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German Pages [236] Year 1983
ZERREISSPROBEN AUTOMATION IM ARBEITERLEBEN
Das Argument-Konzept Das Verlagsprogramm soll der Entwicklung der theoretischen Kultur der Linken dienen. Wissenschaftliche Zuarbeit zu den sozialen Bewegungen: den Kräften der Arbeit, der Wissenschaft und der Kultur, der Frauenbefreiung, der Naturbewahrung und der Friedensbewegung. Zuarbeit zu einem sozialistischen Projekt, das diese Bewegungen aneinanderlagert. Die wissenschaftliche Taschenbuchreihe Argument-Sonderbände stellt im Rahmen dieses allgemeinen Projekts einen Verbund spezieller Projekte dar. Die einzelnen Serien innerhalb der Reihe sind Medien der Forschung und Kommunikation spezifischer Praxisbereiche:
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Gewerkschaftsfragen/Arbeitergeschichtsschreibung Frauen-Forschung Kultur-von-unten/Eisler/Brecht Literatur im historischen Prozeß Gulliver/Deutsch-Englische Jahrbücher Ideologie-Theorie Kritische Psychologie Kritische Medizin Automation und Qualifikation Alternative Wirtschaftspolitik Alternative Umweltpolitik Theorie der Politik und der Parteien Internationale Sozialismus-Diskussion.
Wie bei einem Buchklub kann man AS-Bände auch billiger beziehen, wenn man sich auf eine jährliche Mindestbestellung festlegt. Das Auswahl-Abo verpflichtet zur Abnahme von drei Bänden nach Wahl aus der Jahresproduktion. Man kann sich auch auf ein Spezial-Abo einer der mit Sternchen bezeichneten Serien beschränken. Schließlich gibt es das besonders preisgünstige AS-Gesamt-Abo. Jede dieser Abo-Arten berechtigt zum Bezug weiterer AS-Bände — auch aus früheren Jahrgängen — zum Abo-Preis. Die einzelnen Projekte der Argument-Sonderbände werden verbunden über die Zeitschrift Das Argument. Sie dient der Entwicklung des allgemeinen Wissens- und Diskussionszusammenhangs. Die Zeitschrift ist ein Forum — in dem verbindende politische und methodische Diskussionen ausgetragen werden; — in dem Exposes und Forschungsergebnisse aus den Spezialgebieten einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden; — in dem Literaturübersichten und ein beispielloser Rezensionsteil helfen, Überblick zu gewinnen; — in dem allgemeintheoretische Entwicklungen auch aus anderen Ländern kritisch und kollektiv ( = diskutierend) angeeignet werden, damit permanente Erneuerung marxistischer Theorie stattfinden kann. Zur Kontinuität der theoretischen Kultur der Linken trägt die Reihe ArgumentStudienhefte bei. Hier werden Grundlagen- und Einführungstexte für Arbeitsgruppen verfügbar gehalten.
ARGUMENT-VERLAG BERLIN
ARGUMENT-SONDERBÄNDE (AS) Die Taschenbuch-Reihe im ARGUMENT-Verlag AS 66 AS 67 AS 68 AS 70 AS 71 AS 72 AS 73 AS 74 AS 75 AS 76 AS 77 AS 78 AS 79 AS 80 AS 81 AS 82 AS 83 AS 84 AS 85 AS 86 AS 87 AS 88 AS 89 AS 90 AS 91 AS 92 AS 93 AS 94 AS 95
Handlungstheorie — Fortsetzung; Forum Kritische Psychologie 8 Projekt Automation und Qualifikation VI: Automationsarbeit, Empirie 3 Die Inflationsbekämpfung; Alternative Wirtschaftspolitik 3 Projekt Ideologie-Theorie: Bereichstheorien Frauenstudien; Gulliver 10 Handlungstheorie, Anthropologie; Forum Kritische Psychologie 9 Organisierung zur Gesundheit; Jahrbuch für kritische Medizin 7 Deutsche Arbeiterbewegung vor dem Faschismus Die 'Ästhetik des Widerstands' lesen. Über Peter Weiss; LHP 1* Faschismuskritik und Deutschlandbild im Exilroman; LHP 2* Alternative Medizin Neue soziale Bewegungen und Marxismus; Internat. Sozialismus-Diskussion 2 Projekt Automation und Qualifikation VII: Empirie 4** Projekt Ideologie-Theorie: Faschismus und Ideologie 3** Literaturdidaktik; Gulliver 11 Psychologische Theoriebildung; Forum Kritische Psychologie 10 Nachkriegsliteratur in Westdeutschland 1945-49, LHP 3* Rethinking Ideology (engl.); Internat. Sozialismus-Diskussion 3 Westeuropäische Gewerkschaften, hrsg. v. Detlev Albers Pflege und Medizin im Streit; Jahrbuch für kritische Medizin 8 Georg Forster in seiner Epoche; LHP 4* Arbeiterkultur; Gulliver 12 Staatsgrenzen; Alternative Wirtschaftspolitik 4 Frauenformen 2. Die Sexualisierung der Körper** Marxismus und Theorie der Parteien. Projekt Parteien-Theorie** Literatur des 20. Jahrhunderts: Entwürfe von Frauen; LHP 5* Kontroversen über Ideologie und Erziehung; Forum Kritische Psychologie 11 Arbeiteralltag in Stadt und Land, hrsg. v. Heiko Haumann Neue Technik und Sozialismus; Internationale Sozialismus-Diskussion 4
Programm 1983 AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS
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Die verborgene Frau, von Inge Stephan und Sigrid Weigel, LHP 6* Landeskunde und Didaktik; Gulliver 13 Das Subjekt des Diskurses, hrsg. v. M. Geier/H. Woetzel Entwicklungstheorie; Forum Kritische Psychologie 12 Aktualisierung Marx', hrsg. v. Argument, Prokla, spw Erfahrung und Ideologie in der Massenliteratur; LHP 7* Ambulante Gesundheitsarbeit Kultur zwischen Bürgertum und Volk, hrsg. v. Jutta Held Alternativen der Ökonomie — Ökonomie der Alternativen 1984; Gulliver 14 Reden und Schreiben über Praxis; Forum Kritische Psychologie 13 Arbeit und Gesundheit; Jahrbuch für kritische Medizin 9 Literatur der siebziger Jahre, hrsg. v. G. Mattenklott/G. Pickerodt; LHP 8* Rethinking Marx (engl.); Internat. Sozialismus-Diskussion 5 Frauenbewegung und Arbeiterbewegung Materialien zur Ideologieforschung
* LHP = Literatur im historischen Prozeß, Neue Folge, hrsg. v. Karl-Heinz Götze, Jost Hermand, Gert Mattenklott, Klaus R. Scherpe, Jürgen Schutte und Lutz Winckler ** Diese Bände erscheinen Frühjahr 1983
Preise: 16,80 DM/13,80 DM f.Stud. pro Band (zzgl. Versandkosten) AS-Auswahlabo: mind. 3 Bände aus der Jahresproduktion. Preis pro Band 13,80 DMI Stud. 11,80 DM (zzgl. Versandkosten). Gesondert abonniert werden können: Literatur im historischen Prozeß (LHP) mit 3 Bänden pro Jahr, Kritische Medizin, Forum Kritische Psychologie und Gulliver mit je 2 Bänden pro Jahr. Abonnenten dieser Fachreihen erhalten alle anderen AS-Bände auf Wunsch zum Abo-Preis. Das Argument-Beiheft '79, '80, '81 und '82: jeweils ca. 100 Besprechungen der wichtigsten wissenschaftlichen Neuerscheinungen. Je 192 S., 16,80 DM, f. Stud. 13,80 DM. Abonnenten der Zeitschrift bzw. der AS: 13,80/bzw. 11,80 DM (zzgl. Versandkosten). Argument-Vertrieb, Tegeler Str. 6, 1000 Berlin 65, Tel.: 030/4619061
Programmierer über ihre Arbeit: Inge: »Das ist doch genau der Zwiespalt, daß du etwas willst und es nicht willst. Du willst ja, daß die Arbeit mehr für dein Leben bedeutet und dann hast du auch das Ziel, sie aus deinem Leben herauszuhalten.« Wolf: »Es muß ne richtige Übergabe gemacht werden, und je mehr einer dem anderen sagt, desto leichter ist es ja für den anderen. Aber eben, wenn — weil ja auch Einschränkungen sind, wo die Arbeiter — sollten ja eins sein, sind ja doch nicht immer so auf eins, ne.« Otto: »Und trotzdem sind die Dinger eine unheimliche Versuchung. Sie sind perfekt. Sie sind absolut. Sie sind vollständig.« Inge: »Ich glaube, das ist ein Machtkampf mit der Maschine, ob man da besser ist.« Otto: »Die Maschine ist absolut gnadenlos, emotionslos, und wenn das funktioniert, was man da gemacht hat, und das Programm gelaufen ist, dann ist das die objektivste Instanz, die man überhaupt haben kann. Es gibt nichts darüber. Es gibt niemand, der so kompetent sein kann wie die Maschine.«
ISBN 3-88619-079-X
Argument-Verlag
Projektgruppe Automation und Qualifikation Zerreißproben Automation im Arbeiterleben Empirische Untersuchungen, Teil 4
Argument-Sonderband AS 79
Die PROJEKTGRUPPE AUTOMATION UND QUALIFIKATION untersucht Entwicklungstendenzen der Automationsarbeit im Kapitalismus. Sie hält die Beschwörung des Elends für wenig erfolgversprechend bei der Beseitigung des Elends. Sie begreift die Automation als widersprüchlich: ein Vergesellschaftungsschub in raffinierten Fesseln des Privatbesitzes. Sie interessiert sich für die Taten der Automationsarbeiter. Sie fragt danach, wie die Arbeitenden eingeordnet werden in die private Organisation der Produktion, wie sie sich, arbeitend, befreien und zugleich sich selbst fesseln. Sie rekonstruiert das Politische in der alltäglichen Arbeit. Sie möchte herausfinden, welche Möglichkeiten die Automation den Arbeitenden bietet bei Versuchen, gemeinsam handlungsfähiger zu werden. Die PROJEKTGRUPPE AUTOMATION UND QUALIFIKATION ist ein Interdisziplinäres Projekt am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin und an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Mitglieder: Frigga Haug (Leitung), Helga Karl, Rolf Nemitz, Christof Ohm, Nora Räthzel, Werner van Treeck, Thomas Waldhubel, Silke Wenk, Gerhard Zimmer
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Psychologisches Institut Berlin West und Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg: Projektgrappe Automation und Qualifikation: [interdisziplinäres Projekt am Psycholog. Inst. d. Freien Univ. Berlin und der Hochschule f. Wirtschaft u. Politik Hamburg] / [Frigga Haug (Leitung) ...]. — Berlin: Argument-Verlag (Das Argument: Argument-Sonderbd.;...) NE: Haug, Frigga [Hrsg.]; HST Bd. 7: Zerreißproben: Automation im Arbeiterleben. — 1. — 4. Tsd. — Berlin: Argument-Verlag, 1983. (Projektgruppe Automation und Qualifikation ; Bd. 7) . (Das Argument: Argument-Sonderbd.; AS 79) ISBN 3-88619-079-X NE: Das Argument / Argument-Sonderband Copyright © Argument-Verlag GmbH Berlin 1983. Alle Rechte — auch das der Übersetzung — vorbehalten. — Redaktion und Verlag: Altensteinstr. 48 a, 1000 Berlin 33, Telefon 030/8314079. — Auslieferung: Argument-Vertrieb, Tegeler Straße 6, 1000 Berlin 65, Telefon: 030/4619061. — Satz: Barbara Steinhardt, Berlin. — Herstellung: SOAK Druck, Hannover. — Umschlaggestaltung: Sigrid von Baumgarten und Hans Förtsch. — 1.-4. Tausend: 1983
Inhalt 1 Wie leben die Arbeiter die Automation? Fragestellung und Methode 2 Arbeit und Privatleben Programmierer
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Fragestellung: Die Trennung der Bereiche (12) Die faszinierende Deformalisierung der Arbeit als Bedrohung des Privatlebens (12) Die Frage nach dem Sinn der Arbeit, verschoben zur Anerkennung von oben und zum Kampf mit der Maschine (17) »Wenn man die Produktionsmittel in eigene Hände nimmt, kann man alles tun« (22) Verschiebungen der Konflikte zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkräften zu Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben (26) Die Privatisierten im Widerstand gegen die Privatheit der Produktionsmittel (29) Wechselseitige Durchdringungen von Arbeit und übrigem Leben (31) Gegensätzliche Bedeutung von Problemlösungsstrategien im Geschlechterverhältnis (37) Das Problem mit dem Forschungssubjekt (40)
3 Persönliche Beziehungen in der Arbeit Meßwartenarbeiter
47
Fragestellung: Ambivalenz persönlicher Beziehungen (47) Verschärfung von Kooperationskonflikten als Verdrängung persönlicher Beziehungen (48) Auseinandertreten von Arbeitsinteresse und Solidarität (52) Stellung zur Automation als persönliche Angelegenheit (55)
4 Arbeitsbeziehungen Theoretische Skizze
60
Fragestellung: Beschränktheit von »Arbeitsteilung« und »Kooperation« (60) Prozeßanforderungen an Kooperation (62) Von Unternehmern definierte Arbeitsteilungen (65) Arbeitsbeziehungen (70) ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
Inhalt
4
5 Aufsteigen Vom Maschinenbediener zum Einrichter
73
Sich-einen-Platz-erobern und Sich-einen Namen-machen (73) Experimentieren und Grenzüberschreiten in der Konkurrenz (75) Lehren und Auslesen (81) Mobilitäts- und Qualifizierungsketten bei der fertigungstechnischen und in der verfahrenstechnischen Produktion (87)
6 Gegensätzliches Gleichwerden Einrichter contra Reparateure
92
Fragestellung:Arbeitsbeziehungen undUniversalarbeiter (92) »Produktionsarbeiter« — »Facharbeiter«: Universalisierung als Erniedrigung? (96) Gegensätzliche Lohn- und Zeitstrukturen (98) Grenzüberschreitungen von Einrichtern in Facharbeitergebiete (105) Der lange Weg zum Universalreparateur: Abgrenzungen zwischen Facharbeitern (107) Grenzverschiebungen zwischen Maschinenbedienern und Programmierern (113) Gewerkschafter gegen Universalisierung (118)
7 Geschlechterverhältnisse Einrichter/Maschinenbedienerinnen und Setzer/Setzerinnen . ...
125
Fragestellung: Die »Männlichkeit« von Arbeitern (125) Entwicklungsloses Versorgen (126) Einsame Verantwortung (132) Das anonyme Netz der Unterdrückung und die Produktion von »Schamlosigkeit« (138)
8 Produktion und Verwaltung CNC-Maschinenbediener und Sachbearbeiter Fragestellung: Perspektiven der Selbstverwaltung (144) Historische Skizze der Verwaltungsarbeit: Hierarchisierung, Maschinisierung, Feminisierung (147) Werkzeugmacher, die Programme schreiben (153) Sachbearbeiter an Maschinen (156) Jenseits des Gegensatzes von Produktion und Verwaltung: Arbeit mit Computer-Programmen (161) ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Inhalt
5
9 Resttätigkeiten und Arbeitsbeziehlingen
168
»Polarisierung« — eine Form von Arbeitsbeziehungen? (168) Nutzen des Begriffs »Resttätigkeiten« : ungleiche Reproduktion von Arbeitstätigkeiten (170) Reproduktion von »Resttätigkeiten« im Weltmaßstab? (175) Ist alle Arbeit letztlich »Resttätigkeit«? Skizze der notwendigen Automationsarbeit (178) Mängel des Begriffs »Resttätigkeiten« : Homogenisierung und Trivialisierung (189) Resttätigkeiten und Restfunktionen (191) Arbeitsbeziehungen, Resttätigkeiten und die Herstellung von Undenkbarkeiten (196)
10 Zu-Wort-Kommen-Lassen und Wissenschaft Methodenprobleme biografischer Forschung (I)
200
Fragestellung: Interview und Auswertung (201) Authentizität im Interview (202) Interviewführung (205) Datenauswertung (208) Theorie und Empirie (210) Verallgemeinerung (211) Stellenwert des Individuellen (213) Wissenschaft und Erfahrung (215)
11 Ökonomische Bestimmtheit und Handlungsfähigkeit der Individuen Methodenprobleme biografischer Forschung (II)
216
Fragestellung: Ökonomische Gesetze und Autonomie (216) Fragen heißt bestimmen — keine Empirie ohne Bestimmtheit (216) Wiederkehr des Determinismus bei Versuch, ihm zu entkommen (218) Verarbeitung widersprüchlicher Anforderungen in der Perspektive selbstbestimmter Produktion (220) Literaturverzeichnis Stichwortverzeichnis
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1 Wie leben die Arbeiter die Automation? Fragestellung und Methode Was ist der Gegenstand dieser Untersuchungen? Welche Probleme wollen wir bearbeiten? Eine Antwort setzt offenbar voraus, daß wir uns über die Fragestellungen unserer bisherigen Untersuchungen im klaren sind und uns der offenen Probleme vergewissert haben. Von der Problemstellung hängt dann wiederum ab, auf welche Methoden wir zurückgreifen müssen. — Der wirkliche Forschungsprozeß folgt solch klar strukturiertem Aufbau nur selten. In unserem Fall war da ein Gefühl der Unsicherheit; in unseren Arbeiten schien uns etwas Entscheidendes zu fehlen. Zugleich waren wir uns relativ sicher, daß wir diesen Mangel mit Hilfe von Arbeiterbiografien beheben könnten. Aber was genau sind »Biografien«? Und was ist »biografische Methode«? Wir studierten, wie man gegenwärtig in verschiedenen Wissenschaften versucht, das Handeln, Denken und Fühlen konkreter Menschen zu erforschen, und kamen zu dem Ergebnis, daß wir beides gleichzeitig entwickeln mußten: die Fragestellung und die Methode, mit der sie bearbeitet werden könnte. Worin bestand das Unbehagen an unseren bisherigen Ergebnissen? Das Problem war nicht, daß wir bislang mit quantifizierenden Methoden gearbeitet hätten und diese nun gegen qualitative Verfahren auswechseln wollten. Wir mußten auch nicht das theoretische Ableiten endlich durch die Arbeit mit empirischem Material ersetzen. Auch bisher hatten wir qualitativ und mit lebendigen Menschen gearbeitet. Wie die Menschen sich aktiv mit den Verhältnissen auseinandersetzen bei Umbrüchen in den Produktivkräften, in der Arbeitsorganisation, in den Qualifikations- und Arbeitsteilungsstrukturen — genau dies war unser Gegenstand gewesen. Wir hatten Verschiebungen im Verhältnis von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung, von Kompetenz und Inkompetenz herauszuarbeiten versucht. Dennoch, es war das Gefühl geblieben, die konkreten Menschen, die »ganzen Personen« nicht berücksichtigt zu haben. Wir hatten untersucht, welche Anforderungen die Produktivkräfte stellen, wie sie von den Unternehmern in Aufgaben umformuliert werden und wie beides schließlich von den Produzenten auf Betriebsebene ergriffen wird. Dabei hatten wir Wert darauf gelegt, die Formen herauszuarbeiten, in denen einzelne oder Gruppen die gegebenen Verhältnisse umarbeiten. Mit einer Fülle von Material hatten wir die Veränderung der Kräftekonstellation — die »Zuspitzung der Widersprüche« — konkretisiert. Das Ziel dieser Untersuchungen war uns dabei immer deutlich gewesen: Wir wollten dazu beitragen, die ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Fragestellung und Methode
Grundlagen für eine arbeiterorientierte Automationspolitik zu schaffen. Aber genau hier war auch der Punkt des Unbehagens. Zwar stützt sich alles, was wir bisher über die Möglichkeiten erweiterter Selbstbestimmung bei Automation geschrieben haben, auf tatsächliche Bedingungen und auf bereits wirkliche Handlungen von Arbeitern, die unserer Auffassung nach verallgemeinert werden müßten. Aber in dieser Form sind die Untersuchungsergebnisse noch nicht als Grundlage für eine offensive Automationspolitik geeignet. Das Handeln, Denken und Fühlen so vieler steht dagegen. Und ein großes gewerkschaftliches Automatisierungsprojekt für die offensive Nutzung der neuen Produktivkräfte, für das wir Zuarbeit hätten leisten können, gibt es nicht. Statt dessen wird das Feld von einer gespaltenen Gewerkschaftspolitik beherrscht, mit einem »Verelendungsdiskurs« zur Mobilisierung der Basis (»Mit der Automation wird alles noch schlimmer«) und mit einer offensiven Automatisierungspolitik an der Spitze, in korporatistischem Verbund mit Staat und Unternehmern (»Nur bei Automatisierung können wir uns auf dem Weltmarkt behaupten«). Das Problem, das wir spontan mit dem Verfahren der Arbeiterbiografien lösen wollten, hat also eine quantitative Seite: Warum sind es so viele, die die neuen Möglichkeiten nicht ergreifen? Zugleich ist es als quantitatives Problem nicht lösbar. Um herauszufinden, warum viele die veränderten Produktionsbedingungen nicht offensiv für sich nutzen, auch schon im Rahmen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, mußten wir rekonstruieren, wie die einzelnen die gesellschaftlichen Verhältnisse leben. Das erschien uns zwingend, weil wir die einzelnen als potentielle und zum Teil schon wirkliche Träger von alternativen Automationspolitiken betrachten. Wir stellten uns vor, daß ohne ein solches millionenfaches Ausprobieren von Politiken durch einzelne überhaupt kein Projekt alternativer Automatisierung möglich ist, das tatsächlich von den Arbeitenden getragen wird. Die Forschungsfrage für diesen Band haben wir schließlich so formuliert: Wie leben die Arbeiter die Automation? Unter »Automation« verstehen wir dabei die widersprüchliche Struktur von Anforderungen und Aufgaben, wie wir sie in früheren Untersuchungen dargestellt haben. Unter »leben« verstehen wir die Art und Weise, in der sie, um ihre Handlungsfähigkeit zu sichern, die widersprüchlichen Anforderungen verarbeiten, wie sie sich die erlebten Schwierigkeiten als Probleme zurechtlegen, wie sie diesen Problemen eine bestimmte Anordnung geben, was sie für erträglich halten, was ihnen unerträglich ist und wie sie ihre Aktivitäten mit Sinn erfüllen. Dabei interessieren uns diese Verarbeitungsmuster sowohl unter dem Aspekt, wie hierdurch die gesellschaftlichen Bedingungen umgearbeitet, transformiert werden, als auch unter dem Gesichtspunkt, wie die Verhältnisse durch sie eher bestätigend reproduziert werden. UnARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
9 Fragestellung und Methode tersuchungsgegenstand sind nicht die einzelnen Arbeiter in ihrer einmaligen Individualität, sondern Verarbeitungsmuster als mögliche allgemeine. Wir beschäftigen uns deshalb nicht mit allen Verarbeitungsformen, Problemkonstituierungen, Sinnstiftungen, Widerspruchseliminierungen, Widerstandsformen und Lösungsstrategien, die wir gefunden haben, sondern nur mit denjenigen, die uns von strategischer Bedeutung zu sein scheinen für und gegen ein Ergreifen der befreienden Möglichkeiten von Automation, für und gegen eine Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse. Schwerpunkt dieses Bandes sind Lebensstrategien von Automationsarbeitern in fremdbestimmten Verhältnissen; wir untersuchen sie in der Perspektive eines alternativen Automatisierungsprojektes von unten. Eine wesentliche Bedingung dieser Lebensstrategien sind die Arbeitsbeziehungen; Beziehungen, die die Arbeitenden in der Arbeit untereinander eingehen. Wir stießen auf dieses wichtige Feld bei dem Versuch, Antworten auf Fragen zu finden wie: Was ist die Perspektive der Resttätigkeiten? Gibt es eine Tendenz zum Universalarbeiter? Aus dem empirischen Material, überwiegend in Interviews und Fallstudien neu erhoben, sprangen uns Gegensätze, Kämpfe, Trennungen, Abgrenzungen, Zersplitterungen der Arbeitenden untereinander an. Wir untersuchen diese gegensätzlichen Arbeitsbeziehungen mit dem Ziel, eine Politik zur Herstellung der Einheit unter den Arbeitenden zu stützen. Sie bilden einen weiteren Schwerpunkt. Der Nutzen der biografischen Untersuchungen soll darin bestehen, daß diejenigen Aspekte im Denken, Fühlen und Handeln sichtbar werden, die Stützpunkte für eine offensive Automatisierungspolitik sein könnten, aber ebenso das, was dem entgegensteht. Insofern der Gegenstand immer Verarbeitungsformen sind, wie die einzelnen ihre Handlungsfähigkeit unter den gegebenen Verhältnissen sichern, wird das Ergebnis nicht in immittelbar politischen Vorschlägen bestehen. Die politische Dimension unserer wissenschaftlichen Arbeit besteht darin, die vielzähligen alltäglichen Auseinandersetzungen, Konflikte, Streite und Kämpfe um die Automatisierung ins Bewußtsein zu heben und sie mit einer Sprache zu versehen, mit einer Erkennbarkeit und einer Geschichte, um das Staunen auf sie zu lenken und die Neugier anzustacheln. Was wir liefern wollen, sind Bausteine für die notwendige offensive Kulturpolitik um Automation. Auf der Suche nach den Möglichkeiten einer alternativen Automatisierungspolitik kommt es uns darauf an, die bereits vorhandenen »Alltagspolitiken« herauszustellen, die gewissermaßen unterhalb der Ebene der offiziellen Politik angesiedelt sind. Das umkämpfte Feld ist dabei, was als problematisch gilt und was als unproblematisch, was erträglich ist und was unerträglich, was als sinnvoll erscheint und was als sinnlos. Indem wir es ans Licht holen, hoffen wir zum Umbau beizutragen. Wir benötigten eine Methode, die zu erfassen erlaubt, wie die Arbeiter ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Fragestellung und Methode
die unterschiedlichen und widersprüchlichen Anforderungen im Betrieb koordinieren und sie mit ihrem übrigen Tun, Fühlen und Denken in einen Zusammenhang bringen. Dabei mußten wir nicht den Weg gehen, ganze Biografien zu erforschen; für unsere Zwecke reichte es, die Untersuchung auf Querschnitte zu beschränken. Daß wir das Verfahren dennoch »biografisch« nennen, soll uns mit den Bemühungen um eine Sozialforschung »von unten« verbinden und zugleich erfassen, daß es im folgenden nichts nur um Lebensstrategien in der Arbeit geht, sondern bezogen auf alle Lebensbereiche. Die Arbeit allerdings bildet den Knotenpunkt. Deshalb nennen wir unser Verfahren arbeitsbiograflsch. Dabei kämpfen wir mit denselben Schwierigkeiten aller Biografienforschung: Die Herstellung von Zusammenhängen, Problembewältigungsstrategien, Anpassung und Veränderung durch die Arbeitenden untersuchen zu wollen, dabei davon ausgehen zu müssen, daß ihnen dieser Zusammenhang, den sie praktisch leben, nicht theoretisch bewußt ist, und gleichwohl keinen Zusammenhang von oben zu dekretieren. Wir haben versucht, dieses Problem zu lösen, indem wir die Problemstellungen, mit denen wir die Untersuchung begannen, im Lauf der Arbeit weiterentwickelten, kritisierten und neue Problembestimmungen vornahmen. Wir haben im folgenden auch versucht, dieses Umarbeiten unserer Vorannahmen, die »progressiven Problemverschiebungen«, mit darzustellen. Die Erzählung und das Gruppengespräch waren die Formen, in denen wir die Verarbeitungsformen erforschen wollten. Zu Beginn der Gespräche, die jeweils mehr als vier Stunden dauerten und in mehreren Sitzungen durchgeführt wurden, gaben wir eine kurze Einführung in unser Vorhaben, Veränderungen in den Bereichen des Lebens, die nicht explizit der Arbeit zuzurechnen sind, durch die Automatisierung des Arbeitsplatzes herauszufinden. Wir nannten Freizeit und Familie, Bildungsverhalten und Kulturelles, Verhältnis zu Kollegen und Partnern. Zusammenfassend fragten wir, ob sie einen Zusammenhang (und welchen) zwischen Arbeits- und Lebensweise herstellen könnten. Um den Anfang zu erleichtern, baten wir darum, damit zu beginnen, wie sie mit der Automation in Berührung kamen. Es gab, zu unserem Erstaunen, nirgends Schwierigkeiten, dieses Anliegen zu verstehen, noch ein Zögern, wie jetzt vorzugehen sei. Vielmehr sprachen alle so schnell, eilig, umfassend zu allen Bereichen und Zusammenhängen, als hätten sie lange darauf gewartet, endlich sprechen zu dürfen. Auch das Problem, über das wir in der Projektgruppe lange diskutiert hatten, wieweit und wo und wann wir eingreifen und strukturieren sollten oder könnten, stellte sich kaum. Endlos, so daß niemals die Zeit ausreichte, wurden Zusammenhänge geknüpft und verwoben. Auch unsere Befürchtung, es könnten Verbindungen zwischen Arbeit und übrigem Leben von uns willkürlich auferlegt werden, erwies sich als unzutreffend. Wir hatten vermutet, daß zwar alle wohl freimütig aus ihrem »PrivatleARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
11 Fragestellung und Methode ben« berichten würden, jeder Zusammenhang zur Arbeitsweise jedoch von uns nahegelegt werden müßte. Der wirkliche Vorgang war der, daß alle immer wieder von ihrer Arbeit und ihrer Arbeitssituation ausgingen und von dort aus Ausflüge in die verschiedenen übrigen Bereiche ihres Lebens unternahmen. Und selbst dort, wo sie versuchten, Trennungen herzustellen, war ihnen ein Zusammenhang intensiv bewußt. — Eine Schwierigkeit, insbesondere bei den Gruppengesprächen, ist die Menge des Materials. Wir konnten nur einen kleinen Teil auswerten, einen noch kleineren vorstellen. Wir sind dabei Problemverdichtungen gefolgt — und auch hier nur einigen. Die Auswahl ist davon bestimmt, was uns am meisten erstaunte. Die Leser werden in den vorgestellten Gesprächsteilen eine Vielzahl weiterer Themen und wichtiger Punkte selbst entdecken, auf die wir nicht eingehen, und die für unsere Gewichtung und Bearbeitung eine Irritation darstellen. Wir konnten die Gesprächselemente nicht so auswählen, daß sie höchst eindeutig nur eine einzige Weise der Bearbeitung und Analyse zulassen. Das hätte sie nicht nur zu beispielhaften Veranschaulichungen unserer theoretischen Bearbeitimg erniedrigt, es hätte auch unsere eigenen Analysen unnachvollziehbar gemacht. Wie kann man vorführen, daß z.B. im ersten Teil dieser Untersuchungen die Programmierer immer wieder auf dasselbe Thema zurückkommen, wenn man die Gesprächsstücke nicht mitliefert, von denen aus sie Linien zu ihrem Thema ziehen? Schließlich bleibt noch anzumerken, daß uns die Arbeit mit den Gesprächen und Erzählungen der Automationsarbeiter unvorhergesehene Schwierigkeiten gemacht hat. Wie kann Verallgemeinerbares herausgearbeitet werden ohne Willkür und ohne das Besondere bloß als Veranschaulichung eines zuvor gewußten Allgemeinen vorzustellen? Mehr zu diesen Problemen und Fragen, auch zu unseren Versuchen, aus den Erfahrungen und Diskussionen anderer Biografieforscher zu lernen, findet man im letzten Kapitel. In den zitierten Interviewpassagen haben wir Auslassungen durch (...) gekennzeichnet, Einfügungen durch eckige Klammern. Mit diesem Band schließen wir unsere empirischen Untersuchungen zur Automationsarbeit ab. Mit den drei vorbereitenden Bänden sind es insgesamt sieben Bücher geworden, knapp 1600 Seiten, und viele, die sich für Automationsarbeit interessieren, werden vor diesem Arbeitspensum zurückschrecken. Als nächstes haben wir deshalb eine Zusammenfassung vor allem der empirischen Untersuchungen geplant. Der Titel steht schon fest: »Widersprüche der Automationsarbeit. Zusammenfassendes Handbuch«. Es wird sich vor allem an diejenigen wenden, die im Gewerkschaftsbereich arbeiten und, wie alle vorhergehenden, im Argument-Verlag erscheinen, aber als einzelnes Buch außerhalb der Reihe Argument-Sonderb&nde und damit außerhalb des Gesamtabonnements für diese Reihe. Nachdem Teile von AS 31 »Theorien über Automationsarbeit« ins Schwedische übersetzt sind, werden wir diesen zusammenfassenden Band zur Grundlage weiterer Übersetzungen machen. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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2 Arbeit und Privatleben Programmierer Fragestellung: die Trennung der Bereiche Arbeitshaltung und Arbeitspolitik im Betrieb sind vom außerbetrieblichen Leben nicht trennbar. Eine solche Trennung existiert wirklich, aber sie ist nichts Natürliches. Im folgenden untersuchen wir, wie die künstlich getrennten Bereiche zusammenhängen und zusammengefügt werden. Es geht also nicht darum, wie sich der Bereich Arbeit auf den Bereich Freizeit auswirkt oder umgekehrt. Es geht vielmehr um diese Bereichsteilung selbst. Wie ändert sich das Gefüge des geteilten Lebens durch den Widerspruch zwischen wachsender Selbstbestimmung in der Arbeit bei umfassender Fremdbestimmtheit? Der Gegensatz zwischen Arbeit und Privatleben existiert jedoch nicht nur in der Trennung der Bereiche. Er geht durch die Einzelnen hindurch, auch in der Arbeit. Sie vergesellschaften sich darin, ohne ihre Privatheit damit automatisch abzustreifen. Das ist eine der Zerreißproben. Insgesamt ist uns die Untersuchung deshalb zu einem Versuch geraten, dem Vorgang auf die Spur zu kommen, wie Privatheit im Zusammenspiel von ökonomischer, staatlicher und familialer Vergesellschaftung hergestellt und umgebaut wird. Die faszinierende Deformalisiening der Arbeit als Bedrohung des Privatlebens Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien, so nannten wir einen Widerspruch automatisierter Produktion in kapitalistischen Verhältnissen (AS 67, 445ff.). Gemeint war, daß die Produzenten, deren Tätigkeit darin besteht, Informationen zu verarbeiten, eine umfassende Zahl von Daten benötigen, deren gesellschaftlicher Sinn ihnen einsichtig sein muß. Für das Optimieren z.B. ist Nachdenken über den Gebrauch der Dinge notwendig. Kriterien, die nicht gesellschaftlichem Nutzen folgen (wie etwa eingeplanter Verschleiß), geraten unter Rechtfertigungsdruck. Das hat unmittelbar praktische Folgen, so vermuteten wir, die auf der Arbeiterseite von Boykott und Sabotage bis zur alternativen Produktion reichen und auf der Unternehmerseite von einer rigorosen Zunahme der Kontrolle bis zu Bestechungsversuchen. Wie leben Automationsarbeiter solche Widersprüche? Es ist nicht schwierig, in den Erzählungen den Konfliktbereich zu erkennen. Neu und überraschend sind die Austragungsformen; damit verschieben sich aus der ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
Programmierer
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begrifflichen Fassung der praktischen Vorgänge die zuvor theoretisch hergeleiteten Widerspruchsformen. Zunächst einige Passagen aus einer Gruppendiskussion mit drei Programmierern, Inge und Ursel, aus dem gleichen Betrieb, und Otto, der gleichsam auf »Leasing«-Basis kurzfristig ebendort beschäftigt ist: Ursel: Ich habe 1969 angefangen mit einer Verwaltungsangestelltenlehre, ohne mir groß Gedanken zu machen, was das bedeutet oder so. Also mir war klar, daß man da irgendwas schreiben muß und auch was rechnen. Mehr nicht. Da bin ich dann hingegangen und hab dann drei Jahre gelernt. — Ich habe nur Hauptschule. — Und danach, da mußte ich dann voll arbeiten und da war der Arbeitsanfall so groß und ich hab das nicht bewältigt, und da habe ich dann Depressionen gekriegt und hab mir also überlegt, jetzt muß du irgendetwas machen, entweder du machst jetzt was ganz anderes oder du mußt mal sehen, was es da in deinem Betrieb noch so gibt. Und 1972 habe ich zu Ende gelernt und bis Mitte 1974 hab ich das gemacht, und danach wurde dann so ein Lehrgang für Programmierer ausgeschrieben, der dauerte ein Jahr und seitdem mache ich das: Programmierung. (...) Na die Arbeitsbedingungen sind für mich halt angenehm. Vorher war das eine Leistungsabteilung, man hat jeden Tag seine Akten gekriegt und abends, da waren sie entweder fertig oder noch nicht fertig und jeden Tag wiederholte sich das. Ohne große Abwechslung. Das war irgendwie frustrierend. (...) Und hier ist das halt so in der Programmierung, daß man so eine fertige Auflage hat, die man von Anfang bis Ende durchzieht. Und man hat auch einen gewissen Zeitraum, den man entweder mitbestimmt oder nicht mitbestimmt und innerhalb dieses Zeitraumes kann man halt das sich einteilen wie man will. (...) Entweder hat der Vorgesetzte so viel Ahnung, daß er sagt: Sie brauchen dafür 2 Monate oder ein halbes Jahr, oder der hat nicht so viel Ahnung und er fragt einen: wie lange brauchen Sie denn? (...) Mich fragen sie immer. Und das ist angenehm. Und innerhalb dieser Zeit kann ich mir das dann einteilen. Otto: Und da habe ich damit mein Studium finanziert, indem ich bei irgendwelchen wissenschaftlichen Projekten die EDV-Seite übernommen habe. Das war am Anfang etwas schwer, aber es gab eine gewisse Faszination, der ich auch voll erlegen bin, es möglichst gut, möglichst schnell und möglichst richtig zu machen und überhaupt ganz unheimlich gut. Und das hat eben nach einiger Zeit wirklich dazu geführt, daß ich so'ne Zeiten hatte, wo ich 8 Stunden am Rechner gesessen habe, ohne was zu essen. Weil das grad die Zeit war, wo man den benutzen konnte. Es gab noch keine Terminals, es gab so Fernschreiber und die waren immer 8 Stunden angeschlossen, danach wurden die rausgeschmissen vom System. Und in der Zeit mußte man das eben machen. Und da das fertig werden sollte, habe ich diese 8 Stunden da gesessen, ohne was zu essen und hinterher hatte ich immer Magenschmerzen. Aber ich fand das gut. Und die Faszination ist sicher, ja, weiß ich gar nicht genau, warum. Das Erfolgserlebnis, wenn das hinterher gelaufen ist, so was kann ich nur sagen, wenn es funktioniert hat. Wenn man sich was ausgedacht hat, hat dazu ein Programm geschrieben und da$ läuft dann hinterher und macht genau das, was man wollte, jedenfalls denkt man das. Also die Faszination ist auch so geweARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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sen, daß ich in der zweiten Hälfte meines Studiums mich sehr mit Informatik beschäftigt und auch hinterhei^eine Doktorarbeit in der Richtung gemacht habe, wo ich mich insbesondere beschäftigt habe mit den theoretischen Aspekten, wie man so was macht. (...) Ich rechne vom Rechner abhängig, ich brauch auch den zu Hause noch. Und damit bin ich irgendwie, ja, das ist mir nicht gut bekommen, und ich bin heute froh, daß ich wieder so eine Arbeit habe, wo das konkret ist, wo der Rechner da ist und der ist distanziert von mir. Er ist für mich jetzt ein Mittel. Ich soll irgendwas machen und dann macht man das Konzept dazu, man programmiert das und das läuft, und der Rechner ist irgendwie ganz weit weg, er ist ein Werkzeug, man weiß, wie der funktioniert, Und ärgert sich höchstens darüber, wie schlecht der konzipiert ist. Diese Begeisterung, es möglichst schnell, möglichst gut, möglichst richtig zu machen, ist nicht mehr da. (...) Ich denke, es liegt irgendwie das dazwischen, diese Desillusionierung, ich weiß es nicht, hab ich noch nicht drüber nachgedacht. Hat was mit meinem Leben zu tun. In den Zeiten, wo ich nicht so viel mit dem Rechner gearbeitet habe, da habe ich irgendwie, da bin ich zu Hause gewesen. Da habe ich mich mit dem Haushalt beschäftigt, mein Kind großgezogen. Es fällt mir nichts dazu ein, es ist so gewesen. — Da habe ich sicher auch versucht, es möglichst gut, möglichst schnell und möglichst optimal zu machen und das ist mir nicht gelungen. Mir ging es schlecht dabei, weil ich mich dabei gewaltig übersehen habe. Ursel: Fasziniert hat mich auch an der Tätigkeit irgendwie die Logik, die überall dahintersteckt. Also nicht, daß ich darin aufgegangen wäre, aber ich finde diese Logik, die da überall drin steckt und ob da ein Fehler rauskommt oder nicht und wenn man den findet und so, das finde ich immer phantastisch. Und wenn ich den auch selbst finde, finde ich das faszinierend. Inge: Ich hab mit Ursel 1969 zusammen angefangen zu lernen, 3 Jahre Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten mit staatlich anerkanntem Abschluß. Wir waren damals die ersten, die den gekriegt haben. 1 Monat gearbeitet, danach 3 Jahre Ausbildung als Inspektoranwärter mit Abschluß. Dann 3 Monate gearbeitet und mich beworben zum Programmiererlehrgang, für 1 Jahr, weil ich in der Zeit, in dem Alter, wo ich damals war, dachte, so viel, wie man lernen kann, sollte man tun und was sich da an Ausbildung bietet, sollte man auch mitnehmen, wenn sie einem die anbieten. Finanziell war das zwar anfangs chaotisch mit eigenem Haushalt und 500 Mark nur als Anwärter, aber das hat sich ja dann danach gebessert. Und das alles passiert von 1969 bis 1975. Seit 1976, also das sind schon 5 Jahre, arbeite ich als Programmierer. Zuerst in der Steuerung, das war schön. Da hatte man — ich hatte immer den Eindruck, ich hätte den Überblick über die gesamte Programmierung, die abläuft. Ich wußte, welche Projekte laufen, welche gerade im Einsatz stehen. Anhand der Verarbeitungssätze, mit denen ich mich da immer intensivst beschäftigen mußte, wußte ich genau, was da also an Daten gefordert war, was so weitergegeben wurde, wozu die benötigt wurden ganz grob, hatte noch Gesetzeskenntnisse, um das alles unterzubringen. Das hat sich im Laufe der Zeit dann verfärbt. Ich hatte so richtig den Eindruck, ich stehe über den Dingen und seh mir das alles an, nebenbei noch ein bißchen programmiert und mal dies und jenes Programm gemacht, das war richtig schön. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Die Selbsteinschätzung macht sich äußerlich zunächst fest an einem Lebenslauf, genauer: an Ausbildungsstationen. Diese haben einen staatlich geregelten Aufbau und brauchen von daher keine eigene je individuelle Motivation — »Ich habe mir keine Gedanken gemacht, was das bedeutet« —, bzw. die Motivation liegt eben in der staatlichen Garantie eines richtigen Weges — »die ersten mit staatlich anerkanntem Abschluß« —. Der Staat bietet Lern- und Zeitstrukturen an als Legitimation für die Ausübung einer Tätigkeit, ohne daß diese selber zur Diskussion steht. Wird die anschließend erlaubte Arbeitspraxis als monoton oder als »Leistungsdruck« erfahren, gibt es wieder staatliche Wege anderer Einordnung: das Lernen als Aufstieg, als Berufskarriere — »was sich als Ausbildung bietet, sollte man mitnehmen« —. Nicht, was man wissen möchte, was erkennen, wird Leitlinie für Lernaktivitäten, sondern die Unruhe lenkt sich wie von selbst in die vorgesehenen Bahnen legitimierender Qualifikationsstufen und dazugehörigen Lohns. Verglichen mit vorhergehenden Tätigkeiten und den Lernaktivitäten wirkt die Programmiertätigkeit wie eine eigentümliche Freilassung. Hier treffen sich die ordentlich Aufgestiegenen und der Quereinsteiger aus der Universität zunächst mit positiven Einschätzungen. Die neue Tätigkeit wird erfahren als angenehm, schön und gut. Als überraschende Kompetenzerweiterung werden zwei Besonderheiten artikuliert: die selbstbestimmte Zeiteinteilung und die eigene Verantwortung und Kontrolle, da der Vorgesetzte inkompetent ist. Dabei ist die vorgesehene Ordnung ein so fester Bestandteil eigenen Denkens, eigener Haltung, daß die solcherart praktizierte Kritik an der Existenz von solchen Vorgesetzten an keiner Stelle geäußert wird. Statt dessen wird die eigene Position eher ungläubig als Möglichkeit von Selbstbestimmung, Überblick und Erfolgserlebnis beschrieben, so als sei dies nicht vorgesehen. Unter Erfolg verstehen sie dabei keineswegs eine Stufe in der Karriereleiter, sondern, »daß das wirklich funktioniert, wie man sich das gedacht hat«. Darin steckt noch das Staunen, daß eigenes Denken zur Berufstätigkeit gehört und noch mehr, daß es Effekte hat, die man selber vorhersieht, die einem nicht vorhergesehen werden. An dieser Stelle tritt der Staatsangehörige unversehens in einen autonomen Teilbereich. Wir möchten für diesen Vorgang den Begriff Deformalisierung vorschlagen. Mit ihm soll faßbar sein, daß eine Form, die die einzelnen hält wie ein Korsett (Zeiteinteilung, Kontrolle, ein bestimmtes Kompetenz/Inkompetenzverhältnis), aufgegeben wird. Zugleich ist dieser Begriff Anspielung an die mögliche Künstlichkeit des Systems von Hierarchie und Ordnung, gemessen am Produktionszweck, und stiftet von daher an zu Überlegungen über ein neues Verhältnis in den Arbeitspraxen. Die einzelnen erfahren diese Deformalisierung paradoxerweise als Inkompetenz im Privaten. In den Worten der drei Programmierer liest sich das zuARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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nächst als Brüchigkeit ihres Erlebens. Sie äußert sich am deutlichsten im häufig gewählten Wort Faszination. Faszination, das soll bedeuten, daß da eine Art magischer Anziehung herrscht, die einen fesselt, der man erliegt. Ein Sog, dem man nicht unbeschadet nachgibt. Das äußert sich konkret als Magenschmerzen, weil man über dem Programmieren das übrige Leben vergaß; als eine Versuchung, der man glücklicherweise nicht erlag, »nicht, daß ich darin aufgegangen wäre«, oder als falscher Eindruck, dessen Scheinhaftigkeit mit den Worten »ich hatterichtigden Eindruck« umgekehrt unterstreichend gesprochen wird. Im Wort Faszination klingt zugleich das Unerlaubte an, wie überhaupt der Ausbruch aus der Normalität. Bestimmt erwartet man sie nicht in Verwaltungstätigkeiten. Daß man Zeiten und Aufgaben selber einteilen kann und mit Fehlern kritisch umgehen, Erfolge in der Arbeit planen kann, erfährt man üblicherweise nur für den Privatbereich — das macht einen großen Teil seiner Anziehung aus. So wird geradezu als gerechte Strafe akzeptiert, daß dieser Privatbereich aus den Fugen gerät (man vergißt, zu essen), wenn seine »Freiheit« in der Arbeit gelebt wird. Jeder Bereich hat seine eigenen Gesetze. Daß man sich die Arbeit nicht ohne Schaden sinnvoll einrichten kann, nicht »kulturell kompetent« ist, wird so gelebt als Gesetzesübertretung: man soll sich nicht faszinieren lassen. Die Überschreitung der Bereichsgrenzen, deren Einhaltung in den staatlich geregelten Berufslaufbahnen auf der Tätigkeitsebene durchkreuzt wird, führt für Otto dazu, alle Bereiche kritisch zu sehen. Ihre Gesetzmäßigkeiten werden zu einer Frage falscher Persönlichkeitshaltung. Ihm scheint es am Schluß falsch zu sein, sich überhaupt so zu engagieren, daß man sich Ziele setzt, »man verliert sich selbst dabei«, gleichgültig, ob das zu Hause oder im Betrieb geschieht. Der Konflikt im neuen Verhältnis von Kompetenz und Inkompetenz wird schließlich gelebt als Rückzug entweder des Engagements aus der Arbeit in die resignative Normalität eines möglichst kleinen Arbeitsvollzugs oder gar aus beidem: Arbeit und zu Hause. Es wäre sicher notwendig, für Tätigkeiten, die eine weitgehende Freiheit eigener Konstruktion in den Aufgaben erlauben, eine Kultur zu entwikkeln, die die Menschen befähigt, solche Arbeitsgestaltung gesund zu überleben — dies um so mehr, als die von klein an gewohnte Gängelung andere Formen des Sich-Einrichtens einüben Heß. Darüber hinaus ist Engagement in der Arbeit sicher eine gute Basis für verändernde Tätigkeiten sowohl innerhalb des Arbeitsbereiches wie in der Gesellschaft im Großen. Man kann darüber streiten, ob die so häufig geäußerte Faszination und ihre Ablehnung nicht doch mit der Abstraktheit der Symbol- und Zeichensprache, der Logik der Programmiersysteme zusammenhängen. Auf unsere Fragen nach der Abstraktheit der Arbeit äußerten alle drei Programmierer einhelliges Erstaunen und gaben die Auskunft, daß ihre Tätigkeit wirklich eher handwerklich sei: erlernbar und durchschaubar. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Inge: Ja, das ist eine Handwerkelei. Wir werkeln rum, wir sagen es auch so: »Wir werkeln schon wieder rum.« »Hast du deine Handwerkelei zustande gebracht?« Weil wir auch viel mit der Hand dann arbeiten. Letztendlich ist die Sprache in uns übergegangen. Wenn wir die sehen, da läuft bei uns schon was ab. Das ist das gleiche, wenn wir das Wort schwimmen sehen, dann sehen wir das Schwimmen dahinter, genau wenn wir dann MVC sagen, dann wissen wir, was gemacht wird. Ursel: Oder irgendwelche Techniker, die irgendwas entwickeln. Inge: Ist unser Handwerkszeug, sagen wir auch dazu: unser Handwerkszeug.
Die Frage nach dem Sinn der Arbelt, verschoben zur Anerkennung von oben und zum Kampf mit der Maschine Diese Deformalisierung als faszinierende Bedrohimg des normalen Lebens greift die in den bisherigen Lebensläufen geformten Persönlichkeiten an und stellt sich von daher den einzelnen auch als Charakterfrage. Im Gespräch werden die verschiedenen Bereiche immer wieder mit dieser »Faszination« verknüpft. Sie ist wie ein Leitmotiv, das die Erfahrungen von Verschiebungen in den Kompetenz/Inkompetenz-Strukturen begleitet. Inge: Man kann seinen Ehrgeiz austoben bis zum Geht-nichtrmehr. Man wird als derjenige, der gutes Wissen hat und fundierte Kenntnisse, auch belohnt, kriegt besondere Stellen zugeschustert, gerade bei uns im Hause, es bietet sich regelrecht an. Aber ich mach's nicht, weil mein Hauptlebensmittelpunkt nicht innerhalb meines Berufes sich bewegt, sondern halt außerhalb. Es hat sich aber trotzdem verstärkt, ich bin der Technik gegenüber durchaus aufgeschlossener und mich begeistert das manchmal auch, wenn ich ein Programm zum Laufen bringe. Aber es gab auch schon mal Zeiten, wo ich dann nach Hause ging und an den Problemen rumwirbelte in meinem Kopf noch, bis mir der Kopf rauchte regelrecht und ich dann beruhigt war, daß ich einen Ausweg gefunden hatte. Heute noch, wenn ich abends mich auf den nächsten Tag vorbereite, denke ich auch dran, an die ersten drei Arbeitsschritte, die ich dann mache, wenn ich wieder am Büroplatz bin, das mache ich also heute noch, das ist so eine alte Gewohnheit vielleicht schon. Otto: Ja, zu diesem Punkt der Faszination kann ich einen Satz sagen. Ich hab das lange Zeit gemacht und ich bin auch dieser Faszination nachgegangen: es ist ja was da dran, es fasziniert dich ja, also mach es. Das Unangenehme daran ist, daß es eine Zeit gab, ob das jetzt theoretisch war oder mit dem konkreten Rechner, das macht irgendwie keinen Unterschied, wo ich davon besetzt war. Mein Gehirn war okkupiert davon und das fand ich unangenehm. Inge: Das ist deshalb unangenehm, weil du, wenn du schon deine volle Kraft einsetzt, ja auch etwas Sinnvolles auch für dich persönlich dabei herauskommen muß. Bei dem, was du machst, fragst du dich doch täglich, muß das denn sein! Was bringt das? Hat der Benutzer was davon? Warum überhaupt? Warum ist z.B. ein Spiegelstrich in der dritten Zeile? Das bringt doch überhaupt nichts. Das ist vielleicht eine Schönheitsoperation. Das sind Sachen, die ich eigentlich selbst gar nicht ändern will, weil sie nichts bringen. Und genauso frage ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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ich mich bei größeren Sachen. (...) Ganz schlimm wird es immer bei Statistiken oder Überwachungsprogrammen oder so, sich zu fragen, wozu machst du das, für wen, was ist das. eigentlich, was du da machst, könnte das nicht alles ein bißchen einfacher sein? Bräuchte man diesen Aufwand? Und für solche Sachen meine Arbeitskraft und ein Stück meines Ichs da einzusetzen, cla habe ich also wirklich nicht die Lust. Es gibt andere Sachen sicherlich, die ich sehr gern machen würde. Otto: Und trotzdem sind die Dinger eine unheimliche Versuchung. Sie sind perfekt. Sie sind absolut. Sie sind vollständig. Inge: Ich glaube, das ist ein Machtkampf mit der Maschine, ob man da besser ist. Otto: Die Maschine ist absolut gnadenlos, emotionslos und wenn das funktioniert, was man da gemacht hat, und das Programm gelaufen ist, dann ist das die objektivste Instanz, die man überhaupt haben kann. Es gibt nichts darüber. Es gibt niemand, der so kompetent sein kann wie die Maschine. Weil die Maschine so gnadenlos ist. Ein Punkt statt ein Komma, und schon fliegt das ganze Programm raus, nur wegen so was. Das ist kein kleines Beispiel, das ist normal. So eine Kleinigkeit in einem Riesensystem, die das ganze System zum Zusammenbruch bringt. Inge: Das ist auch so, du kannst für dich Programme dann vornehmen und wenn du dann Zeit und Lust hast und meinst, nichts anderes machen zu wollen, komprimierst du die, baust sie aus, machst sie unheimlich anwenderfreundlich, komfortabel, alles. Das interessiert ja gar niemanden. Das einzige, was du hast, hast du für dich allein, wenn du dir es vor dich hinerzählst, dein Erfolgserlebnis, daß du das so schön gemacht hast. Es gibt im übrigen auch schon Kollegen, die dann an der Konsole hängen und sich dann dauernd erzählen: »Das hab ich aber gut gemacht, das hab ich aber gut gemacht, das habe ich aber ganz toll gemacht.« Du kriegst keine Bestätigung dafür mehr. Es sei denn, die Bestätigung in Form des Geldes vielleicht doch, aber das ist ja nicht die konkrete Bestätigung, daß jemand kommt, dir auf die Schulter klopft und sagt: »Man, das Programm ist fertig, die Freigabe ist endlich durch.« Mehr interessiert ja nicht. Wie du das gemacht hast, ob du das so schlecht wie möglich, oder so gut wie möglich, so schnell oder so schön oder aufgegliedert gemacht hast, ist vollkommen Wurst eigentlich. Und ich denke, daß für viele und auch für mich neben dem Geld mal ein persönlicher Anreiz da wäre, das zu machen, was ich als Motivation voraussetzen würde, daß jemand kommt und sagt: »Au, bist du gut.« Otto: Zu diesem Aspekt, was diese Bestätigung angeht, wollte ich noch sagen, daß es da in meiner Firma also so ist, daß eigentlich gar nicht mehr das Interesse da ist, wieviel Arbeit die Leute da reinstecken und der Chef, konkret hier, der klopft noch nicht mal auf die Schulter und sagt: »Jungs, das habt ihr gut gemacht.« Sondern der Chef macht das Konzept, die Jungs, die programmieren das und dann hat das zu laufen. Und dann ist es fertig. Und das persönliche Erfolgserlebnis bleibt bei jedem einzelnen. So wie ich die Leute einschätze, sind die auch so, daß die das machen und ihre Bestätigung nicht vom Chef erwarten. Der gibt die ja nicht. Und wenn es ihnen mal besonders gut gelungen ist, daß — hat mir mal jemand erzählt — nach dem zweiten Durchgang ein Riesending irgendwie gelaufen ist, wie es sollte, der war irgendwie unheimlich ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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glücklich und der Chef — nichts! Ist darüber hinweggegangen. Das ist auch ein Aspekt, den ich nicht verstehe. Daß das nicht mehr gewürdigt wird, daß das selbstverständlich ist, daß das soweit runtergedrückt wird, dieser Automat mit seinen komplizierten Anforderungen, da seh ich keine Möglichkeit mehr, mich damit zu identifizieren. Das geht nicht. Und: Also ich kann z.B. einen Tag rumsitzen und nichts machen, dafür mache ich dann danach wieder mehr, damit ich das schaffe. Und ich habe nicht so einen Vorgesetzten, der mich ständig kontrolliert. Ich erwarte sowieso nicht viel von der Arbeit, die ich da mache. Für mich ist das ein Geldverdienen, mehr nicht. Und ich kann mich auch nicht damit identifizieren. Also höchstens, daß ich mal, wenn ich was gemacht habe, ein Erfolgserlebnis habe. Aber das hat dann auch mit der Sache wenig zu tun. Sondern einfach für mich, daß ich da was geschafft habe.
Es ist schwierig, gegen die Versuchung anzukämpfen, nur das zu hören, was man erwartet. Spontan verbünden wir uns mit solchen Äußerungen, die die Sinnhaftigkeit bestimmter Aufgaben bezweifeln, ebenso mit solchen, die den Lohn nicht als die höchste Form eines Anreizes zu arbeiten sehen, die sich begeistern für die Technik und eigene Taten und Kritik üben an der fehlenden gesellschaftlichen Einbindung. Das entspricht unserer Vorstellung von einem selbstbewußten Lohnarbeiter unter kapitalistischen Verhältnissen. Daß die Programmierer solche Äußerungen im Zusammenhang mit ihrer konkreten Tätigkeit machen, scheint unseren vorhergehenden Analysen zur Automationsarbeit recht zu geben. Das Problem sind die Zusammenhänge, die die einzelnen herstellen. Aus der Unzufriedenheit, sich mit dem Lohn als Arbeitsanreiz zufriedengeben zu sollen, und aus der erlebten Abkapselung gegenüber gesellschaftlichem Nutzen folgt — leidenschaftlich geäußert und immer wieder durch das gesamte Gespräch thematisiert — die Forderung, vom Chef, vom Vorgesetzten gelobt zu werden. Wenigstens ein Schulterklopfen soll es sein oder freundliche Sätze — wie moderne Managemant-Techniker zynisch ihre Menschenführungsprogramme formulieren, so sprechen die Programmierer ihre Bedürfnisse aus. Geld ist nicht »das Konkrete« — dagegen steht, daß mal jemand kommt und einen lobt. Und ein anderer Gegensatz wird formuliert: das Erfolgserlebnis bleibt beim einzelnen, er hat es für sich allein, es hat mit der Sache nichts zu tun. Die so spricht, sagt uns im Kontext, daß sie sich aus der Arbeit ohnehin nicht soviel macht, es ist nur noch Geldverdienen. Die andere Programmiererin stellt ihre Klagen über die Unpersönlichkeit der Vorgesetzten in den Zusammenhang, daß sie ihren Lebensmittelpunkt verschoben habe auf außer der Arbeit liegende Bereiche. Sie legen nahe, daß die Sache ihnen mehr bedeuten würde, daß sie sich engagieren könnten, wofern innerhalb der Betriebshierarchie freundlichere Formen von Anerkennung und Lob herrschten, wofern ihnen also die Sachen über Personen näher gebracht würden, dies in vertikaler Hierarchie. Gleichzeitig formulieren sie die Nutz- und Sinnlosigkeit bestimmter ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Aufgaben und Arbeitsvollzüge und die Bereitschaft, solche Fragen aufzugeben zugunsten von Vorgesetztenanerkennung. »Es interessiert niemanden« — dies ist die Formulierung, in der perspektivisch der Anspruch an sinnvolle Arbeit ebenso ausgesprochen wird wie die Bereitschaft, für ein Interesse die verbale Zusicherung desselben zu akzeptieren. — Trotz theoretischer Einsicht, daß die Verschiebimg gesellschaftlichen Sinns auf die verbale Anerkennung durch einzelne Personen zu den Effekten der Vergesellschaftung in unseren Verhältnissen gehört, haben wir erwartet, reine Formen von Interessenartikulation und bestimmter Gesellschaftskritik zu finden. Was wir neu lernen müssen, ist eine vergleichsweise einfache theoretische Einsicht: daß die Arbeitenden die veränderten Bedingungen, die andere Anordnung der Widersprüche innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen verarbeiten, und daß dieses »innerhalb« bedeutet, daß die; Lösungsformen, die sie benutzen, selber Resultate ihrer bisherigen Vergesellschaftung sind. Was uns die Programmierer also zumuten ist, die Personen als vielfach gespaltene wahrzunehmen, als in die gesellschaftlichen Formen verstrickte, die z.B. Kapitalismuskritik äußern in Form seiner Anerkennung. Unter diesen Bedingungen scheint es wenig nützlich, die einzelnen Verarbeitungsmuster nachzuzeichnen — wie wir zunächst vorhatten — gewissermaßen ein vollständiges Bild von Automationsarbeiterpersönlichkeiten unter kapitalistischen Bedingungen herzustellen. Der Versuch, die Zusammensetzung, die Lebensweise zu erforschen, führt uns wiederum dazu, analytische Trennungen vorzunehmen: genauer, es empfiehlt sich, für eingreifendes Denken die Zusammenfügung der Arbeitenden selber nicht mitzumachen, sondern umgekehrt, die kritisch-verändernden Einsichten analytisch abzulösen von ihren Blockierungen, um beide so bearbeitbar zu machen. Ein solches Unterfangen stößt in den oben zitierten Passagen auf vielfältige Überlegungen der Vereinfachimg gesellschaftlicher Arbeit, auf Bürokratiekritik, auf den Anspruch, die Arbeit in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Die Kritik wird nicht radikal, weil damit Handlungsfähigkeit verunmöglicht würde. Man kann nicht gleichzeitig eine Arbeit sinnlos finden und sie selbstbestimmt durchführen. Der Sinn einer Arbeit ist sozial bestimmt. Auch beim Programmieren ist es das Produkt, über dessen Nutzen rückwärts die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit entschieden wird. Wie über dieses mitzubestimmen wäre, etwa in der Verwaltung, ist eine schwierige Frage, zu deren Lösung z.B. das Zusammenwirken der verschiedenen Programmierer eine notwendige Vorbedingung wäre. Dagegen steht die selbst in der Gruppendiskussion der befreundeten Programmierer ins Auge springende Vereinzelung. Wir können soweit gehen, zu formulieren, daß die zunehmende Vergesellschaftung der Arbeit, die die Reflexion auf den gesellschaftlichen Nutzen als Bestandteil der Tätigkeit unumgänglich macht, eine verschärfte Vereinzelung produziert. Die Programmierer erARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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fahren die zunehmende Selbstbestimmung in der Arbeit als Herausforderung der Maschinerie. Sie äußern den durch die Tätigkeit erzwungenen Abbau an Herrschaft (kein Vorgesetzter ist kompetent genug) zugleich positiv und negativ als Verlust an ordentlicher Geborgenheit: »Die Maschine ist gnadenlos, emotionslos und objektiv«. Fähigkeiten werden unter unseren Verhältnissen im sozialen Gegensatz herausgebildet. In beständiger Konkurrenz ist Lernen eingebunden in ein System, in dem es keine gleich Guten, sondern Sieger und Unterlegene gibt. Fehler können ausnahmsweise von oben vergeben werden in einem Gnadenakt. Die Struktur ist klar geordnet. Über Erfolg und Mißerfolg entscheidet man weder selber noch ist dies ein Prozeß horizontalen Konsenses. Unter der ständigen Drohung, die knappen Plätze nicht zu erreichen, vereinzelt schulische Vergesellschaftung. Zugleich werden Anerkennung und Platzzuweisung von oben ebenso akzeptiert wie der Kampf selber zur persönlichen Haltung wird. »Das ist ein Machtkampf mit der Maschine, ob man da besser ist!« Die Form von Anerkennung und Gratifikation in vertikaler Hierarchie ist aufgelöst. Die Freiheit wird gelebt im Einzelkampf mit der Maschine. Sie ist tatsächliche objektive Instanz des Gelingens oder Mißlingens. Die Abkoppelung von der Mitbestimmung um die soziale Sinnhaftigkeit des Produkts läßt dennoch zu, daß die Aufgaben in sich erfolgreich gelöst werden können; aus der persönlichen Herrschaftsanordnimg entlassen, wird die eingeübte soziale Bewährungsstrategie zum Einzelkampf mit der Maschine. In dieser Figur überlagern sich die Probleme der fehlenden gesellschaftlichen Kompetenz, die Herrschaft notwendig macht und der herrschaftslosen Tätigkeitsstruktur des Programmierens. Entgegen unseren Annahmen erweist sich praktisch die spezifische Vergesellschaftung mit dem Resultat einer Bereitschaft, sich oberen Instanzen zu fügen, nicht einfach als Hemmnis gegen Arbeitspraxen, die nicht vertikal organisiert sind. Sie ist hemmend und funktional zugleich. Sie erschwert horizontales Miteinanderarbeiten, aber zugleich erlaubt sie auch eine Vereinzelung, die im vorgegebenen Rahmen produktiv ist. Der Machtkampf mit der Maschine ist eine Form, die Aufgaben zu bewältigen, auch wenn die Sinnhaftigkeit bezweifelt wird. Auch von daher ist es notwendig, Strategien zu entwikkeln, die die Vereinzelung überwinden können. Sie werden hier schon für die einfache Erhaltung der Arbeitskraft notwendig, denn es ist dieser Kampf mit der Maschine, der auch dazu führt, daß man das Essen vergißt, die Probleme einen über Nacht nicht schlafen lassen, »das Hirn okkupieren«. So wäre die Entwicklung einer Arbeitskultur nach diestf Seite hin zugleich ein Beitrag gegen Vereinzelung, für die Konstitutierung kollektiver Subjekte.
