfasst potentiell jede Vorschrift, die einen bedeutenden Rechtsgedanken widerspiegelt und nicht allein Formalitäten regelt.808 Anders als nach Art. 9 Rom I-VO fallen Schutzvorschriften zugunsten eines strukturell unterlegenen Unternehmers grundsätzlich hierunter. Normen, welche den Schutz vor überlegener Verhandlungsmacht des Vertragspartners bezwecken, werden im offiziellen Kommentar ausdrücklich als unter den Begriff fundamental policy fallend benannt. 809 In der untersuchten Gerichtspraxis findet sich dies bestätigt. 810 Gesetze, die Mindestkündigungsfristen zugunsten von Franchisenehmern oder Vertragshändlern festschreiben, werden ebenso als international zwingendes Recht angesehen wie solche, die Rückgabepflichten nach Vertragsende statuieren oder Diskriminierung von Franchisenehmern und Vertragshändlern verbieten. 811 Dass diese Normen der Wahrung der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Ordnung im Sinne des Art. 9 Rom I-VO dienen bzw. jenseits des Parteischutzes auch 805 Bonomi, YbPIL 2008, 285, 293; Lorenz, RIW 1987, 569, 580; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 11. 806 BGH NJW 2006, 762, 764; Bonomi, YbPIL 2008, 285, 293; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 11; ausführlich auch oben § 1B.V.2.b)(ii). 807 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 567 f. 808 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568; Hay/Borchers/Symeonides, § 18.4 (4). 809 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568; Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7 (3). 810 Siehe etwa Economou v. Physicians Weight Loss Centers of America, 61 ATRR 59 (N.D. Ohio, 1991); Kent Klosterman v. Choice Hotels International, Inc., 2005 WL 1177947 (D. Idaho, 2005); Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 459 (D. Maryland, 2005); Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1986). 811 Siehe dazu oben ausführlich: § 2C.III.
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ein überindividuelles Ziel verfolgen, ist nicht erforderlich. Zwar ist auch diesen Normen eine gesamtwirtschaftliche Zielsetzung nicht abzusprechen, denn Franchisesysteme sind aufgrund ihrer hohen Verbreitung von Bedeutung für die US-amerikanische Wirtschaft, sodass sich ein öffentliches Interesse an der Regulierung der Branche zugunsten der schwächeren Franchisenehmer konstruieren lässt, dieses nimmt sich jedoch im Gegensatz zu den individuellen Begünstigungen der schwächeren Parteien gering aus. Die überindividuelle Zielsetzung steht anders als im Unionsrecht nicht im Vordergrund. Der unbestimmte Rechtsbegriff fundamental policy ist damit weiter zu verstehen als der Begriff der Eingriffsnorm nach Art. 9 Rom I-VO. Die dem Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers dienenden Vorschriften des einzelstaatlichen Sonderprivatrechts werden weitgehend erfasst. 2. Zu berücksichtigende Rechtsordnungen Gemäß der Regelung des Art. 9 Rom I-VO sind primär die Eingriffsnormen der lex fori zu berücksichtigen. Nach Art. 9 Abs. 2 wird die Anwendung dieser von der Kollisionsrechtsvereinheitlichung der Rom I-Verordnung nicht berührt. Den am ausländischen Erfüllungsort geltenden Eingriffsnormen kann darüber hinaus Wirkung verliehen werden, soweit diese die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. 812 Bereits auf einer ersten Stufe wird die Zulassung forumsfremder Eingriffsnormen durch die räumliche Beschränkung auf den Staat des Erfüllungsortes erheblich limitiert. Es kommt hinzu, dass die Berücksichtigung drittstaatlichen international zwingenden Rechts lediglich im Ermessen des Forums steht. Da Eingriffsnormen im Bereich der Regulierung zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer zumeist nicht die Erfüllung unrechtmäßig werden lassen dürften, sondern eher eine die Rechtsbehelfe des allgemeinen Vertragsrechts modifizierende Wirkung entfalten, kommt eine Anwendung forumsfremden international zwingenden Rechts in der Union kaum in Betracht. 813 § 187 Abs. 2 Restatement (Second) kennt die Dichotomie von inländischen und ausländischen Eingriffsnormen nicht. Nach dem Wortlaut der Norm ist allein die rechtswahldurchbrechende Anwendung der fundamental policy der mit dem Sachverhalt am engsten verbundenen und daher mangels Rechtswahl anwendbaren Regelung möglich. Auf diesem Weg vermeidet das Restatement einen immer wieder vorgebrachten Kritikpunkt an Art. 9 Rom I-VO. Die Regelung der Rom I-Verordnung, primär forumeigenen Eingriffsnormen Geltung zu verschaffen, führt zu einer Durchbrechung des von der Verord-
812
Dazu ausführlich: Rauscher/Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 60 ff.; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 112 ff. 813 Freitag, IPRax 2009, 109, 113; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 68; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 113.
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nung bezweckten internationalen Entscheidungseinklangs.814 Die anwendbaren Normen und damit der bewirkte Schutz des unterlegenen Unternehmers richten sich nach den Wertungen des angerufenen Gerichts. 815 Sie unterscheiden sich folglich von Forum zu Forum auch innerhalb der Europäischen Union.816 Folgt man hingegen strikt den Vorgaben des Restatement, so ließe sich unterstellen, ein jeder Rechtsanwender käme zu derselben für die Berücksichtigung international zwingender Normen relevanten Rechtsordnung. Zwar ist hierbei zu beachten, dass die Vorgaben zur Bestimmung des mangels Rechtswahl anwendbaren Rechts gemäß §§ 188, 6 Restatement (Second) anders als nach Art. 4 Rom I-VO denkbar vage sind, die Gewichtung einer Vielzahl von Faktoren erfordern und zudem nicht allein objektive Kriterien heranziehen, sondern auch Raum für die Berücksichtigung der Wertungen des Forums lassen. 817 Der Ansatz des § 187 Abs. 2 Restatement (Second) ist rechtstechnisch gleichwohl insoweit demjenigen des Art. 9 Rom I-VO vorzuziehen, als dass der Rechtsanwender, eine gewisse Zurückhaltung gegenüber protektionistischen Wertungen sowie Rücksichtnahme auf forumsfremde Rechtsprechung vorausgesetzt, in jedem dem Restatement folgenden Staat tendenziell unabhängig vom Forum zu denselben zu berücksichtigenden international zwingenden Normen gelangt. Die Ziele eines internationalen Entscheidungseinklangs und einer Vorhersehbarkeit des Ergebnisses auf materiellrechtlicher Ebene bleiben gewahrt. Der Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers vor Übervorteilung durch Rechtswahlklauseln zu seinen Lasten lässt sich mit der Rechtswahlbeschränkung des § 187 Abs. 2 Restatement (Second) scheinbar auf elegante Weise bewerkstelligen. Das positive Bild wird dadurch getrübt, dass sich zwar eine beachtliche Strömung in der amerikanischen Rechtsprechung ausmachen lässt, die den Vorschlägen des Restatement folgt und insbesondere in Fragen der Parteiautonomie und deren Beschränkungen die Anwendung des Restatement weitgehenden Anklang gefunden hat, dennoch weiterhin Jurisdiktionen bestehen, welche abweichenden kollisionsrechtlichen Ansätzen anhängen oder sich in ihren Entscheidungen lediglich an das Restatement anlehnen.818 Selbst unter den Staaten, die ausdrücklich das Restatement in ihr Recht inkorporiert haben, ist die Rechtslage nicht einheitlich. 819 Dies wird dadurch begünstigt, dass 814
Freitag, in: Leible (Hrsg.) Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 167, 171 f.; Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1579. 815 Bitterich, GPR 2006, 161, 163; Bonomi, YbPIL 2008, 285, 299; Kühne, FS Heldrich, S. 815, 826, 829; zu den Zielen der Vereinheitlichung des Kollisionsrechts: Rauscher/von Hein Einl. Rom I-VO Rn. 1. 816 Kritisch dazu: Thorn, FS K. Schmidt, S. 1561, 1579. 817 Instruktiv dazu: A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317 (1 st Cir., 1996). 818 Borchers, 42 Am. J. Comp. L 125, 135 (1994); Symeonides, 59 Am. J. Comp. L. 303, 331 (2011); ders., 56 Md. L. Rev. 1248, 1261 (1997). 819 Symeonides, 56 Md. L. Rev. 1248, 1261 f.
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der Wortlaut der Bestimmungen der §§ 187, 188, 6 Restatement (Second) denkbar weit ist und richterlicher Auslegung viel Spielraum lässt. Dieser Spielraum macht die Rechtslage unübersichtlich. So berücksichtigen einige Gerichtsbezirke, dem Ziel des Restatement folgend, tatsächlich das international zwingende Recht der am engsten mit dem Sachverhalt verbundenen Rechtsordnung, 820 bei anderen lässt sich freilich die Tendenz feststellen, die lex fori als am engsten mit dem Sachverhalt verbundene Rechtsordnung anzusehen und folglich allein deren fundamental policy rechtswahldurchbrechende Funktion einzuräumen, wohingegen ausländischen Rechtsordnungen entweder der Charakter als fundamental policy abgesprochen, zu ihr die räumlich engste Verbindung verneint oder aber das Bestehen des erforderlichen vorrangigen Interesses bestritten wird.821 Im Ergebnis kommt damit eine beträchtliche Strömung in der US-amerikanischen Rechtsprechung im Falle anders lautender Rechtswahl zu einer international zwingenden Anwendung der eigenen intern zwingenden Vorschriften. Die bei der Anwendung international zwingenden Rechts zu berücksichtigenden Rechtsordnungen variieren folglich innerhalb der Vereinigten Staaten. Während eine Tendenz dahingeht, tatsächlich die fundamental policy der am engsten mit dem Sachverhalt verbundenen Rechtsordnung zu berücksichtigen und damit anders als in der Europäischen Union drittstaatliches international zwingendes Recht anwendet, weist eine andere Strömung eine größere Ähnlichkeit mit der durch Art. 9 Rom I-VO geschaffenen Rechtslage auf und gibt allein der fundamental policy der lex fori Vorrang vor einer Rechtswahl. II. Objektive Anknüpfung Im Bereich der objektiven Anknüpfung schlagen der europäische Gesetzgeber und das American Law Institute bzw. die amerikanische Rechtsprechung verschiedene Wege ein. Die Rom I-Verordnung misst der objektiven Anknüpfung im Einzelfall ausdrücklich schützende Wirkung zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers bei. Hierzu gehören zunächst die Bestimmungen der Art. 4 lit. e) und f) Rom I-VO.822 Diese lassen im Falle fehlender Rechtswahl das Heimatrecht des als strukturell schwächer angesehenen Franchisenehmers bzw. Vertriebshändlers zur Anwendung kommen. Eine ähnliche Funktion bei einer vergleichbaren Regelungstechnik hat Art. 7 820
Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1986); Economou v. Physicians Weight Loss Centers of America, 61 ATRR 59 (N.D. Ohio, 1991). 821 Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734 (8th Cir., 1989); Commercial Property Investments, Inc v. Quality Inns International, Inc. 938 F.2d 870 (8 th Cir., 1991); JRT, Inc. v. TCBY Systems, Inc.; TCBY Enterprises, Inc.; Americana Foods, Inc., 52 F.3d 734 (8th Cir. 1995); Carlock v. Pillsbury Co., 719 F.Supp 791 (D. Minnesota, 1989). 822 KOM(2005), 650 endg. S. 6; Garcá Gutiérrez, YbPIL 2008, 233, 238 f.
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Abs. 3 UAbs. 3 Rom I-VO, der für Versicherungsverträge über Massenrisiken das Recht des Risikobelegenheitsortes zur Anwendung beruft, bei welchem es sich im Regelfall um eine mit dem Versicherungsnehmer eng verbundene Rechtsordnung handelt, mit der dieser folglich vertraut ist. 823 Diesen Bestimmungen ist gemein, dass sie zielgerichtet einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers bezwecken und hierzu auf eine Rechtsordnung verweisen, die sich nicht allein durch eine enge Verbindung zu dem zu beurteilenden Vertrag auszeichnet, sondern auch durch eine besondere Nähe zur unterlegenen Vertragspartei. Dem Restatement wohnt im Bereich der objektiven Anknüpfung anders als bei der Beschränkung der Rechtswahl durch die fundamental policy eines anderen Staates grundsätzlich kein Schutzgedanke inne. 824 In der offiziellen Begründung der Artikel findet dieser Aspekt keine Erwähnung. Da die Vorschläge des American Law Institutes zu den Sonderanknüpfungen der §§ 189 ff. in der US-amerikanischen Rechtsprechung geringeren Anklang gefunden haben als die Generalklausel des § 188 Restatement (Second), ist diese in den Blick zu nehmen. Im Vergleich zu Art. 4 Rom I-VO bestehen zwei erhebliche Unterschiede. Zum einen ist das mittels der Rom IVerordnung bestimmte Recht auf den ganzen Vertrag anwendbar, eine Vertragsspaltung ist nicht vorgesehen. 825 § 188 Restatement (Second) hingegen sieht individuelle Anknüpfungen für voneinander trennbare Rechtsfragen vor, sodass allein von Bedeutung ist, zu welchem Staat die jeweilige Streitfrage die engste Verbindung aufweist. 826 Zum anderen sieht Art. 4 Rom I-VO vergleichsweise starre Anknüpfungskriterien vor, die im Falle der Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) Rom I-VO einzig auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Franchisenehmers bzw. Vertragshändlers als Anknüpfungsmoment verweisen und folglich keinen Auslegungsspielraum bereithalten. Anders verhält es sich mit Art. 188 Restatement (Second), der mit dem Ort des Vertragsschlusses, der Vertragsverhandlungen, des Erfüllungsortes, des Vertragsgegenstandes sowie der Sitze der Parteien die Berücksichtigung einer Reihe von Anknüpfungsmomenten erfordert. Hinzu kommt, dass die Gewichtung der in Betracht kommenden räumlichen Kontakte nach § 6 Restatement (Second) auch vor den rechtspolitischen Interessen der beteiligten Staaten vorzunehmen ist. 827 Die Kumulation von Anknüpfungsmomenten und Wertungsaspekten führt im Vergleich zur Rom I-Verordnung zu einem beträchtlichen Abfall in puncto Rechtssicherheit, lässt jedoch zugleich Raum, die Interessen eines beteiligten 823
Dazu oben § 1C.II.2.a). Dazu oben § 2D. 825 Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 21. 826 § 188 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, d. S. 579. 827 Instruktiv: A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317 (1 st Cir., 1996); im Übrigen siehe bereits oben § 2B.III. 824
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Staaten am Schutz strukturell unterlegener Unternehmer zu berücksichtigen. Für die Nutzung dieses Spielraums durch die Gerichte zu diesem Zweck finden sich zahlreiche Beispiele in der Rechtsprechung. 828 B. Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit Zwar erkennen sowohl das europäische als auch das US-amerikanische Kollisionsrecht, soweit eine diesbezügliche Verallgemeinerung zulässig ist, den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers als Ziel an; die hierzu gewählten Regelungstechniken sind freilich unterschiedlich. In einem zweiten Schritt ist daher zu vergleichen, auf welche Weise die unterschiedlichen Regelungsmodelle internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit herstellen. Hierbei interessieren insbesondere die Intensität des Unternehmerschutzes, die Abwägung von Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit sowie die ökonomischen Folgen der Modelle auf den Handelsverkehr. I. Schutzintensität 1. Subjektive Anknüpfung Besonders groß ist die Gefahr einer Benachteiligung der schwächeren Partei im Rahmen der subjektiven Anknüpfung. Schutz in diesem Sinne ist vor allem die Bewahrung des unterlegenen Unternehmers vor der Ausnutzung von Parteiautonomie durch seinen Vertragspartner. Eine solche Ausnutzung kann etwa darin liegen, eine Rechtsordnung zur Anwendung kommen zu lassen, mit der allein die überlegene Partei vertraut ist oder welche die überlegene Partei materiellrechtlich begünstigt. Die Schutzintensität eines kollisionsrechtlichen Mechanismus zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer bemisst sich an der Wirksamkeit der Beschränkung der Parteiautonomie. Diese kann einerseits die Rechtswahlfestigkeit eines bestimmten materiellrechtlichen Schutzniveaus bewirken oder andererseits die internationalprivatrechtliche Nähe der berufenen Rechtsordnung zur schwächeren Partei gewährleisten. Während in der Union lediglich im Ausnahmefall Schutzvorschriften zugunsten der unterlegenen Partei vor dem Hintergrund des Art. 9 Rom I-VO rechtswahldurchbrechende Funktion zukommen kann,829 lassen sich in den Vereinigten Staaten weite Teile des Sonderprivatrechts nicht zulasten des 828
Electrical and Magneto Service Co. Inc. v. Ambac International Corporation, 941 F.2d 660 (8th Cir., 1991); A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317 (1 st Cir., 1996); Maher and Associates, Inc. v. Quality Cabinets, 640 N.E.2d 1000 (Appellate Court Illinois, 1994). Kritisch zu den weiten Ermessensspielräumen des Restatement: Symeonides, 56 Md. L. Rev. 1248, 1269 ff. (1997). 829 Siehe oben § 1B.V.4.
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strukturell schwächeren Unternehmers abbedingen.830 Dies spricht für die Annahme, die durch das Restatement begründete Rechtslage sei der rechtswahldurchbrechenden Berücksichtigung von Schutznormen gegenüber aufgeschlossener als die Rom I-Verordnung und entfalte daher einen effektiveren Unternehmerschutz. Für die Schutzintensität von Bedeutung ist darüber hinaus, welche Rechtsordnungen zur Schutzgewährung herangezogen werden können. Im europäischen Kollisionsrecht kommt in den hier relevanten Fällen allein den Eingriffsnormen des Forums international zwingende Bedeutung zu. Dies hat zur Folge, dass die Intensität des Schutzes zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers ganz erheblich vom Forum abhängt. Da Eingriffsnormen darüber hinaus nur bei einem hinreichenden Inlandsbezug Anwendung finden können, erfährt nach geltendem Unionsrecht allein der am Forum tätige oder ansässige Unternehmer einen Schutz durch Art. 9 Rom IVO.831 In der amerikanischen Rechtsprechung besteht eine Tendenz, es ebenso zu halten.832 Die Schutzintensität gegenüber Art. 9 Rom I-VO ist dennoch höher, weil die an in Betracht kommende Normen zu stellenden Voraussetzungen geringer sind, es etwa nicht der hohen Schwelle eines öffentlichen Interesses im Sinne des Art. 9 Rom I-VO bedarf.833 § 187 Restatement (Second) sowie der Teil der amerikanischen Gerichte, der diesem Ansatz wortlautgetreu folgt, berücksichtigen darüber hinaus auch forumsfremde Schutzvorschriften und bewirken damit einen nochmals höheren, weil forumsunabhängigen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers. Dies sichert internationalen Entscheidungseinklang und mindert den Anreiz des forum shopping. Die dreistufige Konstruktion des § 187 Abs. 2 lit. b) Restatement (Second), welche die fundamental policy eines Staates unabhängig von einer Rechtswahl erst dann berücksichtigt, wenn dieser die engste Verbindung zum Sachverhalt und zugleich ein vorrangiges Interesse an der Regelung desselben aufweist, stellt in der Praxis kaum ein Hindernis zulasten des strukturell unterlegenen Unternehmers dar. Vielmehr bieten die unbestimmten Rechtsbegriffe der §§ 187, 188, 6 dem Richter hinreichend Spielraum, um ein Interesse des Staates, welcher die engste Verbindung zum
830
§ 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568; Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7 (3); Economou v. Physicians Weight Loss Centers of America, 61 ATRR 59 (N.D. Ohio, 1991); Kent Klosterman v. Choice Hotels International, Inc., 2005 WL 1177947 (D. Idaho, 2005); Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 459 (D. Maryland, 2005); Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1986). 831 Dazu oben § 1B.V.4. 832 Siehe oben § 2C.VI. 833 Vgl. die rechtsvergleichenden Ausführungen bei Hay/Borchers/Symeonides, § 18.4 (3), (4).
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Streitgegenstand aufweist, im Zweifel zu bejahen und so den rechtspolitisch gewünschten Schutz des Unternehmers zu erzielen.834 Befindet sich der Sitz des strukturell unterlegenen Unternehmers in Staat A, derjenige des überlegenen Vertragspartners in Staat B, dessen Recht vertraglich gewählt wurde und der zugleich ein materiellrechtlich niedrigeres Schutzniveau zugunsten des Franchisenehmers aufweist als Staat A, so bestimmt sich ein etwaiger aus Art. 9 Rom I-VO folgender Schutz der unterlegenen Partei nach dem Forum. Liegt dieses in Staat A, so hängt die Durchbrechung der Rechtswahl davon ab, ob die relevanten Schutzbestimmungen im öffentlichen Interesse des Staates A stehen. Streiten die Parteien dagegen in Staat B, so hat das entscheidende Gericht die gewählte lex fori ohne Einschränkungen anzuwenden. Folgt man hingegen § 187 Abs. 2 Restatement (Second), so haben die Gerichte in Staat A sowie in Staat B zu ermitteln, zu welcher Rechtsordnung der Sachverhalt die engste Beziehung aufweist und der fundamental policy dieses Staates den Vorrang vor dem gewählten Recht zu geben. Besteht die engste Verbindung zu Staat A, so finden dessen Schutzvorschriften unabhängig vom Forum Anwendung. Hiervon profitiert der unterlegene Unternehmer. Freilich besteht auch in der amerikanischen Rechtsprechung eine Strömung, die der Anwendung forumsfremder fundamental policy skeptisch gegenübersteht und damit die Schutzintensität wieder dem europäischen Niveau annähert. Das in den Vereinigten Staaten herrschende Schutzniveau ist freilich dadurch gegenüber Art. 9 Rom I-VO erhöht, dass an das von einer Norm verkörperte öffentliche Interesse im Rahmen von Art. 9 Rom I-VO besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. So besteht nach dieser Strömung zwar ebenso wie nach Unionsrecht allein in Staat A ein internationalprivatrechtlicher Schutz, dessen Niveau ist indes höher, da ein Großteil des unternehmerschützenden Sonderprivatrechts international zwingend wirkt. Nach Unionsrecht käme eine solche Wirkung lediglich einzelnen, ein besonderes öffentliches Interesse verkörpernden Vorschriften zu. Nachdem sowohl in der Europäischen Union als auch in den Vereinigten Staaten eine Tendenz besteht, jedenfalls die lex fori zum Zweck des Unternehmerschutzes international zwingend durchzusetzen, stellt sich die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn das gewählte Recht dem strukturell unterlegenen Unternehmer ein höheres Schutzniveau bietet. Der Ansatz, den der europäische Gesetzgeber mit Art. 9 Rom I-VO gewählt hat, ist für einen solchen Günstigkeitsvergleich an sich ungeeignet, denn Eingriffsnormen im Sinne der Vorschrift zeichnen sich durch ihren Willen zur unbedingten, vom gewählten Recht unabhängigen Anwendung aus. 835 Da dies dem Anliegen des normgebenden Staates in Einzelfällen nicht gerecht wird, versucht man sich mit einer 834 835
Anders wohl: Hay/Borchers/Symeonides, § 18.4 (2). Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 55.
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Analogie zu Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO oder einer teleologischen Reduktion zu helfen. 836 Methodisch sind dies zweifelhafte Ansätze, die nicht darüber hinweg täuschen können, dass die Regelungstechnik des Art. 9 Rom I-VO dem Zweck des Parteischutzes in diesen Fällen nicht gerecht wird. 837 Selbst wenn man diesen Weg für gangbar hält, stellt Art. 9 den Rechtsanwender vor Schwierigkeiten. Qualifiziert man die korrespondierende ausländische Norm, welche der zu schützenden Partei einen das Eingriffsrecht der lex fori übersteigenden Vorteil gewährt, ebenfalls als Eingriffsnorm, so verwehrt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO im Regelfall deren Anwendung. 838 Die Herangehensweise des § 187 Abs. 2 Restatement (Second) hingegen ist flexibler. Anders als Art. 9 Rom I-VO, der einer bestimmten Norm absoluten Vorrang einräumt, kennt das Pendant im Restatement (Second) lediglich den Vorrang der rechtspolitischen Wertentscheidung („policy“) eines Staates. Bleibt diese durch das gewählte Recht gewahrt, so bedarf es keiner international zwingenden Durchsetzung der gemäß § 188 Restatement (Second) anwendbaren Rechtsordnung. 839 Die durch Anwendung des Restatement geschaffene Rechtslage ist damit für den strukturell unterlegenen Unternehmer an sich günstiger als die europäische. Freilich verliert dieser gesetzestechnische Vorteil dadurch an Bedeutung, dass viele materiellrechtliche Bestimmungen eine territoriale Verbindung des zu schützenden Unternehmers zum normgebenden Staat erfordern, die fehlt, wenn eine andere Rechtsordnung als das Heimatrecht des strukturell unterlegenen Unternehmers oder das Recht des Erfüllungsortes gewählt wurden. 840 Schließlich weist die Rom I-Verordnung mit den Bestimmungen zum Internationalen Versicherungsrecht eine weitere Regelungstechnik auf. Die Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen gewährt dem unterlegenen Unternehmer grundsätzlich einen lediglich internationalprivatrechtlichen Schutz, der darin besteht, ihn vor Rechtswahlklauseln zugunsten nicht vertrauter Rechtsordnungen zu bewahren und das ihm bekannte Schutzniveau zu erhalten. Primär ist das am Risikobelegenheitsort geltende Recht wählbar, was in vielen Konstellationen mit dem Sitzrecht des Versicherungsnehmers überein836 Michaels/Kamann, EWS 2001, 301, 310; Pütz, Parteiautonomie im internationalen Urhebervertragsrecht, S. 177 f.; Schwarz, ZVglRWiss 101, 45, 67. 837 Dazu bereits ausführlich oben § 1B.V.2.d). 838 So jedenfalls nach wohl hM: Mankowski, IPRax 2006, 101, 110; Palandt/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 15; Reithmann/Martiny/Freitag Rn. 646; a.A.: Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 137. 839 1–800-Got Junk? LLC v. Superior Court of Los Angeles County, 189 Cal.App.4th 500 (Court of Appeal California, 2011), mit Anmerkung Symeonides, 59 Am. J. Comp. L 303, 364 f. (2011); Wimsatt. v. Beverly Hills Weight etc. Internat., Inc. 38 Cal.Rptr.2d 612 (Court of Appeal California, 1995); Burgo v. Lady of America, etc., et al. No. SA CV 05– 0518 (C.D. California, 2006). 840 Dazu ausfürlich oben § 2C.IV.3.
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stimmt.841 Dies erleichtert ihm die Einholung von Rechtsrat ebenso wie die Durchsetzung von Ansprüchen. Wird der Versicherungsnehmer grenzüberschreitend tätig, kommt freilich auch die Wahl der Rechtsordnung des ausländischen Tätigkeitsortes in Betracht. 842 Trotz anderer Herangehensweise steht das hierdurch erreichte Schutzniveau im Regelfall nicht hinter dem durch das Restatement gewährten zurück. Die nach § 187 erfolgte Rechtswahl muss sich an den als fundamental policy zu qualifizierenden Normen der nach § 188 Restatement (Second) bestimmten Rechtsordnung messen lassen. Bei Versicherungsverträgen ist die nach § 188 anwendbare Rechtsordnung grundsätzlich die am Risikobelegenheitsort geltende. 843 Deren Schutzbestimmungen zugunsten des Versicherungsnehmers sind regelmäßig als fundamental policy einzustufen.844 Es finden folglich nach Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO ebenso wie nach §§ 187, 188 die Schutzbestimmungen der am Risikobelegenheitsort geltenden Rechtsordnung Anwendung. Ein gewichtiger Unterschied freilich bleibt aufgrund der unterschiedlichen Regelungstechnik bestehen. Der durch Art. 7 Rom I-VO gewährte Schutz ist rein internationalprivatrechtlicher Natur. Art. 7 Rom I-VO bringt eine mit der unterlegenen Partei eng verbundene Rechtsordnung zur Anwendung; ob diese materiell günstiger als das gewählte Recht ist, bleibt außer Betracht. Es kann folglich zu der paradoxen Situation kommen, dass die Schutzbestimmung des Art. 7 Rom I-VO die unterlegene Partei schlechter stellt, als es die Aufrechterhaltung der Rechtswahl würde. § 187 Abs. 2 Restatement (Second) hingegen lässt Raum für eine Berücksichtigung des materiellrechtlichen Ergebnisses. Dient das gewählte Recht dem Schutz der schwächeren Partei, so ist die fundamental policy der am engsten verbundenen Rechtsordnung nicht verletzt und es bedarf keiner Beschränkung der Parteiautonomie. Im Ergebnis gelingt der Beschränkung der zu wählenden Rechtsordnungen im Sinne des Art. 7 Rom I-VO dann ein mit § 187 Restatement (Second) vergleichbarer Schutz, wenn das Heimatrecht des unterlegenen Unternehmers diesen auch materiell gegenüber der gewählten Rechtsordnung begünstigt. Auch amerikanische Gerichte tendieren in einer derartigen Konstellation dazu, die am Sitz der unterlegenen Partei geltende Rechtsordnung als am engsten mit dem Sachverhalt verbunden ansehen und deren zwingendes Schutzrecht durchzusetzen. Ist das gewählte Recht hingegen materiell günstiger, bietet § 187 Abs. 2 Restatement (Second) die flexiblere und für die unterlegene Partei vorteilhaftere Lösung. Art. 9 Rom I-VO schließlich stellt aufgrund seines engen Anwendungsbereichs ein im Vergleich zu § 187 841 Fricke, VersR 2008, 443, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 466 f.; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5; MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rn. 27. 842 Heiss, in: FS Kropholler, S. 459, 465 ff. 843 § 193 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, b. S. 611. 844 § 187 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment, g. S. 568 f.; Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7 (4); siehe auch bereits oben § 2C.III.
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Restatement (Second) weniger geeignetes Instrument zur Erreichung von Unternehmerschutz dar und bleibt in seiner Intensität hinter letzterem zurück. 2. Objektive Anknüpfung Bestimmen die Parteien das auf ihren Vertrag anwendbare Recht weder ausdrücklich noch stillschweigend, so ist die Gefahr der Ausnutzung der stärkeren Verhandlungsposition einer Partei und der damit einhergehende Versuch, materiellrechtliche Schutzvorschriften zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers zu umgehen, offensichtlich geringer. Dennoch hat der europäische Gesetzgeber auch hier die Notwendigkeit eines internationalprivatrechtlichen Schutzes gesehen. 845 Art. 188 Restatement (Second) lässt ebenfalls Raum für derartige Erwägungen, sodass auch hier ein Vergleich der Wirksamkeit geboten ist. Art. 4 Abs. 1 lit e) und f) Rom I-VO berufen auf einen Franchise- oder Vertriebsvertrag das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Franchisene hmers bzw. Vertriebshändlers zur Anwendung. In grenzüberschreitenden Sachverhalten bewirkt dies, dass Franchisenehmer und Vertriebshändler auf die Anwendung der ihnen bekannten Rechtsordnung vertrauen dürfen. Dies erleichtert ihnen die grenzüberschreitende Tätigkeit, da jedenfalls im Vertragsrecht die Einholung weiteren Rechtsrates nicht erforderlich ist. Ähnliches gilt für Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 Rom I-VO, der bei Verträgen über innerhalb der EU belegener Massenrisiken auch in grenzüberschreitenden Sachverhalten durch die Anwendung des Rechts am Belegenheitsort des Risikos einem Recht zur Anwendung verhilft, das häufig dem am Sitz des unterlegenen Unternehmers geltenden entspricht. 846 In den Fällen des Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) sowie Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 Rom I-VO profitiert der strukturell unterlegene Unternehmer von den ihn begünstigenden Bestimmungen unabhängig davon, ob er selbst im Ausland tätig wird oder lediglich mit einem ausländischen Unternehmer kontrahiert, die Vertragsdurchführung indes im Inland stattfindet. Gemäß § 188 Restatement (Second) findet hingegen das Recht mit der engsten Verbindung zum Streitgegenstand Anwendung. Inwiefern § 188 Restatement (Second) eine schützende Wirkung zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers entfaltet, ist aufgrund der Vielzahl der zu berücksichtigenden räumlichen Berührungspunkte sowie der Offenheit für Wertungen anhand des Normtextes kaum zu beurteilen. Die US-amerikanische Rechtsprechung tendiert freilich dazu, in Versicherungssachen grundsätzlich das Recht des 845
Erwägungsgrund 32 Rom I-VO; KOM(2005), 650 endg. S. 6; Garcá Gutiérrez, YbPIL 2008, 233, 238 f. 846 Fricke, VersR 2008, 443, 448; Heiss, FS Kropholler, S. 459, 466 f.; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1, 5; MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rom I-VO Rn. 27.
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Risikobelegenheitsortes anzuwenden, 847 sodass im Ergebnis kein Unterschied zur europäischen Rechtslage ersichtlich ist. Im Internationalen Vertriebsvertragsrecht kommen amerikanische Gerichte meist jedenfalls dann zur Anwendung der am Sitz des Franchisenehmers bzw. Vertriebshändlers geltenden Rechtsordnung, wenn dort auch der Erfüllungsort seiner Verpflichtung belegen ist.848 Ist die Konstellation komplexer, fällt es aufgrund der Vielzahl der in Betracht kommenden Kontakte schwer eine Vorhersage hinsichtlich des anwendbaren Rechts zu wagen. Zwar ist eine Tendenz der Gerichte erkennbar, das Einfallstor der rechtspolitischen Wertungen des § 6 Restatement (Second) zu nutzen, um zur Anwendung des Heimatrechts des strukturell unterlegenen Unternehmers zu gelangen. 849 Auch hier ist indes zu berücksichtigen, dass die rechtspolitischen Interessen des Forums häufig zugunsten der dort ansässigen Partei ausschlagen, unabhängig davon, ob es sich um die strukturell überlegene oder unterlegene Partei handelt. Es bleibt also von Bedeutung, an welchem Forum Klage erhoben wird.850 Die sich hieraus ergebende beträchtliche Rechtsunsicherheit mindert den Schutz der unterlegenen Partei. Dem Schutz des schwächeren Unternehmers ist mit den klaren Anknüpfungen der Rom I-Verordnung eher gedient. II. Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit Die Rom I-Verordnung weist vergleichsweise starre Anknüpfungsregeln auf, die nur in besonderen Fällen Raum für die Berücksichtigung einer hiervon abweichenden Rechtsordnung lassen, sofern diese eine offensichtlich engere Verbindung zum zu beurteilenden Vertrag aufweist. Die wählbaren Rechtsordnungen werden in Art. 5 Abs. 2 und 7 Abs. 3 Rom I-VO aufgelistet, die objektiv anwendbaren in Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 benannt. Die Rechtssicherheit wird zum Primat der Rom I-Verordnung.851 Ohne weiteres ist ersichtlich, ob eine Rechtswahl im Sinne des Art. 7 Rom I-VO wirksam ist oder welches Statut an die Stelle einer unwirksamen Rechtswahl tritt. Die Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO lässt nur in offensichtlichen Fällen Spielraum 847
Hay/Borchers/Symeonides, § 18.7. (4); Param Petroleum Corp. v. Commerce and Industry Ins. Co., 296 N.J.Super 164 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1997); Nelson v. Aetna Life Ins. Co., 359 F.Supp. 271, 290 (W.D. Missouri, 1973). 848 Kent Klosterman v. Choice Hotels International, Inc., 2005 WL 1177947 (D. Idaho, 2005); Three M Enterprises, Inc. v. Texas D.A.R. Enterprises, Inc., et al., 368 F.Supp.2d 450, 459 (D. Maryland, 2005); Winer Motors, Inc. v. Jaguar Rover Triumph, Inc., 208 N.J.Super 666 (Superior Court New Jersey, App. Div., 1986); Economou v. Physicians Weight Loss Centers of America, 61 ATRR 59 (N.D. Ohio, 1991). 849 A.M. Capen’s Co. v. American Trading and Production Corporation and Blas Rossy Asencio and His Conjugal Partnership, 74 F.3d 317 (1 st Cir., 1996). 850 Vgl. Modern Computer Systems, Inc. v. Modern Banking Systems, Inc.; Modern Banking Systems of South Wisconsin, 871 F.2d 734 (8 th Cir., 1989). 851 Kritisch dazu: Weller, IPRax 2011, 429, 434 ff.
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zugunsten einer Abweichung von der Regelanknüpfung.852 Eine Ausnahme stellt Art. 9 Rom I-VO dar. Ex ante ist nur schwer ersichtlich, ob eine Norm letztlich als Eingriffsnorm anzusehen ist. Der Ansatz des Restatement (Second) Conflict of Laws ist stärker auf die Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit ausgerichtet. Zwar orientieren sich auch die §§ 187, 188 Restatement (Second) formal am Ziel der engsten Verbindung zum Vertrag, die diversen zu berücksichtigenden räumlichen Berührungspunkte sowie die gemäß § 6 abzuwägenden Wertungen der beteiligten Parteien und betroffenen Rechtsordnungen überlassen die Bestimmung der engsten Verbindung im Ergebnis dem entscheidenden Richter. Im Idealfall ist es diesem möglich, gemessen an den Besonderheiten des Einzelfalls, ein Höchstmaß an internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit zu erzielen. Zugleich besteht freilich die Gefahr, dass ein Richter den ihm eingeräumten Spielraum nutzt, um einseitig rechtspolitische Interessen des Forums durchzusetzen und die ihm vertraute lex fori zur Anwendung zu bringen. 853 Die Weite des Spielraums geht zulasten der Rechtssicherheit. Das Ergebnis einer Abwägung der relevanten räumlichen Berührungspunkte und zu berücksichtigenden Wertungen ist stark vom Einzelfall abhängig und daher kaum vorhersehbar. Dies wird dadurch verschärft, dass das US-amerikanische Kollisionsrecht als einzelstaatliches Recht besteht und es an einer einheitlichen Auslegungsinstanz fehlt. Eine klärende Konkretisierung durch die Rechtsprechung hat nur zum Teil in befriedigendem Maße stattgefunden.854 Der Terminus fundamental policy ist denkbar weit. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich eine Vielzahl von sonderprivatrechtlichen Schutzbestimmungen hierunter fassen lassen, im Einzelfall ist die Qualifikation einer Norm als fundamental policy freilich nur schwer zu prognostizieren. Aufgrund der Vielzahl der denkbaren Konstellationen ist die Voraussagbarkeit einer Gerichtsentscheidung in einem noch nicht entschiedenen Sachverhalt schwierig. Der weniger flexible Ansatz der Rom I-VO muss zwar im Einzelfall Abstriche in puncto internationalprivatrechtlicher Einzelfallgerechtigkeit hinnehmen, regelmäßig dient dies indes dem Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers, der sich auf die Anwendung einer ihm eng verbundenen Rechtsordnung verlassen kann. Das Fehlen von Rechtssicherheit benachteiligt tendenziell den strukturell unterlegenen Unternehmer, da ein durch Rechtsunsicherheit bedingt höheres Prozessrisiko eher einen Kleinunternehmer von der Durchsetzung seiner Ansprüche abhalten dürfte.
852
Zum Kriterium der „Offensichtlichkeit”: Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 135. Schäfer/Lantermann, in: Basedow, Jürgen / Kono, Toshiyuki (Hrsg.), An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 90. 854 Dazu instruktiv: Kaplow, 42 Duke L. J. 557, 612 f. (1992). 853
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III. Rechtsökonomische Erwägungen Zu berücksichtigen sind zudem die Kosten, die den Parteien aufgrund der unterschiedlichen Ansätze in der EU und den Vereinigten Staaten entstehen. Die vom wertungsoffenen Ansatz des Restatement verursachte Rechtsunsicherheit kann den Parteien hohe Kosten verursachen. 855 Um das auf einen Vertrag anwendbare Recht und die daraus folgenden Konsequenzen vorherzusehen, sind sie gezwungen, die einschlägige Rechtsprechung daraufhin zu untersuchen, welche Rechtsordnungen regelmäßig als eng mit einem Vertrag verbunden angesehen werden. Da hier stets mehrere Statute in Betracht kommen werden, müssen die Parteien sodann die materiellrechtlichen Konsequenzen dieser Rechtsordnungen im Rahmen ihrer Vertragsgestaltung bzw. bei der Bemessung der voraussichtlich mit einem Vertrag verbundenen Kosten berücksichtigen. Bedenkt man, dass auch innerhalb einer Rechtsordnung die Rechtslage umstritten sein kann und verschiedene Ergebnisse die Folge sein können, so steigern sich die materiell in Betracht kommenden Ergebnisse exponentiell.856 Die Rechtsermittlungskosten sind hoch, denn es bedarf fundierter juristischer Expertise, um das anwendbare Recht zu ermitteln. 857 Dies benachteiligt den strukturell unterlegenen Unternehmer. Kann dieser das anwendbare Recht und damit das materielle Ergebnis nicht vorhersehen, so wird er im Zweifel von der Geltendmachung seiner Ansprüche absehen, wenn diese außer Verhältnis zu den entstehenden Kosten stehen. Die Offenheit des amerikanischen Kollisionsrechts für Wertungen des Forums macht das Ergehen unterschiedlicher Entscheidungen an verschiedenen Gerichtsstandorten wahrscheinlich und erhöht damit den Anreiz des forum shopping. Das damit verbundene Ausweichen auf ein aus Erwägungen der Sach- und Beweisnähe weniger geeignetes Gericht kann für beide Parteien die Verfahrenskosten erhöhen. 858 Von der Möglichkeit des forum shopping profitiert dabei tendenziell wiederum die strukturell überlegene Vertragspartei, denn sie ist eher in der Lage, die Kosten der Untersuchung verschiedener Rechtsordnungen zu tragen. Sie kann zudem erhöhte Prozesskosten in Kauf zunehmen, um ein materiell günstiges Ergebnis zu erzielen, wohingegen die schwächere Partei im Zweifel an einem räumlich nahe gelegenem Forum Klage erheben wird, mit dessen Gerichtssprache und Prozessrecht sie vertraut ist.
855
Kaplow, 42 Duke L. J. 557, 621 ff. (1992); Rühl, Statut und Effizienz, S. 317; Schäfer/Lantermann, in: Basedow, Jürgen / Kono, Toshiyuki (Hrsg.), An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 91. 856 Rühl, Statut und Effizienz, S. 316 f. 857 Schäfer/Lantermann, in: Basedow, Jürgen / Kono, Toshiyuki (Hrsg.), An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 91. 858 Rühl, Statut und Effizienz, S. 317.
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Die vergleichsweise starren Anknüpfungen des europäischen Kollisionsrechts verringern die Rechtsermittlungskosten erheblich. Das auf einen Vertrag anwendbare Recht ist ohne umfassenden Rechtsvergleich ersichtlich, die Kosten juristischer Beratung verringern sich für beide Parteien. Die Verordnung definiert den strukturell unterlegenen Versicherungsnehmer und ermöglicht auf diese Weise beiden Vertragsparteien sich auf das anwendbare Statut einzustellen. Der kollisionsrechtliche Schutz des Versicherungsnehmers kann auch hier für den Versicherer zu Mehrkosten führen, diese lassen sich hingegen sicher kalkulieren. Einzig der offene Tatbestand des Art. 9 Rom I-VO erhöht die Rechtsermittlungskosten. Zumindest vor dem Bestehen gesicherter Rechtsprechung lässt sich eine Qualifikation als Eingriffsnorm schwer vorhersehen und nur unzureichend in die Kosten eines Vertrags einkalkulieren. C. Ergebnis Gemeinsam ist dem europäischen und dem US-amerikanischen Kollisionsrecht ein Bewusstsein gegenüber der Schutzbedürftigkeit des strukturell unterlegenen Unternehmers. Dieses gipfelt freilich teils eher in einem hohen Maß an Protektionismus zugunsten des am Forum ansässigen Unternehmers als in einem allgemeinen Schutz vor Übervorteilung durch den Vertragspartner. Sowohl die Rom I-Verordnung als auch das Restatement weisen interessante Ansätze zur Erreichung dieses Ziels auf, jedoch sind auch ihre Schwächen nicht zu übersehen. Das Einfallstor für Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung ist zum Zwecke des Unternehmerschutzes grundsätzlich ungeeignet. Der Wortlaut ist zu eng, um einen effektiven Schutz durch umfassende Rechtswahlfestigkeit sonderprivatrechtlicher Bestimmungen zu bewirken. Selbst wenn man sich bemüht, entsprechende Normen unter den Wortlaut des Art. 9 Rom I-VO zu subsumieren, bleibt aufgrund der überwiegenden Wirkungsweise als einseitige Kollisionsnorm859 der Verlust des internationalen Entscheidungseinklangs innerhalb der Union als Kollateralschaden zurück. Art. 9 Rom I-VO ist in seiner derzeitigen Form nicht mehr als ein Notbehelf. Ein hohes Schutzniveau schafft Art. 7 Rom I-VO. Dieser kann zugleich den Vorteil unbedingter Rechtssicherheit durch die Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen für sich verbuchen und legt darüber hinaus bereits im Tatbestand genaue Voraussetzungen an die zu schützende Unternehmergruppe fest. Damit bietet Art. 7 Rom I-VO einen überzeugenden Ansatz. Freilich bleibt dessen Schutz auf Versicherungsnehmer beschränkt. Noch begrenzter ist der Anwendungsbereich der Bestimmungen zugunsten von Franchisenehmern und Vertriebshändlern nach Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f). Aufgrund der Schwäche des Art. 9 Rom I-VO besteht im europäischen Kolli859 Zum Begriff von Hoffmann/Thorn, IPR, § 4 Rn. 8; freilich berücksichtigt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO auch ausländisches Recht, was freilich aufgrund der Beschränkung in dieser Untersuchung kaum von Belang ist. Sieh dazu oben § 1B.V.4.
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Kapitel 4: Schutz auf Ebene des Internationalen Privatrechts
sionsrecht damit kein flächendeckender Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers. Einen sachlich weiteren Anwendungsbereich zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer gewährleistet § 187 Restatement (Second). Er bietet Raum, sämtliche Konstellationen unabhängig vom Vertragstyp zu erfassen, um im Einzelfall auf eine Ungleichgewichtslage mit den Mitteln des Kollisionsrechts zu reagieren und eine weitgehende Rechtswahlfestigkeit sonderprivatrechtlicher Schutzbestimmungen zu garantieren. Die Schwächen dieses Ansatzes sind jedoch nicht zu vernachlässigen. Zwar umgeht § 187 Abs. 2 Restatement (Second) das Problem der Einseitigkeit des Art. 9 Rom I-VO durch seine allseitige Formulierung, in der Rechtspraxis wird diese indes nur selten befolgt. Zudem weist § 187 Abs. 2 Restatement (Second) aufgrund der unzähligen unbestimmten Rechtsbegriffe diverse Einfallstore für richterliche Wertungen auf. 860 Ob im Ergebnis tatsächlich ein Schutz des unterlegenen Unternehmers besteht, hängt stark vom Forum ab. Die Vielzahl zu berücksichtigender Anknüpfungsmomente und Wertungen sowie die Beschränkung der Bestimmung des anwendbaren Rechts auf einzelne Rechtsfragen macht es für den Rechtsanwender schwer, das maßgebliche Statut vorauszusehen. Die mit dem amerikanischen Ansatz einhergehende erhebliche Rechtsunsicherheit belastet den internationalen Handelsverkehr und benachteiligt die unterlegene Partei überproportional.
860
Kritisch hierzu: Symeonides, 56 Md. L. Rev. 1248, 1269 ff. (1997).
Kapitel 5
Schutz auf Ebene des Internationalen Zivilverfahrensrechts Wie umfassend untersucht worden ist, findet der Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers auf Ebene des Kollisionsrechts sowohl in der Europäischen Union als auch in den Vereinigten Staaten Berücksichtigung. Freilich kann die Betrachtung damit nicht enden. Da ein jedes Forum sein eigenes Internationales Privatrecht anwendet, liegt es aus Sicht des überlegenen Vertragspartners nahe, die Schutzbestimmungen des Kollisionsrechts durch eine Forumswahl zu umgehen. Dieser kann ein Interesse daran haben, eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines Forums durchzusetzen, dessen Kollisionsrecht der freien Rechtswahl offen gegenübersteht, um auf diese Weise die Möglichkeit der unbeschränkten Vertragsgestaltung wiederzuerlangen. Eine Umgehung der Schutzbestimmungen des Internationalen Privatrechts ist auf diese Weise ebenso denkbar wie durch die vertragliche Vereinbarung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts. Nimmt ein Normgeber den Schutz der strukturell unterlegenen Partei ernst, so muss er folglich auch die Parteiautonomie im Internationalen Zivilverfahrensrecht beschränken. Im Folgenden soll die diesbezügliche Rechtslage im europäischen, deutschen und US-amerikanischen Recht untersucht werden.
§ 1 Europäisches Internationales Zivilverfahrensrecht § 1 Europäisches Internationales Zivilverfahrensrecht
Das europäische Internationale Zivilverfahrensrecht ist in einer Reihe von Verordnungen niedergelegt. 1 Von Relevanz für die hier erfolgende Untersu1
Zu nennen sind die Brüssel IIa-VO (Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, ABl. EU, Nr. L 338 vom 23.12.2003, S. 1.), die Verordnung über die Zuständigkeit in Unterhaltssachen (Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 Nr. L 7 vom 06.08.2009, S. 1.), die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel, (Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. EU Nr. L 143 vom 30.04.2004, S. 15.) die Verordnung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen (Ver-
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chung ist dabei allein die Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen von Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-Verordnung)2, denn diese regelt über weite Teile die internationale Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte im Zivil und Handelsverkehr der Europäischen Union.3 Grundsätzlich erlaubt die Brüssel Ia-Verordnung, sofern die Klage nicht in die ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts fällt, gemäß Art. 25 den Vertragsparteien die freie Wahl eines Gerichtsstandes. 4 Sehr wohl erkennt die Brüssel Ia-Verordnung indes an, dass „die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden [sollte], die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung“. 5 So sei zwar grundsätzlich die Vertragsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Wahl eines Gerichtsstandes zu wahren, bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen erfordere die Schutzbedürftigkeit der Parteien jedoch eine Begrenzung dieser Vertragsfreiheit. 6 A. Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen Von Interesse sind hier insbesondere die in der Brüssel Ia-Verordnung niedergelegten Regelungen zur internationalen Zuständigkeit bei Versicherungsverträgen. Sie weisen eine Schutzwirkung zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers auf. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass Versicherungsnehmer als typischerweise schwächere Partei einerseits nicht in der Lage sind, sich gegen die vertragliche Vereinbarung sie benachteiligender Gerichtsstandsvereinbarungen zu wehren, 7 andererseits so schutzbedürftig ordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. EU Nr. L 199 vom 31.07.2007, S. 1.) und die Verordnung über das Europäische Mahnverfahren (Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. EU Nr. L 399 vom 30.12.2006, S. 1.) Sie werden ergänzt durch die Zustellungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. EU Nr. L 324 vom 10.12.2007, S. 79.) sowie die Beweisverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG Nr. L 174 vom 27.06.2001, S. 1.) 2 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlamentes und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU Nr. L 351 vom 20.12.2012, S. 1. 3 Rauscher/Mankowski Art. 1 Brüssel I-VO Rn. 1; Rauscher/Staudinger Einl Brüssel IVO Rn. 11. 4 Geimer/Schütze/Geimer Art. 23 Brüssel I-VO Rn 7 f.; 159. 5 Erwägungsgrund 18 Brüssel Ia-VO. 6 Erwägungsgrund 19 Brüssel Ia-VO. 7 Erwägungsgründe 18, 19 Brüssel Ia-VO; Geimer/Schütze/Geimer Art. 23 Brüssel IVO Rn 10; Rauscher/Staudinger Art. 8 Brüssel I-VO Rn. 6.
§ 1 Europäisches Internationales Zivilverfahrensrecht
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sind, dass für sie der Grundsatz actor sequitur forum rei nur eingeschränkt gilt.8 I. Überblick Das europäische Internationale Zivilprozessrecht für Versicherungssachen ist in den Artikeln 10 bis 16 Brüssel Ia-VO abschließend für Fälle geregelt, in welchen der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat. 9 Gemäß Art. 11 Brüssel Ia-VO kann ein Versicherer zum einen an seinem Wohnsitz verklagt werden, was der Grundregel des Art. 4 Brüssel Ia-VO entspricht.10 Weiterhin eröffnet Art. 11 Wahlgerichtsstände zugunsten des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Begünstigten. Diesen wird ermöglicht, eine Klage gegen den Versicherer auch an ihrem eigenen Wohnsitz anzustrengen. Mitversicherer sind darüber hinaus in dem Mitgliedstaat, in welchem der federführende Versicherer seinen Sitz hat, gerichtspflichtig. Nach Art. 12 Brüssel Ia-VO ist eine Klage gegen den Versicherer einer unbeweglichen Sachen oder gegen einen Haftpflichtversicherer auch am Ort des Eintritts des schädigenden Ereignisses möglich.11 Umgekehrt ist – mit Ausnahme einer Widerklage – eine Klage des Versicherers gegen Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten gemäß Art. 14 Brüssel Ia-VO allein an deren jeweiligen Wohnsitz möglich. Nach Art. 13 Brüssel Ia-VO kann der Haftpflichtversicherer zudem vor das Gericht, bei welchem eine Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, geladen werden. 12 Ausnahmen zu diesem rigiden System der Zuständigkeiten eröffnen Art. 15 und 16 Brüssel Ia-VO. Abweichungen sind grundsätzlich allein dann möglich, wenn eine entsprechende Abrede nach Entstehung der Streitigkeit getroffen wird (Art. 15 Nr. 1) oder den Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten derart besser stellt, als sie diesen zusätzliche als die durch Art. 11 und 12 Brüssel Ia-VO vorgesehenen Gerichtsstände einräumt (Art. 15 Nr. 2). Ferner erlaubt Art. 15, den im selben Mitgliedstaat ansässigen Parteien den durch Art. 12 ermöglichten Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses auszuschließen (Art. 15 Nr. 3). Zulasten nicht in einem Mitgliedstaat ansässi8 KOM(1999), 348, S. 16; Looschelders, IPRax 1998, 86, 87; Rauscher/Staudinger Art. 8 Brüssel I-VO Rn. 6; Art. 9 Rn. 3. 9 Kropholler/von Hein Art. 8 Brüssel I-VO Rn. 2; Rauscher/Staudinger Art. 8 Brüssel IVO Rn. 7. 10 Geimer/Schütze/Geimer Art. 8 Brüssel I-VO Rn. 1; Kropholler/von Hein Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 1. 11 Zu dem in Deutschland nicht anwendbaren Art. 13 Brüssel Ia-VO siehe ausführlich: Hub, S. 118 ff. Auf diese Vorschrift soll hier nicht näher eingegangen werden, da sie allein der Prozessökonomie und der Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen dient (Rauscher/Staudinger Art. 11 Brüssel I-VO Rn. 1). 12 Gemäß Art. 65 Brüssel Ia-VO ist Art. 13 in Deutschland, Österreich und Ungarn nicht anzuwenden.
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Kapitel 5: Schutz auf Ebene des Internationalen Zivilverfahrensrechts
ger Versicherungsnehmer kann vom Regelungsregime der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO abgewichen werden, es sei denn, der Versicherungsvertrag betrifft in einem Mitgliedstaat belegene unbewegliche Sachen oder wird zur Erfüllung einer Versicherungspflicht abgeschlossen (Art. 15 Nr. 4). Ebenfalls abdingbar sind die besonderen Regeln für Versicherungsverträge gelten gemäß Art. 15 Nr. 5, Art. 16 für Versicherungsverträge über Schäden an Seeschiffen, die sich aus deren gewerblicher Nutzung ergeben sowie über Versicherungen von mit Schiffen und Luftfahrzeugen beförderten Transportgütern. Gleiches gilt für Haftpflichtversicherungen, die Schäden durch diese Nutzungen abdecken sowie die Absicherung mit diesen in Zusammenhang stehenden finanziellen Verlusten. 13 Abweichungen von der Regelung der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO sind darüber hinaus bei Verträgen über Großrisiken im Sinne der europäischen Direktversicherungsrichtlinie 73/239/EWG14 möglich. II. Schutzintensität Die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO begünstigen den Versicherungsnehmer im Wesentlichen durch zwei Bestimmungen. 15 Eine zentrale Regelung stellt Art. 11 Abs. 1 lit. b) dar, welche dem Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten die Möglichkeit einräumt, am eigenen Wohnsitz gegen den Versicherer Klage zu erheben und damit das Prinzip actor sequitur forum rei durchbricht.16 Die Schutzwirkung zugunsten des strukturell unterlegenen Vertragspartners ist evident. In grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen bleibt diesem der Prozess an einem ausländischen Forum erspart. Der Versicherungsnehmer ist nicht dazu gezwungen, ausländische Prozessvertreter zu engagieren, sondern kann sich an einen lokalen Rechtsanwalt wenden. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass er auf sein heimisches Gerichtssystem zurückgreifen kann, womit nicht zuletzt auch sprachliche Barrieren wegfallen. 17 Verklagt der Versicherungsnehmer in einem Schadensfall mehrere Versicherer in verschiedenen Staaten, so hat die Vorschrift des Art. 11 Abs. 1 lit. b) die für ihn ökonomisch vorteilhafte Wirkung einer Zuständigkeitskonzentration an seinem Wohnsitz. 18 Der Klägergerichtsstand dürfte zur Folge haben, die Verfolgung von Ansprüchen gegen den Vertragspartner für den Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten deutlich kostengünstiger zu ermöglichen und die Hemmschwelle vor einem Prozess gegen einen überlegenen Vertragspartner zu senken. Erhöht wird das Schutzniveau dadurch, 13
Ausführlich dazu: Hub, S. 170 ff. Richtlinie 73/239/EWG des Rates, geändert durch die Richtlinie 88/357/EWG und die Richtlinie 90/618/EWG, ABl. EWG 1973 Nr. L 228 vom 16.08.1973, S. 3. 15 Hub, S. 95. 16 Fricke, VersR 2009, 429, 431; Rauscher/Staudinger Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 3. 17 Zu den begünstigenden Folgen siehe auch: Hub, S. 89. 18 Hub, S. 89. 14
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dass relevanter Zeitpunkt für die Zuständigkeit des Gerichts am Klägerwohnsitz nicht der Vertragsschluss, sondern der Zeitpunkt der Klageerhebung ist. 19 Dies begünstigt wiederum den Versicherungsnehmer erheblich, der auch nach einem Umzug ins Ausland, vor seinem örtlichen Gericht Klage erheben kann. Der Versicherer wird in diesem Fall mit einem von ihm nicht vorhersehbaren Forum konfrontiert, was für ihn eine erhebliche Belastung darstellt. 20 Weiterhin wird der Versicherungsnehmer dadurch wesentlich begünstigt, dass die Brüssel Ia-Verordnung seinen passiven Gerichtsstand weitgehend unabdingbar an seinem Wohnsitz festschreibt. Es bleibt bei dem Grundsatz actor sequitur forum rei.21 Versicherungsnehmer, Begünstigter und Versicherter können nach Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO allein an ihrem Wohnsitz verklagt werden. Eine Ausnahme hiervon bildet allein die Möglichkeit des Versicherers zur Widerklage am vom Versicherungsnehmer gewählten Forum, was freilich meist ohnehin an seinem Wohnsitz liegen dürfte. Eine weitere Ausnahme eröffnet der gemäß Art. 10 Brüssel I-VO geltende Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO, wonach eine Klage gegen den in einem Mitgliedstaat ansässigen Versicherungsnehmer auch am Ort seiner, in einem anderen Mitgliedstaat belegenen, Niederlassung möglich ist. 22 Die Schutzwirkung des Art. 14 Brüssel Ia-VO ist recht offensichtlich. Der Versicherungsnehmer kann in grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen darauf vertrauen, nur vor den Gerichten der Staaten belangt zu werden, in denen er Geschäftstätigkeit wenigstens in Form einer selbstständigen Niederlassung ausübt. Dies ermöglicht ihm, Verträge mit ausländischen Versicherern zu schließen, ohne befürchten zu müssen, durch eine vom Vertragspartner aufgedrängte Gerichtsstandsklausel zugunsten eines fremden Forums übervorteilt zu werden. Ihre volle Wirksamkeit eröffnen Art. 11 Abs. 1 lit. b) und Art. 14 Brüssel Ia-VO freilich erst im Zusammenhang mit den Art. 25 Abs. 4 und 15 Brüssel Ia-VO, welche die Gerichtsstände zugunsten des Versicherungsnehmers, Versicherten und Begünstigen weitgehend derogationsfest ausgestalten.23 Eine Reihe von Ausnahmen hiervon sieht freilich Art. 13 vor. Hierzu zählt unter anderem die freie Möglichkeit nach Entstehen einer Streitigkeit den Gerichtsstand zu wählen. Dies ist unbedenklich, denn zu diesem Zeitpunkt kann der Versicherungsnehmer die Wirkung einer ihm von seinem 19
So bereits zum EuGVÜ: Jenard-Bericht zu Art. 8 EuGVÜ, ABl. EWG Nr. C 59 vom 05.03.1979, S. 1, 31; Geimer/Schütze/Geimer Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 9 f.; ders., FS Heldrich, S. 627, 635; MünchKommZPO/Gottwald Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 1; Rauscher/Staudinger Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 4. 20 Kritisch insbesondere Geimer/Schütze/Geimer Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 9; ders., in FS Heldrich, S. 627, 635 f.; kritisch in Bezug auf unternehmerische Versicherungsnehmer: Rauscher/Staudinger Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 4; anders hingegen: Hub, S. 95 f. 21 Fricke, VersR 2009, 429, 431; Geimer, FS Heldrich, S. 627, 631. 22 Rauscher/Staudinger Art. 12 Brüssel I-VO Rn. 4. 23 Fricke, VersR 2009, 429, 434; Geimer, FS Heldrich, S. 627, 639; Kropholler/von Hein Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 1.
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Vertragspartner vorgeschlagenen Abrede überschauen und befindet sich nicht länger in Vertragsverhandlungen, in denen er den Bedingungen des Versicherers ausgesetzt ist, um den Vertrag abschließen zu können. 24 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt von einem Entstehen der Streitigkeit im Sinne der Norm ausgegangen werden kann. Geimer will es bereits genügen lassen, dass zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung, Abwicklung oder Erfüllung des Vertrags entstanden sind.25 Dagegen fordert die herrschende Meinung, dass ein gerichtliches Verfahren in Kürze bevorsteht. 26 Dieser Ansicht ist im Lichte einer teleologischen Auslegung des Abschnitts zuzustimmen. Erst in dem Moment, in dem tatsächlich ein Gerichtsverfahren greifbar wird, kann der Versicherungsnehmer die Wirkung einer entsprechenden Gerichtsstandsklausel absehen und ist dementsprechend nicht mehr schutzbedürftig. 27 III. Persönlicher Schutzbereich Die Abgrenzung von schutzbedürftigen und nicht schutzbedürftigen Unternehmern nimmt das europäische Internationale Zivilprozessrecht ähnlich wie die Rom I-Verordnung vor. Nicht anwendbar soll der Abschnitt über Versicherungssachen für Rückversicherungsverträge sein. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Normen, laut EuGH indes aus dem Telos der Vorschriften, welcher im Schutz der unterlegenen Partei begriffen sei. 28 Da im Falle des Rückversicherungsvertrags ein solches Ungleichgewicht nicht bestehe, seien Rückversicherungsverträge nicht erfasst. Ob dieses Argument trägt, ist fraglich, denn auch die als grundsätzlich nicht schutzbedürftig eingestuften Versicherungsnehmer von Großrisiken sind jedenfalls vom Anwendungsbereich der besonderen Zuständigkeitsvorschriften erfasst. 29 Eine historische Auslegung ergibt freilich, dass bereits der entsprechende Abschnitt im EuGVÜ keine Erfassung von Rückversicherungsverträgen bezweckte und der Verordnungsgeber beim Übergang zur Brüssel I-Verordnung keine Änderung anstrebte.30 24
Heiss, in: Reichert-Facilides/Schnyder, Versicherungsrecht in Europa, S. 105, 126. Geimer/Schütze/Geimer Art. 13 Rn. 5. 26 Jenard-Bericht zu Art. 12 EuGVÜ, ABl. EWG Nr. C 59 vom 05.03.1979, S. 1, 13; Kropholler/von Hein Art. 13 Rn. 2; Rauscher/Staudiger Art. 13 Rn. 4. 27 Heiss, in: Reichert-Facilides/Schnyder, Versicherungsrecht in Europa, S. 105, 126. 28 EuGH, Urteil vom 13.07.2000, Rs. C-412/98 (Group Josi Reinsurance Company SA ./. Universal General Insurance Company (UGIC)), EuGHE 2000 I 5925 Rn. 64–67. 29 Zur bedingten Tragweite dieses Arguments: Heiss, in: Reichert-Facilides/Schnyder, Versicherungsrecht in Europa, S. 105, 114 f.; Hub, S. 66 f. 30 Vorschlag einer Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(1999) 348 endg., S. 16; zur vorherigen Rechtslage bereits Jenard/Möller, ABl. EWG 1990, Nr. C 189 vom 28.07.1990, S. 57, 74; Schlosser-Bericht Nr. 151, ABl. EWG Nr. C 25
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Versicherungsverträge über Großrisiken werden hingegen grundsätzlich von den Zuständigkeitsvorschriften über Versicherungssachen erfasst, wie sich im Umkehrschluss aus Art. 16 Nr. 5 Brüssel Ia-VO ergibt. Für diese besteht freilich die Möglichkeit, von den Schutzgerichtsständen mittels Parteivereinbarung beliebig abzuweichen. Der Begriff Großrisiko richtet sich wie schon in Art. 7 Rom I-VO nach der ersten Direktversicherungsrichtlinie31.32 Art. 5 lit. d) der Richtlinie differenziert zwischen Risiken, die allein aufgrund ihrer Art ein Großrisiko darstellen, solchen die im Falle der gewerblichen, industriellen oder freiberuflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers als Großrisiko anzusehen sind und solchen, die erst wenn der Versicherungsnehmer bestimmte Schwellenwerte hinsichtlich Umsatz, Bilanzsumme und Beschäftigtenzahl übersteigt, als Großrisiko qualifiziert werden. 33 Die drei Kategorien haben gemein, dass der Versicherungsnehmer typischerweise über die geschäftliche Erfahrung bzw. über eine hinreichende Unternehmensgröße verfügt, um als dem Versicherer in Vertragsverhandlungen ebenbürtig zu gelten.34 Bereits zum Internationalen Privatrecht ist festgestellt worden, dass die Einteilung von Groß- und Massenrisiken auch den Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen bezweckt. 35 Während die Abgrenzungskriterien dieselben wie im Internationalen Privatrecht sind, ist die Regelungstechnik eine andere. Nach Art. 7 Rom I-VO sind Verträge über Großrisiken grundsätzlich vom Anwendungsbereich der schützenden Sonderanknüpfung ausgenommen. Die Sonderbestimmungen der Brüssel Ia-Verordnung gelten hingegen grundsätzlich auch für Verträge über Großrisiken, sind dann jedoch abdingbar. 36 Weitere Ausnahmen für Fälle mangelnder Schutzbedürftigkeit sehen Art. 16 Nr. 1 – 4 Brüssel Ia-VO vor. Die dort genannten Risiken wie Schäden, die aus der gewerblichen Nutzung von Seeschiffen und Luftfahrzeugen oder durch diese transportierten Gütern resultieren, betreffen ebenfalls typischerweise Versicherungsnehmer, welche über eine ausreichende unternehmerische Größe verfügen und folglich als nicht schutzbedürftig einzustufen sind. Diese Risiken dürften freilich zugleich Großrisiken im Sinne der Ersten Direktversicherungsrichtlinie darstellen, sodass fraglich ist, ob Nr. 1-4 ein 59 vom 05.03.1979, S. 71, 117; im Übrigen die einhellige Ansicht in der Literatur: Kropholler/von Hein Vor Art. 8 Rn. 6; Rauscher/Staudiger Art. 8 Rn. 21. 31 Erste Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (ABl. EWG Nr. L 228 vom 16.08.1973, S. 3). 32 Rauscher/Staudinger Art. 14 Brüssel I-VO Rn. 6. 33 Ausführlich dazu Hub, S. 173 f.; vgl. auch Heiss, in: Reichert-Facilides/Schnyder, Versicherungsrecht in Europa, S. 105, 114 f. 34 Hub, S. 173 f. 35 Arg. e. KOM(1999) 348, S. 16; ein entsprechender Umkehrschluss ist auch aus den Erwägungsgründen 18 und 19 Brüssel Ia-VO möglich; siehe im Übrigen: Heinig, S. 274; im Übrigen bereits oben § 1B.IV.3. 36 Kritisch hierzu: Fricke, VersR 2009, 429, 431; Geimer, FS Heldrich, S. 627, 632 f.
