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German Pages 304 [305] Year 2013
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 296 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Mareike Schmidt
Produktrückruf und Regress
Mohr Siebeck
Mareike Schmidt, geboren 1983; Studium der Rechtswissenschaft in Würzburg, Berlin (Humboldt-Universität) und Beijing; 2008–12 Assistentin an der Universität Basel; 2012 Promotion; seit 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für rechtswissenschaftliche Fachdidaktik der Universität Hamburg.
e-ISBN PDF 978-3-16-152939-9 ISBN 978-3-16-152938-2 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2013 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Herbstsemester 2012 von der Juristischen Fakultät der Universität Basel als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis August 2012 berücksichtigt. Zum erfolgreichen Abschluss meines Dissertationsprojekts haben zahlreiche Personen auf verschiedenste Weise beigetragen. Zwar kann ich sie hier nicht alle namentlich erwähnen – dennoch bin ich jeder und jedem Einzelnen sehr dankbar. Einige Personen gilt es allerdings hervorzuheben: Frau Professorin Ingeborg Schwenzer war mir vier Jahre lang Doktormutter im besten Sinne des Wortes. Ihre hohen Erwartungen und ihr gleichzeitiges Vertrauen in mich haben mich gefordert und getragen; sie war und bleibt mir Vorbild und Inspiration. Für die Betreuung der Arbeit sowie für die lehrreiche und prägende Zeit, die ich an ihrem Lehrstuhl verbringen durfte, danke ich ihr von ganzem Herzen. Herrn Professor Jean-Fritz Stöckli sowie Herrn Professor Herbert Zech gebührt Dank für die zügige Korrektur der Arbeit. Für die Aufnahme in die Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht danke ich Herrn Professor Jürgen Basedow. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags sowie des Max-Planck-Instituts möchte ich für ihre redaktionelle Hilfe danken. Dankbar bin ich auch dem Dissertationenfonds sowie der Juristischen Fakultät der Universität Basel für den großzügigen Zuschuss zu den Druckkosten. Ohne die Unterstützung zahlreicher Freunde wäre diese Arbeit nicht geschrieben worden. Ihnen allen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Dazu zählen insbesondere meine Kolleginnen und Kollegen vom Lehrstuhl sowie vom vierten und fünften Stock, die mir entweder mit gutem Beispiel vorangingen oder mich bis zum Abschluss der Arbeit begleitet haben. Unter ihnen verdient Herr David Tebel besondere Erwähnung. Mit seiner unermüdlichen Diskussionsbereitschaft, kritischen Prüfung und Ermutigung hat er einen unschätzbaren Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit geleistet. Schließlich gebührt ein großes „Dankeschön“ auch meinen Eltern, die mich nicht nur durch die Dissertationszeit begleitet, sondern auch sonst stets gefördert haben. Hamburg, im November 2013
Mareike Schmidt
Inhaltsübersicht Vorwort ................................................................................................. VII Inhaltsverzeichnis ................................................................................... XI Abkürzungsverzeichnis ...................................................................... XVIII
Einleitung ............................................................................................... 1 A. Problematik .......................................................................................... 1 B. Fragestellung ....................................................................................... 5 C. Begriffliche Abgrenzung ....................................................................... 8
Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf .............. 11 A. Öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht .................................................... 11 B. Strafrechtliche Rückrufpflicht ............................................................. 16 C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht ............................................................. 17 D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion ................................ 141
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer .................................... 161 A. Anspruchsgrundlagen ....................................................................... 161 B. Kostenverteilung ............................................................................... 240 C. Verjährung ....................................................................................... 243 D. Schlussbetrachtung ........................................................................... 250
X
Inhaltsübersicht
Thesen ................................................................................................ 252 Materialienverzeichnis .......................................................................... 254 Literaturverzeichnis .............................................................................. 259 Sachregister .......................................................................................... 277
Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................. VII Inhaltsübersicht ....................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis ...................................................................... XVIII
Einleitung ............................................................................................... 1 A. Problematik .......................................................................................... 1 I. Rückrufe ........................................................................................... 1 II. Kosten .............................................................................................. 3 III. Arbeitsteilige Produktion .................................................................. 4 B. Fragestellung ....................................................................................... 5 C. Begriffliche Abgrenzung ....................................................................... 8
Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf .............. 11 A. Öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht .................................................... 11 B. Strafrechtliche Rückrufpflicht ............................................................. 16 C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht ............................................................. 17 I.
Rückrufverkehrspflicht ................................................................ 18 1. Rechtsgrundlage der Rückrufpflicht ....................................... 18 a) Allgemeines Deliktsrecht .................................................. 18 (i) Sachproblem Produzentenhaftung............................. 18 (ii) Verortung der Produzentenhaftung im Obligationenrecht und im Bürgerlichen Gesetzbuch ............................................................... 19 (iii) Die Verkehrspflichten des Warenherstellers ............. 23
XII
Inhaltsverzeichnis
(1) Begründung der Verkehrspflichten...................... 23 (2) Verortung der Verkehrspflichten im Deliktsaufbau...................................................... 25 (3) Die einzelnen Verkehrspflichten vor Inverkehrbringen ................................................ 27 (a) Pflicht zur sorgfältigen Konstruktion ............. 28 (b) Pflicht zur sorgfältigen Fabrikation ............... 28 (c) Pflicht zur sorgfältigen Instruktion ................ 29 (d) Ausnahme für Entwicklungsrisiken ............... 29 (4) Verkehrspflichten nach Inverkehrbringen ........... 31 (a) Produktbeobachtungspflicht .......................... 31 (b) Reaktionspflichten......................................... 34 (c) Reaktionsschwelle ......................................... 36 (iv) Relevanz der Rückrufpflichten aus dem Produktsicherheitsrecht ............................................ 39 b) Die Produkthaftungsgesetze .............................................. 43 c) Zusammenfassung ............................................................ 44 2. Deutschland: Die Rückrufpflicht im Einzelnen ....................... 45 a) Bestehen einer Rückrufpflicht ........................................... 47 (i) Geeignetheit ............................................................. 48 (ii) Erforderlichkeit ........................................................ 48 (1) Gleiche Eignung ................................................. 51 (a) Relevanter Bezugspunkt ................................ 52 (b) Erfolgswahrscheinlichkeit von Rückruf und Warnung im Regelfall............................. 55 (c) Ausnahmen ................................................... 56 (2) Milderes Mittel ................................................... 58 (3) Zusammenfassung .............................................. 62 (iii) Zumutbarkeit ............................................................ 62 (1) Akzeptierte Grundsätze der Abwägung ............... 63 (2) Umstrittene Punkte ............................................. 64 (a) Fehlerkategorie maßgeblich? ......................... 64 (α) Konstrukations- und Fabrikationsfehler ................................. 64 (β) Entwicklungsrisiken .............................. 67 (γ) Ausreißer .............................................. 69 (b) Rückrufpflicht bei reiner Sachgefährdung? ........................................... 72 (α) Produkt gefährdet andere Sachgüter ...... 72 (β) Produkt gefährdet ausschließlich sich selbst ............................................. 75
Inhaltsverzeichnis
XIII
(c) Beachtlichkeit von Selbstschutzmöglichkeiten? ........................... 78 (α) Bei Pflichtwidrigkeit des Inverkehrbringens ................................. 79 (β) Bei Entwicklungsrisiken ....................... 81 (d) Differenzierung nach gefährdeten Personen? ...................................................... 83 (e) Versicherbarkeit als relevanter Faktor? ......... 84 (f) Relevanz der Kosten für den Hersteller? ........ 86 (iv) Zusammenfassung .................................................... 87 b) Inhalt der Rückrufpflicht .................................................. 88 (i) Rechtsprechung und Schrifttum ................................ 89 (1) Nachrüstung........................................................ 90 (2) Austausch des fehlerhaften Teils ......................... 91 (3) Unbehebbarer Fehler........................................... 91 (4) Modifizierungen im Hinblick auf die Kostentragung..................................................... 92 (5) Weitere Kosten ................................................... 93 (6) Wahlrecht des Herstellers ................................... 93 (ii) Kritikpunkte ............................................................. 94 (1) Effektivität der Gefahrenabwehr ......................... 94 (a) Grundlagen ................................................... 95 (b) Fälle der Notwendigkeit der umfassenden Kostentragung ............................................... 97 (c) Abzug „neu für alt“ ....................................... 98 (d) Weitere Kosten............................................ 101 (e) Modifikationen ............................................ 102 (2) Verzicht auf Überprüfung ................................. 103 3. Schweiz: Bestehen und Inhalt der Rückrufpflicht ................. 104 a) Bestehen einer Rückrufpflicht ......................................... 105 b) Inhalt der Rückrufpflicht ................................................ 107 (i) Ansicht Röthlisbergers ........................................... 107 (ii) Andere Autoren ...................................................... 109 c) Kritische Betrachtung ..................................................... 111 (i) Erforderlichkeit der Rückrufpflicht......................... 111 (ii) Reine Sachgefährdung ............................................ 112 (iii) Effektivität der Gefahrenabwehr ............................. 112 (iv) Verzicht auf Überprüfung ....................................... 113 4. Zeitliche Begrenzung der Rückrufpflicht .............................. 114 a) Diskussionsstand zur Produktbeobachtungspflicht .......... 114 b) Konsequenzen für die Rückrufpflicht .............................. 116
XIV
II.
Inhaltsverzeichnis
(i) Gebrauchsdauer des einzelnen Produkts maßgeblich ............................................................. 117 (ii) Obergrenze entsprechend Verjährungsfristen .......... 118 Anspruch auf Rückruf? .............................................................. 121 1. Negatorische und quasi-negatorische Ansprüche .................. 123 a) Beseitigungsanspruch ..................................................... 124 b) Unterlassungsanspruch ................................................... 126 (i) Allgemein: Anordnung einer Handlung mittels Unterlassungsanspruch ........................................... 126 (ii) Im Besonderen: Einklagbarkeit von Verkehrspflichten ................................................... 128 (1) Konkrete Gefährdung........................................ 129 (a) Gefährdete Personen ................................... 130 (b) Gefährliche Produkte................................... 131 (2) Selbstschutzmöglichkeiten des Anspruchstellers ............................................... 132 (a) Relevanz der Zumutbarkeit des Selbstschutzes ............................................. 132 (b) Ansicht Wilhelmis ....................................... 134 (iii) Weitere Voraussetzungen ....................................... 136 2. Ansprüche aus Deliktsrecht .................................................. 138
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion ................................ 141 I. II. III.
IV.
Formen der Arbeitsteilung ......................................................... 142 Verantwortungsbereiche von Zulieferer und Endhersteller ......... 146 1. Zulieferer ............................................................................. 146 2. Endhersteller ........................................................................ 149 Pflichten nach dem Inverkehrbringen des Endprodukts .............. 151 1. Pflichten des Zulieferers ....................................................... 151 a) Produktbeobachtungspflicht ............................................ 151 b) Rückrufpflicht ................................................................ 152 (i) Bestehen der Rückrufpflicht ................................... 153 (ii) Wahrnehmung der Rückrufpflicht .......................... 156 c) Rückrufanspruch gegen den Zulieferer............................ 157 2. Pflichten des Endherstellers.................................................. 158 Gesamtbetrachtung .................................................................... 159
Inhaltsverzeichnis
XV
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer .................................... 161 A. Anspruchsgrundlagen ....................................................................... 161 I.
II.
Vertragsrecht ............................................................................. 161 1. Anwendbares Vertragsrechtsregime ..................................... 163 a) CISG .............................................................................. 163 (i) Zulieferverträge im Allgemeinen ............................ 163 (ii) Rückrufregress im Besonderen ............................... 165 b) Unvereinheitlichtes Recht ............................................... 167 2. Voraussetzungen .................................................................. 170 a) Mangel des Zulieferteils ................................................. 170 (i) Sicherheitsdefizit als Mangel .................................. 171 (ii) Mangel bei Verdacht der Gefährlichkeit? ............... 173 b) Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten sowie Abbedingung .................................................................. 175 (i) Gesetzliche Regelungen ......................................... 175 (ii) Vertragliche Vereinbarungen .................................. 178 c) Verantwortlichkeit des Zulieferers .................................. 182 3. Rechtsfolgen ........................................................................ 184 a) CISG .............................................................................. 185 b) Unvereinheitlichtes Recht ............................................... 188 (i) Rückrufkosten als zurechenbarer Schaden .............. 188 (ii) Ansprüche nach deutschem Recht........................... 189 (1) Differenzierte Betrachtung der Rückrufkosten .. 189 (2) Nacherfüllung ................................................... 192 (a) Transportkosten........................................... 193 (b) Aus- und Einbaukosten................................ 194 (3) Schadensersatz .................................................. 195 (iii) Ansprüche nach Schweizer Recht ........................... 197 (1) Nacherfüllung ................................................... 198 (2) Schadensersatz .................................................. 200 c) Schadensminderungspflicht und Verantwortlichkeit des Endherstellers ........................................................... 201 d) Freizeichnungsklauseln ................................................... 203 4. Deutschland: Besonderheiten bei Verkauf von Verbrauchsgütern? ............................................................... 204 5. Fazit ..................................................................................... 206 Deliktsrecht ............................................................................... 206 1. Produkthaftungsgesetze ........................................................ 206 2. Allgemeines Deliktsrecht ..................................................... 206 a) Eigentumsverletzung ...................................................... 206 b) Verletzung von Schutznorm bzw. Schutzgesetz .............. 209
XVI III.
IV.
V.
Inhaltsverzeichnis
3. Verhältnis zum Vertragsrecht ............................................... 210 Solidarschuldnerausgleich.......................................................... 211 1. Voraussetzungen .................................................................. 211 a) Rückrufanspruch............................................................. 213 (i) (Quasi-)Negatorische Ansprüche gegen Endhersteller und Zulieferer ................................... 213 (ii) Deliktische Ansprüche gegen Endhersteller und Zulieferer ............................................................... 214 (iii) Unterschiedliche Ansprüche gegen Endhersteller und Zulieferer......................................................... 214 b) Reine Rückrufverkehrspflicht ......................................... 214 c) Ohne Rückrufpflicht ....................................................... 218 2. Inhalt des Ausgleichsanspruchs ............................................ 218 Geschäftsführung ohne Auftrag ................................................. 220 1. Voraussetzungen .................................................................. 221 a) Geschäftsbesorgung für den Zulieferer ........................... 221 (i) Fremdes Geschäft ................................................... 221 (1) Rückrufpflicht des Zulieferers .......................... 221 (2) Keine Rückrufpflicht des Zulieferers ................ 223 (ii) Fremdgeschäftsführungswille ................................. 224 (1) Allgemein ......................................................... 224 (2) Beweislast ........................................................ 225 (a) Meinungsstand ............................................ 225 (b) Stellungnahme............................................. 226 b) Gebotenheit der Geschäftsübernahme ............................. 229 (i) Wille des Zulieferers .............................................. 229 (ii) Interesse des Zulieferers ......................................... 230 2. Umfang des Aufwendungsersatzes ....................................... 233 Bereicherungsrecht .................................................................... 235 1. Voraussetzungen .................................................................. 236 a) Bei Rückrufanspruch gegen den Zulieferer ..................... 236 b) Bei Rückrufverkehrspflicht des Zulieferers ..................... 236 c) Ohne Rückrufpflicht des Zulieferers ............................... 237 2. Inhalt des Bereicherungsanspruchs ....................................... 238
B. Kostenverteilung ............................................................................... 240 I. II.
Gleichlauf mit Kostentragung für Produkthaftungsschäden ........ 240 Mangelnde traceability als Besonderheit im Rückrufregress ...... 241
C. Verjährung ....................................................................................... 243 I.
Vertragliche Ansprüche ............................................................. 244
Inhaltsverzeichnis
II.
XVII
Gesetzliche Ansprüche............................................................... 246 1. Deliktsrecht und Bereicherungsrecht .................................... 246 2. Solidarschuldnerausgleich .................................................... 247 3. Geschäftsführung ohne Auftrag ............................................ 249
D. Schlussbetrachtung ........................................................................... 250
Thesen ................................................................................................ 252 Materialienverzeichnis .......................................................................... 254 Literaturverzeichnis .............................................................................. 259 Sachregister .......................................................................................... 277
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. ABl. Abs. AcP AGB AHB AJP AL Alt. Anm. AppGer Art. Artt. Aufl. AVB Az. BaslerKomm BAuA BB BBl. Bd. bearb. v. BeckOK
beck-online BeckRS BFK BGB BGBl. BGE BGer BGH BJM BR
andere Ansicht alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Deutschland) Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung Aktuelle juristische Praxis (Schweiz) Ad Legendum (Deutschland) Alternative Anmerkung Appellationsgericht (Schweiz) Artikel (Singular) Artikel (Plural) Auflage Allgemeine Versicherungsbedingungen Aktenzeichen Basler Kommentar (Details siehe Literaturverzeichnis) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Deutschland) Betriebs-Berater (Deutschland) Bundesblatt (Schweiz) Band bearbeitet von Beck’scher Online-Kommentar (Details siehe Literaturverzeichnis) Internet-Datenbank, Verlag C. H. Beck () Beck-Rechtsprechung (Deutschland) Eidgenössisches Büro für Konsumentenfragen Bürgerliches Gesetzbuch (Deutschland; Details siehe Materialienverzeichnis) Bundesgesetzblatt (Deutschland) Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichtes, amtliche Sammlung (Schweiz) Bundesgericht (Schweiz) Bundesgerichtshof (Deutschland) Basler Juristische Mitteilungen (Schweiz) Baurecht (Schweiz)
Abkürzungsverzeichnis BR-Drs. Brook. J. Int’l L. BT-Drs. BVerfG BVerfGE
XIX
Bundesrats-Drucksache Brooklyn Journal of International Law (USA) Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht (Deutschland) Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts, amtliche Sammlung (Deutschland) bzw. beziehungsweise Case W. Res. L. Rev. Case Western Reserve Law Review (USA) CHF Schweizer Franken (Währung) CISG United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (Details siehe Materialienverzeichnis) CISG-online Internet-Datenbank, Universität Basel () CPSC Consumer Product Safety Commission (USA) CR CO I Commentaire romand, Code des obligations I (Details siehe Literaturverzeichnis) d.h. das heißt DAR Deutsches Autorecht (Deutschland) DB Der Betrieb (Deutschland) DCFR Draft Common Frame of Reference – Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Def. Couns. J. Defense Counsel Journal (USA) DIN Deutsches Institut für Normung e.V. DM Deutsche Mark (Währung) Drs. Drucksache DS Der Sachverständige (Deutschland) DStR Deutsches Steuerrecht (Deutschland) E. Erwägung e.V. eingetragener Verein EG Europäische Gemeinschaft EHEC Enterohämorrhagische Escherichia coli et al. et alii (und andere) etc. et cetera EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EUR Euro (Währung) EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft f. folgende(r) (Paragraph, Seite etc.) FDA Food and Drug Administration (USA) ff. folgende (Paragraphen, Seiten etc.) Fn. Fußnote GDV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Geo. Wash. Int’l L. Rev. George Washington International Law Review (USA) GPSG Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (Deutschland; Details siehe Materialienverzeichnis) h.M. herrschende Meinung HandKomm Handkommentar zum Schweizer Privatrecht (Details siehe Literaturverzeichnis) HAVE Haftung und Versicherung (Schweiz) HGB Handelsgesetzbuch (Deutschland; Details siehe Materialienverzeichnis)
XX HGer Hrsg. hrsg. v. i.d.R. i.S.v. i.V.m. ibid. IHR ISO JA JURA juris jurisPK JuS JZ Kfz KurzKomm Kza. LeGes LFGB LG LGV lit. m.w.N. MDR Mio. Mrd. MüKoBGB
MüKoHGB MüKoZPO n.F. NJOZ NJW NJW-RR Nr. NVersZ NVwZ OECD OGer OGH OLG OLGR OR
Abkürzungsverzeichnis Handelsgericht (Schweiz) Herausgeber herausgegeben von in der Regel im Sinne von in Verbindung mit ibidem (ebenda) Internationales Handelsrecht (Deutschland) International Organization for Standardization Juristische Arbeitsblätter (Deutschland) Juristische Ausbildung (Deutschland) Internet-Datenbank, juris GmbH () juris Praxiskommentar BGB (Details siehe Literaturverzeichnis) Juristische Schulung (Deutschland) JuristenZeitung (Deutschland) Kraftfahrzeug Kurzkommentar (Details siehe Literaturverzeichnis) Kennzahl LeGes Gesetzgebung & Evaluation (Schweiz) Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (Deutschland; Details siehe Materialienverzeichnis) Landgericht (Deutschland) Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (Schweiz; Details siehe Materialienverzeichnis) litera (Buchstabe) mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht (Deutschland) Million(en) Milliarde(n) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Details siehe Literaturverzeichnis) Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch (Details siehe Literaturverzeichnis) Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Details siehe Literaturverzeichnis) neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift (Deutschland) Neue Juristische Wochenschrift (Deutschland) NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (Deutschland) Nummer Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht (Deutschland) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Deutschland) Organisation for Economic Co-operation and Development Obergericht (Schweiz) Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberlandesgericht (Deutschland) OLG-Report (Deutschland) Obligationenrecht (Schweiz; Details siehe Materialienverzeichnis)
Abkürzungsverzeichnis OVG PHi
PrHG-CH PrHG-D ProdHB PrSG-CH PrSG-D R.S.C. RabelsZ RAPEX RG RGZ RL Rz. S&R S. S.C. SJZ SN SOG SPR SR StoffR str. SUVA SVV U.N. U.S.C. UNCITRAL USD usw. UWG-CH VersR VerwRspr VG vgl. VJ
XXI
Oberverwaltungsgericht (Deutschland) Haftpflicht international – Recht und Versicherung (Deutschland) Produktehaftpflichtgesetz (Schweiz; Details siehe Materialienverzeichnis) Produkthaftungsgesetz (Deutschland; Details siehe Materialienverzeichnis) Versicherungsbedingungen für die Produkthaftpflichtversicherung Produktesicherheitsgesetz (Schweiz; Details siehe Materialienverzeichnis) Produktsicherheitsgesetz (Deutschland; Details siehe Materialienverzeichnis) Revised Statutes of Canada Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Deutschland) Rapid Alert System for Non-Food Consumer Products (EU) Reichsgericht (Deutschland) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, amtliche Sammlung (Deutschland) Richtlinie Randziffer Sicherheit & Recht (Schweiz) Seite(n) Statutes of Canada Schweizerische Juristen-Zeitung (Schweiz) Schweizer Norm (erarbeitet von der Schweizerischen NormenVereinigung) Solothurnische Gerichtspraxis (Schweiz) Schweizerisches Privatrecht (Schweiz) Systematische Rechtssammlung (Schweiz) Zeitschrift für Stoffrecht (Deutschland) strittig Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Schweizerischer Versicherungsverband United Nations United States Code United Nations Commission on International Trade Law US Dollar (Währung) und so weiter Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb (Schweiz; Details siehe Materialienverzeichnis)) Versicherungsrecht (Deutschland) Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland, Sammlung obergerichtlicher Entscheidungen aus dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht (Deutschland) Verwaltungsgericht (Deutschland) vergleiche Vindobona Journal of Commercial Law and Arbitration (Österreich)
XXII VO VW WiB ZBJV ZGB
ZHR Ziff. ZIP zit. ZLR ZPO-D ZR ZSR ZStrR ZürcherKomm ZVEI
Abkürzungsverzeichnis Verordnung Versicherungswirtschaft (Deutschland) Wirtschaftliche Beratung (Deutschland) Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins (Schweiz) Zivilgesetzbuch (Schweiz; Details siehe Materialienverzeichnis) Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (Deutschland) Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Deutschland) zitiert Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht (Deutschland) Zivilprozessordnung (Deutschland; Details siehe Materialienverzeichnis) Blätter für Zürcherische Rechtsprechung (Schweiz) Zeitschrift für Schweizerisches Recht (Schweiz) Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (Schweiz) Zürcher Kommentar (Details siehe Literaturverzeichnis) Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.
Einleitung A. Problematik I.
Rückrufe
A. Problematik
Der Rückruf von gefährlichen Produkten ist seit Jahrzehnten ein vertrautes Phänomen. Allerdings ist die Anzahl der Produktrückrufe in den vergangenen zehn Jahren noch einmal besonders stark angestiegen. 1 So wurden in Deutschland im Jahr 2011 im Kraftfahrzeugbereich mit 186 Rückrufaktionen genau 100 Rückrufe mehr durchgeführt als noch zehn Jahre zuvor. 2 Über einen deutschen Automobilhersteller war jüngst sogar zu lesen, dass die Zahl der Fahrzeuge, die dieser in den ersten sechs Monaten des Jahres 2012 auf dem US-amerikanischen Markt zurückgerufen hatte, drei Mal so hoch sei wie die Zahl der von ihm im selben Zeitraum dort verkauften Produkte. 3 Aus den Daten des deutschen Kraftfahrt-Bundesamtes ergibt sich, dass in den vergangenen acht Jahren circa ein Siebtel aller in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeuge zurückgerufen worden sind. 4
1
Laut manager magazin online, 27.01.2012, hat sich die Zahl der gemeldeten Rückrufe europaweit seit 2004 mehr als vervierfacht; Klindt, NVwZ 2008, 1073, 1073 spricht gar von einem geradezu explosiven Anstieg innerhalb eines Jahrzehnts und prognostiziert eine Fortsetzung dieser Entwicklung. Wie stark die Relevanz von Produktrückrufen weltweit gestiegen ist, lässt sich auch daran ermessen, dass die International Organization for Standardization im April 2013 einen ISO Guidance Standard zu Produktrückrufen veröffentlichen wird (ISO 10393). 2 Im Jahr 2001 fanden 86 Rückrufaktionen statt, im Jahr 2011 waren es 186, Kraftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 2011, 57 (diese Zahlen erfassen nur diejenigen Rückrufaktionen, „bei denen der Mangel so erheblich war, dass die Halterermittlung über das zentrale Fahrzeugregister […] gerechtfertigt war“); die Zahl der im Rahmen von Rückrufaktionen im Jahr 2011 angeschriebenen Halter belief sich auf 563.414 (KraftfahrtBundesamt, Jahresbericht 2011, 58). 3 Welt Online, 10.07.2012; eine vergleichbare Quote erreichte Honda im Jahr 2011, Financial Times Deutschland, 07.02.2012. 4 Das Kraftfahrt-Bundesamt informierte zwischen 2004 und 2011 knapp 7,5 Mio. Halter über Rückrufe (Kraftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 2011, 58); das Register des Kraftfahrt-Bundesamtes umfasste im Jahr 2011 insgesamt 51,7 Mio. zugelassene Kraftfahrzeuge (Kraftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 2011, 4).
2
Einleitung
Diese Zahlen spiegeln sich auch in der Wahrnehmung der Konsumenten wider. Eine Eurobarometer-Umfrage der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2011 ergab, dass ein Fünftel aller europäischen Verbraucher eine „nicht unerhebliche Anzahl von Konsumgütern, […] die in Europa verkauft werden, für unsicher halten.“ 5 In derselben Umfrage gaben 16 Prozent der Befragten an, bereits von einer Rückrufaktion betroffen gewesen zu sein. 6 Das geringe Vertrauen in die Produktsicherheit dürfte als Folge der Tatsache anzusehen sein, dass auch Spielzeug, Kleidung und Haushaltsgeräte häufig Gegenstand von Produktsicherheitsmaßnahmen werden. 7 Der Anstieg an Produktrückrufen wird insbesondere auf die strengeren Regelungen des Produktsicherheitsrechts zurückgeführt, die im vergangenen Jahrzehnt in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erlassen wurden. 8 Allerdings lässt sich daraus nicht zwingend schließen, dass die Behörden heute mehr Rückrufe anordnen als zuvor. Vielmehr stellte eine Studie der OECD aus dem Jahr 2009 fest, dass die Bereitschaft der Unternehmen, von sich aus einen Rückruf durchzuführen, zugenommen habe. 9 Diese Entwicklung mag auch auf eine gesteigerte Sensibilisierung und damit einhergehend eine kritischere Haltung auf Seiten der Verbraucher zurückzuführen sein. 10 Aus denselben Gründen ist auch in der Schweiz, in der es an detaillierten Daten zu Produktrückrufen bisher weitgehend mangelt, mit einem fortgesetzten Anstieg der Produktrückrufe zu rechnen. In diese Richtung deutet auch die Verdreifachung der vom Eidgenössischen Büro für Konsumentenfragen veröffentlichten Produktrückrufe im Zeitraum von 2005 bis 2011. 11 5 Europäische Kommission, Eurobarometer Consumers 2011, 65 (für den sogenannten non-food-Bereich: 20%; für Lebensmittel: 21%). 6 Europäische Kommission, Eurobarometer Consumers 2011, 68. 7 Gemäß Europäische Kommission, RAPEX Jahresbericht 2011, 16 sind die vier Produktarten, für die am häufigsten Meldungen über Maßnahmen aufgrund gefährlicher Produkte eingehen, die folgenden: Bekleidung, Textilien und Modeartikel (423 Meldungen, d.h. 27%); Spielzeug (324 Meldungen, d.h. 21%); Motorfahrzeuge (171 Meldungen, d.h. 11%); Elektrogeräte und -zubehör (153 Meldungen, d.h. 8%). Bedauerlicherweise lassen die RAPEX-Daten nicht erkennen, wie viele der Meldungen Produktrückrufe und wie viele andere Maßnahmen (z.B. Verkaufsstopps, Warnungen oder Rücknahmen) betreffen. 8 Freshfields Bruckhaus Deringer, Getting it right, 5 f. Zu weiteren Ursachen für den kontinuierlichen Anstieg von Produktrückrufen seit den 1970er Jahren siehe Thürmann, NVersZ 1999, 145, 146. 9 OECD, Analytical Report on Consumer Product Safety, 21. 10 Freshfields Bruckhaus Deringer, Getting it right, 6. 11 Schweizerische Post, Logistik, Produktrückruf: 12 Rückrufe im Jahr 2005, 32 im Jahr 2010; im Jahr 2011 veröffentlichte das Eidgenössische Büro für Konsumentenfragen 36 Rückrufe, in der ersten Hälfte des Jahres 2012 bereits 17, siehe BFK, Rückrufe und Sicherheitsinformationen. Die entsprechenden Zahlen der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin für das Jahr 2011 und die erste Hälfte des Jahres 2012
A. Problematik
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II. Kosten Über die Kosten, die einem Hersteller durch einen Produktrückruf entstehen, lassen sich kaum einheitliche Aussagen machen. Die Summen, die in vereinzelten Gerichtsurteilen aus den 1990er Jahren genannt werden, bei denen es um zurückgerufene Rettungsinseln 12, Druckmesszellen zum Bremsen von Schienenfahrzeugen 13, Kfz-Tempostate 14 und Dunstabzugshauben 15 ging, bewegen sich überwiegend im sechsstelligen, einmal aber auch im mittleren siebenstelligen DM-Bereich. In einem Fall über die Kostenerstattung für eine Umrüstaktion an gefährlichen Röntgengeräten aus dem Jahr 2006 beantragte die Klägerin eine siebenstellige Euro-Summe. 16 Um ganz andere Beträge ging es in dem besonders medienwirksamen Rückruf des Automobilherstellers Toyota aus dem Jahr 2010. Wegen vermeintlich klemmender Gaspedale entstand dem weltgrößten Autobauer ein Schaden von über einer Milliarde Euro. 17 Die Summe dieser Kosten setzt sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Einzelposten zusammen. 18 Nach dem Zeitpunkt ihres Entstehens lassen sich folgende Kosten entscheiden: Zuerst werden interne Kosten zur Ermittlung der betroffenen Produktchargen sowie zur Entwicklung einer Strategie zur Gefahrenbeseitigung verursacht 19. Sodann schließen sich die Kosten für die Benachrichtigung der Eigentümer bzw. Nutzer des betroffenen Produkts 20 an. Wenn betragen 77 respektive 54 Rückrufe, siehe BAuA: Liste der Produktrückrufe und Produktwarnungen. Weder das Eidgenössische Büro für Konsumentenfragen noch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin differenziert innerhalb der aufgelisteten Meldungen zwischen Rückrufen und anderen Maßnahmen. Aus diesem Grunde werden hier – im Einklang mit der üblichen Wiedergabe dieser Zahlen, vgl. nur Schweizerische Post, Logistik, Produktrückruf – sämtliche dort aufgeführten Meldungen als Rückrufe bezeichnet. 12 LG Hamburg, 21.07.1992, VersR 1994, 299, 299: DM 186.109,21. 13 OLG München, 04.03.1992, VersR 1992, 1135, E. 5: DM 430.658,50. 14 OLG Düsseldorf, 31.5.1996, NJW-RR 1997, 1344, 1345: DM 607.332,50. 15 OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 594: DM 5.029.878,00. 16 LG Frankfurt a.M., 01.08.2006, VersR 2007, 1575, E. 10: EUR 4.839.785,47, USD 694.560,00 und CAD 119.373,19. 17 Spiegel Online, 04.02.2010. 18 Zu den Kosten, die durch eine Rückrufaktion entstehen, siehe etwa Grote, VersR 1994, 1269, 1269; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 726; Holliger-Hagmann, Management der Produkthaftpflicht, 192 ff.; Kaufmann, VersR 1999, 551, 557; Spühler, 40 f. 19 Umfassend zum Rückrufmanagement in der Praxis Glasl/Klindt, 59 ff. 20 Je nach Gefährdungspotential des Produkts und den Umständen seiner Nutzung kann jeweils (neben etwaigen Dritten) der Eigentümer oder der Nutzer des Produkts gefährdet sein. Freilich erübrigt sich diese Unterscheidung häufig, wenn Produkteigentümer und -nutzer in einer Person zusammenfallen. Der Präzision halber werden in dieser Ar-
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Einleitung
die Benachrichtigung über persönliche Anschreiben erfolgt, müssen dafür zunächst die betroffenen Personen und die entsprechenden Adressen ermittelt werden. Wo dies nicht möglich ist, kommt nur ein über die Medien veröffentlichter Aufruf in Betracht, für den die nötigen Anzeigen in Online- und Printmedien, allenfalls auch in Radio und Fernsehen zu schalten sind. In einzelnen Fällen wird auch eine telefonische Hotline unterhalten, um die Produkteigentümer/-nutzer zu beraten und zu unterstützen. Je nach Produktfehler fallen darüber hinaus Kosten für die Überprüfung der Produkte an, um festzustellen, welche von ihnen tatsächlich fehlerbehaftet und deswegen gefährlich sind. Der Großteil der Rückrufkosten entfällt jedoch üblicherweise auf die Kosten für die eigentliche Gefahrenbeseitigung in Form von Arbeitskosten (Reparatur, Nachrüstung, Aus- und Einbau von Teilen), Materialkosten (bei Einbau eines neuen Teils oder Umtausch des gesamten Produkts) oder Kosten für die Rückerstattung des Kaufpreises. Hinzu kommen Kosten für den Transport der Produkte oder für die Ermöglichung der Gefahrenbeseitigung an ihrem Belegenheitsort. Mitunter erhalten die Produkteigentümer/-nutzer auch Entschädigungen für den vorübergehenden Verzicht auf das Produkt oder sonstige Anreizzahlungen. Weitere Kosten entstehen durch allenfalls notwendige Zwischenlagerung entweder der zurückgerufenen Produkte oder der Ersatzteile sowie sonstige Organisation. Kostspielig kann auch die Entsorgung der fehlerhaften Produkte sein, so insbesondere bei gefährlichen Stoffen, Arzneimitteln und dergleichen. Darüber hinaus fallen während des gesamten Prozesses sowie nach dessen Abschluss Kosten für Ablauf- und Erfolgskontrollen an sowie, gerade in größeren Unternehmen, für externe Beratung durch Experten. Schließlich verursacht ein Rückruf auch Kosten, die nicht der Durchführung der Rückrufaktion dienen, sondern erst eine Folge derselben sind. So entstehen dem Endhersteller häufig Gewinneinbußen und Imageschäden. III. Arbeitsteilige Produktion Der Großteil der Warenproduktion erfolgt heutzutage nicht mehr durch ein einzelnes Unternehmen, sondern in einem System hochdifferenzierter Arbeitsteilung. Dabei übernimmt der Endhersteller teilweise kaum noch mehr als die Rolle eines sogenannten assemblers, welcher von anderen produzierte und gelieferte Teile nur noch zusammensetzt. Im Automobilbereich sind die Zulieferer mittlerweile sogar für 75 Prozent der gesamten Wertbeit regelmäßig beide Begriffe parallel verwendet. Dies erlaubt es, an den Stellen zu differenzieren, an denen es einen Unterschied in der Behandlung von Produkteigentümer und Produktnutzer gibt.
B. Fragestellung
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schöpfung verantwortlich. 21 Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass häufig die Ursache für den Produktrückruf in einem Zulieferteil liegt. Wenn ein solch defektes Teil den Anlass für einen Rückruf gebildet hat, dann wird der Endhersteller regelmäßig versuchen, die durch den Rückruf entstandenen Kosten vom verantwortlichen Zulieferer ersetzt zu bekommen. Für die Beilegung von Fragen, die im Rahmen eines solchen Rückrufregresses auftauchen, gilt das, was auch sonst in Zulieferbeziehungen zu beobachten ist: die beteiligten Parteien (inklusive der involvierten Versicherungen) vermeiden es, ihre Streitigkeiten vor Gericht auszutragen. 22 Maßgeblich für diese Zurückhaltung dürfte einerseits die oftmals langfristige und enge Beziehung zwischen Endhersteller und Zulieferer sein, andererseits der Wunsch, möglichst wenig Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen, um Imageschäden gering zu halten sowie einen Präzedenzfall zu vermeiden. 23 Die meisten Regressfragen finden eine außergerichtliche Lösung, sei es durch eine schlichte Einigung oder ein Schiedsverfahren. 24 Wenn sich ein gerichtliches Verfahren nicht vermeiden lässt, endet es häufig in einem Vergleich. 25 Aus diesen Gründen sind Fragen des Rückrufregresses trotz ihrer großen Praxisrelevanz bisher nur äußerst selten von staatlichen Gerichten entschieden worden.
B. Fragestellung B. Fragestellung
Die vorliegende Arbeit widmet sich zwei Fragenkomplexen, die in folgender Situation zu beantworten sind: Zulieferer Z produziert Teile, mit denen er Endhersteller E beliefert. E verwendet diese Zulieferteile für sein Endprodukt, welches über Zwischenhändler an die Endabnehmer veräußert wird. Als das Endprodukt bereits von den Endabnehmern verwendet wird, stellt sich heraus, dass es ein Sicherheitsrisiko darstellt. Verursacht wird die Gefährlichkeit des Endprodukts durch das von Z bezogene Zulieferteil.
Aus der so skizzierten Sachlage ergibt sich als erstes die Frage nach der Rückrufpflicht des Warenherstellers: Unter welchen Voraussetzungen trifft 21
Handelsblatt, 13.04.2012. Helmig, PHi 2011, 82, 82; Steinmann, 6. 23 Migge, VersR 1992, 665, 666 f. spricht sehr pointiert von dem „Interesse, […] die Bildung einer gefestigten Rechtsprechung zu diesen kostenintensiven Problembereichen und Fragen [im Qualitätsmanagement] zumindest zu verzögern und die so bestehende Rechtsunsicherheit im eigenen Interesse zu nutzen“; Steinmann, 6. 24 Zur regelmäßigen Verwendung von Schiedsklauseln in Qualitätssicherungsvereinbarungen Migge, VersR 1992, 665, 666; siehe auch Steinmann, 6. 25 Siehe dazu die verglichenen Streitigkeiten in der Aufstellung von Lenz, FS Meilicke, 417 ff. 22
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Einleitung
den Hersteller eine Pflicht, das gefährliche Produkt zurückzurufen? Welche Maßnahmen muss er ergreifen, um diese Pflicht zu erfüllen? Innerhalb dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt bei der Beantwortung dieser Fragen auf der zivilrechtlichen Rückrufpflicht. Der Vollständigkeit halber werden auch straf- und öffentlich-rechtliche Rückrufpflichten kurz angesprochen, sie sollen jedoch nicht vertieft behandelt werden. 26 Der zweite Fragenkomplex setzt voraus, dass der Endhersteller das gefährliche Produkt zurückgerufen hat, und erörtert die daraus folgenden Regressfragen: Kann der Endhersteller vom verantwortlichen Zulieferer Ersatz der Rückrufkosten verlangen? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang? Diese Fragen sind per definitionem dem zivilrechtlichen Bereich zuzuordnen. Die Rückrufpflicht und der Rückrufregress werden in dieser Arbeit unter Geltung schweizerischen und deutschen Rechts erörtert. Während sich diese beiden Rechtssysteme im Bereich des hier im Vordergrund stehenden Zivilrechts im Grundsatz sehr ähnlich sind, ist die aktuell große Relevanz der Fragestellung in den beiden Rechtsordnungen auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen. In Deutschland ist die Diskussion über die zivilrechtliche Rückrufpflicht bereits einige Jahrzehnte alt, 27 sie hat jedoch durch die erste höchstrichterliche Entscheidung 28 vor kurzem eine neue Wendung erfahren. Diese wurde zwar in der Literatur schon besprochen, 29 bisher jedoch noch nicht vertieft wissenschaftlich aufgearbeitet. In der schweizerischen Diskussion hingegen hat die Pflicht zum Rückruf gefährlicher Produkte bis vor kurzem eher ein Schattendasein geführt. 30 Jüngst 26 Durch die Beschränkung auf gefährliche Produkte ergibt sich auch, dass diese Arbeit sich nicht mit etwaigen Rückrufpflichten des Immaterialgüterrechts befasst. 27 Die ersten Aufsätze zu diesem Thema stammen von Löwe, DAR 1978, 288 ff., Sack, DAR 1983, 1 ff. (zum Rückrufanspruch aus Wettbewerbsrecht) und J. Hager, VersR 1984, 799 ff. Monographien, die der zivilrechtlichen Rückrufpflicht gewidmet sind, entstanden insbesondere in den 1990er Jahren; darunter sind insbesondere zu nennen: Schulenberg, Der Rückruf des Warenherstellers im deutsch-amerikanischen Rechtsvergleich, Frankfurt a.M. et al. 1992; Seeling, Die „Rückrufpflicht“ des Warenherstellers, Würzburg 1993; Rettenbeck, Die Rückrufpflicht in der Produkthaftung, Baden-Baden 1994; Tamme, Rückrufkosten, Karlsruhe 1996; Pannenbecker, Produktrückrufpflicht und Kostenersatz in der Haftpflichtversicherung, Karlsruhe 1998; Bodewig, Der Rückruf fehlerhafter Produkte, Tübingen 1999; aus jüngerer Zeit Kreidt, Die Haftung des Zulieferers für Produktionsschäden und Rückrufkosten, Bonn 2006, 127 ff. 28 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080 ff. (Pflegebetten). 29 Burckhardt, BB 2009, 630 ff.; Burckhardt, PHi 2009, 48 ff.; Faust, JuS 2009, 377 ff.; J. Hager, VersR 1984, 799 ff.; J. Hager, FS Prölss, 71 ff.; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 26; Kettler, VersR 2009, 274 ff.; Klindt, BB 2009, 792 ff.; Looschelders, SchuldR BT, Rz. 1267; Molitoris, NJW 2009, 1049 ff.; Reusch, StoffR 2009, 205 ff.; E. Wagner, BB 2009, 2050 ff.; G. Wagner, JZ 2009, 908 ff. 30 Ausführlich hat sich mit der zivilrechtlichen Rückrufpflicht in der Schweiz bisher ausschließlich Röthlisberger, Zivilrechtliche Produktbeobachtungs-, Warn- und Rückruf-
B. Fragestellung
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hat jedoch das neue Produktesicherheitsgesetz 31 den Diskurs angefacht, so dass die Rückrufpflicht gerade auch im Zivilrecht vermehrt beachtet worden ist. Die Einzelheiten des Rückrufregresses hingegen sind in der Schweiz offenbar noch gar nicht, in Deutschland bisher lediglich vereinzelt erörtert worden 32. An einer vergleichenden Betrachtung dieses Themas in den beiden Rechtsordnungen fehlt es gänzlich. Aus der inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit ergibt sich auch die Einschränkung auf die genannten Rechtsordnungen. Einerseits existieren sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland Industriebranchen, in denen Rückrufen entweder aufgrund besonderer Häufigkeit (Automobilindustrie) oder aufgrund langfristiger und oftmals nur schwer feststellbarer Wirkungen (Pharma, Chemie) eine gesteigerte Relevanz zukommt. Andererseits ist der zivilrechtlichen Rückrufpflicht in anderen Rechtsordnungen verhältnismäßig wenig Bedeutung beigemessen worden. 33 So ist insbesondere in den USA, welche gleichsam als Mutterland der Rechtsgebiete Produktsicherheit 34 und Produkthaftung 35 gelten können, der Bereich des Produktrückrufs bereits seit Jahrzehnten umfassend reguliert und aufgrund dieser Regulierung dem Zivilrecht in weiten Teilen entzogen. 36 Der oben skizzierte Beispielsfall enthält zwei weitere Beschränkungen der Fragestellung, die der Klarheit halber an dieser Stelle explizit hervorgehoben werden sollen. Beide Eingrenzungen dienen der Reduktion von pflichten der Hersteller, Zürich 2003 auseinandergesetzt. Ansonsten findet die Rückrufpflicht lediglich knappe Erwähnung. 31 Bundesgesetz über die Produktesicherheit vom 12.06.2009, SR 930.11, in Kraft seit 01.07.2010. 32 Aus der monographischen Literatur: Droste, 192 ff.; Tamme, 309 ff.; Kreidt, 234 ff.; Aufsätze: Link, BB 1985, 1424 ff.; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725 ff.; Grote, VersR 1994, 1269 ff.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333 ff.; E. Wagner, BB 2009, 2050 ff. 33 Molitoris, NJW 2009, 1049, 1051 f. (keine differenzierte rechtliche Durchdringung der Thematik in den meisten anderen Industriestaaten). 34 Zur Vorreiterrolle des US-amerikanischen Consumer Product Safety Act Joerges et al., 201 mit Verweis auf dessen Einfluss insbesondere auf OECD-Berichte zur Produktsicherheit aus den Jahren 1978 bis 1983. 35 Zur Bedeutung der USA für die Entwicklung des Produkthaftungsrechts siehe nur die rechtsvergleichende Studie von W. Lorenz in v. Caemmerer, 5 ff., der die USA als „das klassische Land der products liability“ bezeichnet (ibid., 33). 36 Siehe dazu nur die rechtsvergleichenden Studien von Schulenberg, Der Rückruf des Warenherstellers im deutsch-amerikanischen Rechtsvergleich, Frankfurt a.M. et al. 1992 und Bodewig, Der Rückruf fehlerhafter Produkte, Tübingen 1999. Besonders hingewiesen sei bezüglich der Regulierung auf die umfassenden Kompetenzen der Consumer Product Safety Commission, die 1972 durch den Consumer Product Safety Act vom 27.10.1972, 15 U.S.C. §§ 2051–2089 ins Leben gerufen wurde. Der Consumer Product Safety Act enthält in § 2064(d) eine ausdrückliche und detaillierte Regelung der Pflichten des Herstellers zur Gefahrenbeseitigung im Rahmen eines Rückrufs.
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Einleitung
Komplexität mit dem Ziel der Fokussierung auf die spezifischen Probleme in Verbindung mit Produktrückrufen. Die erste Einschränkung besteht in der Festlegung, dass der Zulieferer das Zulieferteil selbst herstellt. Dadurch werden diejenigen Fälle ausgeklammert, in denen der Endhersteller die benötigten Zulieferteile von reinen Zwischenhändlern bezieht 37. Ebenso wenig werden in dieser Arbeit die Fälle des Direktverkaufs vom Endhersteller an den Endabnehmer behandelt. Dieser Verzicht rechtfertigt sich inhaltlich durch die äußerst geringe wirtschaftliche Relevanz des Direktvertriebs gegenüber derjenigen des Einzelhandels 38. In einem Punkt ist die Fragestellung schließlich über das oben gegebene Beispiel hinaus auszuweiten: Neben Zulieferteilen werden in der Produktion von Waren auch sogenannte Grundstoffe verwendet. In Abgrenzung zu Zulieferteilen versteht man darunter Materialien, die bei der Herstellung von Produkten verwendet werden und durch die Verarbeitung ihre Beschaffenheit ändern. 39 Dazu gehören beispielsweise Erze, Mineralien, Erdöle, Kies, Holz und Chemikalien. 40 Wenn im Rahmen dieser Arbeit durchgängig von Zulieferern und Zulieferteilen die Rede ist, dient dies ausschließlich der besseren Lesbarkeit des Textes. Grundstofflieferanten und Grundstoffe, die die Gefährlichkeit eines Endprodukts verursachen, sind von den Ausführungen jeweils gleichermaßen erfasst. 41
C. Begriffliche Abgrenzung C. Begriffliche Abgrenzung
Zuletzt gilt es noch den Begriff des Rückrufs zu definieren, wie er in dieser Arbeit verwendet wird. Diese Klarstellung ist insofern unerlässlich, als die Diskussion über die Rückrufpflicht nicht zuletzt durch terminologische Unterschiede erschwert wird. 42 Die verschiedenen Begrifflichkeiten stellen allerdings keinen Gewinn für die Diskussion der inhaltlichen Fragen dar. 37
Dies ist beispielsweise denkbar im Falle von sogenannten Systemzulieferern; zu diesem Begriff siehe Völker/Neu, 20 ff. 38 So belief sich in Deutschland der Umsatz im Direktvertrieb im Jahr 2011 auf EUR 1,23 Mrd. (Bundesverband Direktvertrieb Deutschland: Umsatz und Außendienstpersonal), während der Einzelhandelsumsatz in demselben Zeitraum bei EUR 422 Mrd. lag (Handelsverband Deutschland, Umsatzentwicklung im Einzelhandel). 39 G. Wagner in MüKoBGB 5, § 4 PrHG, Rz. 16. 40 Hess, Art. 2 PrHG, Rz. 61; Taschner/Frietsch, § 4 PrHG, Rz. 42 sowie Art. 3 RL, Rz. 8. 41 Dazu, dass es der besonderen Erwähnung der Grundstoffe im Rahmen der europäischen Produkthaftungsrichtlinie nicht bedurft hätte, siehe Taschner/Frietsch, Art. 3 RL, Rz. 9. 42 Michalski, BB 1998, 961, 964 bezeichnet die Diskussion über die Rückrufpflicht nicht zuletzt aufgrund der „hier anzufindende[n] Terminologie“ sehr treffend als „die Glatteisfläche auf dem Gebiet der Produzentenhaftung“.
C. Begriffliche Abgrenzung
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Deswegen wird in dieser Arbeit auf entsprechende Ausführungen verzichtet und folgende Definition zugrunde gelegt: Ein Rückruf ist eine Maßnahme, die darauf abzielt, einem Hersteller die Beseitigung der Gefährlichkeit eines Produkts zu ermöglichen, welches sich in den Händen des Endabnehmers befindet.
An dieser Definition sind zwei Punkte besonders hervorzuheben. Zum einen handelt es sich danach beim Rückruf genau wie bei der Warnung um eine Gefahrenbeseitigungsmaßnahme des Herstellers. Im Unterschied zu der bloßen Warnung bezweckt der Rückruf jedoch eine direkte Einwirkung des Herstellers auf das Produkt. 43 Da die Kosten einer Warnaktion regelmäßig bedeutend geringer sind als die eines Rückrufs, haben die betreffenden Rechtsfragen auch eine wesentlich geringere Praxisrelevanz. Zum anderen erfasst ein Rückruf nach dieser Definition, die sich insofern an diejenige der europäischen Produktsicherheitsrichtlinie 44 und damit auch des schweizerischen 45 und des deutschen 46 Produktsicherheitsrechts anlehnt, all diejenigen Fälle nicht, in denen die betreffenden Produkte noch nicht beim Endabnehmer angelangt sind, sondern sich noch in der Lieferkette befinden. Von „Rückrufaktionen gegenüber dem Handel“ lässt sich nach diesem Verständnis folglich nicht sprechen. 47 Derartige Maßnahmen wären vielmehr entsprechend den Produktsicherheitsgesetzen 48 als sogenannte Rücknahmen einzuordnen und werden in dieser Arbeit nicht erörtert. Während die hier verwendete Definition das der Arbeit zugrundegelegte Verständnis verdeutlicht, lässt sie doch noch viel Raum für Präzisierungen. Dazu gehören insbesondere die Fragen, welche konkreten Maßnahmen der Hersteller im Zuge eines Rückrufs zur Gefahrenbeseitigung ergreifen muss und welche Kosten er im Verhältnis zum Produkteigentümer/-nutzer zu tragen hat. Diese Punkte werden im Rahmen der folgenden Ausführungen unter der Bestimmung des Inhalts der Rückrufpflicht zu erörtern sein.
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Anders aber Bodewig, 9 ff., der auch die Warnung unter das „Kürzel ‚Rückruf fehlerhafter Produkte‘“ fasst (ibid., 12 f.). 44 Art. 2 lit. g der Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit. 45 Das schweizerische Produktesicherheitsgesetz definiert den Begriff des Rückrufs nicht. In der Literatur wird jedoch für den Begriff des Rückrufs ebenfalls auf die Richtlinie verwiesen, Hess, Art. 8 PrSG, Rz. 42. 46 § 2 Ziff. 25 PrSG-D. 47 So aber explizit Bodewig, 229. 48 Eine Definition findet sich wiederum in Deutschland: § 2 Ziff. 24 PrSG-D; für die Schweiz vgl. Hess, Art. 8 PrSG, Rz. 42.
Teil 1
Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf Die Pflicht zum Produktrückruf kann ihre Grundlage in allen drei großen Rechtsgebieten haben: im öffentlichen Recht, im Strafrecht sowie im Zivilrecht. Während der Schwerpunkt dieser Arbeit im Zivilrecht liegt, sollen der öffentlich-rechtliche und der strafrechtliche Bereich nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Sie werden daher im Folgenden zunächst kurz behandelt, bevor die zivilrechtliche Pflicht zum Produktrückruf vertieft betrachtet wird. Anschließend wird erörtert, wen die Pflicht zum Rückruf eines gefährlichen Produkts bei arbeitsteiliger Herstellung trifft: den Endhersteller, den Zulieferer oder beide?
A. Öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht A. Öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht
Öffentlich-rechtliche Rückrufpflichten finden sich entweder in Spezialgesetzen über bestimmte Produktgruppen oder in Produktsicherheitsgesetzen mit einem größeren Geltungsbereich. Typische Beispiele für Spezialgesetze, aus denen sich behördliche Befugnisse zur Anordnung eines Rückrufs ergeben können, sind solche über potentiell gefährliche Produkte wie Kraftfahrzeuge 1, Arzneimittel 2, technische Geräte 3 und Lebensmittel 4. Um 1 Durch eine Änderung des National Traffic and Motor Vehicle Safety Act (15 U.S.C. § 1412 (b), § 1414) im Jahr 1974 wurde einer US-amerikanischen Behörde zum ersten Mal die Befugnis verliehen, Rückrufe anzuordnen, Schwartz/Adler, 34 Case W. Res. L. Rev. 401 (1984), 403. Das schweizerische Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958, SR 741.01 (SVG) sieht keine entsprechende Kompetenz vor, vielmehr gab es eine solche für Straßenfahrzeuge bisher nur auf Verordnungsebene im Falle mangelnder Typenkonformität (Verordnung über die Typengenehmigung von Strassenfahrzeugen vom 19. Juni 1995, SR 741.511). Seit dem 1. Juli 2010 gelten jedoch auch für das Inverkehrbringen von Motorfahrzeugen und Fahrrädern die allgemeinen Produktsicherheitsvorschriften, siehe Art. 1 Abs. 3 SVG. 2 In Deutschland besteht seit dem 1. Januar 1978 eine behördliche Befugnis zur Anordnung eines Rückrufs für Arzneimittel gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 24. August 1976, BGBl. 1976 I 2445, welche auf Art. 28 der Richtlinie 75/319/EWG vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten, ABl. 1975 L 147/13, zurückgeht. In der Schweiz enthält das Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte vom
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
einiges jünger als die ersten spezialgesetzlichen Regelungen sind allgemeine Produktsicherheitsgesetze mit der Befugnis zur Anordnung von Rückrufen für eine breite Produktpalette. Sowohl das 1996 in Kraft getretene Schweizer Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse 5 als auch das deutsche Produktsicherheitsgesetz 6, welches 1997 in Kraft trat, enthielten bereits eine derartige Regelung. Das deutsche Gesetz ging insofern über die entsprechende europäische Richtlinie 7 hinaus, deren Umsetzung es diente. 8 Auf Ebene der Europäischen Union wurde eine allgemeine Rückrufkompetenz erst mit der neuen Produktsicherheitsrichtlinie aus dem Jahr 2001 geschaffen, 9 die in Deutschland im Geräte- und Produktsicherheitsgesetz von 2004 (GPSG) umgesetzt wurde. 10 Vor dem Hintergrund derselben europäischen Richtlinie 11 trat am 1. Juli 2010 das Schweizer Produktesicherheitsgesetz (PrSG-CH) in Kraft, welches ebenfalls eine inhaltsgleiche Befugnis enthält. 12
15. Dezember 2000 (Heilmittelgesetz), SR 812.21, eine entsprechende Befugnis für das Schweizerische Heilmittelinstitut in Art. 66 Abs. 2 lit. e. 3 Seit dem 1. Januar 1993 sah das deutsche Gesetz über technische Arbeitsmittel vom 24. Juni 1968, BGBl. 1968 I 717, das mittlerweile aufgehoben wurde, in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 die Möglichkeit der Anordnung eines Rückrufs vor. 4 So beispielsweise § 39 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 4 des deutschen Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches vom 1. September 2005, BGBl. 2005 I 2618 (LFGB). 5 Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse (THG) vom 6. Oktober 1995, SR 946.51. Zur Rückrufanordnung wurden die Behörden in Art. 19 Abs. 3 ermächtigt: „In schwerwiegenden Fällen kann das zuständige Bundesamt das weitere Anbieten, Inverkehrbringen oder Inbetriebnehmen verbieten oder den Rückruf von in Verkehr gebrachten oder in Betrieb genommenen Produkten anordnen.“ 6 Gesetz zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung vom 22. April 1997, BGBl. 1997 I 934. Möglichkeit der Rückrufanordnung in § 9 Satz 1: „Die zuständige Behörde darf den Rückruf eines in den Verkehr gebrachten nicht sicheren Produkts anordnen, solche Produkte sicherstellen und, soweit die Gefahr für den Verbraucher auf andere Weise nicht zu beseitigen ist, ihre Vernichtung veranlassen.“ 7 Richtlinie 92/59/EWG vom 29. Juni 1992 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. 1992 L 228/24. 8 Auch in einigen anderen EU-Mitgliedstaaten bestand zu dieser Zeit bereits eine öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht; siehe dazu die Ausführungen und Beispiele bei König, 75 f. 9 Richtlinie 2001/95/EG vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. 2002 L 11/4; siehe dort Art. 8 Abs. 1 lit. f (ii). 10 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz vom 6. Januar 2004, BGBl. 2004 I 2, 219. Für die Möglichkeit, einen Produktrückruf anzuordnen, siehe dort § 8 Abs. 4 Satz 2 Ziff. 7. 11 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft PrSG, 7408; für den Rückruf ibid. 7428 f. 12 Bundesgesetz über die Produktesicherheit vom 12. Juni 2009, SR 930.11; siehe dort Art. 10 Abs. 3 lit. b. Zeitgleich wurde auch das Bundesgesetz über die technischen Han-
A. Öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht
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Mittlerweile wurde das GPSG in Deutschland mit Wirkung zum 1. Dezember 2011 durch das neue Produktsicherheitsgesetz (PrSG-D) abgelöst. 13 Auch nach diesem Gesetz können die zuständigen Behörden bei begründetem Verdacht und Erforderlichkeit einen Produktrückruf anordnen. 14 Diese Neuregelung geht insofern weiter als das GPSG, als die Marktüberwachungsbehörden gemäß § 26 Abs. 4 PrSG-D den Rückruf oder die Rücknahme von Produkten anzuordnen haben, „wenn diese ein ernstes Risiko insbesondere für die Sicherheit und Gesundheit von Personen darstellen.“ Hierin liegt eine Einschränkung des Ermessens der Marktüberwachungsbehörden, die in Fällen des ernsten Risikos nicht mehr auf alle Maßnahmen des § 26 Abs. 2 PrSG-D zurückgreifen können. 15 International zeichnet sich derzeit eine Tendenz in Richtung der Ausweitung behördlicher Kompetenzen zur Rückrufanordnung ab. So haben in den USA sowohl die Consumer Product Safety Commission 16 als auch die Food and Drug Administration 17 jüngst entsprechend erweiterte Kompetenzen erhalten. Ähnliches gilt für Kanada 18 und Australien 19. In China trat vor kurzem ein Gesetz betreffend die Anordnung des Rückrufs von Lebensmitteln in Kraft. 20
delshemmnisse (THG), SR 946.51, geändert, welches seitdem in Art. 19 Abs. 4 lit. b ebenfalls die Ermächtigung zur Anordnung eines Rückrufs enthält. 13 Produktsicherheitsgesetz vom 8. November 2011, BGBl. 2011 I 2179. 14 § 26 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 7 PrSG-D. 15 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/6276, 49. 16 Durch den Consumer Product Safety Improvement Act (Public Law 110-314) aus dem Jahr 2008 wurden die Rückrufbefugnisse der Consumer Product Safety Commission um wesentliche Punkte erweitert, Leone/Berger, 76 Def. Couns. J. 300 (2009), 307. 17 Mit dem Inkrafttreten des FDA Food Safety Modernization Act (Public Law 111–353) im Jahr 2011 erhielt die Food and Drug Administration die Befugnis, verbindlich den Rückruf von Lebensmitteln anzuordnen, siehe 21 U.S.C. 350l. 18 Am 20. Juni 2011 trat in Kanada der Canada Consumer Product Safety Act (S.C. 2010, c. 21, verabschiedet am 15. Dezember 2010) in Kraft. Nach dessen Art. 31 Abs. 1 kann der Gesundheitsminister unter bestimmten Voraussetzungen den Rückruf eines Verbraucherprodukts anordnen, was ihm nach dem zuvor geltenden Hazardous Products Act (R.S.C. 1985, c. H-3) nicht möglich war. 19 In Australien trat am 1. Januar 2011 das Australian Consumer Law (Schedule 2 des Competition and Consumer Act 2010, Act No. 51 of 1974) in Kraft, nach dessen Section 122 der zuständige Minister den Rückruf von Verbraucherprodukten anordnen kann. 20 Das Gesetz der Volksrepublik China über die Lebensmittelsicherheit (中华人民共 和国食品安全法 – Zhonghua Renmin Gongheguo Shipin Anquan Fa), welches am 1. Juni 2009 in Kraft trat, sieht in Art. 53 Abs. 4 die Befugnis der zuständigen Behörden vor, einen Rückruf anzuordnen. Siehe hierzu Pagnattaro/Peirce, 42 Geo. Wash. Int’l L. Rev. 1 (2010), 9 ff.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Nichtsdestotrotz ist die praktische Relevanz behördlich angeordneter Rückrufe verhältnismäßig gering. 21 Die große Mehrheit der Rückrufe wird vom Hersteller gestartet, ohne dass er hierzu von staatlicher Seite förmlich verpflichtet worden wäre. 22 Zudem stellt sich im Kontext öffentlichrechtlicher Sicherheitsvorschriften und deren Durchsetzung regelmäßig das Problem des Vollzugsdefizits. 23 Aufgrund der öffentlich-rechtlichen Bestimmtheitsanforderungen mangelt es gerade bei sich rapide weiterentwickelnden Produktzweigen häufig an einschlägigen Vorschriften oder im Falle von Generalklauseln an hinreichend zuverlässigen Grundlagen für eine entsprechende Anordnung. 24 In der Regel stehen den zuständigen Stellen weit weniger produktbezogene Informationen zur Verfügung als dem jeweiligen Hersteller, bei dem es sich begriffsnotwendig um einen 21
So hat beispielsweise das für den Kfz-Bereich in Deutschland zuständige Kraftfahrt-Bundesamt in den vergangenen Jahren keine Rückrufe angeordnet (Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes, 30.10.2013). Bezogen auf Produktsicherheitsmaßnahmen insgesamt lässt sich in Deutschland (insbesondere auch im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten) ein sehr geringer Anteil an angeordneten Maßnahmen feststellen, während der Großteil freiwillig ist, siehe Europäische Kommission, RAPEX Jahresbericht 2011, 26 (23 angeordnete Maßnahmen, 121 freiwillig) und Europäische Kommission, RAPEX Jahresbericht 2010, 27 (34 angeordnete Maßnahmen, 177 freiwillig). Siehe hierzu auch die harsche Kritik von Klindt, NVwZ 2008, 1073, 1074 zum öffentlichen Produktsicherheitsrecht allgemein: „Noch immer bleibt es bei dem Befund, dass im technischen Produktsicherheitsrecht die verwaltungsbehördliche Vollziehung weder umfangreich noch flächendeckend und damit letztlich nicht wahrnehmbar existiert. Wo sie existiert, wirft sie viele Fragen in der Praxis auf, bei denen eine stärkere rechtswissenschaftliche und gerichtliche Korrektur dringend von Nöten wären. Es gibt unverändert kaum einen Bereich, der dem Verwaltungsrechtler in der Praxis derart diffus, beliebig, ja fast unbekümmert vollzogen erscheint wie das GPSG.“ 22 Siehe hierzu beispielsweise für den Bereich der Straßenfahrzeuge in der Schweiz: Schweizerischer Bundesrat, Botschaft PrSG, 7425. In Deutschland meldete das Kraftfahrt-Bundesamt, welches über die Sicherheit von Kraftfahrzeugen wacht, für das Jahr 2010 einen Rekordwert von 185 Rückrufaktionen; keine von diesen wurde jedoch als angeordnet ausgewiesen, Kraftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 2010, 62 ff. Von der Befugnis zur Anordnung eines Rückrufs nach Art. 19 des schweizerischen Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse (THG), SR 946.51, ist laut Holliger-Hagmann, Jusletter 08.05.2006, Rz. 8, in rund zehn Jahren kein Gebrauch gemacht worden. 23 Howells, 53, beschreibt dieses Phänomen sehr anschaulich: „[T]he market is awash with numerous consumer products of a bewildering variety. Enforcement authorities cannot hope to monitor all products”; ebenso G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 441 ff. m.w.N.; OECD, Analytical Report on Consumer Product Safety, 2009, 18; siehe auch nochmals die Aussage von Klindt in Fn. 21 oben. Auch ein Ausdruck des Vollzugsdefizits mag der Befund von Freshfields Bruckhaus Deringer, Getting it right, 15, sein, wonach nur 13 Prozent der befragten Unternehmen über die Behörden von einem Problem mit ihrem Produkt erfahren haben, 55 Prozent hingegen von Kunden und 15 Prozent bei eigenen Routine-Tests. 24 Der zivilrechtliche Fehlerbegriff hingegen kann weit über die Nichteinhaltung öffentlich-rechtlicher Standards hinausgehen, hierzu näher unten S. 27 f.
A. Öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht
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Spezialisten im entsprechenden Bereich handelt. Auch dort, wo Behörden über hinreichende Informationen und Rechtsgrundlagen verfügen, bedarf es doch immer einer zeitnahen und umfassenden Überprüfung, die nicht selten an Mangel personeller und finanzieller Ressourcen scheitert. 25 Indirekt jedoch können öffentlich-rechtliche Rückrufpflichten eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Rückrufentscheidung eines Herstellers spielen. Einerseits kann die bloße Möglichkeit einer behördlichen Anordnung mit dem damit verbundenen negativen Effekt in der Öffentlichkeit die Entscheidung des Herstellers zu einem Rückruf wesentlich beeinflussen. 26 Andererseits kommt es mitunter zu Beratungen oder gar regelrechten Verhandlungen zwischen der zuständigen Behörde und dem betroffenen Unternehmen, in denen die Behörde dem Unternehmen den „freiwilligen“ Rückruf 27 mit mehr oder weniger ausdrücklichem Verweis auf ihre Befugnisse gegebenenfalls nahelegt. 28 An dieser Stelle gilt es noch klarzustellen, dass sich entgegen einer in der Schweizer Literatur vertretenen Ansicht 29 und entsprechend dem klaren Gesetzeswortlaut aus dem Produktesicherheitsgesetz nur dann eine Rückrufpflicht des Herstellers ergeben kann, wenn diese behördlich angeordnet wird. 30 Eine öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht ohne Anordnung besteht hingegen nicht. Vielmehr bedarf es gerade der behördlichen Verfügung als Hoheitsakt, um eine solche Pflicht des Herstellers auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts entstehen zu lassen. Bei der Annahme, eine Behörde könne dem Hersteller keine Pflichten auferlegen, die nicht bereits öffentlich-rechtlich bestehen, 31 wird außer Acht gelassen, dass es gerade in der Natur einer Verfügung liegt, dass sie Rechte und Pflichten begründet, ändert oder aufhebt. 32 25
Weiß, 564; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 441 m.w.N. Kettler, PHi 2008, 52, 64, dort Fn. 75. 27 Howells, 53, verwendet den treffenden Begriff „enforcement by negotiation.“ 28 OECD, Analytical Report on Consumer Product Safety, 2009, 11. Röthlisberger, 229 spricht für die Schweiz davon, dass das selbständige Ergreifen von Warn- und Rückrufmaßnahmen „dadurch gefördert [wird], dass Hersteller regelmässig bereits durch die Androhung entsprechender Verfügungen Massnahmen durchführen, um eine negative Publizität zu vermeiden.“ 29 Fellmann in Fellmann/A. Furrer 2011, 71, 90; Fellmann in Fellmann/A. Furrer 2012, 111, 120 f.; Fellmann in BaslerKomm-OR I, Art. 11 PrHG, Rz. 4d; Fellmann/ Kottmann, Rz. 1301. 30 Art. 10 Abs. 3 lit. b PrSG-CH: „Ist es zum Schutz der Sicherheit oder Gesundheit der Verwenderinnen und Verwender oder Dritter erforderlich, so kann das Vollzugsorgan insbesondere: […] b. die Warnung vor den Gefahren eines Produkts, seine Rücknahme oder seinen Rückruf anordnen und nötigenfalls selbst vollziehen […].“ 31 So Fellmann/Kottmann, Rz. 1301; Fellmann, Jusletter 25.10.2010, Rz. 57. 32 Art. 5 Abs. 1 lit. a des Schweizer Verwaltungsverfahrensgesetzes (SR 172.021) definiert: „Als Verfügungen gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf 26
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Die Notwendigkeit der behördlichen Anordnung unterscheidet das Produktesicherheitsgesetz von dem in dieser Hinsicht eher ungewöhnlichen Art. 54 Abs. 1 lit. c der schweizerischen Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV) 33, demzufolge es einer solchen Anordnung gerade nicht bedarf, sondern die Pflicht zum Rückruf im Falle der Gesundheitsgefährdung bereits ipso iure besteht. 34 An der Rechtmäßigkeit dieser Vorschrift sind jedoch wiederholt Zweifel in formeller Hinsicht geäußert worden; 35 sie bisher wurde allerdings nicht gerichtlich überprüft.
B. Strafrechtliche Rückrufpflicht B. Strafrechtliche Rückrufpflicht
Produktsicherheit wird auch durch das Strafrecht gewährleistet. Indirekt geschieht dies durch Vorschriften des Nebenstrafrechts, die die Nichtbefolgung einer öffentlich-rechtlichen Rückrufanordnung unter Strafe stellen. 36 Eigenständige Rückrufpflichten hingegen können sich aus den allgemeinen strafrechtlichen Vorschriften ergeben. Dabei ist an die Fälle zu denken, in denen die Unterlassung des Rückrufs insbesondere bei Personenschäden zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit führt. In Deutschland wurde diese strafrechtliche Rückrufpflicht vom Bundesgerichtshof zum ersten Mal explizit im Lederspray-Fall anerkannt. 37 In der Schweiz ist bisher, soweit ersichtlich, öffentliches Recht des Bundes stützen und zum Gegenstand haben: a. Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten.“ 33 SR 817.02. 34 Art. 54 Abs. 1 lit. c LGV: „Stellt die verantwortliche Person fest oder hat sie Grund zur Annahme, dass vom Betrieb eingeführte, hergestellte, verarbeitete, behandelte oder abgegebene Lebensmittel oder Gebrauchsgegenstände die Gesundheit gefährdet haben oder gefährden können, und stehen die betreffenden Lebensmittel oder Gebrauchsgegenstände nicht mehr unter der unmittelbaren Kontrolle des Betriebs, so muss sie unverzüglich: […] c. falls die Produkte die Konsumentinnen und Konsumenten schon erreicht haben könnten: die Produkte zurückrufen (Rückruf) und die Konsumentinnen und Konsumenten effektiv und genau über den Grund des Rückrufs informieren.“ Für die EU-Mitgliedstaaten enthält Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002 L 31/1 ff.) eine vergleichbare Verpflichtung. 35 Holliger-Hagmann, StoffR 2006, 268, 270, ist der Ansicht, die Materie hätte auf Gesetzes- statt auf Verordnungsebene geregelt werden müssen; Wey in Fellmann/ A. Furrer 2012, 29, 45 zufolge fehlt es an einer Ermächtigung für den Bundesrat, eine solche Regelung zu erlassen; ähnlich Holliger-Hagmann, Jusletter 05.10.2009, Rz. 46 f. 36 Z.B. § 58 Abs. 1 Ziff. 17 LFGB. 37 BGH, 06.07.1990, NJW 1990, 2560 ff.; dazu statt vieler Schmidt-Salzer, NJW 1990, 2966 ff.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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keine vergleichbare Entscheidung ergangen. Die Kernfrage in der Schweizer Diskussion besteht darin, ob den Hersteller, der ein gefährliches Produkt in den Verkehr gebracht hat, eine Garantenpflicht trifft. Frühe Stimmen lehnten dies ab, 38 in letzter Zeit jedoch scheint die Mehrheit der Autoren dies unter gewissen Umständen zu bejahen 39. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2005 hat das Bundesgericht eine solche Garantenpflicht für den Hersteller eines Garagenkipptores, durch das ein Kind verletzt wurde, unter anderem mit dem Hinweis darauf verneint, dass das damals geltende Bundesgesetz über die Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten 40 keine Pflicht des Herstellers enthielt, nach Lieferung eines Produkts dessen „Sicherheit […] zu kontrollieren und allfällige Mängel zu beheben bzw. anzuzeigen.“ 41 Es erscheint naheliegend, dass ein vergleichbarer Fall seit Inkrafttreten des Produktesicherheitsgesetzes, welches in Art. 8 PrSGCH für Verbraucherprodukte umfangreiche Nachmarktpflichten der Hersteller statuiert, anders entschieden würde. Auch wenn eine etwaige strafrechtliche Rückrufpflicht möglicherweise eine größere generalpräventive Wirkung hat als zivilrechtliche Rückrufpflichten 42, so werden strafrechtliche Verurteilungen wegen ihrer Verletzung doch verhältnismäßig selten bleiben. Grund dafür sind insbesondere die Beweislast, das Beweismaß und der individuelle Schuldvorwurf, welche im Strafrecht hohe Hürden darstellen. 43
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
Dieser Abschnitt widmet sich der zivilrechtlichen Rückrufpflicht. Er wirft dabei zwei miteinander zusammenhängende, aber separat zu betrachtende Themenkomplexe auf. Einerseits gilt es zu untersuchen, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine Verhaltenspflicht zur Durchführung 38
So z.B. N. Schmid, FS Keller, 647, 656 f., soweit keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Rückrufpflicht besteht. 39 So z.B. Seelmann in BaslerKomm-StGB I, Art. 11, Rz. 47; Seelmann, ZStrR 2007, 262, 264; Stratenwerth, § 14, Rz. 29; Spitz, 413, konstatiert Einigkeit der überwiegenden Meinung „zumindest im Ergebnis“; auch nach Wohlers, forumpoenale 2010, 2, 6 m.w.N. „geht die Doktrin heute ganz überwiegend davon aus, dass eine derartige Garantenpflicht besteht.“ 40 SR 819.1, in Kraft bis 31.06.2010. 41 BGer, 21.09.2005, 6S.449/2004, E. 4.2.2 (Garagenkipptor). In zwei anderen Fällen stellte sich die Frage nach der Garantenpflicht nach Auffassung des Bundesgerichts nicht, da es jeweils den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Inverkehrbringen eines gefährlichen Produkts sah, BGer, 20.02.1995, BGE 121 IV 10, 14 (Hebebühne) und BGer, 01.05.2009, 6B_1026/2008, E. 2.3.4 (Ballenwickler). 42 Lege, 7 ff. 43 Lege, 2.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
einer Rückrufaktion besteht, für deren schuldhafte Verletzung der Hersteller zu haften hat. Mitunter wird in diesem Kontext von einer „repressiven Rückrufpflicht“ oder schlicht einer Rückrufverkehrspflicht gesprochen. Andererseits stellt sich die Frage, ob diese Pflicht auch – präventiv – einklagbar ist, ob also ein Anspruch auf Produktrückruf gegen den Hersteller bestehen kann. Auf die Erörterung von Fällen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung 44 sowie von vertraglichen Pflichten, die zu ähnlichen Ergebnissen führen können wie deliktsrechtliche Rückrufpflichten, 45 wird im Rahmen dieser Arbeit aufgrund ihrer geringen praktischen Relevanz verzichtet. I.
Rückrufverkehrspflicht
1.
Rechtsgrundlage der Rückrufpflicht
Weder in der Schweiz noch in Deutschland enthält das Zivilrecht eine ausdrückliche gesetzliche Pflicht zum Rückruf gefährlicher Produkte. 46 Es kommen daher sowohl das allgemeine Deliktsrecht als auch die jeweiligen Sondergesetze zur Produkthaftpflicht als Grundlage für eine Rückrufpflicht in Frage. a)
Allgemeines Deliktsrecht
(i) Sachproblem Produzentenhaftung Das Problem der Haftung des Produzenten für Schäden durch von ihm in Verkehr gebrachte gefährliche Produkte unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht vom Normalfall der deliktischen Haftung. Zum einen handelt es sich bei der Schädigung durch Produkte insofern nicht um den klassischen Fall einer deliktischen Haftung, als die Schädigung nicht direkt durch eine Handlung des Herstellers verursacht wird. Je nach Betrachtungsweise liegt vielmehr eine mittelbare Schädigung oder
44 Art. 44 Abs. 2 OR bzw. § 826 Abs. 2 BGB; für Rückrufpflichten nach § 826 Abs. 2 BGB siehe Bodewig, 296 ff. 45 Zu dieser Einschränkung der Fragestellung siehe bereits oben S. 7 f. Zu entsprechenden vertraglichen Rechtsbehelfen nach Schweizer Recht siehe Röthlisberger, 170 ff.; Schwenzer/M. Schmidt, FS Wessner, 243, 254 ff.; nach deutschem Recht: eingehend Beck, 39 ff.; Bodewig, 138 ff.; zur Rechtslage seit der Schuldrechtsreform Kreidt, 203 ff., der gleichzeitig sehr deutlich auf die Probleme des „vertragsrechtlichen Produktrückrufs“ hinweist (204 ff.). 46 Solch eine Pflicht enthält aber neuerdings Art. 46 des Deliktsrechts der Volksrepublik China (中华人民共和国侵权责任法 – Zhonghua Renmin Gongheguo Qinquan Zeren Fa), welches am 1. Juli 2010 in Kraft trat; siehe hierzu Castellana, 37 Brook. J. Int’l L. 233 ff.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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eine Schädigung durch Unterlassen vor. 47 Von ersterer lässt sich sprechen, wenn man auf das Inverkehrbringen des gefährlichen Produkts als Handlung abstellt. Dadurch allein tritt jedoch noch kein Schaden ein, sondern dieser entsteht erst durch zusätzliche Handlungen anderer Personen, nämlich regelmäßig den Gebrauch des Produkts. In der Handlung des Produzenten selbst liegt somit ausschließlich eine Gefährdung. 48 Als eine Schädigung durch Unterlassen hingegen lässt sich die Schädigung durch ein Produkt verstehen, wenn man das Nichtdurchführen von Sicherungsmaßnahmen in den Vordergrund stellt. Ein Unterlassen führt aber nicht ohne weiteres zur deliktischen Haftung. Ob der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Inverkehrbringen oder in der Unterlassung sichernder Maßnahmen zu sehen ist, wird meist offengelassen. In jedem Fall bedarf es zur Haftungsbegründung einer besonderen Sorgfaltspflicht, deren Verletzung dem Produzenten vorgeworfen wird. Insofern sind die Fälle der Produzentenhaftung beispielsweise vergleichbar mit solchen der Eröffnung eines Verkehrs, durch den ein Nutzer mangels ausreichender Sicherung zu Schaden kommt. Der zweite Aspekt, der die Haftung des Produzenten von klassischen Fällen deliktischer Haftung unterscheidet, sind die komplexen und in der Regel weitgehend automatisierten Prozesse, in denen die meisten Waren heutzutage hergestellt werden. Diese führen zu zweierlei: einerseits steht nicht hinter jeder Schädigung durch ein Produkt ein menschliches Fehlverhalten, da mitunter die Ursache für einen Produktfehler ausschließlich in einem maschinellen Fehler bzw. Computerfehler zu sehen ist; andererseits machen komplexe Prozesse das Auffinden der Fehlerquelle zu einer schwierigen Angelegenheit, die insbesondere vom Geschädigten regelmäßig nicht bewältigt werden kann. Dieser befindet sich also im Rahmen der klassischen deliktischen Haftung, in der er die haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmale zu beweisen hat, 49 in einer nahezu ausweglosen Lage. (ii) Verortung der Produzentenhaftung im Obligationenrecht und im Bürgerlichen Gesetzbuch Im Hinblick auf die Rechtsgrundlage der Produzentenhaftung sind die Schweiz und Deutschland unterschiedliche Wege gegangen.
47 Simitis, Produzentenhaftung, 49 ff. Für Verkehrspflichten allgemein: J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 2; Spitz, 268; Sprau in Palandt, § 823, Rz. 45. 48 Simitis, Produzentenhaftung, 50. 49 Für die Schweiz ergibt sich dies aus Art. 8 ZGB, für Deutschland siehe statt aller G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 323 m.w.N.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
In beiden Rechtsordnungen war eine wesentliche Frage, ob die Produzentenhaftung vertragsrechtlich oder deliktsrechtlich zu regeln sei. 50 Die Entwicklung verlief hier insofern noch parallel, als sich sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland die deliktsrechtliche Einordnung durchsetzte. 51 Die sich anschließende Frage, wo genau im Deliktsrecht Ansprüche aus Produzentenhaftung zu verorten seien, wurde von der Rechtsprechung in beiden Staaten zunächst nicht einheitlich beantwortet. So finden sich frühe Entscheidungen des Bundesgerichts sowie des Bundesgerichtshofs, in denen die Produzentenhaftung entweder auf die deliktsrechtliche Grundnorm (Art. 41 Abs. 1 OR 52 bzw. § 823 Abs. 1 BGB 53) oder auf die Haftung des Geschäftsherrn (Art. 55 Abs. 1 OR 54 bzw. § 831 Abs. 1 BGB 55) gestützt wird. In Deutschland entschied der Bundesgerichtshof im Jahr 1969 im Hühnerpest-Fall 56 zugunsten der deliktsrechtlichen Haftung und innerhalb dieser für die Grundnorm des § 823 Abs. 1 BGB. Ein wesentlicher Punkt dieser Entscheidung bestand darin, dass der Bundesgerichtshof für die Produzentenhaftung im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB eine umfassende Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten einführte. 57 Damit nahm er sich des oben erwähnten zweiten Problemkreises der Produzentenhaftung an, indem er es ausreichen ließ, dass der Geschädigte die Fehlerhaftigkeit 50 Zur Diskussion in Deutschland siehe insbesondere das Gutachten für den 47. Deutschen Juristentag (1968) von Simitis, Gutachten, C 20 ff. Für die Schweiz siehe beispielsweise Fellmann, ZSR 1988 I, 275, 285 ff.; Walter, FS Lange, 749, 754 ff.; P. Widmer in Borer, 17, 23 ff. 51 In Deutschland stellte der Bundesgerichtshof in dieser Hinsicht im Hühnerpest-Fall maßgeblich die Weichen, BGH, 26.11.1968, NJW 1969, 269, 272 ff.; siehe zur historischen Entwicklung in Deutschland auch G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 592; zur Entwicklung in der Schweiz siehe Hess, Systematischer Teil PrHG, Rz. 1 ff., der allerdings auch darauf hinweist, dass der Begriff der Produktehaftung in der Schweiz auch für das Vertragsrecht verwendet wird (ibid., Rz. 19). 52 BGer, 01.11.1923, BGE 49 I 465 ff. (Anilin); AppGer Basel-Stadt, 15.11.1960, BJM 1961, 189, 194, 195 ff. (Rebwuchsmittel). 53 BGH, 13.07.1956, VersR 1956, 625 (Karussell); BGH, 16.12.1953, VersR 1954, 100 (Trinkmilch). 54 BGer, 25.03.1938, BGE 64 II 254 ff. (Steiggurt); in BGer, 16.03.1964, BGE 90 II 86 ff. (Fritteuse) wurde die Haftung sowohl nach Art. 41 Abs. 1 OR als auch nach Art. 55 Abs. 1 OR geprüft und abgelehnt. 55 BGH, 21.04.1956, VersR 1956, 410 (Fahrradgabel); zuletzt auch noch BGH, 19.06.1973, NJW 1973, 1602 (Feuerwerkskörper). 56 BGH, 26.11.1968, NJW 1969, 269, 272 ff.; zur Einordnung der Produzentenhaftung im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB siehe auch J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 4 f. m.w.N. (auch zur gegenteiligen Ansicht, dass § 823 Abs. 2 BGB die richtige Grundlage sei); zur Diskussion über die richtige Anspruchsgrundlage und die historische Entwicklung diesbezüglich siehe auch G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 593. 57 BGH, 26.11.1968, NJW 1969, 269, 274 f.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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des Produkts nachwies. Im Hinblick auf das Verschulden musste sich dann der Hersteller entlasten. Das Bundesgericht löste dasselbe Problem fünfzehn Jahre später auf dem entgegengesetzten Weg. 58 Im Schachtrahmen-Fall 59 nahm es die Haftung des Herstellers im Rahmen der Geschäftsherrenhaftung des Art. 55 Abs. 1 OR an. In Bezug auf die Beweislast ist die Konsequenz insofern dieselbe wie nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, als der Geschädigte für die Haftung nach Art. 55 Abs. 1 OR lediglich den Schaden und die Widerrechtlichkeit zu beweisen braucht, woraufhin sich der Geschäftsherr von der Haftung befreien muss, indem er nachweist, dass er alle Sorgfaltsanforderungen erfüllt hat. Indem das Bundesgericht im Schachtrahmen-Fall vom Hersteller neben einer zweckmäßigen Arbeitsorganisation nötigenfalls auch eine Endkontrolle und – sollte diese nicht ausreichen – eine „sicherere Konstruktion“ 60 des Produkts verlangte, setzte es diese Anforderungen so hoch an, dass in der Literatur teilweise die Befürchtung geäußert wurde, Art. 55 Abs. 1 OR sei damit in eine strenge Kausalhaftung (d.h. ohne Möglichkeit des Befreiungsbeweises) verwandelt worden. 61 Tatsächlich ist es, soweit ersichtlich, seitdem keinem Hersteller gelungen, den Befreiungsbeweis zu erbringen. Es gilt in dieser Hinsicht jedoch, die vom Bundesgericht gewählten Formulierungen ernst zu nehmen. Das Bundesgericht fordert, dass der Hersteller „alle nötigen und zumutbaren Massnahmen zu ergreifen [habe], um Herstellungsfehler zu verhindern, oder zu verunmöglichen, dass mangelhafte Erzeugnisse verkauft [werden]“ 62 und dass die Gefahr einer Schädigung „auf ein Minimum zu reduzieren“ 63 sei. Demnach muss davon ausgegangen werden, dass der Hersteller sich auch nach dem Schachtrahmen-Fall noch entlasten kann, indem er nachweist, dass ihm weitergehende Maßnahmen nicht zumutbar waren bzw. er die Gefahr soweit („auf ein Minimum“) reduziert hat, wie ihm dies möglich war. Bei der Geschäftsherrenhaftung handelt es sich mit-
58 Zur historischen Entwicklung der schweizerischen Produkthaftung siehe P. Widmer, ZSR 1995 I, 23 ff. 59 BGer, 09.10.1984, BGE 110 II 456 ff. 60 BGer, 09.10.1984, BGE 110 II 456, 465. 61 Honsell, Haftpflichtrecht, § 21, Rz. 19; Walter, FS Lange, 749, 760; P. Widmer, recht 1986, 50, 55; Schwenzer, OR AT, Rz. 23.22, 23.25, begrüßt hingegen, dass „der Sorgfaltsbeweis [heute praktisch] nicht mehr gelingen [dürfte], wann immer jemand durch ein pflichtwidriges Verhalten einer Hilfsperson geschädigt wird“; ähnlich Fellmann/Kottmann, Rz. 814, die das Resultat zumindest im Rahmen der Produkthaftung für überzeugend halten. 62 BGer, 09.10.1984, BGE 110 II 456, 464 (Hervorhebung nicht im Original). 63 BGer, 09.10.1984, BGE 110 II 456, 465 (Hervorhebung nicht im Original).
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
hin weiterhin um eine einfache Gefährdungshaftung mit Befreiungsmöglichkeit. 64 Während in Deutschland heute davon ausgegangen wird, dass die Haftung für den Verrichtungsgehilfen nach § 831 Abs. 1 BGB keine angemessene Anspruchsgrundlage für die Produzentenhaftung darstellt, 65 scheint in der Schweiz umgekehrt eine Klage aus Produzentenhaftung gestützt auf Art. 41 Abs. 1 OR keineswegs ausgeschlossen. Vielmehr ist sie schlichtweg unwahrscheinlich aufgrund der dort für den Kläger ungünstigen Beweislastverteilung. 66 Die Diskussion in der Schweizer Literatur und Rechtsprechung hat sich zuletzt im Rahmen des Vorentwurfs zum Haftpflichtrecht 67 ausführlich mit der Verortung der Produzentenhaftung im Obligationenrecht auseinandergesetzt. 68 Allerdings haben sich die Überlegungen seit Inkrafttreten des Produktehaftpflichtgesetzes 69 im Jahr 1994 überwiegend damit beschäftigt, ob und inwieweit eine Haftung des Herstellers aus Obligationenrecht neben dem Produktehaftpflichtgesetz überhaupt noch in Frage kommt. Aufgrund des klaren Wortlauts des Produktehaftpflichtgesetzes gehen die Rechtsprechung und die überwiegende Meinung in der Literatur von der parallelen Anwendbarkeit von Produktehaftpflichtgesetz und Obligationenrecht aus. 70 64
Diese Einschätzung bestätigte das Bundesgericht in seiner Entscheidung BGer, 25.01.2006, 4C.307/2005, E. 3.2 (Rundballenraufe). 65 Statt vieler Sprau in Palandt, § 823, Rz. 166: kaum praktische Bedeutung wegen der Möglichkeit des Entlastungsbeweises und im Hinblick auf die eigene Organisationspflicht des Herstellers; siehe auch schon die Begründung von Simitis, Produzentenhaftung, 72: für die Anwendung des § 831 BGB ist „im Rahmen der industriellen Produktion kein Raum. Zwar gehört die menschliche Tätigkeit, trotz der zunehmenden Automation, nach wie vor zu ihren Merkmalen. Doch lassen sich die hier erbrachten Leistungen nicht mit den Maßstäben des Verrichtungsgehilfen messen. Das industrielle Unternehmen kennt keine Verrichtungsgehilfen, sondern nur eine einheitliche Organisation, in der die individuelle Tätigkeit jedes Arbeitnehmers ebenso ein planmäßiger, vorausberechneter Bestandteil eines Gesamtprozesses ist wie die Leistung jeder Maschine.“ 66 So auch Fellmann/v. Büren-v. Moos, Rz. 472; Gnos, 144; Reinhard, 178, 182; Rochaix, 90. 67 Zum Vorentwurf und seinen Auswirkungen auf das Recht der Produkthaftung: Gnos, 133 ff. 68 Siehe beispielsweise die Beiträge von Fellmann, ZSR 1988 I, 275, 299 ff.; Walter, FS Lange, 749, 755 ff.; sowie Nater, SJZ 1989, 389 ff., der Art. 41 OR als Haftungsgrundlage bereits kaum noch in Betracht zieht. 69 Bundesgesetz vom 18. Juni 1993 über die Produktehaftpflicht, SR 21.112.944 (PrHG-CH), in Kraft seit 1. Januar 1994. 70 BGer, 25.01.2006, 4C.307/2005, E. 2 (Rundballenraufe): Anspruchskonkurrenz zwischen Schadensersatzansprüchen aus dem Obligationenrecht und aus dem Produktehaftpflichtgesetz gemäß Art. 11 PrHG; Fellmann in BaslerKomm-OR I, Art. 11 PrHG, Rz. 4; Fellmann/Kottmann, Rz. 1220; Heierli/Schnyder in BaslerKomm-OR I, Art. 55, Rz. 3a; Honsell, Haftpflichtrecht, § 21, Rz. 54 ff.; Reinhard, 163; Rey, Rz. 1236;
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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Dass die unterschiedliche Einordnung der Produzentenhaftung unter dem Grundtatbestand der Deliktshaftung einerseits und unter der Geschäftsherrenhaftung andererseits einen praktischen Unterschied zur Folge hat, mag bezweifelt werden. Letztlich handelt es sich sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland um eine Haftung des Herstellers für mangelnde Organisation des Unternehmens und des Produktionsprozesses, die im Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produkts resultiert. 71 In beiden Rechtsordnungen obliegt es dem Hersteller, sich von der Haftung zu befreien, indem er nachweist, dass er alle erforderliche Sorgfalt hat walten lassen. Ein praktischer Unterschied dadurch, dass es sich in der Schweiz dabei um einen Exzeptions- und in Deutschland um einen Exkulpationsbeweis handelt, ist nicht ersichtlich. 72 Insbesondere wird in beiden Rechtsordnungen an diese Befreiung ein solch hoher Maßstab angelegt, dass sie im Ergebnis nur sehr selten relevant wird. (iii) Die Verkehrspflichten des Warenherstellers Um der ersten der beiden oben erwähnten Besonderheiten der Produzentenhaftung – der mittelbaren Schädigung bzw. der Schädigung durch Unterlassen – gerecht zu werden, gilt es, sich mit der Begründung der Sorgfaltspflichten des Herstellers auseinanderzusetzen, ohne die und deren Verletzung der Hersteller nicht haftbar gemacht werden kann. Anschließend wird kurz angesprochen, wo diese Pflichten im Deliktsaufbau verortet sind, bevor dann auf die einzelnen Pflichten vor und nach Inverkehrbringen der Produkte eingegangen wird. (1) Begründung der Verkehrspflichten Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland sind spezifische Herstellerpflichten in Rechtsprechung und Lehre anerkannt. Im Ergebnis besteht Einigkeit dahingehend, dass der Hersteller verpflichtet ist, eine gewisse Sicherheit der von ihm in Verkehr gebrachten Produkte zu gewährleisten. Wie weit diese Pflicht im Einzelnen geht, ist umstritten; es wird darauf weiter unten 73 einzugehen sein. An dieser Stelle soll es zunächst lediglich um die Frage der Begründung der Sorgfaltspflichten des Herstellers gehen. Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 384 ff.; Werro in CR CO I, Art. 55, Rz. 38; eingehend zur Anspruchskonkurrenz im Produkthaftpflichtrecht Gnos, 36 ff. und passim; die Anspruchskonkurrenz hingegen einschränkend: Brehm in BernerKomm, Art. 55 OR, Rz. 86 f.; Ch. Müller in HandKomm, Art. 55, Rz. 28. 71 J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 2; Rolland, Teil II, Rz. 20; Röthlisberger, 56 f.; in diese Richtung auch P. Widmer in Fellmann/A. Furrer 2011, 101, 110. 72 So auch Honsell, FS Schwenzer, 779, 787 zur Unterscheidung zwischen Exzeptions- und Exkulpationsbeweis im Allgemeinen („unzutreffend und gekünstelt“). 73 Siehe S. 27 ff.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
In der Schweiz wird als Grundlage der Sorgfaltspflichten der sogenannte Gefahrensatz angeführt. 74 Diesem zufolge hat derjenige, der einen Zustand schafft oder aufrechterhält, welcher einen anderen schädigen könnte, die zur Vermeidung des Schadens erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. 75 Der Entstehungsgrund für die Sorgfaltspflichten besteht demnach aus zwei Komponenten, dem Schaffen eines gefährlichen Zustands auf der einen und dem Aufrechterhalten eines solchen auf der anderen Seite. Letzteres setzt voraus, dass die Gefahr sich in der Sphäre des Herstellers befindet, es handelt sich hierbei also um eine Haftung für den eigenen Bereich. 76 Vereinzelt wird in der Schweiz zusätzlich auf den Vertrauensschutz als Begründung der Sorgfaltspflichten verwiesen. 77 Terminologisch wird häufig lediglich von Pflichten als Ausfluss des Gefahrensatzes gesprochen, mitunter wird synonym auch der aus Deutschland stammende Begriff der Verkehrs(sicherungs)pflichten verwendet. 78 Der Einheitlichkeit halber wird im Folgenden ausschließlich von Verkehrspflichten die Rede sein. Auch in Deutschland werden die Schaffung einer Gefahr 79 und deren Beherrschbarkeit 80 zur Begründung der Verkehrspflichten 81 des Warenherstellers angeführt. Daneben spielt dort anerkanntermaßen der Schutz des Vertrauens der Nutzer respektive der Allgemeinheit eine wesentliche Rol-
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Gnos, 119 ff.; Heierli/Schnyder in BaslerKomm-OR I, Art. 41, Rz. 19a; Oftinger/ Stark, Bd. II/1, § 16, Rz. 26 ff.; Röthlisberger, 27 ff.; Schweighauser, 93. 75 Siehe nur Rey, Rz. 753 m.w.N. 76 Burki, 91. 77 So z.B. Jaun, ZBJV 2003, 141, 152 ff. 78 Z.B. bei Honsell, Haftpflichtrecht, § 4, Rz. 31 f.; Rey, Rz. 756a; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 269; Röthlisberger, 29; Schweighauser, 92 (Gefahrensatz entspricht deutscher Verkehrssicherungspflicht); nach Furgler, 61, steht der Begriff der Verkehrssicherungspflicht im schweizerischen Recht für „jene ganz bestimmte allgemeine Sorgfaltspflicht, die sich aus Art. 41 Abs. 1 OR ergibt, zur Regelung von Schadensereignissen, die auf Unterlassungen beruhen“; zum Verhältnis von Gefahrensatz und Verkehrs(sicherungs)pflichten instruktiv auch Spitz, 267 ff. 79 J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 13 mit zahlreichen Rechtsprechungs- sowie Literaturnachweisen; siehe auch v. Bar, 113 ff.; J. Lange/Schmidbauer in jurisPK, § 823, Rz. 86. 80 Nach G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 237, ist die „tatsächliche und rechtliche Möglichkeit zur Gefahrsteuerung im konkreten Einzelfall“ unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung einer Verkehrspflicht (mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung); siehe auch v. Bar, 122 ff.; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 16 m.w.N.; Niehusen, 14 spricht insofern von der „Verantwortung des Unternehmers für seinen Bereich“. 81 Zur historischen Entwicklung der terminologischen Unterscheidung zwischen Verkehrspflichten und Verkehrssicherungspflichten siehe v. Bar, JuS 1988, 169, 170; Voss, 51 ff.