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»Wenn man die Produktionsmittel In eigene Hände nimmt, kann man alles tun« »Mit so einem Computer kann man alles machen, was man für ein vernünftiges Flugblatt braucht« — so äußert sich die Setzerin Barbara: Ich habe mir dann dieses Fotosatzgerät ins Wohnzimmer gestellt, weil ich gemerkt habe, daß diese Art zu arbeiten mir soviel Spaß macht, daß ich das gerne durchgängig machen wollte, aber nicht in einem Betrieb außerhalb, weil, wenn ich das vernünftig mache, dann bedeutet das mindestens 10 Stunden am Tag, und das kann ich ja nicht, wenn ich Kinder zu Hause habe.
Diese Möglichkeit, die mit wachsender Kompetenz zu sofortigem Umsetzen drängt, bedeutet praktisch eine Rückführung des Lohnarbeiters in einen Handwerksbetrieb. Der Arbeiter eignet sich die Produktionsmittel an, indem er sie in seinen Privatbesitz überführt. Auch dieses macht die Automation möglich durch Verkleinerung und Verbilligung einiger Produktionsmittel. Der Versuch, solches Verhalten mit Klassenkategorien zu erfassen, bringt wenig. In unserem Fall ist es politisches Handeln (u.a. Flugblätter), welches die private Inbesitznahme von Produktionsmitteln begleitet. Wie leben die Arbeitenden eine größere Kompetenz und Verantwortung, eine Deformalisierung in den konkreten Tätigkeiten bei gleichbleibender gesellschaftlicher Inkompetenz in bezug auf die Wahl der Aufgaben, den gesellschaftlichen Nutzen ihres Tuns — so lautete eine unserer Fragen. Der erste Durchgang durch die Programmierergespräche zeigte: die Frage war in dieser Form zu einfach gestellt, die starren Begriffe können die unordentliche Bewegung schlecht fassen. Kompetenz und Verantwortung treten teilweise als Zumutung, teilweise als Inkompetenz der Vorgesetzten auf, die fehlende gesellschaftliche Kompetenz in der Produktion erscheint teilweise als natürliches Moment der Tätigkeiten. Vorwiegender Eindruck ist eine große Unruhe und Schwierigkeit, die verschiedenen Bereiche, Momente und Anforderungen zusammenzufügen und dabei sich als Person zu behaupten. Auch in dem Fall, in dem es gelingt, die Produktionsmittel in eigene Hände zu überführen, wird das gesamte Leben umgewälzt. Das bezieht sich nicht nur auf die Besetzung des Hauses (Wohnzimmers) mit Maschinen und die Anordnung des Arbeitstages. Es betrifft auch und vor allem die Art und Weise, wie die Tätigkeit gelebt und bewertet wird: Barbara: Ich empfinde ihn als den idealsten Arbeitsplatz, den ich also — jetzt bin ich 37; also arbeite ich jetzt 23 Jahre — in den 23 Jahren überhaupt kennengelernt habe, und auch idealer als alles andere, was ich überhaupt je an Arbeitsplätzen gesehen und von denen ich gehört und gelesen habe. Ideal deshalb, weil ich mit dem Gerät, was so hochtechnisiert und automatisiert ist, ein ganzes Werk herstellen kann. Beispiel: ein »Argument« von der ersten bis zur letzten ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Seite mit Umbruch und Lay-out und allem, was dazugehört. Und das würde ich, auch wenn ich das Doppelte und Sicherheit an Gehalt und ich weiß nicht, was man mir da alles bieten könnte, würde ich also um keinen Preis tauschen wollen; etwa nur, daß ich vielleicht meine Kenntnisse im Programmieren, die Programme eingeben oder im Maschinenumbruch oder all das, was man also stückchenweise mit den Geräten machen kann, wenn ich das in einer anderen Firma machen könnte, würde ich nicht tauschen: weil diese Form der Arbeit, nämlich das gesamte Arbeiten nur mit diesem Gerät, nein, das Herstellen eines gesamten Werkes, ist die größte Befriedigung, und dabei fällt für mich zumindest weg, daß ich also sagen könnte: Das ist mir zu schwierig, das. kann ich nicht oder ... naja, die Angst vor zu hohen Schwierigkeiten. Nehmen wir mal an, ich ziehe eine Kasten oder einen Strich und ich kriege das Programm nicht auf Anhieb hin, dann kann es passieren, daß ich für einen winzigen kleinen Kasten 6 Stunden brauche, bis ich dies auf ein Hundertstel mm genau ausgrechnet und durch die Maschine habe ausführen lassen. Ich kann mir vorstellen, daß ich also, zumindest von meinem Wissen noch von früher her, an solchen Aufgaben mich nicht lange festgehalten hätte, sondern hätte irgendjemahden befragt, und der hätte mir das sicherlich auch gesagt, und ich hätte es unter Umständen vergessen. Aber das Herausfummeln, wie die Maschine funktioniert und wie ich genau, millimetergenau arbeiten kann, ist doch so etwas wie, ja, wie kann ich das sagen, ich habe das Gefühl, daß ich dabei nicht müde werde, das Ding auszukundschaften. Es ist also für mich kein Lebewesen und nichts, was ich mit Namen bedenken würde, wie andere Leute ihr Auto, aber es ist doch so, daß ich, wenn ich eine Schwierigkeit in diesem Rechenprogramm entdecke, daß ich wiö besessen ohne Essen — und vergesse also alles Mögliche, verschlampe auch Termine, leider! — dann dasitze und mache das Ding fertig, und wenn das 10 Stunden dauert. Das ist also etwas, was ich vorher noch nie erfahren habe, obwohl ich ja weiß, daß ich recht intensiv und hart arbeiten kann. Aber so eine Fummelei, wo also eigentlich nichts bei rauskommt als ein kleiner Kasten, 3 cm hoch, 2,5 cm breit, in der Mitte lauter kleine Kästchen nochmal drin, ist ja eigentlich nichts Dolles, nicht? Was mich fasziniert, ist die Exaktheit, mit der diese Maschine Arbeiten macht, die ich nur durch einen Zeichner machen lassen oder selbst mühselig mit einem Rapido zeichen könnte, Striche, Linien, Kleben, Seitenzahlen, alles das, was also zum Buch- oder Flugblatt-Hersteilen gehört, da bräuchte ich einen Zeichner und vielleicht auch noch einen Lay-outer oder einen Monteur, wenn ich das alles mit der Maschine machen kann, dann finde ich das atemberaubend. Also ich bin richtiggehend fasziniert von diesem Ding, ich finde das ganz toll. Das liebste, was ich mit diesem Automaten mache, ist letztendlich ja auch Tabellensatz. Das ist schon etwas schizophren oder ein bißchen verrückt. Ich mache wahnsinnig gerne Tabellen, nicht, weil ich so gerne Zahlen nebeneinander stehen sehe, sondern, weil es mir einen ungeheuren Spaß macht, bei jeder Tabelle, so lange wie ich an diesem Ding schon sitze, entdecke ich immer wieder noch eine Möglichkeit, wie ich ein Programm vereinfachen kann, von den Eingaben her gesehen, und das finde ich dann ganz toll. Es macht mir solchen Spaß, daß ich also wirklich denke, ich hätte einen Baum gepflanzt, es ist vergleichbar, irgendwie sowas Vergleichbares. Das bedeutet natürlich unterm Strich auch, daß ich durch dieses Sq-Herangehen und durch die Möglichkeit, das muß ich ja auch sehen, das so machen zu ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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können — ich höre eben nicht Punkt 5 auf oder um Punkt 1, wenn alle Pause machen —, abends da sehr lange dran zu sitzen, wenn ich nämlich Lust habe, das zu machen, nicht nur Lust, sondern auch die Muße. Dadurch kenne ich diese Maschine von A bis Z, so daß ich wenn ein Schriftträger nicht richtig läuft oder irgendwo was nicht in Ordnung ist... dann pfeift es oder es piept oder .. ich höre das sofort und kann relativ schnell einen Fehler^herausfinden, so daß ich dadurch auch keinen wahnsinnigen Materialverbrauch habe, den ich als Ausschuß bezeichnen könnte, weil, es kommt so selten vor, daß ich etwas überhöre, daß der Papierlauf nicht richtig läuft, also immerzu leeres Papier räusläuft, was viel Geld kostet. Das höre ich sofort, dann stelle ich die Maschine ab. Das ist eine Gabe, die kriegt oder das merkt man natürlich nur, wenn man sich so intensiv mit solch einem Gerät auseinandergesetzt hat, daß man es letztlich behandelt, ja, wie eine normale Schreibmaschine. Wenn eine Taste nicht richtig runterdrückt, dann zieht man die ja auch nach, das machst du auch mit deiner Maschine, oder machst die Typen sauber, dies ist eigentlich nichts anderes. (...) Mein Arbeitsplatz mit diesen Maschinen bedeutet für mich — nur auf mich bezogen — die einzige Möglichkeit, eine relativ hochqualifizierte Arbeit auszuführen — im Verhältnis zur Stenotypistinnen-Tätigkeit. Ich meine, das ist vielleicht noch eine Motivations-Grundlage. Das Gerät als solches, die Faszination der Technik, das kann ja vielleicht sogar bei einem Tonbandgerät entstehen, daß man da mit rumfummelt. Die Faszination der Technik heißt ja auch für mich — ich denke, daß das irgendwo mitschwingt —, ich weiß jedenfalls: wenn ich das Ding nicht beherrsche, dann kann ich wieder an die Schreibmaschine gehen oder dann macht es mir weniger Spaß oder ich bin nur eine Eingabe-Tante, die nur die Texte blind abtippt, und dann sehe ich also den Arbeitsablauf nicht mehr ganz oder ich könnte halt so einen Arbeitsablauf nicht durchführen, so wie ich das mache. Da schwingt durchaus schon mit, daß ich mich als eigentlich superqualifiziert für Satzgeschichten ansehe, obwohl ich im Grunde genommen weder eine Ausbildung noch sonst etwas dafür habe und von daher ja eigentlich auch gar keine andere Möglichkeit, als mich in dem Bereich, der mir zudem noch Spaß macht, so zu qualifizieren, daß ich mit dem Ding umgehen kann.
Bis in die Wortwahl hinein gleichen einzelne Momente den von den Programmierern thematisierten: die Faszination, die Frage der Kompetenz, das Vergessen übriger Lebensbereiche z.B. des Essens. Aber der Kontext und die freudige Haltung geben den Momenten umgekehrte Bedeutung. Die Verknüpfungen, die Barbara herstellt, können Auskunft geben, wie sehr das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital unser Leben bestimmt. Sie stellt einen Zusammenhang her zwischen der Tatsache, daß sie nicht um Punkt 5 Uhr aufhört oder um Punkt 1 Uhr eine Pause macht, und ihrer Fähigkeit, die Maschine zu beherrschen, damit dem großen Vergnügen, das sie an ihrer Tätigkeit und deren Selbstbestimmimg hat. Im Zusammenhang damit steht das Motiv, die Maschine immer weiter auszukundschaften — zu lernen —, die Tätigkeiten zu vereinfachen, den Arbeitsplatz zu gestalten. Der Achtstundentag ist ebenso eine ErrungenARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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schaft der Arbeiterbewegung wie die Pausenregelung. Sie schützen die Arbeitenden vor übermäßiger Ausbeutung, vor der vorzeitigen Aussaugung ihrer Lebenskräfte. Sie erlauben u.a. auch den Aufbau von Solidaritätsnetzen durch Arbeiterkontakte in den Pausen, Kollegentreffen nach Feierabend. Die Einhaltung der zeitlichen Arbeitsgrenzen ist also eine positive Errungenschaft, ein Überschreiten in die Freizeit heißt Überstunden und muß entweder übertariflich entlohnt werden oder gerät — wie zur Zeit — unter besonderen Rechtfertigungsdruck. Die sorgfältige Trennung der Bereiche bestimmt die Freizeitgestaltung« ebenso wie umgekehrt diese den Arbeitsbereich beeinflußt. Zu diesem Verhältnis gibt es zahlreiche Untersuchungen. Die Setzerin formuliert aber in unserem Zusammenhang einen weiteren einschneidenden Umstand: unter der Voraussetzung des Kapital. Verhältnisses und der darin überlebensnotwendigen Trennung der Bereiche Arbeit und Freizeit und der Bewachung der Grenzen vor Übergriffen durch die Unternehmer, müssen sich die Lohnarbeiter als fremdbestimmte wiederherstellen, und die Fremdbestimmung betrifft ganz konkret die Weise, wie und ob man lernt, sich freut, welches Verhältnis zur Maschine man hat, und ob es einem gelingt, sie zu beherrschen — zudem natürlich das Verhältnis zu Aufgabenstellung und Produkt. Die Freude an der Maschine und an der Tätigkeit sind z.B. die Aufhebung von Arbeitsteilung (Zeichner, Lay-outer, Monteur) und die Möglichkeit, selbst zu optimieren, den Materialverbrauch zu verringern etc. Die Faszination liegt auch — es klingt fast wie ein Paradox — in der Entzauberung. Schließlich kann sie eine große Maschine, in der so viele Arbeitsarten zusammengefaßt sind, so sich zu eigen machen, daß sie ist wie eine kleine, ein Arbeitsmittel wie eine Schreibmaschine. An der Art, wie die Setzerin ihr heutiges Lernen und ihr Verhalten als Lohnarbeiterin schildert, können wir Behinderungen des Lernens in unseren Verhältnissen ebenso herauslesen, wie die Schwierigkeiten der Veränderung. Sie kundschaftet heute die Möglichkeiten der Maschinen so lange aus, bis sie alle Schwierigkeiten meistert, früher hätte sie jemanden gefragt und es dann u.U. vergessen. So spricht sie den Sachverhalt aus, daß man sich Wissen selber zu eigen machen muß, daß niemand einen belehren kann, wenn man es sich nicht selber aktiv aneignet. In der Haltung des »bloßen Fragens« deutet sie Lernverhältnisse und entfremdete Bedingungen an. Da ist jemand, der weiß es besser, aber man muß es auch selber nicht so genau wissen. Fehlende Aneignung von Kompetenz als Antwort auf ihr Vorenthalten. Das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital produziert eine Arbeits- und Lernkultur der Zurückhaltung und Behinderung. Das wird bei den Programmierern als Zwiespalt, als Zerrissenheit deutlich ausgetragen. Bei der Setzerin sehen wir den Versuch, die Einheit dadurch herzustellen, daß sie gleichsam das Unternehmer/Arbeiter-Verhältnis in sich zusammenbringt. Das Resultat ist eine Vereinzelimg und eine Lösung, ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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die den »Freizeitbereich« zugunsten des Arbeitsbereiches verschlingt. Sowenig wir für die Programmierer ein Arbeitsleben empfehlen können, in dem sie freiwillig Tag und Nacht an den Maschinen sitzen und nichts essen, Und dennoch sehen, daß funktionale Verhaltaisweisen aus alten Arbeitsweisen das Ergreifen neuer Bedingungen blockieren, sowenig scheint es Lösungen in den bisherigen Formen zu geben. Zwar führt für die Setzerin die Deformalisierung der Tätigkeiten nicht zum Gefühl gefährlicher Unordnung und Gesetzlosigkeit. Aber sie erwarb auch die entsprechenden Fähigkeiten nicht in staatlich anerkannter Form und geradliniger Laufbahn. Daß die Gesetze gerade im Bereich von Lernen und Ausbildung überschritten wurden — »ich habe keine Ausbildung«, sagt sie —, und sie sich gleichwohl superqualifiziert fühlt, nimmt ihr zugleich den Zwiespalt, den die Programmierer durch Anerkennung von oben lösen wollten und läßt sie die Kosten tragen als beständige Anforderung an eigene Tüchtigkeit bis zum Rand physischer Existenz. Eine Lösung kann nur eine kollektive sein. Es scheint so, als ob die alte Arbeitskultur, die das Zueinander der Bereiche für die Arbeitenden lebbar machte, nicht ausreicht und eine neue bewußte Gestaltung des Lebens in und außerhalb der Arbeit neu gefunden werden muß (vgl. dazu das Projekt Automationsmedizin 1981, und Nemitz, B., 1982). Verschiebungen der Konflikte zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkräften zu Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben Die Programmierer »identifizieren sich nicht mit der Arbeit«, obwohl »sie so faszinierend« ist. Darin steckt eine kulturelle Anstrengung der Verweigerung. Sie betrifft nicht nur die Ausdehnung von Pausen, das Bummeln, Dienst nach Vorschrift. Auf eigentümliche Weise scheinen die einzelnen mit ihrer gesamten Identität verstrickt. Daß die Arbeiter einen großen Teil ihrer Arbeitskraft nicht in ihrer Arbeit verausgaben, »sich zurückhalten« ist das ständige Problem der Unternehmen, dem die Betriebspsychologie ihre Bedeutung verdankt. Die Art, wie die Programmierer über die Faszination der Maschine sprachen, verweist auch auf diesen alten Konflikt zwischen den Klassen und auf seine Verschiebung. Man »identifiziert« sich nicht, weil man z.B. einen anderen »Hauptlebensmittelpunkt« hat: ein Kind; Ursel malt und Otto sagt: Was mir Spaß macht, ist alles, was mit meinem Körper zu tun hat: essen, schlafen, vögeln, in der Sonne liegen, schwimmen gehen. Ich möchte die Faszination nicht, weil kein Platz für was anderes war und das habe ich als Mangel empfunden. Das war nicht ein Einspruch, daß ich was anderes machen wollte, ich hab es als Mangel empfunden, es fehlte mir was. Inge: Du isolierst dich ja. Du wirst beherrscht. Statt zu herrschen, beherrscht dich irgendeine Idee. Und zur eigenen Selbsterhaltung mußt du das eingrenzen. Denn in der EDV, da kannst du dich, halt verausgaben, und es gibt Leute, es ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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gibt anschauliche Beispiele, wir hatten davon schon genug bei uns rumzulaufen, die sich davon beherrschen lassen, die sind keine Menschen mehr. Otto: Ich hab noch nicht einmal was dagegen, davon beherrscht zu sein, aber dann möchte ich damit einverstanden sein. Ich habe das Gefühl, daß ich darüber die Kontrolle verloren habe. Weil mir was fehlt, was ich empfinde, was nicht aus einem Einspruch erwächst, daß ich was anderes machen will, sondern ich will das einfach nicht haben, es fehlt mir was anderes, was ich nicht mehr machen kann, ich kann es nicht mehr. Und ich könnte mich damit einverstanden erklären und sagen: ja, ich bin jetzt eben verrückt und der Rechner ist alles, aber das kann ich nicht, ich will das auch nicht.
In der Einleitung zu den Grundrissen findet man die viel zitierten Marxschen Passagen zur Gleichgültigkeit der Arbeit, die er bis zur Aussage über die Haltung der einzelnen formuliert: »Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andere übergehen und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist.« (1953, 25) Diese Sätze sind in der Industriesoziologie der letzten 20 Jahre von großer Bedeutung, ermöglichen sie es doch mit Leichtigkeit das oben genannte Problem der Unternehmer, gegen Arbeitszurückhaltung Strategien zu suchen, als einfaches Problem von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen auszudrücken: Alle Arbeit ist inhaltlich gleich, dank der Entwicklung der Maschinerie, und sie ist den Arbeitern gleichgültig dank der fremdbestimmten Verhältnisse, in denen ihnen die Maschinen nicht gehören. Gleichgültigkeit als Metapher für die Warenform der Arbeitskraft. — Wir haben in unseren bisherigen Bänden (vgl. insbes. AS 43, 92ff., und AS 55,335ff.) dagegen gestritten, die Kategorie der Gleichgültigkeit empirisch wörtlich zu nehmen, und bestritten sogar ihren analytischen Nutzen, da Arbeitsvollzüge ganz ohne bewußte Beteiligung der Ausführenden kaum möglich sind. Hingegen schien es uns wichtig, den Widerspruch zu untersuchen, der bei gleichbleibend fremden Produktionsverhältnissen durch die notwendig größere innere Beteiligung von Automationsarbeitera an ihrer Arbeit verschärft würde. — Die hier zu Wort gekommenen Programmierer sprechen genau diesen Konflikt an, wenn sie von der Arbeitsidentifikation reden. Aber sie sprechen ihn nicht als Konflikt zwischen Produktivkräften (die die Menschen einschließen) und Produktionsverhältnissen aus, sie erwähnen die Produktionsverhältnisse überhaupt nicht, nicht einmal in Gestalt des jeweiligen Betriebes. Der Konflikt erscheint vielmehr in den Personen selber, bestenfalls zwischen ihrem außerbetrieblichen Sein und den Maschinen. Programmiertätigkeiten scheinen sinnliche Anziehungskraft zu besitzen, wie die Sirenen in der Odyssee; man muß sich vor ihren verführerischen Klängen die Ohren verstopfen, um sich selber zu retten. Sonst verfällt man der Herrschaft. Herrschaft meint hier den Arbeitsbereich als das Entwerfen von »Ideen« und deren ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Anwendungen. Und »man selber« das ist das andere, das außerhalb solcher Arbeit existieren muß. Die Programmierer äußern diesen Widerspruch also nicht als einen zu den Produktionsverhältnissen, sondern als Mitglieder dieser Verhältnisse schon in den Effekten selber. Das hatten wir bei unseren Überlegungen zunächst nicht berücksichtigt. Die Notwendigkeit, die Aufgaben in ihr Leben als gesellschaftliche Menschen zu nehmen, erfahren sie als Bedrohung ihres Privatlebens. Der Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital (bzw. Staat) war u.a. lebbar als Trennung von Arbeits- und Privatbereich. Die Anforderungen aus den gegenständlichen Produktivkräften werden nicht erfahren als Protest gegen ihre private Form, sondern als Übergriff in die eigene Privatform des Lebens. Der vollen Vergesellschaftung der Produktion stehen nicht nur die Privateigentümer an Produktionsmitteln entgegen, sondern auch die Privatheit der Produzenten selber. Es geht nicht allein darum, das Zueinander der Bereiche überlebensfähig zu regulieren, sondern auch Lebensweisen zu finden und zu propagieren, die die Privatheit und die mit ihr einhergehende Vereinzelung überwinden. Dies scheint ein strategischer Punkt zu sein. Der Widerspruch, in den sich die Personen als einzelne verstrickt sehen, tritt noch einmal auf als gegensätzliche Erfahrung der Tätigkeiten selber. Gegen die Privatheit der Produktionsmittel die eigene Privatheit setzen und gegen die Lust an der Tätigkeit eine andere Lust — das macht schon sprachlich Schwierigkeiten: »man hat die Idee, was Neues zu machen« — das soll nicht Freude ausdrücken oder eine positive Beurteilung eines Arbeitsfeldes sein, sondern ist Ausdruck der Bedrohung, weil es nach bisherigen Maßstäben keinen vernünftigen Grund gibt, sich einer solchen Sache nicht ganz hinzugeben. Statt in seinen Grenzen des Arbeitsplatzes und der zugeteilten Stunden zubleiben, wird der Rechner als »unbegrenzte Aufgar be« artikuliert: Otto: Aber der Rechner und diese Strukturen, die da sind, ermöglichen es einem ständig, auch diese Strukturen noch umzustellen. Also erst hat man drei Systeme nebeneinander, dann denkt man, die könnte man doch vielleicht zusammenfassen. Man kann in dem System selber ständig rumarbeiten, man hat die Idee, was Neues' zu machen.
Wir konnten bis hierher bei den Programmierern drei gegensätzliche Erfahrungen und drei Tendenzen ihrer Verarbeitung entziffern: 1. Arbeit und Aufgabe werden als selbstbestimmt/nutzlos erlebt. Der Widerspruch entlädt sich als Kritik an dem Führungsstil der Vorgesetzten. 2. Die Arbeit wird als fesselnd/frei erlebt und in diesem Gegensatz erfahren als Übergriff in die Privatsphäre. 3. Die Arbeit wird als perfekt/sinnlos erlebt. Dieser Zusammenstoß wird — insbesondere von den Frauen — verarbeitet als Bürokratiekritik. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Alle drei Momente mobilisieren spezifische Widerstandsformen. Als Widerstand fassen wir auch Versuche, in und neben den Tätigkeiten selber Zwecke zu setzen. Die Privatisierten im Widerstand gegen die Privatheit der Produktionsmittel Ursel: Und fttr mich sieht das auch so aus, daß ich mit meiner Arbeit, die ich habe, die Termine möglichst lange herauszögere, weil ich nicht genau weiß, was danach kommt. Und um so eher ich was fertigstelle, um so eher wird woanders wieder was wegrationalisiert oder die haben mehr Arbeit oder die Arbeit wird einfacher und die müssen andere Arbeit dafür mitmachen. Die arbeiten ja dafür dann weniger. Insofern hat das immer negative Auswirkungen. Inge: Ich hab sowieso einen Arbeitsstil, daß ich bis jetzt noch nie einen Termin gehalten habe. Die Protokolle habe ich als einziges immer pünktlich abgeliefert. Und wenn der Kleine was zu essen haben mußte um 6 Uhr, das hab ich auch noch geschafft; meistens aber in Form eines Gläschens — ich hab nicht gekocht. Aber ansonsten — Termine habe ich auch noch nie gehalten. Das hat mir auch eine Menge Ärger schon eingebracht, aber es geht eben nicht anders: »Ist noch nicht fertig, ist noch nicht fertig«. Das mache ich aber nicht bewußt, wie Ursel, daß ich rauszögere. Ursel: Ne, so ja nun auch nicht, aber das ergibt sich halt einfach so. Ich verwende keine große Mühe daran, Termine zu halten. Wenn mich ein Vorgesetzter fragt, dann ziehe ich das möglichst lange raus. Nicht weil ich geil darauf bin, danach wieder was Tolles anderes zu machen, einfach weil ich den ganzen . Sinn da nicht so drin sehe. Weil ich nicht weiß, wem ich da irgendwas Tolles bringe. Otto: Das halte ich nicht, das klappt nicht, das stimmt nie,, das kommt nie mit den Terminen hin. Aber früher war das so, am Anfang konnte ich keinen Termin halten, weil ich überhaupt nicht wußte, was alles so da passierte und völlig dem System ausgeliefert war. Hinterher war irgendwie das Vergnügen da drin, derjenige, dem ich das zugetragen habe, der die Ergebnisse bekam und von der EDV keine Ahnung hatte, ich aber das Geld bekam, den im Unklaren darüber zu lassen über den tatsächlichen Arbeitsaufwand, denn die Termine wurden immer gehalten, aber der Arbeitsaufwand war tatsächlich minimal. Kaum Arbeit.
Trotz wiederholter Ausführungen über den Erfolg beim Arbeiten wird als genußvoll schließlich der Wetteifer behauptet, keine Arbeit als Arbeit vorzuführen. Daß die Vorgesetzten die der Person zukommenden Anerkennungen versagen, wird ihnen heimgezahlt. Der Stolz auf die eigene Arbeit bricht sich an der gemutmaßten Sinnlosigkeit. Die Enthaltsamkeit der Vorgesetzten, hier durch Lob und Freundlichkeit reparierend einzugreifen, läßt den Arbeitenden als einer Art neues Identifikationsmerkmal den Triumph, über das Arbeitsausmaß täuschen zu können, ohne daß das jemand kontrollieren kann. Das ist die Kehrseite der fehlenden AnerkenARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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nung. Dabei gibt es Zweifel am eigenen Um: an seiner Rechtmäßigkeit, an seiner Intentionalität und selbst daran, ob die Erledigung von Aufgaben in vorgesehenen Zeiträumen nicht eher mit dem Charakter zusammenhänge, eine Frage des persönlichen Stils sei. Alle diese Haltungen sind nicht möglich, wenn einem die Produktionsmittel gehören. Die Setzerin mit den eigenen Satzgeräten kann kaum so über einen solchen Konflikt sprechen. Und dennoch spricht sie über Unzufriedenheit an einer ähnlichen Stelle wie die drei Programmierer/innen. Was jene als Mangel an Anerkennung durch Vorgesetzte äußerten, ist in ihren Worten fehlende Kritik und Kommunikation. Barbara: Aber die Unzufriedenheit entsteht da, wo ich erstens überhaupt gar keine Kritik bekomme von anderen, wo ich ja auch was von lernen würde, weil, wer soll mich kritisieren, bei dem Stand, was ich mit der Maschine kann? Und da gibt es sicher eine Menge zu kritisieren. Aber da wäre sicherlich auch eine Menge, was man anders machen könnte. Und zweitens, wegen der Kommunikation. Wenn ich an einer Maschine sitze oder ich möchte gern über irgendetwas reden, was da als Fehler auftaucht... Ich habe die Menschen noch nicht gefunden, die bereit sind, bei mir zu arbeiten, und mit denen ich auch einfach mal so über ganz bestimmte Sachen reden kann, wo die auch was von verstehen — vielleicht hört sich das zu arrogant an —, ich möchte gern auch mal was von anderen hören und möchte nicht immer sagen: »Paß mal auf, jetzt mußt du da nachgucken, wenn es hier piept, dann...«, verstehst du, ich möchte es mal andersrum haben eigentlich, das ist ein Wunschtraum von mir, daß jemand sagt: »Paß mal auf, vielleicht guckste mal da nach.« Verstehst du sowas? Ich finde, das ist eine ganz blöde Situation für mich jetzt, daß ich das Gefühl habe, wenn ich jetzt nicht überlege, und die Überlegungen laufen auch schon in meinem Kopfe, wenn ich nicht in den nächsten drei, vier Jahren wieder mit Leuten was zusammen mache, dann kann ich genausogut mir was anderes suchen, weil ich dann alles weiß, was mit diesen Satzmäschinen zusammenhängt, und dann macht's mir vielleicht auch keinen Spaß mehr, das weiß ich nicht. Also dann ist Ende. Das ist so wie eine bestimmte Sache, die mache ich drei, vier Jahre ganz gerne, dann führe ich sie zum Ende, aber wenn ich das alles kann, entweder ich gebe das weiter, aber dann so sinnvoll, daß das nicht nur Nebenbeschäftigungen für irgendwelche Studenten sind, innerhalb eines Betriebs oder: man baut gemeinsam einen Betrieb auf oder führt ihn weiter.
Weiter oben formulierte Barbara Lernbehinderungen dahingehend, daß Vorgesetzte Anweisungen geben, in allgemeiner Form als Problem von Neugier, einem Auskundschaften im Gegensatz zum Fragen und die Auskunft wieder vergessen. Es ist uns einsichtig, daß in dieser Form ein wichtiges Moment beim Lernen benannt wurde und zugleich führte es in ihrem Fall zu einem Arbeitstag von wenigstens 12 Stunden, in denen sie sich u.a. das Tabellensetzen aneignete. Diese Form, alles selbst noch einmal zu erfinden, ist höchst irrational, wo gesellschaftliches Wissen vorhanden ist und tradiert werden kann. Zudem kann Nachfragen und Kritik das LerARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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nen fördern. Dies geschieht, sobald Lernen nicht im sozialen Gegensatz organisiert ist, sondern um eine gemeinsame Sache. In ihren praktischen Wünschen nach einem Kollektiv von Gleichen, die wechselseitig voneinander lernen, äußert Barbara genau diesen Sachverhalt. Ungenügen und Unruhe äußern alle vier Befragten: etwas anders machen. Wie kann man etwas verändern, wenn der Rahmen so abgesteckt ist, daß Verändertes, wie das zu Ändernde als gleichermaßen nutzlos aufgefaßt werden? Das war ein Problem der Programmierer. Man könnte die Aufgaben auf sich nehmen, wenn man dafür Anerkennung erhielte, war eine Antwort. Wenn das Ändern eine Arbeitsaufgabe ist, ändert man auch selbstbewußt, indem man sich der Aufgabe weitgehend entzieht, war eine ihrer Taten. Das gleiche Gefühl, daß Arbeit dann menschlich ist, wenn sie beständig Änderungen ergreift, daß Arbeit also praktische Kritik ist, äußert die Setzerin als Suche nach Kritik. Dabei formuliert sie als selbstverständlich, was mühsames theoretisches Produkt war, daß Kooperation nicht bloß aus der Aneinanderreihung menschlicher Arbeitskraft besteht, sondern aus dem Wetteifer um die gemeinsame Aufgabe, aus zusammengefügten Kompetenzen. Sonst macht Arbeit und auch Zusammenarbeit keinen Spaß. Mit den neuen Produktionsmitteln ändert sich der Anspruch an Arbeitstätigkeiten — können wir wohl aus den verschiedenen Äußerungen entnehmen —, vieles scheint möglich, wenig wird eingelöst. Das schafft Unruhe. Sie strebt bei allen über den Arbeitsplatz hinaus. Entscheidendes Problem ist die Privatform. Sie verunmöglicht das Gemeinsame, wenn man die Produktionsmittel selbst besitzt; als Form, sich unter Verhältnissen, in denen die Produktionsmittel in Unternehmerhand sind, einzurichten, verhindert sie das Heraustreten aus der Vereinzelung, das Kollektiv — soviel jedenfalls konnte man den Äußerungen der Programmierer entnehmen. Die Grenze, vor deren Überschreitung soviel Unruhe entsteht, ist die des privaten Eingeschlossenseins: »etwas gemeinsam machen«. Als Alternative in der Arbeit wird es nur von der »privaten« Setzerin formuliert. Wechselseitige Durchdringungen von Arbeit und übrigem Leben Wenn die Arbeit sich ändert, wenn man sich in der Arbeitstätigkeit umfassend verändert, so kann doch das »übrige Leben« davon nicht unberührt bleiben — das war unsere vage Annahme. Organisation des Tages, Wahrnehmung, Zusammenleben — alles kann nicht einfach so bleiben, wie es lange war, während Haltung, Denken, Kooperation in der Arbeit umgewälzt werden. Diese Alltagsveränderung ist ganz offensichtlich bei der Setzerin: sie kaufte ein kleines Haus auf Kredit, »weil man die Satzmaschine in einem normalen Wohnungsbau nicht unterstellen kann, da müßte ich ja ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Gewerberäume haben, einen anderen Stromanschluß usw.... und ansonsten knallt dir der Vermieter soviel drauf...« Der Versuch, sich die Produktionsmittel in dieser Weise anzueignen, führt zu weiteren Besitznahmen — und ohne die legendäre Erbschaft zu entsprechenden Verschuldungen. Die freie Verfügung über die Maschine unterwirft die Setzerin unter scharfe Selbstdisziplin: Barbara: Ich stehe sehr früh auf. Ich arbeite ziemlich früh. Um 8 Uhr fange ich an und habe mir einen ganz festen Plan ausgetüftelt, weil ich irgendwo schon einen Plan habe, wie lange man an solchen Maschinen arbeiten kann und wann eine Pause gut ist.... ich arbeite immer bis 1 Uhr durch, und dann wieder von 3 bis 6 und dann noch meistens, wenn ich nicht weggehe, und das tue ich relativ selten, noch mal von 8 bis 12. Aber jeden Tag, da gibts überhaupt keine Ausnahme.
Die Maschine füllt das Wohnzimmer an. Aus »Sicherheitsgründen« wird eine zweite danebengestellt. Barbara: Ich hatte eine so wahnsinnige Angst, daß am Freitag eine Maschine kaputtgeht und ich übers Wochenende keine Ersatzteile bekomme, daß ich mir — die Angst war es mir wert — eine zweite Maschine gekauft habe ... also 100.000 DM aus Sicherheitsgründen ausgegeben. Sie steht häufig rum und wird gar nicht genutzt und stellt für mich einen Sicherheitsfaktor dar.
Beim Nachdenken über die selbstgebauten Arbeitsbedingungen, werden Einsichten gewonnen in krankmachende, Angst auslösende Faktoren. Praktisch drängt sich der Zusammenhang von Sicherheit und Angst, Maschinenauslastung und Termindruck auf als Einsicht, die zu neuem Handeln führt. Eine zweite Maschine wird angeschafft. Nach der Logik unserer gesellschaftlichen Verhältnisse gehörte jetzt eine zweite und dritte Arbeitskraft angemietet, ein größeres Haus — der Grundstein zu einem wachsenden Gewerbebetrieb mit Angestellten wäre gelegt. Sich dieser Logik zu entziehen, wirkt wie eine persönliche Marotte: »Ich finde, man muß auch so komplizierte Maschinen nicht bis zum letzten Punkt ausnutzen«. Überhaupt scheint es so, als ob nur ganz bestimmte Menschen mit eigensinnigen Ideen, Organisationslust und Abenteurergeist Automationsarbeiter würden, wie das sich auch für die Unternehmer bei ihren Selektionsverfahren darstellt (vgl. dazu auch die Übersicht »Wie sich die Unternehmer die Automationsarbeiter wünschen«, in: AS 55, 390). Diese Sichtweise ist genauso einseitig wie die umgekehrte, die eine einschneidende Persönlichkeitsveränderung als Folge der Automatisierung annimmt. Wichtig war uns, herauszufinden, welche Eigenarten, Lebensweisen, Konflikte usw. an den und durch die neuen Arbeitsplätze sich ausbilden. Sicher kann man festhalten, daß die Umbrüche in der Produktion in widersprüchlicher Weise Haltungen und Fähigkeiten abfordern und ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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herausbilden, die wir, da wir wenig anderes Selbständiges kennen — als Unternehmergeist bezeichnen würden. Die Frage nach den Wirkungen der neuen Technologie auf ihr gesamtes Alltagsleben stieß bei den Programmierern auf eine eigentümlich reflektierte bejahende Verneinung. Nachdem sie zuvor geklärt hatten, daß es ihnen gelungen war, sich den faszinierenden Fangarmen der ständigen Weiterarbeit nach Dienstschluß zu entziehen, verstanden sie die neuerliche Frage als eine, die eine Umsetzung des Arbeitsdenkens auf das übrige Alltagsdenken anzielt. Otto: Vielleicht ist das nämlich auch ein lustiger Punkt: Man bewältigt Probleme. Ständig bewältigt man Probleme in der EDV. Ständig. Man ist irgendwie der Problemoberbewältiger. Und jeder hat so seine Probleme, seine privaten. Und wo kriegt man schon Streicheleinheiten dafür, daß man Probleme bewältigt? Das ist normal, das hat man so zu machen, er hat keine zu haben. Inge: Und gesellschaftlich sowie auch innerbetrieblich vollzieht sich da das Gleiche. Da sagt auch niemand: »Du hast ja ein Problem bewältigt.« Es sei denn, es sind ein paar pädagogisch geschickte Leute da, die das dann machen. Im Frauenausschuß mache ich es auch. Ich hab jetzt eine Kollegin so weit, daß sie jetzt meine Arbeit mit übernommen hat. Dadurch, daß ich ihr dauernd gesagt habe, wie gut sie die Sachen doch macht, daß sie die jetzt macht, einen Teil meiner Aufgaben. Ursel: Das sollten die mal bei der Arbeit machen, die Vorgesetzten. Otto: Das gehört zu einem modernen Menschen. Ursel: Und die Leute, die öfter gelobt werden, die identifizieren sich eher damit und ziehen ja auch Arbeiten an sich und finden das ganz toll. Aber das ist eine Sache, die ich für mich nicht so notwendig sehe. Ich ziehe meine Anerkennung aus meinem Privatleben genug. Inge: Ich lobe meinen Sohn z.B. öfter mal, weil das zu einer Menschwerdung auch gehört, daß man Erfolge, die ein Kind hat, auch richtig anerkennt, daß es eine Motivation hat für weitere Taten. Ich würde mich trotzdem der Arbeit dann nicht verschließen, der weiteren, und der Faszination nicht erliegen, ich hätte es aber auch ganz gerne, daß man da bestätigt wird.
Immer wieder kommen die Programmierer zurück auf die fehlende Anerkennung, das vermißte Lob im Betrieb, das ihnen die Arbeit sinnvoll und einsichtig machen bzw. die Zumutung der selbstbestimmten Fremdbestimmung ergänzen sollte durch äußere Einbindimg. Ihre Bemerkungen über Erziehungsstile und den Umgang mit anderen verweisen auf einen sicher wichtigen Zusammenhang: Die Verhältnisse im Betrieb bestimmen auch dann unser Leben und unsere Beziehungen, wenn wir sie ablehnen. Diesmal in der Form der Verneinung. Was als Mangel empfunden wird, dem wird anderswo kompensatorisch entgegengearbeitet. Ein Konflikt, der aus mangelnder gesellschaftlicher Kompetenz erwächst, wird in Kommunikationsformen übersetzt und umgearbeitet. Das ist sicher ein Feld, das weiterer Bearbeitung und Forschung bedarf. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Die Ungreifbarkeit des Sinns der zu bewältigenden Aufgaben im Betrieb bedingt wohl auch die eigentümliche Weise, in der ein Zusammenhang hergestellt wird zwischen den alltäglichen Aufgaben und denen bei der Arbeit und dieser zugleich als NichtZusammenhang artikuliert und eben, indem angestrengt versucht wird, der Zusammenhang sich herstellt: Inge: Da gibt es überhaupt keine Ähnlichkeit. Ursel: Na bei mir ist das manchmal so, daß ich bestimmte Sachen oder bestimmte Probleme habe und die häufen sich. Daß ich dann also sehr klar durchdenke, wie ich das alles mache und das quasi dann abhake, wenn ich das geschafft habe. Inge: Und du hast mich immer genervt wegen meiner vielen kleinen Zettel, die ich früher hatte. Ursel: Na ich habs nicht schriftlich gemacht. Während also z.B. meine Freundin, die ist so, die macht das irgendwie und das klappt auch immer und die macht sich darüber keine großen Gedanken. Bei mir ist das ganz anders. Otto: Ja ich denke auch, was die Alltagsprobleme angeht, daß ich Probleme löse. Meine ganze Ausbildung, wie auch Mathematik, aber insbesondere diese Art, das, was ich machen will, zu strukturieren und zu gucken wie man dahinkommt. Und daß man das macht, im Alltag auch macht. Daß ich aber nicht empfinde, daß das dann jetzt auch Arbeit ist. Ja sicher ist das Arbeit, ein Problem zu bewältigen. Sicher. Das ist Arbeit. Aber wenn ich ein Problem bewältige, die Kraft, die ich da reinstecke, die Energie, die ich da reinstecke, wirklich um ein lebendiges Problem zu bewältigen, da kommt hinterher was raus, das ich irgendwie zurückkriege lebendig. Der Rechner läuft nur. Und ich krieg da noch nicht mal ein Lob für, deswegen finde ich da einen ganz gewaltigen Unterschied. Auch wenn die Denkweise womöglich abfärbt, finde ich das immer noch einen großen Unterschied. Inge: Der Unterschied beginnt ja auch schon vorher. Denn die Probleme auf Arbeit, die kriegste ja schriftlich angetragen. Und die im Leben, die mußt du erst mal erkennen. Ne, die muß man ja wirklich erst mal erkennen. Das ist ja nicht so, daß man deswegen, weil man auf Arbeit die Probleme in Form von Programmanweisungen bekommt und die dann daraufhin löst, zeitpunktgemäß, daß man deshalb Probleme, die man im Alltag und im persönlichen Bereich hat, erkennt. Das ist keine logische Folge. Daß ich deshalb die Renovierung besser angehe und weiß, daß ich erst den Keller entrümpele, ehe ich also dann die Küche renoviere, weil ich verschiedene Sachen erst in den Keller räumen muß, die ich dann mache und so, oder ne, verschiedene Sachen aus dem Korridor runtertragen muß in den Keller und dann die Sachen aus der Küche in den Korridor, damit die Küche leer ist und trotzdem funktionsfähig bleibt. Ursel: Na das habe ich aber schon vorher gemacht. Otto: Das hättste aber nicht so schön sagen können. Inge: Doch, und zwar deshalb, weil nämlich eine bestimmte Art der Problembewältigung im gewerkschaftlichen Bereich dem Problembewältigen hier ähnelt. Und deshalb hatte ich da bestimmte organisatorische Fähigkeiten auch schon vorher. Ursel: Aber ich nehme an, das ist auch eine Sache mehr der Erziehung. Hat ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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sich halt gewerkschaftlich demnach ausgewirkt. Also z.B. meine Mutter ist ähnlich wie ich. Die teilt das auch immer alles ein, organisiert das irgendwie, daß das alles hinhaut. Und ich mache es ähnlich. Wenn ich mehrere Erledigungen habe, dann überlege ich mir den .Weg dahin und was ich dabei auf der Strecke noch erledigen könnte, bevor ich dann ganz woanders hinfahre; während andere Leute völlig chaotisch umherfahren. Ich hab vielleicht weniger Hektik und Arbeitsaufwand. Meine Mutter ist ähnlich. Inge: Als Berufsanfänger hatte ich das überhaupt nicht irgendwie. Ursel: Ne, bloß ich seh das jetzt, im Nachhinein. Inge: Wir haben ja auch einen Unterschied gemacht. Zwischen der Art des Umgehens, ein Problem zu lösen, und dem, was man inhaltlich löst. Ob ich eine Veranstaltung über die Teilzeitarbeit vorbereite und damit Leute erreiche, die halt einen ähnlichen Gedanken haben wie ich und auch mit ablehnend sind, das ist schon eine andere Sache, als wenn ich irgendwelche Ausdrucke mache. Das ist ja damit verbunden, daß du versuchst, irgendwas herzustellen, ob eine Meinung oder ein Bewußtsein oder ein Stück Papier, ein beschriebenes, das ist schon ein Unterschied. Otto: Ja, das sehe ich auch so. Ich kann das formal noch eine Stufe raufheben. Es gibt Programme, die geschrieben werden, wo unheimlich viel Geist drin steckt, wo unheimlich viel Arbeit drin steckt, die die Jungs da reingesteckt und das geschrieben und gemacht haben. Und am Ende, den Anwender, den interessiert das nicht mal, was da drin ist, das erreicht den gar nicht, die Arbeit, die tatsächliche Arbeit erreicht den gar nicht, weil der fasziniert ist von irgendeinem Ausdruck, der so schön aussieht. Der vollständig uninteressant ist. So daß das auch irgendwie da einfach steckenbleibt; das ist ein Unterschied. Es bleibt stecken, es erreicht den nicht. Und das ist der Aspekt der Problembewältigung dabei. Der Aspekt der Problembewältigung im Leben ist verschieden. Ich würde höchstens auf so was kommen und sagen, es gibt Leute, die können mit ihrem Leben irgendwie so ganz gut umgehen und ihren Alltag organisieren und die kommen am ehesten auf die Idee, Programmierer zu werden. Die anderen die kommen sowieso nicht auf die Idee.
Es ist sicher auch in diesem Auszug für die Leser noch spürbar, mit welchem Engagement die Programmierer diese Frage nach dem Zusammenhang von Arbeit und übrigem Leben hin- und herwälzen, sich ergänzen, aufeinander aufbauen, zu durchdringen versuchen. Dabei kommen sie schnell zu wichtigen Erkenntnissen: Programmieren heißt Probleme lösen — Probleme lösen ist nicht das gleiche, wie Probleme stellen (erkennen, nennt es Inge). Wie ist die Arbeit strukturiert? Wie der übrige Alltag? Im Leben ist man weitgehend auf sich gestellt, da käme es darauf an, die Probleme zu erkennen — warum nicht in der Arbeit? Da erhält man die Aufgabe von anderen. Der Umstand steht so sicher fest, daß er nicht einmal kritikwürdig scheint. Statt dessen werden Problemlösungsfähigkeiten und ihr Nutzen im Alltag geprüft. Die Leichtigkeit, mit der die Anwendung der Arbeitsfähigkeiten im übrigen Leben möglich ist, wirft Zweifel auf. War man am Ende schon ein guter Programmierer, bevor man es lernte? ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Auch dieser Zweifel wird schnell behoben: Programmieren erscheint als Organisation und als solche wiederum als eine Frage des Charakters. Man ist organisatorisch begabt oder nicht — das ist eine Frage der Erziehung. — Warum werden die Zweifel nicht weitergetrieben? Warum wird nicht als Skandal thematisiert, daß man bei der Problemstellung im Betrieb nicht beteiligt wird und umgekehrt: warum führt die scharf beobachtete Ähnlichkeit zwischen dem Problemlösungsverhalten im Betrieb und im Alltag nicht alle dazu, auch Zweifel an der Kompetenz im Alltag zu hegen, zu mutmaßen, daß man auch dort die Probleme nicht selber stellt? Wir vermuten, daß es die vorhandenen Bereichstrennungen ebenso wie vorgeformte Denkgewohnheiten sind. Schließlich versucht Inge, sich das Problemstellen als eigene Praxis anzupassen. Hier kommt sie auf gewerkschaftliche Arbeit. Der Protest im Rahmen der Arbeitsaufgaben findet nicht statt, weil für Proteste die Gewerkschaft zuständig ist. Die eigene Arbeit in der Gewerkschaft betrifft dabei nicht die eigene betriebliche Arbeitstätigkeit, sondern zum Beispiel das Problem der Teilzeitarbeit. Politik, so folgert Inge, in der man sich Probleme stellt, ist etwas anderes als Arbeiten. Gleichheiten gibt es auch: z.B. das Organisieren von Tätigkeiten. Die Möglichkeit der Zuordnung beruhigt. Ottos Protest gegen das Problemlösungsverhalten kann die Grenzen nicht verrücken, weil er eine Übertragung auf das übrige Leben für schädlich hält. Als hafte die Beschränkung der Arbeit unwiderruflich als innere Krankheit an, möchte er das »wirkliche Leben« vor Übergriffen bewahren. Der Unterschied scheint ihm einer zwischen Lebendigem und Totem. Später schiebt er das ganze Problem wieder in den Bereich der fehlenden Anerkennung. Und Ursel schließlich verlegt alle Ähnlichkeiten in den Charakter — so müssen Unzulänglichkeiten als Charakterprobleme wahrgenommen werden. Die Versuche der Programmierer, sich dem Problem der Durchdringung von Arbeit und übrigem Handeln zu stellen, zeigt, daß der Einfluß ein wechselseitiger ist. Die Einsicht scheint banal, und doch hatten wir zunächst angenommen, daß die Veränderungen im Arbeitsleben größere Auswirkungen auf alle übrigen Bereiche hätten, und nicht ausreichend bedacht, daß auch Familienverhältnisse, bisherige Vergesellschaftung, Laufbahn usw. einen großen Einfluß darauf haben, wie die Arbeitsbedingungen ergriffen und erfahren werden. Tatsächlich dachten wir, daß es möglich sei, daß einer ein völlig traditionelles, autoritär strukturiertes Privatleben führen kann und zugleich zukunftweisenden Widerstand in der Fabrik entwickelt. Kurz, wir hatten unser Problem nicht als Wechselverhältnis gedacht.
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Gegensätzliche Bedeutung von Problemlösungsstrategien im Geschlechterverhältnis Daß man ein Wohnzimmer mit Maschinen vollstellt, seinen Tag so organisiert, daß darin 12 Arbeitsstunden sind und im wesentlichen kritische Kooperationsbeziehungen vermißt, setzt voraus, daß man über sein Leben wesentlich selbst bestimmen kann. Das ist in diesem Ausmaß ungewöhnlich für Frauen. Voraussetzung scheint zu sein, daß sie geschieden sind, wie die Setzerin in unserem Beispiel. Wie wirkt sich überhaupt die Automationstätigkeit auf die Beziehungen zwischen Männern und Frauen aus? Auf eine solche Frage kann man kaum eine eindeutige, einfache und fertige Antwort bekommen. Jedoch bringen sowohl die Annäherung der Arbeitsanforderungen von Büro- und Produktionsarbeit als auch die Art der Arbeitshaltung Bewegimg in die Geschlechterfrage, die zu studieren sich lohnt. Verträgt sich die weibliche »Zuverdiener«-Arbeitshaltung mit den Anforderungen neuer Technologie? Auf welche Hindernisse stößt männliches Anspruchsdenken bei der Zumutung, alte Arbeitsqualifikationen nicht zu zählen und Neues zu lernen? Sind Büroarbeiten weiblich und ein Abstieg für Männer? Was ist mit der Tradition mangelnden technischen Denkens bei Frauen? Können Frauen überhaupt eine Arbeit ergreifen, die sie so fordert, daß sie in ihrem Leben einen hohen Rang einnimmt? Was geschieht mit männlicher Identität, wenn weibliche Arbeit kein Synonym mehr ist für unqualifizierte Arbeit? Das waren unsere Fragen an die Empirie. Die Wirklichkeit in den Betrieben zeigt uns wenig Frauen an qualifizierten Automationsarbeitsplätzen. Wir begegneten keinem weiblichen Meßwart, keiner Arbeiterin an NC-Maschinen oder am Prozeßrechner. Allerdings gibt es zunehmend Frauen als Programmiererinnen. Die Programmierer kamen auf das Problem der Geschlechterbeziehungen bei der Diskussion des Stellenwerts der Problemlösetätigkeiten in ihrem Leben: Otto: Problemlösen halte ich h^ute für eine Sache, die so ziemlich das Langweiligste im Leben ist. Das hat irrs'nnig viel mit der Arbeit zu tun, weil ich irgendwann so eine Idee hatte, Probleme lösen, das kann man mit dem Rechner machen, aber im Leben muß man das ganz anders machen. Es gibt so viele Situationen, wo man sagt, jetzt habe ich ein Problem, wo man eigentlich gar keins hat, kein echtes. Macht man irgendwas anders oder hat man einfach keine Lust oder traut man sich nicht oder hat man Schiß oder Angst oder alles mögliche. Ursel: Probleme sind immer privat für mich Sachen, die mich weiterbringen, also die mich verändern. Aber echte Probleme, nicht so, daß ich irgendwann keine Lust habe und drei Tage nicht und daraus ein Problem mache. Inge: Na ich würde das eher nicht Probleme nennen, sondern Störungen in irgendeiner Art und Weise. Wenn mein Ablauf mir irgendwie entgleitet vielleicht oder ich merke, daß ich in Bequemlichkeiten zurückfalle, daß ich in Dinge zurückfalle, in Handlungsweisen, in die ich nicht zurückfallen will, die ich ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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eigentlich ablehne und die ich nicht richtig finde. Oder merke, daß im Umgang mit andern sich mein Ausdruck verändert, meine Handlungsweise — und jetzt die Nachfrage: warum. Und dann das nicht zum Problem mache, sondern das als Störung ansehe und frage, ob das irgendwelche Ursachen hat, daß ich mich verändert habe. Die Umwelt hat sich verändert, der Partner, irgendein Einfluß auf mich ist anders geworden. Ich habe Vorlieben oder Dinge erkannt, die ich jetzt mag und früher nicht mochte oder so was. Daß ich halt Ursachenforschung betreibe, um entweder auf den alten Zustand zurückzukommen oder einen neuen zu beginnen, um halt auch da nachzufragen, umzusetzen, zu verändern. Und daß ich meine Sinne auch geschärft habe in den letzten Jahren, dadurch, daß ich das weiß. Daß ich da sehr auf mich und auch mehr auf meinen Partner z.B. achte als in den Jahren davor. Ich bin da ein bißchen sensibler geworden vielleicht, das kann sich aber auch wieder verlieren, so ist das nicht, das ist ja alles im Fluß. Ursel: Bei mir ist das so, daß ich aus allen Sachen, die starr sind, sich nicht verändern, daß ich da ausfliehe, daß ich da Ängste kriege, schon wenn ich irgendwie merke, ich werde kontrolliert oder irgendwas oder irgendjemand durchblickt. (...) Ich glaube, das ist auch, daß man den Beruf gewählt hat oder ein besonderes Feeling hat, vieles hängt auch mit der Erziehung zusammen. Inge: Also für mich ist der Partner, mit dem ich jetzt zusammenlebe, eigentlich schon ein Chaot . Weil ich durch meine vielen nach innen und außen gerichteten Disziplinversuche oder meine überhaupt geordneten Verhältnisse, die ich immer hatte oder habe, auch mich selber immer so geordnet habe. (...) Bevor ich mich von meiner ersten langjährigen Beziehung verabschiedete, hatte ich mir mal so überlegt, wie ich so im Arbeitsfeld mit Kollegen, Leuten, anderen und wie ich nach innen mit meinem Partner umgehe oder der mit mir. Was da so für Wertvorstellungen vorhanden sind. So mit dem Selbstwertgefühl... Otto: Im Januar ist meine Frau ausgezogen, und das hat was mit der Arbeit zu tun, wie auch immer man das drehen und wenden mag, hat es was damit zu tun. (...) Das sage ich jetzt einfach so. Ich denke, die ist also auch eine voll ausgereifte Intellektuelle von oben bis unten, wir haben sehr viel unser Leben problematisiert. Und da habe ich sie noch mehr mit angesteckt als sie mich schon hatte. Sie hat auf eine andere Weise mich dazu motiviert, es weiter zu tun. Wir haben das beide gemacht und haben uns damit irgendwie überfordert. Wir haben versucht, Probleme zu lösen. Inge: In meiner ersten Beziehung der Partner, der hat nie Probleme gehabt. Ursel: Aber Magengeschwüre! — Ne, ich bin auch noch verheiratet, lebe aber seit 1 1/4 Jahr getrennt. Na das war aber mehr so, daß ich gemerkt oder daß ich vielleicht wieder so eine Phase hatte, wo ich mich also nicht mit dem begnügte, was ich hatte, sondern halt irgendwie mich veränderte und er da irgendwie stagnierte und halt überhaupt nicht mehr offen war, obwohl ich ihn so kennengelernt hatte, daß er für alles offen war und zugänglich zu mir oder auch zu anderen Leuten, daß der also unheimlich im Leben oder in seiner Zufriedenheit stagnierte. Es passierte nichts mehr. Alles Neue, was ich angebrachte habe, wurde dann irgendwo abgewertet und runtergebuttert. (...) Und die Phase, wo das am Auseinandergehen war, das war aber schon lange Zeit vorher, daß ich dann immer noch was versucht habe, aber im Grunde für mich klar war, jetzt gehst du deinen eigenen Weg. Und egal, ob er dann noch was ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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versucht hätte oder nicht, ich hätte das durchgezogen, was ich wollte. Und da hat sich auch nichts verändert. Inge: Es ist bei uns schon auffällig, wenn man das verfolgt — und ich verfolge es, weiß ich, aus welchem Interesse heraus —, daß da viele Ehescheidungen, viele Brüche und so verzeichnet werden. Allerdings alles bei Leuten — und da muß man sich mal ansehen, wie lange Programmierung existiert —, die sind ja alle so in etwa um 30 bis 35. Das ist eine ganz bestimmte Altersstufe, in der das so passiert und wenn du so nachfragst, haben die Beziehungen eine ganz bestimmte Laufzeit gehabt. Und dann ist dieser Beruf dazugekommen größtenteils. Die noch glücklich sind, sind die ganz alten, die schon 15 bis 17 Ehejahre haben oder die nach Eintritt in die Programmierung geheiratet haben. Aber man müßte das mal durchrechnen. Und dann aus unserer Lehrzeit, die aber nicht in der Programmierung sind, da habe ich auch schon gehört, daß die Zweitehen eingegangen sind oder den Partner gewechselt haben. Das ist eher ein gesellschaftliches Phänomen. (...) Bei uns sind die Frauen im Verhältnis 1:10 in der Programmierung. Otto: Da wo ich mich jetzt beworben habe, da sind 37% Frauen, aber die wirklich Programmierung machen, nicht Sekretärin. Aber wo der Chef auch ganz stolz ist und sagt, er hat immerhin 30% Frauen. (...) Ich kann mir das durchaus vorstellen, daß es für einen Mann wirklich ein Hauer ist, wenn eine Frau reinkommt und die hat den totalen Softwaredurchblick und kommt mit den großen Sachen und der steht dann davor. Weil das doch gerade für die Männer (...) so ein Potenzding ist. Ursel: Also ich hatte noch nie Probleme. Otto: Das kann ich mir vorstellen, du bist eine Frau.
Alle drei Programmierer sind geschieden, getrennt, leben zumindest in solchen Verhältnissen, die dem Standardbild der Familie widerstreiten. Ein wesentliches Moment der Familienideologie, das »Versorgtwerden« spielt im Leben dieser Frauen keine Rolle. Der vermutete Konflikt zwischen der alten Frauenrolle und den neuen Arbeitsanforderungen ist schwer zu erheben, weü er im praktischen Leben sich so nicht darstellt. Ganz offenkundig ist eine verschiedene Wahrnehmung und Äußerung, je nach Geschlecht. Die Unterhaltung gibt ein Stück den Wahrnehmungsweg und den Konflikttyp wider. Ausgehend vom Problemelösen beim Programmieren über Alltagsprobleme und ihre Bewältigung wird ein Weg erarbeitet, Probleme zu unterscheiden und zu sichten, an ordentlichen Lösungen zu arbeiten. Das führt die Frauen zur unvermuteten Gleichung: Ordentliches Problemelösen heißt Sich-verändern und Selbständig-sein; und den Maiin zur Auffassung: Im Leben ordentlich Probleme lösen heißt, das Leben und die Beziehung zerstören. Die Auffassungen sind nur auf den ersten Blick gegensätzlich bzw. ihr Gegensatz verdankt sich wohl geschlechtsspezifischen Positionen. Für die Frauen wächst mit einem sorgfältigen Problemlöseverhalten, das sie auf die Bereiche ihres Alltags umfassend ausdehnen, die Möglichkeit, selbständig zurechtzukommen, Selbstbewußtsein zu erlangen. Umgekehrt der Mann. Schon auf dieser ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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kleinen Basis können wir vermuten, daß die instrumenteile Vernunft des Problemelösens die Partner unter gleiche Bedingungen stellt und so einen Effekt hat, der den traditionellen Mann/Frau-Unterordnungsbeziehungen widerstreitet. Ordnung, die man selber bewußt mit herstellt, kann Unterordnung in Frage stellen. — Rückwärts entschlüsselt sich uns jetzt ein Stück weit die energische Auffassung von Otto, imbedingt die Bereiche der Arbeit und des übrigen Lebens getrennt zu halten. Bei der sorgfältigen Trennung der Bereiche gehört er zu dem Teil der Gattung, der — wenigstens zur Zeit noch — von der Konstruktion einer intimen Privatsphäre profitiert. Nicht so die Frauen. Es war für uns überraschend, daß die Gespräche einen so engen Zusammenhang zwischen der Art des Denkens beim Arbeiten und der Art der Geschlechterbeziehungen suchten. Eher hätten wir Versuche erwartet, gegen Widerstände selbständige Büdungsmaßnahmen ergriffen zu haben, den Ort der Berufstätigkeit zu erstreiten oder ähnliches. Aber die Frauen, die solche Tätigkeiten aufnehmen, haben die Selbständigkeit schon, die mit alter Unselbständigkeit in Konflikt geraten könnte. Daß dies auch nachträgliche Wahrnehmung sein kann, lassen die Auflösungen der früheren Partnerbeziehungen vermuten. Sie werden als »Zeitgeist« abgebildet. Aber woher kommt er, was sind seine Ursachen? Gerade die neueren politischen Versuche, die ökonomische Krise teils dadurch zu lösen, daß alte Familienvorstellungen wieder in Kraft gesetzt werden sollen, lassen diese Frage aktuell werden: Wieweit die Frauen neue Identitäten entwickelten, die dieses Zurückpfeifen ganz und gar ausgeschlossen sein lassen. Der Widerstand hängt auch von der Bewußtheit ihres Handelns ab. Soweit wir diese Frage in unseren Gesprächen berührten, scheint es so, als ob die alten Formen unter den neuen Anforderungen zerbrechen, ohne daß schon Alternativen sichtbar würden. Auch diese Auflösung destabilisiert die Beteiligten, macht sie empfänglich für Versprechungen. Welche Kultur des Zusammenlebens wäre zu entwickeln? Eine Untersuchung erster kollektiver Versuche wäre notwendig. Das Problem mit dem Forschungssubjekt Biografische Forschung ist auch ein Versuch, die Trennung von Forschenden und Erforschten zu überwinden, die Erniedrigung von Menschen zu bloßen Objekten von Forschung zu vermeiden. Wenn die Menschen einzeln, oder besser noch in Gruppen, berichten und erzählen, forschen sie schon selbst über sich. Dies um so mehr, wenn es gelingt, ihnen ungewohnte Zusammenstellungen so vorzuführen, daß sie sie sich zu eigen machen und selbsttätig ihre Taten unter neuen Gesichtspunkten zu durchleuchten beginnen. Man kann sicher feststellen, daß dieser Teü unseres Vorhabens geglückt ist. Es ist offenkundig, daß in diesen Gesprächen eine ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Mischung von Immer-schon-Gedachtem und selbsttätig versuchten neuen Verknüpfungen und teüweise tieferen Durchdringungen stattfand. Indem wir unser Vorgehen zu Beginn der Interviews vorstellten als Interesse an Konflikten und Brüchen, nahmen auch die Befragten die Haltung von Menschen ein, die Konfliktstrategien aufsuchen, sortieren und diskutieren. Das ist sicher eine für Erkenntnis fruchtbare Haltung. Ein großes Problem bei narrativen Interviews ist, daß jeder Erzähler die Ereignisse so berichtet, als kämen sie aus dem Inneren seiner Person (ich hatte eine Idee und dann tat ich dieses) und von daher jede nachträgliche Verknüpfung mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als bloße Willkür des Interviewers erscheinen muß. Dieses verschwand in der Gruppendiskussion fast vollständig. Die einzelnen sprachen vergleichend und aufeinander aufbauend, korrigierend und vor allem ihre Taten auch verknüpfend mit den gesellschaftlichen Bedingungen ihres Tuns. Insofern müssen wir unser bisheriges Votum, das größte Problem sei die Vereinzelung, ein Stück weit modifizieren. Das Gruppeninterview zeigte die drei Programmierer kollektiv am gleichen Gegenstand arbeitend und sich wechselseitig verstärkend auch in der Korrektur. Es war wohl diese Kollektiverfahrung, die unseren zweiten Versuchen, die Arbeitenden selber »forschendes Subjekt« sein zu lassen, durchkreuzte. Der Plan war, das Manuskript vor Drucklegung mit ihnen zu diskutieren und zu verbessern. Sie erhielten eine Rohfassung des vorstehenden Textes zugesandt mit der Bitte, in den nächsten Tagen diese 40 Seiten zu lesen und an einem der nächsten Tage zu diskutieren. Die Sache war ein wenig gewagt. Nicht nur der Umfang des Textes und die Kürze der Zeit waren ein Problem — schließlich gab es im Text selber auch eine Menge von Überlegungen, die empörten Einspruch bis hin zu Haltungen des Beleidigtseins hätten hervorrufen können. Zu dem von mir angegebenen Termin konnten sie offenbar nicht kommen. Statt dessen standen sie am Tag davor vor der Tür, ich war gerade von einer längeren Reise zurückgekommen und aß einige Bissen. Ich war zu müde für ein Interview. Die Verschiebung auf einen späteren Tag machte sie ärgerlich — so war beim schließlichen Termin, an dem Otto uns eine Stunde vor der Tür warten ließ, eine allgemeine Gereiztheit unübersehbar, zugleich Spannung und Erwartung. Der Anfang zieht sich hin — keiner will so recht ran. Schließlich übergibt Inge mir ihre Korrekturen: An zwei Stellen müssen Worte ersetzt werden, die sonst einen Rückschluß auf ihren Arbeitsplatz zugelassen hätten; Ursel hat keine Einwände und es gibt ein großes Wohlgefallen an den Zusammenstellungen fesselnd/frei, perfekt/sinnlos und selbstbestimmt/ nutzlos (vgl. oben). »Das gefällt mir; das ist lustig«, sagt Otto, und Inge fügte hinzu: »Ich habe es Werner vorgelesen, 'richtig schön' hat er gesagt«. »Es macht Spaß«, ergänzt Ursel. »Aber für mich bedeutet es noch mehr, es zeigt die lustvolle kindliche Seite der Arbeit und zugleich ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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das Erwachsene«, wirft Otto ein. Dann Stille. Mühsam versuche ich, weitere Stellungnahmen zum Text herauszubekommen und bemerke, daß ich neben Befürchtungen des Gekränktseins insgeheim gehofft habe, daß die drei die Angebote an Handeln und Begreifen, die im Text für sie herausgearbeitet wurden, ergreifen, kritisieren, weitertreiben, kurz, daß sie damit auf jeden Fall etwas anfangen könnten. Beunruhigt fordere ich jetzt Kritik in der impliziten Annahme, daß diese verraten müßte, warum sie meine Ergebnisse nicht für sich ergreifen. Sie blicken mich wohlwollend an und sind einverstanden. Der Text gefällt ihnen bzw. es gefällt ihnen, daß über sie und mit ihnen geschrieben wurde — besonders an einigen Stellen betonen sie geglückte Formulierungen. Wir sitzen jetzt schon mehr als eine Stunde beieinander, und ich bekomme Kopfschmerzen bei dem anstrengenden Gedanken, wie diese Panne für unsere Forschungsbegeisterung zu verarbeiten sei und was ich jetzt eigentlich tun könnte. Dabei wundere ich mich auch, daß und warum alle drei so bereitwillig gekommen sind. Schließlich sagt Inge: Also ich find es schön, auch die Atmosphäre, in der alles war, ist gut wiedergegeben, aber ich weiß nicht, ob die Sache mit dem Lob und der Anerkennung nicht ein wenig überbewertet ist im Ganzen? Ich weiß ja, daß wir da selber drauf gekommen sind und daß wir auch immer wieder darüber gesprochen haben, aber hat es eine solche Wertigkeit? Otto: Unbedingt. Gerade seit wir darüber gesprochen haben, habe ich es erneut und immer schärfer festgestellt.