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nennenswerter Anwendungsbereich verbleibt. Dies zu entscheiden, soll freilich Spezialliteratur vorbehalten bleiben. 37 IV. Räumlicher Schutzbereich Der gewährte Schutz des Zuständigkeitsrechts für Versicherungssachen in der Brüssel Ia-Verordnung ist darüber hinaus räumlich beschränkt. Der Klägergerichtsstand des Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO entfaltet allein in Binnenmarktsachverhalten zugunsten des Versicherungsnehmers Wirkung. Erforderlich ist, dass sich sowohl der Sitz oder eine Niederlassung des Versicherers in einem Mitgliedstaat befinden, als auch der Versicherungsnehmer innerhalb der Union ansässig ist. 38 Kontrahiert ein mitgliedstaatlicher Versicherungsnehmer mit einem Versicherer, der nicht wenigstens über eine Niederlassung in der Union verfügt, so darf er zwar darauf vertrauen, gemäß Art. 14 Brüssel Ia-VO nur an seinem Wohnsitz verklagt zu werden, er muss jedoch damit rechnen, sich zur Durchsetzung seiner Ansprüche vor ein ausländisches Forum begeben zu müssen, die Brüssel Ia-Verordnung ist nicht anwendbar. Zu bedenken ist, dass dies für den Versicherungsnehmer nicht zwingend nachteilig sein muss. 39 In diesen Fällen kommen Schutzgerichtsstände des autonomen Prozessrechts in Betracht, in Deutschland etwa § 215 VVG, der dem Versicherungsnehmer ebenfalls einen Klägergerichtsstand an seinem Wohnsitz eröffnet. 40 Ferner findet Art. 5 Brüssel Ia-VO auf Klagen gegen in Drittstaaten ansässige Beklagte keine Anwendung, sodass abhängig vom konkreten Sachverhalt sonstige exorbitante Gerichtsstände der autonomen mitgliedstaatlichen Prozessrechte zugunsten des Versicherungsnehmers relevant werden können. 41 Umgekehrt fallen Klagen gegen den nicht in der Union ansässigen Versicherungsnehmer gemäß Art. 6 ebenfalls nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-Verordnung.42 Für Aktivprozesse drittstaatlicher Versicherungsnehmer gegen in einem Mitgliedstaat ansässige Versicherer greift Art. 15 Nr. 4 Brüssel Ia-VO. Dieser lässt eine Abweichung von den Vorgaben der 37
Hub, S. 175 m.w.N. Diese Voraussetzung ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm. Siehe auch: Geimer/Schütze/Geimer Art. 9 Rn. 10; Heinig, S. 228. 39 a.A. wohl: Grolimund, S. 191. 40 MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 68. 41 Rauscher/Staudinger Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 8. 42 Geimer/Schütze/Geimer Art. 2 Rn. 122; Kropholler/von Hein Art. 4 Brüssel I-VO Rn. 1. Dies gilt nach herrschender Meinung auch, wenn in Sachverhalten mit Drittstaatenbezug die Zuständigkeit eines europäischen Gerichts vereinbart wurde: Heinig, S. 234 ff.; Kruger, Civil Jurisdiction Rules of the EU and their Impact on Third States, Rn. 2.293 ff. Magnus/Mankowski/Heiss Art. 13 Rn. 10; zum vergleichbaren Art. 13 EuGVÜ bereits: EuGH, Urteil vom 15.09.1994, Rs. C-318/93 (Wolfgang Brenner und Peter Noller ./. Dean Witter Reynolds Inc), EuGHE, 1994 I-4275; a.A.: Grolimund, S. 191; Scheuermann, S. 124. 38
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Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO zulasten des drittstaatlichen Versicherungsnehmers zu, sofern die Versicherung nicht gesetzlich verpflichtend ist oder eine in einem Mitgliedstaat belegene unbewegliche Sache betrifft. Diese Regelung stammt bereits aus dem EuGVÜ und wurde auf Wunsch des Vereinigten Königreichs anlässlich des Beitritts zum EuGVÜ 1978 aufgenommen, um den englischen Versicherern in Drittstaatensachverhalten die unbeschränkte Wahlmöglichkeit zugunsten des Gerichtsstandortes London zu ermöglichen. 43 Argumentiert wird, in Sachverhalten mit Drittstaatenbezug bestehe ein größeres Bedürfnis nach Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes als in innereuropäischen. Der mangels vertraglicher Festlegung in einem Drittstaat eröffnete Gerichtsstand würde aufgrund des potentiell abweichenden Kollisionsrechtes forum shopping ermöglichen und damit dem europäischen Versicherer eine größere Rechtsunsicherheit aufbürden. 44 Da freilich Klagen gegen den außerhalb der Europäischen Union ansässigen Versicherungsnehmer ohnehin nicht unter die Brüssel Ia-Verordnung fallen und der Klägergerichtsstand des Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO nur in Binnenmarktsachverhalten Anwendung findet, dürften die nachteiligen Auswirkungen der Vorschrift auf den Schutz der unterlegenen Partei gering sein. 45 Dem Versicherer wird zum einen ermöglicht, statt den nach Art. 11 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO zuständigen Gerichten in seinem Sitzstaat die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates oder Drittstaates durchzusetzen. In Betracht kommt zum anderen die Abbedingung sonstiger Gerichtsstände der Art. 11 und 13 Brüssel Ia-VO, wie der am Sitz des federführenden Versicherers oder des Gerichtsstands der Interventionsklage nach Art. 13 Brüssel Ia-VO. Denkbar sind auch Konstellationen, in denen außereuropäische Versicherungsnehmer das Risiko eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Dritten versichern. Der Klägergerichtsstand des versicherten Dritten kann in diesem Falle abbedungen werden. Drittstaatensachverhalte sind damit grundsätzlich von der Verordnung erfasst, sofern der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat; der räumliche Anwendungsbereich der Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen greift dennoch umfassend nur in Binnenmarktsachverhalten. Schließt etwa ein deutscher Versicherungsnehmer einen Vertrag mit einem US-amerikanischen Versicherer, der keine Niederlassung in der Union hat, so wird er zwar nicht durch einen unionsrechtlichen Klägergerichtsstand privilegiert, sein eigener Gerichtsstand bleibt hingegen nach Art. 14 Brüssel Ia-VO unabdingbar an seinem Wohnsitz bestehen. Einen 43 Schlosser-Bericht, ABl. EWG 1979 Nr. C 59 vom 05.03.1979, S. 71, 112, dazu auch: Heiss, in: Reichert-Facilides/Schnyder, Versicherungsrecht in Europa, S. 105, 131 f. 44 Heiss, in: Reichert-Facilides/Schnyder, Versicherungsrecht in Europa, S. 105, 131 f.; Hub, S. 166. 45 Geimer, FS Heldrich, S. 627, 639 f.; Hub, S. 167; Rauscher/Staudinger Art. 13 Brüssel I-VO Rn. 8.
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geringeren Schutz erfährt im umgekehrten Fall der mit einem deutschen Versicherer kontrahierende amerikanische Versicherungsnehmer. Der Klägergerichtsstand des Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO ist auf ihn nicht anwendbar, da es ihm an einem Wohnsitz in der Union mangelt, der Gerichtsstand des Versicherers an dessen Sitz ist durch eine Gerichtsstandsklausel beliebig abdingbar. Zu bedenken bleibt, dass dem drittstaatlichen Versicherungsnehmer etwaige, nach seinem eigenen Prozessrecht vorgesehene Klägergerichtstände erhalten bleiben, insoweit diese nach autonomem Recht derogationsfest ausgestaltet sind. 46 V. Zwischenergebnis Grundsätzlich stellt das Internationale Zuständigkeitsrecht der Versicherungssachen eine zielführende Ergänzung zum Internationalen Versicherungsvertragsrecht der Rom I-Verordnung dar. Der strukturell unterlegene Unternehmer wird anhand seiner wirtschaftlichen Stärke identifiziert und durch einen vertraglich unabdingbaren Klägergerichtsstand sowie einen passiven Gerichtsstand an seinem Wohnsitz begünstigt. Eine ungleiche Verhandlungsmacht kann ihm folglich nicht zum Nachteil gereichen. Dass es für den Ort des Klägergerichtsstandes nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern auf den der Klageerhebung ankommt, stellt für den Versicherer eine Zumutung dar. Es ist ihm schließlich unmöglich, diesen vorherzusehen. 47 Unter dem Gesichtspunkt des Schwächerenschutzes scheint diese freilich gerechtfertigt, denn ein Gerichtsstand am bereits aufgegebenen Sitz hilft dem Versicherungsnehmer nur bedingt weiter. 48 Unverständlich ist hingegen die grundsätzliche Einbeziehung von Versicherungsverträgen über Großrisiken in den Anwendungsbereich der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO.49 Zwar dürfte dies eher ein theoretisches Problem darstellen, da die Wahl eines abweichenden Gerichtsstandes zulässig ist und im Regelfall von den Parteien wohl genutzt werden dürfte. Unterlassen es die Parteien jedoch eine derartige Regelung zu treffen, kommt auch dem vom Europarecht als wirtschaftlich potent eingestuften Versicherungsnehmer die Schutzwirkung der Art. 10 ff. zu, obwohl er seinem Vertragspartner strukturell gleichgestellt ist. Besser wäre es gewesen, Großrisiken ebenso wie in Art. 7 Rom I-VO aus dem Anwendungsbereich der Schutzbestimmungen auszunehmen. 50
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Vgl. Grolimund, S. 192. Kritisch insbesondere Geimer/Schütze/Geimer Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 9; ders., in FS Heldrich, S. 627, 635 f.; kritisch in Bezug auf unternehmerische Versicherungsnehmer: Rauscher/Staudinger Art. 9 Brüssel I-VO Rn. 4; anders hingegen: Hub, S. 95 f. 48 Hub, S. 96. 49 Fricke, VersR 2009, 429, 430; Geimer, FS Heldrich, S. 627, 633; noch zum EuGVÜ: Heiss, in: Reichert-Facilides/Schnyder, Versicherungsrecht in Europa, S. 105, 114 f. 50 Fricke, VersR 2009, 429, 431. 47
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Im Rahmen ihres Anwendungsbereiches schützt die Brüssel Ia-VO den in der Union ansässigen strukturell unterlegenen Unternehmer sehr weitgehend. Nicht zuletzt das Zusammenspiel der Schutzbestimmungen von Internationalem Zivilverfahrensrecht und Internationalem Privatrecht begünstigt die schwächere Partei erheblich. In einer Vielzahl von Fällen kann der Versicherungsnehmer eines Massenrisikos an seinem eigenen Sitz klagen und darf mit der Anwendung der lex fori rechnen. Einzig die Benachteiligung von drittstaatlichen Versicherungsnehmern durch die Verweigerung eines Klägergerichtsstandes sowie die freie Ermöglichung von Gerichtsstandsvereinbarungen aus standortpolitischen Gründen ist systematisch unstimmig und in gewissem Maße protektionistisch. An der Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers ändert dessen Sitz in einem Drittstaat nichts. B. Allgemeine Missbrauchskontrolle Über die besonderen Regeln der Art. 8 ff. sowie die korrespondierenden Bestimmungen für Verbraucher- und Arbeitsverträge hinaus setzt sich eine beachtliche Ansicht in der Literatur für die Zulässigkeit einer allgemeinen Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsklauseln im Rahmen des Art. 25 Brüssel Ia-VO ein.51 Die Relevanz einer solchen für den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers wäre erheblich, denn viele Vertreter dieser Ansicht wollen auf den in § 1025 Abs. 2 ZPO a.F.52 zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken zurückgreifen, nach welchem eine Gerichtsstandsvereinbarung, die aus der missbräuchlichen Ausnutzung wirtschaftlicher Überlegenheit resultiert, unwirksam ist.53 Eine Missbrauchskontrolle könnte sich einerseits unmittelbar aus Art. 25 Brüssel Ia-VO ergeben. Kommt man zu dem Ergebnis, das Unionsrecht regele diese Frage nicht, so ist andererseits ein Rückgriff auf die lex causae denkbar.54
51 Heinig, S. 407; Kröll, ZZP 113, 135 (2000); Leible/Röder, RIW 2007, 481; Magnus/Mankowski/Magnus Art. 23 Rn. 74; MünchKommBGB/Kieninger § 307 Rn. 281; MünchKommBGB/Martiny Vor. Art. 1 Rom I-VO Rn. 51; MünchKommZPO/Gottwald Art. 23 EuGVO Rn. 73; Rauscher, ZZP 104, 295, 300 ff.; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 6489; Thole, ZZP 122, 423, 436 ff. (2009); zur Parallelregelung des Art. 17 EuGVÜ: Hauschild, S. 219; H. Roth, IPRax 1992, 67, 68 f. 52 § 1025 ZPO in der Fassung vom 01.01.1964, aufgehoben mit Wirkung vom 01.01.1998 53 Kröll, ZZP 113, 135, 151 (2000); MünchKommZPO/Gottwald Art. 23 EuGVO Rn. 73; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6489; H. Roth, IPRax 1992, 67, 69. 54 Geimer/Schütze/Geimer Art. 23 Rn. 181; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56,67; Horn, IPRax 2006, 2, 4; Kropholler/von Hein Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 87; Rauscher/Mankowski Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 12j; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 666 f.
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I. Zulässigkeit einer unionsrechtlichen Missbrauchskontrolle Fraglich ist zunächst, ob sich aus Art. 25 Brüssel Ia-VO unmittelbar eine allgemeine Missbrauchskontrolle herleiten lässt. Die deutsche Rechtsprechung verneint die Zulässigkeit einer unionsrechtsinternen Missbrauchskontrolle im europäischen Zivilprozessrecht. Das OLG Hamburg hat im Falle einer Gerichtsstandsklausel zulasten eines Handelsvertreters die Vornahme einer Missbrauchskontrolle ebenso abgelehnt wie eine analoge Anwendung der Schutzzuständigkeiten für Arbeitnehmer. 55 Das LG Mainz kommt in einer Konstellation, in welcher das wirksame Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung aufgrund der wirtschaftlichen Überlegenheit eines Darlehensgebers im Raum stand, zum selben Ergebnis. 56 Der EuGH hat bislang nicht ausdrücklich zu einer Missbrauchskontrolle Stellung genommen, in der Entscheidung Trasporti Castelletti zu Art. 17 EuGVÜ, der Vorgängernorm des Art. 23 Brüssel I-VO bzw. Art. 25 Brüssel Ia-VO, jedoch Zurückhaltung hinsichtlich der inhaltlichen Überprüfung einer Gerichtsstandsvereinbarung erkennen lassen: 57 „(48) Wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, muß das nationale Gericht im Interesse der Rechtssicherheit, die zu den Zielen des Übereinkommens gehört, in der Lage sein, anhand der Normen des Übereinkommens ohne Schwierigkeiten über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden, ohne in eine Sachprüfung eintreten zu müssen. (49) Folglich kann die Wahl des vereinbarten Gerichts nur anhand von Erwägungen g eprüft werden, die im Zusammenhang mit den Erfordernissen des Artikels 17 stehen. (50) Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof bereits wiederholt entschieden, daß Artik el 17 von jedem objektiven Zusammenhang zwischen dem streitigen Rechtsverhältnis und dem vereinbarten Gericht absieht. (51) Aus den gleichen Gründen ist in einer Situation wie derjenigen des Ausgangsverfa hrens eine zusätzliche Prüfung der Angemessenheit der Klausel und des vom Verwender verfolgten Zieles ausgeschlossen, und das am gewählten Gerichtsstand geltende materielle Haftungsrecht hat keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der Klausel.“ 58
Aus den Ausführungen des Gerichtshofs auf die Zulässigkeit einer autonomen Missbrauchskontrolle zu schließen, erscheint zweifelhaft. Den Vertretern einer solchen ist zuzugestehen, dass eine Missbrauchskontrolle mit den Vorgaben der EuGH-Entscheidung in Trasporti Castelletti vereinbar wäre, wenn man ein der Verordnung immanentes Missbrauchsverbot als mit den Erfor-
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OLG Hamburg, Urteil vom 14.04.2004, NJW 2004, 3126, 3127 f. LG Mainz, Urteil vom 13.09.2005, IPRspr 2005, Nr 116, 289. 57 Horn, IPRax 2006, 2; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 666. 58 EuGH, Urteil vom 16.03.1999, Rs. C-159/07 (Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA gegen Hugo Trumpy SpA), EuGHE 1999, 1597 Rn. 49–51. 56
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dernissen des Art. 23 in Zusammenhang stehende Erwägung ansähe. 59 Unklar bleibt jedoch, welchen Spielraum die EuGH-Entscheidung dem Prüfungsumfang eines solchen Missbrauchsverbots belässt. Eine inhaltliche Überprüfung ist insofern nicht möglich, als der Gerichtshof das Erfordernis eines objektiven Zusammenhangs des parteiautonom bestimmten Forums mit der Streitigkeit oder eine inhaltliche Angemessenheitsprüfung ablehnt. 60 Ein solches wäre auch nur schwer mit dem Grundgedanken der Verordnung vereinbar, der von der Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichtswesen ausgeht. 61 Die Vertreter einer autonomen Missbrauchskontrolle wollen deshalb ausdrücklich auf die Inhaltskontrolle einer Gerichtsstandsklausel verzichten und allein überprüfen, ob das Zustandekommen der Vereinbarung unter unangemessenem wirtschaftlichen Druck erfolgte. 62 Dies kann schwerlich überzeugen. Zwar ist es denkbar, autonome Kriterien zu entwickeln, nach welchen sich bemessen lässt, wann der wirtschaftliche Druck, der auf einer Partei lastet, so erheblich ist, dass eine Gerichtsstandsklausel als einseitig auferlegt und daher als treuwidrig gelten muss. Doch wird eine Klausel nicht allein durch eine Gefällesituation zwischen den Parteien bei Vertragsschluss missbräuchlich. Lässt man, wie es aus dem EuGH-Urteil folgt, den Inhalt der Klausel außer Betracht, so müsste man zu dem abwegigen Ergebnis gelangen, auch eine Klausel, die einen Gerichtsstand am Sitz der schwächeren Partei vorsieht, sei missbräuchlich, so im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nur ein hinreichend schwerwiegender wirtschaftlicher Druck auf dieser Partei gelastet habe.63 Selbst wenn man in der Entscheidung des EuGH Spielraum für eine autonome Missbrauchskontrolle sieht, spricht die im Folgenden vorzunehmende Auslegung des Art. 25 Brüssel Ia-VO gegen eine solche Annahme. 1. Wortlaut Der Wortlaut enthält keinen Hinweis auf die Zulässigkeit einer Missbrauchskontrolle. In der Literatur wird vertreten, die Zulässigkeit einer solchen folge aus dem Erfordernis einer „Vereinbarung“. 64 Eine solche setze eine durch Zwang unbeeinträchtigte Willensbildung der Parteien voraus und ermögliche folglich eine Überprüfung auch der materiellen Wirksamkeit der Einigung. 65 Diese Ansicht überdehnt zum einen den Wortlaut des Art. 25 Brüssel Ia-VO, 59
Kröll, ZZP 113, 135, 150 (2000); Leible/Röder, RIW 2007, 481, 483; MünchKommBGB/Kieninger § 307 Rn. 281. 60 Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56,69. 61 LG Mainz, IPRspr 2005, Nr 116, 289, 293; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 667. 62 Heinig, S. 375; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 483. 63 So aber Heinig, S. 375; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 483. 64 Heinig, S. 395; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6489. 65 Heinig, S. 395 f.; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6489.
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zum anderen verkennt sie, dass die Vorschrift die an den Konsens der Parteien zu stellenden Voraussetzungen detailliert festschreibt. 66 Weshalb neben dem Katalog des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Existenz einer weiteren, ungeschriebenen Konsensvoraussetzung anzunehmen sein sollte, ist nicht ersichtlich.67 2. Historie Auch aus der Entstehungsgeschichte der Brüssel I-VO bzw. Brüssel Ia-VO lässt sich kein Hinweis auf eine Absicht des Verordnungsgebers entnehmen, eine Missbrauchskontrolle schaffen zu wollen. 68 Die Begründung der Kommission zu Art. 23 Brüssel I-VO schweigt hierzu.69 Bereits unter dem EuGVÜ, das ebenfalls keine Missbrauchskontrolle enthielt, wurde die richterrechtliche Entwicklung einer solchen diskutiert. 70 Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen vom 25. November 1965 71 sah in Art. 4 Abs. 3 bereits eine ausdrückliche Missbrauchskontrolle vor, die schon in der Entstehungszeit des EuGVÜ existierte. Auch Art. 5 Abs. 2 der Schweizer IPRG bestimmt, dass einer Partei ein Gerichtsstand des schweizerischen Rechts nicht missbräuchlich entzogen werden darf. Hätte der Verordnungsgeber die Aufnahme einer Missbrauchskontrolle beabsichtigt, so hätte es angesichts der über die Existenz einer Missbrauchskontrolle nach EuGVÜ herrschenden Unklarheit, der existierenden Regelungsbeispiele und der entsprechenden Forderungen aus der Rechtswissenschaft 72 nahe gelegen, eine solche ausdrücklich zu normieren.73 Das Schweigen des Verordnungsgebers spricht folglich für dessen Ablehnung eines solchen Vorbehalts. 74 3. Systematik Auch in die Systematik der Brüssel Ia-Verordnung fügt sich eine ungeschriebene Missbrauchskontrolle nicht ein. 75 Den Bedarf nach einer Einschränkung 66
Geimer/Schütze/Geimer, Art. 23 Rn. 75 ff.; Kropholler/von Hein Art. 23 Rn. 30 ff. Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56,72. Geimer/Schütze/Auer, Internationaler Rechtsverkehr, Art. 23 Rn. 81; Gottschalk/ Breßler, ZEuP 2007, 56,72; Rauscher/Mankowski Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 12g; Weigel/ Blankenheim, WM 2006, 664, 667; a.A.: Heinig, S. 396ff. 69 KOM(1999) 348 endg. S. 20; vgl. auch KOM(2010) 748 endg., S. 3 ff. 70 Vgl. MünchKommZPO(1992)/Gottwald, IZPR Art. 17 Rn. 43. 71 Abgedruckt in: AmJCompL 13, 629 (1964). 72 Siehe etwa H. Roth, IPRax 1992, 67, 69. 73 Geimer/Schütze/Auer, Internationaler Rechtsverkehr, Art. 23 Rn. 81; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56,72; Rauscher/Mankowski Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 12g; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 667. 74 a.A.: Heinig, S. 399. 75 Horn, IPRax 2006, 2, 3; Rauscher/Mankowski Art. 23 Rn. 12j; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 667 67 68
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der Parteiautonomie im Verfahrensrecht hat der Verordnungsgeber durchaus anerkannt und mit der Schaffung der Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO Rechnung getragen. 76 Diese beschränken die Vertragsfreiheit für Verbraucher-, Arbeits- und Versicherungsverträge, weil aus Sicht des Verordnungsgebers die Gefahr des Missbrauchs durch den überlegenen Vertragspartner in diesen Fällen besonders hoch ist und ein Schutz der schwächeren Vertragspartei angezeigt ist. 77 Zweifellos sind darüber hinaus weitere Konstellationen denkbar, in denen ein strukturelles Ungleichgewicht besteht und ein Missbrauch der durch die Brüssel Ia-Verordnung ermöglichten Parteiautonomie zu befürchten ist, 78 doch hat der Verordnungsgeber es ausdrücklich dabei belassen, die Parteiautonomie in den drei genannten Bereichen zu beschränken. Nicht ersichtlich ist, weshalb er zugleich eine weitere Missbrauchskontrolle zwar beabsichtigt, aber ungeregelt hätte lassen sollen. 79 Ein weiterer Eingriffsvorbehalt findet sich in Art. 45 Abs. 1 lit.a) Brüssel Ia-VO. Danach kann die Anerkennung einer Entscheidung der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates dann versagt werden, wenn diese der öffentlichen Ordnung des Forums widerspricht. 80 Hieraus wird zum Teil abgeleitet, ein möglicher Missbrauch sei erst im Stadium der Urteilsanerkennung durch die Überprüfung des Inhalts der Entscheidung zu korrigieren.81 Die Tragfähigkeit dieses Argumentes wird zu Recht bestritten, denn eine Überprüfung der Missbräuchlichkeit einer Gerichtsstandsklausel kann Art. 45 Brüssel IaVO nicht leisten. 82 Vielmehr legt Art. 45 Abs. 3 Satz 2 fest, dass eine Überprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts im Rahmen der ordre publicKontrolle nicht möglich ist. Jedoch hat der Verordnungsgeber im Bereich der Anerkennung von Entscheidungen in Art. 45 Brüssel Ia-VO detailliert dargelegt, unter welchen Voraussetzungen eine nachträgliche Überprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts möglich ist. 83 Die Nachprüfung der aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung bestehenden Zuständigkeit des Erstgerichts ist gemäß Art. 45 Abs. 3, Abs. 1 Brüssel Ia-VO ausgeschlossen.84 Sehr wohl möglich ist hingegen eine Nachprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts im Falle einer Missachtung der Zuständigkeitsvorschriften in Versicherungs- und Verbrauchersachen sowie ausschließlicher Zuständigkeiten. 85 Aus der Tatsa76
Erwägungsgründe 18, 19 Brüssel Ia-VO; KOM(1999) 348 endg. S. 16 f., 19. Erwägungsgründe 18, 19 Brüssel Ia-VO; KOM(1999) 348 endg. S. 16 f., 19. 78 Insofern ist Heinig, S. 400 und Leible/Röder, RIW 2007, 481, 484 zuzustimmen. 79 Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 665; vgl. Rauscher/Mankowski Art. 23 Rn. 12j. 80 Ausführlich: Geimer/Schütze/Geimer Art. 34 Rn. 14 ff. 81 Horn, IPRax 2006, 2, 3; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 667. 82 Heinig, S. 401 f.; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 484. 83 Vgl. Horn, IPRax 2006, 2, 3; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 667. 84 Kropholler/von Hein Art. 35 Brüssel I-VO Rn. 5; Magnus/Mankowski/Mankowski Art. 35 Rn. 43; Rauscher/Leible Art. 35 Brüssel I-VO Rn. 11. 85 Geimer/Schütze/Geimer Art. 35 Rn. 16 ff.; Kropholler/von Hein Art. 35 Brüssel I-VO Rn. 7 ff. 77
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che, dass der Verordnungsgeber eine nachträgliche Missbrauchskontrolle ausdrücklich vorgesehen hat und zugleich auf die in Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO genannten Fälle beschränkt hat, liegt der Schluss nahe, weitere ungeschriebene Überprüfungen der Zuständigkeit sollten auch im Vorhinein nicht bestehen.86 4. Telos Primäres Ziel der Brüssel Ia-Verordnung ist es, im europäischen Internationalen Zuständigkeitsrecht Parteiautonomie und Rechtssicherheit zu gewährleisten.87 Der EuGH hat festgestellt, Ziel der Verordnung sei es, das angerufene Gericht in die Lage zu versetzen, ohne schwierige Sachprüfung über seine eigene Zuständigkeit entscheiden zu können. 88 Die Parteien sollen durch die Verordnung befähigt sein, das zuständige Forum stets vorherzusehen. Letzteres wird durch die Ermöglichung der parteiautonomen Festlegung eines ausschließlichen Gerichtsstandes sichergestellt. 89 Eine in Art. 23 anzusiedelnde ungeschriebene Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsklauseln würde diese Ziele der Verordnung erheblich gefährden. 90 Das angerufene Gericht müsste nicht allein das formale Vorliegen der auf Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung gerichteten Willenserklärungen der Parteien prüfen, sondern zur Beurteilung seiner Zuständigkeit bereits untersuchen, ob einer der Vertragspartner dem anderen strukturell überlegen ist und zugleich auf letzterem bei Vertragsschluss wirtschaftlicher Druck lastete. Ein solches Verfahren würde vom Gericht eine umfangreiche Prüfung der Sachlage abverlangen. 91 Nicht auszuschließen ist, dass Gerichte eine Missbrauchskontrolle ausnutzen würden, um Klauseln, die ihre eigene Zuständigkeit abbedingen, für unwirksam zu erklären.92 Die Parteien wiederum müssten das Ergebnis einer derartigen Kontrolle abwarten, bevor sie sicheres Wissen über das zuständige Forum hätten. 93 Dies hätte eine erhebliche Beeinträchtigung der insbesondere im internationalen Handel bedeutsamen Rechtssicherheit zur Folge. Zugleich würde eine Ausweitung der Zuständigkeitsprüfung so genannte Torpedo-
86
a.A.: Heinig, S. 401 f.; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 484. Erwägungsgründe 15, 19 Brüssel Ia-VO. 88 EuGH, Urteil vom 16.03.1999, Rs. C-159/07 (Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA gegen Hugo Trumpy SpA), EuGHE 1999, 1597 Rn. 48. 89 Erwägungsgründe 15, 19 Brüssel Ia-VO; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 72 f. 90 Horn, IPRax 2006, 2, 4; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 72; Rauscher/ Mankowski Art. 23 Rn. 12j; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 667. 91 Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 667. 92 Rauscher/Mankowski Art. 23 Rn. 12j. 93 Vgl. Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 73; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 667. 87
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Klagen herausfordern.94 Hierbei erhebt die Partei, der eine Klage droht, eine negative Feststellungsklage an einem an sich unzuständigen Forum, das für seine überlange Verfahrensdauer bekannt ist. 95 Eine vom zuerst angerufenen Gericht durchzuführende Missbrauchskontrolle, die eine umfangreiche Einbeziehung materiellrechtlicher Erwägungen nötig machte, würde das Verfahren in die Länge ziehen und die negativen Auswirkungen von TorpedoKlagen erhöhen. 96 Rechtsunsicherheit würde auch die Tatsache mit sich bringen, dass es an vorhandenen Kriterien für eine derartige Missbrauchskontrolle fehlt. Ein Rückgriff auf die Klauselrichtlinie 97 kommt nur für Verbraucherverträge in Betracht.98 Eine Anlehnung an PECL oder DCFR wirkt angesichts deren mangelnder Qualifikation als Unionsrecht willkürlich. 99 Zutreffend ist, dass die Brüssel Ia-Verordnung auch das Ziel verfolgt, dem Schutzbedürfnis unterlegener Parteien Rechnung zu tragen, hinter welchem das Bedürfnis nach Parteiautonomie unter Umständen zurücktreten muss. 100 Freilich beschränkt die Verordnung diesen Schutzgedanken ausdrücklich auf Verbraucher, Arbeitnehmer und Versicherungsnehmer.101 Auch eine teleologische Auslegung ergibt daher keine Notwendigkeit der Einführung einer allgemeinen Missbrauchskontrolle. Im Ergebnis ist die Zulässigkeit einer anhand autonomer Kriterien entwickelten Missbrauchskontrolle im Rahmen des Art. 25 Brüssel Ia-VO daher abzulehnen. II. Rückgriff auf die lex causae? Sieht man in Art. 25 Brüssel Ia-VO keinen Raum für eine unionsrechtliche Missbrauchskontrolle, so ist fraglich, ob zumindest ein Rückgriff auf das Statut, dem die Gerichtsstandsvereinbarung unterliegt, zulässig ist. Während bei Rechtsfragen, die von Art. 25 Brüssel Ia-VO ganz offensichtlich ausge94
Horn, IPRax 2006, 2, 4; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 73; Weigel/ Blankenheim, WM 2006, 664, 667; diese Gefahr eingestehend, wenn auch mit anderer Schlussfolgerungen: Heinig, 405 f.; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 484. 95 Zum Begriff: Kropholler/von Hein Art. 27 Rn. 10 f.; Schack, IZVR, Rn. 851. 96 Horn, IPRax 2006, 2, 4; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 73; Weigel/ Blankenheim, WM 2006, 664, 667. 97 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 05.04.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 168 vom 23.11.1995, S. 29 ff. 98 EuGH, Urteil vom Urteil vom 27.06.2000, Rs. C-240/98 bis C-244/98 (Océano Grupo Editorial SA/Rocío Murciano Quintero [C-240/98] u. Salvat Editores SA/José M. Sánchez Alcón Prades [C-241/98], José Luis Copano Badillo [C-242/98], Mohammed Berroane [C-243/98], Emilio Viñas Feliu [C-244/98]), EuGHE 2000 I-4941 Rn. 29; Leible, RIW 2001, 422, 430 f.; Schwartze, JZ 2001, 246, 248; eine Wirkung der Klausel-RL im Rahmen des Art. 23 selbst bei Verbraucherverträgen ablehnend: Borges, RIW 2000, 933, 938. 99 Auf diese Regelwerke verweisen dennoch: Heinig, S. 412 ff.; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 185. 100 Erwägungsgrund 18, 19 Brüssel Ia-VO; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 74. 101 Erwägungsgrund 18, 19 Brüssel Ia-VO; vgl. Rauscher/Mankowski Art. 23 Rn. 12j.
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klammert werden, wie etwa der Behandlung von Geschäftsfähigkeit, Willensmängeln, Fristen oder Widerruflichkeit, ein Rückgriff auf das mittels IPR ermittelte Vertragsstatut ohne Alternative ist, 102 verbietet sich ein solcher für das bloße Zustandekommen eines Konsenses oder für die inhaltliche Bewertung einer Abrede zwischen den Parteien, denn dies regelt die Brüssel IaVerordnung abschließend.103 Vertreten wird ein Rückgriff auf die lex causae für eine allgemeine Missbrauchskontrolle mit dem Argument, hierbei handele es sich um eine komplexe Frage der materiellen Wirksamkeit des Vertragsschlusses.104 Dagegen spricht freilich, dass der EuGH der Einhaltung der Formerfordernisse des Art. 25 Brüssel Ia-VO bereits sehr weitgehende Indizwirkung für einen Vertragsschluss einräumt. Anhand des Tatbestandsmerkmals der Vereinbarung prüft der EuGH, ob autonom unionsrechtliche Anforderungen an eine wirksame Abrede erfüllt sind. 105 Eine inhaltliche Überprüfung der Willenseinigung nach der lex causae kann daneben nicht bestehen.106 Sie würde die von der Verordnung angestrebte europäische Rechtsvereinheitlichung und dadurch bewirkte Rechtssicherheit zunichte machen.107 Parteien wie Gerichten wäre die Zuständigkeit eines Forums nicht ohne ein Heranziehen des mittels IPR ermittelten materiellen Rechts möglich. Dies ist eine Unsicherheit, welche die Brüssel Ia-VO zu vermeiden sucht. Auch die oben angeführten Erwägungen des EuGH in Trasporti Castelletti108 sprechen dagegen, eine Missbrauchskontrolle anhand der lex causae vorzunehmen, denn in einem solchen Fall wäre die Möglichkeit einer Entscheidung über die eigene Zuständigkeit, ohne in eine Sachprüfung eintreten zu müssen, erheblich eingeschränkt. 109
102
Geimer/Schütze/Geimer Art. 23 Rn. 81 f.; Rauscher/Mankowski Art. 23 Brüssel IVO Rn. 41. 103 Kröll, ZZP 113, 135, 144 (2000); Lindacher, FS Schlosser 491, 496; Rauscher, ZZP 104, 271, 179 (1991). 104 Geimer/Schütze/Auer, Internationaler Rechtsverkehr, Art. 23 Rn. 82; Rauscher/Mankowski Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 12i. 105 EuGH, Urteil vom 14.12.1976, Rs. C-24/76 (Estasis Salotti di Colzani Aimo e Gianmario Colzani s.n.c. gegen Rüwa Polstereimaschinen GmbH), EuGHE 1976, 1831, 1841 Rn. 7; Urteil vom 14.12.1976, Rs. C-25/76 (Galeries Segoura SPRL gegen Rahim Bonakdarian), EuGHE 1976, 1851, 1860 Rn. 6. 106 Vgl. zur Zulässigkeit einer AGB-Kontrolle nach lex causae: Lindacher, FS Schlosser, S. 491, 493. 107 Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56,68 f.; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 482. 108 EuGH, Urteil vom 16.03.1999, Rs. C-159/07 (Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA gegen Hugo Trumpy SpA), EuGHE 1999, 1597 Rn. 49–51. 109 Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56,69; Horn, IPRax 1992, 2; Kröll, ZZP 113, 135, 150 (2000); Leible/Röder, RIW 2007, 481, 482; zum EuGVÜ bereits H. Roth, IPRax 1992, 67, 69.
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III. Zwischenergebnis Die Auslegung der Brüssel Ia-Verordnung ergibt, dass Art. 25 keine ungeschriebene autonome Missbrauchskontrolle enthält und sich auch ein Rückgriff auf die lex causae verbietet. Ob eine Missbrauchskontrolle de lege ferenda erstrebenswert ist, 110 ist an späterer Stelle zu erörtern. 111 C. Absicherung international zwingenden Rechts In der Untersuchung des europäischen Internationalen Privatrechts ist festgestellt worden, dass in Einzelfällen ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers de lege lata über Eingriffsnormen hergestellt wird. Unabhängig von der Kritik an diesem methodischen Weg stellt sich die Frage, wie Gerichtsstandsvereinbarungen zu behandeln sind, welche die Gefahr bergen, dass das prorogierte Gericht international zwingendes Recht des forum derogatum nicht anwenden wird und dadurch zur Folge haben, dass der vom Normgeber bezweckte Schutz der schwächeren Partei umgangen wird.112 Einem französischen Subunternehmer könnte mittels der Bestimmung der Zuständigkeit deutscher Gerichte sowie der Wahl deutschen Rechts durch einen deutschen Vertragspartner die Schutzwirkung des von der französischen Rechtsprechung als Eingriffsnorm angesehenen Durchgriffsanspruchs nach Art. 14 des Subunternehmergesetzes entzogen werden. Denn deutsche Gerichte können ausländischen Eingriffsnormen nur unter den engen – hier nicht erfüllten – Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO Wirkung verleihen.113 Denkbar ist eine diesbezügliche Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen zum einen im Zeitpunkt der Anerkennung und Vollstreckung eines Urteils. Für diesen Zeitpunkt erlaubt die ordre public-Kontrolle des Art. 45 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO eine Überprüfung des am forum prorogatum gefundenen materiellrechtlichen Ergebnisses. Insbesondere ist eine Überprüfung im Hinblick auf die Berücksichtigung von Eingriffsnormen grundsätzlich möglich.114 Zum anderen ließe sich vor Erlass eines Urteils bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über die Wirksamkeit der Derogation im Rahmen des Art. 25 Brüssel Ia-VO eine Prognose über die voraussichtliche Nichtanwendung des international zwingenden Rechts des derogierten Forums durch das
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Dazu Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 77 ff.; kritisch: Horn, IPRax 2006, 2, 3 f. Siehe unten § 2B.II. 112 Heinig, S. 417; vgl. Geimer/Schütze/Geimer Einl. Rn. 79. 113 Siehe dazu bereits oben § 1B.V.1.c). 114 Kropholler/von Hein Art. 34 Rn. 17; Rauscher/Leible Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 19; ausführlich auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 743; weitergehend auch unten zum deutschen Recht § 2A.VI. 111
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gewählte Gericht vornehmen. 115 Der Sache nach würde es sich um eine vorgezogene ordre public-Kontrolle handeln. Eine Prüfung zu diesem Zeitpunkt ist für den strukturell unterlegenen Unternehmer günstiger, denn sie erspart ihm die Prozessführung in einem für ihn aufgrund der Nichtanwendung von Eingriffsrecht potentiell nachteiligen Forum. Gegen die Zulässigkeit einer solchen Kontrolle sprechen die oben angeführten Argumente freilich noch deutlicher als gegen eine nach unionsrechtlichen Maßstäben durchzuführende Missbrauchskontrolle. Denn wohingegen an letztere ihrer Konzeption folgend unionsweit einheitliche Kriterien zu stellen wären, wäre ein Rückgriff auf den mitgliedstaatlichen ordre public zur Beurteilung der Wirksamkeit der Derogation ein Einfallstor für nationale Wertungen, welches die von der Brüssel Ia-Verordnung angestrebte Rechtsvereinheitlichung zunichte machen würde.116 Dementsprechend finden sich in der Literatur kaum Stimmen, die eine ordre public-Kontrolle im Rahmen von Art. 25 Brüssel Ia-VO für zulässig erachten. 117 Gegen eine ordre public-Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen spricht ein Umkehrschluss aus Art. 45 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO, der eine solche (allein) im Zeitpunkt der Anerkennung vorsieht. 118 Noch deutlicher als eine autonome Missbrauchskontrolle würde ein Rückgriff auf den mitgliedstaatlichen ordre public der Entscheidung des EuGH in Trasporti Castelletti widersprechen, in welcher der Gerichtshof die Überprüfung der Angemessenheit einer Gerichtsstandsklausel ablehnt und dem am gewählten Gerichtsstand geltenden materiellen Recht einen Einfluss auf die Wirksamkeit der Klausel verweigert. 119 Die Brüssel Ia-Verordnung basiert ferner ganz erheblich auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die Justiz der anderen Mitgliedstaaten.120 Den mitgliedstaatlichen Gerichten die Möglichkeit einzuräumen, aufgrund einer Prognose über das anwendbare materielle Recht, eine Gerichtsstandsvereinbarung für unzulässig zu erklären, würde diesem Vertrauensgrundsatz eklatant widersprechen. 121 Dafür, international
115
Heinig, S. 417; Kohler, IPRax 1983, 265, 271; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 10; vgl. OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322; ausführlich unten zum deutschen Recht § 2A.VI. 116 Ebenfalls einer ordre public-Kontrolle stehen ablehnend gegenüber: OLG Stuttgart, Urteil vom 09.11.1990, EuZW 1991, 125; Heinig, S. 427; Geimer/Schütze/Geimer Einl. Rn. 79; Kropholler/von Hein Art. 23 Rn. 22; Redmann, S. 192 f.; Reithmann/ Martiny/Hausmann Rn. 6487; Schack, IZVR, Rn. 539; G. Wagner, Prozessverträge, S. 379 f. 117 So aber Kohler, IPRax 1983, 265, 271 f.; Wiedemann/Bumiller/Bumiller, Handbuch des Kartellrechts, § 60 Rn. 48; aufgegeben hat diese Ansicht hingegen Immenga/ Mestmäcker/Rehbinder § 130 Rn. 342. 118 Heinig, S. 421. 119 EuGH, Urteil vom 16.03.1999, Rs. C-159/07 (Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA gegen Hugo Trumpy SpA), EuGHE 1999, 1597 Rn. 51. 120 Erwägungsgrund 26 Brüssel Ia-VO. 121 Redmann, S. 163.
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zwingendem Recht der Mitgliedstaaten die Wirkung eines Derogationsverbots zukommen zu lassen, bleibt kein Raum.122 Zu bedenken ist ferner, dass die mit der Brüssel Ia-Verordnung in Zusammenhang123 stehende Rom I-Verordnung bereits den im Rahmen der ordre public-Kontrolle von Gerichtsstandsklauseln diskutierten Fall der Entziehung aus dem Wirkungsbereich nationaler Eingriffsnormen erfasst. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO bietet die – freilich begrenzte – Möglichkeit, international zwingendes Recht anderer Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. 124 Die Annahme, Art. 25 Brüssel Ia-VO erfordere eine darüber hinaus gehende Berücksichtigung forumsfremder Eingriffsnormen, indem man diesen die Möglichkeit zuspricht, Gerichtsstandsvereinbarungen zu invalidieren, führt zu einem Bruch mit der Rom I-Verordnung.125 Im Beispielsfall würde das zu dem zweifelhaften Ergebnis führen, dass es deutschen Gerichten wegen der engen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zwar verwehrt wäre, die Normen des Subunternehmergesetzes trotz einer anders lautenden Rechtswahl durchzusetzen, französische Gerichte aber aufgrund dieser Rechtsanwendung deutscher Gerichte von der ordre public-Widrigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ausgehen müssten. Dieser Bruch mag Folge der bewussten Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung sein, freilich spricht wenig dafür, ihn durch die Berücksichtigung von Eingriffsnormen im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu verschärfen. 126 Zur Absicherung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen genügt im Europarecht der Verweis auf den anerkennungsrechtlichen ordre public nach Art. 45 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO. Zum Zeitpunkt der Anerkennung steht sicher fest, ob die Nichtberücksichtigung von Eingriffsnormen durch ein ausländisches Forum ein materiellrechtlich untragbares Ergebnis bewirkt hat. Erst in diesem Fall kann eine Anerkennung ausnahmsweise versagt werden. 127 Die hierdurch verursachte zusätzliche Belastung der von einer Eingriffsnorm geschützten Partei muss hinter dem gegenseitigen Vertrauen in die mitgliedstaatlichen Gerichte zurückstehen.
122
Geimer/Schütze/Geimer Einl.79; Rauscher/von Hein Art. 23 Rn. 22. Siehe zum Einklang von Rom I-VO und Brüssel Ia-VO Erwägungsgrund 7 Rom IVO; vgl. auch Rauscher/von Hein Einl. Rom I-VO Rn. 21. 124 Hierzu bereits oben § 1B.V.1.c). 125 Kropholler/von Hein Art. 23 Rn. 22; a.A.: Gottwald, FS Firsching, S. 89, 106; einen Zusammenhang zwischen Brüssel I-VO und EVÜ bestreitet auch Redmann, S. 174 f. 126 Für eine bloß zurückhaltende Berücksichtigung von Eingriffsnormen im Rahmen der ordre public-Prüfung des Art. 34 Nr. 1 Brüssel I-VO bzw. Art. 45 Abs. 1 lit. a) Brüssel IVO auch: Kropholler/von Hein Art. 34 Rn. 17; Rauscher/Leible Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 19. 127 So übereinstimmend: Kropholler/von Hein Art. 34 Rn. 17; Rauscher/Leible Art. 34 Rn. 19. 123
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D. Zwischenergebnis Im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht besteht folglich kein flächendeckender Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers. Kommerziell tätige Versicherungsnehmer hingegen werden durch das Unionsrecht auch zuständigkeitsrechtlich umfassend begünstigt.
§ 2 Deutsches Internationales Zivilverfahrensrecht § 2 Deutsches Internationales Zivilverfahrensrecht
A. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen I. Verbleibender Anwendungsbereich des autonomen Zivilverfahrensrechts Anders als im Internationalen Vertragsrecht bleibt dem autonomen deutschen Zivilverfahrensrecht ein Anwendungsbereich vorbehalten, da das in der Brüssel Ia-Verordnung kodifizierte Unionsrecht anders als die Rom I-Verordnung keine universelle Anwendbarkeit beansprucht. Nichtsdestotrotz ist der dem nationalen Recht verbleibende Anwendungsbereich schmal, denn die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-Verordnung erfordert im Regelfall lediglich das Bestehen des Beklagtenwohnsitzes in einem Mitgliedstaat. Konstellationen, in welchen der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, unterfallen gemäß Art. 6 Brüssel Ia-VO grundsätzlich nicht der Verordnung, sondern dem autonomen Recht. Im Falle des Vorliegens einer Gerichtsstandsvereinbarung genügt für die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-Verordnung gemäß Art. 25 Abs. 1 bereits die Prorogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts. Weitere Bezüge zu einem Mitgliedstaat sind nicht erforderlich, 128 sodass bereits de lege lata auch Sachverhalte mit Drittstaatenberührung erfasst werden.129 Eine Bedeutung für den internationalen Handel entfaltet das autonome deutsche Prozessrecht zuvorderst mittels des Vermögensgerichtsstands des § 23 ZPO, im Falle eines inländischen Erfüllungsortes nach § 29 ZPO sowie eines inländischen Tatortes nach § 32 ZPO. Von großer Bedeutung im Kontext dieser Arbeit ist darüber hinaus die Überprüfung der Derogation eines deutschen Gerichtsstandes zugunsten eines drittstaatlichen Forums nach § 38 ZPO.130 Das autonome Prozessrecht kommt hier zum Tragen, wenn kein
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Siehe bereits oben § 1A.III. OLG München, RIW 1989, 901; Geimer, IPRax 1991, 31; Rauscher/Mankowski Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 5. 130 Zum verbleibenden Anwendungsbereich der §§ 38, 40 ZPO siehe MünchKommZPO/Gottwald, Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 11; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6373. 129
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Schutzgerichtsstand der Brüssel Ia-Verordnung im Raum steht.131 § 38 ZPO findet hingegen keine Anwendung, wenn die Prorogation eines drittstaatlichen Gerichts zugleich die Derogation einer solchen nicht dispositiven Zuständigkeit der Brüssel Ia-Verordnung darstellt.132 Dies ergibt sich aus der notwendigen Sicherstellung der Schutzgerichtsstände der Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO auch in Sachverhalten mit Drittstaatenberührung.133 Damit verbleibt dem autonomen Recht zwar ein nur schmaler, jedoch sehr relevanter Anwendungsbereich. Erfasst ist etwa der Fall, dass ein deutscher Unternehmer gegen seinen in den Vereinigten Staaten ansässigen Vertragspartner vorgeht und sich auf die Gerichtsstände nach § 23 oder § 29 ZPO berufen möchte. Haben die Parteien eine Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten US-amerikanischer Gerichte getroffen, so ist die Wirksamkeit der Derogation am Maßstab des § 38 ZPO zu bewerten. In dessen Rahmen ist die Frage zu stellen, ob die Gerichtsstandsvereinbarung den strukturell unterlegenen Unternehmer unangemessen benachteiligt und welche Auswirkung eine solche Benachteiligung auf die Wirksamkeit der Abrede hat. Im Versicherungsvertragsrecht wird diese Konstellation vom vorrangigen Schutzgerichtsstand des § 215 VVG erfasst, dessen Wirkung indes stark umstritten ist und zunächst untersucht werden soll. II. Der Sonderfall des § 215 VVG Wie schon in der Untersuchung des Internationalen Privatrechts deutlich wurde, ist das Versicherungsrecht eine Materie, in der die Tendenz seitens des deutschen wie des europäischen Gesetzgebers besteht, einen Schutz des Versicherungsnehmers unabhängig davon zu gewährleisten, ob dieser Verbraucher oder Unternehmer ist, weil der Versicherungsnehmer grundsätzlich als dem Versicherer strukturell unterlegen angesehen wird. Der im autonomen Internationalen Zivilverfahrensrecht einschlägige § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG eröffnet dem Versicherungsnehmer einen Klägergerichtsstand an seinem eigenen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zusätzlich zum allgemeinen Gerichtsstand am Sitz des Versicherers.134 Gemäß dem Prinzip der Doppelfunktionalität gilt dies auch für die internationale Zuständigkeit in grenzüberschreitenden Konstellationen. 135 Zum Schutz des Versicherungsnehmers ist der Klägergerichtsstand gemäß § 215 Abs. 3 VVG grundsätzlich 131
MünchKommZPO/Gottwald Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 11; Reithmann/ Martiny/Hausmann Rn. 6373; Rauscher/Mankowski Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 3a; vgl. Geimer/Schütze/Geimer Art. 23 Rn. 43. 132 So jedenfalls die weit überwiegende Ansicht. Statt vieler siehe Geimer/ Schütze/Geimer Art. 23 Rn. 41 ff.; Rauscher/Mankowski Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 3b jeweils mit weiteren Nachweisen. 133 Rauscher/Mankowski Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 3b. 134 Fricke, VersR 2009, 15; MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 16. 135 MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 68.
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unabdingbar, es sei denn, der Versicherungsnehmer verlegt nach Abschluss des Vertrages seinen Wohnsitz aus dem Geltungsbereich des VVG. Nach § 215 Abs. 1 Satz 2 ist darüber hinaus der passive Gerichtsstand des Versicherungsnehmers unabdingbar an dessen Wohnsitz festgeschrieben. Freilich kommt letzterer Bestimmung neben den vorrangigen Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bzw. 12 Abs. 1 LugÜ in Fragen der internationalen Zuständigkeit keinerlei Bedeutung mehr zu. 136 1. Definition des Schutzbereichs Stark umstritten ist indes, ob und inwiefern nach autonomem deutschen Recht ein zuständigkeitsrechtlicher Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers besteht. Eine Ansicht in der Literatur 137 und die zu § 215 VVG bereits ergangene untergerichtliche Rechtsprechung138 wollen den Anwendungsbereich der Norm auf natürliche Personen eingrenzen. Weitergehend wird zum Teil gefordert, den Anwendungsbereich mittels teleologischer Reduktion auf Verbraucher zu beschränken. 139 Nach, wie zu zeigen sein wird, zutreffender Ansicht gilt § 215 VVG hingegen grundsätzlich ausnahmslos für natürliche wie juristische Personen sowie für mit letzteren gleichgestellte Gesamthandsgemeinschaften.140 Ausgangspunkt der Ansichten, die den Anwendungsbereich der Schutzgerichtsstände einschränken wollen, ist der Wortlaut des § 215 Abs. 1 VVG, der auf den Wohnsitz, hilfsweise auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers abstellt. Diese Terminologie lasse keinen Raum für die Anwendbarkeit auf juristische Personen und sonstige Personenmehrheiten, denn die §§ 13, 17 ZPO differenzierten klar zwischen dem Sitz einer juristischen Person und dem Wohnsitz einer natürlichen Person. Da § 215 VVG nicht auch den Sitz miteinbeziehe, seien juristische Personen vom Anwendungsbereich der Norm nicht erfasst. 141 Dieses Argument kann schwerlich überzeugen, da die Begriffe Sitz und Wohnsitz auf denselben räumlichen Bezugspunkt abzielen. 142 Besonders deutlich wird dies, zieht man rechtsvergleichend Art. 62 und 63 Brüssel Ia-VO heran, die unverkenn136
MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 65. Franz, VersR 2008, 298, 307; Prölss/Martin/Klimke § 215 VVG Rn. 11 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Klär § 215 VVG Rn. 9. 138 LG Berlin, Urteil vom 30.09.2010, NJW-RR 2011, 537; LG Limburg, Urteil vom 14.12.2010, VersR 2011, 609. 139 Grote/Schneider, BB 2007, 2689, 2701; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 215 VVG Rn. 11. 140 Bauer/Rajkowski, VersR 2010, 1559, Fricke, VersR 2009, 15, 16; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 267, MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 14; Wagner, VersR 2009, 1589. 141 LG Berlin, Urteil vom 30.09.2010, NJW-RR 2011, 537; LG Limburg, Urteil vom 14.12.2010, VersR 2011, 609; Franz, VersR 2008, 298, 307; Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG Rn. 11 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Klär, § 215 VVG Rn. 9. 142 Fricke, VersR 2009, 15, 16. 137
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bar machen, dass es sich beim Sitz einer juristischen Person nur um einen Unterfall des allgemeinen Begriffs Wohnsitz handelt. 143 Zum anderen stellt § 215 VVG in Ermangelung eines Wohnsitzes auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers ab. Der gewöhnliche Aufenthalt juristischer Personen befindet sich ohne Zweifel an deren Sitz.144 Die von der einschränkenden Ansicht ebenfalls herangezogene Gesetzesbegründung lässt die Frage des Anwendungsbereichs unberührt. Die Feststellung des Gesetzgebers, durch die Regelung des § 215 VVG werde „auch der prozessuale Rechtsschutz des Verbrauchers erheblich gestärkt“, 145 legt den Schluss nahe, die Stärkung des Verbraucherschutzes als nur eines von mehreren Anliegen des § 215 VVG anzusehen.146 Darüber hinaus sprechen systematische Überlegungen gegen eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des Klägergerichtsstands auf natürliche Personen. Auch eine Reihe anderer Vorschriften des VVG schützt den Versicherungsnehmer unabhängig von seiner Stellung als natürliche oder juristische Person. So greifen beispielsweise die Beratungs- und Informationspflichten sowie das Widerrufsrecht nach den §§ 6 ff. VVG auch zugunsten des als juristische Person organisierten, gewerblichen Versicherungsnehmers regulierend in die Vertragsfreiheit ein. 147 Eine Ausnahme gilt gemäß § 210 VVG allein für Versicherungsnehmer bei Verträgen über Großrisiken.148 Weshalb die übrigen Vorschriften derart weitgehend auf unternehmerische Versicherungsnehmer Anwendung finden sollen, die prozessrechtliche Bestimmung des § 215 VVG indes eine weitere Binnendifferenzierung erfordern soll, ist nicht ersichtlich. Hätte der Gesetzgeber den Kreis der zu schützenden Personen bei § 215 VVG enger ziehen wollen, so hätte ein ausdrücklicher Hinweis in Gesetzesbegründung oder Wortlaut nahe gelegen. 149 Aus demselben Grund kann auch der teleologische Ansatz der Gegenansicht, die davon ausgeht, Versicherungsnehmer, die als juristische Person konstituiert sind, seien nicht schutzbedürftig, nicht überzeugen. 150 Auch Kleinunternehmer, die einen Vertrag über die Absicherung eines Massenrisikos abschließen, sind unabhängig davon als schutzbedürftig anzusehen, ob sie als natürliche Person 143 144
Fricke, VersR 2009, 15, 16; Rauscher/Staudinger Art. 60 Brüssel I-VO Rn. 1. Vgl. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 Rom I-VO, dazu Rauscher/Thorn Art. 19 Rom I-VO
Rn. 8. 145
BT-Drucks. 16/3945, S. 117 (Hervorhebung durch den Verfasser). Fricke, VersR 2009, 15, 16; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 267; MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 10; Wagner, VersR 2009, 1589. 147 Fricke, VersR 2009, 15, 16; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 267; MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 12. 148 Hierauf weisen auch Fricke, VersR 2009, 15, 16 und Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 267 hin. 149 Fricke, VersR 2009, 15, 16; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 267. 150 So aber: Grote/Schneider, BB 2007, 2689, 2701; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Muschner § 215 VVG Rn. 11; Prölss/Martin/Klimke § 215 VVG Rn. 12. 146
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oder Gesellschaft auftreten. 151 Das deutsche Recht übernimmt im Zuge der Richtlinienumsetzung insofern die Wertungen des Unionsrechts und bestimmt die Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers anhand des versicherten Risikos. 152 Es mutet auch teleologisch fragwürdig an, eine weitere Differenzierung danach einzuführen, ob es sich beim Versicherungsnehmer um eine natürliche oder juristische Person handelt. Denn das daraus folgende Resultat, dass ein Einzelkaufmann per se schutzbedürftiger ist als eine mit juristischen Personen gleichzustellende Gesamthandsgemeinschaft wie etwa einer Offenen Handelsgesellschaft oder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, kann vor den aufgezeigten Wertungen nicht bestehen. 153 Erst recht sprechen die angeführten Argumente gegen eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Norm auf Verbraucher, denn abgesehen davon, dass der Wortlaut keinerlei Indizien dafür bereithält, in § 215 von einem engeren Versicherungsnehmerbegriff auszugehen als im übrigen VVG, fehlt der folglich notwendigen teleologischen Reduktion das hinreichende Fundament, da das Versicherungsvertragsrecht, wie gezeigt, auch den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers bezweckt.154 Daher besteht sehr wohl ein Grund, auch kommerziell tätigen Versicherungsnehmern einen Klägergerichtsstand an ihrem Wohnsitz zu eröffnen. 155 2. Bewertung Dass § 215 VVG im Ergebnis auch gewerbliche Versicherungsnehmer schützt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Norm misslungen ist, denn es fehlt an einer Definition des Schutzbereichs. Zwar ist die Abgrenzung anhand natürlicher und juristischer Personen ebenso wie anhand der Dichotomie von Verbraucher und Unternehmer, wie gesehen, untauglich. Das Anliegen, eine Eingrenzung vorzunehmen, ist indes berechtigt. Der Wortlaut des § 215 VVG erfasst grundsätzlich jeglichen Versicherungsnehmer und verzichtet auf eine ausdrückliche Differenzierung nach der Schutzbedürftigkeit anhand des versicherten Risikos. 156 Insbesondere fehlt ein ausdrücklicher Hinweis auf § 210 VVG, wie ihn andere Vorschriften zum Schutz des Versicherungsnehmers enthalten und welcher die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG auf Großrisiken und laufende Versicherungen unan151 Fricke, VersR 2009, 15, 16; MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 13; a.A.: Prölss/Martin/Klimke § 215 VVG Rn. 12. 152 Reithmann/Martiny/Schnyder Rn. 4731. 153 Fricke, VersR 2009, 15, 16; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 266 f.; MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 10. 154 Fricke, VersR 2009, 15, 17; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 267; Wagner, VersR 2009, 1589. 155 a.A.: Grote/Schneider, BB 2007, 2689, 2701; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner § 215 VVG Rn. 11. 156 Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 267.
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wendbar erklärt.157 Es liegt angesichts der im Versicherungsrecht allgegenwärtigen Abgrenzung anhand von Massen- und Großrisiken jedoch nahe, auch ohne ausdrücklichen Verweis die Generalklausel des § 210 Abs. 1 VVG auf die Beschränkungen der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie nach § 215 VVG anzuwenden und diese folglich in Versicherungsverträgen über Großrisiken unbeschränkt zuzulassen. 158 Der Wortlaut des § 210 Abs. 1 VVG weist hierfür die nötige Weite auf. Ein solches Vorgehen stünde auch mit den Wertungen der Brüssel Ia-Verordnung in Einklang, die für Großrisiken insofern ebenfalls ein erhöhtes Maß an Parteiautonomie vorsieht, als sie die Schutzgerichtsstände in diesen Fällen für abdingbar erklärt. 159 Im Ergebnis erleichtert § 215 VVG durch die Begründung eines unabdingbaren Klägergerichtsstand auch zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers diesem die Durchsetzung eigener Ansprüche. Denn die Hemmschwelle, einen Prozess an seinem eigenen Sitz anzustrengen, ist aufgrund niedrigerer Kosten und größerer Vertrautheit mit dem eigenen Rechtssystem offensichtlich geringer. III. Überblick über § 38 ZPO Während § 215 VVG einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers nur im Internationalen Versicherungsrecht gewährleistet, ist die Überprüfung von Gerichtsstandsvereinbarungen in sonstigen Fällen mit Drittstaatenbezug, in denen die Brüssel Ia-VO keine vorrangige Anwendung beansprucht, an §§ 38, 40 ZPO vorzunehmen. Die Vorschriften erfassen dabei sowohl die Prorogation deutscher Gerichte als auch in analoger Anwendung die Überprüfung der Derogation der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. 160 Umstritten ist das Verhältnis von § 38 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Während § 38 Abs. 1 Kaufleuten 161 eine formlose Gerichtsstandsvereinbarung ermöglicht, sieht § 38 Abs. 2 ZPO für Sachverhalte, in denen mindestens eine Partei keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, die Möglichkeit einer schriftlichen oder schriftlich bestätigten Vereinbarung vor. Nach herrschender Meinung greift die durch Abs. 1 ermöglichte formlose Prorogation auch im internationalen Rechtsverkehr zwischen Kaufleuten. 162 Nach abweichender An157
Siehe etwa §§ 6 Abs. 6, 7 Abs. 5, 8 Abs. 3 VVG. Vgl. Fricke, VersR 2009, 15, 21, der für eine entsprechende Einschränkung de lege ferenda eintritt. 159 Dazu ausführlich unten § 1A. 160 BGH, Urteil vom 12.03.1984, IPRax 1985, 216 m. Anm. G. Roth, 198; von Hoffmann/Thorn, IPR § 3 Rn. 89. 161 Die Ausfüllung des Begriffs Kaufmann bestimmt nach den §§ 1 ff. HGB, MünchKommZPO/Patzina § 38 Rn. 15. 162 OLG Saarbrücken, Urteil vom 21.09.1988 , NJW-RR 1989, 828; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1608; MünchKommZPO/Patzina § 38 Rn. 24; Nagel/Gottwald § 3 Rn. 372; Schack, IZVR, Rn. 502; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 83. 158
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sicht besteht hingegen das Formerfordernis nach Abs. 2 auch im Internationalen Handelsrecht. 163 Gegen letzteres spricht freilich, dass § 38 Abs. 2 ZPO lediglich eine Erweiterung und keine Begrenzung der Parteiautonomie bezweckt, wie sich bereits aus dem Wortlaut („ferner“) ergibt. Abs. 1 hingegen erfasst, wie sämtliche Zuständigkeiten der §§ 12 ff. ZPO, über den Wortlaut hinaus neben der örtlichen auch die internationale Zuständigkeit und regelt damit abschließend die internationale Gerichtsstandsvereinbarung zwischen Kaufleuten als lex specialis zu Abs. 2.164 Hierfür lässt sich auch der Telos der Vorschrift anführen, nach welchem keine Notwendigkeit darin besteht, geschäftserfahrenen Kaufleuten das schützende, aber hinderliche Erfordernis einer Schriftform aufzubürden. 165 Für die Möglichkeit der formlosen Vereinbarung wird zudem zu Recht vorgebracht, dass Schriftformerfordernisse für Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Handelsverkehr eher unüblich sind.166 Auch Art. 25 Brüssel Ia-VO sowie Art. 3 des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2006 setzen keine schriftliche Vereinbarung voraus. 167 In den in dieser Arbeit untersuchten Konstellationen ist die Wahl eines deutschen Gerichtsstandes ebenso wie die Derogation der Zuständigkeit deutscher Gerichte somit grundsätzlich formlos möglich. Zu untersuchen bleibt, welche anderen Begrenzungen zum Schutze des strukturell unterlegenen Unternehmers das deutsche Internationale Zivilprozessrecht aufweist. Zunächst ist fraglich, auf welche Rechtsquellen bei der Untersuchung der Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen nach autonomem Recht zurückgegriffen werden kann. Unstreitig ist zunächst, dass Zulässigkeit, Form und prozessuale Wirkungen der Abrede abschließend in §§ 38, 40 ZPO geregelt sind. 168 Das Zustandekommen der Abrede und die materielle Wirksamkeit richten sich hingegen nach heute herrschender Ansicht aufgrund der Qualifikation als materiellrechtlicher Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen nach dem mittels Kollisionsrecht zu ermittelnden Vertragsstatut. 169 163 OLG Nürnberg, Urteil vom 28.11.1985, NJW 1985, 1296; AG BerlinCharlottenburg, Beschluss vom 23.12.1974, NJW 1975, 502; Zöller/Vollkommer § 38 Rn. 25. 164 OLG Saarbrücken, Urteil vom 21.09.1988, NJW-RR 1989, 828; Schack, IZVR, Rn. 502. 165 OLG Saarbrücken, Urteil vom 21.09.1988, NJW-RR 1989, 828, 829. 166 Schack, IZVR Rn. 502; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 83. 167 Vgl. MünchKommZPO/Patzina § 38 Rn. 24. 168 Statt aller: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1619 ff. 169 BGH, Urteil vom 15.04.1970, NJW 1971, 323; BGH, Urteil vom 24.11.1988, NJW 1989, 1431; BGH, Urteil vom 18.03.1997, NJW 1997, 2885; Nagel/Gottwald § 3 Rn. 369; zum gleichen Ergebnis kommt eine Ansicht, die die Gerichtsstandsabrede zwar als Pr ozessvertrag einstuft, aber mangels Regelung in der ZPO doch auf das Vertragsstatut zurückgreift: Stein/Jonas/Bork § 38 Rn. 21, 48; eine ältere Ansicht, die dem Reichsgericht
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Die Rom I-Verordnung kommt indes wegen des Ausschlusses in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO nicht in Betracht. Vorgeschlagen wird dennoch eine analoge Anwendung der Bestimmungen, denn jedenfalls auf Ebene des nationalen Rechts lässt sich eine planwidrige Regelungslücke ausmachen. 170 Aus der analogen Anwendung der Rom I-Verordnung folgt der grundsätzliche Vorrang der subjektiven vor der objektiven Anknüpfung. Erschwert wird die Bestimmung des anwendbaren Statuts freilich dadurch, dass die Parteien in den seltensten Fällen eine ausdrückliche Rechtswahl für die Gerichtsstandsklausel treffen dürften. Die wohl herrschende Meinung schließt von einer Rechtswahl bezüglich des Hauptvertrags auf eine gleichlautende, konkludente Wahl des auf die Prozessabrede anwendbaren Rechts. Zur Anwendbarkeit des Statuts des Hauptvertrags führt dieser Ansicht zufolge auch die objektive Anknüpfung, die akzessorisch an den Hauptvertrag vorzunehmen und dessen Statut zu unterstellen sei. 171 Eine andere Ansicht spricht sich gegen die vorschnelle Annahme einer konkludenten Rechtswahl und für die selbstständige Anknüpfung der Gerichtsstandsabrede aus, die ihren objektiven Schwerpunkt in diesem Falle am Sitz des prorogierten Gerichts haben dürfte und sich folglich nach dessen lex fori beurteilt.172 Für die herrschende Meinung wird angeführt, dass die Annahme einer konkludenten Rechtswahl bzw. die Vornahme einer akzessorischen Anknüpfung eine Aufspaltung eines an sich einheitlichen Vertrages in zwei Teile vermeide.173 Für eine Trennung der Gerichtsstandsabrede und des Hauptvertrags spricht freilich, dass die Funktion der Zuständigkeitsvereinbarung eine andere ist als die des Hauptvertrags und erstere nicht lediglich ein Anhängsel des letzteren darstellt. Das Interesse der Parteien an der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung besteht schließlich auch im Falle der Unwirksamkeit des Hauptvertrags. 174 Zuständigkeitsvereinbarung und Austauschvertrag verfolgen unterschiedliche Zwecke. 175 Die Rechtsordnung des Hauptvertrags wird von den Parteien in aller Regel in Bezug auf die Haupt- und Nebenpflichten eben dieses Vertrags gewählt. Diese Erwägungen sind für die Anknüpfung der Gerichtsstandsabrede jedoch
folgt, stuft die Gerichtsstandsabrede als Prozessvertrag ein und unterstellt auch das Zustandekommen der Abrede der lex fori: RG, Urteil vom 09.06.1936, IPRspr. 1935–1944 Nr. 532; dem folgend auch Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1677. 170 Palandt/Thorn Art. 1 Rom I-VO Rn. 11; Rauscher/von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 39; Staudinger/Magnus Art. 1 Rom I-VO Rn. 77. 171 BGH, Urteil vom 29.02.1968, BGHZ 49, 384; BGH, Urteil vom 15.04.1970, NJW 1971, 323; BGH, Urteil vom 24.11.1988, NJW 1989, 1431; Kropholler, IPR, § 58 IV 2., S. 627; MünchKommBGB/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rn. 52. 172 Palandt/Thorn Art. 1 Rom I-VO Rn. 11; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 79. 173 So Kropholler, IPR, § 58 IV 2, S. 627. 174 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 79. 175 Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage) Rn. 3123; anders: Schack, IZVR, Rn. 508.
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unerheblich.176 Deutlich wird dies, wenn man eine objektive Anknüpfung des Hauptvertrags annimmt. In diesem Fall bestimmt sich das anwendbare Recht in aller Regel nach der charakteristischen Leistung des Austausches zwischen den Parteien. Die Annahme einer Abhängigkeit des Statuts der Gerichtsstandsabrede von der charakteristischen Leistung führt in Bezug auf die Zuständigkeitsvereinbarung zu einem zufälligen Ergebnis. Dasselbe gilt grundsätzlich im Falle der Rechtswahl. Sicherlich ist denkbar, dass der Parteiwille die Rechtswahl auch auf die Gerichtsstandsabrede erstreckt, dies ist jedoch im Einzelfall festzustellen. 177 Die besseren Argumente streiten daher dafür, das Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit nur bei diesbezüglich ausdrücklicher Rechtswahl dem gewählten Recht zu unterstellen und mangels Rechtswahl subsidiär an die lex fori prorogati anzuknüpfen. IV. Ansatzpunkte einer Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen Es ist die zentrale Frage dieser Untersuchung, auf welche Art und Weise strukturell unterlegene Unternehmer vor sie benachteiligenden Gerichtsstandsvereinbarungen geschützt werden können. Für die Überprüfung einer Gerichtsstandswahl bleibt im autonomen Recht grundsätzlich ein größerer Spielraum als in der Brüssel Ia-VO, denn es bestehen nicht die Zwänge der europäischen Rechtsvereinheitlichung. Ein Rückgriff auf nationale Wertungen ist möglich, eine Rücksichtnahme auf die Gerichtsbarkeit von Drittstaaten nicht im selben Maße erforderlich wie innerhalb der Europäischen Union. Es fehlt im deutschen Recht jedoch an einer ausdrücklichen Normierung der Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen. Dies macht einen Rückgriff auf allgemeine Rechtssätze notwendig. Wie schon im Unionsrecht untersucht, kann eine Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen dabei grundsätzlich von zwei verschiedenen Ansatzpunkten ausgehen. 178 Eine erste Möglichkeit ist es, eine Vereinbarung daraufhin zu überprüfen, ob sie aufgrund der missbräuchlichen Ausnutzung einer überlegenen Verhandlungsposition zustande gekommen ist und die andere Vertragspartei unangemessen benachteiligt, ihr im äußersten Fall die Möglichkeit entzieht, effektiven Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.179 Ein zweiter Ansatzpunkt ist die Überprüfung der Gerichtsstandsvereinbarung bezüglich des aufgrund dieser mittelbar anwendbaren materiellen Rechts. Ein Eingriff in die Parteiautonomie wäre nach letzterem Ansatzpunkt dann erfor-
176 Vgl. zum Schiedsvertrag: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3788; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6623. 177 Eichel, IPRax 2010, 219, 220; Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 198. 178 Siehe bereits oben § 1B und § 1C. 179 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1600; Schack, IZVR, Rn. 516.
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derlich, wenn die Forumswahl zur Nichtanwendung deutscher Eingriffsnormen führen würde. 180 Die im Schrifttum bestehenden Versuche einer begrifflichen Erfassung beider Phänomene sind uneinheitlich. Von der überwiegenden Ansicht in der Literatur wird zumindest die Sicherstellung der Berücksichtigung deutscher Eingriffsnormen am fremden Forum als (materiellrechtliche) ordre publicKontrolle bezeichnet.181 Andere diskutieren diesen Aspekt als Umgehung deutschen international zwingenden Rechts. 182 Die Überprüfung des vom international zwingenden Recht unabhängigen Missbrauchs wirtschaftlicher Überlegenheit will Hausmann als ordre public-Kontrolle von Verfahrensvereinbarungen einstufen, 183 andere bezeichnen diese als allgemeine Missbrauchskontrolle.184 Zurückzuführen ist die uneinheitliche Terminologie darauf, dass den Regelungen der ZPO über die Zuständigkeit von Gerichten jeder Hinweis auf eine derartige Überprüfung fehlt und auch die zu den beschriebenen Phänomenen ergangenen Gerichtsentscheidungen keine Einordnung vornehmen. Der Wille zu einer Überprüfung von Gerichtsstandsvereinbarungen lässt sich auch Art. 6 lit. c) des bislang nicht in Kraft getretenen Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen 185 entnehmen, der eine Gerichtsstandsvereinbarung als unwirksam ansieht, wenn „die Anwendung der Vereinbarung zu einer offensichtlichen Ungerechtigkeit führen oder der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich widersprechen [würde]“.