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le. 82 Schließlich wird als viertes Hauptargument der Nutzen angeführt, den der Hersteller aus dem Vertrieb des Produkts zieht. Spiegelbildlich dazu müsse er auch die Verantwortung für das Risiko übernehmen. 83 Insbesondere im Rahmen der ökonomischen Analyse des Rechts wird auch auf die sachgerechte Versicherbarkeit der Risiken abgestellt. 84 Die weniger umfassende Beschäftigung mit der dogmatischen Herleitung der Verkehrspflichten des Herstellers in der Schweiz lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass in Deutschland als wesentlich betrachtete Entstehungsgründe wie der Nutzen des Herstellers und das Vertrauen der Nutzer in der Schweiz irrelevant seien. Vielmehr scheint aufgrund der unumstrittenen Verankerung des Gefahrensatzes als „Fundamentalsatz der Rechtsordnung“ 85 die Begründung der Verkehrspflichten in der schweizerischen Diskussion nie eine ähnlich hoch gehandelte Frage gewesen zu sein wie in Deutschland, so dass die mehrfache dogmatische Verankerung der Verkehrspflichten schlichtweg unterbleiben konnte. (2) Verortung der Verkehrspflichten im Deliktsaufbau Weder in der Schweiz noch in Deutschland ist das Verhältnis zwischen den Verkehrspflichten einerseits und der Widerrechtlichkeit bzw. Rechtswidrigkeit sowie dem Verschulden andererseits abschließend geklärt. 86 Für das Schweizer Recht hat das Bundesgericht nach einigen „Schwankungen“ 87 82 BGH, 27.01.1987, NJW 1987, 2671, 2672; v. Bar, JuS 1988, 169, 170; Mertens, VersR 1980, 397, 401 will der Verkehrsanschauung als „Ausdruck bestehender Vertrauenserwartungen […] sogar die Funktion eines ganz wesentlichen normativen Kriteriums der Abwägung zusprechen“; Schiemann in Erman, § 823, Rz. 112. 83 BGH, 13.12.1960, NJW 1961, 455, 456; v. Bar, 125 ff. und v. Bar, JuS 1988, 169, 171 spricht in diesem Zusammenhang vom „Interessenprinzip“. 84 Kreidt, 144. 85 Dieser Begriff wurde geprägt von Oftinger, 88 f. 86 Die deutschen Verkehrspflichten im Rahmen der Rechtswidrigkeit ansiedelnd: ausführlich Voss, 94 ff. m.w.N.; ebenso Sprau in Palandt, § 823, Rz. 45 (allgemeiner Sorgfaltsmaßstab); G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 62 ff., 232 ff.; hingegen für die Verkehrspflichten als Teil der Verschuldensprüfung siehe nur Steffen in RGRK, § 823, Rz. 140. Den Gefahrensatz nach Schweizer Recht als Verhaltensnorm auffassend, welche die Widerrechtlichkeit begründet: noch BGer, 27.06.1990, BGE 116 Ia 162, 169, E. 2.c; Heierli/Schnyder in BaslerKomm-OR I, Art. 41, Rz. 38; Honsell, Haftpflichtrecht, § 4, Rz. 35 f.; Nef, FS Brehm, 267, 269; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 269; Schwenzer, OR AT, Rz. 50.33; dagegen ordnen den Gefahrensatz im Rahmen des Verschuldens ein: BGer, 16.04.1998, BGE 124 III 297, 300 E. 5.b; Brehm in BernerKomm, Art. 41 OR, Rz. 51c f.; Ch. Müller in HandKomm, Art. 41, Rz. 10; Oftinger/Stark, Bd. I, § 4, Rz. 44; Vogel, 55. 87 Brehm in BernerKomm, Art. 41 OR, Rz. 51e m.w.N.; siehe dazu auch Werro, ZSR 1997 I, 343, 364 f.
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schließlich im Jahr 1998 die Funktion des Gefahrensatzes folgendermaßen beschrieben: er diene sowohl dazu, den „Kausal- bzw. […] Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen einer Unterlassung und dem eingetretenen Schaden zu beurteilen“, als auch dazu, das Verschulden zu begründen, nicht jedoch zur Begründung der Widerrechtlichkeit einer Unterlassung. 88 Damit ist mittlerweile zumindest geklärt, dass eine Verkehrspflichtverletzung allein den deliktsrechtlichen Schutz des Vermögens nicht zu begründen vermag. 89 Darüber hinaus bleibt jedoch weitgehend offen, inwiefern bzw. gar ob es des Zurückgreifens auf die Verkehrspflichten überhaupt bedarf. Diese Frage stellt sich insbesondere im Verhältnis zur Verschuldensprüfung. Schließlich wird in der Prüfung der Erfüllung von Verkehrspflichten die Frage gestellt, ob der Hersteller unter Berücksichtigung der Verkehrserwartung alles Mögliche, Erforderliche und Zumutbare getan hat, um den Eintritt eines Schadens abzuwenden. 90 Die Verschuldensprüfung hingegen besteht darin festzustellen, ob die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ angewendet wurde. 91 Inwiefern dies unterschiedliche Maßstäbe sein sollen, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. 92 Verschiedentlich wird zwar vertreten, dass es sich einmal um äußere, einmal um innere Sorgfalt oder aber um ein Höchstmaß an Sorgfalt einerseits und lediglich um die im Verkehr erforderliche Sorgfalt andererseits handele. 93 Eine scharfe Grenzziehung ist jedoch schwierig. So ist es nicht verwunderlich, dass mitunter darauf hingewiesen worden ist, bei einer Verkehrspflichtverletzung liege in der 88
BGer, 16.04.1998, BGE 124 III 297, 300 E. 5.b. Eine gewisse Hellsichtigkeit kann man aufgrund dieser Aussage folgender (resignierten?) Einschätzung von P. Widmer, ZBJV 1970, 289, 305 nicht absprechen, der knapp 30 Jahre früher feststellte, es scheine „einige Verwirrung darüber zu herrschen […], ob das Verschulden oder nicht doch eher die Widerrechtlichkeit anhand des Gefahrensatzes zu beurteilen sei. Man hat sich aber für die elegante Lösung entschlossen, den Gefahrensatz kurzerhand für beides zu brauchen – und es würde durchaus nichts im Wege stehen, das Kausalitätsproblem auch gerade noch durch denselben Fleischwolf zu treiben.“ 89 Zu dieser Frage im deutschen Recht siehe nur Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 25 (h.M. lehnt primären Vermögensschutz über Verkehrspflichten ab). 90 Siehe hierzu im Rahmen des Bestehens der Rückrufpflicht S. 47 unten. 91 Vgl. § 276 Abs. 2 BGB; für das schweizerische Recht siehe statt vieler Schwenzer, OR AT, Rz. 22.14 m.w.N. 92 G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 232, nennt sogar ausdrücklich den Fahrlässigkeitsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB als Maßstab, an dem die Verkehrspflichten orientiert sind; Furgler, 156 spricht von „Identität von objektiviertem Fahrlässigkeitsbegriff und dem Begriff der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht“; ähnlich auch Schweighauser, 92 („Mass der Sorgfalten […] anhand des sogenannten Gefahrensatzes entwickelt“). 93 Siehe den Überblick bei R. Krause in Soergel, § 823 Anh II, Rz. 16 ff. m.w.N.; ausführlich zur äußeren und inneren Sorgfalt v. Bar, 171 ff.; zur Kritik daran G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 62 ff.
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Regel auch Fahrlässigkeit vor. 94 G. Wagner ist sogar der Ansicht, dass „[d]ie Rede von den Verkehrspflichten […] ohne jeden dogmatischen Verlust aufgegeben werden“ könnte. 95 Letztlich spielen die Verkehrspflichten im Rahmen der deliktischen Produzentenhaftung nach Art. 55 Abs. 1 OR bzw. § 823 Abs. 1 BGB lediglich als Fallgruppen der Verantwortung des Herstellers eine Rolle. Sie dienen damit der besseren Voraussehbarkeit der Anforderungen, die an den Produzenten gestellt werden und somit der Rechtssicherheit. Eine darüber hinausgehende Bedeutung können sie allerdings dann erlangen, wenn sie als mehr als reine Sorgfaltspflichten verstanden werden, nämlich als einklagbare Handlungspflichten 96. (3) Die einzelnen Verkehrspflichten vor Inverkehrbringen Unter den klassischen Verkehrspflichten des Herstellers, deren Verletzung Voraussetzung für seine Haftung ist, versteht man die Pflicht zur sorgfältigen Konstruktion, Fabrikation und Instruktion. Das vom Hersteller mittels dieser Verkehrspflichten zu gewährleistende Sicherheitsniveau wird durch die berechtigten Erwartungen der Produktnutzer bestimmt, welche im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu erfüllen sind. 97 Dazu gehört auch, dass naheliegender Fehlgebrauch bei der Herstellung antizipiert und das Produkt entsprechend gesichert werden muss. 98 Nicht ausreichend ist es, dass der Hersteller die anwendbaren öffentlich-rechtlichen Sicherheitsstandards und technischen Normen einhält. 99 Solange das Produkt gefährlich ist, kann sich der Hersteller nur in dem Fall auf die Übereinstimmung mit solchen Vorschriften berufen, wenn ihm aufgrund öffentlich94
Brüggemeier, Rz. 571; Furgler, 154 ff.; Simitis, Produzentenhaftung, 78; differenzierend für die verschiedenen Fehlertypen: v. Caemmerer, FS Rheinstein, 659, 666 ff.; äußerst kritisch zu der Objektivierung des Verschuldensbegriffs durch den Gefahrensatz P. Widmer, ZBJV 1970, 289, 305 ff. 95 G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 233. 96 Siehe hierzu unten S. 128 ff. 97 BGH, 17.10.1989, NJW 1990, 906, 906 f. (Pferdeboxen); BGH, 07.06.1988, NJW 1988, 2611, 2611 f. (Limonadenflasche); hierzu ausführlich etwa R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 12 ff. m.w.N.; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 484 m.w.N. 98 BGH, 12.11.1991, NJW 1992, 560, 560 f. (Kindertee); BGH, 24.01.1989, NJW 1989, 1542, 1543 ff. (Asthma-Spray); Burki, 99; Christen, 183 f.; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 15; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 624 m.w.N. 99 Siehe dazu BGH, 27.09.1994, NJW 1994, 3349, 3350 (Atemüberwachungsgerät); jüngst auch OLG Hamm, 21.12.2010, NJW-RR 2011, 893, 893 f. (Sicherheitsbrennpaste); J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 10; Hess, Systematischer Teil PrHG, Rz. 82 ff.; Loistl, LeGes 2006, 75, 80; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 277 ff.; zu technischen Normen auch Christen, 181. Differenzierend Wyss, AJP 2006, 53, 69 ff.: Befolgung technischer Normen begründet Vermutung für Mängelfreiheit, welche nur in klar definierten Fällen widerlegt werden kann.
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rechtlicher Anforderungen die gewählte Konstruktion zwingend vorgeschrieben war. 100 Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die einzelnen Verkehrspflichten sowie den Ausschlussgrund des Entwicklungsrisikos gegeben. 101 (a) Pflicht zur sorgfältigen Konstruktion Bei der Konstruktion seines Produkts hat der Hersteller die nötige Sorgfalt walten zu lassen. Hat er dies nicht getan, handelt es sich regelmäßig um einen Serienfehler, da sich Fehler bei der Konstruktion, d.h. bei der Planung, Auswahl der Materialien etc., auf alle Produkte auswirken. Um einen Konstruktionsfehler handelte es sich beispielsweise bei dem Garagenkipptor, das sich mit einer solchen Wucht schloss, dass Kinder schwere Verletzungen erlitten, wenn sie zwischen das sich schließende Tor und die Wand gerieten. Durch den Einbau zusätzlicher Sicherheitsvorkehrungen hätte sich dieser Fehler beheben lassen. 102 (b) Pflicht zur sorgfältigen Fabrikation Auch bei der Fabrikation, also der tatsächlichen Fertigung des Produkts, trifft den Hersteller eine Pflicht zur Sorgfalt. Ein Fabrikationsfehler betrifft in der Regel nur einzelne Exemplare oder einzelne Chargen eines Produkts, beispielsweise im Falle einer Verunreinigung von Lebensmitteln. Ein Fabrikationsfehler lag auch vor bei einem 700 kg schweren Schachtrahmen, der einem Bauarbeiter auf den Fuß fiel, weil die Stahlschlaufe, an der der Schachtrahmen hochgehoben wurde, nicht fest genug im Beton verankert war. 103 Zu der Pflicht zur sorgfältigen Fabrikation gehört insbesondere auch eine Kontrolle der fertigen Produkte auf etwaige Mängel. Nur wenn eine Überprüfung jedes einzelnen Produkts nicht möglich ist, darf sich der Hersteller auf Stichproben beschränken. In diesem Fall kann ihm für soge100
Diesen Entlastungsgrund sehen die Produkthaftungsgesetze ausdrücklich vor: Art. 5 Abs. 1 lit. d PrHG-CH und § 1 Abs. 2 Ziff. 4 PrHG-D. Kritisch dazu Hess, Art. 5 PrHG, Rz. 44. 101 Für Einzelheiten zu den Sorgfaltspflichten des Herstellers und den damit zusammenhängenden Begriffen des Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehlers siehe etwa Burki, 94 ff.; Fellmann, ZSR 1988 I, 275, 281 ff.; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 11 ff.; Honsell, Haftpflichtrecht, § 21, Rz. 32 ff.; Kullmann in Kullmann/Pfister, Kza. 1520, 69 ff.; Rey, Rz. 957 ff.; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 316 ff.; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 628 ff.; Werro/Chaulmontet in SPR X, 409, 428 ff. 102 BGer, 21.09.2005, 6S.449/2004, E. 4.4.2 (Garagenkipptor) (allerdings handelt es sich um eine strafrechtliche Entscheidung, in der die Garantenstellung der Herstellerin insofern abgelehnt wurde). 103 BGer, 09.10.1984, BGE 110 II 456 ff. (Schachtrahmen).
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nannte Ausreißer, die er bei der ordnungsgemäßen stichprobenartigen Kontrolle nicht erkennen konnte, kein Verschuldensvorwurf gemacht werden. 104 Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der Haftung nach den Produkthaftungsgesetzen. 105 (c) Pflicht zur sorgfältigen Instruktion Die dritte klassische Sorgfaltspflicht des Herstellers besteht darin, den Produktnutzer über die Verwendungsart des Produkts und mögliche Risiken zu informieren. Dies geschieht vor allem durch Bedienungsanleitungen und deutlich sichtbare Warnhinweise auf dem Produkt selbst. Dazu gehört beispielsweise ein Warnzeichen auf einem Aktenvernichter, dass Finger nicht in den Papiereinzug gehalten werden dürfen, 106 ebenso wie ein deutlicher Hinweis auf der Packung gesüßten Babytees, dass Dauernuckeln zu Karies führen kann 107. (d) Ausnahme für Entwicklungsrisiken Die Verkehrspflichten des Herstellers reichen nur so weit, wie es ihm möglich ist, sicher zu produzieren. Ihre Grenzen finden sie deshalb dann, wenn 104
Für Deutschland: obiter dictum in BGH, 09.05.1995, NJW 1995, 2162, 2163 ff. (Mineralwasserflasche); Ausreißer angenommen in LG Dortmund, 12.03.1987, NJW-RR 1987, 805, 805 (Fremdkörper in Wurstwaren trotz aller Vorkehrungen nicht mit absoluter Sicherheit vermeidbar); Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 497; Sprau in Palandt, § 823, Rz. 170; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 634, jeweils m.w.N.; einschränkend Schiemann in Erman, § 823, Rz. 117: Möglichkeit eines Ausreißers aufgrund strenger Kontrollpflichten „praktisch nahezu ausgeschlossen“. Für die Schweiz ist diese Frage bis heute nicht höchstrichterlich entschieden worden. Ein beachtlicher Teil der Literatur geht jedoch davon aus, dass der Hersteller für Ausreißer nicht haftet: Brehm in BernerKomm, Art. 55 OR, Rz. 87 (Möglichkeit der Entlastung nach den Kriterien, die das Bundesgericht im Schachtrahmen-Fall (BGer, 09.10.1984, BGE 110 II 456, 463) aufgestellt hat); Burki, 109 f.; Christen, 199; Gnos, 121, 130; Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 39 („üblicherweise keine Haftung für ‚Ausreisser‘“ nach deliktischem Produkthaftungsrecht); Oftinger/Stark, Bd. II/1, § 16, Rz. 396 f.; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 386; Schweighauser, 97; Vogel, 74; für eine Haftung bei Ausreißern hingegen: Fellmann/v. Büren-v. Moos, Rz. 203; Honsell, Haftpflichtrecht, § 21, Rz. 34; P. Widmer, recht 1986, 50, 55, 57; differenzierend Rey, Rz. 957a und Röthlisberger, 162 (je nachdem, ob die Kontrolle jedes Einzelstücks möglich ist). 105 Der Ausschluss der Haftung für Fehler, die bei Inverkehrbringen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkannt werden konnten (Art. 5 Abs. 1 lit. e PrHGCH; § 1 Abs. 2 Ziff. 5 PrHG-D), gilt nur für Entwicklungsrisiken, nicht aber für Ausreißer, BGH, 09.05.1995, NJW 1995, 2162, 2163 f. (Mineralwasserflasche); Fellmann in BaslerKomm-OR I, Art. 5 PrHG, Rz. 15; Hess, Art. 5 PrHG, Rz. 55; Sprau in Palandt, § 823, Rz. 170; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 1 PrHG, Rz. 51. 106 BGH, 18.05.1999, NJW 1999, 2815, 2815 f. 107 BGH, 12.11.1991, NJW 1992, 560, 561 f. (Kindertee).
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ein Risiko im Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkennbar war. Den Hersteller trifft deswegen keine Haftung, wenn nach dem Stand von Wissenschaft und Technik der Fehler bei Inverkehrbringen nicht erkannt werden konnte. 108 Als Maßstab für die Erkennbarkeit des Risikos dient das „objektiv zugängliche Gefahrenwissen“. 109 Anhand dessen muss der Hersteller das Entwicklungsrisiko beweisen, 110 was in der Regel eine verhältnismäßig hohe Hürde darstellt. So hat der Bundesgerichtshof das Vorliegen eines Entwicklungsrisikos bisher nur sehr selten angenommen. Ein Entwicklungsrisiko lag beispielsweise den Apfelschorf-Fällen zugrunde, in denen sich im Laufe der Zeit Resistenzen gegen ein Fungizid bildeten, die bei dessen Inverkehrgabe noch nicht erkennbar waren. 111 Das Schweizer Bundesgericht hat ein Entwicklungsrisiko bisher, soweit ersichtlich, erst ein einziges Mal bejaht. Dabei handelte es sich um den Fall der übermäßigen Abreibung einer Hüftgelenksprothese, wodurch ein vorzeitiger Austausch erforderlich wurde. 112 Dieser Fehler sei im Zeitpunkt der Implantation noch nicht bekannt gewesen, vielmehr habe es zu dieser Feststellung mehrerer Jahre der Erfahrung bedurft. Der Fall wurde unter Geltung des Produktehaftpflichtgesetzes entschieden, nach dessen Art. 5 Abs. 1 lit. e für das Entwicklungsrisiko dieselben Maßstäbe gelten, wie gerade ausgeführt. 113 Entwicklungsrisiken betreffen in vielen Fällen die Konstruktion des Produktes, beispielsweise wenn ein Stoff in der Herstellung verwendet wird, dessen Neben- oder Langzeitwirkungen nicht bekannt sind. Sie können jedoch auch in der Form von Instruktionsfehlern auftreten, „wenn sich 108 Für Deutschland siehe nur die Entscheidung BGH, 16.06.2009, NJW 2009, 2952, 2955, E. 27 (Airbags) mit zahlreichen weiteren Nachweisen: es fehlt an der objektiven Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Herstellers. Soweit ersichtlich, hat das Entwicklungsrisiko unter der Haftung nach Obligationenrecht die Schweizer Gerichte bisher nicht beschäftigt. Wo dieser Punkt in der Literatur angesprochen wird, geht man jedoch davon aus, dass der Hersteller auch nach Art. 41 OR bzw. Art. 55 OR im Falle eines Entwicklungsrisikos nicht zu haften hat, siehe beispielsweise Christen, 198; Oftinger/Stark, Bd. II/1, § 20, Rz. 126, Fn. 378; Ch. Müller in HandKomm, Art. 55, Rz. 28; Reinhard, 181 f.; Rey, Rz. 962; B. Schönenberger in KurzKomm, Art. 55, Rz. 12; Schrupkowski, 97 f.; Schweighauser, 97 f.; Schwenzer, OR AT, Rz. 53.36. 109 BGH, 16.06.2009, NJW 2009, 2952, 2955, E. 28 (Airbags). 110 BGH, 16.06.2009, NJW 2009, 2952, 2955, E. 29 (Airbags). 111 BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603 ff. (Derosal); BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1606 ff. (Benomyl); ein Entwicklungsrisiko wurde auch angenommen in BGH, 03.10.1984, IVa ZR 170/82, BeckRS 1984 Nr. 30374638, allerdings bleibt unklar, ob die Entscheidung diesbezüglich nur auf prozessualen Versäumnissen der Klägerin beruht (insoweit in JZ 1985, 99 nicht abgedruckt). 112 BGer, 18.03.2011, BGE 137 III 226, E. 4. 113 Zum Entwicklungsrisiko nach Art. 5 Abs. 1 lit. e PrHG-CH siehe etwa Christen, 104 ff.; Fellmann/Kottmann, Rz. 1194 ff.; Werro/Chaulmontet in SPR X, 409, 444.
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die Instruktion auf Grund einer nach dem Stand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt der Inverkehrgabe nicht erkennbaren Gefahr als fehlerhaft erweist“. 114 Ob der Hersteller sich auch im Falle eines Fabrikationsfehlers auf das Vorliegen eines Entwicklungsrisikos berufen kann, ist in Deutschland Anlass für Diskussionen, 115 soll für diese Arbeit jedoch nicht näher ausgeführt werden. (4) Verkehrspflichten nach Inverkehrbringen Die klassische Trias der Verkehrspflichten des Herstellers – sorgfältige Konstruktion, Fabrikation, Instruktion – stellt ausschließlich darauf ab, welche Pflichten den Hersteller bis zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens treffen. Mit dem Inverkehrbringen sind die Pflichten des Herstellers jedoch nicht beendet. Vielmehr bleibt er in gewissem Umfang für seine Produkte verantwortlich. Diese Verantwortung bildet den Inhalt dieses Abschnitts. (a) Produktbeobachtungspflicht Nachdem ein Produkt in den Verkehr gebracht wurde, ist es Aufgabe des Herstellers, das Produkt und die mit ihm und seiner Nutzung verbundenen Risiken im Auge zu behalten. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Produktbeobachtungspflicht des Herstellers. Diese ist sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland anerkannt. Für die Schweiz statuierte das Appellationsgericht Basel-Stadt im Jahr 1960 zum ersten Mal eine Produktbeobachtungspflicht des Herstellers. 116 Kurioserweise findet sich die Pflicht, soweit ersichtlich, in den darauffolgenden Jahrzehnten nicht in der Rechtsprechung wieder, bis sie ab dem 114 So der BGH, 16.06.2009, NJW 2009, 2952, 2955, E. 27 (Airbags) zu der entsprechenden Vorschrift aus dem Produkthaftungsgesetz (§ 1 Abs. 2 Ziff. 5 PrHG-D) m.w.N.; zustimmend Klindt/Handorn, NJW 2010, 1105, 1107; ebenso Christen, 106, mit Fn. 94 (zur EG-Produkthaftungsrichtlinie); a.A., allerdings jeweils ohne nähere Begründung: Taschner/Frietsch, Art. 7 RL, Rz. 38; P. Widmer in Borer, 17, 21 (Entwicklungsrisiko als „Sonderfall des Konstruktionsmangels“); Fellmann/Kottmann, Rz. 1194 (zum Schweizer Produktehaftpflichtgesetz); Fellmann/v. Büren-v. Moos, Rz. 336 (zum Schweizer Produktehaftpflichtgesetz); Werro/Chaulmontet in SPR X, 409, 445 (zum Schweizer Produktehaftpflichtgesetz). 115 Siehe zum Streitstand unter dem deutschen Produkthaftungsgesetz Oechsler in Staudinger, § 1 PrHG, Rz. 118 ff. Die Diskussion ist ohne weiteres auf die Rechtslage nach § 823 BGB zu übertragen. Für die Schweiz ist diese Frage, soweit ersichtlich, nicht näher diskutiert worden, wird jedoch flächendeckend verneint. So beschränken sich die in Fn. 114 oben aufgelisteten Schweizer Autoren, die im Falle eines Instruktionsfehlers kein Entwicklungsrisiko annehmen wollen, jeweils auf die Aussage, Entwicklungsrisiken seien nur bei Konstruktionsfehlern denkbar. 116 AppGer Basel-Stadt, 15.11.1960, BJM 1961, 189, 194, 197 f. (Rebwuchsmittel).
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Jahr 2005 geradezu schlagartig in einer Reihe von Bundesgerichtsentscheidungen eine Rolle spielt. Darunter sind zwei strafrechtliche Entscheidungen, die die zivilrechtliche Pflicht des Herstellers zur Produktbeobachtung erwähnen, ohne dass sie zu einer Verurteilung führte. 117 Für die hier interessierenden zivilrechtlichen Pflichten wesentlich entscheidender sind jedoch die beiden zivilrechtlichen Urteile von 2006. Im RundballenraufenFall konstatierte das Bundesgericht im Rahmen der Haftung nach Art. 55 Abs. 1 OR ohne weitere Begründung: „Den Produzenten kann allerdings eine Produktbeobachtungspflicht treffen, so dass nach erstmaligem Auftreten von Problemen allenfalls Abänderungen am Produkt notwendig werden.“ 118 Nur zwei Monate später nahm es im Heizkessel-Fall 119 eine Verletzung der Produktbeobachtungspflicht an, durch die eine Person zu Tode kam, weil aus einem Gasheizkessel Kohlendioxid austrat. Obwohl die beklagte Rechtsnachfolgerin des Verkäufers des Gasheizkessels Kenntnis von deutlichen Verdachtsmomenten (inklusive eines verstorbenen Kanarienvogels) hatte, hatte sie es versäumt, die Gefahren abzuklären. In Deutschland ist die Produktbeobachtungspflicht schon seit Anfang der 1980er Jahre höchstrichterlich als zum Pflichtenkanon des Herstellers zugehörig anerkannt. Wegweisend waren hier die Apfelschorf-Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, 120 in denen dem Hersteller eines Fungizids die Pflicht auferlegt wurde, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verfolgen und die Verwender entsprechend rechtzeitig über mögliche Resistenzbildungen zu informieren. Auch das Schrifttum in der Schweiz und Deutschland anerkennt eine Produktbeobachtungspflicht des Herstellers einhellig. 121 Überdies geht auch die Botschaft zum schweizerischen Produktesicherheitsgesetz davon 117 BGer, 01.05.2009, 6B_1026/2008, E. 2.3.4 (Ballenwickler); BGer, 21.09.2005, 6S.449/2004, E. 4.4.2 (Garagenkipptor). 118 BGer, 25.01.2006, 4C.307/2005, E. 3.1 – in casu Produktbeobachtungspflicht jedoch nicht verletzt. 119 Bundesgericht, 29.03.2006, 4C.139/2005, E. 2.4. 120 BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603 ff. (Derosal); BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1606 ff. (Benomyl). 121 Für die Schweiz: Fellmann/Kottmann, Rz. 1161; Gnos, 121 f.; Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 43 ff.; Honsell, Haftpflichtrecht, § 21, Rz. 44; T. Koller/Rey, plädoyer 2006, 32, 36; Rey, Rz. 957c; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 327; Röthlisberger, 29 f.; Schrupkowski, 86 f.; Schwenzer, OR AT, Rz. 53.36; Vogel, 79 ff. (für Arzneimittel); Walter, FS Lange, 749, 761, 777; Werro/Belser in Produkthaftungshandbuch II, § 146, Rz. 52; laut Fellmann in BaslerKomm-OR I, Art. 4 PrHG, Rz. 18, ergibt sich die Produktbeobachtungspflicht dort, wo sie nicht durch Spezialgesetze ausdrücklich angeordnet ist, implizit aus Art. 8 PrSG-CH. Für Deutschland siehe nur: Schiemann in Erman, § 823, Rz. 119; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 20 ff.; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 25 ff.; Sprau in Palandt, § 823, Rz. 172; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 645 ff. jeweils m.w.N.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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aus, dass die in Art. 8 PrSG-CH statuierten Nachmarktpflichten inklusive der Pflicht zur Produktbeobachtung sich bereits aus der deliktischen Produkthaftung nach Art. 41 OR ergeben. 122 Das Fortwirken der herstellerischen Pflichten auch nach Inverkehrbringen des Produkts wird maßgeblich damit begründet, dass der Hersteller die Gefahren durch die Produktion und das Inverkehrbringen des Produkts überhaupt erst geschaffen hat und auch nach dem Inverkehrbringen am besten dazu in der Lage ist, von dem Produkt ausgehende Gefahren zu erkennen und zu steuern. 123 In der Schweiz wird zur Begründung der Nachmarktpflichten wiederum der Gefahrensatz herangezogen. 124 Die Produktbeobachtungspflicht besteht aus zwei Komponenten, die als passive und aktive Produktbeobachtung bezeichnet werden. Während erstere lediglich darin besteht, Reklamationen von Kunden aufzunehmen und ihnen nachzugehen, 125 verlangt die aktive Pflicht dem Hersteller wesentlich mehr ab. So muss sich der Hersteller insbesondere über den Stand der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung informiert halten, z.B. indem er entsprechende Fachpublikationen auswertet. 126 Zudem hat er nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Produktentwicklungen seiner Wettbewerber zu beobachten. 127 Die Reichweite dieser Pflichten hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie beispielsweise der Größe des Unternehmens, 128 der Intensität der drohenden Gefahr sowie der Bedeutung der potentiell gefährdeten Rechtsgüter 129. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Produktbeobachtungspflicht des Herstellers sich sogar auf Zubehör anderer Hersteller für sein Produkt erstrecken, 122
Schweizerischer Bundesrat, Botschaft PrSG, 7441. Im Einzelnen zu den Gründen der Gefahrenabwehrpflichten nach Inverkehrbringen Bodewig, 167 ff.; siehe hierzu auch G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 646; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 20; Röthlisberger, 47. 124 Fellmann/Kottmann, Rz. 1161; Röthlisberger, 29 f. 125 Gnos, 121; Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 46; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 26; Rey, Rz. 957c; Röthlisberger, 24; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 647; siehe auch Fellmann/Kottmann, Rz. 1270 zum Produktesicherheitsgesetz. Zur Auswertungspflicht im Einzelnen: Kullmann in Kullmann/Pfister, Kza. 1520, 58. 126 BGH, 17.10.1989, NJW 1990, 906, 907 f. (Pferdeboxen); BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1606, 1608 (Benomyl); Gnos, 121; Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 45; Rey, Rz. 957c; Röthlisberger, 24; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 511; Vogel, 81; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 648; siehe auch Fellmann/Kottmann, Rz. 1269 zum Produktesicherheitsgesetz. 127 BGH, 17.10.1989, NJW 1990, 906, 908 (Pferdeboxen); J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 21; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 511; Tamme, 50 f.; Vogel, 81; ähnlich auch Fellmann/Kottmann, Rz. 1269 zum Produktesicherheitsgesetz. 128 v. Bar in Produktverantwortung und Risikoakzeptanz, 29, 38 f.; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 26; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 511. 129 J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 21; Röthlisberger, 44; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 648 („Schädigungspotential des Produkts“ maßgeblich). 123
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
dessen Verwendung er „durch Anbringen von Bohrlöchern, Ösen, Halterungen, Aufhängevorrichtungen usw. ermöglicht hat.“ 130 Aus der Produktbeobachtungspflicht des Herstellers ergeben sich zwei Arten von Rechtsfolgen. Für die zukünftige Produktion kann es nötig sein, Herstellungsprozesse zu ändern 131 oder allenfalls sogar die Produktion respektive den Vertrieb einzustellen 132; außerdem kann dem Hersteller für die Zukunft die Berufung auf ein Entwicklungsrisiko verwehrt sein, wenn er durch sorgfältige Beobachtung auf dieses Risiko hätte aufmerksam werden müssen 133. Für die bereits in Verkehr gebrachten und sich nun als gefährlich herausstellenden Produkte hat die Produktbeobachtungspflicht ebenfalls Folgen: Je nach Fall treffen den Hersteller im Hinblick auf diese Produkte Reaktionspflichten, deren Verletzung zu einer Schadensersatzhaftung führen kann. (b) Reaktionspflichten Auch die sorgfältigste Produktbeobachtung durch den Hersteller ist nicht in der Lage, Gefahren abzuwehren, die durch bereits in Verkehr gebrachte Produkte drohen, wenn sie nicht zu Konsequenzen für eben diese Produkte führt. Als Ausfluss der Produktbeobachtungspflicht können dem Hersteller daher Reaktionspflichten auferlegt werden: dazu zählen die Pflicht zur Warnung sowie die Pflicht zum Produktrückruf. Solchen Pflichten kann bei Vorliegen eines Entwicklungsrisikos oder eines sogenannten Ausreißers eine unmittelbar haftungsbegründende Funktion zukommen. In allen übrigen Fällen, z.B. beim Vorliegen eines Konstruktionsfehlers, den der Hersteller schuldhaft nicht erkannt hat, treffen den Hersteller mindestens dieselben Reaktionspflichten. 134 Sie sind jedoch insofern nicht konstitutiv für seine Haftpflicht, als ein Anspruch des Geschädigten auf Schadensersatz sich hier bereits aus der Verletzung der Sorgfaltspflichten beim Inverkehrbringen ergibt. 130 BGH, 09.12.1986, NJW 1987, 1009, 1011 (Honda); dazu Kullmann, BB 1987, 1957 ff. 131 BGH, 27.09.1994, NJW 1994, 3349, 3350 (Atemüberwachungsgerät); BGH, 17.10.1989, NJW 1990, 906, 908 (Pferdeboxen); J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 24; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 27; Pieper, BB 1991, 985, 988; Steffen in RGRK, § 823, Rz. 277, 282; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 650. 132 LG Berlin, 18.10.1996, MDR 1997, 246 (Trekkingrad); Christen, 194; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 24; Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 50; Kullmann in Kullmann/Pfister, Kza. 1520, 60; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 650. 133 Siehe hierzu die Erläuterung im Zusammenhang mit der Haftung nach den Produkthaftungsgesetzen auf S. 44 unten. 134 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 10 (Pflegebetten): Gefahrabwendungspflichten treffen den Hersteller „erst recht“ bei Vorliegen eines Konstruktionsfehlers (verglichen mit der Situation des Entwicklungsrisikos).
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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In Deutschland entspricht es einhelliger Auffassung in der gerichtlichen Praxis sowie der Literatur, dass den Hersteller in Folge seiner Produktbeobachtungspflicht derartige Reaktionspflichten treffen können. 135 In der Schweiz war bis zur bereits erwähnten 136 Heizkessel-Entscheidung im Jahr 2006 nicht höchstrichterlich geklärt, ob die Produktbeobachtungspflicht lediglich für später in Verkehr gebrachte Produkte Folgen zeitigte oder ob sie den Hersteller auch zu einer Reaktion im Hinblick auf die bereits im Verkehr befindlichen Produkte verpflichtete. 137 Seit der Entscheidung im Heizkessel-Fall muss eine Reaktionspflicht jedoch als anerkannt gelten. Dort heißt es: „Spätestens nachdem es zu den ersten Vorfällen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Menschen und dem Tod eines Tieres gekommen war, hätte die Beklagte […] im Rahmen der ihr obliegenden Produktbeobachtungspflicht […] abklären müssen, ob der Kessel für einen Einsatz mit Bodenheizung die notwendige Sicherheit aufweist.“ 138 Damit verlangte das Bundesgericht ein konkretes Tätigwerden in Bezug auf den bereits in Verkehr gebrachten Heizkessel und bejahte die Sorgfaltspflichtverletzung aufgrund des Unterlassens. Hierin ist insofern die grundsätzliche Anerkennung einer Reaktionspflicht zu sehen, als das Bundesgericht die Beklagte für den Tod der Hausbewohnerin verantwortlich machte. Um diesen zu vermeiden hätte es zumindest einer Warnung, wenn nicht gar einer entsprechenden Gefahrenbeseitigung seitens der Beklagten bedurft. Aus diesem Grunde kann von der Anerkennung einer Reaktionspflicht ausgegangen werden, ohne dass diese vom Bundesgericht explizit statuiert worden wäre. Auch das Schweizer Schrifttum anerkennt weit überwiegend Reaktionspflichten des Herstellers. 139 135
Ständige Rechtsprechung, aus jüngerer Zeit BGH, 16.06.2009, NJW 2009, 2952, 2956, E. 34 (Airbags); ausführlich BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080 ff. (Pflegebetten); aus der Literatur statt aller Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 541 ff. m.w.N.; Uneinigkeit herrscht jedoch in vielen Detailfragen, siehe dazu unten S. 45 ff. 136 Oben S. 32. 137 Die Formulierung des Bundesgerichts im Rundballenraufen-Fall, BGer, 25.01.2006, 4C.307/2005, E. 3.1 („Den Produzenten kann allerdings eine Produktbeobachtungspflicht treffen, so dass nach erstmaligem Auftreten von Problemen allenfalls Abänderungen am Produkt notwendig werden […].“) ließ es noch offen, ob das Bundesgericht dem Produktbeobachtungsfehler beispielsweise beim Vorliegen eines Entwicklungsrisikos eine haftungsbegründende Relevanz zukommen lassen wollte. Die Aussage des Bundesgerichts lässt sich alternativ nämlich auch dahingehend verstehen, dass „Abänderungen am Produkt“ sich lediglich auf zukünftig zu produzierende Produkte derselben Art beziehen. Damit würde dem Hersteller nur für nachfolgend produzierte Waren die Berufung auf ein Entwicklungsrisiko verwehrt. 138 BGer, 29.03.2006, 4C.139/2005, E. 2.4 (Heizkessel). 139 Umfassend Röthlisberger, 94 ff.; des Weiteren Burki, 121 ff.; Christen, 190 ff.; Fellmann in BaslerKomm-OR I, Art. 11 PrHG, Rz. 4c; Gnos, 121; Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 53; Honsell, Haftpflichtrecht, § 21, Rz. 44; T. Koller/Rey, plädoyer 2006, 32, 36;
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
(c) Reaktionsschwelle Bevor im Detail die Frage behandelt wird, wie der Hersteller auf eine Gefahrensituation zu reagieren hat, gilt es zu klären, wann er überhaupt zu einer Reaktion im Hinblick auf die im Verkehr befindlichen Produkte verpflichtet ist. Unproblematisch ist dies der Fall, wenn eine entsprechende Gefahrensituation mit Gewissheit vorliegt, wenn der Hersteller also weiß, dass von seinen Produkten eine bestimmte Gefahr ausgeht und für wen diese auf welche Weise relevant werden kann. Allerdings wird dies nur selten bereits dann der Fall sein, wenn der Hersteller vor der Frage steht, ob er zur Gefahrabwendung tätig zu werden hat. Wesentlich häufiger taucht zunächst ein Verdacht auf, dass gewisse Produkte eine Gefahr darstellen könnten. Ein solcher Verdacht mag von außen an den Hersteller herangetragen werden, etwa durch Kundenreklamationen oder Medienberichte. Er kann auch daraus resultieren, dass in einem Staat behördliche Maßnahmen gegen die betreffenden Produkte ergriffen wurden. Es ist aber auch möglich, dass Verdachtsmomente zuerst im Hause des Herstellers auftauchen, beispielsweise aufgrund von Testergebnissen oder neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Denkbar sind auch Situationen, in denen Kundenreklamationen eingehen und das Produkt Schäden verursacht hat, aber noch nicht festgestellt werden konnte, ob die Schäden tatsächlich auf einen Produktfehler oder lediglich auf einen (unvorhersehbaren) Fehler in der Benutzung zurückzuführen sind. In jeder dieser Situationen, in der der Verdacht eines Produktfehlers besteht, ist unklar, inwiefern dadurch bereits eine Reaktionspflicht ausgelöst wird. Sicher bedarf es hierzu jedoch keiner behördlichen Anordnung eines Rückrufs, 140 denn solch ein Erfordernis ließe eine selbständige zivilrechtliche Rückrufpflicht gänzlich ins Leere laufen. Nach dem Bundesgerichtshof muss die Gefahr auch „nicht schon konkret greifbar sein“, bevor der Hersteller Gefahrenabwehrmaßnahmen zu ergreifen hat. 141 Feste Richtwerte dafür, wann sich ein Verdacht hinreichend verdichtet hat, um eine Reaktionspflicht auszulösen, gibt es nicht. Leerformeln wie das vielzitierte Postulat von Schmidt-Salzer, dass es einer ausreichenden Oftinger/Stark, Bd. II/1, § 16, Rz. 398; Rey, Rz. 957c; Schwenzer, OR AT, Rz. 53.36; Schwenzer/M. Schmidt, FS Wessner, 243, 254 ff.; Vogel, 81 ff. (für Arzneimittel); P. Widmer in Borer, 17, 21; vorausgesetzt werden zivilrechtliche Reaktionspflichten auch in Schweizerischer Bundesrat, Botschaft PrSG, 7443. 140 So ausdrücklich BGH, 06.07.1990, NJW 1990, 2560, 2564 (Lederspray) zur Rückrufpflicht: „Abzulehnen ist auch die […] Ansicht, eine Rückrufpflicht habe solange nicht bestanden, wie die Behörden, vor allem das Bundesgesundheitsamt, noch andere Vorkehrungen für ausreichend hielten.“ 141 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1082, E. 15 (Pflegebetten); so auch bereits BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603, 1604 (Derosal).
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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sachlichen Konkretisierung der Gefahr bedürfe 142, führen letztlich nicht weiter. Stattdessen bedarf es jeweils – dahingehend herrscht Einigkeit – einer Einzelfallbetrachtung. 143 Die bis heute grundlegende Entscheidung hierzu stellt die Entscheidung des Landgerichts Aachen im ConterganStrafverfahren dar. 144 Die dort vorgebrachten Grundsätze gelten auch für zivilrechtliche Reaktionspflichten. 145 Wesentlichster Gesichtspunkt ist danach das gefährdete Rechtsgut; 146 je höher dieses einzustufen ist und je größere Gefahren ihm drohen, desto geringere Anforderungen sind an den Verdacht zu stellen. 147 So besteht insbesondere bei drohenden Personenschäden eine Reaktionspflicht bereits vor Schadenseintritt, hier reicht regelmäßig ein ernst zu nehmender Verdacht aus, 148 der beispielsweise „durch mehrere ernst zu nehmende Meldungen“ begründet werden kann 149. Es ist nicht erforderlich, dass die genaue Ursache für die eingetretenen Schäden bereits wissenschaftlich festgestellt wurde. 150 Wenn lediglich reine Sachschäden drohen, wird ein höherer Verdachtsgrad erforderlich 142
Schmidt-Salzer, BB 1981, 1041, 1042. LG Aachen, 18.12.1970, JZ 1971, 507, 516 (Contergan); Bodewig, 242; Kullmann in Kullmann/Pfister, Kza. 1520, 63; Pannenbecker, 31. 144 LG Aachen, 18.12.1970, JZ 1971, 507 ff. (Contergan). 145 So auch Borer, 70. 146 So für den Zeitpunkt des Entstehens einer zivilrechtliches Warnpflicht explizit BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 10 (Pflegebetten): gefährdetes Rechtsgut, abhängig von der Größe der Gefahr; so auch bereits BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603, 1604 (Derosal). 147 OLG Köln, 24.10.1985, VersR 1987, 573, 574 (Schreckschusspistole); LG Aachen, 18.12.1970, JZ 1971, 507, 516 (Contergan); Bodewig, 242 f.; Jäckle, 188; M. Mayer, 194 (zur strafrechtlichen Sorgfaltspflicht bei Arzneimitteln); Pannenbecker, 31; Pauli, PHi 1985, 134, 140 f.; Pieper, BB 1991, 985, 988; Rettenbeck, 64; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 518. 148 BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603, 1604 (Derosal); Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 314; Kullmann in Kullmann/Pfister, Kza. 1520, 63; Pannenbecker, 31; Sack, BB 1985, 813, 817; so auch M. Mayer, 193 zur strafrechtlichen Sorgfaltspflicht bei Arzneimitteln; ähnlich wohl auch Burki, 123, Fn. 205; geringere Anforderungen stellt Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1435 f., der je nach Größe und Wahrscheinlichkeit der Gefahr bereits jeglichen Verdacht ausreichen lässt; ähnlich Vogel, 81, demzufolge bereits „der blosse Verdacht einer nicht tolerierbaren Gefährdung“ ausreichen soll; auch Kullmann in Kullmann/Pfister, Kza. 1520, 63, hält bei „Gefahr ganz schwerer Schäden, wie z.B. Mißbildungen oder langwierige Beschwerden“ ein Handeln schon dann für geboten, „wenn nur die – mitunter sogar entfernte – Möglichkeit besteht, daß der Verdacht sich als richtig erweist.“ 149 LG Aachen, 18.12.1970, JZ 1971, 507, 516 (Contergan). Kreidt, 168, präzisiert dies überzeugend dahingehend, dass „die Verdachtsmomente aus einer seriösen Quelle stammen und einen objektiv nachvollziehbaren Gedankengang aufweisen müssen“ (Hervorhebung im Original). 150 BGH, 06.07.1990, NJW 1990, 2560, 2564 (Lederspray); LG Aachen, 18.12.1970, JZ 1971, 507, 517 (Contergan); Kullmann in Kullmann/Pfister, Kza. 1520, 63. 143
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
sein. 151 Nach Ansicht mancher soll es in solchen Fällen dem Hersteller gestattet sein, zunächst noch eigene Untersuchungen vorzunehmen. 152 Andere weisen darauf hin, dass auch in diesem Fall kein wissenschaftlicher Nachweis für das Entstehen von Reaktionspflichten nötig sei. 153 Abgesehen von diesen Grundzügen wird noch eine Reihe von Kriterien angeführt, die Berücksichtigung bei der Festlegung der Reaktionsschwelle finden sollen. So soll bei Konstruktionsfehlern früher eine Reaktionspflicht gegeben sein als bei Fabrikationsfehlern. 154 Insbesondere bei sogenannten Ausreißern wird die Reaktionsschwelle häufig nicht erreicht sein. 155 Uneinigkeit herrscht darüber, ob die Zahl der gefährdeten Personen eine Rolle für die Reaktionsschwelle spielen soll. Während dies teilweise bejaht wird, 156 lehnen andere Autoren dieses Kriterium deswegen als irrelevant ab, weil es für den Schutz des Einzelnen nicht darauf ankommen könne, wie viele andere neben ihm gefährdet seien 157. Ebenfalls eine Rolle spielen sollen Dauer und Behebbarkeit der drohenden Schäden. 158 Inwieweit die finanziellen Interessen des Herstellers in die Bestimmung der Reaktionsschwelle einfließen dürfen, ist umstritten. Im ConterganBeschluss erklärte das Landgericht Aachen jegliche Absatzinteressen des Herstellers gegenüber den drohenden (Personen-)Schäden für irrelevant. 159 In anderen Fällen jedoch wollen manche Stimmen in der Literatur die Kosten der zu treffenden Maßnahmen in die Abwägung mit einfließen lassen. 160 Allerdings erscheint dies bei der Bestimmung der Reaktionsschwelle gerade deswegen verfrüht, weil es für diese Festlegung noch irrelevant ist, welche Maßnahmen der Hersteller letztlich zu ergreifen hat. Die Kosten der Maßnahmen können erst auf der Stufe der Festlegung, wie der Her-
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Bodewig, 243; Jäckle, 187; Pauli, PHi 1985, 134, 141; Sack, BB 1985, 813, 817. So BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603, 1604 (Derosal), wenn „noch offen ist, ob und gegebenenfalls wann [die Gefahr] akut wird“; Bodewig, 243; Frick/Kluth, PHi 2006, 206, 209. 153 So z.B. Pieper, BB 1991, 985, 988. 154 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1082, E. 15 (Pflegebetten); Pieper, BB 1991, 985, 988; genauso für Serienfehler (die regelmäßig Konstruktionsfehler sind): Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 314; für „entscheidende Bedeutung“ des Fehlertyps ohne nähere Präzisierung Rettenbeck, 64. 155 Siehe dazu näher S. 69 f. unten. 156 LG Aachen, 18.12.1970, JZ 1971, 507, 516 (Contergan); Bodewig, 243; M. Mayer, 294 (zur strafrechtlichen Sorgfaltspflicht bei Arzneimitteln); Pannenbecker, 32; Rettenbeck, 64. 157 Kreidt, 168 f.; ebenso, aber ohne Begründung, Schmidt-Salzer, Anmerkung zu BGH, 11.07.1972, NJW 1972, 2222, 2222. 158 LG Aachen, 18.12.1970, JZ 1971, 507, 516 (Contergan); Rettenbeck, 64. 159 BGH, 11.07.1972, NJW 1972, 2217, 2220 (ESTIL). 160 So z.B. Rettenbeck, 65. 152
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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steller zu reagieren hat, relevant werden, nicht bereits bei der Frage nach dem Ob der Reaktion. 161 In jedem Fall wird man dem Hersteller zubilligen müssen, die verdachtsbegründenden Meldungen zu überprüfen. 162 Die Dauer und die Gründlichkeit der Überprüfung haben sich jedoch nach der Größe der Gefahr, dem bedrohten Rechtsgut sowie den sonstigen Umständen zu richten. 163 Drohen schwere und bleibende Schäden für gewichtige Rechtsgüter, so ist im Zweifel eine sofortige Reaktionspflicht anzunehmen, selbst wenn das Risiko groß ist, dass sich die Reaktion im Nachhinein als unbegründet herausstellt. Zwar sollen die Verbraucher möglichst nicht unnötig verunsichert werden, 164 aber in einer entsprechenden Situation ist die unnötige Verunsicherung dem Schadenseintritt vorzuziehen. 165 Eine unverzügliche Reaktion wird in der Regel auch dann zu verlangen sein, wenn z.B. in einem anderen Land bereits behördlich gegen das Produkt vorgegangen wird, da hierin üblicherweise ein begründeter Verdacht zum Ausdruck kommt. (iv) Relevanz der Rückrufpflichten aus dem Produktsicherheitsrecht Die in den Produktsicherheitsgesetzen normierten Rückrufpflichten können im Rahmen der deliktischen Produzentenhaftung als Schutznormen bzw. Schutzgesetze Relevanz erlangen. 166 Nach der in der Schweiz herrschenden objektiven Widerrechtlichkeitstheorie spielen solche Schutznormen allerdings nur dort eine Rolle, wo nicht bereits ein absolutes Recht oder Rechtsgut verletzt ist. 167 Demnach wird über den Schutznormcharakter nur bei Normen diskutiert, die dem 161
Zur klaren Trennung dieser beiden Ebenen siehe bereits LG Aachen, 18.12.1970, JZ 1971, 507, 515 (Contergan). Auch der BGH verneint die Relevanz der finanziellen Interessen des Herstellers in casu in der – wiederum strafrechtlichen – LedersprayEntscheidung nicht unter der Frage nach dem Zeitpunkt der Reaktion, sondern erst bei der Frage, ob von dem Rückruf aus Image- und Kostengründen abgesehen werden konnte, BGH, 06.07.1990, NJW 1990, 2560, 2564. 162 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 313. 163 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 313 mit Fn. 902; Kreidt, 168. 164 BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603, 1604 (Derosal); so auch schon LG Aachen, 18.12.1970, JZ 1971, 507, 516 (Contergan); Kreidt, 168. 165 So auch Steffen in RGRK, § 823, Rz. 282. 166 Hierzu ausführlich König, 134 ff. (allerdings noch zum alten deutschen Produktsicherheitsgesetz in der Fassung vom 22.04.1997, BGBl. 1997 I 934). 167 Statt vieler Fellmann/Kottmann, Rz. 290 ff.; Heierli/Schnyder in BaslerKommOR I, Art. 41, Rz. 31, jeweils m.w.N. Zwar wird teilweise darauf hingewiesen, dass auch bei Verletzung eines absoluten Rechts bzw. Rechtsguts Schutznormen verletzt sind oder zumindest sein können (siehe dazu die zahlreichen Beispiele bei Brehm in BernerKomm, Art. 41 OR, Rz. 35 ff.), aus dieser Schutznormverletzung werden jedoch keinerlei weitere Schlussfolgerungen gezogen.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Schutz des Vermögens dienen, welches nicht zu den absoluten Rechtsgütern zählt, deren Verletzung allein schon widerrechtlich ist. Die Produktsicherheitsgesetze jedoch schützen gerade nicht das Vermögen, sondern allein die Sicherheit und Gesundheit von Personen. 168 So können die Vollzugsbehörden nach Art. 10 Abs. 3 lit. b PrSG-CH den Rückruf von Produkten anordnen, wenn „es zum Schutz der Sicherheit oder Gesundheit der Verwenderinnen und Verwender oder Dritter erforderlich“ ist. Für die zivilrechtliche Haftung entsteht somit in der Schweiz durch das Produktesicherheitsgesetz keine Grundlage, die weiter reichen würde, als diejenige wegen Verletzung absoluter Rechte bzw. Rechtsgüter. Anders stellt sich die Rechtslage in Deutschland dar. Nach § 823 Abs. 2 BGB begründet die Verletzung eines sogenannten Schutzgesetzes einen eigenen Haftungstatbestand. Eine Schutzgesetzverletzung wird in Deutschland auch dann als relevant erachtet, wenn durch diese die Verletzung eines absoluten Rechtsguts eintritt. Durch das Schutzgesetz, welches verletzt wird, findet eine Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes statt, indem es an die bloße Rechtsgutsgefährdung anknüpft. 169 Dies bedeutet insbesondere, dass eine Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen erleichtert werden kann. 170 Zudem wird die Feststellung des Verschuldens erleichtert, da sich dieses nach Ansicht der herrschenden Meinung im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB lediglich auf die Schutzgesetzverletzung, nicht aber auf den Verletzungserfolg beziehen muss. 171 Es stellt sich demnach die Frage, ob die Rückrufbestimmungen des deutschen Produktsicherheitsgesetzes 172 als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sind. Hierfür entscheidend ist, ob die jeweilige Norm zumindest auch dazu bestimmt ist, dem Schutz von Individualinteressen zu dienen. 173 Diese Anforderung erfüllen die Rückrufbestimmungen des deutschen Produktsicherheitsgesetzes, da ihr Ziel darin besteht, dass „die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet“ werden. 174 Entsprechendes wurde mehrfach für Bestimmungen aus dem 168
Hess, Art. 3 PrSG, Rz. 5; Klindt, § 4 GPSG, Rz. 8. BGH, 27.09.1996, NJW 1997, 55, 55; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 355 ff.; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. G 10. 170 G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 356. Zum Unterlassungsanspruch näher unten S. 126 ff. 171 BGH, 14.10.1971, NJW 1972, 36, 37; BGH, 20.03.1961, NJW 1961, 1157, 1160; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. G 34 f.; Spickhoff in Soergel, § 823, Rz. 209; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 165; Sprau in Palandt, § 823, Rz. 60; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 358. 172 § 26 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 7, Abs. 4 Satz 1 PrSG-D. 173 BGH, 26.02.1993, NJW 1993, 1580, 1580; statt vieler G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 346 m.w.N. 174 Voraussetzung für die Anordnung eines Rückrufs ist der begründete Verdacht, dass ein Produkt die Anforderungen nach Abschnitt 2 des Gesetzes nicht erfüllt. Danach wie169
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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Lebensmittelrecht sowie aus dem Geräte- und Produktsicherheitsrecht entschieden. 175 Allerdings ergibt sich aus dem Produktsicherheitsgesetz selbst noch keine Pflicht zum Rückruf, sondern hierzu bedarf es erst der behördlichen Anordnung in Form eines Verwaltungsaktes. 176 Da ein Verwaltungsakt eine Einzelfallregelung und damit gerade das Gegenteil einer abstrakt-generellen Regelung darstellt, ist die Anordnung selbst kein Schutzgesetz. 177 Der überwiegenden Meinung nach wird aber die durch den Verwaltungsakt konkretisierte Norm als Schutzgesetz angesehen. 178 Im Ergebnis liegt also im Nichtbefolgen einer behördlichen Rückrufanordnung nach § 26 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 7 PrSG-D eine Schutzgesetzverletzung, die zivilrechtliche Konsequenzen haben kann. 179 Fraglich ist, ob sich gestützt auf das Produktsicherheitsgesetz im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB zivilrechtliche Ansprüche auch ohne eine Rückrufanordnung der zuständigen Behörde ergeben können. Dort, wo der Erlass des entsprechenden Verwaltungsaktes nicht mehr im Ermessen der Behörde liegt, sondern diese nur noch einen unbestimmten Rechtsbegriff auslegt, soll es einer Ansicht nach des Verwaltungsaktes für eine Schutzgesetzverletzung nicht mehr bedürfen. 180 Seit Inkrafttreten des neuen deutschen Produktsicherheitsgesetzes am 1. Dezember 2011 „haben [die Marktüberwachungsbehörden] den Rückruf oder die Rücknahme von Produkten anzuordnen oder die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt zu untersagen, wenn diese ein ernstes Risiko insbesondere für die Sicherderum darf ein Produkt „bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährde[n]“ (§ 3 Abs. 2 Satz 1 PrSG-D). Für den Schutzgesetzcharakter des § 9 des alten deutschen Produktsicherheitsgesetzes in der Fassung vom 22.04.1997 (BGBl. 1997 I 934; in Kraft 1997-2004), der ebenfalls die Ermächtigung zur Rückrufanordnung durch die Behörde enthielt, bereits ausführlich v. Westphalen, DB 1999, 1369, 1372; dagegen und auch in Bezug auf andere Normen desselben Gesetzes skeptisch: Foerste, DB 1999, 2199, 2200 f. 175 Zu § 3 Abs. 1, 3 des Gesetzes über technische Arbeitsmittel (Gerätesicherheitsgesetz) in der Fassung vom 11.05.2001 (BGBl. 2001 I 866, in Kraft bis 30.04.2004): BGH, 28.03.2006, NJW 2006, 1589, 1590 m.w.N.; zum früheren § 8 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz in der Fassung vom 09.09.1997 (BGBl. 1997 I 2296; in Kraft bis 06.09.2005): BGH, 19.11.1991, NJW 1992, 1039, 1042; zu §§ 3, 8 der damaligen Trinkwasserverordnung: BGH, 25.01.1983, NJW 1983, 2935, 2936; siehe auch Fuchs, 130 f. zum GPSG. 176 Siehe hierzu bereits oben S. 15 f. Zur behördlichen Anordnung als Verwaltungsakt siehe Klindt, § 8 GPSG, Rz. 89. 177 J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. G 10; Looschelders, SchuldR BT, Rz. 1282; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 153 m.w.N. 178 BGH, 18.11.2003, NJW 2004, 356, 357 m.w.N.; Schiemann in Erman, § 823, Rz. 156; Spickhoff in Soergel, § 823, Rz. 188 f.; Sprau in Palandt, § 823, Rz. 56a. 179 So auch bereits G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 673 zur Rückrufanordnung unter dem GPSG. 180 Spickhoff in Soergel, § 823, Rz. 189; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 343.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
heit und Gesundheit von Personen darstellen“ (§ 26 Abs. 4 Satz 1 PrSG-D). Der Gesetzesbegründung zufolge wird hierdurch das Ermessen der Behörden eingeschränkt, 181 wodurch allerdings unklar bleibt, ob es sich um eine Ermessensreduktion auf null handeln soll. Dieses Verständnis, welches der Wortlaut zwar nahelegt („haben […] anzuordnen“), ist insbesondere deswegen zweifelhaft, weil es über die Vorgabe der Verordnung (EG) Verordnung (EG) Nr. 765/2008 182, deren Durchführung das PrSG-D dient, deutlich hinausgeht. Dort heißt es in der entsprechenden Vorschrift (Art. 20 Abs. 1) lediglich, die Mitgliedstaaten „stellen sicher, dass Produkte, die eine ernste Gefahr darstellen, die ein rasches Eingreifen erforderlich macht, einschließlich einer ernsten Gefahr ohne unmittelbare Auswirkung, zurückgerufen oder vom Markt genommen“ werden. Laut den Gesetzesmaterialien wird durch § 26 Abs. 4 Satz 1 PrSG-D dieser Artikel durchgeführt, es finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber hier tatsächlich über die Vorgaben der Verordnung hinausgehen wollte. 183 Es bleibt also abzuwarten, ob die Gerichte den Marktüberwachungsbehörden in Fällen des § 26 Abs. 4 Satz 1 PrSG-D eine Ermessensausübung zubilligen. 184 Anzunehmen ist, dass den Behörden jedenfalls bezüglich der Auswahl des entsprechenden Wirtschaftsakteurs als Adressaten der Anordnung ein Ermessen zustehen muss. Schließlich sind die Maßnahmen gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 PrSG-D gegen den „jeweils betroffenen Wirtschaftsakteur oder Aussteller“ zu richten. 185 Als Wirtschaftsakteure gelten laut § 2 Ziff. 29 PrSG-D „Hersteller, Bevollmächtigte, Einführer und Händler.“ Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich bei § 26 Abs. 4 Satz 1 PrSG-D tatsächlich um eine Ermessensreduzierung auf null handelt, scheint es jedoch höchst fraglich, ob das Unterlassen eines Rückrufs durch den Hersteller oder einen anderen Wirtschaftsakteur zivilrechtliche Ansprüche gestützt auf § 823 Abs. 2 BGB nach sich zieht. Wollte man der oben erwähnten Ansicht folgen, wonach es des Verwaltungsaktes in diesem Fall nicht bedarf, so würde eine solche Haftung doch aller Wahrscheinlichkeit nach am Vorsatz scheitern. Denn dieser müsste sich auf die 181
BR-Drs. 314/11, 95 sowie BT-Drs. 17/6276, 49. Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates. 183 BR-Drs. 314/11, 95 sowie BT-Drs. 17/6276, 49; zu der entsprechenden Entwurfsvorschrift so auch Klindt, PHi 2011, 42, 47. 184 Für eine Lösung über die Auslegung des Begriffs des ernsten Risikos Lach/Polly, PHi 2011, 170, 172 f. 185 Zur Ausweitung der Anordnungsadressaten gegenüber dem GPSG Polly/Lach, PHi 2011, 220, 224. 182
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Nichtbeachtung einer nicht ergangenen Anordnung beziehen, was schlechterdings nicht möglich ist. In Ermangelung einer Anordnung sowie des erleichterten Vorsatznachweises jedoch verliert die Vorverlagerung des Rechtsschutzes durch § 823 Abs. 2 BGB ihre Bedeutung, so dass entsprechende Ansprüche gegenüber denjenigen nach § 823 Abs. 1 BGB keinen Vorteil für den Anspruchsteller mehr bieten. Insofern mangelt es der Frage, ob eine Schutzgesetzverletzung auch ohne entsprechenden Verwaltungsakt möglich ist, im Hinblick auf § 26 Abs. 4 Satz 1 PrSG-D letztlich an praktischer Bedeutung, so dass sie hier offengelassen werden kann. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass den öffentlichrechtlichen Rückrufpflichten in Ermangelung einer entsprechenden behördlichen Anordnung keine Relevanz für die zivilrechtliche Pflicht zum Rückruf zukommt. b)
Die Produkthaftungsgesetze
Seit Anfang der 1990er Jahre gilt in der Schweiz und in Deutschland jeweils ein Gesetz über die Produkthaftung, welches eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung des Herstellers für solche Schäden etabliert, die durch seine fehlerhaften Produkte verursacht wurden. 186 Beide Gesetze beruhen maßgeblich auf der europäischen Produkthaftungsrichtlinie 187 und sind daher weitgehend inhaltsgleich. Dem Grunde nach folgt die Haftung des Herstellers aus denselben Pflichten, wie sie auch unter dem Obligationenrecht und dem Bürgerlichen Gesetzbuch gelten. Zwar sind die Herstellerpflichten in den jeweiligen Gesetzen über die Produkthaftung nicht ausdrücklich enthalten, aber der Fehlerbegriff, auf dem die Haftung nach diesen Gesetzen aufbaut, deckt im Wesentlichen die klassische Trias von Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler ab, 188 auch wenn diese Fehlerkategorien nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesge186
Für die Schweiz: Bundesgesetz vom 18. Juni 1993 über die Produktehaftpflicht, SR 21.112.944 (PrHG-CH), in Kraft seit 1. Januar 1994. Zu der vergleichsweise geringen Relevanz, die das Produktehaftpflichtgesetz bisher in der schweizerischen Gerichtspraxis gespielt hat, siehe Ch. Müller in Fellmann/A. Furrer 2012, 125 ff.; P. Widmer in Fellmann/A. Furrer 2011, 101, 115 ff. Für Deutschland: Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte vom 15. Dezember 1989, BGBl. 1989 I 198 (PrHG-D), in Kraft seit 1. Januar 1990. 187 Richtlinie 85/374/EWG vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 1985 L 210/29. Auch das Schweizer PrHG-CH stellt eine – wenn auch freiwillige – Umsetzung der Richtlinie dar, Fellmann in BaslerKomm-OR I, Vorbem. zum PrHG, Rz. 1 f.; Rey, Rz. 1169. 188 Zur weitgehenden Inhaltsgleichheit trotz dogmatischer Unterschiede siehe Medicus/Lorenz, SchuldR BT, Rz. 350; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 330; Walter, FS Lange, 749, 777 f.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
richts keine konstitutive Bedeutung haben 189. Bei Vorliegen eines solchen Produktfehlers im Zeitpunkt des Inverkehrbringens 190 gewähren die Produkthaftungsgesetze einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch für Fälle der Tötung und Körperverletzung sowie Schäden an anderen Sachen als dem Produkt selbst. 191 Der Ersatz für Sachschäden ist beschränkt auf privat gebrauchte Sachen und unterliegt einem Selbstbehalt von CHF 900,00 bzw. EUR 500,00. 192 Fraglich ist, ob die Produkthaftungsgesetze eine Produktbeobachtungspflicht enthalten. Einige Autoren bejahen dies dahingehend, dass Produkte nach dem Inverkehrbringen vom Hersteller zu beobachten seien und aus dieser Beobachtung gewonnene Erkenntnisse bei der späteren Herstellung weiterer Produkte eingebracht werden müssten. Insofern wirke sich die Produktbeobachtungspflicht nach den Produkthaftungsgesetzen auf die Fehlerhaftigkeit zukünftig zu produzierender Produkte aus. 193 Eine Schadensersatzpflicht für einen eigentlichen Produktbeobachtungsfehler oder wegen Verletzung von Reaktionspflichten in Form von Warn- und Rückrufpflichten hinsichtlich eines Produktes, das bei Inverkehrbringen nicht fehlerhaft im Sinne von Art. 4 PrHG-CH bzw. § 3 PrHG-D war, kann es nach den Produkthaftungsgesetzen jedoch aufgrund des Inverkehrbringens als allein maßgebendem Zeitpunkt für die Fehlerhaftigkeit des Produkts nicht geben. 194 c)
Zusammenfassung
Im deutschen Recht der Produzentenhaftung nach allgemeinem Deliktsrecht ist anerkannt, dass sich für den Hersteller eine Pflicht zum Rückruf gefährlicher Produkte aus § 823 Abs. 1 BGB ergibt. Ob diese konstitutiv 189
BGer, 19.12.2006, BGE 133 III 81, 86, E. 3.2 (Kaffeekanne). Vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. c PrHG-CH bzw. § 3 Abs. 1 lit. c PrHG-D. 191 Art. 1 PrHG-CH; § 1 Abs. 1 PrHG-D. Entsprechend haftet der Hersteller nach den Produkthaftungsgesetzen im Gegensatz zum allgemeinen Deliktsrecht auch für Ausreißer, siehe dazu bereits oben S. 29, Fn. 105. 192 Art. 1 Abs. 1 lit. b, 6 Abs. 1 PrHG-CH; §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 11 PrHG-D. 193 Christen, 88; Fellmann/Kottmann, Rz. 1161; Kullmann, § 3 PrHG, Rz. 17; Oechsler in Staudinger, § 3 PrHG, Rz. 115; Rolland, Teil I, Rz. 191; G. Wagner in MüKoBGB5, § 1 PrHG, Rz. 55. 194 Bodewig, 111 ff.; Christen, 88 f.; Gnos, 121; Fellmann/v. Büren-v. Moos, Rz. 345; Handorn, PHi 2011, 206, 208; Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 42 ff.; Honsell, Haftpflichtrecht, § 21, Rz. 44; Ch. Müller in HandKomm, Art. 55, Rz. 28; Oechsler in Staudinger, § 3 PrHG, Rz. 112 ff.; Rey, Rz. 960; Roberto, Rückruf von Personenwagen, 20; Röthlisberger, 84; Schwenzer, OR AT, Rz. 53.38; G. Wagner in MüKoBGB5, § 1 PrHG, Rz. 55; Werro/Belser in Produkthaftungshandbuch II, § 146, Rz. 52; P. Widmer in Fellmann/ A. Furrer 2011, 101, 117; a.A. aber wohl Juretzek, PHi 2011, 68, 70, der im Hinblick auf diese Frage eine Vorlage an den EuGH für erforderlich hält. 190
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für seine Pflicht zum Ersatz für durch das Produkt verursachte Schäden ist, hängt von der Art des Fehlers ab. In der Schweiz lässt sich eine solche Pflicht als Reaktionspflicht auf die Ergebnisse der Produktbeobachtung, zu der der Hersteller auch nach Schweizer herrschender Ansicht verpflichtet ist, über Art. 55 Abs. 1 OR begründen. Diese Frage wurde bisher zwar noch nicht gerichtlich entschieden, die Botschaft zum Produktesicherheitsgesetz setzt das Bestehen einer solchen zivilrechtlichen Pflicht jedoch voraus. Aus den Spezialgesetzen über die Produkthaftpflicht ergibt sich weder nach Schweizer noch nach deutschem Recht eine Pflicht zum Rückruf gefährlicher Produkte. 2.
Deutschland: Die Rückrufpflicht im Einzelnen
Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit den Fragen, wann nach deutschem Recht eine Rückrufpflicht besteht und welchen konkreten Inhalt diese Pflicht hat. Die separate Betrachtung der Rechtslage in Deutschland ist aufgrund des großen Unterschieds in der Durchdringung dieser Fragen in der Schweiz und Deutschland nötig. Während hier also zunächst die deutsche Rechtsprechung und die Ansichten in der umfangreichen deutschen Literatur untersucht werden, widmet sich ein späterer Abschnitt 195 der eher sporadischen Erörterung in der Schweiz. Die Diskussion über die Rückrufpflicht in die zwei Unterfragen nach ihrem Bestehen einerseits und ihrem genauen Inhalt andererseits aufzuteilen, scheint auf den ersten Blick unbefriedigend. In der Tat kann diese separate Betrachtung der Fragestellung nur begrenzt gerecht werden, da es „die eine Rückrufpflicht“ schlichtweg nicht gibt. Vielmehr hat sich der Begriff als Kurzformel für eine Verpflichtung des Herstellers zur Beseitigung der von seinem Produkt ausgehenden Gefahren eingebürgert. Wie diese Gefahrenbeseitigung im Einzelnen zu erfolgen hat, darüber wird durch die bloße Feststellung des Vorliegens einer Rückrufpflicht jedoch noch keine Aussage getroffen. 196 Es besteht insofern gewissermaßen eine Wechselwirkung zwischen den Vorstellungen über den Inhalt der Rückrufpflicht und solchen über ihr Bestehen. In der Tendenz lässt sich feststellen, dass diejenigen Autoren, die hohe Ansprüche an den Inhalt der Rückrufpflicht stellen, auch verhältnismäßig hohe Hürden für das Bestehen der Pflicht aufstellen und vice versa. Dass diese Wechselwirkung bzw. teils existierende Vorverständnisse über den Inhalt der Pflicht nicht immer offengelegt werden, 195
Siehe dazu unten S. 104 ff. Ähnlich Faust, JuS 2009, 377, 379: „Je nach dem konkreten Sachverhalt kann der Rückruf […] den Sinn haben, das Produkt zu reparieren oder auszutauschen, es fachgerecht zu entsorgen oder dem Eigentümer den gezahlten Preis zu erstatten.“ 196
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
erschwert den Diskurs und verringert die Aussagekraft einer Reihe von Urteilen und Meinungen im Schrifttum. Auf der anderen Seite lassen sich grundsätzliche Aussagen über das Bestehen einer Rückrufpflicht nur dann treffen, wenn kurzfristig – also nur in einem ersten, kurz darauf zu ergänzenden Schritt – eine gedankliche Einschränkung auf diesen Punkt vorgenommen und der Inhalt der Pflicht ausgeklammert wird. Nur so ist es möglich, die Komplexität der Fragestellung dergestalt zu reduzieren, dass sich eine Systematisierung erreichen und Leitlinien herausarbeiten lassen. Eine andere Herangehensweise liefe Gefahr, sich in der Diskussion von Einzelfällen zu verlieren. Um gleichzeitig aber nicht die Vielfalt der Rückrufpflicht auf eine einzige Dimension zu beschränken, kann die Frage nach dem Bestehen der Rückrufpflicht folgerichtig nur darauf zielen, wann ein Hersteller verpflichtet sein kann, überhaupt zur direkten Gefahrenbeseitigung tätig zu werden, anstatt sich mit einer bloßen Warnung der Produkteigentümer/-nutzer zu begnügen. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich somit ausschließlich mit der Untergrenze der Rückrufpflicht in Abgrenzung zur Warnpflicht bzw. mit der Frage, wann es für den Hersteller im Rahmen der Gefahrenabwehr nicht (mehr) ausreicht, den Produkteigentümer in die Lage zu versetzen, die Gefahr selbst zu beseitigen. Der darauf folgende Abschnitt ist dann den Leitlinien einer inhaltlichen Ausgestaltung der Rückrufpflicht – oder präziser: der verschiedenen Formen der Rückrufpflicht – gewidmet. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass bei der Untersuchung dieser beiden Teilfragen auf dieselben Wertungen und Kriterien zurückgegriffen wird. Dies ist eine logische Konsequenz daraus, dass es sich bei der Aufspaltung der Gefahrabwendungspflichten in Warnpflicht und Rückrufpflicht lediglich um eine begriffliche Trennung handelt. 197 Inhaltlich werden mit der Festlegung, ob der Hersteller zu einer Warnung oder aber zu einem Rückruf mit einer bestimmten Ausgestaltung verpflichtet ist, jedoch nur verschiedene Punkte auf einem Kontinuum der Gefahrenabwehr fixiert. Die Auswahl eines konkreten Punktes erfolgt immer auf Grundlage derselben rechtlichen Kriterien und ändert sich nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles.
197 Die Trennlinie zwischen Warn- und Rückrufpflicht (ohne dass eine ebensolche scharfe Trennung zwischen den verschiedenen Formen der Rückrufpflicht vorgenommen wird) beruht auf der Unterscheidung von Pflichten, die dem Gefährdeten einen eigenverantwortlichen Umgang mit der Gefahr ermöglichen, einerseits und solchen, die unmittelbar auf den Gefahrenherd einwirken, andererseits; hierzu grundlegend v. Bar, 83 ff.; zu dieser Unterscheidung siehe auch J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 26; Pannenbecker, 2.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
a)
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Bestehen einer Rückrufpflicht
Ob den Hersteller eine Rückrufpflicht trifft, wird nach nahezu einhelliger Auffassung an dem aus dem öffentlichen Recht vertrauten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemessen. 198 In dieser Prüfung werden die klassischen drei Elemente der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit jedoch nicht immer klar voneinander getrennt. 199 Zu Verkehrspflichten allgemein formuliert die Rechtsprechung häufig, der Verkehrspflichtige müsse alle zur Gefahrenabwehr notwendigen Maßnahmen treffen, die ihm möglich und zumutbar seien. 200 In der Rechtsprechung ist das Kriterium der Erforderlichkeit erst durch das erste zivilrechtliche Urteil des Bundesgerichtshofs zur Rückrufpflicht 201 in den Vordergrund getreten. Darauf wird noch ausführlich einzugehen sein. 202 Weder die Uneinigkeit in der Zuordnung verschiedener Kriterien zu den drei Prüfungspunkten des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes noch der teilweise gänzliche Verzicht auf einzelne Prüfungspunkte sollen hier zum Anlass genommen werden, die Prüfung nicht anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorzunehmen. Schließlich fließen auch bei unterschiedlicher Zuordnung im Wesentlichen jeweils dieselben Kriterien in die Prüfung der Rückrufpflicht ein, so dass es nur selten entscheidend auf die Zuordnung zu einer Stufe ankommt 203. Dies liegt auch darin begründet, dass das Prüfprogramm einer Stufe maßgeblich vom Verständnis der vorhergehenden Stufen bestimmt wird. 204 Im Folgenden wird also anhand der Punkte Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit geprüft, wann ein Hersteller zum Rückruf seiner Produkte verpflichtet ist. Den Bezugspunkt für diese 198
Beck, 22; Bodewig, 210 ff.; Droste, 16 ff.; H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1804; Koch, AcP 203 (2003), 603, 606; Kreidt, 169, 184; Michalski, BB 1998, 961, 965; Molitoris, NJW 2009, 1049, 1052; Pannenbecker, 99 f.; Pauli, PHi 1985, 132, 142; Pieper, BB 1991, 985, 988; Reusch, StoffR 2009, 205, 207; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1436; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062; K. Mayer, DB 1985, 319, 324 f., rekurriert dagegen auf Treu und Glauben zur Bestimmung der Rückrufpflicht; generell skeptisch gegenüber der Verhältnismäßigkeitsprüfung für Verkehrspflichten: Steffen, VersR 1980, 409, 410 f. 199 So z.B. bei Kettler, PHi 2008, 52, 56 f., der eine lange Liste von potentiellen Kriterien für Erforderlichkeit und Zumutbarkeit zusammengestellt hat; anders aber beispielsweise Bodewig, 214 ff.; Rettenbeck, 66 ff. 200 Siehe nur BGH, 16.06.2009, NJW 2009, 2952, 2953, E. 15 f. (Airbags); BGH, 07.06.1988, NJW 1988, 2611, 2614 (Limonadenflasche); BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603, 1604 (Derosal). 201 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080 ff. (Pflegebetten). 202 Siehe unten S. 48 ff. 203 So aber bei der Behandlung der Rechtspflicht Anderer zur Gefahrenbeseitigung im Pflegebetten-Fall des Bundesgerichtshofs, siehe hierzu unten S. 49 ff. 204 Bodewig, 213.
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Prüfungspunkte stellt jeweils der Schutz des – deliktsrechtlich allein maßgeblichen – Integritätsinteresses dar. 205 (i) Geeignetheit Das Erfordernis der Geeignetheit erfüllt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 206 jede Maßnahme, die der Erreichung des Zweckes förderlich ist. 207 Gemessen an dieser sehr weiten Definition sind sowohl die Warnung vor Produktgefahren als auch der Produktrückruf grundsätzlich zum Schutz von Integritätsinteressen geeignet, da sie die Wahrscheinlichkeit von deren Verletzung verringern. 208 Dass eine absolute Sicherheit dann, wenn gefährliche Waren erst einmal bei den Endabnehmern angekommen sind, regelmäßig nicht mehr zu erreichen ist, 209 spielt hingegen für die grundsätzliche Geeignetheit keine Rolle. Auf die gänzliche Beseitigung der von dem Produkt ausgehenden Gefahr kommt es für die Geeignetheit der Gefahrenabwehrmaßnahme gerade nicht an. 210 (ii) Erforderlichkeit Erforderlich ist eine Maßnahme dann, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, welches genauso geeignet ist, das Ziel zu erreichen. 211 Bezogen auf das Verhältnis von Rückrufpflicht und Warnpflicht bedeutet dies zwei Dinge. Erstens müsste eine Warnung das Integritätsinteresse 212 der 205
Bodewig, 211. Zur Maßgeblichkeit der im öffentlichen Recht entwickelten Grundsätze: Rettenbeck, 66 f. 207 Ständige Rechtsprechung, aus der jüngeren Zeit siehe BVerfG, 10.04.1997, BVerfGE 96, 10, 23 m.w.N.; Grzeszick in Maunz/Dürig, Art. 20, Rz. 112. 208 Anders mag der Fall für die Warnung liegen, wenn dem Produktnutzer ein Ausweichen vor der Gefahr faktisch nicht möglich ist, J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 25; für Fälle, in denen es bereits an der Geeignetheit der Warnung fehlt, siehe auch Bodewig, 245. 209 Etwas anderes kann höchstens dann gelten, wenn alle Produkteigentümer identifizierbar sind, was beispielsweise im Bereich der Kraftfahrzeuge der Fall ist. In einer solchen Situation kann in Ausnahmefällen durch behördlichen Zwang absolute Sicherheit erreicht werden. 210 Bodewig, 215; Pannenbecker, 100 ff.; a.A. Krutein, DAR 1985, 33, 35. 211 Grzeszick in Maunz/Dürig, Art. 20, Rz. 113; Rettenbeck, 69; Schulze-Fielitz in Dreier, Art. 20, Rz. 183. 212 Im Zusammenhang mit der Frage nach der Erforderlichkeit der Rückrufpflicht wird immer wieder darauf verwiesen, ein Rückruf sei deswegen nicht notwendig, weil dadurch das Äquivalenzinteresse geschützt würde, dies jedoch nicht Aufgabe des Deliktsrechts sei (so z.B. BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 12 (Pflegebetten); LG Frankfurt a.M., 01.08.2006, VersR 2007, 1575, E. 22 (Röntgengeräte); Dietborn/A. Müller, BB 2007, 2358, 2362 (mit Ausnahmen); wohl auch Klindt, BB 2009, 792, 792; eingeschränkt auch H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1806 f.). Während die Abgrenzung von 206
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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gefährdeten Personen mindestens ebenso gut schützen wie ein Rückruf durch den Hersteller. Und zweitens müsste diese alternative Maßnahme eine geringere Belastung darstellen als ein Rückruf. Wie bereits erwähnt, ist das Kriterium der Erforderlichkeit seitens der deutschen Rechtsprechung in der Diskussion um die Rückrufpflicht erst in jüngerer Zeit ausführlich erörtert worden. 213 Im Jahr 2008 lehnte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung im Pflegebetten-Fall 214 eine Rückrufpflicht des Herstellers mit dem Argument ab, eine Warnung sei ausreichend und ein Rückruf damit nicht erforderlich gewesen. Aus diesem Grund versagte er den klagenden Pflegekassen einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die Nachrüstung fehlerhafter Pflegebetten. Diese Nachrüstung hatten die Pflegekassen nach Aufforderung durch den Hersteller auf ihre eigenen Kosten vornehmen lassen, um einen Konstruktionsfehler 215 zu beseitigen, durch den es an den Motoren zu Kurzschlüssen kommen konnte. Durch einen Kurzschluss konnten die Betten in Brand geraten, wodurch die darin liegenden Patienten gefährdet wurden. In dieser Situation hielt der Bundesgerichtshof den Hersteller zwar zur Gefahrenabwehr für verpflichtet, lehnte eine Rückrufpflicht jedoch ab, da die Pflege-
Delikts- und Vertragsrecht in der Bestimmung der Rückrufpflicht in der Tat zu berücksichtigen ist, handelt es sich dabei nach dem hiesigen Verständnis jedoch ausschließlich um eine Frage des Inhalts bzw. der Reichweite dieser Pflicht (siehe dazu unten S. 88 ff.). Zur Abgrenzung der Rückrufpflicht von der Warnpflicht, welche mit der Prüfung der Erforderlichkeit verfolgt wird, vermag die Erwägung, es dürfe keine „deliktsrechtliche Gewährleistung“ geschaffen werden, jedoch keinen Beitrag zu leisten. Eine Verquickung dieser Punkte verkennt die Bandbreite der Maßnahmen zwischen einer bloßen Warnung und einer vollumfänglichen Nachrüstung auf Kosten des Herstellers. 213 Das OLG Düsseldorf, 31.05.1996, NJW-RR 1997, 1344 ff. erwähnte die Erforderlichkeit nicht, sondern konstatierte nur: „die […] Rückrufaktion als Maßnahme der Schadensvorsorge [wäre] […] gerechtfertigt gewesen, wenn sie der Abwendung einer nahe bevorstehenden oder typischerweise zu erwartenden Gefahr der Schädigung des Eigentums der Endabnehmer gedient hätte.“ Das OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 597 (Dunstabzugshauben) und das OLG München, 18.02.1998, NJW-RR 1999, 1657, 1658 (Gasheizdeckel) erwähnten jeweils knapp, in der Rückrufaktion des Herstellers sei keine übertriebene Reaktion zu sehen. Das OLG Frankfurt a.M., 13.11.1990, VersR 1991, 1184, 1185 f. (Kondensatoren) erwähnte kurz, dass Bremsenherstellern sowie Automobilherstellern gegenüber eine Warnung ausgereicht hätte (diesen gegenüber wäre nach der hier verwendeten, den Produktsicherheitsgesetzen entnommenen, Terminologie jedoch gar kein Rückruf in Frage gekommen, sondern lediglich eine Rücknahme); anders beurteilte es die Situation hingegen gegenüber Endabnehmern und „möglicherweise“ auch gegenüber Einzelhändlern(!). 214 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080 ff. 215 Ein solcher war jedenfalls für das Revisionsverfahren zu unterstellen, BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1080, E. 8 (Pflegebetten).
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kassen gesetzlich 216 dazu verpflichtet waren, die Pflegebetten in einen sicheren Zustand zu versetzen. Es habe keinen Anlass gegeben zu befürchten, dass die Pflegekassen diesen Pflichten nicht uneingeschränkt nachkommen würden. Deshalb sei die Nachrüstung der Pflegebetten durch den beklagten Hersteller „im Interesse der Effektivität der Gefahrenabwehr jedenfalls nicht erforderlich“ gewesen. 217 Der Bundesgerichtshof ließ ausdrücklich offen, welche Konsequenzen sich aus der Entscheidung im Pflegebetten-Fall für die Rückrufpflicht von Herstellern im Allgemeinen ergäben. 218 Er betonte, dass Inhalt der Rückrufpflicht nur sei, „die von dem fehlerhaften Produkt ausgehenden Gefahren für die in § 823 I BGB genannten Rechtsgüter so effektiv wie möglich und zumutbar“ auszuschalten, nicht aber, „dem Erwerber oder Nutzer ein fehlerfreies, in jeder Hinsicht gebrauchstaugliches Produkt zur Verfügung zu stellen und so sein Interesse an dessen ungestörter Nutzung und dessen Wert oder die darauf gerichtete Erwartung des Erwerbers (Nutzungs- und Äquivalenzinteresse) zu schützen“. 219 Dennoch erachtete der Bundesgerichtshof es unter Umständen für möglich, dass der Hersteller deliktsrechtlich verpflichtet sein könnte, „dafür Sorge zu tragen, dass bereits ausgelieferte gefährliche Produkte möglichst effektiv aus dem Verkehr gezogen […] oder nicht mehr benutzt werden.“ 220 Dies könne etwa dann der Fall sein, wenn Grund zu der Annahme bestünde, dass die Warnung den Nutzern die Einschätzung der Gefahr und eine entsprechende Anpassung ihres Verhaltens nicht ausreichend ermöglichte oder dass sie sich trotz ausreichender Gefahrkenntnis „– auch bewusst – über die Warnung hinwegsetzen und dadurch Dritte gefährden.“ 221 Ähnlich wie der Bundesgerichtshof hatten auch die beiden Vorinstanzen sowie das Landgericht Arnsberg in einem Parallelfall argumentiert und entschieden. 222 Auch das Landgericht Frankfurt a.M. 223 hat im Jahr 2006 auf die fehlende Erforderlichkeit eines Rückrufs abgestellt. In diesem Fall ging es um Gefahren, die von einer defekten Federbruchsicherung in Röntgengeräten ausgingen. Das Landgericht betrachtete eine Warnung als ausreichend und konstatierte, ein nicht mehr in Betrieb befindliches Gerät
216 Nach § 40 Abs. 3 Satz 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. 1994 I 1014; SGB XI). 217 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1082, E. 16 (Pflegebetten). 218 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1082, E. 20 (Pflegebetten). 219 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1082, E. 19 (Pflegebetten). 220 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 11 (Pflegebetten). 221 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 11 (Pflegebetten). 222 LG Bielefeld, 08.11.2005, 18 O 23/05; OLG Hamm, 16.05.2007, BB 2007, 2367 ff.; LG Arnsberg, 06.05.2003, 5 S 176/02. 223 LG Frankfurt a.M., 01.08.2006, VersR 2007, 1575 ff. (Röntgengeräte).
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könne ebenso wenig Integritätsinteressen berühren wie ein mit einer neuen Federbruchsicherung versehenes. 224 Die Autoren, die sich mit diesen Entscheidungen auseinandergesetzt haben, halten sie überwiegend für richtig. 225 Zumeist wird als ein wesentlicher Punkt angesehen, dass es sich bei den Produkteigentümern in den betreffenden Fällen um Unternehmen (Pflegekassen, Krankenhäuser) handelte. 226 Bei Verbrauchern, so die überwiegende Ansicht, müsse die Entscheidung anders ausfallen, da bei diesen nicht sicher davon ausgegangen werden könne, dass sie eine Warnung entsprechend befolgen und damit den Schutz des Integritätsinteresses gewährleisten würden. 227 Im Folgenden soll das Kriterium der Erforderlichkeit des Rückrufs mit den Unterpunkten der gleichen Eignung und des mildesten Mittels näher betrachtet werden. Dabei wird insbesondere die gerade geschilderte Rechtsprechung und Literaturansicht kritisch hinterfragt. (1) Gleiche Eignung Unter dem Kriterium der gleichen Eignung wird danach gefragt, ob es eine andere Maßnahme gibt, die in demselben Maße zur Erreichung des Zweckes geeignet ist; Voraussetzung ist eine eindeutig gleichwertige Steigerung der Erfolgswahrscheinlichkeit. 228 Eine Warnung wäre demnach genauso gut geeignet, wenn sie in demselben Maße zum Schutz von Integritätsinteressen beizutragen vermöchte wie die Rückrufpflicht. Hierfür kommt es auf die Erfolgsaussichten der Warnung an. Um diesen Punkt 224
LG Frankfurt a.M., 01.08.2006, VersR 2007, 1575, 1575 f. (Röntgengeräte). Burckhardt, BB 2009, 630, 630 f.; Burckhardt, PHi 2009, 48, 51; Faust, JuS 2009, 377, 378 f.; Kettler, VersR 2009, 274, 275; Klindt, BB 2009, 792, 792 ff.; Molitoris/Klindt, NJW 2010, 1569, 1570; kritisch jedoch J. Hager, FS Prölss, 71, 73 ff.; J. Hager, JA 2009, 387, 388; G. Wagner, JZ 2009, 908, 908 ff. 226 Burckhardt, BB 2009, 630, 630 f.; Burckhardt, PHi 2009, 48, 49; Grote/Seidl, VW 2009, 756, 757; Kettler, PHi 2008, 52, 55 f.; Molitoris/Klindt, NJW 2010, 1569, 1570; Klindt, BB 2009, 792, 793 ff. 227 OLG Frankfurt a.M., 13.11.1990, VersR 1991, 1184, 1185 f. (Kondensatoren) (allerdings ebenso „möglicherweise“ für Kfz-Einzelhändler); Kettler, PHi 2008, 52, 58 ff.; Burckhardt, BB 2009, 630, 630 f. hält dies zumindest für eine Möglichkeit; anders bei identifizierbaren Abnehmern, gegen die behördliche Verfügungen ergehen können: Burckhardt, PHi 2009, 48, 49; J. Hager, FS Prölss, 71, 73 hält den Rückruf gerade bei Massenprodukten, die an Verbraucher geliefert werden, meist für erforderlich; ebenfalls für eine Differenzierung zwischen Verbrauchern und Unternehmen: Kettler, VersR 2009, 274, 275; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 518; in der Tendenz strenger: Klindt, BB 2009, 792, 794 f. 228 Ständige Rechtsprechung, siehe etwa BVerfG, 14.07.1999, BVerfGE 100, 313, 375; BVerfG, 14.11.1989, BVerfGE 81, 70, 91; BVerfG, 18.12.1968, BVerfGE 25, 1, 19 f.; Grzeszick in Maunz/Dürig, Art. 20, Rz. 114; Schulze-Fielitz in Dreier, Art. 20, Rz. 183. 225
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richtig zu erfassen, gilt es zunächst, den relevanten Bezugspunkt zu definieren. Im Hinblick darauf müssen sodann die regelmäßigen Erfolgsaussichten von Warnung und Rückruf betrachtet werden, bevor auf mögliche Ausnahmen eingegangen werden kann. (a) Relevanter Bezugspunkt Für die Frage, ob eine Warnung ebenso gut zur Gefahrenabwehr geeignet ist wie ein Rückruf muss auf alle Produktnutzer bzw. -eigentümer abgestellt werden. 229 Entscheidend ist also die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Warnung im Verhältnis zu der eines Rückrufs bezogen auf die Gesamtheit der betroffenen Produkte. Hingegen reicht es für die gleiche Eignung einer Warnung nicht aus, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit der Warnung für eine bestimmte Teilgruppe der Eigentümer oder Nutzer derjenigen des Rückrufs entspricht. Daraus folgt, dass beispielsweise in einer Regressklage eines Eigentümers, der die Gefahr selbst durch Nachrüstung des Produkts abgewendet hat, diesem nicht entgegengehalten werden kann, ein Rückruf sei nicht erforderlich gewesen, weil der Hersteller keinen Grund zu der Annahme hatte, dieser Eigentümer werde der Warnung nicht angemessen nachkommen. Gleichermaßen könnte einem Anspruch auf Rückruf nicht entgegengehalten werden, der Rückruf sei deswegen nicht erforderlich, weil der Eigentümer, der den Anspruch geltend macht, die Gefahr auch selbst beseitigen werde, wenn der Hersteller eine Warnung ausspräche. Dass die Erfolgswahrscheinlichkeit gesamthaft hinsichtlich aller Produkteigentümer respektive -nutzer bestimmt werden muss, folgt einerseits aus der Rechtsnatur der Reaktionspflichten als Verkehrspflichten, andererseits aus rein praktischen Erwägungen. Das maßgebliche Schutzniveau im Rahmen der Verkehrssicherung bestimmt sich nach dem Schutzbedürfnis all derer, die zum geschützten Personenkreis gehören. 230 Dazu wird nicht auf den Durchschnitt aller Gefährdeten abgestellt, sondern auf die jeweils schutzbedürftigste Personengruppe, z.B. auf die jüngsten Kinder, die mit dem entsprechenden Spielzeug spielen können. 231 Auf dieses Schutzniveau können sich auch diejenigen Personen berufen, die selbst nicht zu der schutzbedürftigsten Personen-
229 Ähnlich G. Wagner, JZ 2009, 908, 910; diese Überlegung klingt auch bei Rettenbeck, 80, Fn. 4 an. 230 R. Krause in Soergel, § 823 Anh II, Rz. 29 m.w.N. 231 BGH, 01.03.1988, NJW 1988, 2667, 2667; ebenso BGH, 30.10.1990, NJW 1991, 921, 921: Böden in einer Gastwirtschaft müssen auch für Gehbehinderte und Betrunkene die nötige Sicherheit bieten; Schiemann in Erman, § 823, Rz. 81; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 41.