Ursel: Erzähl mal. Otto: An meiner neuen Stelle, da habe ich es verstärkt wiedergefunden. Ich achte ja jetzt mehr darauf, seit damals. Also da ist es so, daß Belobigung überhaupt nicht vorkommt, obwohl die Normen von oben erarbeitet werden und gar keine Selbstbestimmung mehr da ist.
Die Schwierigkeiten, die ich habe, diese Bemerkungen zu verstehen undmit der Frage der Belobigung durch das Management zusammenzubringen, wird offenbar von den anderen nicht geteilt. Sowohl Inge als auch Ursel fahren fort, über »diesen Zwiespalt« zu sprechen. Er besteht darin, daß sie einerseits »monotone Arbeit« tun, »nur Schrott«, sagt Inge, und andererseits viele Ideen haben müssen, »herumtricksen« und »kreativ« sind, daß es ihnen Spaß macht und »sie sich nicht selbst einschätzen können«. Das Thema Lob von oben wird mit immer größerer Intensität und Heftigkeit geführt. Ich habe keine Chance mehr—trotz wiederholter Versuche —, irgendein anderes Thema, eine andere Ebene der Diskussion vorzuschlagen. Nachdem Ursel einmal dazwischenwirft, sie habe gar nicht die Gewohnheit, die Arbeit zu strecken und absichtlich wenig zu tun, spitzen sich die Themen so zu, daß ein Zusammenhang für mich erkennbar wird. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Inge: Natürlich gehst Du in Widerstand. Du hast bloß Angst, das jetzt zu sagen. Du hast noch viel mehr Angst. Das ist es ja eben, daß du keine Anerkennung kriegst und dich keiner lobt.
Das Problem schält sich im weiteren Verlauf heraus als eines der Identität, des Selbstwertgefühls und der wirklichen Bedeutung in der gesellschaftlichen Arbeit. Inwieweit ist die eigene Arbeit selbst maschinenförmig und also von Maschinen ersetzbar und inwieweit ist sie kreativ, schöpferisch, ideenreich und unersetzbar. Das soll durch das Lob der Vorgesetzten herauskommen, da die Programmierer selbst nicht in der Lage sind, sich zu beurteilen. Otto: Das ist ein Effekt der Arbeitsteilung, Programmierer sind unersetzlich, die Arbeitsteilung bewirkt, daß sie dies nicht selber einschätzen können.
Umgekehrt die Frauen: sie halten sich schon heute für überflüssig. Ich bin jetzt erstaunt über die pessimistische Haltung der Frauen und die optimistische von Otto, eine Verteilung, die mir zuvor genau umgekehrt schien. Ein Grund wird auf den Tisch gepackt: Ein neues Buch über Programmierer (Brödner, Krüger, Senf: Der programmierte Kopf, 1981), das streng dem modischen Verelendungsdiskurs folgt. Es ängstigt die Frauen und fordert den Widerspruch von Otto heraus. Die neuerliche Waide — es geht jetzt ausschließlich um die Zukunft der Programmierer — zwingt mich, mein Vorhaben, die Programmierer über meinen Text diskutieren zu lassen, kritisch zu überprüfen. Ich komme zu folgendem Ergebnis: Da die drei Programmierer zu beiden Terminen bereitwillig kamen, müssen sie ein Interesse an den Gesprächen haben, aus ihnen einen Gewinn ziehen. Dieser liegt ganz offensichtlich nicht in der Überprüfung und Anpassung meiner Ausarbeitungen, sondern in der durch mich mit hergestellten Situation. Die Konstituierung der Programmierer als Kollektiv, um einen gemeinsamen Gegenstand, der sie selber sind, ist es, der sie begeistert. Sie wollen die alte Situation genau so wieder herstellen, mit mir als einer, die einen Rahmen angibt, Verknüpfungen zum Durchprobieren vorschlägt, Einwände macht, Erfahrungen hervorlockt und neue Gesichtspunkte dazugesellt — kurz: Sie weisen mir die Stelle eines strukturierenden und absichernden Menschen zu, der eben die Einschätzung, die sie selber sich nicht geben können und die sie ausgesprochen als Lob von oben bei ihren Vorgesetzten vermissen, mit ihnen erarbeiten. Daß ich als Wissenschaftlerin anwesend bin und ihre Sätze für wichtig halte, ermöglicht es ihnen, ihre Situation und Arbeit gemeinsam zu durchdenken. Das wollen sie wiederholen. Für unser Schreiben heißt dies, daß wir nicht so sehr für sie als für unsresgleichen schreiben und uns im Begreifen vorwärtstasten. Auch dies ist allerdings nicht ganz eindeutig. Das Wohlgefallen an einzelnen Formulierungen zeigt auch eine andere Verwendungsweise und Lesart durch die Programmierer. Sie sehen sich in ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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einer Weise sprachlich aufgehoben und ausgedrückt, die ihnen geglückt scheint. Da dies insbesondere an den Stellen der Fall war, an denen Widersprüchliches zusammengebunden wurde, kann man vielleicht daraus schließen, daß ihnen so kontrovers zu sprechen nicht geläufig war und für ihre Programmierersituation besonders geeignet scheint. Für die Forschungssubjekte »Arbeiter« oder hier »Programmierer« ziehen wir daraus die Lehre, daß für sie selber Forschen eine unerläßliche, eine überlebensnotwendige Praxis ist, die als eine Art kulturelle Bewegung in der Arbeiterschaft zu fördern wäre. Wissenschaftler könnten und müßten dabei wohl diese Rolle spielen: Rahmen zu sein und strukturierendes Element und Analytiker, die ungewöhnliche Verknüpfungen, neue Sichtweisen, Begriffe, mögliche Zusammenhänge probeweise vorschlagen. Immerhin können sie sich als Medium betätigen, das die Bildung von Kollektiven um einen gemeinsam für wichtig empfundenen Gegenstand mit ermöglicht. Zugleich wirken sie wie ein Stein des Anstoßes. So entspann sich in unserem Fall nach etwa zwei Stunden eine Diskussion über das Problem Verweigerung. Otto fühlt sich mißinterpretiert und »knallhart negativ beurteilt« in seinen Aussagen, daß er die Arbeit aus seinem Leben ausgrenze. »Ich dachte, das will ich, das ist doch mein Ziel und keine Verweigerung.« »Verweigerung lese ich positiv« wirft Ursel ein und Inge fügt aufgeregt hinzu: Das ist doch genau der Zwiespalt, daß du etwas willst und es nicht willst. Du willst ja, daß die Arbeit mehr für dein Leben bedeutet und dann hast du auch das Ziel, sie aus deinem Leben herauszuhalten und diesen Zwiespalt wiederholst du jetzt, daß du dich an dem Begriff Verweigerung stößt.
Am Ende kamen sie zu dem Ergebnis, daß die Verbegrifflichung ihres Verhaltens mit der Kategorie Verweigerung deswegen für sie nützlich sei, weil sie ihnen erlaube, die eigenen widerständigen Handlungen, die sie vor sich selbst nicht wahrhaben wollen, aus Angst »Unrecht zu tun«, als solche zu sehen, um dann schließlich überhaupt erst die Frage stellen zu können, ob es nützliche und für sie gute Verweigerungs-, Widerstandshaltungen und -taten sind oder nicht. Und welche Alternativen es überhaupt für sie gibt. Diese Diskussion führte sie selbst zur Setzerin, deren andere Arbeitsund Verhaltensweise sie im Manuskript gelesen hatten. Überraschend für mich war, daß sie die sympathisierende Schreibweise überhaupt nicht bemerkten, sondern empört und auch kühl den Standpunkt eines Lohnarbeiters, für den die gewerkschaftlichen Kämpfe bestimmte Bedingungen gesichert hatten, dagegen setzten. Sie bezeichneten ihre Arbeitsweise als »grausam« und »ein Greuel«, »auch wenn es Spaß macht«, weil es ausschließlich Marktmechanismen seien, die hier als eigene Entscheidungen und eigene Freude ausgegeben würden. »Da hast du keinen Gegner, gegen ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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den du dich stemmen kannst.« Umgekehrt konnte die Setzerin wenig mit den »halbherzigen Verweigerungen« dieser Programmierer anfangen (vgl. dazu weiter unten). Diese zweite Diskussion mit den Programmierern dauerte über vier Stunden, in denen sie die Situation des ersten Gesprächs zu wiederholen suchten, unsere Ausarbeitungen als Anknüpfungspunkte benutzen, um ihre Gedanken weiterzuverfolgen. Unsere verallgemeinernden Überlegungen zum Verhältnis Wissenschaftler/Arbeiter bei der Erforschung der Arbeit finden wir jetzt trotz unserer damaligen Enttäuschung nicht pessimistisch. Gleichwohl sind sie einseitig. Es gibt Übergänge und auch Diskussionen, in denen die Interviewten auch unsere Probleme bei der Bearbeitimg sich als Erkenntnisprobleme zu eigen machen, darum streiten, wie ein Vorgang am besten zu begreifen und auszudrücken sei, so daß alle mehr Einsichten gewinnen und sie sich selbst zugleich darin aufgehoben finden. In diesem Sinne schrieb auch die Setzerin ihre Überlegungen zum Text: Barbara: Deine Formulierungen, für mich meist kurz und knapp das Auszusagende auch treffend und verständlich geschrieben, im Kopf, komme ich mir etwas langweilig vor. Ich schreibe also meine Gedanken nach dem Lesen deines Beitrages so, wie ich sie denke: Indem ich lese, was ich gesagt habe, muß ich sprechen lernen. Das, was ich falsch eingebaut finde, habe ich angemerkt. (...) Das Lesen des Gesamten und deine Aussagen dazu, war für mich spannend. Die allen Interviewten gemeinsame Faszination hast du selbst schon angesprochen. Ich sehe einiges anders als du: Was haben die Interviewten vorher gemacht — was tun sie jetzt? Bei Ursel kommt das sehr deutlich zum Ausdruck. Otto finanziert damit sein Studium. Inge ist nicht klar. Allen gemeinsam jedoch ist: Arbeit und Leben sind zwei völlig getrennte Welten. Das unterscheidet mich von ihnen. Vergleiche mit Dir selbst (Arbeit/Leben = getrennt?) sind erwünscht. Die gemeinsame Faszination, Fesselung (starkes Interesse und Möglichkeit zur Handlung bewirken das bei mir z.B.) entsteht m.E. nicht durch die Technik etc., sondern dadurch, daß Faszination im Tun überhaupt erfahren wird. Oft erstmalig. Das war — sagst du auch — vorher nicht möglich. Wenn du dir vorstellst, was dich so fasziniert, fesselt, dich nicht mehr losläßt, bis du es in den Griff bekommst (oder besser: in die Sprache), dann kommst du sehr schnell auch dahin, daß du ohne Essen ... Die Grenzen, die z.B. den Interviewten (weniger mir) gesetzt werden, sind eng. Die Wichtigkeit, dafür wenigstens Geld bekommen und damit einen Sinn zu haben, läßt sich verallgemeinern. Der Gedanke, einen Sinn so überhaupt herzustellen, käme dir sicherlich nicht. Ich muß immer anfaßbare Beispiele suchen: Eine (für dich) wichtige Uni bietet dir eine Professur an. Thema: Solange sich die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ändern, sollten Frauen nichts weiter tun, als das, was sie bisher taten. Deine Aufgabe ist: Nur Material über die Altersstruktur der Frauen in der BRD, die Kinder haben und arbeiten u.ä., aufzuarbeiten (die Weiterarbeit übernimmt jemand, der gegen eine Arbeitstätigkeit von Frauen ist. Aber das weißt Du nicht, fragst auch nicht weiter...) Jetzt kommst du vielARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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leicht gerade aus/oder hast gar keine Arbeit, nähmest du an, hättest du »ausgesorgt«. Anfangs bist du vielleicht fasziniert, aber mehr »läßt man« dich nicht tun. Undenkbar—natürlich. Während du also mit deinem Tun kaum Grenzen erfährst, jedoch wohl auch Faszination stoßen die anderen, kaum, daß sie Faszination kennengelernt haben, an Grenzen... — Die Arbeit* so zu organisieren, daß das Ganze sichtbar wird und damit der Sinn, ist für mich einzige Schlußfolgerung aus dem Gelesenen. Nicht, ob die Technik Ursache für dies und das sein könnte. Eine weitere wichtige Qualifikation ist da — eine ganze Menge gegenüber dem Vorherigen — aber: wie diese sinnvoll einsetzen, ausbauen? Mein eigenes Beispiel ist nicht zu verallgemeinern. Sicher werde ich nicht ein größeres Haus... aber ebensowenig werde ich zu den Indiofrauen gehen, um leben zu lernen. Verallgemeinerbar ist, daß, weil ich den Zusammenhang kenne und um seinen Stellenwert weiß und er sich deckt mit dem, was ich politisch will, ergibt ach für mich ein Sinn in dem, was ich tue, obwohl ich nichts anderes tue als die Interviewten: ein Teil des Ganzen. Das — so meine ich — fehlt den anderen, wie unterschiedlich das immer auswertbar sein mag. Ich versuche, es hier und jetzt anders zu machen, und ich bin sicher: bei anderer Arbeitsorganisation ist vieles übertragbar. Mir scheint, du siehst mich idealistisch, skeptisch. Meine Möglichkeiten haben die Programmierer nicht (die Form ist vielleicht sekundär), damit sind sie für andere nicht undenkbar — deine Möglichkeiten haben weder sie noch ich — aber: du hast die Möglichkeit, das So-Gesagte einzubauen in ein verallgemeinerbares/veränderbares Ganzes, die Interviewten haben die Möglichkeit zu hinterfragen und ihre Qualifikationen — mit der Faszination — in einen Zusammenhang zu stellen, der Unterstützung odo* Verweigerung bedeutet, und ich habe die Möglichkeit, z.B. für meine Kinder zu verhindern, daß diese erst mit 33 Jahren beginnen, sich selbst nicht mehr als Ausführende» sondern als Mit-Verändernde zu begreifen.
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3 Persönliche Beziehungen in der Arbeit Meßwartenarbeiter Fragestellung:
Ambivalenz persönlicher Beziehungen
Solidarität und Einigkeit sind Arbeiterwerte, gerichtet gegen Konkurrenz und Spaltung. Die Fähigkeit zu gemeinsamem kämpferischem Handeln wird mitgeprägt durch die Gemeinsamkeit in der alltäglichen Arbeit. Mit dieser Leitidee erforschten wir die Kooperationsbeziehungen in der Automationsarbeit. Wir lenkten das Interesse auf Möglichkeiten zu selbstbestimmter Zusammenarbeit. Und sahen darin Chancen für eine neue Kollektivität, die das vereinzelte und entmündigte Handeln innerhalb hierarchischer Befehlsstrukturen überwindet. Die Erfahrung selbstbestimmter Zusammenarbeit kann solidarisches Handeln mitbegründen. Mit unseren Forschungsergebnissen wenden wir uns gegen gängige Urteile, in der automatisierte Fabrik herrsche nur noch Einsamkeit und Isolation. Die neuen Möglichkeiten in den Kooperationsbeziehungen haben wir analytisch freigelegt, kaum aber fanden wir solidarisch handelnde Kollektive. Offenbar führt kein direkter Weg von der Zusammenarbeit zur Solidarität. Neue Fragen drängten sich uns auf. Wie verarbeiten die Automationsarbeiter die Anforderungen ihrer Zusammenarbeit? Welche Erfahrungen machen sie, daß sie die Chancen zur Kollektivität nicht ergreifen? Welche Wege zu solidarischem Handeln sind möglich? So stießen wir auf einen neuen Gegenstand, der scheinbar nichts mit Privatheit zu tun hat: die persönlichen Beziehungen in der Arbeit. Wir fanden, daß Solidarität eher aus diesen Beziehungen entsteht als aus der Zusammenarbeit. Erschreckend darum die vielen Klagen, daß mit der Automatisierung nur noch konfliktbeladene Arbeitskontakte möglich seien, während die persönlichen Kontakte verschwänden. Gleichzeitig sind persönliche Beziehungen aber auch ein Medium, in dem die gemeinsame Betroffenheit von Konflikten in persönliche Angelegenheiten umgewandelt, zur Privatsache gemacht werden. Diese Ambivalenz der persönlichen Beziehungen, ihre Verknüpfung mit der Zusammenarbeit interessieren uns hier. Wir haben zwei Brauer interviewt, Rolf und Jan. Sie arbeiten als Kollegen in verschiedenen Schichten der gleichen Brauerei. Sudhaus und Gärkeller wurden vor zwei Jahren (vom Zeitpunkt der Interviews aus gesehen) automatisiert. Das Sudhaus ist prozeßrechnergesteuert. Zentraler Arbeitsort ist eine Meßwarte, auf der sämtliche Prozesse repräsentiert sind. In den Gärprozeß kann allerdings nur über eine Schaltwarte im Gärkeller eingegriffen werden. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
50 Persönliche Beziehungen in der Arbeit Verschärfung von Kooperationskonflikten als Verdrängung persönlicher Beziehungen Gegenüber privater Isoliertheit erscheint uns Zusammenarbeit spontan als fortschrittlich. So — dachten wir — müßten sich auch die Automationsarbeiter verhalten. Um so größer unsere Verblüffung über die folgende Äußerung von Rolf. Auf die Frage, warum ihm die Arbeit in der vor-automatischen Brauerei mehr Spaß gemacht habe, antwortet er: Da hatte man denn doch 'n bißchen ... man hat gesehen, was man macht und da war nicht soviel... Ärger und so viel Pannen dabei. Also man war so irgendwie miteinander mehr, hatte man mehr Kontakt. Jetzt ist dieses ganze Private so, das ist alles so darnieder und so, also man unterhält sich nur noch: die Arbeit »Was war da und was war hier«. Also die betrieblichen Sachen. Daß man da sagen kann, so privat ist überhaupt nichts mehr da. Insofern kann da keiner mehr sagen, daß es irgendwie Spaß macht: nee. — Man kommt eben her. Na ja und ...(...) Ja hier im Betrieb acht Stunden lang, ja da ist die Arbeit eben so das Wichtigste und privat ist eben gar nichts mehr. Also ..., daß man nicht mehr weiß so, nicht, hat der sich nun verlobt oder ist nun mit dem was geworden oder so. Was nun vorher viel aktueller war. Also das stellt auch jeder dann in den Hintergrund und erzählt nicht.
In seiner Antwort macht der Brauer die Möglichkeit, unter den Kollegen über Privates sich austauschen zu können, zu dem Kriterium, ob die Arbeit Spaß machen kann oder nicht. Mit der Automatisierung, so beklagt er sich, nehmen die Kontakte untereinander ab, liegt das »ganze Private darnieder«, steht die Arbeit im Mittelpunkt. Also eine weitere Stimme im Chor der vielen, die mit der Automatisierung die »persönlichen Kontakte« schwinden sehen. Gleichzeitig beklagt er sich aber, daß in den Kontakten mit den Kollegen Probleme der Arbeit bestimmend sind, daß Arbeitsbeziehungen die Sozialbeziehungen verdrängen. Als Problem bestimmt er also nicht, daß er als Automationsarbeiter »isoliert« sei oder »vereinsame«. Ihm sind die mit der Automatisierung notwendigen Arbeitsbeziehungen ein Problem. Sie verdrängen die persönlichen Kontakte. Und dies auch nicht als notwendige oder zwangsläufige Folge der Automatisierung, sondern als etwas von den Arbeitskollegen Gemachtes: Jeder stelle das Private in den Hintergrund. Wir fragen, welche Widersprüche in diesen Äußerungen verarbeitet werden. Fragen weiter nach dem Stellenwert der »bloßen« Sozialbeziehungen, wenn in ihrem Lichte die doch spezifisch menschlichen über die Arbeit vermittelten Kontakte und Beziehungen als verlustreiche Zumutungen erscheinen. Wir versuchen, ein Bild von der Art der Zusammenarbeit zu gewinnen. Im Anschluß an seine Klagen, daß die Kontakte von der Arbeit beherrscht werden, spricht Rolf von eben dieser Arbeit:
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Ja, das ist ziemlich problematisch alles so. Also es vergeht kein Tag, daß da nicht so eine Störung ist und daß man denn hier so zu rennen und so zu machen hat, also: »Wie nun wieder?« und: »Was nun wieder?« oder: »Hat man wirklich einen Schaltfehler gemacht?« und so. Das kann ja auch, das passiert nun auch, daß man da auf einen falschen Knopf gedrückt hat, und deswegen läuft das nicht oder deswegen ist das unterbrochen ...(...) Also uns hat die Herstellerfirma damals gesagt, wir brauchen drei Jahre, dann kennen Sie, dann wissen Sie erst richtig Bescheid. (..) Also wir haben uns in etwa auch so eingetastet. So hundertprozentig kann das keiner. Da treten immer wieder noch Fälle auf, wo man dann sägt: »Wie kann denn sowas kommen, wie geht denn sowas?« Und denn drückt man und macht und tut ...: »Ist da noch ne Zeit eingegeben?« oder: »Da ist ein verkehrter Schritt drin« oder irgendwie sowas. Also da ist immer irgendwie was los.
Unverkennbar spricht aus den Worten von Rolf, was wir in unseren empirischen Untersuchungen an vielen Orten analysiert haben: Die neue Anforderung in der Automationsarbeit ist, Störungen zu erkennen und zu beseitigen. Und in den Worten schwingt gleichzeitig mit, daß diese Anforderung eine Zumutung sein kann. Niemand unter den Kollegen scheint sicher zu sein, kein Tag vergeht, an dem nicht irgendetwas passiert; all dies sind Zeichen, daß die Arbeit als nervenaufreibend erlebt wird. »Zu rennen und zu machen«; »wie nun wieder und was nun wieder«; »und denn drückt man und macht und tut«. Rolf stellt sich dar als von der Arbeit gehetzt, verfolgt, ruhelos versucht er, der Sache Herr zu werden — seinem Gefühl nach vergeblich, denn: »und ... drückt man und macht und tut« — und alles fängt wieder von vorne an. Als Gründe dafür, daß viele Automationsarbeiter den automatischen Prozessen ausgeliefert sind, haben wir unzureichende Ausbüdung, mangelnde Verfügung über Produktionsdaten, überholte Arbeitsteilungen, in die Krise geratene Berufskulturen, Lohnarbeiterkonkurrenzen und manches mehr gefunden (vgl. bes. AS 43 »Von-Hand-Fahren«; »Spielen mit der Anlage«; AS 55 »Nachdenken über den Gebrauch der Dinge«; AS 67 »Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien«; »Gruppenbildung und Hierarchie«). Wie sollen Automationsarbeiter unter solchen Bedingungen dazu kommen, ihre eigenen produktiven Taten zu genießen, eine neue kollektive Produktionskultur sich zu erringen? Rolfs Erzählungen über die Zusammenarbeit vermitteln den Eindruck, als würden sich Härte und Unerbittlichkeit der Arbeitsanforderungen gerade in Beziehungen zu anderen Arbeitern mitteilen. Bei der Schilderung einer Störungsbeseitigung kommt Rolf auf die Zusammenarbeit mit Schlossern zu sprechen: (...) Und wenns nicht klappt, dann muß man eben einen Schlosser holen oder so. Der weiß meistens auch nicht Bescheid, weil der die Anlage gar nicht kennt. (...) Ich meine, es gibt Schlosser hier bei uns (...), die haben sich das dann mit der Zeit angeeignet, also die Leute, die Interesse hatten oder so. Es gibt auch ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Leute, die da nachts hier sind, die auch gar kein Interesse haben. Die sagen dann zu einem: »Ja, wenn du das nicht weißt, wo der Fehler liegt — ich weiß es schon lange nicht. Ich hab hiervon keine Ahnung.«
Die Anlagenwerte betragen Millionen, die Stillstandskosten gehen in die Zehntausend, und dann in brenzligen Situationen alleingelassen werden; erfahren, wie sich Leute aus der Verantwortung stehlen, indem sie ihre Ahnungslosigkeit behaupten, also auch ihre Nicht-Zuständigkeit, dies muß schmerzen. In der Rede von Jan sind die Schmerzen nicht mehr sichtbar. Die Frage, ob es gemeinsames Lernen und Erfahrungsaustausch gebe, verneint er: Nee, das haben wir eigentlich nicht. Kenne ich nicht. Hier und da einzelne vielleicht, die vielleicht nicht klar kommen oder nicht klar sehen oder was. Aber erstmal würde ich das sagen, es ist nicht notwendig, zumal ja jeder alleine, ja, auch ist und allein sein muß und alleine das bringen muß. [Anschlußfrage: Kommt auch jeder alleine zurecht?] Man kommt und man muß.
Zwei Botschaften sind zu hören. Mögliche Schwierigkeiten haben nur die anderen. Jeder ist auf sich gestellt. Die Koppelung beider Denkfiguren immunisiert auf sichere Art gegen jede Versuche, eine gemeinsame Betroffenheit herzustellen und gemeinsame Lösungen für die Arbeitsschwierigkeiten der einzelnen zu suchen. Die Zumutungen der Automationsarbeit werden so als individuelle Bewährungssituation gelebt. Darin machen sich die Arbeiter die Lohnarbeiterkonkurrenz zu eigen, aktiv und reaktiv. Denn in da* Rede von Jan bleibt offen, ob das Allein-Zurecht-KommenMüssen die Form ist, in der er gegen die übrigen konkurriert, oder ob er darin enttäuschende Erfahrungen mit der ausbleibenden Unterstützung anderer verarbeitet. — Über die Zusammenarbeit bei der Schichtübergabe erfahren wir von Jan: Es muß ne richtige Übergabe gemacht werden, und je mehr einer dem anderen sagt, desto leichter ist es ja für den anderen. Aber eben wenn ..., weü ja auch Einschränkungen sind, wo die Arbeiter ... Sollten ja eins sein, sind ja doch nicht immer so auf eins, ne. Da kommts immer von Mensch zu Mensch ... Es kommt drauf an, auf jeden Menschen, wie er ist, ob er alles sagt, ob er mich nur drauf aufmerksam macht, auf dieses oder jenes, und denkt vielleicht: »Kann der auch denken, na laß ihn mal, ha ha.« (...) Das gibt es alles. So ist der Mensch.
Wir haben früher untersucht, daß Konflikte bei der Schichtübergabe Überlagerungen sein können (siehe AS 43,232). Solange das Arbeiterhandeln auf der Erfahrungsebene verbleibt, werden Unsicherheiten in der Fahrweise der automatischen Anlage bestehen und in Form von persönlichen Vorlieben ausgetragen werden. Und gleichzeitig ist die Durchsetzung der eigenen Fahrweise eine Form der Konkurrenz. Das Abschieben von heiklen und unangenehmen Eingriffen auf die nachfolgende Schicht kann ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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der Unsicherheit entspringen und taugt als Konkurrenzmittel. Ebenso das Verschweigen von Informationen, die mangelnde Einweisung in laufende Vorgänge. Jan verarbeitet diese Überlagerungen und sagt, die Zusammenarbeit hänge davon ab, wie der Einzelne sei. Auch diese Verarbeitungsform hat etwas verblüffend Doppeltes. Einerseits trifft es zu, daß es mit vom Einzelnen abhängt, wieweit er sich auf Konkurrenz einläßt, ob er versucht gegenzusteuern und andere Arbeitsbeziehungen herzustellen. Andererseits entnennt Jan in der Redeweise, es hänge vom einzelnen Menschen ab, sowohl die Konkurrenzverhältnisse als auch die gemeinsamen Schwierigkeiten, mit der Anlage zurechtzukommen. Und diese Schwierigkeiten existieren auch für Jan, wenn er meint, kein Beispiel für eine Störung erzählen zu können: Nee, kann nichts bringen. Nee. Warum? Weil ein Außenstehender sich da gar nichts drunter vorstellen kann. Der kann die Höhe, Tiefe, Weite, Breite, die kann der gar nicht ermessen. Es kann sich fürn Außenstehenden vielleicht ganz simpel anhören und ist wirklich ne komplizierte Sache. Es kann sich kompliziert anhören und ist ne ganz verfranste Angelegenheit.
Halten wir fest: Die Automatisierung bringt einen bislang unbekannten Zug der Härte und Unerbittlichkeit in die Arbeiterkontakte. Berufliche Routinen werden aufgelöst, Sicherheit gebende Zuständigkeitsgrenzen verflüchtigen sich. Der Charakter der Arbeit wird umgewälzt. Galten früher Störungen als Unregelmäßigkeiten, Ausnahmen und Unterbrechungen des normalen Arbeitshandelns, so sind sie jetzt Hauptinhalt der Automationsarbeit. Die Dynamik des Arbeitshandelns wird revolutioniert. Die Hoffnung, die eigene Handlungsfähigkeit in einem störungsfreien Ablauf erleben zu können, wird durch die nächste Störung zerstört. Zwar ist das Handeln auf Beseitigung von Störungen gerichtet, der Prozeß der Störungsbeseitigung selbst aber ist unabschließbar. Ebenso wird jedes erreichte Niveau der Handlungsfähigkeit durch neue Störungen praktischer Kritik unterworfen. Die erworbene Handlungsfähigkeit wird relativiert; zur Hauptanstrengung wird, die Grenze der Handlungsunfähigkeit immer weiter zu verschieben. Haben Arbeiter ihre produktiven Kräfte auf einem fixierten Niveau von Handlungsfähigkeit genossen, so muß ihnen die neue Arbeit als permanenter Beweis ihrer Handlungsunfähigkeit erscheinen. Der neue Genuß mußte das gemeinsame Verschieben der eigenen Handlungsfähigkeit in immer neu sich auftuende Bereiche von Handlungsunfähigkeiten einschließen: Herausforderung und Abenteuer in der Arbeit. Wir haben die Automationsarbeit als ein Feld neuer Kollektivität untersucht, in der die Entwicklung individueller Handlungsfähigkeit Bedingung der kollektiven Handlungsfähigkeit ist und gemeinsames Ziel aller werden kann (vgl. AS 43,189ff.). Aus den Interviews erfahren wir, wie die Betroffenen selbst in Verarbeitung der neuen Anforderungen sich darin behindern, diese kollektive Kultur der Automationsarbeit zu entwickeln. Der ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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enorme Handlungsdruck im Störungsfall, das dauernde Risiko von Fehlern, die Ungewißheit und Uneindeutigkeit von Störungsursachen, all dies verlangt von den Individuen eine Härte in der Sache, die auch vor Kritik an Kollegen nicht Halt macht. Nach dieser Seite haben wir uns die Automationsarbeit als Produktionsstreit vorzustellen, in dem der Einzelne seine Grenzen erfährt und diese in bewußter Entwicklungsanstrengung verschiebt, um die gemeinsame Produktionsnot zu wenden. Diese Härte ist in der Zusammenarbeit zugleich das Einfallstor für Konkurrenzen. Produktionshärte und erlebte Konkurrenz werden zusammengebunden. Die Bündelungsform, die wir gefunden haben, ist die Personalisierung. Insoweit sich die Produktionshärten und Konkurrenzen über das Handeln der Kollegen mitteilen, liegt der Schluß nahe, für das erfahrene Leid den Charakter des jeweilig anderen verantwortlich zu machen. Personalisierungen von gegebenen Schwierigkeiten und Widersprüchen verhindern, die gemeinsamen Handlungsbedingungen zu reflektieren, die Anordnung zu untersuchen, in der man sich befindet und die man gemeinsam herstellt. Gleichwohl haben sie in negierter Form einen utopischen Kern: die Enttäuschung, daß Menschen so handeln können. Die Enttäuschung wirft den Einzelnen auf sich selbst zurück, mag ihn bewegen, sich in die Form hineinzubegeben, die Produktionswelt als individuelle Bewährung zu leben. Die Rückseite der Personalisierung von Schwierigkeiten und Härten in der Zusammenarbeit ist das Gefühl, zu einem Funktionselement in der Arbeit degradiert zu sein. Denn die Personalisierung verknüpft Arbeitsschwierigkeiten und Personen so miteinander, daß das »Persönliche« als eine Ebene des Kulturellen, des einander sich Vergewisserns, ausgeschieden wird. Rolfs Einschätzung der alten Arbeit: »da war nicht... soviel Ärger und so viel Pannen dabei«, zeigt in dem Wort Ärger die Verknüpfung von sachlichen und persönlichen Schwierigkeiten Auseinandersetzungen. In der Pause vor diesem Wort bricht eine stumme Leidenswucht durch, die die Verwandlung von freundschaftlichen Beziehungen in unerbittliche, harte, nüchterne Arbeitskontakte anzeigt. — Auch wenn wir nun die Wirkungsweise der Personalisierungen untersucht haben und den Gehalt der Redeweise verstehen, das Private liege darnieder, so wissen wir noch nicht, warum sich die doch offenbar vorher gelebten freundschaftlichen Bande so leicht auflösen lassen. Auseinandertreten von Arbeitsinteresse und Solidarität Wir ziehen Interviewpassagen heran, die von der Zeit des Aufbaus der automatischen Anlage handeln. Es ist die Zeit biografischer Brüche. Brauer, die zum Teil mehr als zwanzig Jahre im Betrieb arbeiteten, mußten beim Aufbau »mitlaufen«, sich aneignen, was ihnen »gerade da mitgeteilt wurde«. Sie waren einem erbarmungslosen Lerndruck ausgesetzt. Rolf: ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Also da mußte man schon auf dem Laufenden bleiben. Denn wenn mal einer in dieser Zeit krank war oder Urlaub hatte, das war denn auch sehr schlimm, daß der wieder in Rückstand geriet. Man kam dann wieder und dann ist da schon wieder was Neues und da wußte man nicht... Also das war eben..., man mußte hinterherrennen, ungefähr etliche Wochen, daß man diesen Kenntnisstand wieder erreichen konnte, den die anderen normalerweise hatten.
Bemerkenswert ist, wie die Perspektive, aus der Rolf spricht, schwankt. Mal ist es diejenige des Kollektivs, welches durch den Zurückgebliebenen aufgehalten wird; mal ist es diejenige dessen, der unter dem Druck des Kollektivs den Rückstand aufzuholen sucht Auf die Frage, ob denn Zusammenarbeit, gegenseitige Hilfe unter den Kollegen stattgefunden habe, antwortet Rolf mit einem gequältem Lachen: Na ja [lacht], na ja, mit der Zusammenarbeit, das ist nun natürlich auch... na ja. Teilweise ja, hatten wir uns schon unterstützt. Insofern war das schon gegeben. Aber gewisse Quälereien gab es da auch schon, die wir vorher nicht hatten und die bis jetzt praktisch auch noch nicht ausgeschaltet sind. Es ist immer noch so, daß vielleicht meinetwegen ein gewisser Konkurrenzkampf da ist.
Deutlich ist die Erfahrung der Entsolidarisierung der Arbeitenden zu hören. In den Pausen »schweigt« die Qual und die bejahende Antwort »teilweise schon« klingt eher wie ein Versuch, das Ausmaß der Zerrissenheit nicht preiszugeben. Die Vermutung, dahinter stehe die Konkurrenz um die verbleibenden Arbeitsplätze, verneint er: Nee. Na ja, das geht auch, ich weiß nicht, nach ... In gewissen Graden ... Der eine sieht es so und der andere anders. Also irgendwie nach der Auffassung heraus. Davon geht es. Meiner Meinung nach. Also die Auffassung, die man dazu hat, zu der ganzen Anlage, und wie man überhaupt dazu steht und so. Ich steh nun ziemlich negativ dazu. (...) Wo andere sich vielleicht sagen, so schlecht ist sie ja nun doch nicht. Wobei ich meine, daß sie sich was vormachen wollen. (...)... in erster Linie, weil da mal Arbeitsplätze wegrationalisiert werden durch diese Anlage. Deswegen ist das für mich erstmal negativ. Also es geht ja auch gar nicht, also meiner Meinung nach, also für mich geht es nicht um die Arbeit alleine oder so, sondern es geht darum, daß eben tatsächlich gute Kollegen dabei auf der Strecke geblieben sind, die da... Vorher waren wir vierzehn Leute und jetzt sind wir nur noch zehn. Da mußten erstmal vier ... weg.
Ein überraschender Befund: Wo wir Zerstrittenheit aus Konkurrenz um die Arbeitsplätze erwarteten, spricht Rolf von gewissermaßen weltanschaulichen Differenzen: »wie man überhaupt dazu steht«. Rolfs Haltung ist von der Erfahrung geprägt, daß »gute Kollegen .. auf der Strecke geblieben« sind. »Gute Kollegen« klingt doppelsinnig: Sie können als Kollegen gute Arbeiter und als Arbeiter guie Kollegen gewesen sein. Wir stoßen hier auf ein Element der Klassenkultur. Die solidarische Verbundenheit mit den Klassengenossen schließt die Wertschätzung ihrer produktiven Fähigkeiten mit ein und umgekehrt. Und Rolf fühlt sich solidarisch, wenn ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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auch resigniert. Die Härte seiner Erfahrung erahnen wir aus der fast brutal nüchtern kargen Sprache: »Da mußten erstmal vier... weg.« Das Zögern mag ein Schwanken anzeigen, zwischen Auflehnung und Ohnmacht. In der Formel »wie man überhaupt dazu steht« ist die Erfahrung der Klassenverhältnisse verarbeitet zur persönlichen Ansicht einzelner, die andere Ansichten von Arbeiterkollegen nicht ausschließt oder verändern will. So ist denn Rolfs solidarische Verbundenheit überwiegend von Mitleid bestimmt: ... denen hat man das Leben so sauer gemacht, daß sie zum Teil gekündigt haben. Also die haben dann die letzte Dreckarbeit hier gemacht, und dann sind sie dann, dann haben sie gesagt: »Also nee, woanders kann ich mein Geld auch verdienen.« Also haben einfach gekündigt. Ein Kollege von mir, mit dem ich zusammen gelernt habe, also der war nun auch, na 19 Jahre hier — ich bin jetzt 22 Jahre hier — und also der hat gesagt: »Also nee.« Jetzt ist er a u f m Bau, macht da von Eternit Fassaden. (...) War gelernter Brauer, na ja, und der kam eben nicht da in den Genuß da — also aus welchen Gründen auch immer, weiß ich nicht ganz genau —, aber er kam eben nicht in den Genuß, daß er nun dieses machen, da rinversetzt wurde. Sondern er kam da auf die Schwankhalle versetzt. Mußte er, konnte er Fässer trudeln und so. Und da hat er gesagt: »Also nee, ist gut.«
Wie kann der einzelne auch praktische Solidarität üben? Rolf weiß nicht genau, weshalb sein Kollege nicht übernommen wurde. Kann er es überhaupt genau wissen wollen, ohne in tiefste Zerrissenheiten zu stürzen zwischen Solidarität und eigenem Arbeitsplatzinteresse? Kann der Einzelne mehr tun, als seine Klassensolidarität als Meinung zu bewahren? (...) Also ich hatte auch ziemlich viel Schwierigkeiten. Also bei mir wars so auf der Schwebe, also daß ich da überhaupt reinrutsche oder so. Ich hatte auch andere Sachen schon vor. Also dieses hätte ich sowieso nicht gemacht, also da mit Fässern trudeln oder so. Das ist für mich keine Lebenserfüllung, da hätt ich sowieso was anderes gemacht. Und denn haben sie sich das wieder anders überlegt, na ja. Dann haben sie so gesagt, daß ... An und für sich war ich für den Fuhrpark eingeteüt, hieß es mal, dann nicht und dann wieder doch und... Das war eine schlimme Zeit gewesen. Das ging ein halbes Jahr lang, bis ich dann sagte: »Also meine Stellung«, ob sie für mich nun noch ne Arbeit hier als Brauer haben oder nicht.
Trotz dieses Dschungels an der Solidarität festzuhalten und den Verlust der Kollegen zum Angelpunkt zu machen, dies scheint Rolf in den Gegensatz zu den übrigen Kollegen zu bringen. Sie machen sich seiner Meinung nach etwas vor, wenn sie die automatische Anlage nicht verurteilen. Rolf betrachtet sie als Leute, denen es »um die Arbeit alleine« gehe, während für ihn die Zerstörung der gewachsenen Arbeiterbeziehungen auch wichtig ist. Wer sich nicht solidarisch mit den Versetzten und Entlassenen fühlt, der wird in Rolf Verarbeitung jener Seite zugeordnet, die die betrieblichen Vorgänge, Beziehungen auf die Erledigung von vorgegebenen Arbeiten ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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zu reduzieren sucht. Rolf verarbeitet die Grausamkeit der Automatisierung unter der Herrschaft des Profits, indem er zugleich mit der unmenschlichen Willkür gegenüber den Kollagen auch die neue Arbeit verurteilt. Wir haben in Teil 3 unserer empirischen Untersuchungen Formen analysiert, in denen die produktiven Fähigkeiten der Arbeit von Unternehmern entfesselt werden. Indem sie zu einem Kollektiv von Produktionshelfern geformt werden, vereindeutigt sich ihre widersprüchliche Situation: »Die Angst um den Arbeitsplatz sitzt den Arbeitern im Nacken. Tatsächlich erleben sie die Reduzierung der Belegschaft. Wird es auch sie treffen, müssen sie sich nicht mit den anderen solidarisieren? Und während de sich in dtesemKorrflikt befinden, werden ihnen Angebote gemacht, den Alltag hinter sich zu lassen, Neues auszuprobieren, sich selbst zu verändern und die eigenen Grenzen hinauszuschieben. Die Herausforderung des Neuen und der Solidaritätskonflikt organisieren offenbar einen derartigen Druck, daß die übrigbleibenden die neuen Möglichkeiten als Widerspruchslösung ergreifen und sich hineinstürzen.«'(AS 67, 532) Rolfs Erzählungen geben darüber Auskunft, daß derartige Widerspruchslösungen im Falle seines Arbeitskollektivs — vom Standpunkt der Unternehmer gesprochen — mißlungen sind. Gleichzeitig tritt keinesfalls automatisch an die Stelle des von oben geformten Kollektivs ein Kollektiv solidarischer Produzenten und Klassengenossen. Zerrissenheit herrscht, Streit und Trauer über den Verlust der Kollegen. Selbst über einen Brauer, der sich elektronische Kenntnisse angeeignet hat, spricht Rolf in der Vergangenheit: Ja, da haben wir einen Spezialisten dafür [für die Programmeingabe, d.Verf.], also das, nee, ein Ingenieur ist das auch nicht, bloß der konnte einen Kursus machen. Ein viertel Jahr einen Kursus bei dieser Firma, die das hergestellt haben, und von dort aus hat er eben sein Wissen. Wie gesagt, ist auch ein Kollege von mir gewesen, also ein einfacher Brauer kann man sagen ...
Stellung zur Automationsarbeit als persönliche Angelegenheit Ganz anders klingen dagegen die Erzählungen von Jan. Für- ihn scheint es den Gegensatz von Solidarität und Engagement in der neuen Arbeit nicht zu geben. Auf die Frage nach dem Schicksal der persönlichen Kontakte antwortet en Ja mit dem Privaten, das ist so wie das Wetter so, das ist abhängig wie die Laune vom Wetter, nicht. Das war denn eine Zeit... Früher, wo jeder wußte, er hat seinen Posten, und wußte, woran er ist, da war denn Schönwetter, nicht. Und wenn die Übergangszeit kam, wo das denn anfing, nicht, wo keiner recht wußte, was machen und wie's weiter und so, nicht, da war denn schon Sturm, ne, Blitz, Donner und Hagel, ja. [Ob er damit habe sagen wollen, daß es unter den Kollegen Krach gegeben habe, weil jeder Angst gehabt habe, die Arbeit zu verARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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lieren?] Das habe ich mit sagen wollen. Das wollte ich sagen. Ja, das ist ganz natürlich, nicht. Das ist eben in der Art des Menschen, nicht. Ein anderer kann ja da auch durchgehen, durch dieses Unwetter unbeschadet, aber anderen ... Es gibt Leute eben, die da echt eben Schaden nehmen, nicht. So eindringlich die Bfldsprache ist, sie verstellt zugleich die Suche nach den gemeinsamen Handlungsbedingungen. Denn unabhängig von den Taten der Menschen nimmt das Wetter seinen Lauf. Die Klassengegensätze werden in dem Wetterbild naturalisiert. Die Verhältnisse als Naturgewalten vereigenschaften zugleich die Betroffenen: Einige überstehen das Unwetter, andere nicht. Menschen sind so gesehen unterschiedlich wetterfest. Eine doppelte Naturalisierung erscheint so in der Rede. Konflikte, Kämpfe in den Verhältnissen formt Jan um zum Schicksal, das jeder einzelne tragen muß. — Auf die Frage, ob es Kämpfe für den Erhalt der Arbeitsplätze gegeben habe, antwortet er: (...) Ich sage nur, das ist halt zeitbedingt, diese Automation. Ünd wie gesagt, jeder ist an und für sich für Fortschritt, nicht. Bloß wenn's hier und da irgendwie einschneidend ist, bei diesem oder bei jenem, dann will einer das nicht und so. Also was will nun einer, nicht. Diese Frage muß sich jeder mal selbst stellen. Ist meine Meinung.
Ungeheuer die Wucht dieser Logik. Und ungeheuer, erkennen zu müssen, daß hier der Boden für das Verfangen der Unternehmerargumente von den Arbeitern selbst bereitet wird, wenn sie sich dem Konflikt von Solidarität und Arbeitsplatzinteresse nicht stellen. Jan lastet die Widersprüchlichkeit der Automatisierung unter Profitherrschaft den Individuen als Widersprüchlichkeit bzw. Inkonsequenz an. Darin liegt eine zerstörerische Individualisierung, welche die Notwendigkeit und Möglichkeit kollektiver Politik gegen Arbeitslosigkeit leugnet. Politische Veränderungspraxen tauchen überhaupt nicht auf. Nur individuelle Meinungen. Wer an dem Fortschritt teilhaben will, muß auch Opfer tragen können. Wer gegen Opfer ist, muß auch gegen den Fortschritt sein, also aus unserer Gesellschaft heraustreten. Diese Figur immunisiert gegen Kritik und Aufforderung zum verändernden Handeln, weil sie das Denken von widersprüchlichen Verhältnissen zu Widersprüchen im Denken umformt und aus der logischen Eindeutigkeit im Denken ein Handeln des »entweder-oder« ableitet. Politik in Widerspruchsverhältnissen wird immer die Form des »sowohl als auch« haben müssen. Mit der Zeit des Übergangs zur Automatisierung, der Konkurrenzen und Unsicherheiten scheint Jan im Gegensatz zu Rolf keine Probleme zu haben. Der Vorgang, wie er zu seinem Arbeitsplatz kam, scheint ihm nur natürlich: Na ja, wir haben bei der Übergabe, ich meine jetzt diesen Übergang ... Hat man wirklich auf die wir im Sudhaus eben gearbeitet haben, nicht, auf uns zurückgegriffen und uns die Möglichkeit gegeben und uns die Möglichkeit gegeben, uns eben da einzuarbeiten. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Den einen wird gegeben, den anderen wird genommen. Hier springt das Weltbild von Jan. Die Unternehmer tauchen auf und rutschen sogleich an eine Stelle, die von Schicksalsmächten besetzt ist. — Auf die Frage, wie er seine jetzige Arbeit finde, kann er völlig ungebrochen antworten: Ich persönlich finde die Arbeit sehr gut. Ist ne persönliche Sache. Ich finde sie gut. Und warum? Ja, weil ichs interessant finde, ja diese ganze Beobachtung und die ganze Sache und so und dieses Konzentrierte und so, das finde ich interessant, könnt' ich verwechseln mit... Hab' eben als Kind nicht mit der Eisenbahn gespielt, nicht, das kann man dä heute praktisch nachvollziehen. Das ist wie ein Spiel? Das Große. Ja es ist, ja, so kann man..., es ist schön, wenn man die ernste Arbeit als Spiel sieht. Das ist besser, leichter, als wenn man so sauer, mißmutig... Denn, finde ich, in jeder Beziehung, in der Beziehung für einen selbst ist es besser, ne, und auch für den ganzen Arbeitsprozeß, ehrlich.
Auch für Rolf war die Haltung zur Automationsarbeit Sache persönlicher Auffassungen. Auch wenn ihre Haltung gegensätzlich ist, darin, daß es Auffassungssache sei, sind sie sich einig. Beide verarbeiten in ihrer persönlichen Auffassung die Widersprüchlichkeit dar Automatisierung im Profitinteresse. Rolf hält an Klassensolidarität und Kritik der Unternehmerwillkür fest und gerät als Einzelner in eine Anti-Haltung zur Automationsarbeit. Jan nimmt die Unternehmerherrschaft als naturgegeben und kann sich so für die neue Arbeit entscheiden. Die Widersprüchlichkeit der Verhältnisse wird von den Individuen in gegensätzliche persönliche Überzeugungen umgearbeitet. Eine Bedingung dieser Umarbeitung scheint das Fehlen kollektiver Politik zu sein. Dies zieht nach sich, daß die Individuen in den Konflikten auf individuell-isolierte Lösungsversuche zurückgeworfen sind. Die gegensätzlichen Überzeugungen wirken in die Arbeiterbeziehungen hinein. Jans Bejahung der Automationsarbeit ist zugleich eine Ablehnung der Säuernis und Mißmutigkeit derjenigen, die die negative Seite nicht vergessen können. Die Tragik besteht darin, daß die Arbeit ohne partielle Bejahung tatsächlich unerträglich und die Beziehungen unter den Arbeitern quälerisch werden. Wo eine Politik gegen die Arbeitslosigkeit fehlt, in der die Arbeiter ihre Klassenidentität bewahren können, indem sie solidarisch handeln, dort muß derjenige, der die Automationsarbeit bejaht und so spricht wie Jan, als Verräter erscheinen. Indem die Arbeiter Klassenkonflikte in gegensätzliche individuelle Überzeugungen umarbeiten, hindern sie sich daran, eine gemeinsame Kultur in der Automationsarbeit zu entwickeln. Diese kollektive Kultur wäre eine Bedingung der Solidarität im politischen Handeln. Stattdessen durchkreuzen die gegensätzlichen Überzeugungen die Zusammenarbeit, da sie die Art und Weise bestimmen, in ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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der die Einzelnen an die Arbeit herangehen: »mißmutig«, »sauer« oder »interessiert«, »die ernste Arbeit als Spiel« sehend. In der Art ihrer Zusammenarbeit verarbeiten die Individuen also auch ihre Betroffenheit durch die Klassengegensätze — ohne ihr Wissen. Die Verarbeitungsprodukte erscheinen als individuelle Überzeugungen, Eigenarten, Charaktere. Das Kollektiv stabilisiert sich also nicht auf den vom Unternehmen gewünschten Bahnen, gemeinsam die arbeitslos Gewordenen auszublenden und darin eine neue Identität zu finden. Der Konflikt wird innerhalb des Kollektivs unter den Personen aufgelöst in Gegner und Befürworter. Ein Festhalten der Widersprüchlichkeit, eine Politik gegen Arbeitslosigkeit und für die neue Arbeit zugleich, scheinen ausgeschlossen. Der Klassengegensatz dringt in die Zusammenarbeit ein. Er nimmt die Form des Streites gegensätzlicher Überzeugungen an. Der Streit wird auf der Ebene der Arbeitskultur und der Form der Zusammenarbeit ausgetragen. Damit bricht ein Stützpfeiler der vorherigen Sozialbeziehungen zusammen: Die Trennung von Arbeit und Persönlichem. Wir denken, daß die Sozialbeziehungen neben der Arbeit den Humus der Solidarität bilden können, weil die Härten, Konflikte, Konkurrenzen in der Arbeit aus diesen herausgehalten werden. Die zirkulären Sympathiebeziehungen werden als Negation der Arbeiterbeziehungen gelebt (siehe Holzkamp 1973, 151ff.). Die Fähigkeit, ein Auskommen untereinander herzustellen, bedeutet auch, die Meinungsunterschiede und Streite auf der Ebene von Fußball, Urlaub, Politik nicht zu Springpunkten der Zusammenarbeit werden zu lassen. In den Sozialbeziehungen werden Meinungsstreite in der Schwebe gehalten, unterschiedliche Auffassungen nicht auf Entscheidbarkeit hin diskutiert, sondern zugunsten der gelebten Verbundenheit als Eigenarten, Anschauungen, Meinungen der Einzelnen stehen gelassen. Die Schranke der Solidarität, die auf der Trennung von Arbeit und Persönlichem beruht, liegt darin, daß sie lediglich eine Gemeinsamkeit unter Ausschlieft von Unterschieden und Gegensätzen erlaubt. Diese Gemeinsamkeit ist offen für Personalisierungen. Sie übt nicht ein in eine kollektive Streitpraxis, welche unterschiedliche Meinungen als Verarbeitungen unterschiedlicher Aspekte von Wirklichkeit herausarbeitet und sotein gemeinsames Bild der Wirklichkeit zusammenfügt. Erst wenn jede einzelne Meinung anerkannt und erfahrbar wird, wie sie in der Wirklichkeit der gemeinsamen Situation verankert ist, können sich die Einzelnen zum gemeinsamen Handeln zusammenschließen. Mit der Automatisierung dringt der Streit der persönlichen Auffassungen in die Arbeit ein. Dies war ein Ergebnis der empirischen Auswertung. Die Schranke, die in der vorherigen Form von Arbeitergemeinsamkeit lag, wirkt sich krisenbefördernd aus. Wird die Trennung von Arbeit und Persönlichem eingerissen, erscheinen die Unterschiede und Konflikte in der Arbeit plötzlich als Austragungsformen von unterschiedlichen Auffassungen. Ein Ort zur HerstelARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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lung der Ganeinsamkeit scheint nicht mehr zu existieren. Die alte Fähigkeit, unter Ausschluß der Unterschiede und Gegensätze zwischen einzelnen Gemeinsamkeit herzustellen, versagt. In der Klage, mit der Automatisierung verschwänden die persönlichen Kontakte, erscheint eine Krise der Arbeitersolidarität. Diese Krise kommt zustande durch Überlagerung mehrerer Konfliktfelder. Die Zusammenarbeit in der Automation nimmt die Form eines unerbittlichen Produktionsstreites an. Die Arbeiter befinden sich in Konkurrenzverhältnissen. Die Individuen müssen im Konflikt von Solidarität und Arbeitsplatzinteresse den Klassengegensatz verarbeiten. Eine Form, in der diese Überlagerung von den Individuen gelebt wird, ist die Personalisierung der Konfliktursachen. Die Personalisierungen befördern eine Bündelung der Konfliktfelder. Die Überlagerung strukturiert die Form der Zusammenarbeit. Auflösung von Solidarität und zerreißende Auseinandersetzungen bestimmen das Bild. Wo Politiken fehlen, in denen die einzelnen Konfliktfelder kolr lektiv angegangen werden, scheinen die Individuen dazu verurteilt, sich gegenseitig in der individuell-isolierten Verarbeitung von Klassenkonflikten festzuhalten. Die Arbeitskontakte werden zum Ort der Durchsetzung der Produktionsverhältnisse. Die Agenten sind die Arbeitenden selbst. In der Art ihres lebendigen Kontakts erscheinen die Widersprüchlichkeiten der Automatisierung unter Profitherrschaft als Gegensätze unter Arbeitern. Die Chancen einer Politisierung gehen in der individualisierenden Zerrissenheit unter. Wir hatten uns mal gesagt, also auch mit den Vorgesetzten, da haben wir'n bißchen Schwierigkeiten gehabt, und daß mal jeder machen ...; daß wir uns mal unterhalten wollen, alle fünf, also weil man ja immer, also sind überhaupt nie zusammen, also mal zusammen, daß wir uns da mal Samstag oder sowas, meinetwegen, mal treffen wollen und sagen, also, wie wir uns jetzt verhalten haben. Also daß es generell, also ohne Unterschied, daß es jeder so macht, wie wir uns das abgesprochen hatten und so. Aber daraus ist bisher noch nichts geworden, aber das kommt nun noch, das kommt noch. Daß einer vom anderen nichts weiß, wie hat er das gemacht und wie mach ich das also auch, das hängt auch mit den Zeiten zusammen, vielleicht wie und welche Arbeit er verrichtet und in welcher Zeit. Das wollen wir eben auf jeden Fall noch durchziehen und daß da einer vielleicht nicht besser sein will als der andere, und darum geht's ja.