Auch diese Bestimmung hilft freilich bei der Abgrenzung der beschriebenen Phänomene nicht weiter, denn es bleibt offen, wie der Tatbestand der offensichtlichen Ungerechtigkeit von einer ordre public-Verletzung zu unterscheiden ist und ob sich die Gefahr der Umgehung zwingenden Rechts unter diese Klausel subsumieren lässt. Eine ordre public-Kontrolle sieht im deutschen Zivilprozessrecht ausdrücklich die Vorschrift des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO vor, nach welcher die Anerkennung eines ausländischen Urteils, das mit den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung, insbesondere mit den Grundrechten, unvereinbar ist, ausgeschlossen ist. In Betracht kommt dabei sowohl ein Verstoß ge-
180
Rahmann, S. 26; Redmann, Ordre public-Kontrolle, S. 58; Schack, IZVR Rn. 515. Redmann, Ordre public-Kontrolle, S. 58; Schack, IZVR Rn. 515; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 302; wohl auch schon Kropholler, Handbuch des IZVR, Rn. 538 ff. 182 Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage) Rn. 3164; Rahmann, S. 26. 183 Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 6764. 184 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1600. 185 Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, Nr. 151. 181
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gen materiellrechtliche als auch gegen verfahrensrechtliche Grundsätze. 186 Das IPR kennt ebenfalls eine ordre public-Kontrolle. Neben mehreren spezialgesetzlichen Vorbehaltsklauseln 187 ist hier zuvorderst die allgemeine ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB zu nennen. Inwieweit es rechtstechnisch möglich ist, sowohl die Umgehung zwingenden Rechts als auch die missbräuchliche Ausnutzung einer überlegenen Verhandlungsposition anhand des ordre public zu messen, soll Gegenstand der folgenden Untersuchung sein. Der begrifflichen Klarheit halber scheint es jedoch vorzugswürdig, zwischen einer Kontrolle aufgrund missbräuchlicher Ausnutzung überlegener Verhandlungsmacht einerseits (dazu sogleich e)) und der prozessualen Absicherung international zwingenden Rechts andererseits (dazu unten f)) zu unterscheiden. Die Überprüfung einer missbräuchlichen Ausnutzung von Verhandlungsmacht soll aufgrund des denkbar weiten Anwendungsbereichs im Folgenden als allgemeine Missbrauchskontrolle bezeichnet werden. Zwar ist zuzugestehen, dass sich beide Fallkonstellationen nicht selten überschneiden dürften, da der Versuch einer Partei, sich mittels einer Gerichtsstandsvereinbarung der Geltung international zwingender Schutzvorschriften zu entziehen, wohl häufig mit einer strukturellen Überlegenheit dieser Partei einhergehen wird und bei wertender Betrachtung als Missbrauch derselben ausgelegt werden kann. Da die jeweilige rechtliche Bewertung indes eine andere ist, sollen beide Konstellationen gesondert behandelt werden. 188 Die Relevanz beider Kontrollen für den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers ist erheblich. Die Ausnutzung struktureller Überlegenheit zum Zwecke der Vereinbarung eines die unterlegene Partei einseitig benachteiligenden Gerichtsstands könnte auf diese Weise korrigiert werden. Angesichts der oben diskutierten Schutzwirkung von Eingriffsnormen zugunsten strukturell unterlegener Unternehmern käme es der schwächeren Partei darüber hinaus durchaus zugute, wenn Gerichtsstandsvereinbarungen, die zum Ziel haben, den zwischen den Parteien bestehenden Vertrag der Geltung international zwingenden Rechts zu entziehen, von vornherein als unwirksam anzusehen wären. V. Allgemeine Missbrauchskontrolle Immer wieder wurde im Laufe dieser Untersuchung darauf hingewiesen, dass der strukturell überlegene Unternehmer aufgrund seiner wirtschaftlich starken Verhandlungsposition häufig in der Lage sein wird, seinem Vertragspartner diesen einseitig benachteiligende Bedingungen zu diktieren. Besonders nahe186
Musielak/Voit/Stadler § 328 Rn. 25. Siehe etwa Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO, Art. 40 Abs. 3 EGBGB, dazu auch MünchKommBGB/Junker Art. 40 EGBGB Rn. 113. 188 Es differenzieren auch BGH, Urteil 30.01.1961, NJW 1961, 1061, 1062; Kropholler, Handbuch des IZVR Rn. 538 ff.; Schack, IZVR Rn. 515 f.; zum europäischen Recht Heinig, S. 417 ff.; Geimer/Schütze/Geimer Einl. Rn. 79; Kropholler/von Hein, Art. 23 Rn. 22. 187
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liegend ist eine Ausnutzung der wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit, um den Vertragspartner zur Hinnahme einer für diesen nachteiligen Gerichtsstandsklausel zu bewegen. Denn die internationale Zuständigkeit prägt die Streitschlichtung der Parteien ganz erheblich. Zum einen ist an faktische Auswirkungen, wie etwa eine aufwändige Anreise an den Gerichtsort, die Verfahrenssprache und die Notwendigkeit der Beauftragung eines dort zugelassenen Anwalts, zu denken. Zum anderen bestimmt die internationale Zuständigkeit das anwendbare Kollisionsrecht und damit mittelbar das anwendbare materielle Recht. Zwar besteht im geltenden deutschen Zivilprozessrecht keine Normierung einer allgemeinen Missbrauchskontrolle. Zu beachten ist jedoch der in § 1025 Abs. 2 ZPO a.F.189 zum Ausdruck gebrachte Rechtsgedanke.190 Dieser bestimmt: „(2) Der Schiedsvertrag ist unwirksam, wenn eine Partei ihre wirtschaftliche oder soziale Überlegenheit dazu ausgenutzt hat, den anderen Teil zu seinem Abschluß oder zur Annahme von Bestimmungen zu nötigen, die ihr im Verfahren, insbesondere hinsichtlich der Ernennung oder Ablehnung der Schiedsrichter, ein Übergewicht über den anderen Teil einräumen.“
Zu untersuchen ist im Folgenden, inwieweit sich dieser Rechtsgedanke in der deutschen Rechtsprechung durchgesetzt hat und wie dessen dogmatische Verankerung nach seiner Streichung aus dem deutschen Zivilprozessrecht möglich ist. 1. Entwicklung der Rechtsprechung Mit Urteil vom 3. Dezember 1973 entschied der BGH, dass eine Gerichtsstandsklausel, welche mittels Ausnutzung einer wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit zustande gekommen ist und welche die inländische Gerichtsbarkeit ausschließt, auch im kommerziellen Rechtsverkehr unwirksam ist. 191 Im konkreten Fall stritten Verfrachter und Empfänger über eine in einem Konnossement enthaltene Gerichtsstandsklausel zugunsten thailändischer Gerichte, gewählt war freilich die Anwendbarkeit deutschen Rechts. Der BGH prüfte die Klausel sowohl vor § 138 BGB als auch vor § 1025 ZPO a.F. analog.192 Eine Sittenwidrigkeit der Klausel wäre dann in Betracht gekommen, wenn der Verfrachter in anstößiger Weise darauf abgezielt hätte, dem deutschen Ladungsempfänger den Schutz der heimischen Gerichte zu verwehren. Dies hielt das Gericht im vorliegenden Fall für nicht erfüllt, da der 189
§ 1025 ZPO in der Fassung vom 01.01.1964, aufgehoben mit Wirkung vom 01.01.1998 190 Kröll, ZZP 113, 135, 151 (2000); MünchKommZPO/Gottwald Art. 23 EuGVO Rn. 73; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6489; H. Roth, IPRax 1992, 67, 69. 191 BGH, Urteil vom 03.12.1973, VersR 1974, 470. 192 § 1025 ZPO in der Fassung vom 01.01.1964, aufgehoben mit Wirkung vom 01.01.1998.
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Verfrachter keine bloße Scheinfirma deutscher Kaufleute zum Zwecke der Umgehung der deutschen Gerichtsbarkeit sei und zudem über genügend Vermögen in Thailand verfügte, um eine Vollstreckung nicht aussichtslos erscheinen zu lassen. An die Sittenwidrigkeit der Klausel stellte der BGH folglich erhebliche Anforderungen. Eine Prüfung der wirtschaftlichen Überlegenheit des Verfrachters gegenüber dem Empfänger, woraus eine Unwirksamkeit der Gerichtsstandsklausel folgen könnte, nahm der BGH ausführlich anhand des Rechtsgedanken des § 1025 ZPO a.F. vor.193 Zwar habe der Verfrachter einen erheblichen Marktanteil im Futtermittelgeschäft in Thailand, über ein faktisches Monopol für Verschiffungen auf der fraglichen Route verfüge er indes nicht, vielmehr seien konkurrierende Reedereien im Geschäft, um das Vorliegen einer erdrückenden wirtschaftlichen Übermacht des Verfrachters auszuschließen. Der BGH führte weiterhin aus, an die Annahme der Unwirksamkeit einer Klausel aufgrund wirtschaftlicher Überlegenheit seien im internationalen Handelsverkehr besonders hohe Anforderungen zu stellen. Es sei grundsätzlich hinzunehmen, sich auch auf ungünstige Gerichtsstandsklauseln einzulassen. Stimme eine Partei aufgrund ihrer Verhandlungsposition einer solchen Klausel zu, sei hierin nicht ohne weiteres eine anstößige Nötigung zum Abschluss einer Zuständigkeitsvereinbarung zu sehen.194 In der deutschen Rechtsprechung findet sich eine Vielzahl von Entscheidungen, die eine entsprechende Prüfung von § 1025 ZPO a.F. vornehmen und die zu entscheidenden Sachverhalte auf eine strukturelle Ungleichgewichtslage untersuchen. 195 Auffällig ist freilich, dass in keinem gerichtlich entschiedenen Fall, tatsächlich eine Unwirksamkeit der Gerichtsstandsabrede aufgrund Missbrauchs einer überlegenen Verhandlungsposition angenommen worden ist. 196 2. Dogmatische Verankerung Die dogmatische Verankerung einer Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen, die eine Partei aufgrund ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit der anderen aufgezwungen hat, wird aus der Rechtsprechung nicht ersichtlich. Eine solche soll im Folgenden versucht werden.
193
BGH, Urteil vom 03.12.1973, VersR 1974, 470. BGH, Urteil vom 03.12.1973, VersR 1974, 470. 195 Siehe etwa BGH, Urteil vom 30.01.1961, NJW 1961, 1061; BGH, Urteil vom 03.12.1973, WM 1974, 242, 243; BAG, Urteil vom 20.07.1970, NJW 1970, 2180; OLG Hamburg, Urteil vom 17.02.1989, RIW 1989, 574, 576. 196 BGH, Urteil vom 30.01.1961, NJW 1961, 1061; BGH, Urteil vom 03.12.1973, WM 1974, 242, 243; BAG, Urteil vom 20.07.1970, NJW 1970, 2180; OLG Hamburg, Urteil vom 17.02.1989, RIW 1989, 574, 576; siehe auch MünchKommZPO/Maier (1. Auflage), § 1025 Rn. 14–16. 194
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a) Das auf eine allgemeine Missbrauchskontrolle anwendbare Recht Die Einordnung einer Missbrauchskontrolle in internationalen Verträgen muss mit der Frage nach dem auf diese anwendbaren Recht beginnen. Grundsätzlich untersteht die prozessuale Zulässigkeit einer Gerichtsstandsabrede der lex fori (derogati), das Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit hingegen der lex causae.197 Fraglich ist folglich, ob die Missbrauchskontrolle die Zulässigkeit oder eher die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsabrede betrifft. Eine beachtliche Ansicht in der Literatur spricht sich dafür aus, die Missbrauchskontrolle als Frage der Zulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung der lex fori (derogati) zu unterstellen. 198 Dies ermöglicht, die Derogation der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte unabhängig vom auf die Gerichtsstandsvereinbarung anwendbaren Recht unmittelbar an § 138 BGB oder dem Rechtsgedanken des § 1025 ZPO a.F. zu messen.199 Im Ergebnis konstruiert diese Ansicht eine Kollisionsnorm, nach welcher sich auch die inhaltliche Überprüfung einer Gerichtsstandsvereinbarung sehr weitgehend nach der lex fori richtet.200 Eine andere Ansicht will die Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen als Aspekt deren materieller Wirksamkeit einstufen und folglich der lex causae unterstellen.201 Dies erscheint vorzugswürdig. Hierfür spricht zunächst das Schweigen der einschlägigen Normen der ZPO. Die für die Bewertung der Zulässigkeit der Derogation einschlägigen §§ 38, 40 ZPO enthalten zwar Vorschriften über die Form sowie Anforderungen an die Parteien einer Gerichtsstandsvereinbarung, eine Aussage über die Bewertung von wirtschaftlichen Gefällesituationen lässt sich ihnen jedoch nicht entnehmen. Die Stimmen in der Literatur, die sich für eine Missbrauchskontrolle nach der deutschen lex fori derogati einsetzen, berufen sich allesamt auf das oben angeführte Urteil des BGH vom 3. Dezember 1973,202 in welcher dieser den Rückgriff auf § 138 ausdrücklich für möglich erachtete.203 Ob dieser Verweis genügen kann, ist jedoch fraglich, 197
BGH, Urteil vom 15.04.1970, NJW 1971, 323; BGH, Urteil vom 24.11.1988, NJW 1989, 1431; BGH, Urteil vom 18.03.1997, NJW 1997, 2885; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1619 f f.; Nagel/Gottwald § 3 Rn. 369; im Übrigen ausführlich schon oben § 2A.III. 198 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 80; Kropholler, Handbuch IZVR I, Rn. 480; Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage), Rn. 3174. 199 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1600–1602; Kropholler, Handbuch des internationalen Zivilverfahrensrechts, Rn. 480; Nagel/Gottwald § 3 Rn. 378. 200 Kritisch dazu: Hau, IPRax 1999, 232, 236. 201 Hau, IPRax 1999, 232, 236; Schack, IZVR, Rn. 515 f.; Weller, Ordre publicKontrolle, S. 215, 305 ff.; wohl auch MünchKommBGB/Kieninger § 307 BGB Rn. 283 f. 202 BGH, Urteil vom 03.12.1973, VersR 1974, 470. 203 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1600–1602 Fn. 1024; Kropholler, Handbuch des internationalen Zivilverfahrensrechts, Rn. 480 Fn. 1093; Nagel/Gottwald § 3 Rn. 378 Fn. 735; siehe auch von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 80 Fn. 139, die wiederum auf Kropholler, ebd. verweisen.
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denn in der Entscheidung enthielt das Konnossement eine Rechtswahlklausel zugunsten deutschen Rechts. Legt man die Rechtswahl so aus, dass sie sich auch auf die Gerichtsstandsvereinbarung bezieht, wozu die Rechtsprechung regelmäßig tendiert, 204 so war hierauf ohnehin deutsches Recht anwendbar, was eine auf § 138 BGB gestützte Missbrauchskontrolle zweifelsohne ermöglicht.205 Aus der Entscheidung des BGH vom 3. Dezember 1973 weitergehende Schlüsse zur Rechtslage bei ausländischem Vertragsstatut zu ziehen, ist nicht möglich. Zu bedenken ist ferner, dass es sich bei der Gerichtsstandsvereinbarung um einen materiellrechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen handelt.206 Aufgabe einer Missbrauchskontrolle ist es, die inhaltliche Angemessenheit einer zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung zu überprüfen. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Derogation wird von dieser nicht berührt. Wie bei sonstigen Verträgen ist die inhaltliche Angemessenheit einer solchen Klausel zunächst anhand der mittels Kollisionsrecht ermittelten lex causae zu messen.207 Dies verhindert nicht nur die Konstruktion einer ungeschriebenen Kollisionsnorm, die sehr großflächig die Anwendung der lex fori zur Folge hätte, sondern wahrt darüber hinaus den internationalen Entscheidungseinklang.208 Darüber hinaus trägt diese Lösung der Parteiautonomie Rechnung und unterstreicht die notwendige Zurückhaltung der Wertungen der lex fori gegenüber einem Eingriff in die freie Willenseinigung der Parteien. Im Ergebnis ist die Bewertung der Missbräuchlichkeit einer Gerichtsstandsabrede folglich anhand der lex causae vorzunehmen. Zu differenzieren ist im Folgenden danach, ob es sich bei der lex causae um deutsches oder um ausländisches Recht handelt. b) Anwendbarkeit deutschen Rechts Ist deutsches Recht auf die Bewertung der Gerichtsstandsvereinbarung anwendbar, so ist eine Unwirksamkeit wegen Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung, insbesondere nach § 307 BGB, auch im unternehmerischen Rechtsverkehr denkbar, denn in den in dieser Arbeit untersuchten Konstellationen, in denen ein strukturell überlegener Unternehmer eine Gerichtsstandsklausel vorgibt, wird dies meist per Allgemeiner Geschäftsbedingungen geschehen.209 Ein Rückgriff auf § 138 BGB kommt ebenfalls in Betracht; freilich dürfte hierfür neben § 307 BGB nur selten Bedarf bestehen. 210 Gegen 204
Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage) Rn. 3120. Schack, IZVR, Rn. 151; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 215. 206 BGH, Urteil vom 20.01.1986, IPRax 1987, 168, 169; BGH, Urteil vom 18.03.1997, IPRax 1998, 470, 471. 207 Schack, IZVR, Rn. 515 f.; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 305 ff. 208 Hau, IPRax 1999, 232, 236. 209 Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage), Rn. 3135. 210 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 215. 205
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§ 307 BGB verstößt eine Gerichtsstandsklausel, wenn sie den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. 211 Die deutschen Gerichte sind bei der AGB-Kontrolle von Gerichtsstandsklauseln im Handelsverkehr relativ zurückhaltend.212 In Betracht kommt die Annahme einer unangemessenen Benachteiligung etwa bei der Vereinbarung eines weit entfernten ausländischen Gerichts in einem reinen Inlandssachverhalt 213 oder wenn der überlegene Vertragspartner seinem Gegenüber in Benachteiligungsabsicht eine Gerichtsstandsvereinbarung aufnötigt, für die kein sachlicher Grund besteht.214 Die bloße Vereinbarung eines neutralen, drittstaatlichen Forums hingegen kann allein keinen Missbrauch begründen, denn an der Wahl eines solchen Gerichtsstandes kann – etwa aufgrund des dort erwarteten gerichtlichen Sachverstandes – sehr wohl ein berechtigtes Interesse bestehen.215 In Konstellationen, in denen ein niederländischer Franchisegeber einen deutschen Franchisenehmer mittels AGB zu einer ausschließlichen Streitbeilegung vor einem US-amerikanischen Schiedsgericht am Sitz seiner Muttergesellschaft verpflichtete, wurde die Schiedsklausel als unangemessene Benachteiligung im Sinne des liechtensteinischen § 879 Abs. 3 ABGB, der § 307 BGB weitgehend entspricht, angesehen. 216 Auf diese Entscheidungen ist später ausführlich einzugehen, freilich ist angesichts der vergleichbaren Wirkung von Gerichtsstands- und Schiedsabreden eine Übertragung der getroffenen Wertung auch auf Gerichtsstandsvereinbarungen zu erwägen. Solche können folglich dann nach § 307 BGB unwirksam sein, wenn sie eine Partei dadurch einseitig benachteiligen, dass für diese die Streitbeilegung nur mit einem beträchtlichen Kostenaufwand möglich ist, der Vertragspartner hingegen einen vergleichbaren Nachteil nicht erleidet. c) Anwendbarkeit ausländischen Rechts Unterliegt die Gerichtsstandsabrede aufgrund Rechtswahl oder objektiver Anknüpfung ausländischem Recht – häufig wohl der lex fori prorogati –, kommt eine Überprüfung der materiellen Wirksamkeit nach deutschem allgemeinen Vertragsrecht der hier vertretenen Ansicht zufolge nicht in Betracht. Auch eine internationalprivatrechtliche Sonderanknüpfung von 211
Grundsätzlich dazu: Staudinger/Coester § 307 Rn. 90 ff. MünchKommBGB/Kieninger § 307 BGB Rn. 283; Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage) Rn. 3135. 213 Vgl. OLG Köln, Urteil vom 20.06.1989, ZIP 1989, 1068; LG Bielefeld, Urteil vom 08.07.1993, NJW 1993, 2690. 214 Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage) Rn. 3135. 215 MünchKommBGB/Kieninger § 307 BGB Rn. 283; Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage) Rn. 3135; vgl aber: LG Konstanz, Urteil vom 23.06.1983, BB 1983, 1372. 216 OLG Dresden, Beschluss vom 07.12.2007, IPRspr. 2007 Nr. 222, 631; OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649; OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659. 212
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§§ 138, 307 BGB unabhängig vom auf die Gerichtsstandsvereinbarung anwendbaren Recht scheidet aus. 217 Den Willen, die Bestimmungen der Klauselrichtlinie als rechtswahlfest anzusehen, lässt der EuGH – im Kontext eines zu vollstreckenden Schiedsspruchs –erkennen.218 Zwar schreibt die Klauselrichtlinie keine AGB-Kontrolle für Verträge zwischen Unternehmern vor, jedoch kommt der richtlinienkonformen Auslegung aufgrund der gebotenen einheitlichen Auslegung der §§ 305 ff. grundsätzlich auch in den Bereichen der überschießenden Umsetzung Bedeutung zu. 219 Dennoch ist es verfehlt, § 307 BGB als Eingriffsnorm anzusehen, denn hierzu fehlt es am hinreichenden öffentlichen Interesse im Sinne des Art. 9 Rom I-VO.220 Zuzugestehen ist, dass § 307 BGB auch eine marktordnende Funktion zukommt, indem er einen Rahmen für die Vertragsbeziehungen Privater aufstellt. Freilich steht hier noch offensichtlicher als in den oben erörterten Beispielen der Schutz privater Parteien vor einer Benachteiligung durch den Vertragspartner im Vordergrund. Die Wahrung der Gemeinwohlinteressen durch die Begrenzung der Ausnutzung schwächerer Parteien im allgemeinen Vertragsrecht stellt hierneben nicht mehr als einen Reflex dar. 221 Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus den Vorgaben des Unionsrechts. 222 Ist deutsches Recht somit nicht anwendbar und kennt das angerufene Recht keine Missbrauchskontrolle oder würde eine solche die Gerichtsstandsklausel anders als das deutsche Recht als wirksam ansehen, verbleibt dem deutschen Richter an dieser Stelle der Einwand des ordre public.223 In Betracht kommt einerseits die Annahme einer dem Zivilprozessrecht immanenten ordre public-Kontrolle der Gerichtsstandsvereinbarung. Eine etwaige Unwirksamkeit der Derogation wäre hiernach auf einen ungeschriebenen Rechtssatz zurückzuführen, nach welchem zur Sicherung der Grundprinzipien deutschen Rechts, wie etwa der Garantie effektiven Rechtsschutzes, Gerichtsstandsvereinbarungen unwirksam sind, wenn diese die Gefahr bergen, dass das prorogierte Gericht gegen diese Grundsätze verstoßen wird. In der Sache ließe sich 217
Mankowski, RIW 1996, 8, 11; MünchKommBGB/Kieninger § 307 BGB Rn. 283; Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage) Rn. 3133; Schack, IZVR Rn. 516; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 215 f.; allgemein zur fehlenden Eingriffsnormenqualität von § 138 BGB Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 59. 218 EuGH, Urteil vom 06.10.2009, Rs. C-40/08 (Asturcom Telecomunicaciones SL/Cristina Rodríguez Nogueira), EuZW 2009, 852, 855. 219 MünchKommBGB/Basedow Vor § 305 Rn. 56. 220 BGH, Urteil vom 9. 7. 2009, NJW 2009, 3371, 3374; Coester, ZVglRWiss. 82 (1983), 1, 15 f.; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 89; Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 151; vgl. auch BGH, Beschluss vom 30.10.2008, NJW 2009, 1215; Hilbig, SchiedsVZ 2010, 74,81; offen lassend: Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 193. 221 BGH, Urteil vom 9. 7. 2009, NJW 2009, 3371, 3374. 222 Vgl. BGH, Urteil vom 9. 7. 2009, NJW 2009, 3371, 3374. 223 Hau, IPRax 1999, 232, 236; Schack, IZVR, Rn. 516; Schütze, RIW 1982, 773; 775; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 305 ff.
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ein solcher Rechtssatz mit einer Vorverlagerung der anerkennungsrechtlichen ordre public-Kontrolle nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO begründen. Ist absehbar, dass die bei Berücksichtigung der Gerichtsstandsabrede ergehende ausländische Entscheidung wegen Missachtung wesentlicher Grundsätze des deutschen Rechts gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public verstoßen wird, so würde bereits die Gerichtsstandsabrede als unwirksam angesehen. 224 Diese Lösung krankt daran, dass §§ 38, 40 ZPO bereits recht detaillierte Anforderungen an die prozessuale Zulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung aufstellen und sich dabei auf Formerfordernisse, den persönlichen Anwendungsbereich sowie sachliche Ausschlüsse beschränkt. Daneben eine weitere ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung anzunehmen, erfordert einen beträchtlichen Begründungsaufwand. Näher liegt aufgrund des vertraglichen Charakters der Gerichtsstandsabrede eine kollisionsrechtliche ordre public-Kontrolle. Zunächst beurteilt sich die materielle Wirksamkeit der Abrede nach der kollisionsrechtlich ermittelten lex causae. Widerspricht das Ergebnis den Wertungen des deutschen ordre public, so kommt folgerichtig der kollisionsrechtliche ordre public als Korrektiv in Betracht. Diese Lösung berücksichtigt einerseits den vertraglichen Charakter der Zuständigkeitsabrede, begünstigt zudem den internationalen Entscheidungseinklang und unterstreicht ferner den subsidiären Charakter einer solchen Kontrolle gegenüber dem Parteiwillen. 225 Nicht zuletzt macht der ordre public deutlich, dass es nicht auf die Anwendung einer bestimmten deutschen Norm ankommt, sondern auf das materiellrechtliche Ergebnis, was ebenfalls durch gleichwertiges ausländisches Recht ordre public-konform herbeigeführt werden kann. Freilich ist die Rom I-Verordnung aufgrund der Bestimmung des Art. 1 Abs. 2 lit. e) nicht auf Gerichtsstandsvereinbarungen anwendbar, auch fehlt es an einer analogiebegründenden Regelungslücke im deutschen IPR, sodass nicht auf Art. 21 Rom I-VO zurückgegriffen werden kann. Wohl aber kommt eine Kontrolle nach Art. 6 EGBGB in Betracht. Zweck des Art. 6 EGBGB ist es, eine Überprüfung des durch das Kollisionsrecht zunächst ermittelten Ergebnisses vor den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung zu ermöglichen. 226 Vor Art. 6 EGBGB lässt sich nunmehr überprüfen, ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts, welches die Gerichtsstandsvereinbarung für wirksam erachtet, mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist. Ein Verstoß der Gerichtsstandsabrede gegen den ordre public wäre dann gegeben, wenn die Abrede zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen 224 BAG, Urteil vom 20.07.1970, NJW 1970, 2180, 2181; Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage) Rn. 3169; vgl. auch Schack, IZVR, Rn. 516. Diese Möglichkeit zieht auch Weller, Ordre public-Kontrolle in Betracht, S. 245 f., siehe aber auch S. 301 f. 225 Hau, IPRax 1999, 232, 236. 226 Staudinger/Blumenwitz Art. 6 EGBGB Rn. 1.
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Grundsätzen des deutschen Rechts nicht vereinbar ist. Dies soll der Fall sein, wenn hierdurch eine Norm verletzt wird, die die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens regelt oder zu deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen in einem untragbaren Widerspruch steht. 227 Ein bloßer Verstoß gegen § 307 BGB bei hypothetischer Anwendung deutschen Rechts kann nicht genügen, denn aus den Gründen, aus welchen sich ergibt, § 307 BGB nicht als Eingriffsnorm einzustufen, folgt auch, dass auch eine pauschale Einordnung in den deutschen ordre public zu weit geht. 228 Dies schließt nicht aus, dass missbräuchliche Gerichtsstandsklauseln, die aufgrund Ausnutzung wirtschaftlichen Drucks zustande gekommen sind, im Einzelfall grundlegenden deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen widersprechen können. Für die Bejahung eines ordre public-Verstoßes ist ein schwerwiegender Widerspruch des nach ausländischem Recht ermittelten Ergebnisses zur deutschen Rechtsordnung erforderlich, der die Anwendung des ausländischen Rechts als unerträglich erscheinen lassen muss. 229 Angesichts der eher restriktiven Haltung der deutschen Rechtsprechung zur Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im nationalen Recht ist erst recht von einer ordre public-Widrigkeit nur in seltenen Ausnahmefällen auszugehen. Zu berücksichtigen ist, dass das deutsche Internationale Zivilverfahrensrecht – anders als in bestimmten Fällen das europäische – grundsätzlich keine Beschränkungen der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie im internationalen Handelsverkehr vorsieht.230 Einen wesentlichen Grundsatz des deutschen Rechts auszumachen, der einen räumlichen oder sachlichen Bezug des Forums zum Hauptvertrag erfordert, fällt daher schwer.231 Sehr wohl einen dem ordre public zugehörigen, wesentlichen Grundsatz des deutschen Rechts bildet hingegen der aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Ein Verstoß hiergegen kommt in Betracht, wenn eine Partei den anderen Teil dazu genötigt hat, Bedingungen zu akzeptieren, die ihr im Gerichtsverfahren eine erhebliche Überlegenheit einräumen und deshalb zu einem unfairen Verfahren führen, welches einer Partei Rechtsschutz zumindest faktisch entzieht. 232 Wann ein solcher Entzug des effektiven Rechtsschutzes vorliegt, ist schwierig zu bestimmen. Sieht man im Ressourcenaufwand für die strukturell unterlegene Partei das entscheidende Kriterium, so könnte eine Abgrenzung von noch 227
BGH, Beschluss vom 30.10.2008, NJW 2009, 1215, 1216 m.w.N. BGH, Beschluss vom 30.10.2008, NJW 2009, 1215, 1216 m.w.N; Hilbig, SchiedsVZ 2010, 74, 81. 229 BGH, Urteil vom 18.06.1970, BGHZ 54, 123, 130; BGH, Urteil vom 20.06.1979, NJW 1979, 1776, 1778. 230 Zum europäischen Recht siehe unten § 1A. 231 Daher einen Verstoß gegen den ordre public im parallel gelagerten Schiedsverfahrensrecht ablehnend: Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 203; vgl. auch Eichel, IPRax 2010, 219, 222. 232 Vgl. MünchKommZPO/Adolphsen Art. V UNÜ Rn. 78; Nagel/Gottwald § 16 Rn. 143; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6764. 228
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akzeptablem und nicht mehr hinnehmbarem Aufwand allein nach quantitativen Kriterien erfolgen. Zum einen wohnte einer solchen Bestimmung jedoch zwingend eine gewisse Willkür inne. Zum anderen ist auch der Ansatzpunkt einer solch quantitativen Bestimmung zweifelhaft, was sich wie folgt illustrieren lässt: Vereinbaren eine deutsche und eine französische Partei einen Gerichtsstand in New York, so wäre es im Einzelfall denkbar, für die in Deutschland ansässige Partei in der Streitbeilegung vor New Yorker Gerichten einen unangemessenen Nachteil zu sehen, da diese mit erheblichem Ressourcenaufwand verbunden wäre. 233 Hätte der Vertragspartner des deutschen Unternehmers seinen Sitz nicht in Frankreich, sondern in New York, so bestünde nach allgemeiner Ansicht ein berechtigtes Interesse an der Vereinbarung eines amerikanischen Forums, denn mit einem Gerichtsverfahren am Sitz einer der Parteien muss der Vertragspartner rechnen, er kann hieran sogar ein berechtigtes Interesse haben, da dies ihm die Vollstreckung in das dort belegene Vermögens der anderen Partei erleichtern kann. 234 Bereits ein Verstoß gegen einfaches AGB-Recht wäre wohl nicht gegeben. 235 Erst recht käme folglich ein Verstoß gegen den ordre public nicht in Betracht, der Aufwand für den strukturell unterlegenen Unternehmer zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes wäre freilich derselbe geblieben. An die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG sind folglich erhebliche Anforderungen zu stellen. Die bloße Vereinbarung eines Forums am Sitz einer der Parteien oder in einem (auch weit entfernten) neutralen Drittstaat kann hierfür nicht ohne weiteres genügen. Eine Unwirksamkeit kommt im Einzelfall nur in besonders schwerwiegenden Fällen in Betracht. Wird die schwächere Partei etwa zur Hinnahme einer Gerichtsstandsklausel gedrängt, die ihr rechtlich oder faktisch jeglichen Rechtsschutz verweigert, so mag eine Unwirksamkeit derartiger Gerichtsstandsvereinbarungen anzunehmen sein. 236 VI. Absicherung international zwingenden Rechts Wie schon im Unionsrecht stellt sich auch im autonomen internationalen Zivilprozessrecht die Frage nach der Absicherung international zwingenden Rechts. Für eine solche bleibt im nationalen Recht grundsätzlich ein größerer Spielraum als im Unionsrecht, der von der deutschen Rechtsprechung auch 233 Vgl dazu die Entscheidungen deutscher Gerichte zu parallel gelagerten Fällen im Schiedsverfahrensrecht: OLG Dresden, Beschluss vom 07.12.2007, IPRspr. 2007 Nr. 222, 631; OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649; OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659. 234 Vgl. Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke § 27 Rn. 12; MünchKommBGB/Kieninger § 307 Rn. 291; noch weitergehend: RaeschkeKessler, JbPraxSChG 987, 201, 203. 235 OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659, 660. 236 So übereinstimmend, freilich mit unterschiedlicher dogmatischer Begründung: Hau, IPRax 1999, 232, 236. Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage) Rn. 3174.
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genutzt wird. Im Folgen soll zunächst die diesbezügliche deutsche Rechtsprechung ausgewertet werden (dazu sogleich (i)), um diese dogmatisch einordnen zu können (unten (ii)). Problematisch ist schließlich, dass die Wirksamkeit der Gerichtsstandsabrede in aller Regel zu einem Zeitpunkt zu beurteilen ist, indem noch nicht mit letzter Sicherheit absehbar ist, ob das ausländische Gericht tatsächlich deutsche Eingriffsnormen missachten wird (dazu unten (iii)). 1. Entwicklung der Rechtsprechung In der deutschen Rechtsprechung finden sich zahlreiche Beispiele für die Unwirksamkeit einer Derogation der deutschen internationalen Zuständigkeit, wenn die Durchsetzung der Gerichtsstandsabrede die Gefahr der Nichtanwendung international zwingenden Rechts birgt. Bereits mit Urteil vom 30. Januar 1961 stellte der BGH fest, dass die Vereinbarung eines ausländischen Gerichtsstandes unwirksam sein könne, wenn die Parteien die Anwendung des betreffenden ausländischen Rechts nicht wirksam vereinbaren konnten. 237 Zwar seien Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen und Rechtswahl logisch strikt zu trennen, jedoch sei nicht von der Hand zu weisen, dass Vereinbarungen über die Zuständigkeit „dem Zwecke dienen und praktisch dazu führen können, dass das Recht des Landes angewendet wird, dessen ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart worden ist“. 238 Geklagt hatte ein in Deutschland ansässiger Handelsvertreter auf Gewährung eines Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB gegen seinen in den Niederlanden ansässigen Vertragspartner. Vereinbart hatten die Parteien sowohl die Anwendbarkeit niederländischen Rechts als auch die internationale Zuständigkeit niederländischer Gerichte. Die Prüfung der Wirksamkeit von Rechtswahl und Zuständigkeitsabrede machte der BGH am ordre public-Vorbehalt des Art. 30 EGBGB a.F.239 fest. Er kam zu dem Ergebnis, § 89b HGB stelle kein deutsches international zwingendes Recht dar, da der dort normierte Anspruch nicht von derart grundlegender und weittragender Bedeutung für die deutsche Rechtsordnung sei.240 Da die Parteien folglich die Anwendbarkeit niederländischen Rechts wirksam vereinbaren konnten, bestand kein Raum für die Unwirksamkeit der Derogation. Eine konsequente Fortsetzung der Rechtsprechung des BGH stellt eine Entscheidung des OLG München vom 7. Mai 2006 dar. 241 237
BGH, Urteil vom 30.01.1961, NJW 1961, 1061, 1062. BGH, Urteil vom 30.01.1961, NJW 1961, 1061, 1062. 239 Dieser lautete: „Die Anwendung eines ausländischen Gesetzes ist ausgeschlossen, wenn die Anwendung gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde.“ Nunmehr wohl Art. 6 EGBGB, siehe dazu BT-Drucks. 10/504, S. 42. 240 BGH, Urteil vom 30.01.1961, NJW 1961, 1061, 1062. 241 OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322, mit zustimmender Anmerkung: Thume, IHR 2006, 169. 238
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Streitgegenständlich war wiederum der Anspruch eines Handelsvertreters gegen den Prinzipal nach § 89b HGB, vereinbart war sowohl die Zuständigkeit kalifornischer Gerichte als auch die Anwendung kalifornischen Rechts. Im Lichte der Ingmar-Entscheidung des EuGH, nach welcher der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nunmehr als international zwingend einzustufen ist, 242 leitete das Oberlandesgericht aus § 89b HGB zugleich ein Derogationsverbot zugunsten des Handelsvertreters ab, denn allein auf diese Weise könne die Geltung und Durchsetzbarkeit des international zwingenden Rechts sichergestellt werden. 243 Andernfalls drohe ein Verlust des Rechtsschutzes für die durch die Eingriffsnorm zu schützende Partei.244 Angesichts des besonderen Schutzzweckes der Eingriffsnorm genüge es darüber hinaus, dass die „naheliegende Gefahr“ der Nichtanwendung deutschen Eingriffsrechts durch das prorogierte ausländische Gericht bestehe. 245 Das OLG bejahte eine solche Gefahr im Falle der Zuständigkeit kalifornischer Gerichte, da zweifelhaft sei, ob diese angesichts der Wahl kalifornischen Rechts zur Anwendung der deutschen Vorschriften über den Handelsvertreterausgleich kämen. 246 Eine dogmatische Herleitung des Derogationsverbots bleibt das OLG München, ebenso wie zuvor der BGH, schuldig. 247 Das Urteil des OLG München ist die bislang letzte einer Reihe im Ergebnis gleichlautender Entscheidungen der deutschen Rechtsprechung die Derogationsverbote aus international zwingendem Recht entwickeln. Mit Urteil vom 30. Mai 1983 hatte der BGH über die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung in einem Konnossement zu entscheiden. 248 Der indische Verfrachter und der in Deutschland ansässige Empfänger der Waren hatten die internationale Zuständigkeit indischer Gerichte vereinbArt. In Rede stand die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsklausel, da indische Gerichte nicht verpflichtet seien, die aus deutscher Sicht zwingende Mindesthaftung des Verfrachters nach §§ 660, 662 HGB anzuwenden. 249 Der BGH führte aus, dass eine Gerichtsstandsklausel dann gegen den internationalprivatrechtlichen ordre public im Sinne des Art. 30 EGBGB a.F.250 verstoße, wenn die Wahl 242 EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd ./. Eaton Leonard Technologies Inc.), EuGHE 2000 I 9325. 243 OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322 Rn. 35. 244 OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322 Rn. 40. 245 OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322 Rn. 42. 246 OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322 Rn. 42. 247 Kritisch auch: Redmann, S. 51 f.; Rühl, IPRax 2007, 294, 297; Weller, Ordre publicKontrolle, S. 219–221. 248 BGH, Urteil vom 30.05.1983, NJW 1983, 2772, mit Anmerkung Trappe, IPRax 1985, 8. 249 Zur heutigen Rechtslage unter Geltung von Art. 6 EGHGB und der Rom IVerordnung siehe MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 107; Rauscher/Thorn Art. 5 Rom I-VO Rn. 53 ff. 250 Nunmehr wohl Art. 6 EGBGB, siehe dazu BT-Drs. 10/504, S. 42.
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des Gerichtsstands aufgrund der Nichtbeachtung deutschen Rechts mittelbar zu einer Befreiung des Verfrachters zu der unter anderem in § 660 niedergelegten, zwingenden Mindesthaftung des Verfrachters nach den Haager Regeln251 führen würde. 252 Im konkreten Fall verneinte der BGH freilich einen ordre public-Verstoß, da die Haager Regeln auch in Indien gälten. Zwar liege die dortige Haftungssumme unter dem durch § 660 HGB garantierten Niveau, was primär auf eine ungünstige Währungsentwicklung zurückzuführen sei, die niedrigere Haftungssumme berühre indes nicht den Kern der zwingenden Haftung. Damit werde der Schutzzweck der §§ 660, 662 HGB noch nicht in einer ordre public-widrigen Weise beeinträchtigt. 253 Ähnlich hatte der BGH bereits in zwei vorangegangenen Urteilen argumentiert. 254 Bemerkenswert an den Entscheidungen zur Mindesthaftung des Verfrachters ist, dass der BGH hier, deutlicher als in den oben angeführten Entscheidungen zum Handelsvertreterrecht, die Rechtsgrundlage für eine Überprüfung der Gerichtsstandsvereinbarungen ausdrücklich im kollisionsrechtlichen ordre public sieht. Einer ordre public-Kontrolle entspricht auch, dass der BGH die Gerichtsstandsklausel nicht aufgrund eines abweichenden Ergebnisses scheitern lässt, sondern darüber hinaus fordert, dass das Ergebnis die Grundsätze des deutschen Rechts in qualifizierter Weise beeinträchtigt. 255 Ein weiteres prominentes Beispiel für die ordre public-Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen findet sich im Börsentermingeschäftsrecht. 256 Auch hier schloss der BGH vom international zwingenden deutschen Recht auf ein Verbot der Derogation.257 Einer Gerichtsstandsklausel könne die Wirksamkeit versagt werden, wenn ein kollisionsrechtliches Interesse erkennbar sei, deutsches Recht auch gegen abweichendes ausländisches Recht durchzusetzen. 258 Einen Schritt weiter geht das hessische Landesarbeitsgericht mit seiner Entscheidung vom 14. August 2000.259 Ein US-amerikanischer Arbeitgeber 251
Internationales Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über Konnossemente (Haager Regeln) vom 25. 8. 1924, RGBl. 1939 II S. 1049; BGBl. II S. 116; 1954 II S. 466. 252 BGH, Urteil vom 30.05.1983, NJW 1983, 2772, 2772 f. 253 BGH, Urteil vom 30.05.1983, NJW 1983, 2772, 2772 f. 254 BGH, Urteil vom 08.02.1971, NJW 1971, 985; BGH, Urteil vom 03.12.1973, VersR 1974, 470. 255 Trappe, IPRax 1985, 8, 9; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 226 f. 256 Siehe dazu BGH, Urteil vom 12.03.1984, NJW 1984, 2037; vgl. auch, freilich mit Schwerpunkt auf der Wirksamkeit einer Schiedsklausel: BGH, Urteil vom 15.06.1987, NJW 1987, 3193; BGH, Urteil vom 06.06.1991, NJW 1991, 2215; BGH, Urteil vom 21.09.1993, NJW-RR 1993, 1519; anders aufgrund geänderter Rechtslage: BGH, Urteil vom 21.04.1998, NJW 1998, 2358. 257 Die relevante Vorschrift des § 61 BörsG a.F. lautete „Die Vorschriften der §§ 52 bis 60 finden auch Anwendung, wenn das Geschäft im Ausland geschlossen oder zu erfüllen ist.“ 258 BGH, Urteil vom 12.03.1984, NJW 1984, 2037; G. Roth, IPrax 1985, 198, 198 f. 259 LAG Hessen, Urteil vom 14.08.2000, IPRspr. 2000 Nr. 40, S. 82.
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und ein in Deutschland tätiger Arbeitnehmer stritten über die Wirksamkeit eines Wettbewerbsverbotes, das nach § 74 HGB aufgrund Formmangels und Fehlen einer Kompensationszusage unwirksam gewesen wäre. Vereinbart waren freilich die Anwendbarkeit des Rechts des Staates Ohio sowie die Zuständigkeit der dortigen Gerichte. Das LAG stellte zunächst fest, dass bei Anwendung deutschen internationalen Privatrechts die Rechtswahl nach Art. 30 EGBGB a.F.260 insoweit unwirksam sei, als sie dem Arbeitnehmer den Schutz der zwingenden Vorschriften seines gewöhnlichen Arbeitsortes entziehe. Da sich letzterer in Deutschland befinde und die Anforderungen an die wirksame Vereinbarung eines Wettbewerbsverbotes nach § 74 HGB gemäß § 75d HGB sowie aufgrund der Grundrechtsrelevanz in Bezug auf Art. 12 GG intern zwingende arbeitsrechtliche Schutzvorschriften darstellten, seien sie unabhängig von der Wahl des Rechts von Ohio zu berücksichtigen.261 Das LAG ging sodann davon aus, dass eine Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung ergebe, diese bezwecke nicht die ausschließliche Zuständigkeit der ausländischen Gerichte. Relevant ist freilich das obiter dictum. Denn, so die Argumentation des LAG, selbst wenn die Zuständigkeitsvereinbarung auch eine Derogation bezwecke, sei diese unwirksam, da durch die Vereinbarung eines ausländischen Gerichtsstands zwingende arbeitsrechtliche Schutzvorschriften umgangen würden. 262 Schranken, die das deutsche Kollisionsrecht einer Wahl ausländischen Rechts entgegensetze, müssten auch auf die Derogation der deutschen Zuständigkeit durchschlagen, da die Wertentscheidungen des Kollisionsrechts sonst leer laufen würden.263 Das Landesarbeitsgericht setzte mit dieser Entscheidung die Rechtsprechung des BAG fort, das bereits mit Urteil vom 20. Juli 1970 die zuständigkeitsrechtliche Parteiautonomie insofern einschränkte, als es „im Einzelfall zum Schutz des Arbeitnehmers geboten ist, dass der Rechtsstreit vor deutschen Gerichten geführt wird.“264 2. Dogmatische Verankerung Die Auswertung der angeführten Entscheidungen ergibt, dass die deutschen Gerichte in ständiger Rechtsprechung international zwingendem Recht neben der Rechtswahlbeschränkung zugleich die Funktion eines Derogationsverbotes zugunsten der deutschen Gerichtsbarkeit zumessen. Schuldig bleiben die angeführten Urteile freilich eine dogmatische Herleitung des beschrittenen 260
Hierbei handelt es sich zwar wiederum um eine alte Fassung, jedoch nicht um die zuvor genannte: Vielmehr ist hier Art. 30 EGBGB vom 01.10.1994 gemeint, der mit Änderungen durch Art. 8 Rom I-VO ersetzt worden ist. 261 LAG Hessen, Urteil vom 14.08.2000, IPRspr. 2000 Nr. 40, S. 82, 86. 262 LAG Hessen, Urteil vom 14.08.2000, IPRspr. 2000 Nr. 40, S. 82, 86 f. 263 LAG Hessen, Urteil vom 14.08.2000, IPRspr. 2000 Nr. 40, S. 82, 86 f. 264 BAG, Urteil vom 20.07.1970, NJW 1970, 2180.
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Lösungsweges.265 In der Literatur hat sich für dieses Vorgehen der Rechtsprechung der Terminus ordre public-Kontrolle durchgesetzt. 266 Wie indes bereits oben angedeutet, ist diese Begrifflichkeit in ihrer Pauschalität wenig hilfreich. Angesichts der vorhandenen Strukturen des deutschen Internationalen Privat- und Verfahrensrechts ist fraglich, auf welcher Rechtsgrundlage eine Berücksichtigung von Eingriffsnormen im Prozessrecht denkbar ist. Ohne weitere Begründung ist es rechtstechnisch nicht möglich, aus der international zwingenden Geltung von Normen die Unwirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung abzuleiten, denn Rechtswahl und Gerichtsstandswahl sind voneinander unabhängige Konstrukte. 267 Es kommt hinzu, dass sich aus keiner deutschen Eingriffsnorm unmittelbar Rechtsfolgen für eine Zuständigkeitsvereinbarung zwischen den Parteien ergeben. 268 Versucht man, die herrschende Rechtsprechung dogmatisch zu verankern, so sind grundsätzlich dieselben zwei Wege denkbar, die auch schon im Rahmen der allgemeinen Missbrauchskontrolle zur Begründung einer ordre public-Kontrolle untersucht wurden. In Betracht kommt einerseits die Annahme einer dem Zivilprozessrecht immanenten Überprüfung im Rahmen der §§ 38, 40 ZPO. Die in den angeführten Entscheidungen vorgenommene Derogationsbeschränkung wäre hiernach auf einen ungeschriebenen Rechtssatz zurückzuführen, nach welchem zur Sicherung der Durchsetzung international zwingenden Rechts, Gerichtsstandsvereinbarungen unwirksam sind, wenn diese die Gefahr bergen, dass das prorogierte Gericht von international zwingendem deutschen Recht abweichen wird. 269 Wiederum ist hier an eine Vorverlagerung der ordre public-Kontrolle nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zu denken. Ist absehbar, dass die bei Berücksichtigung der Gerichtsstandsabrede ergehende ausländische Entscheidung wegen Missachtung deutscher Eingriffsnormen gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public verstoßen wird, so ließe sich bereits die Gerichtsstandsabrede als unwirksam ansehen. 270 Weller hingegen will eine Beurteilung der Gerichtsstandsvereinbarung nach der lex causae, also dem auf den Prorogationsvertrag anwendbaren Recht, vornehmen.271 Unterstehe dieser deutschem Recht, so sei es möglich, eine Umgehung international zwingenden Rechts mittels § 138 BGB zu verhindern. Eine Prozessabrede, die zur Nichtanwendung deutschen Rechts 265
Redmann, Ordre public-Kontrolle, S. 46 f.; Rühl, IPRax 2007, 294, 297. Rahmann, S. 26; Redmann, Ordre public-Kontrolle, S. 58; Schack, IZVR Rn. 515; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 302; wohl auch schon Kropholler, Handbuch des IZVR Rn. 538 ff. 267 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 743 f.; Rahmann, S. 26; mit Vorbehalt zustimmend: Kropholler, Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Rn. 540. 268 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 315. 269 Diese Möglichkeit zieht auch Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 245 f., in Betracht., siehe aber auch S. 301 f. 270 Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage), Rn. 3169. 271 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 305 ff.; wohl auch: Schack, IZVR, Rn. 515 f. 266
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führt, ist danach unwirksam. 272 Freilich dürfte die Prorogation ausländischer Gerichte nur selten anhand deutschen Rechts zu beurteilen sein. 273 Unterstehe der Prorogationsvertrag ausländischem Recht und sei die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem für sie maßgeblichen ausländischen Statut wirksam, so bleibe dem deutschen Richter an dieser Stelle der Einwand des kollisionsrechtlichen ordre public.274 Grundsätzlich ist der Ansicht Wellers zuzustimmen. Die internationalprivatrechtliche Lösung hat den Vorteil, sich mit Art. 6 EGBGB an einer bestehenden Norm orientieren zu können, anstatt auf ungeschriebene Grundsätze zurückgreifen zu müssen.275 Die Gerichtsstandsabrede verstieße hiernach gegen einen wesentlichen, zum ordre public im Sinne des Art. 6 EGBGB zählenden Grundsatz des deutschen Rechts, wenn sie zur Anwendung eines ausländischen Kollisionsrechts führt, das den deutschen international zwingenden Normen keine Beachtung schenkt und daher materiellrechtlich ein ordre public-widriges Ergebnis zur Folge hat. 276 Hierzu ist freilich erforderlich, dass die Nichtbeachtung einer Eingriffsnorm zugleich einen ordre public-Verstoß begründet. Zu bedenken ist, dass dem ordre public-Vorbehalt allein eine negative Abwehrfunktion zukommt. 277 Insbesondere ist es nicht Aufgabe des Art. 6 EGBGB die Anwendung deutscher Eingriffsnormen durchzusetzen. 278 Zwar sprach man früher im Zusammenhang von international zwingendem Recht auch vom positiven ordre public,279 die Durchsetzung von Eingriffsnormen findet heute freilich unstreitig nicht durch eine ordre public-Kontrolle, sondern mittels kollisionsrechtlicher Sonderanknüpfung der international zwingenden Normen statt. 280 Die Einordnung einer deutschen Vorschrift als Eingriffsnorm schließt die Anwendung des Art. 6 EGBGB bzw. Art. 21 Rom I-VO aus.281 International zwingendes Recht geht den Regelanknüpfungen des Kollisionsrechts vor und beansprucht unabhängig vom anwendbaren Recht Anwendung. Für eine ord-
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Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 214 f. Oben § 2A.III. Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 305 ff.; wohl auch Schack, IZVR, Rn. 516. 275 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 301 f. 276 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 307. 277 Kropholler, IPR, § 36 I, S. 244 f.; MünchKommBGB/von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 2; Palandt/Thorn Art. 6 EGBGB Rn. 3; Staudinger/Blumenwitz Art. 6 EGBGB Rn. 15. 278 Kropholler, IPR, § 36 I, S. 244 f.; Staudinger/Blumenwitz Art. 6 EGBGB Rn. 23. 279 Zum Begriff Kropholler, IPR, § 36 I, S. 245; Staudinger/Blumenwitz Art. 6 EGBGB Rn. 8. 280 MünchKommBGB/von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 2; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom IVO Rn. 31. 281 MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 111; MünchKommBGB/von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 2; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 31; Staudinger/Blumenwitz Art. 6 EGBGB Rn. 27. 273 274
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re public-Kontrolle bleibt kein Raum, da das Ergebnis bereits der vom deutschen Recht vorgegebenen Interessenlage entspricht. 282 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht Weller in der Überprüfung von Gerichtsstandsvereinbarungen.283 Dieser Ansatz überzeugt, denn deutsche Eingriffsnormen enthalten keinerlei die Gerichtsstandsabrede unmittelbar betreffende Aussage. Der rechtstechnische Vorrang der Eingriffsnormen kommt im Hinblick auf die Gerichtsstandsabrede nicht zur Geltung. 284 Es bleibt folglich ausnahmsweise Raum für eine ordre public-Kontrolle. Erforderlich ist indes, dass die zu befürchtende Missachtung einer deutschen Eingriffsnorm und die hierdurch bewirkte materielle Rechtslage zu einem ordre public-widrigen Ergebnis führt. Fraglich ist also, ob die Nichtanwendung einer Eingriffsnorm zwangsläufig einen Verstoß gegen den ordre public darstellt. Angesichts dessen, dass Eingriffsnormen wie negative ordre publicKontrolle den Schutz staatlicher Interessen zum Ziel haben, wird es unabhängig vom rechtstechnischen Vorrang der Eingriffsnormen, nicht selten vorkommen, dass als international zwingendes Recht zu qualifizierende Vorschriften zugleich auch zum ordre public zu zählen sind, denn Art. 9 Rom IVO erfordert das Bestehen eines entscheidenden öffentlichen Interesses, was begrifflich nicht weit von den in Art. 6 EGBGB bzw. Art. 21 Rom I-VO genannten wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung entfernt scheint. 285 Zwingend ist eine derartige Überschneidung zwar nicht. Etwa ist nicht jedem unter den ordre public fallenden Grundsatz des deutschen Recht automatisch auch Eingriffsnormqualität beizumessen. 286 Dies ist insbesondere der Fall, wenn man ein enges Verständnis von Eingriffsnormen vertritt und bloße Schutzvorschriften zugunsten Privater als nicht unter Art. 9 Rom I-VO fallend betrachtet. Die Schutzwirkungen der Grundrechte entfalten danach ausschließlich über den negativen ordre public-Vorbehalt Wirkung. 287 Dass eine Norm umgekehrt international zwingende Geltung beansprucht, aber keine wesentlichen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung schützt, ist ebenfalls grundsätzlich vorstellbar. 288 Angesichts des hier vertretenen und im Wortlaut des Art. 9 Rom I-VO angelegten engen Eingriffsnormenverständnis, nach welchem diese ein für die Wahrung der wirtschaftlichen, sozialen oder 282 Beulker, Eingriffsnormenproblematik, S. 50 ff.; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 111; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 743; Rauscher/Thorn Art. 21 Rom I-VO Rn. 9 f.; Staudinger/Blumenwitz Art. 6 EGBGB Rn. 27; Staudinger/Hausmann Art. 21 Rom I-VO Rn. 2. 283 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 313–315. 284 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 315. 285 Vgl. Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 31 sowie Staudinger/Magnus Art. 9 Rom I-VO Rn. 31. 286 Mankowski, RIW 1996, 8, 11; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 111 287 Beulker, Eingriffsnormenproblematik, S. 55; Mankowski, RIW 1996, 8, 11 f. 288 Beulker, Eingriffsnormenproblematik, S. 55; MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 111; Weber, IPRax 1988, 82, 84.
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politischen Organisation eines Staates entscheidendes öffentliches Interesse erfordern, wird dies freilich nur selten der Fall sein. Denn auch dem ordre public obliegt der Schutz der Sozialordnung. 289 Nimmt man mit dem EuGH eine international zwingende Einstufung des Art. 17 Handelsvertreterrichtlinie vor, so sprechen dieselben Gründe, die angeführt werden, um ein öffentliches Interesse im Sinne des Art. 9 Rom I-VO zu begründen, für eine Einstufung in den ordre public. Die durch die Richtlinie bezweckte Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen wurde mit Umsetzung in nationales Recht Teil des deutschen ordre public.290 Grundsätzlich lässt der ordre public aufgrund der ausdrücklichen Einbeziehung der grundrechtlichen Wertungen auch dem Individualschutz des Handelsvertreters Raum.291 Dass die Begründung eines international zwingenden Charakters des Art. 17 Handelsvertreterrichtlinie berechtigte Zweifel aufwirft, ist oben bereits ausgeführt worden.292 Erkennt man die Entscheidung des EuGH jedoch als geltendes, Anwendungsvorrang beanspruchendes Unionsrecht an, so liegt eine Einstufung in den ordre public nahe. Dem ordre public-Vorbehalt mag in diesen Fällen, in welchen der international zwingende Charakter einer Norm bereits über Art. 9 Rom I-VO durchgesetzt worden ist, bezüglich des Hauptvertrags keine Bedeutung mehr zukommen, weil die Sonderanknüpfung bereits ein ordre public-konformes Ergebnis vorweggenommen hat, dennoch ist eine Einordnung der von der Eingriffsnorm geschützten überragenden öffentlichen Interessen in den ordre public in vielen Fällen möglich.293 Da Eingriffsnormen regelmäßig nicht die Gerichtsstandsvereinbarung unmittelbar erfassen, können die in den Eingriffsnormen zugrunde gelegten Wertungen daher im Rahmen der Zuständigkeitsabrede mittels des ordre public-Vorbehalts durchgesetzt werden. 294 Führt die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zu einer Nichtanwendung deutschen international zwingenden Rechts und fehlt es dem ausländischen Recht zudem an einer äquivalenten Norm, die ein vergleichbares materiellrechtliches Ergebnis herbeiführt, so ist die Gerichtsstandsvereinbarung folglich als ordre public-widrig anzusehen und ihr die Wirksamkeit zu versagen. Die Vornahme der ordre public-Kontrolle weist die zusätzliche Schwierigkeit auf, dass die die deutsche Zuständigkeit derogierende Gerichtsstandsabrede unmittelbar keinen Grundsatz des deutschen Rechts verletzt. Ordre 289
Staudinger/Blumenwitz Art. 6 EGBGB Rn. 114; Staudinger/Hausmann Art. 21 Rom I-VO Rn. 18. 290 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 249; Stein/Jonas/Schlosser § 1061 ZPO Anh. Rn. 149; allgemein zur Richtlinienumsetzung und ordre public: Staudinger/Hausmann Art. 21 Rom I-VO Rn. 13; offen lassend im Hinblick auf § 89b HGB ders. Rn. 27. 291 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 2978; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 316. 292 Siehe bereits oben § 1B.V.2.b)(ii). 293 Überzeugend weist dies Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 313 ff. nach; a.A. freilich ohne Begründung: MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 111. 294 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 315.
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public-widrig kann vielmehr allein das mittelbare kollisions- und materiellrechtliche Ergebnis sein, das aus der Abrede folgt. Folglich ist aus deutscher Sicht nicht die freie Einigung der Parteien über die Zuständigkeit als solche zu missbilligen, sondern vielmehr das hierdurch mittelbar über das ausländische Kollisionsrecht herbeigeführte Ergebnis auf materiellrechtlicher Ebene.295 Im Ergebnis bleibt dann Raum für die gesetzlichen deutschen Zuständigkeiten, sofern diese denn eröffnet sind. 296 Kommt das vom ausländischen Forum angewandte Recht hingegen zu einem Ergebnis, das zwar nicht mit dem deutschen Recht übereinstimmt, jedoch trotz Nichtanwendung der deutschen Eingriffsnormen auch nicht erheblich von dessen Grundsätzen abweicht, so erfordert es der enge Prüfungsmaßstab einer ordre publicKontrolle dieses Ergebnis zu respektieren. Die Gerichtsstandsvereinbarung ist wirksam. 297 So ist im Hinblick auf § 89b HGB ein ordre public-konformes Ergebnis bereits dann gegeben, wenn das ausländische Gericht zwar nicht die deutsche Norm berücksichtigen wird oder der Anspruch der Höhe nach nicht dem entsprechen wird, was ein deutsches Gericht zubilligen würde, aber zumindest eine Art Ausgleichsanspruch anerkennt, der ein vergleichbares Niveau erreicht.298 Dass die Höhe des Anspruchs nur begrenzt den ordre public definieren kann, ergibt sich bereits daraus, dass auch die Handelsvertreterrichtlinie, auf welcher der ordre public-Charakter der Norm beruht, den Mitgliedstaaten Spielraum hinsichtlich der Höhe des Ausgleichanspruchs einräumt. Ob im Internationalen Arbeitsrecht noch eine Notwendigkeit zur Heranziehung der autonomen ordre public-Kontrolle besteht, wie sie vor Inkrafttreten der Brüssel I-Verordnung vom hessischen Landesarbeitsgericht noch angenommen worden ist, 299 hängt von der Wirkung ab, die man Art. 25 Abs. 4 in Verbindung mit den Derogationsverboten der Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO zumisst. Die weit überwiegende Ansicht in der Literatur will Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO auch auf eine Derogation der Schutzgerichtsstände der Brüssel Ia-VO zugunsten drittstaatlicher Gerichte anwenden.300 Dies überzeugt, denn eine einheitliche Beurteilung der Prorogation und Derogation europäischer Zuständigkeiten ist sinnvoll. Wenn schon die Wahl eines 295
Mit ausführlicher Begründung Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 305 ff. BGH, Urteil vom 12.03.1984, NJW 1984, 2037. 297 So im Ergebnis BGH, Urteil vom 30.05.1983, NJW 1983, 2772. 298 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 249; Stein/Jonas/Schlosser § 1061 ZPO Anh. Rn. 149. 299 LAG Hessen, Urteil vom 14.08.2000, IPRspr. 2000 Nr. 40, S. 82. Die Klage war am 22.09.1998 anhängig geworden, die Brüssel I-VO ist gemäß Art. 66, 76 erst ab 01.03.2002 anwendbar. 300 Geimer, NJW 1986, 1439; Geimer/Schütze/Geimer Art. 23 Rn. 42; Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 228; Kropholler/von Hein, Art. 23 Rn. 14; Magnus/Mankowski/Magnus Art. 23 Rn. 37; Rauscher/Mankowksi Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 3b; Reithmann/Martiny/ Hausmann Rn. 6488; Schack, IPRax 1990, 19, 20; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 57 ff. 296
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mitgliedstaatlichen Gerichts durch Art. 25 Abs. 4 beschränkt wird, so legt eine teleologische Auslegung der Norm nahe, erst recht die Prorogation drittstaatlicher Gerichte zu beschränken. 301 Soweit europäische Schutzgerichtsstände existieren, besteht dann keine Notwendigkeit mehr für autonome Beschränkungen der Derogation nach §§ 38, 40 ZPO.302 3. Statthaftigkeit einer präventiven Prüfung Mag sich der Ansatz der Rechtsprechung, von der befürchteten Nichtanwendung von Eingriffsnormen auf die Unwirksamkeit der Zuständigkeitsabrede zu schließen, auch dogmatisch begründen lassen, so sieht er sich dennoch erheblicher Kritik ausgesetzt. 303 Im Zeitpunkt der Bewertung der Gerichtsstandsvereinbarung hinsichtlich ihrer Auswirkung auf das materiellrechtliche Ergebnis ist anders als im Falle der allgemeinen Missbrauchskontrolle noch nicht mit Sicherheit vorauszusehen, ob das spätere ausländische Urteil tatsächlich gegen deutsche international zwingende Normen bzw. Wertungen des ordre public verstoßen wird. Viele Stimmen in der Literatur monieren, die Rechtsprechung ignoriere zudem, dass der Gesetzgeber es unterlassen habe, die internationalprivatrechtlichen Wertungen zuständigkeitsrechtlich abzusichern.304 Die ordre public-Kontrolle sei erst im Zeitpunkt der Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Titels nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO statthaft, da zu diesem Zeitpunkt feststehe, ob der ausländische Titel gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstoße. 305 Dieser Ansicht ist zuzugestehen, dass erst im Zeitpunkt der Anerkennung eines ausländischen Titels mit letzter Sicherheit festgestellt werden kann, ob dieser tatsächlich gegen den ordre public verstößt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Wirksamkeit der Derogation, ist hingegen eine Prognose vonnöten, die zwangsläufig mit einer gewissen Rechtsunsicherheit belastet ist. Nicht zuletzt ist fraglich, welcher Grad der Wahrscheinlichkeit der Nichtanwendung von Eingriffsnormen erforderlich ist, um die Parteiautonomie zu durchbrechen. Betrachtet man die Einwände der Literatur unter dem Aspekt des Schutzes des strukturell unterlegenen Unternehmers, so spricht indes manches für eine Vorverlagerung der ordre public-Kontrolle. Denn eine Verlagerung der Überprüfung in das Stadium der Anerkennung und Vollstreckung kann zu ganz erheblichen Nachteilen für den strukturell unterlegenen 301
von Hein, IPRax 2006, 16, 17; Rauscher/Mankowksi, Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 3b; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 6488. 302 Schack, IZVR Rn. 517. 303 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1770; Rahmann, S. 26 f.; Reithmann/Martiny/Hausmann (6.Auflage), Rn. 3169; Schack, IZVR, Rn. 516. 304 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1770; Rahmann, S. 26 f.; Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage); Schack, IZVR, Rn. 516. 305 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1770; Rahmann, S. 26 f.; Reithmann/Martiny/Hausmann (6. Auflage), Rn. 3169; Schack, IZVR, Rn. 516.
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Unternehmer führen. Ihm wird zugemutet, einen Prozess an einem ausländischen Forum zu führen. Tritt er selbst als klagende Partei auf, so ist er gezwungen, die Ressourcen für einen Prozess im Ausland aufzubringen. Wendet das ausländische Forum die klagebegründende deutsche Eingriffsnorm nicht an, so ist anschließend die Zuständigkeit deutscher Gerichte eröffnet, da nunmehr die ordre public-Widrigkeit der Zuständigkeitsabrede feststeht. Freilich ist ein weiterer Prozess gegen den Vertragspartner erforderlich. Ob der unterlegene Unternehmer die Kosten des ersten Verfahrens auf den Vertragspartner abwälzen kann, erscheint zweifelhaft. Zumindest ist er gezwungen, sie vorzustrecken, was eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen kann. Ist der strukturell unterlegene Unternehmer die beklagte Partei, so ist ebenfalls gezwungen am ausländischen Prozess teilzunehmen, da er nicht mit letzter Sicherheit vorhersagen kann, ob das prorogierte Forum tatsächlich deutsche Eingriffsnormen missachten wird und damit ein Anerkennungshindernis vorliegt. Es ist leicht vorstellbar, dass die addierten Kosten eines Verfahrens vor einem ausländischen Forum sowie des anschließenden deutschen Gerichtsverfahrens für den strukturell unterlegenen Unternehmer beachtlich sind. Der zeitraubende Prozess mag dabei ruinöse Wirkungen haben, wenn es sich um einen bedeutsamen Vertragspartner des Unternehmers handelt. Es lässt sich allerdings bezweifeln, dass dieser Kostenfaktor ohne weiteres unter den Schutzzweck des ordre public-Vorbehalts fällt. Schutzzweck dieses ist es vielmehr, die Anwendung deutscher Eingriffsnormen zu sichern. Hierunter fällt jedoch nicht, die schwächere Partei vor den beträchtlichen Kosten und Mühen eines Gerichtsverfahrens zu schützen und diese vor sie diesbezüglich benachteiligenden Gerichtsstandsvereinbarungen zu bewahren. Zu bedenken ist, dass auch die strukturell unterlegene Partei sich vertraglich auf die Zuständigkeitsabrede eingelassen hat und sich grundsätzlich hieran festhalten lassen muss.306 Ob ein vertragliches Ungleichgewicht in puncto der Gerichtsstandsabrede zu einer unangemessenen Benachteiligung der schwächeren Partei führt, weil sie dieser die Erlangung effektiven Rechtsschutzes unzumutbar erschwert, ist grundsätzlich eine von der Beachtung deutscher Eingriffsnormen durch das ausländische Gericht losgelöste Fragestellung, die in den Anwendungsbereich einer allgemeinen Missbrauchskontrolle fällt. Die Trennung beider Fragestellungen wird nicht zuletzt daran deutlich, dass ohne weiteres auch ein für den strukturell unterlegenen Unternehmer mit unzumutbarem Ressourcenaufwand verbundenes, verfahrensrechtlich nachteiliges Gerichtsverfahren denkbar ist, in welchem die Beachtung deutscher Eingriffsnormen außer Zweifel steht. Es zeigt sich, dass der Kostenfaktor, den die Nichtberücksichtigung von deutschen Eingriffsnormen durch ein ausländisches Forum zulasten der schützenswerten Partei per se nicht ausreicht, um eine Gerichtsstandsverein306
Vgl. zum Schiedsverfahren: Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 251.
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barung als ordre public-widrig anzusehen.307 Abzustellen ist vielmehr auf den Schutzzweck der Eingriffsnorm selbst und darauf, ob eine Berücksichtigung der jeweiligen Norm erst im Zeitpunkt der Anerkennung und Vollstreckung vor deutschen Gerichten ihre Wirksamkeit derart konterkariert, dass sie ihres Zweckes nahezu vollständig beraubt wird. 308 Zu unterscheiden sind dabei zwei Konstellationen. Die einfachere ist diejenige, in welcher bereits zum Zeitpunkt der Beurteilung der Zuständigkeitsabrede mit Sicherheit feststeht, dass das berufene Gericht die relevante Eingriffsnorm nicht anwenden und auch nicht auf einem anderen Wege zu einem mit dieser und dem daraus folgenden deutschen ordre public vereinbaren Ergebnis kommen wird. Soweit ersichtlich, spricht sich die weit überwiegende Auffassung in der Literatur dafür aus, die Zuständigkeitsabrede in diesem Fall bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Wirksamkeit der Derogation zu invalidieren. 309 Dem ist zuzustimmen. In dieser Situation die Prorogation zuzulassen, hieße, den strukturell unterlegenen Unternehmer an ein Verfahren zu verweisen, aus welchem ein Urteil hervorginge, das in Deutschland nicht vollstreckbar wäre. Das Verfahren wäre etwa für den Handelsvertreter, der einen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB begehrt, ein nutzloses und zugleich kostspieliges Unterfangen, da das ausländische Forum ihm diesen Anspruch verweigern würde und er anschließend gezwungen wäre ein weiteres Verfahren vor deutschen Gerichten anzustrengen. Steht dieser Ablauf bereits zum Zeitpunkt des Einredeverfahrens fest, so würde eine Zulassung der Prorogation einer Verweigerung des Rechtsschutzes gegenüber dem Kläger gleichkommen und seinen Anspruch auf Justizgewähr aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzen.310 Der von den Eingriffsnormen angestrebte wirtschaftspolitische Effekt, im Falle des § 89b HGB einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers zu erzielen und den Binnenmarkt vor Wettbewerbsverzerrungen zu bewahren, würde konterkariert, die Eingriffsnorm ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt.311
307
251.