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gruppe gehören. 232 Es findet insofern keine Differenzierung statt. Die geringere Schutzbedürftigkeit einer bestimmten Personengruppe ist nur dann maßgeblich, wenn ausschließlich derartige Personen betroffen sind. 233 Entsprechend gilt auch für die Reaktionspflichten des Warenherstellers, dass sie sich an der Gesamtheit des geschützten Personenkreises zu orientieren haben und damit die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Gefahrenabwehrmaßnahme an eben diesem gesamten Personenkreis zu messen ist. Praktische Überlegungen unterstützen diese Ausrichtung: Der Hersteller, der vor der Entscheidung steht, ob er eine bestimmte Produktserie zurückruft, kann sich nur entweder für oder gegen den Rückruf entscheiden. Es ist ihm jedoch nicht möglich, beispielsweise allen Senioren und Kindern gegenüber, die eine Warnung möglicherweise nicht angemessen einschätzen und dementsprechend adäquat handeln können, einen Rückruf auszusprechen und sich allen 15- bis 65-Jährigen gegenüber lediglich auf eine Warnung zu beschränken. Demzufolge muss er für die Erfolgswahrscheinlichkeit von Warnung und Rückruf auf alle Produkteigentümer bzw. -nutzer abstellen. Die teilweise vertretene Ansicht, Unternehmen gegenüber sei ein Rückruf nicht erforderlich, 234 ist aus diesem Grund als zu pauschal abzulehnen. Selbst wenn man unterstellt, dass bei Unternehmen davon ausgegangen werden kann, sie würden eine Warnung des Herstellers befolgen, müssen in die Prognose hinsichtlich des Erfolgs von Warnung und Rückruf auch die übrigen Produkteigentümer/-nutzer einbezogen werden. Sofern sich also ein Teil der riskanten Produkte in den Händen von Verbrauchern befindet, wirkt sich dies auch auf die Erforderlichkeit eines Rückrufs der Produkte bei den Unternehmen aus. Gleiches gilt auch für den oben bereits angesprochenen PflegebettenFall 235. Aus dem Sachverhalt lässt sich zwar nicht entnehmen, ob von einer möglichen Rückrufpflicht der Herstellerin noch andere Pflegebetten betroffen gewesen wären, als diejenigen, die den klagenden Pflegekassen gehör232
R. Krause in Soergel, § 823 Anh II, Rz. 29 m.w.N.; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 235. Voraussetzung dafür ist, dass sie überhaupt in den Schutzbereich der Verkehrspflicht einbezogen sind, J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 41. Dies ist nicht der Fall bei unbefugter Benutzung, R. Krause in Soergel, § 823 Anh II, Rz. 40. 233 R. Krause in Soergel, § 823 Anh II, Rz. 29. 234 Klindt, BB 2009, 792, 795 (grundsätzlich keine Rückrufpflicht im b2b-Bereich); mit Einschränkung Burckhardt, BB 2009, 630, 630; ähnlich wohl auch Pannenbecker, 105 f., bei dem jedoch letztlich unklar bleibt, ob das Ausreichen der Warnung per se bei gewerblichen Produktbenutzern anzunehmen sein soll oder nur, wenn sich das Produkt noch innerhalb der Vertriebskette befindet (wobei letztere Situation nach der hier verwendeten Definition (siehe S. 9 oben) ohnehin nicht in den Bereich der Rückrufpflicht fallen würde). 235 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080 ff.
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ten. Insofern mag es dahingestellt bleiben, ob die hier geäußerte Kritik in diesem Fall letztlich zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Erforderlichkeit geführt hätte. Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof es versäumt, an dieser Stelle deutlich zu differenzieren. Immerhin ist die Möglichkeit, dass Pflegebedürftige oder ihre Angehörigen Pflegebetten über ein Sanitätshaus privat beziehen, nicht ganz auszuschließen. Dass der Bundesgerichtshof überhaupt nicht darauf eingeht, ob dies der Fall war, gibt Anlass zu der Frage, ob er die Relevanz dieses Aspekts für die Erforderlichkeit des Rückrufs erkannt hat. 236 Der Vollständigkeit halber soll hier darauf hingewiesen werden, dass die Kritik an der pauschalen Ablehnung der Erforderlichkeit gegenüber Unternehmen im Ergebnis keinesfalls zwingend eine Gleichbehandlung von Unternehmen und Verbrauchern zur Folge hat. Ebenso wenig führt das Abstellen auf die Gesamtheit der Produkteigentümer/-nutzer im Rahmen der Prüfung der Eignung anderer Gefahrenabwehrmaßnahmen dazu, dass sämtliche Produkteigentümer/-nutzer „über einen Kamm geschert“ werden, ohne dass auf individuelle Unterschiede Rücksicht genommen würde. Die hier vertretene Ansicht hat lediglich zur – auch erwünschten – Konsequenz, dass zwei Fragen klar voneinander getrennt werden: die Frage nach dem Bestehen einer Rückrufpflicht einerseits und die nach der Verteilung der Kosten der Gefahrenbeseitigung zwischen Hersteller und Produkteigentümer/-nutzer andererseits. Diese beiden Fragen tauchen insbesondere dann miteinander gekoppelt auf, wenn der Eigentümer/Nutzer die Gefahr selbst beseitigt hat und anschließend vom Hersteller Ersatz der Kosten verlangt. Individuelle Unterschiede beispielsweise im Hinblick auf die eigene Verantwortung des jeweiligen Produkteigentümers/-nutzers sind anstatt im Rahmen der Rückrufpflicht auf der Ebene des Regressanspruchs selbst zu berücksichtigen. Im Pflegebetten-Fall beispielsweise wäre die eigene gesetzliche Verpflichtung der Pflegekassen zur Gefahrenabwehr bei der Kostenverteilung im Rahmen des einschlägigen Regressanspruchs 237 zu berücksichtigen gewesen. Eine klare Differenzierung, wie sie hier vorgeschlagen wird, hat zudem den Vorteil, dass sie in Fällen des Regresses wegen Selbstvornahme der Gefahrenabwehr den Produkteigentümer/-nutzer aus dem Dilemma der expost-Betrachtung befreit. Denn wenngleich die Prüfung der Erforderlichkeit immer aus einer ex-ante-Perspektive vorzunehmen ist, wird es Richtern kaum je möglich sein, die Tatsache, dass der Eigentümer respektive 236 Genauso erstaunt es, dass dieser Punkt in den zahlreichen Anmerkungen zum Pflegebetten-Fall nicht in Erwägung gezogen wird. 237 Zu der Frage, welches die einschlägige Anspruchsgrundlage gewesen wäre, hat sich der Bundesgerichtshof leider nicht geäußert, BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1080 f., E. 9.
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Nutzer die Warnung befolgt hat, gänzlich auszublenden. 238 Insofern hat es der Regresskläger bei der eingeschränkten, nur die Kläger für maßgeblich haltenden Betrachtungsweise des Bundesgerichtshofs verhältnismäßig schwer, die Erforderlichkeit der Rückrufpflicht nachzuweisen. Die Erweiterung des Blickwinkels über den Kläger hinaus auf die Gesamtheit der Produkteigentümer/-nutzer verringert hingegen dieses Problem der sogenannten hindsight bias. (b) Erfolgswahrscheinlichkeit von Rückruf und Warnung im Regelfall Hinsichtlich der Erfolgsaussichten von Warnung und Rückruf herrschen unterschiedliche Vorstellungen. Während zwar wohl niemand annimmt, eine Warnung trüge effektiver zur Gefahrenabwehr bei als ein Rückruf, so wird doch vereinzelt davon ausgegangen, beide Maßnahmen hätten denselben Effekt 239. Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen, da für den durchschnittlichen Produkteigentümer/-nutzer das Angebot einer direkten Gefahrenbeseitigung durch den Endhersteller attraktiver ist als die bloße Aufforderung, das Produkt nicht weiter zu verwenden oder sich selbst um eine Nachrüstung bzw. Reparatur zu kümmern. Regelmäßig wird ein Rückruf des Herstellers aufgrund seiner größeren Anreizwirkung daher eher befolgt werden als eine Warnung. 240 Von derselben Einschätzung geht ersichtlich auch das neue deutsche Produktsicherheitsgesetz aus, nach dessen § 26 Abs. 4 den Behörden bei Vorliegen eines ernsten Risikos insbesondere für die Sicherheit und Gesundheit von Personen kein Auswahlermessen mehr zusteht, sondern sie für Produkte, die bereits in den Händen der Endabnehmer sind, einen Rückruf anzuordnen haben. In der Regel wird ein Rückruf also besser zur Gefahrenabwehr geeignet sein als eine Warnung. Dann ist der Rückruf auch erforderlich.
238
Zu dem Dilemma der hindsight bias in Fällen von Sorgfaltspflichtverletzungen siehe jüngst Roberto/Grechenig, ZSR 2011 I, 5 ff. 239 Reusch, StoffR 2009, 96, 98 ff., hält deswegen einen Rückruf nie für erforderlich, sondern immer eine Warnung für ausreichend. Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1604 zufolge ist es „bereits bei abstrakter Betrachtung keineswegs gesichert“, dass „das Angebot einer kostenlosen Nachrüstung die Gefahr gegenüber […] Warnungen entscheidend verringert“, weshalb er jeweils auf den Einzelfall abstellen möchte. 240 So ebenso Bodewig, 215; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 326; M. Mayer, 296; Pannenbecker, 103 ff.; ähnlich J. Hager, JA 2009, 387, 388; Kreidt, 177 spricht von einer „tendenziellen Wirksamkeitsüberlegenheit von Maßnahmen direkter Gefahrbeseitigung gegenüber Warnungen“.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
(c) Ausnahmen Es sind im Wesentlichen drei Ausnahmekonstellationen vorstellbar, in denen davon auszugehen ist, dass eine Warnung in demselben Maße befolgt werden wird wie ein Rückruf. Bei Vorliegen eines Instruktionsfehlers ist eine Warnung in der Regel ebenso geeignet zur Gefahrenabwehr wie ein Rückruf. Ein Instruktionsfehler ist dann gegeben, wenn das Produkt zwar fehlerfrei konstruiert und fabriziert wurde, der Hersteller die Produktnutzer jedoch nicht ausreichend auf Gefahren hingewiesen hat, die sich aus der Nutzung ergeben können. 241 In einer solchen Situation hat ein Rückruf durch den Hersteller keinen Mehrwert gegenüber einer Warnung. Schließlich könnte der Hersteller dem Produkt lediglich eine Instruktion bzw. Warnung beifügen, es jedoch nicht sicherer herstellen. Für den Produkteigentümer/-nutzer ergibt sich aus diesem Grund durch den Rückruf kein zusätzlicher Vorteil. Vielmehr hängt auch die Gefahrenabwehrwirkung eines solchen „Rückrufs“ davon ab, dass der Produkteigentümer/-nutzer die Warnung des Herstellers befolgt. Insofern sind bei Instruktionsfehlern Warnung und Rückruf gleichermaßen zur Gefahrenabwehr geeignet. 242 Die zweite Konstellation, in der die Warnung zur Gefahrenabwehr ebenso geeignet ist wie ein Rückruf, ist eng mit dem Instruktionsfehler verwandt. Es handelt sich dabei um Fälle von „nachträglichen Instruktionsfehlern“. Darunter sind Situationen zu verstehen, in denen die Gefährlichkeit des Produkts im Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht erkennbar war und somit ein Entwicklungsrisiko vorliegt, bei anfänglicher Erkennbarkeit der Gefährlichkeit jedoch eine Instruktion ausgereicht hätte, um die nötige Sicherheit zu gewährleisten. Beispiele für solche Konstellationen bieten die bekannten Apfelschorf-Fälle, die vom Bundesgerichtshof im Jahr 1981 entschieden wurden. 243 In diesen Fällen produzierte der Hersteller Fungizide, gegen welche die Pilze, vor deren Befall sie schützen sollten, im Laufe der Zeit Resistenzen entwickelten. Bei Inverkehrbringen der Spritzmittel fehlte es jedoch an entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, so dass ein Entwicklungsrisiko vorlag. Das Produkt konnte 241
Näher dazu siehe nur Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 502 ff.; Steffen in RGRK, § 823, Rz. 281 jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen; eingehend zum Verhältnis von Konstruktion und Instruktion Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 127 ff.; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 629 ff. 242 In diese Richtung auch Klindt, BB 2009, 792, 795, demzufolge es unstreitig ist, „dass ein produzentenhaftungsrechtlich relevanter Instruktionsmangel durch pures Nachholen der Instruktion ausgemerzt werden kann“; ähnlich auch Kettler, PHi 2008, 52, 57, der bei einem Instruktionsfehler „sachlogisch eine nachträgliche richtige Instruktion [für] die angemessene Reaktion des Herstellers“ hält. 243 BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603 ff. (Derosal); BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1606 ff. (Benomyl).
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aber selbst mit dem späteren Wissen nicht so konstruiert oder fabriziert werden, dass keine Resistenzbildung möglich war. Vielmehr konnte (und musste) der Hersteller lediglich auf diese Gefahr hinweisen und aufzeigen, wie durch die ergänzende Verwendung anderer Spritzmittel Schäden vermieden werden konnten. Entsprechend den Fällen eines Instruktionsfehlers bei Inverkehrbringen sind in solchen Fällen Warnung und Rückruf gleichermaßen geeignet, Integritätsinteressen zu schützen. Schließlich ist auch dann die gleiche Eignung von Warnung und Rückruf anzunehmen, wenn aufgrund der Umstände davon auszugehen ist, dass die Produkteigentümer/-nutzer die Warnungen des Herstellers mindestens in demselben Maße befolgen werden, wie sie es im Falle eines Rückrufs täten und somit die Gefahrenbeseitigung entsprechend weitreichend gewährleistet ist. Vorstellbar ist dies insbesondere dann, wenn die fehlerhaften Produkte ausschließlich Personen gehören, die gesetzlich zur Gefahrenabwehr verpflichtet sind. 244 So verhielt es sich in dem oben erwähnten Fall der Röntgengeräte 245, da Krankenhäuser als MedizinprodukteBetreiber eine gesetzliche Pflicht zur Beachtung von sicherheitsbezogenen Informationen haben 246. Gleiches galt im Pflegebetten-Fall 247 aufgrund des Sozialversicherungsrechts 248, wenn man davon ausgeht, dass Eigentümer der fehlerhaften Pflegebetten ausschließlich Pflegekassen oder ähnlich Verpflichtete waren. Vergleichbare Pflichten ergeben sich unter anderem im Bereich der Schiffssicherheit 249, der persönlichen Schutzausrüstungen bei der Arbeit 250 sowie der Betriebssicherheit 251. 252 Jedenfalls soweit es 244
Klindt, BB 2009, 792, 794 hält eine Warnung in diesen Fällen immer für ausreichend; G. Wagner, JZ 2009, 908, 910 weist (mit Blick auf den Pflegebetten-Fall) zutreffend darauf hin, dass entscheidend jedoch nicht die gesetzliche Verpflichtung ist, sondern allein die Tatsache, „dass die Pflegekassen eine hinreichende Gewähr dafür bieten, die Warnung vor den Gefahren der Pflegebetten zu beherzigen.“ 245 LG Frankfurt a.M., 01.08.2006, VersR 2007, 1575 ff. 246 Gemäß § 2 Abs. 5 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung vom 21. August 2002, BGBl. 2002 I 3396; dieselbe Vorschrift galt bereits seit dem 07.07.1998 in der damaligen Version der Medizinprodukte-Betreiberverordnung. 247 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080 ff. 248 § 40 Abs. 3 Satz 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. 1994 I 1014; SGB XI). 249 § 3 Schiffssicherheitsgesetz vom 9. September 1998, BGBl. 1998 I 2860 (SchSG). 250 § 2 Abs. 1 Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen bei der Arbeit vom 4. Dezember 1996, BGBl. 1996 I 1841 (PSA-BV). 251 § 4 Abs. 1 Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Bereitstellung von Arbeitsmitteln und deren Benutzung bei der Arbeit, über Sicherheit beim Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen und über die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes vom 27. September 2002, BGBl. 2002 I 3777 (BetrSichV). 252 Beispiele übernommen von Klindt, BB 2009, 792, 794; ähnlich auch Burckhardt, PHi 2009, 48, 49, demzufolge sich solche Pflichten aus „arbeits-, gewerberechtlichen
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die entsprechend Verpflichteten ihren gesetzlichen Pflichten nicht nachkommen, ist auch in diesen Fällen die Warnung gleichermaßen geeignet, Integritätsinteressen zu schützen wie der Rückruf durch den Hersteller. Denn in diesem Fall spielt die besondere Anreizwirkung, die den Rückruf regelmäßig zum effektiveren Mittel der Gefahrenabwehr macht, keine Rolle. (2) Milderes Mittel In den Ausnahmekonstellationen, in denen eine Warnung zur Gefahrenabwehr gleichermaßen geeignet ist wie ein Rückruf, müsste die Warnung zudem ein milderes Mittel sein als der Rückruf. Grundsätzlich wird ein gleich geeignetes Mittel dann als milder angesehen, wenn es zu geringeren Beeinträchtigungen führt. 253 Die Gerichte im Pflegebetten- 254 und im Röntgengeräte-Fall 255 gingen ersichtlich davon aus, dass die Warnung, die nach ihrer Betrachtung dem Rückruf an Wirksamkeit in nichts nachstand, den Hersteller finanziell weniger belaste und somit ein gegenüber dem Rückruf milderes, aber gleichwertiges Mittel darstelle. Dass eine Warnung gegenüber einem Rückruf als milderes Mittel anzusehen ist, entspricht auch der überwiegenden Meinung im Schrifttum. 256 Es greift allerdings zu kurz, die Warnung im Verhältnis zum Rückruf schlechthin als milderes Mittel zu betrachten. Zwar belastet die Warnung den Hersteller in der Tat regelmäßig (bedeutend) weniger als ein Rückruf. Wer diesen Aspekt jedoch zum einzigen Maßstab für diesen Prüfungspunkt erhebt, übersieht ein wesentliches Element der Festlegung des milderen Mittels. 257 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 258 oder ähnlichen Verhältnissen sowie aus dem öffentlich-rechtlichen Schutzauftrag“ ergeben können. 253 BVerfG, 14.07.1999, BVerfGE 100, 313, 375; Grzeszick in Maunz/Dürig, Art. 20, Rz. 113. 254 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080 ff. 255 LG Frankfurt a.M., 01.08.2006, VersR 2007, 1575 ff. 256 So ausdrücklich Bodewig, 244 (Warnung als geringstmöglicher Eingriff); Reusch, StoffR 2009, 205, 205; Taschner/Frietsch, Einführung, Rz. 87 (Warnung als „geringste Reaktion“). Im Übrigen wird diese Annahme selten ausdrücklich ausgesprochen; es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sie der Wertung zugrunde liegt, nach welcher für den Rückruf strengere Zumutbarkeitskriterien anzulegen sind. Siehe hierzu nur die Vertreter der Auffassung, die Rückrufpflicht sei nur ultima ratio (unten S. 60, in Fn. 266). 257 Ähnlich Rettenbeck, 72, der aus diesem Grunde innerhalb der Erforderlichkeitsprüfung eine wertende Betrachtung mit dem Ziel der „sachgerechten Zuordnung der Produktgefahr“ vornimmt. 258 BVerfG, 14.03.2006, BVerfGE 115, 205, 233; BVerfG, 18.07.2005, BVerfGE 113, 167, 259 m.w.N.
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sowie der herrschenden Literaturmeinung im öffentlichen Recht 259 sind bei der Beurteilung, ob ein Mittel milder ist, auch Belastungen für andere zu berücksichtigen. Werden durch die Wahl des anderen Mittels lediglich Kosten verschoben, so reicht dies nicht aus, um es als ein milderes Mittel zu betrachten. 260 Wenn die Wahl des Mittels Auswirkungen auf mehr als die Rechtsgüter einer Person hat, so kann die Beurteilung der Beeinträchtigung nicht auf den Effekt auf „eines der widerstreitenden Rechtsgüter“ reduziert werden. 261 Vielmehr darf das alternative Mittel nicht zu einer stärkeren Belastung für Dritte führen. 262 Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang eine sehr deutliche Sprache: „Soweit keine Lösung ersichtlich ist, die hinsichtlich Eignung und Erforderlichkeit für jedes der kollidierenden Rechtsgüter zu einem positiven Ergebnis kommt, ist auf der Stufe der Angemessenheit zu prüfen, ob dies verfassungsrechtlich hinnehmbar ist.“ 263 Wenn also ein anderes Mittel nicht für jeden Betroffenen zu einer geringeren Belastung führt, dann kann die Erforderlichkeit des gewählten Mittels nicht verneint werden, sondern die Frage muss auf der nächsten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung entschieden werden. Es bedarf dann einer Abwägung der betroffenen Rechtsgüter. 264 Diese Erwägungen aus dem öffentlichen Recht müssen erst recht für die Bestimmung deliktsrechtlicher Verhaltenspflichten gelten. Denn in diesem Zusammenhang dient der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geradezu per definitionem dazu, die Kollision von Rechtsgütern verschiedener Bürger zu entscheiden. Damit kann auch angemessen den Bedenken begegnet werden, die teilweise gegen die Übertragung der Erforderlichkeitsprüfung auf 259
Jakobs, 70 f.; Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 20, Rz. 85; Schulze-Fielitz in Dreier, Art. 20, Rz. 183 m.w.N. 260 BVerfG, 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 86; BVerfG, 18.07.2005, BVerfGE 113, 167, 259 jeweils m.w.N. 261 BVerfG, 14.03.2006, BVerfGE 115, 205, 233. 262 BVerfG, 18.07.2005, BVerfGE 113, 167, 259 m.w.N. 263 BVerfG, 14.03.2006, BVerfGE 115, 205, 233 f. 264 Ebenso und sehr klar Schlink, FS BVerfG, 445, 457: „Verschiedene Mittel belasten verschiedene Bürger verschieden. […] Wird hier zugunsten des einen von beiden entschieden, ist eine Bewertung in der Tat unumgänglich. Sie hat allerdings mit der Prüfung der Erforderlichkeit nichts mehr zu tun. Diese kann immer nur danach fragen, ob ein Mittel in dem Sinn erforderlich ist, daß nicht ein milderes Mittel an seine Stelle treten und ceteris paribus den zu erreichenden Erfolg ebenfalls erreichen kann. In Grundrechtskonflikten fragt sie, ob noch Spielraum besteht, daß der eine besser gestellt werden kann, ohne daß dadurch der andere schlechter gestellt wird. […] Gibt es dagegen nur noch andere Mittel, die zwar zugunsten des einen, aber zu Lasten des anderen gehen, ist das Potential der Erforderlichkeitsprüfung ausgereizt.“ Ähnlich bereits Hirschberg, 72 f., der das Erforderlichkeitskriterium in „Konkurrenzsituationen“ für untauglich hält; a.A. Jakobs, 71.
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privatrechtliche Zusammenhänge geäußert werden. Sie richten sich nämlich vorwiegend darauf, dass das öffentliche Recht mit seiner Ausrichtung auf Über- und Unterordnungsverhältnisse zwischen Bürger und Staat der privatrechtlichen Situation der rechtlichen Gleichrangigkeit der Akteure nicht gerecht wird. 265 Dieser Einwand ist gerade in Bezug auf die Erforderlichkeit berechtigt, wenn sie so einseitig betrachtet wird, wie die eingangs erwähnten Gerichte und Autoren dies tun. Überträgt man stattdessen jedoch die öffentlich-rechtlichen Überlegungen zum Umgang mit Situationen der Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern verschiedener Bürger, so findet sich darin eine für die hier interessierende Fragestellung bestens geeignete Prüfungsform. Die Übernahme dieser Überlegungen aus der öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung bedingt allerdings den Bruch mit dem herrschenden Dogma des Rückrufs als ultima ratio 266. Diese „heilige Kuh“ der Rückrufpflicht beruht nämlich auf der Überlegung, dass der Hersteller nur dann zum Rückruf verpflichtet sein kann, wenn dies „im Interesse der Effektivität der Gefahrenabwehr […] erforderlich“ 267 ist. Es dürfte kein Zufall sein, dass der Bundesgerichtshof in der Pflegebetten-Entscheidung diese Terminologie verwendet, die sonst eher im Zusammenhang mit der polizeirechtlichen Störerauswahl vertraut ist. Hier wird exemplarisch deutlich, dass die Rückrufpflicht häufig aus einer einseitigen Perspektive betrachtet wird, die eher dem Verhältnis von Bürger und Staat als demjenigen rechtlich Gleichrangiger auf dem Gebiet des Privatrechts entspricht. Die Idee der ultima ratio sowie die Feststellung des mildesten Mittels allein an der Belastung des Herstellers 268 setzen als Prämisse implizit voraus, dass es den Hersteller (und nur den Hersteller) gegen unnötige Belastung zu schützen gilt. Das Bundesverfassungsgericht hat in den soeben zitierten 265 M. Stürner, 288 ff., 319 ff., der aus diesem Grund der Erforderlichkeitsprüfung im Vertragsrecht grundsätzlich die Geltung versagt. Ähnlich Steffen in RGRK, § 823, Rz. 150, demzufolge der öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur bedingt auf das Deliktsrecht übertragbar ist; siehe auch Steffen, VersR 1980, 409, 410 f. 266 Soweit ersichtlich war es Löwe, DAR 1978, 288, 288, der die Rückrufpflicht als erster mit diesem Attribut versah, allerdings ohne dies näher zu begründen. Seitdem benutzten diese Wendung unter anderem Beck, 26; Dietborn/A. Müller, BB 2007, 2358, 2360; Dietrich, 154; H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1804; Kettler, PHi 2008, 52, 63; M. Krause, NVersZ 1999, 153, 154; Michalski, BB 1998, 961, 965; Pauli, PHi 1985, 132, 141; Pieper, BB 1991, 985, 988; Seeling, 45; Staudinger/Czaplinski, JA 2008, 401, 404; Taschner/Frietsch, Einführung, Rz. 88. Wesentlich differenzierter dagegen insbesondere Kreidt, 185 ff. 267 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1082, E. 16 (Pflegebetten) (Hervorhebung nicht im Original). 268 In diese Richtung wohl auch Bodewig, 262 (keine Rückrufpflicht bei sicherer Gefahrabwendung durch Warnung, wovon aber nur in Ausnahmefällen auszugehen sei).
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Entscheidungen jedoch mehr als deutlich gemacht, dass dies zwischen Bürgern nicht der richtige Ansatz ist. Dieser Argumentation kann auch nicht entgegengehalten werden, die größere Beeinträchtigung der Produkteigentümer/-nutzer durch eine Warnung sei deswegen nicht zu beachten, weil sich diese nicht auf deliktisch geschützte Rechtsgüter, sondern nur auf ihre Nutzungs- und Vermögensinteressen bezieht 269. Hierbei handelt es sich um eine Frage der Wertung und Gewichtung, welche erst in der umfassenden Interessenabwägung im Rahmen der Zumutbarkeit vorgenommen werden kann. Wendet man also die öffentlich-rechtliche Prüfung des milderen Mittels in der gerade erörterten Form an, so ergibt sich für die Frage nach dem Verhältnis zwischen Warnung und Rückruf Folgendes: Die Warnung ist nur im Falle des Instruktionsfehlers (einschließlich des Entwicklungsrisikos in der Form des „nachträglichen Instruktionsfehlers“) ein milderes Mittel als der Rückruf. Die Belastungen für die Produkteigentümer/-nutzer bleiben durch die Warnung unverändert gegenüber denjenigen im Falle eines Rückrufs. Sowohl Rückruf als auch Warnung bedeuten für den Eigentümer/Nutzer, dass er sein Verhalten entsprechend der Instruktion ändern muss. Für den Hersteller jedoch stellt der Rückruf einen wesentlich größeren Aufwand dar als die Warnung. Die Beeinträchtigungen sind also bei einem Instruktionsfehler und bei einem entsprechenden Entwicklungsrisiko sowohl für den Hersteller als auch für die Eigentümer/Nutzer geringer. Der Rückruf ist in dieser Konstellation folglich nicht erforderlich. 270 In allen anderen Fällen, das heißt bei Vorliegen eines Konstruktionsoder Fabrikationsfehlers (wiederum einschließlich des entsprechenden Entwicklungsrisikos 271) belastet die Warnung zwar den Hersteller weniger stark, dafür aber die Produkteigentümer/-nutzer stärker. Diese müssen bei 269 So ähnlich aber (wenn auch nicht im Rahmen einer Erforderlichkeitsprüfung) Droste, 236 f. 270 So auch Seeling, 53 f.; für den (anfänglichen) Instruktionsfehler im Ergebnis auch Bodewig, 261 f.; Michalski, BB 1998, 961, 965; Pannenbecker, 34; Rettenbeck, 71; Tamme, 161; ohne ausdrücklichen Verweis auf die mangelnde Erforderlichkeit wird eine Rückrufpflicht bei (anfänglichen) Instruktionsfehlern von der großen Mehrheit der Autoren ebenfalls abgelehnt, siehe etwa: Dietrich, 143; J. Hager, FS Prölss, 71, 79; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 24; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 28; Kreidt, 177 f.; Löwe, DAR 1978, 288, 291; K. Mayer, DB 1985, 319, 324; Rolland, Teil II, Rz. 47; Schulenberg, 17; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061; Taschner/Frietsch, Einführung, Rz. 90; so wohl auch G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 653. Bei einem anfänglichen Instruktionsfehler hat auch der BGH, 04.02.1986, NJW 1986, 1863, 1864 (Überrollbügel) eine Warnpflicht bejaht – allerdings ohne Abgrenzung gegenüber der Rückrufpflicht. 271 Ebenfalls dafür, diese Fälle des Entwicklungsrisikos genauso wie Konstruktionsund Fabrikationsfehler zu behandeln: J. Hager, FS Prölss, 71, 79.
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einer Warnung des Herstellers entweder auf den Gebrauch des Produkts verzichten oder diesen einschränken 272 oder das Produkt nachrüsten bzw. reparieren (lassen). Darin liegt eine Beeinträchtigung der Produkteigentümer/-nutzer, die bei einem Rückruf nicht vorliegt. 273 Im Ergebnis stellt sich die Warnung also nicht als für alle Betroffenen milderes Mittel dar; der Rückruf bleibt erforderlich. Dies gilt auch für die Fälle, in denen z.B. aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung der Eigentümer davon auszugehen ist, dass die Warnung befolgt wird. Dieser Aspekt kann jedoch bei der Festlegung des Inhalts der Rückrufpflicht zu berücksichtigen sein. 274 (3) Zusammenfassung Im Ergebnis entfällt die Erforderlichkeit des Rückrufs ausschließlich dann, wenn den betreffenden Produkte bereits bei Inverkehrbringen oder bei Erkennbarkeit des Entwicklungsrisikos ein Instruktionsfehler anhaftet. In allen übrigen Konstellationen ist eine Warnung verglichen mit einem Rückruf entweder nicht gleich geeignet oder kein milderes Mittel. (iii) Zumutbarkeit Wenn die von einem Produkt ausgehende Gefahr auf einem Konstruktionsoder Fabrikationsfehler oder auf einem entsprechenden Entwicklungsrisiko beruht, bleibt also grundsätzlich Raum für eine Rückrufpflicht des Herstellers. Weitere Voraussetzung für eine solche Pflicht ist aber, dass der Rückruf dem Hersteller auch zumutbar ist. Für diese Feststellung muss eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen werden. Dabei gilt es die Frage zu beantworten, ob die Belastung des Herstellers durch die Rückrufpflicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem Schutz steht, der durch diese Pflicht erreicht wird. Ziel dieser Abwägung ist nicht, den einzelnen Hersteller je nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit zu verpflichten, sondern vielmehr eine sachgerechte Verteilung von Produktrisiken 275. Es gilt, unter gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten das Bedürfnis nach Sicherheit der Bürger und ihrer Rechtsgüter einerseits und das nach kalku-
272 Verzicht oder Einschränkung des Gebrauchs können den Eigentümer/Nutzer unter Umständen sogar dann treffen, wenn das einzelne Produkt tatsächlich gar nicht gefährlich ist, der Eigentümer/Nutzer aber keine Möglichkeit hat, dies selbst zu überprüfen. Zu dieser Problematik im Rahmen der Rückrufpflicht siehe unten S. 103 f. 273 Droste, 236 f.; ähnlich Bodewig, 212 f. 274 Zu diesem Aspekt siehe unten S. 102. 275 Ähnlich Seeling, 77 („sachgerechte Verteilung denkbarer Lasten, die mit Rückrufaktionen verbunden sind, zwischen Hersteller und Endabnehmer“); so auch Rettenbeck, 72, der eine solche wertende Betrachtung jedoch im Rahmen der Erforderlichkeit vornimmt.
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lierbaren Risiken und der Vermeidung erdrosselnder Haftung für Unternehmen sowie den Wunsch nach Innovation andererseits auszubalancieren. Im Rahmen dieser Abwägung kann eine große Anzahl von Faktoren eine Rolle spielen. Genannt worden sind in diesem Zusammenhang beispielsweise das bedrohte Rechtsgut und die Schwere der zu erwartenden Rechtsgutsverletzung, die Kosten der Gefahrenbeseitigung für den Hersteller und für die Betroffenen, der Zeitpunkt der Entdeckung des Fehlers im Lebenszyklus des Produkts, die Höhe der zu befürchtenden Schäden, die Auswirkung der Gefahrenabwehrmaßnahmen auf das Image, den goodwill und die Wettbewerbsstellung des Herstellers, den sozialen Nutzen des Produkts, die Schutzbedürftigkeit der Betroffenen, das Verschulden des Herstellers beim Inverkehrbringen des Produkts, die Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung und die Zahl der potentiell Betroffenen. 276 Jedes einzelne der in Frage kommenden Kriterien hier auszuwerten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 277 Ein solches Unterfangen scheint auch wenig zielführend, da anhand dessen ohnehin keine verbindlichen Aussagen für den Einzelfall gemacht werden können. Außerdem droht durch die schiere Menge an potentiellen Kriterien der Fokus auf die wesentlichen Punkte verloren zu gehen. Aus diesem Grund sollen im Folgenden zunächst allgemein akzeptierte Abwägungsgrundsätze aufgezeigt und anschließend einige entscheidende Diskussionspunkte untersucht werden. Dies geschieht nicht mit dem Ziel, die auf diesem Gebiet bereits sehr umfangreiche Auseinandersetzung bis ins letzte Detail nachzuzeichnen, sondern vielmehr als besonders kritisch erachtete Punkte herauszugreifen. (1) Akzeptierte Grundsätze der Abwägung Für die Interessenabwägung lassen sich gewisse Tendenzen erkennen, die als weitgehend akzeptiert bezeichnet werden können. Hierzu gehört wohl an erster Stelle die größere Bereitschaft, die Rückrufpflicht als zumutbar zu betrachten, wenn Leben und Gesundheit von Personen gefährdet sind, während die ausschließliche Gefährdung von Sachen an der Zumutbarkeit eher zweifeln lässt. 278 Des Weiteren wird die Rückrufpflicht eher für zumutbar gehalten, je größer die Schadenswahrscheinlichkeit und die Höhe der zu befürchtenden Schäden sind. 279 Einen ebensolchen Einfluss hat die
276 Zu diesen und anderen Kriterien siehe Bodewig, 216 ff.; Rettenbeck, 72 ff., 93 ff.; Tamme, 183 ff.; ähnlich Beck, 24. 277 Für eine Einordnung zahlreicher Kriterien siehe insbesondere Bodewig, 216 ff. 278 Bodewig, 217; Dietrich, 126 f.; Rettenbeck, 94 ff.; Schulenberg, 44; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 517; Steffen in RGRK, § 823, Rz. 282. 279 Bodewig, 217 f., 219; Dietrich, 127 f., 129 f.; M. Mayer, 294 (zur strafrechtlichen Sorgfaltspflicht bei Arzneimitteln); Schulenberg, 42 ff.
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Schutzbedürftigkeit der betroffenen Personengruppen, darunter insbesondere Kinder. 280 (2) Umstrittene Punkte (a) Fehlerkategorie maßgeblich? Uneinigkeit herrscht innerhalb der deutschen Diskussion über die Frage, ob die Fehlerkategorien ein maßgebliches Kriterium für das Bestehen einer Rückrufpflicht bilden können. Konkret geht es dabei um zwei Fragen. Zum einen wird über die Bedeutung des Vorliegens eines Konstruktions- oder Fabrikationsfehlers für die Zumutbarkeit einer Rückrufpflicht diskutiert; zum anderen ist umstritten, ob das Vorliegen eines Entwicklungsrisikos die Zumutbarkeit einer Rückrufpflicht ausschließt und somit eine Warnung genügen lässt. Offen erscheint die Handhabung sogenannter Ausreißer. Die einzige Fehlerkategorie, bezüglich derer Einstimmigkeit zu herrschen scheint, sind die Instruktionsfehler, bei denen eine Rückrufpflicht einhellig verneint wird. 281 (α) Konstruktions- und Fabrikationsfehler Einige Autoren sind der Ansicht, der Hersteller sei immer zum Rückruf verpflichtet, wenn das Produkt im Zeitpunkt des Inverkehrbringens einen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler aufwies. 282 Kreidt macht dabei jedoch für die Haftung bei Schadenseintritt nach einer Warnung eine maßgebliche Einschränkung: Dem Hersteller stehe die Möglichkeit des nachträglichen Gegenbeweises offen, dass die Warnung im konkreten Fall zur Gefahrenabwehr ebenso wirksam war wie ein Rückruf es gewesen wäre. 283 Andere Stimmen erachten eine Rückrufpflicht bei (anfänglichen) Konstruktions- und Fabrikationsfehlern zwar grundsätzlich als zumutbar, beschränken sie aber auf Fälle drohender Personenschäden. 284 Begründet werden diese Ansichten damit, dass der Hersteller vor dem Inverkehrbrin280
Beck, 24; Bodewig, 228; Schulenberg, 47; Tamme, 90 f. Siehe dazu bereits oben S. 61 mit Fn. 270. 282 Beck, 22, 26 (Reaktionspflichten als „Spiegelbild der Pflichten vor Inverkehrbringen”); G. Hager, AcP 184 (1984), 413, 424; J. Hager, FS Prölss, 71, 79; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 28; Kreidt, 186 f.; Rettenbeck, 79 f.; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 653 (an anderer Stelle beschränkt G. Wagner Sorgfaltsmaßnahmen zwar grundsätzlich auf die Höhe des sogenannten Schadenserwartungswerts (ibid., Rz. 259), im Hinblick auf die Rückrufpflicht wird jedoch in keiner Weise ersichtlich, dass diese Einschränkung seiner Ansicht nach hierfür ebenfalls eine Rolle spielen sollte). 283 Kreidt, 186. 284 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061 f.; mit Einschränkungen auch Bodewig, 259 f., 277 (ausnahmsweise soll es dem Produktnutzer zumutbar sein, im Anschluss an eine Warnung der Gefahr auszuweichen (ibid., 280)). 281
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gen zur sicheren Herstellung des Produkts verpflichtet ist. 285 Der grundsätzliche Vorrang der Gefahrvermeidung gegenüber der Warnung müsse auch nach dem Inverkehrbringen weiterhin gelten, da sich der Hersteller sonst letzten Endes seiner Haftung für einen Sorgfaltsverstoß durch eine bloße Warnung nach Inverkehrbringen effektiv zumindest teilweise entziehen könne. 286 Die Gegenansicht hält dagegen das Vorliegen eines Konstruktions- oder Fabrikationsfehlers nicht für ausreichend, um von einer Rückrufpflicht des Herstellers auszugehen. 287 Das Oberlandesgericht Hamm hielt der Ansicht G. Wagners entgegen, sie „setzt unzulässig den Konstruktionsfehler an die Stelle der Rechtsgutverletzung und berücksichtigt nicht ausreichend, dass Anknüpfungspunkt die Gefährdung eines Rechtsguts ist. Wagner ersetzt letztlich das Erfordernis einer Rechtsgutverletzung durch eine Pflicht zur gefahrlosen Konstruktion und Fabrikation.“ 288 Der Bundesgerichtshof wehrte dasselbe Argument bedauerlicherweise nur mit dem zwar zumindest teilweise korrekten, in diesem Punkt aber nicht einschlägigen 289 Hinweis ab, dass die Rückrufpflicht nicht dazu dient, das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Produktnutzers bzw. -erwerbers zu schützen und der Hersteller deswegen nicht verpflichtet sei, diesem „ein fehlerfreies, in jeder Hinsicht gebrauchstaugliches Produkt zur Verfügung zu stellen“. 290 Bei der Beurteilung der Relevanz der Fehlerkategorie muss berücksichtigt werden, dass diese einen Teil der Zumutbarkeitsprüfung hinsichtlich der Rückrufpflicht darstellt. Mit der Natur dieser Prüfung als umfassender Abwägung ist es schwer zu vereinbaren, das Vorliegen eines (anfänglichen) Konstruktions- oder Fabrikationsfehlers derart absolut zu setzen, dass es alle anderen Kriterien übertrumpft. Der Sorgfaltsverstoß, der grundsätzliche Vorrang der Gefahrenvermeidung respektive -beseitigung gegenüber der Warnung sowie die Steuerungswirkung stellen zweifelsohne 285
Außer natürlich in den Fällen, die als reine Instruktionsfehler gewertet werden, weil eine sicherere Produktion entweder nicht möglich oder dem Hersteller nicht zumutbar ist. 286 Bodewig, 259 ff.; Rettenbeck, 82 f.; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 653; im Einzelnen dazu Kreidt, 174 ff. 287 So insbesondere die Rechtsprechung: BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 11 ff. (Pflegebetten); OLG Hamm, 16.05.2007, BB 2007, 2367, E. II.2 (Pflegebetten); LG Frankfurt a.M., 01.08.2006, VersR 2007, 1575, 1575 f. (Röntgengeräte); aber auch weite Teile der Literatur, namentlich alle, die über den Fehlertyp hinaus eine Abwägung vornehmen, z.B.: Burckhardt, BB 2009, 630, 630 f.; Dietrich, 154 ff.; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 340 ff.; Kettler, PHi 2008, 52, 63; Schulenberg, 40 ff.; Seeling, 36 ff.; Tamme, 75 ff.; Taschner/Frietsch, Einführung, Rz. 89 f. 288 OLG Hamm, 16.05.2007, BB 2007, 2367, E. II.2 (Pflegebetten). 289 Siehe dazu bereits oben S. 48, Fn. 212. 290 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1082, E. 19 (Pflegebetten).
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gewichtige Argumente in der Abwägung dar. 291 Es sind jedoch durchaus Fälle vorstellbar, in denen der Aufwand für einen Rückruf zu der dadurch gewonnenen Sicherheit in keinerlei vernünftigem Verhältnis steht, da die durch das Produkt drohenden Schäden geradezu vernachlässigbar sind. Hierbei kann es sich sogar um die Gefahr sehr geringfügiger Körperverletzungen handeln. Man denke beispielsweise an Aktenordner, die unsorgfältig verarbeitet sind, so dass die Nutzer Gefahr laufen, sich an einer scharfen Kante den Finger aufzuritzen. In diesem Fall stünden die Kosten für eine Rückrufaktion nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem Sicherheitsgewinn, der darin bestehen würde, dass sich die Nutzer die Finger nicht mehr einzuritzen drohen. Aufgrund der geringen Gefahr dürfte sogar daran zu zweifeln sein, dass ein signifikanter Teil der Produktnutzer einen Rückruf überhaupt befolgen würde. Das Beispiel zeigt, dass es trotz der starken Indizwirkung, die das Vorliegen eines Konstruktions- oder Fabrikationsfehlers für die Zumutbarkeit eines Rückrufs hat, dennoch notwendig ist, diesen Punkt zu den anderen involvierten Interessen – insbesondere dem Sicherheitsgewinn – in Beziehung zu setzen. Sieht man Personengefahren ohnehin als Voraussetzung für eine Rückrufpflicht an, dann dürfte das Bestehen einer solchen Gefahr in Kombination mit einem Konstruktions- oder Fabrikationsfehler in der Regel zur Zumutbarkeit des Rückrufs führen. Aber selbst hierzu kann es Ausnahmen geben, so dass auch dies keine absolute Regel sein sollte. Die von Kreidt 292 in Betracht gezogene Möglichkeit des Nachweises, dass die Warnung im Einzelfall ebenso wirksam war wie ein Rückruf es gewesen wäre, ist gerade in der Situation des Regresses des Produkteigentümers oder -nutzers gegen den Hersteller wegen Selbstvornahme der Gefahrenbeseitigung problematisch. In einem solchen Fall, in dem die Warnung bei dem betreffenden Produkteigentümer bzw. -nutzer per definitionem erfolgreich war, dürfte dem Hersteller ein solcher Nachweis häufig nicht schwer fallen, wie der Pflegebetten-Fall belegt (Stichwort: hindsight bias). Wie oben 293 bereits erörtert, gilt dies insbesondere, wenn nicht sorg-
291 So ausdrücklich LG Bielefeld, 08.11.2005, 18 O 23/05, E. 32 (Pflegebetten); in diese Richtung auch der Bundesgerichtshof, wenn er konstatiert, dem Hersteller obliege eine Reaktionspflicht „erst recht“ im Falle eines Konstruktionsfehlers, BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 10 (Pflegebetten), wobei die konkrete Aussage allerdings auf die Warnpflicht bezogen ist; ähnlich wie hier Seeling, 77, demzufolge die „Zurechenbarkeit der Sicherheitsgefahr zum Verantwortungsbereich des Herstellers“ besonders zu berücksichtigen ist. 292 Auch Bodewig, 273, billigt dem Hersteller diese Möglichkeit zu, jedoch nur für Fälle des Entwicklungsrisikos, nicht für Konstruktions- oder Fabrikationsfehler. 293 Siehe S. 54 f.
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fältig darauf geachtet wird, dass die Gesamtheit der Produktnutzer den Maßstab für die Wirksamkeit der Gefahrenabwehrmaßnahme darstellt. 294 (β) Entwicklungsrisiken Wenn die Gefährlichkeit des Produkts im Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkennbar war und also ein sogenanntes Entwicklungsrisiko vorliegt, so gehen die Meinungen auseinander, ob nach Bekanntwerden eines entsprechenden Verdachts ein Rückruf dem Hersteller zumutbar ist. Die wohl herrschende Meinung schließt eine Rückrufpflicht auch bei Entwicklungsrisiken nicht aus. 295 Auch der Bundesgerichtshof hat sich in einem dictum kürzlich dahingehend geäußert, dass „Inhalt und Umfang der Reaktionspflichten des Herstellers nicht davon abhängen, ob sich ein Entwicklungsfehler verwirklicht hat oder nicht.“ 296 Dagegen wird teilweise vertreten, bei Realisierung eines Entwicklungsrisikos bestehe keine Rückrufpflicht, da der Hersteller in Ermangelung eines Fehlers beim Inverkehrbringen des Produkts für einen tatsächlich eingetretenen Schaden nicht verantwortlich sei. 297 Entsprechend könne von ihm auch nicht die Gefahrenbeseitigung verlangt werden; es käme allenfalls eine Warnpflicht in Betracht. Diese Ansicht lässt jedoch die Bedeutung der Produktbeobachtungspflicht sowie die daraus folgende mögliche Haftung des Herstellers außer Betracht. 298 Der Hersteller haftet nur dann nicht für eingetretene Schäden, wenn sich ein Entwicklungsrisiko zu einem Zeitpunkt realisiert, in dem es noch nicht erkannt werden konnte. Das Recht der Produzentenhaftung 294 Weder Kreidt noch Bodewig stellen ausdrücklich klar, ob ihrer Ansicht nach für den Gegenbeweis des Herstellers lediglich auf den jeweils Betroffenen oder aber auf die Gesamtheit der gefährdeten Produktnutzer abzustellen ist. 295 Beck, 28 f. (mit Ausnahme von Entwicklungslücken); Bodewig, DAR 1996, 341, 343; Dietborn/A. Müller, BB 2007, 2358, 2361; Frick/Kluth, PHi 2006, 206, 214 (allerdings differenzierend im Hinblick auf die Kostentragung); J. Hager, VersR 1984, 799, 801; H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1804 f.; Kreidt, 160 ff.; Löwe, DAR 1978, 288, 288; Pannenbecker, 115 ff.; Pieper, BB 1991, 985, 988; Rettenbeck, 72 ff. (bei Gefährdung der Allgemeinheit; anders aber, wenn nur Produktbenutzer gefährdet sind, ibid., 79 f.); Sack, BB 1985, 813, 817; Schiemann in Erman, § 823, Rz. 119; Schulenberg, 19; Seeling, 63; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 518; Staudinger/Czaplinski, JA 2008, 401, 404 (mit Verweis auf die Möglichkeit der Berücksichtigung der Interessen des Herstellers auf der Ebene der Kostentragung); Tamme, 165 ff.; Taschner/Frietsch, Einführung, Rz. 90. 296 BGH, 16.06.2009, NJW 2009, 2952, 2956, E. 34 (Airbags), unter Verweis auf BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 10 f. (Pflegebetten). 297 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 341; G. Hager, AcP 184 (1984), 413, 424; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 28 (aber Entsorgungspflicht möglich); K. Mayer, DB 1985, 319, 324; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061; Ulmer, ZHR 152 (1988), 564, 572; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 654; so auch noch Schwenzer/M. Schmidt, FS Wessner, 243, 259. 298 So auch Pannenbecker, 116.
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sanktioniert aber sehr wohl mangelnde Bemühungen des Herstellers zur Entdeckung eines Entwicklungsrisikos sowie – nach einer Entdeckung – zur Gefahrenabwehr. Genau hier haben die Reaktionspflichten einen haftungsbegründenden Charakter und damit sogar ihren Hauptanwendungsfall. 299 Die Pflichtverletzung des Herstellers liegt dann nicht bereits im Inverkehrbringen des Produktes, sondern erst im Unterlassen der angemessenen Reaktion nach der Erkennung oder sorgfaltswidrigen Nichterkennung der Produktgefahr. Wie weit die Reaktionspflicht in diesem Fall reicht, ob der Hersteller also zu einem Rückruf oder lediglich zu einer Warnung verpflichtet ist, gilt es anhand der Verhältnismäßigkeitsprüfung erst zu bestimmen. Richtig ist, dass eine Rückrufpflicht als Reaktion auf erkannte Entwicklungsrisiken in der Tat nicht mit einer Steuerungswirkung vor Inverkehrbringen des Produkts begründet werden kann. 300 Schließlich liegt ein Entwicklungsrisiko nur dann vor, wenn die Gefährlichkeit des Produkts im Zeitpunkt des Inverkehrbringens mit aller erforderlichen Sorgfalt nicht zu erkennen war. Es ist also für diesen Fall weder nötig noch möglich, den Hersteller durch die Statuierung einer Rückrufpflicht zur Herstellung sichererer Produkte anzuhalten. Relevanz erlangt jede Form der Reaktionspflicht deswegen bei Entwicklungsrisiken erst nach Inverkehrbringen. Hier sind diese Pflichten für das Ziel der Prävention jedoch von großer Bedeutung, um nach Entdeckung der Gefahr möglichst für deren Abwendung zu sorgen. Deswegen ist es auch aus Steuerungsgesichtspunkten abzulehnen, bei Entwicklungsrisiken per se auf eine Rückrufpflicht zu verzichten. In Übereinstimmung mit der mehrheitlich vertretenen Ansicht gilt es also auch im Falle von Entwicklungsrisiken eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Für Entwicklungsrisiken, die bei Erkennbarkeit im Zeitpunkt des Inverkehrbringens einen reinen Instruktionsfehler dargestellt hätten, ist oben 301 bereits die Erforderlichkeit eines Rückrufes abgelehnt worden. Für die übrigen Fälle muss die Erforderlichkeit jedoch bejaht werden und die Zumutbarkeit ist anhand der üblichen Kriterien zu prüfen. Bei der Abwägung gilt es dann freilich zu beachten, dass eine Pflichtwidrigkeit bei Inverkehrbringen, die bei Konstruktions- und Fabrikationsfeh299 So ähnlich Pieper, BB 1991, 985, 988 („Denn dadurch [bei Ausschluss einer Rückrufpflicht im Falle von Entwicklungsrisiken] würde gerade in Fällen, bei denen die Hauptbedeutung der Produktbeobachtungspflicht liegt, deren Bedeutung erheblich geschmälert, was auch einer angemessenen Risikoverteilung entgegenstünde.“); ähnlich auch Beck, 28 („Hauptanwendungsbereich der Gefahrabwendungspflichten“); Schulenberg, 21, mit dem Verweis darauf, dass der Hersteller in Fällen des pflichtwidrigen Inverkehrbringens bereits von sich aus schon ein Interesse am Rückruf hat. 300 G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 654. 301 S. 61.
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lern so schwer in die Waagschale fällt, hier nicht vorliegt. 302 Insofern wird die Zumutbarkeit der Rückrufpflicht bei Entwicklungsrisiken wesentlich eher zu verneinen sein als bei (anfänglichen) Konstruktions- oder Fabrikationsfehlern. (γ) Ausreißer Der Sonderfall der sogenannten Ausreißer wird im Zusammenhang mit der Rückrufpflicht in der Literatur nur selten erwähnt 303, in der Rechtsprechung hat er bisher, soweit ersichtlich, in dieser Hinsicht überhaupt keine Rolle gespielt. Die Produktbeobachtungspflicht ist für Fälle von Ausreißern allgemein anerkannt. 304 Im Hinblick auf die Rückrufpflicht ist festzustellen, dass jedenfalls einer der Autoren, die diese Pflicht entgegen der hier vertretenen Ansicht für Entwicklungsrisiken per se ablehnen, dasselbe auch für Ausreißer tut. 305 Schließlich sind Ausreißer den Entwicklungsrisiken insofern gleichgelagert, als auch diese gefährlichen Produkte ohne Sorgfaltsverstoß des Herstellers in Verkehr gebracht wurden. 306 Der Grund für die geringe Beachtung der Ausreißer im Rahmen der Rückrufpflicht hängt weniger mit der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Rückrufpflicht zusammen, sondern liegt vielmehr auf einer früheren Stufe: Ausschlaggebend ist die Reaktionsschwelle für die Gefahrenabwehrpflichten. 307 Sie wird bei Produktfehlern in Form von Ausreißern häu302
Ebenso Bodewig, 265; Bodewig, DAR 1996, 341, 343; Schulenberg, 20. So werden Ausreißer beispielsweise in Bodewigs ansonsten sehr umfassender Studie überraschenderweise ausschließlich im Rahmen des wettbewerbsrechtlichen Rückrufanspruchs erwähnt (Bodewig, 385 f.), finden jedoch in die Abwägung zur Rückrufverkehrspflicht keinerlei Eingang. Explizit erörtert wird die Rückrufpflicht bei Ausreißern jedoch von Beck, 22 (ablehnend); Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 341 (ablehnend); Pannenbecker, 119 f. (befürwortend; allerdings stellt er dafür zu undifferenziert auf die Erkennbarkeit der Gefahr ab, mit der den Hersteller auch eine Gefahrenabwehrpflicht treffe; unklar bleibt, warum bei Ausreißern bei Inverkehrbringen per se von Unerkennbarkeit auszugehen sein und warum sich dies nach Inverkehrbringen ändern soll); Seeling, 64 (befürwortend). 304 Pieper, BB 1991, 985, 987; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 497; Sprau in Palandt, § 823, Rz. 172; Steffen in RGRK, § 823, Rz. 282. 305 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 341. 306 Entsprechend dürfte auch nach der Argumentation von Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061 eine Rückrufpflicht von Ausreißern abzulehnen sein, da sie die Rückrufpflicht im Falle von Entwicklungsrisiken verneint, „weil die Rechtsgutsgefährdung auf ein jedenfalls im Ergebnis nicht rechtswidriges Verhalten des Herstellers zurückzuführen ist.“ Beck, 22 stellt explizit auf das Fehlen eines Sorgfaltsverstoßes ab, um die Rückrufpflicht bei Ausreißern abzulehnen, ist in seiner Argumentation jedoch insofern nicht konsequent, als er bei Entwicklungsrisiken (mit Ausnahme von Entwicklungslücken) eine Rückrufpflicht annimmt (ibid., 28 f.). 307 Siehe zur Reaktionsschwelle oben S. 36 ff. 303
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fig bereits nicht überschritten. Dies ist auf die typischen Charakteristika der Ausreißer-Fälle zurückzuführen: Ein Ausreißer wird nur dann angenommen, wenn der Hersteller trotz aller zumutbaren Vorkehrungen den Fehler nicht vermeiden konnte. 308 Dabei geht es nicht um die Fälle, in denen es an der technischen Möglichkeit der Fehlervermeidung mangelt, sondern um solche, in denen der damit verbundene Aufwand als unvertretbar hoch angesehen wird. 309 Die „klassischen“ Ausreißer sind daher höchst vereinzelte fehlerhafte Produkte, die auf ein menschliches oder maschinelles Versagen zurückgehen und bei Kontrollen nicht entdeckt worden sind. Sie sind das Resultat der Massenproduktion, bei der 100-prozentige Sicherheit häufig nicht mit angemessenem Aufwand gewährleistet werden kann. Paradebeispiele aus der Rechtsprechung sind Mineralwasser-, Limonaden- oder neuerdings auch Sektflaschen aus Glas, die aufgrund von nicht erkennbaren Haarrissen zerbersten können. 310 In solchen Fällen könnte eine Gefahrenabwehraktion des Herstellers – sei es in Form einer Warnung, sei es in Form eines Rückrufs – Schäden überhaupt nur selten vermeiden helfen. Schließlich treten die Fehler nur sehr vereinzelt auf und es ist vor der Realisierung der Gefährdung nicht erkennbar, welche Produkte von ihnen betroffen sind. Eine Gefahrabwendungsmaßnahme müsste in diesen Konstellationen sämtliche ausgelieferten Produkte, also beispielsweise alle von dem Hersteller auf den Markt gebrachten Glasflaschen mit kohlensäurehaltigen Getränken, erfassen. Auf die Unsinnigkeit eines solchen Vorgehens braucht nicht näher eingegangen zu werden. Auch ist anzunehmen, dass eine solche Maßnahme regelmäßig außer Verhältnis zu dem Sicherheitsgewinn stünde. Letzterer wäre allein schon deswegen denkbar klein, weil kaum jemand einem solchen Aufruf Folge leisten würde, da die Wahrscheinlichkeit, dass eine Flasche tatsächlich explodiert, verschwindend gering ist. Allerdings sind auch Ausreißer-Fälle denkbar, in denen innerhalb einer eingrenzbaren Menge von Produkten die Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts deutlich höher ist, so dass die Reaktionsschwelle überschritten werden und eine Rückrufpflicht in Frage kommen kann. Derlei Situationen können beispielsweise dann auftreten, wenn unerkannt – und im Rahmen der vom Endhersteller zu verlangenden Kontrollen unerkennbar 311 – verunreinigte oder fehlerhafte Grundstoffe verarbeitet wurden. Verhältnismäßig häufig sind diese Fälle im Lebensmittelbereich. So wurden auf dem deut308
Sprau in Palandt, § 823, Rz. 170. Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 179; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 634. 310 Siehe nur BGH, 09.05.1995, NJW 1995, 2162 ff. (Haftung nach Produkthaftpflichtgesetz bejaht). 311 Zu den Kontrollpflichten des Endherstellers in diesem Zusammenhang sowie zur Wertung solcher Fälle als Ausreißer siehe unten S. 149 ff. 309
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schen Markt jüngst gehackte Haselnüsse zurückgerufen, in denen Metallfäden enthalten waren, welche laut Herstellerangaben aus einer fehlerhaften Rohstofflieferung stammten. 312 Auch kommt es in regelmäßigen Abständen vor, dass in Lebensmitteln Glassplitter gefunden werden, wie kürzlich bei in der Schweiz verkauften gefüllten Peperoni. 313 Vorstellbar sind vergleichbare Ausreißer-Fälle freilich auch in anderen Branchen. Ein Beispiel dafür stellen die Kohlebürsten dar, die aufgrund einer mangelhaften Lieferung des Zulieferers aus qualitativ minderwertigen Kohleplatten gefertigt worden waren und aufgrund ihres abnorm hohen Verschleißes zu einem Schaden an der Maschine führten, in die der Endabnehmer sie eingebaut hatte. 314 In solchen Fällen kann der Hersteller durch die erforderliche Produktbeobachtung nach dem Inverkehrbringen auf den Fehler aufmerksam werden und bei entsprechend ernstem Gefahrenverdacht zur Reaktion verpflichtet sein. Häufig wird es ihm möglich sein, die Ursache für den Fehler zu eruieren und so die potentiell betroffenen Produkte über Produktions- respektive Haltbarkeitsdaten, Lot-Nummern etc. zu identifizieren. Bei solcherlei unerwarteten und ursächlich eingrenzbaren Ausreißern wird man genauso wenig wie bei Vorliegen eines Entwicklungsrisikos 315 eine Rückrufpflicht von vornherein ablehnen können. 316 Zwar kann auch hier dem Hersteller nicht der Vorwurf eines Sorgfaltsverstoßes bei Inverkehrbringen gemacht werden. Im Gegensatz zu den Entwicklungsrisiken waren die Ausreißer jedoch zumindest faktisch erkennbar. In der Zumutbarkeitsabwägung ist auch dieser Aspekt zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass ein Rückruf bei ansonsten gleichem Sachverhalt bei einem Ausreißer eher zumutbar wäre als bei einem Entwicklungsrisiko, auf der anderen Seite aber weniger leicht als bei einem (sorgfaltswidrigen) Konstruktionsoder Fabrikationsfehler. Voraussetzung bleibt freilich immer, dass die Re312
Stiftung Warentest, 06.02.2012. Bundesamt für Gesundheit, 30.01.2012. 314 OLG Köln, 15.03.1989, NJW-RR 1990, 414 ff. 315 Siehe dazu oben S. 67 ff. 316 So hat auch das OLG Düsseldorf, 22.04.2009, ZfSch 2010, 433, 434 f. (Magnetschalter) eine Rückrufpflicht des Endherstellers zumindest in Betracht gezogen, obwohl es den Fehler des Zulieferteils für den Endhersteller als Ausreißer ansah; im Ergebnis lehnte es eine solche Pflicht jedoch ab, da es nicht erwiesen war, dass der Endhersteller vor dem konkret in Rede stehenden Schadenseintritt Anlass zur Durchführung einer Rückrufaktion hatte. Ähnlich differenziert wie hier Jäckle, 175 f.: wenn man die Haftungsbefreiung für Ausreißer als solche überhaupt anerkennt, „so macht es wenig Sinn, dem Hersteller nachträgliche Pflichten aufzuerlegen, wenn sich die Fehlerquote realisiert hat, mit der er gerechnet hat und rechnen durfte. Anders ist lediglich der Fall zu beurteilen, in dem der Hersteller nicht mit Fehlern oder der tatsächlich eingetretenen Fehlerhäufigkeit rechnen mußte.“ 313
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aktionsschwelle überschritten und der Hersteller damit überhaupt zu einer Gefahrenabwehrmaßnahme verpflichtet ist. (b) Rückrufpflicht bei reiner Sachgefährdung? Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob eine Rückrufpflicht auch bei einer reinen Sachgefährdung zumutbar sein kann, also dann, wenn die Gefährdung von Personen ausgeschlossen ist. 317 Diese Frage wird im Folgenden zunächst bezogen auf Fälle der Gefährdung anderer Sachen erörtert, bevor anschließend auf die Sonderkonstellation eingegangen wird, in der das Produkt ausschließlich sich selbst zu beschädigen oder zerstören droht. (α) Produkt gefährdet andere Sachgüter Relativ selten tritt der Fall auf, dass ein Produkt andere Sachgüter gefährdet, ohne gleichzeitig eine Gefahr für Personen darzustellen. Einerseits kann es sich dabei um Produkte handeln, die ausschließlich von Unternehmen genutzt werden, beispielsweise wenn die mit dem fehlerhaften Fungizid behandelten Apfelbäume von einem Pilz befallen werden 318, wenn Holz, welches mit einer fehlerhaften Säge geschnitten wird, dabei zu Schaden kommt, oder wenn Milch von der fehlerhaften Milchkühlanlage zu Butter gerührt wird 319. Andererseits sind derartige Produkte jedoch auch in den Händen von Verbrauchern denkbar, beispielsweise beim Hobbygärtner, und ähnliche Situationen können auch bei Produkten auftreten, die für Verbraucher bestimmt sind. Beispiele hierfür sind der Giftstoffe enthaltende Dünger, der zum Tod von Hunden 320 führte, die ihn gefressen hatten, 321 Holzputzmittel, welche empfindliche Antikmöbel angreifen, eine Gefriertruhe, die unter einem Wackelkontakt leidet und zum Verderben der 317 Gegen eine Rückrufpflicht bei reiner Sachgefährdung: Bodewig, 274 ff.; Kettler, PHi 2008, 52, 57; Michalski, BB 1998, 961, 965; Pannenbecker, 127 f. (mit Einschränkung, falls Eigentum Dritter gefährdet ist); Schulenberg, 44; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062; a.A.: OLG Düsseldorf, 31.05.1996, NJW-RR 1997, 1344, 1346 (Kunststoffkugelpfanne); Dietrich, 162 ff.; K. Mayer, DB 1985, 319, 322; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 25; Koch, AcP 203 (2003), 603, 607 (allerdings zum Rückrufanspruch, wobei unklar bleibt, warum die Verkehrspflicht weniger weit reichen sollte als der Anspruch); Rettenbeck, 95 f. (mit Einschränkungen); Staudinger/Czaplinski, JA 2008, 401, 404; Vieweg/Schrenk, JURA 1997, 561, 563. 318 BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603 ff. (Derosal); BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1606 ff. (Benomyl). 319 OLG Karlsruhe, 30.05.1985, VersR 1986, 1125 ff. (Kondensatoren/Milchkühlanlagen). 320 Freilich sind Tiere keine Sachen, diesen für die hier relevanten Fragen rechtlich jedoch gleichgestellt, vgl. § 90a BGB. 321 So der Sachverhalt in OLG Düsseldorf, 16.03.2007, NJW-RR 2008, 411 ff.
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tiefgekühlten Lebensmittel führt, oder das schlecht verarbeitete Hamsterrad, in dem das Tier Quetschungen erleidet. Für die Ablehnung einer Rückrufpflicht bei ausschließlicher Gefährdung anderer Sachen wird in erster Linie die Wertehierarchie unter den deliktisch geschützten Rechtsgütern ins Feld geführt. 322 Diese ergebe sich schon aus der Reihenfolge, in der die Rechtsgüter in § 823 Abs. 1 BGB aufgelistet sind. 323 Zudem wird auf den eingeschränkten Sachgüterschutz im Rahmen des Produkthaftungsgesetzes 324 bzw. die historische Entwicklung des Rechts der Produkthaftung 325 verwiesen. Diesen durchaus zutreffenden Punkten lässt sich noch die Stoßrichtung des öffentlich-rechtlichen Produktsicherheitsrechts anfügen, welches ebenfalls in erster Linie dem Schutz von Sicherheit und Gesundheit von Personen dient 326 und damit den besonderen Wert dieser Rechtsgüter unterstreicht. In diesem Zusammenhang erlangt auch Bedeutung, dass dem präventiven Schutz bei ausschließlicher Gefährdung von Sachgütern ein geringerer Stellenwert zukommt als bei Gefährdung von Personen. 327 Dieses Argument beruht auf der Tatsache, dass eine Eigentumsverletzung durch Schadensersatz regelmäßig besser kompensiert werden kann als eine Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit. 328 Das zudem vorgebrachte Argument, dass bei reiner Sachgefährdung in der Regel auch nicht die Rechtsgüter Dritter, sondern nur diejenigen der Produktnutzer selbst betroffen sind 329, vermischt die Punkte des bedrohten Rechtsguts und der Selbstschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen. Zudem trifft es gerade im wichtigen Dienstleistungssektor häufig nicht zu. Man denke nur daran, dass der Gärtner mit dem Fungizid die Apfelbäume 322
Bodewig, 275; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062; dagegen aber Beck, 21. Bodewig, 275; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062; insoweit zustimmend Dietrich, 164, jedoch ohne daraus auf eine generelle Ablehnung der Rückrufpflicht bei ausschließlicher Sachgefährdung schließen zu wollen. 324 Bodewig, 275. 325 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062 326 Vgl. nur § 3 PrSG-D, wonach Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet werden dürfen; der Schutz anderer Rechtsgüter kann zwar auch eine Rolle spielen, jedoch nur, wenn er per Rechtsverordnung ausdrücklich als relevant eingestuft wird, siehe zum Vorläufer des Produktsicherheitsgesetzes Klindt, § 4 GPSG, Rz. 10. Auch die behördliche Pflicht zur Anordnung eines Rückrufs nach § 26 Abs. 4 PrSG-D setzt voraus, dass Produkte „ein ernstes Risiko insbesondere für die Sicherheit und Gesundheit von Personen darstellen“ (Hervorhebung nicht im Original). 327 Dieses Argument wird bei Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062 nicht ausdrücklich genannt, ist aber wohl ein Teilaspekt des abgestuften Rechtsgüterschutzes. 328 Bodewig, 275; zum inadäquaten Ausgleich von Personenschäden siehe M. Schmidt in Kreutz et al., 163, 169 m.w.N. 329 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062; in abgeschwächter Form auch Bodewig, 275 („unbeteiligte Dritte […] weniger oft und auch weniger schwer gefährdet“). 323
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seines Kunden spritzt, die Waschmaschine im Waschsalon die Kleider der Kunden oder die Reparaturwerkstatt mit einem schadhaften Lack die Autos der Kunden beschädigt. Soweit tatsächlich die Rechtsgüter Dritter nicht beeinträchtigt werden, sollte die Relevanz dieses Umstandes für die Zumutbarkeitserwägung separat betrachtet werden. 330 Nicht zu überzeugen vermag im Übrigen der Verweis Bodewigs 331 auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in den Apfelschorffällen 332. Zwar ist es richtig, dass das Gericht als Verkehrspflichtverletzung in diesen Fällen nur das Unterlassen einer Warnung in Betracht gezogen hat. Eine Aussage über die Zumutbarkeit der Rückrufpflicht bei reiner Sachgefährdung lässt sich diesen Entscheiden jedoch insofern nicht entnehmen, als es dort ausschließlich um die mangelnde Information ging, dass das betreffende Fungizid abwechselnd mit anderen Fungiziden zu verwenden war, um Resistenzbildungen und daraus folgende Schäden an den Apfelbäumen zu vermeiden. Oben wurde schon erörtert, dass es sich also lediglich um Fälle von Instruktionsfehlern handelte, für die es richtigerweise bereits an der Erforderlichkeit eines Rückrufs fehlt. 333 Eine Aussage darüber, welche Gefahrabwendungsmaßnahmen der Hersteller bei Fabrikations- oder Konstruktionsfehlern zu treffen hat, lässt sich diesen Entscheidungen demnach nicht entnehmen. Im Ergebnis ist Bodewig zwar darin zuzustimmen, dass „dem Hersteller zum Schutz von Sachen nicht die gleichen intensiven Gefahrabwendungsmaßnahmen zugemutet werden können wie zum Schutz von Leben und Gesundheit.“ 334 Warum daraus jedoch bei der reinen Sachgefährdung immer die Unzumutbarkeit der Rückrufpflicht folgen soll, erschließt sich nicht. 335 Vielmehr müssen auch die übrigen Faktoren weiterhin in die Abwägung miteinbezogen werden. 330
Siehe hierzu unten S. 83. Bodewig, 275. 332 BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1603 ff. (Derosal); BGH, 17.03.1981, NJW 1981, 1606 ff. (Benomyl). 333 Siehe oben S. 56 f. zum „nachträglichen Instruktionsfehler“ in den ApfelschorfFällen sowie S. 61 zur mangelnden Erforderlichkeit des Rückrufs in diesen Fällen. 334 Bodewig, 275; so auch Vieweg/Schrenk, JURA 1997, 561, 563 (strengerer Prüfungsmaßstab). 335 Bodewig, 275 verweist zwar darauf, dass dann, wenn dem Hersteller beispielsweise die Abwendung schwerer Sachschäden mit geringen Mitteln möglich sei, dasselbe meist auch für den Betroffenen gelte. Selbst wenn man diese Aussage generell für richtig hält, so ergibt sich daraus noch nicht die Unzumutbarkeit der Gefahrenbeseitigung für den Hersteller, wie Bodewig auch selbst formuliert: aus dem geringen Aufwand ließe sich „kein eindeutiger Grund für eine entsprechende Pflicht des Herstellers ableiten“ (ibid., 275). Wie sich daraus trotz des von Bodewig angenommenen generellen Vorrangs der Gefahrenbeseitigung (ibid., 258 ff.) gegenüber der Warnung auf die Verneinung der Rückrufpflicht schließen lässt, erklärt Bodewig nicht. 331
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(β) Produkt gefährdet ausschließlich sich selbst Als Unterfall der Konstellationen reiner Sachgefährdung sind im Hinblick auf die Rückrufpflicht insbesondere diejenigen Fälle umstritten, in denen das Produkt ausschließlich sich selbst zu beschädigen oder zu zerstören droht. 336 Die Meinungsverschiedenheiten entzünden sich an der sogenannten Weiterfresser-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 337. Danach liegt eine Gefährdung von Integritätsinteressen auch dann vor, wenn es an der „Stoffgleichheit“ zwischen dem drohenden Schaden am Produkt selbst und „der im Mangel [des Produkts] verkörperten Entwertung der Sache für das Äquivalenz- und Nutzungsinteresse“ fehlt. 338 Dementsprechend kommt eine Rückrufpflicht aufgrund der Gefährdung des fehlerfreien Teils des Produkts grundsätzlich in Betracht, soweit man – wie hier 339 – bereit ist, sie für Fälle reiner Sachgefährdung in Erwägung zu ziehen. 340 Dagegen wird jedoch vorgebracht, eine Rückrufpflicht müsse bei Vorliegen einer Weiterfresser-Situation ausscheiden, da das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht insoweit den Vorrang habe. 341 Bevor auf diese Frage näher eingegangen wird, gilt es zu betonen, dass für die Diskussion über die Rückrufpflicht nicht sämtliche WeiterfresserKonstellationen relevant sind. Da für die Bestimmung der Rückrufpflicht immer eine ex-ante-Perspektive maßgeblich ist, geht es hier nur um diejenigen Situationen, in denen von vornherein ausgeschlossen ist, dass der weiterfressende Mangel zu Schäden an anderen Rechtsgütern führt. 342 Die 336
Dafür: Dietrich, 167 ff.; J. Hager, VersR 1984, 799, 805; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 26; Koch, AcP 203 (2003), 603 ff.; K. Mayer, DB 1985, 319, 322; Rettenbeck, 53 ff.; dagegen: Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 352; Kreidt, 210 ff. (allerdings aufgrund grundsätzlicher Ablehnung der Weiterfresser-Rechtsprechung); Schulenberg, 44, Fn. 156 (aufgrund allgemeiner Ablehnung der Rückrufpflicht bei reiner Sachgefährdung); Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062, die zwar bei Sachschäden generell die Zumutbarkeit der Rückrufpflicht verneint, dafür aber auch maßgeblich auf die Ausdehnung des Begriffs der Eigentumsverletzung durch den Bundesgerichtshof verweist; Tamme, 114 f., basierend auf der Ablehnung einer Rückrufpflicht für alle Fälle, in denen ausschließlich Rechtsgüter des Produkteigentümers bedroht sind; Taschner/Frietsch, Einführung, Rz. 89. 337 Ständige Rechtsprechung, zuerst entwickelt in BGH, 24.11.1976, NJW 1977, 379, 380 (Schwimmerschalter). Siehe im Übrigen die Rechtsprechungsübersicht bei Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 60 ff. 338 BGH, 18.01.1983, NJW 1983, 810, 811 (Gaszug). 339 Soeben S. 72 ff. 340 Offen gelassen von BGH, 18.03.1986, VersR 1986, 1125, 1127 f. (Kondensatoren/Milchkühlanlagen). 341 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 352; Taschner/Frietsch, Einführung, Rz. 89. 342 Dies entspricht im Ergebnis der Unterscheidung zwischen umweltgefährdenden und rein produktgefährdenden Mängeln, wie sie G. Hager, AcP 184 (1984), 413, 417 f.
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zwei wohl bekanntesten Fälle, in denen der Bundesgerichtshof die Weiterfresser-Rechtsprechung entwickelte, wären für die Rückrufpflicht gerade anders zu beurteilen gewesen: sowohl der defekte Schwimmerschalter, durch den die Maschine, in die er eingebaut war, in Brand geriet, 343 als auch der mangelhafte Gaszug, aufgrund dessen das Fahrzeug beschleunigte, obwohl der Fuß nicht auf dem Gaspedal war, 344 stellten aus ex-anteSicht eine Gefahr für andere Sachgüter und Personen dar. Da es für die Rückrufpflicht allein auf die Beurteilung der Gefährdung ankommt, beschränkt sich die Weiterfresser-Problematik in diesem Zusammenhang folglich ausschließlich auf Fälle, in denen durch die Selbstzerstörung oder -beschädigung des Produkts keine weiteren Gefahren entstehen. Als Beispiel dafür mag der Motor eines Kompressors dienen, der aufgrund eines fehlerhaft befestigten Ölablassrohres trocken läuft und so zu Schaden kommt. 345 Ob man in derartigen Fällen einer Rückrufpflicht Raum geben will oder sie per se verneint, ist letztlich keine Frage der Diskussion über das Bestehen einer Rückrufpflicht in Abgrenzung zur Warnpflicht, sondern der vorgelagerten Entscheidung über den Schutzbereich des Deliktsrechts. 346 Zwar erscheinen in Bezug auf die Rückrufpflicht die Argumente, die weite Teile der Literatur zur Ablehnung der Weiterfresser-Rechtsprechung bewegen, wie unter einem Brennglas. 347 So liegt in der Annahme einer Rückrufpflicht in diesen Konstellationen eine Überlappung der deliktsrechtlichen und gewährleistungsrechtlichen Rechtsbehelfe vor, ohne dass diese dem Schutz außerhalb des betroffenen Produkts selbst liegender Rechtsgüter dient. Allerdings ist diese Überlagerung in Gänze auf die Entscheidung über den Schutzbereich des Deliktsrechts und damit der Verkehrspflichten zurückzuführen. Mit anderen Worten geht es um die Frage, ob ein Produkt vornimmt. Allerdings nimmt G. Hager diese Differenzierung für die Abgrenzung deliktisch geschützter Interessen von solchen, die allein durch das Vertragsrecht geschützt werden, vor. 343 BGH, 24.11.1976, NJW 1977, 379 ff. (Schwimmerschalter). 344 BGH, 18.01.1983, NJW 1983, 810 ff. (Gaszug). 345 BGH, 14.05.1985, NJW 1985, 2420. 346 So auch Bodewig, 248, Fn. 373; ausdrücklich auch Kreidt, 210 f.: die Frage, ob „eine Gefährdung des fehlerhaften Produkts selbst durch dessen schädliche Eigenschaften (Selbstzerstörungs- oder Selbstbeschädigungsgefahren) deliktische Warn- und Rückrufpflichten […] auszulösen vermag“, sei kein „eigenständiges Sachproblem, sondern die Beantwortung dieser Frage ist vollständig von der vorgelagerten Bewertung bestimmt, ob deliktsrechtlich geschützte Integritätsinteressen auch am Kaufgegenstand anzuerkennen sind oder nicht.“ Kreidt verneint diese Frage allerdings und lehnt damit für die Fälle, in denen das Produkt ausschließlich sich selbst bedroht, eine Rückrufpflicht ab. 347 Ähnlich Harrer, JURA 1984, 80, 87: „Die Konsequenz eines deliktischen Nachbesserungsanspruchs ist in Wahrheit ein Indiz für die Unrichtigkeit der Stoffgleichheitsthese.“
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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überhaupt als gefährlich im Sinne des Rechts der Produzentenhaftung anzusehen und damit nach dieser Terminologie auch als fehlerhaft zu betrachten ist: Entweder ist man also bereit, mit dem Bundesgerichtshof in einzelnen Fällen eine Eigentumsgefährdung anzuerkennen, auch wenn keine außerhalb des Produkts liegenden Rechtsgüter betroffen sind. Dann ist dieses Eigentum grundsätzlich ebenso durch Verkehrspflichten – einschließlich der Rückrufpflicht – zu schützen wie sonstiges Eigentum. Oder aber man anerkennt Verkehrspflichten ohnehin nur zum Schutz anderer Rechtsgüter als das Produkt selbst mit der Konsequenz, dass der Hersteller dem Produkt drohende Gefahren in keiner Weise abzuwenden verpflichtet ist. Folge dieser Ablehnung müsste dann allerdings auch die Verneinung einer deliktsrechtlichen 348 Warnpflicht für diese Fälle sein, da auch diese nur in Frage kommen kann, wenn deliktsrechtlich geschützte Interessen gefährdet sind. 349 Innerhalb dieser Arbeit kann und soll der Streit über die WeiterfresserRechtsprechung, welcher an zahlreichen anderen Stellen ausführlich erörtert worden ist, 350 nicht abschließend entschieden werden. Entscheidend für die hier interessierende Fragestellung ist hingegen, dass ein Gleichlauf 348 In den in dieser Arbeit nicht erörterten Fällen, in denen zwischen Endhersteller und Produkteigentümer eine vertragliche Beziehung besteht, kann sich aus dieser jedoch durchaus eine nachvertragliche Warnpflicht ergeben, dazu Bodewig, 151 ff. 349 So auch Kreidt, 210 f. Dies verkennt J. Hager, VersR 1984, 799, 805, der die Frage nach der Anerkennung der Weiterfresser-Rechtsprechung nur für die Abgrenzung zwischen Rückruf und Warnung als maßgeblich betrachtet; ähnlich wohl auch Taschner/Frietsch, Einführung, Rz. 89, die eine Rückrufpflicht in den Fällen der reinen Selbstgefährdung des Produkts „unabhängig von der in der Regel erforderlichen Warnung“ ablehnen. Insofern konsequent hingegen Bodewig und Schwenzer, die zwar im Ergebnis eine Rückrufpflicht in Weiterfresser-Fällen ablehnen und eine Warnpflicht bejahen (so ausdrücklich Bodewig, 248 f.; allgemein für Fälle der Sachgefährdung: Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062, mit ausdrücklichem Verweis auf die weite Auslegung des Eigentumsbegriffs durch den Bundesgerichtshof in den Weiterfresser-Fällen), dies jedoch durch eine Ablehnung der Rückrufpflicht bei reiner Sachgefährdung allgemein erreichen. Indem sie eine Warnpflicht für Fälle der reinen Selbstgefährdung des Produkts in Betracht ziehen, schließen aber auch sie den unversehrten Teil des gefährlichen Produkts nicht per se vom Schutzbereich der deliktischen Haftung aus. Tamme, 114 f., lehnt die Rückrufpflicht für alle Fälle ab, in denen ausschließlich Rechtsgüter des Produkteigentümers bedroht sind und verneint insofern konsequent die Rückrufpflicht auch für Fälle der reinen Selbstgefährdung des Produkts bei gleichzeitiger grundsätzlicher Befürwortung einer Warnpflicht. Auch er anerkennt damit jedoch, dass es bei Einbezug des nicht stoffgleichen Teils eines Produkts in den Schutzbereich des Deliktsrechts grundsätzlich keinen Unterschied machen kann, ob nur der fehlerfreie Produktteil oder auch sonstiges Eigentum gefährdet ist. 350 Umfassend zum Meinungsstand siehe G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 127 ff.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
bestehen muss zwischen denjenigen Rechtsgütern, die durch die Pflichten zur sorgfältigen Konstruktion, Fabrikation und Instruktion geschützt werden, auf der einen Seite und denjenigen, deren Schutz die Rückrufpflicht (und auch die Warnpflicht) dient, auf der anderen Seite. Sofern man das Eigentum an dem unversehrten Teil des Produkts wegen fehlender „Stoffgleichheit“ dem Schutz des Deliktsrechts unterstellt, ist für die Zumutbarkeit der Rückrufpflicht eine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese folgt denselben Kriterien wie auch bei Gefährdung anderer Rechtsgüter. Im Hinblick auf die Interessen der Produkteigentümer ist der maßgebliche Bezugspunkt also der drohende Schaden, d.h. der Wert des bisher unversehrten – nicht „stoffgleichen“ – Teils des Produkts. Bedenkt man, dass bei reiner Selbstgefährdung des Produkts zum einen ausschließlich Sachgüter, zum anderen ausschließlich Rechtsgüter des Produkteigentümers gefährdet werden, so ist davon auszugehen, dass bei hohen Kosten für den Hersteller die Rückrufpflicht in diesen Konstellationen relativ häufig und eher als in den meisten anderen Situationen als unzumutbar abzulehnen sein wird. (c) Beachtlichkeit von Selbstschutzmöglichkeiten? Unklar in der Diskussion um die Zumutbarkeit der Rückrufpflicht ist auch die Rolle der Selbstschutzmöglichkeiten des Gefährdeten. Die Frage ist, inwieweit es diesem zugemutet werden kann, sich selbst vor der Gefahr zu schützen. Dieser Meinungsstreit beschränkt sich nicht nur auf die Frage nach der Rückrufpflicht, sondern besteht allgemein im Kontext der Verkehrspflichten. Dogmatisch gesehen geht es darum, ob die Selbstschutzmöglichkeiten des Gefährdeten eine Verkehrspflicht an sich bereits ausschließen oder ob sie lediglich im Rahmen des Mitverschuldens nach § 254 BGB zu berücksichtigen sind. 351 Hier kann nicht der Versuch unternommen werden, diese Frage grundlegend für den Bereich der Verkehrspflichten zu beantworten. Stattdessen sollen an dieser Stelle nur die wichtigsten Aspekte bezogen auf die Selbstschutzmöglichkeit in der Diskussion um das Bestehen der Rückrufpflicht diskutiert werden. Dabei ist zwischen Fällen des pflichtwidrigen Inverkehrbringens einerseits und Entwicklungsrisiken andererseits zu unterscheiden. 352 351
Zu dieser Frage im Rahmen der Bestimmung von Verkehrspflichten im Allgemeinen siehe statt vieler Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 242 m.w.N. 352 Nach überwiegender Auffassung gehören die sogenannten Ausreißer in dieser Unterscheidung der Kategorie des pflichtwidrigen Inverkehrbringens an, da es bei ihnen lediglich am Verschulden mangelt (statt vieler J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 17), während es bei Entwicklungsrisiken bereits an der Pflichtwidrigkeit fehlt (BGH, 16.06.2009, NJW 2009, 2952, 2955, E. 27 (Airbags) m.w.N.; a.A. Sprau in Palandt, § 823, Rz. 170).
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(α) Bei Pflichtwidrigkeit des Inverkehrbringens Wenn der Hersteller das Produkt bereits mit einem Konstruktions- oder Fabrikationsfehler in den Verkehr gebracht hat, spricht sich die Mehrheit der Literaturstimmen dagegen aus, eine Rückrufpflicht des Herstellers aufgrund der Selbstschutzmöglichkeiten des Produktnutzers/-eigentümers zu verneinen. 353 Zum einen spricht in den Fällen, in denen der Hersteller das Produkt bereits pflichtwidrig in Verkehr gebracht hat, der in § 227 BGB (Notwehr) verkörperte Gedanke, dass „Recht Unrecht nicht zu weichen braucht“, dagegen, dass die Gefahrenabwehrpflichten des Herstellers mit dem Verweis auf die Selbstschutzmöglichkeit des Gefährdeten beschränkt werden könnten. Bei Vorliegen eines rechtswidrigen „Angriffs“ ist dieser nicht verpflichtet, die Bedrohung auf Kosten seiner eigenen Rechtsgüter abzuwehren. Des Weiteren ist in Bezug auf Verkehrspflichten anerkannt, dass sie nicht zur Sicherung einer Gefahr bestehen, „die vor sich selbst warnt“. Damit werden Fälle bezeichnet, in denen es für jeden ersichtlich ist, dass von einem Produkt, einem Bauwerk etc. eine bestimmte Gefahr ausgeht. In solchen Situationen soll derjenige, der sich dieser Gefahr dennoch aussetzt, sich nicht darauf berufen können, dass der Verkehrspflichtige zu einer gesonderten Sicherungsmaßnahme verpflichtet gewesen wäre. 354 Während in solchen Konstellationen die Verneinung einer Verkehrspflicht angebracht erscheint, liegt der Fall bei der Entscheidung über die Rückrufpflicht in einem entscheidenden Punkt regelmäßig anders: das Produkt warnt gerade nicht vor sich selbst; vielmehr ist häufig das genaue Gegenteil der Fall. Denn in der Regel haben die Personen, welche vor einem Produkt gewarnt oder zu dessen Rückgabe an den Hersteller aufgefordert werden, das Produkt bereits über einen kürzeren oder längeren Zeitraum benutzt, ohne dass sie einen Fehler bemerkt haben oder ihnen gar ein Schaden entstanden wäre. Läge hingegen ein offensichtlicher Fehler vor, wäre das Produkt gar nicht erst in den Verkehr gelangt. Die Warnung eines Herstellers steht somit im Konflikt mit den Erfahrungen des Produktnutzers. 355 Deshalb unterscheidet sich diese Situation wesentlich von denjenigen, in denen eine 353 Bodewig, 269; Dietrich, 159 ff.; G. Hager, AcP 184 (1984), 413, 424; H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1805; Kettler, PHi 2008, 52, 61 f.; Kreidt, 173 f.; Rettenbeck, 79 f.; Pannenbecker, 111 ff.; wohl auch Beck, 24; a.A. wohl Tamme, 104 ff., 114, 117, der bei ausschließlicher Gefährdung der Produkteigentümer jegliche Rückrufpflicht ablehnt. 354 Larenz/Canaris, Bd. II/2, § 76 III 4 c. 355 M. Mayer, 296 weist zudem zu Recht darauf hin, dass insbesondere bei Arzneimitteln nicht per se von einem rationalen Umgang ausgegangen werden kann (zur strafrechtlichen Rückrufpflicht).
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Verkehrspflicht wegen unschwer erkennbarer Gefahr sowie unproblematischer Selbstschutzmöglichkeit abgelehnt wird. 356 In der Diskussion um die Beachtlichkeit von Selbstschutzmöglichkeiten in der Abgrenzung von Warn- und Rückrufpflichten wird außerdem in Erwägung gezogen, ob die Warnung seitens des Herstellers zu einer „Unterbrechung des Kausalzusammenhangs“ 357 führe. Wenn die Kenntnis des Produkteigentümers/-nutzers von der Gefahr – so die Argumentation – die Haftung des Herstellers bei weiterer Benutzung entfallen lasse, dann könne den Hersteller auch keine Rückrufpflicht treffen. Schließlich gehe dann mit Kenntnis von der Gefahr die Verantwortung für dieselbe auf den Produkteigentümer/-nutzer über. 358 Jedoch wird der Zurechnungszusammenhang durch den fortgesetzten Gebrauch des Produkts nach keiner der einschlägigen Theorien unterbrochen. 359 Weder liegt die Missachtung einer Warnung außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit 360 noch widerspricht es dem Schutzzweck der herstellerischen Verkehrspflichten, gerade auch den Produktnutzer, der eine Warnung missachtet, vor Gefahren zu schützen, die von dem Produkt ausgehen 361. Empirisch gesehen werden Warnungen vor Produktgefahren sehr häufig ignoriert, 362 was sich in den Verkehrspflichten des Produzenten gerade darin niederschlägt, dass er auch die nicht fernliegende Missachtung von Instruktionen und Warnungen in Betracht zu ziehen hat 363. Auch hat der Hersteller durch das Inverkehrbringen des gefährlichen Produkts die Gefahr einer Verletzung nicht nur erhöht 364, sondern diese Gefahr überhaupt erst geschaffen 365. 366 356
Solch ein Fall lag beispielsweise vor, als ein 15-Jähriger einen Kopfsprung in das ordnungsgemäß gekennzeichnete Nichtschwimmerbecken machte. Eine über die Kennzeichnung hinausgehende Verkehrspflicht des Schwimmbadbetreibers wurde abgelehnt, BGH 29.01.1980, NJW 1980, 1159, 1160. 357 Zu der missverständlichen Terminologie sowie der unterschiedlichen dogmatischen Einordnung siehe Oetker in MüKoBGB 6, § 249, Rz. 142; Schubert in BeckOKBGB, § 249, Rz. 62, jeweils m.w.N. 358 Tamme, 104 ff. 359 So auch H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1805; Kettler, PHi 2008, 52, 61 f. 360 Wenn dem so wäre, würde die adäquate Kausalität verneint, siehe hierzu statt aller Schiemann in Staudinger, § 249, Rz. 12 ff. 361 So wohl auch Kettler, PHi 2008, 52, 61 f. Zur Schutzzwecktheorie statt vieler Schiemann in Staudinger, § 249, Rz. 27 ff. m.w.N. 362 Bodewig, 269. 363 LG Düsseldorf, 30.11.2005, NJW-RR 2006, 1033, 1034; aus der Literatur statt vieler Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 88 ff. 364 v. Bar, 113, bezeichnet die Haftung für Verkehrspflichtverletzungen treffend auch als „Haftung für Gefahrerhöhung“. 365 BGH, 21.01.1986, NJW 1986, 1865, 1866 nimmt auch bei Selbstgefährdung eine Verantwortlichkeit dessen an, der einen zusätzlichen Gefahrenkreis eröffnet hat, welcher die Schädigung überhaupt erst ermöglicht hat. 366 Kreidt, 173; in diese Richtung auch Vieweg/Schrenk, JURA 1997, 561, 562.
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Auch die von Foerste 367 bezüglich der Relevanz von Selbstschutzmöglichkeiten vorgeschlagene Abgrenzung danach, ob sich die Nutzer fahrlässig oder (eventual-)vorsätzlich über eine Warnung hinwegsetzen, ist jedenfalls ex ante kein brauchbares Abgrenzungskriterium. 368 Dies gilt insbesondere, wenn korrekterweise die Gesamtheit der Produktnutzer als maßgeblich für die Verhältnismäßigkeit der Rückrufpflicht betrachtet wird. 369 Schließlich ist die Lösung über § 254 BGB auch deshalb vorzugswürdig, weil sie anstatt einer Entscheidung nach dem Alles-oder-NichtsPrinzip eine sachgerechte Beurteilung des Mitverschuldens erlaubt. 370 (β) Bei Entwicklungsrisiken Für Entwicklungsrisiken kann im Ergebnis nichts anderes gelten, 371 auch wenn die Begründung in einigen Punkten abweicht. In den Überlegungen zur Notwehr stellt die Rechtswidrigkeit des Angriffs einen entscheidenden Faktor dar. Daran fehlt es aber bei Vorliegen eines Entwicklungsrisikos. Dennoch kann daraus kein Umkehrschluss dahingehend gezogen werden, dass bei Vorliegen eines Entwicklungsrisikos keine Rückrufpflicht bestehen könnte, sondern eine Warnung, die dem Eigentümer den Selbstschutz ermöglicht, immer ausreichen müsste. 372 Wollte man dieser Logik folgen, so hieße dies nämlich, dass Verkehrspflichten zur direkten Beseitigung von Gefahren, vor denen sich die Gefährdeten auch selbst schützen könnten, immer nur dann bestehen könnten, wenn der potentiell Pflichtige den gefährlichen Zustand rechtswidrig geschaffen hat. Dadurch würden aber andere für das Bestehen von Verkehrspflichten maßgebliche Kriterien, namentlich das (auch rechtmäßige) Schaffen der Gefahr 373 sowie die Möglichkeit der Gefahrsteuerung 374, gänzlich außer Acht gelassen. Zudem lässt sich diese Ansicht weder damit vereinba367 368
sicht.