Folgen wir Rolfs Erzählung, so bringen die Schwierigkeiten in der Arbeit selbst einen Bedarf nach neuen Formen und Orten von Arbeitergemeinschaft hervor. Die angezielten Produktionsabsprachen zwischen den Arbeitern könnten fortgeführt werden zu einem regelmäßigen Erfahrungsaustausch und Element einer neuen Arbeitskultur sein. Die nachträgliche Verarbeitung von Krisen und zugespitzten Situationen in der Arbeit könnte der Zusammenarbeit die Schärfe der Unerbittlichkeit nehmen und neue Gemeinsamkeit herstellen. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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4 Arbeitsbeziehungen Theoretische Skizze Fragesteflung: Beschränktheit von »Arbeitsteilung« und »Kooperation« In den folgenden Kapiteln untersuchen wir einen Gegenstand, den wir »Arbeitsbeziehungen« nennen. Wir meinen damit die Beziehungen, die Arbeiter beim Produzieren miteinander eingehen in jenem Prozeß, in dem sie ihre Arbeitskraft in Arbeit verwandeln. Es geht hier also nicht um die Verhältnisse der Arbeiter zueinander auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie ihre Arbeitskraft verkaufen. Solche Beziehungen werden seit einiger Zeit unter den Stichworten »gespaltener Arbeitsmarkt« oder »segmentierter Arbeitsmarkt« diskutiert. In der Terminologie von Michael Burawoy (1983, 51 lf.) könnte man sagen, daß wir uns im Folgenden mit Produktionsbeziehungen (relations in production) befassen, nicht mit Produktionsverhältnissen (relations of production). Dabei schränken wir aber unseren Gegenstandsbereich so ein, daß wir das für diesen Bereich entscheidende Klassenverhältnis voraussetzen und nur danach fragen, wie im Rahmen der Klassenverhältnisse im Betrieb die Beziehungen der Arbeiter untereinander aussehen — und zwar nicht ihre Beziehungen insgesamt, sondern diejenigen Beziehungen, die sie eingehen, um die Produktion in Gang zu halten. Die Untersuchung bewegt sich also auf einem Feld, das gewöhnlich durch zwei Begriffe gekennzeichnet wird: Kooperation und Arbeitsteilung. Im Verlauf unserer Arbeit haben wir jedoch festgestellt, daß diese Kategorien den Gegenstand, der uns interessiert, nur unzureichend erfassen. Es waren vor allem drei Arten von Schwierigkeiten, die uns darauf aufmerksam machten, daß wir es mit einem neuen Gegenstand zu tun hatten, ohne schon einen Begriff dafür zu haben. Das eine waren Beziehungen, die Arbeiter in der Produktion eingehen, und die durch eine Art »Undenkbarkeit« gekennzeichnet waren: So führten wir beispielsweise längere Debatten darüber, ob es sich beim Verhältnis zwischen Putzfrauen, die eine Meßwarte sauber halten, und den Meßwartenarbeitern um Kooperationsbeziehungen handele. Ein Mitglied unseres Projekts sagte schließlich: Das wäre ja genauso, als ob man das Verhältnis zwischen einem Professor und einer Putzfrau, die sein Büro reinigt, als Kooperationsbeziehung charakterisiere. Nachdem wir uns von unserer Verblüffung erholt hatten, kamen wir schließlich darauf, daß es fruchtbarer ist, die »Undenkbarkeit« einer kooperativen Verbindung zwischen verschiedenen Produzenten selbst zum Gegenstand der Analyse zu machen, als scholastisch entscheiden zu wollen, wo die Kooperation anfängt und wo sie aufhört. Niemand von uns hatte Schwierigkeiten, die Beziehung ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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zwischen Wartungspersonal und Bedienungspersonal einer Anlage unter Kooperationsgesichtspunkten zu durchleuchten. Aber was sind Putzfrauenarbeiten anderes als Wartungsarbeiten (und man stelle sich dazu einen Professor in einem Büro voller Maschinen vor, an einer technischen Universität)? Ein zweiter Anlaß, nach einem Begriff (und Gegenstand) jenseits von »Kooperation« und »Arbeitsteilung« zu suchen, war die enorme Rolle von Grenzüberschreitungen in der automatisierten Produktion: Da ist kaum ein Arbeiter, der sich an die offiziell definierten Kompetenzgrenzen hält. Solche Handlungen beziehen sich auf Arbeitsteilungen, aber in der Weise, daß sie sie in Frage stellen. Und dies geschieht oft nicht in Kooperation, sondern heimlich, »unkooperativ«. Wir hielten es für verharmlosend, auch ein solches »unkooperatives« Verhalten stillschweigend unter »Kooperation« laufen zu lassen. Ein dritter Ausgangspunkt schließlich war, daß wir der Überlagerung von Kooperations- und Herrschaftsbeziehungen besondere Beachtung geschenkt hatten, und zwar Herrschaftsbeziehungen auf der untersten Ebene, beispielsweise zwischen Einrichtern und Maschinenbedienern, wo in vielen Fällen ein Bruchstück der Kapitalmacht an Arbeiter delegiert ist. In den einflußreichsten industriesoziologischen Kooperationsanalysen, denen von Popitz u.a. (1957) und von Kern und Schumann (1977), war der Herrschaftsaspekt in Kooperationsbeziehungen ausgeklammert worden. In der Perspektive selbstbestimmter Produktion schien es uns jedoch besonders wichtig, das Verhältnis von kooperativen und hierarchischen Beziehungen der Arbeiter untereinander zu studieren. Der Begriff »Arbeitsbeziehungen«, der sich im Lauf der Zeit einstellte, sollte also all dies mit umfassen: Arbeitsteilung und Kooperation, die durch manche Arbeitsteilungen konstituierte Undenkbarkeit kooperativer Beziehungen, die Überlagerung von kooperativen und hierarchischen Beziehungen. Wir sprechen von Arbeits-, nicht von Arbeiterbeziehungen, da wir uns nur mit den Arbeitenden in der Arbeit befassen — also z.B. die Frage der Beziehung zwischen Arbeitern im Privatleben im Folgenden ausklammern. Wir sprechen von Arbeitsbeziehungen und nicht von Arbeitsverhältnissen, da uns besonders die Aktivität der Arbeitenden in den gegebenen Verhältnissen interessiert. Ohne daß wir den neuen, der Alltagssprache entlehnten Begriff theoretisch weiter durchgearbeitet hätten, zeigte er, einmal gewonnen, sofort seine Brauchbarkeit bei der Analyse des empirischen Materials. Erst nach der Anwendung dieses Begriffs war es uns möglich, das Relations-Bündel, auf das er uns verwiesen hatte, im einzelnen aufzuschnüren. Im Folgenden versuchen wir also, das Konzept der »Arbeitsbeziehungen« theoretisch zu rekonstruieren und stützen uns dabei auf die folgenden vier Kapitel, auf die früheren Kooperations-Analysen (AS 43,186-233; AS 55,294-311 und 392-299; AS 67, 473-497 und 555-593) sowie auf frühere Überlegungen ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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zum Verhältnis von Anforderungen, Aufgaben und Tätigkeiten (AS 43, 135-142). Danach können wir »Arbeitsbeziehungen« dadurch rekonstruieren, daß wir das Verhältnis von drei Ebenen zueinander untersuchen: 1. die Prozeßanforderungen zur Herstellung von Kooperationsbeziehungen, 2. die Verwandlung dieser Prozeßanforderungen in Aufgaben im Rahmen betrieblicher Arbeitsteilung durch die Unternehmerseite, 3. die wirklichen Arbeitsbeziehungen, in denen sowohl die Prozeßanforderungen, als auch die Arbeitsteilung von den Arbeitenden »umgearbeitet« werden. Prozeßanforderungen an Kooperation 1. Mit dieser ersten Analyseebene folgen wir der Marxschen Unterscheidung von Arbeits- und Verwertungsprozeß. Wir untersuchen Kooperation als Beziehimg im Arbeitsprozeß, bei der Herstellung von Gebrauchswerten und klammern die Verwertungs- und Herrschaftsseite der Produktion zunächst aus. 2. In Kooperationsprozessen müssen bestimmte Anforderungen bewältigt werden, die vom Produktionsprozeß und vom angestrebten Produkt ausgehen, und die sich mit der Produktivkraftentwicklung ändern. Die charakteristischen Prozeßanforderungen in der automatisierten Produktion sind das Vermeiden und Beheben von Störungen, das Optimieren von Prozessen, die Weiterentwicklung von Produktivkräften, die Veränderung der Produkte, das Ausprobieren neuer Lösungen. Entsprechend diesen Anforderungen kann man Störungsvermeidungs-, Störungsbehebungs-, Optimier-, Produktivkraftentwicklungs-, Produktveränderungs- und Experimentier-Kooperationen unterscheiden. Dabei handelt es sich um Kooperationen in ungeplante oder schwer planbaren Produktionssituationen. Diese Anforderungen sind strikt von den tatsächlich gestellten Aufgaben zu unterscheiden; Anforderungen müssen immer analysiert und in Aufgaben übersetzt werden. Aufgaben können mehr oder weniger anforderungsadäquat sein. Erst die Unterscheidung von Anforderungen und Aufgaben ermöglicht die Kritik von Aufgabenstellungen unter dem Gesichtspunkt zu lösender Produktionsprobleme. 3. Die Kooperationsanforderungen werden durch gegebene Kooperationsbedingungen strukturiert; durch die Arbeitsmittel und durch die Arbeitsteilung (in der Produktionseinheit Betrieb). Die technischen Kooperationsbedingungen haben im Mittelpunkt der meisten Kooperationsanalysen gestanden (z.B. die Unterscheidung von »teamartiger« und »gefügeartiger« Kooperation bei Popitz u.a. 1957). Für die automatisierte Produktion ist ein Kooperationstyp charakteristisch, bei dem der Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten zwar technisch vermittelt ist, jedoch nicht permanent existiert, sondern meist nur in ungeplanten oder ungewissen Situationen hergestellt werden muß. Kern und Schumann haben diese KoopeARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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rationsform als »technisch-kolonnenartig« bezeichnet (Kern/Schumann 1977, 123f.). 4. Zu den technischen Kooperationsbedingungen gehören auch die Kommunikationsmittel. Für die automatisierte Produktion ist charakteristisch, daß neben die klassischen Mittel für die mündliche Kommunikation (Telefon, Funk) der schriftliche, papierlose Informationsaustausch tritt (über Bildschirm) und mit der stofflich-energetischen Seite der Produktion zusammenwächst. 5. Man kann fünf Momente der Arbeitsteilung in den Produktionseinheiten unterscheiden: 1. die Konstruktion von Produktionseinheiten (Betrieb u.ä.), 2. die Zerlegung der Produktionseinheit in Prozeßeinheiten (z.B. Instandhaltung, Überwachung, Einrichten, Programmieren, Konstruieren; oder Gießen, Metallbearbeiten, Oberflächenbehandeln, Montieren), 3. die Bündelung von Prozeßanforderungen zu Arbeitspositionen mit bestimmten Aufgaben (Arbeitsplätzen), 4. die Verteilung der Arbeits*plätze auf Personen; 5. die Arbeitsteilung in der Zeit (Schichten u.ä.). Zwischen den Arbeitsplätzen muß ein Ablauf hergestellt werden durch Abstimmung des Materialflusses nach Zeit und Raum; es müssen Reserven für Ausfälle aufgebaut werden; es müssen Verfahren festgelegt werden, wie bei auftretenden Problemen Entscheidungen getroffen werden. Die Arbeitsorganisation ist durch die Produktionsverfahren und -mittel bedingt, aber nicht determiniert. Sie kann mehr oder weniger anforderungsadäquat sein. — Für die Automation ist charakteristisch, daß die herkömmliche Entgegensetzung von »Technik« und »Organisation« sinnlos wird. Die elektronische Datenverarbeitung wird zum Mittel der Koordination von Prozessen und Arbeitsplätzen. Statt »Organisation« und »Technik« einander gegenüberzustellen, empfiehlt es sich, von »Produktionstechnologie« und »Organisationstechnologie« zu sprechen (vgl. Brandt u.a. 1978, Benz-Overhage u.a. 1982). Die EDV als Organisationstechnologie ermöglicht es, die genaue Abstimmung von Teilarbeiten — traditionell mit Inflexibilität erkauft — mit hoher Flexibilität zu verbinden. 6. Die betriebliche Arbeitsteilung definiert Positionen mit Aufgabenbündeln. Kooperation ist das Zusammenwirken der Menschen, die diese Positionen einnehmen. Die Formen der Kooperation sind durch die Arbeitsteilung bedingt, aber nicht determiniert. Die Notwendigkeit, das kooperative Nebeneinander in ein kooperatives Miteinander zu verwandeln, entsteht in der automatisierten Produktion vor allem in ungeplanten Produktionssituationen, wenn Produktionsprobleme entstehen, die quer zu den Gliederungsprinzipien der Arbeitsteilung stehen (solche Gliederungsprinzipien können sein: Eingriffsarten in den Produktionsprozeß wie Störungsbehebung, Instandsetzen, Programmieren; Spannungsfelder der Naturbeherrschung wie mechanische, elektrische, elektronische, pneumatiARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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sehe Prozesse; Arten der Stoffverformung und -Umwandlung wie Gießen, Spanen, Montieren). Die Kooperation besteht dann darin, sich über Probleme zu verständigen, Lösungsstrategien zu entwickeln, Aufgaben zu definieren, das Vorgehen abzustimmen, Entscheidungen zu treffen. Da die verschiedenen Eingriffsarten und Spannungsfelder der Naturbeherrschung unterschiedliche Zeitlogiken haben, müssen diese Zeitstrukturen aufeinander abgestimmt werden (z.B. die »langsame« Zeit, die man für Störungssuche braucht und die »schnelle« Zeit für das Aufrechterhalten von gestörten Prozessen). Diese Zeitstruktur der Kooperation, die aus der Kombination von Situationen der Ungewißheit mit unterschiedlichen Zeitlogiken besteht, entzieht den klassischen tayloristischen Prinzipien der Arbeiiszerlegung die Grundlage. 7. Eine Kooperationsanforderung bei Automation besteht darin, unterschiedliche Fähigkeiten produktiv zu machen. Die Differenzen in den Fähigkeiten können auf unterschiedlicher Aneignung vergesellschafteten Wissens beruhen, auf unterschiedlichen Erfahrungen und auf unterschiedlichen Arbeitsmethoden. Unterschiedliche Arbeitsmethoden lassen sich charakterisieren durch die Art und Weise, wie Probleme, Ordnungen und Resultate definiert werden. Das Problem besteht darin, diese Differenzen so miteinander zu verbinden, daß sie sich nicht gegenseitig passivieren, sondern aktivieren. 8. Kooperationen sind gekennzeichnet durch den Doppelcharakter der Kooperationsziele: Immer geht es um das Verändern von Prozeßzuständen und das Verändern von Menschen. Indem Menschen, kooperierend, ein Produktionsproblem zu lösen versuchen, bearbeiten sie immer auch sich und ihre Beziehungen zueinander. Ein Aspekt ist hierbei die Veränderung der Individuen durch Kooperationsbeziehungen. Bei Automation findet man etwa vor Eingriffen: schulen, beraten, anregen; nach Eingriffen: auswerten, verallgemeinern, kritisieren. Das entscheidende Problem ist es, wie Kritik fruchtbar gemacht werden kann, wie Bedingungen geschaffen werden können, daß Fehler, wie in einer Experimentalanordnung, einen produktiven Sinn bekommen. 9. In ungeplanten Situationen, wenn die Kooperationsbedingungen sich ändern oder wenn die Kooperierenden sich gegenseitig passivieren, kann die Veränderung der Kooperationsbeziehungen insgesamt zur Kooperationsanforderung werden. Bei der Untersuchung von Anforderungen in automatisierten Prozessen halten wir die Anforderungen an das kooperative Umbauen von Kooperationsbeziehungen, an ihre kollektive Regulation, für den entscheidenden Untersuchungsgegenstand. Formen können sein: Das Bearbeiten von Kooperationskonflikten, die Veränderung der Kooperationsformen, die Veränderung der Verteilung von Arbeitsplätzen auf Personen, die Veränderung der Arbeitsteilung. 10. Kooperationsanforderungen sind durch das Ziel bestimmt, ProdukARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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tionsprobleme zu lösen. Dieses Ziel muß jedoch immer zugleich mit anderen Zielen koodiniert werden. Dazu kann gehören: Vermeiden gesundheitlicher Beeinträchtigungen und unerträglicher Belastungen, Ermöglichen von physischer Entwicklung; Ermöglichen von persönlichen Beziehungen außerhalb von Prozeßanforderungen. Die Automatisierung führt auf beiden Gebieten zu Umwälzungen. Traditionelle gesundheitliche Gefahren verschwinden, dafür entstehen neue Probleme: Abrupter Wechsel von Situationen mit hohen Anforderungen und ruhigen Zeiten bei Überwachungstätigkeiten; Intensivierung schöpferischer Arbeit bei Sachbearbeitern und Konstrukteuren; Zerstörung von gesundheitserhaltenden Arbeitskulturen etwa bei Programmierern. — Da Kooperationen sich primär auf Störungen und schwierige Entscheidungen beziehen, von denen sehr hohe Werte abhängen können, entsteht eine neue Härte in den Kooperationsanforderungen, während gleichzeitig (durch die Verfügbarkeit von Informationen über Bildschirm) eine Reihe traditioneller Kontaktmöglichkeiten (z.B. beim Suchen von Unterlagen) verschwinden. Es entsteht so die Anforderung, die Entwicklung neuer Kooperationsformen mit neuen gesundheitsförderlichen Praxen und neuen Formen persönlicher Beziehungen in Übereinstimmung zu bringen. Von Unternehmern definierte Arbeitsteilungen 11. In kapitalistischen Betrieben sind die Arbeitenden ihrer Kooperationsbedingungen enteignet Die Unternehmer haben die Generalkompetenz für Fragen der Kooperation, indem sie Arbeitsteilung und Aufgabendefinition kontrollieren. Sie konstruieren Produktionseinheiten und Prozeßeinheiten, versuchen, Anforderungen zu erkennen und definieren entsprechende Aufgaben; sie bündeln Aufgaben zu Arbeitsplätzen, verteilen sie auf Personen und in der Zeit; sie entscheiden über die Wahl des technischen Verfahrens und der Produktionsmittel; sie stimmen die Arbeitsplätze aufeinander ab, bauen Reserven auf, versuchen, Entscheidungen zu monopolisieren, Kooperationsformen festzulegen und kontrollieren die Resultate. Sie verfügen damit zugleich über die Bedingungen, von denen es abhängt, ob die Arbeit gesundheitsförderlich ist und ob sie persönliche Beziehungen außerhalb von Produktionsproblemen ermöglicht. Wo sie all dies nicht selbst tun, haben sie diese Funktionen von oben nach unten delegiert. Sie verfügen dann aber weiterhin über die »Kompetenz-Kompetenz«, also über die Kompetenz, Kompetenzen neu zu definieren. (Den Begriff »Kompetenz-Kompetenz« verwendet, in anderem Zusammenhang, Fraenkel 1974, 88.) 12. Hauptziel bei der Konstruktion von Arbeitsteilungen und Aufgaben durch die Unternehmer ist es, die Profitabilität zu erhöhen. Unterhalb dieses Ziels gibt es jedoch eine Reihe von Zielkonflikten. Die Profitabilität ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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kann erhöht werden durch ein Bündel von Maßnahmen, die zum Teil gegenläufig sind: Senkung der Lohnkosten, Erhöhung der Verfügbarkeit der Anlagen, Senkung von Investitionskosten, Verkürzung von Durchlaufzeiten, Erhöhung der Anlagenflexibilität, Kontrolle der Arbeitenden. Die Unternehmenspolitiken and Optimierungsstrategien im Netz solcher Dilemmata. 13. Durch die Unternehmeraktivitäten wird den Arbeitenden aber nicht nur die Kompetenz zur Definition von Aufgaben und Arbeitsplätzen entzogen. Sie werden, indem sie in ein gegebenes arbeitsteiliges Gefüge eingegliedert werden, zugleich in ein Ensemble von weiteren Verhältnissen eingebaut. Dabei handelt es sich zum einen um Konkurrenzverhältnisse, in denen Gleiche gegeneinander wirken, und um Herrschaftsverhältnisse. Kapitalmacht wird bis in die untersten Reihen der Arbeitenden hinunterdelegiert, so daß sich Arbeiter in einem Herrschaftsverhältnis gegenübertreten können, das vom Kapitalverhältnis abgeleitet ist. Die Herrschaftsstrukturen im Betrieb gehen jedoch über das Kapitalverhältnis hinaus: Die Verhältnisse zwischen den Arbeitenden sind außerdem strukturiert durch den Gegensatz von Hand- und Kopfarbeit (z.B. Ingenieure/Produktionsarbeiter), die Frauenunterdrückung, die Ausbeutung der Dritten Welt (hierzulande in den Betrieben vor allem als Unterdrückung der Ausländer, die meist aus unterentwickelten europäischen Ländern stammen) sowie Unterdrückungsformen, die um das Alter herum organisiert sind (Diskriminierung von Jungen und Alten). Das Koooperationsverhältnis zwischen zwei Arbeitern kann sowohl durch das Konkurrenzverhältnis als auch durch mehrere solcher Herrschaftsverhältnisse überlagert sein. Sehr starke Überlagerungen fuhren dann zur »Undenkbarkeit«, daß es sich um Kooperationsbeziehungen handeln könnte. (In unserem Professor-PutzfrauBeispiel ist der Kopf-Hand-Gegensatz überlagert mit dem zwischen Männern und Frauen und meist auch noch mit dem von »Erster« und »Dritter Welt«). Bei der Analyse von Arbeitsprozessen muß man diese verschiedenen Konkurrenz- und Herrschaftsverhältnisse voneinander unterscheiden, ihr Zusammen- und Gegeneinanderspiel untersuchen und sie zu den Kooperationsverhältnissen in Beziehung setzen, wie sie sich aus den Prozeßanforderungen ergeben. Das Gemeinsame der Konkurrenz- und der Herrschaftsverhältnisse besteht darin, daß sie die Arbeitenden in eine gegensätzliche Anordnung bringen. Wir bezeichnen das Ensemble dieser Verhältnisse deshalb als gegensätzliche Arbeiterverhältnisse. 14. So verschieden diese gegensätzlichen Arbeiterverhältnisse sein mögen, in den Betrieben nehmen sie eine gleichförmige Gestalt an. Sie werden »übersetzt« oder »eingetauscht« in zwei Formen: Die Konstruktion von Hierarchien, und damit die Teilhabe an Herrschaftsfunktionen des Kapitals (Befehl, Selektion, Kontrolle) und die Konstruktion von Privilegien (unterschiedliche Lohnhöhen, Lojinformen, Zugänge zu ArbeitsplätARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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zen, Mobilitätsketten, Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitszeitregelungen, Urlaubsregelungen usw.). 15. Die Unternehmeraktivitäten haben also, in Hinsicht auf die Beziehungen der Arbeitenden in der Produktion, einen doppelten Charakter: Sie stellen eine Verbindung dar zwischen dem Versuch, Prozeßanforderungen zu realisieren durch das Vorgeben von Aufgaben-, Arbeitsplatzund Arbeitsteilungskonstruktionen, und dem Versuch, die Arbeitenden in ein Ensemble gegensätzlicher Arbeiterverhältnisse einzuspannen. Diese Verbindung ist jedoch krisenhaft, konfliktuös, da die beiden Seiten gegeneinander wirken können. Die Lohnform bringt das bekannte Problem der Gleichgültigkeit mit sich, Konkurrenz- und Herrschaftsverhältnisse können zur Privatisierung von Problemlösungen führen, also Kooperationsanforderungen blockieren. Jedes Nichtwissen kann hier zu einer Bedrohung werden und jeder Fehler eine Katastrophe. Es ist schwer, unter solchen Bedingungen zu lernen, vor allem aus Fehlern zu lernen. In bezug auf die Kooperationsanforderungen stellen die gegensätzlichen Arbeiterverhältnisse ein Passivierungsdispositiv dar (diesen Begriff verwendet, in anderem Zusammenhang, W.F. Haug 1981). 16. Von dieser strukturellen Gegensätzlichkeit zwischen Kooperationsanforderungen und gegensätzlichen Produktionsverhältnissen muß man ausgehen, wenn man die Unternehmeraktivitäten genauer untersuchen will. Ihre Eingriffe haben nicht nur einen Doppelcharakter, sondern sie stellen eine Verknüpfungsaktivität dar, in der es ihnen im Kern darauf ankommt, die Gegensätze zwischen beiden Seiten — Kooperationsanforderungen und gegensätzliche Arbeiterverhältnisse — zu mildern und vielleicht sogar das Kunststück zu vollbringen, die gegensätzlichen Arbeiterverhältnisse zu einem Antrieb für die Realisierung von Kooperationsanforderungen werden zu lassen. 17. Unter den Bedingungen der automatisierten Produktion lassen sich verschiedene Formen beobachten, mit denen Unternehmer versuchen, Kooperationsanforderungen und gegensätzliche Arbeiterverhältnisse miteinander zu versöhnen. Eine Form besteht in Selektionskriterien bei der Einstellung von Arbeitern, etwa »Verträglichkeit«, »Teamgeist«, »Zivilcourage«. Wir betrachten solche Charaktereigenschaften als Bewegungsformen des Widerspruchs zwischen Kooperationsanforderungen und gegensätzlichen Arbeiterverhältnissen: durch Versteinerung von Verhaltensweisen zufixen»Eigenschaften« (vgl. AS 55, 355ff. und 392ff.). — Eine zweite Form besteht in den schon klassischen Methoden, persönliche Beziehungen im Betrieb herzustellen (»Betriebsfamilie« usw.). Diese sind nicht nur zu begreifen als Mittel, den Gegensatz zwischen Arbeitern und Unternehmern zu verschönern. Sie gelten auch dem Überspielen von Gegensätzen der Arbeiter untereinander, um das Realisieren von Kooperationsanforderungen zu erleichtern. — Eine charakteristische Form bei auARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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tomatisierter Produktion besteht im teilweisen Abbauen von Hierarchien, in der Übergabe von mehr Kompetenz an die Kollektive, in einem neuen Verhältnis von Dezentralisierung und Zentralisierung; insgesamt in neuen Managementtechniken, die das Interesse an sinnvoller Arbeit ab HauptStützpunkt haben (vgl. AS 67, 505ff.). 18. Bei der Konstruktion von Arbeitsteilungen, ihrer Verknüpfung mit gegensätzlichen Arbeiterverhältnissen und dem Versuch, die Störungen von Kooperationsverhältnissen durch gegensätzliche Arbeiterverhältnisse zu minimieren, handeln die Unternehmer in gegebenen Kräfteverhältnissen und unter gegebenen Bedingungen juristischer und ökonomischer Art. Die ökonomischen Bedingungen, die Unternehmer bei der Konstruktion von Arbeitsteilungen vorfinden, bestehen aus den auf dem Markt verfügbaren Produktionsmitteln, Arbeitskräften und Krediten. Ihre Aktivität besteht hier zunächst in der Auswahl. Beim Auswählen von Arbeitskräften (von deren Fähigkeiten die Definition von Arbeitsplätzen abhängt) können sie für die verschiedenen Automationsarbeitsplätze auf unterschiedliche Qualifikationstypen zurückgreifen: — bei Instandhaltungsarbeiten ist das Arbeitskräftespektrum, das hierfür in Frage kommt, stark »verberuflicht«, d.h. es gibt relativ feste Verbindungen zwischen Ausbildungsgängen und -abschlüssen und einer bestimmten Bandbreite von Arbeitsplätzen; ähnliches gilt für einige Überwachungstätigkeiten (zur »Verberuflichung« vgl. Beck/Brater/Daheim 1980); — bei der Mehrheit der Überwachungstätigkeiten gibt es solche Verknüpfungen nicht. Die typische Unternehmeraktivität besteht hier darin, sich Qualifikationen zunutze zu machen, die nicht tariflich anerkannt sind, und Facharbeiter »berufsfremd« einzusetzen (z.B. Schlosser in den Meßwarten von Erdölraffinerien) sowie darin, nicht tariflich anerkannte Erfahrungen aus früheren Berufen auszunutzen (Einstellen von Arbeitern mit »Berufserfahrung«) (vgl. AS 43, 147ff.); — bei Überwachungsaufgaben an NC-Maschinen können Unternehmer zwischen Facharbeitern und sogenannten Unqualifizierten wählen; — an einer Reihe von Automationsarbeitsplätzen bestehen Wahlmöglichkeiten zwischen akademisch und nichtakademisch ausgebildeten Arbeitern, z.B. beim Programmieren zwischen Facharbeitern (bzw. kaufmännischen Angestellten) mit Zusatzausbildung und Informatikern. Daneben haben Unternehmer die Möglichkeit, die auf dem Markt verfügbaren Produktionsmittel und Arbeitskräfte zü verändern und betrieblichen Bedürfnissen anzupassen (Umbau von Maschinen; Weiterbildung von Arbeitskräften) oder eigene Forschungs-, Entwicklungs- und Betriebsmittelabteilungen sowie eigene Ausbildungsabteüungen einzurichten. 19. Die relativ große Bedeutung rechtlicher Bedingungen für die GestalARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
Theoretische Skizze 71 tung von Arbeitsteilungen ist ein Charakteristikum der Bundesrepublik. Hierbei kann es sich um öffentlich-rechtliche Vorschriften, um mit Gewerkschaften geschlossene Tarifverträge oder um Betriebsvereinbarungen handeln. Bei der Konstruktion von Arbeitsteilungen müssen Unternehmer mit Eingriffen von öffentlich-rechtlichen Stellen, von Gewerkschaften und von Betriebsräten rechnen. — Wenn Arbeitsschutzbestimmungen verletzt werden, kann es Widerstand von Gewerbeämtern, Berufsgenossenschaften und Betriebsräten geben, zu deren Arbeitsaufgaben die Überwachung dieser Vorschriften gehört. — Die Gewerkschaften werden darauf achten, daß die Arbeitsbedingungen mit den tariflichen Vereinbarungen hinsichtttch Lohnformen und Arbeitszeiten (Pausen, Überstunden, Urlaub) übereinstimmen. — Das Betriebsverfassungsgesetz gibt dem Betriebsrat gewisse Einfhißmöglichkeiten hinsichtlich menschengerechter Arbeitsgestaltimg, Datenschutz und Abwehr negativer Rationalisierungsfolgen. Für die Automatisierung sind besonders wichtig der Datenschutz bei der Einrichtung computergestützter integrierter Personalinformationssysteme und die Mitbestimmungsmöglichkeiten beim Aufbau von solchen technischen Kontrolleinrichtungen, die geeignet sind, das Verhalten und die Leistung von Arbeitenden am Arbeitsplatz zu überprüfen (das gilt faktisch für alle Terminals, an denen Daten abgerufen oder eingegeben werden). 20. Für die empirische Analyse solcher Prozesse ist es entscheidend, sich immer wieder klar zu machen, daß es keinen Grund für die Annahme gibt, daß Unternehmer bei dem Versuch, Kooperationsanforderungen mit den gegensätzlichen Arbeiterverhältnissen in Einklang zu bringen, besonders erfolgreich sind. Langfristig und im Durchschnitt dürften sie es sein; bei empirischen Untersuchungen hat man es jedoch mit einzelnen Unternehmern zu gegebenen Zeitpunkten zu tun; ob ihre Aufgabendefinitionen, Arbeitsteilungen, Harmonisierungsversuche prozeßadäquat sind, entscheidet sich oft erst im Nachhinein, durch den Bankrott. Mit den bekannten Mitteln der empirischen Forschimg ist das jedenfalls kaum festzustellen; hier führt die Tatsache, daß bestimmte Lösungsformen überhaupt existieren, oft zu dem Fehlschluß, daß solche Lösungen brauchbar sind. Es hilft, so weit wir sehen, zunächst nichts anderes, als daß die Automationsforscher sich an eine ähnliche Aufgabe machen, der sich auch Unternehmer stellen müssen, wenn es »nicht klappt«: Die Kooperationsanforderungen rekonstruieren und die bisher gefundenen Lösungen im Lichte dieser Anforderungen kritisch betrachten. Krisen, Konflikten, Reibungen zwischen Anforderungen und Organisationsstrukturen ist die äußerste Aufmerksamkeit zu widmen. Die gegenwärtige Situation ist durch eine Mutation in den Kooperationsanforderungen bestimmt, die erst langfristig in größerer Deutlichkeit sichtbar sein wird, und die sich jetzt erst ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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durch Reibungsverluste, Herumprobieren, Schwierigkeiten bemerkbar macht. Eine Theorie der Arbeitsorganisation müßte zum Zentrum haben das Problem der inadäquaten Arbeitsteilung (horizontal und vertikal), Gesichtspunkte entwickeln, wie solche Inadäquanzen entstehen, wo die strukturellen Grenzen für adäquate Arbeitsorganisationen liegen und wie Inadäquanzen empirisch erfaßt werden können. Ohne die Frage nach den Grenzen anforderungsadäquater Arbeitsteüungen läuft man Gefahr, autonome Unternehmersubjekte zu unterstellen, die souverän über ihre Handlungsbedingungen verfügen, und das wäre ein im strengen Sinne bürgerliches Konzept. Arbeitsbeziehungen 21. Weder bei den Kooperationsanforderungen, noch bei den Arbeitsteilungen haben wir es schon mit dem tatsächlichen Zusammenwirken der Arbeitenden zu tun. Indem die Arbeitenden sich in der Produktion zueinander in Beziehung setzen, beziehen sie sich auf das widersprüchliche Bedingungsgeföge, wie wir es bisher hierher rekonstruiert haben, und setzen sich damit auseinander. Nur soweit sie sich ausschließlich mit Kooperationsanforderungen auseinandersetzen, handelt es sich bei ihren Tätigkeiten um Kooperation. Faktisch gehen ihre Beziehungen in der Produktion weit darüber hinaus. Sie setzen sich mit folgenden Bedingungen auseinander: — mit Kooperationsanforderungen (als Teü der Prozeßanforderungen), — mit von Unternehmern definierten Arbeitsteilungen und — mit der Verknüpfung dieser Arbeitsteüung mit gegensätzlichen Arbeiterverhältnissen. Zugleich müssen sich die Arbeitenden mit den Beziehungen zwischen diesen Ebenen auseinandersetzen: — mit Widersprüchen zwischen Kooperationsanforderungen und Arbeitsteüungen (wenn man sich strikt an die gegebenen Aufgabendefinitionen hält, könnte der Prozeß zusammenbrechen); — mit Widersprüchen zwischen Kooperationsanforderungen und gegensätzlichen Arbeiterverhältnissen (in hierarchischen, konkurrenzbestimmten Verhältnissen sind Fehlerdiskussionen oft wenig ertragreich). Diese Widersprüche begegnen den Arbeitenden jedoch nicht in reiner Form, sondern meist bereits zusammen mit Harmonisierungsversuchen der Unternehmerseite. Wenn sie sich in der Produktion aufeinander beziehen, müssen sie sich also zugleich auseinandersetzen — mit Harmonisierungsversuchen der Unternehmerseite. 22. Beim »Bearbeiten«, Reproduzieren und Umarbeiten der gegebenen Bedingungen verfolgen die Arbeitenden nicht nur ein Ziel — höherer Lohn —, sondern ein ganzes Zielbündel. Solche Ziele können sein: Den ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Lohn erhalten und erhöhen; den Arbeitsplatz sichern und verbessern. Daneben geht es in den gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen um die Arbeitsorganisation vor allem um das folgende Zielbündel: — Verminderung von Belastungen und gesundheitsschädlichen Bedingungen, — Ermöglichen von persönlichen Beziehungen außerhalb von Prozeßanforderungen, — Vermeiden der Kontrolle von oben und von Zeitzwängen. Diesen beiden Gruppen von Zielen sind in der Industriesoziologie und den Arbeitswissenschaften bislang die meiste Aufmerkamkeit geschenkt worden. Sehr viel seltener wurde ein drittes Zielbündel in Rechnung gestellt, das empirisch, und nicht nur in der automatisierten Produktion, eine erhebliche Rolle spielt: — eine gute Arbeit machen, — interessante Arbeit verrichten, — etwas dazu lernen, — Erobern von Entscheidungsmöglichkeiten. Hiervon muß man schließlich eine vierte Art von »Zielen« unterscheiden: — solidarische Beziehungen entwickeln, — Widerstand artikulieren. Das erste Zielbündel (Lohn, Arbeitsplatz) schließt ein instrumentelles Verhältnis zu Produktionsproblemen ein: Ihre Bewältigung erscheint hier nur als Mittel zum Zweck, zum Lohn. Das zweite Zielbündel geht in bezug auf die Arbeit mit einem »Vermeidungsverhalten« einher, es geht darum, Arbeitsanforderungen zu minimieren. Im dritten Zielbündel übernehmen die Arbeitenden Produktionsprobleme als ihre eigenen. Im letzten Fall sind die Produktionsverhältnisse Gegenstand des Handelns. Da diese Ziele teilweise miteinander konfligieren, müssen die Arbeitenden Strategien entwickeln, wie sie zu verbinden sind. (Es ist übrigens problematisch und nur dem Mangel an besseren Begriffen geschuldet, von »Zielen« zu reden, da dies zweckrational kalkulierende, souveräne Subjekte unterstellt; dies bildet zwar eine wirkliche Dimension ab, aber keineswegs die Logik des Handelns insgesamt. Genauso problematisch ist es, von »Strategien« zu sprechen.) 22. Bei der Analyse der Beziehungen, die die Arbeitenden in der Produktion miteinander eingehen, muß man also davon ausgehen: — daß sie sich in einem widersprüchlichen Bedingungsgefüge bewegen, — daß sie bei der »Bearbeitung« dieses Bedingungsgefüges zugleich bei sich selbst ein widerprüchliches Zielgefüge bearbeiten. Diese Verarbeitungen finden alltäglich statt, nur ein Bruchteil wird von den betrieblichen Arbeitervertretern und den Gewerkschaften artikuliert. In diesen Verarbeitungen geht es immer darum, sich unter widersprüchlichen Anforderungen und bei konfligierenden Zielen Handlungsfähigkeit ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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zu sichern. Die Verarbeitungen sind nicht theoretisch ableitbar. Sie können darin bestehen, den Prozeßanforderungen Vorrang vor definierten Aufgaben zu geben; dies führt dann zu stark informalisierten Beziehungen der Arbeitenden untereinander. Sie können auch darin bestehen, sich strikt an definierte Aufgaben zu halten. Dies kann eine Form des Karrierismus sein, aber auch des Widerstands. Eine instrumentalistische Einstellung zur Arbeit kann die Bewältigung von Prozeßanforderungen blockieren; eine Übernahme von Prozeßanforderungen kann Solidarität und Widerstand im Weg stehen usw. Die Beziehungen, die die Arbeitenden miteinander in der Produktion eingehen bei der Bearbeitung der widersprüchlichen Bedingungs- und Zielgefüge, nennen wir Arbeitsbeziehungen. Die Bewältigungsformen für die Widersprüche in Bedingungen und Zielen kann man als Arbeitskulturen bezeichnen. 24. Vorherrschender Gesichtspunkt bei der Analyse von Arbeitsbeziehungen und Arbeitskulturen ist die Rolle der instrumentellen Einstellung zur Arbeit und das Vermeidungsverhalten. Wir schlagen vor, ein anderes Problem in den Vordergrund zu stellen: Arbeitskulturen dadurch zu beschreiben, wie in ihnen Verbindungen hergestellt werden zwischen Problemen der Produktion und Problemen des Widerstands. In der Perspektive selbstbestimmter Produktion halten wir es für unzureichend, das Forschungsinteresse einzuschränken auf instrumenteile und Vermeidungsstrategien; aber auch die Einschränkung auf Widerstandsformen außerhalb von Produktionsproblemen (Streiche u.ä.) oder gegen die Produktion (z.B. Sabotage) halten wir für problematisch. In sozialistischer Perspektive ist unseres Erachtens die entscheidende Frage, welche Ansätze es in den Arbeitsbeziehungen gibt, das Überwinden von instrumentellen Einstellungen und bloßem Vermeidungsverhalten gegenüber Produktionsproblemen zu verbinden mit dem Bekämpfen von Konkurrenz- und Herrschaftsbeziehungen und dem Unterlaufen von Integrationsstrategien, Wir schlagen vor, auch die Entwicklung gesundheitsbezogener Aktivitäten und von persönlichen Beziehungen daraufhin zu untersuchen, welche Verbindungen dabei zwischen Problemen der Produktion und des Widerstands hergestellt werden.
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3 Aufsteigen Vom Maschinenbediener zum Einrichter Sich-elnen-Platz-erobern und Sich-einen-Namen-machen Wie ergreift ein Automationsarbeiter die Anforderungen und ihm vorgegebenen Arbeitsteilungen an automatischen Maschinen, die nicht mit anderen »verkettet« sind und daher nur eine »Ein-Mann-Bedienung« benötigen? — Wir interviewten Wolf. Er ist gelernter Bergmann, der mehrere Jahre zunächst unter Tage, danach als Maurer arbeitete. Er wurde ein so guter Maurer, daß er den vollen Facharbeiterlohn erhielt. Schließlich wurde er Arbeiter in einer Automobilifabrik. Er arbeitete dort in mehreren Abteilungen, in solchen mit gefährlicher Arbeit — sein Kollege kam vor seinen Augen ums Leben — und in solchen mit sehr eintöniger Arbeit. Die letzten zehn Jahre hatte er an Stanzautomaten gearbeitet. Er arbeitete sich vom Maschinenbediener zum Einrichter herauf. In seiner Freizeit war er in Vereinen als Fußballer und als Boxer aktiv, wie er nebenbei erwähnt. Jetzt ist er seit eineinhalb Jahren nicht mehr in der Produktion. Nach langem Zögern entschied er sich, seine Einrichterarbeit aufzugeben, um als freigestellter Betriebsrat arbeiten zu können. Wolf lenkt die Aufmerksamkeit darauf, daß es Arbeiter gibt, die an ihrem Arbeitsplatz von der Automation überrollt werden, aber auch solche, die stupide, gesundheitsschädliche oder unmittelbar gefährliche Arbeit tun und, um ihr zu entrinnen, sich einen Automationsarbeitsplatz erobern wollen. Wolf: Da war ich von 1966 bis 1969 in der Aggregateaufbereitung und hatte eben in diesen drei Jahren immer dieselbe Tätigkeit gemacht, nämlich immer Motoren-Blechteile, die durch eine Tauch-Anlage liefen, aufhängen und dann, wenn sie wieder aus der Anlage rauskamen, wieder abhängen im Wechsel. Da hatt ich mal den Vorarbeiter immer angesprochen: »Ich möchte aber mal was anderes machen.« Und: »Na ja, mal sehen, na, mal sehen.« Und eines Tages stand er einmal wieder gerade mit dem Meister bei uns, und da waren die also beim Reden, und da bin ich hingegangen, sagte: »Wie sieht denn dat aus? Kann ich net mal ne andere Arbeit machen?« Da hat er gesagt: »Ah, Halle 2 sucht Leute für vier Wochen. Da kannste mal 4 Wochen beigegeben werden. Dann machste mal wat andres.« So kam ich los. Da kam ich in Halle 2 ins Stufenpreßwerk. Und das war eine Arbeit, die sehr vielseitig war und die mir auch sehr Spaß machte, weil ich nie gerne immer so eintönige Arbeiten gemacht habe. Und die Arbeit machte mir sehr Spaß am Stanzautomat. Da habe ich Stanzautomat gefahren, und da habe ich bald jeden Tag ein anderes Teil drauf gehabt, weil die ja sehr schnell liefen. Die konnte ich maximal bis 120 Hub pro ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Minute [in jedem Hub wird ein Teil produziert] laufen lassen — je nach Teil. Da war dann das Monatsprogramm für dieses Teil immer schnell durch. Deswegen hatte ich jeden Tag andere Teile. (...) Und, na gut, das sollte erst vier Wochen sein. Na hatt ich mit dem Abteilungsleiter gesprochen, wie's aussieht, ob ich net dableiben dürfte. Da hat er gesagt: »Ja, aber das liegt an Ihrer Abteilung, ob die Sie freigeben.« Da hab ich dann mal unseren Abteilungsleiter angerufen. Aah! Da hat er mir alles erzählt: »Ja, wenn wir mal genügend Leute haben und so, dann können Sie da runter wieder gehen. Aber so muß ich Sie doch wieder haben. Hmm. Wie gesagt, wenn wir zuviel Leute mal haben, dann geb ich Sie frei.« Da hab ich gedacht, da hab ich ihm gesagt: »Das wird dann doch nie der Fall werden.« Dann hab ich noch einmal mit unserem Vorarbeiter gesprochen und der sagte: »Ja, Wolf, ich würd dich ja gerne behalten, aber wenn die dich net freigeben [lacht], dann kann ich auch nix dran machen! Aber ich sag dir, wir machen eins: Wir behalten dich jetzt noch alls [ = Dialektwort] hier. Und wenn du ein halbes Jahr hier bist, dann mußt du zwangsläufig in unsere Abteilung umgemeldet werden. Dann könn'se nämlich nicht mehr die Zustimmung verweigern.« Da war ich ein halbes Jahr da, und da war ich umgemeldet.
Die rhetorisch-dramaturgische Kraft des Berichts verweist auf die Energien des Sich-Herausarbeitens und -Heraufarbeitens, die erforderlich waren: Besonders kunstvoll konstruiert Wolf die Rede des Vorarbeiters, der ihm zuletzt zum Ausbruch aus unqualifizierter Arbeit verhilft. Im ersten Akt wird die Aussichtslosigkeit des Vorhabens noch einmal angedeutet: »Ich würd dich ja gerne behalten, aber wenn die dich net freigeben [lacht], dann kan ich auch nix dran machen!« — Das Lachen, das Wolf da vorführt, hat etwas Resigniertes und Herablassendes. Es klingt so, als wolle Wolf noch einmal zeigen, wie der mächtige Vorarbeiter die Grenzen seiner Macht erkennt und sich zugleich auch lüstig macht über das vergebliche Zappeln des Bittstellers, der an der eintönigen Arbeit klebt. Im zweiten Akt organisiert der Vorarbeiter zugunsten des Bittstellers eine kleine Verschwörung, die die Fabrikgesetze ausnutzt: »Wir behalten dich jetzt noch alls hier. Und wenn du ein halbes Jahr hier bist, dann mußt du zwangsläufig in unsere Abteilung umgemeldet werden.« Die Verschwörung erhebt den Bittsteller zum Eingeweihten. Der dritte Akt: Das Komplott gelingt. »Da war ich ein halbes Jahr da, und da war ich umgemeldet.« In der Aussageszene wird ein Ineinander von »Sich-einen-Namen-erarbeitet-haben« und »Über-andere-Arbeiter-erhoben-werden« als Ergebnis von Wolfs angestrengter Produktionsarbeit erkennbar: Sie überzeugte den Vorarbeiter von Wolfs produktiver Bedeutung. Im Verlaufe einiger Wochen macht er sich offensichtlich einen Namen, fällt auf. Er stellt sich, was seine Zeit als Maschinenbediener angeht, dar als Mensch, den eine Produktionsleidenschaft ergriffen hat, die ihn gegenüber anderen Arbeitern am Stanzautomaten auszeichnet:
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Wolf: Wenn ich immer davor gesessen hab, dann hatt ich immer nie Ruhe: Kaum hab ich zwei Minuten gesessen, bin ich wieder aufgesprungen, bin ich wieder rummarschiert deswegen. Es war unterschiedlich. Viele hatten die Ruhe, die haben sich davorgesetzt. Ich bin immer rundrumgewandert.
Experimentieren und Grenzüberschreiten in der Konkurrenz Welcher Art ist die Maschinerie, die er umkreist? Bis zu neun unterschiedliche Stanzwerkzeuge bearbeiten hintereinander den Arbeitsgegenstand mit solcher Geschwindigkeit, daß pro Schicht Zehntausende von Teilen hergestellt werden. Das metallene Rohmaterial ist zur Spule, zum »Coil« aufgewickelt. Es wird von der Maschine automatisch abgespult und ihr zugeführt, so daß permanente »Fütterungs«-Tätigkeiten entfallen. Die ins Auge fallende Aufgabe des Maschinenbedieners ist zunächst einmal der Wechsel der Coils, der — je nach der Art des zu fertigenden Teils — im Abstand von 15 bis zu 60 Minuten durchgeführt werden muß und jeweils einige Minuten dauert. Bei laufender Anlage fungiert der Maschinenbediener als Störungsüberwacher und Qualitätskontrolleur, wobei ihm Qualitätsverschlechterungen als Indiz für Maschinenstörungen dienen. Es handelt sich hier also um eine umrüstbare Maschine zur Großserienproduktion, bei der Art und Synchronisation der Werkzeugeingriffe über elektrische und mechanische Vorrichtungen in der Phase des Einrichtern für eine bestimmte Serie von Teüen jeweils relativ starr festgelegt werden. Die Ruhelosigkeit ist Ruhelosigkeit der Störungsprophylaxe. Der Stanzautomat produziert mit einem kaum steigerbaren Tempo. Stillstände können durch Temposteigerung nicht ausgeglichen werden, deshalb gilt es, sie zu vermeiden, also belauert Wolf Rohmaterial, Maschinenteüe und Produkte auf Abweichungen, die drohenden Stillstand verraten. Er ist da allein mit der Maschine. Und dennoch ist die Ruhelosigkeit dieses einzelnen ein Moment einer Arbeiterbeziehung: Wenn Wolf den Stanzautomaten bei Schichtende verläßt, arbeitet ein anderer an ihm. Siege über die störbare Maschine sind zugleich Siege über diese Kollegen aus den anderen Schichten: »Viele hatten die Ruhe, die haben sich davorgesetzt.« Indem er ruhelos die Maschine überwacht, erobert er sich über das Wohlwollen des Vorarbeiters dauerhaft einen Automationsarbeitsplatz. Wie baut er diese Position aus? In welchen Formen bezieht er sich auf die anderen Arbeiter? Daß er mit ihnen als Lohnarbeiter konkurriert und dabei womöglich weiter aufsteigt, ist für den Kapitalismus spezifisch, nicht für das automatische Produzieren im Kapitalismus. Spezifisch ist Form und Inhalt des Konkurrierens: Der Maschinenbediener überschreitet die Grenzen seiner Zuständigkeit und verrichtet Einrichterarbeit, indem er mit der automatischen Anlage experimentiert — Experimentieren in der Konkurrenz: ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Wolf: Ich hatte also zwischenzeitlich, ja, immer geguckt, wenn was an der Maschine war oder wenn ein Einrichter was machte. Oder ich hab mir immer mal Gedanken gemacht: Wo liegen die Fehler? Und hab also dann immer schon selbständig, vorher immer schon selber die Fehler behoben. Nämlich wenn man immer so auf den Einrichter gewartet hat, bis der mal kam, und alles, da war ne halbe Stunde wieder rum. Deswegen hab ich also immer schon angefangen, selbst einzustellen, Maschinen einzustellen. Immer abgeguckt, wenn das einer gemacht hat, wie der das gemacht hat. Deswegen könnt ich nachher schon ziemlich perfekt, die Maschinen da einrichten, wo ich dran gefahren hab.
Wolf bezieht sich damit als Konkurrent auf Gleichgestellte, die Maschinenbediener, und auf Übergeordnete, die Einrichter, die ja auch Lohnarbeiter sind. Daß er das »selbständig«-Sein akzentuiert, entwichtigt die gegensätzliche Arbeiterbeziehimg zugunsten der neuen Mensch-MaschineBeziehung: Bisher machten ihn Störungen ruhelos, deren Ursache sowohl technische Mängel wie auch die begrenzten Fähigkeiten der Einrichter sind. Welches Gewicht jede der beiden Ursachen jeweils bei einer bestimmten Serie von Produkten hat, ist vom Standpunkt bloßen Überwachens oft nicht entscheidbar. Einsam die Maschine überwachend steht der Maschinenbediener in einer Abhängigkeitsbeziehimg zum Einrichter — unabhängig davon, ob er sie ertragen will oder nicht. Sie hebt Wolf auf, indem er den Störungsursachen auf den Grund geht, sich informell zum Einrichter ernennt und mittels seiner eigenen Einrichterpraxis analysiert, welcher Anteil der Störungen der Ursache »Einrichter« geschuldet ist. Aus dem Abhängigen wird ein Ursachenanalytiker, der durch seine Produktionserfolge beweist, daß manche Störungen der Einrichterunfähigkeit geschuldet sind, während bislang technische Mängel als Ursache galten. Unabhängig davon, ob Wolf solche Entlarvungen will oder nicht — er ist den Einrichtern nun nicht mehr nur entgegengesetzt als Abhängiger, sondern als zusehends gleichrangiger Gegner auf dem Feld der maschinellen Naturbeherrschung. Welche Formen haben die neuen Konflikte? Experimentieren in der Konkurrenz: Die Resultate der Einrichtarbeit, kurze Einrichtzeiten, hohe Stückzahlen, werden für die Abteilung gesellschaftlich sichtbar gemacht, die Wege dahin halten die einzelnen Einrichter geheün. Die Wege sind Produktionsexperimente. Deren Erfolg basiert auf Theorieumbrüchen, wie uns Wolf zeigt: Erst hing er, wie er uns erzählt, der Meinung an, daß die Werkzeuge um so schneller verschleißen, je schneller die Maschine läuft. Aber, so grübelte er, es ist doch schwerer, ein Zeitungsblatt langsam zu zerreißen als mit einem kräftigen Ruck. Er stieß sich so von der Denkform der linearen Trendextrapolation ab (je schneller desto mehr Verschleiß), setzte den Gedanken um in Maschinenexperimente — mit Erfolg: Er konnte das Maschinentempo steigern, gleichzeitig den Werkzeugverschleiß und die Stillstandszeiten senken. Als informeller Einrichter nutzt er nicht nur den offiziellen Spielraum der RegulierungsmögARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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lichkeiten der Maschinerie, informell betätigt er sich als Umbauer, als Konstrukteur, der allerdings seine Konstruktionen nur heimlich genießen kann: Sowohl das Umbauen wie auch seine Privatisierung und die dadurch entstehenden Arbeitsbeziehungen stellt uns Wolf dar: Wolf: Vor allen Dingen, wir hatten auch sehr viel hartes Material, und wir hatten also sehr viel Werkzeugbrüche. Hmm. Gehärtetes Material schon. Und sehr oft brachen dann Stempel oder Messer ab. Und ich hab mir dann immer angefangen, so Gedanken zu machen: »Ja, warum brechen die immer so schnell ab?« Hartes Material hat durch das Härten oft Zunder drauf. Allein das ist schon stumpf. Na hab ich dann angefangen, hab mir so Schmiervorrichtungen konstruiert. Da hab ich mir dann so einen Behälter besorgt und einen Plastikschlauch. Dann hab ich ö l reingemacht, und dann hab ich das immer aufs Band [ = das Rohmaterial] tröpfeln lassen, so daß das Band immer ö l hatte. [Wolf stellt eine weitere Erfindung dar, die er machte. Nun stellt er die Privatisierung und ihre Folgen dar.] (...) Und wer das nicht weiß, der richtet die Maschine so schön ein. Ich hab nachher [d.h. am Ende der Schicht] die Nutensteine natürlich auch immer wieder reingeschraubt, wenn ich sie selber immer wieder ausgebaut hatte, damit die Nutensteine a) da nicht herumfliegen und b) hab ich gedacht: »Ah, laß den anderen auch was suchen!« [lacht jungenhaft triumphierend] (...)Die ham dann, dann hamse immer gesagt: »Wie kommt denn das? Ihr habt so viele Teile gebaut. Wir haben nur so ... Alles Schrott! Die Hälfte Schrott.« [Wolf stellte die rätselnden Fragen der anderen Schicht mit einer hellen klagenden Stimme dar. Nun spricht er tief und biedermännisch, er stellt dar, wie er sich gegenüber den Kollgen von der anderen Schicht verstellt.] »Ich weiß a net. Bei mir war das net.« [Interviewer lacht, Wolf lacht und seufzt dann] Aah, da hat man oft so, aah, so eine Art Konkurrenzdenken, Schicht, Schichtkonkurrenz. Die einen haben heute soviel gefahren, und, ja ja, entweder versuchen dann die anderen genauso viel zu fahren oder noch mehr zu fahren, oder aber die einen stehen immer gut da und die anderen, denen wird dann gesagt [streng, leicht gereizt gesprochen]: »Wie kommt denn das?! Die anderen, die fahren dat also, und ihr kriegt nichts zustande!«
Wolf — formell immer noch Maschinenbediener — macht sich schließlich als informeller Einrichter unersetzlich, einzigartig: Wolf: Die ersten zwei Jahre hatte ich nen Einrichter. Und dann nachher hab ich immer alles selber gemacht. Und nachher war es soweit gekommen — weil wir ja oft neue Werkzeuge bekamen —, daß die Einrichter nachher gar nicht mehr wußten, aah, ja wie die Werkzeuge eingerichtet werden. Und, weil sie ja dann nie mehr da dran kamen, weil sie ja mir das überließen. Und ich hab da das ja auch immer gemacht. Nachher wußten sie gar nicht mehr, wie die neuen Werkzeuge eingerichtet werden [lacht triumphierend]. Und wenn ich dann mal net da war, auf Lehrgang war oder so, oder mal krank war, da war immer ein heiles heiles Theater, weil die dann nie Teile durchgekriegt haben, weil die haben dann eingerichtet und dann paßten die Teile net. Na hamse drei, vier Tage lang nur da rumgefahren: Immer mehr Schrott als wie gute Teile. War also unheimlich, man muß an den Stanzautomaten sehr viel Erfahrung haben. Ne? Es nützt da also nix, wenn man jetzt gewußt hat: so und so wird die eingerichtet. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Dann ist das zwar theoretisch in Ordnung, aber in der Praxis mußte man sehr viel mehr wissen.
Worin liegt eigentlich das, was man das »Rezept« dieses erfolgreichen Konkurrierens nennen könnte? Warum kann es dem Maschinenbediener Wolf gelingen, Produktionssituationen zu schaffen, in denen das Auseinanderklaffen von formdien und informellen Positionierungen der Arbeiter zum Skandal wird? Als vordergründig rationeller Kern der Trennung von Maschinenbedienern und Einrichtern erscheint der Umstand, daß die Maschinenbediener einen Großteü ihrer Zeit mit dem routinemäßigen Überwachen der automatischen Anlage verbringen. Wird dieses Überwachen zum Schwerpunkt der Arbeit über viele Jahre hinweg, bewirkt es Abstumpfung des Arbeiters. Der Stellenwert des routinemäßigen Überwachens verschiebt sich — dies gilt auch für die Beziehung zwischen den Tätigkeiten von Rundgängern und Meßwarten (vgl. AS 43, 174f.) —, wenn es eingebettet ist in die Einrichtarbeit, die mit verschiedenen Maschineneinstellungen experimentiert. Das Überwachen erhält den Stellenwert, Daten, die durch die Experimentalanordnung erzeugt werden, zu erfassen, auszuwerten und mit den Auswertungsergebnissen eine neue Hypothese, also eine neue experimentelle Anordnung zu erzeugen. Nicht aufgrund seines Aufstiegswillens, sondern aufgrund seines hartnäckigen Willens zu schöpferischer Arbeit und seiner Respektlosigkeit gegenüber der vom Kapital definierten und von den Arbeitenden übernommenen Arbeitsteilung macht der Interviewte eine soziale Entdeckung, die ihm von Anfang an überlegene Produktivität verschaffte und seine Produktionsleidenschaft aufrechterhält: angesichts der Komplexität der automatischen Anlage, angesichts der häufigen Veränderung dieser experimentellen Anordnung durch neue Produkte und Werkzeuge, ist es funktional, die Praxen des Maschinenbedienens und Einrichtens zu verschmelzen, die Grenzen zwischen ihnen niederzureißen. Er zerstört damit einen Konsens zwischen Lohnarbeitern, der für die vorautomatische Arbeit funktional war: Wer auf einer bestimmten Lohnstufe steht, muß sich beschränken auf einen bestimmten Ausschnitt aus dem Gesamtspektrum der Arbeitsfunktionen, die an einer Anlage notwendig sind. Indem Wolf formell Maschinenbedienen, Experimentieren mit der automatischen Anlage und Überwachen bzw. Datenerfassen und -ausweiten integriert, führt er ein soziales Experiment durch, zeigt, daß die Integration sowohl die Vermenschlichung der Überwachungsarbdt wie auch höhere Produktivität bedeuten können, daß also neue Arbeitsteilungen möglich sind. Wolfs praktischer Vorgriff auf neue Arbeitsbeziehungen — stabilisiert er letztlich die alten? Er wird formell zum Einrichter ernannt. Einer, der vorübergehend über die Stränge der alten Arbeiterbeziehungen schlug und sie zum Skandal machte — wird er zum Ordnungsfaktor? Er wird in die ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Einrichterreihen schließlich aufgenommen — stärkt er sie nun? In Wolfs Jagd nach den Störungsursachen und in seinem Wettkampf mit anderen Schichten und offiziellen Einrichtern steckte eine kleine Rebellion gegen die Abhängigkeit des Maschinenbedieners, die im Interview immer nur relativ undeutlich ausgesprochen wurde mit den Begriffen »Selbständig«Sein. Die von uns anhand von Wolfs Aufstieg analysierte Mobilitätskette Maschinenbediener-Einrichter gibt einem automationsspezifischen Mobilitätsdruck Bewegungsformen, die immer noch kapitalismusspezifisch und verträglich mit solchen Arbeiterbeziehungen sind, die Diskrepanzen in den Entwicklungschancen verschiedener Arbeitergruppen verfestigen (zum Begriff »Mobilitätskette« vgl. in diesem Band). Die Mobilitätskette leistet nämlich zweierlei: Vermittelt über den durch die Automation besonders hohen Druck zur Abkürzung der Stillstands- und Umrüstzeiten sowie zur exakten Qualität der gefertigten Teile reizt sie zu Rebellionen gegen die Abhängigkeit von den Einrichtern heraus; die energischsten Rebellen werden zu Einrichtern ernannt. Die Ernennimg ist, wie wir vermuten, gekoppelt mit einer Art Umdeutung der Rebellion: sie erscheint jetzt als Widerstand eines besonders energischen Individuums, eines »geborenen Einrichters«, gegen Zuständigkeitsgrenzen. Die vielen, die keine »geborenen Einrichter« sind, sind innerhalb der Grenzen wohl aufgehoben. Es wird in dieser Sicht unerkennbar und nicht verallgemeinerbar, worauf Wolfs Erfolg wesentlich basierte: Er riß eine Vergesellschaftungskompetenz an sich, indem er die Teilung Maschinenbediener-Einrichter aufhob, und entdeckte darin eine spezifische Produktivität. Er entdeckte, und bewies durch seine Praxis, daß mit der Automation die Trennung von Maschinenüberwachen und Einrichten zusehends dysfunktional wird. Er führte übrigens als Gewerkschafter später einen energischen, aber erfolglosen Kampf um die Aufhebung dieser Trennung an flexiblen Fertigungssystemen, d.h. an Systemen, an denen mehrere NC-Bearbeitungszentren miteinander verkettet sind. Daß Wolf vor seiner Zeit als Gewerkschafter sich durch die beschriebene Mobilitätskette heraufarbeitete, machte uns begreiflich, was uns lange veninsichert hatte: Er erschien uns nicht prahlerisch und doch führten uns seine Aussagen spontan zu dem Eindruck, als komme seine überlegene Produktivität aus einer inneren Substanz. Statt uns auf seine Praxen zu konzentrieren, fixierten wir uns auf ihn als große Person, deren Größe uns zugleich unbegreiflich war. Daß der zum Einrichter aufgestiegene Rebell gegen Zuständigkeitsgrenzen sich später als der »geborene Einrichter« begreift, wurde uns nur allmählich klar. In seinen Erzählungen umgibt ihn ein ganz selbstverständlicher und unaufdringlicher Produzentenruhm. Die Maschinenbediener erschienen dabei als eine anonyme Schar, ohne Gesicht und Namen. Seine überlegene Produktivität thematisiert er schon am Anfang des Gesprächs ganz beiläufig: Noch heute sprächen ihn Kollegen ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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bei seinen Gängen durch die Fabrik gelegentlich an und hielten ihn über die Maschinen auf dem laufenden, an denen er früher als Einrichter gearbeitet habe: »Wolf, hast du schon gehört, die haben jetzt an deine Maschinen eine Greiferschiene angebaut?« Wolf, der seit mehreren Jahren nicht mehr an diesen Maschinen arbeitet, gibt uns so zu verstehen, daß die Kollegen seine herausragende Fähigkeit zur Beherrschung da* Maschinerie immer noch zu schätzen wüßten. Sie tun es, indem sie offensichtlich im Medium einer spaßhaften Fiktion die kapitalistische Eigentumsordnung außer Kraft und an ihre Stelle eine Vorstellung der Produktionsverhältnisse setzen, die mithilfe der materialistischen Aneignungstheorie konstruiert sein könnte: In ihr soll das Produktionsmittel dem gehören, der sich das darin vergegenständlichte Wissen am schöpferischsten aneignet und daher damit am produktivsten arbeitet. Erahnbar macht diese Art von Fabrikwitz die Existenz einer Arbeiterkultur, in der die Arbeitenden die Aneignung von Produktionsmitteln, mit denen viele arbeiten, durch wenige Nicht-Arbeiter als etwas Anstößiges empfinden. Daß einige wenige eine großartige Produktivität manifestieren, viele dagegen blaß erscheinen, hat in dieser Kultur noch den Ruch des Selbstverständlichen. Wir suchten zu zeigen, wie sich diese Produktivität entwickelt: Einzelne durchbrechen die Zuständigkeitsgrenzen zwischen bloßem Überwachen und Einrichten. Indem sie nun radikal in die Maschinerie eingreifen, setzen sie sich mit Erfolg unter einen doppelten Druck: Sie entwickeln ihre enorme Produktivität — und zugleich ihre Vereinzelung. Kollektiv die Grenze durchlässig zu machen und aufzuheben, was könnte die Arbeitenden an einem solchen Projekt locken/abstoßen? Für eine arbeitsorientierte Automationspolitik ist diese Frage grundlegend. Sie muß in viele Fragen zerlegt werden. Wichtig ist die nach der pädagogischen Praxis der Einrichter. Sie stellt sie vor die Anforderung, ihre individuelle Handlungsfähigkeit dadurch zu bewähren und zu entwickeln, daß sie andere Arbeiter handlungsfähig machen. Sie müssen also nicht nur einige Resultate ihrer Einrichterarbeit entprivatisieren, sondern ihre Methoden. Hier eröffnen sich für eine arbeitsorientierte Automationspolitik Wege, den Übergang von Lehrenden und Lernenden zu den Anforderungen der entwickelteren Technikstufe anzubahnen, wie sie an NC-Maschinen der Einrichter-Arbeiter neuen Typs in seinen Produktionspraxen zu bewältigen hat. Letzterer produziert zweierlei: 1. wie sein historischer Vorgänger eine einzigartig eingerichtete/festgelegte Maschinerie, die eine einzigartige Serie von Teilen zu produzieren vermag; 2. ein korrigiertes EDV-Programm sowie eine Menge schriftlich fixierter Informationen, also ein ablauffähiges Programm, das es einem beliebigen anderen Einrichter zu einer beliebigen anderen Zeit ermöglicht, dieselbe einzigartige Serie von Teilen durch die Maschinerie herstellen zu lassen, ohne gezwungen zu sein, die ÜberleARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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gungen und Eingriffe des Einrichters en detail wiederholen zu müssen: Es erfolgt also ein zweifacher Vergesellschaftungsschub bei der Erstellung eines ablauffähigen Programms für die »Vereinzigartigung« einer automatischen Maschine: a) Die Einrichtungsoperationen existieren in ihrer Antizipation als Handlungsprogramm nicht mehr ausschließlich oder vorwiegend in einem Speicher, der prinzipiell immer nur einer Person zugänglich ist, sondern sind in einem allgemein zugänglichen Speicher fixiert, b) Sie sind dort in einer Weise fixiert, die es dem Benutzer dieses gespeicherten Wissens ermöglicht, sich dieses Wissen in einem wesentlich kürzeren Zeitraum für das praktische Eingreifen verfügbar zu machen, als er Zeit benötigen würde, dieses Wissen neu zu generieren. Wir können a) die Vergesellschaftung des Resultats der »Vereinzigartigung« oder gegenständliche Vergesellschaftung und b) die Vergesellschaftung der Methodik der »Vereinzigartigung« bzw. methodische Vergesellschaftung unterscheiden. Bei letzterer ist es der Angelpunkt des Produzierens, daß der Produzent nicht mehr einfach nur die Resultate seiner Einriebt- bzw. Maschinen-»Vereinzigartigungs«-Operationen lückenlos dokumentiert, sondern dies Dokument in einer Weise lesbar macht, daß der auf das dokumentierte Wissen Zugreifende einen sowohl schnellen wie auch von Lesefehlern kaum betroffenen Zugriff hat. Die Effizienz und Sicherheit dieser Arbeit des Zugreifens auf das dokumentierte Wissen, diese Effizienz und Sicherheit der Aneignungsarbeit kann natürlich nur in dem Maße Zustandekommen, in dem der Produzent des Dokuments über eine Methode seiner Arbeit verfügt und diese Methode zugleich mit den Resultaten bzw. die Resultate als methodisch gewonnen kommunizieren kann. Hier ist die Nahtstelle von Verwissenschaftlichung der Arbeit als Methodisierung der Erkenntnisgewinnung und Vergesellschaftung. Lehren und Auslesen Die pädagogische Beziehung zwischen dem Einrichter und dem Maschinenbediener ist eingebaut in Machtbeziehungen, über die zum Teil nur unklare Auskünfte zu erhalten sind. Wir fragten Wolf, was er gemacht hätte, wenn der ihm zugeordnete Maschinenfahrer betrunken zur Arbeit gekommen wäre. Das wäre ihm absolut egal gewesen. Er habe gegenüber dem Maschinenbediener keinerlei Weisungsbefugnis gehabt. Da einzuschreiten, sei Sache des Meisters oder des Vorarbeiters gewesen. Die Stanzautomaten hätten Zähler, die die Zahl der produzierten Teile erfassen. Daran erkenne der Meister oder Vorarbeiter sofort, daß die Produktionsmenge nicht stimmt. Aber — andere Passagen des Interviews zeigen dies —- Wolf erteilte dem Maschinenbediener dennoch Weisungen in offen imperativer Form. Wenn etwa die Stanzautomaten vorübergehend längere Zeit stillstanden und überdies nicht genügend sogenannte »Füllarbeiten«, d.h. das ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Sortieren von Fehlteilen und dergleichen, zu erledigen waren, dann sagte der Einrichter: »Nimm den Besen in die Hand, mach klar Schiff, kehr!« — Nicht ganz zufällig erinnert diese Redeweise an das Verhältnis von Steuermann und Schiffsjungen. Als Einrichter spannt sich Wolf ein in zwei gegenläufige Praxen: Konkurrierend mit den Einrichtern und Maschinenbedienern anderer Schichten baut er sein Wissen aus und hält es privat. Zugleich muß er als Automationsarbeiter andere, die mit ihm arbeitenden Maschinenbediener, zu Automationsarbeitern heranziehen, ihnen sein Wissen sorgfältig vermitteln, es vergesellschaften. Schwächte er die zweite Praxe zugunsten der ersten ab? [Ja, wie weit bist du da gegangen, denen was zu vermitteln?] Wolf: All das, was ich wußte. [Diese Antwort kommt sehr schnell.] Also zumindest am Anfang, am Anfang nie. Weil da ... man kann ja einen am Anfang net überhäufen mit Informationen. Da bleibt ja überhaupt nix mehr hängen. Deswegen hab ich nie was davon gehalten. Ich hab ihm erst mal so den Ablauf gezeigt. »Ah hier, hier überall kannst de Maschinen abstellen, wenn irgendwas is.« Das war mal erst die Grundvoraussetzung: Wenn irgendwas is, erst mal die Maschine abstelln, " und net erst lange guckn, und dann vielleicht no ein holen, weil ma meint, da stimmt was net. Sondern: »Erst mal steilste de Maschine ab!« Wo man die überall abstellen konnte,... konnte auch das Schutzgitter hochheben, weil die ja übers Schutzgitter gesichert warn, über Endschalter. (...) [Wolf skiziziert einzelne technische Überlegungen, die der Maschinenbediener beim Arbeiten mit der Maschine anzustellen hat.] Die Grundbegriffe habe ich ihnen so am Anfang gelernt und dann immer versucht, ha, dann immer son bißchen ... mehr. Da, wie ich ein angelernt hab, ah, dann hab ich ihm ach all das gesagt, was ich wußte. — Aber wie ich noch Maschinenfahrer war, da hab ich immer all die Veränderungen, die ich angebaut hab, die hab ich vor Feierabend immer abmontiert wieder. Hab gesagt: »Der kann sich jetzt auch [lacht] ärgern die ganze Schicht.« [Hat sich das geändert, als du Einrichter wurdest?] Ah, nee, als Einrichter hat sich das auch net unbedingt, ah, unbedingt geändert. Aber ich mein jetzt nur, wenn ich jemand angelernt hab, dem hab ich dann immer alles gezeigt, wo er drauf aufpassen muß und was er machen muß, wenn der oder der Fehler auftritt.