Zur parallelen Fallgestaltung in Schiedsverfahren: Quinke, SchiedsVZ 2007, 246,
308 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 182 ff.; vgl. zu Schiedsvereinbarungen: Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 835 f. 309 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 252; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762; Rühl, IPRax 2007, 294, 301; vgl. auch MünchKommZPO/Adolphsen Art. II UNÜ Rn. 31; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 197. 310 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 184; zur parallelen Fragestellung in Schiedsverfahren: Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 835; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 252; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 197; grundsätzlich zur Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz als ordre public-Verstoß: Nagel/Gottwald § 16 Rn. 142 f. 311 vgl. zu Schiedsvereinbarungen: Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 835 f.
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Gegen einen Eingriff durch deutsche Gerichte bereits vor Erlass eines ausländischen Titels wird schließlich eingewandt, dass dieser zwei einander widersprechende Urteile zur Folge haben kann. 312 In der Tat führt die Annahme der durch die Unwirksamkeit der Derogation bedingten deutschen Zuständigkeit mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit zur Entstehung einander widersprechender Entscheidungen, denn drittstaatliche Gerichte dürften in derartigen Konstellationen keinen Grund sehen, nicht an der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung festzuhalten. 313 Die Unterminierung des internationalen Entscheidungseinklangs ist notwendiges Resultat der Durchsetzung der Wertungen des international zwingenden Rechts auch auf der Ebene des Internationalen Zivilverfahrensrechts. Dies ist oben bereits als den Eingriffsnormen immanentes Problem kritisiert worden. 314 Die Abwägung der Durchsetzung des rechtspolitischen Zweckes einer Eingriffsnorm mit dem vergleichsweise abstrakten Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs dürfte indes zulasten des letzteren zu entscheiden sein. Denn für von der Eingriffsnorm geschützte Partei wird nur einen begrenzten Nachteil aus dem Vorliegen zweier Titel ziehen. Ein ausländischer Titel, der deutsche Eingriffsnormen missachtet, ist aufgrund eines Verstoßes gegen den ordre public des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in Deutschland nicht anerkennungsfähig, wenn nicht durch Anwendung einer entsprechenden ausländischen Norm ein ordre public-konformes Ergebnis erzielt wurde.315 Der aufgrund der Eröffnung der deutschen internationalen Zuständigkeit im Inland ergangene Titel hingegen wird in aller Regel aufgrund der Zuständigkeitsanmaßung und der vorherigen Rechtskraftwirkung eines Urteils am prorogierten Forum im Ausland nicht vollstreckbar sein.316 Nimmt man jedoch an, dass der ausländische Vertragspartner im größeren Umfang geschäftliche Beziehungen zu deutschen Unternehmern pflegt, so genügt die Vollstreckbarkeit des Titel in Deutschland, beispielsweise aufgrund dort belegener Forderungen oder dorthin zu liefernder Waren, um den Vertragspartner zur Zahlung zu bewegen. 317 Weniger eindeutig zu beurteilen ist eine Konstellation, in welcher eine Prognose hinsichtlich der Beachtung oder Missachtung von Eingriffsnormen durch das ausländische Forum nicht mit letzter Sicherheit möglich ist, zum Zeitpunkt der Beurteilung der Wirksamkeit der Derogation die ordre publicWidrigkeit des späteren Urteils folglich offen bleibt. Auch hier kann es nicht allein darauf ankommen, dass die Kosten des Verfahrens für den strukturell unterlegenen Unternehmer erheblich sein können, wenn es aufgrund der Nichtanwendung von Eingriffsnormen zu der oben skizzierten Verfahrens312
So aber: Schack, IZVR, Rn. 516. Schack, IZVR, Rn. 516. G. Roth, IPRax 1985, 198, 200; im Übrigen auch oben § 1B.V.4. 315 Musielak/Voit/Stadler § 328 ZPO Rn. 25; Nagel/Gottwald § 11 Rn. 173. 316 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 834. 317 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 834. 313 314
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doppelung kommt. Es ist vielmehr auch hier zu fragen, ob die bloße Gefahr der Nichtanwendung deutscher Eingriffsnormen, den Schutzzweck der in Rede stehenden Eingriffsnorm im Falle einer Verweisung an das prorogierte Gericht missachtet. 318 Das OLG München stellt hierzu auf das Bestehen einer „naheliegenden Gefahr“ der Nichtanwendung deutscher Eingriffsnorm ab. 319 Zwar bleibt dieses Kriterium denkbar vage und es ist auch nicht sicher, ob das Gericht im konkreten Fall zu Recht eine solche Gefahr annehmen dur fte.320 Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Prognose überzeugt jedoch. 321 Das rein dogmatische Argument, eine Berücksichtigung der deutschen international zwingenden Norm sei im Anerkennungsverfahren ebenso möglich, verliert an Überzeugungskraft, wenn die Gefahr der Nichtanwendung von Eingriffsnormen am prorogierten Forum zu hoch ist. Denn die von der Eingriffsnorm geschützte Partei wird das Risiko des dortigen Prozesses scheuen, wenn der Aufwand der potentiell erforderlichen mehreren Verfahren für den strukturell unterlegenen Unternehmer so beträchtlich und die Erfolgsaussichten so vage sind, dass diese außer Verhältnis stehen. Die unterlegene Partei wird dann eher auf ihren Ausgleichsanspruch verzichten, anstatt sich auf ein kostspieliges und risikoreiches Verfahren im Ausland einzulassen. 322 Hat die beschriebene Situation einen abschreckenden Effekt auf den Handelsvertreter, so wird der hinter der Eingriffsnorm stehende wirtschafts- und sozialpolitische Zweck verfehlt. Besteht die naheliegende Gefahr der Nichtanwendung deutscher Eingriffsnormen ist es folglich geboten, bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über die Wirksamkeit der Derogation die Zuständigkeitsabrede als unwirksam zu betrachten. 323 Kleinheisterkamp und Rühl bezweifeln zu Recht, ob die gegenteilige Rechtsauffassung im Hinblick auf die Handelsvertreterrichtlinie mit der gebotenen effektiven Durchsetzung des Unionsrechts vereinbar ist.324
318 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 835f; vgl. mit anderer Konsequenz: Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 251. 319 OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322. 320 Siehe zur Kritik an der Entscheidung in Bezug auf das potentielle Ergebnis eines amerikanischen Schiedsgerichts: Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 829 ff.; Rühl, IPRax 2007, 294, 301 f. 321 Für die Zulässigkeit einer Prognose auch Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 181 ff. 322 Vgl. zur parallelen Fragestellung in Schiedsverfahren: Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 836; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 197; vgl. auch Rühl, IPRax 2007, 294, 301; a.A.: Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 250 ff.; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762 f. 323 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 183; vgl. zum Schiedsverfahren: Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 209 f.; im Ergebnis auch Rühl, IPRax 2007, 294, 301. 324 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 836; Rühl, IPRax 2007, 294, 301.
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VII. Zwischenergebnis Zu bewerten ist nach alledem, inwiefern vom bestehenden deutschen Internationalen Zivilverfahrensrecht eine Schutzwirkung zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers ausgeht. Insbesondere deutet die erfolgte Untersuchung eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtssicherheit an. 1. Schutzwirkung § 38 ZPO lässt sich entnehmen, dass Kaufleuten im Sinne der § 1 ff. HGB auch in internationalen Verträgen die formlose Wahl des Gerichtsstands ermöglicht wird.325 Eine Differenzierung zwischen überlegenen und schwächeren Unternehmern nimmt § 38 ZPO nicht vor; ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers findet bei Bestehen der Kaufmannseigenschaft durch Formvorschriften findet nicht statt. 326 Der ZPO lassen sich nur rudimentäre Regelungen zum internationalen Rechtsverkehr entnehmen. Die Methode, die internationale Zuständigkeit aus der örtlichen abzuleiten, stößt dort an ihre Grenzen, wo der internationale Rechtsverkehr weitergehende Probleme aufwirft als der rein nationale. 327 Eine Folge internationaler Sachverhalte ist es, dass sich die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach ausländischem Recht richten kann. Es bleibt dem deutschen Richter dann nur die Vornahme einer ordre public-Kontrolle. Aufgrund des engen Maßstabs einer solchen wird sich aus dieser nur in Extremfällen die Unwirksamkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung ergeben. Das strukturelle Ungleichgewicht zwischen zwei Vertragsparteien per se führt damit in aller Regel nicht zur Unwirksamkeit der Abrede, wenn das auf diese anwendbare Vertragsrecht in der Ausgestaltung der Vereinbarung keinen Missbrauch erkennt. Anders als die Brüssel Ia-Verordnung kennt die ZPO darüber hinaus kaum Regeln zur zuständigkeitsrechtlichen Absicherung der Wertungen des Internationalen Privatrechts.328 Die angeführten Entscheidungen der deutschen Gerichte, die darauf abzielen, deutschen Eingriffsnormen auch gegenüber Gerichtsstandsvereinbarungen zur Durchsetzung zu verhelfen, sind insofern konsequent, als sie versuchen, diese Lücke zu schließen. 329 Getreu dem Prinzip, dass zuständigkeitsrechtlich nicht sein könne, was kollisionsrechtlich nicht sein dürfe, wird eine Zuständigkeitsvereinbarung für ungültig erklärt, die in Verbindung mit einer Rechtswahl die Nichtanwendung international 325
Musielak/Voit/Heinrich § 38 Rn. 13; MünchKommZPO/Patzina § 38 Rn. 15; im Übrigen auch schon oben § 2A.III. 326 Vgl. MünchKommZPO/Patzina § 38 Rn. 5. 327 Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 358 f. 328 Dies gilt jedenfalls im Handelsverkehr. Eine Ausnahme für Haustürgeschäfte mag § 29c ZPO darstellen. 329 G. Roth, IPRax 1985, 198, 200; Thume, IHR 2006, 169.
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zwingenden inländischen Rechts oder Abweichungen vom durch das Internationale Arbeitsrecht vorgegebenen Schutzstandard zur Folge hätte. 330 Ein aus deutscher Sicht materiellrechtlich unerwünschtes Ergebnis soll den Parteien auch nicht über den Umweg einer Gerichtsstandsvereinbarung ermöglicht werden.331 Zum Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers ist dieser Ansatz ungeeignet. Zwar bewirkt er im Einzelfall, dass ein in Deutschland tätiger Handelsvertreter eine Derogation zugunsten eines außereuropäischen Gerichts, das den Ausgleichsanspruch nach Art. 17 Handelsvertreterrichtlinie nicht anerkennt, nicht gegen sich gelten lassen muss. 332 Dadurch, dass die Rechtsprechung die Derogationsverbote ausschließlich aus Eingriffsnormen ableitet, setzen sich freilich die im kollisionsrechtlichen Teil angeführten Probleme des Schutzes durch Eingriffsnormen fort und werden sogar noch verstärkt.333 Zum einen ist der Wirkungskreis von international zwingendem Recht lückenhaft. Es existieren nur wenige Eingriffsnormen, die ausdrücklich dem Schutz des schwächeren Unternehmers dienen. Ein umfassender Schutz des strukturell schwächeren Unternehmers wird folglich nicht gewährleistet. Da durch die Ingmar-Entscheidung des EuGH nicht auch die analoge Anwendung des § 89b HGB auf Franchisenehmer und Vertriebshändler für international zwingend erklärt wurde, besteht für diese etwa keine schützende Einschränkung der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie.334 Für Versicherungsnehmer gilt nur aufgrund der Sonderregelung des § 215 VVG etwas anderes.335 Kritisch ist im Übrigen zu sehen, dass die einseitige Berücksichtigung deutscher Eingriffsnormen lediglich einen Protektionismus zugunsten des in Deutschland ansässigen strukturell unterlegenen Unternehmers zur Folge hat, ohne einen vergleichbaren Schutz ausländischer strukturell unterlegener Parteien anzuerkennen. Ein weiterer Schwachpunkt des Versuchs den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers mittels des kollisionsrechtlichen ordre public zu gewährleisten, liegt im Fehlen entsprechender Schutzgerichtsstände begründet. Selbst wenn die Zuständigkeitsvereinbarung den Wertungen des deutschen Rechts nicht standhält, bleibt die Frage nach einer Zuständigkeit der deutschen Gerichte zur Sicherung der Anwendung deutscher Eingriffsnormen offen. In den oben untersuchten Fällen war die Zuständigkeit über den Gerichtsstand des Vermögens nach § 23 ZPO eröffnet. Verfügt der beklagte Vertragspartner indes über kein Vermögen in Deutschland, so schafft § 23 330
Exemplarisch ist insoweit die Entscheidung des BGH vom 12.03.1984, NJW 1984,
2037.
331
G. Roth, IPRax 1985, 198, 200. OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322. 333 Zu diesen schon oben § 1B.V.4. 334 Emde, EWiR 2006, 621, 622; im Übrigen schon oben § 1B.V.2.d). 335 MünchKommVVG/Looschelders § 215 Rn. 68. 332
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ZPO keine Abhilfe. Zu denken ist sodann an den Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO, problematisch ist jedoch, dass auch im Falle synallagmatisch verknüpfter Leistungen, für jede Verpflichtung ein gesonderter Erfüllungsort zu ermitteln ist. 336 Klagt der strukturell unterlegene Unternehmer auf Zahlung einer ihm zustehenden Provision, so ist – abhängig vom anwendbaren Recht –337 keinesfalls gesichert, dass der Erfüllungsort für diese Verpflichtung im Staat des Klägers belegen ist. 338 2. Rechtssicherheit Eine Missbrauchskontrolle ist nach der hier vertretenen Auffassung im Falle der Anwendbarkeit deutschen Rechts anhand von §§ 138, 307 BGB und im Falle der Einschlägigkeit ausländischen Rechts allein vor Art. 6 EGBGB möglich. Diese Bestimmungen sind als Generalklauseln von einer schwer zu fassenden Weite. Welche Anforderungen an einen jeweiligen Verstoß zu stellen sind, bleibt eine Entscheidung des Einzelfalls und damit nur schwer vorhersehbar. Auch von der Projektion von Eingriffsnormen auf die Ebene der Zuständigkeit geht eine beträchtliche Rechtsunsicherheit aus. Bereits auf kollisionsrechtlicher Ebene ist nicht immer von vornherein offensichtlich, ob eine Norm einen internationalen Geltungswillen sowie ein hinreichendes öffentliches Interesse aufweist. 339 Die auf Ebene der internationalen Zuständigkeit hinzukommende kollisionsrechtliche ordre public-Überprüfung beeinträchtigt die Rechtsklarheit zusätzlich, denn sie gebietet in einem zweiten Schritt einen Vergleich der deutschen international zwingenden Regelung mit dem vom prorogierten Forum voraussichtlich angewandten materiellen Recht. Dieser, vor dem Prüfungsmaßstab des Art. 6 EGBGB vorzunehmende, Vergleich erfordert vom Rechtsanwender eine Prognose darüber, ob das vom drittstaatlichen Gericht ermittelte materielle Ergebnis vom durch die betreffende deutsche Eingriffsnorm erzielten Resultat wesentlich abweicht oder ein aus deutscher Sicht noch erträgliches, mit dem ordre public vereinbares Ergebnis entstehen würde. Dass die neuere Rechtsprechung bereits „die naheliegende Gefahr“ der Nichtanwendung deutscher Eingriffsnormen und eines daraus folgenden unerwünschten materiellrechtlichen Ergebnisses genügen lässt, macht die Rechtsfindung nicht einfacher. 340 Das Erfordernis der nahe336
Musielak/Voit/Heinrich § 29 ZPO Rn. 14. MünchKommZPO/Patzina § 29 Rn. 104. 338 Vgl etwa bei Anwendbarkeit deutschen materiellen Rechts §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB. 339 Vgl. oben § 1B.V.2.e). 340 Rühl, IPRax 2007, 294, 298 kritisiert zu Recht, dass insbesondere in der vom OLG München entschiedenen Konstellation unsicher war, ob kalifornische Gerichte tatsächlich deutschen Wertungen keine Beachtung geschenkt hätten; siehe zur Berücksichtigung ausländischen zwingenden Rechts in Kalifornien schon oben § 2C.V; kritisch zur Progno337
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liegenden Gefahr mag ein Fortschritt gegenüber der vorherigen Rechtsprechung des BGH sein, welche der tatsächlichen Abwägung im Rahmen einer ordre public-Kontrolle mehr Bedeutung hat zukommen lassen. Denn es lässt sich hieraus ableiten, dass die Nichtberücksichtigung der Eingriffsnorm in Verbindung mit einer Prorogation ausländischer Gerichte durch die Parteien in Sachverhalten mit Bezug zum Binnenmarkt bzw. zum deutschen Markt im Zweifel als Umgehung derselben angesehen wird und zur Unwirksamkeit der Abrede führt.341 Beseitigt wird die Rechtsunsicherheit damit freilich nicht. Letztlich erzielt die ordre public-Kontrolle zwar einen begrenzten Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers im deutschen Internationalen Zivilprozessrecht. Ob eine Schutznorm des materiellen Rechts bzw. des Kollisionsrechts trotz abweichender Gerichtsstandsvereinbarung durchgreift, bleibt jedoch eine nur schwer vorhersehbare Entscheidung des Einzelfalls. B. Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen Eine weitere Möglichkeit des strukturell überlegenen Unternehmers eine für ihn günstige Vertragsgestaltung gegen bestehende Schranken des Internationalen Privatrechts durchzusetzen, stellt die Vereinbarung der Zuständigkeit von Schiedsgerichten dar. Durch die Vereinbarung einer Schiedsabrede kann dieser versuchen, sich den Zwängen der staatlichen Gerichtsbarkeit und dadurch zugleich den schützenden Bestimmungen des Kollisionsrechts wie des materiellen Rechts zu entziehen. Zu untersuchen ist im Folgenden, inwieweit sich ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers auch auf das Schiedsverfahren auswirkt und dieses begrenzt. I. Struktur des Schiedsverfahrens Das Schiedsverfahrensrecht bleibt aufgrund der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel Ia-VO vom Unionsrecht unberührt. Es fällt also grundsätzlich dem autonomen nationalen Recht zu, Zulässigkeit des Schiedsverfahrens, die Aufhebung inländischer sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche zu regeln. 342 Freilich ist das internationale Schiedsverfahrensrecht erheblich durch das New Yorker UN-Übereinkommen (UNÜ) 343 geprägt. Ausdrücklich verweist § 1061 ZPO für die Anerkennung und Vollstreckung internationaler Schiedssprüche auf die entseentscheidung im Übrigen auch Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1770; Staudinger/Hausmann IntVertrVerfR, Rn. 296; als „logische Konsequenz“ bezeichnet diese Thume, IHR 2006, 169. 341 Vgl. Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 835 f. 342 Rauscher/Mankowski Art. 1 Brüssel I-VO Rn. 28. 343 New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (BGBl. 1961 II, S. 122); die Mitgliedstaaten des Übereinkommens finden sich bei Jayme/Hausmann, Nr. 240 Fn. 1.
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sprechenden Bestimmungen des UNÜ, doch bereits in das so genannte Einredeverfahren, also die typischerweise vor Beginn des Schiedsverfahrens stattfindende Prüfung der Schiedseinrede durch staatliche Gerichte, spielen die staatsvertraglichen Wertungen des UNÜ hinein. 344 Aufgrund der Verflechtungen von Schiedsverfahren und staatlichem Gerichtsverfahren hat die Beurteilung des Schutzes des strukturell unterlegenen Unternehmers auf Ebene des Einredeverfahrens, des Aufhebungs- sowie des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens zu erfolgen. Auszugehen ist dabei von der Perspektive des deutschen Richters. Ob im Schiedsverfahren selbst ein solcher Schutz erfolgt, kann aufgrund der Vielzahl der hier denkbaren Variablen nur rudimentär untersucht werden. Die Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Überprüfung von Schiedsvereinbarungen stellen, sind dabei mit denen, die sich in der obigen Analyse von Gerichtsstandsvereinbarungen gezeigt haben, vergleichbar, nicht jedoch identisch. Dies liegt zuvorderst an der B erücksichtigung der völkervertraglichen Verpflichtungen des UNÜbereinkommens, das eine Orientierung allein am deutschen Recht unmöglich macht. II. Allgemeine Missbrauchskontrolle Die Überprüfung von Schiedsvereinbarungen ist wie die von Gerichtsstandsvereinbarungen grundsätzlich anhand zweier Ansatzpunkte denkbar. Zunächst gilt es zu untersuchen, ob die Ausnutzung einer überlegenen Verhandlungsposition zur Vereinbarung einer für die unterlegene Partei nachteiligen Schiedsvereinbarung die Unwirksamkeit dieser zur Folge hat (dazu sogleich (i)). In einem zweiten Schritt ist wiederum auf die Absicherung international zwingenden Rechts einzugehen (dazu unten (c)). 1. Das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht Gilt es zu prüfen, inwiefern ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers vor ihn benachteiligenden Schiedsvereinbarungen besteht, so ist zunächst zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden.345 In Betracht kommt zum einen die Möglichkeit, dass die Schiedsvereinbarung aufgrund der Benachteiligung des strukturell unterlegenen Vertragspartners bereits nach dem auf sie anwendbaren Recht, der lex causae, unwirksam ist. Größere Schwierigkeiten wirft die Konstellation auf, in welcher die Schiedsvereinbarung zwar nach der lex causae wirksam ist, zugleich jedoch den Wertungen
344
MünchKommZPO/Adolphsen Art. II UNÜ, Rn. 6; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6575 ff. 345 Diese Differenzierung deuten auch Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 192 f. an.
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des deutschen Rechts grundlegend widerspricht. 346 Fraglich ist folglich zunächst, nach welchem Recht sich die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung beurteilt. Gemäß Art. V Abs. 1 lit. a) UNÜ richtet sich diese im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren nach dem von den Parteien gewählten, mangels Rechtswahl nach dem am Sitz des Schiedsgerichts geltenden Recht. Entsprechendes gilt für das Aufhebungsverfahren nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) ZPO. Für das Einredeverfahren nach § 1032 ZPO fehlt es an einer Kollisionsnorm zur Bestimmung des anwendbaren Rechts. Auch der in § 1032 ZPO abgebildete Art. II Abs. 3 UNÜ, nach welchem die Mitgliedstaaten des Übereinkommens verpflichtet sind, Schiedsvereinbarungen anzuerkennen, wenn diese nicht nichtig, unwirksam oder undurchführbar sind, enthält keine kollisionsrechtlichen Hinweise. Doch kann zu diesem Zeitpunkt im Lichte der staatsvertraglichen Verpflichtungen des UN-Übereinkommens nichts anderes gelten als im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren.347 Eine andere Ansicht, die eine gesonderte Bestimmung des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts im Einredeverfahren nach den Art. 27 ff. EGBGB a.F. vornehmen wollte,348 muss als überholt gelten. Denn die Rom I-VO schließt Schiedsvereinbarungen nach Art. 1 Abs. 2 lit. e) aus ihrem Anwendungsbereich aus. Für eine analoge Anwendung bleibt kein Raum.349 § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) ZPO sowie § 1061 ZPO in Verbindung mit Art. V Abs. 1 lit. a) UNÜ enthalten eine vorrangige Kollisionsnorm für das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht sowohl für den Falle eines ausländischen als auch eines in Deutschland belegenen Schiedsortes, die die Annahme einer Regelungslücke ausschließt. 350 Eine unterschiedliche Beurteilung der Wirksamkeit derselben Schiedsabrede in unterschiedlichen Stadien des Verfahrens widerspräche dem Ziel des internen wie des internationalen Entscheidungseinklangs. 351 Nicht ersichtlich ist, weshalb ein deutsches Gericht für die Beurteilung derselben Schiedsklausel vor Erlass des Schiedsspruchs andere Maßstäbe an die Klausel anlegen sollte als nach Erlass eines solchen. Erschwert wird die Beurteilung dadurch, dass die Parteien zumeist zwar eine Rechtswahl für den Hauptvertrag, jedoch keine entsprechende Regelung
346 Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 203; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 193. 347 Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Trittmann/Hanefeld § 1029 ZPO Rn. 11; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3788 f.; ders., IPRax 2006, 233, 234; MünchKommZPO/Münch, § 1029 Rn. 33; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 6620. 348 BGH, Beschluss vom 21.09.2005, IPRax 2006, 266; BGH, Urteil vom 12.04.2011, NJW-RR 2011, 1287; Kronke, RIW 1998, 257, 258. 349 Rauscher/von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 40; Staudinger/Magnus Art. 1 Rom I-VO Rn. 78. 350 Geimer, IPRax 2006, 233, 234; Hau, IPRax 1999, 232, 234; Reithmann/Martiny/ Hausmann Rn. 6620. 351 Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6620.
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für die Schiedsvereinbarung getroffen haben dürften. 352 Die deutsche Rechtsprechung und ein Teil der Literatur nehmen an, die Rechtswahl für den Hauptvertrag gelte implizit auch für die Schiedsabrede. 353 Im Schrifttum ist diese pauschale Annahme freilich auf erhebliche Kritik gestoßen. 354 Ähnlich wie schon oben zur Gerichtsstandsabrede wird auch hier ausgeführt, Schiedsabrede und Hauptvertrag seien strikt zu trennen. Hätten die Parteien bei Vertragsschluss nicht erwogen, welchem Statut der Schiedsvertrag zu unterstellen sei, so überdehne die Annahme einer konkludenten Rechtswahl den Parteiwillen. 355 Eine subsidiäre Anknüpfung an das Recht des Landes, in welchem der Schiedsspruch ergangen ist, sei dann vorzuziehen. Hierfür spricht, dass ein Parteiinteresse an einem Gleichklang nicht ohne weiteres begründbar ist. Schiedsabrede und Hauptvertrag verfolgen ebenso unterschiedliche Zwecke wie Gerichtsstandsabrede und Hauptvertrag.356 Die obige Argumentation ist insoweit übertragbar. 357 Sicherlich ist denkbar, dass der Parteiwille die Rechtswahl auch auf die Schiedsvereinbarung erstreckt, dies ist freilich im Einzelfall festzustellen. 358 Für die rechtliche Beurteilung der Schiedsabrede, die komplexe Fragen aufwerfen kann, mag es aus Sicht der Parteien indes sehr viel naheliegender sein, die Schiedsvereinbarung demselben Statut zu unterstellen wie die eigentliche Durchführung des Schiedsverfahrens. 359 Einer Ausdehnung des Parteiwillens auf die Schiedsabrede ist folglich die subsidiäre Anknüpfung an den Schiedsort vorzuziehen. Nur wenn kein Schiedsort vereinbart worden ist und ein solcher zum Zeitpunkt des Einredeverfahrens auch sonst nicht ersichtlich ist, ist eine akzessorische Anknüpfung an den Hauptvertrag zu erwägen. 360
352
Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3788; Samtleben, FS von Hoffmann, S. 1066, 1069. 353 BGH, Urteil vom 28.11.1963, BGHZ 40, 320, 323; BGH, Urteil vom 12.02.1976, BGHZ 77, 32, 37; OLG Hamburg, Urteil vom 24.01.2003, SchiedsVZ 2003, 284, 286 f.; OLG München, Urteil vom 07.04.1989, RIW 1990, 585, 586; Haas, IPRax 1993, 382, 384; Sandrock, JZ 1986, 370, 372 f. 354 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3788 ff.; Kronke, RIW 1998, 257, 258; MünchKommZPO/Münch § 1029 Rn. 35; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6623; Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 198; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 191. 355 Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 198; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 191. 356 Kronke, RIW 1998, 257, 258; MünchKommZPO/Münch § 1029 Rn. 35; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6623; Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 198. 357 Oben § 2A.V.2.a). 358 Eichel, IPRax 2010, 219, 220; Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 198. 359 Eichel, IPRax 2010, 219, 220 f.; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6623. 360 Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6627.
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2. Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach lex causae In einer Reihe nahezu gleichlautender Entscheidungen aus jüngerer Vergangenheit haben das OLG Bremen, das OLG Dresden und das OLG Celle Schiedsvereinbarungen zulasten von Franchisenehmern als unwirksam erachtet.361 Die zu entscheidende Konstellation war in allen Fällen dieselbe: Deutsche Franchisenehmer hatten mit einer in den Niederlanden ansässigen Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Unternehmens Doctor’s Associates, das die Schnellrestaurant Kette Subway betreibt, Franchiseverträge über den Betrieb von Schnellrestaurants in Deutschland abgeschlossen. Die Franchisevereinbarungen waren in Formularverträgen in englischer Sprache mit beiliegender deutscher Übersetzung abgefasst. Sie bestimmten die Anwendbarkeit liechtensteinischen Rechts und enthielten eine Schiedsvereinbarung zugunsten eines in New York oder Connecticut, in englischer Sprache und gemäß den Regeln der UNCITRAL-Schiedsordnung tagenden Schiedsgerichts. In einem später folgenden Streit über die Zahlung von Franchisegebühren leitete die niederländische Franchisegeberin Schiedsverfahren in den Vereinigten Staaten ein, an welchen sich die Franchisenehmer nicht beteiligten und welche in die Franchisenehmer zur Zahlung verurteilenden Schiedssprüchen resultierten. Deutsche Gerichte hatten im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren nach § 1061 ZPO über die Wirksamkeit der Schiedsabrede zu entscheiden. Die Gerichte maßen die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung an liechtensteinischem Recht, weil die Parteien dessen Anwendung für den Franchisevertrag bestimmt hatten. Nach § 879 Abs. 3 des in Liechtenstein geltenden ABGB 362, der im Regelungsgehalt § 307 Abs. 1 BGB entspricht,363 sei sie nichtig, weil sie den Franchisenehmer insofern benachteilige, als sie dessen Rechtsverteidigung und Rechtsverfolgung unzumutbar erschwere.364 Bereits die Anreise nach New York sei für den Franchisenehmer enorm zeit- und kostenaufwändig, hinzu komme die besondere Belastung, die es für diesen darstelle, zeitnah einen Rechtsanwalt zu finden, der in der Lage sei, vor einem amerikanischen Schiedsgericht, in englischer Sprache über liechtensteinisches materielles Recht zu verhandeln. Ohne Anwalt 361 OLG Dresden, Beschluss vom 07.12.2007, IPRspr. 2007 Nr. 222, 631; OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649; OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659. 362 „Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, ist jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt.“ 363 OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659, 660; Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 201. 364 OLG Dresden, Beschluss vom 07.12.2007, IPRspr. 2007 Nr. 222, 631, 632; OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649, 650; OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659, 660.
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schließlich sei dem Franchisenehmer die Verteidigung angesichts dieser Umstände nahezu unmöglich. Diese Benachteiligung treffe einseitig den Franchisenehmer, da es der Franchisegeberin aufgrund ihrer Verbindungen zur Muttergesellschaft ungleich leichter möglich sei, ihre Rechte in New York wahrzunehmen. Zugleich sei kein sachlicher Grund für die Franchisegeberin erkennbar, den Schiedsort am Sitz ihrer Muttergesellschaft statt an ihrem eigenen zu bestimmen. Insbesondere befände sich der Erfüllungsort aller relevanten vertraglichen Verpflichtungen in Deutschland. Dies lege die Vermutung nahe, die Klausel ziele gerade darauf ab, dem Franchisenehmer die Rechtsverteidigung zu erschweren. 365 Ausdrücklich nahmen die Gerichtsentscheidungen Bezug auf die Ausnutzung der strukturellen Überlegenheit des Franchisegebers gegenüber dem geschäftlich unerfahrenen Vertragspartner, welche es zu beschränken gelte.366 Aufgrund der Nichtigkeit der Klausel nach dem auf diese anwendbaren Recht konnten die Oberlandesgerichte die Anerkennung und Vollstreckung der Schiedssprüche gemäß Art. V Abs. 1 lit. a) UNÜ verweigern. Zwar ergingen die angeführten Entscheidungen sämtlich im Verfahren nach § 1061 ZPO, nichts anderes könnte indes im Einredeverfahren nach § 1032 ZPO gelten. Denn wie oben bereits erörtert, wäre es sinnwidrig die Klausel vor Erlass des Schiedsspruches nach anderen Maßstäben zu beurteilen als im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung. Es soll an dieser Stelle dahinstehen, ob die Oberlandesgerichte das liechtensteinische Recht insofern korrekt angewendet haben, als die jeweiligen Schiedsvereinbarungen nach § 879 Abs. 3 ABGB tatsächlich als unwirksam anzusehen waren.367 Fraglich ist freilich, ob die Gerichte überhaupt zutreffend von der Anwendbarkeit des liechtensteinischen Rechts ausgegangen sind. Das OLG Dresden und das OLG Bremen schließen ohne weitere Begründung von der Rechtswahl der Parteien bezüglich des Hauptvertrags auch auf eine entsprechende Wahl für die Schiedsabrede. 368 Das OLG Celle stellt ausdrücklich fest, die Rechtswahlklausel sei so auszulegen, dass sie auch die Schiedsvereinbarung umfasse. 369 Wie oben bereits erörtert, ist eine solche Auslegung zwar theoretisch denkbar, naheliegend ist sie indes nicht. Dem Parteiwillen lässt sich aus den oben genannten Gründen nicht ohne weiteres entnehmen, 365 OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649, 652; OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659, 661. 366 OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649, 652; OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659, 660; OLG Dresden, Beschluss vom 07.12.2007, IPRspr. 2007 Nr. 222, 631, 632. 367 Hierzu weitergehend: Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 198; zweifelnd insofern: Samtleben, FS von Hoffmann, 1066, 1070 f. 368 OLG Dresden, Beschluss vom 07.12.2007, IPRspr. 2007 Nr. 222, 631; OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649. 369 OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659, 661.
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die Rechtswahl des Hauptvertrags solle auch für die Schiedsklausel gelten. 370 Folgt man hingegen der auch in dieser Arbeit vertretenen Ansicht, wonach Hauptvertrag und Schiedsklausel in Bezug auf das anwendbare Recht strikt zu trennen sind, so fehlt es an einer Rechtswahl hinsichtlich der Schiedsklausel und es ist subsidiär an den Staat anzuknüpfen, in dem der Schiedsspruch ergangen ist. In den vorliegenden Fällen wäre danach die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarungen am Recht von Connecticut bzw. New York zu beurteilen.371 In der US-amerikanischen Rechtsprechung besteht die Tendenz, im Rechtsverkehr zwischen Unternehmern Schiedsvereinbarungen grundsätzlich aufrechtzuerhalten. 372 Wäre die Schiedsklausel nach diesem Statut wirksam zustande gekommen, so stellt sich im Folgenden die Frage, ob deutsche Gerichte dieses Ergebnis hinnehmen müssten. 3. Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach deutscher lex fori Haben die Parteien die Schiedsvereinbarung einer Rechtsordnung unterstellt, nach welcher die Abrede wirksam ist, oder ist eine solche aufgrund der subsidiären Anknüpfung an den Schiedsort anwendbar, so scheidet die Beurteilung der Klausel nach deutschem Vertragsrecht aus. Deutschen Gerichten bleibt dann allein eine ordre public-Kontrolle des Schiedsspruchs. Im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren richtet sich diese nach Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ und im Aufhebungsverfahren nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO. Beide Bestimmungen erlauben eine Aufhebung bzw. Nichtanerkennung, wenn der Schiedsspruch gegen den deutschen ordre public verstößt. An diese ordre public-Kontrolle sind hohe Voraussetzungen zu stellen. Eine Aufhebung oder Nichtanerkennung kommt nur dann in Betracht, wenn der Schiedsspruch mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist.373 In den Entscheidungen deutscher Gerichte hält sich die Auffassung, es sei zwischen einer Kontrolle deutscher Schiedssprüche am internen ordre public und einer Überprüfung ausländischer Schiedssprüche am internationalen ordre public zu differenzieren.374 Da freilich bereits die Hürden der internen ordre public Kontrolle, die im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens Anwendung findet, sehr hoch sind, ist zweifelhaft, ob dieser Differenzierung
370 Kritisch auch Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 198; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 191; zustimmend hingegen: Samtleben, FS von Hoffmann, 1066, 1069 f. 371 Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 198; Samtleben, FS von Hoffmann, 1066, 1072. 372 Dazu ausführlich unten § 3C.IV. 373 Siehe etwa BGH, Urteil vom 18.01.1990, NJW 1990, 2199 m.w.N. 374 BGH, Urteil vom 18.10.1967, NJW 1968, 354; BGH, Urteil vom 19.09.1977, NJW 1978, 1114, 1115 BGH, Urteil vom 18.01.1990, NJW 1990, 2199; BGH, Urteil vom 29.01.2009, SchiedsVZ 2009, 176.
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überhaupt eine praktische Bedeutung zukommt. 375 Auch im Einredestadium ist eine Überprüfung der Schiedsvereinbarung möglich. Ansatzpunkt der rechtlichen Bewertung der Schiedsklausel im Zeitpunkt des Einredeverfahrens ist hier der von Art. II Abs. 3 UNÜ maßgeblich geprägte § 1032 Abs. 1 ZPO, nach welchem ein staatliches Gericht die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen hat, sofern es nicht feststellt, dass die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist. Denkbar ist es, die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung in diesem Sinne dann anzunehmen, wenn der aus ihr resultierende Schiedsspruch gegen den ordre public verstoßen wird. 376 Dogmatisch liegt darin eine Berücksichtigung des anerkennungsrechtlichen ordre public des Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ bereits zum Zeitpunkt des Einredeverfahrens. Dies ist schlüssig, denn es ist nicht geboten, die Parteien an das Schiedsgericht zu verweisen, wenn bereits von vornherein feststeht, dass der hieraus ergehende Schiedsspruch den deutschen ordre public verletzen wird.377 Eine Beachtung der Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit in dieser Konstellation würde die Parteien an ein aus ihrer Sicht unter Umständen sinnwidriges Verfahren verweisen, aus dem kein in Deutschland vollstreckbarer Titel hervorgeht und damit den deutschen Justizgewährungsanspruch verletzen. 378 Fraglich ist, ob ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers, wie er in den angeführten oberlandesgerichtlichen Entscheidungen aus der lex causae hergeleitet wird, im Falle der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach ausländischem Vertragsstatut über die ordre public-Kontrolle herbeigeführt werden könnte. Hierzu müsste die Ausnutzung der strukturellen Überlegenheit einer Partei etwa durch die Vereinbarung eines weit entfernten Schiedsortes, an welchem die Durchführung des Verfahrens für eine Partei nur mit einem erheblichen, unverhältnismäßigen Einsatz an Ressourcen möglich ist, mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar sein. Erforderlich wäre zunächst ein Verstoß einer solchen Klausel gegen einfaches deutsches Recht. Gegen § 307 BGB verstößt eine Klausel dann, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.379 Die Oberlandesgerichte lassen in den oben analysierten Entscheidungen erkennen, dass die Schiedsvereinbarungen bei Anwendbarkeit 375
Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Kröll § 1061 ZPO Rn. 111; Geimer, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 3920; MünchKommZPO/Adolphsen, Art. V UNÜ Rn. 68; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 204. 376 MünchKommZPO/Adolphsen Art. II UNÜ Rn. 31; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762 f. 377 MünchKommZPO/Adolphsen Art. II UNÜ Rn. 29; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 252; Stein/Jonas/Schlosser Anh. 1061 ZPO Rn. 42. 378 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 248; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 196 f.; Weller, Ordre public-Kontrolle, S. 326. 379 Grundsätzlich dazu Staudinger/Coester § 307 Rn. 90 ff.
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deutschen Rechts an § 307 BGB scheitern würde. 380 Die bloße Vereinbarung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts stellt keine derartige Benachteiligung dar.381 Im internationalen kaufmännischen Rechtsverkehr ist im Übrigen auch die Vereinbarung eines ausländischen Schiedsortes am Sitz einer der Parteien nicht zu beanstanden. 382 Grundsätzlich kann darüber hinaus auch die Wahl eines Schiedsortes in einem neutralen Drittstaat angemessen sein, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht. 383 Das Bestehen eines solchen berechtigten Interesses haben die Oberlandesgerichte in den geschilderten Entscheidungen zu Recht abgelehnt, denn aus den oben geschilderten Umständen folgt bei einer Interessenabwägung eine unangemessene Benachteiligung des Franchisenehmers. Die Schiedsklauseln verfolgen einseitig das Interesse des Verwenders eines Schiedsortes am Sitz der Muttergesellschaft, ohne dass eine Rechtfertigung dieser Wahl durch eine räumliche oder sachliche Nähe zum Vertragsgegenstand ersichtlich ist. 384 Aufgrund des wirtschaftlichen Gefälles zwischen den Parteien ist die Belastung, die das vereinbarte Schiedsverfahren für den Franchisenehmer bedeutet, enorm, für den Franchisegeber hingegen zu vernachlässigen. Dies führt zu einer einseitigen Erschwerung des Rechtsschutzes für den Franchisenehmer und damit auch zu einer Unwirksamkeit nach § 307 BGB.385 Freilich hat ein Verstoß gegen einfaches deutsches Recht nur dann die ordre public-Widrigkeit der Schiedsvereinbarung bzw. des späteren Schiedsspruchs zur Folge, wenn dieses einfache Recht zugleich ein wesentliches Grundprinzip des deutschen Rechts verkörpert.386 Hier kann auf die bereits zu Gerichtsstandsvereinbarungen entwickelte Argumentation zurückgegriffen werden. Zu berücksichtigen ist auch hier, dass das deutsche internationale Zivilverfahrensrecht grundsätzlich keine Beschränkungen der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie im Handelsverkehr vorsieht. Ein wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts, der einen räumlichen oder sachlichen Bezug des Schiedsortes zum Hauptvertrag erfordert, ist nicht erkennbar. 387 Es bleibt allein ein Rückgriff auf die Gewähr effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. Ist dieser Grundsatz verletzt, so ist die Anerkennung und Voll380
OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659, 660. OLG München RIW 1996, 853, 856; Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke § 27 Rn. 12. 382 MünchKommBGB/Kieninger § 307 Rn. 291; vgl. Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke § 27 Rn. 12. 383 MünchKommBGB/Kieninger § 307 Rn. 291. 384 Vgl. Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke § 27 Rn. 12. 385 Eichel, IPRax 2010, 219, 223 f.; Samtleben, FS von Hoffmann, 1066, 1073 f. 386 BGH, Urteil vom 07.01.1971, IPRspr. 1971 Nr. 158b; BGH, Urteil vom 15.05.1986, RIW 1986, 816, 817. 387 Daher einen Verstoß gegen den ordre public ablehnend: Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 203; vgl. auch Eichel, IPRax 2010, 219, 222. 381
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streckung ausländischer Schiedssprüche gemäß § 1061 ZPO, Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ zu versagen. 388 Ob ein solcher Entzug des effektiven Rechtsschutzes im vorliegenden Falle der Vereinbarung eines New Yorker Schiedsgerichts zu befürchten ist, erscheint fraglich. Grundsätzlich wäre es dem Franchisenehmer möglich gewesen, am Verfahren teilzunehmen. Im Verfahren selbst, so ist anzunehmen, hätten beiden Parteien dieselben Angriffs- und Verteidigungsmittel zugestanden. Freilich besteht die nicht unerhebliche Einschränkung für die strukturell unterlegene Partei, dass eine solche Teilnahme mit einem beträchtlichen, einseitigen Ressourcenaufwand einhergeht, welcher auf die strukturelle Übermacht des Franchisegebers zurückzuführen ist, da der Franchisenehmer bei ausgeglichenem Kräfteverhältnis einer derartigen Klausel nicht zugestimmt hätte. Ob sich hieraus jedoch der Entzug effektiven Rechtsschutzes ableiten lässt, ist zweifelhaft. 389 Denn, wie das OLG Celle andeutet, wäre die Klausel bereits nach § 307 BGB wirksam, wenn der Vertragspartner seinen Sitz in New York gehabt hätte. 390 Erst recht käme folglich ein Verstoß gegen den ordre public nicht in Betracht. Es überzeugt jedoch nicht, die Annahme der Gewähr effektiven Rechtsschutzes vom Sitz des Vertragspartners abhängig zu machen. Erwogen wird schließlich noch ein weiterer Ansatzpunkt für die ordre public-Widrigkeit einer einseitig belastenden Schiedsvereinbarung. Zu § 1025 Abs. 2 ZPO a.F., der Schiedsvereinbarungen für nichtig erklärte, zu welcher eine Partei die andere unter Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit genötigt hat,391 wurde vertreten, dieser Grundsatz sei Bestandteil des deutschen ordre public, ein Verstoß dagegen führe folglich zur Nichtanerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs. 392 Derartige Knebelungsverträge verstießen gegen den Grundsatz des deutschen Rechts, nach welchem eine vertragliche Vereinbarung ein Mindestmaß an Freiwilligkeit erfordere, wenn sich zugleich der wirtschaftliche Druck in einer die schwächere Partei einseitig belastenden Vereinbarung ausgedrückt hat. Der Rechtsgedanke des § 1025 Abs. 2 ZPO a.F. soll auch nach Streichung der Vorschrift Teil des ordre public bleiben.393 Im Ergebnis kann diese Ansicht jedoch nicht überzeugen. Mit der Neuordnung des Schiedsverfahrens im Jahre 1998 hat der Gesetzgeber § 1025 Abs. 2 ZPO a.F. bewusst gestrichen. Verträge zwi388 MünchKommZPO/Adolphsen Art. V UNÜ Rn. 78; Nagel/Gottwald § 16 Rn. 143; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6764; Samtleben, FS von Hoffmann, 1066, 1074; Schwab/Walter § 30 Rn. 23. 389 Dazu bereits oben § 2A.V.2. 390 OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659, 660. 391 MünchKommZPO/Maier (1. Auflage) § 1025 ZPO Rn. 8 f. 392 OLG Hamburg, RIW 1989, 574, 576 mit umfangreichen Nachweisen aus der Literatur. 393 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3819; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6764.
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schen Parteien, von denen eine der anderen wirtschaftlich oder sozial überlegen ist, seien sehr häufig. Ebenso wenig wie eine derartige Überlegenheit zur Nichtigkeit des Hauptvertrags führe, lasse sich aus ihr die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung ableiten. 394 Dies schließt nicht aus, dass knebelnde Schiedsklauseln in Extremfällen bei Anwendbarkeit deutschen Rechts weiterhin nach § 138 BGB unwirksam sind, es sind hieran freilich höhere Voraussetzungen zu stellen als die bloße Überlegenheit einer Partei. 395 Erst recht muss diese Zurückhaltung gelten, versucht man aus der Benachteiligung einer unterlegenen Partei eine wesentliche Gerechtigkeitsvorstellung des deutschen Rechts im Sinne des ordre public zu konstruieren. Im Ergebnis besteht damit die Möglichkeit, dass eine von einem übermächtigen Vertragspartner durchgesetzte Schiedsklausel im Einzelfall unter Berücksichtigung besonders erschwerender Umstände aufgrund des Entzugs effektiven Rechtsschutzes ordre public-widrig sein kann. Im den oben erwähnten Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalt wäre ein solcher möglicherweise in Betracht gekommen, weil besonders kurze Einlassungsfristen im transatlantischen Kontext dem Franchisenehmer die Verteidigung zusätzlich erschwerten und eine Gesamtbetrachtung der Modalitäten der Streitbeilegung den Verdacht nahe legte, diese seien allein darauf ausgelegt, den Franchisenehmern die Rechtsverteidigung zu erschweren.396 Letztlich kann damit eine besonders benachteiligende Schiedsklausel im Ergebnis ordre public-widrig sein, hieran sind jedoch erhebliche Anforderungen zu stellen. Ein pauschaler Schluss von der strukturellen Unterlegenheit einer Partei auf die ordre public-Widrigkeit der Schiedsklausel ist nicht zulässig. 397 III. Absicherung international zwingenden Rechts Wie schon im Falle der Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen diskutiert, stellt sich auch bei Schiedsvereinbarungen die Frage, ob diese dann unwirksam sind, wenn der aus ihnen resultierende Schiedsspruch zu einer Nichtanwendung von Eingriffsnormen führt. Für den strukturell unterlegenen Unternehmer ist dies von Relevanz, wenn die Anwendung von Eingriffsnormen, die wie § 89b HGB seinen Schutz bezwecken, im Raum steht. 398
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BT-Drucks. 13/5274, S. 34. Zur Wirkung von § 138 BGB auf Schiedsvereinbarungen vgl. Lachmann, Rn. 545; Musielak/Voit/Voit § 1029 ZPO Rn. 10; K. Schmidt, ZHR 162 (1998), 265, 281 f. 396 OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649, 652; OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659, 660 vgl. Eichel, IPRax 2010, 219, 223; Samtleben, FS von Hoffmann, 1066, 1074. 397 Zum selben Ergebnis kommen Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 203; anders wohl: Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6764; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3819 will eine „abgenötigte“ Klausel als ordre public-widrig ansehen. 398 Hierzu: OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322. 395
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1. Aufhebungs- und Anerkennungsverfahren Denkbar sind wiederum drei Konstellationen, in denen sich die Frage nach der Berücksichtigung bzw. Missachtung von deutschem international zwingendem Recht stellt. Vergleichsweise unproblematisch sind die Phasen eines möglichen Aufhebungsverfahrens sowie einer Überprüfung des Schiedsspruchs vor deutschen Gerichten zum Zeitpunkt eines Antrags auf Anerkennung und Vollstreckung. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO sowie § 1061 ZPO i.V.m. Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ ermöglichen die Aufhebung eines in Deutschland ergangenen Schiedsspruchs oder die Verweigerung der Anerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs im Falle der ordre publicWidrigkeit desselben. Die Abgrenzung zwischen den beiden verwendeten ordre public-Begriffen hauptsächlich theoretischer Natur. 399 Zurückzugreifen ist bei der Überprüfung des materiellrechtlichen ordre public auf die zu Art. 6 EGBGB entwickelten Grundprinzipien. 400 Oben ist bereits festgestellt worden, dass die hinter deutschen bzw. unionsrechtlichen Eingriffsnormen stehenden Wertungen regelmäßig als Teil des ordre public anzusehen sind.401 Die Nichtbeachtung dieser Normen durch ein Schiedsgericht führt jedenfalls dann zur Aufhebbarkeit bzw. Nichtanerkennung der Schiedssprüche, soweit das hierdurch erzielte Ergebnis erheblich von dem vom deutschen international zwingenden Recht vorgesehenen Ergebnis abweicht und deshalb grundlegenden deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen widerspricht. 402 Ein ordre public-Verstoß, der die Nichtanerkennung eines Schiedsspruchs zur Folge hat, scheidet somit aus, wenn deutsche Eingriffsnormen zwar nicht angewandt worden sind, das Ergebnis aber aufgrund äquivalenter ausländischer Vorschriften mit deutschen Wertungen vereinbar ist. 403 Auf den Fall des strukturell unterlegenen Unternehmers übertragen, wäre ein ordre public Verstoß dann nicht anzunehmen, wenn ein Schiedsgericht zwar nicht § 89b HGB anwendet, wohl aber über ausländische Vorschriften zu einer Kompensation des Handelsvertreters gelangt. Gleiches gälte dann, wenn das Schiedsgericht die Höhe des Handelsvertreterausgleichs von deutschen Grundsätzen abweichend berechnet hat, denn auch die Handelsvertreterrichtlinie, auf wel399 Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Kröll § 1061 ZPO Rn. 111; Geimer, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 3920; MünchKommZPO/Adolphsen Art. V UNÜ Rn. 68; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 204. 400 Nagel/Gottwald § 16 Rn. 141. 401 Siehe oben § 2A.VI.2. 402 Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Kröll § 1061 ZPO Rn. 116; MünchKommZPO/ Adolphsen Art. V UNÜ Rn. 79; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762; Stein/Jonas/ Schlosser Anh. 1061 ZPO Rn. 145 ff.; vgl. Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 248; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 196. 403 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 249; Stein/Jonas/Schlosser Anh. 1061 ZPO Rn. 149.
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cher der international zwingende Charakter von § 89b HGB basiert, lässt den Mitgliedstaaten Spielraum, sodass die Höhe des Anspruchs nur begrenzt zum ordre public zu rechnen ist. 2. Präventive Kontrolle im Einredeverfahren Freilich kann das Erfordernis, eine Entscheidung des Schiedsgerichts abzuwarten, um sodann im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren gegen den Schiedsspruch vorzugehen bzw. seine Aufhebung zu beantragen, zu dem oben bereits im Rahmen von Gerichtsstandsabreden beschriebenen erheblichen Ressourcen-Aufwand für den strukturell unterlegenen Unternehmer führen. Er ist nicht nur gezwungen, am Schiedsverfahren teilzunehmen, sondern sodann gegen den möglicherweise zu seinen Lasten ausfallenden Schiedsspruch gerichtlich vorzugehen. Diese möglicherweise erheblichen Verfahrenskosten ist er jedenfalls gezwungen vorzustrecken. 404 Es stellt sich daher die Frage, ob es im Falle einer Schiedsvereinbarung, die aller Voraussicht nach zu einem Schiedsspruch führen wird, welcher aufgrund Missachtung deutscher Eingriffsnormen in Deutschland nicht vollstreckbar wäre, geboten ist, die Schiedsvereinbarung bereits im Einredeverfahren als ungültig zu erachten. Das OLG München hat diesen Weg gewählt. 405 In derselben Entscheidung, in welcher es zu dem Ergebnis gelangte, eine Vereinbarung über die gerichtliche Zuständigkeit sei dann unwirksam, wenn die „naheliegende Gefahr“ der Nichtanwendung deutschen international zwingenden Rechts durch das prorogierte Gericht bestehe, stellt es fest, Entsprechendes habe für Schiedsvereinbarungen zu gelten, wenn diese in Verbindung mit einer Rechtswahl zugunsten einer Rechtsordnung, die deutsches international zwingendes Recht nicht beachte, zur Nichtanwendung deutscher Eingriffsnormen führe.406 Auch in dieser Einschätzung folgt das OLG grundsätzlich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dieser hatte bereits im Jahre 1987 zu Börsentermingeschäften entschieden, dass die oben dargestellte Rechtsprechung, nach welcher Gerichtsstandsvereinbarungen, die zur Nichtanwendung von § 53 BörsG a.F. führten, unwirksam seien, auf Schiedsvereinbarungen zu übertragen sei.407 Das OLG Düsseldorf hat diese Rechtsprechung fortgesetzt. 408 Fraglich ist auch an dieser Stelle die dogmatische Grundlage der Annahme der Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung bereits
404 Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 197. 405 OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322, 324. 406 OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322, 324. 407 BGH, Urteil vom 15.06.1987, NJW 1987, 3193, 3194, mit Anmerkung Samtleben, IPRax 1989, 148; BGH, Urteil vom 21.09.1987, NJW-RR 1988, 172, 173. 408 OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.05.1995, RIW 1995, 769 mit kritischer Anmerkung Thorn, IPRax 1997, 98.
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im Einredeverfahren. 409 Die einfache Übertragung der obigen Erwägungen zu Gerichtsstandsvereinbarungen ist nicht möglich, denn anders als das autonome Zivilprozessrecht wird das Schiedsverfahrensrecht ganz wesentlich von den völkerrechtlichen Wertungen des New Yorker Übereinkommens geprägt.410 Fraglich ist dabei einerseits die dogmatische Einordnung einer solchen Kontrolle, andererseits die Notwendigkeit einer präventiven Prüfung. a) Dogmatische Einordnung Denkbar ist zunächst, der früheren BGH-Rechtsprechung folgend, Streitigkeiten, in denen die Missachtung von Eingriffsnormen droht, als objektiv nicht schiedsfähig im Sinne von § 1030 ZPO anzusehen. 411 Grundsätzlich lässt § 1030 Abs. 3 ZPO für gesetzliche Verbote der Schiedsfähigkeit Raum. Zum einen ist jedoch schon zweifelhaft, ob sich den meisten Eingriffsnormen überhaupt ein hinreichender Anhaltspunkt entnehmen lässt, um als gesetzlicher Ausschluss der Schiedsfähigkeit im Sinne von § 1030 Abs. 3 ZPO gelten zu können.412 Zum anderen ist zu bedenken, dass sich die Schiedsfähigkeit grundsätzlich nach der Art des streitgegenständlichen Anspruchs richtet. Stellte man jedoch für die Schiedsfähigkeit auf die Berücksichtigung von Eingriffsnormen ab, so ergäbe sich, dass derselbe Anspruch vor einem deutschen Schiedsgericht, bei dem von der Anwendung deutscher Eingriffsnormen ausgegangen werden kann, 413 schiedsfähig wäre, vor einem ausländischen Schiedsgericht hingegen möglicherweise nicht. Eine derartige situative Beurteilung der Schiedsfähigkeit führt zu einer Relativierung eines absoluten Begriffs und verursacht Rechtsunsicherheit. 414 Nicht zuletzt geht die Gesetzesbegründung, die freilich zeitlich vor der Qualifizierung des Handelsvertreterausgleichsanspruchs als international zwingendes Recht durch die IngmarEntscheidung des EuGH entstand, davon aus, aus § 89b HGB folgende Ansprüche seien explizit schiedsfähig. 415 Die Schiedsfähigkeit ist folglich der
409
Rühl, IPRax 2007, 294, 301 bemängelt, BGH und OLG ließen die dogmatische Grundlage der Unwirksamkeitskontrolle von Gerichts- wie Schiedsvereinbarungen im Dunkeln. 410 Rühl, IPRax 2007, 294, 300. 411 BGH, Urteil vom 15.06.1987, NJW 1987, 3193, 3195: „[...], sofern der Gegenstand des Streites auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann. Schon an der letzten Voraussetzung scheitert, [...], die Anwendung des Übereinkommens auf den vorliegenden Fall.“ 412 Vgl. MünchKommZPO/Münch 1030 Rn. 31 f.; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 247. 413 Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762 m.w.N. 414 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 247; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 195 f. 415 BT-Drucks. 13/5274, S. 34.
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falsche Ansatzpunkt, um die mögliche Missachtung von Eingriffsnormen im Einredestadium zu berücksichtigen.416 Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung der Schiedsklausel im Zeitpunkt des Einredeverfahrens ist vielmehr der von Art. II Abs. 3 UNÜ geprägte § 1032 Abs. 1 ZPO, nach welchem ein staatliches Gericht die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen hat, sofern es nicht feststellt, dass die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist. Während die Übertragung des anerkennungsrechtlichen ordre public auf die Einredesituation – wie oben dargestellt worden ist –417 dogmatisch grundsätzlich überzeugt, verursacht die praktische Abgrenzung erhebliche Schwierigkeiten. Da im Stadium des Einredeverfahrens im Regelfall noch kein Schiedsspruch vorliegt, erfordert die Bewertung, ob das Schiedsgericht international zwingende Grundsätze deutschen Rechts missachten wird, die Vornahme einer zwangsläufig ungewissen Prognose des Schiedsspruchs. 418 b) Statthaftigkeit einer präventiven Kontrolle In der Literatur ist angesichts dieser Unsicherheit umstritten, ob und inwieweit eine ordre public-Kontrolle der Schiedsvereinbarung zum Zeitpunkt des Einredeverfahrens aufgrund der mutmaßlichen, zukünftigen Missachtung international zwingenden Rechts angesichts der Einigung der Parteien auf die Durchführung eines Schiedsverfahrens zulässig und zweckmäßig ist. 419 Eine in der Literatur vertretene Ansicht spricht sich dafür aus, zum Zeitpunkt des Einredeverfahrens die mögliche Missachtung international zwingenden deutschen Rechts durch das Schiedsgericht grundsätzlich unberücksichtigt zu lassen. 420 Die Argumente sind die bereits im Rahmen von Gerichtsstandsvereinbarungen angeführten. 421 Nicht zu Unrecht wird darauf verwiesen, da zu diesem Zeitpunkt in aller Regel noch kein Schiedsspruch vorliege, sei eine Prognose dahingehend, ob das Schiedsgericht deutsche Eingriffsnormen berücksichtigen werde, kaum möglich. 422 Vielmehr sei der in der Schiedsklausel zum Ausdruck gebrachte Parteiwille zu respektieren und 416
Horn, SchiedsVZ 2008, 209, 217 f.; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 247; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762; Stein/Jonas/Schlosser Anh. 1061 ZPO Rn. 145; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 195 f.; vgl. auch Thorn, IPRax 1997, 98, 102. 417 Oben § 2B.II.3. 418 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 249; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 196; vgl. auch Rühl, IPRax 2007, 294, 297 f. 419 Siehe etwa Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 251; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762 f.; Rühl, IPRax 2007, 294, 301 f. 420 Grundsätzlich: Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 251 sowie Reithmann/Martiny/ Hausmann Rn. 6762 f.; Stein/Jonas/Schlosser 1031 ZPO Rn. 4. 421 Oben § 2A.VI.3. 422 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 250; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762.
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die Unzuständigkeit der staatlichen Gerichte nach § 1032 Abs. 1 ZPO festzustellen. Erst im Zeitpunkt der Anerkennung und Vollstreckung, sei eine an der Missachtung deutschen international zwingenden Rechts ausgerichtete ordre public-Kontrolle nach Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ statthaft. Denn erst in diesem Moment liege ein Schiedsspruch zur Überprüfung durch das staatliche Gericht vor und es stehe mit Sicherheit fest, ob die grundlegenden Wertungen des deutschen Rechts vom Schiedsgericht missachtet worden sind. 423 Stelle sich nunmehr heraus, dass das Schiedsgericht tatsächlich international zwingendes Recht unberücksichtigt gelassen hat, werde der in Deutschland – und im Falle des Handelsvertreterausgleichs wohl in der gesamten Europäischen Union – ansässige Unternehmer vor einer Vollstreckung in sein Vermögen bewahrt.424 Zugleich stehe in diesem Zeitpunkt fest, dass die Schiedsklausel zu einem ordre public-widrigen Ergebnis führe. Daher sei sie nach Art. II Abs. 3 UNÜ bzw. § 1032 ZPO als unwirksam anzusehen. Dem strukturell unterlegenen Unternehmer, dessen Schutz die missachtete Eingriffsnorm verfolgt, stehe nunmehr die staatliche Gerichtsbarkeit in Deutschland offen. 425 Eine Ausnahme vom grundsätzlichen Vorrang des Schiedsverfahrens wollen die Vertreter dieser Ansicht allein zulassen, wenn der Sachverhalt einen hinreichenden Inlandsbezug aufweise und mit Sicherheit feststehe, das Schiedsgericht werde deutsches international zwingendes Recht nicht anwenden und damit einen ordre public-widrigen Schiedsspruch erlassen. 426 Dies sei etwa gegeben, wenn im Falle der vereinbarten Zuständigkeit eines instit utionellen Schiedsgerichts die Zugang zu deutschen Gerichten suchende Partei nachweisen könne, die von der gewählten Schiedsinstitution benannten Richter würden regelmäßig die jeweils relevanten deutschen Eingriffsnormen missachten.427 Gegen diese „liberale“428 Lösung, welche der Schiedsabrede der Parteien größtmögliche Wirkung zugesteht, regt sich indes erheblicher Widerstand.429 Die Kosten, die dem strukturell unterlegenen Unternehmer durch die beschriebene Verfahrensdoppelung entstehen, sind erheblich. Im Rahmen von Gerichtsstandsvereinbarungen wurde bereits dargestellt, dass von der Unsicherheit der Anwendung einer streitrelevanten Eingriffsnorm aufgrund dessen für eine strukturell unterlegene Partei eine abschreckende Wirkung ausgehen kann. Diese wird abwägen müssen, ob der erforderliche finanzielle Aufwand den zu erzielenden Ausgleich rechtfertigt. Damit stellt sich jedoch die Frage, 423
Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 250. Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 834. 425 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 834; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 250. 426 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 251 sowie Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762. 427 Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 252. 428 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 833. 429 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 835; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 196 f. 424
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ob der Verweis der Parteien auf das Schiedsverfahren die deutschen Eingriffsnormen zwar nicht dogmatisch unberücksichtigt lässt, sie wohl aber faktisch ihrer Wirksamkeit beraubt. 430 c) Verlagerung der Prüfung in das Schiedsverfahren Zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der effektiven Berücksichtigung von Eingriffsnormen wie auch des in der Schiedsvereinbarung zum Ausdruck gebrachten Parteiwillens wird vorgeschlagen, den Konflikt auf Ebene des Schiedsverfahrens zu lösen. Umstritten ist, ob zumindest deutsche Schiedsgerichte bereits nach § 1051 ZPO an die zwingenden Bestimmungen des deutschen Kollisionsrechts gebunden sind. Der Wortlaut der Norm deutet zwar auf schrankenlose Parteiautonomie hin. Der eindeutige Wille des Gesetzesgebers, welcher zum Ausdruck bringt, eine Beschränkung der Parteiautonomie sei selbstverständlich, 431 spricht hingegen für die Annahme, ein in Deutschland ansässiges Schiedsgericht sei bereits über die nicht dispositive Bestimmung des § 1051 ZPO zur Anwendung international zwingenden deutschen Rechts verpflichtet. Die überwiegende Ansicht in der Literatur befürwortet daher die letztere Sichtweise, 432 wohingegen andere mit Verweis auf die besonderen Anforderungen an die Liberalität des Schiedsverfahrens einer engen Auslegung des Wortlauts den Vorzug geben.433 Schwieriger zu beurteilen ist eine Bindung eines ausländischen Schiedsgerichts an deutsche Eingriffsnormen. Ob das an einem ausländischen Schiedsort geltende staatliche Recht dem Schiedsgericht die Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen vorschreibt und das Schiedsgericht einer solchen Vorgabe folgt, ist eine Frage des Einzelfalls. Angesichts der in der Europäischen Union wie in den Vereinigten Staaten vorherrschenden Zurückhaltung bei der Berücksichtigung drittstaatlicher international zwingender Normen, ist dies indes eher unwahrscheinlich. 434 Kleinheisterkamp nimmt daher an, die einredende Partei solle im Verfahren vor dem staatlichen Gericht deutlich machen, sie erwartete vom Schiedsgericht die Anwendung der streitigen Eingriffsnormen.435 Die implizite Zustimmung der klagenden Partei sei gegeben, da deren Einwand gegen die 430
Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 836; vgl. auch Rühl, IPRax 2007, 294, 298 ff. 431 BT-Drucks. 13/5274, S. 52: „Dass eine solche Rechtswahl nicht völlig ohne Schranken zugelassen ist (vgl. vor allem Art. 34 EGBGB), versteht sich von selbst und braucht daher im Gesetzestext nicht besonders hervorgehoben zu werden.“ 432 Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Friedrich § 1051 Rn. 32; Lachmann, Rn. 940; MünchKommZPO/Münch § 1051 Rn. 17 f.; Zöller/Geimer § 1051 Rn. 3. 433 Junker, FS Sandrock, S. 443, 450 ff.; Musielak/Voit/Voit § 1051 Rn. 3; Solomon, RIW 1997, 981, 983; zweifelnd: Pfeiffer, NJW 1999, 3674, 3678. 434 Siehe dazu bereits oben § 2C.V. 435 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 839.
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Schiedseinrede allein in der Nichtanwendung der Eingriffsnormen begründet sei und dieser folglich mit dem Zugeständnis der einredenden Partei beseitigt werde. In dieser Übereinstimmung sei eine partielle Rechtswahl zugunsten der in Frage stehenden Eingriffsnormen zu sehen, an die das Schiedsgericht gebunden sei. Das staatliche Gericht wiederum müsse sodann die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung anerkennen, da ein Verstoß gegen den ordre public nicht mehr zu befürchten sei. 436 Dieser Ansatz hat für sich, dass er einerseits den Parteiwillen respektiert, den Disput einem Schiedsverfahren zu unterwerfen, andererseits den unbedingten Anwendungswillen des international zwingenden Rechts berücksichtigt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob dieser Ansatz dogmatisch überzeugen kann. Eingriffsnormen zeichnet aus, dass sie unabhängig vom parteiautonom bestimmten Recht Anwendung beanspruchen; eine Einigung der Parteien hierauf keine Auswirkung hat. 437 Für das anwendbare Recht ist die Erklärung der Parteien damit grundsätzlich folge nlos.438 Kleinheisterkamp gesteht dies zu und verweist darauf, die Einigung der Parteien sei nicht als Rechtswahl zugunsten der Eingriffsnormen im engeren Sinne zu verstehen, sondern vielmehr als eine Bestätigung eines ohnehin vorhandenen Anwendungswillens zu sehen. 439 Damit käme einer solchen Erklärung der Parteien weniger der Charakter einer Rechtswahlvereinbarung zu, als vielmehr der einer Aufforderung an das Schiedsgericht, die Anwendung der Eingriffsnormen zu bedenken. Ob die die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit erhebende Partei tatsächlich diese Aufforderung an das Schiedsgericht mitträgt, ist eine Frage des Einzelfalls und damit keinesfalls gesichert. Unterstellt man, dies sei die einzige Möglichkeit ein Gerichtsverfahren in Deutschland abzuwenden, in welchem er aufgrund der Anwendung der streitigen Eingriffsnorm unterliegen würde, wohingegen er im Schiedsverfahren ohne die Anwendung der entsprechenden Norm mit einem ihn begünstigenden Schiedsspruch rechnen dürfte, so stellt sich die Frage, ob aus Sicht der einredenden Partei die Möglichkeit der Vollstreckung aus dem Schiedsspruch die Gefahr der Vollstreckung aus dem deutschen Urteil aufwiegt. 440 Anzunehmen ist hierbei, dass das deutsche Urteil am Sitz des Schiedsgerichts wegen der Missachtung der Schiedseinrede nicht vollstreckbar wäre, der Schiedsspruch hingegen vor deutschen Gerichten aufgrund von Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ keinen Bestand hätte.441 Die Interessenlage der Parteien pauschal 436
Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 839. Ausführlich hierzu: Kuckein, Eingriffsnormen, S. 17 f., 125 ff. 438 Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 197 f. 439 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 839. 440 Vgl. Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 198. 441 Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 834; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 198. 437
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zu beurteilen ist unmöglich, die aufgeworfenen Fragen zeigen deutlich, dass ein übereinstimmender Wille der Parteien, das Schiedsgericht zur Anwendung der Eingriffsnormen aufzufordern, nicht zwingend angenommen werden kann. 442 Der Lösungsansatz wirft damit eine Reihe von Zweifeln auf, ohne eine rechtssichere Alternative zu bieten. Eine anderweitige Bindung des Schiedsgerichts an deutsche Eingriffsnormen erwägen Thorn und Grenz.443 Sie argumentieren, jedenfalls im Falle eines deutschen Schiedsgerichts bestehe in aller Regel eine intrinsische Motivation der Schiedsrichter, deutsche Eingriffsnormen zu berücksichtigen. 444 Denn eine Missachtung derselben würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Aufhebung des Schiedsspruchs nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO führen. 445 Eine solche Aufhebung wirkt besonders schwer, da die Aufhebung am Sitz des Schiedsgerichts zugleich eine mögliche Nichtanerkennung des Schiedsspruchs im Ausland gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ nach sich zieht. 446 Letzteres gilt zwar gemäß Art. IX EuÜ nicht für in Vertragsstaaten des Genfer Übereinkommens wegen ordre public-Widrigkeit aufgehobene Schiedssprüche, behält aber angesichts der begrenzten Anzahl von Teilnehmern des Übereinkommens eine besondere Relevanz. Es wird deutlich, dass die Nichtanwendung der Eingriffsnormen am Sitz des Schiedsgerichts leicht zu einem aus Sicht der Parteien nutzlosen Schiedsspruch führen kann.447 Da die Schiedsrichter ihre Legitimation jedenfalls auch aus dem Willen der Parteien ableiten, durch das Schiedsverfahren eine effektive Streitbeilegung zu erzielen und sie aus dem Schiedsrichtervertrag daher verpflichtet sind, einen anerkennungsfähigen Schiedsspruch zu erlassen, 448 sprechen aus ihrer Sicht gewichtige Gründe dafür, das Eingriffsrecht des Schiedsortes zu berücksichtigen, um ihrer diesbezüglichen Verpflichtung gegenüber den Parteien nachzukommen. 449 442
Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 198. 443 Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 198 ff. 444 Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 199. 445 Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Kröll/Kraft § 1059 Rn. 80; MünchKommZPO/Münch § 1059 Rn. 47; Musielak/Voit/Voit § 1059 Rn. 29. 446 MünchKommZPO/Adolphsen Art. V UNÜ Rn. 59 ff.; Schwab/Walter § 57 Rn. 22 ff.; zurückhaltender: Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen, S. 336 ff. 447 Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 206 f. 448 Beulker, Eingriffsnormenproblematik, S. 219; Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen, S. 422. 449 Beulker, Eingriffsnormenproblematik, S. 219; Schwab/Walter, § 12 Rn. 8; zur dogmatischen Begründung siehe auch Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit Rn. 454; ders., ZIP 1987, 492; differenzierend: Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen, S. 485 f.