369
Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 344 ff., 358 ff. So auch Dietrich, 259, mit ausführlicher und zutreffender Kritik an Foerstes An-
Die oben auf S. 52 ff. zur Erforderlichkeit angestellten Überlegungen gelten insoweit auch für die Zumutbarkeit. 370 Kreidt, 173 f. 371 Beck, 28 f.; Dietrich, 159 ff.; Kreidt, 173 f.; wohl auch Kettler, PHi 2008, 52, 61 f.; a.A.: G. Hager, AcP 184 (1984), 413, 424; Rettenbeck, 79 ff.; wohl auch Tamme, 104 ff.; differenzierend: Bodewig, 269 ff., 272. 372 So aber Rettenbeck, 79 f. 373 v. Bar, 113 ff.; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 13; Steffen in RGRK, § 823, Rz. 151; spezifisch dazu, dass es auf die Rechtswidrigkeit der Gefahrschaffung nicht ankommt, siehe Kreidt, 161; Larenz/Canaris, Bd. II/2, § 76 III 3 c; Looschelders, SchuldR BT, Rz. 1181; Seeling, 62; Tamme, 165. 374 Siehe nur v. Bar, 122 ff.; Steffen in RGRK, § 823, Rz. 148 f.; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 237.
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ren, dass der sogenannte Vertrauensgrundsatz zwischen Verkehrspflichtigem und Verkehrsteilnehmer nicht oder nur in eingeschränktem Umfang gilt 375, noch damit, dass speziell im Bereich des Produkthaftungsrechts auch naheliegendes Fehlverhalten bei der Bestimmung der Verkehrspflichten berücksichtigt werden muss 376. Bezüglich der Vergleichbarkeit mit Fällen von „Gefahren, die vor sich selbst warnen“, gelten für Entwicklungsrisiken dieselben Überlegungen wie bei pflichtwidrigem Inverkehrbringen des gefährlichen Produkts. Im Rahmen dieser Argumentation spielt die Pflichtwidrigkeit keine Rolle, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Rückrufpflicht nicht abgelehnt werden kann. Die Überlegungen zur „Unterbrechung des Kausalzusammenhangs“ helfen bei Entwicklungsrisiken hingegen nicht weiter. Das pflichtwidrige Verhalten des Herstellers, das einen zu einem potentiellen Schaden führenden Kausalverlauf überhaupt erst in Gang zu setzen vermöchte, liegt in diesen Fällen im Unterlassen der vom Hersteller zu fordernden Maßnahme der Gefahrenabwehr. Überlegungen dazu, ob die Missachtung der Warnung den Kausalzusammenhang unterbrechen könnte, würden also voraussetzen, was es erst zu begründen gilt. 377 Ausschlaggebend wird letztlich sein, dass auch bei Entwicklungsrisiken der Eigentümer in der Regel die Gefahr gerade nicht besser, sondern schlechter als der Hersteller einschätzen kann. Selbst wenn der Hersteller eine allen Anforderungen genügende Warnung herausgibt, kann der Eigentümer doch bezogen auf gerade sein Produkt häufig nicht sicher sagen, wie gefährlich es ist. 378 Daher liegt auf Seiten des Produkteigentümers/-nutzers bei weiterer Nutzung des Produkts zwar regelmäßig ein Handeln auf eigene Gefahr vor, welches bei Schadenseintritt über § 254 BGB berücksichtigt werden kann. Die Kenntnis von der Gefahr und die sich daraus ergebenden Selbstschutzmöglichkeiten rechtfertigen jedoch nicht den Ausschluss der Rückrufpflicht. Dies gilt unabhängig davon, ob das gefährliche Produkt pflichtwidrig in Verkehr gebracht wurde oder nicht.
375 BGH, 18.11.1993, NJW-RR 1994, 603, 605 (keine Anwendung); BGH, 10.07.1980, NJW 1980, 2194, 2196 (keine Anwendung); R. Krause in Soergel, § 823 Anh II, Rz. 30 (eingeschränkte Geltung). 376 Statt vieler Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 90; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 15, jeweils m.w.N. 377 Diesen Punkt übersieht Rettenbeck, 76 ff. in seinen Überlegungen. 378 Dies war ein maßgebliches Entscheidungskriterium in OLG Hamm, 30.01.2004, NJW-RR 2004, 1095, 1096, wo die Pflichtwidrigkeit der Schaffung der Gefahr nicht bewiesen werden konnte.
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(d) Differenzierung nach gefährdeten Personen? Weite Teile der Literatur sind der Ansicht, dass eine Rückrufpflicht dem Hersteller wesentlich eher zumutbar ist, wenn das gefährliche Produkt nicht nur ein Risiko für die Produktbenutzer, sondern auch für Dritte – sogenannte bystanders – darstellt. 379 Als typische Beispiele für solche Situationen werden defekte Autos angeführt, die andere Verkehrsteilnehmer gefährden, oder jegliche Form von elektronisch betriebenen Haushaltsgeräten, die zu Bränden führen können. Begründet wird diese Ansicht damit, dass den bystanders keine Möglichkeit zur eigenständigen Gefahrenabwehr gegeben ist, da sie Warnungen des Herstellers entweder gar nicht erst erhalten oder aber zumindest keinen Einfluss auf das betreffende Produkt haben sowie sich einem zufälligen Kontakt mit ihm bzw. den von ihm ausgehenden Gefahren nicht entziehen können. 380 Diesen Argumenten ist durchaus zuzustimmen. Nach der hier vertretenen Ansicht erlangen sie jedoch aus zwei Gründen wenig Relevanz. Erstens dürften die Fälle, in denen die Gefährdung der Rechtsgüter unbeteiligter Dritter durch ein Produkt von vornherein ausgeschlossen werden kann, eher selten sein. 381 Insbesondere fallen darunter aber die soeben 382 besprochenen Fälle, in denen das Produkt nur sich selbst gefährdet. Zweitens entfällt die Zumutbarkeit einer Rückrufpflicht nach der hier vertretenen Ansicht nicht wegen ausschließlicher Gefährdung der Produkteigentümer bzw. -nutzer. 383 Insofern stellt die Gefährdung von bystanders zwar ein zusätzliches Argument dar, welches für die Zumutbarkeit in die Waagschale fällt. Sie dürfte jedoch selten allein ausschlaggebend für die Entscheidung sein. 384 (e) Versicherbarkeit als relevanter Faktor? Im Zusammenhang mit deliktsrechtlicher Haftung im Allgemeinen ist vielfach diskutiert worden, ob und inwieweit diese durch die Versicherbarkeit
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Beck, 24; Bodewig, 280; Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1605; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 358; Kettler, PHi 2008, 52, 57; Rettenbeck, 72 ff. (im Rahmen der Erforderlichkeit); Sack, DAR 1983, 1, 2 (nur dann überhaupt eine Rückrufpflicht anerkennend); Seeling, 38 ff.; Tamme, 124 ff.; vorsichtig auch Dietrich, 155 f.; dieser Punkt klingt auch an in BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 11 (Pflegebetten); gegen eine Differenzierung nach gefährdeten Personen hingegen Kreidt, 178 ff. 380 Statt vieler Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 358; Rettenbeck, 72. 381 So auch Kreidt, 181. 382 S. 75 ff. oben. 383 Siehe dazu soeben S. 78 ff. 384 So im Ergebnis auch Kreidt, 184.
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von Risiken beeinflusst werden kann. 385 Insofern stellt sich hier die offenbar bisher nicht näher erörterte Frage, ob die Möglichkeit der Versicherung Auswirkungen auf die Zumutbarkeit der Rückrufpflicht haben sollte. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen den Möglichkeiten des Herstellers, einerseits Schäden zu versichern, die bei Unterlassen eines Rückrufs entstehen, und andererseits, die Rückrufkosten selbst zu versichern. Gegen die Relevanz der Tatsache, dass der Hersteller Schäden, die durch gefährliche Produkte verursacht werden, versichern kann, spricht, dass die Haftung für Verkehrspflichtverletzungen – in concreto für das Unterlassen des Rückrufs trotz entsprechender Pflicht – eine verschuldensabhängige Haftung darstellt. Der Haftungsgrund besteht also jeweils in einer schuldhaften Sorgfaltspflichtverletzung. Für die Fälle der Konstruktions- und Fabrikationsfehler steht dies außer Frage. Aber auch bei Entwicklungsrisiken und Ausreißern beruht die Haftung auf dem Unterlassen des im Einzelfall zumutbaren Rückrufs und damit auf einem Sorgfaltspflichtverstoß. In diesem Zusammenhang kann die Versicherbarkeit des Schadensrisikos insofern keine Rolle spielen, als der Sorgfaltsmaßstab zur Vermeidung eines Risikos nicht dadurch erhöht werden darf, dass der (potentiell) Pflichtige für den Fall der Verwirklichung des Risikos versichert ist bzw. sich hätte versichern können. 386 Es handelt sich bei der Haftung für Verkehrspflichtverletzungen gerade nicht um eine Haftung, die ausschließlich einer effizienten Risikoverteilung dient (so die Gefährdungshaftung), sondern sie basiert vielmehr auf vorwerfbarem Verhalten. Welches Verhalten vorwerfbar ist, muss jedoch normativ bestimmt werden und kann nicht davon abhängig gemacht werden, wer die Folgen dieses Verhaltens am besten versichern kann. 387 Es liefe auf einen Zirkelschluss hinaus, 385 Statt vieler Fuchs, AcP 191 (1991), 318 ff. mit einem Überblick über die wichtigsten diskutierten Aspekte und Fallgruppen; spezifisch zum Verhältnis von Versicherungsschutz und Verkehrspflichten Pick, 161 ff. 386 Wellner in Geigel, Kapitel 14, Rz. 13: „Mit diesem Argument [der Versicherbarkeit des Haftungsrisikos] begibt man sich auf sehr gefährliches Terrain, weil eine Haftpflichtversicherung gegen Haftpflicht schützen, eine solche aber gerade nicht erst schaffen soll.“; Larenz/Canaris, Bd. II/2, § 76 III 4 g; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 243; gegen die Relevanz von Überlegungen zur effizienten Risikoallokation außerhalb des Bereichs der Gefährdungshaftung auch G. Wagner in MüKoBGB 5, vor § 823, Rz. 56. 387 Wenn die Rechtsprechung bei Verletzungen, die sich im Rahmen sportlicher Betätigung ereignen, den Versicherungsschutz heranzieht, um den sonst angenommenen stillschweigenden Haftungsausschluss der Teilnehmer abzulehnen (so BGH, 29.01.2008, NJW 2008, 1591, 1592, E. 11), handelt es sich insofern um ein anderes Problem als die vorgelagerte Frage des Bestehens einer Verkehrspflicht. Der Haftungsausschluss beruht nach der Rechtsprechung auf dem im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnden Verbot des widersprüchlichen Verhaltens; dazu etwa BGH, 01.04.2003, NJW 2003, 2018, 2019 f.; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 393.
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wollte man die Haftung anhand der Versicherung bestimmen, obwohl die Versicherung ihrerseits an die Haftung anknüpft. 388 Ein solcher Vorschlag ist einmal treffend als „Münchhausen-Trick“ bezeichnet worden. 389 Allerdings hat der Hersteller in Bezug auf die Rückrufpflicht auch die – insoweit vielleicht einmalige – Möglichkeit, das Risiko der Erfüllung der Verkehrspflicht (im Gegensatz zum Schadensrisiko wegen Verletzung dieser Pflicht) zu versichern. Dies wird ermöglicht durch die RückrufkostenHaftpflichtversicherung, über welche die gesetzliche Haftpflicht für Vermögensschäden versichert werden kann, die durch Rückrufe zur Vermeidung von Personenschäden entstehen. 390 Über den eigentlichen Geltungsbereich einer Haftpflichtversicherung geht sie insofern hinaus, als auch die Kosten eines Eigenrückrufs gedeckt sind. 391 Das bedeutet, dass auch diejenigen Kosten versichert sind, die dem Versicherungsnehmer durch den Rückruf seiner eigenen Produkte (und somit nicht eigentlich aufgrund einer Haftpflicht) entstehen. Diese Möglichkeit der Versicherung der Rückrufkosten wirkt sich anders als die Versicherung von Produkthaftpflichtschäden direkt auf die Zumutbarkeitsabwägung aus. Schließlich kann der Hersteller dadurch das Kostenrisiko, dass durch die Erfüllung der Verkehrspflicht zum Rückruf auf ihn zukommt, drastisch senken. Dies gilt auch für Fälle der Rückrufpflicht aufgrund eines Entwicklungsrisikos. 392 Allerdings beschränkt sich 388
Darauf hat bereits der BGH, 05.12.1978, NJW 1979, 983, 983 hingewiesen: „Der Haftpflichtversicherer hat nur einzutreten, wenn der Versicherungsnehmer (Versicherte) seinerseits haftet. Dessen Haftung kann selbstverständlich nicht mit dem Umstand begründet werden, der Schädiger sei haftpflichtversichert und deshalb leistungsfähig […].“ 389 Larenz/Canaris, Bd. II/2, § 76 III 4 g. 390 Siehe die Musterbedingungen des GDV für die Rückrufkosten- und Haftpflichtversicherung für Hersteller- und Handelsbetriebe sowie die Musterbedingungen des GDV für die Rückrufkosten- und Haftpflichtversicherung für Kfz-Teile-Zulieferer. 391 Ollick in Veith/Gräfe, § 14, Rz. 294 f. Anders jedoch nach den Musterbedingungen des GDV für die Rückrufkosten- und Haftpflichtversicherung für Kfz-Teile-Zulieferer, nach denen ausschließlich Fremdrückrufe (also insbesondere solche des Endherstellers) erfasst sind, ibid., Rz. 418. 392 Anders hingegen die Prognose von Rettenbeck, 89, der sich (noch vor der allgemeinen Verfügbarkeit von Rückruf-Versicherungen auf dem deutschen Markt) auf den Ausschluss des sogenannten Experimentierrisikos im Produkthaftpflicht-Modell bezieht und danach eine Deckung in Fällen von Entwicklungsrisiken für ausgeschlossen hält. Zwar ist dieser Ausschluss auch in den entsprechenden Rückruf-Modellen für die Haftpflichtversicherung enthalten (Ziff. 6.2 der Musterbedingungen des GDV für die Rückrufkosten- und Haftpflichtversicherung für Hersteller- und Handelsbetriebe sowie Ziff. 6.1 der Musterbedingungen des GDV für die Rückrufkosten- und Haftpflichtversicherung für Kfz-Teile-Zulieferer). Er erfasst allerdings gerade nicht die Fälle von Entwicklungsrisiken, da er die Haftung nur dann ausschließt, wenn „Verwendung oder Wirkung [der zurückgerufenen Erzeugnisse] im Hinblick auf den konkreten Verwendungszweck nicht nach dem Stand der Technik oder in sonstiger Weise ausreichend erprobt waren.“
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die Deckung auf Rückrufe, die der Vermeidung von Personenschäden dienen. 393 Soweit durch ein Produkt lediglich Sachschäden drohen, kann die Versicherbarkeit der Rückrufkosten demnach keinerlei Auswirkung auf die Zumutbarkeitsabwägung haben. Im Ergebnis bleibt daher der Einfluss dieser Versicherungsmöglichkeit auf die Zumutbarkeit der Rückrufpflicht insgesamt gering, da – wie sogleich zu erörtern ist 394 – eine Rückrufpflicht aufgrund drohender Personenschäden auch unabhängig von der Versicherbarkeit äußerst selten aufgrund der Kosten für den Hersteller scheitern wird. (f) Relevanz der Kosten für den Hersteller? Nach dem bisher Gesagten bleibt ein wesentlicher Faktor, der zugunsten des Herstellers gegen die Zumutbarkeit einer Rückrufpflicht ins Feld geführt werden könnte: die Kosten einer Rückrufaktion. Hinsichtlich deren Relevanz besteht jedoch zumindest insoweit nahezu vollständige Einigkeit, als bei Gefahr ernster Personenschäden die finanziellen Interessen des Herstellers außer Betracht zu bleiben haben, 395 so dass in solchen Fällen ein Rückruf immer zumutbar sein wird. Dies stimmt auch mit der Wertung des neuen deutschen Produktsicherheitsgesetzes überein, nach dessen § 26 Abs. 4 die Behörden einen Rückruf von Produkten anzuordnen haben, „wenn diese ein ernstes Risiko insbesondere für die Sicherheit und Gesundheit von Personen darstellen.“ 396 Jenseits der ernsten Gefährdung von Personen existieren jedoch höchst unterschiedliche Auffassungen über die Relevanz der Rückrufkosten bei der Beurteilung der Zumutbarkeit. Da diese jeweils mit den Ansichten zu den vorgängig diskutierten Punkten zusammenhängen, werden sie hier nicht im Einzelnen wiedergegeben. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Zumutbarkeit der Rückrufpflicht aufgrund hoher Kosten je nach Ansicht verneint wird, wenn reine Sachschäden drohen, wenn ein Entwicklungsrisiko vorliegt, solange keine bystanders gefährdet sind oder schlichtweg aufgrund einer Abwägung aller Kriterien im Einzelfall. Nach 393 Ziff. 1.1 der Musterbedingungen des GDV für die Rückrufkosten- und Haftpflichtversicherung für Hersteller- und Handelsbetriebe sowie Ziff. 1.1 der Musterbedingungen des GDV für die Rückrufkosten- und Haftpflichtversicherung für Kfz-Teile-Zulieferer. 394 Auf dieser und der folgenden Seite. 395 BGH, 11.07.1972, NJW 1972, 2217, 2220 (ESTIL); Beck, 26; Grote/Seidl, VW 2009, 756, 757: Güterabwägung nicht zulässig; Kreidt, 187; Kullmann in Kullmann/ Pfister, Kza. 1520, 63; Löwe, DAR 1978, 288, 292; Rettenbeck, 94; Schlutz, DStR 1994, 707, 710; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1436; Steffen in RGRK, § 823, Rz. 282; Tamme, 188; ähnlich Pannenbecker, 122 f. (bei Gefährdung von Leben und Gesundheit regelmäßig zumutbar); anders aber Reusch, StoffR 2009, 96, 99 f. (Warnung genügt immer, da ihre Wirksamkeit mit der Schwere der drohenden Gefahr sogar steigt). 396 Siehe hierzu oben S. 13, 41 f.
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überwiegender Ansicht kommt es dabei allein auf eine objektive Betrachtung der Kostenlast an, nicht jedoch auf die finanziellen Verhältnisse des einzelnen Herstellers. 397 Nach der hier vertretenen Ansicht kann außer in Fällen der ernsten Gefährdung von Personen die Zumutbarkeit der Rückrufpflicht nicht per se bejaht werden. Insofern kommt den Kosten des Rückrufs in allen anderen Fällen grundsätzlich Bedeutung in der Zumutbarkeitsabwägung zu. Auch wenn Personen nur geringfügige Verletzungen drohen, so kann nur ein grobes Missverhältnis zwischen der drohenden Beeinträchtigung und den Kosten einer Rückrufaktion zur Unzumutbarkeit derselben führen, 398 wobei allerdings die Versicherbarkeit dieser Kosten zu berücksichtigen ist. Wenn jedoch ausschließlich Sachgüter gefährdet sind, reicht schon eine wesentlich weniger drastische Unverhältnismäßigkeit der Rückrufkosten aus, um eine Rückrufpflicht abzulehnen und den Produkteigentümern/ -nutzern zuzumuten, sich in der Folge einer herstellerseitigen Warnung selbst zu schützen. Besonders pointiert erscheint dieser Punkt in den Fällen, in denen das fehlerhafte Produkt in einer „Weiterfresser“-Situation allein sich selbst gefährdet. Da hier ausschließlich Sachgüter und auch keine Rechtsgüter Dritter bedroht sind, kann schon eine leichte Unverhältnismäßigkeit der Rückrufkosten zum Wert des mangelfreien Rests des Produkts zur Ablehnung einer Rückrufpflicht führen. (iv) Zusammenfassung Im Ergebnis ist eine Rückrufpflicht des Herstellers immer dann – und nur dann – mangels Erforderlichkeit abzulehnen, wenn ein anfänglicher oder nachträglicher Instruktionsfehler vorliegt. Für alle anderen Fehlerkategorien lässt sich eine Rückrufpflicht jedoch nicht pauschal ablehnen, sondern 397 BGH, 22.01.1960, VI ZR 121/58, BeckRS 1960 Nr. 31188959, E. I.5 (Geldmangel ist kein Kriterium, auf das sich ein Krankenhausträger berufen kann, wenn er keine ausreichenden Maßnahmen getroffen hat, um Patienten vor Tuberkuloseansteckung zu schützen); OLG Saarbrücken, 16.05.2006, NJW-RR 2006, 1165, 1167; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 31; R. Krause in Soergel, § 823 Anh II, Rz. 35; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 241; im Ergebnis ebenso G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 259 f. Hingegen hält BGH, 29.11.1983, NJW 1984, 801, 802 (Eishockey-Puck) es für möglich, der finanziellen Belastbarkeit in der Abwägung eine untergeordnete Bedeutung zukommen zu lassen, was von den soeben zitierten Autoren allerdings zu Recht abgelehnt wird. Bodewig, 278, möchte im Interesse einer wirksamen Gefahrenabwehr in Extremfällen eine Ausnahme zulassen, wenn durch eine drohende Insolvenz bei Durchführung einer Rückrufaktion die Gefahr bestünde, dass der Hersteller zu einer erfolgreichen Gefahrenabwehr überhaupt nicht mehr imstande wäre; anders explizit Seeling, 46. 398 So auch Tamme, 188 f.; ähnlich Schulenberg, 55; a.A. Beck, 26: keine Rückrufpflicht, wenn lediglich leichte körperliche Beeinträchtigungen drohen.
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es ist eine Abwägung der Zumutbarkeit im Einzelfall vorzunehmen. Für die Zumutbarkeit sprechen dabei die Gefährdung von Personen, die Gefährdung der Rechtsgüter unbeteiligter Dritter, sowie – in besonders hohem Maße – das Vorliegen eines (anfänglichen) Konstruktions- oder Fabrikationsfehlers. Keinen nennenswerten Einfluss auf die Zumutbarkeit (weder im positiven noch im negativen Sinne) haben hingegen das Vorliegen eines Ausreißers oder das eines Entwicklungsrisikos in der Form eines Konstruktions- oder Instruktionsfehlers, die ausschließliche Gefährdung von Sachgütern sowie die Selbstschutzmöglichkeiten der Betroffenen. Hohe Rückrufkosten können allenfalls bei reinen Sachgefährdungen oder – bei grober Unverhältnismäßigkeit – bei Gefahr äußerst leichter Beeinträchtigungen von Gesundheit oder körperlicher Unversehrtheit die Zumutbarkeit ausschließen. Bei drohenden Personenschäden ist allerdings auch die Versicherbarkeit der Rückrufkosten zu beachten. Wenn die Gefahr ernster Personenschäden besteht, wird eine Rückrufpflicht in jedem Fall zumutbar sein. b)
Inhalt der Rückrufpflicht
Unter denjenigen, die eine Rückrufpflicht grundsätzlich anerkennen, bestehen sehr unterschiedliche Vorstellungen über den Inhalt dieser Pflicht. Sie reichen von der bloßen Entfernung der Produkte aus den Händen der Nutzer bis hin zum kostenlosen Austausch gegen ein neuwertiges Produkt, im Extremfall noch gekoppelt mit einer Prämie für die Kooperation mit dem Hersteller. In diesem Abschnitt wird untersucht, wo zwischen diesen beiden Polen das richtige Maß für den Inhalt der Rückrufpflicht liegt. Bei der Festlegung des Inhalts der Rückrufpflicht spielt eine wesentliche Rolle, dass eine Rückrufaktion für ihre Wirksamkeit immer auf die Mitwirkung der Produkteigentümer/-nutzer angewiesen ist. In Anlehnung an Seeling 399 könnte man die Gefahrenabwehrpflicht des Herstellers präziser auch als „Pflicht zur Abgabe eines Angebots auf Gefahrenbeseitigung“ bezeichnen. Hierin kommt zum Ausdruck, dass der Hersteller die Effektivität der Gefahrenabwehr nicht direkt selbst steuern kann, da es ihm nicht möglich ist, die Produkteigentümer zur Rückgabe ihrer Produkte zu zwingen. 400 Vielmehr hat er nur die Möglichkeit einer indirekten Einflussnahme, indem er das Angebot, das er den Produkteigentümern in Form des 399 Seeling, 79, spricht im Rahmen der Mängelbeseitigungspflicht von der „Pflicht zur Abgabe eines Angebotes auf Mängelbeseitigung“. 400 So auch Bodewig, 281; Kettler, PHi 2008, 52, 57; Krutein, DAR 1985, 33, 35 f.; Pannenbecker, 1, 129. Behördliche Zwangsmaßnahmen kommen allenfalls in Betracht, wenn die Produkteigentümer bekannt sind oder ausfindig gemacht werden können. Mit Ausnahme von Autos, über die beim Kraftfahrtbundesamt Buch geführt wird, dürfte dies für Massenprodukte wohl nie der Fall sein.
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Rückrufs unterbreitet, möglichst attraktiv gestaltet. Während Produkteigentümer auf das gleichsam nackte Angebot, das Produkt zurückzunehmen, nur in seltenen Fällen reagieren werden (etwa, wenn das Produkt kostenpflichtig entsorgt werden muss), stehen die Chancen wesentlich besser, wenn der Hersteller beispielsweise die kostenlose Nachrüstung des Produkts offeriert. Stellt der Hersteller dem Produkteigentümer aber – sei es durch Reparatur, sei es durch Umtausch – ein fehlerfreies Produkt zur Verfügung, dann befriedigt er damit auch das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Eigentümers. Misst man der Rückrufpflicht einen solchen Inhalt bei, wird dadurch im ureigensten Territorium des vertraglichen Gewährleistungsrechts „gewildert“. Daraus ergibt sich die Brisanz der Festlegung des Inhalts der Rückrufpflicht: effektive Gefahrenabwehr einerseits und Schutz des Nutzungs- und Äquivalenzinteresses andererseits sind nur äußerst schwer voneinander zu trennen. Im Folgenden wird aufgezeigt, wie deutsche Rechtsprechung und Lehre mit diesem Grenzfall umgehen und welche Konsequenzen sie daraus für die Rückrufpflicht ziehen. Ausgewählte Aspekte der Diskussion werden anschließend kritisch hinterfragt. (i) Rechtsprechung und Schrifttum Aus der Notwendigkeit dieser Grenzziehung zwischen deliktsrechtlichen und vertragsrechtlichen Ansprüchen wird teilweise gefolgert, dass Inhalt der Rückrufpflicht nicht sein könne, dem Eigentümer ein fehlerfreies Produkt zur Verfügung zu stellen, sei es durch Nachrüstung, Reparatur oder Umtausch. 401 Andernfalls würden die gewährleistungsrechtlichen Verjährungsregeln umgangen und eine „deliktische Gewährleistung“ 402 geschaffen. 403 Eine solche Rechtsfortbildung müsse jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben. 404 401
OLG Düsseldorf, 31.05.1996, NJW-RR 1997, 1344, 134 (Kunststoffkugelpfannen): Rückrufpflicht umfasst maximal Entfernung des gefährlichen Teils; Dietborn/ A. Müller, BB 2007, 2358, 2362; Pieper, BB 1991, 985, 988; Tamme, 157 f. lehnt diese Maßnahmen für alle Produkte ab, die aufgrund des Mangels nicht mehr funktionsfähig sind (siehe auch S. 91, Fn. 415 unten). 402 Den Begriff hat K. Mayer, BB 1984, 568, 571 geprägt, der ihn jedoch anders als die meisten, die ihn später verwendeten, durchaus in einem positiven Sinne verstanden wissen wollte. So schreibt er ibid.: „[E]ine konsequente Weiterentwicklung anerkannter Rechtsgrundsätze [spricht] für die Anerkennung einer ‚deliktischen Gewährleistung‘.“ 403 Brüggemeier, ZHR 152 (1988), 511, 526; Pauli, PHi 1985, 132, 147; ähnlich Löwe, DAR 1978, 288, 294, der von einer „nahezu immerwährenden ‚Herstellergewährleistungshaftung‘“ spricht. 404 Pieper, BB 1991, 985, 992.
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Die herrschende Meinung schließt hingegen zu Recht nicht aus, dass Nachrüstung, Reparatur und Umtausch Inhalt der Rückrufpflicht sein können. 405 Soweit solche Maßnahmen nötig sind, um die von dem Produkt ausgehende Gefahr zu beseitigen, dienen sie dem Schutz von Integritätsinteressen und sind nach dieser Ansicht daher deliktsrechtlich zu fordern. Wo es dadurch zu einem gleichsam reflexartigen Schutz von Nutzungsund Äquivalenzinteressen kommt, ist dies aufgrund der zwischen vertraglicher Gewährleistung und Deliktsrecht bestehenden Anspruchskonkurrenz hinzunehmen. 406 Als erste Schritte werden vom Hersteller die Benachrichtigung der Produkteigentümer/-nutzer 407 sowie die Überprüfung der Produkte auf ihre Fehlerhaftigkeit 408 verlangt. Je nach Art und Behebbarkeit des Fehlers wird darüber hinaus differenziert, was vom Hersteller zum wirksamen Schutz der Integritätsinteressen zu fordern ist. (1) Nachrüstung Am meisten Einigkeit besteht wohl im Fall der Nachrüstung bzw. Reparatur, in dem die Gefährlichkeit des Produkts beispielsweise durch das Anbringen eines zusätzlichen Schutzes behoben werden kann. Man denke beispielsweise an das nochmalige Verschweißen einer unsicher verschweißten Stelle oder das Befestigen einer Haltevorrichtung, um ungewollte Kontakte eines Kabels zu verhindern. In derartigen Situationen bedingt die Beseitigung der Gefahr zwangsläufig den Schutz des Nutzungsund Äquivalenzinteresses. Da sich dieser faktisch nicht verhindern lässt, wird die Nachrüstung auf Kosten des Herstellers hier befürwortet. 409
405 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 12 (Pflegebetten); Bodewig, 280 ff.; Burckhardt, BB 2009, 630, 631; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 326, 367 ff.; Kettler, PHi 2008, 52, 58 ff.; Koch, AcP 203 (2003), 603, 625 ff. (zum Anspruch); Kreidt, 189 f.; Pannenbecker, 130 ff.; Rettenbeck, 116 ff. (zum Anspruch); Schulenberg, 48 ff.; Seeling, 81 ff. 406 Zum Konkurrenzverhältnis zwischen Vertragsrecht und Deliktsrecht im Hinblick auf die Rückrufpflicht zuletzt ausführlich Kreidt, 208 ff. mit umfassenden Nachweisen. 407 Dietrich, 172 m.w.N.; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 367; zu den verschiedenen Möglichkeiten der Benachrichtigung einschließlich der Möglichkeit eines sogenannten „stillen Rückrufs“ ausführlich Tamme, 211 ff. 408 Dietrich, 172; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 367; Kreidt, 189; K. Mayer, DB 1985, 319, 324. 409 J. Hager, VersR 1984, 799, 804; Pannenbecker, 130 f. Von vielen Autoren wird dieser Fall nicht separat erörtert, sondern wohl schlicht als Reparatur aufgefasst, bei welcher sich die Frage nach der Trennung von Aus-, Einbau- und Materialkosten nicht stellt; siehe etwa Bodewig, 284 f.
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(2) Austausch des fehlerhaften Teils Anders stellt sich die Situation jedoch dar, wenn der Produktfehler durch den Austausch eines fehlerhaften Einzelteils behoben werden kann. Einer Meinung zufolge hat der Hersteller dann nur die Kosten des Ausbaus des defekten Teils zu tragen. 410 Schließlich reiche dies zur Gefahrenabwehr aus und jede weitere Maßnahme bedeute wiederum den Schutz des Nutzungs- und Äquivalenzinteresses. Andere Autoren sind der Ansicht, dass in diesem Fall zwar die Aus- und Einbaukosten vom Hersteller zu tragen seien, nicht jedoch die Materialkosten. 411 Wiederum andere wollen den Hersteller die gesamten Kosten dafür tragen lassen, dass das Produkt wieder in einen fehlerfreien und gebrauchstauglichen Zustand versetzt wird. 412 Anders sei die Ungefährlichkeit des Produkts nicht zu gewährleisten. Eine differenzierte Ansicht lässt den reinen Ausbau jedenfalls dann nicht ausreichen, wenn der Fehler in einer mangelhaften Sicherungsvorrichtung liegt. 413 (3) Unbehebbarer Fehler Schließlich ist noch die Situation denkbar, in der die Gefährlichkeit des Produkts nicht behoben werden kann, sei es aus faktischen oder aus wirtschaftlichen Erwägungen. Nach einer Ansicht hat der Hersteller dann die Wahl zwischen dem kostenlosen Austausch des Produkts und der Rückerstattung des Kaufpreises. 414 Mitunter wird dies jedoch abgelehnt, wenn das Produkt aufgrund der Fehlerhaftigkeit wertlos ist, da dann dem Produkteigentümer der Verzicht zugemutet werden könne, weil sein Eigentum nicht betroffen sei. 415 410 Frick/Kluth, PHi 2006, 206, 212 f.; wohl auch Pieper, BB 1991, 985, 988 (maximal Pflicht zur Wegnahme des gefährlichen Teils); kritisch dazu: J. Hager, VersR 1984, 799, 806; Kreidt, 190; Tamme, 135. 411 Koch, AcP 203 (2003), 603, 626; K. Mayer, DB 1985, 319, 324 f. 412 J. Hager, VersR 1984, 799, 806 (zum Anspruch); Pannenbecker, 130 f.; Rettenbeck, 117, allerdings unter Anrechnung eines Abzugs „neu für alt“; so wohl auch Schulenberg, 50, wenn innocent bystanders gefährdet sind. 413 Schulenberg, 48 f. 414 Pannenbecker, 132; Rettenbeck, 117, allerdings auch hier wieder unter Anrechnung eines Abzugs „neu für alt“ (ibid., 117 f.); Tamme, 139 ff.; lediglich für Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises: Michalski, BB 1998, 961, 965. 415 J. Hager, VersR 1984, 799, 804 f.; K. Mayer, DB 1985, 319, 325; Rettenbeck, 117 f.; ähnlich Frick/Kluth, PHi 2006, 206, 212 (wenn gesamtes Produkt von anfänglichem Mangel erfasst); mit Einschränkungen hinsichtlich der Wertlosigkeit als brauchbares Kriterium auch Schulenberg, 51 f. Im Ergebnis lehnt auch Tamme, 157 f., Austausch und Kaufpreisrückerstattung in diesen Fällen ab (ebenso wie bei behebbaren Defekten); maßgeblich ist für ihn jedoch, dass das gefährliche Produkt aufgrund des Mangels nicht weiter benutzt werden kann, so dass es Dritten nicht gefährlich werden kann.
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(4) Modifizierungen im Hinblick auf die Kostentragung Wird eine Pflicht zum Umtausch oder zur Kaufpreisrückzahlung bejaht, so herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass dabei die nicht durch den Fehler bedingten Abnutzungen des zurückgerufenen Produkts abgezogen werden müssen. Daraus folgt bei Rückzahlung des Kaufpreises ein Abzug „neu für alt“, bei Umtausch des fehlerhaften Produkts gegen ein neues eine entsprechende Verpflichtung des Eigentümers zur Zuzahlung. 416 Nach demselben Grundsatz wird teilweise auch ein Abzug bei ansonsten kostenlosem Einbau eines neuen Teiles vorgeschlagen. 417 Der Grund für diese Abzüge liegt jeweils darin, dass der Produkteigentümer durch die Rückrufaktion nicht besser gestellt werden soll, als es der Fall wäre, wenn das Produkt von vornherein ohne den Fehler produziert worden wäre. 418 Innerhalb derer, die grundsätzlich Nachrüstung, Reparatur, Umtausch und Kaufpreisrückzahlung als Maßnahmen im Rahmen einer Rückrufpflicht bejahen, gibt es noch eine Reihe von unterschiedlichen Abstufungen, die sich teilweise auch mit der Frage decken, ob das Bestehen einer Rückrufpflicht bejaht wird. So wird die Pflicht zur umfassenden Fehlerbehebung von einigen beispielsweise auf Fälle des Konstruktions- und Fabrikationsfehlers bei Gefährdung von Personen begrenzt, 419 von anderen auf Fälle der Gefährdung von bystanders 420. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Pflegebetten-Fall soll es jedoch eine Rolle spielen, ob durch die jeweilige angebotene Maßnahme der Anreiz für die Produkteigentümer/-nutzer groß genug ist 421 und ob diesen die Nachrüstung oder Ersatzbeschaffung auf eigene Kosten zugemutet werden kann 422. In diesem Zusammenhang wird vereinzelt sogar diskutiert, ob der Hersteller verpflichtet sein kann, zusätzliche Anreize dafür zu setzen, dass die Endabnehmer der Aufforderung zum Rückruf Folge leisten. 423 Ein solcher Anreiz könnte beispielsweise darin bestehen, denjenigen Eigentümern, die ihr Produkt zur Reparatur bringen, eine zu416 Der Vorschlag, die Grundsätze des Abzugs „neu für alt“ im Rahmen der Rückrufpflicht entsprechend anzuwenden, findet sich, soweit ersichtlich, zuerst bei Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063 f. Ebenso Bodewig, 286 f.; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 368; Kreidt, 192; Pannenbecker, 132; ausführlich Tamme, 143 ff. 417 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063; Pannenbecker, 131; Rettenbeck, 117. 418 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063; ebenso Pannenbecker, 131; Rettenbeck, 117. 419 Michalski, BB 1998, 961, 965; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061. 420 Bodewig, 281 ff.; Tamme, 135 ff. 421 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 11 (Pflegebetten): weitergehende Sicherungspflichten kämen dann in Betracht, wenn „Grund zu der Annahme besteht, [die Produktnutzer] würden sich – auch bewusst – über die Warnung hinwegsetzen und dadurch Dritte gefährden.“ 422 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1082, E. 20 (Pflegebetten). 423 Bodewig, 287 f. (für Ausnahmefälle bejahend).
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sätzliche Prämie auszuzahlen. Dadurch ließen sich die Erfolgsquote einer Rückrufaktion und damit die Sicherheit erhöhen. (5) Weitere Kosten Hinsichtlich weiterer Kosten, die durch den Rückruf entstehen, herrscht überwiegend Einigkeit. So soll der Hersteller in aller Regel die Kosten für die Überprüfung der möglicherweise fehlerhaften Produkte 424 sowie – wenn keine Reparatur stattfindet – für die Entsorgung 425 tragen. Wenn das Produkt zum Hersteller oder einer anderen Reparaturstelle transportiert werden muss, soll hingegen der Eigentümer diese Kosten übernehmen. 426 Vermögensfolgeschäden beispielsweise in Form von Nutzungsausfall während der Dauer der Reparatur sind dem Eigentümer nach nahezu einhelliger Meinung ebenfalls nicht zu ersetzen. 427 Dabei handele es sich nämlich um genuinen Schutz des Äquivalenzinteresses. (6) Wahlrecht des Herstellers Allgemein anerkannt scheint schließlich zu sein, dass es in der Regel dem Hersteller überlassen ist auszuwählen, welche von mehreren möglichen Maßnahmen er ergreifen will, solange dadurch die Gefahr effektiv beseitigt wird. 428 So soll es ihm insbesondere freistehen, auf eine Überprüfung aller Produkte zu verzichten, wenn diese ihm zu aufwendig erscheint, und stattdessen allen Eigentümern ein Ersatzprodukt zur Verfügung zu stellen, den Kaufpreis zurückzuerstatten oder bei allen Produkten mit einem potentiell gefährlichen Einzelteil dieses Teil austauschen. 429 424
Löwe, DAR 1978, 288, 292; siehe hierzu auch die bereits auf S. 90 in Fn. 408 erwähnten Autoren. 425 J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 25 (nur bei Gefahren, die spezielle Entsorgung nötig machen); K. Mayer, DB 1985, 319, 325; Tamme, 138; a.A. Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 516 (außer bei gesetzlicher Verantwortung des Herstellers für die Entsorgung). 426 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 367, Pannenbecker, 129 f. (jeweils soweit der Transport ohne größere Umstände möglich ist); K. Mayer, DB 1985, 319, 325 (Mitwirkungspflicht des Eigentümers); differenzierend Seeling, 85 f. (je nachdem, ob der Eigentümer das Produkt ursprünglich abgeholt oder geliefert bekommen hat); a.A. Tamme, 138; Dietborn/A. Müller, BB 2007, 2358, 2360. 427 G. Hager, AcP 184 (1984), 413, 425; Kettler, PHi 2008, 52, 60; Mertens in MüKoBGB3, § 823, Rz. 289; Michalski, BB 1998, 961, 965; Pannenbecker, 132; Rettenbeck, 118 (zum Anspruch); Schulenberg, 53; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1064; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 519; Tamme, 150 ff.; a.A. aber Koch, AcP 203 (2003), 603, 626. 428 Bodewig, 282; Bodewig, DAR 1996, 341, 344; K. Mayer, DB 1985, 319, 324; Tamme, 142 f. 429 Tamme, 142, 154.
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(ii) Kritikpunkte Im Folgenden sollen zwei Aspekte hervorgehoben werden, die in der bisherigen deutschen Diskussion wesentlich zu kurz kommen (die Effektivität der Gefahrenabwehr) bzw. gar nicht beachtet werden (die Konsequenzen des Verzichts auf die Überprüfung der Produkte). Beide Punkte führen in bestimmten, durchaus häufig anzutreffenden Konstellationen zu einer wesentlich veränderten Bestimmung des Inhalts der Rückrufpflicht. (1) Effektivität der Gefahrenabwehr Der Bundesgerichtshof hat im Pflegebetten-Fall den Gedanken der effektiven Gefahrenabwehr zum Maßstab für die Rückrufpflicht erhoben. 430 Während dies oben 431 insofern kritisiert wurde, als die Erforderlichkeit eines Rückrufs nicht deswegen verneint werden darf, weil der Hersteller sich darauf verlassen kann, dass eine andere Person die direkte Gefahrenbeseitigung vornimmt, ist dieser Aspekt gleichwohl in der Frage nach dem Inhalt der Rückrufpflicht erneut zu betrachten. Die oben geäußerte Kritik richtet sich dagegen, mithilfe dieses Kriteriums auf Kosten anderer ein Maximum an Reaktionspflicht für den Hersteller zu definieren. Um hingegen ein Minimum an Gefahrenbeseitigungspflicht festzulegen, kann und sollte der Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr sehr wohl berücksichtigt werden. Genau diesen Aspekt stellt der Bundesgerichtshof in den Vordergrund, wenn er weitergehende Sicherungspflichten (inklusive kostenloser Nachrüstung durch den Hersteller) dann in Betracht zieht, wenn „Grund zu der Annahme besteht, [die Produktnutzer] würden sich – auch bewusst – über die Warnung hinwegsetzen und dadurch Dritte gefährden.“ 432 Damit verleiht der Bundesgerichtshof dem Gedanken Ausdruck, dass der deliktsrechtlichen Pflicht zur Gefahrenbeseitigung erst dann Genüge getan ist, wenn der Schutz der entsprechend geschützten Rechtsgüter tatsächlich gewährleistet ist. 433 Leitlinie für den Inhalt der Rückrufpflicht muss demnach sein, dass dieser so „attraktiv“ ausgestaltet sein muss, dass die Produkteigentümer/-nutzer den Rückruf befolgen. Diese Anforderung ist das Resultat daraus, dass dem Hersteller in Sachen Ge-
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BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081 f., E. 12, 16 ff. (Pflegebetten). Siehe S. 58 ff. 432 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1081, E. 11 (Pflegebetten). 433 Insoweit kann der deliktsrechtliche Schutz auch nicht dadurch beschränkt werden, dass das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Eigentümers gleichsam reflexartig mitgeschützt wird, Burckhardt, BB 2009, 630, 631 (die kostenlose Reparatur dient in diesen Fällen ausschließlich der Gefahrbeseitigung); ähnlich Bodewig, 211, 281, 412 f.; Kreidt, 190 ff. (unter Umständen unter Kostenbeteiligung des Eigentümers). 431
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fahrenabwehr die Hände gebunden sind, wenn die Produkteigentümer/ -nutzer nicht aus freien Stücken an der Rückrufaktion teilnehmen. 434 (a) Grundlagen Zur Entscheidung der Frage, wie ein Rückruf inhaltlich ausgestaltet sein muss, um die drohende Gefahr effektiv zu beseitigen, sind zwei wesentliche Aspekte zu berücksichtigen. Erstens wird es wohl nie einen Rückruf geben, bei dem eine 100-prozentige Erfolgsquote erreicht wird. 435 Die aus der Praxis bekannten Zahlen schwanken vielmehr zwischen 8 Prozent bei Haushaltswaren wie Töpfen und Geschirr, 23 Prozent bei Spielzeug, 44 Prozent bei elektronischen Artikeln 436 und über 70 (mit zweifacher Nachfassaktion sogar bis zu 97) Prozent 437 im Bereich der Kraftfahrzeuge, in dem Rückrufe unter äußerst vorteilhaften Bedingungen vorgenommen werden 438. Im Durchschnitt liegt die Erfolgsquote von Rückrufaktionen unter 50 Prozent. 439 Mangels Alternativen wird man sich deswegen damit zufriedengeben müssen, auf durchschnittliche Produkteigentümer/-nutzer abzustellen und zu versuchen, diese zur Befolgung des Rückrufaufrufs zu motivieren, ohne dass dadurch die Produktgefahr in Gänze beseitigt werden kann. Zweitens muss die zu erwartende Reaktion der Produkteigentümer/ -nutzer berücksichtigt werden. Allerdings ist es im Einzelfall äußerst schwierig zu bestimmen, welche Rückrufmaßnahmen zur Motivation der Eigentümer ausreichen werden. Zwar mangelt es nicht an wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen sowie psychologischen Studien, die sich damit auseinandersetzen, wie ein Rückruf gestaltet sein muss, um optimale Wirkung zu erzielen. 440 Weit überwiegend befassen sich diese Studien jedoch 434 Dazu und zu den Grenzen öffentlich-rechtlicher Durchsetzungsmechanismen siehe bereits oben S. 88 f. und dort Fn. 400. 435 So auch Pannenbecker, 104. 436 Diese Zahlen sind die Ergebnisse einer Studie im Auftrag des britischen Consumer Affairs Directorate aus dem Jahr 2000, die 76 Rückrufaktionen zwischen 1990 und 1996 untersuchte, Consumer Affairs Directorate, Product Recall Research, 2000, 27. 437 Zahlen von Pietsch, dem Leiter des Sachgebiets Produktsicherheit/Rückrufe beim deutschen Kraftfahrt-Bundesamt, zitiert nach Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1606, Fn. 70. 438 Die günstigen Bedingungen für einen Rückruf im Kfz-Bereich sind eine Kombination mehrerer Faktoren: mithilfe der Behörden können alle Halter einzeln angeschrieben werden, und Kraftfahrzeuge sind hochwertige und langlebige Produkte, die gleichzeitig ein hohes Gefahrenpotential bergen; darüber hinaus pflegen die Automobilhersteller eine enge Kundenbindung über ihre Vertragswerkstätten, in die die Fahrzeuge ohnehin zu regelmäßigen Kontrollen gebracht werden. 439 Thürmann, NVersZ 1999, 145, 146. 440 Für einen umfassenden Überblick über Studien, die die Wirksamkeit von Rückrufen betreffen, siehe die Zusammenstellung bei CPSC, Recall Effectiveness Research,
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mit der im Rahmen dieser Arbeit nicht zu behandelnden Frage, wie ein Rückrufaufruf am besten kommuniziert wird. Dabei wird entweder vorausgesetzt, dass der Hersteller das Produkt auf seine Kosten nachrüstet, umtauscht usw., oder dieser Aspekt wird überhaupt nicht erwähnt. 441 Nichtsdestotrotz lassen sich einigen Veröffentlichungen klare Tendenzen entnehmen in Bezug auf die Bereitschaft von Verbrauchern 442, an einem Rückruf mitzuwirken. Es ist empirisch belegt, dass die Kosten, die eine Rückrufaktion dem Verbraucher verursacht, einen enormen Einfluss auf die Wirksamkeit des Rückrufs haben. 443 Dies gilt nicht nur für Kosten, die direkt dazu dienen, ein funktionsfähiges, fehlerfreies Produkt vom Hersteller (zurück) zu erhalten, wie insbesondere Zuzahlungen, sondern beispielsweise auch für Transportkosten. 444 Darüber hinaus kann auch ein Mangel an (kurz- oder langfristigem) Ersatz Verbraucher maßgeblich davon abhalten, einem Rückruf Folge zu leisten. 445 Freilich wäre es wünschenswert, über präzisere Daten über die tatsächliche Wirksamkeit von inhaltlich unterschiedlich ausgestalteten Rückrufen zu verfügen. 446 Nur weil dies nicht der Fall ist, darf das vorhandene Wissen bei der Bestimmung des Inhalts der Rückrufpflicht jedoch nicht außer Acht gelassen werden. 447 Im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr muss diesem Verbraucherverhalten bei der Bestimmung des Inhalts der Rück-
2003, für die im Auftrag der US-amerikanischen Consumer Product Safety Commission rund 200 Studien ausgewertet wurden. 441 Dies dürfte der – vor allem in den USA, aber in geringerem Ausmaß auch in Europa – weit verbreiteten Praxis geschuldet sein, dem Eigentümer wieder ein funktionsfähiges Produkt zur Verfügung zu stellen. 442 Soweit ersichtlich wurden keine Fälle untersucht, in denen die Endabnehmer Unternehmen waren. 443 CPSC, Recall Effectiveness Research, 2003, 25 m.w.N. 444 CPSC, Recall Effectiveness Research, 2003, 25. 445 CPSC, Recall Effectiveness Research, 2003, 25 mit Verweis auf Warner, Recall Effectiveness and the Communications Clutter, Public Relations Quarterly, Fall 1980, 21–24, wonach beinahe die Hälfte derjenigen Verbraucher, die den Rückruf nicht befolgt hatten, als Grund angaben, dass es ihnen an einem alternativ zu verwendenden Produkt mangelte. 446 So auch Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1606. Solange die Hersteller ihre Rückrufe – aus gutem Grunde – nicht entsprechend den in der deutschen Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansichten wesentlich restriktiver ausgestalten, dürfte es allerdings auch schwierig bleiben empirisch nachzuweisen, welche Konsequenzen eine derartige Einschränkung hätte. 447 In Anbetracht der in der Lehre vertretenen Ansicht, die Rückrufpflicht dürfe nicht darauf hinauslaufen, dem Produkteigentümer auf Kosten des Herstellers ein funktionsfähiges Produkt zur Verfügung zu stellen, kann man sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass jedenfalls einige Juristen dies (bewusst oder unbewusst) tun.
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rufpflicht Rechnung getragen werden. 448 Die Berücksichtigung des Verhaltens der Verkehrsteilnehmer für die Bestimmung des Inhalts von Verkehrspflichten entspricht allgemeiner Ansicht. 449 In einem anderen Kontext hat der Europäische Gerichtshof im Übrigen auch den Einfluss von Kosten auf das Verbraucherverhalten in seine Überlegungen miteinbezogen. 450 (b) Fälle der Notwendigkeit der umfassenden Kostentragung Diese Überlegungen können jedoch nicht dazu führen, dass der Hersteller in jedem Fall zu einem Rückruf mit vollständiger Kostenübernahme für Nachrüstung, Reparatur, Umtausch und dergleichen verpflichtet ist. Eine derart umfassende Definition des Inhalts der Rückrufpflicht ist aber aufgrund des bekannten Verbraucherverhaltens angebracht, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Die betreffenden Produkte befinden sich erstens in den Händen von Verbrauchern, von ihnen geht zweitens eine Gefahr für die Rechtsgüter anderer aus 451 und drittens ist damit zu rechnen, dass die Produkteigentümer/-nutzer aufgrund der Bedeutung der Produkte für ihren Alltag nicht bereit sein werden, auf ihre Benutzung zu verzichten. 452 Als Anhaltspunkt für die Bereitwilligkeit der Verbraucher, 448 So auch Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1606; ebenfalls bereits König, 77, mit Blick auf die Gefahrenabwehrpflicht nach § 4 Abs. 2 Ziff. 2 des alten deutschen Produktsicherheitsgesetzes in der Fassung vom 22.04.1997 (BGBl. 1997 I 934; in Kraft 1997–2004): „Ist es für den Hersteller offensichtlich, dass sich ein Verbraucher nur an einer Rückrufaktion beteiligen wird, wenn für ihn keine finanziellen Einbußen zu befürchten sind, sind finanzielle Anreize zu schaffen. Insbesondere bei kostspieligen Anschaffungen würden ansonsten viele Nutzer bewusst ein Sicherheitsrisiko eingehen.“ In diese Richtung auch OLG München, 18.02.1998, NJW-RR 1999, 1657, 1658 (Gasheizdeckel) zum Bestehen einer Rückrufpflicht: Der Bedarf der Benutzer von Freizeit(!)Fahrzeugen an Beheizung und Warmwasserversorgung wurde als maßgeblicher Faktor in der Entscheidung, dass „Gefahrabwendung durch Hinweise und Warnungen nur unzureichend sichergestellt“ werden konnte, angesehen, weswegen die Rückrufpflicht bejaht wurde. 449 Statt aller Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 234 ff., 245 mit zahlreichen Nachweisen. 450 EuGH, 16.06.2011, NJW 2011, 2269, 2271, E. 46 (Putz/Weber); EuGH, 17.04.2008, NJW 2008, 1433, 1434, E. 34 (Quelle AG). Freilich hat insbesondere das erstgenannte Urteil zu harscher Kritik im deutschen Schrifttum geführt (siehe statt aller nur S. Lorenz, NJW 2011, 2241 ff.). Diese betrifft jedoch nicht den hier interessierenden Aspekt der Bedeutung von Kosten für das Verbraucherverhalten. 451 Wenn das betreffende Produkt ausschließlich die Rechtsgüter des Eigentümers bzw. Nutzers gefährdet (was allerdings selten der Fall sein wird, siehe dazu oben S. 83), so kann dieser regelmäßig eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen und ein überschießender Schutz erscheint nicht nötig, siehe hierzu Bodewig, 281 ff. 452 Ähnlich auch König, 77, die darauf abstellt, ob Produkte den Lebensunterhalt sichern und ihre erneute Anschaffung für den Verbraucher eine übermäßige finanzielle Belastung darstellt (zur Gefahrenabwehrpflicht nach § 4 Abs. 2 Ziff. 2 des alten deut-
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auf die Produkte zu verzichten, kann der Katalog der unpfändbaren Sachen in § 811 ZPO-D 453 herangezogen werden. Darin sind diejenigen Sachen aufgelistet, die zur Gewährleistung des Existenzminimums im Sinne einer „angemessenen, bescheidenen Lebens- und Haushaltsführung“ benötigt werden. 454 Dazu gehören insbesondere Kleidungsstücke, Betten, Haus- und Küchengerät 455 sowie Prothesen, Brillen und ähnliche Hilfsmittel 456, in eingeschränktem Umfang auch Autos 457. Es ist darauf hinzuweisen, dass hier nicht die Ansicht vertreten wird, es gelte über die Rückrufpflicht das Nutzungsinteresse an den als unpfändbar betrachteten Gegenständen zu schützen. Vielmehr wird lediglich vorgeschlagen, diesen Katalog in Ermangelung anderer Maßstäbe als Orientierungshilfe dafür zu verwenden, bei welchen Produkten davon auszugehen ist, dass der Eigentümer oder Nutzer sich schwer tun wird, auf sie zu verzichten. In diesen Fällen erscheint es unwahrscheinlich, dass ein Rückruf, in dessen Folge dem Eigentümer bzw. Nutzer nicht auf Kosten des Herstellers ein funktionsfähiges Produkt zur Verfügung gestellt wird, als effektive Maßnahme zur Gefahrenabwehr anzusehen ist. (c) Abzug „neu für alt“ Auch an dem in der Literatur einhellig geforderten Abzug „neu für alt“ im Rahmen von Rückrufaktionen 458 bestehen ernsthafte Zweifel im Hinblick auf die Effektivität der mit dem Rückruf beabsichtigten Gefahrenabwehr. Darüber hinaus bestehen auch systematische Bedenken. Zum einen ist in Anbetracht des Einflusses von Kosten auf die Bereitschaft der Verbraucher, einem Rückruf Folge zu leisten, davon auszugehen, dass jedenfalls eine Pflicht zur Zuzahlung – sei es für eine Reparatur schen Produktsicherheitsgesetzes in der Fassung vom 22.04.1997 (BGBl. 1997 I 934; in Kraft 1997–2004)). 453 Deutsche Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. 2005 I 3202 (2006 I 431) (2007 I 1781)). 454 Becker in Musielak, § 811, Rz. 1. 455 § 811 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO-D. Insoweit hier im Rahmen der Zwangsvollstreckung auf die persönlichen Verhältnisse des Schuldners abgestellt wird, wird dieser Aspekt bei der Bestimmung des Inhalts der Rückrufpflicht regelmäßig keine Rolle spielen. Etwas anderes ist allerdings denkbar, wenn ein bestimmtes Produkt überwiegend von Personen mit einem bestimmten Lebensstandard benutzt und von diesen üblicherweise als schwer verzichtbar erachtet wird. Dabei könnte beispielsweise an hochwertige Espressomaschinen zu denken sein. 456 § 811 Abs. 1 Ziff. 12 ZPO-D. 457 Voraussetzung ist im Wesentlichen, dass der Schuldner auf das Fahrzeug für seine Arbeit oder in sonstiger Weise angewiesen ist; siehe hierzu die Übersicht bei Gruber in MüKoZPO, § 811, Rz. 62. 458 Zu diesen Vorschlägen siehe oben S. 92 mit entsprechenden Nachweisen.
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oder für ein Austauschprodukt – einen signifikant negativen Einfluss auf die Rücklaufquoten hätte. In eingeschränkter Form ist dies auch bei Rücknahme des Produkts gegen Kaufpreisrückzahlung zu erwarten, wenn der zurückzuerstattende Betrag wegen Wertverlusts des Produkts gekürzt wird. Zwar ist es richtig, wie Tamme hervorhebt, dass der Produkteigentümer keinen Vorteil erzielt, wenn er unter diesen Umständen einem Rückruf nicht nachkommt und dadurch den Abzug umgeht. 459 Entscheidend ist jedoch, dass er es in vielen Fällen zumindest als Nachteil empfinden wird, ein zwar offenbar gefährliches, aber bisher doch einwandfrei funktionierendes Produkt zurückzugeben und dafür zu zahlen, dass es repariert oder ausgetauscht wird. Zudem kann der zu zahlende Betrag sich für den Einzelnen über den rein gefühlten Nachteil hinaus aufgrund knapper Finanzen tatsächlich als prohibitiv darstellen. Ähnlich liegen die Fälle, in denen der reduzierte Betrag, den der Eigentümer bei der sogenannten Kaufpreisrückzahlung erstattet erhält, nicht für den Kauf eines vergleichbaren, gegebenenfalls gebrauchten Produkts ausreicht. In derartigen Situationen kann es für den Produkteigentümer/-nutzer attraktiver sein, sich mit dem sprichwörtlichen Spatz in der Hand zu begnügen, so dass die Effektivität der Gefahrenabwehr durch einen Abzug „neu für alt“ beeinträchtigt würde. Die zweite Überlegung, die gegen die Anwendung der Grundsätze des Abzugs „neu für alt“ im Rahmen der Rückrufpflicht spricht, ist systematischer Natur. Es stellt sich die generelle Frage, ob schadensrechtliche Grundsätze für die Bestimmung des Inhalts der Rückrufpflicht überhaupt maßgeblich sein können. 460 Schließlich stellt die Kostentragung durch den Hersteller keinen Schadensersatz für den Eigentümer oder Nutzer des Produkts dar. 461 Vielmehr dient sie, wie oben 462 ausgeführt, allein der effektiven Abwendung der Gefahr und muss sich an diesem Ziel orientieren. Der Gedanke, dass ein Vorteil für einen anderen eine Begrenzung der Verhaltenspflicht des Verkehrspflichtigen zur Folge haben könnte, ist der Verkehrspflichtendiskussion hingegen fremd. 463 So wird beispielsweise die Pflicht zum Fällen morscher Bäume, die auf das Grundstück des Nachbarn zu fallen drohen, nicht deswegen eingeschränkt, weil ihre Erfüllung eine
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Tamme, 145. Von allen Befürwortern des Abzugs „neu für alt“ hat sich, soweit ersichtlich, bisher lediglich Tamme, 144 f. mit dieser Frage auseinandergesetzt. 461 So sehr deutlich Bodewig, 281, und Bodewig, DAR 1996, 341, 344. 462 S. 94 f. 463 Tamme, 144 f., argumentiert insofern zu sehr aus der schadensrechtlichen Perspektive und übersieht, dass es den Inhalt der Verkehrspflicht erst zu definieren gilt; er hält den Abzug „neu für alt“ für zulässig, da es einleuchtend sei, dass der Hersteller nicht mit dem Ausgleich für den normalen Verschleiß zu belasten ist, und vermag durch den Abzug keine Beeinträchtigung des Ziels der Schadensprävention zu erkennen. 460
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Wertsteigerung des Nachbargrundstücks aufgrund des vermehrten Sonneneinfalls zur Folge hätte. Selbst wenn man dennoch die schadensrechtlichen Wertungen auf die Festlegung des Inhalts der Verkehrspflicht übertragen wollte, erscheint dies aufgrund der einzelfallabhängigen Bestimmung des Abzugs „neu für alt“, wie sie innerhalb des Schadensrechts vorgenommen wird, kaum möglich. Dort ist ein Abzug jeweils davon abhängig, ob die neue oder reparierte Sache gerade für den konkreten Geschädigten einen Mehrwert darstellt. 464 So kommt es beispielsweise entscheidend darauf an, ob der Geschädigte die neue Sache tatsächlich länger verwendet, als es ihm mit der alten möglich gewesen wäre, oder ob er den Zugewinn an Wert durch einen Verkauf realisiert. 465 Wenn dies nicht der Fall ist, wird auch kein Abzug vorgenommen, so beispielsweise bei Ersatz eines erst sehr kurz verwendeten Fahrzeugs durch einen Neuwagen. 466 Ausgeschlossen ist ein Abzug auch, wenn er dem Geschädigten aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation unzumutbar ist. 467 Während es über diese differenzierte Einzelfallbetrachtung im Schadensrecht also möglich ist, einen Abzug „neu für alt“ tatsächlich auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen der Geschädigte einen spürbaren und nutzbaren Wertzuwachs erhält, scheidet eine derartige Handhabung im Rahmen der Rückrufpflicht aus. Aufgrund des präventiven Charakters der Verkehrspflicht, die gerade alle Produkteigentümer/-nutzer gesamthaft erfassen muss, kann bei der Festlegung des Inhalts der Pflicht nicht auf individuelle Verhältnisse Rücksicht genommen werden, so dass sich auch aus diesem Grund der Abzug „neu für alt“ nicht angemessen auf die Rückrufpflicht übertragen lässt. Trotz dieser Zweifel an dem Vorschlag der Übernahme des Abzugs „neu für alt“ für die Rückrufpflicht ist es nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass es Fälle geben kann, in denen das Angebot einer Rückzahlung des gesamten Kaufpreises zur effektiven Gefahrenabwehr nicht nötig ist. Man denke beispielsweise an Gebrauchtwagen, die bereits drei Jahre oder länger gefahren wurden. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass Eigentümer sich eines deutlichen Wertverlusts bewusst sind und daher auch ein reduzierter Betrag Anreiz genug für sie darstellen könnte, das Fahrzeug dem Hersteller auszuhändigen. Voraussetzung dafür ist freilich stets die Existenz eines entsprechenden Gebrauchtwarenmarktes.
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BGH, 08.12.1987, NJW 1988, 1835, 1837; Oetker in MüKoBGB6, § 249, Rz. 349. Schiemann in Staudinger, § 249, Rz. 176 m.w.N. 466 BGH, 04.03.1976, NJW 1976, 1202, 1203; Schiemann in Staudinger, § 249, Rz. 176 m.w.N.; Schubert in BeckOK-BGB, § 249, Rz. 142 m.w.N. 467 Oetker in MüKoBGB 6, § 249, Rz. 348 m.w.N. 465
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Für derartige Situationen mag die US-amerikanische Regelung zum Rückruf von Verbraucherprodukten 468 zur Orientierung dienen. Danach kann der Hersteller bei Rückerstattung des Kaufpreises einen Abzug vornehmen, wenn der Eigentümer das Produkt bereits mindestens ein Jahr lang verwendet hat. In Fällen von Reparatur oder Austausch kommt eine Zuzahlung seitens des Verbrauchers hingegen in keinem Fall in Frage. In dieser Regelung kommen zwei wichtige Gedanken zum Ausdruck: zum einen, dass es einen Verbraucher eher von der Befolgung eines Rückrufs abhalten wird, wenn er selbst zur Zuzahlung verpflichtet wird, als wenn er eine reduzierte Rückzahlung erhält; zum anderen, dass ein Verbraucher sich nach einer einjährigen Gebrauchsdauer häufig auch eines gewissen Wertverlusts des Produkts bewusst ist und für diesen daher eher einen Abzug akzeptieren wird. In vielen Fällen erscheint es sachgerecht, sich an diese Wertungen der US-amerikanischen Regelung anzulehnen und einen Abzug nur bei Kaufpreisrückerstattung zuzulassen. Anstatt einer festen Mindestgebrauchsdauer von einem Jahr ist allerdings eine flexible Handhabung vorzuziehen, die die Einschätzung eines durchschnittlichen Verbrauchers im Hinblick auf den Wertverlust berücksichtigt. Als Ausgangspunkt für eine Einzelfallbetrachtung kann ein Viertel der üblichen Gebrauchsdauer des jeweiligen Produkts herangezogen werden. Entsprechend kommt ein Abzug bei einem modernen Smartphone bereits nach etwa einem halben Jahr, bei einem hochwertigen Kameraobjektiv möglicherweise aber erst nach acht Jahren in Betracht. Dagegen kann dem US-amerikanischen Ansatz dann nicht gefolgt werden, wenn es um den Rückruf kaum verzichtbarer Produkte geht, die Rechtsgüter Dritter gefährden und sich in den Händen von Verbrauchern befinden. Aus den oben 469 erörterten Gründen muss in diesen Fällen auf jeglichen Abzug verzichtet werden. (d) Weitere Kosten Vor dem Hintergrund der effektiven Gefahrenabwehr als Ziel des Rückrufs und der Tatsache, dass auch der kurzfristige Verzicht auf das Produkt ohne Ersatz leicht dazu führt, dass die Teilnahme an einer Rückrufaktion verweigert wird, ist auch die strikte Ablehnung der Zahlung von Nutzungsersatz in Frage zu ziehen. 470 Gleiches gilt für die Transportkosten sowie für die Möglichkeit zusätzlicher Anreizzahlungen oder sonstiger „Belohnun468
15 U.S.C. § 2064(d)(1)(C). S. 97 f. 470 Ähnlich wie im Hinblick auf den Abzug „neu für alt“ unterstellt Tamme, 150 ff., den Produkteigentümern/-nutzern auch in Bezug auf Vermögensfolgeschäden ein wesentlich rationaleres Verhalten als es von diesen regelmäßig erwartet werden kann. 469
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gen“ durch den Hersteller. Das Argument, Ersatz des Nutzungsausfalls, der Transportkosten etc. diene ausschließlich dem Schutz des Äquivalenzinteresses 471, kann bezüglich dieser Kosten nicht schwerer ins Gewicht fallen als im Hinblick auf das kostenlose Zurverfügungstellen eines funktionsfähigen Produkts durch den Hersteller. Während es in vielen Fällen angehen mag, auf Zahlungen dieser Art zu verzichten, sollten sie doch nicht kategorisch aus der Rückrufpflicht ausgeschlossen werden, sondern dann zum Inhalt der Rückrufpflicht zählen, wenn zu erwarten ist, dass anderenfalls die Befolgung des Rückrufaufrufs durch durchschnittliche Produkteigentümer/-nutzer nicht sichergestellt werden kann. 472 (e) Modifikationen Sind Produkte betroffen, die nicht unter den Katalog des § 811 ZPO-D fallen, können die hier aufgestellten Grundsätze nicht direkt angewandt werden. Zumindest in abgeschwächtem Maße sollten sie aber dennoch in Betracht gezogen werden. Im Hinblick auf die Produkteigentümer ist in Erinnerung zu rufen, dass auch bei der Festlegung des Inhalts der Rückrufpflicht auf die schutzbedürftigste Gruppe von Verkehrsteilnehmern abzustellen ist. Diese sind somit auch maßgeblich dafür, ob die hier aufgestellten Grundsätze anzuwenden sind. Abweichende Maßstäbe können insofern hinsichtlich des Inhalts der Rückrufpflicht insbesondere dann anzuwenden sein, wenn die Gesamtheit der Produkteigentümer rechtlich verpflichtet ist, die Sicherheit der Produkte zu gewährleisten. 473 Allerdings sollte gerade bei Unternehmen auch nicht aus den Augen gelassen werden, dass auf gewerblich genutzte Produkte unter Umständen nur unter großen Einbußen verzichtet werden kann (Stichwort Produktionsausfall) und daher in manchen Fällen die Bereitschaft zur Befolgung des Rückrufs ohne Zurverfügungstellen eines Ersatzes oder Zahlung von Nutzungsausfallkosten besonders gering sein kann. 471 So etwa Bodewig, 284, allerdings ohne dass ersichtlich wird, warum er diesem Argument bezüglich dieser Kosten Relevanz beimisst, während er es bezogen auf die Herstellung der Funktionsfähigkeit (zu Recht) als irrelevant erachtet, soweit dies für den Schutz des Integritätsinteresses erforderlich ist. Besonders bezeichnend für die im Schrifttum offenbar nicht näher begründete kategorische Ablehnung des Ersatzes von Vermögensfolgeschäden ist die apodiktische Aussage Kettlers „Der Anreiz muss Grenzen haben“ (PHi 2008, 52, 60). 472 So im Ergebnis für Transportkosten auch diejenigen Autoren, die bei hohem Aufwand die Kostentragung respektive den Transport durch den Hersteller verlangen (siehe dazu oben S. 93, Fn. 426); für zusätzliche Zahlungen als Anreiz: Bodewig, 287 f. 473 Siehe zu dieser Ausnahme bereits im Rahmen der Eignung der Warnung zur Gefahrenabwehr oben S. 57 f.
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Schließlich bleibt entsprechend den allgemeinen Zumutbarkeitserwägungen zu berücksichtigen, dass Abstriche von dieser umfassenden Rückrufpflicht wegen eines groben Missverhältnisses zu den dadurch entstehenden Kosten dann gemacht werden können, wenn ausschließlich Sachgüter gefährdet sind oder nur sehr geringfüge Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens drohen. (2) Verzicht auf Überprüfung Eine weitere wesentliche Einschränkung gilt es der Diskussion um den Inhalt der Rückrufpflicht hinzuzufügen. Wie oben 474 erörtert, sieht die herrschende Meinung in vielen Fällen vor, dass der Produkteigentümer/ -nutzer zu Zuzahlungen (bei Umtausch) oder zur Übernahme von Reparaturkosten verpflichtet ist bzw. Abzüge bei der Rückzahlung des Kaufpreises hinnehmen muss. Vor diesem Hintergrund erstaunt die Auffassung, dem Hersteller stehe es frei, auf eine Überprüfung der einzelnen Produkte zu verzichten und stattdessen für alle Produkte gleichermaßen Reparatur, Umtausch etc. anzubieten. 475 Hierbei scheint gänzlich außer Acht gelassen zu werden, dass damit auch Eigentümern tatsächlich fehlerfreier Produkte eine Kostenfolge aufgebürdet wird. Wodurch dies gerechtfertigt sein soll, bleibt offen. Wenn dem Hersteller ein Fabrikationsfehler unterlaufen ist, sind regelmäßig nicht sämtliche Produkte einer Serie fehlerhaft. In manchen Fällen wird der Hersteller in der Lage sein, die fehlerhaften Produkte auch ohne Überprüfung genau zu identifizieren, beispielsweise weil er weiß, dass alle Produkte an einem bestimmten Tag fehlerhaft hergestellt wurden und diese aufgrund aufgedruckter Nummern oder dergleichen eindeutig bestimmbar sind. Wesentlich häufiger kommt es jedoch vor, dass der Hersteller ohne Überprüfung nicht weiß, welche einzelnen Produkte von dem Fehler betroffen sind. Dann erstreckt sich der Rückruf als Konsequenz auf eine wesentlich größere Anzahl von Produkten, von denen unter Umständen der weit überwiegende Teil keinen Fehler aufweist. In einer solchen Situation können die Eigentümer der fehlerfreien Produkte nicht für die Gefahrenabwehr in die Verantwortung genommen werden, indem ihnen Reparaturkosten, Zuzahlungen oder Abzüge vom zurückerstatteten Kaufpreis aufgebürdet werden. Schließlich ist der Produkteigentümer ausschließlich für Gefahren verantwortlich, die von seinem Produkt ausgehen. 476 Wenn der Hersteller aber auf die Überprüfung sämtlicher zurückgegebenen Produkte verzichtet – sei es, weil dies technisch 474
Siehe S. 91, 92. Siehe oben S. 93 mit entsprechenden Nachweisen. 476 Gleichermaßen trifft den Produktnutzer nur eine Verantwortung für das von ihm benutzte Produkt. 475
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nicht möglich ist, sei es, dass es ihm aus Kostengründen nicht sinnvoll erscheint –, und von dem Wahlrecht Gebrauch macht, das ihm die herrschende Meinung zubilligt, indem er schlichtweg sämtliche Produkte repariert 477, nachrüstet, umtauscht, den Kaufpreis dafür erstattet oder sie sogar einfach nur entsorgt, so erfasst er damit auch alle fehlerfreien Produkte. Dagegen ist dann nichts einzuwenden, wenn sich für die Eigentümer der fehlerfreien Produkte daraus keine Kostenfolgen oder Nutzungsbeeinträchtigungen ergeben. Anderenfalls jedoch verletzt der Hersteller dadurch das Eigentum an den fehlerfreien Produkten. Aus dieser Überlegung folgt, dass der Hersteller entweder sicherstellen muss, dass die zur Gefahrenbeseitigung ergriffenen Maßnahmen ausschließlich fehlerhafte Produkte betreffen oder dass er verpflichtet ist, den Eigentümern der fehlerfreien Produkte kostenlos wieder voll funktionsfähige Ersatzprodukte zur Verfügung zu stellen oder ihnen den Kaufpreis zu erstatten. 478 Da der Hersteller die Eigentümer der fehlerfreien Produkte ohne Überprüfung derselben aber nicht identifizieren kann, bedeutet dies dann, wenn der Hersteller von einer Überprüfung absieht, in der Konsequenz eine kostenlose Reparatur etc. für alle Produkte, um zu verhindern, dass die Eigentümer der ungefährlichen Produkte in ihrem Eigentum verletzt werden. 3.
Schweiz: Bestehen und Inhalt der Rückrufpflicht
Die für das deutsche Recht gerade ausführlich erörterten Fragen, wann den Hersteller eine Rückrufpflicht trifft und welchen Inhalt diese Pflicht hat, sind in der Schweiz bisher nur wenig diskutiert worden. In der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind sie, soweit ersichtlich, noch gar nicht aufgetaucht. Bereits vor knapp 30 Jahren erwähnte allerdings das Obergericht des Kantons Zürich die Pflicht zum Rückruf eines gefährlichen Produkts, sah aber in casu die Voraussetzungen für eine solche Pflicht nicht als gegeben an. 479 Auch in der Literatur haben die hier erörterten Fragen bisher 477
In den meisten Reparaturfällen dürfte das Produkt zwangsläufig auf seine Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Allerdings sind auch Konstellationen denkbar, in denen der Fehler beispielsweise ausschließlich ein trennbares Teil betrifft, welches ohne Überprüfung auszutauschen die kostengünstigste Möglichkeit der Gefahrenbeseitigung darstellt. Ähnliches kann für die Nachrüstung gelten. 478 Ein Abzug vom Kaufpreis ist nur in den oben, S. 98 ff., genannten Grenzen zu gestatten. 479 OGer Zürich, ZR 1984, Nr. 4, 11, 15 (Mobilpool). Das Gericht lehnt die Rückrufpflicht leider nur knapp ab mit dem Argument, eine konstruktive Änderung hätte in den vorab bekannt gewordenen Schadensfällen die Gefahr nicht beseitigen können. Aufgrund der Tatsache, dass die früheren Unfälle das Leben zweier Menschen gekostet hatten, wäre jedoch in Betracht zu ziehen gewesen, ob den Hersteller eine Pflicht zum Rückruf traf, um die gefährlichen Geräte gänzlich vom Markt zu nehmen. Maßgeblichen Einfluss
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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wenig Aufmerksamkeit erfahren. 480 Zwar hat die Diskussion über die Pflicht zum Rückruf gefährlicher Produkte durch das neue schweizerische Produktesicherheitsgesetz merklich zugenommen. 481 Sie beschränkt sich jedoch entsprechend der Verankerung im öffentlichen Recht zumeist auf die Aussage, dass eine Haftung wegen Verletzung dieser Pflicht sowie ihr genauer Inhalt Fragen des Obligationenrechts und vom Produktesicherheitsgesetz nicht geregelt seien. 482 Auf die Aufnahme einer entsprechenden Kostenregelung ins Produktesicherheitsgesetz sei trotz des Drängens von Konsumentenverbänden bewusst verzichtet worden. 483 Die einzige Arbeit, die sich mit den Fragen nach Bestehen und Inhalt der Rückrufpflicht unter dem Obligationenrecht eingehend auseinandergesetzt hat, ist einige Jahre vor Inkrafttreten des Produktesicherheitsgesetzes entstanden. 484 Die Ergebnisse dieser Arbeit von Röthlisberger entsprechen in weiten Teilen der deutschen Rechtslage bzw. Ansichten, die auch in der deutschen Diskussion vertreten werden. Sie sollen hier kurz ausgeführt und anschließend kritisch betrachtet werden. Dabei wird auf weitere Literaturstimmen eingegangen, soweit sie sich zu den betreffenden Punkten äußern. a)
Bestehen einer Rückrufpflicht
Nach Röthlisberger ist der Hersteller grundsätzlich verpflichtet, von seinem Produkt ausgehende Gefahren abzuwenden. 485 Dies gilt auch für auf die Entscheidung des Gerichts hatte aber wohl auch die Einschätzung der SUVA, welche auch nach dem dritten Todesfall einen Warnhinweis auf dem Kreislaufreiniger für ausreichend erachtete. 480 Relativ knappe Erwähnung – ohne vertiefte Auseinandersetzung mit den Fragen nach Bestehen und Inhalt – fand die Rückrufpflicht auch unabhängig von der jüngsten Diskussion im Zusammenhang mit dem Produktesicherheitsgesetz bereits bei einer Reihe von Autoren. Siehe etwa Burki, 122; Christen, 194 f.; Gnos, 121; Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 53; Holliger-Hagmann, Management der Produkthaftpflicht, 181; Kaeslin, 6; T. Koller/Rey, plädoyer 2006, 32, 36 f.; Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 197, Rz. 370 ff.; Schwenzer, OR AT5, Rz. 53.36; Vogel, 84 (für Arzneimittel). Etwas ausführlichere Überlegungen finden sich bei Roberto, Rückruf von Personenwagen, 14 ff. 481 Im Zusammenhang mit dem Produktesicherheitsgesetz erörtern die Rückrufpflicht beispielsweise: Bühler, 100 ff.; Bühler, SJZ 2012, 45, 50 ff.; Fellmann in Fellmann/ A. Furrer 2012, 111, 120 f.; Fellmann in Fuhrer, 117 ff.; Hess, Art. 8 PrSG, Rz. 9 ff.; Holliger-Hagmann, PrSG, 77 ff., 81 ff.; Holliger-Hagmann, PrSG – Fallstricke, 162 f., 173; Holliger-Hagmann, S&R 2010, 186, 194. 482 So etwa in Schweizerischer Bundesrat, Botschaft PrSG, 7441; Hess, Art. 8 PrSG, Rz. 10; Holliger-Hagmann, S&R 2010, 186, 194; P. Widmer in Fellmann/A. Furrer 2011, 101, 116. 483 Holliger-Hagmann, PrSG – Fallstricke, 163. 484 Röthlisberger, Zivilrechtliche Produktbeobachtungs-, Warn- und Rückrufpflichten der Hersteller, Zürich 2003. 485 Röthlisberger, 68.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Entwicklungsrisiken, sobald entsprechende Gefahren erkennbar werden. 486 Maßgeblich für die Frage, welche Maßnahmen der Hersteller zur Gefahrabwendung ergreifen muss, ist auch in der Schweiz der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 487 Aufgrund der Tatsache, dass Rückrufe in der Regel besser geeignet sind, die drohenden Gefahren zu beseitigen als reine Warnungen, ist die direkte Gefahrenbeseitigung durch Rückrufmaßnahmen grundsätzlich vorrangig und Warnungen reichen nur in seltenen Fällen aus. 488 Auch in der Schweiz bildet aber freilich die Zumutbarkeit des Rückrufs die Grenze für die dem Hersteller aufzuerlegenden Pflichten. 489 Röthlisberger macht darauf aufmerksam, dass durch die Möglichkeit des Selbstschutzes (aufgrund entsprechender Information) die Haftung des Herstellers in aller Regel nicht entfallen wird. 490 Der Verzicht auf das Produkt sei vom Benutzer nur zu erwarten, wenn er „mit geringen finanziellen Einbussen verbunden ist und das Risiko eines Schadensfalles vom Benutzer tatsächlich als evident betrachtet wird.“ 491 Im Ergebnis hält Röthlisberger Warnungen insbesondere in folgenden Fällen für ausreichend: wenn ein Instruktionsfehler vorliegt 492, wenn nur geringe und vorübergehende Störungen des Wohlbefindens zu befürchten sind 493, wenn es äußerst unwahrscheinlich ist, dass ein Schaden eintreten wird und nur sehr wenige Produkte betroffen sind (selbst wenn es sich dabei um die Gefahr einer Tötung handeln kann) 494, sowie wenn ein neuer Fehlgebrauch zu Gefahren für die Gesundheit führt 495. Wenn Rechtsgüter Dritter gefährdet sind, soll 486
Röthlisberger, 121 f.: bei Entwicklungsrisiken sollen hinsichtlich der Reaktionspflichten grundsätzlich dieselben Maßstäbe anzulegen sein wie in den Fällen, in denen bereits bei Inverkehrbringen ein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten vorliegt; ähnlich auch Burki, 124 f., der ebenfalls der Meinung ist, den Hersteller träfen bei entsprechenden Gefahren auch bei Vorliegen eines Entwicklungsrisikos Reaktionspflichten (allerdings spezifiziert er diese Pflichten nicht näher). 487 Röthlisberger, 102 f.; so auch bereits Burki, 120 f. (allerdings ist nach Burki die hier maßgebliche Verhältnismäßigkeit ausdrücklich nicht gleichzusetzen mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Verwaltungsrechts, sondern bedeutet schlichtweg, dass vom Hersteller umso größere Sicherheitsanstrengungen zu erwarten sind, je intensiver die drohende Gefahr ist (ibid., 95); entsprechend erklärt Burki zudem die finanzielle Zumutbarkeit für maßgeblich, ibid., 121). 488 Röthlisberger, 114 f. 489 Röthlisberger, 106 ff.; Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 51; so im Hinblick auf Arzneimittel auch Vogel, 84. 490 Röthlisberger, 115. 491 Röthlisberger, 115. 492 Röthlisberger, 113 f. 493 Röthlisberger, 117. 494 Röthlisberger, 117. 495 Röthlisberger, 125; a.A. aber Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 101: auch Rückrufpflicht möglich.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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eine Warnung hingegen nicht ausreichen, 496 ebenso wenig, wenn bleibende Gesundheitsschäden oder Todesfälle drohen 497. Eine differenzierte Ansicht vertritt Röthlisberger im Hinblick auf reine Sachgefährdungen. Grundsätzlich geht er davon aus, dass eine Rückrufpflicht auch dann verhältnismäßig sein kann, wenn ausschließlich Sachschäden drohen, da das Schweizer Recht das Eigentum umfassend schütze, das Vermögen des Herstellers hingegen keinem deliktsrechtlichen Schutz unterstehe. 498 Jedoch ist Röthlisberger der Meinung, die Wertungen des Produktehaftpflichtgesetzes müssten bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. 499 Deshalb lehnt er eine Rückrufpflicht ab, wenn die drohenden Sachschäden jeweils unter dem in Art. 6 Abs. 1 PrHG-CH festgelegten Selbstbehalt von CHF 900,00 bleiben, bejaht sie jedoch bei Gefahren für privat genutzte Sachgüter, die über diesem Betrag liegen. 500 Wenn Sachschäden im gewerblichen Bereich drohen, ist den Besitzern nach Röthlisberger die Gefahrabwendung eher zumutbar; hier soll eine Rückrufpflicht nur dann bestehen, wenn Dritten erhebliche Sachschäden drohen und eine große Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besteht. 501 Gänzlich ausgeschlossen sind Gefahrabwendungspflichten (sogar in Form der Warnung) nach Schweizer Recht dann, wenn das gefährliche Produkt ausschließlich sich selbst bedroht. 502 Dieser Einschränkung ist insofern zuzustimmen, als sie die logische Konsequenz daraus ist, dass die deutsche Rechtsprechung zu den Weiterfresserschäden in der Schweiz abgelehnt wird 503, so dass es nach Schweizer Auffassung in diesen Fällen schon an der Gefährdung von Eigentum fehlt. b)
Inhalt der Rückrufpflicht
(i) Ansicht Röthlisbergers Nach Röthlisberger kommen als Maßnahmen der direkten Gefahrenbeseitigung die Reparatur, der Austausch und die Rücknahme des Produkts in Betracht. Im Grundsatz hat jeweils der Hersteller die Kosten dieser Maßnahmen zu tragen, wobei es ihm bei gleicher Wirksamkeit freisteht, eine 496
Röthlisberger, 116. Röthlisberger, 117; ebenso wohl Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 53 (in diesen Fällen seien wirtschaftliche Erwägungen grundsätzlich irrelevant). 498 Röthlisberger, 119. 499 Röthlisberger, 119. 500 Röthlisberger, 120. 501 Röthlisberger, 120. 502 Röthlisberger, 121. 503 OGer Basel-Landschaft, 16.09.1997, BJM 1999, 91, 96 f.; Honsell, Haftpflichtrecht, § 21, Rz. 66 ff.; Schönle, FS Schmidlin, 379, 389; Schwenzer, OR AT, Rz. 50.17. 497
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
davon auszuwählen. 504 Röthlisberger äußert keinerlei Bedenken dahingehend, dass durch die Instandsetzung des Produkts oder vergleichbare Maßnahmen ein deliktsrechtliches Gewährleistungsrecht geschaffen und die Grenzen des Vertragsrechts gesprengt würden. Stattdessen fragt er konsequent danach, wie die drohende Gefahr in der Mehrheit der Fälle beseitigt werden kann. 505 Folglich anerkennt Röthlisberger eine Pflicht zur kostenlosen Reparatur. 506 Auf eine Differenzierung zwischen Material- und Arbeits- oder Ausund Einbaukosten verzichtet er, wohl weil dies unter der Prämisse, dass der Hersteller „die Reparaturkosten“ tragen muss, überflüssig erscheint. Kosten für die Rücksendung an den Hersteller hat dieser zu ersetzen, bei sperrigeren Produkten muss der Hersteller diese abholen (inklusive Demontage, falls nötig) oder vor Ort reparieren. 507 Ähnlich wie die herrschende Ansicht in Deutschland hält Röthlisberger den Hersteller zu einem Abzug „neu für alt“ berechtigt, allerdings nur bei einer wesentlichen Wertsteigerung, durch die auch die Lebensdauer des Produkts steigt. 508 Weiterhin konsequent den Erfolg der Gefahrenbeseitigung im Blick haltend schließt Röthlisberger es auch nicht kategorisch aus, dass der Hersteller den Eigentümer für Nutzungsausfall zu entschädigen hat. Während er eine solche Zahlung bei privater Nutzung des Produkts grundsätzlich ablehnt, befürwortet er sie (in Gänze oder zu Teilen), wenn aufgrund großer finanzieller Einbußen im unternehmerischen Bereich damit zu rechnen ist, dass der Rückruf nicht befolgt wird, und das Produkt Dritte gefährdet. 509 Dieselben Grundsätze wendet Röthlisberger auch auf Austausch des Produkts und Rücknahme gegen Rückerstattung des Kaufpreises an. 510 Schließlich kann seiner Meinung nach unter Umständen die Rückrufpflicht auch Zuzahlungen an den Produkteigentümer umfassen, wenn andernfalls der Erfolg der Rückrufaktion gefährdet ist. Dabei denkt Röthlisberger insbesondere an Fälle auch privaten – nicht vermögenswerten – Nutzungsausfalls sowie sonstigen hohen Aufwands, den der Eigentümer betreiben muss, um dem Rückruf Folge zu leisten. 511
504
Röthlisberger, 130 f. Röthlisberger, 130 ff. Bezeichnend ist der erste Satz unter dem Punkt der Kostentragungspflicht: „Der Erfolg einer Rückrufaktion wird entscheidend von der Kostenübernahme durch den Hersteller abhängen.“ (ibid., 130). 506 Röthlisberger, 131. 507 Röthlisberger, 132. 508 Röthlisberger, 133. 509 Röthlisberger, 135. 510 Röthlisberger, 135 ff. 511 Röthlisberger, 139. 505
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(ii) Andere Autoren Röthlisbergers stringente Ausrichtung der zu treffenden Maßnahmen und der entsprechenden Kostentragung an den Erfolgsaussichten der Rückrufaktion passt gut zu einer Reihe anderer – durchgängig ungleich knapperer – Literaturäußerungen zu dieser Frage. Nach Burki 512, Christen 513 und Hess 514 ist die Fehlerbehebung Teil der Rückrufpflicht. Sie äußern sich zwar nicht explizit zur Kostentragung, dürften aber wohl so zu verstehen sein, dass der Hersteller die Kosten für die ihm obliegende Pflicht nicht auf den Produkteigentümer abwälzen kann. 515 Ähnlich weist Bühler an einer Stelle darauf hin, dass Produkteigentümer/-nutzer dem Rückruf nur Folge leisten würden, wenn der Hersteller „sich bereit erklärt, das Produkt gegen Rückzahlung des Preises und gegen volle Entschädigung zurückzunehmen.“ 516 An anderer Stelle hält er explizit fest, die Kosten des Rückrufs gingen grundsätzlich zu Lasten des Herstellers, allerdings ohne den Inhalt der Pflicht näher zu bestimmen. 517 Schönle leitet so wie Röthlisberger aus dem Gefahrensatz in Verbindung mit Art. 41 OR eine Ersatzpflicht für die Kosten der Gefahrenbeseitigung ab. 518 Den höchsten Maßstab scheint auf den ersten Blick Holliger-Hagmann an den Hersteller anzulegen. Auch sie nimmt den Produkteigentümer als Ausgangspunkt und ist der Meinung, von ihm dürften keine übermäßigen Kosten oder Mühen verlangt werden. 519 Der Hersteller habe daher die Kosten für eine Rücksendung des Produkts zu tragen oder dieses abzuholen bzw. vor Ort zu reparieren. 520 In einem Unternehmens-Leitfaden aus dem Jahr 2001 rät sie den Herstellern, jegliches Produkt kostenlos zu ersetzen, zu reparieren, nachzurüsten oder umzutauschen; ein Abzug wegen Abnutzung sei „für das Unternehmen peinlich.“ 521 Zehn Jahre später differenziert 512 Burki, 122 („blosse Aenderung des Produkts, wie etwa Beifügen oder Entfernen von Teilen, Verändern von Dimensionen, Auswechseln der Verpackung etc.”). 513 Christen, 195 („Auswechseln bestimmter Teile“). 514 Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 53. 515 Burki, 123 spricht davon, der Hersteller müsse die „wirksamste, aber finanziell eben noch tragbare Methode“ verwenden, „um möglichst lückenlos an den für ihn meist unüberschaubaren Abnehmerkreis zu gelangen“, woraus zu schließen ist, dass seiner Ansicht nach der Hersteller die Kosten zu tragen hat. Ähnlich Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 53, der für den Fall der Gefährdung von Leib und Leben auf die Unerheblichkeit finanzieller Erwägungen verweist; ebenso Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 328. 516 Bühler, SJZ 2012, 45, 50. 517 Bühler, 105. 518 Schönle, FS Schmidlin, 379, 390. 519 Holliger-Hagmann, PrSG, 85; ähnlich auch Holliger-Hagmann, Management der Produkthaftpflicht, 193. 520 Holliger-Hagmann, PrSG, 85; ähnlich auch Holliger-Hagmann, Management der Produkthaftpflicht, 193. 521 Holliger-Hagmann, Management der Produkthaftpflicht, 193.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
sie an anderer Stelle zwischen kostengünstigen Produkten des täglichen Lebens einerseits und „teureren Produkten wie z.B. Haushaltgeräten“ andererseits; erstere seien kostenlos zu ersetzen, letztere stark vergünstigt einzutauschen. 522 Einen Anspruch auf den Ersatz des verbleibenden Wertes habe der Produkteigentümer jedoch nur innerhalb der Gewährleistungsfrist, 523 deliktsrechtlich ist ein solcher Anspruch in ihren Augen also wohl nicht begründet. Insbesondere in Anbetracht dieser Einschränkung sind wohl auch die früheren und dem Produkteigentümer gegenüber großzügigeren Aussagen Holliger-Hagmanns nicht so zu verstehen, dass den Hersteller eine entsprechende deliktsrechtliche Pflicht trifft. Vielmehr scheint es sich dabei um den an die Hersteller gerichteten Ratschlag zu handeln, Kulanz walten zu lassen. Sehr zurückhaltend hat sich Roberto – ebenfalls einige Jahre vor Inkrafttreten des Produktesicherheitsgesetzes – in einem Gutachten für den Touring Club Schweiz (TCS) zur Rückrufpflicht für Kraftfahrzeuge zur damaligen Rechtslage geäußert. 524 Diese war in seinen Augen deswegen „wenig befriedigend“, weil „der Fahrzeuginhaber die Kosten, die im Zusammenhang mit der Abwicklung des Rückrufs bei ihm anfallen, selbst tragen muss“. 525 Er macht sich für eine gesetzliche Regelung stark und fordert, de lege ferenda sollte der Hersteller wenigstens die Kosten der Gefahrenbeseitigung und für ein Ersatzauto tragen. 526 Dabei überrascht Robertos Schluss einigermaßen, nimmt er doch selbst mit der Lehre in demselben Gutachten eine Rückrufpflicht an und ist auch optimistisch, dass das Bundesgericht eine solche Pflicht „im konkreten Fall bejahen würde.“ 527 Später hält er fest, die Lehre habe offen gelassen, ob aus der Rückrufpflicht auch eine Pflicht zur Kostentragung folge 528 und führt dann an, dass eine Haftung „für den ursprünglichen Mangel“ grundsätzlich „nur gestützt auf Vertrag“ bestehe. 529 Das ist so zwar freilich eine richtige Aussage. Jedoch greift der Schluss, dass deswegen eine Rückrufpflicht keine Kostentragungspflicht beinhalten könne, in Anbetracht der Überlappung von Gefahren- und Mängelbeseitigung zu kurz. Dass hier zumindest eine differenziertere Lösung erforderlich ist, geht aus der entsprechenden deutschen Diskussion 530 klar hervor. 522
Holliger-Hagmann, PrSG, 85 f. Holliger-Hagmann, PrSG, 86. 524 Roberto, Rückruf von Personenwagen, 525 Roberto, Rückruf von Personenwagen, 526 Roberto, Rückruf von Personenwagen, 527 Roberto, Rückruf von Personenwagen, 528 Roberto, Rückruf von Personenwagen, 529 Roberto, Rückruf von Personenwagen, 530 Siehe oben S. 89 ff. 523
26. 26. 26. 22. 23. 23, Fn. 53.