Im folgenden untersuchen wir eine permanente »Beziehungsstörung« zwischen zwei Automationsarbeitern, die darin wurzelt, daß zwar beide in ein Arrangement von Automationsarbeit eingespannt sind, sich aber mit Zügen der neuen Arbeit nicht identifizieren wollen: der eine nicht mit der geforderten neuen Qualität erzieherischen Arbeitens, der andere nicht mit der Anforderung, sich gegenüber den Maschinenstörungen als um Selbständigkeit ringender Forscher zu verhalten. Die Eskalation der »Beziehungsstörungen« hat etwas Unaufhaltsames. Als Produzent mit Lehrverpflichtungen bzw. als Lehrer mit Produktionsverpflichtungen muß Wolf immer wieder neu bestimmen, wie er zwei Zeiten zueinander ins Verhältnis setzt, seine Produktionszeit und seine ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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pädagogische Zeit. Die erste stellt sich unmittelbar in Produkt«! dar, die zweite in zwei Produktarten: 1. in Qualifikationszuwächsen, 2. in Produkten, die der Maschinenbediener — er ist ja Schüler und von Anfang an Produzent — herstellt. — Die Notwendigkeit, pädagogische Zeit aufzuwenden, ergibt sich für Wolf daraus, daß er — oft unter einem gewissen Termindruck — den einen Stanzautomaten einrichtet, während der Maschinenbediener den anderen Stanzautomaten überwacht und dort auch die Coils mit dem Rohmaterial wechselt. Fragen des Maschinenbedieners unterbrechen Wolfs Produktionszeit. Erbittert erkennt Wolf, daß es verschiedene Arten von Fragen gibt; solche, die ihn als Lehrer fordern, und solche, die nur seine Produktionszeit beanspruchen. Er soll für einen anderen produzieren, d.h. in dem Fall: denken, weil der sich subaltern und Wolf als ewigen Vordenker definiert: Einmal gabs viele oder einige — viele warn 's ja net — einige, denen das egal war. Die ham also net gesagt: »Das Teil paßt net. Woher kann das kommen?« Sind immer hergekommen und ham gesagt: »Wolf! Guggemal! Was [lacht] is denn mit dem Teil los?« Obwohl die dann auch schon jahrelang da dran waren, die ham aber nie sich mal Gedanken gemacht, a) ja, woher der Fehler kommen könnte; b) ham sie sich auch nie die Mühe gegeben, das zu erlernen. War son gewisses Desinteresse. Die ham aufs Knöpfchen gedrückt, Maschine angeschaltet, ist gelaufen, und wenn die TeUe net paßten (d.h. wenn sie Ausschuß produzierten), dann mußte eben der Einrichter ... gucken kommen, was da los war. (...) Hm... und deswegen, wenn ich ein anlernen mußte, da hatt ich ja sehr oft das Vergnügen, obwohl ichs nie gern gemacht hab. Immer ein anlernen, dann muß man 'n ganzen Tag erklären, und bis der das kapiert hat. Und dann sage ich: »Machst Erzähln kann ich dir ja viel, den ganzen Tag. Nur, wenn de's selber machen sollst, weißte nix mehr. Also jetzt fährst du! Ich passe immer auf, damit de aus den Fehlern lernst, die de machst!« — Aber ich habs nie gerne gemacht. Ich weiß net, ich hab das lieber selber gemacht, da wüßt ich, da ging das schneller.
Die Aufgabe, Automationsarbeiter heranzuziehen, ist für den Automationsarbeiter Wolf neu, die Produktion von Produkten erscheint ihm wesentlich, nicht die Produktion von Produzenten. Im letzten Tefl der zitierten Aussage stellt Wolf wohl dar, wie er kurzschlußartig immer wieder von der pädagogischen in die Produktionszeit springen will. Solche Sprünge sind eigentlich auch zu erwarten, weil es ja keine Kultur der Automationsarbeiter gibt, die gegenüber der altbekannten Notwendigkeit von Produkten die neue Notwendigkeit langer und sorgfältiger Lernwege der Produzenten herausarbeitet. Von der pädagogischen in die Produktionszeit zu springen liegt für Wolf um so näher, je mehr er den Eindruck hat, daß der Wirkungsgrad seiner pädagogischen Arbeit gering ist. Wolf sucht die Ursache nicht im Lernarrangement, sondern stößt zu einem »Charakterdiskurs« vor, der die Unveränderlichkeit der Lernenden aus einer Typologie oder aus der ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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beruflichen Vorgeschichte abzuleiten sucht. Dies ist eine Kritik der Schüler, die sie am schärfsten verurteilt. [Gab's eigentlich Maschinenbediener, die willig waren, aber nicht kapiert haben?] Wolf: Ja, gabs auch. Das gabs auch, aber wenig. [Was waren das für Leute?] Was waren das für Leute? ... Ich würde so sagen: so labile Charaktere, die zwar — hm, gut! — es gibt das auch: Ich war jetzt im Urlaub in Amerika. Na hat meine Tante gesagt: Mein Onkel, der kann no net mal 'n Nagel in die Wand kloppen, um 'n Bild aufzuhängen. Das liegt ihm einfach nicht. So kann man das vielleicht auch sagen. Oder auch so'n so'n so'n biföhen labil. Es gibt ja so Menschentypen, denen liegt bestimmte Arbeit net. Hier bei unserem Betrieb bei Einstellungen haben wir ja alle möglichen Berufswege. Das kann sogar 'n Angestellter gewesen sein, 'n Kaufmann, 'n Großhandelskaufmann, 'n Jurist hatt ich schon. Ham schon alles bei uns durchgehabt. Und ich meine: Wenn jetzt einer Jurist ist oder Großhandelskaufmann als Beispiel, der soll jetzt [lacht] auf einmal Stanzautomat fahren, aach!, der kennt den gesamten Ablauf net genau. Wie die ersten Ausländer kamen, und die, vor allem die Türken, die meinetwegen noch nie ne Schraube gesehen haben, die noch net wußten, daß man, daß man rechts rum festdrehen muß und linksrum lose drehen muß, ne?, aah, so ähnlich war das dann bei einzelnen. Je nachdem, was se für'n Beruf erlernt hatten. Aber das war selten.
In verschiedenartigen Formen setzen sich in der kapitalistischen Produktion Strategien der Qualifikations- und Personalplanung durch. Einer der Gründe liegt darin, daß die .Gewerkschaftskämpfe das »hire and fire« durch die Erzwingung gesetzlicher Regelungen erschwert haben. Die Planungen greifen in Arbeiterbiografien ein. — Der von uns interviewte Einrichter Wolf lenkt unsere Aufmerksamkeit auf eine informelle Qualifikationskette (vgl. in diesem Band Seite 14f.). Er arbeitet in einer Abteüung, in der fast ausschließlich automatische Anlagen aufgestellt sind — allerdings solche von unterschiedlichem Entwicklungsstand bezüglich der Zahl der verketteten Maschinen und ihrer Steuerung. Wer sich beim Konzern bewirbt und dieser Abteüung zugeteilt wird, kann damit rechnen, zu den besser bezahlten Arbeitsplätzen an den hochautomatisierten Maschinen aufzusteigen, wenn er sich an den geringer automatisierten bewährt. Wer sich auch an ihnen nicht bewährt, wird — dies gibt uns der Einrichter Wolf nur sehr zögernd zu verstehen — zunächst einmal in eine andere Abteüung mit stupiden Arbeiten »verliehen« und bleibt da schließlich. Faktisch fungiert Wolf bei diesen Auf- und Abstiegen als einer der Weichensteller. Er arbeitet ständig in Sichtweite des Maschinenbedieners und kann dessen Arbeitsverhalten lückenlos beobachten. Wie stellen sich Jurist, Großhandelskaufmann oder ausländischer Arbeiter an? Der Stanzautomat verlangt nicht nur die Aufmerksamkeit dauernder routinemäßiger Überwachung, er ist zudem auch fürchterlich laut. Da der Maschinenbediener dem Einrichter beim Umrüsten helfen soll und selbst die Spulen mit Rohmaterial auswechselt, sind technische Fähigkeiten gefordert. In bezug ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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auf sie erscheinen Wolf der Jurist, der Großhandelskaufmann und der Türke als gleichermaßen unterentwickelt. Er sucht sich zurechtzulegen, warum bei denen, die aus Berufen mit höherem Sozialprestige kommen, eine Aneignung elementarer technischer Fähigkeiten nicht stattfindet. Seine Antwort: »labüe Charaktere... Menschentypen, denen liegt bestimmte Arbeit net«. — Was leistet diese Abbildungsweise für ihn? Er ist mit einem Prozeß katastrophenförmiger Nivellierung konfrontiert und an ihr beteiligt: Menschen, die einen über das materielle Produzieren erhobenen Beruf erlernt und ausgeübt haben, müssen sich einreihen in die Massen der Arbeitenden der materiellen Produktion und verarbeiten dies als Scheitern ihrer Pläne, als biografischen Umbruch zum Negativen. Die Arbeit am Stanzautomaten empfinden einige als unerträglichen Schock, sie werden »labil«. Dem Einrichter erscheint dieses Resultat als immer schon da gewesene Charakterdisposition. Der Einrichter ist zu dieser ihn entlastenden Sichtweise genötigt. Es müßte sich eine arbeiterorientierte Automationspolitik entwickeln, die sich damit auseinandersetzt, daß Automationsarbeitsplätze mit Arbeitern besetzt werden, die höchst unterschiedliche Ärbeitsbiografien haben und sich aufgrund ihrer bisherigen sozial-kulturellen Selbstverständnisse voneinander abstoßen. Die »Proletarisierung« von akademisch Ausgebüdeten ist da nur eines von vielen Feldern. Welcher Art müßte eine Politik sein, die Arbeitsbeziehungen unterstützt, in denen sich solidarische Beziehungen zwischen den »Proletarisierten« und denen entwickeln, die immer schon in der materiellen Produktion arbeiteten und die Geringschätzung ihrer Arbeit durch die »Gebüdeten« kennenlernten? Wir zeigen, daß der interviewte Einrichter sich einerseits bereit erklärt, den Maschinenbedienern »all das, was ich wußte« zu vermitteln, andererseits dabei immer wieder scheitert und die Ursache dieses Scheiterns in Eigenschaften der Maschinenbediener ortet: »labüe Charaktere«. Die Kritik des Lehrers an den Schülern schlägt um in Selbstkritik des Lehrers. Wolf: Ich kann auch, ich kann auch mit n'm Kind net lernen. Also ich verlier dann immer so schnell die Geduld. Ich hab mit mein'm Sohn mal RechenRechenRechenaufgaben geübt, da hat er ne Ohrfeige gekriegt, wie er gelernt hat. Weü ich's ihm dreimal gesagt hab und er hat's immer noch net kapiert. [Wolf wechselt nun offenbar von seinem Sohn über zu den von ihm anzulernenden Maschinenbedienern, spricht den ersten Teil des Satzes hastig und verschluckt lachend einige Worte]... hat seine Arbeit net gemacht, ich hab dem keine runtergehauen, ne? Aber — ich war immer froh, wenn ich keinen hatte zum Anlernen. Wenn ich dann einen zum Anlernen krieg, dann hab ich erst mal... also ich hab da keine Geduld zu.
Wolf schüdert sein väterliches Versagen bei der Erziehung seines Sohnes, den er schlägt, damit derrichtiglernt, womit er als Vater den Lernunwülen seines Sohnes erstrichtigherstellt. Dann springt er im lauten SelbstgeARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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spräch zurück in die Produktionssphäre, es schießt ihm wohl der Gedanke in den Kopf, da müßte man bei manchen Maschinenbedienern auch zuschlagen. Es wird eine Krise im Verhältnis von Lebens- und Produktionsweise des Einrichters erkennbar, die sich allgemein manifestiert. Der Einrichter positioniert den Maschinenbediener als Sohn, den Sohn als Maschinenbediener, entdeckt und erzeugt ihre Unselbständigkeit als Demotivation. Wann entflammt das pädagogische Interesse? Die Aussagen drängen uns die Vermutung auf, daß sich der Einrichter Wolf für jene Maschinenbediener begeistert, in denen er als Vater sich wiedererkennt im auserwählten Sohn, weil der sich lerneifrig unterstellt. Der Name für dieses Ineinander von freiwilliger Unterstellung und Willen zur Entwicklung produktiver Fähigkeit ist »willig-sein«. Wolf: Wenn einer willig war — hmm, dann ja, dann hat mir das Spaß gemacht und mir hat das dann auch hinterher so Spaß gemacht, wie der sich immer weiter entwickelt hat. Aber is... wenn, ja wenn, wenn man sich so auf gut Deutsch gesagt so ein bißchen dusslig anstellte, und nach einem halben Jahr noch net viel weiter weiß wie nach vier Wochen, ja da hab ich dann auch kein Sinn mehr drin gesehen, dem noch mehr zu lernen.
Der Einrichter Wolf erkennt die Demotivation der anzulernenden Maschinenbediener in verkehrter Form als deren Eigenschaft und damit als für ihn unüberwindbares, ihn abstoßendes Hindernis seiner pädagogischen Arbeit. Der organisierende Prozeß für diese verurteilende und das Urteil noch einmal selbst vollstreckende Wahrnehmung und Behandlung der anzulernenden Maschinenbediener ist der Werdegang des Einrichters Wolf zum Einrichter und die darin sich herausbildende Form selbsttätiger Einordung: Der Einrichter Wolfrichtetsich in den Verhältnissen nicht passivbequem ein, sondern kämpferisch. Er leistet als vereinzelter Einzelner Widerstand gegen das Monopol der Einrichter auf überlegene Beherrschung der Maschinerie, bricht dieses Monopol und reproduziert zugleich mit dieser individuellen Widerstandshandlung die Verhältnisse. Die von dem Einrichter Wolf realisierte Form der Selbsteinordnung macht ihn blind für die Ursachen der Demotivation anderer Arbeitender: Die sind in seiner Wahrnehmung selbst schuld für ihre Verfassung, den Ausweg aus ihrer Verfassung kann er sich nur so vorstellen, wie er sich seinen eigenen Weg vorstellt. Es dürfte deutlich geworden sein, daß der Einrichter Wolf im Zuge der Entwicklung seiner überlegenen Produktivität nicht nur enorme Kompetenzen der Naturbeherrschung entwickelt hat — sie werden durch die weitere technische Entwicklung radikal entwertet, wenn er sie nicht weiterentwickeln würde —, sondern zugleich auch enorme kulturelle Fähigkeiten. Er kann sie in seiner pädagogischen Praxis kaum zum Einsatz bringen, nur bei den wenigen »Auserwählten«. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Mobilität»- und Qualifizieningsketten bei der fertigungstechnischen und In der verfahrenstechnischen Produktion Was kann Arbeiter dazu bringen, über viele Jahre hinweg an der Entwicklung ihrer produktiven Fähigkeiten zu arbeiten, sich dabei zugleich zu vereinzeln und Loyalität gegenüber den betrieblichen Machtstrukturen zu verfestigen? Es ist der individuelle »Aufstieg«: Instanzen über dem Arbeiter erlauben es ihm, zu einem neuen Arbeitsplatz überzuwechseln, der höher entlohnt ist und bei dem solche Arbeitsfunktionen zusammengebündelt sind, die höhere Qualifiziertheit des Arbeiters erheischen. Produktivität, Vereinzelung und Loyalität können zum biografischen Projekt von Arbeitern werden, weil Machtinstanzen Bahnen, Laufbahnen, für ganze Ketten von Arbeitsplatzwechseln geschaffen haben. In der amerikanischen Arbeitsmarktforschung wurde dafür der Begriff »Mobilitätskette« geschaffen. »Der Prototyp einer Mobilitätskette ist der Typ der Aufstiegslinie bei den Fabrikarbriterberufen. Der Einstieg in solche Linien ist im allgemeinen auf eine kleine Anzahl von Arbeitsplätzen mit geringen Anforderungen beschränkt. Die übrigen Arbeitsplätze sind in einer hierarchischen Folge angeordnet; jede Stelle in dieser Folge wird durch Beförderung von der unmittelbar darunter liegenden besetzt und kann nicht direkt erreicht werden. Diese Aufstiegslinien — oder Senioritätsdistrikte, wie sie üblicherweise genannt werden — werden sehr oft mit einer Gewerkschaft ausgehandelt und durch einen Kollektivvertrag institutionalisiert.« (Piore 1978,72) Da weit mehr Arbeiter aufsteigen wollen als können, verfügt das Kapital zunächst mit der Macht zur Auswahlentscheidung über eine enorme Macht zur Loyalitätssicherung und zur Spaltung der Arbeitenden. Dieser Macht wirken die Gewerkschaften entgegen, indem sie in der Fabrik allgemein verbindliche Kriterien zu erkämpfen suchen: Sie legen damit schon vorab fest, wer aufsteigen wird. In der von uns untersuchten Automobilfabrik ist die Gewerkschaftsseite Mitkonstrukteurin einer Mobilitätskette für eine Minderheit hochbezahlter Facharbeiter, die deren Monopol auf bestimmte Tätigkeiten und somit deren hohe Löhne sichert. Zugleich sind damit diese Facharbeiter in den Gewerkschaftsverbund integriert. Andererseits ist damit für die Gewerkschaftsseite der Zwang gesetzt, für die Produktionsarbeiter eine Mobilitätskette zu konstruieren, deren Aufstiegslinie abrupt endet, wo die der Facharbeiter beginnt. Die Quelle vieler Konflikte zwischen den Arbeitern liegt darin, daß die Logik der Mobilitätsketten zu den Kooperationsbeziehungen, die durch die Automation umgewälzt werden, quer steht. Auf Basis vorautomatischer Arbeitsteilungen handeln in Fabriken, die nur zum Teü automatisiert sind, Arbeitergruppen unterschiedliche Stufen der Entlohnung und Sicherheit der Arbeitsplätze aus (Senioritätsdistrikte als Sicherung der Älteren) und unterstützen die Büdung von QualifikationsARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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stufen und Tätigkeitskatalogen. An automatischen Anlagen müssen sich dann aber diese ungleichen Arbeiter als Gleichgestellte aufeinander beziehen, sich gleichartige Qualifikationen aneignen. — Die Mobilitätsketten bilden in der Regel eine Stufenfolge des Qualifikationszuwachses für Aufsteigende, sind Qualifikationsketten. Ketten die den Willen zur Qualifizierung fesseln können, sind sie zugleich: Wer ein unteres Kettenglied bildet, wird damit von der Berechtigung zu qualifizierteren Arbeitsfunktionen ausgeschlossen. Schnelle und permanente Umbrüche der Tätigkeitsstrukturen und -Verteilungen folgen aus der Automation der fertigungstechnischen Produktion, wie wir zeigten (vgl. auch Kapitel 6) und bringen dieses ganze System der Bildung von Qualifikationsketten und die sie stützende Gewerkschaftspolitik in die Krise. In der verfahrenstechnischen Produktion existieren auch Mobilitätsund Qualifikationsketten. Sie sind dadurch geprägt, daß die Stillstandskosten aufgrund der höheren Verkettung von Anlagen z.T. wesentlich höher sind und sich ein einfaches An- bzw. Abstellen der Anlagen aus technischen und/oder ökonomischen Gründen oft verbietet; ferner dadurch, daß der Verbrauch an Rohstoffen und Energien pro Betriebsstunde der verketteten Anlagen um Zehnerpotenzen höher ist als an vielen automatisierten Anlagen der Fertigungstechnik. Die Mobilitätsketten stehen unter dem Funktionsdruck, die Fähigkeiten zur Störungsprophylaxe und zur Optimierung der »Fahrweisen« zu befördern; wobei es für viele Zweige der automatisierten verfahrenstechnischen Produktion noch keine staatlich gestützten Berufslaufbahnen für Automationsarbeiter gibt, während in der fertigungstechnischen Produktion staatliche Berufsplanungen wie z.B. »Automatendreher« auf der Facharbeiterebene zum Teil schon existierten. Folglich rekrutieren die verfahrenstechnischen Betriebe ihre Automationsarbeiter, die Meßwarte, aus anderen Berufen bzw. Qualifikationspositionen. Die Rekrutierung ist dabei in vielen Betrieben als ein Prozeß organisiert, bei dem die Arbeiter über mehrere Stufen auf die Positionen der Automationsarbeiter gelangen. Der Prozeß kann mehrere Jahre dauern. Seine Organisation hängt von den Möglichkeiten der Teilung der Automationsarbeit ebenso ab wie von den ergriffenen Maßnahmen der Qualifizierung. Der Einstieg in eine Qualifizierungskette der Automationsarbeiter kann z.B. mit der Position des Rundgängers beginnen, deren letztes Glied die Position eines Schichtmeisters in der Meßwarte sein kann. Der Einstieg kann sich dem Einzelnen darstellen als Dequaüfizierung, wenn er z.B. als früherer Maschinenschlosser zunächst einige Jahre als Rundgänger zu arbeiten und sich zu bewähren hat, bevor er Meßwart oder gar Schichtmeister werden kann. Auch dem soziologischen Blick von »außen« mag es sich darstellen als Dequalifizierung bzw. Polarisierung, daß da Meßwarten bloße Rundgänger gegenüberstehen. Der zeitlichen QuerschnittbetrachARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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tung entgeht aber das arbeitsbiograflsche Moment des Aufsteigens. — Mobilitätsketten sind zugleich eine Methode der Haltungserziehung und der Erziehung zur Loyalität gegenüber den jeweiligen Vorgesetzten bzw. den Unternehmern. Die Positionen sind jeweils mit Prüfungen gekoppelt, durch die Anstrengungen zur selbsttätigen Qualifizierung erzwungen und die erforderlichen Qualifikationen für die Besetzung einer Position gesichert werden sollen. Kein Arbeiter war auf den unteren Positionen sitzengeblieben, so jedenfalls in den Betrieben, die wir untersucht haben; jedoch gab es einige Fälle, in denen Arbeiter aus der Qualifizierungskette wieder aussteigen mußten, weil sie die Prüfungen nicht bestanden hatten bzw. von den jeweiligen Anforderungen überwältigt wurden. Aufstieg gekoppelt an Prüfungen bringt die Arbeiter in eine entsolidarisierende Konkurrenz gegeneinander. Das wiederum kann die notwendige Kooperativst beeinträchtigen. In einem Betrieb fanden wir eine Form plebiszitärer Prüfung, in dem der Aufgestiegene für einen bestimmten Zeitraum probeweise in ein Schichtkollektiv aufgenommen wurde. Mit dem Konzept der Mobilitätsketten ist die Vorstellung verbunden, daß die auf der jeweils vorhergehenden Position erworbenen Fähigkeiten Voraussetzung für den weiteren Fähigkeitserwerb sind. Unsere Untersuchung des Stufenlernens zeigt, daß unterstellt wird, alle Kenntnisse und Fähigkeiten hätten eine immer gleiche Bedeutung und könnten daher sukzessive angeeignet werden (vgl. AS 43,176f.). »Alte« können Bestandteile, müssen aber nicht Grundlage neu erworbener Handlungsfähigkeiten sein. Vielmehr bedeutet der Erwerb neuer zugleich auch eine Umstrukturierung vorhandener Handlungsfähigkeiten. Wenn wir nach Universalisierungsprozessen in Qualifizierungsketten fragen, können wir uns nicht auf die Analyse der Handlungsfähigkeiten an einem Arbeitsplatz beschränken, sondern müssen den Blick auf die Vorgänge der Umstrukturierung richten, also auf die vorangegangenen Arbeitsplätze, von denen die Arbeiter kommen, und auf die folgenden, zu denen sie Zugang erlangen können. In einem Kraftwerksbetrieb fanden wir eine relativ ausgeprägte und formalisierte Qualifizierungskette für die Steuerung der Prozesse der Energieerzeugung: Rundgänger — Schaltist — Blockmeister — Schichtmeister. Die trivial anmutende Forderung, die Automationsarbeiter müßten »eine gewisse Lernfähigkeit« haben, macht auf einen Unterschied gegenüber bisheriger Industriearbeit aufmerksam. Gefordert wird eine doppelte Bereitschaft der Arbeiter: Erstens, die Arbeit auf allen Positionen als einen ständigen Lernprozeß aufzufassen und nicht nur als Erledigung aufgetragener Arbeiten. Zweitens, den Lernprozeß innerhalb der mit den jeweiligen Arbeitsplätzen bzw. Positionen gesetzten Grenzen selbständig zu organisieren. Schauen wir uns die einzelnen Positionen und ihre Verbindungen genauer an: ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Als Rundgänger werden die Arbeiter im Produktionsbereich eingestellt. Oft haben sie eine berufliche Vorbildung, die für ganz andere Tätigkeitsbereiche qualifiziert. Bevorzugt werden Berufe aus dem Metall- oder Elektrobereich. Ungelernte werden nur eingestellt, wenn sie schon viele Jahre in anderen Industriebetrieben gearbeitet haben. Sehen wir hier von dem offenbar vorliegenden Arbeitsmarktproblem ab, so zeigt sich in der Einstellungspraxis, daß die allgemeinen Fabriktugenden, wie Zuverlässigkeit, Pflichtgefühl, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Disziplin, hier die eigentlichen Voraussetzungen für den Einstieg in die Qualifizierungskette sind. Als Rundgänger lernen sie zwei bis drei Jahre in der Anlage. Sie erwerben Zugriffs- und Eingriffsfähigkeiten, die auf die Erhaltung der Gestalt und Funktion der einzelnen Teile der Anlage zielen. Sie können Unnormalitäten feststellen und den Schaltisten in der Meßwarte mitteilen, aber bei der Beseitigung der Abweichungen sind sie auf die Anweisungen aus der Meßwarte angewiesen. Ihre Beziehung zu den Schaltisten ist autoritär strukturiert. Auf der Position Schaltist werden die ehemaligen Rundgänger ein Jahr durch den Blockmeister angelernt. Sie sollen das Erkennen und Beheben von Störungen sowie die antizipierende Vermeidung von Abweichungen lernen. Das geschieht im wesentlichen anhand der zufällig auftretenden Fälle; ausgearbeitete Lehrgänge, in denen die funktionalen und quantitativen Zusammenhänge auch theoretisch erklärt werden, gibt es nicht. Was sie so lernen, ist, einen vorgegebenen Prozeßzustand innerhalb bestimmter Störungsgrenzen aufrechtzuerhalten. Die Kenntnis der Morphologie der Anlage, wie sie Schaltisten auf der vorhergehenden Position als Rundgänger erworben haben, ermöglicht es ihnen, den Ort der Störungen in der Anlage den Rundgängern und Reparateuren anzugeben. Sie sind deren Ansprechpartner bei Störungen in der Anlage und geben Anweisungen, was dort zu tun ist; sie »sehen« sich offenbar in einer durch Arbeitsplatz und Qualifikation legitimierten »Vorgesetztenfunktion« gegenüber den Rundgängern und den Reparateuren, wenn diese in der Anlage arbeiten. Jedoch ist ihnen die Legitimation immer dann entzogen, wenn Störungen bestimmte Grenzen überschreiten, wenngleich einige Schaltisten noch zu Eingriffen und Anweisungen befähigt wären, weil sie auf viele Beobachtungen ähnlicher Fälle zurückgreifen können. Die Begrenzung der Eingriffsberechtigung ist verknüpft mit dem Fehlen theoretisch verallgemeinerten Wissens der Prozeßzusammenhänge. Theoretisches Wissen wird erst den Blockmeistern in einer dreijährigen Ausbildung vermittelt, wenn sie vorher mehrere Jahre als Schaltisten gearbeitet haben/Sie werden an drei bis vier Tagen in der Woche praktisch und an ein bis zwei Tagen theoretisch ausgebildet, und der jeweils erreichte Ausbildungsstand wird mit Klausuren überprüft. An den Grenzen der Eingriffsfähigkeiten der Schaltisten tritt der Blockmeister in Aktion; er ist ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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in der Lage, auch in außergewöhnlichen Störungsfällen einzugreifen. Er ist es, der die Schaltisten anlernt und der es in der Hand hat, zu bestimmen, was er wie und an wen von seinen in der Ausbildung erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten weiter vermitteln will. Hier besteht ein Konkurrenzverhältnis, in dem der Blockmeister seine Position im Grunde nur sichern kann, wenn er auf seinen Vorsprung in den Handlungsfähigkeiten achtet; die Schaltisten können ihm nur mehr Wissen und Können entlokken, wenn sie zugleich seine Überlegenheit anerkennen. — Die Position der Schichtmeister ist mehreren Blockmeistern hierarchisch übergeordnet. Sie beaufsichtigen und leiten den gesamten Prozeß der Erzeugung der Elektroenergie während einer Schicht. Sie absolvieren eine einjährige schulische Ausbüdung im Anschluß an die Blockmeister-Ausbüdung und einige Jahre Praxis als Blockmeister. Ihr Arbeitsplatz ist ebenfalls in der Meßwarte, und sie sind aufgrund ihrer vorhergegangenen praktischen Ausbüdung auch in der Lage, jederzeit in die Steuerung und Regelung der Prozesse sachkundig einzugreifen. Dabei sind sie allerdings auf die Informationen der Schaltisten und Blockmeister über beobachtete Störungsverläufe, wiederholt auftretende Abweichungen, Zeitverzögerungen in Regelvorgängen usw. angewiesen. Das wiederum macht ihr Eingreifen abhängig von den anderen, sie können ihre theoretisch fundierten Handlungsfähigkeiten nur effektiv einbringen, wenn die anderen diese nachfragen. Die Schaltisten und Blockmeister können versuchen, sie »draußen« zu halten, um z.B. Fehler nicht nach oben dringen zu lassen. Ein bemerkenswerter Unterschied ergibt sich auf dem Feld der Mobilitäts- und Qualifizierungsketten für jene Arbeiter, die in automatisierten verfahrenstechnischen Betrieben ihre Arbeitsbiografie von vornherein als anerkannte Facharbeiter des Instandhaltungsbereichs beginnen dürfen. Während im untersuchten fertigungstechnischen Betrieb der Automobilproduktion für diese Facharbeitergruppen eine strikt abgetrennte Kette existiert, arbeitet die Unternehmerseite in zwei Ölraffinerien ganz bewußt an einer Überschneidung der Mobilitäts- und Qualifizierungsketten der Meßwarte einerseits und der Instandhaltungsfacharbeiter andererseits. Letztere werden nämlich dazu aufgefordert, sich einem »Vielseitigkeitstraining« zu unterziehen, das sie dazu befähigen soll, auch als Meßwarte zu arbeiten.
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6 Gegensätzliches Gleichwerden Einrichter contra Reparateure Fragestellung: Arfoeitsbeziehungen und Universalarbeiter Bei unseren Untersuchungen in automatisierten Betrieben stießen wir mehrfach auf Aussagen wie die folgende, die uns der technische Leiter einer Automobilfabrik vortrug: »Wir brauchen einen Universalreparateur.« Bright hatte derartiges schon 1958 entdeckt: »Klar erkennbar ist ein Bedarf nach einer neuen Art von4 Universal-Maschinenreparateur' (over-all machine repairman), der alle Steuerungstechnologien im Griff hat und eine überlegene Fähigkeit zur Störungssuche hat.« (1958, 187) Marxens Hoffnung auf »das total entwickelte Individuum, für welches verschiedene gesellschaftliche Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen sind« (Marx 1970, MEW 23, 512) — setzt die Automation ihre Realisierung auf die Tagesordnung? Da dies im Kapitalismus geschieht, welche neuartigen Konflikte entstehen? Es bildete sich in unserem 'Projekt eine Untergruppe »Universalarbeiter«, die das empirische Material durchforschte und »Universalität« als einen eigenen Gegenstand gegenüber »Vergesellschaftung«, »Verwissenschaftlichung«, »Integration vorautomatischer Tätigkeiten in einer Automationsarbeit« etc. eingrenzen wollte. Die Bestimmungen flackerten zwischen zwei Polen hin und her: Als das Eingrenzen schwierig wurde, bot sich als Lösung eine Vorstellung von den Arbeitern als »Universalarbeitern« an, die den Abbau aller Arbeitsteilungen in der Produktion als machbar erscheinen läßt. Als das Irreal-Utopische daran erkannt wurde, begannen erneute Versuche, Universalität als eine wirklichkeitsmächtige Bewegung hier und heute gegenüber den von uns schon erforschten Bewegungen einzugrenzen — was wieder mißlang. Gleichzeitig stießen wir aber immer wieder auf Anzeichen in unseren empirischen Materialien, die darauf hinwiesen, daß »Vielseitigkeit« offensichtlich eine eigene und umkämpfte Dimension der Automationsarbeit im Kapitalismus ist. Die Arbeit geriet in die Krise. Wir führten zur automationsbedingten Universalität gezielt Erhebungen in einer Automobilfabrik durch. Von Nutzen waren dabei die Diskussionen und der Erfahrungsaustausch mit Berthold Huber und Klaus Wagenhals in Marburg, die untersuchen, wie sich in der Automobilindustrie aufgrund der Automation die Kooperationsbeziehungen verändern. Wir stießen in der Tat darauf, daß die Reparatur-Facharbeiter aufgrund der Automatisierung der Anlagen zu einer für sie neuartigen Universalität herARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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ausgefordert werden. Zugleich fanden wir heraus, daß mit dem Umbruch zur Automation auch die permanent an den Anlagen arbeitenden Einrichter und Überwacher mit der Anforderung konfrontiert and, ihren Tätigkeits- und Fähigkeitshorizont drastisch zu erweitern — und zwar hinein ins angestammte Tätigkeitsgebiet der Reparateure! Es handelt sich dabei aber nicht einfach um deren Verdrängung, sondern offensichtlich um die Herausbildung eigentümlicher neuer Kooperationsbeziehungen zwischen Arbeitergruppen, die sich als »Spezialisten« für unterschiedliche Produktionspraxen wechselseitig erkenntnis- und handlungsfähig machen müssen. Universalität entpuppte sich damit für uns als ein Verhältnisbegriff: Bewußte Anstrengung der Arbeiter, Borniertheiten zu überwinden und sich sachkundig zu beziehen auf die unterschiedlichen Handlungsschwerpunkte und Erkenntnisweisen anderer Arbeitergruppen, die Unterschiedlichkeit zu einer Quelle der Produktivität zu machen (vgl. dazu die theoretische Zuspitzung in Kapitel 4). Diese Reformulierung von Universalität rekonstruiert sie auf der Ebene der kooperativen Anforderungen als Umbruch. Was uns bei der Untersuchung in der Automobilfabrik zunächst verblüffte, war ein die ganze Fabrik durchziehendes Netz von Frontlinien: Hier verschanzen sich Arbeitergruppen nicht nur gegen Kapitalinstanzen, sondern auch gegeneinander und tragen an den Arbeitsplätzen ebenso wie in Gremien, die die politischen Entscheidungen für den ganzen Betrieb fällen, wechselseitig vielfältige, zum Teil fast lautlose Konflikte aus. Deren Angelpunkt ist in der Tat jener Anforderungsumbruch zur Universalität. Gerade weil wir ihn im Auge hatten, ohne ihn präzis fassen zu können, stießen wir vor zur Konstitution eines Gegenstandsbereichs, zu Arbeitsbeziehungen und gegensätzlichen Arbeiterverhältnissen. Wir fragten uns bei den empirisch vorfindbaren Konflikten: Was ist daran den neuen Anforderungen geschuldet? Wie verschiebt sich dadurch im Arbeitsalltag die bisherige Basis für die zum Teil antagonistischen Interessendefinitionen und Positionierungen der verschiedenen Arbeitergruppen? Wie versuchen die Arbeiter, die Destabilisierung ihres bisherigen Interessen- und Positionsgleichgewichts zu restabilisieren? Welche Lösungen könnte es da geben, in denen Konkurrenz zwischen Arbeitern und/oder die Herrschaft von Arbeitern über Arbeiter abgebaut und eine neue kollektive Handlungsfähigkeit gewonnen werden könnte? Gerade weil wir die Frage nach den neuen Anforderungen in dem anscheinend chaotischen Netzwerk der Konflikte festhielten und sie nicht damit ineinssetzten, wie das Kapital sie in Aufgaben übersetzte, konnten wir erkennen, wie die Arbeiter bisher Anforderungen und deren Kapitalübersetzungen übersetzten und welche neuen Übersetzungen sich anbahnen, die neue wechselseitige Blockierungen erzeugen können. Ein Aspekt ist dabei die Blockierung produktiver Lüste und Fähigkeiten einzelner Arbeiter und Arbeitergruppen zugunsten anderer; eine Art mehr oder weniger selbstbewußter Fragmentierung mögARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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licher Umweltkontrolle, die sich Arbeiter gegenseitig zumuten, um den gegensätzlichen Arbeiterverhältnissen und drohender Arbeitslosigkeit Rechnung zu tragen. Angesichts solcher selbstverfügten Fragmentierungen und der entstehenden fragmentierten Identitäten der Arbeiter schien es uns letztlich doch sinnvoll, an »Universalität« als eine Art Gegenbegriff zu diesen Fragmentierungsprozessen festzuhalten. Die Anforderungsanalyse zeigt uns nicht ein Universum tendenziell gleichartiger Anforderungen für alle Arbeitenden, sondern ein »Multiversum«, eine Mehrzahl von Produktionsuniversen, z.B. das Universum des Konstruierens gegenüber dem des Überwachens automatischer Anlagen. Es liegt damit nahe, nicht mehr von »der« Universalität, sondern von Universalitäten auszugehen. Sie wären faßbar zu machen als orientierendes, aber letztlich nicht einzuholendes Ziel, auf das die im jeweiligen Universum Arbeitenden ihre Entwicklung beziehen, wobei diesen Universalitäten zwei Stoßrichtungen gemeinsam sind: Einerseits Entwicklung als Widerstand gegen alle Tendenzen zur Aufzwingung und Verinnerlichung eingeschränkten Wissens und Eingreifens innerhalb des jeweiligen Universums, andererseits Entwicklung als Widerstand gegen alle Tendenzen einer bornierten und zunehmend automationsunverträglichen Abschottung der Universen gegeneinander. Interessanterweise gehen in manchen Fällen aufgrund der Automation beide Stoßrichtungen ineinander über, wenn nämlich in der vorautomatischen Produktion trennbare Universen, etwa die der Anlagenüberwacher und die der für eine bestimmte Anlage dauernd zuständigen Elektriker zu einem Universum verschmelzen müssen und differenzierte elektrotechnische Grundkenntnisse zum produktionsnotwendigen Wissen der Überwacher wird. — Es war die Beobachtung solcher Phänomene und ihre falsche Verallgemeinerung, die uns lange davon abhielt, anstelle eines Multiversums von Produktionspraxen ein tendenziell einheitliches Universum von Produktionspraxis, folglich auch der Produktionsanforderungen zu denken; daher auch die irrige Ursprungsidee »des« Universalarbeiters. Es scheint uns beim gegenwärtigen Stand unserer Überlegungen sinnvoll, Universalität der Arbeiter nicht einfach nur als Anforderungskategorie zu denken, sondern als Zielbegriff für die automationsmögliche neue Übersetzungsweise der Anforderungen durch die Arbeiter: Als weitgespanntes, radikal ausholendes Widerstandsziel gegen eine von Arbeitern mitunterstützte Fragmentierung möglicher Natur- und Gesellschaftsbeherrschung bei der Verwandlung von Arbeitskraft in Arbeit, also beim Produziere^ selbst. Es ist in diesem Kontext zweckmäßig, Universalität im synchronen und im diachronen Sinn zu unterscheiden und damit das arbeitsbiographische Moment als Verknüpfung von beidem zu fassen. Universalität in ihrem synchronen Aspekt bezieht sich aufs Universum des von den Arbeitenden ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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eroberbaren und ihnen vorenthaltenen Produktionswissens, auf das sie sich von einer bestimmten aktuellen Tätigkeit aus als Ziel orientieren. Die diachrone Universalität bezieht sich auf die gesamte Arbeitsbiografie, auf das gesamte Arbeitsleben als eine Kette von gewollten und planmäßig vorbereiteten biografischen Umbrüchen. Universalität als bewußtes biographisches Projekt der Arbeitenden ist permanente Arbeit an der eigenen Nicht-Erstarrung und bedarf der Fundierung durch synchrone Universalität. Welche neue Formen von Universalität, welche unterschiedlichen Universalitäten mit der kapitalistischen Automatisierung am Horizont sichtbar und in Konflikten angezielt/abgewehrt werden, ist Gegenstand der folgenden Untersuchungen. Wir beschäftigen uns mit zwei Typen von politisch-kulturellen Konflikten zwischen Arbeitern, in die die Arbeiter durch einen Umbruch in den materiellen Bedingungen ihrer Arbeit, durch die Automation, hineingedrängt werden; wobei dann scharf zu unterscheiden ist zwischen dem Hinein-Gedrängt-Werden-in-den-Kampf und dem wirklichen Kämpfen. Die zwei Konflikt-Typen sind: 1. In der skalaren und in der Qualifikationshierarchie des Maschinenpersonals als »Untergeordnete« positionierte Arbeiter »pfuschen Facharbeitern in die Arbeit«. 2. »Facharbeiter pfuschen Facharbeitern in die Arbeit.« Bei Typ 2 handelt es sich um einen Konflikt zwischen verschieden spezialisierten Facharbeitern. Besonders interessant ist hier die Frage nach jener neuartigen »Interdisziplinarität«, z.B. zwischen Elektrikern und Maschinenschlossern, die mit der Automatisierung produktionsnotwendig wird und'mit dem Begriff »Universalreparateur« im sorgenvollen Zukunftsdenken und -reden von Managern auftaucht. »Interdisziplinarität« benennt hier entskandalisierend und resultathaft, was einem konfliktreichen Prozeß geschuldet ist, nämlich, daß Spezialisten sich über die »Disziplinschranken« hinweg gemeinsam für den Produktionsprozeß verantwortlich machen, statt dies übergeordneten Instanzen oder dem Zufall zu überlassen. Wir haben es hier mit einem automationsbedingten Zwang zu einer wechselseitigen Erziehung von Facharbeitern zu tun. Analysiert wird ein Arrangement des Kapitals, in dem Maschinenführer, Einrichter, Elektriker, Maschinenschlosser und Werkzeugbauer dauerhaft gemeinsam an einer automatisierten Pressenstraße zusammengefaßt sind, um den Druck zur produktionsnotwendigen neuen Universalität zu erzeugen. Diese Experimentalanforderung interessiert, weil sie einerseits bisherige Arbeiterkonflikte in die Zuspitzung drängt, andererseits neue Bewegungsformen sich andeuten.
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»Produktionsarbeiter« — »Facharbeiter«: Universalisierung als Erniedrigung? In der Automationsarbeit ändert sich das Verhältnis von »Prodiiktionsund Facharbeitern«. Es konunt zu einer »Aufweichung der Grenzen zwischen den Tätigkeiten«, sagt uns eine Betriebsrätin. Verschwinden die Grenzen? Entsteht ein neuer Typ von Tätigkeiten, eine neue Vereinheitlichung der Arbeiter auf der Tätigkeitsebene? Wie eigentlich konunt der Unterschied zwischen Produktions- und Facharbeitern zustande? Als einzelne wirken die Begriffe seltsam tautologisch. Ersetzt man etwa »Arbeiter« durch »Produzent«, kommt man zu dem Begriff »Produktionsproduzent«. Ersetzt man »Fach« durch »Arbeitsgebiet« kommt man zu dem Begriff »Arbeitsgebietsarbeiter«. Auch er ist tautologisch, weil Arbeit schon in frühen Anfängen arbeitsteilig getan wird und insofern jeder Arbeiter ein »Arbeitsgebietsarbeiter« ist. Was artikuliert sich in dieser sprachlosen Sprache, die mit scheinbar unsinnigen Gegensätzen arbeitet? Eine ähnlich strukturierte Begriffsbeziehung finden wir in der Verwaltung: Schreibkraft versus Sachbearbeiter. Hier haben wir es auch wieder mit Tautologien zu tun. Im strengen Sinne des Wortes ist die Schreibkraft eine Sachbearbeiterin, da sie ja einen Text bearbeitet. Der Sachbearbeiter wiederum ist eine Schreibkraft, da er immer wieder Schreiben verfaßt. Die Sprache geht gewalttätig vor, reißt das sachlich Verklammerte auseinander, ist eine Herrensprache. Das Kommando zur Vereinseitigung klingt durch: Du sollst nicht denken, du sollst abschreiben! Du sollst ohne eigenen Willen sein, nur eine Kraft, deren sich andere bedienen! Im Wort Sachbearbeiter wird dagegen eine Spannung der Subjekthaftigkeit aufgebaut: Dem Objekt, der Sache, steht das Subjekt, der Bearbeiter, gegenüber. Die Sprache ist hier deutlich parteiisch, wie es die Wirklichkeit patriarchaler Entmündigung ist, die sie abbildet. Im sprachlichen Gegensatz Produktionsarbeiter — Facharbeiter werden die Gegensätze weniger deutlich artikuliert — schon das Wort »Arbeiter« schafft eine Gleichheit. Was bedeutet aber der Gegensatz von »Produktion« und »Fach«? Der Produktionsarbeiter wird da ausgesprochen als zugehörig zum ganz Allgemeinen, zur Produktion schlechthin. Das Allgemeine hat in unserer Sprache das Bedeutungsfeld des Gemeinen, Niedrigen, Wertlosen, Massenhaften. Anders der Facharbeiter: er wird in diesem Bedeutungsfeld vorgestellt als ein Besonderer, Welche Besonderung liegt hier zugrunde? Vom Produktionsarbeiter sagt man: Er gehört zur Produktion. Vom Facharbeiter kann man sagen: Er hat ein Fach. Niemals würde man vom Produktionsarbeiter sagen: Er hat die Produktion. Wir stoßen auch hier darauf, daß die Sprache durchaus parteiisch die Wahrnehmung formt. Der Produktionsarbeiter wird bedeutet als Gemeiner, als ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Universalarbeiter im niederen Sinne, nämlich als einer, dessen Standort in der Produktion beliebig ist, der überall hingestellt werden kann. Er wird nicht dargestellt als das Subjekt, das sich selbst in ein bestimmtes Arbeitsgebiet hineinstellt. Anders der Facharbeiter; er hat etwas für sich abgeteilt: das Fach, das Fachgebiet. Die Begriffe der Alltagssprache bilden den Facharbeiter ab als einen, der über herausragende Fähigkeiten in einem spezifischen Tätigkeitsgebiet verfügt. Im kollektiven Gedächtnis der Sprachbenutzer sind noch die Spuren des Schocks gespeichert, der entstand und immer wieder entsteht, wenn die Besitzer kleiner Produktionsmittel durch das Voranschreiten der Kapitalverwertung ruiniert und proletarisiert werden. Es ist eine Drohung mancher Bürger gegenüber ihren demotivierten Kindern: »Wenn du nicht lernst, wirst du Arbeiter!« Auf dem Hintergrund dieser bedrohlichen Erinnerungen ist die Facharbeiter-Existenz von einer Aura umgeben, die andeutet, daß inmitten kapitalistischer Fremdvergesellschaftung eine Enklave der Autonomie existiert. — Aber gibt es ihn denn nicht, den stolzen Facharbeiter? Es gibt ihn. Daran, wie ein Arbeiter durch die Fabrikhalle geht, kann man meist sofort erkennen, ob es ein Facharbeiter ist oder ein »Helfer«. Es ist übrigens so, daß die Facharbeiter zur Verteidigung ihrer Enklaven eine durchaus raffinierte Sprachpolitik betreiben, indem sie sich — dies wird in vielen Fabriken so praktiziert — auch heutzutage noch »Handwerker« nennen lassen. Sie akzeptieren diesen Namen, auch wenn ihre Produktionstaten nicht mehr sinnlich genießbar und feierbar sind als das geschickte Werk ihrer Hände, die mit einem Werkzeug nachvollziehbar etwas Nützliches herstellen. Die sich da »Handwerker« nennen, lassen studieren, z.B. ausgiebig elektrische Schaltpläne, ihr Handwerk besteht dann vielleicht darin, daß sie einen Schrank aufsperren, den Elektroschrank, um dort einen postkartengroßen Schaltkreis herauszuziehen und an seine Stelle einen anderen hineinzustecken. »Handwerker« sind aber auch die Arbeiter genannt, die in der Fabrik die Wasserleitungen ziehen und reparieren. Die Fabrikarbeiter nennen sie auch »Facharbeiter für Gas, Wasser und Scheiße«, aber eben auch »Handwerker«. So umgreift der Name »Handwerker« bzw. »Facharbeiter« ganz offensichtlich eine Vielzahl von Arbeitergruppen, deren Arbeitsinhalt geprägt ist von ganz verschiedenen Stufen der Produktivkraftentwicklung und setzt sie einander gleich. Widerstand gegen die kapitalistische Fremdvergesellschaftung arbeitet hier die nostalgisch verklärte Vorstellung vom zünftigen Handwerker aus, der in seinem Fachgebiet — es ist durch Zunftgesetze dauerhaft gegen Konkurrenz geschützt — frei schalten und walten kann. Es würde auf Abwege führen, Fach- und Produktionsarbeiter als getrennte Ganzheiten zu untersuchen, um danach die Wechselbeziehungen unter die Lupe zu nehmen. Klüger ist es wohl, von einem politisch-kulturellen Prozeß auszugehen, in dem Arbeiter Umbrüche in den ProduktivARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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kraftanforderungen sowie die vom Kapital vollzogenen Übersetzungen dieser Anforderungen in Aufgaben in einer wechselseitig polarisierenden Weise übersetzen. »Facharbeiter« und »Produktionsarbeiter« wären demnach als Verhältnisbegriffe zu fassen und sie wären zugleich als Formen zu begreifen, die mehrfach determiniert sind: durch die Produktivkraftanforderungen, durch die Kapitalaufgaben und durch die Art, in der sich die Arbeiter aufeinander beziehen bzw. ins Verhältnis zueinander setzen, als Formen von Arbeitsbeziehungen. Gegensätzliche Lohn- und ZeRstrukturen Universalmaschinen in der Frühphase der Maschinenentwicklung sind von relativ geringer technischer Komplexität; wer mit ihnen arbeitet, ist insofern universell, als er sie für ganz verschiedene Produkte einrichtet bzw. umrüstet, steuert, überwacht, entstört und repariert. Dieser Typ der Universalität von archaischer Maschinenarbeit bedeutet extrem niedrige Produktivität und löst sich daher auf. In dem Maße, in dem sich vorautomatische Maschinen durchsetzen, die mithilfe mechanischer Steuerungen im großen Umfang relativ komplex zusammengesetzte Produkte herstellen und dazu spezialisiert sind, entstehen im großen Umfang Arbeiten des routinisierten Steuerns und Überwachens. Es wird profitlich, sie aus der Gesamtheit der nötigen Arbeiten auszugliedern, herauszumischen und sie zum tendenziell lebenslänglichen ausschließlichen Tun bestimmter Arbeiter zu machen. Zugleich können sich so gesondert jene Arbeiten entwickeln, die Mickler die »sekundären Facharbeiten« nennt. — Sie umfassen »das Herstellen von Betriebsmitteln, das Einrichten von Maschinen, die Qualitätskontrolle und die Instandhaltung von Maschinen« (Mickler 1981, 41). Ihre Ausdifferenzierung bedeutet — vom Standpunkt jenes Fähigkeitsspektrums, das die archaische Universalmaschine ihnen abverlangte — einerseits eine Vereinseitigung der Fähigkeiten: Der Facharbeiter beherrscht nun nur noch ein Teilsystem der Maschinerie, z.B. als Werkzeugbauer nur noch die Werkzeuge, die in den Arbeitsgegenstand eingreifen. Andererseits findet auf diesem Feld eine schnelle Entwicklung statt, weil die Produktivität der Maschinerie in dem Maße steigt, in dem das Werkzeug den Arbeitsgegenstand auf größerer Fläche, schneller und exakter angreift. Den erreichten Stand der Naturbeherrschung muß sich der Facharbeiter jeweils in den Grundzügen aneignen, um als Spezialist für das jeweilige Teilsystem der Maschinerie produktiv fungieren zu können. Dieses Spezialistenwissen — darin unterscheiden sich dann verschiedene Arten von »sekundären Facharbeitern« — kann methodisch-wissenschaftlich derart durchstrukturiert sein, daß der Facharbeiter 1. mit den Umbrüchen der Naturbeherrschung in seinem Fachgebiet Schritt zu halten vermag, ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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und er 2. er dazu fähig ist, sich schnell in andere Fachgebiete einzuarbeiten. Es entstehen so zwei Typen von Universalität, deren Kopplung wohl bei den Elektrikern besonders ausgeprägt ist, so daß deren berufliche Grundbildung oft als besonders geeignete Voraussetzung für Automationsarbeit genannt wird. In der Spezialisierung kann insofern Universalität als Disponibilität für neue Tätigkeiten und Berufe angelegt sein. Die Spezialisierung von »sekundären Facharbeiten« ist indessen selbst schon auf eine gegenüber der archaischen Universalität der frühen Maschinenarbeit neue Weise universal orientiert, weil sie sich nicht mehr auf eine einzelne Maschine bezieht, sondern auf eine Vielzahl von zum Teü ganz unterschiedlichen Maschinen. Mit der festen Zuordnung zu einer Maschine entfällt die Bindung an einen festen Ort und damit auch eine Form von Kontrollierbarkeit, wie wir sie aus Strategien der politischen und sexuellen Repression kennen. Dort gibt es etwa Verbote, denen gemäß Personen verschiedenen Geschlechts sich nicht gemeinsam ohne die Anwesenheit kontrollierender Instanzen in bestimmten Räumen aufhalten dürfen. Ähnliches güt für die Produktionsarbeiter in der vorautomatischen Produktion. Sie sind geographisch gegeneinander abgegrenzt und büden— metaphorisch-doppeldeutig gesprochen — »Klassen« in der »Klasse«. Der funktionelle Kern dieser Struktur liegt natürlich in der Ortsfixierung während der eigentlichen Arbeitszeit. Aber es gibt auch häufig von der Unternehmensseite explizite Verbote für die Produktionsarbeiter, sich in anderen als ihren Arbeitsräumen aufzuhalten, wobei dann gerne Sicherheitsvorschriften als Gründe vorgeführt werden. Der für uns interessante Aspekt ist in diesem Kontext jedoch, daß offensichtlich die Ortsfixierung der Arbeitsbeziehungen auch von den Arbeitern selbst gewollt ist. Wer in der Fabrik gearbeitet hat, kann dies in einem Gedankenexperiment prüfen: Er möge sich vorstellen, es hätte jemand bei einem längeren und in seiner Länge voraussehbaren Maschinenstillstand den Kollegen oder Kolleginnen den Vorschlag gemacht, als Gruppe andere Abteilungen aufzusuchen, um die Arbeiten und die Maschinerie dort zu beobachten. Man wird bei sich aufkeimende Unbehaglichkeit beobachten. Sie ist aber alles andere als natürlich. Bekannt ist, daß erkundendes Umherschweifen von Arbeitergruppen im Betrieb in den Fabriken der frühen Sowjetunion bei den Arbeitern weithin üblich war, die aus den Dörfern kommend in der ersten Generation Fabrikarbeiter waren. Es sind nun aber gerade die Facharbeitergruppen der Vorrichtungsbauer, Maschinenschlosser, Elektriker etc., die dieses Umherschlendern in der Produktion häufig »von Berufs wegen« betreiben, um Störungsanzeichen frühzeitig zu entdecken. Eine vorübergehende Ortsfixierung wird für sie dann notwendig, wenn sie zu einer akuten Störung gerufen werden. Die skizzierte geographische Freizügigkeit von spezialisierten Facharbeitergruppen hat ihre Ursache im Kern darin, daß zwischen den StörungsARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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fällen längere Zeiträume entstehen, in denen sie »in Bereitschaft« sind. Diese Zeit verbringen sie häufig mit »vorbeugender Instandhaltung« als individuellem Projekt, indem sie jene maschinellen Teilsysteme inspizieren, die ihnen aufgrund ihrer Erfahrungen störanfällig erscheinen. Sie gliedern sich aus dem Gesamt der Überwachungsaktionen, das auf einer bestimmten Produktivkraftstufe notwendig ist, selbsttätig jene aus, deren Kombination ihnen die größte Aussagekraft bei Störungsprognosen verspricht. Schon in der vorautomatischen Produktion gibt es zwischen Produktions- und Facharbeitern Gegensätze, die sich daran entzünden, daß sie zwar einen gemeinsamen Arbeitsgegenstand, aber ein gegensätzliches Verhältnis zur Zeit haben. Die Frage, ob es Situationen geben könne, in denen sich die Arbeiter an den Anlagen mit den Reparateuren irgendwie reiben, bezieht Wolf auf die Zeit, als es im Unternehmen noch Akkordlohn gab: Gibt's wie überall... ist so Streitpunkt. Der Unterschied ist so: Der Einrichter ist Leistungslöhner, auch als Einrichter ist er anteilmäßig am Akkord beteiligt. Und ein Facharbeiter ist Zeitlöhner. Und jetzt steht der Einrichter unter dem psychologischen Druck: »Die Maschine muß wieder laufen! Wir brauchen die Teüe!« Und der Facharbeiter steht ja nicht unter dem Druck und dem ist das mal so ein bißchen egal, ob das eine Stunde dauert oder zwei Stunden. Von daher ist schon die Einstellung ein bißchen verschieden.
Die Antwort leuchtet zunächst ein: Die unterschiedliche Lohnform — sie existierte bekanntlich schon in der vorautomatischen Produktion — macht den Unterschied in den Zeitstrukturen zum Gegensatz. Der Akkordlohn muß in die Krise geraten, wenn der Anteil der vom Arbeiter unmittelbar beeinflußbaren Produktionszeiten an der Gesamtproduktionszeit des Produkts gering ist, der Arbeiter also kurzum die Geschwindigkeit der Anlage kaum steigern kann. Im untersuchten Unternehmen ist der Akkordlohn inzwischen abgeschafft. Wie kommt der »psychologische Druck« zustande? Er ist offensichtlich anders strukturiert als der Druck, der vom individuellen Einkommensinteresse des Akkordlöhners ausgeht. Er rührt offensichtlich nicht primär die Geldbörsen der Produktionsarbeiter an, sondern ihre Psyche. Geschuldet ist er der Vergesellschaftung der Produktion, der Tatsache, daß Tausende von Arbeitern ihre Arbeit unterbrechen müßten, wenn die Produktionsarbeiter an einer bestimmten Anlage nicht mehr genügend Teile produzieren würden. Diese enge Verflechtung ist schon aus der vorautomatischen Automobüproduktion in den USA der 20er Jahre bekannt. Wie wirkt sich hier aber die Automation aus? Welchen Umbruch bewirkt sie für die Zeitstruktur der Produktionsarbeiter an den automatischen Anlagen? Besonders deutlich wird dies beim Umbruch von der mechanischen zur ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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automatischen Fertigung im Presswerk des Unternehmens. Die mechanische Fertigung wird »Handfertigung« genannt, weil die Teile, z.B. Bleche für Kotflügel, von Hand eingelegt werden. Vor und hinter jeder der Großpressen stehen zwei Arbeiter, die dies ausschließlich tun. Die Straße der automatisch verketteten Pressen heißt »Kurzgreiferstraße«: die automatischen Greifmechanismen tun, was die Einzelarbeiter taten. Die Verkoppelung der Großpressen zur Pressenstraße ist verbunden mit der Integration dieses Produktionszweigs in den gesellschaftlichen Produktionsverbund des Gesamtkonzerns; sie bedeutet, was die Zahl der an den Pressen Arbeitenden angeht, eine Schrumpfung: Die übrigbleibenden sind Automationsarbeiter, deren Zeitstruktur geprägt ist durch das Produzieren im Verbund. Hören wir, wie sich dem Manager der Umbruch in der Zeitstruktur darstellt: Sie müssen ja wissen, das Presswerk in diesem Betrieb des Unternehmens ist ja ein ehemaliges reines Kundendienstwerk gewesen, Kundendienstpreßwerk gewesen. Da kam es nicht so drauf an, ob heute das Teil geliefert wird oder morgen. — Jetzt sind wir aber durch die Serienfertigung von Teilen für das neue Modell so in den Verbund mit eingeklammert, daß wir, wenn wir heute etwas nicht liefern können, in drei Tagen das Werk M. zum Stehen bringen, und das heißt: Der Puffer der vorgefertigten Teile ist weitaus enger und ist kritischer in der Weiterverarbeitung, als wenn Sie nur Kundendienstteile fertigenr die nachher vielleicht für den Kunden vier Jahre im Lager stehen.
Warum empfinden Einrichter und Maschinenführer bei längeren, in ihrer Dauer nicht voraussehbaren Maschinenstillständen einen steigenden »psychischen Druck«? Das drohende Zusammenbrechen des Produktionsverbunds, der ihnen an ihren Arbeitsplätzen nicht unmittelbar sichtbar sein kann, stellt sich ihnen dar als Drohung, von hohen und höchsten Vorgesetzten umstellt und zum Produzieren gedrängt zu werden — wodurch Einrichter und Maschinenbediener zur Mannschaft zusammengeschmolzen werden. Das auffordernde und zugleich bedrohliche Umstellt-Sein durch Vorgesetzte kann übrigens in den meisten Fällen eine Beschleunigung des Produktionsprozesses nicht bewirken; ebensowenig, wie dies der Akkordlohn als Geldstimuius vermag. Das Umstellt-Sein wirkt sich nach Auffassung mehrerer Einrichter, die wir befragten, kontra-produktiv aus, weil die nicht erbetenen und zum Teil widersprüchlichen Ratschläge sie stören. Lassen wir uns die Umstellungsszene noch einmal darstellen! Sie taucht in der folgenden Einrichter-Aussage zweimal auf: Einmal im Kontext der »Engpaßteile, die mit dem Schuhkarton von der Maschine weggeholt werden« (daß dann meist Vorgesetzte anwesend sind, erfuhren wir an einer anderen Stelle des Interviews); ferner taucht die Szene auf am Ende der Aussage.
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Wolf: Wir müssen bei der Einstellung zur Arbeit unterscheiden zwischen Leistungslöhnern und Zeitlöhnern. Ein Leistungslöhner, der steht also unter Zwang des Vorgesetzten, er hat soundsoviele Teile pro Tag zu fahren ... z.B. auch Engpaßteile, die mit dem Schuhkarton von der Maschine weggeholt werden. Da ist es dann besonders schlimm. Der Facharbeiter, der ist Zeitlöhner, der steht nicht unter dem Druck. Dem ist das so ein bißchen egal. Der Einrichter hat zwar nicht weniger Geld, wenn er den ganzen Tag kein Teil gefahren hat oder von der Maschine runtergekommen ist, aber irgendwie hat der doch immer diesen moralischen Druck, psychischen Druck: Die Maschine muß laufen, die Teile müssen runterkommen. Und ob das Maschinenbediener wie Einrichter ist: Denen geht es immer am besten, wenn alles läuft, wenns keine Schwierigkeiten gibt. Dann haben sie auch keine Probleme, dann haben sie keinen Druck von Seiten der Vorgesetzten und so weiter. Und natürlich wenn es Störungen gibt, dann geht das los, und vor allen Dingen bei Engpaßteilen. Dann läuft da ja alles zusammen, das geht ja dann bis zum Bereichsleiter für Getriebebau. Wenns gut geht [ironisch], dann stehen die ja alle da drum rum.