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Schwieriger wird die Beurteilung im Falle eines ausländischen Schiedsgerichts. Ob zumindest ein faktischer Druck auf den Schiedsrichtern lastet, deutsche Eingriffsnormen anzuwenden, um die Anerkennungsfähigkeit des Schiedsspruchs sicherzustellen, ist ungewiss. 450 Ein solcher mag im Einzelfall bestehen, wenn sicher feststeht, dass eine Vollstreckung aufgrund der Besonderheiten des Sachverhalts nur in Deutschland in Betracht kommt. 451 In aller Regel werden die hier interessierenden internationalen Konstellationen freilich Bezug zu mehreren Rechtsordnungen haben, so dass eine Prognose darüber, ob die Schiedsrichter den kollisionsrechtlichen Wertungen einer bestimmten Rechtsordnung Wirkung zukommen lassen, unmöglich ist und sich die Gefahr der Nichtanerkennung nach Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ in einem Vertragsstaat nicht zu einem faktischen Berücksichtigungszwang von Eingriffsnormen verdichtet.452 Die aus Sicht des strukturell unterlegenen Unternehmers problematischen Konstellationen vor ausländischen Schiedsgerichten, werden folglich auf Ebene des Schiedsverfahrens durch die angeführten Erwägungen nicht entschärft.453 Da unsicher bleibt, ob insbesondere ausländische Schiedsgerichte in Sachverhalten, die Deutschland tangieren, deutsches international zwingendes Recht anwenden, wären die Parteien ohne die Durchführung einer präventiven Kontrolle bereits im Einredestadium auf den ordre public-Vorbehalt im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren zu verweisen. Aufgrund der Gefahr, dass eine Eingriffsnorm im Falle einer Berücksichtigung erst im Zeitpunkt der Anerkennung eines Schiedsspruchs ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt wird, ergibt sich die Notwendigkeit, bei einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Nichtanwendung durch ein ausländisches Schiedsgericht die Schiedsvereinbarung als unwirksam anzusehen.454 Das vom OLG München eingeführte Kriterium der „naheliegenden Gefahr“ der Nichtanwendung deutscher Eingriffsnormen eignet sich grundsätzlich, um dem Schutzzweck der Eingriffsnorm die größtmögliche Wirkung zukommen zu lassen.455 Es bleibt freilich auch hier die oben kritisierte, mit der Prognoseentscheidung verbundene Rechtsunsicherheit bestehen.
450 Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 207 f. 451 Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen, S. 422. 452 Beulker, Eingriffsnormenproblematik, S. 256 ff.; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 208. 453 Beulker, Eingriffsnormenproblematik, S. 259; Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 208. 454 Ausführlich dazu bereits oben § 2A.VI.3. 455 Thorn/Grenz, in: Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflicts of Laws in International Arbitration, S. 187, 209 f.
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IV. Zwischenergebnis Letztlich erfolgt ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers vor ihn benachteiligenden Schiedsvereinbarungen in einer vergleichbaren Intensität wie gegenüber Gerichtsstandsvereinbarungen. Die Regelungstechnik ist trotz der abweichenden Rechtsgrundlagen ähnlich. Eine allgemeine Missbrauchskontrolle hängt in ihrer Wirksamkeit stark vom auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Recht ab. Erkennt dieses keinen Missbrauch, so schafft ein Rückgriff auf den deutschen ordre public nur in extremen Fällen Abhilfe. Die prozessuale Absicherung des deutschen international zwingenden Rechts bereits im Einredestadium schafft zwar eine Schutzwirkung für den von einer Eingriffsnorm erfassten Unternehmer. Zum einen wird die Schutzwirkung freilich dadurch begrenzt, dass von den denkbaren strukturell unterlegenen Unternehmern bislang nur der Handelsvertreter durch Eingriffsnormen geschützt wird. Zum anderen führt die angewandte Regelungstechnik zu der bereits problematisierten Rechtsunsicherheit.
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A. Einleitung Eine Untersuchung des US-amerikanischen Zivilprozessrechts muss unter Berücksichtigung der Zweiteilung des amerikanischen Gerichtssystems erfolgen. Auf Bundesebene besteht ein dreistufiger Gerichtsaufbau, spiegelbildlich existiert ein solcher Instanzenzug auch auf einzelstaatlicher Ebene. 456 Bundesgerichte sind zum einen nach 28 U.S.C. § 1331 zuständig für Klagen, die allein auf Bundesrecht fußen. In diesem Fall richtet sich die Zuständigkeit unstreitig ausschließlich nach Bundesrecht, hiernach richtet sich auch die Reichweite zuständigkeitsrechtlicher Parteiautonomie.457 Zum anderen besteht eine Zuständigkeit der Bundesgerichte aufgrund der so genannten diversity jurisdiction nach 28 U.S.C. § 1332, wenn die Parteien unterschiedlichen (Einzel-)Staaten angehören, der Streitwert USD 75.000 überschreitet und eine ausschließliche einzelstaatliche Zuständigkeit nicht gegeben ist. Die hier interessierenden internationalprivatrechtlichen Fallkonstellationen zwischen Unternehmern fallen indes in aller Regel in die diversity jurisdiction der Bundesgerichte. Wie bereits dargestellt, wenden die Bundesgerichte in diesen Fällen grundsätzlich das Recht, einschließlich des Kollisionsrechts, desjenigen Einzelstaates an, in welchem der Gerichtsbezirk belegen ist und sind dabei an die höchstrichterliche Rechtsprechung des jeweiligen Einzelstaates
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Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 117. Hay/Borchers/Symeonides, § 11.3.
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gebunden.458 Dieser aus der so genannten Erie-Doktrin folgende Grundsatz findet jedoch keine Anwendung auf die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen, denn die Zuständigkeit der Bundesgerichte richtet sich nach Bundesrecht mit der Folge, dass dieses grundsätzlich auch über die Zulässigkeit einer Derogation entscheidet. 459 Dies gilt, dem U.S. Supreme Court in Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp. folgend, jedenfalls dann, wenn vor dem angerufenen Bundesgericht die Prorogation zugunsten eines anderen Bundesgerichts im Raume steht, denn die Verweisung von Bundesgerichten untereinander richtet sich nach der bundesrechtlichen Norm 28 U.S.C. § 1404(a)460. Zwar lässt der vage Wortlaut der Norm keine Rückschlüsse auf eine Überprüfung der Zulässigkeit und Wirksamkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen zu, dem Supreme Court zufolge ergibt sich aus dem bundesrechtlichen Charakter der Verweisnorm jedoch auch die umfassende Anwendbarkeit von Bundesrecht auf die Wirksamkeitsprüfung der Prorogation.461 Auch innerhalb des Supreme Court ist hingegen umstritten, ob eine Zuständigkeitsprüfung auch dann nach Bundesrecht durchzuführen ist, wenn das angerufene Bundesgericht über die Prorogation zugunsten eines einzelstaatlichen oder eines ausländischen Gerichts zu entscheiden hat. In Stewart war diese Frage nicht zu entscheiden, da die Verweisung an ein anderes Bundesgericht im Raum stand. In obiter dicta zeigte sich ein zweigeteiltes Meinungsbild.462 Die wohl herrschende Meinung innerhalb des Supreme Court als auch den Bundesgerichten, die hierüber bereits zu entschieden hatten, spricht sich für eine Anwendung von Bundesrecht aus. 463 Eine andere Ansicht will hingegen, der Erie-Doktrin folgend, in einem solchen Fall das einzelstaatliche Recht zur Anwendung kommen lassen, welches das jeweilige Bundesgericht in diversity cases auch auf materieller Ebene anzuwenden hat. 464 458 Erie Railroad v. Tomkins, 304 U.S. 64 (US Supreme Court, 1938); siehe im Übrigen schon oben § 2C.I. 459 Dazu die Leitentscheidung des U.S. Supreme Court: Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S. 22 (US Supreme Court, 1988); Born, International Civil Litigation in United States Courts, S. 433. 460 28 U.S.C. § 1404(a): “For the convenience of parties and witnesses, in the interest of justice, a district court may transfer any civil action to any other district or division where it might have been brought.” 461 Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S. 22, 23 (US Supreme Court, 1988); Born, International Civil Litigation in United States Courts, S. 433. 462 Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S. 22, 33 (US Supreme Court, 1988). 463 Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S. 22, 33 (US Supreme Court, 1988); Manetti-Farrow, Inc. v. Gucci Am., Inc., 858 F.2d 509, 512 (9 th Cir., 1988); Northwestern Nat’l Ins. v. Donovan, 916 F.2d 372, 374 (7th Cir., 1990); Jones v. Weibrecht, 901 F.2d 17, 19 (2 nd Cir., 1990); Ritchie v. Carvel Corp., 714 F.Supp. 700 (S.D. New York, 1989). 464 So das Votum von Justice Scalia in Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S. 22, 33 (US Supreme Court, 1988); im Übrigen: General Eng’g Corp. v. Martin Mari-
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Ein Rückgriff auf die lex causae des Hauptvertrags oder der getrennt zu beurteilenden Gerichtsstandsabrede und eine daraus folgende internationalvertragsrechtliche Bestimmung der Wirksamkeit der Zuständigkeitsabrede wird in der amerikanischen Literatur zwar diskutiert.465 Dies findet in der Rechtsprechung jedoch kaum Gehör,466 sondern wird als praktisch irrelevant abgetan, da die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen weitgehend prozessrechtlich qualifiziert und der lex fori derogati unterstellt wird.467 Hat hingegen ein angerufenes einzelstaatliches Gericht über die Zulässigkeit einer Derogation zu entscheiden, so nimmt es diese wiederum nach seiner eigenen lex fori vor. In einem solchen Fall besteht keine Bindung an Bundesrecht, was insbesondere auch den einzelstaatlichen Gesetzgebern Raum für die Schaffung von Schutzbestimmung lässt. Dies schließt nicht aus, dass Entscheidungen von Bundesgerichten über Bundesrecht, wie zu zeigen sein wird, Einfluss auf die Rechtsentwicklung in den Einzelstaaten haben. 468 Das USamerikanische Zuständigkeitsrecht ist geprägt von einer Reihe von Leitentscheidungen des U.S. Supreme Court, die unabhängig von ihrer formalen Bindungswirkung von großem Einfluss auf die Beurteilung der Wirksamkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen vor Gerichten des Bundes wie der Einzelstaaten sind. Die nachfolgende Betrachtung soll sich deshalb an diesen Entscheidungen orientieren. B. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen I. Grundsatz der Parteiautonomie Traditionell wurde zuständigkeitsrechtliche Parteiautonomie in den Vereinigten Staaten als unzulässig angesehen. Dahinter stand die Überlegung, dass die Zuständigkeit eines Gerichts sich aus hoheitsrechtlichen Erwägungen ergäbe und daher nicht zur Disposition der Parteien stünde. 469 Diese Rechtslage änderte sich grundlegend erst mit der Entscheidung des US Supreme Court in der Rechtssache M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co. im Jahr 1972.470 Der Entscheidung lag die Schadensersatzklage eines texanischen Unternehmens gegen eine deutsche Beklagte vor einem Federal District Court in Florida zugrunde. Die deutsche Reederei hatte sich vertraglich verpflichtet, eine etta Alumina, Inc., 783 F.2d 352, 356 (3rd Cir., 1986); Alexander Proudfoot Co. World Headquarters v. Thayer, 877 F.2d 912 (11th Cir., 1989); Sterling Forest Assoc. v. BarnettRange Corp., 673 F.Supp. 1394 (E.D. North Carolina, 1987). 465 Born, International Civil Litigation in United States Courts, S. 434 f. 466 Einen Versuch unternimmt Taylor v. Titan Midwest Const. Corp., 474 F.Supp. 145, 147 Fn. 2 (N.D. Texas, 1979), lässt das Ergebnis jedoch dahin stehen. 467 Ausführlich dazu: Mullenix, 57 Ford. L. Rev. 291, 347 ff. (1988); im Ergebnis auch Taylor v. Titan Midwest Const. Corp., 474 F.Supp. 145, 147 Fn. 2 (N.D. Texas, 1979). 468 Hay/Borchers/Symeonides, § 11.5. 469 Hay/Borchers/Symeonides, § 11.3. 470 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1 (US Supreme Court, 1972).
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texanische Bohrinsel zu Reparaturarbeiten nach Italien zu schleppen, auf dem Weg dorthin wurde die Bohrinsel beschädigt. Die deutsche Beklagte verwies auf eine zwischen den Parteien geschlossene ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des High Court in London und beantragte die Abweisung der Klage wegen Unzulässigkeit. 471 Der District Court472 ebenso wie der Court of Appeals473 verweigerten die Abweisung der Klage mit der Begründung, Gerichtsstandsvereinbarungen seien prinzipiell unzulässig. Der Supreme Court hob die Entscheidungen der Instanzgerichte auf und erklärte Vereinbarungen über die Zulässigkeit für grundsätzlich wirksam. Das Gericht stellte eine Vermutungsregel auf, nach welcher eine Gerichtsstandsklausel grundsätzlich anzuerkennen sei, wenn sich aus den Umständen nicht starke gegenläufige Anzeichen ergäben. 474 Für die Anerkennung von Gerichtsstandsvereinbarungen sprächen die Berücksichtigung des Parteiwillens 475 und die damit einhergehende Schaffung größerer Rechtssicherheit für die Parteien476 ebenso wie die Einsicht, im internationalen Handelsrecht würde es eine Einschränkung für amerikanische Parteien bedeuten, wenn die von diesen geschlossenen Verträge sämtlich vor amerikanischen Gerichten und nach amerikanischem Recht verhandelt würden. 477 Der Supreme Court erkennt freilich an, dass Gerichtsstandsvereinbarungen im Einzelfall unangemessen („unreasonable“) und damit unwirksam sein können, wofür die am forum derogatum klagende Partei die Beweislast trägt.478 Zu diesen Unwirksamkeitsgründen gehörten schwerwiegende Willensmängel, wie sie etwa im Falle der Täuschung vorlägen, aber auch ein erhebliches strukturelles Ungleichgewicht in der Verhandlungsmacht der Parteien bei Vertragsschluss. 479 Ebenfalls unwirksam sei eine Klausel, die den Justizgewährungsanspruch einer Partei derart einschränke, als sie in einem 471
M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 2 (US Supreme Court, 1972). In re Unterweser Reederei, GmbH, 296 F.Supp. 733 (M.D. Florida, 1969). 473 Zapata Off-Shore Co v M/S Bremen and Unterweser Reederei GmbH, 428 F.2d 888 (5th Cir., 1970). 474 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 15 (US Supreme Court, 1972). 475 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 14 (US Supreme Court, 1972): “The force of an agreement for litigation in this country, freely entered into between two competent parties seems to me to be very powerful.” 476 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 13 (US Supreme Court, 1972): “The elimination of all such uncertainties by agreeing in advance on a forum acceptable to both parties is an indispensable element in international trade.” 477 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 9 (US Supreme Court, 1972): “[This] would be a heavy hand indeed on the future development of international commercial dealings by Americans. We cannot have trade and commerce in world markets and international waters exclusively on our terms, governed by our laws, and resolved in our courts.” 478 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 15 (US Supreme Court, 1972); zur Beweislast siehe auch: Brenner, 102 Com. L. J. 94, 102 (1997). 479 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 16 (US Supreme Court, 1972). 472
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reinen Binnensachverhalt ein weit entferntes, nur mit erheblichen Belastungen zu erreichendes, ausländisches Forum für zuständig erkläre.480 Zudem sei eine Gerichtsstandsvereinbarung dann als unwirksam anzusehen, wenn sie gegen die öffentliche Ordnung (public policy) des angerufenen Forums verstoße. Der Umfang dieser public policy könne sich dabei sowohl aus Rechtsprechung als auch Gesetzen der lex fori ergeben.481 Diese Rechtslage spiegelt sich auch in § 80 Restatement (Second) Conflict of Laws wider, welche ebenfalls eine Vermutung zugunsten der Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung aufstellt: „The parties‘ agreement as to the place of the action cannot oust a state of judicial jurisdiction, but such an agreement will be given effect unless it is unfair or unreasonable.“ 482
Während der Supreme Court in M/S Bremen weitgehende Parteiautonomie ermöglicht, lässt die Entscheidung jedoch Mittel und Wege zum Schutz des Unternehmers unberührt. Das Gericht eröffnet die Möglichkeit, eine Gerichtsstandsklausel zum Schutz der schwächeren Partei zum einen für unwirksam zu erklären, wenn sie allein aufgrund der strukturellen Unterlegenheit des Vertragspartners zustande gekommen ist und diesen erheblich benachteiligt, zum anderen wenn die Durchsetzung der Vereinbarung zur Nichtanwendung international zwingenden Rechts führt, welches wiederum, wie schon bei der Untersuchung des US-amerikanischen Internationalen Privatrechts festgestellt, in großem Maße dem Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers zu dienen geeignet ist. II. Einschränkungen aufgrund Missbrauchs überlegener Verhandlungsposition In M/S Bremen stellte der Supreme Court fest, eine Zuständigkeitsvereinbarung sei unter anderem dann unwirksam, wenn sie aufgrund der übermächtigen Verhandlungsposition eines Vertragspartners der anderen Partei oktroyiert worden sei. 483 Dieser Unwirksamkeitsgrund wurde in der Folgezeit in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung aufgegriffen 484 und lag im Jahre 1991 wiederum dem U.S. Supreme Court zur Entscheidung vor. Dem Urteil in Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute lag die Schadensersatzklage eines Ehepaares, das bei der Beklagten eine Kreuzfahrt gebucht hatte, aufgrund eines Unfalls an Deck zugrunde. Der Transportvertrag enthielt in den auf der Rückseite des Tickets abgedruckten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der 480
M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 17 (US Supreme Court, 1972). M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 15 f. (US Supreme Court, 1972). 482 Dazu auch § 90 Restatement (Second) Conflict of Laws, comment a., S. 244. 483 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 12 f. (US Supreme Court, 1972). 484 Für die Annahme einer hierauf basierenden Unwirksamkeit: Colonial Leasing Co. of New England v. Pugh Brothers Garage, 735 F.2d 380 (9 th Cir., 1984); dagegen: Hodes v. S.N.C. Achille Lauro ed Altrigestione, 858 F.2d 905, 913 (3 rd Cir., 1988); Medoil Corp. v. Citicorp, 729 F.Supp. 1456 (S.D. New York, 1990). 481
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Reederei eine Gerichtsstandsklausel zugunsten der Gerichte des Staates Florida. Vom Supreme Court war angesichts der Klausel folglich zu entscheiden, ob die Klage des Ehepaares an ihrem Wohnsitz vor dem District Court for the Western District of Washington zulässig war. 485 Während der Supreme Court anerkannte, dass im vorliegenden Fall eines Verbrauchervertrags zweifelsohne ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen den Parteien vorlag, sah er keinen Anlass die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung in Zweifel zu ziehen.486 Vielmehr nahm er ein berechtigtes Interesse des Verwenders an, sich im Falle von Massengeschäften wie dem vorliegenden vor der Inanspruchnahme an vielen verschiedenen Foren zu schützen. Darüber hinaus profitiere indes auch der Vertragspartner des Verwenders von der Wirksa mkeit der formularmäßig vereinbarten Zuständigkeitsabrede durch Rechtsklarheit sowie durch eine Weitergabe der für den Verwender aufgrund der Begrenzung des Prozessrisikos gesunkenen Kosten. 487 Der Supreme Court sieht folglich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Gerichtsstandsklauseln in Verbraucherverträgen nicht nur als zulässig, sondern sogar für beide Vertragsparteien als vorteilhaft an. Diese Rechtsprechung ist zwar Ziel erheblicher Kritik geworden, 488 bis heute indes geltendes Recht. 489 Überträgt man diese Rechtsprechung auf die in dieser Arbeit untersuchten strukturellen Disparitäten zwischen Unternehmern, so muss die Ratio des Supreme Court erst recht gelten. Für die Unzulässigkeit einer Gerichtsstandsklausel aufgrund missbräuchlicher Ausnutzung struktureller Überlegenheit bleibt damit kaum noch Raum. Die Gründe, die der Gerichtshof zur Rechtfertigung der Gerichtsstandsklausel trotz struktureller Unterlegenheit einer Vertragspartei anführt, sind so weit, dass kaum Konstellationen vorstellbar sind, in denen sie nicht erfüllt wären. 490 Da die Entscheidung des Supreme Court in Carnival Cruise die Auslegung von Bundesrecht betraf, gilt ihre Bindungswirkung freilich nur soweit das Bundesrecht auch über die Wirksamkeit der Derogation bestimmt.491 Dies ist, wie oben ausgeführt, jedenfalls nicht der Fall, wenn einzelstaatliche Gerichte über die wirksame Derogation ihrer Zuständigkeit zu entscheiden haben. 492 Es finden sich vereinzelt Entscheidungen, die Zu485
Carnival Cruise Lines, Inc. v. Eulala Shute, 499 U.S. 585 (US Supreme Court, 1991). 486 Carnival Cruise Lines, Inc. v. Eulala Shute, 499 U.S. 585, 593 (US Supreme Court, 1991). 487 Carnival Cruise Lines, Inc. v. Eulala Shute, 499 U.S. 585, 593 f. (US Supreme Court, 1991). 488 Borchers, 67 Wash. L. Rev. 55 (1992); Mullenix, 27 Tex. Int’l L. J., 323 (1992); Purcell, 40 UCLA L. Rev. 423, 425 ff. (1992–1993), 489 Hay/Borchers/Symeonides, § 11.3. 490 Born, International Civil Litigation in United States Courts, S. 403 f.; Richman, 40 Am. J. Comp. L 977, 983f (1992). 491 Hay/Borchers/Symeonides, §§ 11.4; 11.5. 492 Siehe schon oben § 3A.
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ständigkeitsvereinbarungen aufgrund fehlender Parität der Verhandlungsmacht der Parteien für unwirksam erklären. So erklärte der Supreme Court von Kentucky eine Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarung zugunsten eines Forums in Washington in einem Arbeitsvertrag zwischen einem in Washington ansässigen Arbeitgeber und einem in Kentucky wohnhaften Arbeitnehmer für unwirksam. Es sei für die strukturell unterlegene Partei unzumutbar, Streitigkeiten an einem so weit entfernten Forum auszufechten. 493 Der kalifornische Court of Appeals fordert für die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung in Konstellationen, in denen die strukturelle Überlegenheit einer Partei in Rede steht, zumindest einen angemessenen Hinweis auf die Klausel vor Vertragsschluss. 494 Auch die Gerichte in Indiana halten ausdrücklich – nicht zuletzt in Franchiseverträgen – am Unwirksamkeitsgrund der überlegenen Verhandlungsposition fest. 495 Doch bereits aus der geringen Anzahl dieser Entscheidungen wird deutlich, dass die Entscheidungen des U.S. Supreme Court auch außerhalb ihrer formalen Bindungswirkung überzeugenden Charakter aufweisen. Insbesondere im hier interessierenden Gefälle zwischen Unternehmern schlagen die Gerichte zur Beseitigung als unangemessen angesehener Gerichtsstandsklauseln, wie zu zeigen sein wird, einen anderen Weg ein. III. Einschränkung aufgrund der Umgehung zwingenden Rechts In M/S Bremen ließ der US Supreme Court einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (public policy) des Forumstaates als Ausnahme vom Grundsatz der Wirksamkeit von Gerichtsstandsklauseln zu. 496 In einer Vielzahl bundesgerichtlicher wie einzelstaatlicher Entscheidungen wurde diese Begrenzung der Parteiautonomie zum Schutze des strukturell unterlegenen Unternehmers genutzt. 497 Instruktiv ist hierzu die Entscheidung des Court of Appeals for the Ninth Circuit in der Rechtssache Jones v. GNC Franchising, Inc.498 Zu entscheiden war über die Klage eines kalifornischen Franchisenehmers gegen den in Pennsylvania ansässigen Franchisegeber GNC. Der von den Parteien 493 Wilder v. Absorption Corp., 107 S.W.3d 181, 184 f. (Supreme Court Kentucky, 2003). 494 Carnival Cruise Lines v. The Superior Court of Los Angeles County, 234 Cal.App.3d 1019, 1026 f. (Court of Appeals, Second District, California, 1991). 495 Mechanics Laundry & Supply, Inc. v. Wilder Oil Co., Inc., 596 N.E.2d 248, 251 (Court of Appeals, Fifth District, Indiana, 1992); im Falle eines Franchisevertrags entschied der Indiana Court of Appeals in Greg Horner and Marquetta Horner v. Robert Tilton and Mailboxes and Parcel Depot, Inc., 650 N.E.2d 759, 763 (Court of Appeals, Indiana, 1995), dass der Unwirksamkeitsgrund der ungleichen Verhandlungsmacht zwar zu berücksichtigen sei, im entschiedenen Fall indes keine strukturelle Unterlegenheit des Franchisenehmers vorlag. 496 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 15 f. (US Supreme Court, 1972). 497 Ein Überblick findet sich bei Brenner, 102 JALC 94 (1997). 498 Charles B. Jones v. GNC Franchising, Inc., 211 F.3d 495 (9 th Cir., 2000).
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geschlossene Vertrag enthielt eine kombinierte Gerichtsstands- und Rechtswahlklausel zugunsten der Gerichte wie auch der Rechtsordnung Pennsylvanias. Das Gericht, das seine Zuständigkeit auf die diversity jurisdiction stützte, stellte zunächst fest, dass sich die Wirksamkeit und Reichweite in Fällen, in denen eine Prorogation zugunsten eines anderen Bundesgerichts vorläge, nach Bundesrecht richteten. 499 Die Richter führten sodann aus, nach dem einschlägigen Präzedenzfall M/S Bremen sei die Gerichtsstandsabrede grundsätzlich als wirksam anzusehen, wenn dieser nicht die public policy der lex fori entgegenstünde. Die relevante lex fori war im vorliegenden Fall kalifornisches Recht, da das erstinstanzliche Gericht der District Court for the Central District of California war. Eine Konkretisierung der public policy weise die kalifornische lex fori mit § 20040.5 des Business and Professions Code auf. Dieser bestimmt: “A provision in a franchise agreement restricting venue to a forum outside this state is void with respect to any claim arising under or relating to a franchise agreement involving a franchise business operating within this state.”
Das Bundesgericht leitet den Verstoß der Gerichtsstandsklausel gegen die public policy Kaliforniens ohne Berücksichtigung des aufgrund des Kollisionsrechts des prorogierten Forums anwendbaren materiellen Rechts bzw. des erwartbaren Ergebnisses in der Sache ab. Vielmehr verfolge das angeführte kalifornische Gesetz nicht zuletzt das Ziel, kalifornische Franchisenehmer vor dem Aufwand, den Unwägbarkeiten und der Konfrontation mit möglichen Vorurteilen im Falle eines Prozesses an einem nichtkalifornischen Forum zu bewahren.500 Die vom 9th Circuit angewandten bundesrechtlichen Grundsätze finden sich in Entscheidungen einzelstaatlicher Gerichte wieder, die sich nach einzelstaatlichen prozessrechtlichen Grundsätzen richten. Exemplarisch ist das Urteil des New Jersey Supreme Court in der Rechtssache Kubis v. Sun Microsystems501, in welchem der Gerichtshof die Vermutung aufstellte, eine Zuständigkeitsvereinbarung zulasten von Franchisenehmern sei aufgrund einer gegenläufigen public policy des Staates New Jersey als grundsätzlich unwirksam anzusehen. Nach den oben ausgeführten prozessrechtlichen Grundsätzen war auf die Wirksamkeit der Prorogation das Recht von New Jersey anwendbar. Das Gericht bezieht sich dennoch ausdrücklich auf die Entscheidung des Supreme 499
Charles B. Jones v. GNC Franchising, Inc., 211 F.3d 495, 497 (9 th Cir., 2000). Charles B. Jones v. GNC Franchising, Inc., 211 F.3d 495, 498 (9 th Cir., 2000): “We conclude that § 20040.5 expresses a strong public policy of the State of California to protect California franchisees from the expense, inconvenience, and possible prejudice of litigating in a non-California venue.” 501 Kubis & Perszyk Associates, Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 680 A.2d 618 (Supreme Court New Jersey, 1996). 500
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Court in M/S Bremen und die dortige Anerkennung des public policyVorbehalts.502 Der Gesetzgeber des Staates New Jersey habe diesen durch den New Jersey Franchise Practices Act 503 ausgefüllt. Der Franchise Act diene dem Schutz der strukturell schwächeren Partei in Form des Franchisenehmers, indem er diesem gegenüber dem allgemeinen Vertragsrecht zusätzlichen materiellrechtlichen (Kündigungs-)Schutz einräume. Es handele sich hierbei um eine grundlegende Wertentscheidung des Gesetzgebers die unterlegene Verhandlungsposition des Franchisenehmers durch die Schaffung materiellrechtlicher Schutzbestimmungen auszugleichen. 504 Diese habe der Gesetzgeber durch die Eröffnung eines Schutzgerichtsstands zugunsten von Franchisenehmern flankiert: “Any franchisee may bring an action against its franchisor for violation of this act in the Superior Court of the State of New Jersey to recover damages sustained by reason of any violation of this act and, where appropriate, shall be entitled to injunctive relief.” 505
Dieser Gerichtsstand sei als derogationsfest anzusehen, da eine anderslautende Gerichtsstandsvereinbarung als Umgehung des gesetzgeberischen Schutzgedankens anzusehen sei und diesen erheblich beeinträchtigen würde. 506 Auch der New Jersey Supreme Court löst sich in seiner rechtlichen Würdigung der Gerichtsstandsklausel von den aus dieser folgenden internationalprivatrechtlichen Konsequenzen und Auswirkungen auf das anwendbare materielle Recht. So sei eine Gerichtsstandsvereinbarung selbst dann unwirksam, wenn das prorogierte ausländische Forum aufgrund seines Kollisionsrechts die Vorgaben des New Jersey Franchise Acts honorieren würde oder aufgrund der Anwendung eigener Schutzbestimmungen zu einem mit dem Recht von New Jersey identischen Ergebnis gelangte. Die Gerichtsstandsvereinbarung sei auch in einem solchen Falle bereits deshalb unwirksam, weil aufgrund der möglichen Entfernung des fremden Forums die dort verfügbaren Rechtsbehelfe für den Franchisenehmer nur mit größerem Aufwand zugänglich wären als an einem Forum an seinem Sitz. Auch ein Verweis auf das IPR des prorogierten Forum ist daher als Umgehung der vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten ordre public anzusehen. 507 502 Kubis & Perszyk Associates, Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 680 A.2d 618, 628 (Supreme Court New Jersey, 1996). 503 N.J. Stat. Ann. §§ 56:10–1 ff. 504 Kubis & Perszyk Associates, Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 680 A.2d 618, 626 ff. (Supreme Court New Jersey, 1996). 505 N.J. Stat. Ann. 56:10–10: Action against franchisor; damages; injunction; costs. 506 Kubis & Perszyk Associates, Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 680 A.2d 618, 628 (Supreme Court New Jersey, 1996): “The general enforcement of forum-selection clauses in franchise agreements would frustrate that legislative purpose, and substantially circumvent the public policy underlying the Franchise Act.” 507 Kubis & Perszyk Associates, Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 680 A.2d 618, 628 (Supreme Court New Jersey, 1996).
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Eine Reihe amerikanischer Gerichte teilt die Auffassung des New Jersey Supreme Court und des Court of Appeals for the Ninth Circuit. 508 Wie bereits an anderer Stelle erörtert, finden sich in nicht wenigen Bundesstaaten Gesetze zum Schutze von Franchisenehmern und Vertriebshändlern. 509 Diese werden vom jeweiligen Gesetzgeber als zwingendes Recht angesehen. Als public policy schließen sie darüber hinaus Gerichtsstandsvereinbarungen, die zu einem außerhalb des normgebenden Staates liegenden Forum führen, ausdrücklich aus oder weisen allgemeinere Abweichungsverbote („anti-waiver provisions“) auf, die von den Gerichten so weit ausgelegt werden, als dass sie entsprechende Gerichtsstandsvereinbarungen ebenfalls ausschließen. Grundsätzlich gilt dies, um die Anwendung der jeweiligen materiellrechtlichen Schutzgesetze sicherzustellen, hinzu kommt jedoch auch der rein prozessuale Aspekt, der schwächeren Partei ein heimisches Forum zu bieten. Die angeführten Entscheidungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich letztlich um vereinzelte Ausnahmen von der weitgehend unbeschränkt gewährleisteten Parteiautonomie handelt. Die weit überwiegende Anzahl US-amerikanischer Entscheidungen räumt der Parteiautonomie in Anlehnung an M/S Bremen Vorrang ein.510 Dies gilt zum Teil selbst dann, wenn gegenläufige Wertungen im Raum stehen. Der Court of Appeals for the First Circuit lehnte etwa die Klage eines puerto-ricanischen Vertragshändlers gegen dessen in Brasilien ansässigen Vertragspartners aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der internationalen Zuständigkeit brasilianischer Gerichte als unzulässig ab, obwohl das oben bereits zitierte in Puerto Rico geltende Law 75 ausdrücklich den Schutz des Vertragshändlers bezweckt:511 “Any stipulation that obligates a dealer to adjust, arbitrate or litigate any controversy that comes up regarding his dealer's contract outside of Puerto Rico, or under foreign law or rule of law, shall be likewise considered as violating the public policy set forth by this chapter and is therefore null and void.” 512
508 Nagrampa v. MailCoups, Inc., 469 F.3d 1257 (9 th Cir., 2006); vgl. Laxmi Investments LLC v. Golf USA, 193 F.3d 1095 (9 th Cir., 1999); Lulling v. Barnaby’s Family Inns, Inc., 482 F.Supp. 318 (E.D. Wisconsin, 1980); EEC Computer Centers, Inc. v. Entre Computer Centers, Inc., 597 F.Supp. 1182 (N.D. Illinois, 1984); J.B. Hoffmann v. Minuteman Press International, Inc., 747 F.Supp. 552 (W.D. Missouri, 1990); vgl. auch West Coast Vidoe Enterprises, Inc. v. Ponce de Leon, 1990 WL 6123 (E.D. Pennsylvania,1990); E & J Gallo Winery v. Morand Bros. Beverage Co., 247 F.Supp.2d 973 (N.D. Illinois, 2002.). 509 Siehe oben § 3B.II 510 Umfassende Nachweise: Born, International Civil Litigation, S. 416 f.; Brittain, 23 Hous. J. Int’l L. 305, 347 f. (2001); Buxbaum, IPRax 2002, 232, 236; Jackson, 25 Am. J. Trial Advoc. 377, 378 ff. (2001–02). 511 Royal Bed and Spring Co., Inc. v. Famossul Industria e Comercio de Moveis Ltda.906 F.2d 45 (1st Cir., 1990). 512 PR ST T. 10 § 278b-2.
§ 3 US-amerikanisches Zivilverfahrensrecht
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Der Court of Appeals konzediert zwar, dass diese gesetzliche Bestimmung in die Abwägung der Gerichtsstandsklausel miteinzustellen sei, verweist jedoch auf M/S Bremen, wonach eine beachtliche Vermutung für die Durchsetzbarkeit der Gerichtsstandsklausel spreche. 513 Insbesondere konnte das Gericht keine strukturelle Unterlegenheit des Vertragshändlers feststellen, weshalb dem US Supreme Court zu folgen und die Gerichtsstandsklausel anzuerkennen sei.514 IV. Zwischenergebnis Festzustellen ist, dass im US-amerikanischen Internationalen Zivilverfahrensrecht im Grundsatz von der Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen auszugehen ist. Aufgrund der bindenden oder zumindest beträchtliche Überzeugungskraft entfaltenden Entscheidungen des US Supreme Courts in M/S Bremen und Carnival Cruise trifft Parteien, die für Unzulässigkeit einer Derogation streiten, ein erheblicher Begründungsaufwand. Die bloße strukturelle Unterlegenheit der durch die Gerichtsstandsvereinbarung benachteiligten Partei genügt hierfür in aller Regel nicht. Ausdrücklichen gesetzlichen Derogationsverboten wird hingegen immer wieder Vorrang vor der Parteiautonomie eingeräumt. Die hier angeführten Beispiele dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl auf Bundes- als auch auf einzelstaatlicher Ebene nur teilweise derartige Derogationsverbote zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer bestehen.515 Insbesondere auf einzelstaatlicher Ebene stechen eine Reihe von Derogationsverboten zugunsten von Franchisenehmern und Vertragshändlern hervor, die als Konkretisierung der public policy der Parteiautonomie Grenzen setzen. 516 C. Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen Auch in den Vereinigten Staaten besteht zumindest ein partieller Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers vor ihn benachteiligenden Gerichtsstandsvereinbarungen. Im Folgenden ist zu untersuchen, inwieweit eine Überwindung dieser Beschränkung der Parteiautonomie durch die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eines Schiedsgerichts möglich ist. 513
Royal Bed and Spring Co., Inc. v. Famossul Industria e Comercio de Moveis Ltda.906 F.2d 45, 47 (1 st Cir., 1990): “given Law 75, the forum-selection clause in the parties' agreement must be integrated into the balancing of considerations. The forumselection clause should not receive dispositive consideration […] but should rather be considered a significant factor that will figure centrally in our balancing of factors.” 514 Royal Bed and Spring Co., Inc. v. Famossul Industria e Comercio de Moveis Ltda.906 F.2d 45, 43 (1 st Cir., 1990). 515 Auf Bundesebene wird hier allein das Arbeitsrecht genannt, das einen zwingenden Schutzgerichtsstands am Wohnsitz des Arbeitnehmers eröffnet: Born, International Civil Litigation, S. 416 mit Verweis auf den Federal Employer’s Liability Act. 516 Born, International Civil Litigation, S. 416.
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Kapitel 5: Schutz auf Ebene des Internationalen Zivilverfahrensrechts
I. Das auf Schiedsvereinbarungen anwendbare Recht Die Überprüfung der Wirksamkeit von Schiedsklauseln erfordert zunächst die Feststellung des auf diese Frage anwendbaren Rechts. Auch die Vereinigten Staaten sind Vertragsstaat des New Yorker UN-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Umgesetzt ist das Übereinkommen im zweiten Kapitel des Federal Arbitration Act (FAA)517, wohingegen das erste Kapitel das nationale Schiedsverfahrensrecht – vergleichsweise rudimentär 518 – kodifiziert.519 Die kollisionsrechtliche Betrachtung wird dadurch verkompliziert, dass zunächst auf Ebene des Internationalen Privatrechts festzustellen ist, welche Rechtsordnung grundsätzlich Anwendung findet, um im Falle der Anwendbarkeit US-amerikanischen Rechts zu entscheiden, ob sich die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach Bundesrecht oder einzelstaatlichem Recht bemisst. Im internationalen Disput beginnt die Suche des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts aus Sicht des amerikanischen Richters im UNÜ. Während sich im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach dem klaren Wortlaut des Übereinkommens in Art. V Abs. 1 lit. a) UNÜ primär nach dem von den Parteien gewählten Recht und subsidiär nach dem am Sitz des Schiedsgerichts geltenden Recht richtet, fehlt es für die Überprüfung der Wirksamkeit der Schiedsabrede im Zeitpunkt des Einredeverfahrens an einer ausdrücklichen Kollisionsnorm im UNÜ. Wie schon zum deutschen Recht ausgeführt, sprechen überzeugende Argumente dafür, die Kollisionsnorm des Art. V Abs. 1 lit. a) UNÜ auch im Einredeverfahren anzuwenden, um eine einheitliche Beurteilung der Wirksamkeit der Klausel in sämtlichen Stadien des Schiedsverfahrens zu gewährleisten. Auch in der US-amerikanischen Literatur findet sich diese Einschätzung. 520 In der Rechtsprechung hat sie sich bislang nicht durchgesetzt. 521 Vielmehr beurteilen die amerikanischen Gerichte die Wirksamkeit der Schiedsabrede überwiegend nach der lex fori, da die Derogation der eigenen Zuständigkeit nach eben dieser zu entscheiden sei. 522 Ob die amerikanische 517
9 U.S.C. §§ 201–208. Born, International Commercial Arbitration, S. 134. 519 9 U.S.C. §§ 1–16. 520 Born, International Commercial Arbitration, S. 462 f. m.w.N. 521 Gegen die Anwendung des Rechtsgedankens von Art. V Abs. 1 lit. a) UNÜ etwa: Ferrara, S.P.A. v. United Grain Growers, Ltd., 580 F.2d 1044, (2nd Cir., 1978); Rhone Mediterranee Compagnia Francese Di Assicurazioni E Riassicurazoni v. Lauro, 712 F.2d 50, 53 (3rd Cir., 1983); DiMercurio v. Sphere Drake Ins., PLC, 202 F.3d 71, 80 (1st Cir., 2000); Bautista v. Star Cruises, 396 F.3d 1289, 1302, (11 th Cir., 2005). 522 Ferrara, S.P.A. v. United Grain Growers, Ltd., 580 F.2d 1044, (2 nd Cir., 1978); Rhone Mediterranee Compagnia Francese Di Assicurazioni E Riassicurazoni v. Lauro, 712 F.2d 50, 53 (3 rd Cir., 1983); DiMercurio v. Sphere Drake Ins., PLC, 202 F.3d 71, 80 (1st Cir., 2000); Bautista v. Star Cruises, 396 F.3d 1289, 1302, (11 th Cir., 2005). 518
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lex fori auch im Falle einer abweichenden Rechtswahl durch die Parteien Anwendung findet, wird von den Circuit Courts uneinheitlich beurteilt. Die überwiegende Anzahl der Entscheidungen geht davon aus, Rechtswahlvereinbarungen im Hauptvertrag seien so auszulegen, dass sie die Schiedsvereinbarung nicht umfassten.523 Dogmatisch begründet wird diese Ansicht damit, Hauptvertrag und Schiedsvereinbarung seien voneinander getrennte („separable“)524 Verträge. Die Parteien hätten bei der Rechtswahl regelmäßig nicht die Schiedsvereinbarung im Blick. 525 Dies ist nach dem US Supreme Court insbesondere dann anzunehmen, wenn das qua Rechtswahl auf den Hauptvertrag anwendbare Recht zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung führen würde, da nicht anzunehmen sei, dass die Parteien durch ihre Rechtswahl zugleich die Wirksamkeit ihrer Schiedsvereinbarung zu konterkarieren beabsichtigten. 526 Eine Ausnahme zugunsten der Anwendbarkeit des gewählten Rechts kommt wohl allenfalls dann in Betracht, wenn die Parteien ausdrücklich die Geltung der Rechtswahl auch für die Schiedsklausel vereinbaren.527 Bislang hat freilich kein US-amerikanisches Gericht die Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung aufgrund der auf diesem Wege bestimmten Anwendung ausländischen Rechts angenommen.528 Es ist folglich eine deutliche Tendenz erkennbar, Schiedsvereinbarungen vor amerikanischen Gerichten nach US-amerikanischem Recht zu beurteilen. Dahinter steht der rechtspolitische Wille, diesen zu maximaler Wirksamkeit zu verhelfen. In einem zweiten Schritt sind sodann die Anwendungsbereiche von Bundes- und einzelstaatlichem Recht voneinander abzugrenzen. An einer diese Frage regelnden kodifizierten Kollisionsnorm fehlt es, sodass auf das 523 Morewitz v. West of England Ship Owners Mut. Protection and Indem. Ass'n (Luxembourg), 62 F.3d 1356, (11 th Cir., 1995); Wolsey, Ltd. v. Foodmaker, Inc., 144 F.3d 1205, (9th Cir., 1998); Campaniello Imports, Ltd. v. Saporiti Italia S.p.A., 117 F.3d 655, 668 f., (2nd Cir., 1997); International Paper Co. v. Schwabedissen Maschinen & Anlagen GMBH, 206 F.3d 411, (4 th Cir., 2000); Harvey v. Joyce, 199 F.3d 790 (5 th Cir., 2000); General Elec. Co. v. Deutz AG, 270 F.3d 144, 154 (3 rd Cir., 2001); InterGen N.V. v. Grina, 344 F.3d 134, (1st Cir., 2003); a.A.: Motorola Credit Corp. v. Uzan, 388 F.3d 39, 50 (2 nd Cir., 2004). Der 2nd Circuit revidierte mit dem Urteil von 2004 seine 1997 ergangene Entscheidung mit dem Argument in der älteren Entscheidung hätten sich die Parteien nicht auf die prinzipiell die Schiedsvereinbarung umfassende Rechtswahl berufen. 524 Zur so genannten Separability Presumption siehe ausführlich Born, International Commercial Arbitration, S. 311 ff. 525 Vgl. International Paper Co. v. Schwabedissen Maschinen & Anlagen GMBH, 206 F.3d 411, (4 th Cir., 2000); InterGen N.V. v. Grina, 344 F.3d 134, (1 st Cir., 2003). 526 Mastrobuono v. Shearson Lehman Hutton, Inc., 514 U.S. 52, 63 f. (US Supreme Court, 1995). 527 Mastrobuono v. Shearson Lehman Hutton, Inc., 514 U.S. 52, 63 f. (US Supreme Court, 1995); Westbrook Intern LLC V. Westbrook Technologies, Inc., 17 F.Supp.2d 681, 684 (E.D. Michigan, 1998). 528 Born, International Commercial Arbitration, S. 4896; vgl. Apple & Eve LLC v. Yantai North Andre Juice Co. Ltd., 499 F.Supp.2d 245 (E.D. New York, 2007).
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hierzu ergangene case law auszuweichen ist.529 Für Schiedsvereinbarungen gilt einzelstaatliches Recht hiernach nur, soweit es sich um rein lokale Schiedsverfahren handelt, also ein Sachverhalt allein Berührungspunkte zu einem Einzelstaat aufweist. 530 Im Falle zwischenstaatlicher und internationaler Schiedsverfahren findet der FAA Anwendung, der sich nach der so genannten Supremacy Clause in Art. VI der US-amerikanischen Verfassung im Konfliktfalle gegen einzelstaatliches Recht durchsetzt.531 Der einschlägige § 2 des FAA bestimmt “A written provision in […] a transaction involving commerce to settle by arbitration a controversy thereafter arising out of such contract or transaction, […], shall be valid, irrevocable, and enforceable, save upon such grounds as exist at law or in equity for the revocation of any contract.” 532
§ 2 FAA verfolgt nach Ansicht des Supreme Court den Zweck, die Streitbeilegung per Schiedsgerichtsbarkeit in sehr weitgehendem Maße zu ermöglichen und Schiedsvereinbarungen größtmögliche Wirksamkeit zukommen zu lassen. Schiedsvereinbarungen sind grundsätzlich als wirksam anzusehen. Gegenläufiges einzelstaatliches Recht, das die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen beschränkt, wird daher verdrängt. 533 Den Einzelstaaten ist es zum einen verwehrt, höhere formale Anforderungen an eine Schiedsvereinbarung zu stellen als der FAA, zum anderen kommt Gesetzen, die die Schiedsfähigkeit einzelner Rechtsfragen einschränken, in zwischenstaatlichen Streitigkeiten grundsätzlich keine Wirkung zu. 534 Aus dem internationalen Charakter des UNÜ folgert der Supreme Court das Gebot, den Wortlaut § 2 FAA eng auszulegen und nur international anerkannte Einwendungen gegen die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung anzuerkennen. 535 Gegen Schiedsvereinbarungen kommen somit grundsätzlich allein allgemeine Einwendungen
529
Born, International Commercial Arbitration, S. 485 f. Viele Einzelstaaten haben hierzu das UNCITRAL Model Law on Commercial Arbitration umgesetzt: Garvey/Heffelfinger, 25 Int’l L. 209, 210 ff. (1991). 531 “This Constitution, and the Laws of the United States which shall be made in Pursuance thereof; and all Treaties made, or which shall be made, under the Authority of the United States, shall be the supreme Law of the Land; and the Judges in every State shall be bound thereby, any Thing in the Constitution or Laws of any State to the Contrary notwithstanding.” 532 9 U.S.C. § 2. 533 Allied-Bruce Terminix Co. v. Dobson, 513 U.S. 265, 272 f. (US Supreme Court, 1995); Doctor's Associates, Inc. v. Casarotto, 517 U.S. 681, 686 f. (US Supreme Court, 1996); Southland Corp. v. Keating, 465 U.S. 1, 10 (US Supreme Court, 1984). 534 Allied-Bruce Terminix Co. v. Dobson, 513 U.S. 265, 272 (US Supreme Court, 1995); Doctor's Associates, Inc. v. Casarotto, 517 U.S. 681, 683 (US Supreme Court, 1996). 535 Rhone Mediterranee Compagnia Francese Di Assicurazioni E Riassicurazoni v. Lauro, 712 F.2d 50, 53 (3rd Cir., 1983); Bautista v. Star Cruises, 396 F.3d 1289, 1302 (11 th Cir., 2005); Born, International Commercial Arbitration, S. 490 und 495 f. 530
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wie etwa Irrtum, Täuschung, Drohung, Sittenwidrigkeit, Dissens oder ein Verstoß gegen die public policy des Forums in Betracht.536 Der im Jahre 2009 von einigen Kongressabgeordneten und Senatoren eingebrachte Fairness in Arbitration Act sah hierzu die folgende Ergänzung des § 2 FAA vor:537 b) No predispute arbitration agreement shall be valid or enforceable if it requires arbitr ation of (1) an employment, consumer, or franchise dispute; or (2) a dispute arising under any statute intended to protect civil rights.
Der Versuch, Franchiseverträge als nicht schiedsfähig einzustufen und auf diesem Wege einen Schutz von Franchisenehmern zu erzielen, fand freilich im US Kongress keine Mehrheit. 538 2011 wurde ein vergleichbarer Gesetzesentwurf eingebracht, der nur noch Verbraucher- und Arbeitsverträge als nicht schiedsfähig einstufte. 539 II. Einschränkungen aufgrund Missbrauchs überlegener Verhandlungsposition Fraglich ist, ob die genannten Einwendungen Raum für den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers vor nachteiligen, auf der überlegenen Verhandlungsmacht des Vertragspartners beruhenden Schiedsvereinbarungen lassen. Denkbar wäre es, einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers durch die Einstufung einer nachteiligen Klausel als sittenwidrig zu gewährleisten.540 Der US Supreme Court erkennt an, dass die überwältigende Verhandlungsmacht einer Partei grundsätzlich hierunter fallen könnte, wenn diese ein Ausmaß annimmt, das die Unwirksamkeit jedes beliebigen Vertrag zur Folge hätte.541 Im konkreten Fall legt die US amerikanische Rechtsprechung freilich eine erhebliche Zurückhaltung an den Tag. So entschied der Supreme Court für gegenüber strukturellen Ungleichgewichten besonders anfällige Arbeitsverträge, die zweifellos vorhandene ungleiche Verhandlungsmacht genüge nicht, um die Unwirksamkeit des Vertrags zu begründen. Vielmehr müsse sich das Ungleichgewicht zwischen den Parteien hierzu in 536
Perry v. Thomas, 482 U.S. 483, 485 (US Supreme Court, 1987); Doctor's Associates, Inc. v. Casarotto, 517 U.S. 681, 686 f. (U.S. Supreme Court, 1996); Rhone Mediterranee Compagnia Francese Di Assicurazioni E Riassicurazoni v. Lauro, 712 F.2d 50, 53 (3rd Cir., 1983); Nagrampa v. MailCoups, Inc., 469 F.3d 1257, 1268 (9 th Cir., 2006); Born, International Commercial Arbitration, S. 495 f. 537 Der Wortlaut sowie die Historie des Gesetzesvorschlags sind abrufbar unter: (abgerufen am 24.04.2016). 538 Brin, 25 Ohio State Journal on Dispute Resolution, 821, 836 (2010). 539 Der aktuelle Status des Gesetzesvorschlags ist abrufbar unter (abgerufen am 24.04.2016). 540 Vgl. Born, International Commercial Arbitration, S. 726 f. 541 Mitsubishi Motors Corporation v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 627 (US Supreme Court, 1985).
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Form einer Täuschung oder Nötigung realisiert haben. 542 Dementsprechend verneinen die instanzgerichtlichen Entscheidungen regelmäßig die Sittenwidrigkeit von Schiedsklauseln, die aufgrund struktureller Unterlegenheit zustande gekommen sind und zu einem für den unterlegenen Vertragspartner nachteiligen Ergebnis führen. 543 Der Second Circuit hielt eine Schiedsklausel in einem Franchisevertrag für wirksam, qua welcher ein in Illinois ansässiger Franchisenehmer, der dort ein Subway-Schnellrestaurant betrieb, zu einem Schiedsverfahren in Connecticut verpflichtet wurde, obwohl ein solches Verfahren, wie das Gericht eingestand, für den Franchisenehmer mit erheblichen Kosten verbunden sei. Der Franchisenehmer habe jedoch bereits bei Vertragsschluss von den auf ihn im Falle eines Rechtsstreits zukommenden Kosten Kenntnis gehabt und es zudem nicht vermocht, darzulegen, dass das Schiedsverfahren keine gerechte Streitbeilegung ermögliche. 544 Die Entscheidung des Second Circuit ist exemplarisch. Vereinzelt werden Schiedsklauseln, die Verbrauchern und, seltener, Arbeitnehmern die Durchsetzung ihrer Ansprüche nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermöglichen, als sittenwidrig angesehen, 545 im Rechtsverkehr zwischen Unternehmern ist die USamerikanische Rechtsprechung indes sehr zurückhaltend.546 III. Einschränkung aufgrund der Umgehung zwingenden Rechts Wie sich im Laufe dieser Arbeit gezeigt hat, werden eine Vielzahl USamerikanischer Gesetze, die einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers bezwecken, als public policy angesehen, was in vielen Fällen die Unwirksamkeit von Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarungen zur Folge hat, wenn deren Beachtung eine Umgehung eben der public policy zur Folge hätte. Von besonderer Relevanz für den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers vor ihn benachteiligenden Schiedsklauseln ist somit, inwieweit ein Verstoß gegen die in den immer wieder genannten Schutzvorschriften zum Ausdruck gebrachten public policy die Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung nach sich ziehen kann. Zu unterscheiden sind aufgrund 542
Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 33 (US Supreme Court, 1991): “There is no indication in this case, however, that Gilmer, an experienced businessman, was coerced or defrauded into agreeing to the arbitration clause in his registration application.” 543 Webb v. Investacorp, Inc., 89 F.3d 252 (5th Cir., 1996); Great Western Mortg. Corp. v. Peacock, 110 F.3d 222 (3rd Cir., 1997); Bradford v. Rockwell Semiconductor Systems, Inc., 238 F.3d 549 (4th Cir., 2001). 544 Doctor's Associates, Inc. v. Stuart, 85 F.3d 975, 980 f. (2nd Cir., 1996). 545 Circuit City Stores, Inc. v. Adams, 279 F.3d 889, 893 ff. (9th Cir., 2002); Iwen v. U.S. West Direct, a Div. of U.S. West Marketing Resources Group, Inc., 293 Mont. 512, (Supreme Court of Montana, 1999); Patterson v. ITT Consumer Financial Corp., 18 Cal.Rptr.2d 563 (Court of Appeals California,1993). 546 Born, International Commercial Arbitration, S. 728–731.
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der unterschiedlichen Rechtsfolgen zur einzelstaatlichen public policy und zur bundesrechtlichen public policy gehörende Normen. 1. Bundesrechtliche public policy Zur Beurteilung der Auswirkung von zur bundesrechtlichen public policy gehörenden Vorschriften auf die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung ist die Entscheidung des US Supreme Court in der Rechtssache Mitsubishi v. Soler547 von grundlegender Bedeutung. Der in Tokyo ansässige Fahrzeughersteller Mitsubishi hatte gegen den puerto-ricanischen Vertragshändler Soler ein Schiedsverfahren in Japan wegen der Nichterfüllung vertraglicher Pflichten angestrengt, der von den Parteien geschlossene Vertriebshändlervertrag enthielt eine Schiedsklausel zugunsten der Japan Commercial Arbitration Association. Soler wandte sich vor amerikanischen Gerichten gegen die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und klagte seinerseits auf Schadensersatz aufgrund der Verletzung eigener Rechte unter anderem aus dem Puerto Rico Dealers‘ Contracts Act 548. Zudem machte er kartellprivatrechtliche Schadensersatzansprüche mit der Begründung geltend, Mitsubishi habe den von Soler zu betreuenden Markt rechtswidrig beschränkt. Die kartellprivatrechtlichen Ansprüche stützte Soler auf den sog. Sherman Act549, ein Bundesgesetz, das das US-amerikanische Kartellrecht kodifiziert. Der US District Court for the District of Puerto Rico erachtete die Klage Solers‘ aufgrund der wirksamen Schiedsvereinbarung als unzulässig, der US Circuit Court for the First Circuit entschied entgegengesetzt, 550 der Supreme Court nahm die Rechtssache zur Entscheidung an. Die Revision zum Supreme Court war dabei begrenzt auf die Frage nach der Schiedsfähigkeit kartellprivatrechtlicher Ansprüche bzw. eines Verstoßes einer diesbezüglichen Schiedsvereinbarung gegen die public policy.551 Den auf dem Puerto Rico Dealers‘ Contracts Act beruhenden Einwand Solers‘ hatte bereits der Court of Appeals als gegen den Vorrang des Bundesrecht verstoßend angesehen. 552 Der Supreme Court sah kartellprivatrechtliche Ansprüche zum einen als schiedsfähig an. Es sei anzunehmen, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens auf professionelle Schiedsrichter zurückgriffen, die kompetent, gewissenhaft und unabhängig
547 Mitsubishi Motors Corporation v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (US Supreme Court, 1985). 548 P.R. Laws Ann., Tit. 10 § 257 ff. 549 15 U.S.C. § 1 ff. 550 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 723 F.2d 155 (1 st Cir., 1983). 551 Mitsubishi Motors Corporation v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 624 (US Supreme Court, 1985). 552 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 723 F.2d 155, 158 (1st Cir., 1983).
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auch über das Bestehen für die öffentliche Ordnung besonders bedeutsamer Ansprüche zu entscheiden befähigt seien. 553 Zum anderen lehnte der Supreme Court auch die Annahme eines Verstoßes der Vereinbarung gegen die public policy ab. Zwar unterstand der Vertrag aufgrund Rechtswahl schweizerischem Recht, indes äußerten beide Parteien im Prozess, sie gingen von der Anwendbarkeit amerikanischen Kartellrechts aus. Den Richtern genügte diese Zusicherung, die sich wohl als nachträgliche Rechtswahl deuten lässt – wenn man nicht ohnehin schon von der international zwingenden Geltung der Vorschriften unabhängig von einer Rechtswahl ausgeht554 – um die public policy-Konformität der Vereinbarung zu bejahen. Das Gericht begnügte sich damit, Soler auf die public policy-Kontrolle nach Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ im Verfahren zur Anerkennung- und Vollstreckung eines zukünftigen Schiedsspruchs zu verweisen. In einem obiter dictum stellte der Supreme Court klar, dass eine Schiedsklausel, die in Verbindung mit einer Rechtswahl zu einer Nichtanwendung des Sherman Act führe, gegen die public policy verstoßen und folglich unwirksam sein könne. 555 Von dieser Möglichkeit hat der Supreme Court indes auch in der Folge nie Gebrauch gemacht. Vielmehr sieht der Gerichtshof es bis dato als verfrüht an, im Einredestadium die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung zu verneinen, selbst wenn eine Zusicherung der Anwendbarkeit amerikanischen international zwingenden Rechts nicht bestehe. Erst im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung sei es möglich mit letzter Sicherheit festzustellen, ob ein Schiedsspruch gegen die US-amerikanischen public policy verstoße, auf dieses Stadium sei die staatlichen Rechtsschutz ersuchende Partei folglich zu verweisen. 556 Auch in der Instanzrechtsprechung findet sich die Tendenz, Schiedsvereinbarungen im Einredestadium durchzusetzen. Dass dies im Einzelfall zu erheblichen Belastungen für eine Partei führen kann, die zunächst die Kosten eines Schiedsverfahrens tragen muss, um später zum einen gegen die Anerkennung des Schiedsspruchs vorzugehen und zum anderen ein neues staatliches Gerichtsverfahren zur Durchsetzung etwaiger eigener Ansprüche anzustrengen, wird nicht problematisiert, obwohl den im Raum stehenden Vorschriften (Kartellprivatrecht, Anlegerschutz und Mindesthaftung des Verfrachters) durchaus nicht nur ordnungspolitischer Charakter, sondern auch 553
Mitsubishi Motors Corporation v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 632 ff. (US Supreme Court, 1985). 554 Hierzu ausführlich Kleinheisterkamp, RabelsZ 73 (2009), 818, 837 ff. 555 Mitsubishi Motors Corporation v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 637 Fn. 19 (US Supreme Court, 1985); kritisch dazu: Werner, 3 J. Int’l. Arb’n 81, 82 (1986). 556 Vimar Seguros y Reaseguros, S.A. v. M/V Sky Reefer, 515 U.S. 528, 540 (US Supreme Court, 1995): “At this interlocutory stage it is not established what law the arbitrators will apply to petitioner's claims or that petitioner will receive diminished protection as a result.”
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eine sonderprivatrechtliche Schutzfunktion zugemessen werden kann. Zum Teil weisen auch die untergerichtlichen Entscheidungen darauf hin, den als public policy anzusehenden staatlichen Interessen würde hinreichend Gewicht bei einer Berücksichtigung im Zeitpunkt der Anerkennung zukommen. 557 Andere diskutieren zwar in Bezug auf die Mitsubishi-Entscheidung die Auswirkung einer Nichtanwendung amerikanischen international zwingenden Rechts im ausländischen Forum, begnügen sich dann jedoch mit der Feststellung das ausländische Recht sei grundsätzlich funktionsäquivalent und entziehe der sich auf die amerikanische public policy berufenden Partei keinen angemessenen Schutzstandard.558 Wenn auch die Begründungen in Nuancen voneinander abweichen, so bleibt doch die Tendenz der amerikanischen Rechtsprechung feststellbar, im Einredestadium auch dann Zurückhaltung in Bezug auf die Invalidierung einer Schiedsvereinbarung zu üben, wenn die Gefahr der Missachtung international zwingenden Bundesrechts besteht. 559 Seine schiedsgerichtsfreundliche Haltung hat der US Supreme Court in jüngerer Vergangenheit dadurch unterstrichen, dass er auch im Falle zwingenden Verbraucherschutzrechts keine Notwendigkeit sah, die Wirksamkeit von Schiedsklauseln anzuzweifeln. In Compucredit v. Greenwood 560 entschied der Gerichtshof über die Klage eines Verbrauchers gegen ein kreditkartenausgebendes Unternehmen, in welchem der Verbraucher seine Ansprüche auf zwingendes Bundesrecht stützte, das diese Art von Geschäftsbesorgungsvertrag zugunsten des Verbrauchers reguliert. Die Bestimmung, „Any waiver by any consumer of any protection provided by any right of the consumer under this subchapter […] shall be treated as void” 561
legte der Supreme Court – anders als zuvor der Ninth Circuit 562 – als rein materiellrechtlich aus. Angesichts des Telos des FAA, Schiedsgerichtsbarkeit umfassend zuzulassen, sei ihr keinerlei die Derogation der staatlichen Gerichtsbarkeit einschränkende Wirkung beizumessen. 563
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Lindo v. NCL (Bahamas), Ltd., 652 F.3d 1257, 1275 ff. (11th Cir., 2011). Richards v. Lloyd's of London, 135 F.3d 1289, 1296 (9 th Cir., 1998): “Of course, were English law so deficient that the Names would be deprived of any reasonable recourse, we would have to subject the choice clauses to another level of scrutiny.” 559 Várady/Barcelo/von Mehren, S. 238 ff. 560 Compucredit Corp. v. Wanda Greenwood, 132 S. Ct. 665 (US Supreme Court, 2012). 561 15 U.S.C. § 1679f (a). 562 Greenwood v. CompuCredit Corp., 615 F.3d 1204 (9 th Cir., 2010). 563 Compucredit Corp. v. Wanda Greenwood, 132 S. Ct. 665, 669 f. (US Supreme Court, 2012). 558
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Kapitel 5: Schutz auf Ebene des Internationalen Zivilverfahrensrechts
2. Einzelstaatliche public policy Wie bereits mehrfach festgestellt, werden insbesondere Gesetze, welche die US-amerikanischen Einzelstaaten zum Schutz von Franchisenehmern und Vertragshändlern erlassen haben, als zur public policy gehörig angesehen. Diese Gesetze enthalten meist so genannte anti-waiver-provisions, denen Gerichte regelmäßig eine die kollisions- und zuständigkeitsrechtliche Parteiautonomie einschränkende Wirkung zumessen, wenn Rechtswahl- oder Gerichtsstandsklauseln andernfalls zu einer Abbedingung der Schutzbestimmungen führen würden. Schiedsklauseln kann zweifelsohne eine solche Wirkung ebenfalls zukommen. Es stellt sich folglich die Frage, ob auch Schiedsvereinbarungen aufgrund eines Verstoßes gegen die einzelstaatliche public policy unwirksam sein können, wenn sie eine faktische Abbedingung einzelstaatlicher Schutzvorschriften bedeuten. Hiergegen könnte sprechen, dass der US Kongress mit dem Federal Arbitration Act eine bundesweite, die Durchsetzbarkeit von Schiedsvereinbarungen begünstigende Regelung zu schaffen beabsichtigte.564 Im Folgenden ist zu untersuchen, ob der FAA Raum lässt, um aufgrund eines Verstoßes gegen die einzelstaatliche public policy Schiedsvereinbarungen als unwirksam anzusehen. In der Entscheidung Southland Corp. v. Keating hat der US Supreme Court dem FAA vorrangige und abschließende Wirkung gegenüber einer Bestimmung des kalifornischen Franchise Investment Law, 565 das eine Abbedingung der Gesetzes ausschloss, eingeräumt: “In creating a substantive rule applicable in state as well as federal courts, Congress intended to foreclose state legislative attempts to undercut the enforceability of arbitration agreements. We hold that § 31512 of the California Franchise Investment Law violates the Supremacy Clause.” 566
In Doctor’s Associates betonte der Supreme Court erneut, Schiedsabreden seien nur dann nicht durchsetzbar, wenn ihnen allgemeine vertragsrechtliche Einwendungen wie Täuschung, Nötigung oder Sittenwidrigkeit („Unconscionability“) entgegenstehen: “Although generally applicable contract defenses, such as fraud, duress or unconscionability, may be applied to invalidate arbitration agreements without contravening Federal
564 So die Auslegung des FAA durch den US Supreme Court, nach welchem der Gesetzgeber die Schaffung einer „liberal federal policy favoring arbitration agreements“ zu schaffen beabsichtigte: Moses H. Cone Memorial Hospital v. Mercury Construction Corp., 460 U.S. 1, 24 (US Supreme Court, 1983). 565 Ann.Cal.Corp.Code § 31512: “Any condition, stipulation or provision purporting to bind any person acquiring any franchise to waive compliance with any provision of this law or any rule or order hereunder is void.” 566 Southland Corp. v. Keating, 465 U.S. 1, 16 (US Supreme Court, 1984).
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Arbitration Act (FAA), courts may not, however, invalidate arbitration agreements under state laws applicable only to arbitration provisions.” 567
In der Rechtssache Bridge Fund Capital Corporation v. Fastbucks Franchise Corporation hatte der Court of Appeals for the 9 th Circuit über die Klage eines kalifornischen Franchisenehmers vor staatlichen Gerichten gegen einen in Texas ansässigen Franchisegeber zu entscheiden. 568 Die Klage basierte auf einer vorgeblichen Verletzung des California Franchise Investment Law (CFIL).569 Der Franchisevertrag enthielt sowohl eine Rechtswahl zugunsten texanischen Rechts als auch eine Schiedsvereinbarung, die sämtliche Streitbeilegung in die Hand eines texanischen Schiedsgerichts legte. Im Ergebnis hielt der Court of Appeals die Schiedsvereinbarung für unwirksam und verwies die Parteien an das zuständige Bundesgericht in Kalifornien. Zur Begründung führte der 9th Circuit aus, die Schiedsvereinbarung sei sittenwidrig („unconscionable“) im Sinne des § 2 FAA, denn die Durchsetzung der Schiedsvereinbarung würde gegen die kalifornische public policy verstoßen, nach welcher Franchisenehmer im Rahmen des CFIL vor unfairer Behandlung zu schützen seien. Hierunter falle auch der Schutz vor Schiedsvereinbarungen, die zu einer Beschneidung der Rechte des Franchisenehmers führten.570 Die Schiedsvereinbarung sei als unangemessen anzusehen, weil sie in Verbindung mit der Rechtswahlvereinbarung dem Franchisenehmer den Schutz des CFIL entziehe. Das aus Sicht des Franchisenehmers negative Zusammenspiel der beiden Klauseln beruhe allein auf der überlegenen Verhandlungsposition des Franchisegebers, es sei nicht davon auszugehen, dass die Klauseln tatsächlich ausgehandelt worden seien. 571 Der Court of Appeals sah das Verfahren vor den staatlichen Gerichten folglich als zulässig an. Die Lösung des 9th Circuit, die Schiedsklausel vorgeblich wegen Sittenwidrigkeit, letztlich jedoch aufgrund eines Verstoßes gegen kalifornische public policy als unwirksam anzusehen, überrascht. Ob diese Rechtsauffassung mit den Vorgaben des US Supreme Court in Einklang steht, darf bezweifelt werden. Wie zu zeigen sein wird, vertritt die Mehrzahl der Circuit Courts eine andere Position. Exemplarisch für die Gegenauffassung ist die Entscheidung des Court of Appeals for the First Circuit in KKW Enterprises,
567
1996). 568
Doctor's Associates, Inc. v. Casarotto, 517 U.S. 681, 687 (US Supreme Court, Bridge Fund Capital Corp. v. Fastbucks Franchise Corp., 622 F.3d 996 (9 th Cir.,
2010). 569 Cal Corp. Code § 31000 f f.; dazu bereits oben § 3B. 570 Bridge Fund Capital Corp. v. Fastbucks Franchise Corp., 622 F.3d 996, 1003 (9 th Cir., 2010). 571 Bridge Fund Capital Corp. v. Fastbucks Franchise Corp., 622 F.3d 996, 1005 (9 th Cir., 2010).