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c)
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Kritische Betrachtung
Im Folgenden wird knapp untersucht, wie sich wesentliche Kritikpunkte, die oben zum deutschen Recht aufgeworfen wurden, auf die Schweizer Diskussion auswirken. (i) Erforderlichkeit der Rückrufpflicht In der schweizerischen Diskussion hat, soweit ersichtlich, die Frage bisher keine Beachtung gefunden, welche Auswirkungen es auf die Rückrufpflicht des Herstellers hat, wenn die Produkteigentümer öffentlich-rechtlich zur Instandsetzung der gefährlichen Produkte verpflichtet sind oder der Hersteller aus anderen Gründen sicher davon ausgehen kann, dass die Eigentümer eine Warnung befolgen werden. Für die Erforderlichkeit des Rückrufs, unter dem dieser Punkt in Deutschland seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Pflegebetten-Fall 531 behandelt wird, stellt Röthlisberger die Maxime auf, dass dem Hersteller nur der geringstmögliche Eingriff abverlangt werden dürfe, der den Zweck erreicht. 532 Der Hersteller müsse im konkreten Fall bestimmen, welches das mildeste Mittel bei gleicher Wirksamkeit mehrerer Maßnahmen sei. 533 Es ist davon auszugehen, dass danach – genau wie nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs – den Hersteller in den betreffenden Konstellationen nur eine Pflicht zur Warnung trifft und eine Rückrufpflicht mangels Erforderlichkeit abzulehnen wäre. Dieses Ergebnis vermag jedoch aus den oben 534 genannten Gründen nicht zu überzeugen. Zwar lassen sich in Schweizer Rechtsprechung und Schrifttum keine Hinweise darauf finden, dass ein der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechendes Verständnis dahingehend existiert, dass unter zwei gleich wirksamen Mitteln nur dasjenige als „milder“ betrachtet werden kann, welches für alle Betroffenen eine geringere Beeinträchtigung darstellt. 535 Eine vergleichbare Konfliktlage hat für das Schweizer Recht jedoch bereits Hotz identifiziert, wenn zwei verschiedene 531
BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080 ff. Röthlisberger, 105. 533 Röthlisberger, 106. 534 S. 58 ff. 535 Die Ausführungen zur Frage der Erforderlichkeit im Rahmen des in Art. 5 Abs. 2 sowie Art. 36 Abs. 3 der Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV), SR 101, niedergelegten Verhältnismäßigkeitsprinzips sind regelmäßig sehr knapp gehalten und beschränken sich im Wesentlichen darauf zu postulieren, der Eingriff dürfe „in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Beziehung nicht über das Notwendige hinausgehen“; ständige Rechtsprechung, BGer, 23.05.2000, BGE 126 I 112, 119 f., E. 5.b m.w.N.; aus der Literatur statt vieler Schweizer in Ehrenzeller et al., Art. 36, Rz. 24 m.w.N. 532
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Normzwecke miteinander konkurrieren. 536 Für diese Situation kommt er zu dem Schluss, sie sei nicht auf der Ebene der Erforderlichkeit, sondern im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (respektive Zumutbarkeit) zu klären, 537 was dem oben ausgeführten deutschen Verständnis entspricht. Es ist also davon auszugehen, dass auch in der Schweiz eine Präzisierung des Erforderlichkeitskriteriums dahingehend möglich ist, dass die Erforderlichkeit einer Maßnahme nur abgelehnt werden kann, wenn sie keine weitere Wertung erfordert und also für alle Betroffenen eine geringere Beeinträchtigung darstellt. (ii) Reine Sachgefährdung Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung koppelt Röthlisberger die Rückrufpflicht an die Wertungen des Produktehaftpflichtgesetzes und lehnt sie daher ab, wenn ausschließlich Gegenstände gefährdet sind, deren Wert unter dem Selbstbehalt von CHF 900,00 liegt. Zwar dürften – wie bereits erörtert 538 – die Fälle, in denen die Gefährdung von Personen ausgeschlossen werden kann, eher selten sein, so dass diese Einschränkung geringe Relevanz erlangt. Dennoch fragt es sich, ob die Wertungen des Produktehaftpflichtgesetzes im Hinblick auf Sachschäden tatsächlich ausschlaggebend sein sollten. 539 Dadurch wird der durch Art. 41 OR gewährleistete Schutz des Eigentums eingeschränkt, ohne dass sich dies aus der Wertung des Produktehaftpflichtgesetzes zwingend ergibt. Schließlich handelt es sich bei der Haftung aus Verletzung der Rückrufpflicht um eine verschuldensabhängige, auf Art. 41 OR basierende Haftung, die insofern durchaus anderen Regeln folgen darf als die verschuldensunabhängige Haftung des Produktehaftpflichtgesetzes. 540 Eine Berechtigung könnte man der Einschränkung Röthlisbergers allerdings für Fälle von Entwicklungsrisiken zusprechen, da es dort gerade am Pflichtverstoß bei Inverkehrbringen des Produkts mangelt. (iii) Effektivität der Gefahrenabwehr Sehr zu begrüßen ist nach der hier vertretenen Ansicht die Relevanz, die Röthlisberger der Wirksamkeit der Rückrufaktion für die Bestimmung des 536
Hotz, 158 ff. Hotz, 160. 538 Siehe oben S. 72 f. 539 Eine entsprechende Ansicht wird zum deutschen Recht interessanterweise, soweit ersichtlich, nicht vertreten. 540 Das Verschuldenserfordernis entfällt freilich, wenn ein Fall der Geschäftsherrenhaftung nach Art. 55 OR vorliegt. Auch dann rechtfertigt sich jedoch keine Einschränkung nach den Wertungen des Produktehaftpflichtgesetzes. Vielmehr ist der Hersteller zur Haftungsbefreiung (ausschließlich) auf den Exzeptionsbeweis zu verweisen. 537
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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Inhalts der Rückrufpflicht beimisst. Seine Ergebnisse sind dadurch insofern praxisnah und an der Realität orientiert, als sie die Reaktion eines verständigen Produkteigentümers deutlich mehr beachten als das in weiten Teilen des deutschen Schrifttums der Fall ist. Sie haben auch zur Folge, dass entgegen J. Hagers Auffassung zum deutschen Recht die Ablehnung der Weiterfresser-Rechtsprechung nicht zur generellen Verneinung der Pflicht zur Beseitigung des gefährlichen Produktfehlers führt. Hager vertritt die Ansicht, die Gefahrenbeseitigungspflicht des Herstellers sei immer auf eine reine Rücknahme (oder gar eine bloße Warnung) zu begrenzen, wenn in dem defekten Produkt kein schützenswertes Eigentum zu sehen ist, da dann dem Produkteigentümer die Nichtbenutzung der Sache zumutbar sei. 541 Dieser Auffassung folgt Röthlisberger zu Recht nicht, indem er für die Bestimmung der Herstellerpflichten darauf abstellt, was dieser tun muss, damit der Rückruf eine möglichst große Erfolgswahrscheinlichkeit hat. Hierfür ist nicht ausschlaggebend, wie die Rechtsordnung das defekte Produkt beurteilt, sondern welche Bedeutung es für den Eigentümer/Nutzer hat. Im Hinblick auf den Gedanken der Effektivität der Gefahrenabwehr ist schließlich noch auf den in dieser Arbeit unterbreiteten Vorschlag zum deutschen Recht hinzuweisen. Die Ansicht, als Anhaltspunkt für die Bereitschaft der Produkteigentümer/-nutzer könne auf die Unpfändbarkeit von Sachen abgestellt werden, lässt sich problemlos auch auf das Schweizer Recht übertragen. Das Pendant zu § 811 ZPO-D bildet für die Schweiz Art. 92 Abs. 1 SchKG 542, wobei für die Rückrufpflicht nur Ziffern 1 und 2 bis 6 der Vorschrift Relevanz erlangen dürften. Dieser Vorschlag hat umso größere Bedeutung, wenn Röthlisbergers Einschränkung anhand der Wertungen des Produktehaftpflichtgesetzes jedenfalls in Bezug auf Konstruktions- und Fabrikationsfehler nicht gefolgt wird. (iv) Verzicht auf Überprüfung Die Pflicht des Herstellers, zurückgerufene Produkte darauf zu überprüfen, ob sie tatsächlich fehlerhaft sind, wird auch in der Schweiz nicht näher erörtert. Allerdings ist die oben 543 angesprochene Problematik der Kosten für Eigentümer fehlerfreier Produkte auch kaum brisant, wenn man der insbesondere von Röthlisberger und auch sonst in der Schweiz teilweise vertretenen Ansicht folgt, nach der die Pflichten des Herstellers weiter reichen als nach der herrschenden Meinung in Deutschland. Nach Röthlisbergers Ansicht ist die Gefahrenbeseitigung für den Produkteigentümer weit541
J. Hager, VersR 1984, 799, 805. Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs, SR 281.1 543 Siehe S. 103 f. 542
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
gehend kostenneutral. Ausgenommen sind im Wesentlichen nur der Nutzungsausfall und bei erheblicher Wertsteigerung ein Abzug „neu für alt“. Soweit man ersteren nicht für ersatzfähig hält, ist es konsequent, dass er von allen Produkteigentümern hingenommen werden muss; schließlich entsteht der Nutzungsausfall bereits durch die Überprüfung der Produkte. Im Hinblick auf den Abzug „neu für alt“ ist daran zu erinnern, dass Röthlisberger diesen ohnehin nur dann gestattet, wenn die Lebensdauer des Produkts durch die Rückrufmaßnahme verlängert und der Wert des Produkts wesentlich gesteigert wird. Mit diesen Einschränkungen erscheint der Abzug für die Eigentümer fehlerfreier Produkte in gleichem Maße akzeptabel wie für die Eigentümer fehlerbehafteter Produkte. 4.
Zeitliche Begrenzung der Rückrufpflicht
Während sich manche Produkte bereits kurz nach dem Inverkehrbringen als gefährlich erweisen und zurückgerufen werden, dauert es bei anderen wesentlich länger bis Risiken überhaupt erkannt werden. So lag in Deutschland nach Daten aus dem 2009 das Durchschnittsalter der zurückgerufenen Autos bei dreieinhalb, im Jahr 2010 sogar bei fünf Jahren. 544 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie lange nach Inverkehrbringen ein Hersteller verpflichtet ist, seine Produkte zu beobachten und sie nötigenfalls zurückzurufen. Die Frage, wie lange eine Rückrufpflicht bestehen kann, ist dabei von der Frage zu trennen, wann etwaige Ansprüche z.B. auf Schadensersatz wegen Verletzung der Rückrufpflicht oder auf Aufwendungsersatz bei Selbstvornahme durch den Produkteigentümer verjähren. Entsprechend der Fragestellung dieser Arbeit wird hier nur die Dauer der Rückrufpflicht als solche erörtert. Dafür wird zunächst der Diskussionsstand zur Produktbeobachtungspflicht aufgearbeitet, um anschließend daraus Konsequenzen für die Rückrufpflicht zu ziehen. a)
Diskussionsstand zur Produktbeobachtungspflicht
Zur Produktbeobachtungspflicht des Herstellers wird teilweise vertreten, sie ende niemals, im Laufe der Zeit käme höchstens eine graduelle Abschwächung ihrer Intensität in Betracht. 545 Diese Auffassung wird damit 544 Grote/Seidl, VW 2009, 668, 668; für 2010: Auskunft des deutschen KraftfahrtBundesamtes, 14.07.2011. 545 v. Bar in Produktverantwortung und Risikoakzeptanz, 29, 40; Bodewig, 238 f. (wenn Langzeitschäden zu befürchten sind, kommt keine Abschwächung in Betracht); Borer, 65 f. (passive Beobachtungspflicht endet nicht; Abschwächung nur, wenn keine Langzeitschäden zu befürchten sind); Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 386 (Abschwächung nur, wenn abstraktes Gefahrenpotential nach Zeitablauf auf null zurückgeht); J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 21 (allenfalls Reduktion auf passive Beobachtungspflicht möglich); Löwe, DAR 1978, 288, 290 (Reduktion auf passive Produktbe-
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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begründet, dass viele Gefahren durch Produkte erst nach langer Zeit ersichtlich werden. Hierbei ist insbesondere an Ermüdungserscheinungen des Materials zu denken. 546 Außerdem können Produkte Langzeitschäden verursachen, die erst viele Jahre nach dem Ende der Benutzung des Produkts auftreten. Beispiele hierfür bilden Asbest-Fälle 547 oder das Röntgenkontrastmittel Thorotrast, welches erst zwölf bis fünfzehn Jahre nach Verwendung zu Gesundheitsschäden führte 548. Nach einer anderen Ansicht 549 endet die Produktbeobachtungspflicht mit Ablauf der Ausschlussfrist, welche die Produkthaftungsgesetze für Ansprüche gegen den Hersteller vorsehen 550. Diese Frist beträgt zehn Jahre nach dem Inverkehrbringen des Produkts. In der Schweiz gilt dieselbe Frist auch für Schadensersatzansprüche aus der deliktischen Produzentenhaftung gemäß Art. 60 Abs. 1 OR. Der Vorentwurf zur Revision des schweizerischen Verjährungsrechts 551 vereinheitlicht die Fristen aus dem Produktehaftpflichtgesetz und dem allgemeinen Deliktsrecht und führt in diesem Bereich zu Fristverlängerungen. 552 Will man den Gleichlauf mit der Haftung aus dem Produktehaftpflichtgesetz aufrechterhalten, dürfte sich insoweit auch die Dauer der Produktbeobachtungspflicht verlängern. obachtungspflicht); Schreiber, 192; Schulenberg, 34 f.; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 512 (mit Ausnahme für Fälle, in denen keine Langzeitschäden zu befürchten sind); Tamme, 56 f. Wesentlich weiter gehend LG Frankfurt a.M., 15.02.1977, NJW 1977, 1108 (Konzentration der Beobachtungspflicht auf die ersten ein bis zwei Jahre nach Inverkehrbringen, danach bei Unauffälligkeit Reduktion „bis praktisch auf Null“); kritisch zur Praktikabilität des Konzepts der graduellen Abschwächung Dietrich, 121; Pauli, PHi 1985, 134, 139, zufolge kann die Pflicht bei langjähriger Unauffälligkeit zwar enden, lebt aber bei gehäuften Beanstandungen sofort wieder auf. 546 Röthlisberger, 51, nennt die Beispiele korrosionsgefährdeter Federn sowie Ermüdungserscheinungen bei Schlössern von Sicherheitsgurten; beides führte in den vergangenen Jahren zu umfangreichen Rückrufen von Automobilherstellern. 547 Als Illustration mag der kürzlich entschiedene Fall BGer, 16.11.2010, BGE 137 III 16 ff. dienen. 548 Siehe den Sachverhalt der Entscheidung BGH, 20.06.1961, VersR 1961, 810 ff. 549 Schreiber, 74 f.; Dietrich, 120, der sich allerdings für ein früheres Ende bei einer kürzeren Lebensdauer des Produkts ausspricht; gegen die Übertragung der Frist aus dem Produkthaftungsgesetz: Kreidt, 196; Röthlisberger, 54 f. 550 Art. 10 Abs. 1 PrHG-CH; § 13 Abs. 1 Satz 1 PrHG-D. 551 Vorentwurf zur Revision des Verjährungsrechts (Obligationenrecht), im Folgenden VE-Verjährung. 552 Nach dem Vorentwurf soll sich die Verjährung von Ansprüchen aus dem Produktehaftpflichtgesetz neu nach den allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts richten (Art. 9 PrHG-CH nach dem VE-Verjährung). Für die relevanten Bestimmungen zur absoluten Verjährungsfrist enthält der Vorentwurf in den neuen Art. 129, 130 OR zwei Alternativen: entweder eine einheitliche 20-Jahres-Frist oder eine allgemeine 10Jahres-Frist verbunden mit einer 30-Jahres-Frist bei Personenschäden; die absolute Frist soll jeweils mit der schädigenden Handlung beginnen.
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Schließlich vertritt ein anderer Teil der Literatur die Auffassung, dass die Produktbeobachtungspflicht mit der durchschnittlichen, der erwartbaren oder der angegebenen Lebensdauer des Produkts ende. 553 Hierfür spricht insbesondere, dass auch die Produktsicherheitsgesetze für die Gewährleistung der Sicherheit und die entsprechende Beobachtung auf eben diese Zeitspanne abstellen. 554 Eine solche Abgrenzung hat den Vorteil, dass sie der unterschiedlichen Lebensdauer unterschiedlicher Produkte Rechnung zu tragen vermag. So ist die Lebensdauer verderblicher Lebensmittel regelmäßig kürzer als die von Autoteilen oder Baumaterialien; bei letzteren sollte auch die Produktbeobachtungspflicht entsprechend länger bestehen. b)
Konsequenzen für die Rückrufpflicht
Geht man von einem Ende der Produktbeobachtungspflicht aus, so führt dies zwangsläufig auch zum Ende der Rückrufpflicht, da diese sich als Reaktionspflicht aus der Produktbeobachtung ergibt. 555 Von den wenigen Autoren, die sich mit der Dauer der Rückrufpflicht auseinandersetzen, sind einige der Ansicht, diese dürfte auch unabhängig von der Produktbeobachtungspflicht nur für einen gewissen Zeitraum bestehen. Dieses Ende ergebe sich aus der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die vorgenommen wird, um das Vorliegen einer Rückrufpflicht zu eruieren. 556 Es gilt hier die Annahme, dass eine Rückrufpflicht umso eher unverhältnismäßig ist, je länger das Inverkehrbringen des Produkts bereits zurückliegt. Begründet wird dies vor allem damit, dass der Wert eines Produkts in der Regel mit dem Alter 553
Dietrich, 120 (Ende der Produktbeobachtungspflicht allerdings spätestens nach zehn Jahren); Jäckle, 183 ff.; Kreidt, 196 f. (bei kontinuierlicher Abnahme der Pflichten); Röthlisberger, 53 f.; in diese Richtung auch Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 109: Materialermüdungen nach Ende der Lebensdauer stellen keinen Produktfehler dar; a.A. Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 24, Rz. 385. 554 Art. 8 Abs. 2 PrSG-CH (Nachmarktpflichten während angegebener oder vernünftigerweise vorhersehbarer Gebrauchsdauer des Produkts); § 3 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 PrSG-D (Gebrauchsdauer maßgeblich für die Beurteilung der Sicherheit). 555 Etwas anderes kann aber gelten, wenn man mit einigen Autoren ein Wiederaufleben der Produktbeobachtungspflicht bei gehäuften Schäden bejaht; so z.B. Mertens in MüKoBGB3, § 823, Rz. 289; Pauli, PHi 1985, 134, 139. Dann wird man entweder ein Fortbestehen der Rückrufpflicht annehmen oder aber auch die Rückrufpflicht wieder aufleben lassen müssen. 556 So explizit für die Warn- und Rückrufpflicht Röthlisberger, 150; für die Produktbeobachtungspflicht T. Koller/Rey, plädoyer 2006, 32, 36 (wobei die Rückrufpflicht miteingeschlossen sein dürfte); Steffen in RGRK, § 823, Rz. 282; Tamme, 57; für den Rückrufanspruch K. Mayer, DB 1985, 319, 325 (reguläre Nutzungsdauer maßgeblich); a.A. Pannenbecker, 133 f. („keine allgemeine, absolute Grenze“ für die Dauer der Rückrufpflicht, sondern faktisches Entfallen der Pflicht aufgrund des Abzugs „neu für alt“).
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sinkt und es somit dem Eigentümer eher zuzumuten ist, auf die Benutzung des Produkts zu verzichten. Letztlich muss es für die zeitliche Dauer einer Rückrufpflicht im Sinne der Gefahrenabwehr darauf ankommen, ob das Produkt noch eine Gefahr darstellen und ein Rückruf noch zur Vermeidung von Schäden beitragen kann. Solange diese beiden Anforderungen erfüllt sind, muss die Rückrufpflicht grundsätzlich greifen können. Um gleichzeitig die berechtigten Interessen des Herstellers zu wahren, ist ergänzend allerdings eine zeitliche Maximalbegrenzung seiner Gefahrenabwehrpflicht in Anlehnung an die Verjährungsfristen für die Produzentenhaftung vorzunehmen. Diese Gesichtspunkte werden im Folgenden ausgeführt. (i) Gebrauchsdauer des einzelnen Produkts maßgeblich Aus dem Erfordernis, dass noch Gefahren durch das Produkt drohen müssen, folgen zwei wesentliche Punkte. Sie beziehen sich erstens auf den Beginn der Zeitspanne, in der der Hersteller zum Rückruf verpflichtet werden kann, zweitens auf deren Dauer. Einerseits richtet sich der Beginn einer etwaigen zeitlichen Höchstgrenze, bis zu der eine Rückrufpflicht bestehen kann, jeweils nach dem Inverkehrbringen des Produkts. 557 Es ist für die Dauer der Rückrufpflicht irrelevant, ob der Hersteller beispielsweise dieselbe Produktreihe seit 30 Jahren vertreibt und es in dem gesamten Zeitraum noch nie zu Schäden durch eines der Produkte gekommen ist. Schließlich können Rückrufpflichten nicht nur eine Folge von Konstruktions-, sondern auch von Fabrikationsfehlern sein. Auf deren Auftreten, welches z.B. durch die spontane Fehlfunktion einer in der Fertigung verwendeten Maschine ausgelöst werden kann, hat jedoch die vorhergehende Dauer des Vertriebs gleicher Produkte keinerlei Einfluss. Des Weiteren hat das Postulat, dass die zeitliche Begrenzung der Rückrufpflichten davon abhängt, ob von einem Produkt noch Gefahren drohen, zur Konsequenz, dass sich kein allgemeingültiger Zeitrahmen festlegen lässt, der für alle Produkte gleichermaßen gilt. Vielmehr ist für jedes Produkt darauf abzustellen, wie lange es für die Benutzer oder die Allgemeinheit gefährlich sein kann. So werden Stoffe wie Asbest, die in Immobilien verbaut wurden, in der Regel wesentlich länger eine Gefahrenquelle darstellen als eine unter zu großem Druck stehende gläserne Mineralwasserflasche. Wie lange ein Produkt potentiell gefährlich ist, hängt häufig, aber nicht immer mit der Lebensdauer des Produkts zusammen. Wie oben bereits erwähnt 558 können gewisse Produkte wie insbesondere pharmazeuti557 558
Darauf weist auch Tamme, 57 f., hin. S. 115.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
sche oder chemische Wirkstoffe Langzeitwirkungen entfalten und so noch lange nach Ende der Lebensdauer des Produkts, in dem sie enthalten sind, ein Gefahrenpotential darstellen. 559 Gerade im Hinblick auf derartige Langzeitwirkungen wird der zweite Punkt relevant, der für die zeitliche Begrenzung der Rückrufpflicht beachtet werden sollte: dass ein Rückruf des Produkts noch zur Vermeidung von Schäden beitragen können muss. Hieraus ergibt sich, dass der Rückrufpflicht auch durch die zu erwartende Benutzungsdauer eine Grenze gesetzt wird. 560 Wenn davon auszugehen ist, dass das Produkt nicht mehr benutzt wird, dann ist anzunehmen, dass sein Rückruf auf die Vermeidung etwaiger Schäden keinen Einfluss mehr haben wird. Entsprechend stellen auch die Produktsicherheitsgesetze auf die Gebrauchsdauer ab. 561 Die zeitliche Begrenzung von Rückrufpflichten kann also früher greifen als die von Beobachtungs- und Warnpflichten. Gerade im Hinblick auf Langzeitwirkungen, die nach dem Ende der Produktnutzung auftreten, können die Beobachtung und eine daraus resultierende Warnung häufig noch nötig und hilfreich sein, um Schäden zu vermeiden. So kann beispielsweise ehemaligen Nutzern angeraten werden, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, um entsprechende Therapiemaßnahmen zu ergreifen, oder Präparate mit bestimmten Wirkstoffen nicht zu verwenden, um gefährlichen Wechselwirkungen vorzubeugen. (ii) Obergrenze entsprechend Verjährungsfristen Während die Anknüpfung an die zu erwartende Benutzungsdauer den Sicherheitsinteressen der Produkteigentümer/-nutzer sowie der Allgemeinheit dient, gilt es auch das Interesse des Herstellers an kalkulierbaren und wirtschaftlich vertretbaren Haftungsrisiken zu wahren. Dies lässt sich durch eine Obergrenze für die Dauer der Rückrufpflicht erreichen, wodurch diese bei besonders langlebigen Produkten sachgerecht begrenzt wird. 562 Insofern bietet es sich an, auf die absoluten Verjährungsfristen des 559
Zur Diskussion über Langzeitschäden, die in der Schweiz jüngst durch den Fall BGer, 16.11.2010, BGE 137 III 16 ff. zu Asbestschäden und im Rahmen des Vorentwurfs zur Revision des Verjährungsrechts wieder neuen Schwung bekommen hat, siehe etwa B. Chappuis/Werro, HAVE 2011, 139 ff.; Husmann/Aliotta, HAVE 2010, 128 ff.; P. Widmer, HAVE 2012, 92 f. 560 So im Ergebnis auch Kreidt, 196 f.; Tamme, 57 ff.; ähnlich K. Mayer, DB 1985, 319, 325 (für den Rückrufanspruch). 561 Siehe bereits oben S. 116, Fn. 554. 562 Die Ansicht Kreidts, 197, eine wirtschaftliche Überbelastung des Herstellers sei nicht zu befürchten, da mit zunehmendem Alter der Produkte die Rückrufkosten des Herstellers aufgrund des abnehmenden Verkehrswerts des Produkts entsprechend sinken, ist jedenfalls nach der hier (S. 98 ff. oben) vertretenen Auffassung nicht zutreffend. Selbst wenn man die Kosten für Rückzahlung etc. auf den aktuellen Verkehrswert des
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Produzenten- und Produkthaftungsrechts zurückzugreifen, auch wenn diese auf die Rückrufpflicht als solche nicht direkt anwendbar sind 563. 564 Ein Gleichlauf mit diesen Fristen ist auch erforderlich, um für Fälle der Schädigung nach Ablauf dieser Fristen ihre Umgehung über den Umweg des Schadensersatzanspruchs aufgrund unterlassenen Rückrufs zu reduzieren. 565 Einem Geschädigten steht für einen Anspruch auf Ersatz des durch ein gefährliches Produkt verursachten Schadens sowohl der Weg über die Produkthaftungsgesetze als auch über das allgemeine Deliktsrecht offen. 566 Aus diesem Grund können die in den Produkthaftungsgesetzen statuierten Verwirkungsfristen (zehn Jahre nach Inverkehrbringen) 567 nicht maßgebend sein, soweit das allgemeine Deliktsrecht längere Fristen vorsieht. 568 Produkts beschränkt, bleiben Zweifel an Kreidts Aussage. Schließlich ist dies nur einer der relevanten Kostenposten, so dass den Endhersteller selbst bei einem Produkt, welches bereits kurz vor dem Ende seiner Nutzungsdauer steht, noch signifikante Rückrufkosten treffen können. 563 Kreidt, 196, weist zurecht darauf hin, dass es bei der zeitlichen Begrenzung der Rückrufpflicht nicht darum geht, die Anspruchsdurchsetzung zu begrenzen, sondern um ein Limit für die Verkehrssicherungspflicht selbst und damit für eine Anspruchsvoraussetzung. 564 Auf Schadensersatzansprüche wegen unterlassenen Rückrufs finden die betreffenden Verjährungsfristen hingegen selbstverständlich Anwendung. 565 Die Verjährung für den Anspruch wegen unterlassenen Rückrufs beginnt erst mit dem spätesten Zeitpunkt, in dem der Hersteller hätte handeln sollen; dazu nur Röthlisberger, 149 f. Deswegen könnte der Geschädigte nach der Verjährung des Anspruchs aufgrund pflichtwidrigen Inverkehrbringens seinen Anspruch weiterhin gestützt auf die Unterlassung des Rückrufs geltend machen, sofern im Zeitpunkt des Schadenseintritts eine Rückrufpflicht bestand. Freilich verlängert sich auch nach der hier vorgeschlagenen Lösung durch das Unterlassen des Rückrufs die Verjährung für einen Schadensersatzanspruch, weil sowohl die relativen als auch die absoluten Verjährungsfristen für diesen Anspruch erst mit Schadenseintritt zu laufen beginnen (so auch Röthlisberger, 150). Das Auseinanderfallen wird aber zumindest auf die Fälle beschränkt, in denen die pflichtwidrige Unterlassung des Rückrufs noch innerhalb der Verjährungsfrist für Ansprüche aus Sorgfaltsverstoß bei Inverkehrbringen stattfand. 566 Dazu, dass zwischen diesen beiden Rechtsgrundlagen im Schweizer Recht nach der herrschenden Meinung Anspruchskonkurrenz gilt, siehe bereits oben S. 22 mit Fn. 70; im deutschen Recht ist dies aufgrund des § 15 PrHG-D allgemeine Meinung, siehe nur Sprau in Palandt, § 823, Rz. 167. 567 Art. 10 Abs. 1 PrHG-CH; § 13 Abs. 1 Satz 1 PrHG-D. 568 So zur Produktbeobachtungspflicht auch Röthlisberger, 54 f.; a.A. aber Dietrich, 120 f., der die Wertentscheidung des § 13 Abs. 1 PrHG-D für maßgeblich hält, für den Beginn der zehnjährigen Frist allerdings für sämtliche Produkte einer Serie auf das Datum des Inverkehrbringens der letzten Erzeugnisse der Serie abstellt, und damit letztlich für jedes früher in Verkehr gebrachte Produkt doch eine längere Dauer der Pflicht erreicht.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Dies gilt umso mehr, als sich die Rückrufpflicht nach allgemeiner Meinung nicht aus den Produkthaftungsgesetzen, sondern aus dem allgemeinen Deliktsrecht ergibt 569. 570 Es müssen also die absoluten Verjährungsfristen aus dem Obligationenrecht bzw. dem Bürgerlichen Gesetzbuch herangezogen werden. In der Schweiz sind dies derzeit zehn Jahre 571, nach dem Vorentwurf zur Revision des Verjährungsrechts 30 Jahre für Personenschäden und zehn Jahre für alle übrigen Schäden (respektive nach dem Alternativvorschlag 20 Jahre für alle Schäden) 572. Das deutsche Recht sieht für sämtliche Schäden eine 30-jährige Höchstfrist vor. 573 Alle diese Fristen beginnen mit dem schädigenden Ereignis zu laufen, worunter das Inverkehrbringen des gefährlichen Produkts zu verstehen ist 574. Nach gegenwärtigem Schweizer Recht endet die Rückrufpflicht dementsprechend spätestens zehn Jahre nach Inverkehrbringen des Produkts, nach deutschem Recht 30 Jahre danach und nach dem Vorentwurf je nach Ausgestaltung zehn, 20 oder 30 Jahre nach Inverkehrbringen. Für die unterschiedlichen Höchstfristen von zehn und 30 Jahren, die der Vorentwurf vorsieht, ist darauf abzustellen, ob ausschließlich Sachschäden drohen (zehn Jahre) oder ob auch Personen gefährdet sind (30 Jahre). Gerade die 30-jährige Frist mag aus Perspektive des Herstellers unverhältnismäßig lang erscheinen. In den Fällen, in denen ein Produkt unter Verstoß gegen eine Sorgfaltspflicht in den Verkehr gebracht wurde, stellt diese Dauer der Rückrufpflicht jedoch lediglich das Pendant zu der entsprechenden Dauer des Haftungsrisikos für Schadensersatz dar und ist somit als Konsequenz der gesetzgeberischen Entscheidung über die Verjährungsfristen zu akzeptieren. Anders liegt der Fall jedoch bei Vorliegen eines Entwicklungsrisikos, welches durch die Weiterentwicklung von Wissenschaft und Technik beispielsweise erst fünfzehn Jahre nach Inverkehrbringen erkennbar wird. Hier wird die Haftung des Herstellers erst durch die Gefahrenabwehrpflicht begründet, über deren Dauer der Gesetzgeber gerade keine Entscheidung getroffen hat. In Ermangelung einer solchen Festlegung stellt sich die Frage, ob eine derartig lange Dauer der Verpflichtung zum Rückruf angemessen ist. Dieselbe Frage kann sich grundsätzlich auch bei Ausreißern stellen. Allerdings dürften Ausreißer, die erst nach so langer Zeit auftreten, noch seltener sein als entsprechende Entwicklungsrisiken.
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Siehe dazu oben S. 44. So auch Kreidt, 196; Pannenbecker, 133. 571 Art. 60 Abs. 1 OR. 572 Artt. 129, 130 VE-Verjährung. 573 § 199 Abs. 2, 3 Satz 1 Ziff. 2 BGB. 574 Röthlisberger, 150. 570
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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Hinsichtlich der Frage, ob den Hersteller auch ohne Sorgfaltsverstoß bei Inverkehrbringen des Produkts noch mehr als zehn Jahre später eine Rückrufpflicht treffen kann, muss beachtet werden, dass heutzutage eine Gebrauchsdauer von wesentlich mehr als zehn Jahren nur bei einer kleinen Anzahl von Produkten zu erwarten ist. Vorstellbar ist dies insbesondere bei hochwertigen Sachen. So kann beispielsweise ein Passagierflugzeug bei guter Wartung einen Lebenszyklus von 30 Jahren haben. 575 Des Weiteren wäre für die Relevanz dieser langen Dauer der Rückrufpflicht erforderlich, dass ein Entwicklungsrisiko tatsächlich erst nach mehr als einem Jahrzehnt erkennbar wird. Die Kumulation dieser beiden Faktoren wird selten anzutreffen sein. Wenn sie jedoch vorliegt, so spricht jedenfalls in Fällen, in denen wichtigen Rechtsgütern schwere Schäden drohen, viel dafür, den Hersteller nicht allein wegen Zeitablaufs aus seiner Rückrufpflicht zu entlassen. Schließlich wird er bei Verwendung entsprechender Materialien regelmäßig wissen, dass die Langzeitwirkungen bzw. die langfristige Verwendbarkeit noch nicht ausreichend bekannt und erprobt sind. Im Übrigen wird das Fehlen eines Sorgfaltsverstoßes bei Inverkehrbringen bereits im Rahmen der Zumutbarkeitsabwägung berücksichtigt 576 und es spricht nichts dagegen, in diese Abwägung auch die Tatsache einfließen zu lassen, dass das Produkt schon während eines entsprechend langen Zeitraumes benutzt worden ist. Soweit keine Personenschäden drohen, mag darüber hinaus die zehnjährige Verjährungsfrist, wie sie der schweizerische Vorentwurf vorsieht 577, einen Anhaltspunkt für die Zumutbarkeit in zeitlicher Hinsicht bieten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Dauer des Eingreifens einer Rückrufpflicht mit dem Inverkehrbringen jedes einzelnen Produkts beginnt und mit der zu erwartenden Benutzungsdauer, spätestens aber entsprechend der einschlägigen absoluten Verjährungsfrist nach Inverkehrbringen endet. Bei Entwicklungsrisiken und Ausreißern gilt es das besonders späte Auftreten von Gefahren in die Zumutbarkeitsabwägung einzustellen. II. Anspruch auf Rückruf? In diesem Abschnitt soll erörtert werden, ob sich aus der Verkehrspflicht des Herstellers zum Produktrückruf ein Anspruch ableiten lässt. Zwar ist nicht zu erwarten, dass diejenigen, die durch ein Produkt gefährdet sind, versuchen werden, die Durchführung einer Rückrufaktion einzuklagen. Dennoch kommt dem Rückrufanspruch nach verbreiteter Auffassung eine 575
Welt Online, 28.08.2008. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis zu Materialermüdungen bei Flugzeugen finden sich bei Dietrich, 119 f. 576 Siehe dazu oben S. 68 f. für Entwicklungsrisiken und S. 71 f für Ausreißer. 577 Art. 129 VE-Verjährung.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
hohe Relevanz zu, da er als unabdingbare Voraussetzung für eine Reihe anderer Ansprüche angesehen wird. Von praktischer Bedeutung sind darunter insbesondere der Anspruch des Produkteigentümers gegen den Hersteller auf Kostenersatz für die eigenständige Beseitigung der Produktgefahr 578 sowie derjenige des Endherstellers gegen den Zulieferer des fehlerhaften Teils auf Erstattung der Kosten für die Durchführung einer Rückrufaktion. Während ersterer hier nicht zu behandeln ist, bildet letzterer den Inhalt des zweiten Teils dieser Arbeit 579. Dort wird insbesondere auch auf die Frage eingegangen, ob es für den Regress in der Tat auf das Bestehen eines Rückrufanspruchs ankommt. Zunächst gilt es hier jedoch zu klären, ob ein solcher Anspruch auf den Rückruf eines gefährlichen Produkts überhaupt in Frage kommt. Für die Schweiz wurde diese Frage, soweit ersichtlich, bisher ausschließlich von Röthlisberger erörtert. 580 In Deutschland hingegen ist sie bereits lange intensiv und kontrovers diskutiert worden. 581 Dabei bewegt sich das Spektrum der Meinungen zwischen der Auffassung, es könne keinen Anspruch auf Rückruf fehlerhafter Produkte geben, 582 und der Ansicht, mit der Rückrufpflicht korreliere gleichsam automatisch ein Anspruch 583. Die präventive Durchsetzung der Rückrufverkehrspflicht ist primär auf der Grundlage (quasi-)negatorischer und deliktischer Ansprüche denkbar. Diese werden im Folgenden eingehend behandelt. Darüber hinaus ist die Durchsetzung ähnlicher Anspruchsziele zwar grundsätzlich auch über das Vertragsrecht möglich. 584 Darauf soll jedoch hier aus zwei Gründen nicht näher eingegangen werden. Erstens handelt es sich dabei nicht um die präventive Durchsetzung der Rückrufpflicht im eigentlichen Sinne. Und zweitens sind vertragliche Beziehungen zwischen den durch ein fehlerhaftes Produkt gefährdeten Personen und dem Hersteller nicht der Regelfall, sondern eine eher seltene Ausnahme und deswegen nicht Inhalt dieser Ar578
Zum Verhältnis dieser Ansprüche zum Anspruch auf Rückrufmaßnahmen Bodewig, 330. 579 S. 161 ff. 580 Röthlisberger, 181 ff. Christen, 195, lehnt Rückrufansprüche nach Schweizer Recht mit einem kurzen Hinweis auf die deutsche Rechtslage ab. Einen Rückrufanspruch bejaht kurzerhand Rochaix, 42, allerdings bleibt unklar, ob sich diese Aussage auf das schweizerische Recht bezieht; zudem nimmt er keinerlei dogmatische Einordnung vor. 581 Siehe dazu nur die umfassenden Nachweise bei Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 39, Rz. 1. 582 Jäckle, 226 ff.; Kettler, PHi 2008, 52, 64; Pauli, PHi 1985, 134, 142 ff.; Pieper, BB 1991, 985, 991; Schreiber, 71; Stoll, FS Lange, 729, 745 ff.; Tamme, 308; Vieweg/ Schrenk, JURA 1997, 561, 564. 583 J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 25; Michalski, BB 1998, 961, 964; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1060 f. 584 Siehe hierzu bereits die Nachweise in Fn. 45 auf S. 18 oben.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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beit. 585 In der Literatur ist auch diskutiert worden, ob sich aus dem Wettbewerbsrecht Rückrufansprüche ergeben können. 586 Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass wettbewerbsrechtliche Ansprüche in Einzelfällen auch die Abwehr von Gefahren, die durch fehlerhafte Produkte drohen, bewirken können, so ist dies nicht der vordringliche Zweck des Wettbewerbsrechts. Daher werden Ansprüche aus diesem Rechtsgebiet hier ausgespart. 1.
Negatorische und quasi-negatorische Ansprüche
Der Inhaber eines Rechtsguts kann sich unter gewissen Voraussetzungen gegen dessen (bevorstehende) Beeinträchtigung wehren. Als Anspruchsgrundlagen kommen grundsätzlich die negatorischen Ansprüche nach Art. 641 Abs. 2 ZGB bzw. § 1004 Abs. 1 BGB in Betracht, mit denen jeweils das Eigentum geschützt wird. In Deutschland treten die sogenannten quasi-negatorischen Ansprüche gemäß § 1004 Abs. 1 BGB analog 587 hinzu, durch die der Schutz auf alle weiteren deliktisch geschützten Rechtsgüter ausgedehnt wird. 588 In der Schweiz wird der Eigentumsschutz ergänzt um den Persönlichkeitsschutz nach Art. 28a Abs. 1 ZGB, wozu insbesondere auch der Schutz der körperlichen Unversehrtheit gehört. 589 Diese Abwehransprüche existieren jeweils in zwei Formen: als Beseitigungs- 590 und
585
Siehe die Eingrenzung oben auf S. 7 f. Grundlegend Sack, DAR 1983, 1 ff.; siehe auch: Bodewig, 370 ff.; Beck, 142 ff.; Droste, 262 ff.; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 39, Rz. 19 ff.; Rettenbeck, 123 ff.; Röthlisberger, 188 ff.; Schulenberg, 175 ff. 587 Sofern man bereit ist, § 26 Abs. 4 PrSG-D als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen (siehe dazu oben S. 41 ff.), kommt auch ein Anspruch gestützt auf §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 BGB analog in Betracht. Zu dieser Anspruchsgrundlage vgl. BGH, 27.09.1996, NJW 1997, 55, 55. 588 Die quasi-negatorischen Ansprüche gelten heute als allgemein anerkannt, siehe die Hinweise auf Rechtsprechung und Literatur bei Gursky in Staudinger, § 1004, Rz. 16; Fritzsche in BeckOK-BGB, § 1004, Rz. 2, 4. Sie dienen dem Schutz aller sonstigen absolut geschützten Rechtsgüter, die auch unter den Schutz von § 823 Abs. 1 BGB fallen, Bassenge in Palandt, § 1004, Rz. 4; Chr. Berger in Jauernig, § 1004, Rz. 2; G. Wagner in MüKoBGB5, vor § 823, Rz. 35 m.w.N. Insofern kann ein quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch nach deutschem Recht z.B. zum Schutz von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit geltend gemacht werden. Sehr kritisch zu dieser Ausdehnung jedoch Gursky in Staudinger, § 1004, Rz. 13, der dementsprechend auch einen Rückrufanspruch auf dieser Grundlage ablehnt. 589 Nach dieser Vorschrift kann das Gericht eine drohende Verletzung der Persönlichkeit verbieten. Zu den Persönlichkeitsrechten im Sinne von Art. 28 Abs. 1 ZGB zählt unter anderem das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Riemer, Rz. 293; ausführlich zur physischen Integrität als geschütztem Persönlichkeitsgut Brückner, Rz. 534 ff. 590 Artt. 28a Abs. 1 Ziff. 2, 641 Abs. 2 ZGB, § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. 586
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
als Unterlassungsansprüche 591. Dabei zielen erstere auf die Abwehr der Beeinträchtigung und ihrer unmittelbaren Folgen, während letztere bezwecken, die Störung als solche zu unterbinden. Unterlassungsansprüche können zudem in vorbeugender Form bestehen, d.h. bevor eine Beeinträchtigung überhaupt stattgefunden hat. 592 Bevor auf die einzelnen Voraussetzungen dieser Ansprüche eingegangen wird, sei hier noch bemerkt, dass der Anwendungsbereich der negatorischen Ansprüche, also Art. 641 Abs. 2 ZGB und § 1004 Abs. 1 BGB in direkter Anwendung, im Rückrufbereich verhältnismäßig gering ist, da sie nur dem Schutz des Eigentums dienen. Für die Schweiz bedeutet dies, dass ein Rückrufanspruch nach Art. 641 Abs. 2 ZGB nur in Frage kommt, wenn eine andere Sache als das defekte Produkt durch dieses konkret gefährdet oder bereits beeinträchtigt wird. a)
Beseitigungsanspruch
Ein Beseitigungsanspruch gemäß Art. 28a Abs. 1 Ziff. 2 oder Art. 641 Abs. 2 ZGB bzw. gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB (analog) kann nur geltend gemacht werden, wenn ein Rechtsgut des Anspruchstellers im Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs beeinträchtigt wird. 593 In seltenen Fällen entsteht durch die von dem Produkt ausgehende Gefahr in der Tat bereits eine als Beeinträchtigung zu wertende Rechtsgutsverletzung, ohne dass sich die Gefahr bereits verwirklicht hätte. 594 So lag es beispielsweise in einem vom Landgericht Berlin entschiedenen Fall. 595 Dem Kläger war eine Hüftgelenksprothese implantiert worden. Bei Prothesen wie dieser wurde kurze Zeit später eine erhöhte Bruchauffälligkeit festgestellt, die zusätzliche regelmäßige Untersuchungen nötig machte und bei dem Kläger zu erheblichen Ängsten vor einem plötzlichen Bruch führte. Das Gericht urteilte, dass darin eine Gesundheitsbeeinträchtigung (in 591
Artt. 28a Abs. 1 Ziff. 1, 641 Abs. 2 ZGB, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zu § 1004 BGB ist dies – entgegen dem Wortlaut der Vorschrift – einhellige Meinung, Baldus in MüKoBGB 5, § 1004, Rz. 134 m.w.N.; im Schweizer Recht ist dies ohnehin eine Selbstverständlichkeit, da der Wortlaut der Vorschriften keine entsprechende Einschränkung enthält, siehe nur Meili in BaslerKomm-ZGB I, Art. 28a, Rz. 2; MeyerHayoz in BernerKomm, Art. 641 ZGB, Rz. 103. 593 Fritzsche in BeckOK-BGB, § 1004, Rz. 33; Gursky in Staudinger, § 1004, Rz. 135; Meili in BaslerKomm-ZGB I, Art. 28a, Rz. 4; Meyer-Hayoz in BernerKomm, Art. 641 ZGB, Rz. 103; Röthlisberger, 187; Wiegand in BaslerKomm-ZGB II, Art. 641, Rz. 66. 594 Darauf weist bereits Bodewig, 340, 344 f. hin und führt das Beispiel eines Herzschrittmachers mit einer solch hohen Versagensquote an, „daß bei labilen Betroffenen das Bewußtsein der Gefährdung zu solch starken Angstgefühlen […] führt, daß dadurch eine Gesundheitsverletzung verursacht wird.“ 595 LG Berlin, 09.12.2008, 5 O 467/07. 592
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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psychischer Form) liege und sprach dem Kläger aufgrund dieser Rechtsgutsverletzung Schadensersatz in der Form von Schmerzensgeld zu. 596 Üblicherweise fehlt es zu dem Zeitpunkt, in dem ein Rückrufanspruch relevant werden könnte, jedoch (noch) an einer Rechtsgutsverletzung, so dass es entscheidend darauf ankommt, ob in der von dem fehlerhaften Produkt ausgehenden Gefährdung bereits eine Beeinträchtigung zu sehen ist. 597 Abzulehnen ist dies in Bezug auf die drohende Verletzung von Personen, solange es nicht wie gerade beschrieben bereits zu einer Rechtsgutsverletzung gekommen ist. 598 Bezogen auf die negatorischen Ansprüche, wenn also eine Verletzung des Eigentums droht, stellt sich die Frage, ob die Einschränkung in der Nutzung einer Sache als eine nach Art. 641 Abs. 2 ZGB und § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB relevante Beeinträchtigung dieser Sache anzusehen ist. Entscheidend kommt es hier darauf an, dass die Nutzungseinschränkung auf der Entscheidung des Eigentümers respektive Nutzers beruht und nicht unmittelbar durch das gefährliche Produkt verursacht wird. Während es richtig ist, dass eine Beeinträchtigung nicht zwingend einen Schaden verlangt 599, muss doch nach herrschender Ansicht eine Einwirkung auf die Sache selbst vorliegen 600. Daran fehlt es beim Verzicht auf die Nutzung, der durch die Gefährdung begründet ist. Wollte man diesen bereits als Beeinträchtigung im beschriebenen Sinne ansehen, würde die Abgrenzung zum Anwendungsbereich des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs verwässern. 601 Sachen und Personen, denen eine Schädigung droht, sind demnach regelmäßig mit einem Unterlassungsanspruch zu schützen. 602
596
LG Berlin, 09.12.2008, 5 O 467/07, E. 12 ff. Dafür: OLG Stuttgart, 29.07.1966, NJW 1967, 572 ff. (Dachplatten); J. Hager, VersR 1984, 799, 806; Kreidt, 223 f.; Löwe, DAR 1978, 288, 293 (den Anspruch letztlich aber dennoch ablehnend); Schulenberg, 147; für Ausnahmefälle auch Bodewig, 344 f.; dagegen: Beck, 81; Droste, 251; Rettenbeck, 103; Vieweg/ Schrenk, JURA 1997, 561, 563; Fritzsche in BeckOK-BGB, § 1004, Rz. 50, differenziert danach, ob der bestehende Zustand zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung führt, wovon in Fällen von Produktfehlern regelmäßig nicht auszugehen sein wird. 598 So für Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB auch Röthlisberger, 187. 599 Ehlers in jurisPK, § 1004, Rz. 3; J. Hager, VersR 1984, 799, 802; Meyer-Hayoz in BernerKomm, Art. 641 ZGB, Rz. 104. 600 Meyer-Hayoz in BernerKomm, Art. 641 ZGB, Rz. 104; Schulte-Nölke in Schulze et al., § 1004, Rz. 3. 601 Rettenbeck,103; allgemein dazu Gursky in Staudinger, § 1004, Rz. 135. 602 Droste, 251; Rettenbeck, 103; Vieweg/Schrenk, JURA 1997, 561, 563; differenzierend: Fritzsche in BeckOK-BGB, § 1004, Rz. 50; unklar, ob der Rückrufanspruch auf einen Beseitigungs- oder auf einen Unterlassungsanspruch gestützt wird: K. Mayer, DB 1985, 319, 322; Pieper, BB 1991, 985, 990 ff.; Seeling, 126, erachtet die Differenzierung für irrelevant. 597
126 b)
Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Unterlassungsanspruch
Die Durchsetzung der Rückrufpflicht mithilfe eines Unterlassungsanspruchs ist mit einer Reihe von Fragezeichen versehen, die über die gewöhnlichen Anforderungen für einen Unterlassungsanspruch hinausgehen. Im Folgenden wird zunächst die allgemeine Frage erörtert, ob mittels eines Unterlassungsanspruchs eine Handlung angeordnet werden kann. Anschließend wird auf die Sonderproblematik der präventiven Durchsetzung von Verkehrspflichten näher eingegangen, bevor zuletzt die weiteren Voraussetzungen kurz angesprochen werden. (i) Allgemein: Anordnung einer Handlung mittels Unterlassungsanspruch Im Hinblick auf die Rechtsfolge eines Unterlassungsanspruchs zum Zweck des Produktrückrufs stellt sich die Sonderfrage, ob der Rückruf eines fehlerhaften Produkts überhaupt von einer solchen Anspruchsgrundlage erfasst wird. Während Unterlassungsansprüche in erster Linie darauf abzielen, dem potentiellen Schädiger eine gefährliche Handlung zu verbieten, besteht das Ziel des Anspruchstellers bei einem Rückrufanspruch darin, dass eine konkrete Handlung zur Gefahrenabwehr angeordnet wird. Es geht also um eine Verurteilung zur Unterlassung einer Unterlassung und nicht eines aktiven Tuns. In Deutschland ist anerkannt, dass mit einer Unterlassungsklage nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB (direkt oder analog) auch ein solches Ziel verfolgt werden kann. 603 Als Begründung hierfür wird angeführt, dass bei der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs davon ausgegangen wurde, Gefahren könnten nur durch aktives Tun drohen. Mittlerweile ist jedoch klar, dass eine Unterlassung genauso eine Gefahr darstellen kann, so dass sich der Unterlassungsanspruch entsprechend auch auf deren Unterlassung richten können muss. 604 Gleiches gilt für den Anspruch auf Schutz des Eigentums vor Beeinträchtigungen nach Art. 641 Abs. 2 ZGB. 605 Weniger klar ist die Rechtslage in der Schweiz bezüglich des Schutzes der Persönlichkeitsrechte. Soweit ersichtlich hat sich mit dieser Problema-
603 BGH, 12.12.2003, NJW 2004, 1035, 1036 f. m.w.N.; Bassenge in Palandt, § 1004, Rz. 33; Bodewig, 347 ff.; Gursky in Staudinger, § 1004, Rz. 211 m.w.N.; Seeling, 110 f.; im Ergebnis auch Beck, 86 ff.; a.A. Chr. Berger in Jauernig, § 1004, Rz. 12. 604 Zur historischen Entwicklung und Begründung Rettenbeck, 106 ff. 605 Meyer-Hayoz in BernerKomm, Art. 641 ZGB, Rz. 107 mit Verweis auf BGer, 12.05.1967, BGE 93 II 230, 234 ff., E. 3.b, wo im Hinblick auf Art. 679 ZGB ein Unterlassen als erhebliche Eigentumsüberschreitung angesehen wurde, „wenn ein Grundeigentümer die Vorkehren nicht trifft, die nötig sind, um zu verhindern, dass infolge von gegenwärtigen oder frühern Bewirtschaftungs- oder Benützungshandlungen Gefahren für die Nachbarn entstehen” (234 f.).
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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tik ausdrücklich bisher lediglich Röthlisberger befasst. 606 Er konstatiert knapp, mit der Unterlassungsklage könnten „lediglich künftige Handlungen verboten, nicht aber Handlungen angeordnet werden.“ 607 Allerdings lässt sich diese Annahme Röthlisbergers nicht ohne weiteres nachvollziehen. Keiner der Quellen, auf die er sich beruft, 608 ist tatsächlich die Aussage zu entnehmen, dass keine Handlungen angeordnet werden können. Vielmehr ist dort jeweils lediglich davon die Rede, dass sich die Unterlassungsklage auf ein bestimmtes, individualisierbares Verhalten beziehen müsse und nicht allgemein – d.h. ohne weitere Beurteilung nicht vollstreckbar – formuliert werden kann. Zuzugeben ist Röthlisberger, dass in der Literatur teilweise die Aussage zu finden ist, mithilfe von Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB könnten nur „bestimmte Handlungen“ verboten werden. 609 Aus dem Zusammenhang und dem Verweis auf das Urteil des Bundesgerichts vom 2. März 1971 610 wird jedoch jeweils ersichtlich, dass der Schwerpunkt darauf liegt, dass nur konkrete Handlungen, nicht aber darauf, dass nur Handlungen verboten werden können. Der Gesetzestext selbst enthält ebenfalls keine Beschränkung auf das Verbot von Handlungen. Danach kann der Kläger vielmehr dem Gericht beantragen „eine drohende Verletzung zu verbieten“. Es ist nicht ersichtlich, warum der Schutz vor drohenden Verletzungen davon abhängen sollte, ob diese Verletzung durch ein Tun oder durch ein Unterlassen hervorgerufen würde respektive ob ein Unterlassen oder eine Handlung anzuordnen wäre. Schließlich findet sich auch in der Literatur mitunter implizit Unterstützung dafür, dass der Anspruchsgegner mittels der sogenannten Unterlassungsklage aus Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB auch zu einer spezifischen Handlung verurteilt werden kann. So ist laut einigen Autoren gemäß dieser Vorschrift das Verbot eines „Verhaltens“ möglich, 611 was regelmäßig als
606
Der Grund hierfür dürfte darin liegen, dass Art. 28a ZGB im Rahmen einer Revision eingeführt wurde, deren Ziel insbesondere der Schutz der Persönlichkeit vor Verletzungen durch die Medien war (BBl. 1982 II 636, 637). Persönlichkeitsverletzungen durch Medien drohen selten aufgrund von Unterlassungen. 607 Röthlisberger, 187. 608 BGer, 02.03.1971, BGE 97 II 92 ff.; Meili in BaslerKomm-ZGB I, Art. 28a, Rz. 2; Tuor/Schnyder/J. Schmid, 96; T. Merz, 93. 609 So z.B. bei dem von Röthlisberger zitierten Meili in BaslerKomm-ZGB I, Art. 28a, Rz. 2; ebenso bei A. Bucher, Rz. 556. 610 BGer, 02.03.1971, BGE 97 II 92, 93. 611 Brückner, Rz. 694; Jäggi, ZSR 1960 II, 133a, 182a; Meili in BaslerKomm-ZGB I, Art. 28a, Rz. 2; Pedrazzini/Oberholzer, 155; Riemer, Rz. 389; Tuor et al., § 11, Rz. 26; so auch BGer, 02.03.1971, BGE 97 II 92, 93.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Oberbegriff für Tun und Unterlassen verstanden wird 612. Deschenaux/Steinauer sprechen sogar ausdrücklich von „aktivem“ und „passivem“ Verhalten, welches angeordnet werden könnte, 613 worunter nur Tun und Unterlassen verstanden werden können. Für die Erfassung beider Begriffe spricht zudem, dass Tun und Unterlassen häufig nur schwer voneinander abzugrenzen sind. Die von Meili genannten Beispiele, 614 dass eine Unterlassungsklage darauf gerichtet sein könnte, Passagen, Namen und dergleichen in Texten zu streichen oder zu schwärzen, können beispielsweise auch problemlos als die Anordnung konkreter Handlungen verstanden werden. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass bis anhin nicht abschließend geklärt ist, ob im Rahmen von Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB auch die Anordnung einer Handlung eingeklagt werden kann. Jedoch sprechen gute Gründe dafür. Zwar gilt es allgemein zu beachten, dass die Fälle, in denen nur eine konkrete Handlung des Anspruchsgegners die drohende Verletzung vermeiden kann, verhältnismäßig selten sein werden. Werden die Rechtsgüter des Anspruchstellers jedoch durch ein fehlerhaftes Produkt bedroht, so bleiben dem Hersteller regelmäßig nicht viele Handlungsalternativen. (ii) Im Besonderen: Einklagbarkeit von Verkehrspflichten Eine separat zu erörternde Frage bildet die Einklagbarkeit der Rückrufpflicht in ihrer Eigenschaft als Verkehrspflicht. In Deutschland war es lange umstritten, ob Verkehrspflichten präventiv durchgesetzt werden können. Die Zweifel lagen darin begründet, dass Verkehrspflichten in erster Linie Verhaltenspflichten sind, die die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens (oder – je nach Auffassung – das Verschulden 615) begründen. Sie wurden deswegen auch als „unselbständige“ Pflichten bezeichnet. 616 Heute ist aber nach deutschem Recht allgemein anerkannt, dass die Erfüllung von Verkehrspflichten unter gewissen Umständen über einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch eingeklagt werden kann. 617 In der Schweiz ist die612 So ausdrücklich Wiegand in BaslerKomm-ZGB II, Art. 641, Rz. 62; ebenso verwenden den Begriff beispielsweise Meyer-Hayoz in BernerKomm, Art. 641 ZGB, Rz. 107; Oftinger/Stark, Bd. I, § 3, Rz. 52. 613 Deschenaux/Steinauer, Rz. 600 („le comportement peut être actif (restituer une photographie que le défendeur veut transmettre à un tiers) ou passif“). 614 Meili in BaslerKomm-ZGB I, Art. 28a, Rz. 2. 615 Zu diesem Meinungsstreit siehe oben S. 25 f. 616 Henckel, AcP 174 (1974), 97, 112, Fn. 28; im Anschluss daran sodann v. Bar, Karlsruher Forum 1983, 80, 80. 617 Grundlegend hierzu v. Bar, Karlsruher Forum 1983, 80 ff., aufbauend auf Münzberg, JZ 1967, 689, 692, und Henckel, AcP 174 (1974), 97, 111 ff.; ausführlich Stiebler, Vorbeugender Rechtsschutz vor Verkehrspflichtverletzungen, Osnabrück 1986. Zum heutigen Stand: J. Hager, FS Prölss, 71, 75 f.: „Im Grundsatz ist es unstreitig, dass die Verletzung einer Verkehrspflicht einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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ses Thema bisher, soweit ersichtlich, nur gestreift, dabei teils skeptisch, 618 teils vorsichtig befürwortend 619 behandelt worden. Von Bar 620 kommt das Verdienst zu, die maßgeblichen Kriterien herausgearbeitet zu haben, unter denen Verkehrspflichten mittels (quasi-)negatorischer Ansprüche durchsetzbar sein sollen. Dabei handelt es sich erstens um das Vorliegen einer konkreten Gefahr, deren Bezugspunkt zweitens derart individualisierbar sein muss, dass der Betroffene aufgrund seiner Nähe zum Gefahrenherd trotz Kenntnis von demselben nicht in der Lage ist, sich mit zumutbaren Mitteln selbst zu schützen. Hier ist also zu untersuchen, ob diese beiden Voraussetzungen in Bezug auf die Rückrufpflicht des Herstellers gegeben sind. (1) Konkrete Gefährdung Ein Produkt, welches aufgrund eines Konstruktions- oder Fabrikationsfehlers jederzeit zu einer Rechtsgutsverletzung führen kann, stellt eine konkrete Gefahr dar. 621 Es unterscheidet sich insofern deutlich von der in der Diskussion über die Durchsetzbarkeit von Verkehrspflichten immer wieder als Beispiel angeführten (an und für sich fehlerfreien) Waschmaschine, bei deren Benutzung die – abstrakte – Gefahr besteht, dass ein Wasserschaden begründet.“; ebenso Schiemann in Erman, vor § 823, Rz. 21 f.; G. Wagner in MüKoBGB5, vor § 823, Rz. 37; spezifisch zur Rückrufverkehrspflicht Beck, 100 ff.; Bodewig, 347 ff.; Rettenbeck, 106 ff.; Schulenberg, 150 ff. 618 Oftinger/Stark, Bd. II/1, § 16, Rz. 30, Fn. 40 lehnen die präventive Durchsetzbarkeit von Verkehrspflichten ab, „weil sonst eine Unmenge sehr unpräziser, ungeschriebener Unterlassungsansprüche entstehen würde und weil es sich hier nicht um Dauereinwirkungen handelt, die vernünftigerweise durch Unterlassungs- oder Beseitigungsklagen gestoppt werden können. Die Aktivlegitimation wäre auch unklar; man müsste eine Popularklage einführen. Die Beseitigung von Unfallgefahren ist Sache des Polizeirechts, das sich z.B. gegen Motorfahrzeuge mit ungenügenden Bremsen, gegen ungenügend gesicherte Baugerüste und Liftanlagen usw. richtet.“ 619 Röthlisberger, 184, hält die Einklagbarkeit unter Verweis auf v. Bar, Karlsruher Forum 1983, 80 ff., in Ausnahmefällen für möglich, nämlich dann „wenn trotz Kenntnis der Gefahr keine Möglichkeit besteht, sich mit zumutbaren Mitteln selbst zu schützen“; Brehm in BernerKomm, Art. 41 OR, Rz. 51c zieht die Möglichkeit in Betracht, aus dem Gefahrensatz eine Klage auf Beseitigung der Gefahr abzuleiten. 620 v. Bar, Karlsruher Forum 1983, 80, 84 f. Zwar lehnt v. Bar selbst es in diesem Zusammenhang ab, dass „sich […] ein Verbraucher zum Produktsicherheitspolizisten aufspielen“ können soll (ibid., 80, 85). Diese Ablehnung bezieht sich aber ersichtlich nicht auf den konkret gefährdeten Eigentümer eines Produkts, das ein Sicherheitsrisiko darstellt, sondern auf die Frage, ob Verbraucher generell und ohne konkreten Anlass zur Produktüberwachung tätig werden können. So verweist v. Bar (ibid., 85) darauf, dass niemand gezwungen sei, ein Produkt zu erwerben, das er für gefährlich hält; „[e]r mag auf ein konkurrierendes Erzeugnis ausweichen.“ 621 Dies gilt unabhängig davon, ob die Gefahr bereits bei Inverkehrbringen erkennbar war oder nicht, also auch bei Entwicklungsrisiken.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
eintreten kann 622. Die Konkretheit der Gefährdung durch ein fehlerhaftes Produkt ist allerdings in zweierlei Hinsicht zu spezifizieren: einerseits muss präzisiert werden, welchen Personen die von dem fehlerbehafteten Produkt ausgehende Gefahr in ausreichend konkreter Form droht; zweitens gilt es zu klären, ob alle potentiell von einem Rückruf zu erfassenden Produkte eine derartige konkrete Gefahr darstellen. (a) Gefährdete Personen Ein gefährliches Produkt stellt nicht für alle Personen, die auf irgendeine Weise zu irgendeinem Zeitpunkt an irgendeinem Ort mit ihm in Berührung kommen und dadurch in ihren Rechtsgütern verletzt werden könnten, eine konkrete Gefährdung dar. Vielmehr bedarf es für die konkrete Gefährdung einer Person einer gewissen Nähe dieser Person zu der von dem Produkt ausgehenden Gefahr. Maßgeblich ist hierfür, ob davon auszugehen ist, dass die Rechtsgüter der betreffenden Person verletzt werden, wenn die Gefahr nicht beseitigt wird. 623 Diese Annahme kann nur bei denjenigen Personen getroffen werden, deren Rechtsgüter regelmäßig dergestalt mit dem Produkt in Berührung kommen, dass sie bei Verwirklichung der Gefahr betroffen wären. 624 Diese Voraussetzung erfüllen üblicherweise nur die regelmäßigen Nutzer des Produkts. Abzustellen ist dazu auf die tatsächliche Nutzung, nicht auf die rechtliche Zuordnung. So ist beispielsweise ein Arbeitnehmer konkret gefährdet, wenn der Kran, den er täglich bedient, fehlerhaft ist und einzustürzen droht. Gleiches gilt für den Sohn der Halterin eines Autos, wenn er derjenige ist, der das gefährliche Fahrzeug täglich benutzt. An der konkreten Gefährdung mangelt es jedoch bei anderen Verkehrsteilnehmern, die durch das Fahrzeug aufgrund eines Unfalls verletzt werden können, und bei der Nachbarin, die sich das Fahrzeug gelegentlich für einen Wochenendausflug leiht. Die teilweise geltend gemachte Befürchtung, die Durchsetzbarkeit von Verkehrspflichten führe zu Popularklagen, weil diese Pflichten grundsätz-
622 Das Waschmaschinen-Beispiel geht auf den Fall des OLG Düsseldorf, 23.07.1974, NJW 1975, 171 zurück. Es wurde von v. Bar, Karlsruher Forum 1983, 80, 80, verbunden mit der Frage, ob „einer Hausfrau“ von ihrer Nachbarin verboten werden könne, das Haus zu verlassen, solange deren Waschmaschine lief, in die Diskussion um die Einklagbarkeit von Verkehrspflichten eingeführt und ist seither in diesem Zusammenhang zum Standardbeispiel geworden. 623 Beck, 118, spricht von einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit, durch das Produkt geschädigt zu werden. 624 Beck, 118, 120; eine konkrete Gefährdung durch gefährliche Produkte offenbar gänzlich ablehnend: Pieper, BB 1991, 985, 990; Seeling 133 ff.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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lich gegenüber jedermann bestehen, 625 erweist sich somit jedenfalls für den Fall der Rückrufpflicht als unbegründet. Die sogenannten innocent bystanders, die nur zufällig mit dem Produkt in Berührung kommen, können mangels konkreter Gefährdung keinen Rückrufanspruch gegen den Hersteller geltend machen. 626 (b) Gefährliche Produkte Handelt es sich bei dem Produktfehler um einen, der im Design bzw. der Konstruktion begründet ist, so haftet dieser Fehler jedem Produkt der Serie an, so dass auch jedes Produkt gefährlich ist. Wie oben im Zusammenhang mit dem Inhalt der Rückrufpflicht bereits kurz angesprochen 627, liegt der Fall jedoch anders bei Fabrikationsfehlern. Sie betreffen nur einen Teil der Produktserie, wobei häufig nicht klar ist, welche Produkte von dem Fehler betroffen und somit gefährlich sind. In dieser Situation ist es fraglich, ob im Rahmen des Unterlassungsanspruchs davon ausgegangen werden kann, dass alle potentiell betroffenen Produkte eine konkrete Gefährdung darstellen. Letztlich geht es hierbei um die Frage, ob der Verdacht einer Gefährdung durch das Produkt ausreicht. Die Problematik dieser Situation liegt darin begründet, dass der Produktnutzer häufig nicht in der Lage ist festzustellen, ob es sich bei dem von ihm verwendeten Produkt um ein fehlerbehaftetes Exemplar handelt. Gerade wenn der Fehler in einem Zulieferteil begründet liegt, ist dieses häufig dergestalt in das Endprodukt eingebaut, dass die Überprüfung auf die Fehlerhaftigkeit von dem Nutzer nicht vorgenommen werden kann. Wenn der Produktfehler überhaupt festgestellt werden kann, ohne das Produkt zu beschädigen oder zu zerstören, so ist dies in vielen Fällen nur dem Hersteller möglich, teils jedoch auch nur mit unvertretbarem Aufwand. Gleichzeitig liegt es aber in der Hand des Herstellers, die sogenannte traceability (Rückverfolgbarkeit) zu gewährleisten, d.h. den Produktionsprozess derart zu gestalten und zu dokumentieren, dass er bei Auftreten von Produktgefahren deren Ursache zügig eruieren und beispielsweise nachvollziehen kann, in welche Endprodukte das gefahrenträchtige Teil eingebaut wurde. 628 Schwierigkeiten in der Bestimmung, ob ein einzelnes Produkt fehlerhaft ist oder nicht, fallen daher in der Regel in die Sphäre des Herstellers, nicht 625 So z.B. Oftinger/Stark, Bd. II/1, § 16, Rz. 30, Fn. 40, siehe dazu das Zitat oben S. 129, Fn. 618. 626 Beck, 118 f.; Droste, 258; H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1807; Rettenbeck, 115; Röthlisberger, 188. 627 S. 103. 628 Zur Gewährleistung der sogenannten traceability durch den Hersteller siehe auch noch unten S. 241 ff.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
in die des Produktnutzers. Insofern muss für die Frage, ob das einzelne Produkt eine konkrete Gefährdung darstellt, auf die ex-ante-Perspektive abgestellt werden. 629 Es reicht also aus, wenn das Produkt zu denjenigen Produkten gehört, bei denen mit dem Vorliegen eines Fehlers zu rechnen ist, beispielsweise weil sie in einem bestimmten Zeitraum produziert wurden. 630 Weiter kann die Beweislast des Anspruchstellers nicht reichen. 631 (2) Selbstschutzmöglichkeiten des Anspruchstellers Den Kern der Diskussion um die präventive Durchsetzbarkeit der Rückrufpflicht mithilfe von (quasi-)negatorischen Ansprüchen bilden die Selbstschutzmöglichkeiten des Produktnutzers respektive -eigentümers. (a) Relevanz der Zumutbarkeit des Selbstschutzes Während von Bar noch allgemein formulierte, die präventive Durchsetzbarkeit der Verkehrspflichten setze voraus, dass der Anspruchsteller „zu eigenverantwortlicher Schadensvorsorge mit zumutbaren Mitteln nicht in der Lage“ sei, 632 ist dieses Kriterium in der Erörterung des Rückrufanspruchs bei verschiedenen Tatbestandsmerkmalen als relevant erachtet worden. Wenn dem Anspruchsteller zumutbare Selbstschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen, soll dies nach unterschiedlichen Ansichten folgende Auswirkungen haben: Teilweise wird die Rechtswidrigkeit der (drohenden) Beeinträchtigung abgelehnt bzw. eine Duldungspflicht des Anspruchstellers statuiert 633, teils soll die Störereigenschaft des Herstellers im Verhältnis zum Anspruchsteller entfallen 634, mitunter wird die Aktivlegitima-
629 Ebenso Kreidt, 223; a.A. K. Mayer, DB 1985, 319, 324 (kein Anspruch des „möglicherweise Gefährdeten“); Seeling, 128 („wohl nicht“). 630 Stellt sich das betreffende Produkt im Rahmen der vom Hersteller durchzuführenden Überprüfung als fehlerfrei heraus, so genügt er mit dieser Feststellung auch seiner Pflicht zur Gefahrenabwehr. 631 Darüber, dass der Anspruchsteller die Beweislast für die Gefährlichkeit trägt, herrscht Einigkeit (K. Mayer, DB 1985, 319, 323; Meili in BaslerKomm-ZGB I, Art. 28a, Rz. 2; Münch in Soergel, § 1004, Rz. 466, 468; Wiegand in BaslerKomm-ZGB II, Art. 641, Rz. 66), allerdings ohne dass ansonsten näher auf den Inhalt der Beweislast mit Blick auf Fabrikationsfehler eingegangen würde (mit Ausnahme der Autoren in Fn. 629). 632 v. Bar, Karlsruher Forum 1983, 80, 85. 633 In diese Richtung wohl Röthlisberger, 187 f., wenn er formuliert: „die bekannte Produktgefahr [wird] kaum je derart unausweichlich sein, dass ihn [den Produktbesitzer] lediglich noch der Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch vor Schaden bewahren kann.“ 634 Droste, 261; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 39, Rz. 14; Lenz, PHi 2003, 142, 149; Seeling, 132 f. (im Verhältnis zum Endabnehmer); einschränkend Kreidt, 231 ff.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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tion 635 des Anspruchstellers oder dessen konkrete Gefährdung 636 verneint. 637 Keiner dieser Ansichten soll hier ihre grundsätzliche Berechtigung abgesprochen werden. Allerdings verlieren sie bei Bestehen einer Rückrufpflicht allesamt ihre Relevanz. 638 Dies ist die schlichte Folge daraus, dass die Selbstschutzmöglichkeiten des Produkteigentümers/-nutzers im Rahmen der Frage, ob der Hersteller zum Rückruf verpflichtet ist, bereits berücksichtigt wurden. 639 Sie führen beispielsweise dann zur Ablehnung einer Rückrufpflicht, wenn lediglich geringwertige Sachschäden zu befürchten sind, ein Rückruf jedoch mit hohem finanziellem Aufwand verbunden wäre. Das Bestehen einer Rückrufpflicht setzt nach dem hier vertretenen Verständnis (welches insofern mit der ganz herrschenden Meinung übereinstimmt) gerade voraus, dass der Produkteigentümer/-nutzer nicht darauf verwiesen werden kann, sich selbst vor den Gefahren des Produkts zu schützen. Diese Wertung beruht auf einer umfassenden Interessenabwägung und sollte nicht dadurch konterkariert werden, dass im Rahmen des Rückrufanspruchs der Verzicht auf die Nutzung des gefährlichen Produkts regelmäßig als zumutbar erachtet wird 640. 641 Genauso wenig überzeugt es, die Selbstschutzmöglichkeiten für den Rückrufanspruch ein zweites Mal zu berücksichtigen mit der Konsequenz, dass ein Anspruch zur Durchsetzung der Rückrufverkehrspflicht in einigen Fällen anzunehmen, in anderen abzulehnen ist. 642
635
Für diese Einordnung Rettenbeck, 114 ff., 116 (für den bloßen Produktbenutzer). Seeling, 134. 637 Ohne nähere Einordnung oder Begründung lehnt den Rückrufanspruch bei Selbstschutzmöglichkeit ab: G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 655. 638 Für den Gleichlauf von Rückrufpflicht und -anspruch im Ergebnis auch Beck, 108 ff. 639 Siehe oben S. 78 ff. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im PflegebettenFall kann im Hinblick auf die Frage der (erneuten) Berücksichtigung der Selbstschutzmöglichkeiten im Rahmen eines Rückrufanspruches keinerlei Aussage entnommen werden. Zwar verweist der Bundesgerichtshof (im Rahmen der Prüfung eines deliktsrechtlichen Anspruchs) darauf, dass der bloße Verzicht auf die Nutzung die Gefährdung bereits beseitigt hätte (BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1083, E. 24), allerdings hatte er zuvor bereits die Rückrufverkehrspflicht abgelehnt und dort insofern auch nicht die Unzumutbarkeit des Selbstschutzes festgestellt. 640 So aber wohl Röthlisberger, 187 f. 641 Ebenso Beck, 106 ff.; Rettenbeck, 116. 642 So aber wohl Bodewig, 350 und 364 mit Fn. 896, wenn auch sehr vorsichtig. 636
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
(b) Ansicht Wilhelmis In differenzierter Weise hat sich jüngst Wilhelmi 643 für eine zweistufige Interessenabwägung inklusive zweifacher Prüfung der Selbstschutzmöglichkeiten des Betroffenen als Voraussetzung negatorischer Ansprüche stark gemacht. Nach Wilhelmis Verständnis wird zur Bestimmung der Verkehrspflichten eine erste Interessenabwägung vorgenommen, die die Risikoverteilung betrifft. Darin wird auf Seiten des potentiell Verantwortlichen nur die unvermeidbare Belastung berücksichtigt. Darunter ist der Aufwand zu verstehen, der sich aus dem Verstoß gegen die Verkehrspflicht ergibt (sprich: der dann zu leistende Schadensersatz), begrenzt durch den Aufwand, der durch die Einhaltung der Verkehrspflicht entstünde. 644 Wenn eine Verkehrspflicht besteht, wird dann in der zweiten Interessenabwägung über die Verpflichtung zum Schutz vor dem Risiko entschieden, mithin über das Bestehen eines negatorischen Anspruchs auf Abwendung der Gefahr. Folglich werden in dieser Abwägung auf Seiten des Verkehrspflichtigen die Kosten für die Einhaltung der Verkehrspflicht, also die Gefahrenabwehr selbst, in die Interessenabwägung eingestellt. 645 Wilhelmi ist zuzustimmen, dass diese zweistufige Prüfung in vielen Fällen differenzierte und sachgerechte Abwägungen ermöglicht, indem jeweils nur die notwendige Belastung des potentiell Verpflichteten als maßgeblich erachtet wird. Dadurch kann es in der Tat auch zu einer verschiedenen Einstufung der Selbstschutzmöglichkeiten des Betroffenen kommen, so dass der Selbstschutz im Hinblick auf die Verkehrspflicht noch als unzumutbar, bei der Prüfung des negatorischen Anspruchs jedoch als zumutbar anzusehen ist und der Anspruch mithin weniger weit reicht als die Verkehrspflicht. Anders liegen die Dinge jedoch in Bezug auf die hier diskutierte Rückrufpflicht und den betreffenden Anspruch. Eine zweite Interessenabwägung bei der Prüfung des (quasi-)negatorischen Anspruchs kann in diesem Zusammenhang nicht vorgenommen werden, weil der Aufwand des Herstellers für die Gefahrenabwehr – in Übereinstimmung mit der allgemeinen Diskussion – bereits in der Abwägung im Rahmen der Festlegung der Verkehrspflicht berücksichtigt wurde. Für eine weitere Interessenabwägung bleibt an dieser Stelle daher kein Raum mehr, zumal auch nicht ersichtlich wäre, welcher zusätzliche Faktor auf Seiten des Herstellers noch in die Waagschale geworfen werden könnte. 646 643
Wilhelmi, 296 ff., passim. Wilhelmi, 256 f. 645 Wilhelmi, 297 ff. 646 Bodewig, 364, Fn. 896 verweist zwar abstrakt darauf, dass dem Hersteller ein Anspruch eventuell nur unter höheren Voraussetzungen zugemutet werden könnte als eine entsprechende Verkehrspflicht, es bleibt jedoch unklar, welche Schlüsse er daraus zieht 644
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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Dass die Kosten der Gefahrenabwehr bereits im Rahmen der Prüfung der Rückrufverkehrspflicht in die Abwägung miteinbezogen werden, hat durchaus seine Berechtigung. Sie liegt darin begründet, dass das Bestehen der Rückrufverkehrspflicht mit Ausnahme der Fälle von Entwicklungsrisiken, auf die sogleich 647 gesondert einzugehen ist, gerade nicht der klassischen Funktion dient, die Wilhelmi treffend mit dem Schlagwort „Verkehrspflichten als Risikoschutzpflichten“ 648 belegt und in der Zuordnung des Risikos unter den Betroffenen sieht. Bei Vorliegen eines Sorgfaltsverstoßes bei Inverkehrbringen des Produkts (also dann, wenn ein anfänglicher Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler gegeben ist) hat die Verteilung des Risikos, welches aus der Gefährlichkeit des Produkts resultiert, bereits stattgefunden: bei Verwirklichung des Risikos haftet der Hersteller. In der Diskussion um die Rückrufpflicht wird dieser ersten Verkehrspflicht zur Herstellung sicherer Produkte dann jedoch noch eine zweite Verkehrspflicht nachgeschaltet, die sich auf die nachträgliche Gefahrenabwehr bezieht und deswegen zwingend die Kosten dieser Gefahrenabwehr auf Seiten des Herstellers bereits in die Abwägung einstellen muss. Die Diskussion um die Rückrufpflicht ist in dieser Hinsicht von der insoweit wohl einmaligen Konstellation geprägt, dass der Hersteller seinen Pflichten zum Schutz vor Produktgefahren in zwei verschiedenen Zeitpunkten nachkommen kann (bzw. muss): entweder vor oder nach dem Inverkehrbringen seiner Produkte. Tut er es nicht vor dem Inverkehrbringen, so ist das Risiko der Gefahrverwirklichung bereits zwischen Hersteller und Betroffenem verteilt und es kann nur noch über die Verpflichtung zur Gefahrabwendung selbst diskutiert werden. Folgerichtig bildet allein diese (inklusive der Kosten dafür) den Maßstab für die Interessenabwägung im Hinblick auf das Bestehen einer Verkehrspflicht zum Rückruf. Für die Fälle des Entwicklungsrisikos, in denen bei Inverkehrbringen noch keine Verkehrspflicht verletzt wurde, ist nach Wilhelmis Maßstäben die hier vorgenommene Abwägung für die Bestimmung des Rückrufanspruchs ebenfalls gutzuheißen. Wiederum bilden die Kosten für die Gefahrenabwehr den Bezugspunkt für die bei der Entscheidung über den Anspruch zu berücksichtigenden Interessen des Endherstellers. Anders müsste Wilhelmi zufolge bei Vorliegen eines Entwicklungsrisikos hingegen die erste Abwägung zur Bestimmung der Verkehrspflicht ausfallen. Diese dürfte nach seiner Differenzierung tatsächlich nur die Risikoverteilung betreffen und daher auf Seiten des Herstellers nur die Kosten zu erwartender Schäden begrenzt durch die Kosten zur Gefahrenabwehr berücksichtiund in welchen Fällen eine unterschiedliche Zumutbarkeit von Anspruch und Verkehrspflicht vorliegen könnte. 647 Weiter unten auf dieser Seite. 648 Wilhelmi, 151.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
gen. Im Ergebnis wäre nach Wilhelmi die Haftung des Endherstellers bei Realisierung eines Entwicklungsrisikos also sogar strenger zu handhaben, als es hier vorgeschlagen wird. Seinen Kriterien zufolge wären im Rahmen der reinen Verkehrspflicht die Anforderungen an den Selbstschutz der Produkteigentümer/-nutzer zu senken, da auf Seiten des Endherstellers nur die unvermeidbare Belastung zu berücksichtigen wäre. Ob dem zu folgen ist, erscheint fraglich, muss hier aber nicht entschieden werden. Vielmehr kommt es an dieser Stelle lediglich darauf an, dass die Auffassung Wilhelmis für die Diskussion über den Rückrufanspruch auch bei Entwicklungsrisiken nicht zu anderen als den hier gefundenen Ergebnissen hinsichtlich der Zumutbarkeit des Selbstschutzes führt. Es bedarf folglich speziell für die Prüfung des (quasi-)negatorischen Rückrufanspruchs entgegen der Ansicht Wilhelmis keiner zweistufigen Interessenabwägung unter Einbezug der Selbstschutzmöglichkeiten der Produktnutzer respektive -eigentümer. Die ansonsten durchzuführende zweite Stufe der Interessenabwägung ist im Fall der Rückrufpflicht bereits für die Festlegung der Verkehrspflicht „verbraucht“ worden. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass das Bestehen einer Verkehrspflicht zum Rückruf die Wertung beinhaltet, dass dem Produkteigentümer/-nutzer der Selbstschutz nicht zuzumuten ist. Damit ist die zweite Voraussetzung von Bars für die präventive Durchsetzbarkeit von Verkehrspflichten im Falle der Rückrufpflicht immer als erfüllt anzusehen. 649 (iii) Weitere Voraussetzungen Die weiteren Voraussetzungen für einen Rückrufanspruch in der Form eines Unterlassungsanspruchs nach Art. 641 Abs. 2 oder Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB oder nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB (analog) sollen hier nur kurz angesprochen werden. Die soeben dargelegte Entbehrlichkeit einer neuerlichen Interessenabwägung bewirkt einen Gleichlauf zwischen Rückrufverkehrspflicht und (quasi-)negatorischem Anspruch. Aus diesem Grund bedürfen die weiteren Kriterien, auf die es im Rahmen der verschiedenen Anspruchsgrundlagen ankommt, keinerlei weiteren Erörterung, soweit sie sich auf eine Interessenabwägung beziehen. Hierzu zählen die Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit der drohenden Beeinträchtigung 650, der Duldungspflicht 649
Ebenso Beck, 106 ff. Die Rechtswidrigkeit ist Voraussetzung nach Art. 641 Abs. 2 ZGB („jede ungerechtfertigte Einwirkung“) und liegt bei einer unmittelbaren oder körperlichen Einwirkung vor, wenn nicht ein Recht zu dieser besteht, Wiegand in BaslerKomm-ZGB II, Art. 641, Rz. 64. Unter § 1004 BGB ist umstritten, ob der Rechtswidrigkeit neben der Duldungspflicht gemäß Abs. 2 noch eine eigenständige Bedeutung zukommt (siehe hierzu Münch in Soergel, § 1004, Rz. 236 ff.); bei Vorliegen einer Rückrufpflicht kommt es 650
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
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(§ 1004 Abs. 2 BGB) 651 und der Verhältnismäßigkeit 652. Bei Bestehen einer Rückrufpflicht sind diese Voraussetzungen ebenfalls gegeben. Auch auf die erforderliche Gefährdung muss an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, da diese bereits im Rahmen der Einklagbarkeit von Verkehrspflichten erörtert wurde. Schließlich ist noch zu klären, wer die beteiligten Parteien sind. Die Aktivlegitimation wurde dabei oben bereits weitgehend ausgeführt im Rahmen der Frage, welche Personen konkret gefährdet sind. Darüber hinaus gilt es noch zu beachten, dass im Rahmen der Ansprüche zum Schutz des Eigentums (Art. 641 Abs. 2 ZGB sowie § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB) ausschließlich die Eigentümer aktivlegitimiert sind. 653 Gegenüber der Frage, wer konkret gefährdet ist, ergibt sich dadurch allerdings keine maßgebliche Einschränkung. Die Frage nach der Passivlegitimation ist im Einzelnen durchaus umstritten. 654 Für den Rückrufanspruch erlangt dieser Streit jedoch nur begrenzte Relevanz. Die Ablehnung der Störereigenschaft des Herstellers, die darüber begründet wird, dass die Gefährdung vom fortgesetzten Gebrauch des Produkts ausgehe, der Hersteller aber lediglich für das Inverkehrbringen verantwortlich sei, 655 ist nach dem oben Gesagten zur Relevanz der Selbstschutzmöglichkeit des Produkteigentümers/-nutzers zu vernachlässigen. 656 Vorzugswürdig erscheint dagegen die Ansicht, dass derjenige Störer sei, der bei Schadenseintritt haftbar gemacht werden könne. 657
auf diesen Meinungsstreit jedoch nicht an; dazu auch Beck, 120 f.; Rettenbeck, 113; Schulenberg, 157 ff.; Vieweg/Schrenk, JURA 1997, 561, 564. 651 So auch Kreidt, 234: keine unterschiedlichen Maßstäbe für Duldungspflicht im Rahmen der Verkehrspflicht und des Anspruchs. 652 Diese ist Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch aus Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB: Meili in BaslerKomm-ZGB I, Art. 28a, Rz. 2. 653 Wiegand in BaslerKomm-ZGB II, Art. 641, Rz. 59; Münch in Soergel, § 1004, Rz. 105 ff. 654 Siehe hierzu nur die geradezu resignierte Feststellung zur Störereigenschaft unter § 1004 BGB allgemein bei Fritzsche in BeckOK-BGB, § 1004, Rz. 14: „Die Meinungsvielfalt ist beinahe erschreckend.“ 655 So Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 39, Rz. 14 und Lenz, PHi 2003, 142, 149: eine Verursacherhaftung sei in § 1004 BGB nicht vorgesehen; ähnlich Droste, 252 f., 261; Vieweg/Schrenk, JURA 1997, 561, 564 (mit Einschränkungen); anders aber die h.M., siehe dazu etwa BGH, 08.03.1990, NJW 1990, 2058, 2059 (Milchpulver) sowie Münch in Soergel, § 1004, Rz. 114 ff. m.w.N. 656 So auch Beck, 121 ff. 657 K. Mayer, DB 1985, 319, 323; Rettenbeck, 113 (Störer ist „natürlich identisch mit dem Verkehrspflichtigen“).
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Darin spiegelt sich der Gleichlauf mit der Rückrufverkehrspflicht wider, so dass der Hersteller als passivlegitimiert anzusehen ist. 658 2.
Ansprüche aus Deliktsrecht
Zum deutschen Recht wird auch vertreten, ein Rückrufanspruch ließe sich über den deliktischen Schadensersatzanspruch in Form der Naturalrestitution gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 BGB 659 begründen. 660 Für die Schweiz ist eine solche Anspruchsgrundlage bislang, soweit ersichtlich, bisher nicht vorgeschlagen worden. 661 Die Naturalrestitution als mögliche Form des Schadensersatzes ist aber auch in der Schweiz anerkannt, wenngleich sie im Gegensatz zur Behandlung im deutschen Recht nicht als vorrangig betrachtet wird. 662 Insofern ist auch zu überlegen, ob ein Rückrufanspruch sich aus Art. 41 Abs. 1 bzw. Art. 55 Abs. 1 OR ergeben kann. So wie im Zusammenhang mit dem (quasi-)negatorischen Beseitigungsanspruch bereits erörtert 663, kann es Situationen geben, in denen bereits vor Verwirklichung der Produktgefahr eine Rechtsgutsverletzung eingetreten ist. In einer solchen Konstellation kann der deliktsrechtliche Schadensersatzanspruch – so alle üblichen Voraussetzungen erfüllt sind – unproblematisch auch auf die Beseitigung der Gefahr gerichtet sein. Wenn jedoch der Regelfall vorliegt, dass eine Rechtsgutsverletzung noch nicht eingetreten ist, setzt ein deliktsrechtlicher Anspruch voraus, 658 So im Ergebnis auch Beck, 121 ff.; J. Hager, VersR 1984, 799, 807; Kreidt, 229 (allerdings mit Einschränkungen für Entwicklungsrisiken, 232 f.); Rettenbeck, 113 f.; Schulenberg, 154 ff.; wohl auch Bodewig, 350. 659 §§ 823 Abs. 2, 249 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz kommen grundsätzlich ebenfalls als Anspruchsgrundlage in Frage (dazu etwa Beck, 140; Schulenberg, 175; Seeling, 119 ff.), sind im Ergebnis allerdings aus denselben Gründen, wie sie hier im Folgenden diskutiert werden, abzulehnen. 660 OLG Düsseldorf, 31.05.1996, NJW-RR 1997, 1344, 1345 (Kunststoffkugelpfanne); OLG München, 04.03.1992, VersR 1992, 1135, E. 24 ff. (Druckmesszellen); OLG Karlsruhe, 30.05.1985, VersR 1986, 1125, 1126 f. (Kondensatoren/Milchkühlanlagen); LG Hamburg, 21.07.1992, VersR 1994, 299, 299 (Rettungsinseln); J. Hager, VersR 1984, 799, 802 ff.; Schulenberg, 168 ff.; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1060; eingeschränkt auch Bodewig, 341 ff.; dagegen jedoch Beck, 138 ff.; Droste, 227 ff.; Kreidt, 216 ff.; Lenz, PHi 2003, 142, 149; Pauli, PHi 1985, 134, 145 ff., 148; Rettenbeck, 122; Tamme, 300 ff.; Vieweg/Schrenk, JURA 1997, 561, 563. 661 Röthlisberger, 181, begnügt sich mit der knappen Feststellung, das Haftpflichtrecht stelle de lege lata keinen einklagbaren Anspruch auf Erfüllung der Gefahrabwendungspflichten zur Verfügung, sondern gewähre nur reparatorische Ansprüche. 662 Zur Anerkennung der Naturalrestitution nach dem Obligationenrecht statt vieler Brehm in BernerKomm, Art. 43 OR, Rz. 19 ff. m.w.N.; zum Vorrang der Naturalrestitution in Deutschland gemäß § 249 Abs. 1 BGB siehe nur Grüneberg in Palandt, § 249, Rz. 2 m.w.N. 663 Siehe oben S. 124 f.
C. Zivilrechtliche Rückrufpflicht
139
dass man bereit ist, die konkrete Rechtsgutsgefährdung mit der Verletzung desselben gleichzusetzen. Schließlich stellt die Verletzung eines absoluten Rechts oder Rechtsguts nach herkömmlichem Verständnis eine notwendige Voraussetzung für einen deliktischen Schadensersatzanspruch dar. 664 Das Schweizer Bundesgericht hat es im Rahmen der Frage nach der Ersatzfähigkeit von Schadensabwehrkosten abgelehnt, einen deliktischen Anspruch zu gewähren, für den es Voraussetzung wäre, die konkrete Gefährdung mit der Rechtsgutsverletzung gleichzusetzen. 665 Es verwehrte den Klägern Ersatz für die Sanierungskosten einer Böschung, die abzurutschen und dadurch das Eigentum der Kläger zu verletzen drohte. In der Literatur wurde diese Entscheidung teilweise vehement kritisiert. Gauch formuliert pointiert, der Entscheid sei „um so stossender, als er die vom Schaden Bedrohten vor die Wahl stellt, entweder den drohenden Schaden auf eigene Rechnung abzuwehren oder sich im Falle des Schadenseintritts eine Minderung des Ersatzanspruchs nach Massgabe des Art. 44 OR gefallen zu lassen.“ 666 Im Gegensatz zum schweizerischen Bundesgericht hat der deutsche Bundesgerichtshof im Pflegebetten-Fall zumindest offen gelassen, ob die konkrete Gefährdung eines geschützten Rechtsguts mit einer Rechtsgutsverletzung gleichzusetzen sein könnte. 667 Im Rahmen der Ersatzfähigkeit der Nachbesserungskosten als Schadensabwehrkosten hat der Bundesgerichtshof in demselben Fall jedoch entschieden, eine solche konkrete Gefährdung könne dann nicht vorliegen, wenn die Verwirklichung der Gefahr durch Nutzungsverzicht ausgeschlossen werden könne. 668 664
Alternativ kommt selbstverständlich grundsätzlich auch die Verletzung einer Schutznorm bzw. eines Schutzgesetzes in Frage. Zu der mangelnden Relevanz der öffentlich-rechtlichen Rückrufvorschriften in diesem Zusammenhang siehe oben S. 39 ff. 665 BGer, 09.07.1991, BGE 117 II 259, 269 f., E. 3: „Das widerrechtliche Verhalten erblicken [die Kläger] im Umstand, dass die instabile Böschung […] eine Gefahr für Leib und Leben sowie für Sachen bedeutet habe. Diese absolut geschützten Rechtsgüter werden indessen erst verletzt, wenn der Hang tatsächlich rutscht. Zu ersetzen ist dann der an Sachen und Menschen entstandene Schaden. Den Eintritt dieses schädigenden Ereignisses haben die Kläger aber mit der vorgenommenen Sanierung verhindert. Art. 41 OR bildet entgegen ihrer Auffassung keine genügende Grundlage, um die Kosten einer solchen präventiven Schadensabwehr auf einen Dritten abzuwälzen.“ 666 Gauch, recht 1996, 225, 233; Schwenzer, OR AT, Rz. 50.07, lehnt die Entscheidung ebenfalls ab. Im Ergebnis verzichtet auch Brehm in BernerKomm, Art. 41 OR, Rz. 51c, auf das Erfordernis der Rechtsgutsverletzung; er hält es für möglich, aus dem Gefahrensatz eine Klage auf Beseitigung der Gefahr abzuleiten. 667 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1083, E. 23; in Erwägung gezogen auch von BGH, 10.03.1972, NJW 1973, 96, 96 (GEMA). 668 BGH, 16.12.2008, NJW 2009, 1080, 1083, E. 24 (Pflegebetten); die Ersatzfähigkeit von Schadensabwehrkosten ist im Übrigen von der deutschen Rechtsprechung jedoch anerkannt, siehe statt aller Grüneberg in Palandt, vor § 249, Rz. 44 m.w.N.