Die Umstellungsszene hat eine paradoxe Struktur: Die Vorgesetzten kommen »höchstpersönlich« herunter zu den von ihnen Abhängigen, um sie zur Höchstleistung vorwärtszutreiben. Was aber den Untergeordneten hier zugleich sinnlich vorgeführt wird, ist, daß über sie hoch Erhobene von ihnen abhängig sind — denn, wenn es wegen der Aufzehrung des Puffers an schon gefertigten Zwischenprodukten zum Stillstand in den nachgelagerten Prodüktionsstufen käme, würden die Vorgesetzten selber von der Konzernleitung zur Rechenschaft gezogen. In diesen Szenen der Umstellung durch Vorgesetzte wird der Mannschaft der Produktionsarbeiter ebenso wie auch den einzelnen Produzenten ihre untergeordnete Position auf der Dimension des Gegensatzes Lohnarbeit-Kapital und zugleich ihre Einzigartigkeit und vorübergehende Unersetzlichkeit auf der Dimension der Ausdiffenenzierung produktiver Fähigkeiten bedeutet. In diesem Arrangement erscheinen die beiden Dimensionen den Arbeitern verschmolzen zu »psychischem« bzw. »moralischem Druck«. In den Szenen der Umstellung sind die Produktionsverhältnisse eigentümlich entnannt und die Fremdvergesellschaftung bekommt die Fähigkeit, subjektive Energien zu entfesseln: In der PrestigeHierarchie der Fabrik relativ weit unten angesiedelte Arbeiter entwickeln den Willen, die Arbeitsabläufe an ihren Maschinen gemäß den Anforderungen der neuen Stufe der Gesellschaftlichkeit der Produktion in ihrer Zeitstruktur umzuwälzen. Die neue Zeit der Produktionsarbeiter an automatischen Anlagen stößt auf die alte Zeit der Facharbeiter. Ein Kampf, der schon in der vorautomatischen Produktion entbrannte, wird unter neuen Bedingungen fortgeführt. Die Produktionsarbeiter haben teure automatische Anlagen und die neuen Zwänge gesellschaftlicher Produktion hinter sich. Entwicklung erfolgt oft im Widerstand. Untersuchen wir, wie sie im Widerstand gegen ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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die alte Zeit der Facharbeiter angestachelt wird. Wir interviewten Wolf zusammen mit Hans, einem Einrichter an einem flexiblen Fertigungssystem, der früher viele Jahre Einrichter an einer Transferstraße war. Wolf: Ich hab mich früher als Einrichter auch immer fürchterlich darüber geärgert, wenn ich einen Schlosser brauchte. Ich hab die angerufen. Ach, eine halbe Stunde war rum, da waren die immer noch nicht da! Da kamen sie langsam an mit ihrem Schiebewägelchen [auf ihm lagert der Schlosser diverse Werkzeuge], und ich mußte abends die Teile haben! Da kamen sie erst mal an: »Was ist denn los?« »Das und das.« »Aah! Jetzt wollen wir uns erst einmal einen Kaffee holen.« — Da bin ich bald verrückt geworden. Ich hättse dann immer totschlagen können. Das ist immer das Problem. Da muß man sich dran gewöhnen. Es gibt sogar Produktionsabteilungen oder auch Meister aus der Produktion, die nach Dringlichkeit der Arbeit erstmal dem Facharbeiter erstmal einen Kaffee ausgeben, damit sie ein bißchen schneller machen.« Hans: »Sieht man oft.«
Auffällig ist zunächst die Zentrierung und Verfeinerung der sozialen Wahrnehmung der Produktionsarbeiter: Kunstvoll wird in der zitierten Aussage an der Inszenierung eines typischen Reparaturschlossers gearbeitet. Der Erzähler verknüpft das späte Beginnen des Reparierens mit Momenten der Kindlichkeit (»Schiebewägelchen«), mit einem Ineinander von kurzem Spannungsbogen, leichter Erschöpfbarkeit und Desertion vor dem Problem (der Produktionsarbeiter führt vor, wie der Reparaturschlosser nach der Darstellung des Problems stöhnt: »Aah« und zum Kaffee flüchtet) und schließlich auch mit einer sowohl kindischen wie auch herausfordernden Bestechlichkeit: Da* männliche Reparaturarbeiter »erniedrigt« einen anderen Mann, den Meister, zum Weib, indem er sich von ihm Kaffee servieren läßt. Eine implizite Persönlichkeitstheorie steuert den Darstellungsfluß und gibt den produzierten Einzelbildern Kohärenz. Welche Potenzen stecken eigentlich für die Entwicklung einer Automationspolitik vom Standpunkt der Arbeiter darin, daß der zitierte Einrichter in seiner Aussage so kunstvoll und energisch an der Darstellung arbeitet, wie sich ein Reparatur-Arbeiter in Szene setzt? — Wir haben lange darüber gegrübelt und haben uns zu folgender Überlegung vorgearbeitet: Der Reparatur-Facharbeiter wird dargestellt als infantil-provokant.— Erahnbar artikulieren sich da zwei Erkenntnisse: 1. Mit dem provokanten Charakter des Sich-In-Szene-Setzens des Facharbeiters soll eine Art Widerstand gegen seine Einbindung in die neue Zeitstruktur automatischen Produzierens ausgedrückt werden. Nicht nur, daß der Facharbeiter den Meister zur Kaffeeserviererin macht, soll als Provokation dargestellt werden, auch die Tranigkeit des Facharbeiters, der sich provokant langsam bewegt. 2. Indem infantile Züge bei der inszenierten Facharbeiter-Figur leicht angedeutet werden, deutet der Inszenierende eine Kritik an dieser Widerstandsform an. Sie wird als regressiv beurteilt. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Ein Weg, diesen Spekulationen Boden zu geben und die Entdeckungshoffnung zu realisieren, daß da Einsichten in die historische Regressivität der Widerstandsform »Handwerker« einen leicht weckbaren Dämmerschlaf führen, wären wohl Gruppendiskussionen zwischen Produktionsund Facharbeitern. Wir stellen noch eine weitere Form des »scharfen Blicks« dar, mit dem die Produktionsarbeiter die Facharbeiter-Taten beobachten. — Im Unternehmen wurden an einer automatisierten Pressenstraße dauernd 1 Einrichter, 2 Maschinenführer, 1 Werkzeugbauer, 1 Maschinenschlosser und 1 Elektriker zusammengefaßt. Eine Zwangsvergesellschaftung auseinanderstrebender Elemente? Der von uns befragte Einrichter Fred stellt dies so dar; es ist allerdings wichtig, auch festzuhalten, daß beim interviewten Elektriker dieser gemischten Arbeitergruppe, dem »Team«, mehrfach schon Sätze auftauchen wie: »So können wir eben keine guten Teile produzieren, wenn die Bleche schlecht sind.« Es vollzieht sich, soweit die Sprechweise da ein verläßlicher Indikator sein kann, also schon ein Umbruch derart, daß die gemischte Gruppe sich in ein »Team«, wie es von der Unternehmensleitung gewünscht ist, transformiert. Der Blick von Fred, dem Einrichter an dieser automatisierten Pressenstraße, ist unerbittlich klar fürs Noch-Nicht; zumindest signalisiert er diesen Willen zur Klarheit, indem er vorschlägt, die wirklichen Taten der Facharbeiter im »Team« doch einmal zu fotografieren. Er argumentiert justizförmig: [Sie müssen jetzt praktisch zusammenarbeiten, sei's mit den Straßenfahrern, sei's mit den Fachabteilungen. Wie sehen Sie da das Ziel der Zusammenarbeit? Was ist da für Sie so wichtig?] Fred: Ja, das müßte halt so wichtig sein, daß es halt wirklich ne Zusammenarbeit gibt, aber die gibts ja net! Das kommt drauf an. — Wenn die andern jetzt dabei wären, da würden sie des von sich weisen, würden sagen: »Stimmt net!« — Aber wenn ich da, sagma mal, n Fotoapparat nehmen tät und die mal fotografleren, wenn sie da grad mal wieder stehen bei ihrem Kaffee oder bei sonstwas, wennse halt net unmittelbar an der Straße sind und so, dann würden sie, dann könnt ichs, ähm, beweisen, daß es das gibt, daß praktisch wir die doppelten Kilometer laufen immer durch das Hin und Her als wie die andern. Sind alls Zeftlöhner! Das paßt halt — das ist des normalerweise, was ich meine — das paßt halt einfach net zusammen. Die machen halt im Grunde genommen drei Schritte weniger.
Die Aussage macht erahnbar, daß die Facharbeiter ihre Konzeption selbstbestimmter Wege und Zeiten, wie sie geprägt wurde mit dem Heraufkommen »sekundärer Facharbeiten« in der vorautomatischen komplexen mechanischen Produktion, nicht modifizieren wollen oder sich zumindest noch in einem Umbruch-Stadium befinden. Die neue Prozeßanforderung, der sich die Facharbeiter entziehen, ist, ihre geographische Freizügigkeit aufzugeben und ständig an der automatisierten Pressenstraße stehend auf die ersten Anzeichen von Störungen zu lauern. Sie verweiARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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gern die Aufgabe, eine Erkenntnispraxis der Störungsprophylaxe zu entwickeln, die ihren dauernden Aufenthalt an der automatisierten Pressenstraße «-forderlich machte — zumindest legen die Aussagen des Einrichters diese Vermutung nahe: Fred [unterbricht]: Die Störung, naja, das ist, das hängt normalerweise alles mit zusammen. Wenn die Straße ja läuft, dann denkense immer, dann is alles in Ordnung. Aber man kann ja vorher schon sehen, was ma da ... Es geht immer grade noch so gut und 's läuft, aber daß man da was verbessern könnte. Und das ist ja wieder au rum net der Facharbeiter. Die sind ja net da, um sich dat mit anzugucken. Die hörn immer nur, es rumpelt, ist gut so [schnell]. Wenn dann die Fehler ganz da sind, net, dann wissense halt net richtig, woran hats gelegen. Das ist ja das! Die Störung, die könntense, die sieht man ja im Ansatz meistens. Und das müßten die sich halt auch selber mit angucken. Das wär natürlich dann besser, ne. Das is genauso, wie wenn mir jetzt umbauen, und von dem, was jetzt drinne is, auf den... und der hat vorher gelaufen, in den letzten drei Tagen immer, mit 3000,4000, immer ziemlich gut glaufen. Und dann baut man das jetzt wieder ein. Und dann denken die, es geht gleich wieder los mit 3000. Aber das, warum das nit geht, das kann ich jetzt auch nit sagen. — Sind dann doch immer wieder Störungen da, und die müssen erst beseitigt werden! Und das geht dann dementsprechend einmal langsamer, einmal schneller. Und das sind halt doch Störungen, die müßten vorher überlegt werden. Und das müßten ja normalerweise die Facharbeiter machen, der Maschinenführer ja gar net. Der sollte ja normalerweise nur hingehn und sagen: »Da läuft des Teil net und nu sieh mal zu, wie du zurandekommst!« Is ja dem sein Bier, wir sollen ja nur aufpassen, daß alles läuft.
Grenzüberschreitungen von Einrichtern in Facharbeitergebiete Indem sich Produktionsarbeiter gegenüber den Facharbeitern positionieren als die, die die neue Zeit der Automationsproduktion gegenüber der alten Zeit der Facharbeiter als »moralischen Druck« in sich spüren, muß es sie auch zu Taten drängen, zum Einbruch in die Fachgebiete der Facharbeiter. Interessant dabei ist, daß es oft gerade die »deklassierten« Facharbeiter zu solchen Einbrüchen gelüstet. Die »Deklassierung« erfolgt dadurch, daß das Unternehmen derart hohe Löhne zu zahlen vermag, daß es für viele Facharbeiter in der mittelständischen Industrie ergiebiger ist, auf ihren Status als Facharbeiter zu verzichten und als Angelernte beim Konzern zu arbeiten. Der Konzern hat seine eigenen Facharbeiter, zum großen Teil bei ihm ausgebildet, und hält ihre Zahl gering, weil sich die Facharbeiter einen hohen Lohn erkämpfen konnten. Die Grenzüberschreitungen sind damit häufig Kämpfe zwischen Facharbeitern und Ex-Facharbeitern. Fred: Wenn ma, sagen m' mal, immer alles abstellen täten und die holen täten, da wäre... noch länger. Da würd ma noch weniger Teile fahrn. Da gibts natürlich dann auch Sture, die sagen: »Nö! Geht mich nix an!« und »Das mach ich net!« Im Grunde genommen is ja richtig, wenn man so will. Aber das ist, ist ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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halt je dem seine eigene Art dann. Ich machs halt lieber schnell selber. Da ich au Elektriker bin, dann ... auch mal schnell ein Stecker selber machen. [Auf Nachfrage.) Ich, ich hab Elektriker gelernt. Gibts natürlich ... [redet sehr schnell, unverständlich] Ich hab ja kein Elektrikerwerkzeug dabei zum Spannungmessen und so. Und wenn ich zu ein mal sag: »Gib mir was zum Messen!«, kommts halt schon mal vor, daß der ... [unverständlich] »... geht dich gar nix an!« Auf der anderen Seite ist auch ... wenn mir was passieren täte, mir würd keiner 'n Rücken freihalten. Würden alle sagen: »Warum holste dann net die Facharbeiter?!« Das is aber so ne Sache, mit dem Holen.
Es wäre unsinnig, davon auszugehen, daß die Praxen der Produktionsund der Facharbeiter durch die Automation einer Dynamik der Verschmelzung ausgesetzt sind. Esfindetvielmehr hier eine in sich gegenläufige Entwicklung statt. Einerseits eine Ausdifferenzierung neuer produktiver Kompetenzen: a) die Produktionsarbeiter sind u.a. zuständig für die »Feineinstellung« der Pressenstraße in bezug auf die unterschiedlichen Produkte und entwickeln sich dabei zu Spezialisten; b) die Werkzeugbauer « sind für einen Aspekt des maschinellen Systems Spezialisten — für die Pressmatrizen, die die Kontaktfläqhe der Maschinerie zum Arbeitsgegenstand darstellen, ihn formen. Andererseits gibt es zwischen diesen beiden Spezialistengruppen gemeinsam zu klärende Fragen. Der Werkzeugbauer kommt nun daher als einer mit einem Beruf, der einen Fabrikruhm genießt: Er ist z.B. gelernter Werkzeugmacher. Der Spezialistenstatus der Produktionsarbeiter ist noch wenig anerkannt. Wie klären sie nun solche Streitfragen? Esfindetein theoretischer Kampf statt. Die Stärke der Produktionsarbeiterseite stellt sich darin dar als die Fähigkeit, bewußt mit der Methode der linearen Trendextrapolation zu brechen — mag sie auch theoretisch naheliegen, und an ihre Stelle das Produktionsexperiment zu setzen. Der Werkzeugbauer hält starr fest an seiner Methode, will sich zunächst nicht zum Experiment verführen lassen. Im Meüiodenstreit erfolgt durch den Konflikt hindurch ein Vergesellschaftungsschub, ein Schub der Selbstvergesellschaftung im Rahmen kapitalistischer Fremdvergesellschaftung: Die beiden Arbeiter, der Einrichter und der Werkzeugbauer machen gemeinsam ein Produktionsexperiment. Der Erkenntnissieg wird gefeiert. Der sonst so aufmüpfig über die Facharbeiter sprechende Einrichter ist auch einmal vergnügt in bezug auf einen von dieser Arbeitergattung. Fred: Das gibt da manche Sachen, das haben wir schon erlebt, da ist es genau umgekehrt, da muß man statt weniger mehr machen. Und das kommt dann meistens sowieso nur aus. Zufall raus. Da sag ich mir: »Jetzt probier ich mal alles und mach alles durch«, und auf einmal sind die Teile gut. Normalerweise müßte man zum Beispiel, wenn ein Teil reißt, müßte man dann annehmen, daß ich dann weniger Druck mache. Da gibts aber Sachen, da muß man mehr machen und dann sind die Teüe ganz. Und das will natürlich dann der Werkzeugbauer net glauben. Der fusselt halt da erst eine Stunde rum und, und sagt: »Das geht net so rum.« Da hab ich gesagt: »Na, laß uns doch mal probieren!« ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Na, und da probiert ers mit dem Fahren. Dann gibt er doch eine Halbe [vermutlich eine Halbe Bier zum Dank]. Man soll doch anders rangehen. Das sind natürlich dann Sachen, wo man sich auch mal freut.
Der Produktionsarbeiter hält hartnäckig an sein«: Erkenntnis fest gegenüber einem Arbeiter, der sich wohl als ein »Fachmann« von im Grund unhinterfragbarer Autorität geriert. Bei der Störungssituation und dem Experiment kann nun aber nur um den Preis langer Stillstandszeiten die Zuständigkeit einer bestimmten Fachautorität eindeutig zugeordnet werden. Der Werkzeugbauer hält zunächst an einer solchen Zuordnung fest. Der Einrichter Fred hält gegenüber solchen Autoritätsansprüchen fest am Experimentieren, verhält sich gegenüber den Produktionsdogmen »antiideologisch«. Er führt damit den Autoritätsglauben des Werkzeugbauers in eine produktive Krise. Wie wichtig es für die Kooperation in ungeplanten Produktionssituationen ist, daß formelle Zuständigkeiten und Autoritätsgläubigkeiten aus dem Feld geschlagen werden und ein »Unzuständiger« sich durch praktisches Beweisen zuständig macht, d.h. in die Kooperation einschaltet, zeigt sich daran, daß die erforderliche Anstrengung den Einrichter Fred zum Wortschöpfer macht. Für die neue Haltung, die für gleichberechtigtes Kooperieren in ungeplanten Produktionssituationen, damit also für das Zurückschlagen dogmatischer Autoritätsansprüche nötig ist, prägt er aJs Gegenbegriff zu »leichtgläubig« ein neues Wort: »schwergläubig«. [Wie ist denn das eigentlich umgekehrt: Gibt es Wissen und Erfahrung, die die weitergeben an Sie?] Fred: Ja, das kommt schon mal vor. Wenn ich denen was erzähle, und der sagt: »Das stimmt net.« Und dann laß ich mich von dem beraten. Und so. Obwohl ich dann manchmal auch immer skeptisch bin, ob das stimmt, was der erzählt. Meistens tu ich das dann immer ausprobieren. Und da werd ichs dann sehen. Ich bin, weil ich bin sehr schwergläubig. Ich glaubs immer erst, wenn ichs wirklich sehe. Wenn einer was erzählt da, das glaub ich also net sogleich. Das nehm ich net immer ab.
Der lange Weg zum Umversalreparateun Abgrenzungen zwischen Facharbeitern Die Automation bedeutet einen Umbruch auch in den Beziehungen zwischen den qualifizierten Reparatur-Facharbeitern. Beobachten wir mit den Augen des Fanatikers der Neuen Zeit, des Einrichters an einer automatischen Pressenstraße, wie sich das Noch-Nicht des Umbruchs darstellt. Fred [auf die Frage, ob manchmal der Elektriker vergeblich zur Anlage bestellt werde]: Ja. Klar, kommt schon öfters mal vor. Weil vor allen Dingen sag'n die dann immer: »Wir sinds net, die andern sinds!« Und die schieben sich dann die Arbeit so'n bißchen hin und her. Und wir stehen dann halt dabei und müssen zusehen, wie die fertig werden. Weil die zwei, das ist ja dann denen ihr Ball, soARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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zusagen. Sagt der eine: »Ne! Meiner is es net!« Und dann kriechense mal beide rin, und nu auf einmal gehts dann wieder. Und wie se sich da so geeinigt ham, das erzählen die uns ja au net. [Auf die Frage, ob sich die Reparatur-Facharbeiter da gegenseitig Fehler zuschieben, erklärt der Einrichter:] Im Grunde genommen fällt mir nur eins ein, die ArbeitsunwiUigkeit. Des is alles. Die probierens halt erst von sich zu wälzen. Is doch bequemer, da zu stehen, als wie die Leiter hochzukraxeln und oben im öl rumzumachen — weil das steht au überall, in Wannen und so. Was bedeutet dieser vor den Produktionsarbeitern geheimgehaltene Einigungsprozeß zwischen den Facharbeitern verschiedener Sparten? Unser Versuch, von Reparatur-Facharbeitern da Genaueres zu erfahren, blieb seltsam unergiebig. Möglicherweise ist das Interview als die zentrale Erhebungsmethode hier unzulänglich. Die Deutung des Einrichters: »ArbeitsunwiUigkeit« ist ein hilflos aggressiver Versuch, sich den umständlichen und zugleich geheimgehaltenen Einigungsprozeß begreiflich zu machen. Die Einigung ist, wie wir aus verschiedenen Aussagebruchstücken erschließen, Aspekt einer spezifischen Arbeitskultur der Facharbeiter, in der mehrere Impulse verarbeitet werden. Es ist da zunächst der altbekannte Widerstand der Facharbeiter gegen eine kapitalistische Rationalisierungslogik, die die hochentlohnten Facharbeiter-Arbeitsplätze reduzieren will. Die kollektive Gegenwehr besteht darin, an der Trennung der Fachgebiete strikt festzuhalten. Es wird so einer Konkurrenz zwischen den verschiedenen Facharbeitersparten entgegengearbeitet, die sich ja jeweils stabilisieren und sogar expandieren könnten, indem sie einzelne Arbeiten der anderen Sparten in sich eingliedern. Die Trennung der Sparten ist von der Berufsausbildung und von der Aufgabenteüung des Kapitals zwar gewollt, wird von den Reparatur-Facharbeitern aber radikalisiert. Diese radikale Übersetzung kommt mit der Automation insofern in eine Krise, als nunmehr Störungsphänomene entstehen, die besonders schwer einzelnen Sparten zugeordnet werden können. Die Facharbeiter müssen nun im Störungsfall jeweils untereinander informelle Regelungen aushandeln, die die zwischen ihnen selbst vereinbarte formelle Trennung der Sparten vorübergehend aufhebt und/oder neu bestimmt. Diese eigentümliche Form des Widerstands gegen eine kapitalistischer Rationalität entsprechende Aufteilung der Arbeiten kostet Zeit und trifft damit zugleich auch zwangsläufig die Produktionsarbeiter. Indem die Facharbeiter derart ihre kollektive Handlungsfähigkeit zu restabilisieren suchen, destabilisieren sie die Möglichkeit, gemeinsam mit den Produktionsarbeitern die Arbeit quer zur Kapitallogik neu festzulegen. Die Effekte der enormen Trennungsenergien, die verschiedene Facharbeitergruppen in einer gemeinsamen Arbeitskultur zusammenschließen, benennt drastisch der technische Leiter, der an den automatisierten Pressenstraßen die Trennungen als Profithemmnisse überwinden möchte: ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Ich habe also versucht, ihnen klarzumachen in Unterweisungen, daß ich, sagen wir mal, von dem Elektriker oder dem Vorrichtungsbauer au erwarte, daß ers Teil anfaßt, dem Vorrichtungsbauer die Zange reicht oder sagt: »Die Schraube da und das Kabel! Zieh mir mal, helf mir mal, faß mal mit an!« Und sowas. Jawoll, es soll, es soll nicht das Zugucken stattfinden durch den nicht dem Fachbereich [verschiedene Arten von Facharbeitern gehören verschiedenen Fachbereichen an] Zugehörigen, sondern hier soll über die Fachbereiche hinaus Zusammenarbeit stattfinden.
Die gemeinsame Widerstandskultur der Facharbeiter verschiedener Kategorien manifestiert sich hier als ihr scheinbares Gegenteil, als antisolidarisches Verhalten, als wechselseitige Verweigerung elementarer Hilfeleistungen. Zugleich steckt darin, daß etwa der Elektriker dem Vorrichtungsbauer nicht einmal eine Zange reicht und nur zuguckt,,wohl auch wechselseitige hierarchische Abgrenzung. Sie ist schon in der Lehrlingsausbildung angelegt, wie eine Maschinenschlosserin darlegt: Ria: Die Elektriker sind die Elite, ne, also werden auch so... ein bißchen ist das jetzt geknackt, also so die Elite und hatten auch jahrelang die besten Übernahmechancen. Die Werkzeugmacher sind dann so, also in der Hierarchie stehen die noch ziemlich oben. Dann kommen die Maschinenquäler oder die ölis. Ja, das ist so ne Abstufung. Also die Maschinenquäler sind die Maschinenschlosser, Pfleger oder ölis oder so, und dann gibts so Betriebsschlosser... und dann kommen halt die zerspanenden Berufe, ne, also zu meiner Zeit gabs schon so ne Hierarchisierung innerhalb der Berufsgruppen. [Worin drückt sich das aus?] Ria: Untereinander? Och Gott ja, im Verhalten! In der Überheblichkeit.
Die hohen Stillstandskosten automatischer Maschinerie und die auch automationsbedingte gesellschaftliche Verflechtung verschiedener Produktionsstufen wirken daraufhin, daß die sorgsam gepflegten Trennungen zwischen den Facharbeitern löchrig werden. Einen besonders raffinierten Weg dachte sich die Leitung eines Automobilwerks aus, indem sie sowohl Produktionsarbeiter (einen Einrichter und zwei Maschinenführer) wie auch verschiedene Facharbeiter zusammenspannte an einer automatischen Anlage. Sie alle sollen für hohe Produktionsleistung verantwortlich sein. Die zitierten Unterweisungen des technischen Leiters sollten die Facharbeiter auf dieses Produktionsexperiment einstimmen, das von ihnen einen dauernden Aufenthalt an der Maschine und deren ständige Beobachtung sowie wechselseitige Unterstützung beim Reparieren verlangt. Ein Teil der Facharbeiter sucht sich dem, wie die zitierten Aussagen des Einrichters Fred vermuten lassen, zu entziehen: Der neue Verbund von Facharbeitern verschiedener Sparten stellt sich hier zunächst dar als gemeinsame Konsumtion, als gemeinsamer Aufenthalt in der Nähe des Kaffeeautomaten. Die Automation fordert von den Arbeitern nun aber sogar mehr als jene kleinen Überschreitungen bisheriger Grenzen, die sich in wechselseitiger Hilfe beim Werkzeugzureichen darstellen. Der technische Leiter benennt klar die Perspektive: ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Es wäre natürlich der ideale Mann ein universeller Instandhalter. Das heißt also: Wenn Sie es fertigbringen würden, einen Elektrik-Hydraulikt-PneumatikerWerkzeugmacher zu haben, dann brauchten Sie kein Team mehr, dann hätten Sie einen Instandhalter, der dem Bedarf hier entspricht. (...) Das Entscheidende ist, daß aus dem Zusammenspiel des Fachwissens [dieses Universal-Arbeiters] Entscheidungen fallen würden, in welche Richtung eine Reparatur oder eine Änderung einer Ursachenbehebung, die wirklich aus diesem universellen Fachwissen entstehen, geht.
Diese Aussage bezieht sich auf die Entwicklung von Entstörungsfähigkeiten. Sie vollzieht sich in mehreren Dimensionen. Eine Dimension bezieht sich auf die Zahl der Spannungsfelder der Naturbeherrschung. Beim Entstören einfacher vorautomatischer Maschinen steht im wesentlichen ein Spannungsfeld im Zeitrum des Denkens und der Aktivitäten: die mechanische Naturbeherrschung. Hinzu tritt mit der weiteren technischen Entwicklung die Naturbeherrschimg durch Elektrizität, die mit dem Spannungsfeld mechanischer Naturbeherrschung zunächst nur additiv gekoppelt ist. Mit der elektronischen Integration von Maschinensystemen zu einem automatisch koordinierten Gesamtsystem findet eine Überlagerung einer Vielfalt von Spannungsfeldern der Naturbeherrschung statt: das Mechanische, Hydraulische, Pneumatische, Elektrische, Elektronische, Opto-Elektronische etc. Die Überlagerung von Spannungsfeldern der Naturbeherrschung, wie sie durch die elektronische Integration von Maschinensystemen zum Gesamtsystem möglich und konstruktiv gewollt ist, wird im Störungsfall zur dysfunktionalen Überlagerung mit einer — wiederum auch der Elektronik geschuldeten — Eigendynamik. Die Entstörungsfähigkeiten der Arbeiter an den automatischen Anlagen zielen darauf, die konstruktiv gewollte und durch den jeweiligen Stand technischer Weiterentwicklung der Anlage realisierte Überlagerung von Spannungsfeldern der Naturbeherrschung wiederherzustellen. — Es ist daher zweckmäßig, die Entwicklung der Entstörungsfähigkeiten von der vorautomatischen zur automatischen Produktion begrifflich mehrdimensional abzubilden, um mehrere Umbrüche in den produktionsnotwendigen objektiven Gedankenformen anzudeuten. 1. Dimension: Die Anzahl unterschiedlicher Spannungsfelder der Naturbeherrschung, in die die Arbeitenden beim Entstören einer Maschinerie intervenieren. 2. Dimension: Die Formen funktionaler und dysfunktionaler Kopplungen der unterschiedlichen Spannungsfelder der Naturbeherrschung, in die die Arbeitenden beim Entstören der Maschinerie intervenieren. Grob können bloß additive Kopplungen von komplexen Überlagerungen unterschieden werden. Bei den letzteren treten Effekte auf, die durch mehr oder weniger komplizierte Wechselwirkungen entstehen. Die Entwicklung von Entstörungsfähigkeiten an automatischen Anlagen ist dadurch beeinflußt, daß einerseits die Zahl der unterschiedlichen ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Spannungsfelder der Naturbeherrschung zunimmt, andererseits verschiedenartige Kombinationen dysfimktionaler Überlagerungen entstehen, die bei der Konstruktion der automatischen Anlagen nicht voraussehbar waren und nun sukzessive von den Produktions- und Facharbeitern entdeckt werden. Dieser Entdeckungsprozeß ist unabschließbar; nicht zuletzt deswegen, weil mit dem »altersbedingten« Verschleiß der Anlage neuartige Störungsquellen und -Überlagerungen entstehen, es aber dennoch aus Profitgründen — aber erst recht auch aus Gründen der Schonung von Ressourcen — ökonomisch sein kann, die Anlagen weiterzubetreiben, statt neue aufzubauen. Zugleich wäre hier aber auch ein Zusammenhang zwischen Entstörungs- bzw. Reparaturfähigkeiten und einer ökologisch orientierten Produktion durch die Arbeiter selbst herstellbar. Der vom technischen Leiter beschriebene »Elektrik-Hydraulik-Pneumatiker-Werkzeugmacher« wäre der qualifizierte Automationsarbeiter, da* über diese neue Entstörungskompetenz verfügt. Er ist ein Ziel, dessen Realisierung gegenwärtig vielfach gehemmt ist. Ein Hemmnis ist die Trägheit des Kapitals der untersuchten Fabrik, die Verantwortungen auf höheren Leitungsebenen neu zu organisieren anstelle der Aufrechterhaltung von »getrennter Fachgruppenverantwortung«. Ein anderes Hemmnis ist der spontane Widerstand verschiedener Facharbeitergruppen, selbsttätig jene Grenzen einzureißen, die sie im Zuge der Entwicklung von Berufswissen und Widerstandskultur auch in bezug auf ihre fachspezifischen Denkformen entwickelt haben. Die Automation verlangt von ihnen mehr als nur ein bloß ausnahmsweises »Hineinpfuschen« ins Handwerk des anderen Handwerkers. Sie verlangt die Vergesellschaftung der Denkformen als das gesellschaftliche Zusammendenken der verschiedenen Denkformen im Kopf des jeweils individuellen Facharbeiters. Der Zwang zu dieser Vergesellschaftung von Denkformen wurzelt in der Überlagerung von verschiedenen Spannungsfeldern der Naturbeherrschung, von denen jedes in einem besonderen Fachgebiet der Facharbeiter besonders gepflegt wird und sich aufgrund des schnellen Fortschritts maschineller Naturbeherrschung immer mehr entfernt von einem möglichen gemeinsamen Verständnisnenner, wie ihn das Denken der Alltagsphysik und/oder das vor einer Reihe von Jahren gelernte elementare Schulwissen darstellen könnte. Im folgenden Materialstück führt der technische Leiter vor, wie Facharbeitern, die in den Spannimgsfeldern mechanischer Naturbeherrschung zu denken gewohnt sind, ein atemberaubender Denkübergriff ins Metier des Elektrikers zugemutet wird. Sie sollen begreifen, daß die mechanische Bewegung eines Maschinenteils einen Schalter berührungslos schaltet: Zum Beispiel der Elektriker hat gegenüber früher, als er Endschalter hatte, bei dem noch mechanische Bewegungen stattfanden innerhalb des Endschalters, heutzutage die berühmten Initiatoren eingesetzt. Diese Initiatoren arbeiten beARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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rührungs- und bewegungslos. Sie sind also annähernd verschleißfrei, während ein Endschalter nach fünfhunderttausend bis eine Million Schaltspiele von seiner Konzeption her kaputt sein müßte. Ohne daß er mechanisch beschädigt worden wäre, kann ein berührungslos wirkender Initiator zehn Millionen Schaltspiele vertragen. Damit wär' also eine enorme Lebensfähigkeit da. Wenn Sie aber jetzt nicht fertig bringen, dem Betreibenden oder dem Werkzeugmacher oder dem Schlosser, der den Betätiger für diesen Initiator anbringt — bei getrennter Fachgruppenverantwortung —, daß dieser Initiator nicht berührt werden soll, sondern nur bedämpft werden soll, also in einem bestimmten Luftabstand mit Spalt bedämpft wird, wenn Sie nicht fertig bringen, das dem beizubringen, dann zerstören Sie den gegenüber einem herkömmlichen Endschalter teureren Initiator und haben nix verdient. Ja?! Das heißt also, hier ist ganz deutlich erkennbar, Zusammenspiel, da entwickelt einer etwas, um besser leben zu können; wenn aber der andere, der seine Abhängigkeit hat, nicht mitzieht, war dieser Aufwand umsonst. Da könnte ich Ihnen einige Beispiele bringen. Und darum, wenn dieser universelle Mann da ist, der die Leute entweder schon in sich beinhaltet und auch ausführt, oder wenigstens koordiniert, dann ham Sie doch da an sich nur den Gedanken, da muß ich ein Team bilden, hier muß ich irgendwie zusammenkommen zwischen den verschiedenen Fachgruppen.
Ob diese Teambüdung die Vergesellschaftung der Denkformen der verschiedenen Facharbeitergruppen herbeizuführen vermag, ist fragwürdig. Denkbar ist, daß dieser Vergesellschaftungsdruck zu einer neuen Konkurrenz zwischen Produktions- und Facharbeiter führt. Denn in die Tätigkeiten der Produktionsarbeiter an den automatischen Anlagen werden viele Elemente der Reparaturarbeiter, die ja früher, wie gesagt, das Entstörungsmonopol hatten, integriert, aber nicht als additives Gemengsei. Vielmehr fungieren die Produktionsarbeiter als Früherkenner und Schnelldiagnostizierer der oben dargestellten dysfunktionalen Überlagerungsprozesse. — Erforderlich ist für sie ein »epistemologischer Bruch« mit den Denkformen der verschiedenen Sparten der Reparatur-Facharbeiter. Denn in deren Denkformen werden die unterschiedlichen Spannungsfelder der Naturbeherrschung jeweils gegeneinander isoliert gedacht: Diese Art des Denkens ist auch ein Effekt der gegen die Produktionsarbeiter gerichteten Verbindung zwischen verschiedenen Facharbeitergruppen, in der sich die verschiedenen Sparten da* Facharbeiter mit ihren jeweils unterschiedlichen Eingriffspraxen als »Wir-Facharbeiter« zum handlungsfähigen Machtblock in der Fabrik zusammenschließen. Dies Zusammenschließen kann nur funktionieren als sorgfältige Abgrenzung/Abschottung der Praxen gegeneinander, die durch die Berufsausbildung schon sorgfältig vorbereitet wird. — Von daher mag es begreiflich werden, warum Reparaturarbeiter auch in der Phase der Automation immer noch »ihr« jeweiliges Spannungsfeld der Naturbeherrschung isoliert denken, damit in den objektiven Gedankenformen vorautomatischer Reparaturpraxen verhafARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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tet bleiben; auch wenn sie schon längst mit anderen Facharbeitersparten des Reparaturbereichs an automatischen Anlagen kooperieren. — Es mag nun ebenso begreiflich werden, warum Produktionsarbeiter an automatisierten Fertigungsanlagen Entstörungsfähigkeiten zur Zeit entwickeln können, die den Entstörungskompetenzen der offiziell mit dem Entstörungsmonopol ausgestatteten Reparaturarbeitern überlegen sind. Dies kann zur verschleißenden Dauerauseinandersetzung zwischen Produktions- und Reparaturfacharbeitern führen. Perspektiven der Weiterentwicklung der Tätigkeiten im Bereich derer, die als »sekundäre Facharbeiter« fungieren: a) Von der Reparatur zur die Gesamtheit der Anlagen einbeziehenden Schwachstellenforschung. b) Entwicklung von Spezialisierungsschwerpunkten, Hydraulik etc. Aber dabei ist dann immer die Überlagerung mit anderen Spannungsfeldern mitzudenken und -berücksichtigen. Der Schwerpunkt liegt hier aber nicht auf kurzfristiger Handlungsfähigkeit wie bei den Produktionsarbeitern, die von einem Störungsfall zum anderen zu eilen haben, sich nicht in die Einzelstörung so vertiefen können, c) Wachsendes Gewicht bei der Beratung jener Maschinenbaufirmen, die derzeit schon die nächste Anlagengeneration konstruieren: Kooperation mit den dortigen Konstrukteuren unter Auswertung der praktischen Erfahrungen mit der derzeitigen Anlagengeneration. Wir beobachteten ein Sich-Ineinander-Schieben der Tätigkeitsfelder von Produktions- und Reparatur-Facharbeitern. Dies muß natürlich wegen der Überbesetzung des gemeinsamen »Niemandslandes« zu Verschleißerscheinungen führen. Daher ist entweder die Weiterentwicklung der Reparatur-Facharbeiter auf den skizzierten Pfaden oder deren partielle Verdrängung durch die Produktionsarbeiter zu erwarten. Grenzverschiebungen zwischen Maschinenbedienern und Programmierern Mit und für NC-Maschinen arbeiten Maschinenbediener, Einrichter, Werkzeugvorbereiter, Programmierer und Instandhalter. Sie sind formell Facharbeiter oder werden aus Facharbeiterberufen, insbesondere der Metallverarbeitung, rekrutiert (vgl. AS 43,167ff. und 206f.). Welche Tendenzen bestimmen diese Entwicklung? Welche werden sie bestimmen? Eine ist die Spezialisierung: Forciert entwickeln sich Ausschnitte aus diesen Facharbeiterberufen. Daß das Vorbereiten der NC-Werkzeuge schneller und besser getan wird, wenn ein Arbeiter nur dies tut, ist generell beobachtbar bei Arbeitsteilungen, die inhaltlich gleichartige, in bezug auf den Stand der Naturbeherrschung gleichentwickelte Arbeitsfunktionen zu Arbeitsplätzen zusammenbündeln. Arbeitsteilung vermindert oft die Gesamtsumme der vom einzelnen Arbeiter nutzbaren Entwicklungszeit; dennoch verbleibt EntARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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wicklungsraum innerhalb des eingeengten Tätigkeitsfeldes; dort kann enorme Effizienz sich entwickeln. Mit dieser Produktivitätssteigerung durch Vereinseitigung ist ein positiver Effekt, der die Spezialisierung »Werkzeugvorbereiter« anstoßen und stabilisieren kann, nur auf der Ebene ganz allgemeiner Gesetze bestimmt. Das Gesetz zu nutzen, ist da besonders effektiv, wo Gegenstände, Mittel und Produkte des Arbeitens, damit auch die Arbeitstaten relativ festgelegt sind. Die Automation bedeutet da eine Gegenbewegung. Die moderne NC-Technologie etwa ermöglicht ständigen Wechsel des Produkts, d.h. ganz unterschiedliche Produkte werden in kleinen Serien mit einer vom Standpunkt prä-elektronischer Fertigung kaum vorstellbaren Genauigkeit und Kürze der Umrüstzeit hergestellt. Die Zeiten für das Umrüsten von einer Serie zur anderen und für das Einfahren der neuen Programme sind für den Maschinenbediener und/oder Einrichter kürzer, wenn er, statt sie selber vorzubereiten, auf voreingestellte Werkzeuge zugreifen kann. — Je größer ein Betrieb ist, je mehr NC-Maschinen er anwendet, desto lohnender ist die Spezialisierung von einem oder mehreren Arbeitern zu Werkzeugvorbereitern. Automation übt hier einen Druck aus, Arbeitsfunktionen zu entkoppeln. Da nicht mehr Augen und Hände der Maschinenbediener die Werkzeuge steuern, sondern Elektronik, können Genauigkeit und Tempo der Bearbeitungsoperationen steigen, aber die Belastbarkeit der Werkzeuge setzt da eine Grenze. Die Werkstoffwissenschaft verschiebt sie ständig und ändert damit die Tätigkeiten der Werkzeugvorbereiter. Sie müssen über die Einsatzmöglichkeiten der neuen Werkstoffe informiert sein und informieren können. Durch die Spezialisierung wird hier für den Arbeiter einerseits ein kleinerer Ausschnitt aus der Gesamtheit der Bearbeitungshandlungen eingriffsrelevant, andererseits bezieht sich sein Wissen über die Werkzeuge nun auf eine Vielzahl unterschiedlicher Werkzeugmaschinen und er kann sich die Umbrüche der Werkstoffwissenschaft nur durch bewußte Lernanstrengungen transparent machen. Es liegt gerade in dieser Spezialisierung wiederum eine Herausforderung zur Universalität. Durch die Entkoppelung von Arbeitsfunktionen entstehen nun Produktionsprobleme, die nicht eindeutig in den Tätigkeitsbereich eines Spezialisten fallen. Zwei oder mehrere müssen sich zur Lösung zusammenfinden. Daß jeder das selbst will und initiieren kann, setzt Überblick über und Engagement für den gesamten Fertigungsprozeß voraus. — Bei vielen Problemen ist der Standpunkt derer wichtig, die ständig an bestimmten NC-Maschinen arbeiten, der Maschinenbediener und Einrichter. Diese Trennung existiert häufig in größeren Betrieben^ die mit einfachen NCMaschinen größere Serien produzieren, ist aber bei kleinen Serien oft schon aufgehoben. In die Arbeitan NC-Bearbeitungszentren ist überdies oft auch noch das Korrigieren und Optimieren der Programme integriert. Es zeichnet sich damit die Möglichkeit universeller Spezialisten des unmitARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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telbaren Produzierens ab. Das Mögliche verwirklicht sich hier aber nur in Widersprüchen und Krisen. In der Regel setzen die Unternehmer voraus, daß die Maschinenbediener bereits an konventionellen Werkzeugmaschinen gearbeitet haben oder sie werden »zunächst an konventionellen Werkzeugmaschinen ausprobiert, bevor sie an die NC-Maschinen kommen«. Für die Überwachung und Kontrolle der Zerspanungsvorgänge und das Erkennen von Fehlern sind diese Kenntnisse wichtig. Für das Eingreifen in den Lauf der Maschinen aber ist das keineswegs hinreichend, dazu müssen sie wissen, wie die Steuerungstechnik funktioniert und wie die Programme aufgebaut sind. Das hier nötige Wissen und Können wird ihnen nur selten in entsprechenden Kursen vermittelt; sie sind daher z.B. bei Optimierungen oder in Störungsfällen allein nicht handlungsfähig. Ob und wie sie sich Wissen und Können in der praktischen Arbeit aneignen können, hängt von den Beziehungen zu den anderen Spezialisten ab; sind diese aus Lohnarbeiterkonkurrenz darauf bedacht, ihr Spezialistenkönnen für sich zu behalten, können sie nur aus Beobachtungen lernen. Die eingeschränkten Fähigkeiten des Maschinenbedieners haben aber nicht nur längere Stillstandszeiten zur Folge, sondern auch Arbeitszeiten anderer Arbeiter werden damit gebunden. Aus diesen ökonomischen Gründen gehen daher Betriebe dazu über, die Funktionen von Bedienung und Einrichtung zusammenzufassen und den Facharbeitern eine systematisierte Weiterbildung mit Grundlehrgängen in Meßverfahren, Zerspanung, Pneumatik, Hydraulik, Methoden der Störungssuche, Programmieren und Arbeitsvorbereitung zu geben. Volksschul- oder Hauptschulbildung als Grundlage aber sei dafür nicht mehr hinreichend. Vielfach wird die Kombination von Maschinenschlosser mit Zerspanungstechnik und Grundlagen in Elektrik/Elektronik, Hydraulik und Programmierung als die ideale Grundausbüdung für den Umgang mit der NC-Technologie angesehen. Die Maschinenschlosser bringen aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung eine größere Flexibilität mit als z.B. Dreher oder Fräser. Zudem zeigt ein Blick in die Ausbildungspläne für Maschinenschlosser, daß sie nicht nur im Zerlegen, Reparieren und Montieren von Maschinen geschult werden, sondern, damit sie z.B. Ersatzteüe selbständig herstellen können, auch in den verschiedenen Bearbeitungsverfahren mit Werkzeugmaschinen. Sie erlangen damit Handlungsfähigkeiten, die sie nicht nur befähigen, vieles rascher selber zu tun, sondern auch kompetent machen, genau zu beurteilen, wann und wozu sie die Unterstützung welches Spezialisten benötigen. Er kann ihnen ein kompetenter Partner sein, ihre Taten kritisch unterstützen und von ihnen lernen. Gewinn an Handlungsfähigkeit des Maschinenbedieners, die Verschiebimg seiner Fähigkeitsgrenzen, bedeuten nicht ein Verlust an Handlungsfähigkeit für die anderen Spezialisten, keine Einengung ihrer Fähigkeiten, sondern eine Steigerung ihrer Produktivität und Konzentration ihrer Handlungsfähigkeiten auf besondere Problemfälle. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Die Arbeit des Werkzeugvorbereiters ist ein wichtiges Segment der Einrichtung von NC-Werkzeugmaschinen. Er hat die Werkzeuge und Spanmittel auszuwählen, ihre Tauglichkeit für die geforderten Leistungen zu überprüfen und zu korrigieren und sie vor allem mit höchster Genauigkeit einzurichten. Von der beruflichen Vorbildung her wurden an diesen Arbeitsplätzen in den meisten Betrieben Werkzeugmaschinen-Facharbeiter beschäftigt. Ihr Arbeitsplatz ist eine Mischung zwischen einem Laborplatz mit vielerlei Meßgeräten und einem Montageplatz mit vielen Werkzeugen und kleinen Maschinen, z.B. zum Schärfen von Drehstählen. Von ihnen wird gesagt, daß sie »fast Konstrukteurskenntnisse« haben und über die NC-Technologie Bescheid wissen müßten wie die Maschinenbediener. Es handelt sich hier um eine Schnittstelle zwischen Konstruktion und Fertigung. Von der Vorbereitung der Werkzeuge hängt die Qualität der Produkte wesentlich ab. Die Qualität seiner Arbeit ist vom Maschinenbediener nicht unmittelbar kontrollierbar; Mängel der Voreinstellung zeigen sich häufig erst während der Bearbeitung und können daher zu irreversiblen Fehlern am Produkt führen. Es besteht eine einseitige Abhängigkeit des Bedieners vom Voreinsteller. Gegenüber der Konstruktion und Arbeitsvorbereitung prüft er z.B., ob es günstiger ist, ein neues Werkzeug anzuschaffen oder besser, die Konstruktion zu verändern. Er ist hier für Konstruktion und Produktionsplanung ein gewichtiger Gewährsmann der praktischen Realisierung der geplanten Konstruktionen. Die NC-Programmierer haben früher meist selber an Werkzeugmaschinen als Facharbeiter gearbeitet. Von der Funktion her, ein Programm für die Abfolge der Bearbeitungsschritte aufzustellen, ist das einleuchtend, daß es die Aufgabe des Facharbeiters war, anhand der Zeichnung und des Arbeitsauftrages sich die Reihenfolge der einzelnen Bearbeitungsschritte selbständig zu überlegen und sie zu berechnen. In vielen Betrieben werden nur dann Facharbeiter zu Programmierern weiterqualifiziert, wenn sie im theoretischen Teil ihrer Facharbeiter-Prüfimg mindestens mit der Note 2 abgeschlossen haben. — Am besten sei es, so wird gesagt, wenn sie mittlere Reife und Technikerschule als Vorbildung erfolgreich hinter sich gebracht hätten. Eine verwissenschaftlichte Arbeitsvorbereitung stellt höhere theoretische Anforderungen als durch die traditionelle Facharbeiterausbildung abgedeckt werden können. Ihre Arbeitsplätze befinden sich in Büros neben den Werkstätten; sie werden als Angestellte beschäftigt; Papier und Bleistift und Computer sind ihre Arbeitsmittel. Die Straßenkleidung oder der graue. Kittel sind äußerliches Zeichen eines Aufstiegs aus der schmutzigen Werkstattarbeit. Sie befinden sich in der Position, in der sie den Bedienern sagen, wie sie die Werkstücke zu bearbeiten haben und welche Werkzeugmagazine sie dafür vom Voreinsteller bekommen, obgleich sie ohne das Wissen und Können der Bediener in den meisten Fällen keine optimalen Bearbeitungsprogramme erstellen können. Sie kennen die ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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NC-Technologie, aber sie haben selber als Bediener nur selten praktische Erfahrungen sammeln können. Im praktischen Teil der Facharbeiter-Ausbildung gab es keine Ausbildung an NC-Maschinen. Nirgends hörten wir, daß die Bedienung von NC-Maschinen zur Vorbildung der Programmierer gehört; das erklärt zum Teil, warum so viele Programme optimiert werden müssen. Zugleich sind in seine Tätigkeiten auch solche der Fertigungsorganisation und Kalkulation integriert, die traditionell beim Betriebs- oder Fertigungsingenieur lagen. Wenngleich er in keinem Betrieb Vorgesetztenfunktional hatte, ist seine Tätigkeit eine, die ihn faktisch in ein Anweisungsverhältnis zum Bediener und Vorbereiter setzt. Mit der Entwicklung der CNC-Maschinen beginnt sich diese Beziehung zwischen Programmierer und Bediener radikal zu ändern. Der Bediener übernimmt die Programmierung direkt an der Maschine. Die Divergenz der Handlungsfähigkeiten schlägt um in eine Konvergenzbewegung der NC-Produktionsspezialisten. Indem der Bediener sich die Fähigkeiten aneignet, ein Programm vollständig selber zu erstellen und zu berechnen, verändert er seine Position gegenüber den Programmierern: Er ist nicht mehr nur der praktische Kritiker von im Büro entworfener Programme und der Empfänger von Anweisungen. Die strukturelle Ungleichheit zwischen Theorie und Praxis wird aufgehoben; die Beziehungen zwischen Programmierer und Bediener werden gleichberechtigt. Wieweit die Bediener von CNC-Maschinen die Programmierung übernehmen, hängt vor allem von der benötigten Programmierzeit ab, denn als Programmierplatz ist eine CNC-Maschine zu teuer. Die jüngste technische Entwicklung ermöglicht es jedoch, Bearbeitimg und Programmierung des nächsten Werkstücks gleichzeitig an der Maschine zu erledigen. Programme werden daher nicht mehr ausschließlich in den Programmierbüros erstellt und das Programmieren ist nicht mehr allein eine Fähigkeit der Programmierer, neben den Bedienern tun dies auch Einrichter oder Meister (vgl. ISI1981; Sorge u.a. 1982, 147ff.). Oberflächlich betrachtet erscheint die Entwicklung der NC-Qualifikationen als eine Polarisierung eines ursprünglich einheitlichen Qualifikationsbildes. Wenngleich die Entwicklungen nicht einheitlich sind, zeigte doch die nähere Untersuchung der einzelnen Tätigkeitspositionen, daß jeweils eine spezialisierende Weiterentwicklung von Berufssegmenten der Werkzeugmaschinen-Facharbeiter erfolgt, die zugleich eine Integration der 13 verschiedenen traditionellen Werkzeugmaschinen-Ausbildungsberufe bedeutet (vgl. Buschhaus 1982). Die Teilung der Tätigkeiten ist somit verbunden mit einer Integration und Spezialisierung von Qualifikationen. Wir haben es mit einer divergenten Entwicklung der Handlungsfähigkeiten zu tun, wobei die Beziehungen zwischen den jeweiligen Spezialisten durch strukturelle Ungleichheiten gekennzeichnet sind, wie z.B. zwischen Bediener und Programmierer. Jedoch ist eine solche Abbildung der EntARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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wicklung ebenso falsch, weil sie nur das Trennende hervorhebt. Die Teilung erfordert zugleich Handlungsfähigkeiten zur Herstellung eines neuen Zusammenhangs. Die untersuchten Spezialisierungen zeigen Ansätze einer neuen Universalität und damit Erweiterungen der Handlungsfähigkeiten. Der traditionelle Abstand in den Handlungsfähigkeiten zwischen Facharbeitern, Arbeitsvorbereitern und Konstrukteuren schrumpft. Mit der Entwicklung der CNC-Technologie werden die strukturellen Ungleichheiten durch Integration von Tätigkeiten und Qualifikationen aufgehoben. Wenn der Bediener sowohl einrichten als auch programmieren kann, und damit Elemente der Arbeitsvorbereitung zur Produktion kommen, wird die Arbeitsteilung flexibel. Die Angleichung der Handlungsfähigkeiten von Maschinenbediener, Werkzeugvorbereiter, Einrichter und Programmierer wird in einem der von uns untersuchten Betriebe als Unternehmerprojekt betrieben: Dort werden für alle gemeinsame Trainingskurse auf freiwilliger Basis durchgeführt, in denen systematische Fragetechniken zur Situationsanalyse, Problemanalyse und Entscheidungsfindung gelernt werden. Daran wird auch deutlich, daß mit der Angleichung ein Kernelement hierarchischer Leitung, nämlich Problemsituationen analysieren und Entscheidungen treffen zu können, an die Produktionsarbeiter geht. Gewerkschafter gegen Universalisieruiig Nicht nur das Faktum der Grenzüberschreitung, auch seine Abbildungsweise durch die Gewerkschafter, die selber Facharbeiter sind, ist aufschlußreich, weil in ihr Formen eines Abgrenzungsdenkens erkennbar werden. Einer von ihnen artikuliert die Grenzüberschreitungen der Produktionsarbeiter in einer Weise, die eine eigentümliche Verwandtschaft mit rassistischen Denkweisen anklingen läßt. Die Grenzüberschreiter werden nämlich in einer Weise beschrieben, die sie als Affen erscheinen läßt — ohne daß dies Wort selbst benutzt wird. Aber die Bedeutung drängt sich auf, weil die Produktionsarbeiter als äffische Nachahmer der Eingriffe der Elektriker dargestellt werden. Ein freigestellter Betriebsrat, er war vor 7 Jahren noch selber Reparatur-Facharbeiter: Graue Eminenzen haben den Einrichtern über dunkle Kanäle Schlüssel für die Elektrokästen besorgt. Der Einrichter guckt dem Elektriker über die Schulter, wenn er am Schaltkasten arbeitet. Bei einer Störung geht er heimlich schnell an den Kasten und drückt den Knopf rein. [Der technische Hintergrund: Es handelt sich vor allem darum, daß überlastete Elektromotoren sich erhitzten. Durch die Erhitzung wird ein Bimetallschalter automatisch betätigt und der Motor schaltet sich dadurch ab. Diese Selbstabschaltung kommt ebenso durch eine vorübergehende wie auch dauernde Überlastung des Motors zustande, ist im zweiten Fall also nur Symptom für eine möglicherweise tiefer liegende und folgenreiche Störung. Das Äffische des Einrichters wird nun nicht nur artikuliert in der bloßen Nachahmung, sondern auch in der sturen Wiederholung des ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Nachahmungsaktes.] Der Betriebsrat: Warum sich der Motor abgeschaltet hat, ist dem Einrichter egal. Er druckt den Bimetallschalter immer wieder rein! Irgendwann gibt es dann den großen Knall, der Motor geht kaputt oder sonstwas. Der Elektriker hätte das gemerkt, was da nicht stimmt. Das Äffische wird aber nicht nur bedeutet, sondern — so berichtet uns ein Arbeiter unterm Siegel der Verschwiegenheit — auch direkt ausgesprochen, wenn Facharbeiter unter sich sind. Da werde schon mal gesagt: »Wir schaffen den Bandaffen doch die Voraussetzungen, damit die überhaupt arbeiten können!« Die Bezeichnung »Bandaffen« gilt den NichtFacharbeitern insgesamt, abstrahiert aggressiv vom Umstand, daß viele Produktionsarbeiter überhaupt nichts mit Fließbandarbeit zu tun haben. Die Facharbeiter selbst werden im Werk gelegentlich in einer Mischung von Respekt und Kopfschütteln über ihre Eingebildetheit die »königlichbayerischen Facharbeiter« genannt. — Könige der Produktion? Die Rede vom »Voraussetzungen schaffen, damit die Bandaffen überhaupt erst arbeiten können«, verweist darauf, daß die Facharbeiter ihr Verhältnis zu den Produktionsarbeitern in den Kategorien einer Art Patriarchalismus denken: Sie erscheinen als die Gebenden, die Produktionsarbeiter als eine Menschenart, die nicht geben, sondern nur nehmen kann: Wie Kinder beispielsweise oder wie Arbeitnehmer Arbeitgebern erscheinen. Warum diese angestrengte Bemühung der Facharbeiter, sich als Herren zu konstituieren, indem sie die Produktionsarbeiter hie und da in die Nähe von Affen, Kindern, Untertanen, Arbeitnehmern geraten lassen? Ist dies nichts anderes als eben der altbekannte Elitarismus der Facharbeiter, die ungeheuer stolz sind auf ihre produktionsstrategische Bedeutung, die sich aus ihren Kompetenzen der Naturbeherrschung ableiten? »Wenn wir nicht mehr wollen«, so sagen sie den Berichten nach gelegentlich, »dann läuft im Werk nichts.« Aber hat dieser Stolz nicht mittlerweile verkrampfte Züge? — So überaus eindeutig war die Abgrenzung der Tätigkeitsfelder zwischen den Produktionsarbeitern, insbesondere den Einrichtern, und den Reparateuren auch früher nicht: Die Einrichter [so sagt uns ein Gewerkschafter] haben nach 10 Jahren einen so großen Erfahrungsschatz, daß sie Störungs- und Fehlerhinweise sehr gut geben können, auch wenn sie es selbst nicht reparieren können. [Diese Aussage wird noch zugespitzt.] (...) An den früheren Maschinen gab es wenige Fehlermöglichkeiten; wenn der Einrichter sich das zugetraut hätte, das selbst zu machen, hätte er das machen können.
Wenn aber die Störungen gegenwärtig immer komplizierter werden, und dies erfuhren wir immer wieder, wie erklären sich dann folgende Aussagen: Jetzt gibt es noch die große Elite Fachabteilung. Aber die Tendenz zur Fachabteilung ist im Schwinden. (...) Wenn wir in der Gewerkschaft sagen, wir müssen uns über Facharbeiter unterhalten, geht ein Raunen durch die Facharbeitern. (...) Wenn die Qualifikation des Einrichters steigt, haben die Facharbeiter Angst vor der Konkurrenz der Einrichter. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Am wenigsten bedroht empfinden sich, wie man uns erklärt, die Elektriker. Zwar sind die automatischen Anlagen »Neuland für die Elektriker«, aber die Störungen seien oft im Bereich der elektrischen Steuerungselemente, die Elektriker seien die wichtigsten Facharbeiter. — Dennoch gebe es einen permanenten Streit um die Frage: Wieviel Elektriker braucht man? Aber wodurch sind eigentlich auch die Elektriker bedroht? — Ein eigentümliches Phänomen ist, daß im Werk jedermann, auch die Sicherheitsfachleute, wie uns gesagt wurde, über den »illegalen« Zugriff der Einrichter auf die Schlüssel zu den Elektro-Schalt-Kästen informiert sind. Was soll durch die allgemeine Toleranz gegenüber diesen Grenzüberschreitungen bewiesen werden? Die grauen Eminenzen, die die Schlüssel besorgen, stecken, wie wir erfahren, unter einer Decke mit den Vorgesetzten. Die Vorgesetzten wollen offensichtlich beweisen, daß das Monopol der Elektriker auf Eingriffe ins Elektrische schadlos brechbar ist. Die Elektriker wiederum hoffen auf den »großen Knall«: Indem sie Grenzüberschreitungen tolerieren, arbeiten sie am Absurditätsbeweis, wie sie meinen. — Für welche Schlacht sind diese Vorgeplänkel der Auftakt? Die Facharbeiter sind in der Gewerkschaft recht stark repräsentiert. Nur wenige Betriebsräte, die freigestellt sind, kommen nicht aus dem Facharbeiterbereich. Die Facharbeiter verdienen wesentlich mehr als die Produktionsarbeiter. Dies bewegt die Unternehmensseite dazu, die Zahl der Elektriker möglichst gering zu halten. Trotz der zunehmenden Bedeutung von Elektrotechnik und Elektronik sind von 14 Tausend Arbeitenden im Werk nur 200 als Elektriker beschäftigt. Die Unternehmensseite ist nun aber auch an der Minimierung der Stillstandszeiten der teuren Anlagen interessiert, und dieses Ziel beißt sich natürlich mit dem, die Elektrikerzahl niedrig zu halten. Die Unternehmeridee: Es sollen Einrichter zu »Produktions-Facharbeitern« weitergebildet werden durch einen Halbjahres-Kurs. In dem internen Planungspapier der Unternehmer heißt es zu diesem Projekt einer Universalisierung, die zugleich eine Zersplitterung und Hierarchisierung der unmittelbar an den Maschinen Produzierenden ist: (...) Problem der schnellen Reaktion im Störungsfall. Ein Höchstmaß an Flexibilität ist notwendig. (...) Die Tätigkeit des zukünftigen Leistungslöhners [die »eigentlichen« Facharbeiter sind im Zeitlohn beschäftigt, die Einrichter und Maschinenführer dagegen im Zeit- bzw. Leistungslohn; d.Verf.] muß Wartungs- und Reparaturarbeiten im begrenzten Umfang enthalten. Es sollen nicht die Kompetenzen der Fachabteilungen beschnitten werden, Veränderungen der Organisationsstruktur sind jedoch nicht ausgeschlossen. (..) Die Realisierung der neuen Philosophie »Produzieren, Warten und Reparieren« ist aufgrund des großen Potentials gelernter Facharbeiter im produktiven Bereich schon heute durchsetzbar. (...) Die Anreicherung der Tätigkeiten wirkt motivierend. Mit der Einführung des neuen Leistungslöhnertyps entstehen naturbedingt[?] Probleme, die mit dem Gesamtbetriebsrat zu lösen sind. Die Erweiterung der Tätigkeitspalette wird zwangsläufig höhere Lohnniveaus zur Folge haben. Sie ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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dürfen nicht an die Facharbeiterlöhne angekoppelt werden. (...) Es muß die Akzeptanz der Leistungslöhner [die ihren Status nicht verändern dürfen; d.Verf.] für das neue Leistungsgefüge erreicht werden. (...) Der Facharbeiter im Leistungslohn soll während der Unterbrechung aktiv an der Störungsbehebung mitwirken. Keine neuen Reparaturbedarfszeiten dürfen entstehen. [Letzteres bedeutet im Kern, wie man uns erklärte, daß der Produktions-Facharbeiter dem Unternehmerkonzept nach keine vorbeugenden Reparaturen machen dürfe. Die Brechung des Elektrikermonopols taucht im Universalisierungsvorstoß der Unternehmer mit folgenden Tätigkeiten selbständigen, aber »einfachen Reparierens« auf: »Wechsel von Endschaltern, Glühlampen, Autostaten«.]