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Kapitel 5: Schutz auf Ebene des Internationalen Zivilverfahrensrechts
Inc. v. Gloria Jean’s Gourmet Coffees Franchising Corp.572 Der Fall war ähnlich gestrickt wie die bereits erörterten Konstellationen. Der in Rhode Island ansässige Franchisenehmer KKW verklagte die nach dem Recht von Illinois gegründete Franchisegeberin mit Sitz der Hauptverwaltung in Kalifornien vor den staatlichen Gerichten Rhode Islands. Die Klage stützte KKW unter anderem auf eine Verletzung ihrer Rechte aus dem Rhode Island Franchise Investment Act. Die Beklagte berief sich auf eine im Franchisevertrag befindliche Schiedsklausel zugunsten eines Schiedsgerichts in Chicago. Der Rhode Island Franchise Investment Act erklärt in § 19-28.1-14573 Vereinbarungen, welche die ausschließliche Zuständigkeit eines Forums außerhalb Rhode Islands vorsehen und damit die Durchsetzbarkeit der Ansprüche aus dem Franchise Investment Act in Rhode Island ausschließen, für unwirksam. Der Court of Appeals stellte fest, das Derogationsverbot kollidiere mit der vom FAA bezweckten weitgehenden Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen. Nach § 2 FAA seien keine einzelstaatlichen Begrenzungen der Schiedsgerichtsbarkeit zugelassen. Allein Einwendungen des allgemeinen Vertragsrechts wie Täuschung, Nötigung oder Sittenwidrigkeit („Unconscionability“) seien dem Supreme Court zufolge gegenüber Schiedsvereinbarungen zulässig. 574 Beim Derogationsverbot des Franchise Investment Act handele es sich nicht um eine derartige allgemeine Einwendung. 575 Die Supremacy Clause der US Verfassung schließlich gebiete den Vorrang des Bundesrechts vor dem einzelstaatlichen Recht. Der Franchise Investment Act sei folglich nicht anwendbar, die Schiedsvereinbarung wirksam und die Klage vor staatlichen Gerichten unzulässig. Die Rechtsauffassung des First Circuit hinsichtlich des Vorrangs von § 2 FAA gegenüber Derogationsverboten, welche eine Ausformung der einzelstaatlichen public policy darstellen, wird vom Second Circuit, 576 Fifth Circuit577 und vom Sixth Circuit geteilt. 578 Darüber hinaus finden sich eine Reihe unterinstanzlicher wie einzelstaatlicher Gerichtsentscheidungen, die sich ebenfalls dem First Circuit anschließen. 579 Der Second Circuit nahm in Doc572 KKW Enterprises, Inc. v. Gloria Jean's Gourmet Coffees Franchising Corp., 184 F.3d 42 (1st Cir., 1999). 573 R.I. Gen. Laws § 19–28.1–14. 574 Das Gericht verweist auf die Entscheidungen des Supreme Court in Doctor's Associates, Inc. v. Casarotto, 517 U.S. 681, 687 (U.S. Supreme Court, 1996) und Perry v. Thomas, 482 U.S. 483, 492 (U.S. Supreme Court, 1987). 575 KKW Enterprises, Inc. v. Gloria Jean's Gourmet Coffees Franchising Corp., 184 F.3d 42, 51 (1 st Cir., 1999). 576 Doctor's Associates, Inc. v. Hamilton, 150 F.3d 157 (2 nd Cir., 1998). 577 OPE Int'l LP v. Chet Morrison Contractors, Inc., 258 F.3d 443, 447 (5 th Cir., 2001). 578 Management Recruiters Intern., Inc. v. Bloor, 129 F.3d 851 (6th Cir., 1997). 579 Newman ex rel. Wallace v. First Atlantic Resources Corp., 170 F.Supp.2d 585, 590 (M.D. North Carolina, 2001); Lodgeworks, L.P. v. C.F. Jordan Const. LLC, 2012 WL 628259 (D. Kansas, 2012); LaSalle Group, Inc. v. Electromation of Delaware County, Inc.,
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tor's Associates, Inc. v. Hamilton ausdrücklich Bezug auf die oben dargestellte Entscheidung des New Jersey Supreme Court in Kubis580 und führte aus, Einschränkung von Gerichtsstandsklauseln durch die einzelstaatliche public policy seien denkbar, sofern Schiedsklauseln betroffen seien, gebiete der Vorrang des FAA jedoch das gegenteilige Ergebnis. 581 Die in der US-amerikanischen Rechtsprechung vorherrschende Meinung folgert aus einzelstaatlichen Derogationsverboten zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers keine Unwirksamkeit anderslautender Schiedsvereinbarungen. Dies entspricht den Vorgaben des US Supreme Court. Der 9th Circuit hält sich in Bridge Fund582 nur scheinbar an diese Kriterien, indem er die Schiedsabrede aufgrund ihrer Sittenwidrigkeit scheitern lässt, umgeht die Vorgaben des Supreme Court freilich dadurch, dass er die Sittenwidrigkeit aus der Zugehörigkeit der Unternehmerschutzvorschriften zur kalifornischen public policy herleitet. Dass dies vor dem US Supreme Court Bestand hätte und mit der geltenden Rechtslage in den Vereinigten Staaten in Einklang steht, ist unwahrscheinlich. 3. Aufhebung sowie Anerkennung und Vollstreckung Die Aufhebung von in den Vereinigten Staaten ergangenen Schiedssprüchen richtet sich nach den §§10, 11 FAA, die sich grob an den in Art. V UNÜ aufgeführten Gründen orientieren.583 Die Anerkennung und Vollstreckung nationaler wie internationaler Schiedssprüche ist ebenfalls im FAA geregelt, wobei letztere eine Umsetzung des New Yorker Übereinkommens darstellt. Als Aufhebungs- wie als Vollstreckungsversagungsgrund kommt zunächst die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung in Betracht. Soweit sich die Schiedsvereinbarung – wie wohl regelmäßig – nach amerikanischem Recht bemisst, lässt der FAA freilich keinen Spielraum, um eine für den strukturell unterlegenen Unternehmer ungünstige Schiedsvereinbarung allein aufgrund der zwischen den Parteien bestehenden Asymmetrie zu invalidieren.584 Ein spezifischer Schutz der unterlegenen Partei vor Umgehung materiellrechtlicher Schutzbestimmungen durch Schiedsvereinbarungen könnte damit allein über das Hindernis der public policy-Kontrolle wirken. Doch auch in diesem Verfahrensstadium zeigt sich die liberale Einstellung der amerikanischen Rechtsprechung gegenüber Schiedsvereinbarungen. Der sowohl für nationale 880 N.E.2d 330, 332 (Indiana Court of Appeals, 2008); im Übrigen auch schon Bradley v. Harris Research, Inc., 275 F.3d 884 (9 th Cir., 2001). 580 Kubis & Perszyk Associates, Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 680 A.2d 618 (Supreme Court New Jersey, 1996). 581 Doctor's Associates, Inc. v. Hamilton, 150 F.3d 157, 160 (2 nd Cir., 1998). 582 Bridge Fund Capital Corp. v. Fastbucks Franchise Corp., 622 F.3d 996, 1005 (9 th Cir., 2010). 583 9 U.S.C. §§ 10 f. 584 Siehe dazu bereits oben § 3C.I.
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als auch internationale Schiedssprüche bestehende public policy-Einwand wird von der Rechtsprechung denkbar eng ausgelegt. 585 Schutzgesetze zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer bestehen primär im einzelstaatlichen Recht, das freilich auch auf Ebene der Aufhebung sowie Anerkennung und Vollstreckung vom FAA verdrängt wird.586 Damit bleibt allein der Verstoß gegen zwingendes Bundesrecht, das zugleich als bundesrechtliche public policy anzusehen ist. Ein Verstoß gegen zwingendes Recht, welcher zugleich eine Aufhebung bzw. eine Versagung der Anerkennung des Schiedsspruchs rechtfertigt, wurde etwa bei der Missachtung von Sicherheitsbestimmungen im Flugverkehr, 587 im Falle der vom Schiedsgericht angenommenen Unwirksamkeit einer Kündigung trotz Drogenmissbrauchs durch den Arbeitnehmer588 sowie der Wiedereinsetzung eines Polizeibeamten trotz dessen Verurteilung wegen eines Verbrechens 589 angenommen. Die Gründe sind folglich sehr eng, ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers wird hierüber nicht gewährleistet. IV. Zwischenergebnis Die Untersuchung des US-amerikanischen Schiedsverfahrensrechts zeigt, dass ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers vor ihn benachteiligenden Schiedsvereinbarungen praktisch nicht gewährleistet wird. Der in M/S Bremen v. Zapata590 vom Supreme Court benannten public policyKontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen kommt für Schiedsvereinbarungen praktisch keine Bedeutung zu. 591 Die Ausnutzung der Verhandlungsmacht einer Partei zur Übervorteilung eines strukturell unterlegenen Unternehmers stellt in aller Regel keinen hinreichenden Grund dar, um eine Schiedsvereinbarung als unwirksam anzusehen. Auf einzelstaatlicher Ebene bestehen zwar eine Reihe von Schutzgesetzen zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers, welche die eigene Abbedingung mittels kombinierter Schieds- und Rechtswahlklausel ausschließen und damit ein Derogationsverbot statuieren. Diesen Gesetzen kommt freilich aufgrund des Anwendungs585
Ein Überblick findet sich bei Born, International Commercial Arbitration, S. 2625: “public policy […] is extremely narrow”; Harris, 24 J. Int’l Arb. 9, 14 (2007). 586 I/S Stavborg (O. H. Meling, Manager) v. National Metal Converters, Inc., 500 F.2d 424, 429 f. (2nd Cir., 1974); Victrix S.S. Co., S.A. v. Salen Dry Cargo A.B., 825 F.2d 709, 712 (2nd Cir., 1987). 587 Delta Air Lines, Inc. v. Air Line Pilots Ass'n, Intern., 861 F.2d 665, (11th Cir., 1988). 588 Exxon Corp. v. Baton Rouge Oil and Chemical Workers Union, 77 F.3d 850 (5th Cir., 1996). 589 American Federation of State, County and Mun. Employees, AFL-CIO v. Department of American Federation of State, County and Mun. Employees, 173 Ill.2d 299 (Supreme Court of Illinois, 1996). 590 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1 (US Supreme Court, 1972). 591 Brittain, 23 Hous. J. Int’l L. 305, 344 (2001).
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vorrangs des FAA im zwischenstaatlichen wie internationalen Handel keinerlei Funktion mehr zu. Dem Bundesgesetzgeber steht es selbstredend zu, Einschränkungen des FAA zu normieren; den Gerichten ist es möglich, solche durch Rechtsauslegung oder Rechtsfortbildung zu schaffen. Zum einen bestehen freilich auf Bundesebene kaum derart ausdrückliche Schutzbestimmungen zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer, wie sie auf einzelstaatlicher Ebene allgegenwärtig sind.592 Zum anderen tendiert die Rechtsprechung dazu, die Parteien, auch wenn die Nichtanwendung international zwingenden Bundesrechts im Raum steht, zunächst auf das Schiedsverfahren zu verweisen, um etwaige Einwendungen im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren vorzubringen. Auch in diesem Verfahrensstadium kommt freilich den einzelstaatlichen Schutzbestimmungen neben dem FAA keine Bedeutung zu.593 Eine Umgehung dieser Gesetze ist folglich durch die Vereinbarung von Schiedsklauseln möglich.
§ 4 Rechtsvergleich § 4 Rechtsvergleich
Im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Internationalen Prozessrecht ist eine grundsätzliche Offenheit gegenüber dem Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers festzustellen. Freilich unterscheidet sich zum einen die Regelungstechnik erheblich, zum anderen ist auch die Intensität des durch den staatlichen Eingriff bewirkten Schutzes uneinheitlich. A. Regelungstechnik Nach deutschem wie nach US-amerikanischen Recht lassen sich Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen im hier untersuchten Kontext in zweierlei Hinsicht auf ihre Wirksamkeit überprüfen. Einerseits ist eine Unwirksamkeit aufgrund des Zustandekommens des Vertrags mittels unangemessener Ausnutzung wirtschaftlicher Überlegenheit denkbar. Andererseits kommt in beiden Rechtsordnungen eine Nichtigkeit aufgrund der mittelbaren Auswirkung der Vereinbarung auf das anwendbare Recht in Betracht. I. Missbrauchskontrolle Gemeinsam ist dem deutschen wie dem US-amerikanischen Recht, dass die Unwirksamkeit einer Klausel aufgrund der Ausnutzung einer überlegenen Verhandlungsposition nur in seltenen Fällen in Betracht kommt. Der Maßstab, nach welchem sich die Wirksamkeit der Klauseln beurteilt, unterscheidet sich in beiden Rechtsordnungen. Das deutsche Recht beurteilt Gerichts592 593
Born, International Civil Litigation, S. 416. Born, International Arbitration, S. 2565 m.w.N.
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stands- und Schiedsvereinbarungen im Ausgangspunkt nach der lex causae, und nur subsidiär nach dem ordre public der lex fori,594 wohingegen USamerikanische Gerichte die Wirksamkeit einer Derogation allein an der lex fori messen.595 In Deutschland erfolgt zunächst eine Kontrolle der Klausel vor den vertragsrechtlichen Wertungen der anwendbaren Rechtsordnung. Hat die Vereinbarung vor diesen keinen Bestand, etwa weil eine AGB-Kontrolle nach lex causae eine unangemessene Benachteiligung der schwächeren Partei ergibt, so respektieren deutsche Gerichte diese Entscheidung der lex causae.596 Ergibt sich hingegen die Wirksamkeit nach der lex causae, so erfolgt nach deutschem Recht eine ordre public-Kontrolle, die nur Raum für eine restriktive Überprüfung der Klausel lässt. Vor US-amerikanischen Gerichten erfolgt eine Wirksamkeitsprüfung im Regelfall ohne Berücksichtigung der nach kollisionsrechtlichen Grundsätzen ermittelten lex causae. Das stattdessen immer maßgebliche US-amerikanische Recht räumt der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie beträchtlichen Spielraum ein, die Hürde zur Annahme der Unwirksamkeit einer Vereinbarung ist erheblich. Nach deutschem ordre public wie nach amerikanischer public policy wäre wohl etwa erforderlich, dass der unterlegenen Partei durch die Vertragsgestaltung die Gewährung von Rechtsschutz nahezu vollständig entzogen wird. 597 Beide Rechtsordnungen sind vergleichbar restriktiv. Die Unwirksamkeit der Klausel allein aufgrund der missbräuchlichen Ausnutzung überlegener Verhandlungsmacht hängt damit in Deutschland von der lex causae ab, in den USA hingegen kommt sie in aller Regel nicht in Betracht. II. Prozessuale Absicherung international zwingenden Rechts Eine weitergehende Überprüfung von Gerichtsstands- und Schiedsabreden erlauben US-amerikanische wie deutsche Gerichte zur international zwingenden Durchsetzung des eigenen Rechts. Auch innerhalb der Jurisdiktionen herrscht keine Einigkeit über das Ausmaß der Kontrolle, die jeweils vertretenen Lösungsansätze sind dennoch in beiden Ländern vergleichbar. Die Nichtanwendung von deutschen Eingriffsnormen durch das parteiautonom bestimmte Forum führt vor deutschen Gerichten grundsätzlich zur Invalidierung einer Gerichtsstands- bzw. Schiedsvereinbarung. 598 Dies gilt bereits, wenn die 594
Siehe bereits oben § 2B.II. Mullenix, 57 Ford. L. Rev. 291, 347 f f. (1988). 596 OLG Dresden, Beschluss vom 07.12.2007, IPRspr. 2007 Nr. 222, 631; OLG Bremen, Beschluss vom 30.10.2008, IPRspr. 2008 Nr. 204, 649; OLG Celle, Beschluss vom 04.12.2008, IPRspr. 2008 Nr. 207, 659. 597 Für das deutsche Recht: Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ 2009, 196, 203; für das amerikanische: Carnival Cruise Lines, Inc. v. Eulala Shute, 499 U.S. 585 (US Supreme Court, 1991). 598 BGH, Urteil vom 30.01.1961, NJW 1961, 1061, 1062; BGH, Urteil vom 08. 02. 1971, NJW 1971, 985; BGH, Urteil vom 03.12.1973, VersR 1974, 470; BGH, Urteil vom 595
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Abrede zu beurteilen ist, bevor ein Prozess am ausländischen Forum begonnen hat, geschweige denn ein Urteil gefällt worden oder ein Schiedsspruch ergangen ist. 599 Wenigstens formal ist nach deutschem Recht die Sicherung des von der Eingriffsnorm verfolgten Ergebnisses ausschlaggebend. Lässt sich feststellen, dass das ausländische Forum die deutschen Eingriffsnormen berücksichtigt, kann die Zuständigkeit deutscher Gerichte wirksam abbedungen werden. Dieses Vorgehen findet sich auch in der älteren BGHRechtsprechung. 600 Nach jüngerer Rechtsprechung genügt zur Unwirksamkeit der Derogation bereits die naheliegende Gefahr, dass deutsches international zwingendes Recht missachtet werden wird. 601 Der rechtstechnisch aus dem subsidiären Charakter folgende, eigentlich notwendige Ergebnisvergleich wird bei Anwendung dieses Kriteriums faktisch nicht oder nur oberflächlich durchgeführt.602 Trotz seiner Tendenz, Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen als wirksam anzuerkennen, eröffnet auch das amerikanische Prozessrecht die Möglichkeit, zur Sicherung der international zwingenden Wirkung des eigenen materiellen Rechts Zuständigkeitsvereinbarungen zu beschränken.603 Zu differenzieren ist dabei zwischen Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen. Gerichtsstandsvereinbarungen unterliegen einem strengeren Maßstab als Schiedsvereinbarungen. Wie im deutschen Recht werden Gerichtsstandsvereinbarungen, mit denen – insbesondere in Verbindung mit einer entsprechenden Rechtswahl – eine Abbedingung von international zwingendem Recht des Forums einhergeht, als unwirksam angesehen. Einem Teil der Rechtsprechung zufolge gilt dies, über das von der deutschen Rechtsprechung angewandte Kriterium der „naheliegenden Gefahr“ hinausgehend, unabhängig davon, ob das von den Parteien bestimmte Gericht die Wertungen des derogierten Forums tatsächlich missachten wird. Amerikanische Gerichte leiten dies daraus ab, dass der besondere Schutzzweck der Eingriffsnorm bereits die Verhinderung eines Prozesses an einem für die zu schützende Partei fremden Forum erfordere. 604 Andere amerikanische Gerichte sind weniger restriktiv und nehmen unter Berücksichtigung des vom ausländischen Forum voraussichtlich erzielten Ergebnisses eine Abwägung vor, die die Gerichtsstandsvereinbarung bei Wahrung eines hinreichenden Schutzniveaus
30.05.1983, NJW 1983, 2772; OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322 Rn. 35. 599 Dazu bereits oben § 2B.III.2. 600 BGH, Urteil vom 30.05.1983, NJW 1983, 2772, 2772 f. 601 OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322. 602 Kritisch: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1770; Rühl, IPRax 2007, 294, 298; Staudinger/Hausmann IntVertrVerfR, Rn. 296. 603 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 15 f. (US Supreme Court, 1972). 604 Kubis & Perszyk Associates, Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 680 A.2d 618, 628 (Supreme Court New Jersey, 1996); Charles B. Jones v. GNC Franchising, Inc., 211 F.3d 495, 498 (9th Cir., 2000).
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unberührt lässt. 605 Letztere Vorgehensweise entspricht eher einer am konkreten Ergebnis orientierten ordre public-Kontrolle, wie sie auch das deutsche Recht vorsieht. Im Falle von Schiedsvereinbarungen bleibt der Einfluss entgegenstehenden international zwingenden Rechts weitgehend theoretischer Natur. Im Einredestadium verweigern die amerikanischen Gerichte einen Eingriff in das Schiedsverfahren und auch im Zeitpunkt der Anerkennung und Vollstreckung bewirkt die schiedsverfahrensfreundliche Grundwertung des Federal Arbitration Act eine weitgehende Verdrängung entgegenstehender Wertungen von Eingriffsnormen. 606 III. Schaffung von zwingenden Schutzgerichtsständen Einen dritten Weg wählen der europäische Gesetzgeber mit der Brüssel IaVerordnung und der deutsche Gesetzgeber mit § 215 VVG. Das aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung mittelbar zur Anwendung kommende Recht bleibt für die Wirksamkeit der Abrede ohne Belang. Es erübrigt sich folglich die Feststellung, mit welcher Sicherheit das prorogierte Forum von international zwingenden Wertungen des europäischen Rechts abweichen wird. Das europäische Recht nimmt eine Bewertung der Vereinbarung allein aufgrund des Ungleichgewichts zwischen den Parteien vor. Die Beurteilung der Benachteiligung der strukturell unterlegenen Partei im konkreten Fall, wie sie vor deutschen Gerichten teilweise nach der lex causae erfolgt, wird ersetzt durch eine typisierte Kontrolle anhand abstrakter Kriterien. Die abstrakte Einstufung von Versicherungsnehmern bestimmter unternehmerischer Stärke als schutzbedürftig, ersetzt eine Untersuchung von tatsächlich im Einzelfall bestehenden Ungleichgewichten. Die Schaffung von Schutzgerichtsständen definiert darüber hinaus mittelbar, dass solche Zuständigkeitsvereinbarungen als unwirksam anzusehen sind, die zum Nachteil der zu schützenden Partei von den Vorgaben der Verordnung abweichen. B. Internationalprozessrechtliche Gerechtigkeit Der Verzicht auf einen staatlichen Eingriff in die zuständigkeitsrechtliche Parteiautonomie hat die Beeinträchtigung internationalprozessrechtlicher Gerechtigkeit zur Folge, denn sie führt zu einer einseitigen Durchsetzung der Interessen der überlegenen Partei. Die oben analysierten Mechanismen sind folglich primär daran zu messen, inwieweit ihnen ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers gelingt und so einen gerechten Ausgleich der 605
Richards v. Lloyd's of London, 135 F.3d 1289, 1296 (9 th Cir., 1998). Management Recruiters Intern., Inc. v. Bloor, 129 F.3d 851 (6 th Cir., 1997); Doctor's Associates, Inc. v. Hamilton, 150 F.3d 157 (2 nd Cir., 1998); KKW Enterprises, Inc. v. Gloria Jean's Gourmet Coffees Franchising Corp., 184 F.3d 42, 51 (1st Cir., 1999); OPE Int'l LP v. Chet Morrison Contractors, Inc., 258 F.3d 443, 447 (5 th Cir., 2001). 606
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Parteiinteressen wiederherstellt. Die Untersuchung der Schutzintensität ergibt im Ergebnis bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Recht. Anders als nach amerikanischem Recht ist nach deutschem Internationalen Prozessrecht zunächst eine Prüfung der Gerichtsstands- oder Schiedsabrede an dem auf diese anwendbaren Vertragsrecht möglich. Das Maß an Schutz, das dem strukturell unterlegenen Unternehmer gewährt wird, bemisst sich folglich primär an diesem und nur sekundär an der deutschen lex fori. Der primäre Rückgriff der deutschen Gerichte auf die lex causae kann für die schwächere Partei von Vorteil sein. Denn abhängig vom anwendbaren Recht kann eine unangemessene Benachteiligung bereits dann vorliegen und zur Unwirksamkeit der Abrede führen, wenn der vertraglich bestimmte Ort der Streitbeilegung mit erheblichen Kosten und Mühen verbunden ist, die einseitig die wirtschaftlich unterlegene Partei treffen. Dies setzt freilich voraus, dass die lex causae einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers ermöglicht und vorsieht. Im Übrigen bleibt es der überlegenen Vertragspartei grundsätzlich unbenommen, ihre Gestaltungsmacht darauf zu verwenden, die Abrede einer Rechtsordnung zu unterstellen, nach welcher keine Wirksamkeitshindernisse bestehen. Die Schutzintensität wird dann schlussendlich von den Maßstäben des deutschen ordre public bestimmt. Dies entspricht der Rechtslage in den Vereinigten Staaten. Hier wie dort besteht ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers im Regelfall nicht bereits aufgrund einer möglichen Ausnutzung einer Asymmetrie zwischen den Vertragsparteien an sich. Eine Ausnahme kommt in beiden Rechtsordnungen nur in besonders schwerwiegenden Fällen in Betracht, die praktisch selten vorkommen dürften. Zu denken ist etwa an Vertragsbedingungen, die einen effektiven Rechtsschutz weitgehend oder vollständig ausschließen. Ein weitergehender Schutz der unterlegenen Partei vor nachteiligen Gerichtsstandsvereinbarungen wird in den Vereinigten Staaten wie in Deutschland durch die internationalprozessrechtliche Absicherung von Eingriffsnormen gewährleistet. Der aus zwingendem Recht abgeleitete prozessuale Aspekt kann die aus der strukturellen Unterlegenheit herrührenden Nachteile einer Partei effektiv ausgleichen. Dies gilt umso mehr, als die prozessuale Absicherung absolut verstanden wird, also kein Vergleich mit dem am prorogierten Forum erwartbaren materiellen Ergebnis stattfindet. Der Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers geht damit über das materielle Recht hinaus und erhält eine zusätzliche prozessuale Komponente, die auf der Überlegung beruht, bereits die Bestimmung eines aus Sicht der unterlegenen Partei ausländischen Gerichtsstands stelle für diese einen Nachteil dar, selbst wenn das
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prorogierte Forum zu demselben materiellrechtlichen Ergebnis komme. 607 Die Notwendigkeit eines Prozesses gegen eine überlegene Partei an einem fremden Forum weist ein beträchtliches Abschreckungspotenzial auf. In der USamerikanischen wie auch in der jüngeren deutschen Rechtsprechung finden sich Entscheidungen, welche eine solche Gerichtsstandsvereinbarung weitgehend unabhängig von ihren internationalprivatrechtlichen und materiellrechtlichen Konsequenzen als unwirksam ansehen.608 Die theoretisch bestehende Effizienz des in den USA wie in Deutschland verwandten Rückgriffs auf international zwingendes Recht darf zudem nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein umfassender Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers weder hier noch dort besteht. Dies liegt im engen persönlichen Anwendungsbereich der in Betracht kommenden Vorschriften begründet. Nur in gut der Hälfte der US-amerikanischen Einzelstaaten bestehen Vorschriften zum Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers, von denen zugleich eine Einschränkung der internationalprozessrechtlichen Parteiautonomie ausgeht. 609 Meist sind dies Vorschriften zum Schutze von Franchisenehmern und Vertragshändlern. Die Leitentscheidungen des US Supreme Courts, die den grundsätzlichen Vorrang der Parteiautonomie festschreiben, lassen nur begrenzten Raum für entgegenstehende Wertungen. 610 Deutlich wird dies nicht zuletzt im Schiedsverfahrensrecht. Der zum Teil bestehende, meist über einzelstaatliche Schutzvorschriften gewährte Schutz vor nachteiligen Gerichtsstandsvereinbarungen lässt sich mittels Vereinbarung einer Schiedsklausel umgehen. 611 Diese Schutzlücke besteht in Deutschland nicht. Schiedsvereinbarungen müssen sich bezüglich der Umgehung international zwingenden Rechts an denselben Wirksamkeitsvoraussetzungen messen lassen wie Gerichtsstandsabreden. Doch auch in Deutschland ist der persönliche wie der sachliche Schutzbereich der für den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers in Betracht kommenden Eingriffsnormen begrenzt. Momentan ist hier lediglich der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB ersichtlich. Selbst dessen ana-
607 Charles B. Jones v. GNC Franchising, Inc., 211 F.3d 495, 498 (9 th Cir., 2000); Kubis & Perszyk Associates, Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 680 A.2d 618, 628 (Supreme Court New Jersey, 1996). 608 Charles B. Jones v. GNC Franchising, Inc., 211 F.3d 495 (9 th Cir., 2000); Kubis & Perszyk Associates, Inc. v. Sun Microsystems, Inc., 680 A.2d 618 (Supreme Court New Jersey, 1996); OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322; kritisch: Rühl, IPRax 2007, 294, 298. 609 Siehe oben § 3B.IV. 610 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 17 (US Supreme Court, 1972); Carnival Cruise Lines, Inc. v. Eulala Shute, 499 U.S. 585 (US Supreme Court, 1991). 611 Siehe hierzu insbesondere Mitsubishi Motors Corporation v. Soler ChryslerPlymouth, Inc., 473 U.S. 614 (US Supreme Court, 1985).
§ 4 Rechtsvergleich
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loge Anwendung auf Franchisenehmer und Vertragshändler kommt nicht in Betracht.612 Dem Ziel internationalprozessrechtlicher Gerechtigkeit ist zudem die aus dem deutschen wie dem amerikanischen Recht folgende Rechtsunsicherheit abträglich. Die Offenheit des Tatbestands einer allgemeinen Missbrauchskontrolle liegt auf der Hand. Eine Orientierung ist lediglich anhand Tendenzen der Rechtsprechung möglich. Auch der prozessualen Absicherung international zwingenden Rechts fehlt es an Rechtssicherheit. Zunächst ist bereits nicht in jedem Fall ohne weiteres ersichtlich, welchen Normen eine international zwingende Wirkung zukommt, die auch auf das Internationale Prozessrecht ausstrahlt. Sodann führt die uneinheitliche Beurteilung der Einbeziehung des vom fremden Forum voraussichtlich erzielten materiellrechtlichen Ergebnisses zu praktisch beträchtlichen Schwierigkeiten. Denn zum einen ist nicht mit Sicherheit feststellbar, ob die Gerichtsstandsvereinbarung im Falle der Kollision mit international zwingendem Recht absolut oder abhängig vom erwarteten Ergebnis unwirksam ist. Zum anderen ist die im letzteren Falle erforderliche Prognose, ob das fremde Recht aus Sicht des derogierten Forums ein akzeptables Ergebnis erzielen wird, nur mit erheblichem rechtswissenschaftlichen Aufwand möglich. Den Rechtsschutz suchenden strukturell unterlegenen Unternehmer beeinträchtigt dies ganz erheblich. Denn Rechtsunsicherheit führt für diesen zu einer Erhöhung seines Prozessrisikos und kann zur Folge haben, dass dieser deshalb auf die Durchsetzung eigener Ansprüche verzichtet. Ebenso nachteilig wirkt sich die in Deutschland wie den USA vorherrschende Rechtsunsicherheit auf die strukturell überlegene Partei aus. Diese kann nicht vorhersehen, ob eine Gerichtsstands- oder Schiedsvereinbarung Bestand haben wird. Die internationale Vertragsgestaltung wird ihr erschwert. Die Aufnahme der Tätigkeit auf einem fremden Markt erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den dort vorherrschenden Tendenzen in der Rechtsprechung. Die überlegene Partei muss zudem einkalkulieren, dass eine Zuständigkeitsabrede möglicherweise keinen Bestand haben wird, was im Falle eines Prozesses in aller Regel mit zusätzlichen Kosten einhergehen wird, die aus der Beauftragung von Anwälten resultieren, die am jeweiligen Forum zugelassen und mit dessen Prozessrecht vertraut sind. Die Rechtsunsicherheit birgt die Gefahr eines ineffizienten Einsatzes von Ressourcen, da strukturell überlegene Unternehmer zwar die Kosten einer unwirksamen Gerichtsstandsvereinbarung zu antizipieren versuchen müssen, jedoch nicht mit Sicherheit voraussehen können, welche Kosten tatsächlich anfallen.
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Dazu bereits oben § 1B.V.2.d).
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Kapitel 5: Schutz auf Ebene des Internationalen Zivilverfahrensrechts
Die Brüssel Ia-Verordnung vermeidet derartige Rechtsunsicherheit durch die Formulierung klarer Regeln, die keine Prognose hinsichtlich eines ausländischen Alternativprozesses erfordern, sondern absolut über die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung bestimmen. Das Schutzniveau wird insbesondere gegenüber dem deutschen Recht dadurch erhöht, dass vom Anwendungsbereich erfasste, benachteiligende Gerichtsstandsvereinbarungen nicht nur unwirksam sind – insofern entspricht das europäische Recht im Ergebnis dem deutschen und amerikanischen –, sondern zugleich klar definierte Klägergerichtsstände geschaffen werden. In den Vereinigten Staaten tritt diese Problematik aufgrund der sehr weitreichenden Zuständigkeitsanmaßungen der amerikanischen Gerichte in den Hintergrund. 613 De lege lata wird freilich auch der vom europäischen Internationalen Prozessrecht gewährte Schutz dadurch begrenzt, dass er allein Versicherungsnehmer erfasst. Ein Schutz anderer als strukturell unterlegen einzustufende Unternehmer findet nicht statt. In dieser Hinsicht sind die generalklauselartigen ordre publicVorbehalte des deutschen und amerikanischen Rechts flexibler, um eine Vielzahl denkbarer Konstellationen zu erfassen, was freilich mit der erwähnten Erhöhung der Rechtsunsicherheit einhergeht.
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Es genügt nach amerikanischen Prozessrecht eine substantielle Verbindung („ substantial connection“) zu einem Staat, um die Zuständigkeit dessen Gerichte zu begründen: McGee v. International Life Ins. Co., 355 U.S. 220 (US Supreme Court, 1957); Hanson v. Denckla, 357 U.S. 235, 253 (US Supreme Court, 1958).
Kapitel 6
Systematisierung de lege ferenda Kapitel 6: Systematisierung de lege ferenda
Die Auswertung der deutschen, europäischen und US-amerikanischen Rechtslage untermauert die Beobachtung, dass dem Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers im internationalen Rechtsverkehr erhebliche Bedeutung beigemessen wird. Dies bestätigt die oben getroffene Feststellung, dass ein internationalprivat- und verfahrensrechtlicher Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers rechtspolitisch erwünscht und die damit einhergehende Beschränkung der Parteiautonomie gerechtfertigt ist. 1 Eine umfassende Regelung findet sich weder im deutschen noch im europäischen Recht. Vielmehr weisen die bestehenden Schutzbestimmungen fragmentarischen Charakter auf. Ausdrücklich in der Rom I-Verordnung und Brüssel Ia-Verordnung geregelt sind nur einzelne Vertragstypen, wie etwa Versicherungsverträge, Franchise- und Vertriebsverträge. Der Telos der diesbezüglichen Sonderregelungen ist ausweislich der Verordnungsbegründung der Schutz der als unterlegen angesehenen Vertragspartei. 2 Doch selbst in den auf europäischer Ebene geregelten Fällen weichen Schutzintensität und Regelungstechnik voneinander ab. Während Franchisenehmer und Vertriebshändler allein im Falle des Fehlens einer Rechtswahl gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom IVO durch die Anwendung ihres Heimatrechts bevorzugt werden, trifft der Verordnungsgeber eine umfassende Lösung für Versicherungsnehmer qua Beschränkung der Parteiautonomie auf Ebene des IPR wie des IZPR. Die Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen zum Schutz des Versicherungsnehmers weicht regelungstechnisch wiederum von dem zum Schutz der ebenfalls als strukturell unterlegen angesehenen Verbraucher und Arbeitnehmer angewandten Günstigkeitsprinzip ab.3 Auch die Bestimmung des persönlichen Schutzbereichs variiert bereits innerhalb der Rom I-Verordnung. Während bestimmte Vertragstypen per se die Unterlegenheit einer Partei indizieren sollen, differenziert der Verordnungsgeber bei anderen anhand der wirtschaftlichen Stärke des strukturell unterlegenen Vertragspartners. Die unter1
Dazu oben § 3B. Siehe etwa Erwägungsgründe 23 und 32 Rom I-VO; Erwägungsgrund 18 Brüssel IaVO; die Begründung zum Kommissionsentwurf der Rom I-VO: KOM(2005) 650 endg., S. 6 sowie zur Brüssel I-VO: KOM(1999), 348, S. 16. 3 Kritisch zu diesem Nebeneinander an Regelungsmechanismen auch Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 371 f. 2
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Kapitel 6: Systematisierung de lege ferenda
schiedliche Umsetzung des Schwächerenschutzes in der Rom I-VO entbehrt jeder Rechtfertigung und ist in sich inkohärent. 4 Über die genannten Vertragstypen hinausgehend existiert im deutschen wie europäischen Recht keine Kodifizierung des Schutzes des strukturell unterlegenen Unternehmers. Freilich haben der EuGH ebenso wie deutsche, französische und belgische Gerichte es wiederholt für notwendig erachtet, dessen ungeachtet einen weitergehenden Schutz der schwächeren Partei zu schaffen. Zur Überwindung einer dem Schutzzweck europäischer und nationaler materieller Schutzbestimmungen zuwiderlaufenden Rechtswahl greifen sie auf die von Art. 9 Rom I-VO ermöglichte international zwingende Durchsetzung einzelner Normen zurück. 5 Eine prozessuale Umgehung des Eingriffsrechts versucht insbesondere die deutsche Rechtsprechung durch die Konstruktion eines mittels ordre public-Kontrolle erzielten Derogationsverbots zu gewährleisten. 6 In den Fällen, in denen auf Eingriffsnormen ausgewichen wird, entsteht der Eindruck, es mangele schlicht an einer tauglicheren Regelung zum Schutz einer schwächeren Partei. Insbesondere fehlt es in diesen Fällen an einer internationalprivat- bzw. prozessrechtlichen Definition eines persönlichen Schutzbereichs. Die verwendete Rechtstechnik sowohl im IPR als auch im IZVR ist offen gegenüber der Anwendung auf sämtliche Vertragstypen und Konstellationen. Die Ausfüllung der von Art. 9 Rom I-VO und ordre public-Kontrolle geschaffenen Möglichkeit mutet willkürlich an. Warum der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB als international zwingend anzusehen ist, dasselbe jedoch nicht für den Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers gemäß § 89b HGB analog gilt, liegt wohl im einerseits unionsrechtlichen, andererseits autonomen Ursprung des Anspruchs begründet, kann jedoch schwerlich überzeugen. 7 Aus der Uneinheitlichkeit der Regelungen ergibt sich zum einen ein lückenhafter Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers. So ist nicht ersichtlich, weshalb der Verordnungsgeber Franchisenehmer und Vertriebshändler zwar zu Recht als schwächere Partei ansieht, den Schutz dieser Par-
4 Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 371 f.; kritisch auch: Rauscher/von Hein Art. 8 Rom I-VO Rn. 21, der den Gebrauch unterschiedlicher Schutztechniken für „diskussionswürdig“ hält. 5 EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd ./. Eaton Leonard Technologies Inc.), EuGHE 2000 I 9325; Cass. mixte 30.11.2007, N° 06–14.006, D. 2008, 5.; Cass. civ. 30.01.2008, Bull. Civ. III Nr. 16; Cass. Civ. 08.04.2008, Urteil N° 07–10.763, Clunet 2008, 1075; Cass. civ. 25.02.2009, Urteil N° 07–20.096, Bulletin d’information n° 250; OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322; zum belgischen Recht: Rigaux/Fallon, Droit International Privé, Rz. 1342 m.w.N. 6 BGH, Urteil vom 30.05.1983, NJW 1983, 2772; BGH, Urteil vom 12.03.1984, NJW 1984, 2037; OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322. 7 Siehe dazu bereits oben § 1B.V.2.d).
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teien dann jedoch nur unzureichend gewährleistet.8 Der Rückgriff auf Eingriffsnormen ist denkbar ungeeignet, um einen umfassenden Schutz zu gewährleisten, weil in vielen Fällen zweifelhaft ist, ob es sich bei den in Betracht kommenden sonderprivatrechtlichen Schutzbestimmungen angesichts der hohen hieran zu stellenden Anforderungen überhaupt um Eingriffsnormen handelt. Zum anderen folgt aus der fragwürdigen Regelungstechnik eine erhebliche Rechtsunsicherheit zum Nachteil aller Beteiligten. Nur selten ergibt sich aus dem Wortlaut einer Norm unzweifelhaft deren international zwingender Charakter, sodass dessen Bestimmung der recht uneinheitlichen Rechtsprechung überlassen bleibt. Es lassen sich zwar Tendenzen beschreiben. Ob tatsächlich ein hinreichendes öffentliches Interesse anzunehmen ist, ist jedoch nicht mit letzter Sicherheit vorhersehbar. Die Möglichkeit, von einer Eingriffsnorm auf ein Derogationsverbot zu schließen, bleibt eine Frage des Einzelfalls. Ob die naheliegende Gefahr der Nichtanwendung deutscher Eingriffsnormen durch ein drittstaatliches Gericht besteht oder das materielle Schutzniveau des am forum prorogatum zur Anwendung kommenden Rechts noch den vom deutschen ordre public vorgegebenen Mindestanforderungen genügt, ist Gegenstand einer unsicheren Prognose. 9 Diese Rechtsunsicherheit ist für beide Parteien nachteilig. Sie schadet insbesondere der strukturell unterlegenen Partei, da für diese ein Prozess mit einer erheblich größeren wir tschaftlichen Belastung einhergehen kann. Lassen sich das zuständige Forum und das anwendbare Recht nicht mit Sicherheit vorhersehen, ist auch das durch ein Gerichtsverfahren gegen einen ohnehin bereits wirtschaftlich überlegenen Vertragspartner eingegangene Prozessrisiko schwer kalkulierbar. Im Zweifel mag es daher aus Sicht der strukturell unterlegenen Partei vorzugswürdig sein, von einem Prozess abzusehen und auf die Geltendmachung eigener Ansprüche zu verzichten. Ein solcher Abschreckungseffekt ist kaum mit dem einen Schutz der unterlegenen Vertragspartei bezweckenden Telos der entsprechenden Bestimmungen des materiellen Rechts vereinbar. Das US-amerikanische Kollisions- wie Verfahrensrecht kann zwar in Teilen wichtige Impulse für eine Weiterentwicklung des europäischen Rechts liefern. Eine Übernahme des amerikanischen Modells scheidet jedoch nicht zuletzt deshalb aus, weil es ein aus europäischer Perspektive nicht hinnehmbares Maß an Rechtsunsicherheit verursacht. Aus der durchgeführten rechtsvergleichenden Untersuchung ergibt sich, dass ein Schutz einzelner strukturell unterlegener Unternehmer zwar von Gesetzgeber und Rechtsprechung in unterschiedlichem Maße beabsichtigt ist, es aber an einer in sich konsistenten 8 Kritisch zur Verortung in der objektiven Anknüpfung auch Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2092. 9 Vgl. dazu die Entscheidungen des OLG München, Urteil vom 17.05.2006, IPRax 2007, 322 für die Unwirksamkeit einer Gerichtsstandsabrede und BGH, Urteil vom 30.05.1983, NJW 1983, 2772 für die Wirksamkeit trotz entgegenstehender Eingriffsnormen.
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Kapitel 6: Systematisierung de lege ferenda
und effektiven Regelung fehlt. Daher soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers neu zu ordnen.
§ 1 Der persönliche Schutzbereich § 1 Der persönliche Schutzbereich
A. Überblick Erkennt man die Notwendigkeit eines Schutzes von unterlegenen Parteien auch im Internationalen Handelsrecht an,10 ist in einem ersten Schritt die Frage zu beantworten, in welchen Situationen von einem strukturellen Gefälle zwischen zwei Unternehmern auszugehen ist, das einen schützenden Eingriff erforderlich macht. In einem zweiten Schritt ist sodann zu bestimmen, auf welche Art und Weise die so definierten Vertragsparteien zu schützen sind. Angelehnt an die zum deutschen, europäischen und US-amerikanischen Recht durchgeführte Untersuchung sind grundsätzlich drei Modelle vorstellbar, um den Kreis schutzbedürftiger Parteien zu definieren. Die strukturell einfachste Option ist es zunächst, sämtliche Verträge einer internationalprivat- und prozessrechtlichen Kontrolle zu unterziehen. Eine zweite Möglichkeit bildet der Versuch einer pauschalen Festlegung, bei welchen Arten von Vertragstypen ein Unternehmer als strukturell unterlegen anzusehen ist und es daher einer Einschränkung der Parteiautonomie bedarf. Die höchsten Anforderungen an den Normgeber stellt ohne Zweifel der vom Vertragstyp unabhängige Versuch der Definition eines strukturell unterlegenen Unternehmers. B. Modell 1: Allgemeine Kontrolle Eine allgemeine Kontrolle würde auf den Versuch einer Definition des Schutzbereichs verzichten. Zu normieren wäre schlicht eine allgemeine Vorbehaltsklausel. Denkbar wäre eine Umsetzung dieses Gedankens etwa durch eine Missbrauchskontrolle oder eine AGB-Kontrolle auf Ebene des IPR und IZVR. Als Vorbild könnte Art. 6 lit. c) des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen 11 dienen, der die grundsätzliche Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen bestimmt, es sei denn, „die Anwendung der Vereinbarung würde zu einer offensichtlichen Ungerechtigkeit führen oder der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich widersprechen.“
10
Zur Begründung dieser Prämisse siehe oben § 3B. Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.06.2006, noch nicht in Kraft getreten, Jayme/Hausmann, Nr. 151. 11
§ 1 Der persönliche Schutzbereich
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Dieses Modell der allgemeinen Missbrauchskontrolle findet sich in unterschiedlicher Eingriffsintensität vor allem in den untersuchten Internationalen Zivilverfahrensrechten. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland dient es der Überprüfung der Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung. Darüber hinaus werden auch Gerichtsstandsklauseln im deutschen wie im amerikanischen Recht einer Kontrolle unterzogen, die grundsätzlich unabhängig vom situativen oder strukturellen Kräfteverhältnis zwischen den Parteien eingreift. Auch das US-amerikanische Internationale Privatrecht ist grundsätzlich neutral gegenüber der Verhandlungsstärke der betroffenen Parteien. Die Begrenzung der Rechtswahl im Einzelnen ist freilich von der Definition einer fundamental policy auf Ebene des materiellen Rechts abhängig. Das europäische IPR kennt die parteiunabhängige Rechtswahlkontrolle zum einen in Form der sehr restriktiven ordre public-Klausel des Art. 21 Rom I-VO, zum anderen in Art. 14 Rom II-VO, welcher im Deliktsrecht für kommerziell tätige Parteien das Erfordernis des freien Aushandelns der nachträglichen Rechtswahl aufstellt. C. Modell 2: Vertragstypenabhängige Kontrolle Die besondere Weite einer allgemeinen Missbrauchskontrolle ermöglicht zwar die Erfassung und Überprüfung jeder denkbaren Vertragsbeziehung und eine Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. Um einen spezifischen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers zu gewährleisten, ist diese Lösung freilich denkbar pauschal, weshalb der Versuch einer Eingrenzung des Schutzbereichs naheliegt. Eine solche Eingrenzung ist durch eine Definition der Vertragstypen möglich, in denen ein strukturelles Ungleichgewicht zulasten einer Partei zu vermuten ist. Die Ermittlung solcher Vertragstypen ermöglicht, sie besonderen Schutzregeln zu unterwerfen. Ein Vorbild für diese Regelung findet sich etwa in Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) Rom I-VO. Dort werden Franchisenehmer und Vertriebshändler pauschal als strukturell unterlegen definiert und sie begünstigenden Regeln der objektiven Anknüpfung unterworfen. Auch Art. 6 sowie 8 Rom I-VO bestimmen anhand des Vertragstyps die generelle Schutzbedürftigkeit einer am Vertrag beteiligten Partei. Spiegelbildliche Regelungen gelten für Arbeitnehmer und Verbraucher auch im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht mit den Art. 17–23 Brüssel Ia-VO. Im europäischen Internationalen Versicherungsvertragsrecht wird die Schutzbedürftigkeit einer strukturell unterlegenen Partei bei bestimmten Versicherungsverträgen grundsätzlich ebenfalls anhand des Vertragstypus bestimmt. In der Umsetzung steht diese Variante vor der besonderen Schwierigkeit einer abschließenden Definition der Vertragstypen, in denen es typischerweise zu strukturellen Ungleichgewichten kommt. Als erste Orientierung bietet sich ein Rückgriff auf das bestehende europäische Recht an. Hiernach
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Kapitel 6: Systematisierung de lege ferenda
werden ausdrücklich Franchisenehmer und Vertriebshändler als schutzbedürftig angesehen. Dasselbe gilt für Versicherungsverträge über Massenrisiken im Sinne von Art. 5 lit. d) der Ersten Schadensversicherungsrichtlinie 12. Eine Aufnahme in den zu versuchenden Katalog liegt auch für den Handelsvertretervertrag nahe. Sowohl der europäische Gesetzgeber als auch der Europäische Gerichtshof erachten den Handelsvertreter aufgrund seiner strukturellen Unterlegenheit als schutzbedürftig. 13 Die Heranziehung von Eingriffsnormen zum Schutze des Handelsvertreters ist hingegen, wie oben festgestellt, nur wenig geeignet, um einen wirksamen Schutz zu begründen. 14 In mehreren Mitgliedstaaten wird zudem der Subunternehmer als strukturell unterlegene Partei behandelt.15 Auch Verträge zwischen General- und Subunternehmern weisen typischerweise ein Ungleichgewicht auf, welches den Subunternehmer benachteiligt. Da es schließlich das Ziel dieses Reformvorschlags ist, den Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers zu vereinheitlichen, sollte auch der kommerziell tätige Versicherungsnehmer miteinbezogen werden. Daraus ergeben sich Konsequenzen für Art. 7 Rom I-VO. Diese Vorschrift ist freilich, wie bereits festgestellt, ohnehin als misslungen anzusehen, sodass es ihrer Beibehaltung nicht zwingend bedarf. 16 Die dort vorgesehene Anknüpfung von Versicherungsverträgen über Großrisiken entspricht den allgemeinen Regeln der Art. 3 und 4 Rom I-VO,17 eine Normierung ist mithin überflüssig. Für Verbraucherversicherungsverträge bestehen nach derzeitigem Recht Wertungswidersprüche, weil abhängig vom Belegenheitsort des Risikos entweder Art. 6 oder Art. 7 Rom I-VO mit stark voneinander abweichenden Rechtsfolgen eingreifen. 18 Zu erwägen ist daher, Verbraucherversicherungsverträge einheitlich unter Art. 6 zu fassen.19 12
Erste Richtlinie 73/239 EWG des Rates vom 24.07.1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), ABl. EWG Nr. L 228 vom 16.08.1973, S. 3. Zuletzt geändert durch die RL 2005/68/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates (ABl. EU Nr. L 323 vom 09.12.2005, S. 1). 13 Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter sowie EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd ./. Eaton Leonard Technologies Inc.), EuGHE 2000 I 9325, 9334 Rn. 21. 14 Siehe oben § 1B.V.2.e). 15 Dazu rechtsvergleichend: Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht, S. 51 ff. 16 Insbesondere zur fragwürdigen Aufspaltung anhand des Risikobelegenheitsortes: oben § 1B.IV.2. 17 Zur objektiven Anknüpfung von Versicherungsverträgen nach Art. 4 Rom I-VO: Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 132; Staudinger/Armbrüster Art. 7 Rom I-VO Rn. 7 ff. 18 Ausführlich dazu: Böttger, VersR 2012, 156, 160 ff. 19 So auch Rauscher/Fricke Art. 7 Rom I-VO Rn. 59, freilich mit der weitergehenden Forderung, auf einen Schutz des kommerziell tätigen Versicherungsnehmers zu verzichten;
§ 1 Der persönliche Schutzbereich
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D. Modell 3: Definition des strukturell unterlegenen Unternehmers Die höchsten Anforderungen an den Gesetzgeber stellt schließlich der Versuch einer abstrakten Definition des strukturell unterlegenen Unternehmers. Eine solche Generalklausel würde für sämtliche Verträge abstrakt bestimmen, ob ein Unternehmer als seinem Gegenüber strukturell unterlegen anzusehen ist, um daraus auf die Notwendigkeit von Schutzbestimmungen zu schließen. Die Definition eines derartigen Ungleichgewichts erfordert komplexe Erwägungen. Einerseits ist eine absolute Bestimmung wirtschaftlicher Unterlegenheit erforderlich, andererseits ist Unterlegenheit notwendigerweise ein relativer Zustand, der von der Verhandlungsstärke der anderen Vertragspartei abhängt. Als Merkmale struktureller Unterlegenheit im Handelsverkehr sind oben wirtschaftliche Schwäche, juristische und geschäftliche Unerfahrenheit sowie unterlegene Marktmacht identifiziert worden. 20 Die wirtschaftliche Schwäche eines Unternehmens lässt sich anhand objektiver Kriterien messen, wie das europäische Versicherungsrecht demonstriert.21 Das europäische Versicherungsrecht geht für bestimmte Versicherungsverträge, etwa Landfahrzeugkasko-, Feuer- und Sachschadenversicherungen, von der strukturellen Unterlegenheit des Versicherungsnehmers aus, wenn er nach betriebswirtschaftlichen Kennzahlen definierte Grenzen unterschreitet. Denkbar ist es, anhand von Kennzahlen, wie Umsatz, Bilanzsumme oder beschäftigte Arbeitnehmer, die wirtschaftliche Größe eines Unternehmens zu bestimmen und ab Unterschreiten einer bestimmten Grenze von einer strukturellen Unterlegenheit auszugehen. Orientiert man sich an den in Art. 5 lit. d) der RL 73/239 EWG vorgegebenen Zahlen, wäre ein Unternehmer dann als eine potentiell schwache Vertragspartei anzusehen, wenn er zwei der drei nachfolgenden Kriterien unterschreitet: eine Bilanzsumme von 6,2 Millionen Euro, einen Nettoumsatz von 24 Millionen Euro sowie eine durchschnittliche Beschäftigtenanzahl von 250 im Laufe des Wirtschaftsjahres. Es ist freilich daran zu erinnern, dass diese Zahlen der vierten Bilanzrichtlinie von 1978 entstammen. 22 Insbesondere die Anzahl der Arbeitnehmer erscheint im Lichte der technologischen Entwicklung der vergangenen Jahre zu hoch, um ein kleines Unternehmen zu definieren. Treffender ist deshalb die Definition des § 267 Abs. 1 HGB, der auf dieselbe Richtlinie zurückgeht. Dieser definiert kleine Kapitalgesellschaften als solche, die zwei der folgena.A.: Böttger, VersR 2012, 156, 162 f., der Verbraucherversicherungsverträge einheitlich unter Art. 7 Rom I-VO fassen möchte. 20 Siehe oben § 3. 21 Dazu ausführlich oben § 1B.IV. 22 Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften b estimmter Rechtsformen, ABl. EWG Nr. L 222 vom 14.08.1978, S. 11. Dazu schon oben § 1B.IV.3 sowie MünchKommHGB/Reiner § 264 Rn. 1.
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den Merkmale unterschreiten: Eine Bilanzsumme von 4,84 Millionen Euro, einen Umsatz von 9,68 Millionen Euro sowie durchschnittliche 50 Arbeitnehmer pro Jahr. Die Übertragbarkeit bilanzrechtlicher Kriterien auf das Internationale Privatrecht war bereits oben Gegenstand der Diskussion. 23 Unzweifelhaft lässt sich an ihnen die Größe eines Unternehmens einstufen. Zeitlich ist für das Vorliegen dieser Kriterien auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, denn in diesem Zeitpunkt wirkt sich eine etwaige strukturelle Unterlegenheit auf die Verhandlungsmacht einer Partei aus. 24 Gehört das betreffende Unternehmen zu einem Konzern, so wird man für die Feststellung der Unternehmensgröße auf die Zahlen des Konzernabschlusses abstellen müssen. 25 Denn allein diese sind geeignet, die wirtschaftliche Stärke eines zu einem Konzern gehörenden Unternehmens für den hier erforderlichen Zweck unverfälscht abzubilden. Überdies lassen sich auf diese Weise sowohl ein Umgehen des Schutzes als auch ein Erschleichen des Schutzes verhindern. Ein weiteres Merkmal struktureller Unterlegenheit ist geschäftliche und juristische Unerfahrenheit. Strukturell unterlegene Unternehmer verfügen insbesondere in grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht über hinreichend juristischen Sachverstand, um die Auswirkungen von Gerichtsstands- und Rechtswahlklauseln zu überblicken und mit den Folgen einer für sie ungünstigen Vereinbarung umzugehen. Juristische Unerfahrenheit anhand messbarer Daten zu definieren, ist freilich kaum möglich. Zu erwägen ist jedoch, von der wirtschaftlichen Größe eines Unternehmens auf dessen Unerfahrenheit zu schließen. Dass dieser Schluss keineswegs zwingend ist und ohne weiteres juristisch erfahrene Kleinunternehmen vorstellbar sind, liegt auf der Hand. Es spricht jedoch eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Kleinunternehmer nicht über dieselben juristischen Ressourcen verfügt wie ein Großunternehmen, das typischerweise eine eigene Rechtsabteilung oder dauernde geschäftliche Kontakte zu spezialisierten Anwaltskanzleien unterhält. Insofern ist von der wirtschaftlichen Schwäche zugleich auf juristische Unerfahrenheit zu schließen. Eine strukturelle Unterlegenheit des Unternehmers zeichnet sich schließlich durch eine faktische Durchsetzungsschwäche gegenüber dem überlegenen Vertragspartner aus. Aufgrund seiner schwächeren Verhandlungsposition ist es dem unterlegenen Unternehmer selbst bei entsprechender juristischer Beratung nicht möglich, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Die Verhandlungsmacht der Gegenseite ist so stark, dass sie für den unterlegenen Unternehmer nur die Wahl lässt, die Vertragsbedingungen des Gegenübers zu 23
Siehe § 1B.IV.3. Vgl. MünchKommBGB/Martiny Art. 7 Rom I-VO Rn. 19; Rauscher/Fricke Art. 7 Rom I-VO Rn. 8. 25 Vgl. MünchKommVVG/Looschelders, § 210 VVG Rn. 16. 24
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akzeptieren oder vom Vertragsschluss Abstand zu nehmen. Das Internationale Versicherungsrecht verzichtet darauf, die Relation der Vertragsparteien zueinander weiter zu definieren. Bei Versicherern handelt es sich in aller Regel um Großunternehmen. Eine Versicherung stellt ein rechtlich komplexes Produkt dar, das in aller Regel auch an Unternehmen standardisiert verkauft wird. Kommerziell tätige Versicherungsnehmer werden im Zweifel bei Unterschreiten einer bestimmten wirtschaftlichen Signifikanz im Falle der Versicherung von Massenrisiken keinerlei Einfluss auf die Vertragsbedingungen nehmen können, sondern vielmehr nur die Wahl haben, das Angebot des Versicherers anzunehmen oder abzulehnen. Versucht man, von Versicherungsverträgen zu abstrahieren, so lässt sich ein Ungleichgewicht nicht allein aus der Definition der unterlegenen Partei herleiten. Die Bestimmung eines strukturellen Ungleichgewichts erfordert vielmehr eine relative Betrachtung der beiden Vertragsparteien zueinander. Ein Unternehmer kann die wirtschaftliche Schwäche und juristische Unerfahrenheit seines Vertragspartners regelmäßig nur dann mit dem Ziel einer einseitigen Vertragsgestaltung ausnutzen, wenn er zum einen selbst bei absoluter Betrachtung über entsprechende wirtschaftliche Stärke und juristische Erfahrung verfügt. Zur Begründung der Überlegenheit einer Partei ist daher das Überschreiten der genannten Kennzahlen zu fordern, um von hinreichender wirtschaftlicher Stärke ausgehen zu können. Freilich ist nicht vom Vorliegen eines strukturellen Ungleichgewichts auszugehen, wenn eine Partei die genannten betriebswirtschaftlichen Kennzahlen knapp unterschreitet und der Vertragspartner diese knapp überschreitet. Zur Begründung eines relevanten Übergewichts einer Partei ist daher zum anderen erforderlich, dass der überlegene Vertragspartner die wirtschaftliche Stärke der schwächeren Partei nicht nur unerheblich übertrifft. Es liegt nahe, auch die Definition der überlegenen Partei dem Bilanzrecht zu entlehnen. Gemäß dem ebenfalls auf das Unionsrecht zurückgehenden § 267 Abs. 3 HGB sind große Kapitalgesellschaften solche, die zwei der folgenden Kriterien überschreiten: 19,25 Millionen Euro Bilanzsumme, 38,5 Millionen Euro Umsatz und durchschnittlich 250 Arbeitnehmer pro Jahr. Damit ist sichergestellt, dass die stärkere Partei die Wirtschaftskraft des Vertragspartners um wenigstens das Vierfache übersteigt bzw. über die fünffache Anzahl von Arbeitnehmern verfügt. Eine wirtschaftliche Überlegenheit lässt sich auf diese Weise begründen. Ist eine Vertragspartei bei objektiver Betrachtung wirtschaftlich schwach und der Vertragspartner aufgrund einer absoluten wie relativen Betrachtung als hinreichend stark einzustufen, so ist ein strukturelles Ungleichgewicht indiziert. Es ist zu vermuten, dass die stärkere Partei über eine hinreichende wirtschaftliche Stärke und juristischen Sachverstand verfügt, um die Verhandlungen mit einem Kleinunternehmen zu dominieren. Ob diese Vermutung auch dann noch trägt, wenn ein Kleinunternehmer über relevante Marktmacht verfügt, ist jedoch zweifelhaft. So mag etwa der Kleinunterneh-
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mer, der sich auf ein bestimmtes Marktsegment spezialisiert hat, auf welchem er als einer unter wenigen ein entsprechend nachgefragtes Produkt vertreibt, seinem Gegenüber in Vertragsverhandlungen strukturell auf Augenhöhe begegnen. Verfügt die an sich wirtschaftlich schwächere Partei über einen hinreichend großen Marktanteil, so führt die wirtschaftliche Größe einer Partei nicht zwingend zur Überlegenheit in Vertragsverhandlungen. Ist die wirtschaftlich schwächere Partei hingegen austauschbar, weil es der Gegenseite möglich ist, alternativ auf eine Vielzahl anderer Vertragspartner zurückzugreifen, so steht sie in Vertragsverhandlungen regelmäßig vor der Wahl, die Vorgaben der überlegenen Partei zu akzeptieren oder vom Vertrag Abstand zu nehmen. Das typische Muster der strukturellen Unterlegenheit ist dann erfüllt. Ist auf einem bestimmten Markt die unterlegene Partei austauschbar, dann ist die letztere Alternative gleichbedeutend mit dem Verzicht auf den Markteinstieg, denn auch etwaige Konkurrenten des überlegenen Vertragspartners werden über die Marktmacht verfügen, ihre einseitigen Bedingungen durchzusetzen. Die Vermutung, ein wirtschaftliches Gefälle sei gleichbedeutend mit der strukturellen Unterlegenheit einer Partei, ist folglich dann unzutreffend, wenn ein Kleinunternehmer über hinreichend Marktmacht verfügt, um seine wirtschaftliche Geringfügigkeit ausgleichen zu können. Fraglich ist, welche Anforderungen an eine derartige Marktmacht zu stellen sind. Es liegt nahe, hierzu auf die Begrifflichkeiten des Kartellrechts zurückzugreifen. Danach ist zunächst der sachlich und räumlich relevante Markt zu definieren, auf welchem der potentiell schutzwürdige Unternehmer tätig ist. Der sachlich und räumlich relevante Markt ergibt sich nach dem so genannten Bedarfsmarktkonzept, wonach all diejenigen Unternehmer einen Markt bilden, die aus Sicht der Gegenseite für einen bestimmten Zweck austauschbar sind. 26 Bietet ein Unternehmen ein Produkt an, so kommt es auf die Austauschbarkeit mit den Produkten der unmittelbaren Konkurrenzanbieter an. Fragt ein Unternehmen ein Produkt nach, bildet es mit denjenigen Konkurrenten einen Markt, die aus Sicht des Anbieters einen gleichwertigen Absatz des Produkts garantieren.27 Der räumlich relevante Markt schließlich ist das Gebiet, in welchem die auf einem Markt tätigen Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen „zu objektiv gleichen Bedingungen ohne wirtschaftliche Schranken von Bedeutung vertreiben können“. 28 Fraglich ist sodann, welches Maß 26 EuGH, Urteil vom 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche & Co. AG ./. Kommission der Europäischen Gemeinschaften), EuGHE 1979, 461; EuGH, Urteil vom 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin), EuGHE 1984, 3461. 27 Langen/Bunte/Bulst Art. 2 FKVO Rn. 86; MünchKommEuWettbR/Eilmansberger Art. 82 EG Rn. 43. 28 Kommission, Entscheidung vom 17.12.1975 (Chiquita), ABl. EWG Nr. L 95 vom 29.12.1976, S. 1, 12; Langen/Bunte/Bulst Art. FKVO Rn. 93 ff.; MünchKommEuWettbR/Eilmansberger Art. 82 EG Rn. 55 ff.
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von Marktmacht erreicht sein muss, um die Vermutung der strukturellen Unterlegenheit der wirtschaftlich schwächeren Partei zu widerlegen. Ein hierbei zu berücksichtigendes Problem stellt die praktische Bestimmbarkeit der Marktanteile dar, denn nicht in jedem Fall sind verlässliche Daten verfügbar. Für viele Wirtschaftssektoren sind Marktanteile öffentlich abrufbar oder durch Marktforschung ermittelbar, sodass den Parteien eine Einschätzung ihrer eigenen Marktmacht möglich ist. Zum Teil fehlt es jedoch an verlässlichen Zahlen, womit den Beteiligten nur eine Schätzung ihrer relativen Stärke verbleibt. Die von Kartellbehörden vorgenommene Ermittlung von Marktanteilen durch Befragung von Konkurrenten scheidet im Vertragsrecht aus. Selbst wenn relevante Daten vorhanden sind, so ist zu bedenken, dass diese kaum tagesaktuell sein werden. Doch kann es für die Bestimmung der Unterlegenheit einer Partei nur auf die Marktanteile im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommen. Die Unsicherheit bei der Bestimmung von Marktanteilen führt dazu, dass eine Berücksichtigung derselben nur dann praxistauglich ist, wenn sich auch im Falle des Vorliegens lediglich ungenauer Daten die Anwendbarkeit einer Norm erschließen lässt. Eine zu starke Differenzierung ist folglich nicht möglich. Bleibt man in den Kategorien des Kartellrechts, so kann eine Partei dem Gegenüber dann eigene Vorstellungen diktieren, wenn sie eine marktbeherrschende Stellung hat. Im deutschen Kartellrecht wird gemäß § 19 Abs. 3 GWB vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es über einen Marktanteil von wenigstens einem Drittel verfügt. Da es das Ziel dieser Arbeit ist, einen Vorschlag zur Neugestaltung des europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrechts zu unterbreiten, liegt freilich ein Blick auf das europäische Kartellrecht näher. Der EuGH bewertet das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung anhand einer Gesamtbetrachtung, in welche die Marktstruktur, die Unternehmensstruktur und das Marktverhalten eines Unternehmens mit einfließen.29 Ab einem Marktanteil von 25% kann hiernach eine marktbeherrschende Stellung vorliegen, wenn der übrige Markt zersplittert ist, also viele Konkurrenten mit lediglich geringfügigen Marktanteilen vorhanden sind und ein erheblicher Abstand der nächstgrößeren Konkurrenten zum Marktführer besteht.30 Je höher der Marktanteil schließlich, desto eher kommt die Annahme einer marktbeherrschenden Stellung wiederum unter Berücksichtigung der Marktanteile der Mitbewerber in Betracht. Ab einem Marktanteil von 40% ist von einer marktbeherrschenden Stellung auszugehen, wenn auf einem Markt keine vergleichbar starken Konkurrenten 29 EuGH, Urteil vom 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands Chiquita), EuGHE 1978, 207; Langen/Bunte/Bulst Art. 2 FKVO Rn. 42; MünchKommEuWettbR/Eilmansberger Art. 82 EG Rn. 102 f. 30 Immenga/Mestmäcker/Möschel/Fuchs Art. 102 AEUV Rn. 92.; Langen/Bunte/Bulst Art. 2 FKVO Rn. 57 MünchKommEuWettbR/Eilmansberger Art. 82 EG Rn. 106.
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existieren.31 Schließlich muss die Unternehmensstruktur geeignet sein, um einen Markt zu dominieren. Hiervon ist beispielsweise auszugehen, wenn ein Unternehmen über einen technischen oder kommerziellen Vorsprung vor seinen Konkurrenten oder besonders hohe Lieferkapazitäten verfügt oder von einer besonderen Markentreue der Abnehmer profitiert.32 Fraglich ist schließlich, ob bei der Definition eines strukturellen Ungleichgewichts auch auf die Marktmacht des überlegenen Vertragspartner einzugehen ist. Im Ergebnis ist das nicht der Fall. Verfügt der wirtschaftlich stärkere Unternehmer über erhebliche Marktmacht, so bestehen für die schwächere Partei nur wenige Auswahlmöglichkeiten, die in der faktischen Unmöglichkeit der Durchsetzbarkeit eigener Vertragsbestimmungen resultieren werden. Existiert auf dem Markt des wirtschaftlich stärkeren Vertragspartners eine große Anzahl von Konkurrenten, ändert sich diese Situation grundsätzlich nicht. Die über größere wirtschaftliche Ressourcen verfügende Partei ist auch in einem zersplitterten Markt eher befähigt, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Die wirtschaftlich unterlegene Partei kann vom zersplitterten Markt nicht profitieren. Die wirtschaftlich schwächere und juristisch unerfahrene Partei leidet unter dem oben beschriebenen Informationsgefälle. Sie hat keine mit wirtschaftlichem Aufwand vertretbare Möglichkeit, die von verschiedenen Unternehmern vorgegebenen internationalprivat- und prozessrechtlichen Vertragsgestaltungen auf ihre konkreten prozessualen wie materiellrechtlichen Auswirkungen zu untersuchen. 33 Ähnlich wie im Verbrauchervertragsrecht ergibt sich auch die Unterlegenheit und daraus resultierende Schutzbedürftigkeit des strukturell unterlegenen Unternehmers unabhängig von der konkreten Marktmacht des Vertragspartners.34 Vergleichbares gilt auf einem Arbeitsmarkt, auf dem regelmäßig ebenfalls eine große Anzahl potentieller Arbeitgeber bereitsteht, was die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers unberührt lässt. Der unterlegene Unternehmer ist damit grundsätzlich unabhängig von der Marktmacht des Vertragspartners gezwungen, die für ihn nachteiligen Vertragsbestimmungen hinzunehmen, um am Markt zu partizipieren. Nach alldem liegt ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen zwei Unternehmen vor, wenn eine Vertragspartei keine marktbeherrschende Stellung einnimmt und zugleich mindestens zwei der drei nachfolgenden Kriterien unterschreitet: eine Bilanzsumme von 4,84 Millionen Euro, einen Nettoum31 Immenga/Mestmäcker/Möschel/Fuchs Art. 102 AEUV Rn. 91; Langen/Bunte/Bulst Art. 2 FKVO Rn. 56; MünchKommEuWettbR/Eilmansberger Art. 82 EG Rn. 106. 32 Langen/Bunte/Bulst Art. 2 FKVO Rn. 61; MünchKommEuWettbR/Eilmansberger Art. 82 EG Rn. 113 jeweils mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 33 Vgl. zum Internationalen Verbrauchervertragsrecht: Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 573 f. (2011); dies., Statut und Effizienz, S. 558 f.; Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 11 f. 34 Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 571 f. (2011); dies., Statut und Effizienz, S. 555–558.