140
Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Die deutsche Lehre ist in dieser Frage uneins. 669 Vielfach wird schlichtweg darauf beharrt, § 823 Abs. 1 BGB verlange den Eintritt einer Rechtsgutsverletzung bzw. eines Schadens 670 und diene nicht dem vorbeugenden Rechtsschutz. 671 Von anderer Seite wird dagegen auf den althergebrachten Grundsatz rekurriert, dass Schadensverhütung besser sei als Schadensvergütung. 672 Vom Inhaber der bedrohten Rechtsgüter könne nicht erwartet werden, die Rechtsgutsverletzung hinzunehmen, um anschließend Schadensersatz zu verlangen. 673 Im Ergebnis ist ein Rückrufanspruch aus Deliktsrecht in Ermangelung einer Rechtsgutsverletzung abzulehnen. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland bieten die (quasi-)negatorischen Ansprüche 674 eine ausreichende Grundlage für einen Rückrufanspruch. Somit fehlt es an einer Lücke, welche die Grundvoraussetzung für eine Rechtsfortbildung im Wege einer Analogie mittels Gleichsetzung von Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgutsverletzung darstellt. Das Argument, es könne dem Bedrohten in gewissen Situationen nicht zugemutet werden, den Eintritt des Schadens abzuwarten, um diesen dann dem Hersteller gegenüber geltend zu machen, ist zwar inhaltlich richtig. Es erfordert aber gerade keine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Deliktsrechts, weil genau für diese Situationen die besprochenen (quasi-) negatorischen Ansprüche Abhilfe bieten. Eine solche Ausdehnung über den Bereich des Reparatorischen hinaus und hinein in den Bereich des direkt Präventiven 675 ist mithin nicht zu rechtfertigen. 676 669 Für die Gleichsetzung der konkreten Gefährdung mit der Rechtsgutsverletzung: v. Caemmerer, Ges. Schriften III, 226, 234 f.; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 39, Rz. 3 ff. (unter strengen Voraussetzungen); G. Hager, AcP 184 (1984), 413, 422; J. Hager, VersR 1984, 799, 802; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1060; grundsätzlich auch Stoll, JZ 1983, 501, 503 f.; dagegen: Beck, 138 ff.; Droste, 227 ff.; Kreidt, 217; Pieper, BB 1991, 985, 989. 670 Zwischen diesen beiden Voraussetzungen wird häufig nicht hinreichend differenziert. Schließlich ist die Ersatzfähigkeit von Aufwendungen zur Schadensminderung bzw. -abwehr bei Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung anerkannt; siehe die ständige Rechtsprechung, etwa BGH, 10.05.1960, NJW 1960, 1339, 1339; BGH, 06.04.1976, NJW 1976, 1198, 1200; aus der Literatur statt aller Oetker in MüKoBGB 6, § 254, Rz. 69 m.w.N. 671 Löwe, DAR 1978, 288, 293; Pauli, PHi 1985, 134, 145 f. (wenn auch kritisch zu dieser Rechtslage); Seeling, 115 ff.; Vieweg/Schrenk, JURA 1997, 561, 563. 672 So z.B. J. Hager, VersR 1984, 799, 802. 673 Schulenberg, 169 ff. 674 Dazu wird hier auch der Anspruch zum Schutz des Persönlichkeitsrechts nach Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB gezählt. 675 Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass dem Deliktsrecht eine Präventions- und Steuerungswirkung zukommt. Diese fließt jedoch ausschließlich aus der verhaltenssteuernden Wirkung der Haftungsnormen und wirkt somit nur indirekt, siehe Wil-
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
141
Je nach Verständnis der Anforderungen an die Zumutbarkeit im Rahmen des (quasi-)negatorischen Anspruchs erscheint es allgemein durchaus denkbar, dass in Einzelfällen der deliktische Anspruch rechtschutzintensiver sein kann als der (quasi-)negatorische. Schließlich besteht ein vergleichbares Erfordernis der Zumutbarkeit nicht im Rahmen eines vorbeugenden deliktischen Anspruchs. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob sich daraus in Einzelfällen eine präventive Geltendmachung eines deliktischen Anspruchs rechtfertigen lässt. Denn dies gilt jedenfalls nicht im Zusammenhang mit der Rückrufpflicht. Wie oben 677 gezeigt, läuft der (quasi-) negatorische Anspruch im Hinblick auf die Zumutbarkeit gleich mit dem Bestehen der Rückrufpflicht. Da die Rückrufpflicht auch für einen deliktischen Rückrufanspruch zwingende Voraussetzung wäre, ergibt sich in dieser Hinsicht also kein weitergehender Schutz durch einen deliktischen Anspruch. Auch anderweitig ist kein Aspekt zu erkennen, in dem der deliktische Rückrufanspruch rechtsschutzintensiver sein könnte als der (quasi-) negatorische. Für die Annahme eines Rückrufanspruchs aus Deliktsrecht bleibt nach alledem kein Raum, sofern nicht ausnahmsweise bereits eine Rechtsgutsverletzung vorliegt. Dies gilt sowohl für das deutsche als auch – wenn nicht gar erst recht – für das schweizerische Recht.
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
Bislang war durchweg von den Pflichten „des Herstellers“ die Rede. Für den Regress des Herstellers des Endprodukts gegen den Hersteller des fehlerhaften Teils (den Zulieferer) ist jedoch von imminenter Bedeutung, welche Pflichten welche dieser beiden Parteien im Hinblick auf das Endprodukt treffen. In diesem Abschnitt soll dieser Abschichtung nachgegangen werden. Dafür werden zunächst die Formen der Arbeitsteilung zwischen Endhersteller und Zulieferer erörtert und die jeweiligen Verantwortungsbereiche näher bestimmt, bevor der Frage nachgegangen wird, ob auch den Zulieferer eine Rückrufpflicht und ein Rückrufanspruch treffen können. Aufgrund der mit Abstand größten Praxisrelevanz 678 beschränkt sich die Diskussion hier auf die zivilrechtliche Rückrufpflicht. helmi, 146. Zum Präventionsgedanken im Haftungsrecht statt aller Kötz, FS Steindorff, 643 ff. 676 Ebenso Beck, 138 ff.; Droste, 227; Pauli, PHi 1985, 134, 145 ff., 148; Rettenbeck, 122 („Systembruch […] ohne Not“); Vieweg/Schrenk, JURA 1997, 561, 563. 677 S. 134 ff. 678 Die Anordnung, ein Endprodukt zurückzurufen, wird gegen den Zulieferer in der Praxis nur äußerst selten ergehen und die strafrechtliche Rückrufpflicht ist generell eher wenig praxisrelevant.
142 I.
Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Formen der Arbeitsteilung
Zulieferer sind Unternehmen, die im Auftrag ihrer Abnehmer bzw. nach deren Spezifikation Zulieferprodukte fertigen und liefern und gegebenenfalls ergänzende Dienstleistungen erbringen. 679 Im Rahmen dieser Arbeit werden ausschließlich die Beziehungen zwischen dem Endhersteller eines Produkts und dessen Zulieferer betrachtet. Demzufolge ist unter dem Abnehmer im Sinne dieser Definition immer der Endhersteller zu verstehen, der häufig auch als assembler oder OEM (original equipment manufacturer) bezeichnet wird. Zudem beschränkt sich der Zuliefererbegriff hier auf den sogenannten first-tier-Zulieferer 680, also denjenigen, der direkt an den Endhersteller liefert. Häufig wird für eine Klassifizierung verschiedener Formen der Arbeitsteilung unterschieden zwischen der vertikalen und der horizontalen Arbeitsteilung. 681 Man spricht von vertikaler Arbeitsteilung, wenn der Endhersteller die für seine Produktion nötigen Stoffe, Zwischenprodukte oder Bauteile von Zulieferern erwirbt. Je nach Fall kann der Zulieferer seine Produkte dabei gezielt für den Endhersteller produzieren und sich nach dessen Bedürfnissen und Anforderungen richten. Möglich ist aber auch, dass der Endhersteller lediglich fertige Produkte beim Zulieferer kauft, die dieser in derselben Form auch für andere Unternehmen produziert. Regelmäßig zeichnet der Zulieferer bei der vertikalen Arbeitsteilung jedoch zumindest für Konstruktion und Fabrikation seiner Teile verantwortlich. 682 Im Unterschied dazu werden bei der horizontalen Arbeitsteilung die Aufgaben der Konstruktion und Fabrikation von verschiedenen Unternehmen übernommen, von denen eines auch der Endhersteller selbst sein kann. 683 Die Beziehung zwischen Endhersteller und Zulieferer lässt sich nicht eindeutig entweder der horizontalen oder der vertikalen Arbeitsteilung zuordnen. Insbesondere sind die Übergänge zwischen beiden Formen der Arbeitsteilung fließend. 684 So lässt sich beispielsweise nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der Zulieferer selbst noch die volle Konstruktionsverantwortung trägt, wenn er das Produkt nach den Anforderungen des Endherstellers produziert und dieser wiederum umfangreiche Kontrollbefug679
Definition von Wellenhofer-Klein, 52 f. Zu diesem Begriff sowie den pyramidalen Lieferstrukturen insgesamt siehe Völker/ Neu, 20 ff.; Schömann, 48 ff.; zur „Pyramidisierung“ der Zulieferstrukturen vgl. auch Wellenhofer-Klein, 56 f. 681 Zu dieser Differenzierung statt vieler Schreiber, 12 ff. 682 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 39; Schreiber, 13. 683 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 40. Uneinigkeit herrscht darüber, ob die beteiligten Unternehmen auf derselben Produktionsstufe stehen müssen; dafür Steffen in RGRK, § 823, Rz. 271; anders aber Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 40. 684 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 116; Schreiber, 14. 680
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
143
nisse hat und direkten Einfluss auf den Produktionsprozess nehmen kann. Ob sich eine solche Form der Kooperation noch als vertikale Arbeitsteilung einstufen lässt, scheint zweifelhaft. Eine klare Zuordnung der Endhersteller-Zulieferer-Beziehung als solcher scheitert insbesondere auch daran, dass es keine Standardform dieser Beziehung gibt. 685 Vielmehr tritt sie in diversen Spielarten auf, von denen hier zur Veranschaulichung der Bandbreite und der groben Einordnung einige Grundtypen kurz besprochen werden sollen. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten der Typisierung von Zulieferern. 686 Teilweise wird nach der Komplexität der gelieferten Teile und ihrem Wertschöpfungsbeitrag unterschieden in Teilezulieferer, Komponentenzulieferer und Systemzulieferer, wobei erstere die am wenigsten komplexen Produkte liefern und die Produkte letzterer den höchsten Komplexitätsgrad aufweisen. 687 Eine ähnliche Differenzierung ist die anhand der Produzentenstruktur, wonach Teilefertiger, Produktionsspezialist, Entwicklungspartner und Wertschöpfungspartner unterschieden werden. 688 Ein wiederum anderer Ansatz stellt allein auf die Positionierung in der Wertschöpfungskette ab und verwendet die oben bereits angesprochenen Begriffe first-, second- und third-tierZulieferer. 689 Für die vorliegende Arbeit scheint es jedoch sinnvoller, nach der Form der Arbeitsteilung bzw. den jeweils übernommenen Aufgaben zu differenzieren. 690 Diese Differenzierung muss aus den bereits genannten Gründen über das Begriffspaar vertikal und horizontal hinausgehen. Für eine Fallgruppenbildung kommt es im Hinblick auf die Produktverantwortung maßgeblich auf drei Punkte an: die beiden wesentlichen Pflichten der Fabrikation und der Konstruktion 691 des Zulieferteils sowie, an der Schnittstelle zwischen Zulieferteil und Endprodukt, die Abstimmung des ersteren auf das letztere. Anhand der Verteilung dieser drei Aufgaben lassen sich in 685
Vgl. Wellenhofer-Klein, 70: „‚Den‘ Zuliefervertrag gibt es nicht.“ Für eine ausführliche Auflistung mit zahlreichen Nachweisen siehe WellenhoferKlein, 70. 687 So z.B. bei Völker/Neu, 19 f. 688 Wildemann, 334 ff.; siehe auch Schömann, 47 f. m.w.N.; Bullinger/Warnecke/ Westkämper, 575 f. 689 Schömann, 48 f. m.w.N.; siehe auch oben S. 142, Fn. 680. 690 Für eine ausführliche Diskussion der jeweiligen Pflichten von Endhersteller und Zulieferer bei vertikaler Arbeitsteilung einerseits und horizontaler Arbeitsteilung andererseits siehe Schreiber, 92 ff., 164 ff. 691 Hierzu zählt im Rahmen dieser Arbeit auch die komplette Entwicklung des Zulieferteils sowie etwaige vorhergehende Forschung. Wellenhofer-Klein, 73 f. schichtet die „komplette Entwicklungsleistung“ am Zulieferteil noch einmal ab und unterteilt den hier im Folgenden als Problemlöser bezeichneten Typ dementsprechend in Modul- oder Komponentenzulieferer einerseits und Systemlieferant andererseits, wobei letzterem besagte Entwicklungsleistung obliegt, ersterem aber nicht. 686
144
Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Übernahme der von Saxinger 692 verwendeten Terminologie drei verschiedene Zulieferertypen unterscheiden: Standardteilehersteller, Auftragsfertiger und Problemlöser. Die Fabrikation obliegt in allen drei Fällen dem Zulieferer; sie unterscheiden sich jedoch in der Verteilung der anderen beiden Aufgaben. Der Standardteilehersteller produziert Massenteile, die keinerlei abnehmerspezifische Merkmale aufweisen, 693 sondern in einer Vielzahl von Produkten unterschiedlicher Hersteller verwendet werden können. 694 Beispiele hierfür sind Schrauben oder Autoreifen. Neben der Fabrikationsleistung übernimmt der Standardteilehersteller auch die komplette Konstruktionsleistung. Die Produktion folgt dabei häufig standardisierten Normen, wie z.B. SN-, DIN- oder ISO-Normen. Da seine Produkte aufgrund der Normierung vielseitig einsetzbar sind, übernimmt der Standardteilehersteller keinerlei Verantwortung für die Abstimmung des Zulieferteils auf das Endprodukt. Diese liegt vielmehr gänzlich beim Endhersteller. Der Auftragsfertiger arbeitet wesentlich unselbständiger als der Standardteilehersteller. Er produziert nach genauen Anweisungen und Spezifikationen des Endherstellers und erbringt keine eigene Konstruktionsleistung. Seine Aufgabe besteht lediglich darin, die vom Endhersteller vorgegebenen Pläne detailgetreu zu erfüllen, weshalb er mitunter als „verlängerte Werkbank“ bezeichnet wird. 695 Dementsprechend trifft den Auftragsfertiger genau wie den Standardteilehersteller auch keine Verantwortung für die Abstimmung des Zulieferteils auf das Endprodukt. Eine Unterform des Auftragsfertigers ist der sogenannte Lohnfertiger, welcher auch das Material vom Endhersteller zur Verfügung gestellt bekommt. 696 Mit Abstand am selbständigsten unter den drei Zulieferertypen arbeitet der Problemlöser. Er konstruiert und fabriziert sein Produkt maßgeschneidert für das Endprodukt. Häufig handelt es sich dabei um komplette Systemlösungen, die auch nur für einen Endhersteller verwendet werden können. 697
692
Saxinger, 45 ff. mit näheren Nachweisen zum Ursprung der einzelnen Kategorien. Wellenhofer-Klein, 71 zum inhaltsgleichen Begriff des Massenteileproduzenten. 694 Saxinger, 47. 695 Zum Auftragsfertiger sowie zur negativen Konnotation des Begriffs „verlängerte Werkbank“ Saxinger, 46 f. mit Fn. 157. 696 Saxinger, 46. 697 Saxinger, 48. 693
145
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
Tabelle 1: Arbeitsteilung zwischen Endhersteller und Zulieferer nach Zulieferertypen Standardteilehersteller Auftragsfertiger Problemlöser
Fabrikation Zulieferer Zulieferer Zulieferer
Konstruktion Zulieferer Endhersteller Zulieferer
Abstimmung Endhersteller Endhersteller Zulieferer
Wie jede Typisierung kann auch diese der Vielfalt der in der wirtschaftlichen Realität vorhandenen Formen der Endhersteller-ZuliefererBeziehungen nicht gerecht werden. So können neben den drei „reinen“ Formen auch Mischformen auftreten, in denen beispielsweise ein Auftragsfertiger in Kooperation mit dem Endhersteller Konstruktionsleistungen übernimmt oder der Endhersteller mit dem Problemlöser verstärkt zusammenarbeitet, um die Abstimmung zwischen Zulieferteil und Endprodukt sicherzustellen. Die große Bandbreite der Verhältnisse zwischen Endherstellern und ihren Zulieferern macht auch deutlich, dass diese keinesfalls immer von einseitiger Abhängigkeit geprägt sind. Das in diesem Zusammenhang häufig anzutreffende Stichwort der „Zuliefererdiskriminierung“ sollte daher jedenfalls nicht pauschal verwendet werden. 698 Während der Auftragsfertiger in der Tat häufig in großem Maße vom Endhersteller abhängig ist, welcher aufgrund des großen Angebots ohne größere Probleme den Zulieferer wechseln kann, stellt sich die Situation für Problemlöser und Standardteilehersteller gänzlich anders dar. Wo Standardteilehersteller als Zulieferer auftreten, sind die vertraglichen Bindungen verhältnismäßig locker. Gleichermaßen lose sind auch die wirtschaftlichen Verflechtungen. Einerseits kann der Endhersteller die standardisierten Teile zumeist auch von anderen Zulieferern beziehen, in der Regel verteilt er das Auftragsvolumen ohnehin bereits auf mindestens zwei Zulieferer. Der Standardteilehersteller andererseits kann seine Produkte ebenso an andere Unternehmen verkaufen und befindet sich daher regelmäßig auch nicht in einer übermäßig großen Abhängigkeit von einem spezifischen Endhersteller. Das andere Extrem der bilateralen Abhängigkeit schließlich findet sich in der Beziehung zwischen Endhersteller und Problemlöser. 699 Dieses Verhältnis ist von enger Zusammenarbeit und einem hohen Integrationsgrad geprägt, 700 was für beide Seiten hohe Barrieren für einen Wechsel des Vertragspartners darstellt. 698
Siehe Glock, 11 m.w.N. Zirkel, NJW 1990, 345, 346, weist explizit (und ausschließlich) auf die Abhängigkeit des Endherstellers hin. 700 Für Modul- oder Komponentenzulieferer sowie für Systemlieferanten WellenhoferKlein, 73. 699
146
Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
II. Verantwortungsbereiche von Zulieferer und Endhersteller 701 Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Gestaltungsformen der Endhersteller-Zulieferer-Beziehung gilt es nun, die Verantwortungsbereiche der Beteiligten im Hinblick auf die Haftung für fehlerhafte Produkte voneinander abzugrenzen. Dass der Endhersteller als Hersteller im Sinne der oben diskutierten Sorgfaltspflichten gilt, bedarf keiner näheren Erläuterung. Unter den Herstellerbegriff des allgemeinen Deliktsrechts sowie der Produkthaftungsgesetze fällt aber auch der Zulieferer in seiner Funktion als Hersteller von Teilen oder Grundstoffen. 702 Grundsätzlich sind Endhersteller und Zulieferer daher nebeneinander für Produktgefahren verantwortlich, die Haftung des einen entfällt nicht etwa aufgrund der Verantwortlichkeit des anderen; 703 der Zulieferer ist jedoch auch nicht Gehilfe des Endherstellers 704. Ihre Verantwortungsbereiche weichen voneinander ab und variieren je nach der konkreten Aufgabenverteilung. 705 1.
Zulieferer
Den Zulieferer trifft grundsätzlich dieselbe deliktsrechtliche Verantwortung wie jeden Hersteller. 706 Allerdings beschränkt sie sich ausschließlich auf das von ihm produzierte Zulieferteil. 707 Dies ist der grundlegende Unterschied zwischen seiner Haftung und der des Endherstellers. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er für Sicherheitsrisiken, die vom Endprodukt ausge701
Ausführlich hierzu Schreiber, 92-313. Für die Produkthaftungsgesetze ergibt sich dies bereits aus dem Wortlaut, siehe Art. 2 Abs. 1 lit. a PrHG-CH, § 4 Abs. 1 Satz 1 PrHG-D; auch ohne explizite Regelung gilt dies für die Produzentenhaftung des allgemeinen Deliktsrechts: Bodewig, 186; Droste, 279; Link, BB 1985, 1424, 1424; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1436; Schreiber, 215 f.; Schweighauser, 99. 703 Bodewig, 186; v. Caemmerer, Ges. Schriften III, 226, 235 (wenn auch kritisch zur Haftung des Zulieferers); R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 29; Röthlisberger, 146; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 605. 704 Zum deutschen Recht: Bodewig, 186; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 41; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 31; Niehusen, 23; Schmidt-Salzer, Rz. 124. Dasselbe muss auch nach Schweizer Recht gelten, da eine Hilfsperson i.S.v. Art. 55 Abs. 1 OR in einem Subordinationsverhältnis zum Geschäftsherrn stehen, d.h. insbesondere weisungsgebunden sein muss (siehe statt vieler Schwenzer, OR AT, Rz. 23.15 f.), was auf den Zulieferer regelmäßig nicht zutrifft. 705 Ebenso Schulenberg, 58. 706 BGH, 04.05.1996, NJW 1996, 2224, 2225 (Grim’sches Leitrad); Bodewig, 186; Droste, 280; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 89; Frick/Kluth, PHi 2006, 206, 207; Schlutz, DStR 1994, 707, 711; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1436; Schreiber, 216; Schulenberg, 58; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 530. 707 Brühwiler, Einkäufer Revue 1991, 6, 8 (Zulieferer haften nur „im Rahmen ihrer Leistungserbringung“); Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1436; Schweighauser, 99; Wellenhofer-Klein, 260. 702
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
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hen, in keinem Fall haftbar gemacht werden kann. Wenn ein solches Risiko aus seinem Verantwortungsbereich stammt, kann auch ihn eine entsprechende Haftpflicht treffen. Die Verkehrspflichten des Zulieferers richten sich genauso wie Verkehrspflichten im Allgemeinen primär nach der Schaffung der Gefahr und der Möglichkeit der Gefahrsteuerung. 708 Demzufolge trägt der Zulieferer immer die Verantwortung für die sorgfältige Fabrikation des Zulieferteils. 709 Für die Konstruktion haften in der Regel Zulieferer in der Form der Standardteilehersteller und Problemlöser, nicht aber die Auftragsfertiger, da letztere im Gegensatz zu den ersten zwei Zuliefertypen die Konstruktionspflichten nicht übernehmen. 710 Etwas anderes gilt, wenn ein Auftragsfertiger konkreten Anlass für die Annahme hat, dass die Fertigung nach den Vorgaben des Endherstellers zu einem Sicherheitsrisiko führt. 711 In diesem Fall gehört es zu den Sorgfaltspflichten des Zulieferers, das Produkt nicht nach den – risikoträchtigen – Anweisungen des Endherstellers zu produzieren, selbst wenn dieser darauf besteht. 712 Sicherheitsbedenken müssen sich dem Zulieferer aber jedenfalls dann nicht aufdrängen, wenn eine Prüfstelle die Sicherheit des Endprodukts überprüft und bejaht hat. 713 Eine ähnliche Regelung enthalten die Produkthaftungsgesetze. Nach Art. 5 Abs. 2 PrHG-CH, § 1 Abs. 3 PrHG-D ist der Zulieferer von der Haftung befreit, wenn er beweist, dass der Fehler durch die Anleitungen des Herstellers verursacht wurde. Der überwiegende Teil des Schrifttums in der Schweiz und in Deutschland versteht diese Ausnahme so, dass sie nicht 708
Zur Begründung der Verkehrspflichten siehe S. 23 ff. BGH, 09.01.1990, NJW-RR 1990, 406, 406 (Expander); R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 36; Kreidt, 153; Schreiber, 221; Steckler, WiB 1994, 300, 301; Wellenhofer-Klein, 260. 710 Bodewig, 186; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 36; Röthlisberger, 147; Steckler, WiB 1994, 300, 301; im Ergebnis ebenso Brühwiler, Einkäufer Revue 1991, 6, 8; Schmidt-Salzer, Rz. 125 f.; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1436; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 605; Wellenhofer-Klein, 261. 711 BGH, 09.01.1990, NJW-RR 1990, 406, 406 (Expander); J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 28; Hollmann, PHi 1989, 146, 154 f.; Röthlisberger, 147; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 530; Steckler, WiB 1994, 300, 301; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 605; zur eingeschränkten Mitverantwortung des Auftragsfertigers für Konstruktionsfehler im Einzelnen Schreiber, 275 ff. 712 Franz, 103 f.; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 28; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 605; Wellenhofer-Klein, 261 f.; anders wohl Lemppenau, DB 1980, 1679, 1681 (keine Haftung des Zulieferers, solange er die Vorgaben des Endherstellers befolgt). Erst recht kann sich der Zulieferer nicht auf die Wünsche des Endherstellers berufen, wenn den Zulieferer selbst die Konstruktionspflicht trifft: OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 596 (Dunstabzugshaube). 713 BGH, 09.01.1990, NJW-RR 1990, 406, 406 f. (Expander); Steckler, WiB 1994, 300, 301. 709
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
eingreift, wenn der Zulieferer die Fehlerhaftigkeit der Anleitung kannte oder kennen musste. 714 Dem ist trotz des entgegenstehenden Wortlauts der Vorschriften zuzustimmen, da das strikte Festhalten am Wortlaut in diesem Zusammenhang für den Zulieferer geradezu einen Anreiz setzen würde, vor einem Sicherheitsrisiko die Augen zu verschließen, um den Vertrag mit dem Endhersteller wie vereinbart ausführen zu können. Es liegt hier gerade keine Parallele zu einer Gesetzesnorm vor, die eine unsichere Herstellung gleichsam erzwingt. 715 Denn im Unterschied zu einer gesetzlich zwingenden Regelung lässt die Vorgabe des Endherstellers dem Zulieferer die Möglichkeit, über den betreffenden Punkt mit dem Endhersteller zu verhandeln und im Extremfall auf das Geschäft zu verzichten, so wie es die Rechtsprechung für das allgemeine Deliktsrecht auch verlangt 716. Allein schon aufgrund der Möglichkeit, dass dem Endhersteller bei den Vorgaben lediglich ein Fehler unterlaufen ist und er einen Änderungsvorschlag des Zulieferers erfreut annehmen wird, kann es nicht im Sinne des Schutzes vor Produktgefahren sein, den Zulieferer nicht zu einem solchen Verhalten zu ermutigen. Die Gefährlichkeit des Endprodukts kann auch im Grenzbereich zwischen Zulieferteil und Endprodukt liegen. Dies ist dann der Fall, wenn beispielsweise ein in ein technisches Gerät einzubauender Motor an und für sich einwandfrei funktioniert und keine Sicherheitsrisiken birgt, er jedoch für das Gerät, in das er eingebaut wird, eine zu geringe Leistung aufweist, woraus sich ein Gefahrenpotential ergibt. Die Gefahr ergibt sich hierbei erst aus der konkreten Verwendung des Zulieferteils. Hierfür trifft den Zulieferer nur insoweit die Verantwortung, als er den Verwendungszweck kennt oder jedenfalls mit der entsprechenden Art der Verwendung rechnen muss. 717 Daraus folgt für den Standardteilehersteller lediglich eine Instruktionspflicht 718, für den Problemlöser eine Pflicht zur entsprechenden Konstruktion und Fabrikation. Für den Auftragsfertiger stellt sich diese Frage 714
Fellmann/v. Büren-v. Moos, Rz. 357; Fellmann in BaslerKomm-OR I, Art. 5 PrHG, Rz. 24; Gnos, 28; Holliger-Hagmann, Management der Produkthaftpflicht, 231; bei positiver Kenntnis des Zulieferers ebenso v. Westphalen in Produkthaftungshandbuch, § 46, Rz. 83; eingeschränkt auch Borsari, 202 (nur wenn mangelnde Eignung „geradezu naheliegend“), Hess, Art. 5 PrHG, Rz. 83 und Rolland, § 1 PrHG, Rz. 159 (nur bei besonderer Sachkunde und sich aufdrängender Fehlerhaftigkeit); a.A.: Oechsler in Staudinger, § 1 PrHG, Rz. 142; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 1 PrHG, Rz. 66; wohl auch Wellenhofer-Klein, 263. 715 So aber Oechsler in Staudinger, § 1 PrHG, Rz. 142. 716 OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 596 (Dunstabzugshauben). 717 Franz, 102 f.; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 28; R. Krause in Soergel, § 823 Anh III, Rz. 36; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 530 und Fuchs, JZ 1994, 533, 537 stellen nur auf Kenntnis ab. 718 So in der Entscheidung BGH, 04.05.1996, NJW 1996, 2224, 2225 (Grim’sches Leitrad); Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 530.
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
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nur im Zusammenhang mit den eben angesprochenen Anweisungen des Endherstellers. Instruktionspflichten treffen den Zulieferer im Rahmen des Üblichen gegenüber seinem Abnehmer, dem Endhersteller, jedoch nicht gegenüber den Abnehmern des Endprodukts. 719 Über diese typisierte Skizzierung hinaus besteht grundsätzlich die Möglichkeit, den Verantwortungsbereich des Zulieferers durch entsprechende Vereinbarung zwischen Endhersteller und Zulieferer zu erweitern. 720 Solche Festlegungen finden sich häufig in Qualitätssicherungsvereinbarungen. 721 Voraussetzung für die Verkehrspflicht des Zulieferers bleibt jedoch auch in diesem Fall seine faktische Möglichkeit, auf das Risiko Einfluss zu nehmen. 722 2.
Endhersteller
Nach den Produkthaftungsgesetzen haftet der Endhersteller für jeden aus einem Fehler seines Endprodukts resultierenden Schaden, unabhängig davon, ob das Produkt ausschließlich von ihm oder in Arbeitsteilung hergestellt wurde. 723 Auch etwaige Qualitätssicherungsvereinbarungen können den Verantwortungsbereich des Endherstellers nach diesen Gesetzen nicht beschränken. 724 Die Haftung des Endherstellers nach dem allgemeinen Deliktsrecht richtet sich hingegen genau wie für den Zulieferer nach seinem Verantwortungsbereich. Der Endhersteller trägt demzufolge die Verantwortung für die Sicherheit des Gesamtprodukts. 725 Grundsätzlich haftet der Endherstel719
OLG Hamm, 29.01.1993, NZV 1993, 310, 311; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 605; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 28. 720 BGH, 17.10.1967, NJW 1968, 247, 248 (Schubstrebe); Steckler, WiB 1994, 300, 302; grundsätzlich zur Delegation von Verkehrspflichten Schäfer, 155 ff. 721 Franz, 134; Steckler, WiB 1994, 300, 302 f. 722 Nach G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 605 bestehen insoweit keine AGBrechtlichen Bedenken, solange der Zulieferer in der Lage ist, die betreffende Sorgfaltsmaßnahme besser durchzuführen als der Endhersteller; skeptisch zur Außenwirkung von Qualitätssicherungsvereinbarungen: Hess, Art. 22 PrSG, Rz. 399. 723 Zum PrHG-CH: Fellmann/v. Büren-v. Moos, Rz. 44, 50 m.w.N.; Fellmann in BaslerKomm-OR I, Art. 2 PrHG, Rz. 4 f.; zum PrHG-D: Kremer, 34. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 159, 167; G. Wagner in MüKoBGB5, § 4 PrHG, Rz. 8. 724 G. Wagner in MüKoBGB 5, § 4 PrHG, Rz. 8. 725 BGH, 27.09.1994, NJW 1994, 3349, 3350 (Atemüberwachungsgerät); OLG Düsseldorf, 22.04.2009, ZfSch 2010, 433, 434 (Magnetschalter); OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 597 (Dunstabzugshauben); Franz, 114; Hollmann, PHi 1989, 146, 154; Lemppenau, DB 1980, 1679, 1680 f.; Niehusen, 22; Schmidt-Salzer, Rz. 128; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1436; Schweighauser, 66, 99; speziell für die Instruktionsverantwortung des Endherstellers gegenüber den Abnehmern: OLG Hamm, 29.01.1993, NZV 1993, 310, 310 f.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
ler danach auch für Fabrikations- und Konstruktionsfehler des Zulieferers, 726 es liegt in seinem Verantwortungsbereich für die Sicherheit und Geeignetheit der Zulieferteile zu sorgen. 727 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Endhersteller durch Vorgaben für den Konstruktions- oder Fertigungsprozess die Verantwortung dafür übernommen hat. 728 In allen anderen Fällen kommt der Endhersteller seiner Verantwortung entsprechend dem Grundsatz der Möglichkeit zur Gefahrsteuerung dadurch nach, dass er die Zulieferteile auf Fabrikationsfehler kontrolliert, 729 sowie das Material 730 und den Zulieferer 731 sorgfältig auswählt. Für die Eingangskontrolle sind Stichproben in der Regel ausreichend. 732 Unter Umständen kann der Endhersteller auf die Kontrolle der Zulieferteile sogar ganz verzichten, wenn der Zulieferer mit seiner besonderen Fachkenntnis und Erfahrung die Überprüfung vornimmt 733 oder dem Endhersteller jedenfalls „keine wirtschaftlich zumutbare geeignete Prüfungsmethode“ zur Verfügung steht 734. 726 BGH, 03.06.1975, NJW 1975, 1827, 1828 (Spannkupplung); BGH, 24.11.1976, NJW 1977, 379, 380 (Schwimmerschalter); Lemppenau, DB 1980, 1679, 1680. 727 BGH, 07.06.1988, NJW 1988, 2611, 2612 (Limonadenflasche); Christen, 198; Schiemann in Erman, § 823, Rz. 123 m.w.N.; Schmidt-Salzer, Rz. 128. 728 BGH, 03.06.1975, NJW 1975, 1827, 1828 (Spannkupplung); J. Lange/Schmidbauer in jurisPK, § 823, Rz. 115; Schiemann in Erman, § 823, Rz. 123 m.w.N.; Schlutz, DStR 1994, 707, 711; Schweighauser, 67; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 525; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 603. 729 BGH, 05.07.1960, VersR 1960, 855, 856 (Kondensomat); OLG Oldenburg, 23.02.2005, NJW-RR 2005, 1338, 1338; Christen, 184; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 27; Schmidt-Salzer, Rz. 130; Schulenberg, 59; Simitis, Produzentenhaftung, 68; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 525; siehe hierzu auch Franz, 119 ff. 730 BGH, 04.05.1996, NJW 1996, 2224, 2225 (Grim’sches Leitrad); J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 27; Pannenbecker, 66; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 525; Stark, FS Oftinger, 281, 287; Wellenhofer-Klein, 256. 731 BGH, 26.01.2010, ZfSch 2010, 435 (Magnetschalter); Burki, 98; Christen, 184; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 27; Kremer, 34. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 159, 167; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1436; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 525; G. Wagner in MüKoBGB5, § 823, Rz. 603; hierzu eingehend Franz, 121 ff. 732 OLG Oldenburg, 23.02.2005, NJW-RR 2005, 1338, 1338; J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 27; Schlutz, DStR 1994, 707, 711; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 603; differenzierend J. Lange/Schmidbauer in jurisPK, § 823, Rz. 120. 733 BGH, 03.06.1975, NJW 1975, 1827, 1828 (Spannkupplung); OLG Köln, 15.03.1989, NJW-RR 1990, 414, 414 (Kohlebürsten); ähnlich OLG Hamburg, 19.05.1983, VersR 1984, 793 (Hüftgelenksprothese): eigene Kontrollpflicht des Endherstellers entfällt, wenn der Zulieferer „ständig eine Gewähr für die ordnungsgemäße Beschaffenheit der zugehenden Einzelteile bietet“; Kremer, 34. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 159, 167; J. Lange/Schmidbauer in jurisPK, § 823, Rz. 120. 734 OLG Düsseldorf, 22.04.2009, ZfSch 2010, 433, 435 (Magnetschalter), bestätigt durch Beschluss des BGH, 26.01.2010, ZfSch 2010, 435; OLG Köln, 15.03.1989, NJWRR 1990, 414, 415 (Kohlebürsten); Christen, 184; Kremer, 34. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 159, 167.
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
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Soweit mangelhafte Zulieferteile Fehler am Endprodukt verursachen, obwohl der Endhersteller seinen Auswahl- und Kontrollpflichten vollumfänglich nachgekommen ist, sind diese Fehler für den Endhersteller wie Ausreißer zu bewerten. 735 Wie weit eine Einschränkung der Verkehrspflichten des Endherstellers durch eine Delegation, z.B. mittels Qualitätssicherungsvereinbarungen mit dem Zulieferer, reichen kann, ist an anderer Stelle ausführlich diskutiert worden und soll hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden. 736 III. Pflichten nach dem Inverkehrbringen des Endprodukts 1.
Pflichten des Zulieferers
Als Hersteller seines Produkts gilt für den Zulieferer zunächst genauso wie für jeden anderen Hersteller, dass er zur Beobachtung seines Produkts und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch zur Reaktion in Form einer Warnung oder eines Rückrufs verpflichtet ist. 737 Entsprechend den Sorgfaltspflichten vor dem Inverkehrbringen bleibt auch der Pflichtenkreis nach dem Inverkehrbringen des Endprodukts auf Defekte beschränkt, die aus dem Verantwortungsbereich des Zulieferers stammen. 738 a)
Produktbeobachtungspflicht
Die Produktsicherheitsgesetze ordnen Produktbeobachtungspflichten nicht für Zulieferer, sondern lediglich für die Hersteller und Importeure von Verbraucherprodukten an. 739 Genau wie jeder andere Hersteller ist der Zulieferer aber durch das Deliktsrecht nach Obligationenrecht und Bürgerlichem Gesetzbuch zur Produktbeobachtung verpflichtet. 740 Zu beachten ist dabei, dass sich diese Pflicht grundsätzlich auf das von ihm produzierte Teil beschränkt. 741 735
OLG Düsseldorf, 22.04.2009, ZfSch 2010, 433, 434 f. (Magnetschalter), bestätigt durch Beschluss des BGH, 26.01.2010, ZfSch 2010, 435; Sprau in Palandt, § 823, Rz. 169. 736 Siehe hierzu ausführlich Franz, 128 ff.; A. Merz, 270 ff.; Quittnat, BB 1989, 571, 573; zur Delegation von Verkehrspflichten vom Endhersteller auf den Zulieferer im Allgemeinen Wellenhofer-Klein, 258 ff. 737 Gegen jegliche Nachmarktpflichten des Zulieferers jedoch Burki, 120, Fn. 195 (Pflichten nach dem Inverkehrbringen könnten „sinnvollerweise nur dem Endhersteller zugemutet werden“). 738 Bodewig, 186; Kreidt, 155. 739 Art. 8 PrSG-CH; § 6 PrSG-D. 740 Aus den Produkthaftungsgesetzen ergibt sich weder für Endhersteller noch für Zulieferer eine (haftungsbegründende) Produktbeobachtungspflicht, siehe bereits oben S. 44. 741 Franz, 110; Schreiber, 227.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Dagegen ist es dem Zulieferer in der Regel nicht mit zumutbarem Aufwand möglich zu verfolgen, inwiefern dieses Teil in Kombination mit dem Endprodukt, in welches es eingebaut wurde, eine Gefahr darstellen kann. 742 Besonders plastisch wird dies am Beispiel eines Produzenten von Schrauben oder vielseitig nutzbaren Chips. Insofern reicht es aus, wenn der Zulieferer sicherstellt, dass er von den jeweiligen Endherstellern informiert wird, wenn Anlass zu der Vermutung besteht, dass sein Zulieferteil zu einer Gefährdung führt. 743 Allenfalls kann eine erhöhte Produktbeobachtungspflicht, die auch den Einsatz im Endprodukt umfasst, unter Umständen für einen Zulieferer vom Typ Problemlöser oder auch Auftragsfertiger gelten, der sein Zulieferteil ausschließlich für den Einsatz in einem spezifischen Endprodukt herstellt. 744 Wenn der Zulieferer – entweder durch den Endhersteller oder auf anderem Wege – von einem Problem mit seinem Produkt Kenntnis erhält, hat er die üblichen Maßnahmen der Produktbeobachtung (Tests, intensivierte Beobachtung etc.) zu ergreifen. 745 Unabhängig davon ist er verpflichtet, sich über die neuesten Entwicklungen der Wissenschaft und Technik in seinem Bereich auf dem Laufenden zu halten und etwaige Hinweise auszuwerten. 746 b)
Rückrufpflicht
Im Bereich der deliktsrechtlichen Gefahrabwendungspflichten hat die deutsche Rechtsprechung eine Rückrufpflicht des Zulieferers bereits mehrfach angenommen. 747 Im Schrifttum wird eine Rückrufpflicht des Zuliefe742
Steckler, WiB 1994, 300, 305; für Standardteilehersteller so auch Kreidt, 155; weitergehend, ohne zwischen verschiedenen Herstellertypen zu differenzieren: J. Lange/ Schmidbauer in jurisPK, § 823, Rz. 131 743 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 110; Franz, 110; Pannenbecker, 79; Rettenbeck, 39; Schreiber, 228. 744 Franz, 110; ähnlich Dietrich, 57; Kreidt, 155. 745 Dietrich, 57; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 109; Franz, 110; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 530. 746 Dietrich, 57; Franz, 109; J. Lange/Schmidbauer in jurisPK, § 823, Rz. 131; Rettenbeck, 39; Röthlisberger, 48; Schreiber, 227. 747 OLG München, 18.02.1998, NJW-RR 1999, 1657, 1658 (Gasheizdeckel) („Unabhängig hiervon bestand jedoch auch für die Bekl. als Herstellerin der Brennerdeckel ‚HB‘ [Zulieferin] als Folge ihrer Produktbeobachtungspflicht eine Gefahrabwendungspflicht, nachdem sie von den vom Zulieferteil ausgehenden möglichen Gefahren wußte.”); OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 595, 597 f. (Dunstabzugshauben); OLG Frankfurt a.M., 13.11.1990, VersR 1991, 1184, 1185 f. (Kondensatoren) – in casu jedoch abgelehnt; LG Hamburg, 21.07.1992, VersR 1994, 299, 299 (Rettungsinseln); jedenfalls implizit für möglich gehalten auch von OLG München, 04.12.1992, NJW-RR 1994, 356, 357 (Sicherheitsgurte); OLG München, 04.03.1992, VersR 1992, 1135 (Druckmesszellen).
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
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rers zwar von vielen Stimmen befürwortet, 748 teilweise aber gänzlich abgelehnt 749 und teilweise nur eingeschränkt angenommen 750. Die Ursache der Uneinigkeit liegt darin begründet, dass sich die Verkehrspflichten nach dem Inverkehrbringen des Endprodukts aus faktischen Gründen nicht auf das Zulieferteil beschränken können, sondern sich in der Regel auf das Endprodukt erstrecken müssen, was teils als stoßend empfunden wird. Anders stellt sich die Situation lediglich dann dar, wenn das Zulieferteil auch nach Einbau in das Endprodukt eine gewisse Selbständigkeit behält; klassisches Beispiel hierfür bilden Autoreifen. 751 (i) Bestehen der Rückrufpflicht Gegen eine Rückrufpflicht des Zulieferers werden im Wesentlichen drei Argumente vorgebracht: Unverhältnismäßigkeit des Haftpflichtrisikos, Doppelversicherung und reduzierte Gefahrsteuerungsmöglichkeiten. Im Ergebnis vermag jedoch keiner dieser Punkte von einer Ablehnung der Rückrufpflicht des Zulieferers zu überzeugen. 752 Teile der Literatur sind der Ansicht, der Zulieferer könne nicht zum Rückruf des Endprodukts verpflichtet werden, weil das daraus entstehende Haftpflichtrisiko in einem groben Missverhältnis zu seinem Anteil am Endprodukt sowie häufig auch zu seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stünde. 753 Jedoch überzeugt es nicht, den Schutz Dritter von der individuellen Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen abhängig zu ma-
748 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 111; Franz, 111; Grote, VersR 1994, 1269, 1269; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; Link, BB 1985, 1424, 1426; K. Mayer, DB 1985, 319, 323 (zum Anspruch); Niehusen, 22; Pannenbecker, 80; Röthlisberger, 146 f. (Zulieferer werden „von den gleichen Gefahrbeseitigungspflichten getroffen wie die Endhersteller“); Schulenberg, 58. 749 J. Lange/Schmidbauer in jurisPK, § 823, Rz. 136; Steckler, WiB 1994, 300, 301; äußerst skeptisch, die Frage aber letztlich offen lassend: Löwe, DAR 1978, 288, 291, Fn. 8. 750 Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 530; wohl auch Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1286 (man könne sich nicht vorstellen, dass den Zulieferer „in jedem Falle eine über den Kopf des Endproduzenten hinausgehende Rückrufpflicht hinsichtlich […] von ihm zugelieferter […] Fehlstücke trifft“). 751 Schreiber, 230 f. 752 Überzeugend gegen die Haftungskanalisierung auf den Endhersteller im Bereich der Produkthaftung allgemein: Schreiber, 330 ff. 753 Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1286; ähnlich Steckler, WiB 1994, 300, 305 („nur in enger Zusammenarbeit mit dem Endprodukthersteller […] zuzumuten“); große Bedenken aufgrund des Missverhältnisses hat auch Löwe, DAR 1978, 288, 291; für die Produkthaftung des Zulieferers allgemein auf die Unverhältnismäßigkeit der Haftung hinweisend: v. Caemmerer, Ges. Schriften III, 226, 235; Lemppenau, DB 1980, 1679, 1680; Schreiber, 314 f.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
chen. 754 Aus diesem Grund gilt bei der Bestimmung von Verkehrspflichten ein objektiver Maßstab, 755 der auch für die Rückrufpflicht des Zulieferers zu beachten ist 756. Dies gilt umso mehr, als der Zulieferer die Möglichkeit hat, das Rückrufkostenrisiko zu versichern. 757 Des Weiteren können auch der Wert des Zulieferteils und sein Verhältnis zu den Kosten eines Rückrufs bzw. dem daraus erwachsenden Haftpflichtrisiko nicht zu einer Einschränkung von Herstellerpflichten führen. 758 Dies zeigt schon die Überlegung, dass auch der Hersteller von kostengünstigen Endprodukten sich nicht mit dem Argument seiner Rückrufpflicht entledigen kann, diese stehe außer Verhältnis zum Wert seiner Produkte. 759 Vielmehr können die Kosten des Rückrufs für den Zulieferer genauso wie für den Endhersteller nur in dem oben 760 diskutierten Maße bei der Frage der Zumutbarkeit der Rückrufpflicht relevant werden. Das bedeutet auch, dass – wenn die Rückrufkosten überhaupt ins Gewicht fallen – maßgeblicher Bezugspunkt für ihre Verhältnismäßigkeit ausschließlich die drohenden Schäden sind, nicht jedoch der Wert des gefährlichen Produkts. 761 Schließlich gilt es klar zu trennen: den Zulieferer trifft in keinem Fall eine eigentliche Rechtspflicht zum Rückruf des Endprodukts, da dieses nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt. Es ist lediglich möglich – und häufig tatsächlich der Fall –, dass der Zulieferer seiner Rückrufpflicht bezogen auf das von ihm hergestellte Zulieferteil nicht anders nachkommen kann als durch einen Rückruf 754
Siehe die Nachweise in Fn. 397, S. 87 oben. J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. E 31; R. Krause in Soergel, § 823 Anh II, Rz. 35; Nef, FS Brehm, 27; Schäfer, 145 f. 756 Kreidt, 145 f.; Tamme, 229; so für die Verkehrspflichten des Zulieferers allgemein auch Franz, 101; Spindler in BeckOK-BGB, § 823, Rz. 530. 757 Darauf weist auch Schreiber, 331, hin. Zu den Möglichkeiten und Konditionen der Versicherung in der Schweiz vgl. die Musterbedingungen des SVV zur Versicherung von Rückrufkosten, für Deutschland die Musterbedingungen des GDV für die Rückrufkostenund Haftpflichtversicherung für Hersteller- und Handelsbetriebe. Zu beachten ist, dass im Automobilbereich der Zulieferer nicht die Möglichkeit hat, einen Eigenrückruf zu versichern, sondern nur die Kosten eines Rückrufs durch den Automobilhersteller, vgl. die Musterbedingungen des GDV für die Rückrufkosten- und Haftpflichtversicherung für Kfz-Teile-Zulieferer. Zur Relevanz der Versicherbarkeit siehe auch bereits oben S. 84 ff. 758 Ebenso L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; so zur Haftung des Zulieferers allgemein Franz, 101; Schreiber, 331. 759 Link, BB 1985, 1424, 1425 (mit Verweis auf das Beispiel Contergan); ähnlich Tamme, 228 f. 760 Siehe S. 86 f. 761 Allerdings kann der Preis des Produkts nach einhelliger Ansicht über einen immer zu gewährenden Mindeststandard hinaus Einfluss auf die zu prästierende Sicherheit haben, siehe nur Hess, Art. 4 PrHG, Rz. 106 ff.; G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 623 m.w.N. 755
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
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des Endprodukts. 762 Insofern erwächst das Haftpflichtrisiko aus seiner eigenen Produktion. Ein weiterer Punkt, der gegen eine Rückrufpflicht des Zulieferers vorgebracht wird, ist der wirtschaftliche Unsinn der dadurch entstehenden „Pyramidisierung von Versicherungsverträgen“ 763. 764 Diesem Argument ist zwar zuzugeben, dass die Kanalisierung der Haftung und damit auch der Versicherung letztlich möglicherweise effizienter wäre. 765 Sie würde jedoch gleichzeitig bedeuten, dass der Verbraucher das Insolvenzrisiko des Endherstellers zu tragen hätte. 766 Vor diesem Hintergrund wurde eine Kanalisierung der Haftung auf den Endhersteller für die Produkthaftungsgesetze aus Gründen des Verbraucherschutzes 767 explizit als unerwünscht abgelehnt. 768 Diese rechtspolitisch begrüßenswerte Entscheidung 769 ist auch im Bereich der allgemeinen deliktsrechtlichen Produzentenhaftung zu respektieren. Darüber hinaus steht es Endhersteller und Zulieferer im Innenverhältnis weiterhin frei, eine doppelte Haftung durch entsprechende Freizeichnungsklauseln zu vermeiden. Schließlich wenden einige Stimmen in der Literatur ein, dem Zulieferer könne deswegen keine Rückrufpflicht auferlegt werden, weil er im Vergleich zum Endhersteller über wesentlich reduzierte Möglichkeiten der Gefahrsteuerung verfüge. 770 Maßgebliche Punkte, die für dieses Argument ins Feld geführt werden, sind die mangelhafte Information des Zulieferers über den Verbleib seiner Produkte sowie die Tatsache, dass es ihm kaum je möglich sein wird, das Endprodukt dergestalt zu reparieren, dass der Fehler am Zulieferteil behoben wird. Schließlich verfügten die meisten Zulie762
Tamme, 228. Zu diesem Begriff siehe Schreiber, 318, 336 ff., der jedoch im Ergebnis das Vorliegen einer Mehrfachversicherung weitgehend ablehnt. Siehe auch bereits v. Caemmerer, Ges. Schriften III, 226, 235, der von einer „Versicherungspyramide“ spricht. 764 v. Caemmerer, Ges. Schriften III, 226, 235; Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1286; ebenso Pannenbecker, 81, der es jedoch ablehnt, daraus Konsequenzen für den Kreis der Verkehrspflichtigen zu ziehen. 765 Einen solchen Effizienzgewinn hält Schreiber, 336 ff., mit guten Argumenten für allenfalls sehr begrenzt. Er verweist darauf, dass die Bemessung der Versicherungsprämien die Regressmöglichkeiten des Versicherten bereits miteinbezieht und sich damit am tatsächlichen Risiko orientiert. In diese Richtung auch Jäckle, 143, Fn. 34. 766 Schreiber, 341 (mit Hinweis darauf, dass sich dieses Problem durch eine Pflichtversicherung beheben ließe, dies gesamtwirtschaftlich aber nicht wünschenswert sei); R. Krause in Soergel, § 4 PrHG, Rz. 2. 767 Vgl. Erwägungsgrund 4 der Produkthaftungsrichtlinie. 768 Lemppenau, DB 1980, 1679, 1679 f. 769 So im Ergebnis zur Verkehrspflichtigkeit des Zulieferers allgemein trotz wirtschaftlicher Ineffizienz auch Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 89. 770 Steckler, WiB 1994, 300, 305; aus diesen Gründen zumindest zweifelnd: Schreiber, 315 ff. 763
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
ferer nicht über die entsprechenden Serviceeinrichtungen. 771 Ein weiteres Hindernis stelle die mangelnde Bekanntheit des Zulieferers unter den Produktabnehmern dar, welche zu einer geringeren Wirksamkeit eines Rückrufs führe. 772 Während es in der Tat nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Handlungsoptionen des Zulieferers in der Regel eingeschränkter sind als diejenigen des Endherstellers, kann diese Tatsache entgegen der geschilderten Ansicht aber nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung einer Rückrufpflicht des Zulieferers führen, da ihre Ursache im vorangegangenen gefährdenden Tun des Zulieferers begründet liegt. 773 Die verminderten Handlungsoptionen sind vielmehr ausschließlich in der Festlegung des Inhalts der Rückrufpflicht zu berücksichtigen. (ii) Wahrnehmung der Rückrufpflicht Wie der Zulieferer seiner Rückrufpflicht konkret nachzukommen hat, richtet sich maßgeblich nach seinen Möglichkeiten zur Gefahrsteuerung. Daraus folgt für die seltenen Fälle, in denen das Zulieferprodukt auch nach Einbau als solches erkennbar und separierbar bleibt, die Pflicht des Zulieferers, eine eigene Rückrufaktion durchzuführen. 774 Regelmäßig wird hierfür eine enge Abstimmung mit dem Endhersteller nötig sein, z.B. dergestalt, dass dieser Kundendaten zur Verfügung stellt. 775 Wesentlich häufiger kommt es in der Praxis vor, dass ein Rückruf des Zulieferteils selbst faktisch nicht in Frage kommt, sondern die Rückrufaktion auf das Endprodukt gerichtet sein muss. Unter denjenigen, die eine Rückrufpflicht des Zulieferers bejahen, besteht in dieser Konstellation weitgehend Einigkeit darüber, dass der Zulieferer den Rückruf nicht selbst durchzuführen hat. 776 Vielmehr ist er verpflichtet, den Endhersteller zur Durchführung von Gefahrenabwehrmaßnahmen zu bewegen. 777 Zur eigenständigen Durchführung eines Rückrufs – allenfalls unter Inanspruchnahme Dritter, wie z.B. unabhängiger Reparaturwerkstätten – soll der Zuliefe771
J. Hager in Staudinger, § 823, Rz. F 28; Kreidt, 147 f. Kreidt, 147 f.; Rettenbeck, 39. 773 Kreidt, 148; Tamme, 230; im Ergebnis ebenso Grote, VersR 1994, 1269, 1269; Link, BB 1985, 1424, 1426 f.; Schulenberg, 59, Fn. 218. 774 Droste, 281; Röthlisberger, 147. 775 Zu den praktischen Erwägungen Schreiber, 230 f. 776 Bodewig, 187; Rettenbeck, 39; Röthlisberger, 147 (Zulieferer muss „vorzugsweise zusammen mit dem Endhersteller Massnahmen einleiten“); Schulenberg, 59; mit anderem Akzent, aber wohl kaum wesentlich anderem Ergebnis: Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 111: Zulieferer kann in enger Kooperation mit dem Endhersteller Rückruf durchführen müssen, wobei der Endhersteller bei der Kontaktaufnahme mit den Endabnehmern helfen und jedenfalls gegen Vergütung beispielsweise auch seine Werkstätten, Technik und Fachkräfte zur Verfügung stellen muss; ähnlich Droste, 280 ff. 777 Bodewig, 187; Röthlisberger, 147. 772
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
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rer nur dann verpflichtet sein, wenn klar ist, dass der Endhersteller keine Rückrufaktion durchführen wird, sei es, dass er sich weigert, sei es, dass er in der Zwischenzeit insolvent geworden ist. 778 Für die im Verlauf der Arbeit noch zu erörternden Regressfragen ist es wichtig klarzustellen, dass die Kostentragungspflicht auf Seiten des Zulieferers nicht dadurch beeinflusst wird, dass es für ihn faktisch schwierig bis unmöglich ist, die Rückrufaktion selbst durchzuführen. 779 Wer die Kosten für eine Maßnahme zur Erfüllung einer Verkehrssicherungspflicht zu tragen hat, hängt auch außerhalb des Bereichs der Produktrückrufe nicht davon ab, ob er eigenständig in der Lage ist, seine Pflicht zu erfüllen, oder ob er dazu der Hilfe eines anderen bedarf. 780 Aus rechtlicher Perspektive spielt es hierfür zunächst keine Rolle, dass den Endhersteller, dessen Hilfe der Zulieferer für die Durchführung des Rückrufs in Anspruch nimmt, möglicherweise eine entsprechende Verkehrspflicht trifft. Dieser Aspekt wird erst auf der Ebene des Rückgriffs relevant. Insofern ist die von der herrschenden Meinung vorgenommene Unterscheidung zwischen der Aufforderung an den Endhersteller, die Produkte zurückzurufen, einerseits und dem eigenen Rückruf im Falle des Ausfalls des Endherstellers andererseits zwar tatsächlich bedeutsam, rechtlich aber letztlich irrelevant. c)
Rückrufanspruch gegen den Zulieferer
Fällt die Gefährlichkeit des Produkts in den Verantwortungsbereich des Zulieferers und trifft diesen deshalb eine Rückrufverkehrspflicht, so können die entsprechend Betroffenen auch gegen ihn einen Rückrufanspruch geltend machen. 781 Dies folgt daraus, dass die Verkehrspflichtigkeit die Grundlage für die Störereigenschaft im Rahmen der (quasi-)negatorischen Rückrufansprüche bildet. 782 Der Inhalt des Anspruchs gegen den Zulieferer 778 Link, BB 1985, 1424, 1426; Rettenbeck, 39 („zumindest bei Leib- und Lebensgefahren“). Schreiber, 231, weist darauf hin, dass der Zulieferer bei einem Rückruf der Endprodukte auch die Auswirkungen auf den Endhersteller und dessen Image zu berücksichtigen hat. 779 Ähnlich Droste, 282; Link, BB 1985, 1424, 1426 (zur Kostentragungspflicht); Steckler, WiB 1994, 300, 305. 780 Zur Verdeutlichung mag man an den Fall einer in ihrer körperlichen Bewegungsfähigkeit eingeschränkten Hauseigentümerin denken, die ihrer Streupflicht durch die Inanspruchnahme eines Hauswartdienstes nachkommt. 781 Ebenfalls einen Rückrufanspruch gegen den Zulieferer annehmend: LG Hamburg, 21.07.1992, VersR 1994, 299, 299 (Rettungsinseln) – allerdings in Form des hier (S. 140 f. oben) abgelehnten deliktischen Beseitigungsanspruchs; Grote, VersR 1994, 1269, 1271; Kreidt, 229; ebenfalls in Betracht gezogen hat einen Anspruch der Endabnehmer gegen den Zulieferer OLG Karlsruhe, 30.05.1985, VersR 1986, 1125, 1126 f. (Kondensatoren/Milchkühlanlagen), es lehnte ihn aber letztlich aus anderen Gründen ab. 782 Ebenso Kreidt, 229; siehe hierzu oben S. 137 f.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
bestimmt sich nach den eben aufgestellten Grundsätzen über die Wahrnehmung der Rückrufpflicht durch den Zulieferer. 2.
Pflichten des Endherstellers
Für seinen Verantwortungsbereich obliegen dem Endhersteller die im Rahmen der allgemeinen Sorgfaltspflichten des Herstellers beschriebenen Pflichten zu Produktbeobachtung und Gefahrenabwehr 783. Insofern ergeben sich aus der arbeitsteiligen Produktion keinerlei weitere Besonderheiten. Die Pflichten des Endherstellers als Inverkehrbringer des Endprodukts reichen jedoch über seinen Verantwortungsbereich im Rahmen der Herstellung hinaus. Der Endhersteller trägt die Produktbeobachtungspflicht für das Endprodukt. 784 Darin eingeschlossen ist jedenfalls die passive Produktbeobachtungspflicht im Hinblick auf Gefahren, die durch Zulieferteile ausgelöst werden. Erhält der Endhersteller Reklamationen, die allem Anschein nach auf Fehler aus dem Verantwortungsbereich des Zulieferers zurückzuführen sind, so muss er diese an den Zulieferer weiterreichen. 785 Ist der Zulieferer trotz entsprechender Veranlassung zur intensivierten Beobachtung und Überprüfung nicht willens oder nicht in der Lage, so muss der Endhersteller diese übernehmen. 786 Hingegen kann von ihm nicht erwartet werden, sich ohne besonderen Anlass für alle Teile, deren Herstellung nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt, über den neuesten Stand der Wissenschaft und Technik auf dem Laufenden zu halten. 787 In Rechtsprechung und Literatur finden sich wenige Hinweise darauf, wie sich die Arbeitsteilung auf die Rückrufpflicht des Endherstellers auswirkt. Wenn man mit der überwiegenden und auch hier vertretenen Meinung eine Rückrufpflicht des Herstellers grundsätzlich auch anerkennt, ohne dass dieser sich vorgängig eine Sorgfaltspflichtverletzung hat zuschulden kommen lassen, dann kann den Endhersteller konsequenterweise auch dann eine Rückrufpflicht treffen, wenn die Ursache für die Gefährlichkeit des Endprodukts nicht aus seinem Verantwortungsbereich stammt. 788 Anknüpfungspunkt für die Rückrufverkehrspflicht bilden auch 783
Siehe oben S. 31 ff. OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 597 (Dunstabzugshauben); J. Lange/Schmidbauer in jurisPK, § 823, Rz. 130; Röthlisberger, 47; Schreiber, 193 ff. 785 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 50; Schreiber, 193. 786 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 50. 787 Franz, 127; ähnlich Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 25, Rz. 50; a.A. Schreiber, 194. 788 BGH, 27.09.1994, NJW 1994, 3349, 3350 (Atemüberwachungsgerät); OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 597 (Dunstabzugshauben); LG Hamburg, 21.07.1992, VersR 1994, 299, 299 (Rettungsinseln) – zum Rückrufanspruch; Link, BB 1985, 1424, 1426; Löwe, DAR 1978, 288, 291; Niehusen, 23; Schulenberg, 58 f.; im Ergebnis so auch Franz, 127 f.; Schreiber, 195 f.; a.A. Foerste in Produkthaftungshand784
D. Rückrufpflichten bei arbeitsteiliger Produktion
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in diesem Fall das Setzen der Gefahr (durch das Inverkehrbringen des Endprodukts) sowie die Möglichkeit der Gefahrsteuerung. IV. Gesamtbetrachtung Im Ergebnis sind in Bezug auf ein gefährliches Produkt, welches Anlass zur Statuierung von Rückrufpflichten gibt, sowohl Konstellationen vorstellbar, in denen Endhersteller und Zulieferer gemeinsam zum Rückruf verpflichtet sein können, als auch solche, in denen entweder ausschließlich dem Zulieferer oder ausschließlich dem Endhersteller eine Rückrufpflicht obliegt. 789 Das Auseinanderfallen der Rückrufpflichtigkeit kann drei Ursachen haben: Erstens kann es sein, dass die Gefährlichkeit des Endprodukts bereits nicht vom Zulieferer zu verantworten ist. Zweitens kann die Gefährlichkeit grundsätzlich in den Verantwortungsbereich von sowohl Endhersteller als auch Zulieferer fallen, die für jeden einzeln vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung jedoch aufgrund unterschiedlicher Fehlertypen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Schließlich kann das Auseinanderfallen in den verschiedenen zeitlichen Endpunkten der Rückrufpflicht von Endhersteller und Zulieferer begründet sein. Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Rückrufpflicht ist, dass die von dem Endprodukt ausgehende Gefahr aus dem Verantwortungsbereich des jeweiligen Herstellers stammt. Dieser Aspekt ist vor allem für den Zulieferer von Bedeutung, dessen Verantwortlichkeit nur in den oben geschilderten Grenzen besteht. Eine Rückrufpflicht besteht für ihn folglich insbesondere dann nicht, wenn die Gefahr auf einem Konstruktionsfehler des Zulieferteils beruht, für den er als Auftragsfertiger nicht verantwortlich ist, oder wenn das Zulieferteil nicht für die Verwendung in dem konkreten Endprodukt geeignet ist und der Endhersteller allein die Verantwortung für diese Kombinationsgefahr trägt. Verursacht jedoch ein Fabrikationsfehler des Zulieferteils die Gefährlichkeit des Endprodukts, so kommt eine Rückrufpflicht des Zulieferers stets in Betracht. Der Endhersteller kommt dagegen als Verantwortlicher für das Endprodukt grundsätzlich immer als
buch, § 25, Rz. 51 („kaum mehr zumutbar“, anders aber die Mitwirkung an einem Rückruf des verantwortlichen Zulieferers, ibid., § 25, Rz. 52; diese Ansicht ist insofern konsequent, als Foerste eine Rückrufpflicht insgesamt nur bei vorhergehender Verkehrspflichtverletzung für zumutbar hält, ibid., § 24, Rz. 341); Pannenbecker, 72 ff. 789 Die Ansicht von Schulenberg, 58, eine Rückrufpflicht werde den Zulieferer nie alleine treffen, ist insofern als zu pauschal abzulehnen, da sie die unterschiedlichen Abwägungsergebnisse der für Endhersteller und Zulieferer jeweils einzeln vorzunehmenden Zumutbarkeitsprüfung außer Acht lässt. Zutreffend hingegen Kreidt, 247, in Bezug auf den Anspruch aus § 1004 BGB: dass dieser nur den Zulieferer trifft, behandelt er als Option, die „in der Praxis allerdings selten anzutreffen“ ist.
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Teil 1: Die Pflicht des Herstellers zum Produktrückruf
Rückrufpflichtiger in Frage, wenn von diesem Produkt eine entsprechende Gefahr ausgeht. 790 Die Ursache für die Gefährlichkeit des Endprodukts kann sich für Endhersteller und Zulieferer als unterschiedliche Form des Produktfehlers darstellen, was sich auf die jeweilige Verhältnismäßigkeitsprüfung auswirkt. So kann beispielsweise eine alleinige Rückrufpflicht des Zulieferers entstehen, wenn der Fehler des Zulieferteils für den Endhersteller mit dem erforderlichen Aufwand nicht erkennbar war und für ihn daher als Ausreißer zu betrachten ist. In einem solchen Fall ist dem Zulieferer als demjenigen, der schuldhaft den Fehler (regelmäßig einen Fabrikationsfehler) verursacht hat, eine Rückrufpflicht eher zuzumuten als dem Endhersteller. Umgekehrt ist der – wohl eher seltene – Fall vorstellbar, dass der Fehler des Zulieferteils bei dessen Inverkehrbringen für den Zulieferer ein Entwicklungsrisiko darstellt, der Endhersteller zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Endprodukts diesen Fehler nach dem dann maßgeblichen Stand von Wissenschaft und Technik aufgrund neuer Erkenntnisse aber hätte erkennen können. Für den Endhersteller liegt somit kein Entwicklungsrisiko vor, sondern das Inverkehrbringen des fehlerhaften Endprodukts stellt für ihn eine Pflichtwidrigkeit dar. Deswegen ist ihm ein Rückruf in dieser Konstellation wesentlich eher zuzumuten als dem Zulieferer. Schließlich ist eine alleinige Rückrufpflicht des Endherstellers auch dann vorstellbar, wenn die Zeitspanne, in der der Zulieferer rückrufpflichtig werden könnte, bereits abgelaufen ist, die entsprechende Frist für den Endhersteller jedoch noch läuft. Ein Auseinanderfallen kann seine Ursache einerseits darin haben, dass für beide Beteiligten jeweils der Zeitpunkt des Inverkehrbringens ihres Produkts den Fristbeginn darstellt. Zum anderen ist es auch vorstellbar, dass es sich bei dem Zulieferteil um ein Verschleißteil handelt, dessen erwartbare Benutzungsdauer deutlich unter der des Endprodukts liegt. Unabhängig davon, ob letztlich nur der Endhersteller, nur der Zulieferer oder beide gemeinsam zum Rückruf verpflichtet sind, wird es in der Praxis regelmäßig der Endhersteller sein, welcher die Rückrufaktion tatsächlich durchführt. Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang er die Kosten des Rückrufs vom Zulieferer ersetzt verlangen kann, ist Inhalt des zweiten Teils dieser Arbeit.
790 Nur so kann auch die Aussage von K. Mayer, DB 1985, 319, 325 zu verstehen sein, nach welcher den Endhersteller grundsätzlich die weitestgehende Verpflichtung treffen muss.
Teil 2
Der Regress gegen den Zulieferer Im Folgenden wird untersucht, auf welcher Grundlage und in welchem Umfang ein Endhersteller nach der Durchführung einer Rückrufaktion die dadurch entstandenen Kosten von dem Zulieferer ersetzt verlangen kann, der das fehlerhafte Zulieferteil produziert hat, welches für die Gefährlichkeit des Endprodukts ursächlich geworden ist. Etwaige Imageschäden des Endherstellers, entgangener Gewinn und ähnliche Schäden werden dabei ausgeklammert, da sie nicht zu den eigentlichen Rückrufkosten zu rechnen sind, sondern erst in Folge der Rückrufaktion entstehen. Dieser Teil gliedert sich in vier Abschnitte: Zuerst werden die in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen einschließlich ihrer Anwendbarkeit auf den Ersatz von Rückrufkosten sowie ihrer jeweiligen Voraussetzungen und Besonderheiten erörtert. Darauf folgt als zweites die Frage der Kostenverteilung, die sich im Rahmen aller Anspruchsgrundlagen stellt. Drittens wird die Verjährung der einzelnen Ansprüche analysiert, bevor der Teil dann viertens mit einer kurzen Schlussbetrachtung abgerundet wird.
A. Anspruchsgrundlagen A. Anspruchsgrundlagen
Im Folgenden werden die einzelnen Rechtsgründe untersucht, auf die der Hersteller den Regress gegen den für das fehlerhafte Teil verantwortlichen Zulieferer stützen könnte. Es handelt sich dabei um vertragliche und deliktische Anspruchsgrundlagen sowie um solche aus dem Innenausgleich unter Solidarschuldnern, aus Geschäftsführung ohne Auftrag und aus Bereicherungsrecht. I.
Vertragsrecht
Aufgrund der vertraglichen Beziehung zwischen Endhersteller und Zulieferer liegt es nahe, zunächst an vertragliche Ansprüche auf Ersatz der Rückrufkosten zu denken. Dennoch wurde das Vertragsrecht in der deutschen Diskussion über den Regress für Rückrufkosten früher gänzlich vernachlässigt. Insbesondere sprach man ihm aufgrund der sechsmonatigen
162
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Verjährungsfrist im deutschen Kaufrecht 1 nahezu jegliche praktische Bedeutung ab. 2 Mit der Schuldrechtsreform im Jahr 2002 wurde die regelmäßige Verjährungsfrist für kauf- und werkvertragliche Ansprüche aus Gewährleistungsrecht auf zwei Jahre verlängert, 3 so dass die Ausgangslage heutzutage eine andere ist. 4 Nichtsdestotrotz ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung in Deutschland mit den vertraglichen Regressansprüchen für Rückrufkosten bis heute sehr sporadisch. Auch die deutsche Gerichtspraxis haben sie, soweit ersichtlich, (noch) nicht erreicht. In der Schweiz fehlt eine entsprechende Diskussion bisher – wohl als Konsequenz der insgesamt geringen Beachtung der Rückrufpflicht – gänzlich. Allerdings wurde auch in der Schweiz kürzlich beschlossen, die betreffenden Verjährungsfristen auf zwei Jahre zu verlängern, 5 so dass das Vertragsrecht auch dort eine größere Relevanz erlangen dürfte. Bevor die einschlägigen Anspruchsgrundlagen erörtert werden können, gilt es im Folgenden zunächst das anwendbare vertragsrechtliche Regime zu bestimmen. Sodann folgen Überlegungen zu den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen der vertraglichen Regressansprüche. Abschließend wird der Frage nachgegangen, ob sich aus den deutschen Regelungen über den Verbrauchsgüterkauf Besonderheiten für die Ansprüche des Endherstellers gegen den Zulieferer ergeben. Aufgrund der Komplexität der vertraglichen Regressfragen sowie der Menge der dazu existierenden Rechtsprechung und Literatur kann dabei jeweils nur auf die Grundzüge eingegangen werden.
1
Damaliger § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB (in Kraft bis 31.12.2001). Droste, 198; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 726; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334. So waren vertragliche Ansprüche beispielsweise verjährt in LG Hamburg, 21.07.1992, VersR 1994, 299, 299 (Rettungsinseln). Für das Werkvertragsrecht galt gemäß § 638 BGB a.F. ebenfalls eine kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten ab Abnahme (respektive von einem Jahr bzw. fünf Jahren bei Arbeiten an einem Grundstück bzw. an Bauwerken). 3 § 438 Abs. 1 Ziff. 3 bzw. § 634a Abs. 1 Ziff. 1 BGB, wobei die Zweijahresfrist des Werkvertragsrechts nur für Werke gilt, deren „Erfolg in der Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache oder in der Erbringung von Planungs- oder Überwachungsleistungen hierfür besteht“; für alle übrigen Werke gelten längere Fristen gemäß § 634a Abs. 1 Ziff. 2, 3 BGB. 4 So gehen auch v. Bernuth/Gutman, ZLR 2007, 541, 553, Fn. 93, davon aus, dass die Kritik an der mangelnden Relevanz des Vertragsrechts mit der Schuldrechtsreform hinfällig geworden ist. 5 Artt. 210 Abs. 1, 371 Abs. 1 OR n.F. gemäß Änderung vom 16. März 2012, BBl. 2012, 3447 f. (Inkrafttreten: 1. Januar 2013). 2
A. Anspruchsgrundlagen
1.
163
Anwendbares Vertragsrechtsregime
Im Hinblick auf das anwendbare Vertragsrechtsregime sind im Wesentlichen zwei Fragen zu erörtern. Einerseits gilt es zu untersuchen, ob der Zuliefervertrag im Allgemeinen und der Regressanspruch wegen Rückrufkosten im Besonderen vom Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) erfasst sind. Sodann muss im Hinblick auf das unvereinheitlichte nationale Recht der Kaufvertrag vom Werkvertrag abgegrenzt und der Zuliefervertrag entsprechend kategorisiert werden. Dabei wird im Folgenden in erster Linie das in Bezug auf den Regressanspruch maßgebliche austauschvertragliche Element des häufig wesentlich komplexeren Zuliefervertrags 6 behandelt. Aspekte der Qualitätssicherung werden dort einbezogen, wo sie sich auf den Regressanspruch auswirken, während die regelmäßig auch einen Bestandteil des Zuliefervertrags bildenden Komponenten der Integration und Kooperation für die hier interessierende Frage weitgehend außer Acht gelassen werden können. a)
CISG
(i) Zulieferverträge im Allgemeinen Die Schweiz und Deutschland sind Vertragsstaaten des CISG. 7 Die räumliche und persönliche Anwendbarkeit vorausgesetzt 8 ist das CISG anwendbar auf grenzüberschreitende Warenkaufverträge und damit auch potentiell einschlägig für grenzüberschreitende Zulieferverträge. Gemäß Art. 3 Abs. 1 CISG stehen den Kaufverträgen „Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Ware“ grundsätzlich gleich, wodurch der klassische Werklieferungsvertrag vom Anwendungsbereich erfasst wird. 9 Von der Anwendbarkeit des CISG ausgenommen sind gemäß derselben Vorschrift Verträge, unter denen der Besteller einen wesentlichen Teil der für die Herstellung oder Erzeugung notwendigen Stoffe selbst zur Verfü6
Zum Zuliefervertrag und seinen verschiedenen Komponenten siehe ausführlich Saxinger, Zulieferverträge im deutschen Recht, Baden-Baden 1993; Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, München 1999. 7 Für die Schweiz: SR 0.221.211.1; für Deutschland: Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf sowie zur Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR), vom 05.07.1989, BGBl. 1989 II 586. 8 Siehe dazu im Einzelnen Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 8 ff. 9 Brunner, Art. 3, Rz. 3; Gauch, Rz. 368; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 3, Rz. 5; Magnus in Staudinger, Art. 3 CISG, Rz. 13; Schwenzer/Hachem in Schlechtriem/Schwenzer (engl.), Art. 3, Rz. 3; Siehr in Honsell, Art. 3, Rz. 3; Wellenhofer-Klein, 132.
164
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
gung zu stellen bzw. zu liefern hat, sowie nach Art. 3 Abs. 2 CISG solche, bei denen arbeits- oder dienstvertragliche Pflichten auf Seiten der die Ware liefernden Partei überwiegen. Unproblematisch in den Anwendungsbereich des CISG fallen dementsprechend Zulieferverträge mit Standardteileherstellern. 10 Hier ist keiner der Ausschlussgründe einschlägig. Bei Zulieferverträgen mit Auftragsfertigern stellt sich die Frage, ob das Bereitstellen von Bauplänen und dergleichen durch den Endhersteller ein Bereitstellen von Stoffen im Sinne des Ausschlussgrundes nach Art. 3 Abs. 1 CISG darstellt. Mit der überwiegenden Literaturmeinung ist in Übereinstimmung mit der Entstehungsgeschichte der Konvention 11 jedoch davon auszugehen, dass dort, wo ausschließlich Pläne, Know-how, Lizenzen oder Anweisungen, aber keine Materialien bereitgestellt werden, der Vertrag vom CISG erfasst sein soll. 12 Eine andere Ansicht stellt dagegen darauf ab, dass bei der Fertigung nach Plänen, die die andere Partei vorgibt, der Dienstleistungscharakter gegenüber dem Kaufvertragscharakter hervortrete, so dass diese nicht vom CISG erfasst würden. 13 Diese Argumentation lässt jedoch außer Acht, dass das Überwiegen einer Dienstleistung ausschließlich unter Art. 3 Abs. 2 CISG Relevanz erlangt. Diese Vorschrift erfasst aber nach überwiegender Ansicht gerade nicht die Leistungen, die zur Herstellung der zu liefernden Ware erbracht werden. 14 Verträge zwischen Endhersteller und Auftragsfertiger sind demnach regelmäßig vom sachlichen Anwendungsbereich des CISG erfasst. Verträge mit Zulieferern in der Form von Problemlösern werfen ebenfalls die Frage nach der Relevanz von Dienstleistungen im weitesten Sinne auf, welche im Zusammenhang mit der Produktion der Ware erbracht werden. Bei Problemlösern handelt es sich hier insbesondere um Planungsund Entwicklungsleistungen. Hier gilt das gerade Gesagte dahingehend, 10 So für alle Verträge über Zulieferteile – und damit zu undifferenziert – Wellenhofer-Klein, 132. 11 Ein Vorschlag der Delegation des Vereinigten Königreichs, einen Ausschluss des CISG vorzusehen, wenn der Käufer bzw. Besteller der anderen Partei das Know-how zur Verfügung stellt, wurde letztendlich zurückgenommen, United Nations Conference, Official Records, 84 f. 12 Brunner, Art. 3, Rz. 4; CISG-AC, Op. 4 (Perales Viscasillas), Comment 2.13; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 3, Rz. 10; Schwenzer/Hachem in Schlechtriem/Schwenzer (engl.), Art. 3, Rz. 8 m.w.N.; so auch HGer Zürich, 10.02.1999, HG 970238.1, CISG-online 488, E. 1.b; anders jedoch Cour d’Appel de Chambéry, 25.05.1993, CISG-online 223 (Vorgabe von Spezifikationen und Zeichnungen für die Produktion angesehen als Bereitstellen von Stoffen i.S.v. Art. 3 CISG). 13 Westermann in MüKoBGB6, Art. 3 CISG, Rz. 4. 14 Brunner, Art. 3, Rz. 6; CISG-AC, Op. 4 (Perales Viscasillas), Comment 4.3; Honnold/Flechtner, Art. 3, Rz. 60.6; Lookofsky, 18; Schwenzer/Hachem in Schlechtriem/ Schwenzer (engl.), Art. 3, Rz. 3 m.w.N.
A. Anspruchsgrundlagen
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dass Leistungen im Vorfeld der Lieferung keine zusätzlichen Pflichten im Sinne des Art. 3 Abs. 2 CISG darstellen, sondern bereits von der Formulierung „Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Ware“ im ersten Absatz erfasst werden. 15 Entsprechend fallen auch solche Verträge in den sachlichen Anwendungsbereich der Konvention. Anderes mag gelten, wenn die Entwicklungsleistung klar im Vordergrund steht, wie beispielsweise bei der Entwicklung eines Prototyps. 16 Soweit eine solche im Rahmen von Verträgen mit Problemlösern geschuldet ist, wird sie sich jedoch in der Regel als separater Vertragsteil behandeln lassen, so dass auf denjenigen Vertragsteil, der die sich anschließende Lieferung im Rahmen einer serienmäßigen Produktion betrifft, das CISG wiederum Anwendung fände. (ii) Rückrufregress im Besonderen Wenn das CISG auf den betreffenden Zuliefervertrag Anwendung findet, fragt es sich darüber hinaus, ob es auch auf die vertraglichen Regressansprüche des Herstellers gegen seinen Zulieferer für die Kosten eines Rückrufs anwendbar ist. Zweifel hieran ergeben sich aus Art. 5 CISG, demzufolge das Übereinkommen nicht anwendbar ist „auf die Haftung des Verkäufers für den durch Ware verursachten Tod oder die Körperverletzung einer Person.“ Eine Ansicht versteht diesen Ausschluss dahingehend, dass er auch Regressansprüche des Käufers aufgrund von durch die Ware verursachten Personenschäden (bei den Abnehmern oder Dritten) erfasst. 17 Begründet wird dieses Verständnis mit dem Wortlaut der Vorschrift, 18 ihrer Entstehungsgeschichte 19 sowie dem Argument, dass nur so sichergestellt werden könne, dass der Schadensersatzanspruch wegen Personenschadens bis zum verantwortlichen Produzenten die Vertragskette hinauf weitergereicht wird 20. Freilich handelt es sich bei dem Anspruch auf Ersatz der Rückrufkosten nicht um eine Haftung für Tod oder Körperverletzung einer Person. Auch 15
Piltz, Rz. 2-34. Piltz, Rz. 2-34. 17 Brunner, Art. 5, Rz. 1; B. Ernst, 34 ff.; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 5, Rz. 8; P. Huber, IHR 2006, 228, 233; Khoo in Bianca/Bonell, Art. 5, Rz. 2.2; M. Lorenz in Witz/Salger/Lorenz, Art. 5, Rz. 5 (wenn auch kritisch); Lüderitz/Fenge in Soergel, Art. 5 CISG, Rz. 1; Magnus in Staudinger, Art. 5 CISG, Rz. 7; Piltz, Rz. 2-156; Saenger in BeckOK-BGB, Art. 5 CISG, Rz. 3; Schneider, 35 f.; wohl auch Lookofsky in Blanpain, Rz. 67. 18 Brunner, Art. 5, Rz. 1; B. Ernst, 35; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 5, Rz. 8; P. Huber, IHR 2006, 228, 233; Magnus in Staudinger, Art. 5 CISG, Rz. 7. 19 B. Ernst, 36; Kuhlen, 61. 20 B. Ernst, 36; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 5 , Rz. 8; gerade dies bezweifelt M. Lorenz in Witz/Salger/Lorenz, Art. 5, Rz. 5. 16
166
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
hat dieser Punkt, soweit ersichtlich, bisher weder in der Lehre noch in der Praxis Beachtung gefunden. Entstehungsgeschichtlich stand bei dem Ausschluss nach Art. 5 CISG jedoch das Ziel im Vordergrund, die nationalen Regime der Produkthaftung durch das vereinheitlichte Kaufrecht unberührt zu lassen. Da die Rückrufpflicht und damit die durch sie resultierenden Kosten ebenfalls ein Ausfluss des Produkthaftungsregimes sind und in weiten Teilen gerade der Verhinderung von Personenschäden dienen, kann vor diesem Hintergrund die Anwendbarkeit des CISG auf die entsprechenden Regressansprüche quasi in Verlängerung der Diskussion um den Regressanspruch für Personenschäden in Frage gestellt werden. Ohne dass die Diskussion über die Anwendbarkeit des CISG auf den Regress für Personenschäden im Detail erörtert werden kann, sei hier doch zumindest darauf hingewiesen, dass bereits in dieser Frage gute Gründe dafürsprechen, mit der im Vordringen befindlichen Meinung 21 die Anwendbarkeit des CISG anzunehmen. Das gewichtigste Argument besteht darin, dass dann, wenn richtigerweise Anspruchskonkurrenz zwischen Ansprüchen aus Vertragsverletzung einerseits und solchen aus Produkthaftung andererseits angenommen wird, der Ausschluss der Anwendung des CISG nicht erforderlich ist, um das Weiterreichen in der Vertragskette der durch einen Personenschaden entstandenen Kosten an den letztlich Verantwortlichen zu ermöglichen. 22 Des Weiteren wird durch die Anwendung des CISG auf derlei Regressansprüche ein Auseinanderfallen des anwendbaren Rechts vermieden, da nur so eine einheitliche Behandlung des Regresses für Sach- und Personenschäden erreicht wird. 23 Die Beschränkung des Ausschlusses auf Personenschäden überzeugt auch vor dem Hintergrund des Zieles, die nationale Produkthaftung unberührt zu lassen, nicht. Schließlich handelt es sich im Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer um einen schlichten Vermögensschaden in der Form eines Mangelfolgeschadens. 24 Dagegen können weder das Wortlaut- 25 noch das historische 21
Bridge, Rz. 11.21; Bridge in Fawcett/Harris/Bridge, Rz. 16.80; T. Koller, FS Wiegand, 421, 432 ff.; Mistelis/Ribeiro in Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, Art. 5, Rz. 13 f.; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 39; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rz. 14; Schwenzer/Hachem in Schlechtriem/Schwenzer (engl.), Art. 5, Rz. 10; wohl auch Westermann in MüKoBGB6, Art. 5 CISG, Rz. 3 (seiner Ansicht nach sind die „verschiedenen Differenzierungen wenig einleuchtend“); Zeller, 67 f. 22 Schwenzer/Hachem in Schlechtriem/Schwenzer (engl.), Art. 5, Rz. 10; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 39. 23 Bridge, Rz. 11.21; Mistelis/Ribeiro in Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, Art. 5, Rz. 14; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 39; dazu auch Piltz, Rz. 2-156; kritisch zu diesem Punkt ebenfalls M. Lorenz in Witz/Salger/Lorenz, Art. 5, Rz. 5; Schlechtriem in Schlechtriem/Schwenzer, 2. (engl.) Aufl., Art. 5, Rz. 7; Westermann in MüKoBGB6, Art. 5 CISG, Rz. 3. 24 Bridge, Rz. 11.21; Bridge in Fawcett/Harris/Bridge, Rz. 16.80; Bridge in Ferrari/ Flechtner/Brand, 235, 246; Mistelis/Ribeiro in Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, Art. 5,
A. Anspruchsgrundlagen
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Argument überzeugen. 26 Entsprechend hat das Oberlandesgericht Düsseldorf auf einen Regressanspruch des Käufers wegen eines Personenschadens ohne weitere Erörterung das CISG angewandt. 27 Selbst wenn man aber den Regress des Käufers für durch die Ware bei Dritten verursachte Personenschäden vom Anwendungsbereich des CISG ausschließen wollte, so wäre dieser Ausschluss jedenfalls nicht auf Regressansprüche für die Kosten eines Rückrufs zur Vermeidung von Personenschäden auszudehnen. Gegen eine derartige Erweiterung sprechen namentlich die folgenden Gründe: Vom Wortlaut des Ausschlusses nach Art. 5 CISG ist diese Konstellation nicht erfasst. Auch historisch betrachtet stellte die Haftung des Verkäufers für Gefahrenabwehrmaßnahmen kein Thema in der Diskussion um den Ausschluss dar. Das Argument der ununterbrochenen Regresskette für Fragen der Produkthaftung würde zwar für den Rückrufkostenregress in gleichem Maße wie für den Regress bei eingetretenen Personenschäden gelten, nur überzeugt es bei der Annahme von Anspruchskonkurrenz bereits im Ansatz nicht. Ausschlaggebend ist letztlich jedoch, dass die Trennung zwischen Sach- und Personenschäden bei reinen Gefahrenabwehrmaßnahmen kein angemessenes Kriterium ist. Zwar ließe sich vertreten, das CISG sei nur dann anwendbar, wenn der Rückruf ausschließlich wegen drohender Sachschäden durchgeführt wurde; wenn hingegen auch Personenschäden drohten, dann sei die Haftung des Verkäufers für die Rückrufkosten nicht vom CISG erfasst. Inhaltlich scheint eine solche Trennung aber nicht sachgerecht. Es ist nicht ersichtlich, warum die Frage, welche Rechtsgüter durch die Ware bedroht werden, einen Einfluss auf das anwendbare Recht haben sollte. Entscheidend kann nur sein, dass der Käufer (Endhersteller) durch die Mangelhaftigkeit der Ware zu einer Vermögensdisposition veranlasst wurde. Im Ergebnis ist das CISG also bei Vorliegen der räumlichen und persönlichen Voraussetzungen auf den Anspruch des Endherstellers gegen den Zulieferer wegen Ersatzes der Rückrufkosten anwendbar. b)
Unvereinheitlichtes Recht
Für das unvereinheitlichte nationale Recht muss der Zuliefervertrag zur Bestimmung der entsprechenden Rechtsbehelfe mit ihren unterschiedlichen Rz. 14; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 39; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rz. 32; Schwenzer/Hachem in Schlechtriem/Schwenzer (engl.), Art. 5, Rz. 10. 25 Bridge, Rz. 11.21 (“instrument […] not drawn with the rigour of a UK Parliamentary draftsman”); T. Koller, FS Wiegand, 421, 433. 26 Im Einzelnen T. Koller, FS Wiegand, 421, 432 f. 27 OLG Düsseldorf, 02.07.1993, CISG-online 74; zustimmend: Bridge in Ferrari/ Flechtner/Brand, 235, 246.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Rechtsfolgen entweder dem Kauf- oder dem Werkvertragsrecht zugeordnet werden. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Vertragstypen erfolgt in der Schweiz und Deutschland nach unterschiedlichen Kriterien. In der Schweiz wird von einem Werkvertrag ausgegangen, wenn die Herstellung zur vertraglichen Leistungspflicht gehört. 28 Im Zweifel ist dann von einem Werkvertrag auszugehen, wenn der Besteller auf den Arbeitsprozess Einfluss nehmen kann. 29 Teilweise wird die Grenze auch zwischen der Herstellung vertretbarer und unvertretbarer Sachen gezogen, wobei nur auf die Herstellung unvertretbarer Sachen das Werkvertragsrecht angewendet werden soll. 30 Begrifflich besonders hervorgehoben wird der Werklieferungsvertrag, der sich dadurch auszeichnet, dass der Unternehmer den Stoff zur Herstellung selbst beschafft und dieser ihm nicht vom Besteller zur Verfügung gestellt wird (Art. 365 Abs. 1 OR). Dieser Werklieferungsvertrag untersteht allerdings abgesehen von einer Ausnahme im Bereich der Rechtsmängelhaftung dennoch dem Werkvertragsrecht. 31 In Deutschland hingegen reicht es grundsätzlich nicht aus, dass die Herstellung der Sache vertraglich geschuldet ist, um von einem Werkvertrag auszugehen. Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen gelten vielmehr als früher sogenannte Werklieferungsverträge 32, auf die grundsätzlich die Vorschriften des Kaufrechts Anwendung finden (§ 651 Satz 1 BGB). Anders als in der Schweiz sowie in Deutschland vor der Schuldrechtsreform spielt es hierfür keine Rolle, ob der Stoff vom Unternehmer oder vom Besteller zur Verfügung gestellt wird, und grundsätzlich auch nicht, ob es sich um vertretbare oder unvertretbare Sachen handelt. 33 Nur einzelne, hier nicht relevante Vorschriften des Werkvertragsrechts kommen bei der Herstellung nicht vertretbarer Sachen zur Anwendung (§ 651 Satz 3 BGB). Die Abgrenzung zwischen dem 28 Siehe nur den Wortlaut von Art. 363 OR. Dazu statt vieler A. Koller in BernerKomm, Art. 363 OR, Rz. 107. 29 Chaix in CR CO I, Art. 363, Rz. 18; Gauch, Rz. 128; Zindel/Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 363, Rz. 23. 30 BGer, 07.11.1946, BGE 72 II 347, 349; A. Koller in BernerKomm, Art. 363 OR, Rz. 108; eingeschränkt Gauch, Rz. 129; Huguenin, OR BT, Rz. 611; dagegen Zindel/ Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 363, Rz. 23. 31 BGer, 12.09.1991, BGE 117 II 425, 428, E. 3; Gauch, Rz. 123; Honsell, OR BT, 283; Huguenin, OR BT, Rz. 671; A. Koller in BernerKomm, Art. 365 OR, Rz. 3; Zindel/ Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 363, Rz. 21. 32 Dieser Begriff wurde mit der Schuldrechtsreform gestrichen, siehe nur Leistner, JA 2007, 81, 81. 33 Statt vieler Sprau in Palandt, § 651, Rz. 1; Voit in BeckOK-BGB, § 651, Rz. 1; anders noch vor der Schuldrechtsreform, siehe insbesondere zur damaligen Relevanz der Abgrenzung nach vertretbaren und unvertretbaren Sachen Saxinger, 139 ff.; WellenhoferKlein, 132 ff.
A. Anspruchsgrundlagen
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Kaufvertrag und dem Werkvertrag richtet sich vielmehr nach dem Gewicht der planerischen Leistung des Unternehmers. 34 Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist von einem Werkvertrag nur dann auszugehen, wenn die planerische Leistung den absoluten Schwerpunkt des Vertrags bildet. 35 Anhand dieser Abgrenzungskriterien wird deutlich, dass Zulieferverträge je nach ihrer konkreten Ausgestaltung in beiden Rechtsordnungen entweder dem Kaufrecht oder dem Werkvertragsrecht unterliegen können. Maßgeblich sind dabei das Gewicht der Planungsleistung seitens des Zulieferers gegenüber der reinen Herstellungsleistung, die Möglichkeiten der Einflussnahme des Endherstellers auf die Produktionsvorgänge beim Zulieferer sowie zumindest in gewissem Maße, inwieweit die Produktion des Zulieferers spezifisch für den Endhersteller erfolgt. In der Mehrheit der Fälle wird der Zuliefervertrag in beiden Rechtsordnungen als Werklieferungsvertrag respektive als Vertrag im Sinne des § 651 BGB eingeordnet werden. 36 In der Konsequenz kommt in der Schweiz grundsätzlich das Werkvertragsrecht auf den Zuliefervertrag zur Anwendung, in Deutschland hingegen das Kaufrecht. Anders jedoch kann es bei den Formen der Zulieferung aussehen, bei denen Zulieferer und Endhersteller entweder besonders eng miteinander verbunden sind oder lediglich besonders lockere Beziehungen unterhalten. So dürften Verträge mit Standardteileherstellern nach Schweizer Recht häufig dem Kaufrecht unterfallen, 37 da sie auf die Lieferung vertretbarer Sachen gerichtet sind und der Endhersteller keinen Einfluss auf den Arbeitsprozess des Zulieferers nimmt. Dieser produziert die Teile vielmehr im Einklang mit genormten Industriestandards. Daher steht beim Standardteilehersteller die Pflicht zur Herstellung klar im Vordergrund, während 34
Metzger, AcP 204 (2004), 231, 263, differenziert für die Grenzfälle zwischen Kaufund Werkvertrag nach Fallgruppen und unterscheidet neben den konkret geschuldeten Leistungen insbesondere danach, ob es sich um typische Investitionsgüter (z.B. große Industriemaschinen) handelt (dann Werkvertragsrecht) oder um Sachen, die sowohl als Investitions- als auch als Konsumgüter genutzt werden können (dann Kaufrecht). Leistner, JA 2007, 81, 89 möchte § 651 BGB für b2b-Verträge mit Schwerpunkt auf planenden, konstruierenden und implementierenden Leistungskomponenten teleologisch reduzieren. 35 BGH, 23.07.2009, NJW 2009, 2877, E. 25 (Silo); der von A. Merz, 29 ff., im Jahr 1992 konstatierten allmählichen Leitbildverschiebung der Zulieferverträge vom Kaufrecht hin zum Werkvertragsrecht dürfte damit juristisch weitgehend der Schwung genommen worden sein. 36 Dorjee-Good/Stark-Traber/Voser, AJP 2009, 251, 252; Munz, AL 2010, 91, 91 (Kauf- oder Werklieferungsverträge); Quittnat, BB 1989, 571, 572; Saxinger, 139; Wellenhofer-Klein, 145. 37 Honsell, OR BT, 282; in diese Richtung auch Chaix in CR CO I, Art. 363, Rz. 18; Dorjee-Good/Stark-Traber/Voser, AJP 2009, 251, 252, Fn. 4.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
die Planungsleistung von verhältnismäßig geringer Bedeutung ist. Umgekehrt kann nach deutschem Recht im Einzelfall der Vertrag zwischen dem Endhersteller und einem Zulieferer vom Typen eines Problemlösers dem Werkvertragsrecht zuzuordnen sein. Dies ist nach der oben bereits angesprochenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann der Fall, wenn die Planungsleistung den absoluten Schwerpunkt der vertraglichen Pflicht bildet. Tabelle 2: Anwendbare vertragsrechtliche Regelungen nach Zulieferertypen Standardteilehersteller Auftragsfertiger Problemlöser
2.
Einordnung Schweiz Kaufrecht Werkvertragsrecht Werkvertragsrecht
Einordnung Deutschland Kaufrecht Kaufrecht i.d.R. Werkvertragsrecht
Voraussetzungen
Für vertragliche Ansprüche des Endherstellers gegen seinen Zulieferer auf Ersatz der Rückrufkosten muss der Zulieferer nach allen in Frage kommenden Rechtsordnungen dem Endhersteller Güter geliefert haben, die bei Gefahrübergang mangelhaft waren. Nahezu alle Ansprüche verlangen zudem eine rechtzeitige Rüge des Endherstellers, soweit diese Obliegenheit nicht wirksam abbedungen wurde. Darüber hinaus bedarf es in vielen Fällen einer Verantwortlichkeit auf Seiten des Zulieferers für die maßgebliche Pflichtverletzung. Auf diese drei Voraussetzungen wird im Folgenden einzeln eingegangen a)
Mangel des Zulieferteils
Zentrales Merkmal des Mangelbegriffs nach allen hier relevanten Normen ist die Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit. 38 Während sowohl das CISG als auch das unvereinheitlichte deutsche Kauf- und Werkvertragsrecht dabei von einem einheitlichen Mangelbegriff ausgehen, 39 unterscheiden das Schweizer Kauf- und Werkvertragsrecht jeweils zwischen Fehlern einerseits und dem Fehlen zugesicherter Eigenschaften andererseits. Nur im zuletzt genannten Fall ist das Werk bzw. die Kaufsache un38 Für das CISG: Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel, Art. 35 CISG, Rz. 4; für das Schweizer Kaufrecht: Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 197, Rz. 2; für deutsches Kaufrecht: Weidenkaff in Palandt, § 434, Rz. 9; Matusche-Beckmann in Staudinger, § 434, Rz. 33; Schlechtriem, SchuldR BT, Rz. 33; für das Schweizer Werkvertragsrecht: Zindel/Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 368, Rz. 9; Bühler in ZürcherKomm, Art. 368, Rz. 28; für deutsches Werkvertragsrecht: Sprau in Palandt, § 633, Rz. 5. 39 Dazu statt vieler Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 35, Rz. 4.