Die Kapitalseite will eine alte formelle Tätigkeitsabgrenzung löschen, indem sie formell Produktionssituationen bestimmt, in denen es keine Grenzen mehr zwischen Produktions- und Facharbeitern geben soll, in denen also diese Arbeiter selbst informell bestimmen sollen, wer mit wem welche Arbeit tut. Das Löschen der Grenze ist gekoppelt mit dem Ziehen von zwei neuen Grenzen, die beide labil sind. Die eine trennt den neuen Arbeitertyp von den Facharbeitern und verlangt Akrobatisches: Beide Gruppen sollen die Grenze sofort abbauen beim Stillstand der automatischen Anlage und wieder aufbauen, wenn der Abbau Erfolge brachte und die Anlage wieder funktioniert. Wie die Arbeiter selbst einen solchen Flip-Flop-Mechanismus von Selbstfragmentierung und Universalisierung umarbeiten werden, welche Widerstandsformen und Arbeitskultur sie entwickeln werden, ob und wie der Mechanismus schließlich auf Flip oder Flop stehen bleibt, ist nicht prognostizierbar. Jedenfalls hat die Kapitalseite Grund genug zu ihrer Sorge um »die Akzeptanz der Leistungslöhner für das neue Leistungsgefüge«. Gleichartiges ist anzumerken zur zweiten neuen Grenze. Sie soll die Produktionsarbeiter selbst nach Tätigkeiten und Löhnen aufspalten in solche des alten und neuen Typs. Hier soll die duale klassifikatorische Logik des Flip-Flop so schalten: Solange die Anlage ungestört ist, sollen die Arbeiter die Grenzen zwischen ihnen auf »Aus« setzen, beim Anlagenstillstand auf »Ein«, — dann also, wenn es besonders produktionsfunktional wäre, daß alle, die mit und an der Anlage arbeiten, ihre individuellen Erkenntnisse und Erfahrungen in eine kollektive Störungsdiagnose und -behebung einbringen. Entweder brechen die Arbeiter mit dieser Logik des Flip-Flop oder die Produktion bricht zusammen. Aber auch vielerlei Mischformen können zustande kommen. Das Kapital schafft sich solche Probleme immer wieder aufgrund eines Zielwiderspruchs: Es will die Arbeiter in eine Leiter von Löhnen und anerkannten Qualifikationen einfügen; es will — insbesondere bei automatischer Produktion — Arbeiter, die »flexibel« sind, die angesichts implanbarer oder nur schwer planbarer Produktionssituationen ungehemmt sind durch Fremdverfügungen, die also je nach den Erfordernissen der Situation frei über die Nutzung ihres Fähigkeitspotentials verfügen können und ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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wollen. — Dieser Zielwiderspruch der Unternehmerseite macht ihr im Zitat vorgeführtes Universalisierungsprojekt so merkwürdig gebrochen und verweist zugleich auf mögliche Einbruchstellen für gewerkschaftliche Strategien. Wie stellen sich Gewerkschafter zu einem solchen Unternehmerprojekt einer Universalisierung in kleinen, lohnhierarchisch wohlabgemessenen Raten? Interessant in diesem Kontext ist eine Denkfigur, die sowohl eine Widerstandsform wie auch gerade als Widerstandsform eine Form der Selbstfesselung ist: In dem Unternehmerkonzept, so erklärt uns ein Gewerkschafter, »muß der Arbeiter bei Störungen nicht mehr rumstehen. Der Unternehmer will ein totales Ausnutzen seiner zur Verfügung stehenden Arbeitskraft.« Würde man dieser Argumentationsstruktur, die sich ja als Widerstand gegen das Kapital versteht, folgen, so wäre die ArbeiterAntwort auf die Universalisierungs-Vorstöße der Unternehmer nicht eine Universalisierung als Projekt der Arbeitenden, sondern eine Form der Arbeitszurückhaltung, in der man sich dem Zugriff der Unternehmer entzieht, indem man sich für ihn in der Arbeit als möglichst kleines Fragment zur Verfügung stellt. Hier stecken natürlich dann auch Lohnüberlegungen in diesem Konzept der Selbstfragmentierung: Man könnte von der Selbstfragmentierung ein wenig ablassen, wenn ein wenig mehr Lohn bezahlt würde. Was sich für den Kampf um hohe Akkordlöhne als sinnvoll erwiesen hat, mechanisch auf die Ebene der Qualifikationsentfaltung zu übertragen, führt aber in eine Sackgasse. Die Universalisierungstendenzen werden von einem Gewerkschafter als gefährliche Versuchungen für die Arbeitenden dargestellt; dies aber in einer Weise, daß die Lust, die hinter der Versuchung steckt, auch schon als fast illegal definiert, sie als ungeheure Macht nicht anerkannt wird: Der Produktions-Facharbeiter sollte in allem ausgebildet werden, was vorkommen könnte, vom Schlosser, Maschinenschlosser, Rohrschlosser, Werkzeugmacher bis zum Elektriker, in 2 Jahren. (...) Der Elektriker lernt 3 1/2 Jahre. Die Produktions-Facharbeiter sollen in 1/4 Jahr alles mögliche über Elektrik und Elektronik lernen. Das kann doch nur dazu führen, daß auf etwas scharf gemacht wird, was zu Chaos führt. Wenn der, der einzelne, in den Betrieb zurückkommt, sagt er: »Ich will das in natura ausprobieren, wie das geht, was ich da gehört habe in der Theorie.«
Eigentümlich berührte uns, daß alle zitierten Äußerungen von Gewerkschaftern stammen, die sich in verschiedenen Zusammenhängen, so etwa der betrieblichen Weiterbildung für alle Arbeitenden, in der Erkämpfimg von Einrichterfunktionen für weibliche Maschinenbedienerinnen, kämpferisch eingesetzt haben. — Die Fülle der aggressiven, selbstfesselnden Phantasien verweist darauf, daß sie von einer schweren Krise ihrer bisherigen gewerkschaftlichen Konzepte ergriffen sind, daß sich etwas über ihnen und gegen sie zusammenbraut, das sie in seinem Zusammenhang nicht beARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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greifen; daher die Chaotik ihrer Abschüttelungsgedanken, daher der regressive Grundzug der Artikulationen. Wir skizzieren knapp die Hauptaspekte dieser Krise: 1. In der Produktion bildet der Anteil der ausgebildeten Facharbeiter schon immer einen großen Prozentsatz der Arbeiter, weil ein Vorgang stattfindet, den wir »Entnennung von Facharbeitern gegen Geld« nennen: Der Konzern kann aufgrund der hohen Löhne, die er zahlen kann, eine vorautomatische Universalisierung durchboxen: Die Arbeiter verzichten gegen den hohen Lohn auf ihren Anspruch, in ihrem »Fach« zu arbeiten und sind damit für den Konzern disponibel einsetzbar. Die Marxschen Vorstellungen einer totalen Disponibilität sind hier erfüllt, unter kapitalistischen Vorzeichen. — Mit der Automation wird diese Politik von der Unternehmensseite nimmehr ganz zielstrebig betrieben, wie unsere Interviews ergaben: Es werden ältere Arbeiter trotz ihres Alters bei der Einstellung gegenüber jüngeren Arbeitern bevorzugt, wenn sie einen Facharbeiterabschluß haben. Die entnannten Facharbeiter wollen bei ihrer Produktionsarbeit jede Chance nutzen, um qualifiziertere Arbeit, die der Facharbeit nahekommt, zu tun. Daher resultiert eine latente Feindseligkeit gegenüber den »eigentlichen« Facharbeitern, die beim Konzern als Facharbeiter ausgebüdet worden sind und damit das Privileg der Facharbeit lebenslänglich haben. 2. Der Anteil qualifizierter, aber »entnannter« Facharbeiter in der Produktion steigt durch eine Taktik der Gewerkschaften, mit der krisen- und automationsbedingten Arbeitslosigkeit fertig zu werden: Sie widerspricht nicht der Strategie der Unternehmensleitung, statt Massenentlassungen auszusprechen, bei denen sich die Gewerkschaften dann an der Auswahl der zu Entlassenden nach sozialen Kriterien beteiligten müßten, mit »freiwilligen Aufhebungsverträgen« zu operieren. Das heißt: Es wird denen, die freiwillig kündigen, eine größerefinanzielleAbfindung angeboten und es wird zu verstehen gegeben, daß andernfalls Massenentlassungen stattfinden. Folge: Es kündigen vor allem die gering Qualifizierten freiwillig, weil sie sich ausrechnen, daß sie im Fall der Massenentlassungen ohne Abfindungsgelder entlassen werden. — Die Gewerkschaften waschen so die Hände in Unschuld. Der betriebliche Gesamtarbeiter homogenisiert sich in seiner Qualifikationszusammensetzung. 3. Mit Unterstützung der Gewerkschaften werden wesentlich mehr Lehrlinge ausgebildet, als in den Fachabteilungen dann als Facharbeiter eingesetzt werden können. Das Unternehmen stellt dies als sozialen Beitrag dar, schafft sich so aber zugleich auch Reserven für die künftigen Automatisierungswellen. Diese konzernausgebildeten Facharbeiter werden nun vorübergehend »entnannt«, behalten ihren Ernennungsanspruch und werden als Produktionsarbeiter solange in der Produktion beschäftigt, bis in den Fachabteilungen für sie Platz entsteht. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Gegensätzliches Gleich werden
So kann es kommen, daß mitunter auch ausgebildete Elektroniker eine gewisse Zeit am Band stehen, Ausgebildete anderer Sparten länger. — Es bildet sich in der Produktion eine »Achse« smsdien den »entnannten« Facharbeitern und denen mit Ernennungsanspruch gegen die Privilegien der »eigentlichen« Facharbeiter, die z.T. schon aufgrund ihres Alters schlechter ausgebildet sind als die jungen »entnannten« mit Ernennungsanspruch. — Denn durch den Druck der Gewerkschaften ist die Ausbildung stark modernisiert worden, es findet im übrigen auch bei der Auswahl der Lehrlinge eine Selektion statt. Die jungen Facharbeiter in der Produktion sind ernsthafte Konkurrenten der »eigentlichen« Facharbeiter. Dies ist übrigens der Grund, warum die Gewerkschafter sich seit neuestem dem Konzept der Produktions-Facharbeiter positiv annähern; die jungen überschüssigen Facharbeiter sollen Produktions-Facharbeiter werden. Der Kampf geht nun um ihre Bezahlung. Das hierarchische Grundmodell der Unternehmer, Universalisierung der Produktionsarbeiter als Zersplitterung in Hierarchiestufen, ist damit nicht überwunden.
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7 Geschlechterverhältnisse Einrichter/Maschinenbedienerinnen und Setzer/Setzerinnen Fragestellung: Die »Männlichkeit« von Arbeitern Die Arbeitsbeziehungen sind vom Gesehlechterverhältnis überlagert und durchformt. Der auffälligste Effekt besteht darin, daß Automationsarbeit Männerarbeit ist. Der Geschlechtergegensatz ist anwesend als Abwesenheit der Frauen. Man findet sie nicht in den Reparaturabteilungen, nicht in den Meßwarten der automatisierten Verfahrensindustrie und nicht als Bedienerinnen von numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen in der Fertigungsindustrie. Mit der Robotisierung der Montage drohen in den 90er Jahren die Frauen gänzlich aus diesem Bereich verdrängt zu werden. Mit dem computerunterstützten Konstruieren wird das technische Zeichnen weitgehend überflüssig — diejenige Form, in der Frauen in der Konstruktion beschäftigt waren. Die Automatisierung der Büros führt heute schon zur Auflösimg der Datenerfassungsabteilungen und der zentralen Schreibbüros. Übrig bleibt langfristig der Sachbearbeiter — und der ist meist männlich (zur Verdrängung der Frauen aus den Büros vgl. Ohm/Karl 1982). Am ehesten findet man Frauen als Automationsarbeiterinnen in der Programmierung (vgl. hierzu in diesem Band Kapitel 2 sowie B. Nemitz 1983) und in den automatischen Labors vieler Krankenhäuser. In den folgenden beiden Interview-Bearbeitungen gehen wir der Frage nach, worin eigentlich »das Männliche« im Verhältnis von Automationsarbeitern zu Arbeiterinnen besteht. Wir wollen damit frühere Überlegungen weiterführen und modifizieren. Bislang hatten wir, Analysen von Willis (1979) zur Arbeiterkultur aufnehmend, vermutet, daß die männliche Identität von Facharbeitern vor allem um die Körperlichkeit herum gebaut ist; daß sie sich über den Körper, über Kraft und Geschicklichkeit definieren, in ein«: dreifachen Opposition: im Gegensatz zu »denen da oben«, zu den Intellektuellen und zu den Frauen (vgl. Räthzel 1981; W.F. Haug 1981; F. Haug 1982a). Insofern sich in der Arbeiterkultur Antiintellektualismus und Sexismus überlagern, wird damit intellektuelle Arbeit als unmännlich und als untergeordnet weiblich definiert. »Dequalifizierung« wäre dann die Bedrohung dieser männlichen Facharbeiterkultur durch weibische Kopfarbeit. Was wir in den Interviews erfahren konnten, paßte jedoch nicht ganz zu diesen Überlegungen; wir machen deshalb im folgenden einen neuen Anlauf, dem »Männlichen« auf die Spur zu kommen. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Wir haben Interviews mit solchen Automationsarbeitern geführt, die Positionen besetzen, welche für das Verhältnis zu Frauen typisch sind. Das erste Gespräch hatten wir mit einem Einrichter von Montagehalbautomaten, an denen Frauen arbeiten. Die Vollautomatisierung und damit die Abschaffung dieser Frauenarbeit steht hier, wie aus dem Verlauf des Interviews hervorgeht, ins Haus. Das zweite Gespräch führten wir mit einem Setzer. Setzer üben eine Tätigkeit aus, die ansonsten weitgehend Frauenarbeit ist: das Schreiben. Die Anforderungen an Setzer und an Schreibkräfte sind ähnlich, was Orthographie, Trennungsregeln, Grammatik, Textgestaltung angeht, beim Setzer kommen Maschinenkenntnisse hinzu. Trotz dieser Ähnlichkeiten hat sich erstaunlicherweise eine entgegengesetzte Bewertung dieser Tätigkeiten durchgesetzt: Setzer gelten als besonders qualifizierte Facharbeiter, Schreibkräfte als unqualifiziert, als »Tippsen«. Heute ist das Setzen der am weitesten computerisierte Bereich der Texterfassung; die jetzt mögliche Eingliederung der Erfassungstätigkeit in die Arbeit derjenigen, die die Texte erstellen, wurde mit dem Druckerstreik 1978 bislang verhindert. In den Büros mit den weit weniger gut organisierten weiblichen Schreibkräften läuft diese Entwicklung, zeitlich verschoben, ebenfalls ab, jedoch fast geräuschlos. Das Schreiben als Tätigkeit ist also, vermittelt über den Geschlechtergegensatz, gegensätzlich organisiert. Wir verfolgen, wie die Umstrukturierungen dieses Gefüges durch die Automatisierung von einem Setzer verarbeitet werden. Darüber, wie die einzelnen Männer an der Frauenunterdrückung im Betrieb mitwirken, wie sich ihre Einzeltaten verdichten zu einem Netz, das die Frauen ausgrenzt, belehrten uns Erzählungen zweier Frauen (qualifizierte Facharbeiterinnen) in Männerberufen. Wir stellen sie abschließend vor, auch mit dem Ziel, weitere Forschung anzuregen über den Zusammenhang von Männlichkeit, Arbeitskultur und Familienform. Entwicklungsloses Versorgen Als Fächangestellter wird man zuallererst mal für sein Verantwortungsbewußtsein bezahlt, weniger für körperliche Arbeit [erklärte uns Einrichter Uwe]. Also ich leiste keine körperliche Arbeit oder kaum. Erstens mal [wird man bezahlt] für sein Verantwortungsbewußtsein, Qualitätsbewußtsein und vielleicht noch, wie soll ich sagen: Leitfähigkeit oder Anleitfähigkeit oder Anlernfähigkeit — oder weiß der Teufel was — oder die Fähigkeit zum Führen oder auch nicht.
Uwe, Mitte 20, gelernter Werkzeugmacher, arbeitet in einem Betrieb der elektrotechnischen Industrie und ist als Einrichter 25 Frauen übergeordnet, die an Montageautomaten Akkordarbeit leisten (sie bestücken die Halbautomaten). In seinem Aufgabengebiet sind mehrere Funktionen vereint: Einrichtung, Materialbeschaffung, Qualitätskontrolle, Buchhaltung und Funktionen der Anleitung von Akkordarbeiterinnen. Diese VerARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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bindung ist keineswegs untypisch (vgl. dazu Mickler 1981, 38ff. über »sekundäre Facharbeiten«). Uwe ergänzt die uns bereits aus Unternehmeräußerungen bekannten Facharbeitertugenden »Verantwortung»- und Qualitätsbewußtsein« (vgl. dazu AS 55) um eine weitere: die »Leitfähigkeit« oder »Anlernfähigkeit«. Er tut dies zögernd; unsicher ist er sowohl in der Wahl der Begriffe — sie scheinen ihm keineswegs so leicht über die Lippen zu kommen wie die erstgenannten — wie auch in der Sache selbst: »vielleicht noch«, »oder weiß der Teufel was«, »oder auch nicht«. Wir ahnen den Konflikt: er ist gewerkschaftlich aktiv, zugleich hat er Weisungsbefugnisse gegenüber den Frauen. Wie lebt er diesen Konflikt? Er setzt die oben zitierte Darstellung fort: Das ist eine komische Geschichte. Du hast also auf der einen Seite Leute zu betreuen, hast es denen recht zu machen. (...) Eine Akkordfrau, die also den ganzen Tag nur eine bestimmte Tätigkeit auszuüben hat, die muß ungeheuer ranklotzen, um auf ihr Geld zu kommen, da das ja in Stückzahl abgerechnet wird. Also, wenn die nicht auf die entsprechende Stückzahl macht, kommt sie nicht auf ihren vollen Lohn. Die kann aber nur dann wirklich auf ihre Stückzahl kommen, wenn der Einrichter oder der verantwortliche Mann eben spurt: Maschine vernünftig einrichtet, Material zur Verfügung stellt usw. usf. Und deshalb die Geschichte: wenn einer dauernd pennt oder so, irgendwas vergißt oder die Maschine nicht vernünftig einrichtet, da hat er natürlich ungeheuren Druck — erstmal von den Arbeiterinnen, die um ihren Lohn betrogen sind, also mal ganz kraß ausgedrückt — und natürlich den Druck von oben. Das verdeutlicht diese Zwitterposition, die du da hast. Natürlich hast du Weisungsbefugnis, nur wenn du — diese Weisungsbefugnis nützt dir überhaupt nichts, wenn du Mist baust. Im Gegenteil.
Im Verlauf unseres Gesprächs kommt er nochmal auf seine Weisungsbefugnis zurück: Du hast dafür zu sorgen, daß pünktlich begonnen wird, pünktlich aufgehört wird — also nicht zu früh aufgehört wird und nicht zu spät begonnen wird — obwohl das im Endeffekt immer die Sache des einzelnen ist. Das heißt soviel wie: wenn die eine Akkordfrau, weil die ja eine bestimmte Stückzahl schaffen muß am Tag, also wenn sie zu spät anfängt und zu früh aufhört, dann geht das ja ans Geld: Das wird sie also schon von sich aus unterlassen. Dasselbe gilt auch für die Pausen. Wenn jemand meint, er müsse mal eine Pause überziehen, dann geht das an sein eigenes Geld. Du nimmst die Arbeitseinteilung vor, das heißt so viel wie: du kannst also entscheiden, welche Frau macht welchen Job. Die meisten Arbeiten, die meisten Akkordarbeiten, die meisten einfachen Maschinenarbeiten, die es in so einem Betrieb gibt, sind Arbeiten, die in der niedrigsten Lohnstufe bezahlt werden: die Lohngruppe I. Das heißt soviel wie: das kann jeder machen. Du kannst also Frauen umsetzen, wie du eigentlich grad Lust und Laune hast. Das ist rein theoretisch. Du wirst natürlich die Frauen immer nach ihren Talenten oder so einsetzen, nach ihren Fähigkeiten oder so. So was gehört eben auch dazu. Du entscheidest... wie ein kleiner selbstänARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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diger Betrieb natürlich: was wird zuerst gemacht, was kommt zum Schluß, was ist dringend, wo müssen wir ranklotzen oder wo ist Rückstand da usw., alles, was so zur Arbeitseinteilung gehört. (...) Also, deine Aufgabe besteht darin, festzuhalten: Was hat die Frau gemacht? Wieviel hat sie davon gemacht? Und das hast du einzutragen in Lohnbücher. Diese Bücher werden jeden Monat eingesammelt und gehen dann ins Lohnbüro, wo sie ausgewertet werden. Du hast eine Buchhaltung zu führen über das, was du reinbekommst und was du auslieferst, um da einen Überblick zu halten. Du hast, du bist zuständig für die Arbeitssicherheit und auch für die Einhaltung der Arbeitssicherheitsbestimmungen im Betrieb.
Sein Büd von seinen Aufgaben und seinem Tün ist mehrschichtig. Wir sehen ihn von den Frauen, die auf seine Materiallieferungen und sein vernünftiges Einrichten der Maschinen angewiesen sind, unter Druck gesetzt. Er zeigt sich verständnisvoll gegenüber den Ansprüchen der Frauen: »Die müssen ungeheuer ranklotzen.« Er vermittelt so den Eindruck, als könne er ihnen einen gewissen Respekt nicht verwehren. Gleichzeitig sehen wir ihn eben diese Frauen kontrollieren und über ihre Leistung buchführen; und er scheut sich nicht, »rein theoretisch« durchzuspielen, daß er die Frauen umsetzen kann, wie er gerade Lust hat. Er entwirft damit ein Bild selbstherrlicher Verfügung über sie. Er richtet nicht nur die Maschinen ein, sondern organisiert zugleich ihre möglichst effektive Anwendung durch Akkordarbeiterinnen. Insofern steht er in einer übergeordneten Position über den Frauen, in einer vertikalen Beziehung, hat teil an der Herrschaftsfunktion. Doch andererseits — das nennt er im ersten Zitat eine »komische Geschichte« — müsse er es diesen Untergeordneten auch »recht machen«. Erschienen die Frauen in seinen anderen Äußerungen eher wie köpf- und seelenlose Figuren, die er je nach den von ihm verfügten Notwendigkeiten hin und her schieben kann, so werden sie hier mächtig und gewaltig: »Wenn einer andauernd pennt oder so, irgendetwas vergißt oder die Maschine nicht vernünftig einrichtet, da hat er natürlich ungeheuren Druck erstmal von den Arbeiterinnen« — und dann erst und »natürlich«, dies erscheint ihm selbstverständlich und zugleich weniger bedrohlich, »von oben«. »Natürlich hast du Weisungsbefitgnis ... die ... nützt dir überhaupt nichts, wenn du Mist baust. Im Gegenteü.« Das soll wohl heißen: als Materiallieferer und Einrichter darfst du keine Fehler machen, denn sonst können die Frauen mit Recht und Nachweis über dich herfallen. Versuchst du dann deine Weisungsbefugnis herauszukehren, kannst du sie damit höchstens lächerlich machen. Er weist die Frauen an; zugleich kontrollieren die Frauen ihn. Er hat dafür zu sorgen, daß ihre Arbeitskraft in Arbeit verwandelt wird, aber umgekehrt machen auch die Frauen Druck, daß er seine Arbeitskraft einsetzt. In die vertikale Beziehung ist eine horizontale mit differenzierten Kompetenzen eingelassen, mit einem gegenseitigen Aufeinanderangewiesensein: Wenn die Frauen ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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aufgrund seiner Fehler ihre Arbeitskraft nicht maximal einsetzen können, kann auch er von oben belangt werden. Seine Führungsposition verschiebt sich innerhalb des Arrangements des Stücklohns zu der eines Zulieferers, dem die Frauen genau auf die Finger gucken können. Der ständige Druck zur Leistung des Einrichters wird durch den Druck des Stücklohnsystems erzeugt und kann — des Geldes wegen — die Frauen gnadenlos machen gegenüber möglichem Versagen des Einrichters. Interessant scheint uns, wie sich hier die Konflikte um den Stücklohn präsentieren. Bekannt sind uns Auseinandersetzungen zwischen Lohnarbeiter/inne/n und Unternehmern, wenn diese durch den Einsatz neuer produktiverer Maschinen und exakter Zeitnahme die Stückzahl heraufsetzen und den Lohn senken wollen. Hier wird der Konflikt auf einer anderen Ebene ausgefochten: als Konflikt zwischen den Frauen und dem männlichen Einrichter. Wie arrangiert sich der gewerkschaftlich aktive Einrichter innerhalb dieses Konfliktes? Er nimmt einfühlend den Standpunkt der Stücklöhnerinnen ein. Wenn der Einrichter nicht spure, würden die Frauen um ihren Lohn »betrogen«. Er fühlt sich ihnen gegenüber schuldig; er muß für sie sorgen. Wenn sie nicht auf ihre Stückzahl kommen, es aber selbst nicht »verschuldet« haben, dann ist er ein Betrüger. Diese Abbildung setzt zweierlei voraus: zum einen die reale Abhängigkeit der Frauen von seinen Taten und seine Verpflichtung, dementsprechend zu liefern, zum anderen die Voraussetzung, daß die Frauen Stücklöhnerinnen sind und bleiben wollen. Hier fühlt sich Uwe als Gewerkschafter verpflichtet — die Frauen so akzeptierend, wie sie sind —, dafür zu sorgen, daß sie zu dem kommen, was sie wollen: ihrem gerechten Lohn. Wie aber verhält sich diese Form einfühlender SoHdarisierung zu seinen Kontroll- und Aufsichtsfunktionen? In dem zweiten Zitat spricht er fast sadistisch von der »rein theoretischen« Möglichkeit, die Frauen »nach Lust und Laune« einzuteilen. »Du nimmst die Arbeitseinteilung vor, und das heißt soviel wie: du kannst also entscheiden, welche Frau macht welchen Job.« Das entscheidet er »wie ein kleiner selbständiger Betrieb« — nach dem, was anliegt. Das Gemeinsame in dieser verfügenden Haltung gegenüber den Frauen und in seiner Haltung als Gewerkschafter liegt wohl darin, daß er sich in beiden Fällen zu den Frauen als bloßen Lohnarbeiterinnen, als bloß um ihr Geld Besorgten verhält. Über seine eigene Arbeit spricht Uwe ganz anders: da wird auch Lohnarbeit zu einer Form der Selbstverwirklichung, so z.B. wenn er über seine verändernden Eingriffe an den Maschinen erzählt: Hab ich mich reingehangen und hab Änderungen anbringen lassen, die mir zum Vorteil dienen und nicht etwa der Firma. Ich hab selbst, wenigstens zum Teil, ein paar Konstruktionsfehler behoben, indem ich daran rumgebastelt habe ... Da passiert es mir ..., daß ich dann tatsächlich dieses ganze Einerlei verARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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gesse ..., daß ich da so ein Objekt vor mir zu stehen habe, was einfach nicht geht, und ich mich dann zwei Tage reinhänge: und plötzlich gehts. Oder auch seine Grenzen suchen, die Grenzen in Sachen Fertigkeit, in Sachen Wissen, die man auf die Maschine überträgt. Wenn man sie tatsächlich zum Laufen kriegt, dann bin ich wieder ein Stück größer geworden.
In der Sichtweise auf seine eigene Arbeit ist Entwicklung in und mit der Arbeit fast als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Sie ist im Blick auf die Akkordarbeiterinnen ausgemerzt. Er redet allerdings auch von »Talenten« und »Fähigkeiten« der Frauen: Die meisten ... Akkordarbeiten ... sind Arbeiten, die in der niedrigsten Lohnstufe angesiedelt sind ... Das heißt soviel wie: das kann jeder machen. Du kannst also Frauen umsetzen, wie du Lust und Laune hast... Du wirst natürlich die Frauen immer nach ihren Talenten oder so einsetzen, nach ihren Fähigkeiten oder so.
Die Aussage enthält einen merkwürdigen Widerspruch. Einerseits stellt Uwe die Arbeiten der Frauen dar als derart unqualifiziert, daß jede jedes gleichgut tun kann. Erscheinen ihm, der von hoch oben auf die Frauen herabblickt, die Unterschiede womöglich ganz unbedeutend? Andererseits führt er sie — fast noch im selben Atemzug — vor als ausgestattet mit »Talenten« und »Fähigkeiten«, teilt sie »natürlich« danach zur Arbeit ein. Welche Kriterien schweben ihm dabei vor? Nur die Maximierung des Ausstoßes? Oder Humanität als Weiterentwicklung? Wenn er die von ihm als fix betrachteten vorhandenen »Talente« als Ausgangspunkt nimmt und die Möglichkeiten der Frauen ausklammert, unterschiedliche Fähigkeiten in der Arbeit zu entwickeln, lassen sich wohl beide Kriterien miteinander vereinbaren. Die »Talente« einsetzen heißt dann: akzeptieren, daß es »natürliche« Entwicklungsunterschiede gibt, die unhinterfragbar so gelassen werden, wie sie sind. — Entwicklung ist da gar nicht erst denkbar. Als Lohnarbeiter ist Uwe einem Oben untergeordnet. Er steht am Kreuzungspunkt zwei«* sozialer Verhältnisse. Einerseits sind an ihn Kontrollfunktionen des Kapitals delegiert, von seinem Urteil über Qualität und Quantität der Produkte sind weibliche Lohnarbeiter abhängig; andererseits ist er als Lohnarbeiter selber abhängig davon, wie nachgelagerte Instanzen die Produkte beurteilen, die die ihm untergeordneten Frauen mit ihm zusammen herstellen. Er wird für Qualität und Quantität der Produkte zur Rechenschaft gezogen, wird kontrolliert. Wie lebt er diese Überlagerung, Kontrolleur und zugleich selber Kontrollierter zu sein? Eine Form, sich in diesem gegensätzlichen Verhältnis zu bewegen und sich Handlungsfähigkeit zu erhalten, ist das Konstruieren einer übergeordneten »Pflicht«. Ja aber, für was du in erster Linie bezahlt wirst bei der jetzigen Tätigkeit, ist also tatsächlich Verantwortungsbewußtsein, Qualitätsbewußtsein. Du... hast die Pflicht, jeden Tag Prüfungen vorzunehmen, Teüe zu nehmen, auf ihre RichtigARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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keit zu prüfen usw. usf. (...) Du als Einrichter bist verpflichtet, das hast du unterschrieben, dafür zu sorgen, daß immer genug Material da ist. Die Maschinen umzustellen. Also das ist eine ganz wichtige Pflicht ja. — Daß da also Qualität geliefert wird und nicht irgendein Murks. Kann man dir Murks auf Dauer nachweisen, macht sich das entweder in der Bezahlung bemerkbar: daß sie dir von der persönlichen Leistungszulage ... was nehmen, oder das kann auch sonstige Folgen haben. (...) Du hast also für die Betriebsbereitschaft zu sorgen.
Daß die von Uwe so stark betonte Kontrolle über Qualität auch die Kontrolle über die Frauen enthält, bleibt im Reden über »Pflicht« unausgesprochen. Warum kennzeichnet der Einrichter Aufgaben, die er qua Unterschrift, also vertraglich als Aufgaben angenommen hat, mit einem eher rigoros moralisch gefärbten Begriff wie »Pflicht«? Er entlastet sich, indem er sich darstellt als ein juristisch und damit zugleich auch moralisch gebundenes Subjekt, das einen Vertrag zu erfüllen hat. Der Vertragspartner, der Unternehmer, bleibt dabei ebenso ungenannt wie die Frauen. Der Gegensatz als Kontrolleur von Lohnarbeiterinnen zu fungieren und zugleich selber ein kontrollierter Lohnarbeiter zu sein ist verschoben auf das Gebiet des Rechts. Während Uwe Pflicht als ein wichtiges Motiv seiner Arbeit herausarbeitet und das Geld mehr im Hintergrund beläßt, bestimmt er die Arbeitsmotive der Frauen umgekehrt: Da gibt es Ge- und Verbote und als Hauptantriebskraft das Geld. Über diese Beweggründe der Frauen sieht er sein Verhältnis zu ihnen strukturiert, nicht über einen Vertrag, den gleichsam freie Subjekte selbständig miteinander eingegangen sind. Der reale Kern, um den herum sich Uwes Abgrenzung von den Frauen und seine Überordnung über sie aufbauen kann, sind deren unqualifizierte Tätigkeiten. Wir begreifen nun, wie er am Erhalt dieses Kerns arbeitet: Er hält die Frauen fest im Status unqualifizierter Tätigkeiten, sich in sie einfühlend und sie versorgend. Wir entdecken hier das Männliche als ein einfühlendes Versorgen, das in der Entwicklungslosigkeit beläßt, als eine Verantwortung und Sorge für Unterordnete, die deren Subalternität als natürlich ansieht und befestigt. Uwes Aussagen weisen darauf hin, daß seine Existenz als Automationsarbeiter letztlich doch mit seiner gegenwärtigen Facharbeiteridentität unverträglich werden kann. Warum ist sie von Erosion bedroht? Der status quo stellt sich für Uwe befriedigend dar. Indem er zeitweise intensiv an der Verbesserung von Maschinen arbeitet, kann er sich Zeiten für die Weiterentwicklung seines beruflichen Könnens und Wissens organisieren. Als Vorgesetzter und als fähiger Einrichter der Maschinen nimmt er Einfluß auf die Qualität der Produkte. Die Bedrohung sieht er im zu erwartenden Einsatz von entwickelteren Maschinen, die mehr Funktionen übernehmen und die »Einsparung der Frauen« möglich machen: ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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... und alles, was früher die Frau in ihrem Preis drin hatte — in ihrer Bezahlung: wie diverse Putzarbeiten — was auch eine Wartung der Maschine darstellt — oder gewisse Einfüllarbeiten: also Teile zuführen, fertige Teüe entnehmen, das geht nachher alles über auf den Einrichter, der mehr oder weniger dann zum Maschinenarbeiter abqualifiziert wird. (...) Na ja — die Rationalisierung geht ja so weit, daß auch auf Universalmaschinen, die du umrüsten mußt, verzichtet wird, und dann nur noch Vollautomaten hingestellt werden, die solange ... sie existieren, nur dieselbe Arbeit machen. Also du hast höchstens mal dann ne Reparatur, hast aber nie mehr Umrüstzeiten oder so ... nur noch Reparaturen und Wartung. Also doch mehr oder weniger qualifizierte Maschinenarbeiten, denn das ist die Tätigkeit eines Maschinenarbeiters.
Welche Momente dieser Zukunft blendet er aus? Die Arbeiten, die er als Einrichter/Bediener/Bestücker/Reparateur an einem künftigen Vollautomaten täte, würden sich in vielem von der gegenwärtigen Arbeit der Frauen an den Halbautomaten unterscheiden. Vor allem müßten die Vollautomaten nicht mehr im Akkord bestückt werden. Insofern fände ein Abstieg auf deren Tätigkeitsniveau nun wirklich nicht statt. Verlieren würde er allerdings seine Funktionen als Vorgesetzter und Koordinator gegenüber den Frauen. Ob indessen die Umrüstzeiten derart schrumpfen würden, wie er dies vermutet, bleibt offen. Gewiß würde sich durch sein Eingespannt-Sein in die laufende Produktion seine Zeitstruktur ändern. Die Zeit, mal ein paar Tag lang an einer Maschine »herumzufummeln« und so die Grenzen seiner Fähigkeiten zu testen, steht ihm dann wohl als selbstverständliches Privileg nicht mehr zur Verfügung. Er müßte sich das Recht darauf zusammen mit vielen anderen Arbeitern als allgemeines Recht erkämpfen. (Eigentümlicherweise spricht er im zweiten Zitat vom Reparieren und Warten als Tätigkeiten eines »Maschinenarbeiters«, obgleich die Frauen nur warten wie aus dem ersten Zitat zu entnehmen ist. Wir können nur vermuten, daß in der Opposition zu Umrüsten die Unterschiede zwischen Reparieren und Warten unwichtig werden.) Einsame Verantwortung Die oben untersuchte Situation, ein männlicher Automationsarbeiter arbeitet mit Restarbekeri/me/i zusammen, ist typisch für viele Bereiche der Produktion. Männliche und weibliche Automationsarbeiter/innen finden wir hauptsächlich im Büro und seit neuestem auch in der Druckindustrie — bei vergleichbaren Tätigkeiten in der Erfassung und Bearbeitung von Texten. Ulrich, ausgebildeter Setzer, arbeitet seit fast 20 Jahren in der Zeitungsherstellung. Vor der Umstellung auf Fotosatz war er nicht, wie die meisten seiner Kollegen, als Maschinensetzer tätig, sondern in der Montage. Heute setzt er am Bildschirm. Er spricht viel von wachsender Belastung, von zunehmender Isolation und verlorenem sozialen Kontakt. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Früher, das war ein anderes Arbeiten. Früher, da hat es noch Spaß gemacht. Früher, da hatte ich Kontakt mit Leuten, mit den Redakteuren, und — ich war nun eben Vorgesetzter da, ich konnte die Leute noch einteilen und so. Menschenführung oder so, das macht mir Spaß. Nur heute hab ich überhaupt keinen Menschen mehr, nur noch 'nen Computer. Und das macht keinen Spaß. [Er erläutert dies zunächst so:] Na, erstmal gibt es in der ganzen Stadt überhaupt keinen Menschen, der das überhaupt begreift. Wir müssen immer in X diese Firma da anrufen, wenn da irgendwo ein Fehler auftaucht... Und es gibt keinen Menschen, der das hier beherrscht, das ganze System.
Wie er uns von der neuen Arbeitssituation erzählte, sehen wir ihn einsam und isoliert, ständig am Rande der Verzweiflung mit den Tücken des neuen Systems kämpfend. Auf Kooperationsmöglichkeiten befragt, meinte er, so etwas gebe es nur in anderen Abteilungen des Betriebes. Er selbst habe niemanden, mit dem er sich verständigen könne. Wir fragten schließlich nach, wieviele Kollegen denn in »seiner Abteilung« beschäftigt seien — und waren sehr verblüfft zu erfahren, daß er gar nicht allein in einem Raum sitzt. Sehr zögernd antwortet er: Also — ich arbeite zusammen mit vier Frauen und, na ja, wir sind zwei Männer. Also vier Frauen bedienen die Perforatoren und wir die Terminals. Bloß jetzt haben wir wieder ein neues System. Jetzt haben wir nur noch Terminals. Also, die haben wir neu gekauft, d.h. die sind jetzt auch schon wieder sechs Jahre alt. Gebraucht gekauft natürlich, deswegen die große Anfälligkeit, Störungen und so, ja ja.... die arbeiten aber nur zum großen Teil vierstundenweise, während wir acht Stunden arbeiten müssen.. [Welche Qualifikation diese Frauen haben, wollten wir wissen.] Tippsen. Mußten sich natürlich auch 'n bißchen einstellen auf das System — Ne, aber ausgebildet sind sie nicht. Ja, was soll man bloß sagen, wie soll das weitergehen?
Am liebsten, so scheint es, würde Ulrich es verschweigen, daß er mit vier Frauen zusammen in einem Raum sitzt. Zugleich klagt er über Vereinsar mung und mangelnde Möglichkeiten zum Austausch mit Kollegen. Daß die Frauen ihm gleichgestellte Kolleginnen sein könnten, ist für ihn offenbar ausgeschlossen. Aber wie steht es mit dem erwähnten männlichen Kollegen? Auffällig ist, daß er unterscheidet zwischen den Frauen und »Uns« (»Wir, das sind zwei Männer«). Den Frauen gegenüber äußert er im Verlauf des Gesprächs viele Vorbehalte, keine gegenüber dem Mann. Daß er ihn dennoch nicht als Partner vorkommen läßt, mit dem er der beklagten Vereinsamung entkommen könnte, hat vermutlich einen anderen Grund: Wie aus anderen Teilen des Interviews hervorgeht, ringt Ulrich sehr mit dem Problem, daß er keinen stetigen unmittelbaren Kontakt mehr mit Vorgesetzten und Redakteuren hat: ... ich meine, es ist schlecht, wenn man keine persönliche öder überhaupt keine Beziehung mehr zur Arbeit hat. Früher da wars so: da hat man gesehen, man hat was geschafft — aber heute, heute hab ich keinen Vorgesetzten, heute hab ich nen Computer — das ist keine persönliche Beziehung mehr zur Arbeit. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Das ist ein wichtiger Teil seines Verelendungsdiskurses, den wir jedoch im folgenden außer Acht lassen wollen. — Wie beschreibt er seine Arbeitssituation im einzelnen? Er spricht zunächst so, als säßen die Frauen noch an den alten Perforatoren: »Also, vier Frauen bedienen die Perforatoren und wir die Terminals.« Was er da im Präsens ausspricht, ist seit fast 6 Jahren vergangen. Sein folgender Satz ist zwar faktisch eine Korrektur, aber eine als solche nicht markierte: »Bloß jetzt haben wir ein neues System.« Das heißt, die Frauen arbeiten jetzt mit den gleichen Bildschirmterminals Wie Ulrich. Wie kam es dazu? Die Frauen, die haben damals, wo wir noch im Bleisatz gearbeitet haben, da hatten wir auch TTS-Maschinen, so Satzmaschinen, an denen auch schon mit Lochband gearbeitet wurde. Da sind die von übrig geblieben, die Frauen und machen auch heute noch — und haben es ja bisher auch — Die haben damals eben auch als Perforatortasterinnen gearbeitet und wir, wir sind also — ich muß mich da ausschließen — alle Maschinensetzer gewesen. Wir sind — das ist ist tariflich bedingt gewesen, daß wir nicht entlassen werden durften — wir sind da eben so reingekommen. Wir machen da eben diese Arbeit.
Als mit den lochbandgesteuerten Bleisatzmaschinen (sog. TTS-System) das bloße Erfassen von Texten (=Herstellen von Lochstreifen) von den Tätigkeiten des Gestaltens und Korrigierens getrennt werden konnte, konnten Frauen zum ersten Mal seit der Jahrhundertwende (Einführung der Linotype, der ersten Satzmaschine) auf bislang den ausgebildeten Setzern vorbehaltene Arbeitsplätze aufrücken. Es hat damals längere Auseinandersetzungen zwischen Unternehmern und Druckergewerkschaft gegeben; diese konnte schließlich durchsetzen, daß Schriftsetzern auch weiterhin für die Arbeitsplätze an den Perforatortastern der Vorrang gegeben werden müsse. Die Schriftsetzer allerdings hatten faktisch aufgrund er damaligen Arbeitsmarktlage wenig Veranlassung, die von ihnen gering geschätzte Arbeit anzunehmen. So wurde der Weg frei für die weiblichen Schreibkräfte (vgl. dazu Weber 1982, 36f.). Über eine tarifliche Regelung 1959 kamen die Frauen nach einer festgelegten Einarbeitungszeit schließlich in den Genuß der gleichen Rechte wie Maschinensetzer, später auch der Besetzungsregelungen des 1978 erkämpften Tarifvertrags für rechnergesteuerte Textsysteme. Nun sitzen die Frauen auch an den Bildschirmen. Mit dem Fotosatz wurde die Trennung zwischen Texterfassung und -bearbeitung wieder aufhebbar. Die Frauen haben, zumindest von den Möglichkeiten des neuen Arbeitsmittels her gesehen, gleiche Tätigkeiten wie die ausgebildeten Setzer. Durchbrochen ist die vorherige, strikt am Produktionsmittel festmachbare Arbeitsteilung von Facharbeitern und NichtFacharbeiterinnen. Um die Abbildung dieses Tatbestandes ringt Ulrich in seiner Erzählung. Seinen Bericht strukturiert die Gegenüberstellung: Wir und die Frauen. Uwe spricht auch von »Wir«, wenn die Maschinensetzer gemeint sind, zu ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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denen er sich streng genommen als Handsetzer gar nicht zählen dürfte. Aber im Vergleich zu den Unterschieden von den »Tippsen« scheinen die Gemeinsamkeiten klar und eindeutig und die Unterschiede unwesentlich zu sein. Wir haben vermutet, daß Facharbeiter sich als dequalifiziert erleben, wenn sie eine Arbeit mit tun, die auch angelernte Arbeiter oder »sogar« Frauen verrichten können. Dies finden wir hier insofern bestätigt, als Ulrich seine Arbeit im Fotosatz für perspektivlos und imbefriedigend hält. Dieses »Wir« erscheint wie die letzte Bastion, die er verzweifelt zu halten bemüht ist — gegen alle in Richtung einer Nivellierung drängenden Arbeitsbedingungen, die die Basis einer neuen kollektiven Kompetenz sein könnten. Wie aber kann die Abgrenzung zu den Frauen aufrechterhalten werden, trotz der durch die Automation veränderten Arbeitsbedingungen? Ein Grund liegt in der betrieblichen Organisationsform der Beibehaltung der alten Arbeitsteilung, mit der die Unternehmensleitung eine vorhandene Spaltung zwischen den Arbeitenden nutzen und einbauen konnte. Die vorautomatische Arbeitsteilung zwischen Texterfassung und Text/Satzkorrektur und -gestaltung wurde auch in den Fotosatzbetrieb übernommen. Ulrich als ausgebildeter Setzer macht die Korrekturen; die Frauen setzen nur fortlaufenden Text (in Teilzeitarbeit). Obgleich also die neuen Produktivkräfte ein gleichberechtigtes Arbeiten ohne Unter- und Überordnung möglich machten (vgl. hierzu F. Haug 1982 und Hensche 1982), wird die alte Hierarchie aufrechterhalten. Aber diese Hierarchie ist brüchig. Ulrich ist weder Vorgesetzter der Frauen, noch läßt sich der Unterschied in den notwendigen Kompetenzen zwischen ihm und den Frauen durchgängig klar ausmachen. Da sie an den gleichen Produktionsmitteln sitzen, verwischen sich die Unterschiede immer wieder; dies ist auch in seinen eigenen Ausführungen nachzuvollziehen. Auf die Frage, warum denn die Frauen nicht dasselbe tun wie er, antwortet er: Ja, inzwischen machen sie das ja — ja praktisch dasselbe. Jetzt, wo wir die neuen Bildschirme haben, machen sie dasselbe... Schreiben tun wir alle... Nur wir sind dafür da, die Fehler wegzumachen und auch zu schreiben. [Frage: Wer ist wir?] Die Männer. Also die Frauen schreiben grundsätzlich nur. [Frage: Warum machen die Frauen keine Fehlerkorrektur?! Keine Zeit, Mensch — Arbeitsteilung [lacht resigniert]. Die müssen doch — die schreiben hintereinander weg, eben weil sie besser sind und weil sie schneller schreiben können, weil sie's seit Jahren machen. Und wir machen eben die Sachen: wir holen eben aus dem Zentralrechner die Artikel raus von dpa oder sonst wo; bereiten die auf; machen die fertig; schicken die rüber zur Belichtungseinheit und machen eben die Korrekturen. Denn die Frauen machen ja auch Fehler, muß auch sein: Das ist unsere Aufgabe. Und dann draußen ... die montieren, die kriegen unsere Produkte da, oder was wir so rausschmeißen und kleben die Seiten zusammen: Fotosatzmontage. Sind auch zum Teil noch gelernte Schriftsetzer, die sich eben auch umstellen mußten. Aber zum Teil sind die eben auch wieder völlig berufsARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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fremd. Aber das sieht man denn auch bei der Zeitung, an der Gestaltung. [Ob er mit ihnen darüber spricht, wollten wir wissen.] Ja, natürlich. Das mach ich schon. Hilft aber nichts. [Akzeptieren sie das nicht?] Sie könnens nicht, sie könnens eben nicht. Und dann mußt du daran denken: immer unter Zeitdruck. Denn wir arbeiten ja immer gegen die Zeit.
Etwas vereinfacht stellt sich uns die Sache nun so dar: Eigentlich können alle dasselbe tun, gleichgültig, ob im Fach ausgebildet oder nicht. Aber die einen machen Fehler, die anderen merzen sie aus und bereiten die Artikel auf. Diese Arbeitsteilung ist nötig, so vermittelt uns Ulrich, weil die einen nichts davon verstehen und auch nichts davon verstehen können. Gleichzeitig deutet er an, es läge an der Arbeitsteilung selbst, daß die Arbeitsteilung nötig sei. Die Frauen müssen auf Geschwindigkeit achten, nicht auf Qualität. Die Arbeitsteilung stellt die Ungleichheiten in den Fähigkeiten auf Dauer. »Denn die Frauen machen ja auch Fehler, muß auch sein: das ist unsere Aufgabe.« Ulrichs Darstellung ist ambivalent: Einerseits kritisiert er die Arbeit der anderen (das sind berufsfremde Arbeiter genauso wie ungelernte Frauen), andererseits hält er den Zustand fest, weil er sich darin in der überkommenen Position bestärken kann. Es hat den Anschein, daß er seine Kritik an der Arbeit der Berufsfremden/Frauen auch gar nicht praktisch werden lassen will: die hätten doch auch wirklich keine Zeit, sich mit seiner Kritik auseinanderzusetzen und dazuzulernen. »Die könnens nicht, die könnens eben nicht.« Auch er steht unter Zeitdruck: »Denn wir arbeiten ja immer gegen die Zeit.« Aber er lernt dennoch und stetig dazu. Er beschreibt sich, im Unterschied zu den anderen, als bereit, sich anzustrengen und die letzten Kräfte einzusetzen, um zu begreifen, was so schwer zu begreifen scheint. Auch er hat keine Umschulung zugestanden bekommen: Nein, das hab ich mir selbst beigebracht, während der Arbeit. Muß ich jetzt ja auch machen; wir haben jetzt ja ein neues System. Muß ich auch alles so nebenbei machen. (...) Bei uns geht das alles so nebenbei! [Wie er das macht?] Na ja, lernen ... Ich versuch, die letzten Reserven zu mobilisieren und eben zu begreifen. Und nebenbei dann mal noch produzieren... Wir haben dermaßen viel zu tun... jede Menge. Und wir müssen das eben so alles nebenbei machen. Lernen und produzieren.
Während für ihn das Lernen und die Anstrengung beim Produzieren selbstverständlich ist, hält er es bei den anderen für unmöglich. Diese unterscheidende Sicht auf sich als Facharbeiter und auf die Nicht-Facharbeiter (Frauen/Berufsfremde) ist mit der vergleichbar, die wir im Interview mit dem Einrichter Uwe beobachten konnten. Er betrachtet sich als anstrengungs- und entwicklungsfähig, die anderen nicht. Ähnlich ist auch eine solidarisierende Einfühlung in die anderen, deren Arbeit er als untergeordnete ansieht: er betrachtet sie als Opfer der Verhältnisse, des ungeheuren Drucks der Zeit und der betrieblichen Politik, die sie an die falschen ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Plätze stellte, deren Anforderungen sie seiner Meinung nach nie erfüllen können. Er verbündet sich mit ihnen als Opfer und trennt sich von ihnen als Tätige. Und arbeitet so daran mit, daß die potentiell gleich(berechtigt)e Arbeit ungleich bleibt. Wie verarbeitet er aber den Umstand, daß die Frauen nicht auf einer ihm formell untergeordneten Position stehen (er ist nicht ihr Vorgesetzter), daß sie nicht mehr durch die Produktionsmittel, sondern nur noch durch eine organisatorische Regelung von ihm getrennt sind? — Seine Beschreibungen der Frauen sind widersprüchlich und oszillieren zwischen Verachtung und Furcht vor ihren möglichen Fähigkeiten. Na ja, ich meine, ja, die brauchen immer nur tippen. Ich muß ja auch denken dabei. Ich muß ja auch programmieren. Ich muß ja auch die Kommandos setzen. Und das, das tun die nicht. Die können quatschen und dabei Witze machen. Das ist natürlich ... also ich würde es anders machen: Ich würde jeden in einen extra Raum setzen. Mich belastet das auch: dieses ganze Gequatsche. Denn da kannst du nicht — dich gar nicht konzentrieren. Aber na ja. Gut, nen bißchen Spaß, nen bißchen Unterhaltung muß auch sein. Aber wohin das mal führen soll! Unmöglich. Die arbeiten ja nur für ein paar Stunden. Wofür weiß ich nicht. Wahrscheinlich für irgend so ein Schi-Schi. Aber die sind überhaupt nicht zu motivieren, irgendetwas zu machen, irgendetwas zu verändern. [Ob denn die Frauen nicht auch Probleme mit dem Begreifen der neuen Technik hätten?] Lernen tun sie ja. [Wie tun sie das?] Na ja, so nebenbei genauso wie ich. Die machen praktisch — nur daß sie eben schneller schreiben können, denn das kriegt man wahrscheinlich — weiß auch nicht, woher das kommt, aber wahrscheinlich kriegt man das — die Geschwindigkeit kriegt man nicht drauf — Aber das ist ja auch nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist ja zu programmieren und — Fehler auszumerzen.
Das BUd, das er im ersten Zitat von den geschwätzigen und unaufhörlich lachenden Frauen an den Terminals entwirft wird durch das letzte konterkariert. Aber wichtig an dem ersten und zweiten Bild scheint uns, wie er sich vor dem Hintergrund diese mehr am Kaffeekränzchen denn an ernsthafter Arbeit interessierten Frauen Kontur gibt: Er arbeitet interessiert, motiviert und angestrengt an einer verantwortungsvollen Aufgabe: Er muß ja auch »denken«. Und da, so könnten wir uns in ihn einfühlen und fortsetzen: haben kichernde Frauen nichts zu suchen. So schlägt er selbst eine räumliche Trennung vor. Im letzten Zitat geschieht etwas anderes und Eigentümliches. Versuchen wir probeweise, den abgebrochenen Sätzen einen kompletten Sinn zu geben und das für ihn offenbar nicht Aussprechbare zu rekonstruieren (Hervorgehobenes ist durch die Verf. ergänzt). Na ja, so nebenbei genauso wie ich. Die machen praktisch die gleiche Arbeit wie ich, nur daß sie eben schneller schreiben können, denn das kriegt man
wahrscheinlich als Handsetzer nicht mehr so einfach hin. Weiß auch nicht, woher das kommt, aber wahrscheinlich kriegt man das nur durch jahrelanges ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Training hin, aber: Die Geschwindigkeit kriegt man nicht drauf als Handsetzer, aber das ist ja auch nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist ja zu programmieren und die von den Frauen gemachten Fehler auszumerzen.
Nicht aussprechbar ist für ihn, so können wir vermuten, die Tatsache, daß die Frauen Fähigkeiten mitbringen und entwickeln. Zumindest eine ist unbestreitbar, nämlich die, schnell zu schreiben. Das bedroht ihn und er ist ständig bemüht, diese Tatsache zu verdrängen und umzudeuten. Nicht nur sind sie ihm als Auotmationsarbeiterinnen zu nahe gerückt — er kann nicht wie Einrichter Uwe z.B. souverän auf sie herabblicken und sie betreuen und versorgen, sie haben auch Fähigkeiten, die entwickelter sind als die seinen. Dies läßt er sich nur vorübergehend und bruchstückhaft zu Bewußtsein kommen. Kennzeichnend und dominant für seine Verarbeitungsformen ist eine resignativ-privatisierende Rückzugstendenz. Er will die räumliche Markierung der Unterschiede, wo sie in der Arbeitstätigkeit und den Kompetenzen undeutlich werden. Die Resignation ist eine Form, in der er sowohl seine Verachtung wie auch die Verängstigung und Bedrohung, die von den Frauen ausgeht, leben kann. Er zieht sich auf die Posi- e tion dessen zurück, der als Einzelner Verantwortung übernehmen kann und muß: Verantwortung für den Ausgleich der Fehler der Nicht-Facharbeiter/innen. Er muß zurechtbiegen, was die anderen versäumen — seiner Meinung nach, notwendig versäumen. Er fühlt sich in diejenigen ein, die untergeordnete Arbeit verrichten, sieht sie als Opfer und ändert nichts daran, indem er allein die Verantwortung übernimmt. Dazu fühlt er sich angerufen als Facharbeiter-Subjekt. Eingekreist von Berufsfremden und Frauen — so bildet er sich ab — und als einer der letzten Vertreter qualitätsbewußter Facharbeit. Wir haben da jetzt schon sehr viele aus völlig anderen Bereichen, die damit gar nichts zu tun haben, zu tun gehabt haben, die vom Zeitungmachen gar nichts verstehen. Da draußen in der Montage, da haben wir Drogistinnen [lachtl, — ja — die haben natürlich, darunter leidet die Qualität der Zeitung auch; kein — Gefühl für Gestaltung und so. Na ja, wie man so ne Seite aufbaut, mit den Zwischenräumen und so, das ist manchmal erschütternd.
Das Qualitätsbewußtsein hat hier auch eine ausgrenzende Funktion. Diejenigen, die noch keine so hohe Qualität produzieren können, weil ihnen ein Stück Ausbildung fehlt, werden als nicht-entwicklungsfähig gedacht. Er zieht sich resignativ als einzelner auf seinen Posten zurück. Das anonyme Netz der Unterdrückung und die Produktion von »Schamlosigkeit« Wenn wir über Geschlechterbeziehungen in der Produktion sprechen, können wir nicht über die Familie schweigen. Wir müssen das Verhältnis von Familienform und Lohnarbeit untersuchen. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Welche Familienform streben Arbeiter eigentlich an? Eine Zielvorstellung ist — hier sind weitere Untersuchungen erforderlich — eine Form der Familie, in der die Ehefrau allenfalls vorübergehend berufstätig ist, um durch ihr Lohneinkommen dem Mann dabei zu helfen, wenn er für die Kinder materielle Infrastrukturen wie Grundstück, Haus etc. erschafft. Es ist dies eine Form des Verhältnisses der Geschlechter, in der der Mann als »Hauptverdiener«, als »Ernährer« von Frau und Kindern, langfristig die Chance hat, sich in den gesellschaftlichen Zusammenhängen des Produzierens zu entwickeln, sich dort Handlungsfähigkeit und Macht zu erarbeiten. Die Frau unterstützt vom Sozialraum der Familie aus diese Entwicklung des Mannes, von der sie ausgeschlossen ist, und ist bestimmt vom Verzicht auf diese »männlichen« Entwicklungsansprüche. — Sobald wir aber die angezielte Familienform der Arbeiter derart rekonstruiert hatten, erschien uns dieses Modell doch als allzu einfach. Wir suchten in unseren Interviewmaterialien nach spezifischen Faktoren, die uns den Stolz begreiflich machen, mit dem Arbeiter sagen: »Meine Frau braucht nicht in die Fabrik zu gehen.« Wir hatten mit zwei Frauen aus Großbetrieben Interviews durchgeführt, die die einzigen Frauen in von Männern dominierten Produktionsbereichen sind. Eine einfache These: Ihre Frauen aus der Fabrikarbeit herauszuhalten, ist für die Arbeiter eine Form individuellen Widerstands gegen jene vielfältigen Erniedrigungen, die Frauen beim Erledigen unqualifizierter Arbeiten in der materiellen Produktion von männlichen Arbeitenden angetan werden. Daß Arbeiter den Rückzug ihrer Frauen in den Privatraum der Familie wollen, wäre so nicht einfach nur als Entmachtung und Unterordnung der Frauen unter den männlichen »Ernährer« zu begreifen, sondern zugleich auch als das Bergen und Behüten von Frauen. In dieser Form ist der Arbeiterwiderstand jedoch individuell im ganz wörtlichen Sinn: er bezieht sich auf jene auserwählten weiblichen Individuen, die Ehepartnerinnen und Hausfrauen der Arbeiter werden. Er läßt zugleich die Möglichkeit offen, die Erniedrigung der Ungeborgenen und Unbehüteten, der Fabrikarbeiterinnen zu tolerien, ja mitzubetreiben. Auf diese Weise wird die Familienform als eine private Form jenseits des gesellschaftlichen Produzieren? unter dem Kapitalkommando als der Gegenpol aufgeladen und stabilisiert. Wir meinen also kurzum, daß die Männerheifschaft im kapitalistischen Betrieb und in der Familie als Privatförm sich wechselseitig bedingende Gegenpole sind. Die Facharbeiter-Existenz wäre demnach zu analysieren als eine Art von Verschränkung zwischen Arbeits- und Lebensweise, die sich besonders in dieser polaren Struktur anordnet. Fragen wir, was passiert, wenn Frauen in die Männerdomänen im Betrieb eindringen. Wir interviewten die weibliche Werkzeugmacherin Ruth, eine engagierte Gewerkschafterin, einzige Frau in einer Abteilung, in der fast ausschließlich Facharbeiter arbeiten. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Sie berichtet von einem Gespräch zwischen Facharbeiterkollegen: Ruth: Also ich hab da so ne wilde These, ne, die läßt sich wohl nicht belegen. Aber ich hab da ja nun knapp 2 Jahre gearbeitet, ne, und ich bin mit den Kollegen schon ganz gut ausgekommen, ne, also was so diese Zwischenmenschlichkeit angeht. Obwohl da immer wieder so Sachen gelaufen sind, die darf man ja nicht so ernst nehmen. Aber so, was in den Köpfen auch vorgeht, ne: Bei irgendwelchen abendlichen Diskussionen gings halt mal darum, wie denn so Mädels einzuschätzen seien, die halt in solche — also es hat sich an... angezündet hat sichs an so nem Diskothekenbesuch, weil die auch alle Kinder haben und deshalb so Diskotheken gäbe, wo halt wenig Frauen drin sind und von den Frauen, die da reingehen, wüßte man ja schon, was man zu halten hat, hätte. — Und denn ging der Schwenk so über in die Arbeitswelt — und irgendwie war ihnen das wohl auch gar nicht bewußt, daß ich da nun auch beistand — und dann ging das halt darum, daß es nun ja auch Frauen gäbe, ne, solche männermordende, die sich in alle Bereiche drängen würden und auch in die Arbeitswelt. Und dann sprang das wieder zurück auf die Diskothek und dann sagte der eine Kumpel — er war übrigens auch Vertrauensmann der Gruppe —: »Ja, ja. Jetzt hab ich meinen Sohn mal aus der Disko abgeholt, und auf der Tanzfläche, ne, da ham dies doch fast getrieben.« Da sagte ich: »Mensch Hanne, welche Disko ist das denn?! Werd ich mir mal angucken, hab ich noch nie gesehen.« — »Na ja, da und da und da. — Und ich hab meinem Sohn auch gesagt, ne, ähm..., daß er ruhig mal ein bißchen üben kann, ne, also bei so nem Mädchen, da kann er ruhig mal ein bißchen üben, ne. Also, daß er dann halt auch ... der braucht net die erste beste zu nehmen, der kann ruhig mal ein bißchen üben.« Da habe ich ihm nun gesagt: »Also weißt du, Hanne, andere, andere Männer haben, haben auch, andere Familien haben auch Söhne und die empfehlen ihnen dasselbe, ne.« — Weil er hat nämlich auch noch ne Tochter, ne. — Also seine Tochter würde er zu Hause behalten und würde sie immer schön behüten und so. Und die dürfte des net. Aber sein Sohn, der dürfte des, weil ein Mann müßte ja ein bißchen üben vorher, ne. — Und in dem Diskussionszusammenhang war das halt wirklich alles auf einer Stufe, ne: Also die, die Frauen, die in solche Männerdomänen eindringen, und die Frauen, die dann in Diskotheken es angeblich auf der Tanzfläche mit den Jungens da treiben und so... Das war dann so, gab dann so ein geschlossenes Bild, ne, und das ganz ungeniert, ne.
Die Wirklichkeit erscheint ihr phantastischer, als kühne Thesen es sein könnten — weswegen sie ihre eigenen Beobachtungen und Auswertungen eine »wilde These« nennt. Im ersten Teil des Gesprächs stellen die Arbeiter implizit eine Gleichung her: Frauen, die in die Disko gehen und sich dort womöglich selbstbewußt einen Mann suchen, sind jenen Frauen gleich, die in die Arbeitswelt gehen und sich dort eine qualifizierte Arbeit suchen — auch wenn sie bisher Männermonopol war. Daß diesen Verhaltensweisen ein schamloser Charakter zugrunde liegt, wird nicht explizit gesagt, aber bedeutet: Die Frauen in der Diskothek »treiben es fast« mit den Männern auf der Tanzfläche. In diesem Kontext wird trotz der Anwesenheit der Facharbeiterkollegin doppeltes Herrschaftsmanöver ganz selbstARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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verständlich vorgetragen: 1. Die Frau, deren Verhalten einen schamlosen Charakter verrät, soll schamlos zum sexuellen Übungsgelände gemacht werden — durch den Facharbeitersohn. 2. Mittels systematischen »Übens« soll sich der Facharbeitersohn auf der sexuellen Ebene einen Vorsprung gegenüber jener Frau verschaffen, die er ehelichen möchte. Vom Standpunkt der Reproduktion von Facharbeiterfamilien als einem Prozeß, der Generationen übergreift, ist als Gefahr entzifferbar, daß der junge Facharbeiter eine »erste beste« ehelicht, für die er sexuelle Leidenschaft empfindet. Maßgebend aber soll der Konzeption des Vaters nach die Fähigkeit der Frau sein, ein Leben lang die immer treue Frau des einen Mannes zu sein, dem sie sich unterordnet und dem sie, wie es allgemein heißt, »Kinder gebärt«. Die Deformierung von Frauen zu lebenslänglich abhängigen Hausfrauen bedingt auch Deformierungen des Mannes, z.B. die Fähigkeit, Frauen als sexuelles Übungsgelände zu benutzen. In diesem Interview ging es darum, wie Männer den Vorgang verarbeiten, daß Frauen in Berufe eindringen, die traditionell von Männern besetzt werden: diese Frauen sind »schamlos«. An Ruths Erzählung fanden wir atemberaubend, wie genau sie die Konstituierung von »Schamlosigkeit« analysiert, den Zusammenhang mit der traditionellen männlichen Doppelmoral und mit der Familienform, die sich auf diese Doppelmoral stützt. Die Frage der »Schamlosigkeit« spielt für den Geschlechtergegensatz in der Produktion offenbar eine größere Rolle, als wir geahnt hatten. Wie wird die »Schamlosigkeit« produziert? Wie machen sich die einzelnen männlichen Arbeitenden bei dieser Form der Frauenunterdrückung im kapitalistischen Betrieb zu Mittätern? Die Mittäterschaft ist nicht unbedingt das Werk bewußter Tat. Ein Bericht einer aktiven Gewerkschafterin, Ria, als gelernte Maschinenschlosserin eine der wenigen Frauen in einer Männerabteilung, über ihren Versuch, sich gegen eine sexuelle Handgreiflichkeit zu wehren, deren Opfer sie in aller Öffentlichkeit wurde, machte uns deutlich: es gibt eine eigentümliche Verkettung von Taktiken und Diskursen, die spontan als das Werk vieler Subjekte sich vollzieht und ein global wirksames Netz der Unterdrückung bildet. Daß es da kein zentral koordinierendes Subjekt gibt, macht es so schwer angreifbar. Ria erzählt über ihren Versuch, einen Kampf der Kollegen gegen die sexuelle Handgreiflichkeit in Gang zu bringen. Auf ganz gegensätzliche Weisen suchen drei mit ihr direkt kommunizierende Subjekte (1. der gewerkschaftliche Vertrauensmann, 2. die Gruppe ihrer Kollegen und 3. der Vorarbeiter) und eine von ihr aus ihren Erfahrungen rekonstruierte Klasse von Subjekten auf denselben Effekt hinzuarbeiten. Sie soll vom Streiten abgebracht werden. ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Da war Betriebsratswahl... und da stand vor mit so'n Typ. Da sag ich: »Hör mal, Kollege, kann ich denn mal eben deinen, auf deinem Rücken da mal die Wahlergebnisse mitschreiben?« »Ja, ja«, sagt er, »mach ruhig«, ne und der dreht sich so rum, und ich schreib dann da so'n bißchen, ne — und dann sag ich: »Danke schön, das wars.« — »Ach«, sagt er, »wo du jetzt so schön mir'n Rücken gestreichelt hast, kann ich dich ja auch mal packen!«, ne, und packt mir hier so an Oberschenkel, ne, so ziemlich hoch, ne. Sag ich [R. spricht aufgeregt und drohend]: »Mach die Pfoten weg!« Ne. Die ganze Gruppe stand um mich rum und der Vertrauensmann [R. spricht nun dessen Satz beschwörend abwiegelnd, dabei fast flüsternd]: »Mensch! Is doch'n Einrichter!« (...) Und dann bin ich da in die Gruppe und habe noch mal richtig Theater gemacht, ne, weil ich hab ... es ist die beste Methode: Die sollen mal sehen, daß das so nicht geht, ne. Ich hab Theater gemacht. »Aber Ria« [R. ahmt Verwunderung und Betroffenheit nach] »Wir sind doch net so zu dir, ne! Also da braucht dich doch über uns net beschweren!« »Ne, ihr seid net so.« Und denn der Vorarbeiter [R. spricht ihn fein säuselnd und zugleich verschlagen]: »Na ja, Fräulein Wolf«, das war ein Vorarbeiter, ja »Fräulein Wolf, das liegt vielleicht auch ein bißchen an ihrer offenen Art.« Sag ich: »Wie denn, meine offene Art? Wie soll ich denn das verstehen! Hab ich mich jemals zweideutig benommen?« Da ging der schon wieder einen Schritt zurück, und da hab ich mir überlegt, was ich mache, ne, weil ich mir da das net gefallen lasse. Und dann hab ich 'n Betriebsratskollegen erwischt, der halt dafür Verständnis hat, ne. Weil die meisten sagen ja: »Na ja, was denn? Da gehören immer zweie zu.« Und: »Bescheiß dich nich!« Und: »Bist denn frigide?« Und: »Verträgst das denn nicht?« Und: »Sei doch froh, wenn dir mal 'n Mann in'n Arsch kneift!« Und: »Mußt doch, ist doch schön, wenn dir einer bestätigt, daß du ne Frau bist!« Ne. Ja! So wird aber doch diskutiert! Ist doch nix Neues. Und der hat halt gesagt: »Ja, gut. Sofort hier runter. Wenn der das bei dir macht, dann macht der das bei seinen Frauen genauso.« Ne. Da ham wir den angerufen, haben ihn dann zu einem netten Gespräch zu dritt gebeten, und der wußte sofort, was los war.