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satz von 9,68 Millionen Euro sowie eine durchschnittliche Beschäftigtenanzahl von 50 im Laufe des Wirtschaftsjahres. Ferner ist erforderlich, dass die überlegene Partei mindestens zwei der drei folgenden Kriterien überschreitet: eine Bilanzsumme von 19,25 Millionen Euro, einen Nettoumsatz von 38,5 Millionen Euro sowie eine durchschnittliche Beschäftigtenanzahl von 250 im Laufe des Wirtschaftsjahres. E. Stellungnahme Im Folgenden ist zu untersuchen, inwieweit die entwickelten Schutzbereichsdefinitionen einen wirksamen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers gewährleisten, um auf diese Weise internationalprivat- und prozessrechtliche Gerechtigkeit wiederherzustellen. Dazu ist zuvorderst darauf einzugehen, ob es den Modellen gelingt, das Phänomen des strukturell unterlegenen Unternehmers in seinen diversen Erscheinungsformen zu erfassen. Ein wirksames Modell muss zugleich zum Ziel haben, die Belastung des Rechtsverkehrs möglichst gering zu halten. I. Identifikation der schwächeren Partei Das erste Modell, das sämtliche Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarungen einer allgemeinen Missbrauchskontrolle unterwirft, garantiert grundsätzlich einen umfassenden Schutz vor Übervorteilung durch den Vertragspartner. Es erfasst strukturell unterlegene Unternehmer, die aufgrund wirtschaftlicher Schwäche, geschäftlicher Unerfahrenheit und mangelnder Marktmacht mit höherer Wahrscheinlichkeit in Berührung mit für sie nachteiligen Vertragsklauseln kommen. Ein solche Kontrolle würde freilich im selben Maße auch den Rechtsverkehr zwischen Parteien betreffen, die wirtschaftlich grundsätzlich gleichwertig sind, in denen jedoch eine Partei aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls eine Rechts- oder Gerichtsstandswahl hat durchsetzen können, welche die andere massiv benachteiligt. Positiv hervorzuheben ist, dass eine für sämtliche Verträge geltende Generalklausel die Schwierigkeit der Bestimmung des strukturell unterlegenen Unternehmers umgeht. Der weite Schutzbereich einer Generalklausel erspart dem Gesetzgeber die Definition eines strukturell unterlegenen Unternehmers und umgeht damit einerseits die Gefahr, einzelne schutzbedürftige Unternehmer, die nicht unter ein starres Schema fallen, nicht zu erfassen. Zugleich wird derjenige Unternehmer, der zwar formal unter eine abstrakt vorgenommene Definition der schutzbedürftigen Partei fällt, tatsächlich jedoch aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls über eine hinreichende starke Verhandlungsmacht verfügt, nicht erfasst, so sich nicht ausnahmsweise ein Missbrauch feststellen lässt. Ein allgemeiner Missbrauchsvorbehalt erlaubt dem Richter die notwendige Flexibilität, um auf die Besonderheiten des Einzelfalls reagieren zu können.
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Trotz unbestreitbarer Vorteile folgt aus dem weiten persönlichen Anwendungsbereich jedoch ein wenig zielgerichteter Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers. Eine generalklauselartige Überprüfung sämtlicher denkbarer Rechtswahlklauseln stellt an den rechtsanwendenden Richter die Anforderung, Maßstäbe zu entwickeln, wann etwa eine Rechtswahlklausel als treuwidrig einzustufen ist. Die hierbei notwendig vorzunehmende Generalisierung birgt die Gefahr, dass ein auf den strukturell unterlegenen Unterne hmer zugeschnittener Schutz nicht in hinreichender Intensität gewährleistet wird. Das zweite Modell, welches sich anhand bestimmter Vertragstypen orientiert, vermeidet diese Problematik, indem es die Entwicklung von schützenden Regeln für eine relativ homogene Gruppe von Unternehmen mit vergleichbaren Strukturmerkmalen ermöglicht. Hierdurch lässt sich ein zielgerichteter Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers gewährleisten, der die typischen Ungleichgewichtslagen, die bei bestimmten Vertragstypen wahrscheinlich sind, berücksichtigen und ausgleichen kann. Freilich besteht bei einem Rückgriff auf Vertragstypen die Gefahr, auch solche Konstellationen in den Schutzbereich miteinzubeziehen, in denen sich, entgegen der vorgenommenen Vermutung, aufgrund der wirtschaftlichen Stärke der vermeintlich unterlegenen Partei kein strukturelles Ungleichgewicht ergibt.35 Eine solche Pauschalisierung nimmt der europäische Verordnungsgeber für Verbraucher- und für Arbeitsverträge vor und nimmt dabei in Kauf, auch Konstellationen zu erfassen, in denen sich das vermutete strukturelle Ungleichgewicht nicht einstellt. 36 Im Handelsverkehr scheint freilich der Schluss vom Vertragstyp auf die Schutzbedürftigkeit eines Unternehmers aufgrund der Vielzahl der denkbaren Fallgestaltungen deutlich fehleranfälliger. Des Weiteren erhöht die Orientierung an Vertragstypen die Gefahr einer Umgehung des Schutzregimes durch Variationen in der Vertragsgestaltung bzw. durch die Entwicklung neuartiger Vertragstypen, die eine typische Ungleichgewichtslage aufweisen.37 In einem solchen Fall kann der Gesetzgeber nur zeitverzögert auf Entwicklungen in der Vertragspraxis reagieren. Nachteilig ist schließlich auch, dass der vorgestellte Ansatz nur einen sektorspezifischen Schutz leisten kann. In nicht enumerierten Vertragskonstellationen auftretende, strukturell unterlegene Unternehmer werden nicht erfasst, obwohl sie ebenso schutzbedürftig sein mögen wie ein Franchisenehmer oder Vertriebshändler. Es kann zu einer Ungleichbehandlung wesentlich Gleichen kommen. Zu denken ist beispielsweise an Zulieferer eines Großunternehmens, etwa eines Automobilherstellers. Aus Perspektive des deutschen 35
Dies kritisieren zu Recht: Ferrari, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 57, 87; Reithmann/Martiny/Dutta Rn. 2092. 36 Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 82 f. 37 Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 78 f.
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Rechts wird in diesen Konstellationen häufig ein Werklieferungsvertrag vorliegen, aus Sicht des europäischen Rechts würde es sich um einen Dienstvertrag handeln. 38 Zwar ist ohne weiteres vorstellbar, dass der Zulieferer den Bedingungen des Vertragspartners wenig entgegensetzen kann, zugleich aber weist der Werk- oder Dienstvertrag jedoch per se keine zwingende Ungleichgewichtslage auf, die etwa eine Beschränkung der Parteiautonomie für sämtliche dieser Verträge rechtfertigen würde. Diese Ungleichbehandlung sucht der dritte Ansatz zu vermeiden, der eine abstrakte Definition struktureller Unterlegenheit unabhängig vom Vertragstyp versucht. Mit dieser gelingt es zuverlässig, den Schutzbereich anhand messbarer betriebswirtschaftlicher Kriterien auf Kleinunternehmen zu begrenzen. Er birgt auf diese Weise nicht die Gefahr, wie das Modell einer allgemeinen Missbrauchskontrolle auch den Rechtsverkehr zwischen zwei Großunternehmen einer Kontrolle zu unterwerfen. Der zusätzliche Rückgriff auf die fehlende Marktmacht des strukturell unterlegenen Unternehmers schränkt den Schutzbereich für Konstellationen, in denen auch ein kleiner Unternehmer von einer besonderen Marktstellung profitieren kann, zuverlässig ein. Zweifellos wohnt der Bestimmung von Schutzbedürftigkeit anhand objektiver Kennzahlen eine gewisse Willkür inne. Es ist nicht auszuschließen, dass sich auch bei einem Unternehmer, der die genannten Grenzen knapp überschreitet, Anzeichen einer strukturellen Unterlegenheit zeigen. Eine solche Ungenauigkeit ist freilich jeder abstrakt-generellen Betrachtung immanent und in Kauf zu nehmen.39 Schließlich verbleibt die Möglichkeit, dass eine Partei vom Schutzregime erfasst wird, die bei wirtschaftlicher Betrachtung als Kleinunternehmer gilt, aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls indes über hinreichend juristischen und geschäftlichen Sachverstand verfügt. Im Einzelfall mag eine trennscharfe Abgrenzung nicht gelingen, denn die Verhandlungsstärke zweier kommerziell tätiger Parteien im Verhältnis zueinander auf einem beliebigen Markt hängt von einer großen Anzahl von Faktoren ab. Dieses Risiko ist bei Kumulation der genannten Kriterien jedoch vergleichsweise gering. Häufig dürfte ein Gefälle zwischen den Parteien eindeutig sein. Damit weist zwar auch der dritte Ansatz eine gewisse Fehleranfälligkeit auf, doch gelingt es diesem am ehesten, schutzbedürftige Parteien zu identifizieren. II. Rechtssicherheit Zu überprüfen ist ferner, ob die genannten Modelle geeignet sind, Rechtssicherheit zu gewährleisten. Rechtssicherheit in Form der Vorhersehbarkeit von zuständigem Gericht und anwendbarem Recht ist ein Kernanliegen sowohl 38
Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 36. So zum Versicherunsgvertrag: W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 728. 39
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der Brüssel Ia- als auch der Rom I-Verordnung.40 Es muss sowohl der strukturell überlegenen als auch der unterlegenen Partei ermöglicht werden, die eigenen Rechte und Verpflichtungen bereits im Zeitpunkt der Aufnahme einer vertraglichen Beziehung kalkulieren zu können. So kann beispielsweise die Garantie eines nachvertraglichen Ausgleichsanspruchs für eine Partei hohe Kosten verursachen, für die andere Partei erst die erforderliche Sicherheit schaffen, um einen Markteintritt zu wagen. Die Anwendbarkeit der eigenen Rechtsordnung erleichtert und vergünstigt für eine Partei die Geschäftsaufnahme und etwaige rechtliche Streitigkeiten; die Geltung eines ausländischen Statuts hingegen kann die Transaktionskosten für eine andere Partei in die Höhe treiben. Der Vorschlag, eine allgemeine Missbrauchskontrolle in sämtlichen Vertragsverhältnissen durchzuführen, ist nur unter Rückgriff auf eine weite Generalklausel möglich. Eine derartige Generalklausel würde dem über die Wirksamkeit einer bestimmten Klausel entscheidenden Richter erheblichen Spielraum einräumen und die Einschätzung, ob die Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit einer Partei vorliegt, diesem überlassen. Wie jedoch die Untersuchung insbesondere des US-amerikanischen Internationalen Privatund Zivilverfahrensrechts, aber auch der deutschen prozessrechtlichen ordre public-Kontrolle gezeigt hat, und wie auch aus der anhaltenden Diskussion um die Existenz einer allgemeinen Missbrauchskontrolle in der Brüssel IaVerordnung deutlich wird, ist die Überantwortung dieser Einschätzung an einen Richter, der nur anhand der Umstände des Einzelfalls entscheiden kann, mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden. Zu bedenken ist ferner, dass eine unüberschaubare Anzahl unterschiedlicher Konstellationen in Betracht kommt, in denen über einen Missbrauch zu entscheiden wäre. Die Letztentscheidung hierüber hätte der EuGH zu treffen. Bis eine hinreichende Anzahl von Entscheidungen ergangen ist, um zumindest häufig wiederkehrende Fallgestaltungen zu erfassen, ist die Entstehung voneinander abweichenden Richterrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten zu befürchten. Selbst wenn sich im Laufe der Zeit eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung herauskristallisiert – ein Prozess der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern kann –, bleibt doch eine Einschätzung, ob im konkreten Einzelfall eine bestimmte Klausel aufgrund des Bestehens eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen den Parteien Bestand haben wird, ex ante mit einer zwangsläufig unsicheren Prognose verbunden. Ein höheres Maß an Rechtssicherheit erlaubt das eine abstrakte Definition struktureller Unterlegenheit vornehmende Modell. Dieses ermöglicht den vertragsschließenden Parteien, den Bestand einer ins Auge gefassten Rechtsoder Gerichtsstandsklausel im Vorhinein zu bewerten. Bilanzkennzahlen und die durchschnittliche Anzahl von Arbeitnehmern pro Wirtschaftsjahr sind 40
Erwägungsgrund 6 Rom I-VO; Erwägungsgrund 15 Brüssel Ia-VO.
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dabei für das Jahr, in welches der relevante Vertragsschluss fällt, relativ leicht ermittelbar. Dass die Vertragspartner die erforderlichen Daten im Regelfall jeweils vom Gegenüber erhalten werden, auf dessen Auskunft sie sich verlassen müssen, erscheint unproblematisch. 41 Fehlinformationen müssen zulasten der aufklärungspflichtigen Partei gehen, sodass diese die Rechtssicherheit grundsätzlich nicht beeinträchtigen. 42 Erschwert wird eine Prognose freilich durch die Einbeziehung der Marktmacht der unterlegenen Vertragspartei. Bereits die Marktdefinition durch die Parteien kann fehleranfällig sein, denn nicht immer ergibt sich die Marktabgrenzung ohne weiteres. Nicht in jedem Wirtschaftssektor sind nach Marktteilnehmern aufgeschlüsselte Marktanteile ohne weiteres verfügbar. Existieren keine veröffentlichten Werte, bleibt nur eine Schätzung möglich, denn eine Auskunft sämtlicher Mitbewerber wie in einem Kartellverfahren ist im Privatrecht nicht möglich. Angesichts der Volatilität von Marktanteilen erscheint die rechtssichere Bestimmung dieser Daten für den genauen Zeitpunkt eines Vertragsschlusses – denn nur auf diesen kann es bei teleologischer Betrachtung ankommen – schwierig. Dass das Schutzregime nur dann keine Anwendung findet, wenn eine marktbeherrschende Stellung des Kleinunternehmers vorliegt, begünstigt die Herstellung von Rechtssicherheit, denn eine solche wird im Falle ihres Vorliegens meist evident sein. Die komplexe Bewertung der anderen Vertragspartei erleichtert das an Vertragstypen orientierte Modell. Dieses gewährt im Ergebnis das höchste Maß an Rechtssicherheit. Beide Vertragsparteien können bereits anhand des Vertragstyps auf das zuständige Gericht und das anwendbare Recht schließen. Eine Gefährdung der Rechtsunsicherheit stellt freilich die Subsumtion von Vertragstypen unter ein Regelbeispiel dar. Nicht jeder in der Praxis verwendete Vertragstyp entspricht einem idealtypischen Vertragsmodell, sodass die Frage, ob ein bestimmter Vertrag unter eine Definition fällt, in Grenzfällen Rechtsunsicherheit nach sich ziehen kann. 43 III. Rechtsökonomische Betrachtung Vor einem rechtsökonomischen Hintergrund ist zu fragen, mit welchen Kosten die jeweiligen Schutzbereichsdefinitionen für Vertragsparteien im internationalen Handelsverkehr verbunden sind. Der Nutzen eines schützenden Eingriffs zugunsten einer strukturell unterlegenen Partei, der darauf abzielt, durch die Wiederherstellung internationalprivat- und verfahrensrechtlicher Gerechtigkeit eine effiziente Verteilung von Ressourcen zu gewährleisten, 41
W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 729. So soll nach herrschender Ansicht kein kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz greifen, wenn sich der Verbraucher als Unternehmer geriert. Siehe dazu Rauscher/Heiderhoff Art. 6 Rom I-VO Rn. 22 mit umfangreichen Nachweisen. 43 Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 78f; im Übrigen bereits oben § 1C.II.2.b). 42
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darf nicht durch unverhältnismäßige Kosten aufgezehrt werden. Das erste Modell, das sämtliche Verträge einer Rechtswahl- und Gerichtsstandskontrolle unterzieht, erhöht für beide Parteien die Rechtsermittlungskosten erheblich. Die Prognose, ob eine bestimmte Klausel vor einer richterlichen Prüfung Bestand haben wird, erfordert die sorgfältige Auswertung des einschlägigen Richterrechts. Insbesondere vor einer umfassenden Klärung durch den EuGH ist im Zweifel auf die instanzgerichtliche Rechtsprechung sämtlicher im konkreten Fall in Betracht kommender Mitgliedstaaten einzugehen. Die Unabsehbarkeit der Wirksamkeit von Rechtswahl- oder Gerichtsstandsklauseln im konkreten Fall mindert zudem für eine grenzüberschreitend tätige Partei den Rationalisierungseffekt, der sich gewöhnlich daraus ergibt, sämtliche Verträge demselben Forum und Statut zu unterstellen. Die überlegene Partei, die sich aufgrund ihrer Verhandlungsstärke diesen Vorteil zunutze machen kann, muss einkalkulieren, dass im Einzelfall eine andere als die beabsichtigte Rechtsordnung zur Anwendung kommt. Beispielhaft sei ein Franchisegeber genannt, dessen Allgemeine Geschäftsbedingungen die Anwendung einer Rechtsordnung vorsehen, die keinen nachvertraglichen Ausgleichsanspruch kennt. Muss dieser mit der Möglichkeit rechnen, dass diese Rechtswahl vor Gericht mit der Folge als missbräuchlich angesehen wird, dass eine Rechtsordnung zur Anwendung gelangt, die das Bestehen eines Ausgleichsanspruchs zwingend vorschreibt, so hat er diese potentiellen zusätzlichen Kosten bei seiner eigenen Preisgestaltung zu berücksichtigen. Gibt der überlegene Unternehmer diese Kosten an den Vertragspartner weiter, was nahe liegt, 44 so leidet hierunter auch die unterlegene Partei wirtschaftlich, ohne zuverlässig auf einen entsprechenden Ausgleich vertrauen zu dürfen. Für die schwächere Partei, die die Klausel hinnehmen muss, ergibt sich zwar im günstigen Falle ein Schutz vor Missbrauch, doch bleibt die Reichweite zunächst unsicher, sodass dieser sich bei der Bemessung der Markteinstiegskosten kaum zuverlässig berücksichtigen lässt. Der Franchisenehmer kann beispielsweise nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass seine Investition vor willkürlicher Beendigung geschützt ist oder dass diese durch einen nachvertraglichen Ausgleichsanspruch abgesichert ist. Er muss folglich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von den höheren Kosten ausgehen. Der ökonomische Vorteil eines Schutzes des strukturell unterlegenen Unternehmers in Form des erleichterten Markteinstiegs kann sich nicht entfalten. Das Modell einer abstrakten Definition ist mit geringeren Kosten verbunden. Die abstrakte Definition des strukturell unterlegenen Unternehmers befreit Vertragsparteien, die nicht unter die entwickelten Kriterien fallen, von den zusätzlichen Rechtsermittlungskosten einer allgemeinen Überprüfung ihrer Vertragsklausel. Der Tatbestand einer abstrakten Definition ermöglicht 44
Vgl. zum Verbrauchervertrag Rühl, Statut und Effizienz, S. 571.
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grundsätzlich für beide Parteien ex ante das anwendbare Recht und das zuständige Gericht zu bestimmen. Sind die genannten Tatbestandsmerkmale erfüllt, so können in einem zweiten Schritt einer solchen Norm die Rechtsfolgen entnommen werden. Anhand dieser können beide Parteien sodann die Kosten des Vertrags, soweit das anwendbare Recht betroffen ist, kalkulieren und bewerten, ob sich ein Markteinstieg lohnt. Ist der Anwendungsbereich einer Kollisions- bzw. Zuständigkeitsnorm offensichtlich eröffnet, so sind die materiellrechtlichen Rahmenbedingungen des Vertrags den Parteien offenkundig, die Möglichkeit der Anwendbarkeit einer unbekannten Rechtsordnung ist nicht miteinzubeziehen. Eine gewisse Unsicherheit ergibt sich aus dem Rückgriff auf Marktanteile, die sich nicht immer mit letzter Sicherheit bestimmen lassen. Da das Kriterium der Marktbeherrschung freilich bewusst aufgrund seiner Evidenz gewählt ist, sind die Möglichkeit einer Falschbewertung des Gegenübers und damit das einzukalkulierende Risiko der Anwendbarkeit eines nicht vorhersehbaren und deshalb „teureren“ Rechts gering. Kosten entstehen beiden Parteien freilich dadurch, dass zur sicheren Beurteilung der Rechtslage grundsätzlich vor jedem Vertragsschluss der potentielle Vertragspartner auf seine Unterlegenheit zu untersuchen ist. Insbesondere bei Massengeschäften erhöht dies zweifelsohne die Transaktionskosten für beide Parteien. Die potentiell überlegene Partei muss diese Informationen vom Vertragspartner einholen und verarbeiten, die potentiell unterlegene Partei muss sie bereithalten. Während Umsatz, Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl des eigenen Unternehmens unmittelbar verfügbar sein sollten, ist dies im Falle des Marktanteils wie erörtert schwierig. Nicht immer sind solche Daten zweifelsfrei ersichtlich. Der Einkauf einer Marktstudie ist mit erheblichen Kosten verbunden. Stehen den Parteien keine verlässlichen Daten zur Verfügung, so verlangt dieses Modell den Parteien auch dann ab, die höheren Kosten eines möglicherweise anwendbaren Schutzregimes einzukalkulieren, obwohl im konkreten Fall ein Schutz der unterlegenen Partei aufgrund hinreichender Marktmacht nicht erfolgt. Eine Untersuchung sämtlicher Vertragstypen verursacht letztlich wenigstens anfängliche Kosten für sämtliche Teilnehmer des Internationalen Handelsverkehrs, da zunächst eine Einstufung des Vertragspartners vorzunehmen ist. Zur Reduzierung dieser Transaktionskosten bietet sich das zweite Modell an, das die Beschneidung der Parteiautonomie auf bestimmte Vertragstypen beschränkt. Es überlässt dem übrigen Rechtsverkehr die freie Rechts- und Gerichtsstandswahl, die internationalprivatrechtlichen Transaktionskosten werden nicht erhöht. Für den von der Norm erfassten strukturell überlegenen Unternehmer entstehen auch bei einer Einstufung anhand des Vertragstypus die erhöhten Kosten eines Markteintritts, weil dieser, die durch das Schutzregime bedingten, erhöhten Kosten der Vertragsabwicklung einkalkulieren muss. Der von diesem Modell vorgesehene pauschale Schluss vom Vertragstyp auf die Schutzbedürftigkeit einer Partei birgt die Gefahr, dass diese Ko s-
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ten ohne Notwendigkeit entstehen. Die Fehleranfälligkeit einer reinen Orientierung an Vertragstypen führt zu einer pauschalen Erhöhung der Kosten der Vertragsdurchführung, ohne sicherzustellen, dass im Einzelfall aufgrund des Bestehens eines strukturellen Ungleichgewichts ein ineffizientes Vertragsverhältnis zu befürchten war. Im Ergebnis ist zu differenzieren: Während eine allgemeine Missbrauchskontrolle aufgrund ihrer Unsicherheit keine effiziente Lösung erlaubt, sind die beiden anderen Modelle aus ökonomischer Sicht vielversprechender. Die abstrakte Definition struktureller Unterlegenheit erhöht zwar die Rechtsermittlungskosten durch die erforderliche Einstufung des Vertragspartners, sie garantiert indes, dass mit den Kosten der Rechtsfolge eines schützenden Eingriffs nur die Parteien belastet werden, die tatsächlich schutzbedürftig sind. Das Vertragstypenmodell senkt zwar die Rechtsermittlungskosten aufgrund der Einfachheit des Tatbestands, kann freilich auch für nicht schutzbedürftige Unternehmen zu einer kostspieligen Einschränkung der Parteiautonomie führen. Da sich die Kosten der Einschätzung der anderen Vertragspartei aufgrund der Einfachheit der Kriterien im vertretbaren Rahmen halten dürften, die Kosten einer Rechtswahlbeschränkung hingegen aufgrund der damit einhergehenden materiellrechtlichen Konsequenzen erheblich sein können, ist das Modell einer abstrakten Definition aus ökonomischer Sicht vorzugswürdig. IV. Zwischenergebnis De lege ferenda ist letztlich das Modell anzustreben, das einen Schutz der strukturell unterlegenen Partei möglichst weitgehend garantiert, ohne zugleich die Rechtssicherheit zu stark zu beeinträchtigen oder unverhältnismäßige Kosten zu verursachen. Fraglich ist daher, ob diese Kosten in einem akzeptablen Verhältnis zum gewonnen Nutzen in Form des angestrebten Schutzes des strukturell unterlegenen Unternehmers stehen. Eine Überprüfung von Gerichtsstands- und Rechtswahlklauseln unabhängig von der wirtschaftlichen Stärke der beteiligten Unternehmen bewirkt keinerlei zielgerichteten Schutz der strukturell unterlegenen Partei, schafft aber beträchtliche Rechtsunsicherheit und daraus folgende Kosten für sämtliche Teilnehmer am internationalen Handelsverkehr. Das Vertragstypenmodell garantiert zwar Rechtssicherheit, krankt jedoch einerseits an einer starken Beschränkung des Schutzbereichs, der willkürlich nur einen Teil schutzbedürftiger Parteien erfasst. Zum anderen birgt die Einstufung anhand von Vertragstypen die Gefahr, auch nicht schutzbedürftige Parteien zu erfassen und mit nicht gerechtfertigten Kosten zu belasten. Einer abstrakten Definition des strukturell unterlegenen Unternehmers gelingt hingegen zuverlässig die Erfassung schutzbedürftiger Parteien, an welche sie sodann adressatengerechte Lösungen knüpfen kann. Die Gefahr nicht schutzwürdige Parteien mit unnötigen Kosten zu
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belasten ist gering. Nachteilig mag die zusätzliche Notwendigkeit der Einstufung des Gegenübers sein. Da freilich aufgrund der niedrigen Grenzen eine Vielzahl von Verträgen von vornherein nicht in den Anwendungsbereich fällt und die Kriterien zum anderen leicht ermittelbar sind, scheint dieser Aufwand gerechtfertigt. Im Ergebnis erlaubt das Modell einer abstrakten Definition einen wirksamen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers bei akzeptabler Belastung des Rechtsverkehrs.
§ 2 Die Ausgestaltung des Schutzes § 2 Die Ausgestaltung des Schutzes
Nachdem eine Definition des strukturell unterlegenen Unternehmers entwickelt worden ist, ist in einem zweiten Schritt zu erörtern, auf welche Art und Weise ein Schutz der vom persönlichen Anwendungsbereich erfassten Parteien erzielt werden kann. Hierbei ist zwischen einem internationalprivatrechtlichen Schutz im Rahmen einer Änderung der Rom I-Verordnung und einer zuständigkeitsrechtlichen Ausgestaltung des Schutzes in der Brüssel Ia-VO zu differenzieren. A. Internationales Privatrecht Im Kollisionsrecht ist eine Berücksichtigung des Schutzes der strukturell unterlegenen Partei einmal durch die Ausgestaltung einer objektiven Anknüpfung, zum anderen durch eine Beschränkung der Parteiautonomie möglich. Eine Benachteiligung der strukturell unterlegenen Partei, der es entgegenzutreten gilt, ist dabei eher durch einen Missbrauch von Parteiautonomie zu befürchten, sodass deren Einschränkung besonderes Gewicht zukommt. Freilich kommt der objektiven Anknüpfung nicht nur die Funktion zu, das anwendbare Recht im Fall fehlender Rechtswahl zu bestimmen, sondern zugleich als Bewertungsmaßstab der Zulässigkeit einer Rechtswahl sowie als subsidiäre Lösung für den Fall einer unwirksamen Rechtswahl zu dienen. Ein Schutz der schwächeren Partei findet dabei grundsätzlich im Vertragsrecht statt. Soweit ein solcher auch im Rahmen vorvertraglicher Beziehungen wirkt, ist dies aus kollisionsrechtlicher Perspektive zu vernachlässigen, weil vorvertragliche Ansprüche gemäß Art. 12 Rom I-VO grundsätzlich dem Vertragsstatut unterliegen. 45 I. Objektive Anknüpfung Enthält ein Vertrag keine Rechtswahlvereinbarung, so ist das anwendbare Statut mittels objektiver Anknüpfung zu bestimmen. Im Wesentlichen sind 45
Dazu: Rauscher/Jakob/Picht Art. 12 Rom II-VO Rn. 20 ff.; zum wohl nur marginalen Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 2, dies. ebd. Rn. 26.
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zwei Modelle denkbar: Zum einen lässt sich an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der charakteristischen Leistung anknüpfen, zum anderen an den gewöhnlichen Aufenthalt der als strukturell unterlegen definierten Partei. Die Rom I-Verordnung wendet zum Schutz einer strukturell unterlegenen Partei letztere Regel an. Dies gilt gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO für Verbraucher, nach Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) für Franchisenehmer und Vertriebshändler. Für Versicherungsverträge über Massenrisiken stellt Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO auf den Risikobelegenheitsort ab, der häufig dem gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers entspricht. Auf Arbeitsverträge ist mangels Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 2 regelmäßig das Recht des gewöhnlichen Arbeitsortes anwendbar, das, sofern der Arbeiternehmer nicht im Ausland tätig wird, ebenfalls dessen gewöhnlichem Aufenthalt entspricht.46 Die Anknüpfung an die charakteristische Leistung findet sich in der Rom IVerordnung als Grundsatz der objektiven Anknüpfung, der gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zur Anwendung gelangt, wenn kein vorrangiges Schutzbedürfnis besteht. Die Beachtung der charakteristischen Leistung sichert grundsätzlich die Anwendung einer mit dem Vertrag weitestmöglich verbundenen Rechtsordnung und verspricht im Ausgangspunkt die Schaffung internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit. 47 Diese Anknüpfung kann, wie etwa im Falle des Versicherungsvertrags, zudem den Erbringer einer massenförmigen Leistung dadurch begünstigen, dass sämtliche von diesem geschlossenen Verträge derselben Rechtsordnung unterfallen, was wünschenswerte Rationalisierungseffekte mit sich bringt. 48 Dies führt zu einer Transaktionskostensenkung, von der auch die strukturell unterlegene Partei profitieren kann. Insbesondere im Fall komplexer Vertragsverhältnisse ist die charakteristische Leistung jedoch häufig nicht ohne weiteres bestimmbar, wie nicht zuletzt der Meinungsstand zu Vertriebs- oder Franchiseverträgen unter dem EVÜ deutlich macht. 49 Sie führt damit zu größerer Rechtsunsicherheit als die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der schwächeren Partei. Schließlich berücksichtigt die Anknüpfung an die charakteristische Leistung keine materiellen Schutzerfordernisse. 50 Auswirkungen auf den Schutz einer strukturell unterlegenen Partei sind im Hinblick auf die charakteristische Leistung zufällig. Die Anknüpfung an die charakteristische Leistung ist deshalb ungeeignet, um einen Schutz der schwächeren Partei zu gewährleisten und deren internationalprivatrechtliche Interessen hinreichend zu berücksichtigen. Vorzugswürdig ist daher die objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der schwächeren Partei. Dieser stellt einen der wenigen objektiven 46
Zum Begriff Rauscher/von Hein Art. 8 Rom I-VO Rn. 41 ff. Kropholler, IPR, § 52 III 2., S. 468. 48 Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 82. 49 Siehe schon oben§ 1C.II.1.a) und§ 1C.II.1.b). 50 Rauscher/Thorn Art. 4 Rom I-VO Rn. 83. 47
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Bezüge zum Vertrag dar, der nicht zur Disposition der stärkeren Partei steht.51 Die Anknüpfung daran hat zur Folge, dass die schwächere Partei auch im internationalen Rechtsverkehr auf die Anwendung der ihr bekannten Rechtsordnung vertrauen kann. Hiervon geht eine erhebliche Schutzwirkung aus, denn in dieser Rechtsordnung wird die Erlangung von Rechtsrat in aller Regel einfach und kostengünstiger möglich sein. 52 Materiell kommt der schwächeren Partei zudem der Schutzstandard ihres sozialen Umfelds zugute. Für die überlegene Partei folgt hieraus der Nachteil, sich für die Erschließung jedes nationalen Marktes auf eine neue Rechtsordnung einstellen zu müssen.53 Will ein Franchisegeber in sämtlichen Mitgliedstaaten der EU vertreten sein, so muss er für seine Vertragsgestaltung die Besonderheiten von 27 verschiedenen Rechtsordnungen berücksichtigen. Beabsichtigt der überlegene Unternehmer die Aufnahme von Massengeschäften, so lassen sich diese Kosten freilich umlegen und können sich mittelfristig rentieren. Für den strukturell überlegenen Unternehmer tritt Rentabilität in einem solchen Fall eher ein, als für die schwächere Partei, die ein Massenprodukt typischerweise einmalig nachfragt. 54 Die Anwendung des Heimatrechts der unterlegenen Partei ist dann auch aus rechtsökonomischer Perspektive effizient, weil diejenige Partei die Kosten der Rechtsermittlung trägt, für die sich diese eher rentieren.55 Schließlich gewährleistet die Anknüpfung zugunsten der schwächeren Partei aufgrund ihrer Eindeutigkeit Rechtssicherheit, denn dieser Ort ist auch für den Vertragspartner ex ante erkennbar.56 Für die objektive Anknüpfung ist dem gewöhnlichen Aufenthalt der schwächeren Partei der Vorzug zu geben, da allein dieser den Schutz der strukturell unterlegenen Partei im internationalprivatrechtlichen Interessenausgleich berücksichtigt. II. Subjektive Anknüpfung Vor dem Hintergrund, dass zum Schutz einer unterlegenen Partei grundsätzlich die Anwendung deren Heimatrechts wünschenswert ist, ist im Folgen zu erörtern, auf welche Weise eine Beschränkung der Parteiautonomie zu erfolgen hat. 1. Modell 1: Ausschluss der Parteiautonomie Eine besonders radikale Lösung zum Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers vor ihn benachteiligenden Rechtswahlvereinbarungen stellt ein 51
Rühl, Statut und Effizienz, S. 574; dies., 44 Cornell Int’l L. J. 569, 599 (2011). Rühl, Statut und Effizienz, S. 574; dies., 44 Cornell Int’l L. J. 569, 599 (2011). 53 Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 599 f. (2011). 54 Borchers, 82 Tul. L. Rev. 1645, 1658 (2008). 55 W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 332; Rühl, Statut und Effizienz, S. 575. 56 Rühl, Statut und Effizienz, S. 574 f. 52
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Verbot von Rechtswahlvereinbarungen dar.57 Während ein solches Modell in der Europäischen Union bislang ohne Vorbild ist, entspräche eine derartige Regelung Art. 120 Abs. 2 des schweizerischen IPRG, der Parteiautonomie für Verbraucherverträge ausschließt. Auch die US-Bundesstaaten Oregon und Louisiana sehen Rechtswahlvereinbarungen zulasten von in diesen Bundesstaaten ansässigen Verbrauchern als unwirksam an. 58 Folge dieses Modells ist die Anwendung des mittels objektiver Anknüpfung bestimmten Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts der schwächeren Partei. 2. Modell 2: Erfordernis eines freien Aushandelns Eine weitere Möglichkeit besteht darin, grundsätzlich eine unbeschränkte Rechtswahl zuzulassen, diese jedoch vom Erfordernis einer freien Aushandlung zwischen den Parteien abhängig zu machen. 59 Eine Rechtswahl wäre folglich dann unwirksam, wenn sie von der strukturell überlegenen Partei einseitig mittels AGB vorgegeben wurde. Ein Vorbild könnte eine solche Regelung in Art. 14 Abs. 1 lit. b) Rom II-VO finden, der für Rechtswahlvereinbarungen, die vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses geschlossen werden, das Erfordernis einer frei ausgehandelten Vereinbarung aufstellt. Nach wohl überwiegender Ansicht im Schrifttum schließt diese Bestimmung Rechtswahlvereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus.60 Zur Konkretisierung käme ein Rückgriff auf die Begrifflichkeiten und die Rechtsprechung zur Klauselrichtlinie 61 in Betracht.62 Stellte sich eine Rechtswahlvereinbarung als nicht frei ausgehandelt heraus, so wäre wiederum auf das mittels objektiver Anknüpfung ermittelte Recht zurückzugreifen. 3. Modell 3: Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen Ein weiteres Modell zur Einschränkung der Parteiautonomie stellt die Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen dar. 63 Zum Schutz einer schwächeren Partei findet sich eine derartige Regelung in Art. 5 Abs. 2 Rom I-VO für Personenbeförderungsverträge sowie in Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO für Ver57
Dieses Modell zieht auch Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 587 (2011) in Erwägung. Zu § 3 des Orgeon Contracts Conflict Act (Or. Rev. Stat 81.100 ff.) siehe Symeonides, RabelsZ 67 (2003), 726, 730, 737 ff.; zu Louisiana siehe: 51:1418 LA Rev. Stat. 59 Diese Möglichkeit zieht auch Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 370 f. in Betracht. 60 von Hein, ZEuP 2009, 6, 20; Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613, 623; Leible, RIW 2008, 257, 260; Ragullis, IPRax 2008, 319, 322; a.A.: MünchKommBGB/Junker Art. 14 Rom IIVO Rn. 34 ff.; Palandt/Thorn Art. 14 Rom II-VO Rn. 9; Rauscher/Jakob/Picht Art. 14 Rom II-VO Rn. 23. 61 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95 vom 21.04.1993, S. 29. 62 Vgl. Leible, RIW 2008, 257, 260. 63 Diese Möglichkeit zieht auch Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 369 f.; dies., 44 Cornell Int’l L. J. 569, 587 f. (2011) in Betracht. 58
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sicherungsverträge über innerhalb der Union belegene Massenrisiken. Den Parteien ist damit eine freie Rechtswahl möglich, soweit sie sich auf die Auswahl einer vom Gesetzgeber vorgegebenen Rechtsordnung beschränkt. Wirksamkeit und Effizienz dieses Vorgehens sind dabei wesentlich von der konkreten Ausgestaltung des Modells abhängig. In einem ersten Schritt sind folglich die Rechtsordnungen zu bestimmen, auf welche die Parteiautonomie zu beschränken ist. Da es kaum möglich ist, Rechtsordnungen zu bestimmen, die abstrakt einen besonders hohen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers bewirken, verbleibt allein die Möglichkeit einen Schutz der unterlegenen Partei durch das Erfordernis einer besonderen Nähe der Rechtsordnung zum Vertrag zu erzielen. 64 Für internationale Beförderungsverträge fallen hierunter der gewöhnliche Aufenthalt von Beförderer und Befördertem, der Abgangs- sowie der Bestimmungsort. Im Internationalen Versicherungsvertragsrecht sind als Rechtsordnungen mit hinreichendem Näheverhältnis die am gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers, am Risikobelegenheitsort sowie am Ort eines potentiellen Schadenseintritts geltenden anerkannt. Für Lebensversicherungen kommt das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Versicherungsnehmer besitzt, hinzu. Zweifelsohne besitzen sämtliche der aufgeführten Rechtsordnungen eine gewisse Nähe zu den genannten Verträgen. Das Erfordernis einer Nähebeziehung kann die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts sowie die Vertrautheit der Parteien mit dieser Rechtsordnung begünstigen. Die Gefahr für eine strukturell unterlegene Partei, mittels AGB mit der Wahl einer überraschenden Rechtsordnung konfrontiert zu werden, wird minimiert. 65 Eine Nähebeziehung allein kann freilich nicht ausreichen, will man den Schutz der schwächeren Partei nicht zur Disposition des überlegenen Vertragspartners stellen. Das bloße Erfordernis einer Nähebeziehung würde die Schutzwirkung auf den Ausschluss aus Sicht der schwächeren Partei überraschender Rechtsordnungen beschränken. Zum einen kann die überlegene Partei dann sämtliche Verträge ihrem Sitzstatut unterstellen, was den Schutz der schwächeren Vertragspartei minimiert.66 Zum anderen hat es der überlegene Unternehmer in der Hand, seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu bestimmen und damit eine Verknüpfung zu jeder beliebigen Rechtsordnung herzustellen. 67 Wie oben bereits erörtert, ist die Aufnahme des Sitzrechts des Beförderers in den Katalog der wählbaren Rechtsordnungen der Grund, warum der vom Verordnungsgeber ange64
Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 593 (2011). Rauscher/Thorn Art. 5 Rom I-VO Rn. 76. 66 Mankowski, IHR 2008, 133, 140; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 626; Staudinger/Magnus Art. 5 Rom I-VO Rn. 3; Tang, 3 J. Priv. Int’l L. 113, 114 (2007); weniger kritisch Rauscher/Thorn Art. 5 Rn. 76, der hierin noch immer eine Schutzwirkung zugunsten der unterlegenen Partei erkennt. 67 Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 593 f. (2011); Tang, 3 J. Priv. Int’l L. 113, 114 f. (2007). 65
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strebte Schutz des Beförderten praktisch ausgehöhlt wird.68 Es ist folglich eine Einschränkung auf solche Rechtsordnungen vorzunehmen, die eine besondere Nähe zur schwächeren Partei aufweisen, um tatsächlich eine Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts ebenso wie eine Vertrautheit der schwächeren Partei mit demselben zu ermöglichen. Erschwert wird dieses Vorhaben durch die erforderliche Verallgemeinerung einer für sämtliche Vertragstypen anwendbaren Norm. In einen Katalog ist zunächst das am gewöhnlichen Aufenthalt der unterlegenen Partei geltende Recht aufzunehmen. Wird die strukturell unterlegene Partei zur Erfüllung der sich aus dem jeweiligen Vertragsverhältnis ergebenden Pflichten in einem anderen Staat tätig oder versichert ein Unternehmen ein in einem Drittstaat belegenes Risiko, so ist auch die Anwendung dieser Rechtsordnung aus Sicht der zu schützenden Partei vorhersehbar. Wird ein Subunternehmer auf einer ausländischen Baustelle tätig oder eröffnet ein Franchisenehmer auch Filialen in einem Drittstaat, so wäre folglich auch dessen Rechtsordnung wählbar. Während es sich beim Risikobelegenheitsort um einen festgelegten Begriff im Internationalen Versicherungsvertragsrecht handelt, erfordert dieses Modell freilich die No twendigkeit einer Definition des Erfüllungsortes. Ein Rückgriff auf Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ist aufgrund der im Internationalen Prozessrecht verfolgten Ziele der Sach- und Beweisnähe nur eingeschränkt möglich. 69 Ein Rückgriff auf die lex causae wäre zirkulär, denn diese gilt es erst zu bestimmen. Es verbleibt die Möglichkeit einer verordnungsautonomen Definition des Erfüllungsortes, die vor allen an faktischen Kriterien auszurichten wäre. Notwendig ist dabei nicht das Auffinden eines einheitlichen Erfüllungsortes für den Vertrag, es genügt vielmehr die einseitige Bestimmung für die Primärpflicht der strukturell unterlegenen Partei. 4. Modell 4: Günstigkeitsprinzip Eine weitere Möglichkeit zur Ausgestaltung des Schutzes des strukturell unterlegenen Unternehmers stellt die Übertragung des Günstigkeitsprinzip auf die oben genannten Vertragstypen dar. Nach diesem Modell sind die Parteien zunächst in der Wahl des auf ihren Vertrag anwendbaren Rechts frei, in ihrer Wirkung wird die gewählte Rechtsordnung jedoch von der objektiv anwendbaren Rechtsordnung „überlagert“ 70. Eine solche Regelung findet sich für Verbraucher in Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO, für Arbeitnehmer in Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO. Überträgt man diesen Rechtsgedanken, so dürfte eine Rechtswahl nicht dazu führen, dass dem strukturell unterlegenen Unternehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen 68
Dazu oben § 1B.III. Vgl. MünchKommBGB/Martiny Art. 9 Rom I-VO Rn. 116; Rauscher/Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 63. 70 Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 368. 69
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des mangels Rechtswahl anzuwendenden Rechts gewährt wird. Kaum durchführbar und auch nicht angestrebt ist ein abstrakter Günstigkeitsvergleich zweier Rechtsordnungen. 71 Vorzunehmen ist vielmehr ein auf die konkrete Streitfrage bezogener Vergleich des gewählten mit dem objektiv anwendbaren Recht. Stellt sich heraus, dass das objektiv anwendbare Recht für den strukturell unterlegenen Unternehmer im konkreten Fall zu einem günstigeren Ergebnis führt, so tritt das gewählte Recht für die Bewertung dieser Rechtsfrage zurück. 72 Die gewählte Rechtsordnung bleibt freilich für die Beurteilung sonstiger Rechtsfragen auf den Vertrag anwendbar, was zu einer Anwendung zweier Rechtsordnungen und damit zu einem so genannten „law mix“73 führen kann. Ist das gewählte Recht für die strukturell unterlegene Partei hingegen günstiger, so findet dieses vollumfänglich Anwendung. Im Ergebnis garantieren die zwingenden Bestimmungen des aufgrund objektiver Anknüpfung anwendbaren Heimatrechts der schwächeren Partei einen Mindestschutz, der durch Rechtswahl zwar erhöht, nicht aber verringert werden kann. 74 5. Stellungnahme Die vier denkbaren Modelle sind sodann auf die Erzielung internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit zu überprüfen. Hierzu sind der von ihnen gewährte Schutz der strukturell unterlegenen Partei sowie die Einbußen an Rechtssicherheit, die aus einer Beschneidung der Parteiautonomie folgen, zu bewerten. Miteinzubeziehen sind wiederum rechtsökonomische Erwägungen, um zu vermeiden, dass der von der Beschränkung der Parteiautonomie angestrebte positive Effekt von einer unverhältnismäßigen Belastung des Handelsverkehrs aufgewogen wird. a) Schutz der schwächeren Partei Grundsätzlich sind alle vorgestellten Modelle geeignet, einen gewissen Schutz der schwächeren Vertragspartei zu gewährleisten. Ausgangspunkt ist für sämtliche Modelle der von der objektiven Anknüpfung gewährleistete Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers. Die Anwendung dessen Heimatrechts begünstigt diesen freilich nicht per se materiellrechtlich. Sie erlaubt ihm jedoch auf die Anwendung der ihm bekannten Rechtsordnung und den sozialen Schutzstandard seiner Umgebung zu vertrauen. Das erste Regelungsmodell, das einen Ausschluss der Parteiautonomie vornimmt, ver71
Staudinger/Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 146. MünchKommBGB/Martiny Art. 6 Rom I-VO Rn. 46 ff.; Rauscher/Heiderhoff Art. 6 Rom I-VO Rn. 51; Staudinger/Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 143 ff.; Art. 8 Rom I-VO Rn. 81 ff. 73 Zum Begriff: Basedow, FS Jayme, S. 3, 15–17. 74 Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 369. 72
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hindert damit wirksam eine Benachteiligung der unterlegenen Partei durch eine von dessen Heimatrecht abweichende Rechtswahlvereinbarung.75 Einen vergleichbaren Effekt, jedoch weniger weitgehend, erzielt der Ansatz der beschränkten Rechtswahl, der nur die Wahl von Rechtsordnungen zulässt, mit denen der strukturell unterlegene Unternehmer rechnen muss. Hierzu zählt zum einen wiederum das Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts, zum anderen aber auch das Recht des Staates, in welchem er seine vertragliche Verpflichtung erfüllt. Dies ermöglicht der strukturell unterlegenen Partei vor Aufnahme einer Tätigkeit im Ausland, die möglicherweise anwendbaren Rechtsordnungen vorauszusehen, und sichert ihr wiederum den sozialen Schutzstandard ihrer räumlichen Umgebung. Nicht zuletzt wird dieses Modell dem staatlichen Schutzwillen gerecht, der zumeist räumlich begrenzt ist und einen hinreichenden Inlandsbezug erfordert. Dieser tritt in den Hintergrund, sobald die überwiegende Abwicklung des Vertrags in einem anderen Staat stattfindet. Freilich wird auch der strukturell unterlegenen Partei mit diesem Modell zugemutet, sich im Falle einer grenzüberschreitenden Tätigkeit auf die Anwendbarkeit einer aus ihrer Sicht fremden Rechtsordnung einzustellen. In seiner Effektivität zweifelhaft ist das Erfordernis des freien Aushandelns. Das Verbot einer Rechtswahlvereinbarung mittels AGB schützt den strukturell unterlegenen Unternehmer vor einer ihn überraschenden Klausel und stellt sein Wissen um die Klausel sicher. Eine Informationsasymmetrie mag dadurch zu einem gewissen Grade ausgeglichen werden. 76 Zum einen ist freilich zu einer vollständigen Beseitigung dieser Asymmetrie zusätzlich eine entsprechende juristische Untersuchung der Folgen der nunmehr frei ausgehandelten Vereinbarung notwendig, die regelmäßig die Heranziehung juristischen Sachverstandes verlangt. Über diesen wird die unterlegene Partei nicht ohne weiteres verfügen. Zum anderen verringert das Erfordernis des freien Aushandelns nicht das Machtgefälle zwischen den Parteien. Verfügt eine Partei über eine wirtschaftliche Macht, die ihr de facto ermöglicht, dem Gegenüber die eigenen Bedingungen zu diktieren, so bleibt ihr diese Möglichkeit auch in einem freien Verhandlungsprozess erhalten. Sie kann dann grundsätzlich eine für sie günstige Rechtswahl zulasten des Vertragspartners durchsetzen. Den höchsten Schutz bewirkt das Günstigkeitsprinzip.77 Als einziges Modell berücksichtigt es die materiellrechtlichen Auswirkungen einer Rechtswahl auf die schwächere Partei. Diese kann wiederum grundsätzlich auf die Anwendung der ihr bekannten Heimatrechtsordnung vertrauen und von der 75
Rühl, 44 Cornell L. J. 569, 592 (2011). Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 373 f. 77 W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 269, sieht hingegen die Gefahr, dass ein Versicherungsnehmer von den günstigeren ausländischen Normen keine Kenntnis hat. 76
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Geltung des von dieser vorgeschriebenen Schutzminimums ausgehen. 78 Dieses Schutzniveau wird jedoch erhöht, sofern das gewählte Recht aus Sicht der schwächeren Partei günstiger ist. Ist dies nicht der Fall, so gewährleistet das Günstigkeitsprinzip immerhin denselben Schutz wie ein Ausschluss der Parteiautonomie. b) Interessen der strukturell überlegenen Partei Die strukturell überlegene Partei hat grundsätzlich ein Interesse an der Anwendung einer mit ihr eng verbundenen und daher vertrauten Rechtsordnung ebenso wie an der Anwendung eines sie materiell begünstigenden Statuts. 79 Wird sie im Massengeschäft tätig, profitiert die überlegene Partei von einem Rationalisierungseffekt, wenn sie sämtliche ihrer Verträge demselben Recht unterstellen kann. Dies lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass der überlegenen Partei eine möglichst unbeschränkte Gewährung von Parteiautonomie dient. Sie kann schrankenlose Parteiautonomie aufgrund ihrer überlegenen Verhandlungsmacht nutzen, um ihre eigenen internationalprivatrechtlichen wie materiellrechtlichen Interessen durchzusetzen. Den Interessen der überlegenen Partei laufen daher sowohl der Ausschluss der Parteiautonomie als auch die Beschränkung der wählbaren Rechtsordnung zuwider. Ein freies Aushandeln hingegen wahrt die Interessen des überlegenen Vertragspartners recht weitgehend, denn im Ergebnis wird das Erfordernis des Aushandelns die überlegene Partei nicht an der Durchsetzung ihrer Interessen hindern. Einen Mittelweg wählt das Günstigkeitsprinzip. Es lässt im Grundsatz das parteiautonom bestimmte Recht unberührt, wovon die strukturell überlegene Partei regelmäßig profitiert. Es beeinträchtigt deren Interessen nur inso weit, als das gewählte Recht den zwingenden Schutzstandard des gewöhnlichen Aufenthalts der schwächeren Partei unterschreitet. c) Rechtssicherheit In einem zweiten Schritt sind die Modelle auf die Wahrung der von der Rom I-Verordnung angestrebten Rechtssicherheit zu überprüfen.80 Als ein Argument für die Gewährung unbeschränkter Parteiautonomie wird der Gewinn an Rechtssicherheit gegenüber der objektiven Anknüpfung genannt. Diese Ansicht beruht auf den Unwägbarkeiten der Ermittlung eines objektiven Schwerpunkts des Vertrags insbesondere im Fall komplexer Vertragstypen. Führt die objektive Anknüpfung hingegen zu einem eindeutigen Ergebnis, so geht von ihr eine ebensolche Rechtssicherheit aus. So verhält es sich hier. Nach dem hier entwickelten Vorschlag sind sämtliche Verträge mit 78
Staudinger/Magnus Art. 6 Rn. 143. Dazu schon oben § 3D.II. 80 Siehe Erwägungsgrund 6 Rom I-VO. 79
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strukturell unterlegenen Unternehmern an den gewöhnlichen Aufenthalt der schwächeren Partei anzuknüpfen. Der Ausschluss der Parteiautonomie garantiert folglich vollumfänglich Rechtssicherheit. 81 In gleichem Maße gilt dies für das Modell der beschränkten Rechtswahl. Bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses stehen der gewöhnliche Aufenthalt der schwächeren Partei ebenso wie ein etwaiger Erfüllungsort in einem Drittstaat fest. Im Fall eines Versicherungsvertrags gilt dies ebenso für die Risikobelegenheit oder den Ort eines etwaigen Schadenseintritts. Für die Parteien ist folglich ohne weiteres ersichtlich, welche Rechtsordnungen wählbar sind. Wählen die Parteien eine der aufgezählten Rechtsordnungen, so findet diese ohne weitere Schranken Anwendung, was ebenfalls Rechtsklarheit zur Folge hat. Mit einer vergleichbar hohen Rechtssicherheit kann das Modell, das ein „freies Aushandeln“ der Rechtswahlvereinbarung erfordert, nicht dienen. Stützt man sich bei der Auslegung des Begriffs auf Art. 3 der Klauselrichtlinie82, nach welcher eine AGB dann vorliegt, wenn die gegenständliche Klausel „nicht im einzelnen ausgehandelt wurde“, so ist ein Rückgriff auf die diesbezügliche Rechtsprechung möglich.83 Dennoch kann die Einführung eines unbestimmten Rechtsbegriffs in das Kollisionsrecht einen Quell von Unsicherheit darstellen, da es dem richterlichen Ermessen überlassen bleibt, die genauen Anforderungen an ein freies Aushandeln zu definieren. Bereits de lege lata ist die Bedeutung des Aushandlungserfordernisses des Art. 14 Abs. 1 lit. b) Rom II-VO umstritten.84 Schwierigkeiten tatsächlicher Art dürften hinzukommen, wenn es später im Prozess einer Partei auferlegt ist, das Vorliegen einer freien Vertragsverhandlung nachweisen oder widerlegen zu müssen. Auch das Günstigkeitsprinzip beeinträchtigt die Rechtssicherheit.85 Ob eine vertragliche Vereinbarung Bestand hat oder zurücktreten muss, weil die am gewöhnlichen Aufenthalt der strukturell unterlegenen Partei geltende Rechtsordnung im konkreten Fall für diese günstiger ist, kann im Einzelfall ex ante nur schwer zu bestimmen sein. Zwar ist zuzugestehen, dass bereits im Zeitpunkt des Vertragsschluss theoretisch ermittelbar ist, nach welchem Recht sich vertragliche Ansprüche richten. 86 Grundsätzlich ist das gewählte 81
Rühl, 44 Cornell L. J. 569, 594 (2011). Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95 vom 21.04.1993, S. 29. 83 Dies erwägen Rauscher/Jakob/Picht Art. 14 Rom II-VO Rn. 23. 84 von Hein, ZEuP 2009, 6, 20; Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613, 623; Leible, RIW 2008, 257, 260; MünchKommBGB/Junker Art. 14 Rom II-VO Rn. 34 ff.; Palandt/Thorn Art. 14 Rom II-VO Rn. 9; Ragullis, IPRax 2008, 319, 322; Rauscher/Jakob/Picht Art. 14 Rom IIVO Rn. 23. 85 AnwKBGB/Leible Art. 29 EGBGB Rn. 64; W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 269; Rühl, 44 Cornell L. J. 569, 594 f. (2011). 86 Staudinger/Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 138; a.A.: AnwKBGB/Leible Art. 29 EGBGB Rn. 64. 82
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Recht anwendbar und wird durch das objektiv ermittelte lediglich modifiziert. Der dogmatisch klare Weg kann indes bei praktischer Anwendung zu erheblicher Unklarheit führen. 87 Hierzu ist zunächst zu ermitteln, welche Bestimmungen des Heimatrechts der schwächeren Partei intern zwingend sind. Im günstigsten Fall mag der Wortlaut der entsprechenden Normen hierauf Rückschlüsse zulassen, ebenso denkbar ist freilich, dass sich der zwingende oder dispositive Charakter erst durch Auslegung ermitteln lässt. 88 Auch der Günstigkeitsvergleich selbst kann den Rechtsanwender vor beträchtliche Schwierigkeiten stellen. 89 Er erfordert zunächst eine tiefergehende Untersuchung der gewählten Rechtsordnung, denn insbesondere für den ausländischen Rechtsanwender mag die Differenzierung zwischen dispositiven, halb zwingenden und zwingenden Normen keineswegs offensichtlich sein und sich erst durch Auswertung der hierzu ergangenen Rechtsprechung ergeben. 90 In einem zweiten Schritt ist ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen, dessen Ergebnis insbesondere dann nicht auf der Hand liegt, wenn ein vergleichbares Schutzziel über unterschiedliche Methoden erreicht wird. 91 Hält beispielsweise das gewählte Recht für einen Handelsvertretervertrag einen höheren nachvertraglichen Ausgleich bereit, wohingegen das objektiv anwendbare längere Kündigungsfristen vorsieht, so erfordert ein Günstigkeitsvergleich im Fall eines Streits über die Kündigung komplexe Erwägungen, der Ausgang des Rechtsstreits ist nicht ohne weiteres vorhersehbar. 92 Die theoretisch bestehenden Bedenken gegen die mangelnde Rechtssicherheit des Günstigkeitsprinzips dürften freilich dadurch begrenzt werden, dass in der Praxis nur eine überschaubare Anzahl von Schutzvorschriften zugunsten des jeweiligen strukturell unterlegenen Unternehmers bestehen dürften. Legt man das deutsche Regime zugunsten des Handelsvertreters zugrunde, so beschränkte sich die Anzahl der zu prüfenden Normen auf einige Normen des siebten Abschnitts des Ersten Buchs des HGB (§§ 84 ff. HGB) sowie die AGB-Kontrolle der §§ 305–307 BGB. d) Rechtsökonomische Betrachtung Ein Ausgleich des strukturellen Gefälles ist auch aus ökonomischer Sicht grundsätzlich angezeigt, da sich andernfalls ineffiziente Vertragsbedingungen 87
AnwKBGB/Leible Art. 29 EGBGB Rn. 64: Basedow, FS Jayme, S. 3, 17. Max Planck Institute, RabelsZ 71 (2007), 225, 269 f.; Tang, 3 J. Priv. Int’l L. 113, 123 (2007). 89 W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 269 f.; a.A.: Staudinger/Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 138. 90 Max Planck Institute, RabelsZ 71 (2007), 225, 269 f.; Tang, 3 J. Priv. Int’l L. 113, 123 (2007). 91 Siehe etwa Staudinger/Magnus Art. 8 Rom I-VO Rn. 87; Tang, 3 J. Priv. Int’l L. 113, 125 (2007). 92 Ein ähnliches Beispiel findet sich bei Staudinger/Magnus Art. 8 Rom I-VO Rn. 87. 88
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durchsetzen.93 Ziel einer rechtsökonomischen Betrachtung ist es wiederum, zu verhindern, dass der angestrebte positive Effekt des Ausgleichs durch zu hohe Kosten aufgezehrt wird. Sämtliche oben erörterten Modelle führen zu einer Kostensteigerung für die strukturell überlegene Partei. Diese profitiert regelmäßig von der Gewährung unbeschränkter Parteiautonomie, weil ihre Verhandlungsmacht es ihr erlaubt, eine Rechtsordnung durchzusetzen, mit der sie einerseits vertraut ist, weil sie ihre Verträge regelmäßig derselben Rechtsordnung unterstellen kann, und die andererseits für sie materiell günstige Regelungen enthält. Beschränkt man diese Möglichkeit durch eines der erörterten Modelle, so entstehen für diese Partei höhere Transaktionskosten. Die Transaktionskosten erhöhen den Preis des von dieser Partei angebotenen Produkts und belasten damit auch die schwächere Partei. 94 Erhöhen sich die Transaktionskosten durch eine bestimmte Regelungstechnik zu sehr, verliert der Vertragsschluss für beide Parteien seine Rentabilität.95 Besonders hohe Kosten verursacht das Erfordernis eines freien Aushandelns der Rechtswahlvereinbarung. Die Unmöglichkeit, einen Vertrag vollständig vorzuformulieren, macht es insbesondere für die überlegene Partei erforderlich, mit sämtlichen zukünftigen Vertragspartnern eine individuelle Lösung erzielen zu müssen. Dies kann einen beträchtlichen Personalaufwand nach sich ziehen und eine erhebliche Behinderung des internationalen Handelsverkehrs bedeuten, der auf die Nutzung Allgemeiner Geschäftsbedingungen angewiesen ist. 96 Der durch AGB erzielte Rationalisierungseffekt würde zunichte gemacht, woran keiner Partei gelegen sein kann. Denn diese Kosten stünden in einem erheblichen Missverhältnis zu dem gewonnen Nutzen. Zwar erzielte eine tatsächliche Verhandlung einen gewissen Warneffekt zu Gunsten der schwächeren Partei, auch im Falle einer „freien“ Verhandlung wäre sie indes wohl gezwungen, sich dem Willen des Vertragspartners zu beugen und wäre schließlich mit der von diesem gewünschten Rechtsordnung konfrontiert. Ein Ausgleich des strukturellen Gefälles gelingt nur sehr bedingt. In der Konsequenz folgen hieraus für die zu schützende Partei erhebliche Rechtsermittlungskosten, da diese sich im Zweifel auf ein ihr unbekanntes Statut wird einlassen müssen. Der Ausschluss der Parteiautonomie zugunsten der objektiven Anknüpfung an den Sitz der unterlegenen Partei ist kosteneffizienter. Zwar wird der überlegene Vertragspartner gezwungen, sich für die Erschließung eines jeden Marktes auf eine neue Rechtsordnung einzulassen. Er muss sich mit dieser vertraut machen, was den Einkauf von Rechtsrat erforderlich macht, und die von ihm angebotenen Vertragsbedingungen an die gesetzlichen Erfordernisse 93
Rühl, 44 Cornell L. J. 569, 574 (2011); dies., Statut und Effizienz, S. 448. Borchers, 82 Tul. L. Rev. 1645, 1658 (2008). 95 Rühl, 44 Cornell, L. J. 569, 595 (2011); dies., Statut und Effizienz, S. 569. 96 MünchKommBGB/Junker Art. 14 Rom II-VO Rn. 36; Palandt/Thorn Art. 14 Rom IIVO Rn. 8; Wagner, IPRax 2008, 1, 14. 94
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anpassen. Er ist beispielsweise genötigt, für jeden zu erschließenden Markt einen Formularvertrag zu entwerfen, der den lokalen Kündigungsbestimmungen oder Anforderungen an einen nachvertraglichen Ausgleichsanspruch gerecht wird. Dies führt zu einer Kostensteigerung, die schlussendlich auch den Preis des angebotenen Produkts erhöht. Zugleich resultiert die unabdingbare Anwendung des Heimatrechts des unterlegenen Unternehmers jedoch in einem Höchstmaß an Rechtsklarheit für die beteiligten Parteien und beschränkt die Transaktionskosten auf diese Weise, weil sich die Untersuchung und Ermittlung verschiedener in Betracht kommender Rechtsordnungen erübrigt.97 Der Verzicht auf Parteiautonomie verursacht folglich moderate Kosten, das Modell führt freilich auch zu einer erheblichen Bevormundung der Parteien. Die unterlegene Partei wird zwar regelmäßig an den erhöhten Kosten beteiligt werden. Der Nutzen dieser Beschränkung für die strukturell unterlegene Partei ist jedoch keineswegs eindeutig. Zwar bewirkt die Anwendung der an ihrem Sitz geltenden Rechtsordnung, dass sie sich bei der Prüfung der von der anderen Seite gestellten Vertragsbedingungen auf lokalen und daher transaktionskostengünstigen Rechtsrat verlassen kann und die Erfolgsaussichten im Konfliktfalle sich leichter evaluieren lassen. Es ist jedoch durchaus vorstellbar, dass auch die strukturell unterlegene Partei ein berechtigtes Interesse an einer Rechtswahl zugunsten einer anderen Rechtsordnung haben kann. 98 Zum einen mag dies aus dem Wunsch resultieren, die Transaktionskosten zu senken. Die Wahl, einen niedrigeren Schutzstandard im Gegenzug für einen niedrigeren Produktpreis zu akzeptieren, wird ihr durch einen Ausschluss der Parteiautonomie genommen. 99 Zum anderen kann die Wahl eines anderen als des Heimatrechts sogar mit einem höheren materiellen Schutz einhergehen. Zu denken ist eine Abwandlung des schon mehrfach erörterten Sachverhalts: Ein deutscher Automobilhersteller kontrahiert mit einem texanischen Vertragshändler, um seine Produkte im amerikanischen Süden absetzen zu können. In einem solchen Falle hat das deutsche Unternehmen ein Interesse an der Anwendbarkeit deutschen Rechts, denn mit dieser Rechtsordnung ist es vertraut, in dieser wickelt es grundsätzlich sämtliche seiner Verträge ab. Doch auch der texanische Vertragshändler profitiert von dieser Lösung, denn ihm kommen die schützenden Bestimmungen der §§ 84 ff. HGB in analoger Anwendung ebenso zugute wie das vergleichsweise restriktive deutsche AGB-Recht. 100 Ein Ausschluss der Parteiautonomie führte hin97
Rühl, Statut und Effizienz, S. 568. O’Hara/Ribstein, 67 U. Chi. L. Rev. 1151, 1186 f. (2000); Rühl, Statut und Effizienz, S. 569 f. 99 Rühl, Statut und Effizienz, S. 569. 100 Zu beachten ist indes, dass selbst bei Wahl deutschen Rechts die §§ 84 ff. HGB aufgrund von § 92c HGB gesondert abdingbar sind. Zu den Voraussetzungen des § 92c HGB MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 92c Rn. 8 ff. 98
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gegen zur Anwendung texanischen Rechts, das einen vergleichbaren Schutz des Vertragshändlers nicht vorsieht. 101 Mit diesem Ergebnis ist keiner der beiden Parteien gedient. Die erhöhten Kosten für die überlegene Partei werden durch keinen gesteigerten Nutzen für die als schwächer eingestufte Partei ausgeglichen. Legt man zugrunde, dass sich die Höhe ihrer Provisionsansprüche aufgrund der für den Vertragspartner erhöhten Kosten der Vertragsdurchführung verringert, so zahlt sie letztlich für eine Verringerung ihres Schutzes.102 Zu erwägen ist deshalb, ob im Hinblick auf eine effiziente Kosten-NutzenVerteilung eine Beschränkung der Parteiautonomie einem vollständigen Ausschluss derselben vorzuziehen ist. In Betracht kommt zum einen die Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen, zum anderen eine Bewertung der getroffenen Rechtswahl durch einen Günstigkeitsvergleich. 103 Angesichts der Komplexität des Günstigkeitsprinzips ist zu zunächst zu untersuchen, ob die Vornahme einer Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen eine kosteneffiziente Lösung verspricht. 104 Die hier vertretene Variante, nach welcher eine Rechtsordnung nur dann wählbar ist, wenn sie eine Nähe zur strukturell unterlegenen Partei aufweist, kommt freilich einem Ausschluss der Parteiautonomie sehr nahe. In Konstellationen, in denen die schwächere Partei allein an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt tätig wird, findet folglich zwingend das objektiv anwendbare Recht Anwendung. 105 Die beschränkte Rechtswahl kommt erst zum Tragen, wenn die strukturell unterlegene Partei außerhalb des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts tätig wird. Für die überlegene Partei ergibt sich daraus im Vergleich zum vollständigen Ausschluss der Parteiautonomie der Vorteil, sämtliche Verträge der in einem Staat tätigen Vertragspartner unabhängig von ihrem gewöhnlichen Aufenthalt einer Rechtsordnung zu unterstellen. Hieraus folgt für die markterschließende überlegene Partei der Rationalisierungseffekt, nur eine Rechtsordnung ermitteln zu müssen. Werden beispielsweise Subunternehmer aus mehreren Staaten auf einer inländischen Baustelle tätig, so kann der drittstaatliche Generalunternehmer sämtliche Verträge demselben Recht unterstellen. Will ein amerikanischer Automobilhersteller mittels zweier in Bordeaux und in Freiburg i. Br. ansässiger Vertragshändler den französischen Markt erschließen, so kann er beide Verträge dem französischen Recht unterstellen. Ist der Automobilhersteller in Frankreich ansässig, so kann er den Vertrag sogar seinem Hei101 Maher and Associates, Inc. v. Quality Cabinets, 640 N.E.2d 1000 (Appellate Court Illinois, 1994). 102 Kritisch zu diesem Ergebnis im Verbraucherschutzrecht: Staudinger/Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 138. 103 Diese beiden Alternativen zeigt auch Rühl, Statut und Effizienz, S. 570–572. 104 Hierfür: O’Hara/Ribstein, 67 U. Chi. L. Rev. 1151, 1187 (2000); vgl. Max Planck Institute, RabelsZ 71 (2007), 225, 280 f. zu Versicherungsverträgen. 105 Aufgrund dessen lehnt Rühl, Statut und Effizienz, S. 573 dieses Modell ab.
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matrecht unterstellen. Wird der schwächere Unternehmer im Sitzstaat des Vertragspartners tätig, so ergibt sich für diesen durch Rückgriff auf das dort geltende Statut eine beträchtliche Senkung der Transaktionskosten. Diese kann zu einer Preissenkung in Bezug auf das vom überlegenen Vertragspartner angebotene Produkt führen. Erfüllt der schwächere Unternehmer seine vertragliche Verpflichtung in einem Drittstaat, so entsteht im Fall der Wahl der Rechtsordnung des Erfüllungsortes, die ökonomisch ungünstige Situation, dass ein für beide Seiten unbekanntes Recht Anwendung finden kann, womit keiner der Parteien unmittelbar gedient ist. Rühl spricht sich für eine umfassende Anwendung des Günstigkeitsprinzip zum Schutze der schwächeren Partei aus. 106 Der Vorteil des Günstigkeitsprinzips bestehe darin, grundsätzlich Parteiautonomie zu gewähren und diese nur insoweit einzuschränken, wie es zum Schutz der unterlegenen Partei tatsächlich notwendig sei, was nur der Fall ist, wenn diese durch eine Rechtswahl tatsächlich gegenüber der objektiven Anknüpfung benachteiligt wird. 107 Es bleibe den Parteien unbenommen, einen höheren Schutzstandard zu wählen und hierfür ggf. einen höheren Preis des Produktes in Kauf zu nehmen. 108 Eine Kostensenkung trete vor allem deshalb ein, weil sich die schwächere Partei bis zu einem gewissen Grade auf die Rechtswahl des Vertragspartners einlassen könne. 109 Zu bedenken ist freilich die besondere Komplexität des Günstigkeitsprinzips. Die oben beschriebene Vornahme eines Rechtsvergleichs zwischen dem gewählten und dem am gewöhnlichen Aufenthalt der unterlegenen Partei geltenden Statut ist fehleranfällig und kostspielig. Der Günstigkeitsvergleich kann sodann zu einem „law mix“ 110, einer Kombination zweier Rechtsordnungen, aus Teilen des gewählten und Teilen des objektiv anwendbaren Rechts führen. Aus Sicht der einen Markteinstieg planenden strukturell überlegenen Partei entstehen damit beträchtliche Rechtsermittlungskosten. 111 Anders als im Falle des Ausschlusses der Parteiautonomie muss sie sich nicht allein auf die Anwendbarkeit einer unbekannten Rechtsordnung einstellen, sondern zusätzlich die unbekannte Rechtsordnung mit der eigenen vergleichen. Hiergegen führt Rühl an, die Problematik des „law mix“ entstehe auch bei Ausschluss der Rechtswahl. Denn auch hier bliebe es der stärkeren Partei unbenommen, die dispositiven Vorschriften der objektiv anwendbaren Rechtsordnung durch Vorschriften einer anderen Rechtsordnung zu ersetzen. 112 Tatsächlich besteht die Möglichkeit einer materiellrecht106 Rühl, Statut und Effizienz, S. 573; dies., FS von Hoffmann, S. 364, 374; dies., 44 Cornell Int’l L. J. 569, 597 f. (2011). 107 Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 373. 108 Rühl, Statut und Effizienz, S. 571. 109 Rühl, Statut und Effizienz, S. 571. 110 Zum Begriff, Basedow, FS Jayme, S. 3, 15–17. 111 Max Planck Institute, RabelsZ 71 (2007), 225, 269. 112 Rühl, 44 Cornell Int’l L. J. 569, 597 (2011).