A. Anspruchsgrundlagen
171
bedingt mangelhaft; bei Fehlern hingegen ist zusätzlich eine erhebliche Wertminderung oder die Aufhebung der Gebrauchstauglichkeit erforderlich. 40 Der relevante Zeitpunkt, in dem der Mangel vorliegen muss, ist im Kaufrecht und im Werkvertragsrecht jeweils der Gefahrübergang. 41 (i) Sicherheitsdefizit als Mangel Wenn durch ein Zulieferteil eine Gefährlichkeit des Endprodukts von der Art verursacht wurde, dass der Endhersteller das Endprodukt zurückgerufen hat, liegt die Vermutung nahe, an dem Zulieferteil müsse ein Sachmangel bestanden haben. Es gilt hier jedoch zu differenzieren. Zwar schuldet der Zulieferer in der Regel die Sicherheit des Zulieferteils im Rahmen der Eignung für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 bzw. § 633 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 2 BGB, Art. 35 Abs. 2 lit. a CISG) 42 bzw. im Rahmen der Tauglichkeit zum vorausgesetzten (gewöhnlichen) Gebrauch (Artt. 197 Abs. 1, 368 Abs. 1 OR) 43. Etwas anderes kann sich jedoch ergeben, wenn aufgrund der vertraglichen Vereinbarung eine bestimmte Konstruktion, Art der Produktion oder die Verwendung bestimmter Materialien geschuldet ist, die die Produktion eines sicheren Zulieferteils unmöglich macht. Eine solche Situation kann insbesondere beim Zulieferer in der Form des Auftragsfertigers auftreten. Soweit insofern ein Konflikt zwischen der vertraglichen Vereinbarung betreffend die Eigenschaften der Sache und ihrer gewöhnlichen Gebrauchstauglichkeit vorliegt, führt die Einhaltung der vertraglichen Vorgaben bei der Herstellung des Zulieferteils nicht zu dessen Mangelhaftigkeit. 44 40
Für den Kaufvertrag: Honsell in KurzKomm, Art. 197, Rz. 2 m.w.N.; für den Werkvertrag: Zindel/Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 368, Rz. 9 m.w.N. 41 Art. 36 Abs. 1 CISG, siehe dazu Honnold/Flechtner, Art. 36, Rz. 242; zum Schweizer Kaufrecht siehe nur Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 197, Rz. 11; zum Schweizer Werkvertragsrecht: BGer, 04.12.2009, 4A_460/2009, E. 3.1.1 („moment de la livraison“); Honsell, OR BT, 292; Huguenin, OR BT, Rz. 637; Hürlimann/Siegenthaler in HandKomm, Art. 367, Rz. 3; a.A. Gauch, Rz. 411, Fn. 82; zum deutschen Kaufrecht vgl. § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB; für das deutsche Werkvertragsrecht: Voit in BeckOK-BGB, § 633, Rz. 3; Looschelders, SchuldR BT, Rz. 672. 42 Faust in BeckOK-BGB, § 434, Rz. 61; Magnus in Staudinger, Art. 35 CISG, Rz. 18 („keine Gefahren […], mit denen der Nutzer nicht rechnet“); Voit in BeckOK-BGB, § 633, Rz. 11. 43 Akikol, Rz. 374; Gauch, Rz. 1423; Venturi/Zen-Ruffinen in CR CO I, Art. 197, Rz. 19. 44 Für das CISG ergibt sich dies schon aus der Formulierung des Art. 35 Abs. 2 CISG („Haben die Parteien nichts anderes vereinbart, […]“), siehe hierzu nur Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 35, Rz. 12. Auch §§ 434 Abs. 1, 633 Abs. 2 BGB statuieren ausdrücklich den Vorrang der Parteivereinbarung, dazu statt vieler Weidenkaff in Palandt, § 434, Rz. 13; Voit in BeckOK-BGB, § 633, Rz. 4. Zum Schweizer Recht: BGer, 04.12.2009, 4A_460/2009, E. 3.1.1; Honsell, OR BT, 80.
172
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Denkbar sind auch Situationen, in denen das Zulieferteil als solches kein Sicherheitsrisiko darstellt, jedoch durch seine Verwendung im Endprodukt ein Sicherheitsrisiko entsteht. Solche Fälle können beispielsweise auftreten, wenn ein fehlerfreier Motor zum Einsatz in einer Arbeitsbühne verwendet wird, für die er zu schwach ist, so dass die Arbeitsbühne bei starker Belastung abstürzt. 45 Mangelhaftigkeit des Zulieferteils liegt jedoch nur dann vor, wenn der Zulieferer von der beabsichtigten besonderen Verwendung Kenntnis hatte und es somit an der Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung mangelt. Maßgeblich für den Sicherheitsstandard, den ein Produkt aufzuweisen hat, um den Anforderungen an den gewöhnlichen Gebrauch zu genügen, ist in erster Linie die Verkehrsanschauung. 46 Zu deren Bestimmung kann auf öffentlich-rechtliche Grenzwerte und anerkannte Regeln der Technik zurückgegriffen werden. 47 Damit entspricht der vertraglich geschuldete Sicherheitsstandard in Ermangelung vertraglicher Vereinbarung dem für die deliktische Produzentenhaftung maßgeblichen Standard für die Fehlerfreiheit des Produkts. 48 Dementsprechend weisen auch Zulieferteile, welche nach den produkthaftungsrechtlichen Kategorien mit einem Entwicklungsrisiko behaftet oder als Ausreißer zu werten sind, nicht die geschuldete Sicherheit auf und sind deswegen mangelhaft. 49 Ob dieser Mangel auf einer Sorgfaltspflichtverletzung beruht bzw. ob sich der Zulieferer von der
Gauch, Rz. 1414 weist allerdings zu Recht darauf hin, dass den Unternehmer zumindest eine Hinweispflicht treffen wird, wenn er erkennt, dass die vereinbarte Eigenschaft die Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigt. Insofern weist die Situation eine Parallele zu der Frage der Haftungsbefreiung nach Art. 5 Abs. 2 PrHG-CH, § 1 Abs. 3 PrHG-D auf, siehe dazu oben S. 147 f. 45 Siehe den Sachverhalt in BGH, 10.03.1970, VersR 1970, 469 ff. 46 Busche in MüKoBGB 5, § 633, Rz. 29; Faust in BeckOK-BGB, § 434, Rz. 57; Gauch, Rz. 1410; Giger in BernerKomm, Art. 197 OR, Rz. 70; Huguenin, OR BT, Rz. 276; M. Keller/Siehr, 76. 47 BGer, 02.12.2008, 4A_428/2007, E. 3.1 („l’ouvrage doit alors correspondre, au minimum, aux règles de l’art reconnues ou à un standard équivalent“); BGH, 16.01.1985, NJW 1985, 1769, 1770 (chemische Reinigungsanlage); OLG Köln, 06.05.1991, NJW-RR 1991, 1077, 1078 (Formaldehydemissionen); Chr. Berger in Jauernig, § 434, Rz. 14, 30; Eggert, DS 2009, 247, 252; Gauch, Rz. 1411, 1422a; Huguenin, OR BT, Rz. 276; Peters/ Jacoby in Staudinger, § 633, Rz. 177; Voit in BeckOK-BGB, § 633, Rz. 11. 48 Akikol, Rz. 374; Gauch, Rz. 1423. 49 Kreidt, 204. Siehe auch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum deutschen Werkvertragsrecht: BGH, 12.10.1967, NJW 1968, 43, 43; sowie jüngeren Datums: BGH, 10.11.2005, NJW-RR 2006, 240, 240 f.; zum unvereinheitlichten deutschen Kaufrecht: BGH, 03.10.1984, JZ 1985, 99; BGH, 05.07.1972, NJW 1972, 1706, 1708 (Braunfäule); in diese Richtung auch zum CISG: BGH, 09.01.2002, CISG-online 651 unter III. (Milchpulver).
A. Anspruchsgrundlagen
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Haftung befreien kann, ist eine andere Frage und wird später zu erörtern sein. 50 (ii) Mangel bei Verdacht der Gefährlichkeit? Wie oben im Rahmen der Rückrufpflicht bereits erörtert, 51 entstehen häufig Situationen, in denen ein Produkt in den Verdacht gerät, ein Sicherheitsrisiko darzustellen, ohne dass die Gefährlichkeit bereits abschließend geklärt oder verifiziert wurde. Bezogen auf die Mangelhaftigkeit einer Kaufsache oder eines Werkes lassen sich in dieser Hinsicht zwei Grundkonstellationen unterscheiden. In der ersten besteht der Verdacht, dass ein Produkt beispielsweise einen Stoff enthält, der erwiesenermaßen gesundheitsschädlich ist. Hierunter gehören die Fälle des Salmonellen- 52 oder EHEC-Verdachts 53. In der zweiten Konstellation steht fest, dass ein Produkt beispielsweise einen bestimmten Stoff enthält, der unter dem Verdacht der Gefährlichkeit steht. So enthielten einige Lebensmittel im Jahr 2005 den chemischen Stoff Isopropylthioxanthon, dessen Gesundheitsschädlichkeit von manchen behauptet wurde, dessen Toxizität jedoch aufgrund fehlender Daten nicht abschließend beurteilt werden konnte. 54 In beiden Konstellationen besteht der Verdacht, dass die Ware ein Sicherheitsrisiko darstellt und sich nicht zu ihrer gewöhnlichen Verwendung eignet. Inwiefern diese Konstellationen einen Mangel der Kaufsache bzw. des Werks darstellen können, ist zum Schweizer Obligationenrecht bislang wenig erörtert und nicht höchstrichterlich entschieden. 55 In Deutschland und unter dem CISG ist jedenfalls bei zum Weiterverkauf bestimmten Lebensmitteln anerkannt, dass ein begründeter und vom Käufer nicht mit zumutbarem Aufwand ausräumbarer Verdacht der Gesundheitsschädlichkeit, welcher die Unverkäuflichkeit begründet, einen Sachmangel darstellt. 56 50
Siehe unten S. 182. S. 36. 52 BGH, 16.04.1969, NJW 1969, 1171 f. sowie 14.06.1972, NJW 1972, 1462 f. (Gefrierhasen). 53 Hierzu G. Wagner, PHi 2012, 2 ff. 54 Meyer in Meyer/Streinz, Rz. 17 ff. 55 Aus dem Schrifttum zu dieser Frage aber jüngst Rusch, AJP 2012, 44 ff. m.w.N. 56 BGH, 02.03.2005, CISG-online 999, NJW-RR 2005, 1218, 1219 f. (Belgisches Schweinefleisch); kritisch dazu aber Nakamura, 15 VJ 53 (2011), 57 ff.; grundlegend zum unvereinheitlichten Kaufrecht BGH, 16.04.1969, NJW 1969, 1171 f. sowie 14.06.1972, NJW 1972, 1462 f. (Gefrierhasen). Die kürzlich zum § 434 BGB ergangene Entscheidung des OLG Karlsruhe, 25.06.2008, NJW-RR 2009, 134, 135 geht sogar noch weiter, indem das Gericht bei zum Wiederverkauf bestimmtem Fleisch mangels gesundheitlicher Unbedenklichkeit fehlende Verkehrsfähigkeit annimmt und diese für einen Mangel ausreichen lässt. A.A. Grunewald, FS Konzen, 131, 135 ff., der zufolge „ein 51
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Irrelevant ist es dabei, dass der Verdacht erst nach Gefahrübergang aufgekommen ist, wenn nur die Tatsachen, auf denen der Verdacht beruht, bereits bei Gefahrübergang vorlagen. 57 Auch die Schweizer Lehre sieht bei Ware, die zum Weiterverkauf bestimmt ist, in der Einschränkung der Verkaufsmöglichkeiten aufgrund des Verdachts einen Sachmangel. 58 Im Werk-vertragsrecht besteht insofern eine Parallele, als durch einen begründeten Gefahrenverdacht die Gebrauchstauglichkeit ausgeschlossen oder beeinträchtigt werden kann. 59 Die Zulieferteile, die der Endhersteller erwirbt, sind zwar nicht zum Weiterverkauf im eigentlichen Sinne bestimmt. Die Situation ist jedoch insofern vergleichbar, als sie bestimmungsgemäß in das Endprodukt eingebaut und anschließend als Teil desselben verkauft werden. Dem Verdacht, der die Wiederverkäuflichkeit beeinträchtigt, ist in der ZuliefererEndhersteller-Beziehung daher der Verdacht betreffend das Zulieferteil gleichzusetzen, welcher zur Unverkäuflichkeit des Endprodukts führt. Hierzu gehören beispielsweise in der Lebensmittelindustrie Fälle des Verdachts gesundheitsgefährdender Eigenschaften der Verpackung, die sich auf das Lebensmittel auswirken, und in der Automobilindustrie Fälle des Verdachts defekter Bremsen. Wenn eine zuständige Behörde aufgrund des Verdachts eines Sicherheitsrisikos durch das Zulieferteil den Rückruf des Endprodukts anordnet, 60 so reicht die Verdachtsqualität jedenfalls aus, um einen Mangel zu begründen. Schließlich mangelt es in diesem Fall aufgrund des Verdachts und der daraus folgenden Konsequenzen zumindest an der Eignung zur gewöhnlichen Verwendung. 61 Die Anordnung eines Rückrufs ist insofern
Verdacht nicht mehr zu der Beschaffenheit der Kaufsache zählen“ und daher auch keinen Mangel darstellen kann; insbesondere im Hinblick auf Fabrikationsfehler, die den Verdacht der Gefährlichkeit für die gesamte Produktserie begründen, erweist sich die Argumentation von Grunewald jedoch als wenig überzeugend, da der Verdacht gerade auf der physischen Beschaffenheit eines Teils der Waren beruht. 57 BGH, 02.03.2005, CISG-online 999, NJW-RR 2005, 1218, 1220 (Belgisches Schweinefleisch); BGH, 14.06.1972, NJW 1972, 1462 f. (Gefrierhasen); OLG Karlsruhe, 25.06.2008, NJW-RR 2009, 134, 135; Matusche-Beckmann in Staudinger, § 434, Rz. 176. 58 Giger in BernerKomm, Art. 197 OR, Rz. 73; Rusch, AJP 2012, 44, 44 f. m.w.N. 59 Gauch, Rz. 1424 m.w.N.; Voit in BeckOK-BGB, § 633, Rz. 11. 60 Zu den einschlägigen öffentlich-rechtlichen Grundlagen siehe oben S. 11 ff. 61 So wohl auch OLG Karlsruhe, 25.06.2008, NJW-RR 2009, 134, 135, wonach sich der Ausschluss der Verkehrsfähigkeit bereits aus dem Rückruf der Ware ergibt (wobei aus dem Sachverhalt nicht erkennbar ist, ob es sich hier um behördlich angeordnete oder freiwillige Rückrufe handelte; aufgrund der Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften liegt eine Anordnung jedoch nahe).
A. Anspruchsgrundlagen
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anderen öffentlich-rechtlichen Maßnahmen, die die Handelbarkeit ausschließen, wie z.B. Beschlagnahmen gleichzusetzen. 62 In Fällen klassischer Fabrikationsfehler, die nur einige Produkte aus einer Serie betreffen, kann der Verdacht der Gefährlichkeit einzelner Zulieferteile im Einzelfall zur Mangelhaftigkeit der gesamten vom Endhersteller abgenommenen Charge führen. Dies ist dann der Fall, wenn feststeht, dass die Serie mit einer bestimmten Fehlerquote behaftet ist, ohne dass die tatsächlich fehlerhaften Produkte mit zumutbarem Aufwand identifiziert werden könnten. Der Verdacht des ein Sicherheitsrisiko darstellenden Fehlers haftet dann der gesamten Charge an. 63 Wenn es dem Zulieferer später gelingt, die fehlerhaften Teile zu identifizieren und die Fehlerfreiheit der übrigen Teile nachzuweisen, so ändert dies nichts daran, dass die Zulieferteile im entscheidenden Zeitpunkt des Gefahrübergangs aufgrund des Verdachts bzw. der dafür ursächlichen Fehlerquote der Serie nicht für die übliche Verwendung geeignet und damit mangelhaft waren. 64 b)
Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten sowie Abbedingung
(i) Gesetzliche Regelungen In den meisten hier interessierenden Vertragsregimen treffen den Endhersteller als Besteller oder Käufer die Obliegenheiten, die vom Zulieferer gelieferten Teile zu untersuchen und etwaige Mängel zu rügen. Fehlt es an der rechtzeitigen Rüge trotz Erkennbarkeit des Mangels bei einer ordnungsgemäßen Untersuchung, so verliert der Besteller respektive Käufer seine Mängelrechte. Dies gilt nach CISG (Art. 39 Abs. 1 CISG), nach Schweizer Kauf- und Werkvertragsrecht (Art. 201 bzw. Artt. 367, 370 OR) sowie im deutschen Recht für den Handelskauf einschließlich des Vertrags zur Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen unter Kaufleuten (§§ 377, 381 Abs. 2 HGB). Mängel, die vom Endhersteller rechtzeitig – das bedeutet im Hinblick auf die Produktion des Endprodukts insbesondere vor Einbau bzw. Weiterverarbeitung der Zulieferteile – entdeckt und gerügt werden, führen nicht 62
Zur Vertragswidrigkeit der Ware unter dem CISG in Fällen, in denen ein Verdacht zu öffentlich-rechtlichen Maßnahmen führt: BGH, 02.03.2005, CISG-online 999, NJWRR 2005, 1218, 1220 (Belgisches Schweinefleisch). 63 In einer klassischen Weiterverkaufssituation war so die Sachlage im Fall der argentinischen Gefrierhasen, der den Anfang der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verdacht als Mangel bildete (BGH, 16.04.1969, NJW 1969, 1171 ff. und BGH, 14.06.1972, NJW 1972, 1462 ff.): trotz einiger negativer Stichproben haftete der Salmonellenverdacht der gesamten Charge an und machte diese unverkäuflich und damit mangelhaft. 64 So überzeugend Faust, FS Picker, 185, 196 ff.; Grunewald, FS Konzen, 131, 138; anders aber BGH, 23.11.1988, NJW 1989, 218, 220 (Glykolwein).
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
zu Rückrufaktionen. Für diese Arbeit von wesentlich größerem Interesse ist daher die Behandlung sogenannter verdeckter, versteckter oder geheimer Mängel, also solcher, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Untersuchung nicht entdeckt werden konnten. Zu denken ist dabei beispielsweise an frühzeitige Verschleißerscheinungen 65 oder erhöhte Ausfallquoten 66, die untragbare Sicherheitsrisiken erzeugen. Sie sind jeweils zu rügen, sobald sie zu Tage treten. 67 Das Schweizer Obligationenrecht sowie das deutsche Handelsgesetzbuch fordern in diesem Fall eine sofortige 68 bzw. unverzügliche 69 Rüge, während das CISG die Rüge innerhalb angemessener Frist ausreichen lässt 70. 71 Der bloße Verdacht eines verdeckten Mangels, wie er beispielsweise durch Beanstandungen von Abnehmern des Endprodukts entstehen kann, steht der Entdeckung desselben nicht gleich und verpflichtet damit noch nicht zur Mängelrüge. 72 Eine solche Verpflich65
In den vergangenen Jahren machten in dieser Hinsicht insbesondere Hüftgelenksprothesen von sich reden. Siehe dazu die Sachverhalte in BGer, 18.03.2011, BGE 137 III 226; OLG Hamburg, 19.05.1983, VersR 1984, 793. 66 Zuletzt besonders prominent bei Herzschrittmachern oder Defibrillatoren, siehe nur BGH, 13.07.2010, MDR 2010, 1072 ff.; OLG Hamm, 26.10.2010, VersR 2011, 637 ff.; OLG Frankfurt a.M., 20.05.2010, NJOZ 2010, 2163 f.; LG Magdeburg, 22.09.2010, 9 O 1822/09 (490), 9 O 1822/09, BeckRS 2010 Nr. 26573. 67 So ausdrücklich Artt. 201 Abs. 3, 370 Abs. 3 OR, § 377 Abs. 3 HGB. Im CISG ergibt sich dies aus der Formulierung „give notice […] within a reasonable time after he has discovered it or ought to have discovered it“ in Art. 39 Abs. 1 CISG. 68 Zu diesem Erfordernis des Obligationenrechts siehe statt vieler Bühler in ZürcherKomm, Art. 370, Rz. 48 m.w.N.; Gauch, Rz. 2180 ff.; Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 201, Rz. 76, 29 ff. m.w.N. 69 So § 377 Abs. 3 HGB; siehe hierzu statt aller Hopt in Baumbach/Hopt, § 377, Rz. 39. 70 Über die Bestimmung der angemessenen Frist herrscht große Uneinigkeit in der Rechtsprechung der verschiedenen Staaten sowie in der Lehre. Als Orientierungswert für dauerhafte Güter wird eine Frist von einem Monat vorgeschlagen und mittlerweile auch von höchstrichterlicher Rechtsprechung als Regelfrist akzeptiert; siehe hierzu statt aller Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 39, Rz. 17 mit zahlreichen Nachweisen. 71 Gleichsam im Gegenzug schließt das CISG mit Ablauf einer Zweijahresfrist ab Übergabe das Recht des Käufers aus, sich auf die Vertragswidrigkeit zu berufen, wenn er etwaige Mängel bis dahin nicht angezeigt hat, Art. 39 Abs. 2 CISG. Dies betrifft auch versteckte Mängel, siehe nur Magnus in Staudinger, Art. 39 CISG, Rz. 63. Eine solche zweijährige Ausschlussfrist sieht auch der schweizerische Vorentwurf zur Revision des Verjährungsrechts in Artt. 201 Abs. 4, 370 Abs. 4 VE-Verjährung vor, siehe dazu unten S. 245. 72 Zum CISG: Gruber in MüKoBGB6, Art. 39 CISG, Rz. 28 (allerdings anders, wenn sich Verdachtsmomente erhärtet oder zu einer hinreichenden Sicherheit verdichtet haben); Kröll in Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, Art. 39, Rz. 71; a.A. wohl Magnus in Staudinger, Art. 39 CISG, Rz. 31, dem zufolge die Rügefrist zu laufen beginnt, „wenn ernstzunehmende, glaubhafte Reklamationen eingegangen sind“; zum OR: BGer, 12.09.1991, BGE 117 II 425, 427; BGer, 28.07.2000, 4C.159/1999, E. 1.b.aa; Akikol,
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tung wäre insbesondere bei komplexen Produkten, bei denen häufig mehrere Ursachen für eine Beanstandung in Frage kommen, auch nicht sinnvoll. Liegt ein Verdacht auf einen verdeckten Mangel vor, so hat dies für den Endhersteller je nach Rechtsordnung unterschiedliche Konsequenzen. Am strengsten sind die Anforderungen des deutschen unvereinheitlichten Kaufrechts. Danach muss der Endhersteller einem Verdacht in zumutbarem Rahmen nachgehen, was in der Regel eine nochmalige Untersuchung bedeutet. 73 An die Untersuchung werden aufgrund des Verdachts zudem erhöhte Anforderungen gestellt. 74 Etwas mehr Spielraum geben Literatur und Rechtsprechung dem Käufer unter dem CISG. Für das Wiederaufleben der Untersuchungspflicht wird hier überwiegend ein ernstzunehmender Verdacht gefordert, an den relativ hohe Anforderungen gestellt werden. 75 Rechtsprechung und Lehre zum schweizerischen Obligationenrecht verlangen vom Käufer bzw. Besteller dagegen lediglich, dass er die weitere Entwicklung beobachtet 76 und in Ausnahmefällen auch eine Prüfung vornimmt 77. 78 Die Anforderungen an diese Prüfung sind jedoch abgeschwächt. 79 Im Gegensatz zu den gerade diskutierten Vertragsregimen kennt das deutsche Recht keinerlei Untersuchungs- oder Rügeobliegenheit für den reinen Werkvertrag. 80 Danach kann der Besteller lediglich die Mängelrechte der Nacherfüllung, des Aufwendungsersatzes, des Rücktritts und der Rz. 850; Gauch, Rz. 2182; Lehmann in KurzKomm, Art. 370, Rz. 12; Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 201, Rz. 77; Giger in BernerKomm, Art. 201 OR, Rz. 81; zum HGB: Roth in I. Koller/Roth/Morck, § 377, Rz. 9 m.w.N.; ähnlich Koch in Oetker, § 377, Rz. 90 (Rügefrist beginnt mit ernstzunehmenden Reklamationen, allerdings ist gegebenenfalls Zeit zur Aus- und Bewertung einzuräumen). 73 So bereits RG, 02.07.1920, RGZ 99, 247, 250; OLG Stuttgart, 16.06.2009, NJWRR 2010, 933, 933; Grunewald in MüKoHGB, § 377, Rz. 70; Koch in Oetker, § 377, Rz. 89; Roth in I. Koller/Roth/Morck, § 377, Rz. 9. 74 OLG Stuttgart, 16.06.2009, NJW-RR 2010, 933, 933. 75 HGer Bern, 17.01.2002, CISG-online 725, E. III.2.a (bei ernsthaften Anhaltspunkten, welche auf eventuelle Mängel schließen lassen); CISG-AC, Op. 2 (Bergsten), Art. 39, Rule 3 stellt darauf ab, dass Anzeichen der Vertragswidrigkeit „evident“ werden müssten; Ferrari in Ferrari et al., Art. 39 CISG, Rz. 20; Gruber in MüKoBGB 6, Art. 39 CISG, Rz. 31; Saenger in BeckOK-BGB, Art. 39 CISG, Rz. 9; etwas strenger wohl Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 39, Rz. 20 (Wiederaufleben der Untersuchungspflicht, wenn sich Mängelsymptome zeigen). 76 Zum Werkvertrag: BGer, 28.07.2000, 4C.159/1999, E. 1.b.bb.; für den Kaufvertrag angesprochen, aber in casu abgelehnt: BGer, 17.11.2003, 4C.205/2003, E. 3.3.1. 77 Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 201, Rz. 78a. 78 Sich für eine strengere Handhabung nach Schweizer unvereinheitlichtem Kaufrecht aussprechend: Akikol, Rz. 853 f. 79 Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 201, Rz. 78a. 80 Peters/Jacoby in Staudinger, § 640, Rz. 55.
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Minderung nicht mehr geltend machen, wenn er trotz positiver Kenntnis 81 eines Mangels das Werk vorbehaltlos abnimmt (§ 640 Abs. 2 BGB). 82 Schadensersatzansprüche bleiben ihm selbst dann erhalten. 83 Da jedoch mit der Neufassung des § 651 BGB zum Jahr 2002 der Anwendungsbereich des reinen Werkvertragsrechts erheblich reduziert wurde, 84 trifft den Endhersteller unter unvereinheitlichtem deutschem Recht aus dem Zuliefervertrag in den meisten Fällen eine Untersuchungs- und Rügeobliegenheit. (ii) Vertragliche Vereinbarungen Ein Kernelement der in Zulieferverträgen häufig enthaltenen Qualitätssicherungsvereinbarungen 85 ist typischerweise die Abbedingung der Wareneingangskontrolle und der damit verbundene Verzicht des Zulieferers auf die Einrede der verspäteten Mängelrüge. 86 Es handelt sich damit um eine Abbedingung der gesetzlichen Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten, die darin begründet liegt, dass der Zulieferer während und nach der Produktion Qualitätssicherungsmaßnahmen und -kontrollen vornimmt und der Endhersteller Zeit und Kosten spart, indem er auf die Eingangskontrolle verzichtet. Letztlich findet durch die Qualitätssicherungsvereinbarung also eine Verlagerung der Kontrolle vom Bereich des Endherstellers in den des Zulieferers statt. Dabei steht das Einsparen von Zeit und Lagerkapazitäten insbesondere im Rahmen von Just-in-time-Geschäften im Vordergrund. Individualvertraglich begegnet eine solche Abbedingung aufgrund der Dispositivität dieser Regelungen keinen rechtlichen Bedenken. 87 Bei den 81 Selbst grobe Fahrlässigkeit führt hingegen nicht zum Verlust der Mängelrechte, Peters/Jacoby in Staudinger, § 640, Rz. 57; Busche in MüKoBGB5, § 640, Rz. 30. 82 Nach h.M. handelt es sich hierbei um eine Einrede des Unternehmers, Busche in MüKoBGB5, § 640, Rz. 35 m.w.N. 83 Peters/Jacoby in Staudinger, § 640, Rz. 55 betrachten das Erhaltenbleiben der Schadensersatzansprüche als inkonsequent. 84 Siehe hierzu oben S. 169 f. mit Fn. 35. 85 Zum System der Qualitätssicherung in Zulieferverträgen siehe ausführlich Wellenhofer-Klein, 271 ff.; speziell aus der Perspektive der Automobilhersteller: Hollmann, PHi 1989, 146 ff.; spezifisch für die Schweiz jüngst: Dorjee-Good/Stark-Traber/Voser, AJP 2009, 251 ff. 86 Dorjee-Good/Stark-Traber/Voser, AJP 2009, 251, 256; Ensthaler, NJW 1994, 817, 818; A. Merz, 212 f.; Quittnat, BB 1989, 571, 572; Saxinger, 214; D. Schmidt, NJW 1991, 144, 148; Steinmann, BB 1993, 873, 873; Wellenhofer-Klein, 272. 87 Für das CISG ergibt sich dies aus Art. 6 CISG, solange das subsidiär anwendbare nationale Recht dem nicht entgegensteht (Art. 4 Satz 2 lit. a CISG), vgl. Ferrari in Ferrari et al., Art. 39 CISG, Rz. 3; Honnold/Flechtner, Art. 39, 40, 44, Rz. 257.3; Kröll in Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, Art. 39, Rz. 15; Magnus in Staudinger, Art. 39 CISG, Rz. 15, 66; Saenger in BeckOK-BGB, Art. 39 CISG, Rz. 14; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 39, Rz. 34; für § 377 HGB: OLG München, 04.12.1992, NJWRR 1994, 356, 356; Hopt in Baumbach/Hopt, § 377, Rz. 57 m.w.N.; Ensthaler,
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Qualitätssicherungsvereinbarungen handelt es sich jedoch häufig um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) des Endherstellers. 88 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die formularmäßige Abbedingung der Wareneingangskontrolle gekoppelt mit dem Verzicht auf die Einrede der verspäteten Mängelrüge einer AGB-Kontrolle nach schweizerischem und deutschem Recht standhält. 89 Nach der Rechtsprechung des Schweizer Bundesgerichts ist eine AGBKlausel im Falle einer Globalübernahme nicht vom Konsens der Parteien umfasst und damit nicht Vertragsbestandteil, wenn sie als ungewöhnlich anzusehen ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie von dem abweicht, was vernünftigerweise erwartet werden darf. 90 Davon kann jedoch bei einer Abbedingung der Wareneingangskontrolle und einem Verzicht auf die Einrede der verspäteten Mängelrüge als Bestandteil eines Systems der Qualitätssicherung nicht die Rede sein. Eine solche Vereinbarung ist insbesondere deswegen zu erwarten, weil sie eines der Kernelemente eines umfassenden Qualitätssicherungssystems darstellt. Mit der Neufassung des Art. 8 UWG-CH 91, die zum 1. Juli 2012 in Kraft trat, findet eine Inhaltskontrolle nach dieser Vorschrift zwischen Unternehmen nicht mehr statt, 92 so dass Qualitätssicherungsvereinbarungen auch nicht wegen Unlauterkeit
NJW 1994, 817, 820; Quittnat, BB 1989, 571, 572; Saxinger, 215; Steinmann, BB 1993, 873, 875 f.; Wellenhofer-Klein, 323; für Art. 201 OR: BGer, 19.04.1921, BGE 47 II 160, 165, E. 4; Giger in BernerKomm, Art. 201 OR, Rz. 44; Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 201, Rz. 13; Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 201, Rz. 22 ff.; für Art. 367 OR: BGer, 19.01.2007, 4C.371/2006, E. 4; Gauch, Rz. 2463; Lehmann in KurzKomm, Art. 367, Rz. 2; Zindel/Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 367, Rz. 29. 88 Dorjee-Good/Stark-Traber/Voser, AJP 2009, 251, 252 f.; Ensthaler, NJW 1994, 817, 820; Steinmann, BB 1993, 873, 876a; Wellenhofer-Klein, 275 ff. Anders aber Hess, Art. 22 PrSG, Rz. 472, dem zufolge Qualitätssicherungsvereinbarungen aufgrund jeweils zu berücksichtigender Individualinteressen grundsätzlich Individualvereinbarungen sind bzw. sein sollten. 89 Auch bei Anwendbarkeit des CISG richtet sich gemäß Art. 4 Satz 2 lit. a CISG die Wirksamkeit eines solchen Ausschlusses in AGB nach dem subsidiär anwendbaren Vertragsstatut. Dabei gilt es jedoch, die Wertungen des CISG zu beachten; statt aller Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 38, Rz. 29. 90 BGer, 05.08.1993, BGE 119 II 443, 446, E. 1.a m.w.N.; BGer, 01.12.1982, BGE 108 II 416, 418. Siehe dazu statt aller Schwenzer, OR AT, Rz. 45.07 m.w.N. 91 Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb vom 19. Dezember 1986, SR 241. 92 Seit der Revision des Art. 8 UWG-CH fallen unter diese Vorschrift nur noch solche AGB, die „in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen“; zum Wegfall der Anwendung auf Unternehmen: J. Schmid, ZBJV 2012, 1, 7 f.; kritisch dazu: A. Furrer, HAVE 2011, 324, 327; Wildhaber, SJZ 2011, 537, 541.
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als nichtig gewertet werden können. Der AGB-Kontrolle nach schweizerischem Recht halten die hier in Rede stehenden Klauseln somit stand. 93 In Deutschland ist die AGB-Festigkeit dieser Klauseln ein viel diskutiertes und umstrittenes Thema, welches bislang nicht umfassend höchstrichterlich entschieden wurde. 94 Der Bundesgerichtshof hat zwar in einer Entscheidung die uneingeschränkte formularmäßige Abbedingung des § 377 HGB in AGB für unzulässig erklärt, da sie mit grundsätzlichen Gedanken der gesetzlichen Regelung betreffend die Risikoverteilung zwischen Verkäufer und Käufer im Handelskauf unvereinbar sei (§ 307 Abs. 2 Ziff. 1 BGB). 95 Diese Entscheidung hat jedoch wenig Klarheit gebracht, sondern vielmehr aufgrund ihrer terminologischen Ungenauigkeit neue Differenzen verursacht. Der Grund für die verschiedenen Interpretationen der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt darin, dass der Bundesgerichtshof in besagter Entscheidung Mängel, die „offen zu Tage liegen“ mit sogenannten offenen Mängeln gleichsetzt. 96 Damit missachtet er die sonst übliche Differenzierung 97 zwischen „offen zu Tage liegenden“ bzw. „offenkundigen“ Mängeln einerseits (also solchen, die bereits ohne Untersuchung erkennbar sind), und bloßen „offenen“ Mängeln (welche erst bei ordnungsgemäßer Untersuchung zu Tage treten) andererseits. In der Folge dieser Entscheidung ist daher unklar, ob die Untersuchungs- und Rügepflicht nur für Fälle offenkundiger Mängel nicht abbedungen werden kann oder auch nicht bei offenen Mängeln. 98 93
So im Ergebnis wohl auch Dorjee-Good/Stark-Traber/Voser, AJP 2009, 251, 256. Zur Diskussion siehe insbesondere Ensthaler, NJW 1994, 817, 820 f.; Grunewald, NJW 1995, 1777, 1780 f.; Kreifels, ZIP 1990, 489, 492 f.; Munz, AL 2010, 91 ff.; Quittnat, BB 1989, 571, 572; D. Schmidt, NJW 1991, 144, 148 ff.; Steinmann, BB 1993, 873 ff.; ausführlich: A. Merz, 304 ff., 322 ff.; Steinmann, 112 ff., 121 ff.; WellenhoferKlein, 323 ff. 95 BGH, 19.06.1991, NJW 1991, 2633, 2634; die Entscheidung erging noch vor der Schuldrechtsreform, so dass sie sich auf die Abbedingung der damaligen §§ 377, 378 HGB bezog, welche nach § 9 Abs. 2 Ziff. 1 des damaligen AGB-Gesetzes (BGBl. 2000 I 946; in Kraft bis 31.12.2001) als unwirksam betrachtet wurde. 96 In der Entscheidung heißt es zunächst: „Durch den uneingeschränkten formularmäßigen Ausschluß der §§ 377, 378 HGB würde dem Käufer die unverzügliche Untersuchungs- und Rügepflicht auch dann abgenommen, wenn die Mängel offen zu Tage liegen, der Käufer sie bei der gebotenen unverzüglichen Untersuchung festgestellt hat oder hätte feststellen können (sogenannte offene Mängel).“ Etwas weiter hinten folgert der Bundesgerichtshof dann: „Das Abbedingen der unverzüglichen Untersuchungs- und Rügepflicht auch bei offenen Mängeln ist daher mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar und damit unwirksam” (BGH, 19.06.1991, NJW 1991, 2633, 2634) (Hervorhebungen nicht im Original). 97 Dazu statt vieler Hopt in Baumbach/Hopt, § 377, Rz. 35. 98 OLG München, 04.12.1992, NJW-RR 1994, 356, 356 hält jegliche formularmäßige Abbedingung der Untersuchungs- und Rügepflicht für unzulässig; LG Gera, 08.07.2004, MDR 2005, 101, E. 25 perpetuiert die Unklarheit, indem es den Wortlaut des BGH nahe94
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Des Weiteren mangelt es, soweit ersichtlich, bisher an Rechtsprechung, die sich mit der vollständigen oder teilweisen Abbedingung der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit in Verbindung mit einem umfassenden System der Qualitätssicherung auseinandersetzt. Die Literatur hat sich jedoch eingehend mit dieser Frage beschäftigt. Zwar besteht in Detailfragen diesbezüglich keine Einigkeit. Dennoch lässt sich eine Tendenz dahingehend feststellen, dass die Abbedingung der Untersuchungs- und Rügepflicht als Teil eines Qualitätssicherungssystems in gewissem Rahmen möglich sein soll. Insbesondere soll der Käufer in Bezug auf solche Eigenschaften der Ware nicht zu Untersuchung und Rüge verpflichtet sein, die durch konkrete Vorgaben und Kontrollen aufgrund der Qualitätssicherungsvereinbarung erfasst werden. 99 Denn es sei gerade Sinn und Zweck dieser Festlegungen und Maßnahmen, nachgängige Qualitätskontrollen entbehrlich zu machen. Auf von dieser Qualitätssicherung nicht erfasste Mängel (z.B. Transportschäden) muss der Käufer die Ware weiterhin untersuchen und diese auch rügen. 100 Unterliegt ein Zuliefervertrag dem CISG, so gilt es bei der Bestimmung der Wirksamkeit einer Abbedingung der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nach nationalem Recht die Wertungen des CISG zu berücksichtigen. 101 Das CISG unterscheidet sich vom unvereinheitlichten Schweizer und deutschen Recht dahingehend, dass es die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit weniger strikt ausgestaltet und auch Ausnahmen davon zulässt. 102 Bei einer Beurteilung der Wirksamkeit nach Schweizer Recht wird zu exakt wiedergibt; Hopt in Baumbach/Hopt, § 377, Rz. 59: Unwirksamkeit der Abbedingung der Rügepflicht „jedenfalls für offenkundige Mängel“; Roth in I. Koller/Roth/ Morck, § 377, Rz. 32: Unwirksamkeit der „Abbedingung der Rügeobliegenheit bei anfänglich erkennbaren Mängeln“; Koch in Oetker, § 377, Rz. 150, Fn. 508 versteht die BGH-Entscheidung als „jedenfalls offenkundige Mängel“ betreffend; Grunewald in MüKoHGB, § 377, Rz. 124 trägt jedenfalls nicht zur Klarheit bei, indem sie zunächst von „offenen“, dann von „offen erkennbaren“ Mängeln spricht. 99 Koch in Oetker, § 377, Rz. 153; strenger aber A. Merz, 325 ff. (lediglich Modifizierung des Untersuchungsmodus zulässig). 100 Ensthaler, NJW 1994, 817, 820; Hopt in Baumbach/Hopt, § 377, Rz. 59; Koch in Oetker, § 377, Rz. 153 m.w.N.; Roth in I. Koller/Roth/Morck, § 377, Rz. 32 (zudem wohl keine Abbedingung für offen zu Tage tretende und tatsächlich erkannte Mängel); Steinmann, BB 1993, 873, 879; ähnlich Wellenhofer-Klein, 349 (auf jeden Fall äußere Kontrolle und entsprechende Rüge nötig); Wesch, PHi 1996, 197, 200: Abbedingung unzulässig für offene Mängel, Falschlieferungen und Fehlmengen; anders wohl D. Schmidt, NJW 1991, 144, 149 f.: völliger Ausschluss der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit unzulässig (allerdings ohne positive Bestimmung des Zulässigen); Munz, AL 2010, 91, 95 hält die Abbedingung für versteckte Mängel für unzulässig. 101 Siehe bereits oben Fn. 89, S. 179. 102 Neben deutlich länger als nach Obligationenrecht und § 377 HGB zu bemessenden Fristen sieht das CISG eine maßgebliche Einschränkung des Einwands der verspäteten Mängelrüge in Art. 44 CISG vor.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
eine entsprechende AGB-Klausel in einem CISG-Vertrag der Ungewöhnlichkeiten-Regel mithin zweifellos standhalten. Unter der Anwendbarkeit deutschen Rechts ist gegenüber den zu § 377 HGB vertretenen Ansichten eine weniger strikte Handhabung angebracht, so dass im Rahmen eines Qualitätssicherungssystems auch eine gänzliche Abbedingung der Artt. 38, 39 CISG zulässig sein sollte. 103 c)
Verantwortlichkeit des Zulieferers
Während die Haftung nach dem CISG sowie die meisten Gewährleistungsansprüche des nationalen Rechts keinerlei Verschulden erfordern, ist für einen Teil der Schadensersatzansprüche nach unvereinheitlichtem Kaufund Werkvertragsrecht Voraussetzung, dass der Zulieferer für die Mangelhaftigkeit des gelieferten Teils verantwortlich ist. 104 Das Vertretenmüssen kann aus eigenem Verschulden des Zulieferers, aus einer Garantie oder aus einer Einstandspflicht für seine Hilfsperson folgen. Unter dem CISG kommt umgekehrt eine Befreiung des Zulieferers gemäß Art. 79 CISG in Betracht, wenn der Mangel auf einem unvorhersehbaren Hinderungsgrund außerhalb seines Einflussbereichs beruht. 105 Ein Verschuldensvorwurf für die Mangelhaftigkeit des Zulieferteils setzt voraus, dass der Zulieferer bei der Herstellung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Soweit der Zuliefervertrag Qualitätssicherungsvereinbarungen enthält, haben diese maßgeblichen Einfluss auf den Sorgfaltsmaßstab. Bei Einhaltung der Verpflichtungen aus der Qualitätssicherungsvereinbarung ist daher zu vermuten, dass den Zulieferer kein Verschulden trifft. 106 Im Übrigen besteht im Wesentlichen 107 Parallelität zwischen den deliktsrechtlichen Verkehrspflichten im Hinblick auf die Warenherstellung
103
Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 38, Rz. 29 m.w.N. Zu beachten ist, dass das Vertretenmüssen im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB in Abweichung von den übrigen Ansprüchen, die die Verantwortlichkeit des Zulieferers voraussetzen, im Zeitpunkt des Ablaufs der Nacherfüllungsfrist vorliegen muss; siehe dazu S. 190 unten. 105 So die h.M., siehe nur Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rz. 6 mit umfassenden Nachweisen zum Meinungsstand; für die anglo-amerikanisch geprägte Gegenmeinung, die eine Anwendbarkeit des Art. 79 CISG bei Lieferung mangelhafter Ware ablehnt, statt aller Honnold/Flechtner, Art. 79, Rz. 427. 106 Dorjee-Good/Stark-Traber/Voser, AJP 2009, 251, 265 m.w.N.; Hollmann, PHi 1989, 146, 155; ähnlich im Hinblick darauf, dass dem Zulieferer bei Erfüllung der Qualitätssicherungsvereinbarung kaum ein Verschuldensvorwurf zu machen sein wird Kreidt, 30 f. 107 Zum (umstrittenen) Verhältnis zwischen Verkehrspflichten und Verschulden siehe oben S. 26 f. 104
A. Anspruchsgrundlagen
183
und dem Sorgfaltsmaßstab des Vertragsrechts. 108 Daraus folgt auch, dass den Zulieferer bei Vorliegen eines im Rahmen des Produkthaftungsrechts als Entwicklungsrisiko oder als Ausreißer einzustufenden Mangels kein Verschulden trifft. Insoweit muss sich der Zulieferer exkulpieren. 109 Unter dem CISG hingegen haftet der Zulieferer auch für Entwicklungsrisiken und Ausreißer. Eine Befreiung nach Art. 79 CISG wird dem Zulieferer nämlich regelmäßig nicht gelingen, da die Mangelfreiheit der Produktion in seinen Einflussbereich fällt 110 und somit keinen beachtlichen Hinderungsgrund darstellt. Selbst wenn man in Ausnahmefällen eine entsprechende Befreiung des Zulieferers von der Schadensersatzpflicht annehmen wollte, könnte dieser dennoch zur Nacherfüllung verpflichtet sein, soweit eine solche Maßnahme im relevanten Zeitpunkt (beispielsweise aufgrund der Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik) möglich ist. 111 Der Zulieferer kann eine Pflichtverletzung auch dann zu vertreten haben, wenn er eine Garantie übernommen hat, nach der er für das Vorliegen 108
Kreidt, 29; Tamme, 335 f. Siehe insoweit den Wortlaut des Art. 208 Abs. 3 OR („[…], sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.”) und des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB („Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.“); die h.M. bejaht die Vermutung des Verschuldens auch im Rahmen des Art. 368 Abs. 1 und 2 OR, BGer, 20.03.1967, BGE 93 II 311, 315, E. 3.a; Zindel/Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 368, Rz. 94 mit umfangreichen Nachweisen (auch für die andere Ansicht). 110 BGH, 24.03.1999, CISG-online 396, E. II.2.a (Rebwachs); U. Huber, RabelsZ 43 (1979), 413, 496; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 292; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rz. 28 m.w.N.; a.A. Donatiello, Rz. 174; wie hier im Ergebnis wohl auch Nicholas in Galston/Smit, 5-13 f., der jedoch offen lässt, ob Art. 79 CISG auf mangelhafte Ware überhaupt keine Anwendung finden oder nur die Haftung für Entwicklungsrisiken nicht ausschließen soll. Eine Befreiung kommt jedoch in Frage bei Verursachung der Mangelhaftigkeit durch unbeherrschbare Ereignisse, wie z.B. Naturkatastrophen, Magnus in Staudinger, Art. 79 CISG, Rz. 25; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rz. 28. Tribunal de Commerce de Besançon, 19.01.1998, CISG-online 557, hält hingegen eine Befreiung nach Art. 79 CISG auch für (normale) Produktionsfehler für möglich; siehe dazu jedoch die berechtigte scharfe Kritik von Spivack, 27 Pennsylvania Journal of International Economic Law 757, 798. 111 Während die Auswirkungen des Art. 79 CISG auf den Erfüllungsanspruch aufgrund des Wortlauts von Art. 79 Abs. 5 CISG und dessen Entstehungsgeschichte im Detail umstritten sind (hierzu nur Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rz. 52 ff. mit umfangreichen Nachweisen), scheint doch insoweit Einigkeit zu bestehen, als bei bloß vorübergehender Unmöglichkeit der (Nach-)Erfüllungsanspruch erhalten bleibt: Atamer in Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, Art. 79, Rz. 18, 25 (Artt. 46 und 62 CISG allein relevant für die Frage, ob ein Erfüllungsanspruch besteht); Magnus in Staudinger, Art. 79 CISG, Rz. 57; Mankowski in MüKoHGB, Art. 79 CISG, Rz. 7; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rz. 52; a.A. wohl Tallon in Bianca/Bo- nell, Art. 79, Rz. 2.10, der Nacherfüllung im Falle einer Befreiung nach Art. 79 CISG für „inconceivable“ hält und dabei offensichtlich Fälle vorübergehender Unmöglichkeit außer Acht lässt. 109
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
einer bestimmten Eigenschaft oder die gänzliche Mangelfreiheit unbedingt einsteht. 112 Auf ein Verschulden kommt es dann nicht an. Eine solche Garantie kann beispielsweise auch in Qualitätssicherungsvereinbarungen enthalten sein. Allerdings ist das Vorliegen einer solchen vertraglichen Abrede nur sehr zurückhaltend anzunehmen 113 und keinesfalls bereits mit der Zusicherung einer Eigenschaft nach Schweizer Recht gleichzusetzen 114. Schließlich kann der Zulieferer eine Pflichtverletzung unabhängig von eigenem Verschulden auch dann zu vertreten haben, wenn er eine Hilfsperson in die Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten eingeschaltet hat (Art. 101 Abs. 1 OR, § 278 BGB). Nach der herrschenden Meinung in der Schweiz handelt es sich dabei anders als im deutschen Recht nicht um eine Haftung für fremdes Verschulden, sondern um eine Haftung bei Vorliegen der sogenannten hypothetischen Vorwerfbarkeit. 115 Danach wird das Verhalten der Hilfsperson an dem Sorgfaltsmaßstab gemessen, dem der Schuldner selbst zu genügen hätte. In der Praxis sind Unterschiede zwischen dem schweizerischen und dem deutschen Ansatz jedoch nur dann zu gewärtigen, wenn es ausnahmsweise an der Urteilsfähigkeit der Hilfsperson mangelt. In allen übrigen Fällen kann auch die Haftung für Hilfspersonen nach Art. 101 Abs. 1 OR als Haftung für fremdes Verschulden aufgefasst werden. 116 3.
Rechtsfolgen
Den umfassendsten vertraglichen Rechtsbehelf zum Ersatz von Rückrufkosten bildet der Schadensersatzanspruch. Allerdings unterliegt dieser teilweise Beschränkungen hinsichtlich des Inhalts oder durch gesteigerte Voraussetzungen, auf die im Einzelnen sogleich eingegangen wird. Aus diesem Grund können für den Endhersteller auch Nacherfüllungsansprüche von Interesse sein, die den Austausch oder die Reparatur des fehlerhaften Zulieferteils zum Inhalt haben. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Gefährlichkeit des Endprodukts auf das Zulieferteil beschränkt ist und keine weiteren Auswirkungen auf andere Teile des Endprodukts 112 Für das deutsche Recht ergibt sich die Unbeachtlichkeit des Verschuldens für die Fälle einer Garantieübernahme aus § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB. 113 BGH, 29.11.2006, NJW 2007, 1346, 1348, E. 20; Gauch, Rz. 1382; Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 197, Rz. 17; Unberath in BeckOK-BGB, § 276, Rz. 40 m.w.N. Skeptisch dazu, ob eine Garantie auch die Haftung bei Vorliegen eines Entwicklungsrisikos umfasst: Tamme, 321 m.w.N. 114 Gauch, Rz. 2511; Giger in BernerKomm, Art. 197 OR, Rz. 20. 115 BGer, 13.08.2004, BGE 130 III 591, 605 m.w.N.; Gauch/Schluep/Emmenegger, Rz. 3039 ff.; Huguenin, OR AT, Rz. 735; Thier in KurzKomm, Art. 101, Rz. 5; Weber in BernerKomm, Art. 101 OR, Rz. 133 ff.; Wiegand in BaslerKomm-OR I, Art. 101, Rz. 11 ff. 116 Honsell, FS Schwenzer, 779, 787 f.
A. Anspruchsgrundlagen
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hat. Es lässt sich beispielsweise an einen bruchgefährdeten Fahrradlenker denken, der abmontiert und durch einen neuen ersetzt werden kann. Den Gegensatz dazu bilden Konstellationen, in denen sich der Mangel des Zulieferteils dergestalt auf das Endprodukt ausgewirkt hat, dass dieses entweder gar nicht mehr verwendet werden kann (beispielsweise bei Verwendung eines schädlichen Stoffes in einer kosmetischen Creme) oder dass die Gefährlichkeit nur durch anderweitige Maßnahmen am Endprodukt (z.B. den Einbau einer zusätzlichen Sicherung) beseitigt werden kann. Im Hinblick auf Nacherfüllungsansprüche gilt es zu berücksichtigen, dass es dem Endhersteller dabei häufig weniger auf den Erhalt eines fehlerfreien Zulieferteils ankommen wird. Dessen Wert ist oftmals verhältnismäßig gering. Aus diesem Grunde wird im Folgenden auch auf die Erörterung der Rechtsbehelfe der Minderung und der Lösung vom Vertrag weitgehend verzichtet. Sie spielen im Rahmen des Rückrufregresses allenfalls eine untergeordnete Rolle. Die eigentliche Relevanz von Nacherfüllungsansprüchen für den zurückrufenden Endhersteller liegt regelmäßig vielmehr in den weiteren Aufwendungen, die von diesen Ansprüchen umfasst werden. Dabei geht es insbesondere um die Frage der Kosten für Transport sowie Ein- und Ausbau fehlerhafter Zulieferteile, die häufig einen beträchtlichen Anteil der Rückrufkosten ausmachen. Inwieweit diese Kosten in den einzelnen Rechtsordnungen von einem – verschuldensunabhängigen – Nacherfüllungsanspruch erfasst werden, wird im Folgenden neben dem Vorliegen von Schadensersatzansprüchen zu klären sein. a)
CISG
Gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 74 CISG ist jeglicher durch eine Vertragsverletzung verursachte Schaden zu ersetzen, sofern er voraussehbar war. Im Hinblick auf die Verursachung genügt der natürliche Kausalzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung (hier dem Mangel des Zulieferteils) und den durch den Rückruf entstandenen Kosten; auf weitere Zurechnungserwägungen kommt es im Unterschied zu vielen anderen Rechtsordnungen 117 hingegen nicht an. 118 Deren Rolle der Eingrenzung
117
Rechtsvergleichend dazu Schwenzer/Hachem/Kee, Rz. 44.42 ff. P. Huber in MüKoBGB6, Art. 74 CISG, Rz. 20; Lookofsky, 129; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 300; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rz. 40 („kein Raum für juristische Kausalitätstheorien“) m.w.N.; in diese Richtung wohl auch Bridge, Rz. 12.55, dem zufolge Art. 74 CISG „requirements of both factual and legal causation“ enthält und sich damit auf die natürliche Kausalität einerseits und die Voraussehbarkeit andererseits bezieht. Insoweit unklar Saidov, Methods of Limiting Damages, nach Fn. 204, der sich für „the development of ways of treating causal prob118
186
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
ersatzfähiger Schäden übernimmt im Rahmen des Art. 74 CISG vielmehr das Kriterium der Voraussehbarkeit. 119 Nach Art. 74 Satz 2 CISG darf der Schadensersatz „den Verlust nicht übersteigen, den die vertragsbrüchige Partei bei Vertragsabschluß als mögliche Folge der Vertragsverletzung vorausgesehen hat oder unter Berücksichtigung der Umstände, die sie kannte oder kennen mußte, hätte voraussehen müssen.“ Ein Zulieferer weiß regelmäßig, dass die von ihm gelieferten Teile in andere Produkte eingebaut werden. Als mögliche Folge eines Sicherheitsrisikos wird daher ein Rückruf des Endprodukts in der Regel voraussehbar sein. Zwar handelt es sich bei den Rückrufkosten nicht um eigentliche Haftungsschäden – diese gelten regelmäßig als vorhersehbar 120 –, aber doch um einen vergleichbaren Schaden. Schließlich wird der Rückruf gerade getätigt, um einen Haftungsschaden zu vermeiden. Insofern werden auch die Kosten für einen Rückruf üblicherweise vorhersehbar sein. Allerdings muss über die Natur des Schadens hinaus auch dessen Umfang im Wesentlichen voraussehbar sein. 121 Aus diesem Erfordernis kann sich bei außergewöhnlich hohen Rückrufkosten eine Begrenzung des ersatzfähigen Schadens ergeben. Dies kann insbesondere auch dann der Fall sein, wenn der Zulieferer nicht weiß, dass sein Produkt für besonders hochwertige Endprodukte verwendet wird, deren Rückruf entsprechend hohe Kosten verursacht. Eine derartige Situation ist insofern mit Fällen ungewöhnlich hoher Wiederverkaufspreise oder ungewöhnlich hoher Haftungsschäden vergleichbar, die vom Verkäufer mangels Information durch den Käufer nicht vorhergesehen werden konnten 122. lems under the CISG“ ausspricht, ohne jedoch zwischen natürlicher Kausalität und weiteren Kausalitätstheorien zu differenzieren. 119 Heuzé, Rz. 451. Ähnliches gilt für den französischen Rechtskreis sowie Rechtssysteme des Mittleren Ostens und des arabischen Raums; in den Rechtsordnungen des common law unterscheidet sich das Kriterium der Vorhersehbarkeit insofern von demjenigen des CISG, als es mit Fragen der remoteness verbunden wird; zum Ganzen siehe Schwenzer/Hachem/Kee, Rz. 44.44. 120 OLG Köln, 21.05.1996, CISG-online 254; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rz. 56 m.w.N.; Vékás, 43 Acta Juridica Hungarica 145 (2002), 167. 121 OGH, 14.01.2002, CISG-online 643; Polimeles Protodikio Athinon (Athener Gericht erster Instanz), 2009, 4505/2009, CISG-online 2228; Honnold/Flechtner, Art. 74, Rz. 406; P. Huber in MüKoBGB 6, Art. 74 CISG, Rz. 28; Saidov, Methods of Limiting Damages, Text zu Fn. 169 ff.; Saidov, 13 VJ 197 (2009), 202; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rz. 50; Vékás, 43 Acta Juridica Hungarica 145 (2002), 164; Gotanda in Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, Art. 74, Rz. 49 spricht dem Erfordernis der Voraussehbarkeit des Umfangs des Schadens die praktische Relevanz ab. 122 So beispielsweise in Tribunal of International Commercial Arbitration at the Russian Federation Chamber of Commerce and Industry, 06.06.2000, CISG-online 1249, E. 3.4.2: unvorhersehbar hoher Wiederverkaufsgewinn.
A. Anspruchsgrundlagen
187
Das CISG gibt dem Endhersteller auch die Möglichkeit, Nachbesserung oder Nachlieferung vom Zulieferer zu verlangen (Art. 46 Abs. 2, 3 CISG). Die Möglichkeit dazu hat er allerdings nur innerhalb einer angemessenen Frist nach Anzeige des Mangels. Für den Nachlieferungsanspruch braucht es zudem das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung, während ein Nachbesserungsanspruch auch ohne eine solche geltend gemacht werden kann, jedoch eine Zumutbarkeitsgrenze in Abhängigkeit vom Verhältnis der Interessen von Käufer und Verkäufer 123 enthält. Da der Endhersteller seine gesamten Kosten verschuldensunabhängig im Rahmen des Schadensersatzes ersetzt verlangen kann, dürfte die Relevanz des Nacherfüllungsanspruchs für den Rückrufkostenregress unter Geltung des CISG verhältnismäßig gering sein. Bedeutung kann insofern jedoch das Recht des Zulieferers zur zweiten Andienung erlangen. Von diesem Recht kann der Verkäufer Gebrauch machen, solange kein Recht zur Vertragsaufhebung besteht und „wenn dies keine unzumutbare Verzögerung nach sich zieht und dem Käufer weder unzumutbare Unannehmlichkeiten noch Ungewißheit über die Erstattung seiner Auslagen durch den Verkäufer verursacht“ (Art. 48 Abs. 1 CISG). Soweit dem Zulieferer danach oder nach Art. 48 Abs. 2 CISG ein Nacherfüllungsrecht zusteht, führt dies zu einer Einschränkung der Rechtsbehelfe des Endherstellers. Im Detail ist umstritten, ob der Käufer die Kosten einer Selbstvornahme der Mängelbeseitigung ersetzt verlangen kann, wenn dem Verkäufer zum Zeitpunkt der Selbstvornahme noch ein Recht auf Nacherfüllung zustand. 124 Der Endhersteller wird jedoch im Ergebnis zumindest Ersatz derjenigen Kosten vom Zulieferer erhalten, die dieser durch die Selbstvornahme erspart hat. 125 123 Näher zu den Voraussetzungen der Zumutbarkeit Müller-Chen in Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 46, Rz. 40. 124 Für den Vorrang der Nacherfüllung mit dem Ergebnis, dass der Käufer keinen Schadensersatz für die Kosten der (unberechtigten) Selbstvornahme verlangen kann, plädieren insbesondere deutschrechtliche Autoren: Brunner, Art. 48, Rz. 11; P. Huber in MüKoBGB6, Art. 48 CISG, Rz. 22; P. Huber in Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, Art. 48, Rz. 26, 38; Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48, Rz. 21; Saenger in BeckOK-BGB, Art. 48 CISG, Rz. 16; Schnyder/Straub in Honsell, Art. 48, Rz. 63. Dagegen insbesondere Honnold/Flechtner, Art. 48, Rz. 296.1, die den Kostenersatz für die Selbstvornahme ausschließlich über Art. 77 CISG begrenzen wollen. 125 Während Honnold/Flechtner, Art. 48, Rz. 296.1 zu diesem Ergebnis regelmäßig über die Anwendung von Art. 77 CISG kommen werden (es sei denn, die Selbstvornahme durch den Käufer war günstiger als die Nacherfüllung durch den Verkäufer es gewesen wäre), erreichen andere Autoren dieses Ergebnis über die Anwendung des Art. 80 CISG (da der Käufer dem Verkäufer die Möglichkeit zur (Nach-)Erfüllung genommen hat) mit der Maßgabe, dass sich der Verkäufer die ersparten Aufwendungen auf den Kaufpreis anrechnen lassen muss, siehe etwa P. Huber in MüKoBGB 6, Art. 80 CISG, Rz. 8; Magnus in Staudinger, Art. 80 CISG, Rz. 18; Mankowski in MüKoHGB,
188 b)
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Unvereinheitlichtes Recht
(i) Rückrufkosten als zurechenbarer Schaden Im Vergleich mit dem CISG kommt der Kausalität in den Rechtsordnungen des deutschen Rechtskreises eine wesentlich größere Rolle bei der Eingrenzung ersatzfähiger Schäden zu. 126 So lassen es das unvereinheitlichte schweizerische und deutsche Recht für die Kausalität zu ersetzender Schäden nicht ausreichen, dass die Pflichtverletzung eine conditio sine qua non für die entsprechenden Kosten darstellt. Vielmehr verlangen beide Rechtsordnungen, dass die entstandenen Schäden der vertragsbrüchigen Partei zurechenbar sind. 127 Im Hinblick auf die Kosten einer Rückrufaktion könnten insofern Zweifel an der Zurechenbarkeit aufkommen, als die Entstehung dieser Kosten jedenfalls dann, wenn der Rückruf nicht behördlich angeordnet wurde, auf einem Entschluss des Endherstellers beruht. Wenn den Endhersteller eine Rechtspflicht zum Rückruf trifft, stellen die dadurch entstehenden Kosten jedoch zweifelsohne einen zurechenbaren Schaden dar. 128 Auch wenn eine Rückrufpflicht nicht besteht, werden Vermögenseinbußen jedenfalls dann als zurechenbarer Schaden angesehen, wenn sie sich als Aufwendungen zur Abwehr eines konkret drohenden Schadens oder zur Schadensminderung darstellen. 129 Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit solcher Aufwendungen ist jedoch, dass sie „aus der Sicht eines verständigen Menschen in der Lage des Geschädigten erforderlich erscheinen“. 130 Maßgeblich ist dafür eine ex-ante-Betrachtung in dem Zeitpunkt, in dem die Aufwendungen getätigt wurden. 131 Insofern kann nach unvereinheitlichtem Recht das Ergebnis in einzelnen Fällen ein ande-
Art. 80 CISG, Rz. 12; Saenger in BeckOK-BGB, Art. 80 CISG, Rz. 4; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rz. 8. 126 Schwenzer/Hachem/Kee, Rz. 44.43 ff., die die dogmatische Relevanz des Konzepts der Kausalität in deutschrechtlichen Rechtsordnungen gegenüber den meisten anderen Rechtsordnungen hervorheben („exceptionally high emphasis on the concept of causation“, ibid., Rz. 44.45) und gleichzeitig darauf hinweisen, dass die faktischen Überlegungen und Argumente in der Sache dennoch weitgehend dieselben sind wie in anderen Rechtsordnungen. 127 Siehe hierzu im Einzelnen Oetker in MüKoBGB 6, § 249, Rz. 103 ff.; Schwenzer, OR AT, Rz. 19.03 ff. 128 So auch Kreidt, 235; Tamme, 310 f., 510 f. 129 Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 42, Rz. 79; Grüneberg in Palandt, vor § 249, Rz. 44; Oetker in MüKoBGB6, § 249, Rz. 178; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 804; Schwenzer, OR AT, Rz. 16.16. 130 BGH, 24.04.1990, NJW 1990, 2060, 2061 f. m.w.N.; ähnlich Schwenzer, OR AT, Rz. 16.16: Ersatz nur ausgeschlossen bei gänzlich unvernünftigen Maßnahmen. 131 BGH, 24.04.1990, NJW 1990, 2060, 2062; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 805.
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res sein als unter dem Voraussehbarkeitskriterium des CISG, da für die (ähnliche) Beurteilung unterschiedliche Zeitpunkte relevant sind. 132 Für die Betrachtung nach unvereinheitlichtem Recht muss in Ermangelung einer Rückrufpflicht darauf abgestellt werden, ob ein vernünftiger Dritter in der Position des Endherstellers eine Rückrufaktion für erforderlich gehalten hätte. Aufgrund der hierfür maßgeblichen umfassenden Interessenabwägung und der insoweit nur sehr eingeschränkten Möglichkeit, die Entscheidung eines Gerichts zu antizipieren, einerseits und den bei einer rechtswidrigen Unterlassung drohenden gravierenden Konsequenzen im strafrechtlichen sowie im privatrechtlichen Bereich andererseits ist dem Endhersteller bei dieser Einschätzung ein verhältnismäßig großer Spielraum einzuräumen. 133 War für den Endhersteller zur Zeit der Entscheidung jedoch ersichtlich, dass ein reiner (anfänglicher oder nachträglicher) Instruktionsfehler vorlag 134, dass die Kosten für den Rückruf zu den allein drohenden Sach- oder allenfalls leichten Personenschäden gänzlich außer Verhältnis stehen würden oder dass eine Gefährdung von Sachen oder Personen gar vollkommen ausgeschlossen war 135, so werden die Rückrufkosten nicht mehr als dem Zulieferer zurechenbarer Schaden anzusehen sein. Darüber hinaus lässt sich eine entsprechende Einschätzung nur im Einzelfall treffen. (ii) Ansprüche nach deutschem Recht (1) Differenzierte Betrachtung der Rückrufkosten In der bisherigen deutschen Diskussion über den vertraglichen Rückrufkostenregress wurden Ansprüche des Endherstellers im Wesentlichen als Ansprüche auf Ersatz des Mangelfolgeschadens eingeordnet. Diese Betrachtung greift jedoch zu kurz und leidet an mangelnder Präzision: Auf den Nacherfüllungsanspruch des Endherstellers geht sie nicht ein 136 und im Rahmen der Diskussion über den Schadensersatzanspruch unterscheidet sie nicht zwischen Schadensersatz statt und neben der Leistung. Freilich hängen diese beiden Punkte eng miteinander zusammen. 132
Zu den verschiedenen Betrachtungszeitpunkten unter den Gesichtspunkten der Vorhersehbarkeit und der adäquaten Kausalität im Allgemeinen siehe auch Ramberg, 126 f. 133 So auch Kreidt, 238. 134 Dabei ist jedoch in Rechnung zu stellen, dass auch die Einschätzung, ob es sich um einen Instruktionsfehler oder um einen Konstruktionsfehler handelt, auf der berechtigten Verkehrserwartung beruht und somit wiederum einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. 135 Dazu auch Kreidt, 239. 136 Grote/Seidl, VW 2009, 756, 758 ziehen Nacherfüllungsansprüche offenbar zumindest in Betracht, erörtern sie aber nicht näher.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Mit der Schuldrechtsform wurde im deutschen Leistungsstörungsrecht als eine wesentliche Neuerung der Vorrang der Nacherfüllung verbunden mit einem Recht des Schuldners zur zweiten Andienung eingeführt. 137 Dementsprechend wird zwischen zwei Formen des Schadensersatzes differenziert, für die verschiedene Anforderungen gelten: Schadensersatz statt der Leistung einerseits und Schadensersatz neben der Leistung andererseits. Die Abgrenzung ist zwar im Einzelnen umstritten, lässt sich jedoch für die hiesigen Zwecke mit der herrschenden Meinung dahingehend zusammenfassen, dass alle diejenigen Schäden als Schadensersatz statt der Leistung anzusehen sind, die durch die Nacherfüllung beseitigt werden könnten. 138 Den Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger gemäß §§ 280 Abs. 1, 281 bis 283 BGB grundsätzlich nur ersetzt verlangen, wenn er dem Schuldner zuvor eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat und diese erfolglos abgelaufen ist. Für den Schadensersatz neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB bedarf es einer solchen Frist hingegen nicht. Ein weiterer Unterschied ergibt sich jedenfalls nach einer Ansicht im Hinblick auf das Vertretenmüssen: für den Schadensersatz statt der Leistung muss dieses nach Auffassung einiger im Zeitpunkt des Ablaufs der Nachfrist gegeben sein, während für den Schadensersatz neben der Leistung auf den Zeitpunkt der (ursprünglichen) Pflichtverletzung abzustellen ist. 139 Aus diesem System der Rechtsbehelfe folgt für den Käufer ein Verbot der Selbstvornahme der Mangelbeseitigung, während das Gesetz für das Werkvertragsrecht ein solches Selbstvornahmerecht ausdrücklich vorsieht, es dem Besteller jedoch erst „nach erfolglosem Ablauf einer von ihm zur Nacherfüllung bestimmten angemessenen Frist“ gewährt (§ 637 Abs. 1 BGB). Kreidt, der sich, soweit ersichtlich, seit der Schuldrechtsreform als Einziger mit dem vertraglichen Rückrufregress auseinandergesetzt hat, 140 räumt zwar ein, dass „bei der Reparatur des Produkts […] zwar vom Zulieferer im Wege der Nacherfüllung herbeigeschaffte Einzelteile verwendet werden [können].“ 141 Dann jedoch fährt er fort, der Hersteller habe bei einer Rückrufaktion „ein ganzes Maßnahmenbündel“ zu ergreifen, dessen Kosten das, was der Zulieferer im Rahmen einer Nacherfüllung zu leisten 137
Statt vieler Faust in BeckOK-BGB, § 439, Rz. 2 f. Grüneberg in Palandt, § 280, Rz. 18 m.w.N. 139 Zum Streitstand siehe Unberath in BeckOK-BGB, § 280, Rz. 32. 140 E. Wagner, BB 2009, 2050 ff., erörtert zwar den Regress des Endherstellers gegen den Zulieferer nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Pflegebetten-Fall, lässt vertragliche Ansprüche dabei jedoch unerwähnt; Grote/Seidl, VW 2009, 756 ff. erwähnen die hier interessierenden Fragen der Kostentragung aufgrund der gesetzlich geregelten Ansprüche aus Vertrag nur am Rande. 141 Kreidt, 242. 138
A. Anspruchsgrundlagen
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hätte, weit überschritten, „so dass diese Vermögenseinbußen neben der Leistung des Zulieferers entstehen und daher auf der Basis des § 280 Abs. 1 BGB restituierbar sind.“ 142 Er befindet sich mit diesen Ausführungen insofern in guter Gesellschaft, als in der Literatur vor der Schuldrechtsreform ebenfalls alle Rückrufkosten einheitlich als Mangelfolgeschaden behandelt wurden 143, obwohl schon damals eine Differenzierung nach Mangel- und Mangelfolgeschäden vorzunehmen gewesen wäre. Wenn diese Einordnung überhaupt näher erklärt wurde 144, stellten die Autoren vor der Schuldrechtsreform überwiegend darauf ab, dass es sich bei den Rückrufkosten um einen Haftpflichtschaden handele. 145 Diese These der einheitlichen Qualifizierung sämtlicher Rückrufkosten ist abzulehnen und durch eine differenzierte Einordnung der verschiedenen Kosten zu ersetzen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum in Bezug auf die Rückrufkosten von der sonst üblichen Differenzierung zwischen verschiedenen Schadensposten Abstand genommen werden sollte (oder könnte). 146 Die separate Betrachtung einzelner Schadensposten ist unabdingbare Voraussetzung für die Wahrung des Rechts des Schuldners zur zweiten Andienung. 147 Dieses würde ausgehebelt, wenn man in jedem Fall, in dem die Nacherfüllung nicht sämtliche Schäden verhindern könnte, von einem Schadensersatz neben der Leistung ausgehen wollte, so wie Kreidt es vorzuschlagen scheint. Denn dadurch verlöre der Schadensersatz statt der Leistung mit seinen zusätzlichen Voraussetzungen einen Großteil seines Anwendungsbereichs. Eine solche Konsequenz liefe der Intention des Gesetzgebers 148 jedoch diametral zuwider. Auf eine Abgrenzung zwischen Mangel- und Mangelfolgeschäden kann hier aufgrund der Schuldrechtsreform verzichtet werden. 149 Im Hinblick 142
Kreidt, 242. So bei Droste, 104; Grote, VersR 1994, 1269, 1269; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 726; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334; Tamme, 311 ff. Eine Ausnahme bildet Wellenhofer-Klein, 267, die auch einen Anspruch auf Ersatz eines Teils der Rückrufkosten als Vertragskosten bei Wandelung gemäß § 467 Satz 2 BGB a.F. in Erwägung zieht, dies jedoch nicht näher ausführt. 144 Daran fehlt es beispielsweise bei Grote, VersR 1994, 1269, 1269; L. Herrmann/ Fingerhut, BB 1990, 725, 726; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334. 145 So Tamme, 313 f.; sehr knapp auch Droste, 104. 146 In diese Richtung auch W. Ernst in MüKoBGB 6, § 281, Rz. 1: „Der Umstand, dass der Gläubiger in seine Schadensberechnung Posten aufnehmen kann, die durch die Erfüllung schon nicht mehr zu beseitigen waren, macht nicht die Fristsetzung insgesamt entbehrlich.“ 147 Zur praktischen Relevanz der Unterscheidung von Schadensersatz neben und statt der Leistung siehe auch Faust in BeckOK-BGB, § 280, Rz. 26 m.w.N. 148 BT-Drs. 14/6040, 220 f. 149 Ob respektive inwiefern diesem Begriffspaar auch nach der Schuldrechtsreform noch Bedeutung zukommt, ist Inhalt ausführlicher Diskussionen im Schrifttum. Jeden143
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
auf die Differenzierung zwischen Schadensersatz neben und statt der Leistung gilt es gleichwohl noch das Argument zu entkräften, die Rückrufkosten ließen sich aufgrund ihrer Eigenschaft als Haftpflichtschaden in jedem Fall einheitlich einer Schadenskategorie zuordnen. Dieser Überlegung ist zuzugeben, dass die Kosten für eine Rückrufaktion einem Haftpflichtschaden insofern nahestehen, als sie gerade dazu dienen, einen solchen abzuwenden. Darin liegt jedoch zugleich auch schon der wesentliche Unterschied: die Abwendung eines Schadenseintritts ist unter Umständen bereits durch Nacherfüllung zu erreichen; ein bereits an den Rechtsgütern eines Dritten entstandener Schaden, für den dieser Ersatz verlangt, kann regelmäßig durch eine Nacherfüllung nicht mehr aus der Welt geschafft werden. Aus diesem Grunde vermag die Verwandtschaft der Rückrufkosten mit einem Haftungsschaden nichts darüber auszusagen, ob es sich dabei um einen neben oder statt der Leistung zu erstattenden Schaden handelt. Zusammenfassend ist also bezüglich der verschiedenen Rückrufkosten zu unterscheiden, ob sie durch eine Nacherfüllung seitens des Zulieferers vermieden worden wären. Diese Differenzierung bleibt nur in den oben 150 bereits erwähnten Fällen folgenlos, in denen eine Nacherfüllung zum Rückruf nichts (mehr) beizutragen vermag, da eine Beseitigung der Gefährdung an den Endprodukten entweder gar nicht mehr in Frage kommt oder sich nur durch eine Maßnahme an anderen Teilen des Endprodukts bewerkstelligen lässt. Für alle anderen Konstellationen muss zunächst der Inhalt eines möglichen Nacherfüllungsanspruchs bestimmt werden. (2)
Nacherfüllung
Einen Nacherfüllungsanspruch kann der Endhersteller vorbehaltlich des Verweigerungsrechts aufgrund unverhältnismäßiger Kosten (§§ 439 Abs. 3, 151 635 Abs. 3 BGB) geltend machen, wenn ein Mangel des Zulieferteils vorliegt und die Nacherfüllung möglich ist. Wenn der Zuliefervertrag – wie meistens im deutschen Recht – unter die Regelungen für den Kaufvertrag fällt, so setzt der Anspruch des Weiteren eine rechtzeitige Rüge seitens des Endherstellers voraus. 152 Ein Vertretenmüssen des Zuliefefalls für diese Arbeit kommt es aber entscheidend nur auf die Zuordnung zum Schadensersatz statt oder neben der Leistung an. 150 S. 185. 151 In den Fällen des Verbrauchsgüterkaufs ist nach der neuesten Rechtsprechung eine teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB dahingehend vorzunehmen, dass der Verkäufer kein sogenanntes absolutes Verweigerungsrecht hat, er eine Form der Nacherfüllung also nur verweigern darf, wenn die andere Form der Nacherfüllung in Frage kommt; anderenfalls kann er nur eine Reduktion der Kosten auf einen angemessenen Betrag verlangen, BGH, 21.12.2011, NJW 2012, 1073, 1077, E. 53 (Weber). 152 § 377 HGB. Unter Umständen kommt für das Werkvertragsrecht eine Analogie zu § 377 HGB in Betracht, Hopt in Baumbach/Hopt, § 377, Rz. 2 m.w.N.
A. Anspruchsgrundlagen
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rers ist jedoch weder unter Kauf- noch unter Werkvertragsrecht erforderlich. Den Inhalt der Nacherfüllungspflicht legen §§ 439 Abs. 2 und 635 Abs. 2 BGB fest. Nach diesen insoweit wortgleichen Vorschriften hat der Schuldner „die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen.“ Den Kern des Nacherfüllungsanspruchs bildet die Pflicht zur Mangelbeseitigung. Wenn die Mangelhaftigkeit auf einem Verdacht beruht 153, reicht bereits die sichere Feststellung der Mangelfreiheit und damit die Widerlegung des Verdachts aus. 154 Bei tatsächlich mit einem (physischen) Mangel behafteten Zulieferteilen sind im Weiteren die Kosten der eigentlichen Nacherfüllung, sei es durch Herstellung bzw. Lieferung neuer, mangelfreier Zulieferteile oder durch Nachbesserung der fehlerhaften Zulieferteile (inklusive Arbeits- und Materialkosten für die Beseitigung des Mangels), unproblematisch von dem Anspruch erfasst. Weniger eindeutig ist die Rechtslage jedoch vor allem in Bezug auf die Kosten für den Transport sowie diejenigen für den Aus- und Einbau der Zulieferteile. (a) Transportkosten Transportkosten können in unterschiedlichen Formen anfallen. Bei der Nachlieferung handelt es sich dabei um den Transport der neuen Zulieferteile vom Zulieferer an ihren Bestimmungsort (beim Endhersteller oder auch beim Produkteigentümer/-nutzer, falls die Reparatur des Endprodukts dort stattfindet) sowie allenfalls den Transport der mangelhaften Teile in die entgegengesetzte Richtung, soweit sie nicht vor Ort entsorgt werden. Im Falle der Nachbesserung müssen entweder die fehlerhaften Teile von ihrem Belegenheitsort zum Ort der Nachbesserung (in der Regel beim Zulieferer) und zurück transportiert werden oder Reparaturmaterialien, Werkzeuge sowie Personal an den Belegenheitsort der fehlerhaften Zulieferteile. Die Frage nach der Kostentragung für den Transport ist eng verknüpft mit derjenigen nach dem Erfüllungsort der Nacherfüllungspflicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt dieser im Rahmen des Werkvertragsrechts an dem Ort, an dem sich das nachzubessernde Werk vertragsgemäß befindet 155, im Kaufrecht ist er nach § 269 Abs. 1 BGB zu bestimmen 156. Wenn sich aus dem Vertrag oder den Umständen nichts an153 154
chen). 155 156
Siehe dazu oben S. 173 ff. Weidenkaff in Palandt, § 434, Rz. 58 (Beseitigung des Verdachts und seiner UrsaBGH, 08.01.2008, NJW 2008, 724, 725, E. 13 (Yacht). BGH, 13.04.2011, NJW 2011, 2278, 2279, E. 20 ff. (Camping-Faltanhänger).
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
deres ergibt, ist die kaufrechtliche Nacherfüllungspflicht damit am Sitz des Verkäufers zu erfüllen. Gegen die kaufrechtliche Rechtsprechung regt sich in der Literatur an vielen Orten Widerstand. 157 Überdies gilt es abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Kostenfreiheit der Nacherfüllung im Verbrauchsgüterkauf 158 auf die Transportkostendiskussion im unternehmerischen Verkehr und im Werkvertragsrecht auswirken wird. Diese Fragen erscheinen bis heute nicht abschließend geklärt und können im Rahmen dieser Arbeit auch nicht eingehend behandelt werden. An dieser Stelle muss es deswegen sein Bewenden damit haben, auf die Relevanz dieser Fragen für die Diskussion über den Rückrufkostenregress hinzuweisen. (b) Aus- und Einbaukosten Um ein Zulieferteil auszutauschen und auch um es zu reparieren, muss dieses in vielen Fällen zunächst aus dem Endprodukt ausgebaut werden. Man denke bloß an den fehlerbehafteten Motor eines Kraftfahrzeugs. Entsprechend ist anschließend entweder das nachgebesserte oder das nachgelieferte Teil wieder in das Endprodukt einzubauen. Es gilt also zu klären, ob der Zulieferer auch diese beiden Kostenposten im Rahmen der Nacherfüllungspflicht zu tragen hat. Für den werkvertraglichen Nacherfüllungsanspruch gemäß § 635 BGB ist unstrittig, dass der Unternehmer auch die zur Nacherfüllung notwendigen Vor- und Nacharbeiten zu leisten hat. 159 Dazu zählen beispielsweise auch für den Installateur, der Leitungen falsch verlegt hat, die Arbeiten, die erforderlich sind, um die unter den Wänden liegenden Leitungen zu erreichen und anschließend die Wände wieder in den vorherigen Zustand zu versetzen. 160 Nichts anderes kann für den notwendigen Aus- und Wieder- respektive Neueinbau eines Zulieferteils gelten. Die Frage, ob auch der kaufrechtliche Nacherfüllungsanspruch nach § 439 BGB die Aus- und Einbaukosten erfasst, hat in den letzten Jahren hingegen nicht nur die Literatur, sondern auch die höchsten Gerichte intensiv beschäftigt. Dabei ging es beispielsweise um den Kauf von Fliesen oder einer Spülmaschine, die sich nach ihrer Verlegung respektive Montage als mangelhaft herausstellten. Seit den jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs zu diesen Fällen 157
Faust in BeckOK-BGB, § 439, Rz. 13a; Gsell, JZ 2011, 988 ff.; Pammler in jurisPK, § 439, Rz. 41.1; Staudinger/Artz, NJW 2011, 3121, 3122 f.; Westermann in MüKoBGB6, § 439, Rz. 7. 158 EuGH, 16.06.2011, NJW 2011, 2269, 2271 f., E. 46 ff. (Putz/Weber). 159 Statt vieler Sprau in Palandt, § 635, Rz. 6. 160 Busche in MüKoBGB 5, § 635, Rz. 14.
A. Anspruchsgrundlagen
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ist es trotz heftigen Widerspruchs aus dem Schrifttum 161 als geltendes Recht anzusehen, dass der Nacherfüllungsanspruch gemäß § 439 BGB bei bestimmungsgemäß und in Unkenntnis des Mangels eingebauten Sachen auch den Aus- und Einbau umfasst. 162 Aufgrund der Intention des nationalen Gesetzgebers gilt dies auch über den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs hinaus 163 und ist somit auch auf den Kaufvertrag zwischen Zulieferer und Endhersteller anwendbar. Dementsprechend umfasst ein kaufrechtlicher Nacherfüllungsanspruch des Endherstellers gegen den Zulieferer auch den Ausbau des mangelhaften Zulieferteils aus dem Endprodukt sowie den Einbau eines mangelfreien Teils. (3) Schadensersatz Aufgrund des so definierten Inhalts des Nacherfüllungsanspruchs können nun auch die Schadensersatzansprüche des Endherstellers näher bestimmt werden. Zahlreiche Kosten, die bei der Durchführung einer Rückrufaktion anfallen, können durch die Nacherfüllung im Rahmen des Rückrufs nicht mehr vermieden werden und sind deshalb bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (Mangel bei Gefahrübergang, Rüge, Vertretenmüssen) nach § 280 Abs. 1 BGB als Schadensersatz neben der Leistung ersatzfähig. Dazu zählen die Kosten für die Ermittlung der betroffenen Produktchargen, die Benachrichtigung der Produkteigentümer/-nutzer, Anreiz- und Ersatzzahlungen für Nutzungsausfall etc., die Zwischenlagerung der gefährlichen Endprodukte sowie diesbezügliche Logistik, die Entsorgung der Endprodukte, Ablaufs- und Erfolgskontrollen, die Kosten für den Austausch der gefährlichen Endprodukte gegen ungefährliche respektive die Rückerstattung des Kaufpreises oder Materialkosten, die außerhalb der Nacherfüllung anfallen. Unklar ist bislang aufgrund der noch offenen Rechtslage bezüglich der Nacherfüllung, ob und in welchem Umfang Transportkosten zum Schadensersatz neben der Leistung zählen.
161
Siehe statt aller die vehemente Kritik von S. Lorenz, NJW 2011, 2241 ff. an der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. 162 EuGH, 16.06.2011, NJW 2011, 2269, 2271 f., E. 46 ff. (Putz/Weber); BGH, 21.12.2011, NJW 2012, 1073, 1075 f., E. 25 ff. (Weber) – nur zu den Ausbaukosten entschieden, aufgrund der Bindung der nationalen Gerichte an die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs (ibid., 1075, E. 24) kann jedoch für die Einbaukosten nichts anderes gelten; anders noch BGH, 15.07.2008, NJW 2008, 2837, 2838, E. 17 ff. (Parkettstäbe) zu den Einbaukosten. 163 BGH, 21.12.2011, NJW 2012, 1073, 1075 f., E. 25 ff. (Weber); Augenhofer/Appenzeller/Holm, JuS 2011, 680, 684; Faust, JuS 2011, 744, 748; Jaensch, NJW 2012, 1025, 1027.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Im Weiteren muss nach der oben 164 beschriebenen Unterscheidung darauf abgestellt werden, ob als Teil der Rückrufaktion ein Austausch oder eine Reparatur der Zulieferteile in Betracht kommt. Ist dies nicht der Fall, so sind auch die übrigen Kosten als Schadensersatz neben der Leistung ersatzfähig. Anderenfalls können die folgenden Kosten jedoch ausschließlich unter den zusätzlichen Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung geltend gemacht werden: die Kosten für die Überprüfung der Endprodukte auf die Fehlerhaftigkeit bei Fabrikationsfehlern, den Ausund Einbau der Zulieferteile sowie die Arbeits- und Materialkosten für die Nachbesserung respektive die neuen Zulieferteile. Je nach Einordnung der Transportkosten können auch diese zum Schadensersatz statt der Leistung zählen. Den Ersatz dieser Kosten kann der Endhersteller dann gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB nur verlangen, wenn er dem Zulieferer zuvor eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat und diese erfolglos verstrichen ist. Etwas anderes gilt, wenn die Fristsetzung nach § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich oder die Nacherfüllung unmöglich war (§ 283 BGB). Von der Entbehrlichkeit der Fristsetzung ist nach § 281 Abs. 2 BGB auszugehen, wenn der Zulieferer die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn die besonderen Umstände die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen. Setzt der Endhersteller dem Zulieferer keine Frist zur Nacherfüllung, obwohl dies erforderlich wäre, oder schreitet er vor Ablauf der gesetzten Frist zur Selbstvornahme, so hat er die entsprechenden Kosten selbst zu tragen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem werkvertraglichen Recht zur Selbstvornahme gemäß § 637 BGB. Denn auch dieses ist an den erfolglosen Fristablauf gebunden. 165 Die nach Kauf- oder Werkvertragsrecht unberechtigte Selbstvornahme schließt auch etwaige Ersatzansprüche nach anderen Anspruchsgrundlagen (insbesondere aus gesetzlichen Schuldverhältnissen) aus. 166 Äußerst umstritten ist die Frage, ob der Gläubiger im Falle der unberechtigten Selbstvornahme vom Schuldner wenigstens Ersatz der Aufwendungen verlangen kann, welche dieser dadurch erspart hat, dass er durch die unberechtigte Selbstvornahme von der Nacherfüllungspflicht (und der
164
Siehe oben S. 184 f. Aus diesem Selbstvornahmerecht ergibt sich für den Endhersteller nur die Möglichkeit, gemäß § 637 Abs. 3 BGB für die Selbstvornahme nach Fristablauf einen Vorschuss vom Zulieferer zu verlangen. 166 BGH, 23.02.1978, NJW 1978, 1375, 1377; BGH, 23.02.2005, NJW 2005, 1348, 1350; Matusche-Beckmann in Staudinger, § 439, Rz. 37; Oetker/Maultzsch, § 2, Rz. 225 m.w.N. (auch zu abweichenden Auffassungen); Voit in BeckOK-BGB, § 637, Rz. 17 m.w.N. 165
A. Anspruchsgrundlagen
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entsprechenden Schadensersatzpflicht) befreit wurde. 167 Lässt man diesen Anspruch nach dem Rechtsgedanken des § 326 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 BGB zu, so kann der Endhersteller auch bei unberechtigter Selbstvornahme den Betrag verlangen, den der Zulieferer für die entsprechenden Maßnahmen zur Nacherfüllung hätte aufwenden müssen. Dieser Betrag kann freilich unter den dem Endhersteller tatsächlich entstandenen Kosten liegen. (iii) Ansprüche nach Schweizer Recht Nach Schweizer unvereinheitlichtem Recht ist es von entscheidender Bedeutung, ob die Zulieferteile, welche letztlich die Gefährlichkeit des Endprodukts verursachen, als peius oder als aliud qualifiziert werden. Ganz allgemein finden die gewährleistungsrechtlichen Vorschriften nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nur auf die Lieferung eines peius Anwendung, während bei Lieferung eines aliud eine Nichterfüllung angenommen wird, deren Folgen sich nach Artt. 97 ff. OR bestimmen. 168 Die Abgrenzung zwischen peius und aliud ist für die Fälle der hier interessierenden Gattungsschulden häufig schwierig und nicht abschließend geklärt. 169 Nach der Entscheidung des Bundesgerichts im Hubstapler-Fall, in der ein Exemplar mit Handschalt- statt Automatikgetriebe als Hubstapler einer anderen Gattung angesehen wurde, liegt ein aliud immer dann vor, wenn das Zulieferteil „nicht alle von den Parteien vereinbarten Gattungsmerkmale aufweist“. 170 Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass diese Definition das Gewährleistungsrecht für alle Fälle weitgehend obsolet werden ließe, in denen detaillierte Spezifikationen für die zu liefernden Teile existieren, wie sie insbesondere in Qualitätssicherungsvereinbarun-
167 Grundsätzlich dagegen BGH, 23.02.2005, NJW 2005, 1348, 1349 ff.; zum Meinungsstreit in der Literatur siehe die Nachweise bei Weidenkaff in Palandt, § 437, Rz. 4a. 168 BGer, 05.12.1995, BGE 121 III 453, 458 f., E. 4.a (Hubstapler); Bühler in ZürcherKomm, Art. 368, Rz. 35; Gauch, Rz. 1444; Gauch/Schluep/Emmenegger, Rz. 2634; Giger in BernerKomm, vor Art. 197 OR, Rz. 42; Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 206, Rz. 2 f.; Huguenin, OR BT, Rz. 256 f., 639; M. Keller/Siehr, 29 f.; Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 197, Rz. 383 ff.; Schraner in ZürcherKomm, Art. 71, Rz. 61; Venturi/Zen-Ruffinen in CR CO I, vor Art. 197, Rz. 27; Zindel/Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 368, Rz. 9; für die Anwendung des Gewährleistungsrechts auch in Fällen der aliudLieferung aber: ausführlich Cyprian, 67 und passim; ebenso A. Koller in Guhl, § 42, Rz. 13, § 47, Rz. 69; Kramer, recht 1997, 78 79 ff.; Kramer, FS Honsell, 247, 249 ff.; Schwenzer, OR AT, Rz. 8.07; de lege ferenda auch Gelzer, AJP 1997, 703, 708; differenzierend: Lanz, recht 1996, 248, 256 f. 169 Siehe im Einzelnen die Übersicht bei Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 206, Rz. 2 f. 170 BGer, 05.12.1995, BGE 121 III 453, 457, E. 4.a.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
gen üblich sind. 171 Aus diesem Grunde ist ein solch weites Verständnis des aliuds abzulehnen. 172 Bei einer sachgerechteren Abgrenzung des aliuds, beispielsweise durch Beschränkung auf ganz erhebliche Abweichungen 173, wird ein Rückruf jedoch selten durch ein als aliud einzustufendes Zulieferteil ausgelöst werden. Vielmehr dürfte davon auszugehen sein, dass der Endhersteller ein Zulieferteil, welches nach diesen Grundsätzen einer anderen Gattung angehört, häufig gar nicht einbaut, weil er bereits vorher die Untauglichkeit für seine Zwecke feststellt. 174 Im Folgenden wird daher ausschließlich auf die Ansprüche des Endherstellers bei Lieferung eines peius eingegangen. Dabei handelt es sich ebenso wie in den zuvor behandelten Rechtsordnungen grundsätzlich um Nacherfüllungs- und Schadensersatzansprüche. Einen eigentlichen Vorrang der Nacherfüllung kennen das schweizerische Kauf- und Werkvertragsrecht bei Lieferung einer mangelhaften Sache im Gegensatz zum deutschen Recht allerdings nicht. (1) Nacherfüllung Gesetzlich vorgesehen ist der Nacherfüllungsanspruch im schweizerischen Kaufrecht nur in Form eines Nachlieferungsanspruchs gemäß Art. 206 Abs. 1 Alt. 3 OR 175 und im Werkvertragsrecht ausschließlich als Nachbes-
171
Dorjee-Good/Stark-Traber/Voser, AJP 2009, 251, 260, Fn. 98. Die extensive Rechtsprechung des Bundesgerichts zum aliud ebenfalls ablehnend: Cavin in SPR VII/1, 1, 125; Gauch, Rz. 1445; Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 206, Rz. 2; Weber in BernerKomm, Art. 71 OR, Rz. 91 ff. 173 So etwa Cavin in SPR VII/1, 1, 125; Giger in BernerKomm, vor Art. 197 OR, Rz. 50; Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 206, Rz. 2 („krasse Abweichungen“); Weber in BernerKomm, Art. 71 OR, Rz. 91. 174 In den seltenen Fällen, in denen dennoch ein aliud die Ursache für den Rückruf bildet, bestehen die wesentlichen Unterschiede im Hinblick auf die Ansprüche des Endherstellers darin, dass er – die weitere Möglichkeit der Lieferung vorausgesetzt – weiterhin einen Erfüllungsanspruch hat und den Nichterfüllungsschaden erst nach erfolgloser Mahnung und Fristsetzung (Artt. 102, 107, 108 OR) verlangen kann, so dass der Zulieferer eine Gelegenheit zur zweiten Andienung hat. Die Folgeschäden aus der Lieferung des aliud sind nach Art. 97 OR zu ersetzen (Honsell, OR BT, 131; zu dieser ansonsten in der Schweiz offenbar nicht erörterten Frage siehe auch Honsell in Staudinger12, vor § 459, Rz. 38 sowie Emmerich in MüKoBGB3, vor § 275, Rz. 228, beide m.w.N., zu der insoweit vergleichbaren deutschen Rechtlage vor der Schuldrechtsreform). Im Übrigen bedarf es für die Ausübung der Rechte des Endherstellers keiner vorherigen Untersuchung und Rüge und es gilt die zehnjährige Verjährungsfrist des Art. 127 OR. 175 Nach einhelliger Auffassung besteht dieser Anspruch entgegen dem Wortlaut in Art. 206 Abs. 1 Alt. 3 OR für alle Kaufverträge, die sich auf Gattungsware (nicht nur: auf vertretbare Sachen) beziehen, BGer, 30.01.1968, BGE 94 II 26, 34, E. 4.a; Giger in Ber172
A. Anspruchsgrundlagen
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serungsanspruch nach Art. 368 Abs. 2 OR. Über die ausdrücklich normierten Ansprüche hinaus wird in Kaufverträgen jedoch häufig ein Nachbesserungsanspruch vereinbart 176 und nach Werkvertragsrecht kann der Besteller im Einzelfall auch die Herstellung eines neuen vertragsgemäßen Werkes verlangen 177. Für die Geltendmachung dieser verschuldensunabhängigen Nacherfüllungsansprüche muss auch nach Schweizer Recht ein Mangel im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorliegen, dieser Mangel muss rechtzeitig gerügt worden 178 und die Nacherfüllung muss möglich sein. Der werkvertragliche Nachbesserungsanspruch steht dem Besteller darüber hinaus nur zu, „sofern dieses dem Unternehmer nicht übermässige Kosten verursacht“ (Art. 368 Abs. 2 OR). Eine derartige Einschränkung enthält der kaufrechtliche Nachlieferungsanspruch nach Art. 206 OR zwar nicht. In der Literatur wird jedoch ebenfalls angenommen, dass „in ganz krassen Fällen, wenn die für eine Nachlieferung nötigen Aufwendungen in keinem vernünftigen Verhältnis zum Wert der Leistung stehen“, von einer „Unerschwinglichkeit der Leistung“ ausgegangen werden kann, die den Verkäufer nach Art. 2 ZGB von der Pflicht befreit. 179 Bezüglich des Inhalts der jeweiligen Nacherfüllungsansprüche ist die Rechtslage in der Schweiz bedeutend klarer als diejenige in Deutschland. Durch die Nacherfüllung soll der Gläubiger so gestellt werden, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte. 180 Jegliche Kosten, die zur Nacherfüllung nötig sind und dem Gläubiger nicht ohnehin entstanden wären, gehen demgemäß zulasten des Schuldners. 181 Dazu gehören auch
nerKomm, Art. 206 OR, Rz. 4; Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 206, Rz. 1; Huguenin, OR BT, Rz. 353; Venturi/Zen-Ruffinen in CR CO I, Art. 206, Rz. 3. 176 Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 205, Rz. 5; Honsell, OR BT, 101; M. Keller/ Siehr, 96; Venturi/Zen-Ruffinen in CR CO I, Art. 206, Rz. 4. Entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGer, 09.11.1965, BGE 91 II 344, 348, E. 2.a) anerkennt ein Teil der Literatur einen Nachbesserungsanspruch auch ohne vertragliche Vereinbarung gestützt auf Art. 2 ZGB (E. Bucher, OR BT, 97; R. Furrer, 74; Guldimann, 67 ff.), in Analogie des Werkvertragsrechts (Giger in BernerKomm, Art. 205 OR, Rz. 42) oder aus Art. 97 OR (Schluep, 69 ff.). 177 BGer, 05.09.2002, 4C.258/2001, E. 4.1.4 m.w.N.; Gauch, 1779 ff.; Hürlimann/ Siegenthaler in HandKomm, Art. 368, Rz. 11; Zindel/Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 368, Rz. 57 m.w.N. 178 Art. 201 OR; Artt. 367, 370 OR. 179 Giger in BernerKomm, Art. 206 OR, Rz. 14 m.w.N. 180 Bühler in ZürcherKomm, Art. 368, Rz. 139; Huguenin, OR BT, Rz. 650; Hürlimann/Siegenthaler in HandKomm, Art. 368, Rz. 10; Venturi/Zen-Ruffinen in CR CO I, Art. 206, Rz. 5; Zindel/Pulver in BaslerKomm-OR I, Art. 368, Rz. 54. 181 Zur Nachbesserung siehe im Einzelnen A. Koller, Rz. 336 ff.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Transportkosten, 182 es sei denn, der Gläubiger hätte ihr Entstehen verschuldet, beispielsweise indem er das Werk respektive die Kaufsache in Kenntnis des Mangels noch an einen anderen Ort verbracht und so die Transportkosten gesteigert hätte. 183 Ebenso müssen auch Aus- und Einbaukosten ersetzt werden. (2) Schadensersatz Die Schadensersatzansprüche des Endherstellers richten sich bei kaufvertraglicher Einordnung des Zuliefervertrags nach Art. 208 OR, bei werkvertraglicher Einordnung nach Art. 368 OR. Bei Vorliegen eines Kaufvertrags steht dem Endhersteller nach bundesgerichtlicher Praxis 184, welche von einem Teil der Literatur unterstützt wird 185, zudem der Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung nach Art. 97 OR zu. Alle diese Ansprüche setzen in diesem Zusammenhang 186 das Vorliegen eines Mangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs sowie eine rechtzeitige Rüge voraus. Unterschiede bestehen jedoch im Hinblick auf das Verschulden. Gemäß Art. 208 Abs. 2 OR wird der Schaden, der unmittelbar durch die Lieferung fehlerhafter Ware verursacht wurde, verschuldensunabhängig ersetzt. Für alle übrigen Ansprüche ist das Verschulden des Schuldners hingegen Voraussetzung. Für die Ersatzfähigkeit der Rückrufkosten kommt es im Rahmen des Kaufrechts folglich maßgeblich darauf an, ob es sich dabei um unmittelbare Schäden gemäß Art. 208 Abs. 2 OR oder um weitere Schäden im Sinne von Art. 208 Abs. 3 OR handelt. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden
182 Die Nachbesserung umfasst nicht nur die eigentliche Mängelbeseitigung, sondern „weitere Massnahmen, welche durch die Mängelbeseitigung bedingt sind“, A. Koller, Rz. 118. Für die Nacherfüllung kann nichts anderes gelten. 183 So Gauch, Rz. 1739, unter Verweis auf Art. 44 Abs. 1 OR für Fälle, in denen der Besteller durch unnötige Verzögerung die (tatsächliche oder finanzielle) Erschwerung der Mangelbeseitigung verursacht. Dasselbe muss für anderweitige Erhöhung der Kosten für die Mängelbeseitigung gelten. 184 Ständige Rechtsprechung: BGer, 19.02.2007, BGE 133 III 335, 338 ff., E. 2.4; BGer, 22.06.1982, BGE 108 II 102, 104, E. 2; BGer, 01.06.1932, BGE 58 II 207, 211 f., E. 1. 185 R. Furrer, 35; Giger in BernerKomm, vor Art. 197 OR, Rz. 26 ff.; Katz, 149; Neuenschwander, 40; Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 197, Rz. 191 ff.; Schubiger, 108 ff.; a.A. Honsell in BaslerKomm-OR I, vor Art. 197, Rz. 6. 186 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung werden die Voraussetzungen des Sachmängelgewährleistungsrechts bei konkurrierender Anwendung auf die positive Vertragsverletzung übertragen, siehe nur BGer, 19.02.2007, BGE 133 III 335, 340 ff., E. 2.4.4 m.w.N.; ebenso R. Furrer, 35; Katz, 149; a.A. Giger in BernerKomm, vor Art. 197 OR, Rz. 34; M. Keller/Siehr, 106 f.