Vergleichen wir die Taktiken der vier Subjekte, wie sie sich in den Aussagen von Ria darstellen. Hat der gewerkschaftliche Vertrauensmann Angst vor der delegierten Kapitalmacht des Einrichters und sucht diese Angst auf die Gewerkschaftskollegin zu übertragen? Oder Angst vor der vielfältigen und informellen Rachejustiz des »Netzes« gegen den Dissidenten, der die Frau bei der Anklage gegen die Männer unterstützt? Oder ahnt er, daß zu den Privilegien des hierarchisch höher Gestellten, des den Frauen vorgesetzten Mannes, eine ganze Reihe von nicht genau festgelegten VorRechten gehört — bis hin zum jus primae noctis (Recht der ersten Nacht)? Das Subjekt zwei, die Gruppe der Kollegen, wird aufgerufen, gegen die Tat vorzugehen. Da es mehrere Männer sind, könnten sie ja mehr erreichen als die vereinzelte Kollegin. Den Aufruf gegen die Tat deuten sie indessen um als Anklage, selbst der Tat fähig zu sein. Unschuldig angeklagt rufen sie die Frau auf, sie freizusprechen. Sie tut es — und schon ist sie von ihrem ursprünglichen Aufruf abgelenkt. Subjekt drei, der VorarbeiARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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ter, spricht gepflegtes Hochdeutsch und produziert, was W.F. Haug (1983) Charakterdiskurse nennt. »Offene Art« ist das Gegenteil von Schamhaftigkeit, und Sittsamkeit ist zu begreifen als ein verschleierndes Synonym für die Unverschämtheit bzw. Schamlosigkeit, die in diesem Diskurs über Frauen all jenen Handlungen der aktiven Gewerkschafterin zugrunde gelegt wird, in denen sich die Gewerkschafterin in die politischgewerkschaftlichen Männerdebatten einmischt. »Offene. Art« sagt verdeckt: »schamloser Charakter«. Wenn Frauen schamlos sind, so bedeutet der Vorarbeiter der Gewerkschafterin implizit, reißen sie den Mann immer wieder hin zu schamlosem Verhalten. Die Verhaltensaufforderung: Beweise durch konkrete Verhaltensweisen, daß sich deine Art, dein Charakter zur Schamhaftigkeit gewandelt hat! Andernfalls wirst Du immer wieder das Opfer sexueller Attacken sein! In diesem Diskurs wird eine Struktur des Stellvertreterkriegs erahnbar: Der Kampf findet lärmend statt auf dem Gelände manifester sexueller Attacken; das globale strategische Konzept, Frauen überhaupt mundtot zu machen, steuert verschwiegen aus dem Hintergrund. Das vierte Subjekt: die derb-volkstümlichen Stimmen operieren u.a. auch mit Charakterdiskursen. Drohend wird der Frau jetzt aber ein Zuviel an schamhaftem Charakter, z.B. Frigidität oder gar UnFraulichkeit, vorgeworfen. Indem ihr diese Charakterurteile drohen, ist die Frau genötigt, sich als Besitzerin eines nicht-frigiden und eines zutiefst weiblichen Charakters darzustellen, also Verhaltensweisen zu zeigen, die überdeutlich auf diesen Charakter hinweisen. Und dies heißt dann letztlich: sexuelle Attacken nicht zum Gegenstand öffentlichen Streits machen. Die gegensätzlichen Taktiken konvergieren strategisch und dennoch ist diese Konvergenz nicht von einem zentralen Subjekt geplant, sondern ein Effekt vieler Subjekte, vieler Männer in ganz unterschiedlichen betrieblichen Positionen. Wir können daraus lernen: Soziale Netze zur Frauenunterdrückung zu knüpfen, ist eine kollektive Fähigkeit der Männer, die sich in der langen Geschichte der männlichen Herrschaft zu einer derartigen Geläufigkeit und Raffinesse entwickelt hat, daß sie unterhalb von bewußter Reflexion funktioniert. Sich des bewußtlosen Zuschlagens bewußt zu werden, wird den männlichen Arbeitenden nur in großen kulturellen Anstrengungen gelingen können. Dies bedeutet z.B. auch, daß sie mit den Charakterdiskursen brechen, in denen die Menschen und damit die zwischen ihnen möglichen Arbeiterbeziehungen in hierarchische Dimensionen abgebildet werden. Denn als Charaktereigenschaften werden Eigenschaften begriffen, die den Einzelnen von Geburt zukommen oder ihnen für immer fehlen (vgl. dazu auch AS 55, 363).
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Produktion und Verwaltung CNC-Maschinenbediener und Sachbearbeiter Fragestellung: Perspektiven der Selbstverwaltung Das Verhältnis von Produktion und Verwaltung und seine Veränderung im Rahmen der Automatisierung der Arbeit interessiert uns hier unter dem Aspekt der Spaltung bzw. Vereinheitlichung der Arbeiterklasse. Die Vorstellungen über das Verhältnis zwischen den Arbeitenden in der Produktion auf der einen und in der Verwaltung auf der anderen Seite sind durchaus uneinheitlich: einerseits wird ihnen Gleichheit bzw. zunehmende Angleichung ihrer sozialstrukturellen Lage zugeschrieben; andererseits werden sie mit dem gesellschaftlichen Gegensatz von Produktion und Herrschaft in Verbindung gebracht: Traditionellem Verständnis zufolge hängen Herrschaft und Verwaltung eng zusammen. »Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung«, heißt es bei Max Weber (1964,162). »Bürokratische Herrschaft« hielt er »im Prinzip in erwerbswirtschaftlichen ...v Betrieben und in politischen oder hierokratischen Verbänden gleich anwendbar und auch historisch... nachweisbar« (ebd., 163). Historisch gesichert ist die Abkunft der kapitalistischen Betriebsorganisation von der Staats- und Militärbürokratie mit ihrem streng hierarchischen Prinzip, das nur die vertikalen Dienstwege als legitime Kooperationsform anerkennt und strikte Unterordnimg und Disziplin verlangt. »Wenn ein Fabrikunternehmen gedeihen soll, so muß es militärisch... organisiert sein«, verlangte der Unternehmer Stumm im 19. Jahrhundert (zit. nach Flohr 1981,75ff.). Um die Jahrhundertwende konnte Taylor konstatieren: »Fast in allen Werken ist eine Ordnung eingeführt, welche man als militärische bezeichnen kann und in der ein streng durchgeführtes Unterordnungssystem das Gerippe bildet, das die Befehle und Aufträge vom Generaldirektor durch die Abteilungsdirektoren, Betriebschefs, Assistenten, Meister zum Arbeiter vermittelt« (1914,44). Die »militärische Ordnung« wurde mit der Entwicklung zu Großbetrieb und Massenproduktion dysfunktional; Taylor verlangte »vollständiges Verlassen des militärischen und Unterordnungsgrundsatzes in der Werkstättenleitung« (ebd., 47). An seiner Statt sollte, mit der Einrichtung von »Arbeitsbüro« und »Funktionsmeistersystem«, eine mehr funktionsorientierte Oganisation der »Werkstättenleitung« treten. Daß dies unter den einschlägigen Management-Theoretikern nicht unumstritten war, wird an der Taylor-Kritik von Fayol deutlich: »Ich halte es für gefährlich, dem Gedanken Raum zu geben, daß das Prinzip der Einheit der Anordnung ohne Bedeutung ist und ungestraft verletzt werden kann« (1929, 55). ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Traditionell wird das Verhältnis von Verwaltung und Produktion im entwickelten Industriebetrieb als Verhältnis zweier Pyramiden abgebildet, die »zwei zwar ineinandergehende, aber doch schwer vergleichbare StatusHierarchien« (Dahrendorf 1962, 85) darstellen, wobei die »Büro-Hierarchie« gegenüber der »Fabrik-Hierarchie« gleichsam nach oben verschoben ist und die Spitze der »Fabrik-Hierarchie« zugleich Teil der »BüroHierarchie« ist.
Quelle: R. Dahrendorf: Industrie- und Betriebssoziologie, Berlin 1962, 2. Aufl., S.84
Quelle: R. Dahrendorf: Industrie- und Betriebssoziologie, Berlin 1962, 2.Aufl., S.84
Bahrdt hat darauf hingewiesen, daß die Hierarchie in der Industriebürokratie sich »anders und stärker« auspräge, »als sie es in der Produktion je tun konnte. In der Produktion bezog sich zwar das Vorgesetztenverhältnis oft unmittelbar auf die Arbeit, die befohlen, kontrolliert und korrigiert wurde, aber es war nicht mit der Arbeit identisch. Dies gilt aber in einem gewissen Sinn für die Büroarbeit...« Die Tätigkeit der Angestellten bestehe in erster Linie darin, »die Kommunikation zwischen den einzelnen Stufen der Hierarchie zu besorgen, innerhalb derer der Angestellte selbst eine Stufe repräsentiert... Der Dienstweg ist die Konkretisierung der Hierarchie als einer Sozialform der Arbeit.« (1958, 46) Dieser Gedanke: Herrschaft als Gegenstand der Büroarbeit, verweist auf die auf Max Weber und Emil Lederer zurückführbare und in der Angestellten-Soziologie lange vorherrschende »Delegationstheorie«: Die Verwaltung des Industriebetriebs gilt als Bestandteil seiner Leitung; die Verwaltungspositionen verkörpern vom Zentrum betrieblicher Herrschaft delegierte Autorität, auch wenn man der einzelnen Verwaltungsposition ihren Autoritätscharakter nicht mehr ansehen kann. Mit Fayol: »Selbst die Eignung der unteren Angestellten setzt sich aus denselben Elementen zusammen wie die der höheren Leiter, aber die absolute Bedeutung und das ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Verhältnis dieser Elemente zueinander ist bei ihnen so verschieden, daß man die Gleichheit zunächst nur schwer erkennt« (1929, 59). Zu diesen Elementen zählte Fayol vor allem »administrative Befähigung«, die »Vorausplanung, Organisation, Auftragserteilung, Zuordnung und Kontrolle« umfaßt und in der Hierarchie nach oben hin »eine beträchtliche Ausweitung« erfährt, und zweitens »Sachkenntnis in der speziellen, für die Unternehmung charakteristischen Funktion«, die »nur zu einem Viertel oder Zehntel die Eignung eines hohen leitenden Angestellten« ausmacht, aber für die Tätigkeiten der niederen Angestellten und Arbeiter bestimmend ist (ebd., 57ff.). Dahrendorf räumt zwar ein, man könne bezweifeln, »daß die Sekretärin, der Buchhalter, der Sachbearbeiter Herrschaftsfunktionen wahrnehmen; doch tragen alle diese Tätigkeiten auf ihre oft kleine Weise zur Ausübung betrieblicher Herrschaft bei« (1959, 29). Hat wirklich die ganze Verwaltung, wenn auch abgestuft, Anteil an der betrieblichen Herrschaft? Fayols Bestimmung der Anforderungen an Verwaltungstätigkeiten, die im Prinzip gleich, nur in ihrem spezifischen Gewicht in den einzelnen Hierarchiestufen unterschiedlich ausgeprägt seien, gibt bereits einen Hinweis darauf, daß betriebliche Herrschaft nicht die einzige Funktion von Verwaltung ist. Verwaltung ist zugleich ein Arbeitsverhältnis, in dem technische und kaufmännische Leistungen produziert werden, das mithin selbst Gegenstand und Feld von Herrschaft ist (vgl. Koch 1978,36ff.); genauer: die fachlichen (technischen, kaufmännischen) Funktionen in der Verwaltung sind auf widersprüchliche Weise mit Herrschaft verschränkt; selber beherrscht sind die Konstruktion technischer Bedingungen für die Kapitalverwertung, die Steuerung und Kontrolle widersprüchlicher Kapitalbewegungen in Produktion und Zirkulation immer auch ein Beitrag zur Sicherung institutioneller Ordnung. Warum ist es wichtig, hier zu differenzieren und Veränderungen herauszuarbeiten? Differenzierungen in den Beziehungen zwischen den Arbeitenden in Produktion und Verwaltung sowie innerhalb der Verwaltung und Verschiebungen dieser Differenzierungslinien mit der Automatisierung der Arbeit sind unter dem Aspekt von Interesse, ob die Bedingungen dafür verbessert werden oder nicht, daß die Arbeitenden sich kollektiv Kompetenzen anzueignen beginnen, die ihnen zuvor verwehrt waren. Die Zuständigkeit fürs (betriebliche wie gesellschaftliche) Ganze ist bislang (auf noch zu spezifizierende Weise) in den (privatwirtschaftlichen wie öffentlichen) Verwaltungen lokalisiert: Sie sind die institutionellen Panzerungen jener strategischen Stellen, die Kapital und Staat besetzt^halten, von denen aus die Menschen in Betrieb und Gesellschaft zu gemeinsamem Handeln zusammengebracht und eben dadurch auseinanderdividiert werden. Welche Entwicklungsperspektiven zeichnen sich für diese Verhältnisse mit der Automatisierung der Arbeit ab? Bestätigt sich Max Weber* s BeARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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fürchtung, daß die Bürokratie, die »lebende Maschine«, »im Verein mit der toten Maschine« dabei ist, »das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welches vielleicht dereinst die Menschen sich ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden, wenn ihnen eine rein technisch gute, und das heißt: eine rationale Beamtenverwaltung und -Versorgung der letzte und einzige Wert ist, der über die Art der Leitung ihrer Angelegenheiten entscheiden soll« (1958, 320)? Oder eröffnen sich, mit der Automatisierung der Arbeit Zugriffe der Arbeitenden auf die strategischen Stellen in der Perspektive der Selbstverwaltung in Betrieb und Gesellschaft? Stellt sich diese Frage für die Arbeitenden in Produktion und Verwaltung jeweils gesondert? Und verändern sich die Bedingungen für die Trennung zwischen Produktion und Verwaltung bzw. für den Abbau dieser Trennung? Wir zeichnen zunächst die Grundzüge historischer Arbeitsteilungen in den Verwaltungen nach und untersuchen, welche Beziehungen die Verwaltungsbeschäftigten untereinander und zu den Arbeitern in der Produktion ausbilden. In einem zweiten Schritt analysieren wir den Einbruch der Automation in Verwaltung und Produktion und versuchen herauszuarbeiten, was das für die Beziehungen der Arbeitenden in beiden Bereichen bedeutet. Dabei thematisieren wir zwei Ebenen: die Ebene der Arbeitsteilung, auf der in ein verwirrendes Geflecht von neuen Trennungen und integrativen Effekten Licht zu bringen ist; und die Ebene der Tätigkeiten, auf der vor allem nach Arbeitsprozessen Ausschau zu halten ist, die für Produktion und Verwaltung gleichermaßen bestimmend werden. Bei diesen Untersuchungen nehmen wir um der Übersichtlichkeit willen Vereinfachungen vor: Wo im folgenden von Verwaltung die Rede ist, bezieht es sich vorwiegend auf private Industrieverwaltung; die öffentliche Verwaltung wird dort, wo es sich zwanglos machen läßt, einbezogen. Innerhalb der Verwaltung konzentrieren wir uns auf den kaufmännischen Bereich und blenden die tedmischen Funktionen weitgehend aus. Die Beziehungen der Produktionsarbeiter kommen nicht in gleicher Einlässigkeit vor wie die der Arbeitenden in der Verwaltung. Historische Skizze der Verwaltungsarbeit: Hierarchisierung, Maschinisierung, Feminisierung Die Verhältnisse zwischen Produktion und Verwaltung wie in der Verwaltung selbst sind mit der Industrialisierung der kapitalistischen Betriebe zunächst wenig differenziert: Die Arbeiter-Angestellten-Beziehungen sind ausschließlich über den Meister vermittelt; nicht in dem Sinne, »als stünde er zwischen zwei Machtzentren, bemüht, zwischen ihnen ein Gleichgewicht oder eine gewisse Übereinstimmung herzustellen«. Vielmehr setzt der Meister vor allem den Willen der Betriebsleitung nach unten durch, ist ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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»der Hierarchie und nicht der (Arbeiter-)Gruppe verantwortlich« (Durand und Touraine 1970,154). Croner berichtet, daß im 19. Jahrhundert die Funktion des Meisters nicht immer genau von der des Angestellten im Büro zu unterscheiden war; der Buchhalter war teils Kontorist, teils ein Aufseher, der die Tätigkeit der Arbeiter überwachte (1954, 58ff.). Die Veränderungen der Meister-Funktion im Zusammenhang mit der Entwicklung der Produktivkräfte verfolgen wir hier nicht weiter (vgl. dazu AS 67, 497ff.). Die Büros selbst waren zwar hierarchisch aufgebaut, aber nicht mit strengfixiertenArbeitsteilungen und gegeneinander abgeschotteten Positionen: »Von Beruf war man nicht Buchhalter, Kassierer oder Korrespondent, auch nicht 'kaufmännischer Angestellter', sondern 'Kaufmann' oder einer, der auf dem Wege war, Kaufmann zu werden... So stark sich die einzelnen Tätigkeiten unterscheiden mochten, jede konnte als Vorstufe zur nächsten betrachtet werden, und mit dem Aufstieg zur nächsten Stufe wuchs nicht nur die Erfahrung, sondern weitete sich auch aus. Der oberste Buchhalter besaß oft, da er alle in Betracht kommenden Tätigkeiten kennengelernt hatte, die Übersicht über das ganze Unternehmen, so daß außer Vermögensmangel kein Grund bestand, weshalb er nicht Teilhaber werden sollte. Und dieser Mangel ließ sich evtl. durch eine Heirat [mit einer der Töchter oder Schwestern des Prinzipals, d.Verf.J ausgleichen.« (Bahrdt 1958, 41ff.) Diese Verhältnisse wurden mit den Konzentrations- und Zentralisationsprozessen des Kapitals im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts radikal umgebrochen: Mit der Entwicklung von Großbetrieben, neuen Unternehmensformen, Ausdehnung und Monopolisierung der Märkte, zunehmender gesellschaftlicher Verflechtung der Betriebe und wachsender Staatstätigkeit gewinnen die Steuerung der Produktion und die Einflußnahme auf Markt und Staat an Umfang und Gewicht. Das sprengt die überlieferten Verwaltungsstrukturen. Drei Tendenzen der entstehenden Großverwaltungen sind für uns von Interesse: (1) die Veränderungen ihrer Organisationsstrukturen, (2) die Maschinisierung der Verwaltungsarbeiten und (3) die Feminisierung der Büros. 1. Die wachsenden Verwaltungen werden stärker durchgegliedert, mit fixierten Arbeitsteilungen nicht nur zwischen einzelnen Fachgebieten, sondern auch innerhalb bislang zusammenhängend bearbeiteter Verwaltungsvorgänge. Mit der fachlichen Spezialisierung beginnt sich der Sachbearbeiter herauszubilden. Die spezialisierten Positionen werden in mehreren zueinander abgegrenzten Hierarchielinien angeordnet; extrem ausgeprägt in der öffentlichen Verwaltung mit ihren verschiedenen Beamtenlaufbahnen. Formelle Dienstordnungen treten an die Stelle des sich mehr und mehr zersetzenden Dienstethos der »Privatbeamten«. Aber auch wo Loyalität und Dienstbereitschaft fürs Verwaltungshandeln noch bestimmend sind, ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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können sie »auf der unteren und mittleren Ebene der Unternehmenshierarchie direkte und exakte Vorschriften oft nicht mehr ersetzen, nachdem die Interdependenz der einzelnen Arbeitsvollzüge auch im Büro aufeinander abgestimmte Planung verlangte« (Kocka 1969,489). »Es gibt kein Büro, außer vielleicht dem des Generaldirektors, das sich als Kopf des Unternehmens begreifen kann. Man sieht sich selbst als Stufe innerhalb der Gesamthierarchie, und zwar in der Regel als eine mittlere. Weiter oben gibt es übergeordnete Büros, weiter unten andere Dienststellen bzw. Fabrikationsstätten.« (Bahrdt 1958, 46) 2. Im Unterschied zur Mechanisierung der Fertigung, die von Universalmaschinen ihren Ausgang nimmt, an denen Facharbeiter eingesetzt werden, setzt die Maschinisierung der Büros mit Spezialmaschinen ein, bezogen auf spezielle Funktionen wie Schreiben (Schreibmaschine), Sprechen (Telefon) etc., bzw. auf spezielle Ausschnitte dieser Funktionen wie das Fixieren eines Textes auf Papier, das Vermitteln eines Telefongespräches etc., die alsbald aus zusammenhängenden Verwaltungsprozessen herausgebrochen und teilweise an zentralen Stellen versammelt werden (Schreibmaschinensäle etc.). An diesen Maschinen werden vorwiegend angelernte Arbeitskräfte eingesetzt, fast ausschließlich solche weiblichen Geschlechts. Das bedeutet zugleich die Trennung zwischen fachbezogener männlicher Sachbearbeitung und fachunspezifischen weiblichen Büromaschinen-Arbeiten. Der Sachbearbeiter konzipiert einen Text und schreibt ihn vor oder diktiert ihn; die Schreibkraft schreibt diesen Text mit Hilfe einer Maschine in eine bestimmte Form. In dieser Trennung steckt etwas Gewaltsames: Es wird auseinandergerissen, was der Sache nach zusammengehört und auch nach einer solchen Trennung aufeinander bezogen bleibt: Untersuchungen des Maschineschreibens beschreiben dieses, sofern es gelingt, als abgestimmtes Gleichgewicht von Informationsaufnahme, Verstehen und motorischer Umsetzung in einem individuellen Schreibrhythmus; Maschineschreiben, ohne den Inhalt mitzudenken, sei unmöglich (vgl. Weltz u.a. 1979). Andererseits ist jede Schreibarbeit als arbeitsteilig spezialisierte eine unvollständige Tätigkeit: Sie hat es mit fremderleuts Texten zu tun, was das inhaltliche Mitdenken auf einen eher formalen (etwa auf die Rechtschreibung gerichteten) Nachvollzug der vorgegebenen Texte reduziert. Wie sehr der Zusammenhang des Schreibens gegen sein Auseinanderreißen in zwei verselbständigte Tätigkeiten rebelliert, wird dort deutlich, wo gerade die strikte Trennung des Maschineschreibens von der geistigen Tätigkeit der Sachbearbeitung und ihre Organisation als bloß motorischer Bewegungsablauf zu Leistungsminderungen (wie Zunahme der Fehlerhäufigkeit, dar Leistungsblockierung an der Maschine etc.) führt. Die Abspaltung des Maschineschreibens von der inhaltlichen Textherstellung mitsamt ihrer späteren Taylorisierung hat ökonomische Gründe, deren Befolgung freilich durch den technischen EntwicklungsARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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stand der Schreibmaschine als einer Spezialmaschine nahegelegt wird: Eine durch Arbeitswechsel nicht unterbrochene Bedienung der Maschine läßt erst jenen Habitualisierungs- und Leistungsgrad entstehen, der die Zeitersparnis (gegenüber manuellem Schreiben) so enorm steigert. (Dies wird sich erst mit der Automatisierung des Schreibens ändern: Dann wird die Trennung zwischen Sachbearbeitung und Maschinenbedienung bedeuten, daß der Sachbearbeiter die Nummern der Textbausteine heraussucht und aufschreibt und die Schreibkraft diese Nummern in die Maschine eingibt, also [mindestens] eine Verdopplung des Aufwands.) 3. Die Feminisierung der Büros war ein umkämpfter Entwicklungsprozeß. Die Berufsorganisationen der männlichen Handlungsgehilfen polemisierten gegen die »Schmutzkonkurrenz« der Frauen, beschworen die Proletarisierungsgefahr ihres Berufsstandes und unterstellten der Erwerbstätigkeit der Frauen unlautere Motive: sie arbeiteten nur aus Putz- und Vergnügungssucht und identifizierten sich nicht mit dem Beruf, weil er ihnen nur dazu diene, einen Ehemann zu ergattern oder eine vorübergehende Notlage auszugleichen. Die Berichte weiblicher Handels- und Büroangestellter über ihre Arbeitserfahrungen zu Beginn des Jahrhunderts sind voll von Hinweisen über die Härte des Geschlechterkampfes: »Doch zum Teil recht demütigende Absagen erhielt ich auf meine Bewerbungen. 'Wir stellen nur Herren ein'; eine Arbeitgeber-Stellenvermittlung gab meinen Brief mit dem Bemerken zurück, daß sie sich mit der Vermittlung von Damen nicht befasse.« (Hörbrand 1926,24f.). »Wenn ich an die ersten Eindrücke ... zurückdenke, muß ich gestehen, daß sie wenig schön und ermutigend waren. Zwei junge Männer schimpften fortwährend auf die in Bureaus tätigen jungen Mädchen und erklärten uns Tag für Tag, es sei besser, zu Hause zu bleiben und Strümpfe zu stricken. Sie erschwerten uns die Arbeit, wo sie nur konnten. Der Oberbuchhalter war ein pedantischer, vergrämter Junggeselle, grimmiger Frauenhasser. Auch der erste Direktor war Junggeselle; er liebte aber die Frauen, besonders die jungen Mädchen, sehr. Die Frauen... standen auch nicht gerade in einem idealen Verhältnis zueinander. Es gab immer etwas zu ärgern, zu nörgeln, schlecht zu machen.« (ebd., 81 f.) Wie verändern sich, vor dem Hintergrund dieses Umbruchs, die Beziehungen der Arbeitenden in der Verwaltung und zwischen Verwaltung und Produktion? Die Funktionen von Industrieverwaltungen im Kapitalismus lassen sich aus den Anforderungen der Verwertungs- und Zirkulationsprozesse der Kapitale entwickeln: Diese vollziehen sich nicht in gleichmäßigen, kontinuierlichen und störungsfreien Bewegungen, sondern durch Brüche, Unregelmäßigkeiten, Stockungen, Ungewißheiten und Krisen hindurch, sowohl in den Umweltbeziehungen der Unternehmen wie in ihrer internen Organisation. Industrieverwaltungen haben diese widersprüchlichen Prozesse zu steuern und zu kontrollieren, Schwankungen ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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und Krisen zu nutzen, zugleich — soweit sie als Schranken der Kapitalverwertung wirksam sind — durch Kontinuität, Stetigkeit, Verläßlichkeit, Berechenbarkeit, Reservebildung etc. zu überwinden. Dies geht wiederum nicht ohne neue Inkonsistenzen ab (Reservebildung beispielsweise bedeutet brachliegendes Kapital, zugleich aber auch Schutz vor Zufällen in der Zufuhr von Rohstoffen und Arbeitsmitteln; brachliegendes Kapital ebenso wie Produktionsunterbrechungen beschränken die Profitrate, müssen also in ein optimales Verhältnis gesetzt werden etc.). Für diese Steuerungsund Kontrollaufgaben werden in den Industrieverwaltungen von deren Spitzen (teilweise auch vom Staat) Ziele und Regeln vorgegeben: Sachbearbeitung ist Anwendung dieser Ziele und Regeln auf den einzelnen Fall (Auftrag, Kunde etc.), auf ein besonderes Problem (Engpaß, Rückstand etc.). Sachbearbeiter stimmen unverträgliche Anforderungen und Bedingungen ab und improvisieren bei Störungen im Betriebsablauf. Innerhalb des Rahmens von Vorgaben und Anweisungen haben sie (teilweise von Vorgesetzten delegiert) eigenständige Entscheidungsmöglichkeiten. Die Ergebnisse der Sachbearbeitung werden in mündlicher oder eher noch schriftlicher Form an diejenigen übermittelt, die sie kontrollieren und — auf der anderen Seite — die ihnen folgen sollen. Mit der Zuweisung der mündlichen Vermittlung oder schriftlichen Fixierung an besondere Arbeitskräfte an Spezialmaschinen entsteht eine Art sekundäre Entscheidungs-AusfÜhrungs-Beziehung, die zugleich — wie wir sahen — als Geschlechtergegensatz ausgeprägt wird: Der männliche Sachbearbeiter diktiert der weiblichen Schreibkraft den Text, weist der weiblichen Maschinenbuchhalterin einen Geldbetrag zur Verbuchung auf einem bestimmten Konto an etc. Was bedeutet diese Überlagerung der Gegensätze für die Beziehungen der Arbeitenden zueinander? Lockwood verweist auf die widersprüchliche Stellung männlicher Verwaltungsbeschäftigter zu den männlichen Arbeitern in der Produktion: »Obwohl männliche Büroangestellte sich gegenüber den Arbeitern vieler offensichtlicher sozialer und ökonomischer Vorteile erfreuten, war ihr sozialer Status, ausgedrückt in Werten wie Männlichkeit, Selbstbewußtsein und Produktivität ausgesprochen niedrig.« (1958, 123) Lockwood zitiert aus dem Brief eines Angestellten aus den zwanziger Jahren, der »die Unmännlichkeit seiner Berufstätigkeit« beklagt. Der Büroangestellte »kann die stattlichsten Gebäude bewundern und muß feststellen: 'niemals hab ich einen Stein auf den anderen gefügt'; er kann die herrlichen Dampfschiffe auf hoher See betrachten und muß sagen: 'nie berührte ich einen mit einer Teerquaste'; und er kann die Lokomotive eines Schnellzuges erleben und muß feststellen: 'keine hab ich je mit einem Hammer bearbeitet'. Aber wenn er sagt: 'Ich habe meinen Teil zu diesen Dingen beigetragen, ich hab so und so viel Zement in Rechnung gestellt etc.', dann fühlt er sich noch trauriger.« (ebd.) Der Angestellte ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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baut nicht das Haus, sondern fakturiert den Zement; sein Beitrag zum Bau des Hauses ist von der Bauarbeit weit entfernt, kaum handgreiflich und in einer Symbolwelt gefangen, die zwar nicht weniger wirklich, aber mit dem konkreten Haus und seiner konkreten Produktion auf eine nur sehr vermittelte Weise verbunden ist; demgegenüber freilich auch den Vorzug hat, kaum schweißtreibend und knochenbrechend zu sein und nicht unter so harten Umweltbedingungen stattzufinden. Wie behauptet unter solchen Umständen der männliche Angestellte »Männlichkeit« in seiner Arbeit? Die Umwälzung in der geschlechtsspezifischen Zusammensetzung der Verwaltungen grenzt einen spezifischen Bereich von Frauenerwerbsarbeit ab, die mechanisierten Hilfs-, Zu- und Vermittlungstätigkeiten, und zwar nach zwei Seiten: zur Produktion und zur Sachbearbeitung. Die männliche Sachbearbeitung ist auf die Teilnahme an den Entscheidungsprozessen im Rahmen der Kapital- und Herrschaftsfunktionen konzentriert (wie marginal eine solche Teilnahme im einzelnen auch immer sein mag) und wird durch Zugangsvoraussetzungen (vor allem formelle Ausbildungsabschlüsse) abgesichert. Das bedeutet nicht, daß die Arbeit an den Büromaschinen, sollen sie ausgenutzt werden, ohne Qualifizierung zu machen wäre (die Elemente solcher Qualifizierung untersuchen Karl/Ohm 1982,653ff.). Bereits in den letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts haben US-amerikanische Schreibmaschinen-Hersteller Kurse eingerichtet, in denen typewriters geschult wurden. »Remington eröffnet eine eigene Schule, an deren Kursen nur Frauen teilnahmen. Private Schulen entstanden in großer Anzahl, und in den sog. 'Handelsschulen' wurde Maschineschreiben als Grundlehrfach eingeführt.« (Pirker 1962, 41f.) Daß aber gegenüber der kaufmännischen Ausbildung ein bloß aufs Maschineschreiben bezogenes Lernen und Üben auf einen wenig entwicklungsfähigen Anlernprozeß hinausläuft, wird in Warnungen der weiblichen Berufsverbände vor solchen offenbar üblicherweise begangenen Qualifikationswegen deutlich: »Wenn sich das junge Mädchen vielleicht auch nur zu einer Teübeschäftigung hingezogen fühlt, z.B. der der Stenotypistin, und damit der Ansicht ist, daß eine Ausbildung hierfür in Stenographie und Schreibmaschine genügt, so kann nur immer wieder mit aller Entschiedenheit vor der einseitigen Ausbildung gewarnt werden. Die einseitig ausgebildete Kraft sitzt zeitlebens bei der gleichen Tätigkeit und hat keine Aufstiegsmöglichkeit, weil nur umfassende gründliche Ausbildung die Grundlage dazu gibt, die Zusammenhänge im Betrieb zu erkennen... Also keine einseitige Ausbildung, überhaupt keine kurzfristigen Kurse, sondern längerer, etwa 11/2- bis 2jähriger Besuch einer staatlich als vollwertig anerkannten Handelsschule!« (Hörbrand 1926, 125) Mit der Abgrenzung gegenüber den weiblichen Ausführungstätigkeiten grenzen sich die Sachbearbeiter zugleich gegenüber der Maschinenarbeit ab. Weltz u.a. führen Verzögerungen bei der Durchsetzung der SchreibARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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maschine darauf zurück, daß sich die männlichen Büroangestellten »offenbar weigertendas neue Gerät zu benutzen, und dies... mit dem Argument, die Maschinenarbeit sei ihrer vorwiegend denkenden Tätigkeit nicht anganessen« (1979, 516f.). Die in die Verwaltungen hineindrängenden Frauen scheinen das Unmännlichkeits-Stigma der Büroarbeit gleichsam auf natürliche Weise auf sich gezogen zu haben. Zugleich jedoch ist die Frauenerwerbsarbeit in den Verwaltungen — im Unterschied zur männlichen Sachbearbeitung — Maschinenarbeit, mit eigener täglicher Wartung der Maschinerie. Bei Mills (1955, 265) findet sich der Hinweis, daß die Schreibangestellte, die sich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts »mit einer der damaligen Schreibmaschinen abmühte ..., jeden Morgen mindestens eine Viertelstunde zum Reinigen und ölen dieses unhandlichen, schweren und zugleich hoch empfindlichen Apparates« benötigte. Also ein Stück Produktion im Büro, freilich eng spezialisiert, wenig entwickelt, ohne Tradition, und auch von daher der männlichen Facharbeit in der Produktion hoffnungslos unterlegen. Die doppelte Unterlegenheit der Frauenerwerbsarbeit beschreibt Lockwood vereinfacht, aber in der Tendenz zutreffend: »Je mehr die Arbeit schiere Muskelkraft verlangte, desto geringer war die Gefahr weiblicher Konkurrenz, darum die nachdrückliche Wertschätzung der Männlichkeit durch solche Arbeiter. Auf der anderen Seite war fachlich qualifizierte Arbeit vor einer Feminisierung durch Kosten und Dauer der notwendigen Ausbildung wie auch durch traditionelle Schranken geschützt. In der Konsequenz galt Frauenarbeit als gleichbedeutend mit einer Arbeit, die weder überlegene Muskelkraft noch höheres männliches Denken verlangte. In beiden Punkten war ihr Prestige gering.« (1958, 124f.) Die Frauenarbeit in der Verwaltung ist im gesellschaftlichen Bewußtsein sowohl der männlichen Facharbeit wie der männlichen Sachbearbeitung untergeordnet. Indem sie gleichsam zwischen beide männlichen Arbeiterund Angestellten-Gruppen tritt, mediatisiert sie ein Stück weit die in der Verwaltung lokalisierte Herrschaft über die Produktion: sie ermöglicht es der Produktion, sich über die verachtete »weibliche« Büroarbeit zu erheben. Wie verändert sich das Verhältnis von Verwaltung und Produktion, wenn sie automatisiert werden? Wie verändern sich die Beziehungen der Arbeitenden dabei, wie die Tätigkeiten der Frauen in den automatisierten Verwaltungen? Werkzeugmacher, die Programme schreiben Wir präsentieren eine empirische Fallskizze über den Einbruch der EDV in die Produktion: Der Teileprogrammierer Siegfried einer Betriebsmittelfabrik brachte uns auf die Fragestellung. Er hatte von seiner ProgrammbiARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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bliothek berichtet, die in den sieben Jahren seit Einführung der NC-Technologie in dem Betrieb auf ca. 10000 Programme angewachsen war. Die Wiederholhäufigkeit der Programme schätzte er auf 10%. Trotz sorgfältiger Registratur und Archivierung sei dieses gesammelte Fertigungswissen nicht mehr recht zu handhaben; in absehbarer Zeit werde er sich ein DVProgramm zur Programmverwaltung fertigen müssen. Wegen solcher Bemühungen gelte er, selbst von Haus ein gelernter Werkzeugmacher, bei seinen Kollegen in der Werkstatt als »Beamter«; soll heißen, einer, der Gegenstände nicht macht, sondern auf Papier abbildet und dieses Papier verwaltet. Später in der Werkstatt fragen wir den Werkzeugmacher Rudi, der nach beendetem Fertigungslauf einen Haufen Späne an seiner CNC-Maschine zusammenfegt, ehe er das Programm für das nächste Werkstück schreiben wird: Fühlen Sie sich, wenn Sie Ihre Maschine programmieren, als Beamter? Durch seine dicken Brillengläser schaut er uns erschrocken an: »Auf keinen Fall, das Verhältnis zum Beruf ist noch voll da.« Als wir ihn danach fragen, wie seine Kollegen darüber denken, die noch an konventionellen Werkzeugmaschinen arbeiten, stutzt er ein wenig: Ja, da komme mitunter so etwas wie ein Beamten-Vorurteil auf, »die fragen, was machst du denn da eigentlich noch?« Wir nehmen die Frage der Kollegen auf: Was machen Sie eigentlich genau, wenn Sie ihre Maschine programmieren? Der Werkzeugmacher behilft sich mit einem Bild: »Es ist so, als hätten Sie im Auto statt Lenkrad und Gaspedal eine Tastatur und müßten Richtungs- und Geschwindigkeitsänderungen über diese Tastatur eingeben.« Klar, das Beispiel »stimmt« in mehrfacher Hinsicht nicht: Kein vernünftiger Mensch würde einem Autofahrer zumuten, wesentlich kompliziertere Konturen (als sie im Straßenverkehr zu »beschreiben« sind) bei Flugzeuggeschwindigkeiten mit Lenkrad und Gaspedal zu bewältigen. Außerdem muß an der Werkzeugmaschine, ehe die Fahrt losgeht, die Route antizipiert und (weitgehend) festgelegt sein, und dies in einer besonderen zahlenförmigen formalen Sprache. Der Werkzeugmacher sagt, das erste Jahr sei eine einzige Qual gwesen. Die Woche Programmier-Schulung beim Hersteller könne man vergessen: Sie sei zu kurz und zu abgehoben; 4 bis 5 Leute hätten um die Maschine herumgestanden, so daß man nur die Hälfte mitbekam. Wieder zu Hause, sei es erstrichtiglosgegangen: In der ersten Zeit habe er höchstens 50% seines alten Pensums geschafft; dauernd die Angst, daß er plus und minus, y oder x vertauscht oder einen falschen Wert eingibt, daß das Werkzeug ins Backenfutter fährt oder mit dem Rohling kollidiert. »Die Knie schlotterten und nachts hab ich Alpträume gehabt.« Und dann die ständige »Prüfungssituation«: »Die Maschine fragt ständig, will alles genau wissen«; mitunter sei er sich vorgekommen wie in der Lehre und nicht wie auf der Arbeit. Um für sich selbt persönliche Sicherheit zu entwickeln, brauche man bis zu einem Jahr Einarbeitungszeit. »Heute fühle ich mich fit, aber der Streß ist geblieben. Um ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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8 Uhr arbeitet man anders als um il Uhr, dann fängt es an, im Kopf zu verschwimmen.« Er bemerke, daß sich seine eigene Leistungs- und Lerngrenze ständig verschiebe, beinahe jeden Tag komme etwas Neues hinzu. Spaß mache es, wenn er entdecke, daß das System mehr bringe, als ihm gesagt worden sei oder als im Handbuch stehe, beispielsweise wie einzelne Sätze aus einem Programm bei anderen Programmen wiederverwendet werden können. Für 100 Programmsätze brauche er heute zwischen einer und zwei Stunden; sein längstes Programm bislang hatte 200 Sätze. Der Lärm in der Werkstatt um ihn herum störe ihn nicht; wenn er programmiere, sei er völlig in sich versunken; als ihn neulich jemand dabei angesprochen habe, sei er zu Tode erschrocken. Die Zumutung, den Einbruch der EDV in die Produktion als Annäherung produktiver Tätigkeit an Verwaltungsarbeit zu begreifen, ruft beim Facharbeiter Abwehr hervor. Wäre dies so, wäre es die Bedrohung einer jahrhundertealten kulturellen Identitätsform. Nach über einem Jahr Programmiertätigkeit an der CNC-Maschine weiß der Werkzeugmacher, daß es so »schlimm« nicht gekommen ist: »... das Verhältnis zum Beruf ist noch voll da«. Vor allem das Erfahrungswissen darüber, wie Werkstoff und Werkzeug im Bearbeitungsprozeß aufeinander reagieren, um innerhalb engster Toleranzen so präzis wie möglich zu fertigen, ist erhalten geblieben, kommt in der eigenen Programmierung sogar voll zum TVagen und muß nicht mehr an das Programm eines anderen gleichsam abgegeben werden. Dennoch, die Veränderungen der Tätigkeit sind nicht zu verbergen, treten in der Wahrnehmung durch die Kollegen an konventionellen Werkzeugmaschinen überdeutlich hervor: Gegenüber der Handgreiflichkeit ihrer Arbeit gewinnen Lese- und Schreibvorgänge an Gewicht, tritt die Stofflichkeit des Gegenstandes hinter seiner Zahlengestalt zurück. Aber Zahlen, Lese- und Schreibvorgänge waren dem Werkzeugmacher ja auch früher nicht fremd: Technische Zeichnungen mußte er immer schon lesen können, um seine Maschine entsprechend einzurichten; möglicherweise war an der Maschine eine Vorschubtabelle oder ein Geschwindigkeitsschild angebracht, und sollte die Spanleistung pro Minute festgelegt werden, mußte man das Produkt aus Schnittgeschwindigkeit, Schnittiefe und Vorschub errechnen. Was also ist neu am Umgang mit Zahlen? Vorläufig läßt sich soviel sagen: Die Operationen, die der Werkzeugmacher früher am Informationsstoff vornahm, standen in unmittelbarem Zusammenhang mit jeweils einzelnen Werkstück- und Maschineneinstellungen, mit jeweils einzelnen, teilweise noch manuell vollzogenen Steuerungsschritten. Jetzt hat er es mit der Herstellung eines Programms zur automatischen Steuerung eines ganzen Produktionsablaufs zu tun; operiert wird auf der Ebene eines Modells über diesen Produktionsablauf und im Rahmen einer »Planalgebra« als ein Kalkül des Handelns nach Plan, d.h. als ein System von Regeln zur rechnerischen Umformung von Plänen in ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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gleichwertige Pläne (vgl. Genrich 1979,77ff.). Die vorläufige Bestimmung einer neuen Qualität der Tätigkeit mag hier einstweilen genügen; gerade sie ist ja dem Werkzeugmacher selbst weitgehend unklar und verborgen geblieben: Mangels Begriffen muß ersieh mit bildhaften Vorstellungen behelfen. Die Schulung hat zum Begreifen des Vorgangs offenbar nicht das geringste beigetragen; die Folge war ein mühsamer Aneignungsprozeß durch eine Kette einzelner praktischer Bearbeitungen und der dadurch sukzessiv akkumulierten Erfahrungen hindurch, nach der Art, wie einer zum Schwimmenlernen immer wieder aufs neue ins Waser geworfen wird. Das (praktizistisch verkürzte) Lernen wird von dem Werkzeugmacher auf doppelte Weise als ambivalent erlebt: 1. Der gelernte Facharbeiter fühlt sich gleichsam in die Lehre zurückversetzt, wie einer, der noch einmal in die Prüfung muß, und dies ständig. »Die Maschine fragt ständig, will alles genau wissen.« Darin steckt folgender Widerspruch: einerseits ein Element der neuen Qualität der Tätigkeit, die Maschine als objektive Instanz, vor der sich die Qualität der eigenen programmierenden Tätigkeit bemißt; andererseits tritt dieses Element in beschränkter Form auf: Maschinensteuerungen werden in vielen Fällen so aufgebaut, daß das fehlende Verständnis der Arbeitenden durch eine möglichst lückenlose »Bedienerführung«, d.h. durch eine Kette von Anweisungen und Abfragen des Systems an die Arbeitenden, ersetzt wird (im Herstellerjargon: »man kann gar nichts falsch machen, auch wenn man nicht viel weiß«, was natürlich unverantwortlich falsch ist). 2. Außerhalb der formellen Lernwege werden in der praktischen Arbeit Lernprozesse gemacht, die von dem Werkzeugmacher als lustvoll erlebt werden, die ein Stück Zuwachs an Prozeß- und Naturbeherrschung und damit zugleich an Selbstentfaltung bedeuten. — Dergestalt windet sich hier in der Produktion eine neue Qualität der Arbeit beschränkt und unter Qualen aus alten Formen hervor. Die Abwehr der Zumutung, die Automatisierung der Arbeit könne als »Verbeamtung« des Facharbeiters bezeichnet werden, wirft ein Licht auf unser Problem, wie denn unter Bedingungen der Automation das Verhältnis von Produktion und Verwaltung sich entwickelt: die alten Trennungen werden offenbar nicht so ohne weiteres überwunden. Ehe diese Entwicklung weiter untersucht wird, werfen wir einen Blick auf die andere Seite des Verhältnisses. Sachbearbeiter an Maschinen Wir trafen den Sachbearbeiter Karl in seinem Zimmer im Rechnungsamt nach Dienstschluß, als es im Rathaus von H. langsam leerer und stiller wurde. Karl hatte einen Stoß von Listen vor sich, die er langsam durchsah; er bereite sich, sagte er, auf eine Holpersteigerung vor, die um 18 Uhr in einem der Ortsteile von H. beginnen werde und der er Vorsitzen ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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müsse. Der Verkauf des städtischen Holzes ist eine seiner Aufgaben und eine seiner liebsten: die Ausarbeitung der Angebote, »muß man vor Ort, Güteklasse 3, was heißt denn das, das muß man anfassen und besehen«; das kaufmännische Abwägen, »wir müssen unser Holz los sein, bevor droben im Schwarzwald der Schnee weg ist, dann werden die billiger«; die Versteigerungen, die zu kleinen Volksfesten werden, »die Kneipen sind überfüllt, die Mehrzahl der Leute kommt wegen des Ereignisses, des Umtrunks hinterher«. Karl sagt, sein Steckenpferd in der Verwaltungsfachhochschule seien die Zahlen gewesen, das kameralistische Rechnungswesen. Vor die Wahl gestellt, ins Personalwesen oder Finanzwesen zu gehen, habe er das Finanzwesen vorgezogen. Im Personalwesen habe man zwar auch mit Zahlen zu tun, aber das sei alles ziemlich festgelegt; im Finanzwesen dagegen könne man »die Zahlen bewegen«. Dem kontrastiert die Distanz und Abstinenz von Karl gegenüber der EDV: Ihr gegenüber fühle er sich ziemlich hilflos; der Besuch eines Lehrgangs zur Einführung in das neue System im Regionalen Rechenzentrum sei »fast nutzlos« für ihn gewesen; auf der Fachhochschule habe es zwar Einführungen in die EDV und ins Programmieren gegeben, aber das habe ihn wenig gereizt. Gelegenheiten, mit der Maschine zu arbeiten, vermeidet er um jeden Preis: Obwohl die Erfassung etwa von Änderungsdaten zur Gewerbesteuer oder die Direkt-Abfrage von einem Personenkonto zu seinen Arbeiten gehören, hat er mit einer Kollegin, die unter anderem für Feuerwehrabgabe und Hundesteuer zuständig ist, vereinbart, daß sie diese Arbeiten für ihn miterledigt; er hat es mit Zeitmangel und Unsicherheit begründet. Offenbar ist der Beamte angesichts der Automatisierung der Arbeit nicht viel besser dran als der Facharbeiter in der Produktion, und das, obwohl doch Lese- und Schreibvorgänge in der Tradition von Verwaltungsarbeit fraglos stärker ausgeprägt sind. Das gilt auch und erst recht für den Umgang mit Zahlen. »... vor allen Dingen nehmen Sie sich mit den Zahlen in acht«, läßt Georg Weerth den Handelsherrn Preiss zum neuen Lehrling sagen. »Wenn eine Zahl nichtrichtigist, da fährt gleich die Konfusion hinein von allen Ecken. Am Buchstaben ist mir nicht soviel gelegen, aber an der Zahl — hören Sie mal, guter Freund, kopieren Sie mir die Zahlen richtig, sonst sind wir geschiedene Leute.« (1956, 355) Die Zahlen, deren richtige Bearbeitung hier der Aufmerksamkeit des kaufmännischen Lehrlings anempfohlen wird, bilden Wert- und Geldbewegungen ab. »Durch die Buchführung... wird diese Bewegung fixiert und kontrolliert. Die Bewegung der Produktion und namentlich der Verwertung ... erhält so ein symbolisches Abbild in der Vorstellung.« (MEW 24, 135) Die Zahlen des (in unserem Falle kameralistischen, also nicht auf Verwertungs-, sondern auf gesellschaftliche Verteilungsprozesse bezogenen) Rechnungswesens, die Gegenstand der Faszination des Sachbearbeiters Karl geworden sind, müssen indessen etwas anderes bedeuten als die Zahlen der EDV, die seine ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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Irritation und Abwehr hervorgerufen haben. Wiederum können wir uns einstweilen mit einer vorläufigen Bestimmung begnügen: Die Zahlen der EDV bilden nicht bloß Wert- und Geldbewegungen ab, sind auch nicht nur Zahlen über Zahlen, die — wie etwa Kontonummern — eine Ordnung der Wert- und Geldbewegungen verbürgen. Sie sind sozusagen Zahlen in der dritten Potenz, die eine automatische Steuerbarkeit dieser Bewegungen eröffnen; operiert wird auf der Ebene von Modellen über diesen Bewegungen und im Rahmen einer »Planalgebra« als ein Kalkül des Handelns nach Plan, wie bei der Programmierung von Werkzeugmaschinen. Umgekehrt zum Werkzeugmacher, der seine Arbeit nicht zu einer »Beamtentätigkeit« verändert sehen möchte, mobilisiert der Sachbearbeiter Furcht vor der Arbeit mit einer Maschine; auch dies basiert auf der langen Tradition einer Identitätsform, die mit geistiger Arbeit und Teilnahme an Entscheidungsprozessen konnotiert. In unserem Fall begegnet ihm Maschinenarbeit freilich nicht in der entwickeltsten Form, als Programmierung automatischer Maschinerie. Die Programmiertätigkeit bleibt bloß virtuell; der Sachbearbeiter könnte, wenn er könnte. Die Anforderungen, die Maschinenarbeit hier an ihn stellt, sind auf Datenerfassungs- und -abfragetätigkeiten beschränkt, auf der Grundlage von Programmen, die andere geschrieben haben. Anders als der Werkzeugmacher hat sich der Sachbearbeiter nicht durch auch hier verkürzte und unzureichende Lernprozesse hindurchgebissen. Er hat die Maschinenarbeit abgewälzt — an eine Kollegin, die sie für ihn mitbesorgt. Das wirft ein Licht auf unser Problem, wie sich im Beziehungsfeld der Arbeitenden die Tätigkeiten der Frauen aufgrund der Automatisierung der Verwaltungsarbeit verändern. Zunächst scheint der Vorgang dem bereits bekannten Muster des Abschiebens von Maschinenarbeiten auf die Frauen durch männliche Sachbearbeiter zu folgen. Die Sachbearbeiterin erfaßt Daten und fragt Daten ab in einem Sachgebiet, dessen fernere Bearbeitung bei dem männlichen Kollegen verbleibt; insofern arbeitet sie ihm zu. Dennoch erschöpft sich hier das Verhältnis der Geschlechter nicht in einer Entscheidungs-Zuarbeits-Beziehung. Die Übernahme der DV-Tätigkeiten des Sachbearbeiters durch die Sachbearbeiterin ist in der formalen Organisationsstruktur gar nicht vorgesehen; sie erfolgt informell, freiwillig, auf Verabredung, wäre ohne größeren Umstand aufkündbar. Überdies reicht sie, auch in der eingeschränkten Version von Datenerfassung und -abfrage, über die Unselbständigkeit einer »mechanischen« Abschreibtätigkeit diktierter Texte hinaus: Die weibliche Sachbearbeiterin (und nicht der männliche Sachbearbeiter) ist virtuelle Programmiererin; sie beißt sich durch verkürzte und unzureichende Lernprozesse durch zu einer wie auch immer beschränkten Aneignung der neuen Technologie. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß die geschlechtergegensätzliche Verteilung automationsspezifischer Arbeiten auf männliche Systemanalytiker und Programmierer an der Spitze ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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und weibliche Datenerfasserinnen am unteren Ende der EDV-Hierarchie mit der Integration von EDV-Funktionen in die Fachabteilungen dort nicht aufs neue reproduziert werden müßte. Die Gegentendenzen sind unübersehbar: Einerseits Bestrebungen, im Felde der Herstellung und Anwendung neuer Technologien vorwiegend für Frauen »Assistenz«-Tätigkeiten zu reservieren: So sollen etwa »Software-Assistentinnen« Hilfsdienste im Programmierbereich versdien, was bedeutet, »unkundige Mitarbdter der Kunden an den neuen Geräten zu schulen, die Anwenderprogramme auf ihre Verwendungsfähigkdt zu testen, Fehler zu korrigieren oder selbst hausgeschneiderte Anwenderprogramme zu erstellen«; sie heißen auch »Organisations-Assistentinnen« oder »Vertriebs-Assistentinnen« (FAZ vom 3.1.1983). Andererseits das Eindringen von Männern in automatisierte Schrdb- und Sekretariatsarbeiten, also bisherige Frauendomänen (vgl. Karl/Ohm 1982, 659). Was läßt sich aus den Fallskizzen für die Entwicklung des Verhältnisses von Produktion und Verwaltung gewinnen? Zunächst einmal verlangen sie zum Verständnis ihres Entwicklungsgehalts die Einordnung in die Geschichte der automatisierten Datenverarbdtung. Das gibt uns zugleich Gelegenheit, an die historische Skizze der Ausdifferenzierung der Verwaltungstätigkeiten anzuknüpfen und zu fragen, welche Folgen für die Arbdtsteilungen mit der Automationsarbeit verbunden sind. Wir unterscheiden (vereinfachend) zwd Entwicklungsphasen automatisierter Datenverarbdtung und damit verknüpfter ArbdtsteUungslinien: 1. die Zentralisierung aller (automatisierten) Datenerfassungs- und Datenverarbdtungsfunktionen in einer eigenen EDV-Abteilung sowie die vorherrschende Betriebsform der Stapelverarbeitung (der Einfachheit halber subsumieren wir hier auch die »konventionelle« Lochkartentechnik); 2. die (abgestufte) Integration von Datenerfassungs- und Datenverarbeitungsfunktionen in die Fachabteilungen (einschließlich der Fertigung) sowie die wachsende Bedeutung der Betriebsform der Dialogverarbeitimg. Die mechanisierte Büroarbeit hatte ihren Ort entweder im Anwendungsfeld der jeweiligen Fachabteilung gehabt oder war zu zentralen Diensten für mehrere Fachabtdlungen zusammengezogen worden. Mit der EDV erhält der organisatorische Verselbständigungsprozeß maschinenbestimmter Arbeiten in der Verwaltung eine neue Qualität: Nicht nur gewinnt die EDV eine Bedeutung für die gesamte Verwaltungsarbeit und eine Größenordnung personeller und maschineller Kapazitäten, die ihre Organisation als eigene Fachabteilung rechtfertigt, zugldch verlangt sie einen großen, in sich stark differenzierten Arbdtskörper mit neuartigen Tätigkeiten, die wiederum hierarchisch angeordnet und aufs neue vom Geschlechtergegensatz überformt werden: Den überwiegend männlich besetzten Systemanalyse-, Programmier- (bzw. Tabellier-) und Operatingfunktionen an der Spitze und in der Mitte der EDV-Hierarchie stehen am ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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unteren Ende die ausschließlich von Frauen ausgeübten Datenerfassungstätigkeiten gegenüber. Mit der weiteren Entwicklung der EDV werden von der Technik ha* gegen deren Verselbständigung Gegenbewegungen eröffnet: 1. Datenerfassungs- und Datenverarbeitungsfunktionen werden für die Fachabteilungen (einschließlich der Fertigung) unmittelbar verfügbar: Facharbeiter wie Sachbearbeiter geben zumindest einen Teil ihrer Daten selbst in die Maschine ein und können am eigenen Arbeitsplatz auf Software zur Datenverarbeitung zugreifen. Solche Software, wie wir sie in Gestalt von Parametersprachen, Generatoren, Datenbankabfragesprachen, Planungssprachen etc. in Maschinenbaubetrieben oder in Kommunalverwaltungen fanden, ermöglichen dem Facharbeiter bzw. dem Sachbearbeiter in begrenzter Form eine eigene Programmierung. 2. Mit der Integration von Datenerfassungs- und Datenverarbeitungsfunktionen in die Fachabteilungen (einschießlich der Fertigung) werden auch EDV-bezogene Verwaltungsfunktionen dezentralisierbar: Ansätze fanden wir dort, wo Arbeiter in prozeßrechnergesteuerten Meßwarten die Verarbeitung stofflicher Mengen und Qualitäten (nicht allerdings deren wertmäßige Verarbeitung) unter Optimierungs- und Bilanzierungsgesichtspunkten überwachen und beeinflussen. An diesen Übergängen zur dezentralen und fachintegrierten Verteilung der DV-Funktionen sind die in den Fallstudien geschilderten Arbeitsvorgänge und die mit ihnen verbundenen Probleme für Facharbeiter und Sachbearbeiter angesiedelt. Insbesondere dieintegrativen Effekte der automatisierten Datenverarbeitung werden in Zukunft noch bestimmender: Es ist einunddieselbe Technologie, mittels derer produziert und verwaltet wird. Sie setzt an verschiedenen Punkten der Produktions- und Verwaltungsprozesse an und führt von hier ausgreifend zunehmend weitere Bereiche zusammen. Projektiert wird bereits mit Computer Integrated Manufacturing (CIM) eine Produktionsstruktur, in der Anlagenplanung (CAE), Fertigungsplanung (CAP), Konstruktion (CAD), Fertigung (CAM) und Test- und Prüfungsaufgaben (CAT) zu einem automatischen System verbunden sind, und von der aus auch die Brücke zu den kaufmännischen Funktionen geschlagen wird. Von automatisierten Bereichen geht ein Druck zur Einbeziehung bislang nicht automatisierter Arbeiten aus: »Was nützen Löschzeiten von wenigen Stunden, wenn die Bearbeitung der offiziellen Dokumente die Transportzeit um Tage verlängert.« (Kienbaum 1981) Die technische Integration hat Folgen für die Arbeitsteilung: Die bislang eindeutige Grenze zwischen Werkstatt und Büro wird unscharf; bislang getrennte Funktionen werden ineinander geschoben: Der Produktionsarbeiter verwaltet oder der Verwalter produziert. Unternehmer und Staatsverwalter reagieren auf diese Herausforderung ihrer Organisationsgewalt zunächst mit einer hektischen Folge von AnpassungsARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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und Sicherungsmaßnahmen an den überlieferten Arbeitsteilungslinien, schließlich mit einer Neuformulierung der Organisationslogik insgesamt: Im Vordergrund des Interesses stehen dann nicht mehr die überlieferten Arbeitsteüungslinien, sondern die flexible Beherrschung des Teilens und Konfigurierens von Arbeit selbst. Zukünftig gelte es — so der Geschäftsführer eines Versandunternehmens — »durch geeignete Zuordnung von Arbeitsinhalten auf die einzelnen Arbeitsplätze die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter durch Zufriedenheit mit einem akzeptierten Aufgabeninhalt zu sichern. Hierbei ist zu beachten, daß mehr Informationen die Aktionslandschaft zwar qualitativ interessanter, ab einem gewissen Grade jedoch konfliktgeladener machen und somit gefährlichen Streß erzeugen. Systeme, die sowohl Monotonie als auch psychische Überbeanspruchung trotz hoher Leistung vermeiden, sind die Meisterstücke moderner ArbeitsplatzArchitektur.« (Kiel 1980, 50) Die integrativen Effekte der Automatisierung von Produktion und Verwaltung haben also zur Folge, daß das Arbeitsteilungsproblem neu aufgeworfen wird: Wie Produktions- und Verwaltungsarbeiter auf der einen, Unternehmer und Staatsverwalter auf der anderen Seite neue Anforderungen an den Zuschnitt von Tätigkeiten in Organisationsstrukturen umsetzen, wird eine Frage ihrer betriebs- und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen sein. Jenseits des Gegensatzes von Produktion und Verwaltung: Arbelt mit Computer-Programmen Automationsarbeit bedeutet nicht nur Integration bisher getrennter Tätigkeiten in Produktion und Verwaltung; sie bedeutet darüber hinaus die Herausbildung einer neuen Tätigkeit, die anders ist als Produktions- und Verwaltungstätigkeiten, und die, indem sie mit Produktions- und Verwaltungstätigkeiten gleichermaßen verschmilzt, verändernd auf diese zurückwirkt: die Arbeit mit Computer-Programmen. Von ihrer Vorform, der Tabellierarbeit in der Lochkartenabteilung, sagte Bahrdt, daß sie »sowohl von den herkömmlichen Büroarbeiten wie auch von den qualifizierten Arbeitertätigkeiten in der Produktion« abzuheben sei; gegenüber der Gewohnheit, zeitliche Abläufe linear, eindimensional zu denken, komplexe Wirkzusammenhänge sich aber stationär vorzustellen, komme es bei der Tabellierarbeit auf die »Vorstellung eines komplexen GebUdes in Bewegung« an (1958,93ff.). Arbeit mit Computer-Programmen geschieht heute auf den unterschiedlichsten Entwicklungsniveaus: Sie reicht vom bloßen Nachvollzug vorgegebener Programme über ändernde und optimierende Eingriffe bis zur Herstellung selbst; sie ist Arbeit mit Programmen noch in der reduziertesten Form, wenn den Arbeitenden die Programme als black box vorenthalten und — unter solchen Voraussetzungen—blind ARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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eingebleute Bedienungsgriffe auf irgendwelchen Geräten zugemutet werden. Vor allem wird sie, wie gebrochen und entwickelt auch immer, bestimmend für Produktions- und Verwaltungstätigkeiten gleichermaßen. Wir knüpfen an unsere vorläufigen Bestimmungen aus den Fallskizzen an und nähern uns der Arbeit mit Computer-Programmen über die Diskussion einer geläufigen These, daß Programmierarbeit und Programmverarbeitung im Computer Prozesse »rigoroser Formalisierung« seien, die den Prinzipien bürokratischer Herrschaft entsprächen. »Verarbeitet werden Nachrichten nur nach den Grundsätzen formaler Logik, und damit sie solchen Prozessen zugänglich werden, müssen sie streng definiert sein. Dieses Postulat strenger Definition und logischer Beziehungen beherrschte mit dem positiven Recht schon immer die politische Ordnung im traditionellen und im bürokratischen Herrschaftsverband.« (Reese 1978, Vorwort) »Informatisierung und Bürokratisierung der Gesellschaft sind geistig verwandte Prozesse. Beide wurzeln in der offensichtlichen Überlegenheit formaler Strukturen, wenn es um die Erreichung bestimmter Ziele geht ... Durch ihre Fähigkeit, formalisierte Information zu verarbeiten, kann die EDV besonders Bürokratien nützen, die immer dazu neigen, sowohl ihre internen Strukturen als auch die Wahrnehmung ihrer Umgebimg in formale Raster zu pressen.« (Lenk 1982, 321) Vermittels des Begriffs der Formalisierung also sollen die Strukturen von Computer-Programmen und bürokratischer Herrschaft einander entsprechen, die erste sogar die zweite verstärken. Eine solche Äquivokation hat ihre TYadition; erinnert sei an den Begriff der »Berechenbarkeit« bei Max Weber, der zwischen Verwissenschaftlichung, Mathematisierung, »Entzauberung der Welt« auf der einen; Stetigkeit, Verläßlichkeit, Kalkulierbarkeit »bürokratischer, also... aktenmäßiger Verwaltung«, wie sie vor allem der Kapitalismus brauche, auf der anderen Seite changiert, ohne daß der innere Zusammenhang schlüssig herausgearbeitet wird. Wir konzentrieren uns hier auf einen Aspekt: Was bedeutet es für die »formalisierte« Schriftlichkeit von Verwaltungen, wenn Computer-Programme in sie einbrechen? Dazu greifen wir einige Problematisierungen aus der Informatik auf, die zeigen, daß dieser Einbruch zur Verunsicherung, ja sogar zur Zersetzung von Elementen traditioneller Schriftform in Verwaltungen führt und einen Druck zu theoretischen, (mathematischen) und praktischen (technischen) Lösungen im Sinne einer Einpassung der neuen Technologie in die Verwaltungsstrukturen erzeugt. Drastisch beschreibt Genrich die Folgen, »wenn die bestehenden Schranken der Kommunikation innerhalb gegebener Medien durch das Entstehen neuer Medien eingerissen werden. Dann kann u.U. Kommunikation zusammenbrechen, wie z.B. eine Verwaltung zusammenbrechen kann, wenn sie computerisiert wird.« (1982, 201) »So ist da* Übergang von papiergebundener zu sogenannter 'elektronischer* Kommunikation, z.B. was den Umgang mit Dokumenten und die NachweisARGUMENT-SONDERBAND AS 79 ©
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barkeit und Authentizität von Kommunikationsvorgängen angeht, voller ungeklärter Fragen. Ein zu rascher Einsatz von DV-Systemen in diesem Bereich muß zu Fehlschlägen führen.« (Kupka u.a. 1981, 11) Zur Sicherung der »Verbindlichkeit« von Verwaltungsvorgängen genüge nicht »eine bloß vordergründige Übertragung bisher verwaltungsüblicher Schutzmechanismen« auf die neue Technologie. Notwendig sei vielmehr »eine ausgereifte ' Gewährleistungsarchitektur,