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lichen Rechtswahl auch im Fall des Ausschlusses der kollisionsrechtlichen Rechtswahl. Nehmen die Parteien eine solche vor, so erfordert sie von den Parteien zur Bestimmung der Rechtslage die Identifikation des intern zwingenden Rechts. Nicht zu unterschätzen ist jedoch, dass der Ausschluss der Parteiautonomie den kostspieligen und zeitaufwändigen Günstigkeitsvergleich erspart. Der mögliche Schluss, die Anwendung des Günstigkeitsprinzips sei grundsätzlich kostenintensiver als ein bloßer Ausschluss der Parteiautonomie, ist dennoch verfehlt. Denn zu weiten Teilen kommt der faktisch vertragsgestaltenden Partei der kostensenkende Effekt der Rechtswahl zugute: Es kommt die gewählte Rechtsordnung zum Einsatz, mit welcher diese Partei vertraut ist. Dies dürfte insbesondere vertragsrechtliche Grundlagen wie den Vertragsschluss, die Fristenberechnung und das allgemeine Leistungsstörungsrecht betreffen. Die Vermeidung der Einarbeitung in diese Grundlagen einer anderen Rechtsordnung begrenzt die Transaktionskosten eines internationalen Vertrags. Die Beschränkung der Parteiautonomie hingegen wird im Ergebnis nur wenige Rechtsfragen betreffen, deren Bestimmung eher von einem ausländischen Juristen zu leisten sein wird als die Einarbeitung in eine Recht sordnung in ihrer Gänze. 113 Zweifelsohne verursacht das Günstigkeitsprinzip trotz dieser Relativierungen erhöhte Rechtsermittlungskosten und damit eine Verteuerung des Vertrags. Im Streitfall wird die unterlegene Partei zudem mit den beschriebenen Schwierigkeiten der Rechtsermittlung konfrontiert und ist auf kostspieligen Rechtsrat angewiesen, da grundsätzlich das von der überlegenen Partei vorgegebene, potentiell unbekannte Recht Anwendung findet.114Anders als im Fall des Ausschlusses der Parteiautonomie ist der korrespondierende Nutzen für die schwächere Partei jedoch ungleich höher. Der durch einen Ausschluss der Parteiautonomie oder durch die Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen gewährte Schutz ist lediglich internationalprivatrechtlicher Natur. Es wird eine räumliche bzw. sachliche Nähe des anwendbaren Rechts zur unterlegenen Partei hergestellt. Das Günstigkeitsprinzip gewährleistet hingegen auch einen materiellrechtlichen Schutz der schwächeren Partei. Diese kann im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf die Ermittlung des anwendbaren Rechts verzichten und auf die Anwendung des Mindestschutzes ihrer Umgebung vertrauen. Eine gewisse Sorglosigkeit kann ihr nicht zum Nachteil gereichen.
113
Rühl, Statut und Effizienz, S. 571; Staudinger/Magnus Art. 6 Rn. 138; kritischer: Basedow, FS Jayme, S. 3, 17. 114 Max Planck Institute, RabelsZ 71 (2007), 225, 270; Tang, 3 J. Priv. Int’l L. 113, 126 f. (2007).
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e) Zwischenergebnis Es fällt nach alledem schwer, ein Modell auszumachen, das einen wirksamen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers gewährleistet und zugleich Rechtssicherheit bietet, ohne die Transaktionskosten im internationalen Handel in die Höhe schießen zu lassen. 115 Während sich das Erfordernis des freien Aushandelns als praxisuntauglich erweist und sowohl der vollständige Ausschluss der Parteiautonomie als auch die diesem stark ähnelnde Beschränkung der wählbaren Rechte ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen, stellt das Günstigkeitsprinzip einen akzeptablen Kompromiss dar.116 Dieses garantiert der schwächeren Vertragspartei den für sie vom Gesetzgeber ihres gewöhnlichen Aufenthalts vorgesehenen Schutz. Zugleich stellt es den schonendsten Eingriff in die Parteiautonomie dar und berücksichtigt damit die kollisionsrechtlichen Interessen der überlegenen Partei. Die Vorteile der Parteiautonomie bleiben weitgehend erhalten, sie wird nur insoweit eingeschränkt, wie es zum Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers erforderlich ist. 117 Erforderlich ist ein Eingriff in die Parteiautonomie nur dann, wenn der faktisch vertragsgestaltende Vertragspartner seine Überlegenheit ausnutzt, um ein sein Gegenüber benachteiligendes Recht zur Anwendung zu bringen. 118 Insbesondere aus der typischerweise begrenzten Anzahl die Parteiautonomie durchbrechender Normen folgt auch die rechtsökonomische Überlegenheit gegenüber dem Ausschluss der Parteiautonomie und der Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen, die vom überlegenen Unternehmer eine umfassende Auseinandersetzung mit einer fremden Rechtsordnung erfordert, ohne einen tatsächlichen materiellen Schutz zu garantieren. Die Kosten des Günstigkeitsprinzips stehen hingegen einem erhöhten materiellen Schutzniveau gegenüber. Gewährt das gewählte Recht einen niedrigeren Schutz als das am gewöhnlichen Aufenthalt der unterlegenen Partei geltende, so entspricht die Schutzwirkung des Günstigkeitsprinzips der eines Ausschlusses der Parteiautonomie. Im umgekehrten Fall wird freilich allein das Günstigkeitsprinzip dem Schutzgedanken zugunsten der strukturell unterlegenen Partei gerecht. Leible wendet ein, das Günstigkeitsprinzip gewähre der schwächeren Partei in diesen Fällen einen kollisionsrechtlichen Schutz, dem die materiellrechtliche Rechtfertigung fehle, weil er über die materiellrechtlichen Gerechtigkeitsvorstellung des Aufenthaltsstaates der
115 Ähnlich Rühl, Statut und Effizienz, S. 573 zur Sonderanknüpfung von Verbraucherverträgen und W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 497 zu Versicherungsverträgen. 116 So auch schon zu Verbraucherverträgen Rühl, Statut und Effizienz, S. 573; dies., 44 Cornell Int’l L. J. 569, 597 (2011); die Anwendbarkeit auch auf Versicherungs- und Transportverträge fordernd: dies., FS von Hoffmann, S. 364, 371 ff. 117 Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 373. 118 Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 373.
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schwächeren Partei hinausgehe. 119 Eine andere Perspektive scheint jedoch überzeugender: Steht das Aufenthaltsrecht der schwächeren Partei in seiner Schutzwirkung hinter dem gewählten Recht zurück, so findet eine Begrenzung der Parteiautonomie nicht statt. Es kommt das von den Parteien vereinbarte Recht zur Anwendung. Weder aus materiellrechtlichen noch aus kollisionsrechtlichen Gerechtigkeitserwägungen folgt die Notwendigkeit, der schwächeren Partei die Schutzwirkungen des gewählten Rechts vorzuenthalten.120 Auf diese Weise stellt das Günstigkeitsprinzip materiellrechtliche und kollisionsrechtliche Gerechtigkeit wieder her. Zu ergänzen bleibt, dass eine Beschränkung der Parteiautonomie nur dann erforderlich und folglich gerechtfertigt ist, solange sich die strukturelle Unterlegenheit einer Partei unmittelbar auf die Vertragsgestaltung auswirkt. Dies ist dann nicht länger der Fall, wenn eine Streitigkeit bereits entstanden ist. Zu diesem Zeitpunkt ist das Risiko einer nunmehr vorgenommenen Rechtswahl auch für eine unterlegene Partei absehbar. Anzulehnen ist das Entstehen der Streitigkeit begrifflich an Art. 15 Nr. 1 Brüssel Ia-VO und sollte, um die Schutzwirkung nicht zu verkürzen, dem Jenard-Bericht folgend erfordern, dass „ein gerichtliches Verfahren unmittelbar oder in Kürze bevorsteht“. 121 III. Ermittlung des Formstatuts Strebt man einen umfassenden internationalprivatrechtlichen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers an, so gilt es, auch das Formstatut diesem Ziel anzupassen. Art. 11 Rom I-VO schafft eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung zur Bestimmung der Formwirksamkeit eines Vertrags. Grundsätzlich geht Art. 11 vom Prinzip des favor negotii aus.122 Im Zweifel soll ein Vertrag formwirksam sein. 123 Ein Vertrag, der zwischen zwei in demselben Staat befindlichen Personen geschlossen wird, ist nach Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO formwirksam, wenn er den Formerfordernissen des Vertragsstatuts oder des Abschlussstaates entspricht. Befinden sich die vertragsschließenden Personen zum Abschlusszeitpunkt in verschiedenen Staaten, so ist der Vertrag nach Abs. 2 formgültig, wenn er den Formvorschriften eines dieser beiden Staaten, den am gewöhnlichen Aufenthalt einer der Parteien geltenden Formvorschriften oder derjenigen des Vertragsstatuts entspricht. Eine ähnlich 119
AnwKBGB/Leible Art. 29 EGBGB Rn. 64. Staudinger/Magnus Art. 6 Rn. 138. 121 Jenard-Bericht, ABl. EG Nr. C 59 vom 05.03.1979, S. 33; zustimmend: Kropholler/von Hein Art. 13 Brüssel I-VO Rn. 2; Rauscher/Staudinger Art. 13 Brüssel I-VO Rn. 4; Geimer/Schütze/Geimer Art. 13 Rn. 5 will bereits das Entstehen einer Meinungsverschiedenheit ausreichen lassen. 122 MünchKommBGB/Spellenberg Art. 11 Rom I-VO Rn. 3; Staudinger/Winkler von Mohrenfeld Art. 11 Rom I-VO Rn. 11 ff. 123 MünchKommBGB/Spellenberg Art. 11 Rom I-VO Rn. 3. 120
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weitgehende, die Formwirksamkeit begünstigende Vorschrift weist Abs. 3 für einseitige Rechtsgeschäfte auf. Für Verbraucherverträge nimmt Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO eine Ausnahme vom Grundsatz des favor negotii zugunsten des Verbraucherschutzes vor. Die Formwirksamkeit eines Verbrauchervertrags richtet sich nach dem am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers geltenden Statut. Für Verbraucher rechtfertigt sich diese Ausnahme dadurch, dass materiellrechtliche beabsichtigter Verbraucherschutz nicht selten auch über Formvorschriften wirkt. 124 Derselbe Telos greift zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer. 125 Auch ein Schutz schwächerer, kommerziell tätiger Parteien wird zum Teil über Formvorschriften bewirkt. So bestimmt beispielsweise § 90a HGB, dass ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot der Schriftform und der Aushändigung einer Urkunde bedarf. Ein kollisionsrechtlicher Schutz der schwächeren Partei wäre unvollständig, würde er derartige Formvorschriften ausklammern. Giuliano und Lagarde erkennen an, dass die Beschränkung der Sonderanknüpfungen für Formvorschriften auf Verbraucher Schutzlücken zulasten des ebenfalls kollisionsrechtlich geschützten Arbeitnehmers verursacht. Diese Lücken wollen sie über Eingriffsnormen schließen.126 Ihre Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Die Untauglichkeit von Eingriffsnormen zur Herstellung eines Schutzes einer schwächeren Partei ist bereits festgestellt worden.127 Nichts anderes ergibt sich für die Sonderanknüpfung von Formvorschriften.128 Für die starre Anknüpfung von Formvorschriften an den gewöhnlichen Aufenthalt der unterlegenen Partei, wie sie Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO vorsieht, wird vorgebracht, die schwächere Partei sei mit den Formvorschriften ihres gewöhnlichen Aufenthalts am besten vertraut. 129 Dies führt indes zu Friktionen mit dem Vertragsstatut, das einem Günstigkeitsvergleich unterliegt.130 Aus dieser Abweichung vom Günstigkeitsprinzip für Formvorschriften folgt die Notwendigkeit, zwischen Formvorschriften und inhaltlich schützenden Normen unterscheiden zu müssen, was nicht nur im Einzelfall
124
So bereits zum EVÜ: Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1982, S. 1, 29; Downes/Heiss, IPRax 1999, 137, 138 ff.; im Übrigen Rauscher/von Hein Art. 11 Rom I-VO Rn. 28. 125 Für eine Anwendung des verbraucherschützenden Art. 9 Abs. 5 EVÜ auch auf Versicherungsverträge treten zu Recht ein: Downes/Heiss, IPRax 1999, 137, 138 f. 126 Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1982, S. 1, 29. 127 Oben § 1B.V.4. 128 Downes/Heiss, IPRax 1999, 137, 139 Fn. 26; Rauscher/von Hein Art. 11 Rom I-VO Rn. 28. 129 Siehe etwa die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts: BT-Drucks. 10/504, S. 80. 130 Kritisch dazu auch: Rauscher/von Hein Art. 11 Rn. 30 Rom I-VO; Staudinger/ Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 150.
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schwierig sein wird,131 sondern vor dem Hintergrund, dass formelle und materielle Schutzvorschriften häufig demselben Telos dienen, auch systematisch nicht überzeugt. Vorzugswürdiger ist es, Formvorschriften ebenfalls einem Günstigkeitsvergleich zu unterstellen. 132 Dies wird nicht zuletzt auch dem Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers gerecht, denn es ist nicht einzusehen, diesem die Schutzwirkungen des gewählten Rechts zu entziehen, wenn sie die an seinem gewöhnlichen Aufenthalt geltenden übersteigen. Anders als bei anspruchsbegründenden Normen ist zwar bei Formvorschriften nicht ohne weiteres ersichtlich, ob im Einzelfall die Annahme einer Formwirksamkeit oder Formunwirksamkeit günstiger für die unterlegene Partei ist. Der Günstigkeitsvergleich lässt dem Richter jedoch hinreichend Flexibilität, um hierauf im Einzelfall reagieren zu können. Ein Normvorschlag ist folglich um den Verweis zu ergänzen, dass sich die Bestimmung des Formstatuts für Verträge mit strukturell unterlegenen Unternehmern ebenfalls nach den oben entwickelten Grundsätzen zur subjektiven und objektiven Anknüpfung richtet. IV. Normvorschlag Ein Normvorschlag zur Ergänzung der Rom I-Verordnung könnte damit wie folgt lauten: Artikel 6a: Verträge mit strukturell unterlegenen Unternehmern (1) Ein Unternehmer, der mindestens zwei der unter Buchstabe a) genannten Kriterien unterschreitet, ist einem Unternehmer, der mindestens zwei der unter Buchstabe b) genannten Kriterien überschreitet, strukturell unterlegen, sofern nicht der wirtschaftlich schwächere Unternehmer eine marktbeherrschende Stellung einnimmt. a) Bilanzsumme: 4,84 Millionen Euro; Nettoumsatz: 9,68 Millionen Euro; durchschnittliche Beschäftigtenzahl im Verlauf des Wirtschaftsjahres: 50 b) Bilanzsumme: 19,25 Millionen Euro; Nettoumsatz: 38,5 Millionen Euro; durchschnittliche Beschäftigtenzahl im Verlauf des Wirtschaftsjahres: 250 (2) Verträge zwischen Unternehmern im Sinne von Absatz 1 unterliegen dem von den Parteien nach Artikel 3 gewählten Recht. Vor Entstehen einer Streitigkeit darf eine Rechtswahl jedoch nicht dazu führen, dass der strukturell unterlegenen Partei der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Absatz 3 mangels einer
131
Rauscher/von Hein Art. 11 Rn. 10 f. Rom I-VO. Rauscher/von Hein Art. 11 Rn. 30 Rom I-VO; Staudinger/Magnus Art. 6 Rom I-VO Rn. 150. 132
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Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. (3) Soweit die Parteien keine Rechtswahl gemäß Absatz 2 getroffen haben, unterliegt der Vertrag dem Recht des Mitgliedstaats, in dem die strukturell unterlegene Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. (4) Ein Vertrag im Sinne des Absatzes 1 ist formgültig, wenn er die Formerfordernisse des auf ihn nach Absatz 2 beziehungsweise Absatz 3 anzuwendenden materiellen Rechts erfüllt.
B. Internationales Zivilverfahrensrecht In einem zweiten Schritt gilt es den Schutz des strukturell unterlegenen U nternehmers auch internationalzivilprozessrechtlich abzusichern. Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, können die im deutschen wie im USamerikanischen Recht vorhandene Einzelfallkontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im Hinblick auf den Missbrauch überlegener Verhandlungsmacht und die Durchsetzung international zwingenden Rechts nicht überzeugen. Weder gewährt sie einen umfassenden Schutz der strukturell unterlegenen Partei, noch bietet sie Rechtssicherheit. Grundsätzlich stimmiger ist hingegen das Konzept, welches der europäische Verordnungsgeber für Versicherungsverträge gewählt hat. Das europäische Internationale Zivilprozessrecht für Versicherungssachen enthält ebenso wie das für Arbeits- und Verbraucherverträge im Grunde lediglich zwei Schutzbestimmungen. Zum einen sind Gerichtsstandsvereinbarungen, die den passiven Gerichtsstand der zu schützenden Partei an deren Sitz abbedingen, unwirksam, zum anderen wird ein Klägergerichtsstand am Sitz der als unterlegen angesehenen Partei geschaffen. Im Folgenden ist die Tauglichkeit dieses Regelungsmodells zur Herstellung internationalprozessrechtlicher Gerechtigkeit auch in Gefällesituationen zulasten strukturell unterlegener Unternehmer zu überprüfen. Dem Internationalen Zivilprozessrecht können dabei unter Schutzgesichtspunkten zwei Aufgaben zukommen. Zum einen kommen genuin zivilprozessrechtliche Erwägungen in Betracht, die auf die prozessualen Belastungen eines Forums für eine schwächere Partei abzielen. Zum anderen kann es dem Prozessrecht obliegen, internationalprivatrechtliche und materiellrechtliche Wertungen abzusichern bzw. deren Umgehung zu verhindern. I. Kontrolle bereits im Erkenntnisverfahren In der deutschen wie in der US-amerikanischen Literatur und Rechtsprechung wird immer wieder die Notwendigkeit bestritten, eine Überprüfung der Gerichtsstandsvereinbarung bereits zu dem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem das
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derogierte Gericht erstmalig über seine Zuständigkeit bescheiden muss. 133 Die gegen die Zuständigkeitsabrede vorgehende Partei sei vielmehr auf das Stadium der Anerkennung und Vollstreckung zu verweisen.134 Diese Bedenken entbehren nicht einer gewissen Rechtfertigung. Sie folgen aus der Ableitung internationalprozessrechtlicher Wirkungen aus kollisionsrechtlichen Wertungen. Vor Erlass eines ausländischen Titels lässt sich noch nicht sicher feststellen, ob das prorogierte Gericht das aus Sicht des derogierten Forums international zwingende Recht anwenden wird. Oben ist festgestellt worden, dass aus dem Ziel, einen Schutz der schwächeren Partei zu gewährleisten, zwar die Notwendigkeit folgt, bereits vor Erlass eines Urteils am prorogierten Forum die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zu bescheiden. Jedoch bleiben Bedenken gegen diese Lösung, insbesondere aufgrund der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit, bestehen. Eine stärkere Orientierung an internationalprozessrechtlichen Kriterien, wie es die Brüssel IaVerordnung vormacht, kann Abhilfe schaffen. Die vom materiellrechtlichen Ergebnis abstrakte Bestimmung des internationalprivatrechtlich Zulässigen ist bereits vor Erlass eines Urteils am prorogierten Forum möglich. Der Schutz der schwächeren Partei und die Gewähr von Rechtssicherheit sind auf diese Art und Weise in Einklang zu bringen. II. Beschränkung von Gerichtsstandsvereinbarungen Die Brüssel Ia-VO schränkt die zuständigkeitsrechtliche Parteiautonomie in den Art. 14 Abs. 1, 18 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 dergestalt ein, dass eine Klage gegen die schwächere Partei allein vor den Gerichten ihres Wohnsitzes zulässig ist. Eine Übernahme für die oben als strukturell unterlegen identifizierten Unternehmer ist wünschenswert. An der Rechtssicherheit der Regelung bestehen keine Zweifel. Anders als bei einer Einzelfallkontrolle ist hier von vornherein zweifelsfrei erkennbar, welches Gericht mit Sicherheit zuständig ist. Die prozessrechtliche Schutzwirkung ist offensichtlich. Die schwächere Partei muss bei Abschluss des Vertrags allein damit rechnen, vor den Gerichten ihres Heimatstaates gerichtspflichtig zu werden. Dies resultiert für sie in einer Vertrautheit mit dem Gerichtssystem, der Gerichtssprache und dem zur Anwendung gelangenden Verfahrensrecht. Ferner ist die räumliche Nähe zum Forum von Vorteil. Die derogationsfeste Ausgestaltung des passiven Gerichtsstands führt damit für die schwächere Partei zu einer beträchtlichen Senkung der Kosten eines etwaigen Prozesses. Sie kann auf lokale 133 Für das deutsche Recht siehe etwa Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762; zum US-amerikanischen Recht: Mitsubishi Motors Corporation v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 624 (US Supreme Court, 1985); weitere Nachweise siehe oben § 2B.III.2. 134 Schack, IZVR, Rn. 516; zum Schiedsverfahrensrecht: Quinke, SchiedsVZ 2007, 246, 251; Reithmann/Martiny/Hausmann Rn. 6762 f.; Stein/Jonas/Schlosser 1031 ZPO Rn. 4.
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Rechtsberatung zurückgreifen und vermeidet die Unwägbarkeiten eines Prozesses im Ausland. Die Beschränkung der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie sichert darüber hinaus auch einen internationalprivatrechtlichen sowie materiellrechtlichen Schutz der strukturell unterlegenen Partei. Das zwingende, am Sitz der schwächeren Partei geltende Kollisionsrecht findet aufgrund der prozessualen Einschränkung Anwendung. Hat die schwächere Partei ihren Sitz in einem Mitgliedstaat, so kommt ihr aufgrund des oben befürworteten Günstigkeitsprinzips auch der materiellrechtliche Schutz ihrer Umgebung zugute. Für die überlegene Partei entfällt durch die Einschränkung der Parteiautonomie die Möglichkeit, ein für sie günstiges Forum zu wählen. Sie ist vielmehr gezwungen, zur Durchsetzung ihrer Ansprüche das Forum des Vertragspartners aufzusuchen. Hierdurch entfällt für sie beispielsweise der Rationalisierungseffekt, Streitigkeiten mit sämtlichen Vertragspartnern an ihrem eigenen Sitz abzuwickeln und hierbei auf kostengünstigen Rechtsbeistand, der im Zweifel in Form einer unternehmensinternen Rechtsabteilung oder eng verbundener Anwaltskanzleien ohnehin bestehen wird, zurückgreifen zu können. Für diese Partei entstehen damit erhöhte Markteintrittskosten. Beabsichtigt etwa ein amerikanischer Franchisegeber, sein System in mehreren EUMitgliedstaaten zu etablieren und hierfür auf lokale Franchisenehmer zurückzugreifen, ist er gezwungen, im Streitfall für jeden Markt einen eigenen lokalen Prozessvertreter zu engagieren, da im Zweifel nur diese über die notwendige Zulassung und Fachkenntnis verfügen werden. Freilich ist zu bedenken, dass eine Beschränkung der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie geringere Auswirkung auf die mit dem Vertragsschluss verbundenen Kosten hat als das anwendbare Recht. Erst im tatsächlichen Streitfalle verursacht der zwingende Gerichtsstand erhöhte Kosten. Bei Aufbau eines Franchisesystems im Ausland ist zwar die Möglichkeit eines Gerichtsverfahrens einzukalkulieren. Da es in vielen Fällen nicht zu tatsächlichen Auseinandersetzungen kommen wird, sind diese Kosten jedoch weniger hoch anzusetzen als die einer vergleichbaren Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeiten. Zweck der Vorschrift ist dabei der Schutz des strukturell unterlegenen U nternehmers unabhängig davon, ob er über einen Sitz innerhalb der Union verfügt. Die Derogationsfestigkeit des passiven Gerichtsstands der schwächeren Partei wirkt allseitig, etwa auch zugunsten eines kalifornischen Vertragshändlers, der mit einem deutschen Lieferanten kontrahiert. Die Brüssel IVerordnung hingegen geht auch nach der Revision, die den Anwendungsbereich der Verordnung für Verbraucher und Arbeitnehmer auf Klagen gegen in Drittstaaten ansässige Parteien ausdehnt, davon aus, dass Versicherungsnehmer, Verbraucher und Arbeitnehmer allein dann prozessual zu schützen sind, wenn sie in einem Mitgliedstaat ansässig sind. 135 Dies stellt einen unnötigen, 135
Siehe Art.18 Abs. 2, 21 Abs. 1, 2 Brüssel Ia-VO.
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einseitigen Protektionismus zugunsten europäischer Parteien und eine Diskriminierung von Drittstaatlern dar, der es an einer Rechtfertigung mangelt. Festzuhalten bleibt, dass die skizzierte Einschränkung der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie mit einer Erhöhung der Transaktionskosten für die überlegene Partei einhergeht. Demgegenüber bietet die Derogationsfestigkeit unumstößliche Rechtssicherheit und führt zu einem wirksamen prozessualen Schutz sowie einer prozessualen Absicherung etwaigen zwingenden Kollisionsrechts zugunsten der unterlegenen Partei. Letztlich ist eine Abwägung zwischen den verursachten Kosten und dem angestrebten Schutz der schwächeren Partei vorzunehmen. Für einen Kleinunternehmer kann das Erfordernis eines Prozesses an einem ausländischen Forum eine erhebliche Belastung bedeuten. Umgekehrt ist diese Belastung dem überlegenen Vertragspartner eher zuzumuten. Die hier angestrebte Einschränkung der Gestaltungsfreiheit entspricht darüber hinaus dem Gebot prozessualer Gerechtigkeit, denn es entzieht lediglich den Grundsatz actor sequitur forum rei der Parteiautonomie. Der hierdurch gewährleistete Beklagtenschutz ist jedoch Grundmaxime des europäischen Internationalen Prozessrechts. 136 Die beklagte Partei wird zu Recht grundsätzlich als schutzbedürftig gegenüber dem Kläger angesehen; ihr soll die effektive Verteidigung an ihrem Wohnsitz ermöglicht werden. 137 Dem Kläger hingegen als Herr des Geschehens ist es zumutbar, den Wohnsitz des Beklagten aufzusuchen. 138 Erst recht muss dies gelten, wenn die beklagte Partei dem Kläger aus wirtschaftlichen Gründen strukturell unterlegen ist. III. Klägergerichtsstand Im Lichte prozessrechtlicher Gerechtigkeit weitaus problematischer ist die Begründung eines unabdingbaren Klägergerichtsstands zugunsten der unterlegenen Partei. Denn hier wird die Maxime des actor sequitur forum rei ins Gegenteil verkehrt. Dennoch eröffnen Art. 11 Abs. 1 lit. b) und Art. 18 Abs. 1 aus Schutzerwägungen einen Klägergerichtsstand am Wohnsitz von Versicherungsnehmer und Verbraucher.139 Arbeitnehmern eröffnet Art. 21 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO einen Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort, wenn dieser in einem anderen Staat belegen ist als der Sitz des Arbeitgebers. Insbesondere der Klägergerichtsstand zugunsten des Versicherungsnehmers ist Ziel von Kritik geworden.140 Tatsächlich ist zweifelhaft, ob eine gewerb136 Kropholler/von Hein Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 1; Rauscher/Mankowski Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 1. 137 Kropholler/von Hein Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 1; Rauscher/Mankowski Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 1; Schack, IZVR, Rn. 222. 138 Schack, IZVR, Rn. 222. 139 Linke/Hau, Rn. 173 f.; Schack, IZVR, Rn. 314, 322. 140 Geimer/Schütze/Auer, Internationaler Rechtsverkehr, Art. 8 Brüssel I-VO Rn. 26; Geimer/Schütze/Geimer Art. 8 Brüssel I-VO Rn. 4; Hub, S. 227.
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lich tätige Partei eines derart weitgehenden Schutzes bedarf. Von einem Klägergerichtsstand geht zum einen eine beträchtliche prozessrechtliche Schutzwirkung aus. Der schwächeren Partei wird ermöglicht, etwaige Ansprüche an ihrem eigenen Wohnsitz mit minimalem Aufwand durchzusetzen, denn sie ist mit Gerichtssystem, Sprache und anwendbarem Prozessrecht vertraut bzw. kann ohne größere Zugangshürden auf Rechtsberatung zurückgreifen. Die Auswirkung eines solchen Klägergerichtsstands auf den Entschluss der strukturell unterlegenen Partei, Klage zu erheben, ist nicht zu unterschätzen. Das Auffinden kompetenten ausländischen Rechtsrats und der anschließende Prozess an einem ausländischen Forum sind mit beträchtlichen Kosten verbunden. Der Abschreckungseffekt ist insbesondere dann erheblich, wenn das materielle Ergebnis sich wie wohl häufig nicht mit letzter Sicherheit vorhersehen lässt. Es steht zu befürchten, dass ein unterlegener Unternehmer im Zweifel eher von einer Klage absehen wird, als dieses Risiko einzugehen. Zum anderen bewirkt ein Schutzgerichtsstand die Absicherung der kollisionsrechtlichen – und aufgrund des oben vertretenen Günstigkeitsprinzips auch die materiellrechtlichen – Wertungen des Forums. Für die Auswirkungen auf das anwendbare Recht gilt es zwischen strukturell überlegenen Vertragspartnern mit Sitz innerhalb und solchen mit Sitz außerhalb der Union zu differenzieren. Hat auch der Vertragspartner seinen Sitz in einem Mitgliedstaat, an welchem er mangels Klägergerichtsstands zu verklagen ist, so kommt die Rom I-Verordnung zur Anwendung. Nach dem oben entwickelten Modell kann sich der Kläger sodann auf die Anwendung der Schutzvorschriften seines gewöhnlichen Aufenthaltes verlassen. Der Verzicht auf einen Klägergerichtsstand belastet ihn in diesem Fall zwar bezüglich möglicher Prozesskosten, das erwartbare materiellrechtliche Ergebnis ist hingegen dasselbe wie an den Gerichten seines Wohnsitzes. Anders stellt es sich aus der Perspektive der schwächeren Partei gegenüber einem in einem Drittstaat ansässigen Vertragspartner dar. Beabsichtigt etwa ein Handelsvertreter, den ihm vom Europarecht gewährten Ausgleichsanspruch gerichtlich gegenüber einem US-amerikanischen Vertragspartner durchzusetzen und ist mangels Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts hierzu auf das amerikanische Forum angewiesen, so besteht die Gefahr, dass dieses trotz der Möglichkeit der Berücksichtigung ausländischer fundamental policy nach §§ 187, 188 Restatement (Second) eine etwaige Rechtswahl zugunsten einer amerikanischen Rechtsordnung respektiert und europäisches Handelsvertreterrecht nicht anwendet. 141 In einem solchen Fall nimmt das Fehlen eines Klägergerichtsstands dem Handelsvertreter – ebenso wie anderen, oben als schutzbe141
Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), KOM(2010) 748, S. 3 f.; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 6.
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dürftig identifizierten Unternehmern – faktisch die Möglichkeit, eigene Ansprüche durchzusetzen. Möglich wäre dies erst als Verteidigungsmittel in einem gegen ihn angestrengten Prozess in seinem Wohnsitzstaat. Freilich wird es häufig die wirtschaftliche schwächere Partei sein, die darauf angewiesen ist, ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen, sodass die einredeweise Geltendmachung eigener Rechte häufig nicht in Betracht kommen wird. Für den strukturell überlegenen Vertragspartner stellt die Schaffung eines Klägergerichtsstands eine beträchtliche Belastung dar, selbst wenn es sich bei diesem um einen Großkonzern handelt. 142 Jede Markterschließung ist für ihn mit dem Risiko verbunden, vor örtlichen Gerichten verklagt zu werden. Selbst im Fall einiger europäischer Staaten mag das Vertrauen in das lokale Rechtssystem nicht groß genug sein, um in einen Markt einzutreten. Ein weltweit operierender Konzern wird gezwungen, ohne Vorbereitung in sämtlichen Staaten seiner geschäftlichen Tätigkeit verteidigungsbereit zu sein. Dies erfordert die Aufrechterhaltung eines internationalen Netzwerkes an verfügbaren Rechtsanwälten und ist selbstredend mit erheblichen Kosten verbunden. Im Ergebnis ist eine Abwägung des erforderlichen Schutzes der strukturell unterlegenen Partei auf der einen Seite sowie der Belastung des Vertragspartners sowie der Erhöhung der Kosten der Vertragsdurchführung auf der anderen Seite vorzunehmen. Für die Bewertung der Verhältnismäßigkeit dieser Kosten ist zwischen innereuropäischen Sachverhalten und solchen mit Drittstaatenberührung zu unterscheiden. 1. Binnenmarktsachverhalte Im Fall reiner Binnenmarktsachverhalte sind die Kosten, die ein Klägergerichtsstand für die andere Vertragspartei verursacht, nicht gerechtfertigt. Die Interessenabwägung führt an dieser Stelle zu einem anderen Ergebnis als im Fall der Beschränkung der kollisionsrechtlichen, wie auch internationalprozessrechtlichen Parteiautonomie.143 Diese Untersuchung hat verdeutlicht, dass die Gewährung von Parteiautonomie die Gefahr der Ausnutzung der eingeräumten Gestaltungsfreiheit durch eine wirtschaftlich stärkere Partei birgt. Durch überlegenes Wissen und überlegene Verhandlungsmacht wird diese in die Lage versetzt, Parteiautonomie einseitig zu ihren Gunsten auszunutzen und das mit dieser verbundene Ziel der internationalzivilverfahrensrechtlichen Gerechtigkeit zu konterkarieren. Einer solchen Übervorteilung der schwächeren Partei ist durch die hier vertretene Beschränkung der Parteiautonomie Einhalt zu gebieten. Der Klägergerichtsstand hingegen stellt eine Begünstigung der schwächeren Partei dar, die über eine Beibehaltung des Status quo hinausgeht, der ohne die unterstellte missbräuchliche Ausnutzung 142 143
Hub, S. 226. Hub, S. 226.
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der Gestaltungsfreiheit einer Partei bestehen würde. Der schwächere Vertragspartner wird hier nicht vor einer Benachteiligung durch die faktische Überlegenheit des Gegenübers geschützt, sondern ihm wird ein Vorteil gewährt, indem zu seinen Gunsten vom Grundprinzip des Internationalen Zuständigkeitsrechts, actor sequitur forum rei, abgewichen wird. Dies wäre nur dann gerechtfertigt, wenn es der schwächeren Partei nicht zumutbar wäre, zur Durchsetzung eines eigenen Anspruchs vor ein fremdes Forum zu ziehen. Ob dies für Verbraucher und Arbeitnehmer gilt, braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden, 144 jedenfalls kommerziell tätigen Parteien ist es zumutbar eine Klage gegen den Vertragspartner an dessen Sitz oder an einem sonstigen Forum in der Union zu erheben. Dieses Risiko ist bei Vertragsschluss absehbar und unabhängig von der schwächeren Verhandlungsmacht und dem Informationsdefizit der unterlegenen Partei. Die unterlegene Partei schließlich kann anders als im Falle der Beklagtenrolle abwägen, ob sie bereit ist, das Risiko der Klage einzugehen. Der internationalprivatrechtliche und daraus folgende materiellrechtliche Schutz wird vom Fehlen eines Klägergerichtsstands überdies nicht tangiert, da am zuständigen Forum dasselbe Recht zur Anwendung gelangt. Der Klägergerichtsstand ist folglich auch zur zuständigkeitsrechtlichen Absicherung der genannten Wertungen nicht erforderlich, sondern stellt eine genuin internationalzivilverfahrensrechtliche Privilegierung der schwächeren Partei dar, welche die mit einem Klägergerichtsstand einhergehende Belastung des Gegenübers nicht zu rechtfertigen vermag. 2. Sachverhalte mit Drittstaatenbezug Anders verhält es sich in Drittstaatensachverhalten. In solchen kann das Fehlen eines Klägergerichtsstands nicht bloß zu prozessualen Unannehmlichkeiten für die schwächere Partei führen, die ihre Rechtfertigung im Grundsatz actor sequitur forum rei finden, sondern weitreichende Folgen auf das anwendbare Recht haben. Der vom nationalen Recht wie vom Unionsrecht bezweckte materielle Schutz der schwächeren Partei droht dann aufgrund der Unzulänglichkeiten des Prozessrechts leer zu laufen, wenn es für den strukturell unterlegenen Unternehmer unmöglich ist, ein europäisches Gericht anzurufen, vor welchem er seine Ansprüche durchsetzen kann. Für die Schaffung eines Klägergerichtsstands spricht in diesem Falle, dass dieser nicht allein die schwächere Partei vor den Kosten eines ausländischen Prozesses bewahrt, sondern dass nur dieser eine Absicherung der materiell- wie internationalprivatrechtlichen Wertungen des Unionsrechts garantiert. Auf diese Weise sichert ein Klägergerichtsstand, dass die Ausnutzung der Parteiautonomie auf Ebene des internationalen Privatrechts durch eine überlegene Partei nicht zur 144
Zum Verbraucherschutzrecht: Sachse, Der Verbrauchervertrag, S. 45 f.
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Benachteiligung der schwächeren Partei führt. Die mit der Schaffung eines Klägergerichtsstands einhergehende Belastung für die überlegene Partei bleibt zwar unvermindert hoch, sie findet ihre Rechtfertigung jedoch in der oben als erforderlich herausgearbeiteten Beschränkung der internationalprivatrechtlichen Parteiautonomie. Dieses Ergebnis ist freilich insofern einzuschränken, als die Kosten eines Klägergerichtsstands nur insoweit gerechtfertigt sind, als dass dieser zur Absicherung der Ansprüche der schwächeren Partei erforderlich ist. Ist am ausländischen Forum im Ergebnis eine materiellrechtlich vergleichbare Berücksichtigung der zwingenden Schutzbestimmungen des gewöhnlichen Aufenthalts der schwächeren Partei gewährleistet, so bedarf es keines Klägergerichtstandes. Der schwächeren Partei sind die Kosten eines Auslandsprozesses zuzumuten. Diese Lösung macht eine Prognose des am drittstaatlichen Forum erwartbaren materiellrechtlichen Ergebnisses erforderlich. Es stellen sich dieselben Probleme, die bereits im Rahmen des deutschen Internationalen Zivilprozessrechts erörtert worden sind. Letztlich ist die Unsicherheit einer Prognose jedoch in Kauf zu nehmen, da der kollisionsrechtliche Schutz andernfalls seine Wirkung zu verlieren droht.145 Ein vom erwartbaren Ergebnis unabhängiger Klägergerichtsstand würde zwar die Rechtssicherheit erhöhen, zugleich jedoch einen größeren Eingriff in die Parteiautonomie bedeuten, dem es in einigen Fällen an einer Rechtfertigung fehlen würde. Diese Lösung kann zu dem Ergebnis führen, dass es aus Sicht der unterlegenen Partei mit geringerem Aufwand verbunden ist, einen drittstaatlichen Vertragspartner zu verklagen, als einen solchen, der im Binnenmarkt ansässig ist. Dies mutet nur auf den ersten Blick paradox an. Es ist vielmehr Resultat des allein auf die Absicherung eines kollisionsrechtlichen Ergebnisses begrenzten Schutzes und rechtfertigt sich aus dem Vertrauen, denselben Rechtsschutz vor den Gerichten anderer Mitgliedstaaten zu erhalten. Es ist freilich daran zu erinnern, dass die Brüssel Ia-Verordnung de lege lata die Zuständigkeit von Klagen gegen in Drittstaaten ansässige Beklagte lediglich teilweise erfasst.146 Der durch Art. 11 Abs. 2 dergestalt modifizierte Vorbehalt des Art. 6 Brüssel Ia-VO, nach welchem zur Anwendbarkeit der Verordnung zumindest eine Niederlassung des beklagten Versicherers in der Union zu fordern ist, überantwortet den Schutz der schwächeren Partei im Falle des Fehlens von Sitz oder Niederlassung innerhalb der Union dem autonomen Prozessrecht.147 Zur Schließung dieser prozessualen Lücke greift das autonome Prozessrecht einschließlich exorbitanter Zuständigkeiten wie § 215 145
Siehe dazu bereits oben § 2A.VI.3. Fricke, VersR 1997, 399; Linke/Hau, Rn. 141. 147 Heinig, S. 228 ff.; Hub, S. 36 f.; Geimer/Schütze/Geimer Art. 18 Brüssel I-VO Rn. 5; Kropholler/von Hein Art. 15 Brüssel I-VO Rn. 28; Rauscher/Staudinger, Art. 8 Brüssel I-VO Rn. 7. 146
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VVG ein.148 Mit der Revision der Brüssel I-Verordnung wird diese Zweiteilung für Verbraucher und Arbeitnehmer aufgehoben.149 Diese Entwicklung ist grundsätzlich zu begrüßen, stellt sie doch die Einheitlichkeit des Rechtsschutzes gegenüber drittstaatlichen Beklagten in der Union sicher. 150 Es entsteht zum einen ein unionsweites Mindestmaß an Rechtsschutz gegenüber Drittstaatlern.151 Sie stellt zugleich sicher, dass in einem Mitgliedstaat ansässige Beklagte nicht insofern schlechter gegenüber Drittstaatlern gestellt werden, als gegen sie leichter nachteilige gerichtliche Zuständigkeiten begründet werden können. 152 Da die Brüssel Ia-VO eine Reihe besonderer Gerichtsstände kennt, die parallel zum allgemeinen eröffnet sind, könnte dieser Fall etwa eintreten, wenn ein nationales Prozessrecht nur wenige besondere oder exorbitante Gerichtsstände kennt. 153 Ziel der Erfassung von Drittstaatensachverhalten ist zudem die unionsweite Absicherung der materiellrechtlichen Schutzbestimmungen des Unionsrechts gegenüber außerhalb der Union ansässigen Parteien.154 Auch insofern stimmt die nunmehr in der Brüssel IaVerordnung vorgesehene Ausdehnung auf Drittstaatensachverhalte mit dem hier vertretenen Ansatz überein. Er ermöglicht eine europaweit einheitliche zivilprozessuale Absicherung der zwingenden materiellen Schutzvorschriften am gewöhnlichen Aufenthalt der schwächeren Partei und ist daher konsequent auszudehnen.155 3. Zwischenergebnis Im Grundsatz sind für Klagen des strukturell unterlegenen Unternehmers gegen seinen Vertragspartner die nach allgemeinen Regeln bestimmten Gerichte zuständig. In Betracht kommen der allgemeine Gerichtsstand des Art. 4 Brüssel Ia-VO, die besonderen Gerichtsstände der Art. 7 und 8 Brüssel Ia-VO sowie grundsätzlich auch ein parteiautonom bestimmtes Gericht nach Art. 25 Brüssel Ia-VO. Dieses Ergebnis ist in Drittstaatensachverhalten zugunsten einer exorbitanten Zuständigkeit dann einzuschränken, wenn nur auf diese Weise die Durchsetzung der zwingenden Schutzbestimmungen des materiellen Rechts, die auch einer Rechtswahl nicht zugänglich sind, sichergestellt werden kann. Als Vorbild für eine Regelung lässt sich der letztlich nicht umgesetzte Art. 26 Brüssel I-Reformentwurf heranziehen, der eine Notzu148
Siehe dazu bereits oben § 2A.II. Art. 18 Abs. 1, 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. 150 KOM(2010) 748, S. 3, 7; zustimmend: Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 7. 151 KOM(2010) 748, S. 3, 7; zustimmend: Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 7. 152 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 7. 153 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 7 f. 154 KOM(2010) 748, S. 3. 155 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 8. 149
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ständigkeit für Klagen gegen Drittstaatler begründet, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf ein faires Verfahren oder das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein Verfahren in einem Drittstaat für die klagende Partei nicht zumutbar ist oder ein im Drittstaat in der Sache ergangenes Urteil im Mitgliedstaat der klagenden Partei nicht vollstreckbar wäre, obwohl eine Vollstreckung für die Durchsetzung der Rechte des Klägers notwendig wäre. Zudem ist erforderlich, dass die Streitigkeit einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts aufweist. 156 Es ist wohl nicht zuletzt diese Vorschrift, die die Kommission zum Schutz des Handelsvertreters im Blick hatte.157 Art. 26 Brüssel I-Reformentwurf gewährt einen Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers insoweit, als dieser mit einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines drittstaatlichen Gerichts konfrontiert wird, das ihm aufgrund der am forum prorogatum bestehenden Gegebenheiten, effektiven Rechtsschutz entzieht. Dieser Schutz ist um die Möglichkeit der Durchsetzung zwingenden materiellen Sonderprivatrechts zu ergänzen. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Schaffung eines neuen Klägergerichtsstands ein gehobenes Maß an Protektionismus zugunsten von Unionsbürgern bedeutet und die sich allgemein gegen exorbitante Gerichtsstände 158 richtenden Einwände auch hier anbringen lassen. 159 Darüber hinaus sind Zweifel daran berechtigt, ob eine an einem exorbitanten europäischen Gerichtsstand ergangene Entscheidung am Sitz des drittstaatlichen Vertragspartners vollstreckbar wäre. 160 Zum einen stellen exorbitante Gerichtsstände jedoch keineswegs eine per se völkerrechtswidrige Zuständigkeitsanmaßung dar. 161 Zum anderen findet die Notzuständigkeit zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers ihre Rechtfertigung in der andernfalls für ihn fehlenden Erlangung effektiven Rechtsschutzes. 162 Vollstreckbar wäre ein an einem Klägergerichtsstand ergangenes Urteil zumindest in der Union. Beabsichtigt der verurteilte Vertragspartner auch weiterhin in der Union geschäftlich tätig zu werden, so liegt es aus sei156 KOM(2010) 748, S. 26; vgl. auch Art. 23bis des Proposed Amendment of Regulation 44/2001 in Order to Apply it to External Situations der European Group for Private International Law, abgedruckt in IPRax 2009, 283. 157 KOM(2010) 748, S. 3 f. 158 Zum Begriff: Schack, IZVR, Rn. 225. 159 Im Überblick: Linke/Hau, Rn. 127; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 641 f. erkennt grundsätzlich ein Recht des Beklagten auf Freiheit von exorbitanter Justiz; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 12.04.1983, BVerfGE 64, 1, 20. 160 Linke/Hau, Rn. 127; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 9; Schack, IZVR Rn. 367. 161 Linke/Hau, Rn. 127; Schack, IZVR Rn. 225; vgl. BVerfG, Urteil vom 12.04.1983, BVerfGE 64, 1, 20; zu § 23 ZPO: von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 45. 162 Trotz erheblicher Kritik an exorbitanten Gerichtsständen akeptiert Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 586 f. eine vergleichbare Argumentation etwa zur Begründung eines Klägergerichtstands für Verbraucher.
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ner Sicht nahe, sich einer Verurteilung zu beugen; eine Vollstreckung wäre andernfalls in im Binnenmarkt belegene Forderungen oder dorthin gelieferte Waren möglich. Die weltwirtschaftliche Bedeutung des europäischen Marktes dürfte den Makel der Nichtanerkennung eines am exorbitanten Gerichtsstand ergangenen Urteils im Ausland ausgleichen. IV. Besonderheiten für Versicherungssachen Wie schon im Rahmen des anwendbaren Rechts festgestellt, führt die Eingliederung besonderer Versicherungsnehmer in den Schutzbereich einer Zuständigkeitsnorm zugunsten strukturell unterlegener Unternehmer zu einer Aufspaltung des Zuständigkeitsrechts für Versicherungssachen. Versicherungsverträge mit Verbrauchern lassen sich ohne weiteres den verbraucherschützenden Vorschriften zuordnen, kommerziell tätige Versicherungsnehmer, die dem Versicherer nicht strukturell unterlegen sind, bedürfen keines besonderen zivilprozessualen Schutzes. Die besonderen Zuständigkeitsvorschriften für Versicherungssachen, die nicht dem Schutz des Versicherungsnehmers als schwächerer Partei dienen, sondern bloße prozessökonomische Ziele wie einen einheitlichen Prozess gegen Mitversicherer nach Art. 11 lit. c) oder die Ladung des Haftpflichtversicherers vor das Gericht der Hauptsache nach Art. 13 Brüssel Ia-VO verfolgen oder der Sach- und Beweisnähe wie der Prozess am Ort des schädigenden Ereignisses nach Art. 12 Brüssel Ia-VO dienen, können in einem allgemeinen, für sämtliche Versicherungsverträge geltenden Abschnitt beibehalten werden. 163 V. Vollstreckung Eine Absicherung des zuständigkeitsrechtlichen Schutzregimes zugunsten des strukturell unterlegenen Unternehmers hat auch im Vollstreckungsrecht zu erfolgen. Für mitgliedstaatliche Titel bietet sich eine Erweiterung der Vorschrift des Art. 45 Abs. 1 lit. e) Brüssel Ia-VO an, nach welcher eine Verletzung der Zuständigkeitsvorschriften zugunsten von Versicherungsnehmern und Verbrauchern de lege lata zu einem Anerkennungshindernis führt. 164 Da auch die Revision der Brüssel Ia-VO nicht die Anerkennung drittstaatlicher Urteile betrifft,165 wären die autonomen Prozessrechte folglich um eine entsprechende Vorschrift zu ergänzen.
163 Zur Differenzierung zwischen schützenden und neutralen Bestimmungen im Zuständigkeitsrecht für Versicherungssachen: Hub, S. 95 f. 164 Zu Art. 35 Abs. 1 de lege lata: Kropholler/von Hein Art. 35 Brüssel I-VO Rn. 5–10. 165 Hess, IPRax 2011, 125, 127; siehe auch Art. 37 Vorschlag Brüssel I-Revision, KOM(2010) 748, S. 42.
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VI. Schiedsverfahrensrecht Aus der Anerkennung der Schutzwürdigkeit des strukturell unterlegenen Unternehmers folgt die Notwendigkeit auch eine Einschränkung der Schiedsgerichtsbarkeit vorzunehmen. Das entwickelte internationalprivat- und verfahrensrechtliche Regime zugunsten der schwächeren Vertragspartei wäre unvollständig, erlaubte man dem überlegenen Unternehmer diesem durch eine Schiedsvereinbarung zu entkommen. 166 Es bliebe unsicher, ob ein Schiedsgericht, unabhängig von dessen Sitz in einem Mitgliedstaat oder Drittstaat die internationalprivat- sowie zuständigkeitsrechtlichen Schutzvorschriften im Sinne des europäischen Gesetzgebers berücksichtigen würde. Eine Lösung muss freilich die im Grundsatz zu Recht schiedsfreundliche Einstellung des deutschen wie auch europäischen Rechts berücksichtigen. Streitigkeiten mit strukturell unterlegenen Unternehmern bereits die Schiedsfähigkeit abzusprechen, wäre daher zu weitgehend. 167 Vielmehr ist auf die oben zum Internationalen Zivilverfahrensrecht angestellten Erwägungen zurückzugreifen. Danach kommt dem Prozessrecht zuvorderst die Bedeutung zu, den vom Kollisionsrecht angestrebten materiellrechtlichen Schutzstandard zu sichern. Das prozessrechtliche Regime zugunsten der schwächeren Partei ist folglich durch eine Vorschrift zu ergänzen, nach welcher eine Schiedsvereinbarung dann unwirksam ist und die Zuständigkeit des nach der Brüssel Ia-Verordnung zuständigen Gerichts nicht abbedungen ist, wenn die naheliegende Gefahr besteht, dass das Schiedsgericht zum Nachteil des strukturell unterlegenen Unternehmers von den entwickelten kollisionsrechtlichen Schutzvorschriften abweichen wird. Um eine unionsweite Absicherung und Vereinheitlichung des zivilprozessualen Schutzes zu erzielen, wäre es geboten, eine entsprechende Vorschrift in die Brüssel Ia-Verordnung aufzunehmen. Dies berührt freilich die Frage, inwieweit der derzeitige Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit nach Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel Ia-VO zu lockern ist. Ob in diesem Rahmen eine umfassende Integration der Beurteilung der Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen in die Brüssel Ia-Verordnung sinnvoll wäre, ist eine weitergehende Frage, die den Umfang dieser Untersuchung sprengen würde.168
166
Vgl. zur ähnlichen Problematik bei Verbraucherverträgen: Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 319 ff. 167 So für Verbraucherverträge: Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 320. 168 Zum derzeitigen Umfang der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) Brüssel IaVO: Kropholler/von Hein Art. 1 Brüssel I-VO Rn. 41 ff.; Bedenken gegegen eine Aufhebung der Bereichsausnahme und daraus folgende Integration der Wirksamkeitsprüfung von Schiedsvereinbarungen in die Brüssel I-Verordnung hat Radicati di Brozola, IPRax 2010, 121, 124 ff.
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VII. Normvorschlag Ein Normvorschlag zur Ergänzung der Brüssel Ia-Verordnung könnte damit wie folgt lauten: Abschnitt 6: Zuständigkeit für Verträge mit einem strukturell unterlegenen Unternehmer Artikel 23a (1) Ein Unternehmer, der mindestens zwei der unter Buchstabe a) genannten Kriterien unterschreitet, ist einem Unternehmer, der mindestens zwei der unter Buchstabe b) genannten Kriterien überschreitet, strukturell unterlegen, sofern nicht der wirtschaftlich schwächere Unternehmer eine marktbeherrschende Stellung einnimmt a) Bilanzsumme: 4,84 Millionen Euro; Nettoumsatz: 9,68 Millionen Euro; durchschnittliche Beschäftigtenzahl im Verlauf des Wirtschaftsjahres: 50 b) Bilanzsumme: 19,25 Millionen Euro; Nettoumsatz: 38,5 Millionen Euro; durchschnittliche Beschäftigtenzahl im Verlauf des Wirtschaftsjahres: 250 (2) Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, der von zwei Unternehmern geschlossen wurde, von denen der eine dem anderen strukturell unterlegen ist, den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 5 Nummer 5 nach diesem Abschnitt. Artikel 23b (1) Die Klage des Vertragspartners gegen den strukturell unterlegenen Unternehmer kann nur vor den Gerichten des Staates erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet die strukturell unterlegene Partei ihren Wohnsitz hat. (2) Die Vorschriften dieses Artikels lassen das Recht unberührt, eine Widerklage vor dem Gericht zu erheben, bei dem die Klage selbst gemäß den Bestimmungen dieses Abschnitts anhängig ist. Artikel 23c Ergibt sich aus der Verordnung keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts, so kann die Streitigkeit in Ausnahmefällen vor den Gerichten des Mitgliedstaates verhandelt werden, in dem die im Sinne des Artikel 21a strukturell unterlegene Partei ihren Wohnsitz hat, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dies ist in der Regel der Fall, wenn zu befürchten ist, dass ein Verfahren in einem Drittstaat dazu führen würde, dass der strukturell unterlegenen Partei der Schutz entzogen würde, der ihr durch diejenigen Bestimmungen des an seinem gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Rechts gewährt wird, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf und die Streitigkeit einen hinreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts aufweist.
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Artikel 23d Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden: 1. Wenn die Vereinbarung nach Entstehung der Streitigkeit getroffen wird oder 2. Wenn sie der strukturell unterlegenen Partei die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen.
Kapitel 7
Zusammenfassung und Ausblick Die Untersuchung hat gezeigt, dass ein Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht erforderlich ist, de lege lata indes kein taugliches Regime besteht, um einen solchen Schutz zu gewährleisten. Im materiellen Recht der überblicksartig dargestellten Staaten besteht ein Schutz verschiedener als strukturell unterlegen eingestufter Unternehmer in unterschiedlicher Intensität. Ein solcher Schutz ist rechtspolitisch offensichtlich gewollt. Dieser Befund ist sozial- und wirtschaftspolitisch gerechtfertigt. Gemäß Art. 9 AEUV trägt die Union in der Ausgestaltung ihrer Maßnahmen einem angemessenen sozialen Schutz Rechnung. Strukturelle Ungleichgewichte bergen zudem die Gefahr der Entstehung ineffizienter Vertragsverhältnisse mit gesamtwirtschaftlich nachteiligen Folgen. Eine Transposition dieses Schutzgedankens in das Internationale Privatund Verfahrensrecht ist geboten. Die Gewährung unbeschränkter Parteiautonomie wird diesem nicht gerecht. Es droht eine Umgehung des materiellen Schutzniveaus mittels von einer Partei einseitig durchgesetzter Rechtswahlund Gerichtsstandsvereinbarungen. Im europäischen Kollisionsrecht finden sich zur Lösung dieses Problems verschiedene Ansätze, die freilich von unterschiedlicher Wirksamkeit sind. Während die Rechtswahlbeschränkung für Personentransportverträge untauglich ist und der Schutz von Franchisenehmern und Vertriebshändlern einer Umgehung mittels Rechtswahl zugänglich ist, bietet das Internationale Versicherungsvertragsrecht einen recht überzeugenden Ansatz. Dass ein Bedarf nach sachlicher Ausdehnung über einzelne Vertragstypen hinaus besteht, macht der Rückgriff der Rechtsprechung auf Eingriffsnormen deutlich. Diese sind freilich nicht mehr als ein Notbehelf und können das Verlangte nicht leisten. Das US-amerikanische Kollisionsrecht weist zwar einen weiten sachlichen Anwendungsbereich auf, krankt jedoch an erheblicher Rechtsunsicherheit. Auch auf Ebene des Internationalen Verfahrensrechts ist die Fortsetzung des Schutzes der schwächeren Partei erforderlich. Die vom BGH dogmatisch nicht begründete, aus Eingriffsnormen abgeleitete Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen und der Ruf nach einer unionsrechtlichen Missbrauchskontrolle machen deutlich, dass zwar ein Bedarf nach Einschränkung der freien Prorogation existiert, jedoch stehen im deutschen wie im europäi-
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Kapitel 7: Zusammenfassung und Ausblick
schen Recht kaum wirksame Mittel zur Verfügung. Eine Ausnahme bilden wiederum die Gerichtsstände zugunsten des Versicherungsnehmers. In den Vereinigten Staaten gelingt zwar eine weitgehende prozessuale Absicherung materiellrechtlicher Schutzbestimmungen, das liberale US-amerikanische Schiedsverfahrensrecht öffnet jedoch eine Lücke, welche die Umgehung zulasten der schwächeren Partei ermöglicht. Der Bedarf nach einem Schutz des strukturell unterlegenen Unternehmers und das gleichzeitige Fehlen wirksamer Regelungen begründen die Notwendigkeit einer systematischen Neuordnung des internationalprivat- und verfahrensrechtlichen Schutzes auch im internationalen Handel. Einen effizienten Ausgleich zwischen den Erfordernissen des internationalen Handelsverkehrs auf der einen und einem Eingriff zugunsten der schwächeren Partei auf der anderen Seite erlaubt die abstrakte Bestimmung eines Ungleichgewichts zwischen zwei Vertragsparteien anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen. Auf Rechtsfolgenebene schließlich erlaubt der bewährte Günstigkeitsvergleich eine wirksame und zugleich zurückhaltende Einschränkung der freien Rechtswahl. Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit wird wieder hergestellt. Jedenfalls gegenüber Drittstaaten ist das kollisionsrechtliche Ergebnis durch das Internationale Zivilverfahrensrecht abzusichern. Besteht die Gefahr, dass ein drittstaatliches Gericht oder ein Schiedsgericht die Wertungen des europäischen Kollisionsrechts missachten wird, so muss der strukturell unterlegenen Partei ein Gerichtsstand in der Europäischen Union eröffnet werden. Welche Entwicklung die den Gegenstand dieser Untersuchung bildende Debatte nehmen wird, bleibt offen, Tendenzen sind jedoch erkennbar. Art. 27 Rom I-VO gibt der Kommission auf, insbesondere die Regelungen zum Schutz des Versicherungsnehmers und des Verbrauchers einer besonderen Überprüfung zu unterziehen. 1 Die Kommissionsbegründung zur Reform der Brüssel I-Verordnung sah als einen Anlass der Neuregelung an, dass der Schutz des Handelsvertreters de lege lata nicht hinreichend gewährleistet werde.2 Auch die nunmehr geltende Brüssel Ia-Verordung hat dieses Problem jedoch keiner abschließenden Lösung zugeführt. Es ist somit zu erwarten, dass der Schutz der schwächeren Partei im Allgemeinen und des strukturell unterlegenen Unternehmers im Besonderen auch zukünftig eine zentrale Rolle im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht einnehmen wird.
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Dazu Staudinger/Magnus Art. 27 Rom I-VO Rn. 5. KOM(2010) 748, S. 3 f.
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Materialienverzeichnis Deutschland: Gesetzesbegründungen Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des HGB (Recht der Handelsvertreter), BT-Drucks. 1/3856 vom 15.11.1952 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts, BT-Drucks. 10/504 vom 20.10.1983 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften, BTDrucks.11/6341 vom 1.2.1990 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrens (Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz – SchiedsVfG), BT-Drucks. 13/5274 vom 12.7.1996 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT-Drucks. 16/3945 vom 20.12.2006
EU: Vorschläge der Kommission Vorschlag einer zweiten Richtlinie des Rates zur Koordinierung der die direkte Schadenversicherung betreffenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften und zur Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs im Versicherungswesen vom 22.12.1975, KOM(1975) 516 endgültig, ABl. EWG Nr. C 32 vom 12.2.1976, S. 2 Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.7.1999, KOM(1999) 348 endgültig, ABl. EG Nr. C 376E vom 28.12.1999, S. 1 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endgültig Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.12.2010, KOM(2010) 748 endgültig
EU: Berichte und Stellungnahmen Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum Kommissionsvorschlag, KOM(1975) 516 endg. vom 22.12.1975, ABl. EWG Nr. C 36 vom 13.02.1978, S. 16 Bericht von Herrn P. Jenard über das Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 29. Februar 1968 über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen durch den Gerichtshof und über das Protokoll
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Materialienverzeichnis
vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof, ABl. EWG Nr. C 59 vom 05.03.1979, S. 1 Bericht von Herrn Professor Dr. P. Schlosser zu dem Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof, ABl. EWG Nr. C 59 vom 05.03.1979, S. 71 Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von Herrn Mario Giuliano, Professor an der Universität Mailand, und Herrn Paul Lagarde, Professor an der Universität Paris I, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1. (zitiert: Bericht Giuliano/Lagarde) Bericht der Herren P. Jenard und G. Möller über das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16. September 1988, ABl. EWG Nr. C 189 vom 28.07.1990, S. 57
Sonstiges European Group for Private International Law, Proposed Amendment of Regulation 44/2001 in Order to Apply it to External Situations der European Group for Private International Law, vom 21.9.2008, abgedruckt in IPRax 2009, 283
Sachregister actor sequitur forum rei 57, 64, 217, 218, 219, 368 AGB-Kontrolle 33, 34, 145, 251, 252, 318 Anerkennung 67, 229, 233, 234, 245, 253 Anknüpfung – objektive 134, 163, 193, 202, 345, 383 – subjektive 196, 204, 347 Arbeitnehmerschutz 27, 73 Arbeitsverträge 10, 225, 307, 338, 346 Aufhebungsverfahren 275, 279, 284 Ausgleichsanspruch 22–24, 31, 99, 103–106 Ausweichklausel 151, 152, 164 Automobile Dealer Franchise Act 42 Belegenheitsort 57, 75, 79, 135, 152, 202 Beschäftigtenzahl 221, 364, 377 better law approach 52, 157, 158 Beweisnähe 212, 350, 375 Bilanzsumme 83, 86, 221, 331, 333, 336, 343, 364, 377 Bilanzrichtlinie 331 Binnenmarktklausel 71, 72 Binnenmarktsachverhalt 72, 103, 109, 370 Binnensachverhalt 71, 150, 297 Brüssel Ia-Verordnung 216, 219, 221, 222, 233–235, 366 Charakteristische Leistung 137 Connecticut 185, 277, 279, 308 Deliktsrecht 41, 157–159, 329 Direktversicherungsrichtlinie 218, 221
Diversity Jurisdiction 165, 166, 172, 186, 293, 300 Drittstaatenbezug 109, 223, 241, 371 Durchgriffsanspruch 39, 49, 119–124, 131 Eingriffsnorm 89–95, 100, 121, 198, 213 – ausländische 95, 184 Einredeverfahren 274, 275, 278, 285, 304 Einzelfallgerechtigkeit 65, 67, 204, 210, 211 Entscheidungseinklang 53, 56, 66, 96, 205, 250 Erie-Doktrin 156, 294 Erkenntnisverfahren 365 Erstgericht 229 EuGVÜ 74, 220, 223, 226, 228 EVÜ 75, 100, 120, 136, 139 exterritoriale Anwendung 98 Federal Arbitration Act 304, 312, 320 Formstatut 362, 364 forum prorogatum 233, 327, 374 forum derogatum 233, 296 forum shopping 57, 66, 95, 132, 205, 212 Franchisegeber 6, 12, 23, 31, 42 Franchisenehmer 21, 22, 31, 34–35, 137, 140, 171 Franchising 24, 31, 41– 43, 49, 188, 299 Frankreich 38, 47, 81, 107, 119 freies Aushandeln 353, 354 Fundamental Policy 166, 198 Generalklausel 8, 33, 146, 241, 331
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Sachregister
Gerichtsstand – allgemein 237, 241, 373 – exorbitant 67, 222, 372, 373, 374, 375 Gerichtsstandsklausel 219, 224, 226, 227, 247, 296 Gerichtsstandsvereinbarung 216, 225, 233, 270, 302, 321 Giuliano/Lagarde-Bericht 1, 137, 363 Großrisiko 83, 221 Grundfreiheit 36, 56, 99, 107, 124, 129 Günstigkeitsprinzip 116, 177, 184, 325, 350, 360 Haftpflicht 83, 217, 218, 375 Handelsschranke 107 Handelshemmnis 59 Handelsverkehr 25, 33, 59, 99, 144, 204 Handelsvertreter 21, 26–31, 36, 41, 99, 111 Handelsvertreterrecht 26, 35, 104, 113, 258 Handelsvertreterrichtlinie 28, 36, 49, 97, 109, 143 Handelsvertretervertrag 26, 30, 71, 147, 330, 355 Heimatrecht 74, 80, 117, 140, 202, 352 Heimatstaat 185, 366 Heimwärtsstreben 175 Informationsasymmetrie 14, 74, 352 Ingmar-Entscheidung 71, 92, 100, 109, 118, 129 Interessenabwägung 53, 57, 60, 154, 174, 370 Interessenausgleich – kollisionsrechtlicher 58, 136, 140, 153 – parteiautonomer 59 international zwingendes Recht siehe Eingriffsnorm Internationaler Entscheidungseinklang 66, 67, 141, 148 Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit 51, 204, 380 Internationalverfahrensrechtliche Gerechtigkeit 63 IPRG 228, 348 Italien 38, 141, 296 Jahresabschluss 85
juristische Unerfahrenheit 12, 332, 333 Kaufmann 240, 270 Kalifornien 46, 97, 158, 163, 179, 300 Kartellprivatrecht 309 Klägergerichtsstand 218, 222, 237, 240 Klauselrichtlinie 32, 231, 252, 348, 354 Konzernabschluss 332 Kündigung 17, 27, 31, 44, 46, 178 lex causae 95, 225, 249, 253, 260, 274, 295 lex fori 52, 157, 171, 190, 202, 318 Liechtenstein 6, 19, 251, 277 Louisiana 159, 348 marktbeherrschende Stellung 335, 336, 341, 364, 377 Marktmacht 13, 34, 103, 122, 331, 343 Maryland 171–174 Massenrisiko 77, 88 Materialisierung 54, 63–66, 68, 149, 154 Minnesota 186–190 Missbrauchskontrolle 225–234, 245, 260, 293, 317 M/S-Bremen-Entscheidung 297, 299, 302, 316 Nebraska 186, 188, 191 Nettoumsatz 83, 86, 336, 337, 364, 377 New Jersey 185, 195, 300, 315 New York 159, 162, 171, 181 Niederlassung 79, 98, 153, 161, 219, 372 ökonomische Analyse 68, 148, 212, 341, 355 offensichtlich engere Verbindung 135, 210 Ohio 185, 259 Ordnungsinteressen 53 Oregon 159, 180, 348 ordre public 54, 233, 235, 245, 253 ordre public-Kontrolle 234, 245, 235, 262, 273, 326 Parteiautonomie 56, 70, 90, 102, 108, 201, 289 präventive Kontrolle 285
Sachregister Privatautonomie 17, 20, 24, 32, 40, 61 Prozessrisiko 53, 211, 298, 323, 327 public policy 167, 172, 177, 297, 299, 308 Puerto Rico 170, 194–195, 302, 309 Rechtsökonomie 68, 148, 212, 341, 355 Rechtssicherheit 53, 133, 203, 226, 270, 296 Rechtswahl 60, 71, 99, 161, 235, 305, 308 Rechtswahlbeschränkung 73, 74, 82, 189, 201, 259 Regelanknüpfung 148, 211 Restatement of the Law (Second) Conflict of Laws 160 Richtlinienkollisionsrecht 75, 109, 111, 133 Rom I-Verordnung 70, 91, 177, 196, 213 253, 257 Schadensersatzmodell 36, 107 Schiedsfähigkeit 286, 306, 309 Schiedsvereinbarung 267, 274–283, 285, 303 Schiedsverfahren 266, 285, 306, 317, 320 Schiedsverfahrensrecht 254, 255, 273, 286, 304, 322 Schutzgerichtsstand 237, 369 Schutzintensität 204, 206, 321 schwächere Partei 11, 13, 135, 266, 342 Sonderkollisionsnorm 5, 76, 91, 133, 160, 193 Sonderprivatrecht 43, 89, 91, 92, 122, 131 strukturelle Unterlegenheit 4, 8, 10–17, 25, 337 subsidiäre Anknüpfung 276 Subunternehmer 38–40, 119, 233, 330, 350
403
Subunternehmergesetz 23, 38, 40, 95, 119, 121 Subway-Fall 6, 19, 277, 308 Supremacy Clause 40, 306, 314 Texas 173, 176, 177, 313 Transaktionskosten 16, 61, 340, 343, 356, 368 Transportverträge 73, 160, 361 Überlegenheit 7, 18, 247, 278 Unerfahrenheit 7, 12, 14, 81, 33–333 Uniform Commercial Code 156 Unternehmer 10, 20, 35, 51, 63, 69 US Supreme Court 156, 162, 294, 296– 298 Verbraucher 7, 15, 73, 144, 197, 216 Versicherungsnehmer 32, 41, 104, 136, 153, 216, Versicherungsrecht 32, 169, 193, 207, 220, 237 Vertragshändler 29–31, 37, 61, 112, 139, 179 Vertragshändlervertrag 2, 29, 30, 37, 147, 396 Vertragsstatut 89, 134, 146, 154, 160, 183 Vertriebshändlervertrag 29, 139, 309 Vollstreckung 215, 233, 248, 265, 282, 304 vorvertragliche Ansprüche 345 Wahlgerichtsstand 217 Washington 46, 170, 177–180, 298 Wettbewerbsverbot 28, 35, 104, 105, 169, 259 wirtschaftliche Stärke 11, 16, 83, 332, 333 Wirtschaftsjahr 83, 331, 337, 340 Wohnsitz 217, 223, 236, 298, 368