A. Anspruchsgrundlagen
201
Vorschriften ist in der Literatur äußerst umstritten, 187 von der Rechtsprechung 188 im Einklang mit weiten Teilen des Schrifttums 189 aber mittlerweile dahingehend entschieden worden, dass die Länge der Kausalkette das maßgebliche Unterscheidungskriterium darstellt. Folgt man dieser Ansicht, so sind die Rückrufkosten als weitere Schäden gemäß Art. 208 Abs. 3 OR einzuordnen. Schließlich bedarf es zum Eintritt dieses Schadens nicht nur der Lieferung mangelhafter Ware, sondern anschließend noch des Einbaus dieser Ware in das Endprodukt, der Veräußerung des Endprodukts sowie des Entschlusses, dieses aufgrund seiner Gefährlichkeit zurückzurufen. Da bereits der Weiterverkauf allein einen weiteren Schritt in der Kausalkette bedeutet und daher nach dieser Ansicht zu einer Einordnung unter Art. 208 Abs. 3 OR führt, kann für die Rückrufkosten nichts anderes gelten. Im Ergebnis kann der Endhersteller Schadensersatz nach Schweizer Recht folglich nur verlangen, wenn der Zulieferer sich nicht exkulpieren kann. Ohne dass hier näher auf die Einzelheiten der jeweils ersatzfähigen Schäden eingegangen werden müsste, genügt es festzuhalten, dass der Endhersteller somit die Kosten für einen Rückruf aufgrund eines mangelhaften Zulieferteils über die gewährleistungsrechtlichen Rechtsbehelfe zum Ersatz des Minderwerts der mangelhaften Leistung in Kombination mit den Schadensersatzansprüchen in Gänze ersetzt verlangen kann, wenn er seiner Rügeobliegenheit rechtzeitig nachkommt und dem Zulieferer die Exkulpation misslingt. c)
Schadensminderungspflicht und Verantwortlichkeit des Endherstellers
Der Endhersteller kann vom Zulieferer nur diejenigen Kosten ersetzt verlangen, deren Verhinderung nicht von ihm selbst erwartet werden konnte. Die Obliegenheit des Gläubigers zur Schadensminderung sowie die daraus folgende Begrenzung des vertraglichen Schadensersatzanspruchs ergibt 187 Neben der Ansicht des Bundesgerichts werden im Wesentlichen folgende Unterscheidungen vorgeschlagen: einer Ansicht zufolge sind nach Art. 208 Abs. 2 OR Mangelschäden, nach Art. 208 Abs. 3 OR nur Mangelfolgeschäden zu ersetzen (Honsell in BaslerKomm-OR I, Art. 208, Rz. 6 ff.); eine andere Auffassung differenziert zwischen damnum emergens und lucrum cessans (Cavin in SPR VII/1, 1, 101; Giger in BernerKomm, Art. 195 OR, Rz. 34, Art. 208 OR, Rz. 35), während wiederum andere Autoren zwischen negativem und positivem Interesse unterscheiden (A. Koller in Guhl, § 42, Rz. 40; Oser/ W. Schönenberger in ZürcherKomm, Art. 195, Rz. 7 f., Art. 205, Rz. 5). 188 BGer, 28.11.2006, BGE 133 III 257, 260 ff., E. 2 (Mülleramazonen); kritisch dazu etwa Coendet, recht 2008, 15 ff.; Honsell, recht 2007, 154 ff.; R. Keller, AJP 2007, 780 ff. 189 Burki, 34; R. Furrer, 27, 68; M. Keller/Siehr, 63, 90; Neuenschwander, 79 f.; Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 195, Rz. 67 f., 78; Schubiger, 76 f.; Venturi/ZenRuffinen in CR CO I, Art. 208, Rz. 11.
202
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
sich aus Art. 77 CISG, Artt. 44 Abs. 1 i.V.m. 99 Abs. 3 OR sowie § 254 BGB. Für den Rückrufregress folgt daraus in erster Linie, dass der Endhersteller die Rückrufkosten möglichst gering halten muss, ohne dabei jedoch die Effektivität der Gefahrenabwehr aufs Spiel zu setzen. Soweit sich seine Aufwendungen im Rahmen dessen halten, was er für objektiv erforderlich halten durfte, um seiner Rückrufpflicht zu genügen, kann keine Verletzung der Schadensminderungspflicht angenommen werden. Bei Geltung des CISG erfasst die Schadensminderungspflicht auch die Situationen, in denen der Endhersteller einen Rückruf vorgenommen hat, obwohl er ihn bei vernünftiger Einschätzung der Situation nicht für erforderlich halten durfte. Soweit ein Ersatzanspruch in diesen Fällen nicht bereits an der Vorhersehbarkeit nach Art. 74 Satz 2 CISG gescheitert ist, bildet die Schadensminderungspflicht hier insoweit das Pendant zu den Zurechnungskriterien des unvereinheitlichten nationalen Rechts. Auf die Nacherfüllungsansprüche sind die Vorschriften zur Schadensminderung nicht unmittelbar anwendbar, in Einzelfällen wird jedoch eine Übertragung des Rechtsgedankens der Schadensminderungspflicht auf andere Ansprüche erwogen. 190 Im Falle des Rückrufregresses käme eine solche Übertragung beispielsweise in Betracht, wenn der Endhersteller dem Zulieferer durch unzweckmäßige Organisation des Rückrufs die Nachbesserung unnötig erschwert. In einer solchen Situation kann der Nacherfüllungsanspruch aufgrund des Verhaltens des Endherstellers eingeschränkt werden, obwohl die einschlägige Zumutbarkeitsgrenze 191 noch nicht erreicht ist. Den Grundsätzen über die Schadensminderung eng verwandt sind die Regelungen über die Mitverantwortung des Gläubigers für die Pflichtverletzung. 192 Hat der Käufer oder Besteller die Pflichtverletzung selbst verursacht, so sehen Art. 369 OR und Art. 80 CISG den Ausschluss der aus der Pflichtverletzung folgenden Rechtsbehelfe vor. Art. 80 CISG ist auch bei beiderseitiger Verantwortlichkeit anwendbar und führt dann zu einer entsprechenden Kürzung der Gläubigerrechte 193, während für das schwei190 Bridge, Rz. 12.60; Gauch, Rz. 1739: bei Erhöhung der Nachbesserungskosten z.B. durch unbegründetes Zuwarten seitens des Bestellers; P. Huber in MüKoBGB 6, Art. 77 CISG, Rz. 3; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 77, Rz. 4; ähnlich Grüneberg in Palandt, § 254, Rz. 4: Berücksichtigung über § 242 BGB möglich. 191 Zu dieser Grenze des Nacherfüllungsanspruchs in den verschiedenen Rechtsordnungen vgl. oben S. 187, 192 und 199. 192 Zu den dogmatischen Unterschieden in der Berücksichtigung des Gläubigerverhaltens vor und nach Vertragsverletzung in verschiedenen Rechtsordnungen siehe Schwenzer/Hachem/Kee, Rz. 45.122 f. 193 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Artikels: „Eine Partei kann sich auf die Nichterfüllung von Pflichten durch die andere Partei nicht berufen, soweit diese Nichterfüllung durch ihre Handlung oder Unterlassung verursacht wurde.“ (Hervorhe-
A. Anspruchsgrundlagen
203
zerische Werkvertragsrecht über Artt. 44 Abs. 1 i.V.m. 99 Abs. 3 OR dasselbe Ergebnis erzielt wird. 194 Auch für das Schweizer Kaufrecht kann nichts anderes gelten. 195 Ebenso folgt für das deutsche Recht aus § 254 BGB bzw. aus dem Rechtsgedanken dieser Vorschrift bei Mitverursachung des Mangels eine Anspruchskürzung. 196 Für den Endhersteller kann dies im Falle seiner Verantwortlichkeit zu einer Kürzung seiner Schadensersatzansprüche sowie seiner sonstigen Mängelrechte führen. Hierauf wird später noch näher einzugehen sein. 197 d)
Freizeichnungsklauseln
Die vertragliche Haftung des Zulieferers kann schließlich durch entsprechende Haftungsbegrenzungen und -ausschlüsse eingeschränkt werden. So finden sich beispielsweise in den sogenannten „Grünen Lieferbedingungen“ des deutschen Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI) 198 ein Ausschluss der Gewährleistung bei lediglich unerheblichen Mängeln 199, ein Ausschluss des Ersatzes erhöhter Aufwendungen für die Nacherfüllung durch die nicht bestimmungsgemäße Verbringung der Kaufsache an einen anderen Ort als die Niederlassung des Abnehmers 200 sowie insbesondere ein weitreichender Ausschluss von Schadensersatzansprüchen wegen Sachmängeln 201. Häufig jedoch wird es dem Zulieferer an der Verhandlungsposition mangeln, um solche Begrenzungen durchzusetzen. Insbesondere wenn der Endhersteller ein umfassendes Qualitätssicherungssystem implementiert 202, bleibt dem Zulieferer kein ent-
bung nicht im Original.) Siehe dazu nur Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rz. 7. 194 Gauch, Rz. 2061 ff. 195 Allgemein zur vertraglichen Haftung siehe nur Weber in BernerKomm, Art. 99 OR, Rz. 255 ff. m.w.N. 196 Für das Schadensersatzrecht ergibt sich dies bei sorgfaltswidriger Mitverursachung bereits aus dem Wortlaut des § 254 Abs. 1 BGB („Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.“); für § 439 BGB: Matusche-Beckmann in Staudinger, § 439, Rz. 36 m.w.N.; für § 635 BGB: Busche in MüKoBGB 5, § 635, Rz. 18 m.w.N. 197 Siehe unten S. 240 ff. 198 Allgemeine Lieferbedingungen für Erzeugnisse und Leistungen der Elektroindustrie zur Verwendung im Geschäftsverkehr gegenüber Unternehmern, Unverbindliche Konditionenempfehlung des ZVEI, Stand Juni 2011. 199 Art. VIII Ziff. 7 Grüne Lieferbedingungen. 200 Art. VIII Ziff. 8 Grüne Lieferbedingungen. 201 Art. VIII Ziff. 10 Grüne Lieferbedingungen. 202 Siehe dazu bereits oben S. 178 mit entsprechenden Nachweisen.
204
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
sprechender Spielraum. 203 Wenn es dem Zulieferer gelingt, Freizeichnungsklauseln in den Vertrag aufzunehmen, dann stellen sich hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Klauseln und ihrer Konsequenzen eine Reihe von Rechtsfragen. Diese Fragen sind jedoch an anderer Stelle bereits ausführlich erörtert worden 204 und werfen insofern keine spezifischen Probleme für den Rückrufregress auf, weshalb sie hier nicht weiter betrachtet werden. 4.
Deutschland: Besonderheiten bei Verkauf von Verbrauchsgütern?
Seit der deutschen Schuldrechtsreform gibt § 478 Abs. 2 BGB einem Unternehmer im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs 205 einen Anspruch gegen seinen Lieferanten auf Ersatz der Aufwendungen, die „der Unternehmer im Verhältnis zum Verbraucher nach § 439 Abs. 2 zu tragen hatte, wenn der vom Verbraucher geltend gemachte Mangel bereits beim Übergang der Gefahr auf den Unternehmer vorhanden war.“ 206 Möglicherweise könnte der Endhersteller auch aufgrund dieser Norm von dem verantwortlichen Zulieferer Ersatz der Rückrufkosten verlangen. Zudem würden sich bei Anwendbarkeit der §§ 478, 479 BGB für das Regressverhältnis zwischen Endhersteller und Zulieferer eine Reihe weiterer Abweichungen ergeben, beispielsweise für die Fristsetzung, die Beweislastumkehr hinsichtlich des Vorhandenseins des Mangels bei Gefahrübergang und die Verjährung. Allerdings setzt die Anwendung des § 478 Abs. 2 BGB ein direktes Vertragsverhältnis zwischen Endhersteller und dem Verbraucher als Endabnehmer voraus. Denn nur wenn dieses vorliegt, kann der Endhersteller überhaupt einem vertraglichen Nacherfüllungsanspruch des Verbrauchers ausgesetzt sein. Zwischen Endhersteller und Endabnehmer bestehen jedoch nur ausnahmsweise vertragliche Beziehungen, 207 so dass diese Norm in der Regel keine Anwendung finden dürfte. Auch in Fällen, in denen der Endhersteller seine Produkte direkt an die Endabnehmer verkauft, kann er jedoch keinen Anspruch nach § 478 Abs. 2 BGB gegen seinen Zulieferer geltend machen. Dem steht der Anwendungsbereich dieser Vorschrift entgegen. Nach Ansicht der ganz herr203
Dorjee-Good/Stark-Traber/Voser, AJP 2009, 251, 256. Siehe etwa J. Schmid, FS Rey, 307 ff. zum schweizerischen Recht; Meier, FS Schmidt, 223 ff. zum deutschen Recht; rechtsvergleichend Schwenzer/Hachem/Kee, Rz. 44.295 ff. 205 Voraussetzung dafür ist gemäß § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB, dass ein Verbraucher von einem Unternehmer eine bewegliche Sache gekauft hat. Näher hierzu S. Lorenz in MüKoBGB6, § 474, Rz. 4 ff. m.w.N. Es kommt hierbei entscheidend auf den letzten Vertrag in der Kette an, Faust in BeckOK-BGB, § 478, Rz. 5. Der Anspruch wird dann gemäß § 478 Abs. 5 BGB die Kette hinauf durchgereicht. 206 In der Schweiz existiert keine vergleichbare Regelung. 207 Siehe oben S. 8 mit Fn. 38. 204
A. Anspruchsgrundlagen
205
schenden Meinung endet die Regresskette gemäß § 478 BGB nämlich beim Hersteller des letztlich an den Verbraucher veräußerten Endproduktes. 208 Ansprüche des Endherstellers gegen seinen Zulieferer sind demnach von dieser Regelung nicht erfasst. Auch eine analoge Anwendung wird abgelehnt, da es an einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage mangelt. 209 Selbst wenn man entgegen der herrschenden Ansicht die Anwendbarkeit von § 478 BGB bejaht und zudem der Endhersteller sein Produkt direkt an den Endabnehmer verkauft hat, wird ihm § 478 Abs. 2 BGB gegenüber seinem Zulieferer nur in begrenztem Umfang nützlich sein, um seine Rückrufkosten erstattet zu bekommen. Diese Limitierung liegt darin begründet, dass § 478 Abs. 2 BGB voraussetzt, dass der Endabnehmer tatsächlich einen Anspruch auf Nacherfüllung geltend gemacht hat. Dies lässt sich zwar noch nicht aus der Formulierung des ersten Halbsatzes („Aufwendungen […], die der Unternehmer im Verhältnis zum Verbraucher nach § 439 Abs. 2 zu tragen hatte“) erkennen, findet sich jedoch ausdrücklich im zweiten Halbsatz („der vom Verbraucher geltend gemachte Mangel“). Dieses Verständnis stimmt zudem mit Sinn und Zweck der Vorschrift überein, die darin liegen, dass der Letztverkäufer nicht in einer Regressfalle landen soll, wenn der Endabnehmer (verschuldensunabhängige) Ansprüche gegen ihn geltend macht. 210 Solange der Endabnehmer von dem Letztverkäufer keine Nacherfüllung verlangt hat, stellt dieselbe seitens des Letztverkäufers eine reine Kulanzmaßnahme dar, für deren Ersatz der Lieferant nach § 478 Abs. 2 BGB nicht haftet. 211 Zwar mag es sein, dass den Endhersteller aufgrund anderer Rechtsgrundlagen eine Pflicht zum Rückruf und damit zur faktischen Nacherfüllung trifft. Für den Regress bezüglich der dadurch entstehenden Kosten bildet § 478 Abs. 2 BGB mit seiner klaren Beschränkung auf eine Verpflichtung nach § 439 Abs. 2 BGB allerdings keine Anspruchsgrundlage.
208
Chr. Berger in Jauernig, § 478, Rz. 2; Faust in BeckOK-BGB, § 478, Rz. 9; Grote/ Petersen, PHi 2004, 70, 72; Matusche-Beckmann in Staudinger, § 478, Rz. 5; Jacobs, JZ 2004, 225, 227 f.; Mankowski, DB 2002, 2419, 2419 ff.; G. Wagner, PHi 2012, 2, 13; Weidenkaff in Palandt, § 478, Rz. 18; ausführlich hierzu Sendmeyer, 98 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen auch für die gegenteilige Auffassung. Differenzierend Kreidt, 53 ff.: Zulieferer dann erfasst, wenn ein Mangel an dem von ihm gelieferten Teil keinen Mangel an der Gesamtsache begründet (Beispiel: mangelhaftes Autoradio). 209 Sendmeyer, 108 f.; Jacobs, JZ 2004, 225, 228; Weidenkaff in Palandt, § 478, Rz. 3; für eine Regelungslücke, aber gegen eine vergleichbare Interessenlage und damit gegen eine Analogie: Kreidt, 55 ff. 210 Westermann, JZ 2001, 530, 540. 211 BT-Drs. 14/6040, 249; Faust in BeckOK-BGB, § 478, Rz. 25; S. Lorenz in MüKoBGB6, § 478, Rz. 27; Matusche-Beckmann in Staudinger, § 478, Rz. 43.
206 5.
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Endhersteller nach allen hier erörterten Vertragsrechtsregimen gute Aussichten hat, angemessene Rückrufkosten vom Zulieferer ersetzt zu bekommen, wenn dieser durch die Lieferung eines mangelhaften Teils die Gefährlichkeit des Produkts verursacht hat, aufgrund derer der Rückruf notwendig wurde. Auffällig ist, dass alle Rechtsordnungen mit Ausnahme der Haftung für Ausreißer und Entwicklungsrisiken letztendlich zu ähnlichen Lösungen gelangen, die nationalen Rechte dafür jedoch wesentlich mehr dogmatisch begründete Differenzierungen benötigen als das CISG. Es mag bezweifelt werden, ob durch die diffizilen und teils subtilen Abgrenzungen, die diese Differenzierungen mitunter erfordern, die Rechtssicherheit des Ergebnisses oder die Gerechtigkeit der Lösung erhöht werden. II. Deliktsrecht Über deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche kann der Endhersteller den Ersatz der Rückrufkosten vom Zulieferer höchstens in sehr eingeschränktem Umfang verlangen. 1.
Produkthaftungsgesetze
Aus den jeweiligen Produkthaftungsgesetzen stehen dem Endhersteller gegen seinen Zulieferer keinerlei Ansprüche zu. Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob durch das fehlerbehaftete Zulieferteil ein Schaden an dem restlichen Endprodukt eintritt, der unter den Produkthaftungsgesetzen Relevanz erlangen könnte. Denn jedenfalls werden die Endprodukte vom Endhersteller nicht hauptsächlich zum privaten Gebrauch verwendet, was einen Anspruch sowohl nach Art. 1 Abs. 1 lit. b PrHG-CH als auch nach § 1 Abs. 1 Satz 2 PrHG-D ausschließt. 2.
Allgemeines Deliktsrecht
Ein Schadensersatzanspruch aufgrund allgemeiner deliktsrechtlicher Vorschriften (Artt. 41 ff. OR respektive § 823 BGB) ist nur unter engen Voraussetzungen denkbar, nämlich bei Vorliegen einer Eigentumsverletzung oder Verletzung einer Norm, die das Vermögen des Endherstellers zu schützen bestimmt ist. a)
Eigentumsverletzung
Die Durchführung der Rückrufaktion führt in der Regel zu reinen Vermögensschäden beim Endhersteller. Entsprechend wird ein deliktischer Regressanspruch des Endherstellers gegen seinen Zulieferer für die Rückruf-
A. Anspruchsgrundlagen
207
kosten in Literatur und Rechtsprechung häufig wegen mangelnder Eigentumsverletzung kurzerhand abgelehnt 212 oder sogar gar nicht erst erwähnt 213. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jedoch eine Konstellation denkbar, in der das Eigentum des Endherstellers verletzt wird und er somit zumindest einen Teil seiner Rückrufkosten mit einem deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch geltend machen kann. 214 Zwar mangelt es an einer Eigentumsverletzung am Endprodukt, da der Endhersteller dieses aus den verschiedenen Teilen einschließlich des defekten Zulieferteils erst herstellt, so dass er daran nie fehlerfreies Eigentum erworben hat. Möglich jedoch ist eine Verletzung des Eigentums des Endherstellers an den übrigen, fehlerfreien Einzelteilen. Der Bundesgerichtshof sieht eine Eigentumsverletzung unter dem Begriff des „Produktionsschadens“ schon in der Verbindung fehlerhafter Zulieferteile mit solchen weiteren Teilen, wenn diese zur gänzlichen Entwertung der vorher unversehrten anderen Teile führt. 215 Entscheidend ist, dass die zuvor unversehrten Teile „durch ihr unauflösliches Zusammenfügen mit fehlerhaften anderen Teilen nicht nur in ihrer Verwendbarkeit, sondern erheblich in ihrem Wert beeinträchtigt worden [sind]“, wobei es für die Unauflösbarkeit maßgeblich auf eine wirtschaftliche Betrachtung ankommt. 216 Angeknüpft wird dabei an die Rechtsprechung zur Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Verwendung als Eigentumsverletzung. 217 Nach den Kriterien des Bundesgerichtshofs liegt also beispielsweise eine Eigentumsverletzung vor, wenn der Endhersteller seine Pizzen mit der ranzigen Salami des Zulieferers belegt 218 oder Lebensmittel in Verpackungen des Zulieferers gefüllt werden, aus denen gesundheitsschädliche Stoffe austreten und die Lebensmittel verseuchen. Sind hingegen die Muttern, mit denen eine Rettungsinsel verschraubt wird, zu weich 219 oder wird ein defektes Bremssystem in ein Auto eingebaut, so lassen sich diese zugelieferten Komponenten bzw. Teile in der Regel mit vertretbarem Aufwand austauschen und es fehlt folglich an 212 LG Hamburg, 21.07.1992, VersR 1994, 299, 299 (Rettungsinseln) mit zustimmender Anmerkung Harms, 300; Droste, 203; Grote, VersR 1994, 1269, 1271; L. Herrmann/ Fingerhut, BB 1990, 725, 726. 213 OLG München, 04.03.1992, VersR 1992, 1135, E. 23 f.; v. Bernuth/Gutman, ZLR 2007, 541 ff. 214 Zur Eigentumsverletzung in diesen Fällen siehe auch Kreidt, 243. 215 BGH, 31.03.1998, NJW 1998, 1942, 1943 f. (Transistoren); zur Kritik an dieser Rechtsprechung siehe den Überblick bei G. Wagner in MüKoBGB 5, § 823, Rz. 135 m.w.N. 216 BGH, 31.03.1998, NJW 1998, 1942, 1943 (Transistoren). 217 So BGH, 31.03.1998, NJW 1998, 1942, 1943 (Transistoren) unter Verweis auf BGH, 21.12.1970, NJW 1971, 886, 888. 218 So geschehen in BGH, 19.06.1991, NJW 1991, 2633. 219 LG Hamburg, 21.07.1992, VersR 1994, 299 f. (Rettungsinseln).
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
einer Eigentumsverletzung. Die Fälle, in denen eine Eigentumsverletzung an den übrigen Teilen in Frage kommt, bilden damit in weiten Teilen das Gegenstück zu den oben 220 im Rahmen vertragsrechtlicher Ansprüche erörterten Fällen, in denen eine Nacherfüllung in Betracht kam. Die deutsche Diskussion um die sogenannten Produktionsschäden hat in der Schweiz kaum Widerhall gefunden. 221 Vielmehr ist von der Schweizer höchstrichterlichen Rechtsprechung bis heute ungeklärt, ob eine bloße, wenn auch nicht nur vorübergehende Gebrauchsbeeinträchtigung einen Sachschaden und damit eine Eigentumsverletzung darstellt. Immerhin hat das Bundesgericht bezogen auf Gemüse die „mehrfache Erhöhung der natürlichen Radioaktivität […], die zu […] Unverkäuflichkeit geführt hat“ als Eigentumsverletzung anerkannt. 222 Durch das Abstellen auf die Erhöhung der Radioaktivität lässt sich diese Entscheidung jedoch nicht als eindeutige Anerkennung einer bloßen Gebrauchsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung ansehen. 223 In der Literatur ist die Frage umstritten. 224 Eine eindeutige Antwort lässt sich für das Schweizer Recht bezogen auf die Frage der Gebrauchsbeeinträchtigung bis heute also nicht geben. Gleiches gilt demzufolge für Produktionsschäden, bei denen es nicht zur Substanzbeeinträchtigung von Sachen des Endherstellers kommt. Wenn jedoch eine Substanzbeeinträchtigung vorliegt (wie bei der Migration chemischer Stoffe von Verpackungen des Zulieferers in Lebensmittel des Endherstellers), so dürfte eine Eigentumsverletzung nach Schweizer Recht anzuerkennen sein. Dies entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Verschmutzung von Klärschlamm, wodurch dieser „in seiner Zusammensetzung so verändert [wurde], dass er nicht mehr in der Weise verwendet werden konnte, wie dies ohne eine solche Einwirkung möglich gewesen wäre.“ 225 Wenn nach diesen Maßstäben eine Eigentumsverletzung bejaht werden kann, ist der Zulieferer zum Schadensersatz im Hinblick auf den Wert der betroffenen übrigen Teile des Endherstellers verpflichtet, sofern ihn für die Fehlerhaftigkeit des Zulieferteils ein Verschulden trifft. 226 Dadurch erhält 220
S. 184 f. Kurz erwähnt die Thematik Bieri, 85 f. 222 BGer, 21.06.1990, BGE 116 II 480, 492 (Tschernobyl). 223 Anders Schwenzer, OR AT, Rz. 50.16. 224 Für eine Gebrauchsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung Fellmann, FS Brehm, 133, 139 f.; ebenso Honsell, Haftpflichtrecht, § 4, Rz. 16; Schwenzer, OR AT, Rz. 50.16; hingegen ausschließlich eine Substanzbeeinträchtigung als ausreichend betrachtend: Heierli/Schnyder in BaslerKomm-OR I, Art. 41, Rz. 12; ausführlich zu der Thematik, jedoch ohne eindeutige Stellungnahme: Rey, FS P. Widmer, 283 ff.; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 132 ff. 225 BGer, 29.04.1992, BGE 118 II 176, 180. 226 Diese Möglichkeit des Endherstellers, jedenfalls einen Teil der Rückrufkosten ersetzt zu bekommen, lassen auch Autoren, die nicht von vornherein eine Eigentumsverletzung ablehnen, weitgehend unbeachtet bzw. scheinen diesen Ersatz nicht als Teil des 221
A. Anspruchsgrundlagen
209
der Endhersteller jedenfalls wertmäßig einen Teil der Rückrufkosten ersetzt, die ihm dadurch entstehen, dass er den Produkteigentümern/-nutzern ein fehlerfreies Endprodukt zur Verfügung stellt oder ihnen den Kaufpreis zurückerstattet. 227 Denn die Gefahrenabwehr durch reine Nachrüstung oder Reparatur des Endprodukts kommt in den Fällen, in denen eine Eigentumsverletzung vorliegt, nicht in Frage. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass sich ähnlich wie beim vertraglichen Anspruch ein etwaiges Mitverschulden des Endherstellers anspruchsmindernd auswirkt. 228 Die übrigen Rückrufkosten kann der Endhersteller jedoch nicht aufgrund eines deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs vom Zulieferer ersetzt verlangen. Denn bei diesen Kosten handelt es sich nicht um Folgeschäden aus der Eigentumsverletzung, die als Teil des Integritätsinteresses des Endherstellers ersatzfähig wären. Die Notwendigkeit des Rückrufs ergibt sich schließlich nicht daraus, dass die übrigen Teile, die für das Endprodukt verwendet wurden, nicht mehr benutzbar sind, sondern sie resultiert aus der Gefährlichkeit des Endprodukts selbst. Die dadurch entstehenden Kosten sind folglich dem Äquivalenzinteresse des Endherstellers zuzurechnen und nicht über das Deliktsrecht zu ersetzen. 229 b)
Verletzung von Schutznorm bzw. Schutzgesetz
Eine deliktische Haftung des Zulieferers gegenüber dem Endhersteller aufgrund der Verletzung einer Schutznorm (Art. 41 Abs. 1 OR) bzw. eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB) kommt nicht in Frage. Zwar dürfte dem Zulieferer in einigen Fällen eine Verletzung entsprechender Normen vorzuwerfen sein, 230 doch dient keine dieser Normen dem Schutz des Vermögens des Endherstellers. 231 Vielmehr liegt Sinn und Zweck dieser Normen regelmäßig darin, die Gesellschaft im Allgemeinen oder die Verbraucher im Speziellen vor Produktgefahren zu schützen, die zur Verletzung von Leben, Gesundheit oder – in manchen Fällen – auch Eigentum führen können.
Rückrufkostenregresses zu betrachten: W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334; Tamme, 358 f. 227 So auch Kreidt, 243 ff., der jedoch darauf hinweist, dass dieser Ersatz hinter der Summe der Rückrufkosten weit zurückbleibt. 228 Siehe dazu näher S. 240 ff. unten. 229 So im Ergebnis auch Kreidt, 243 ff.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334; Tamme, 358 f. 230 Siehe hierzu oben S. 39 ff. 231 So für § 3 des damaligen Gesetzes über technische Arbeitsmittel BGH, 18.01.1983, NJW 1983, 812, 813 (Hebebühne); für das LFGB v. Bernuth/Gutman, ZLR 2007, 541, 554.
210 3.
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Verhältnis zum Vertragsrecht
Sofern das CISG auf den Zuliefervertrag anwendbar ist, kann der Endhersteller vom Zulieferer nach der vorzugswürdigen Meinung auch den Wert der zuvor unversehrten sonstigen Teile nicht ersetzt verlangen. Das CISG stellt insofern eine abschließende Regelung dar, neben der das nationale Deliktsrecht nicht zur Anwendung kommt. Dies gilt unabhängig davon, ob man mit der einen in diesem Zusammenhang vertretenen Ansicht 232 das CISG für sämtliche durch mangelhafte Ware verursachten Sachschäden als abschließend betrachtet oder das nationale Deliktsrecht mit der anderen Auffassung 233 nur für Schäden an solchen Sachen ausschließt, die bestimmungsgemäß mit der Ware in Kontakt kommen. Die dritte Ansicht, 234 nach der nationales Deliktsrecht für durch die Ware verursachte Schäden an Sachen des Käufers nicht durch das CISG gesperrt wird, ist abzulehnen, da sie zu einer Umgehung der Wertungen des CISG führen kann und dadurch die angestrebte Vereinheitlichung einschränkt. 235 Im Rahmen des unvereinheitlichten nationalen Rechts herrscht grundsätzlich Anspruchskonkurrenz zwischen Vertrags- und Deliktsrecht. 236 Der Endhersteller kann seinen deliktsrechtlichen Anspruch gegen den Zulieferer also unabhängig von der Erfüllung der vertragsrechtlichen Voraussetzungen geltend machen. Ausnahmsweise bestehen an diesem Grundsatz jedoch dann Zweifel, wenn der Vertrag unvereinheitlichtem schweizerischem Kaufrecht unterliegt und der Endhersteller seiner Rügeobliegenheit nicht nachgekommen ist. Im Hinblick auf die Auswirkungen dieses Versäumnisses auf den deliktsrechtlichen Anspruch ist die höchstrichterliche Rechtsprechung uneinheitlich, 237 so dass die Frage nicht als abschließend geklärt betrachtet werden kann. Aufgrund der verhältnismäßig geringen Relevanz insbesondere auch des schweizerischen Deliktsrechts für den
232
Thüringer OLG, 26.05.1998, CISG-online 513; Honnold/Flechtner, Art. 5, Rz. 73; Khoo in Bianca/Bonell, Art. 4, Rz. 3.3.5, Art. 5, Rz. 3.2.; Mistelis/Ribeiro in Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, Art. 5, Rz. 25 ff.; Schneider, 245 ff.; in diese Richtung wohl auch HGer Zürich, 26.04.1995, CISG-online 248, E. 5.b. 233 Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 5, Rz. 12; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 40; Schwenzer/Hachem in Schlechtriem/Schwenzer (engl.), Art. 5, Rz. 14. 234 Bridge in Ferrari/Flechtner/Brand, 235, 246; Lüderitz/Fenge in Soergel, Art. 5 CISG, Rz. 4 m.w.N. 235 Hierzu statt vieler Piltz, Rz. 2-139 ff. 236 Gauch, Rz. 854, 2347 ff.; Honsell in BaslerKomm-OR I, vor Art. 197, Rz. 7; Spickhoff in Soergel, vor § 823, Rz. 73 ff. 237 Für die Anwendbarkeit des Art. 201 OR auf den konkurrierenden Deliktsanspruch BGer, 21.05.1941, BGE 67 II 132, 137; offen gelassen in BGer, 16.03.1964, BGE 90 II 86, 88 f., E. 2.
A. Anspruchsgrundlagen
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Rückrufregress sei für diese Frage auf die einschlägige Literatur 238 verwiesen. III. Solidarschuldnerausgleich In der deutschen Rechtsprechung scheint es eine Präferenz zu geben, den Rückrufregress auf die direkte oder analoge Anwendung der Regeln über den Ausgleich unter Gesamtschuldnern zu stützen. 239 Dies wird teilweise auch von der Literatur befürwortet. 240 Es mangelt jedoch auch nicht an diesbezüglicher Skepsis 241 und der Bundesgerichtshof hat sich bis heute zu dieser Thematik nicht geäußert. Für das schweizerische Recht ist die Frage, ob der Rückrufregress über die Vorschriften zum Solidarschuldnerausgleich möglich ist, bis heute, soweit ersichtlich, noch nicht erörtert worden. Aus diesen Gründen bedarf es hier einer näheren Betrachtung. 1.
Voraussetzungen
Sowohl das Schweizer als auch das deutsche Recht gewähren demjenigen Solidar- bzw. Gesamtschuldner 242, welcher den Gläubiger befriedigt hat, einen Rückgriffsanspruch gegen den anderen Solidarschuldner (Art. 148 Abs. 2 OR bzw. § 426 Abs. 1 BGB 243). Eine Solidarschuld liegt dann vor, 238 Statt vieler Honsell in BaslerKomm-OR I, vor Art. 197, Rz. 7; Schönle/Higi in ZürcherKomm, Art. 201, Rz. 58 ff., jeweils m.w.N. 239 OLG München, 18.02.1998, NJW-RR 1999, 1657, 1658 (Gasheizdeckel) – in casu allerdings verneint; OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 595 (Dunstabzugshauben); OLG München, 04.03.1992, VersR 1992, 1135, E. 23 (Druckmesszellen) – in casu allerdings abgelehnt; LG Frankfurt a.M., 01.08.2006, VersR 2007, 1575, 1576 (Röntgengeräte) – in casu allerdings verneint, weil eine Warnung ausreichend gewesen wäre; LG Hamburg, 21.07.1992, VersR 1994, 299, 299 (Rettungsinseln), mit zustimmender Anmerkung Harms; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339: Gesamtschuld als bevorzugter Weg der Rechtsprechung. 240 Frick/Kluth, PHi 2006, 206, 213; Harms, VersR 1994, 300; Hollmann, PHi 1989, 146, 156; Kreidt, 245 ff.; J. Lange/Schmidbauer in jurisPK, § 823, Rz. 131; Link, BB 1985, 1424, 1427; Pannenbecker, 81; Sprau in Palandt, § 823, Rz. 181; Thürmann, NVersZ 1999, 145, 147 f. 241 OLG München, 18.02.1998, NJW-RR 1999, 1657 ff. (Gasheizdeckel): Anwendbarkeit sei „eher zu verneinen“, letztlich aber offen gelassen; aus dem Schrifttum gegen die Anwendung der Regeln über den Gesamtschuldnerausgleich: Droste, 277 f.; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334 ff.; Schreiber, 209 f.; Tamme, 390 f. 242 Der schweizerische und der deutsche Begriff werden hier inhaltsgleich verwendet. 243 Alternativ käme auch ein Anspruch aus Subrogation nach Art. 149 Abs. 1 OR (hierzu jüngst Casanova, 20 f., 44 f., 53 ff.; Weiss, 136 ff.) bzw. § 426 Abs. 2 BGB in Betracht. Die daraus resultierenden Unterschiede interessieren für das hier erörterte Problem jedoch nicht, weshalb sich die Diskussion hier auf den selbständigen Ausgleichsanspruch beschränkt.
212
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
wenn mehrere Schuldner einem Gläubiger gemeinsam dergestalt haften, dass jeder von ihnen dem Gläubiger gegenüber für die gesamte Forderung einzustehen hat, der Gläubiger diese jedoch nur einmal verlangen kann. 244 Sie entsteht entweder durch Vereinbarung oder durch gesetzliche Anordnung. 245 Die deliktische Gesamtschuldnerhaftung ergibt sich nach deutschem Recht aus § 840 BGB. Auch das Schweizer Recht enthält in Art. 50 OR und Art. 51 OR Regelungen zur Solidarität. Auf die insoweit von der Literatur stark kritisierte Abgrenzung von echter und unechter Solidarität 246 kann an dieser Stelle jedoch verzichtet werden. Grund dafür ist die Spezialregelung des Art. 7 PrHG-CH, nach der eine (echte) solidarische Haftung derjenigen Personen besteht, die für den Schaden, der durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht worden ist, ersatzpflichtig sind. 247 Nach allgemeiner Meinung erfasst diese Regelung sämtliche produkthaftungsrechtlichen Schadensersatzansprüche unabhängig davon, ob sie sich aus dem Produktehaftpflichtgesetz oder anderen Rechtsgründen ergeben. 248 Da das Vorliegen einer Solidarschuld maßgeblich von den Verpflichtungen der Schuldner abhängt, wird im Folgenden nach den verschiedenen Konstellationen unterschieden, die zum Rückruf durch den Endhersteller führen können. Grundvoraussetzung ist dafür immer, dass sowohl Endhersteller als auch Zulieferer zum Rückruf verpflichtet waren. Deswegen wird auch die Situation der öffentlich-rechtlichen Rückrufanordnung nicht näher erörtert. Soweit eine solche Verfügung – was selten der Fall sein dürfte – sowohl gegen den Endhersteller als auch gegen den Zulieferer ergeht, können die Grundsätze über die Solidarschuld zumindest analog angewendet werden. 249 Erlässt die Behörde die Verfügung jedoch nur gegen einen der Produzenten (üblicherweise den Endhersteller), so entsteht dadurch allein keine Gesamtschuldnerschaft. Ob allerdings die Tatsache, dass die Behörde aufgrund öffentlichen Rechts sowohl den Endhersteller als auch den Zulieferer in ihrer Eigenschaft als verwaltungsrechtliche Störer in die 244
Art. 143 OR, § 421 BGB. Art. 143 OR; Bydlinski in MüKoBGB 6, § 421, Rz. 17. 246 Zur Kritik an der Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidarität siehe zuletzt ausführlich Casanova, 45 ff., A. Gautschi, 69 ff. sowie Weiss, 73 ff. 247 Dazu Nater in Weber/Thürer/Zäch, 89, 99, mit der dezidierten Aussage von Ständerat Petitpierre in Fn. 30. 248 Borsari, 215; Fellmann in BaslerKomm-OR I, Art. 7 PrHG, Rz. 2; Hess, Art. 7 PrHG, Rz. 9; Fellmann/v. Büren-v. Moos, Rz. 371; Nater in Weber/Thürer/Zäch, 89, 100. Einschränkend zum Begriff der Haftung für „denselben Schaden“, der für die Solidarhaftung vorausgesetzt wird, Schweighauser, 111 f. (zur ProdukthaftungsRichtlinie). 249 Allenfalls können öffentlich-rechtliche Erwägungen der Störerauswahl in diesen Fällen für die Ausgleichsquote im Innenverhältnis relevant sein. 245
A. Anspruchsgrundlagen
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Pflicht hätte nehmen können, die Grundlage für einen Gesamtschuldnerausgleich (analog) bilden kann, ist bislang nicht abschließend geklärt. 250 Freilich erscheint es praktisch kaum vorstellbar, dass ein Rückruf behördlich angeordnet wird, ohne dass eine Gefährdungslage vorliegt, welche auch eine zivilrechtliche Rückrufpflicht begründet. 251 Die behördliche Verfügung steht dann einem Ausgleich aufgrund der zivilrechtlich etablierten Solidarschuldnerschaft jedenfalls nicht entgegen. 252 a)
Rückrufanspruch
(i) (Quasi-)Negatorische Ansprüche gegen Endhersteller und Zulieferer Die deliktische Solidarhaftung bezieht sich in erster Linie auf die gemeinsame Haftung für einen eingetretenen Schaden und damit nicht unmittelbar auf einen Anspruch auf die Beseitigung von Produktgefahren. Die (jedenfalls analoge) Anwendung auf negatorische oder quasi-negatorische Beseitigungs- bzw. Unterlassungsansprüche ist jedoch weitgehend anerkannt. 253 Diese Ausdehnung des Rechtsgedankens der Solidarschuld ist unabdingbar, um den deliktischen Rechtsschutz konsequent um den Präventionsaspekt zu ergänzen. Darüber hinaus wäre es widersprüchlich und würde verfehlte Anreize setzen, wenn ein Störer bei Beseitigung der Gefahr von dem anderen Verantwortlichen keinen, nach Realisierung derselben für den Ersatz des entstandenen Schadens aber sehr wohl Ausgleich verlangen könnte. Wenn also gegen Endhersteller und Zulieferer ein (quasi-)negatorischer Rückrufanspruch vorliegt, besteht zwischen beiden eine Solidarschuld. 254
250
Gegen eine analoge Anwendung der Vorschriften über den Gesamtschuldnerausgleich unter polizeirechtlichen Störern: BGH, 26.09.2006, NJW 2006, 3628, 3631 mit ausführlichen Nachweisen zum Streitstand; für die Gegenmeinung siehe insbesondere Stickelbrock, AcP 197 (1997), 456, 503 f. m.w.N. Soweit ersichtlich wird die Frage für das Schweizer Recht bislang nicht erörtert. 251 Anders offenbar W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1338, allerdings ohne ein Beispiel zu nennen. 252 Papier, NVwZ 1986, 256, 263. 253 BGer, 20.01.1981, BGE 107 II 82, 92 f. zur Unterlassung von Urheberrechtsverletzungen; Bydlinski in MüKoBGB 6, § 421, Rz. 45 m.w.N.; Rohn, 101 f.; Stickelbrock, AcP 197 (1997), 456, 502 m.w.N., geht ebenfalls von einer gesamtschuldnerischen Haftung der Störer nach § 1004 BGB aus, hält die Heranziehung des § 840 BGB dafür jedoch für überflüssig. 254 So im Ergebnis auch Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 42, Rz. 78; Kreidt, 246 f.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
(ii) Deliktische Ansprüche gegen Endhersteller und Zulieferer Wenn gegen Endhersteller und Zulieferer ein deliktischer Rückrufanspruch vorliegt, was nach der hier vertretenen Auffassung nur in Ausnahmefällen in Frage kommt 255, so sind sie ebenfalls als Gesamtschuldner anzusehen. Es gelten hier dieselben Überlegungen wie zur Solidarschuld bei den (quasi-)negatorischen Ansprüchen mit dem einzigen Unterschied, dass bei einem deliktischen Anspruch der Verzicht auf die Analogie näher liegt. Schließlich handelt es sich hier um die Anwendung einer deliktsrechtlichen Vorschrift auf einen deliktsrechtlichen Anspruch. (iii) Unterschiedliche Ansprüche gegen Endhersteller und Zulieferer Ein Auseinanderfallen der Ansprüche gegen Endhersteller und Zulieferer ist ausnahmsweise denkbar, wenn man – anders als hier für richtig erachtet 256 – davon ausgeht, dass der (quasi-)negatorische Rückrufanspruch sich nicht gegen jeden richtet, den eine Rückrufverkehrspflicht trifft, sondern eine zusätzliche Prüfung vornimmt, ob der Rückruf dem Anspruchsgegner zumutbar ist. Auch das Vorliegen verschiedener Anspruchsgrundlagen stünde jedoch der Annahme einer Solidarschuld nicht im Wege. In Deutschland ist es nach heute einhelliger Meinung nicht von Belang, wenn es an einem einheitlichen Schuldgrund für die Ansprüche gegen die Gesamtschuldner mangelt. 257 Voraussetzung ist lediglich, dass die Ansprüche auf der gleichen Stufe gehen, 258 woran in der genannten Konstellation kein Zweifel besteht. Für das Schweizer Recht gilt im Ergebnis nichts anderes. Wie bereits erörtert 259, erfasst Art. 7 PrHG-CH alle Ansprüche im Zusammenhang mit fehlerhaften Produkten unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage. b)
Reine Rückrufverkehrspflicht
Ihre eigentliche Brisanz erreicht die Frage nach einer gesamtschuldnerischen Haftung durch Endhersteller und Zulieferer für den Produktrückruf dann, wenn man Rückrufansprüche entweder allgemein ablehnt oder ihr Bestehen im spezifischen Fall verneint. Während das Oberlandesgericht Karlsruhe und das Oberlandesgericht München von einer Gesamtschuld in
255
Hierzu oben S. 138 ff. Siehe oben S. 137 f. 257 Bydlinski in MüKoBGB6, § 421, Rz. 10; Noack in Staudinger, § 421, Rz. 16 m.w.N. 258 Ständige Rechtsprechung, siehe aus jüngerer Zeit BGH, 28.11.2006, NJW 2007, 1208, 1209 f. mit umfangreichen Nachweisen. 259 Siehe oben S. 212. 256
A. Anspruchsgrundlagen
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einer solchen Situation ausgingen 260 und auch ein Teil der Literatur in Deutschland insofern eine analoge Anwendung der §§ 840, 426 BGB befürwortet 261, lehnt eine andere Literaturansicht sie ab. 262 Kreidt bringt die wesentlichen Bedenken der ablehnenden Ansicht auf den Punkt, wenn er formuliert, einer Analogie zu den Vorschriften über die Solidarschuld stünde vor allem im Wege, dass das Bestehen eines Anspruchs einen konstitutiven Bestandteil der Solidarhaftung darstelle. 263 Dem Endhersteller einen Anspruch auf gesamtschuldnerischen Ausgleich zu gewähren, liefe der Natur der Verkehrspflicht entgegen, die darin bestehe, dass es dem Schuldner der Verkehrspflicht (hier also dem Zulieferer) gerade freistehe, dieser nachzukommen oder aber die aus ihrer Verletzung entstehenden Kosten zu tragen. Der Gesamtschuldnerausgleich zwischen Endhersteller und Zulieferer käme letztlich der zwangsweisen Durchsetzung der Rückrufpflicht gegenüber dem Zulieferer gleich und beschneide damit dessen Entscheidungsfreiheit in unzulässigem Maße. Dieser dürfe nicht dazu verpflichtet werden, die wirtschaftlichen Konsequenzen der Entscheidung des Endherstellers zu tragen, ohne dass dabei sein Wille und Interesse im Geringsten berücksichtigt würden. Insofern seien die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag und das Bereicherungsrecht besser geeignet, da sie mehr Spielraum für die Beurteilung der Ersatzfähigkeit einzelner Kosten ließen. In der Tat ist Kreidt zuzugeben, dass Faktoren wie dem Interesse und dem Willen des Zulieferers im Gesamtschuldnerausgleich keinerlei Bedeutung zukommen. Dies scheint jedoch im Rahmen der Risikoverteilung einer gemeinsamen deliktischen Haftung auch nicht wünschenswert. Vielmehr ist es angemessen, die Kosten nach den Grundsätzen derselben, nämlich Verursachung und Verschulden, zu verteilen, was durch die Solidarschuld gerade erreicht wird. 264 Kreidt ist auch insoweit zu folgen, als eine Verkehrspflicht – sofern ihr nicht ein Anspruch korrespondiert – sich gerade dadurch auszeichnet, dass ihre Erfüllung nicht eingeklagt werden kann. Der Verkehrspflichtige kann 260 OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594, 595 (Dunstabzugshauben); OLG München, 04.12.1992, NJW-RR 1994, 356, 357 (Sicherheitsgurte), allerdings jeweils ohne Diskussion der Problematik. 261 Franz, 144; Grote, VersR 1994, 1269, 1271; Link, BB 1985, 1424, 1427; Pannenbecker, 81; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727 befürworten eine Analogie zwar grundsätzlich, lehnen sie aber letzten Endes doch ab, da es aufgrund der Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag an einer Lücke fehle; ebenso Schulenberg, 61. 262 Droste, 278; Kreidt, 248; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1338; Schreiber, 208; Tamme, 391; OLG München, 18.02.1998, NJW-RR 1999, 1657, 1658 ließ die Frage letztlich offen, ging aber davon aus, dass sie „eher zu verneinen“ sei. 263 Kreidt, 249. 264 Ebenso Link, BB 1985, 1424, 1428.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
also nicht zu einem bestimmten Tun gezwungen werden. Vielmehr hat er die finanziellen Konsequenzen zu tragen, wenn er seiner Verkehrspflicht nicht nachkommt. Mit diesen Grundsätzen steht eine Analogie zum Solidarschuldnerausgleich, wie sie hier in Rede steht, jedoch gar nicht in Konflikt. Denn durch den Ausgleichsanspruch des Endherstellers wird die Rückrufverkehrspflicht insofern nicht einklagbar gemacht, als der Zulieferer hierdurch nicht zu einer konkreten Handlung (nämlich dem Rückruf) verpflichtet werden kann. Vielmehr kann ihm wiederum nur die Kostentragung auferlegt werden, was letztlich genau der Idee der Verkehrspflicht entspricht. Freilich lässt sich einwenden, es handele sich hierbei nicht um die Kosten des Schadenseintritts wegen unterlassenen Rückrufs, sondern um die Kosten für eben diesen Rückruf, den der Zulieferer nicht unternehmen wollte. Diese Verschiebung beruht auf dem Konflikt der Entscheidungsfreiheit (Verkehrspflicht erfüllen oder nicht?) des Zulieferers mit derjenigen des Endherstellers, welcher im Ergebnis hingenommen werden muss. Während Kreidt nämlich ausschließlich die Entscheidungsfreiheit des Zulieferers in den Vordergrund rückt, lässt er diejenige des Endherstellers gänzlich außer Acht. Auch diesem muss es aber freistehen, seiner Rückrufverkehrspflicht entweder nachzukommen oder die Kosten ihrer Verletzung zu tragen. Natürlich macht rein rechtlich niemand dem Endhersteller diese Entscheidungsfreiheit streitig. De facto jedoch wirkt sich die Ablehnung einer Analogie zu den Vorschriften über die Gesamtschuld dergestalt aus, dass die Entscheidungsfreiheit des Endherstellers wenn nicht beseitigt, so doch zumindest eingeschränkt wird. Durch die Versagung des Solidarschuldnerausgleichs wird dem Endhersteller insofern das wirtschaftliche Risiko des Rückrufs aufgebürdet, als ihm dann für den Rückrufkostenregress gegen den verantwortlichen Zulieferer nur das Vertragsrecht, die Geschäftsführung ohne Auftrag und das Bereicherungsrecht bleiben. Diese Anspruchsgrundlagen sind dem Grunde nach jedoch sämtlich weniger angemessen für den Rückrufkostenregress, da sie jeweils zusätzliche Kriterien und Wertungen enthalten, die den Grundlagen deliktischer Haftungsverteilung nicht entsprechen. In den „Genuss“ des ausschließlich an Verschulden und Verursachung orientierten und insofern für eine gemeinsame deliktische Haftung interessengerechten Gesamtschuldnerausgleichs kann der Endhersteller bei Ablehnung einer Analogie zur Solidarschuld nur auf einem Weg kommen: Er entscheidet sich gegen den Rückruf, haftet für den in der Folge eintretenden Schaden sodann gemeinsam mit dem Zulieferer auf deliktischer Grundlage und macht dann den entsprechenden Ausgleichsanspruch geltend. Diesen jedoch muss er sich dann möglicherweise noch kürzen lassen, namentlich dann, wenn sein Zuwarten zu einer Ver-
A. Anspruchsgrundlagen
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größerung des Schadens geführt hat. Dennoch ist dies der einzige Weg für ihn, die Regressfalle zu vermeiden, in der er aufgrund der zusätzlichen Voraussetzungen anderer Anspruchsgrundlagen zu landen droht. Lehnt man eine Analogie zur Solidarschuld für Fälle der Rückrufverkehrspflicht ab, beschneidet man folglich die Entscheidungsfreiheit des Endherstellers insofern, als er jedenfalls wirtschaftlich zur Verletzung dieser Pflicht getrieben wird. Stehen sich also die Entscheidungsfreiheit von Zulieferer und Endhersteller hier in einem Interessenkonflikt gegenüber, so sollte an dieser Stelle der Gedanke des Rechtsgüterschutzes der Produktnutzer und unbeteiligter Dritter und damit der Gedanke der Prävention ausschlaggebend sein. Anstatt für den Endhersteller einen Anreiz zu setzen, seine Rückrufverkehrspflicht zu verletzen und es auf die Verletzung von Personen und Sachen ankommen zu lassen, muss hingenommen werden, dass der Zulieferer entgegen seiner eigenen Entscheidung die wirtschaftlichen Folgen des Rückrufs entsprechend seinem Verursachungs- und Verschuldensbeitrag schultern muss. Aus der Analogie zu den Vorschriften über die Solidarschuld ergibt sich für den Zulieferer auch keine übermäßige wirtschaftliche Belastung, selbst wenn die Kosten für den Rückruf sich auf einen höheren Betrag belaufen mögen als er bei Realisierung des Schadens entstanden wäre. Vielmehr dient das Kriterium der Erforderlichkeit der Aufwendungen als ausreichendes Korrektiv zum Schutz des Zulieferers, wodurch eine unzulässige Kostenabwälzung vermieden wird. Das Abstellen auf die Erforderlichkeit gewährleistet die angemessene Kostenbeschränkung in zwei Schritten. Zunächst wird die Ersatzfähigkeit auf diejenigen Aufwendungen beschränkt, welche objektiv zur Gefahrenabwehr erforderlich waren. Darüber hinausgehende Kosten kann der Endhersteller nur dann (anteilig) vom Zulieferer ersetzt verlangen, wenn er sie für erforderlich halten durfte. 265 Reine Kulanzzahlungen oder Zahlungen, zu denen sich der Endhersteller unvernünftigerweise für verpflichtet hielt, können dem Zulieferer demnach nicht aufgebürdet werden. Was den Zulieferer trotz fehlender objektiver Erforderlichkeit aber trifft, ist das Prognoserisiko hinsichtlich des Umfangs der Rückrufpflicht: der Ausgleichsanspruch erfasst auch solcherlei Kosten, die im Zeitpunkt des Rückrufs erforderlich schienen, sich im Nachhinein jedoch als unnötig erwiesen. Soweit der Zulieferer für die Rückrufpflicht ursächlich und verantwortlich war, erscheint die Überwälzung des Prognoserisikos jedoch angemessen. Die überwiegend rein dogmatisch begründeten Bedenken der herrschenden Literaturmeinung gegen eine Analogie zu den Vorschriften über 265
Siehe zu diesem Erfordernis der Ersatzfähigkeit bereits oben S. 188 f. mit entsprechenden Nachweisen.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
die Solidarschuld erweisen sich im Ergebnis als nicht überzeugend. Vielmehr sprechen die besseren Argumente für einen Solidarschuldnerausgleich zwischen Endhersteller und Zulieferer auch in Fällen einer reinen Verkehrspflicht zum Produktrückruf. c)
Ohne Rückrufpflicht
Ruft der Endhersteller seine Produkte zurück, ohne dass sowohl ihn als auch den Zulieferer eine Pflicht zum Rückruf trifft, so bleibt für eine Solidarhaftung kein Raum. 266 Wenn nicht für beide Parteien eine Verpflichtung besteht, mangelt es am Rechtsgrund für eine gemeinsame Haftung. 2.
Inhalt des Ausgleichsanspruchs
Liegen nach dem Gesagten die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch aus einer Solidarschuld (analog) vor, so kann der Endhersteller beim Zulieferer soweit Regress nehmen, wie dieser aus der Gesamtschuld im Innenverhältnis verpflichtet ist. 267 Als Berechnungsgrundlage ist also die Rückrufpflicht in dem Umfang maßgeblich, von dem der Endhersteller aufgrund der Situation ex ante vernünftigerweise ausgehen konnte. Die Aufteilung der geschuldeten Kosten erfolgt zwischen den Solidarschuldnern grundsätzlich zu gleichen Teilen, soweit sich nicht aus dem Rechtsverhältnis zwischen den Schuldnern etwas anderes ergibt. 268 Soweit die Parteien die Haftungsverteilung vertraglich bestimmt haben, was insbesondere im Rahmen von Qualitätssicherungsvereinbarungen nicht unüblich ist 269, entscheidet diese Regelung über die Quotelung beim
266
Ebenso Kreidt, 249 f.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1338. So explizit Art. 148 Abs. 2 OR. Nach deutschem Verständnis besteht ein entsprechender selbständiger Anspruch bereits ab der Begründung der Gesamtschuld, statt aller Grüneberg in Palandt, § 426, Rz. 4 m.w.N. Jeweils zusätzlich kann der Solidarschuldner aufgrund der in Art. 149 Abs. 1 OR und § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB angeordneten Legalzession auch anteilig den Anspruch des befriedigten Gläubigers geltend machen. Im Ergebnis folgt daraus für die hier interessierenden Fragen kein Unterschied. 268 Wiederum ausdrücklich Art. 148 Abs. 1 OR. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB sieht eine Abweichung hingegen nur vor, „soweit nicht ein anderes bestimmt ist“. Diese Vorschrift wird jedoch einhellig so verstanden, dass eine anderweitige Bestimmung auch aus der Natur der Sache oder dem Rechtsverhältnis folgen kann, siehe nur Grüneberg in Palandt, § 426, Rz. 9 m.w.N. 269 Siehe dazu Hess, Art. 22 PrSG, Rz. 400. Eine Vereinbarung über den vom Zulieferer zu übernehmenden Kostenanteil enthalten auch die seit wenigen Jahren von den Automobilherstellern verwendeten sogenannten Konzeptverantwortungsvereinbarungen, siehe dazu Lenz, PHi 2008, 164 ff. Allerdings sollen die Quotenklauseln für Rückrufkosten offenbar nicht angewendet werden, Grote/Seidl, VW 2009, 756, 758 ff. 267
A. Anspruchsgrundlagen
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Gesamtschuldnerausgleich. 270 In Ermangelung einer solchen Vereinbarung ist nach Schweizer Recht maßgeblich, ob sich die Rückrufpflichten der Beteiligten aus demselben Rechtsgrund oder aus unterschiedlichen Rechtsgründen ergeben. Nach hier vertretener Auffassung ist regelmäßig ersteres der Fall, so dass eine Konstellation der sogenannten eintypischen Solidarität vorliegt. Für diese sieht Art. 50 Abs. 2 OR eine Verteilung im Innenverhältnis nach richterlichem Ermessen vor. 271 Etwas anderes mag sich ergeben, wenn man entgegen der hiesigen Auffassung das Vorliegen unterschiedlicher Ansprüchen gegen Endhersteller und Zulieferer für möglich hält. 272 Dann liegt ein Fall sogenannter mehrtypischer Solidarität 273 vor, so dass die Kostenverteilung im Innenverhältnis an den Grundsätzen des Art. 51 Abs. 2 OR zu orientieren ist 274. Im Rahmen des richterlichen Ermessens nach Art. 50 Abs. 2 OR wird maßgeblich auf das Verschulden der jeweiligen Solidarschuldner abgestellt. 275 Zudem ist die Verursachung seitens der einzelnen Solidarschuldner zu berücksichtigen. 276 In Deutschland gelten nach dem Rechtsgedanken des § 254 BGB letztlich dieselben Kriterien. 277 Allerdings wird im deutschen Recht die Verursachung als Faktor stärker betont als in der Schweiz. Es erscheint jedoch sehr unwahrscheinlich, dass sich aus dieser 270
Bydlinski in MüKoBGB 6, § 426, Rz. 14; Grüneberg in Palandt, § 426, Rz. 9. Insbesondere geht gemäß Art. 148 Abs. 1 OR die vertragliche Regelung auch dem richterlichen Ermessen nach Art. 50 Abs. 2 OR vor, siehe nur A. Gautschi, Rz. 153 ff. 271 Auf die Frage des gemeinsamen Verschuldens kommt es dabei im Ergebnis nicht an. Liegt dieses vor (was zumindest Nater in Weber/Thürer/Zäch, 89, 103, im Verhältnis zwischen Endhersteller und Zulieferer für durchaus denkbar hält), so ist Art. 50 Abs. 2 OR unmittelbar anzuwenden; liegt es nicht vor, so findet dieselbe Vorschrift über den Verweis in Art. 51 Abs. 1 OR Anwendung, Brehm in BernerKomm, Art. 51 OR, Rz. 95 ff.; Mazan in HandKomm, Art. 51, Rz. 20; Rey, Rz. 1445; Werro, Rz. 1674. Nater in Weber/Thürer/Zäch, 89, 103, weist denn auch darauf hin, dass der Frage, ob der Rückgriff sich nach Art. 50 OR oder Art. 51 OR richtet, in der Praxis geringe Relevanz zukommen dürfte. 272 Zu dieser Möglichkeit oben S. 214. 273 Siehe hierzu Brehm in BernerKomm, Art. 51 OR, Rz. 48; Mazan in HandKomm, Art. 51, Rz. 8. 274 Hierzu jüngst ausführlich Casanova, 133 ff. 275 Brehm in BernerKomm, Art. 50 OR, Rz. 58; Heierli/Schnyder in BaslerKommOR I, Art. 50, Rz. 17; Oftinger/Stark, Bd. II/1, Rz. 339; Rey, Rz. 1504; Schweighauser, 269; Werro, Rz. 1652, 1675; Werro in CR CO I, Art. 50, Rz. 9. 276 Schweighauser, 269 m.w.N., mit Verweis darauf, dass der Grad der Kausalität in der Regel bereits im Rahmen des Verschuldens berücksichtigt wird. 277 BGH, 04.07.1963, NJW 1963, 2067, 2068; Fuchs, JZ 1994, 533, 537 explizit zum Innenausgleich zwischen Endhersteller und Zulieferer; allgemein zum Gesamtschuldnerausgleich: Bydlinski in MüKoBGB6, § 426, Rz. 21 f.; Schweighauser, 193 ff.; nach Grüneberg in Palandt, § 426, Rz. 14 soll die Verursachung sogar stärker als das Verschulden zu berücksichtigen sein.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
unterschiedlichen Gewichtung für die Fälle des Rückrufregresses tatsächlich ein Unterschied in der Kostenverteilung ergibt. 278 Im Einzelnen wird auf die Aufteilung der Kosten später noch einzugehen sein. 279 IV. Geschäftsführung ohne Auftrag Als weitere Grundlage 280 für den Rückrufregress kommt ein Anspruch des Endherstellers auf Ersatz der für den Rückruf aufgewendeten Kosten als berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag für den Zulieferer in Betracht. 281 Die entsprechende Anspruchsgrundlage bilden in Deutschland §§ 683 Satz 1, 670 BGB und in der Schweiz Art. 422 Abs. 1 OR. Voraussetzung für diesen Anspruch ist zunächst, dass der Endhersteller mit der Durchführung des Rückrufs ein Geschäft für den Zulieferer besorgt hat und hierzu berechtigt war. Diese beiden Erfordernisse werden sogleich ausgeführt. Die zusätzliche Anforderung, dass der Endhersteller ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung gehandelt hat, dürfte im Regelfall gegeben sein, sofern der Zuliefervertrag keine Regelungen über das Vorgehen bei drohenden Produktgefahren enthält. 282 Soweit Endhersteller und Zulieferer vor der Rückrufentscheidung über die Produktgefahr beraten haben, kann 278
Man denke beispielsweise an einen Fabrikationsfehler des Zulieferers (diesen trifft also ein Verschulden), den der Endhersteller trotz Aufwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht entdeckt hat (so dass diesem beim Inverkehrbringen kein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann). Soweit sich daraus für beide Beteiligten eine Rückrufpflicht ergibt, ist anzunehmen, dass der Zulieferer sowohl nach schweizerischem als auch nach deutschem Recht den Großteil der Kosten zu tragen haben wird. 279 Siehe unten S. 240 ff. 280 Ob die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag auf den Regressanspruch eines Solidarschuldners gegen einen anderen Solidarschuldner anwendbar sind, ist sowohl nach Schweizer als auch nach deutschem Recht umstritten (Böttcher in Erman, § 426, Rz. 9 m.w.N.; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 138 m.w.N.), kann aber letztlich offen bleiben, da jedenfalls ein Gleichlauf im Hinblick auf die ersatzfähigen Kosten bestehen muss; BGH, 06.10.2009, NJW-RR 2010, 831, 832: Höhe der Ansprüche wird aneinander angepasst. 281 In der deutschen Rechtsprechung als Anspruchsgrundlage für den Rückrufregress in Betracht gezogen von OLG München, 18.02.1998, NJW-RR 1999, 1657, 1658 (Gasheizdeckel); OLG Düsseldorf, 31.5.1996, NJW-RR 1997, 1344, 1345 (Kunststoffkugelpfannen); OLG München, 04.03.1992, VersR 1992, 1135, E. 23 (Druckmesszellen); auch in der deutschen Literatur befürworten viele Stimmen den Rückrufregress über §§ 683 Satz 1, 670 BGB: Droste, 290 (unter der Prämisse, dass – entgegen Drostes eigener Ansicht – eine Rückrufpflicht bejaht wird); v. Westphalen, DB 1982, 1655, 1662; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; Hollmann, PHi 1989, 146, 156 (analoge Anwendung); Kreidt, 262 ff.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339; Pannenbecker, 81; Tamme, 361 ff.; grundsätzlich auch Link, BB 1985, 1424, 1427 f., der allerdings die analoge Anwendung der §§ 840, 426 BGB vorzieht. 282 Ebenso Kreidt, 265.
A. Anspruchsgrundlagen
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unter Umständen auch ein Auftragsverhältnis vorliegen, 283 welches die Annahme einer Geschäftsführung ohne Auftrag ausschließt, regelmäßig aber ebenfalls zu einem Anspruch auf Ersatz der Auslagen führt 284. 1.
Voraussetzungen
a)
Geschäftsbesorgung für den Zulieferer
Das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsbesorgung für den Zulieferer setzt sich aus drei Unterpunkten zusammen: der Endhersteller muss mit dem Rückruf erstens ein Geschäft besorgt haben, bei dem es sich zweitens um ein Geschäft des Zulieferers und demnach um ein fremdes Geschäft gehandelt hat. Schließlich muss der Endhersteller in dem Bewusstsein und mit dem Willen tätig geworden sein, ein Geschäft des Zulieferers zu führen. Während der erste Punkt, Geschäftsbesorgung, bei der Durchführung einer Rückrufaktion unproblematisch zu bejahen ist, 285 bereiten die beiden anderen mehr Schwierigkeiten. Sie werden im Folgenden daher separat erörtert. (i) Fremdes Geschäft Es stellt sich die Frage, ob die Rückrufaktion des Endherstellers ein fremdes Geschäft im Rechtssinne darstellt. Ein solches liegt vor, wenn durch die Geschäftsbesorgung in den Rechts- oder Interessenkreis eines anderen eingegriffen wird. 286 (1) Rückrufpflicht des Zulieferers Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Rückrufaktion um ein Geschäft des Zulieferers handelt, wenn diesen eine Rückrufpflicht trifft. Irrelevant ist, ob ein Rückrufanspruch oder eine Rückrufverkehrspflicht besteht oder der Rückruf behördlich angeordnet wurde, da in jedem
283 So angenommen in OLG München, 18.02.1998, NJW-RR 1999, 1657, 1658 (Gasheizdeckel): Zulieferer hatte Endhersteller aufgrund Lieferung brandgefährdeter Teile gebeten, „umgehend die dementsprechenden Maßnahmen einzuleiten“. 284 Art. 402 Abs. 1 OR; § 670 BGB. 285 Der Begriff der Geschäftsbesorgung wird sehr weit verstanden; er umfasst alle Tätigkeiten, darunter insbesondere auch Handlungen tatsächlicher Art; BGH, 27.11.1962, NJW 1963, 390, 391; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 8 ff. m.w.N. 286 BGer, 20.01.1942, BGE 68 II 29, 36; BGH, 22.05.1970, NJW 1970, 1841, 1842; Esser/Weyers, SchuldR II/2, § 46 II 2 b; Gehrlein in BeckOK-BGB, § 677, Rz. 11; Héritier Lachat in CR CO I, Art. 419, Rz. 5; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 14 m.w.N.; Schulze in Schulze et al., § 677, Rz. 3; Seiler in MüKoBGB 5, § 677, Rz. 4 m.w.N.; Sprau in Palandt, § 677, Rz. 4.
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Fall der Rechtskreis des Zulieferers berührt ist. 287 Wenn ausschließlich der Zulieferer zum Rückruf verpflichtet ist, liegt für den Endhersteller also ohne weiteres ein fremdes Geschäft vor. Ist hingegen auch der Endhersteller zum Rückruf verpflichtet, so handelt es sich bei der Durchführung einer Rückrufaktion auch um sein eigenes Geschäft. Daraus ergeben sich nach schweizerischem und deutschem Recht unterschiedliche Konsequenzen. Nach der deutschen Rechtsprechung sowie der weit überwiegenden Ansicht im deutschen Schrifttum spielt es keine Rolle, dass der Geschäftsführer bei der Geschäftsbesorgung auch ein eigenes Geschäft führt. 288 Man geht gleichwohl von einem (auch) fremden Geschäft aus. In der Schweiz hingegen ist die Rechtslage weniger eindeutig. Das Bundesgericht hat zwar im Jahr 1902 zu den entsprechenden Regelungen des alten Obligationenrechts entschieden, es käme nicht darauf an, dass die Erfüllung eigener Pflichten der Hauptbeweggrund des Geschäftsführers gewesen sein möge. 289 In der Literatur wird aber teilweise darauf verwiesen, es sei nur so lange von einem fremden Geschäft auszugehen, wie die Geschäftsbesorgung nicht überwiegend im eigenen Interesse liege. 290 An anderer Stelle heißt es dagegen, die Fremdheit des Geschäfts sei bereits dann gegeben, wenn es „nicht ausschliesslich den Rechtsbereich des Handelnden beschlägt“. 291 Nach deutschem Recht liegt danach immer ein (auch) fremdes Geschäft vor, wenn sowohl den Endhersteller als auch den Zulieferer eine Rückrufpflicht trifft. 292 Je nach vertretener Auffassung könnte man unter Anwendung Schweizer Rechts zu einem anderen Ergebnis kommen, wenn man 287
Im Ergebnis ebenso Droste, 283; Kreidt, 262 f.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339; für die Verkehrspflicht: Tamme, 362; bereits die Fremdheit des Geschäfts bei bloßer Verkehrspflicht ablehnend jedoch Schreiber, 206 f. 288 BGH, 23.09.1999, NJW 2000, 72, 72 (Erbensucher); auch das Handeln „vornehmlich zur Wahrung eigener Belange“ steht der Annahme eines (auch) fremden Geschäfts nicht entgegen, BGH, 25.11.1981, NJW 1982, 875, 876; konkret zum (auch) fremden Geschäft, wenn der Geschäftsführer seine Verkehrssicherungspflicht erfüllt, BGH, 15.12.1975, NJW 1976, 748, 748 f. (Lukendeckel); Gehrlein in BeckOK-BGB, § 677, Rz. 15 m.w.N.; Sprau in Palandt, § 677, Rz. 6 f.; unklar allerdings OLG Düsseldorf, 16.03.2007, NJW-RR 2008, 411, 411 (Gartendünger). 289 BGer, 10.07.1902, BGE 28 II 394, 406. 290 J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 16; Héritier Lachat in CR CO I, Art. 419, Rz. 5 m.w.N.; ähnlich wohl Schnyder in Guhl, § 49, Rz. 38, dem zufolge auch ein eigenes, untergeordnetes Interesse verfolgt werden kann. In dieselbe Richtung geht auch die Regelung in Art. V.-1:101 DCFR, wonach es Voraussetzung ist, dass “a person, the intervener, acts with the predominant intention of benefiting another, the principal.” 291 Lischer, 27; so auch J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 15; so wohl auch Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 4. 292 Droste, 283 f.; Kreidt, 262 ff.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339; Tamme, 365, 367; so wohl auch L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727.
A. Anspruchsgrundlagen
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bei Erfüllen einer eigenen sowie einer fremden Pflicht von einem überwiegenden Eigeninteresse ausgeht. (2) Keine Rückrufpflicht des Zulieferers Wenn den Zulieferer zum Zeitpunkt der Geschäftsübernahme keinerlei Rückrufpflicht trifft, fehlt es umgekehrt bereits an einem fremden Geschäft. 293 Der Rechtskreis des Zulieferers wird insoweit erst über die Pflicht zum Rückruf konturiert, 294 das heißt ohne diese Pflicht fehlt der Geschäftsbesorgung durch den Endhersteller jeglicher Bezug zum Rechtsund Interessenkreis des Zulieferers. Die Zuständigkeit für den Rückruf erlangt der Zulieferer erst durch die Rechtspflicht. 295 Entgegen der Ansicht Kreidts 296 kann die Beurteilung der Frage, ob eine solche Rechtspflicht zum Rückruf vorliegt, nicht „aus der ex-ante-Perspektive eines objektiven, sorgfältig agierenden Betrachters in der Position des über die Reaktionsmaßnahme entscheidenden Herstellers“ vorgenommen werden. Die Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag sehen eine solche Form der Einschätzung nur für die Notwendigkeit der Aufwendungen vor. 297 Bedingung dafür ist aber zunächst das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen. 298 Für die Frage, ob das Geschäft den Rechts- und Interessenkreis des Zulieferers berührt, kann jedoch nicht auf eine vernünftige exante-Einschätzung abgestellt werden. Ob eine Verkehrspflicht des Zulieferers besteht oder nicht, ist eine objektiv zu beantwortende Frage, die nicht von einer (entschuldbaren) Fehleinschätzung abhängig sein kann. Die An-
293
Ebenso Droste, 278 f. Insofern korrekt Kreidt, 263 f. 295 Das Vorliegen eines subjektiv fremden Geschäftes scheidet hier selbst bei Vorliegen eines entsprechenden Willens des Endherstellers aus. Während äußerlich neutrale Geschäfte aufgrund des Willens des Geschäftsführers grundsätzlich als subjektiv fremde Geschäfte unter die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag fallen können (siehe nur Beuthien in Soergel, § 677, Rz. 8; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 19), ist die Erfüllung einer Rechtspflicht – einschließlich Rückrufanspruch oder Rückrufverkehrspflicht – kein äußerlich neutrales Geschäft und kann mithin auch nicht in ein subjektiv fremdes Geschäft umgewandelt werden. 296 Kreidt, 264. 297 In Deutschland ist dies in § 670 BGB ausdrücklich geregelt („Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf“); auch in der Schweiz wird für die Ersatzfähigkeit der Kosten darauf abgestellt, welchen Aufwand der Geschäftsführer nach Treu und Glauben für notwendig erachten durfte, J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 422, Rz. 44; Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 422, Rz. 6. 298 Darauf weist Kreidt, 264, Fn. 691, sogar ausdrücklich hin und rügt diesbezüglich die Ungenauigkeit bei W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1340. 294
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
sicht Kreidts lässt sich auch nicht mit der Regelung des § 686 BGB 299 in Einklang bringen, wonach die Geschäftsherreneigenschaft gerade nicht aus einer vernünftigen ex-ante-Perspektive des Geschäftsführers, sondern nach der objektiven Zuständigkeit für den Handlungsgegenstand festgelegt wird. 300 Wenn schon eine Fehlvorstellung über die konkrete Person die Geschäftsherreneigenschaft nicht zu begründen vermag, dann kann für die Fehlvorstellung über das Bestehen der allein die Geschäftsherreneigenschaft begründenden Rechtspflicht erst recht nichts anderes gelten. Schließlich kann ein Geschäft des Zulieferers auch nicht mit der Argumentation begründet werden, dass der Zulieferer durch den Rückruf vor etwaigen durch das Produkt verursachten Schäden bewahrt wird, für die er haftpflichtig wäre. Hierbei handelt es sich lediglich um einen Reflexvorteil, den der Zulieferer aus der Rückrufaktion des Herstellers ziehen könnte. Eine solch mittelbare Beziehung zu dem betreffenden Geschäft reicht jedoch nicht aus, um die Geschäftsherreneigenschaft zu begründen. 301 Im Ergebnis bleibt mit der absolut herrschenden Meinung festzuhalten, dass der Rückrufregress aus Geschäftsführung ohne Auftrag schlichtweg ausgeschlossen ist, wenn es objektiv betrachtet an einer Rückrufpflicht des Zulieferers fehlt. 302 (ii) Fremdgeschäftsführungswille Wenn es sich bei der Rückrufaktion somit (auch) um ein Geschäft des Zulieferers handelt, muss der Endhersteller als weitere Voraussetzung auch mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt haben. (1) Allgemein Sowohl das Schweizer als auch das deutsche Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag verlangen, dass der Geschäftsführer bewusst und willentlich (auch) das Geschäft eines anderen führt. 303 Entscheidend ist der Zeitpunkt 299 Eine entsprechende Regelung gilt auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung in der Schweiz, BGer 17.11.1949, BGE 75 II 225, 226; Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 16 m.w.N. 300 Vgl. Beuthien in Soergel, § 686, Rz. 2; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 422, Rz. 96 m.w.N. 301 BGH, 25.11.1981, NJW 1982, 875, 877; OLG Frankfurt a.M., 20.12.1995, VersR 1997, 360, 361; Dornis in Ehrmann, § 677, Rz. 5; Hofstetter, 258; J. Schmid, Rz. 232. 302 So Droste, 279; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339; im Ergebnis ebenso Tamme, 361 ff., für den die Erfüllung der Verkehrspflicht des Zulieferers allerdings bereits Voraussetzung der Geschäftsbesorgung ist. 303 Schweiz: Héritier Lachat in CR CO I, Art. 419, Rz. 6; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 21; Schnyder in Guhl, § 49, Rz. 38; Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 15; a.A. G. Gautschi in BernerKomm, Art. 419 OR, Rz. 1b; Deutschland: BGH,
A. Anspruchsgrundlagen
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der Geschäftsübernahme. 304 Dabei kann der Geschäftsführer auch ein Geschäft für den, den es angeht, besorgen, ohne zu wissen, in wessen Rechtsoder Interessenkreis er tätig wird. 305 Was den Endhersteller betrifft, kann eine solche Situation insbesondere dann eintreten, wenn er bei Durchführung der Rückrufaktion zwar davon ausgeht, dass eines der Zulieferteile die Gefahr auslöst, aber noch nicht mit Sicherheit sagen kann, von welchem Zulieferer dieses stammt. Dabei kann es sich entweder um ein bestimmtes Teil handeln, welches der Endhersteller von verschiedenen Zulieferern bezieht, oder aber um eine Ungewissheit, welches Teil die Gefahr verursacht. (2) Beweislast (a) Meinungsstand In der Schweiz muss entsprechend dem allgemeinen Grundsatz aus Art. 8 ZGB der Geschäftsführer das Vorliegen des Fremdgeschäftsführungswillens beweisen, wenn er einen Anspruch auf Verwendungsersatz geltend macht. 306 Eine natürliche Vermutung für das Vorliegen des Fremdgeschäftsführungswillens besteht (nur) dann, wenn die Handlung eindeutig und ausschließlich Rechtsgüter eines anderen betrifft. 307 In Deutschland hingegen wird der Fremdgeschäftsführungswille des Geschäftsführers nicht nur beim ausschließlich fremden, sondern sogar beim auch fremden Geschäft vermutet. 308 Demzufolge trägt der Geschäftsherr die Beweislast 02.11.2006, NJW 2007, 63, 64; BGH, 23.09.1999, NJW 2000, 72, 72 (Erbensucher); Mansel in Jauernig, § 677, Rz. 4; Seiler in MüKoBGB5, § 677, Rz. 6; Sprau in Palandt, § 677, Rz. 3. 304 Dornis in Erman, § 677, Rz. 6; Héritier Lachat in CR CO I, Art. 419, Rz. 6; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 22. 305 Héritier Lachat in CR CO I, Art. 419, Rz. 6; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 23 m.w.N.; Schwarz/Wandt, § 4, Rz. 34; Seiler in MüKoBGB 5, § 677, Rz. 7; ähnlich Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 16. 306 Héritier Lachat in CR CO I, Art. 419, Rz. 6; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 26; Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 16. 307 J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 27; Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 16. 308 BGH, 02.11.2006, NJW 2007, 63, 64; BGH, 23.09.1999, NJW 2000, 72, 72 f. (Erbensucher); Gehrlein in BeckOK-BGB, § 677, Rz. 15; Mansel in Jauernig, § 677, Rz. 4; Seiler in MüKoBGB 5, § 677, Rz. 6; Sprau in Palandt, § 677, Rz. 6. Entschieden zu weit gehen Grote, VersR 1994, 1269, 1270, und L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727, nach denen ein Fremdgeschäftsführungswille sogar dann anzunehmen sein soll, wenn der Endhersteller annimmt, mit dem Rückruf nur ein eigenes Geschäft zu besorgen (jeweils ohne Nachweise und Begründung). Es ergibt sich bereits aus § 687 Abs. 1 BGB, dass es bei irrtümlicher Annahme einer Eigengeschäftsführung an den Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag fehlt, so sogar W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
für das Fehlen des Fremdgeschäftsführungswillens. Ein solcher Beweis dürfte praktisch jedoch kaum zu erbringen sein. Eine im Vordringen befindliche Meinung in Deutschland hält die Vermutung für den Fremdgeschäftsführungswillen jedoch nicht in allen Fällen des auch fremden Geschäfts für angebracht. Insbesondere für Konstellationen mit einem sogenannten pflichtgebundenen Geschäftsführer schlägt sie eine Ausnahme vor. 309 Darunter sind solche Fälle zu verstehen, in denen der Geschäftsführer aufgrund einer eigenen rechtlichen Verpflichtung tätig wird (und dabei auch ein Geschäft des Geschäftsherrn besorgt). So liegt es auch, wenn der Endhersteller selbst zur Durchführung der Rückrufaktion verpflichtet ist. (b) Stellungnahme Ohne dass hier umfassend auf die Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens im Falle des pflichtgebundenen Geschäftsführers eingegangen werden kann, 310 ist der gerade geschilderten in Deutschland teilweise vertretenen Ansicht und dem insoweit vergleichbaren Schweizer Ansatz in den Fällen des Rückrufregresses der Vorzug zu geben. Bei einem Endhersteller, den eine Rechtspflicht zum Produktrückruf trifft, als zu widerlegenden Regelfall zu vermuten, dass er mit dem Rückruf jedenfalls auch im Interesse des Zulieferers handeln will, erscheint realitätsfern. An dieser Stelle ist es zunächst wichtig, die zweigliedrige Definition des Fremdgeschäftsführungswillens in Erinnerung zu rufen. Nach einhelliger Ansicht besteht dieser nicht nur aus einem kognitiven, sondern auch aus einem finalen 311 Element. 312 Von daher erstaunt es, dass in der Diskussion über die Anwendung der Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag offenbar ausnahmslos das Wissen des Endherstellers (oder auch nur das für möglich Halten), ein Zulieferteil könnte die Ursache für die Produktgefahr darstellen, als ausreichend betrachtet wird, um den Fremdgeschäftsführungswillen des Endherstellers zu begründen. 313 Richtigerweise m.w.N., die sich ansonsten ohne Vorbehalte für die §§ 683, 677 BGB als Grundlage für den Rückrufregress einsetzen; ebenso im Ergebnis Kreidt, 265. 309 Gehrlein in BeckOK-BGB, § 677, Rz. 16; Schwark, JuS 1984, 321, 328; Seiler in MüKoBGB5, § 677, Rz. 21; Thole, NJW 2010, 1243, 1247 f. 310 Siehe hierzu grundlegend Schwark, JuS 1984, 321, 328; jüngst Thole, NJW 2010, 1243 ff. 311 Teils auch als voluntatives Element bezeichnet, so etwa bei K. Lange in jurisPK, § 677, Rz. 12. 312 Nachweise siehe oben S. 224, Fn. 303. 313 Droste, 284 f.; Kreidt, 264 f.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339; Tamme, 368 f.; ohne jeglichen Ansatz zur Begründung des Fremdgeschäftsführungswillens beim Endhersteller: L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; Link, BB 1985, 1424, 1427; Grote, VersR 1994, 1269, 1270, zufolge ist der Fremdgeschäftsführungswille des End-
A. Anspruchsgrundlagen
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reicht jedoch selbst das sichere Wissen um die Rückrufpflicht des Zulieferers nicht aus. Vielmehr ist es erforderlich, dass der Geschäftsführer „weiß und will, dass der andere den Vorteil aus dem Geschäft haben soll.“ 314 Oder, um es mit den Worten des Bundesgerichtshofs zu sagen: der Geschäftsführer muss das Geschäft „mit dem Willen [besorgen], zumindest auch im Interesse eines anderen zu handeln.“ 315 Gerade in der Situation, in der sich der Endhersteller bei der Entscheidung über eine Rückrufaktion befindet, scheint der Schluss vom bloßen Bewusstsein der Ursächlichkeit eines Zulieferteils auf den Willen, im Interesse des Zulieferers zu handeln, gewagt. Rein faktisch spricht vielmehr eine Vermutung dafür, dass es für den Endhersteller kein handlungsleitendes Motiv darstellt, dass der Zulieferer aus dem Rückruf Vorteile zieht. Das zeigt sich schon daraus, dass der Endsteller, der den Rückruf zur Wahrung seiner eigenen Interessen für nötig hält, diesen höchstwahrscheinlich auch durchführt, wenn er entweder nicht (oder nicht sicher) weiß, was die Ursache für die Gefährlichkeit des Produkts ist, oder wenn der Zulieferer sich explizit gegen die Durchführung einer Rückrufaktion ausspricht 316. Auch die Argumentation Kreidts 317, der Endhersteller handele, „um die Haftung des gesamten Produktionsnetzes zu verhindern“, vermag die Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens nicht pauschal zu rechtfertigen. Diese Absicht mag der Endhersteller aufgrund der engen Zusammenarbeit tatsächlich haben, wenn es sich bei dem betroffenen Zulieferer um einen sogenannten Problemlöser handelt, der mit dem Produktionssystem des Endherstellers so eng verbunden ist, dass der Endhersteller an seinem herstellers sogar dann zu bejahen, wenn er annimmt, nur ein eigenes Geschäft zu besorgen. 314 Schulze in Schulze et al., § 677, Rz. 4. 315 BGH, 21.10.2003, NJW-RR 2004, 81, 82. 316 Zwar dürfte für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag ein entgegenstehender Wille des Zulieferers regelmäßig unbeachtlich sein (hierzu sogleich unten S. 229 f.). Dieser Punkt darf jedoch mit der hier angestellten Überlegung nicht verwechselt werden. An dieser Stelle geht es allein darum, ob der Endhersteller mit dem Rückruf beabsichtigt, im Interesse des Zulieferers zu handeln und ein für diesen vorteilhaftes Geschäft zu führen. Da zuliefernde Unternehmen in der Regel nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entscheiden, spricht bei der Ablehnung eines Rückrufs seitens des Zulieferers zunächst eine Vermutung dafür, dass dessen Durchführung für den Zulieferer nicht vorteilhaft ist. Wenn es dem Endhersteller bei der Durchführung der Rückrufaktion tatsächlich um die Wahrung der Interessen des Zulieferers ginge, sollte man annehmen, dass folglich die Ablehnung durch den Zulieferer zumindest einen gewissen Einfluss auf die Rückrufentscheidung des Endherstellers hätte. Die Tatsache, dass das regelmäßig nicht der Fall sein wird, verstärkt den Eindruck, dass es dem Endhersteller beim Rückruf um seine eigenen Interessen und nicht um die des Zulieferers geht. 317 Kreidt, 265.
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wirtschaftlichen Wohlergehen ein genuines Interesse hat. Handelt es sich bei dem Zulieferer jedoch um einen Hersteller bloßer Standardteile, die ohne weiteres auch von einem anderen Zulieferer bezogen werden können, besteht für den Endhersteller wenig Anlass, die Interessen seines Zulieferers zu schützen. Für einen Auftragsfertiger kann die Annahme je nach Einzelfallgestaltung unterschiedlich ausfallen. Entgegen der Befürchtung von Kreidt 318 geht es bei der hier vorgezogenen Lösung des schweizerischen Rechts bzw. der deutschen Literaturmeinung auch keineswegs darum, dem Endhersteller zu unterstellen, er wolle allein aufgrund seiner eigenen Verpflichtung tätig werden. Schließlich steht es dem Endhersteller in jedem Fall frei zu beweisen, dass er tatsächlich mit dem Willen handelte, auch die Interessen des Zulieferers zu wahren. Es handelt sich hier lediglich um eine angemessene Verteilung der Beweislast und damit gerade um die Vermeidung pauschaler Unterstellungen. Wie gerade erörtert kann dem Endhersteller je nach den Beziehungen zu seinem Zulieferer der Beweis seines Fremdgeschäftsführungswillens auch durchaus gelingen. Gegen die Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens im Falle eines pflichtgebundenen Geschäftsführers spricht zudem, dass die Überlegung, aufgrund derer bei einem rein fremden Geschäft die Vermutung eingeführt wurde, auf das auch fremde Geschäft des pflichtgebundenen Geschäftsführers nicht passt. Bei rein fremden Geschäften liegt die Vermutung darin begründet, dass der Wille, im Interesse eines anderen tätig zu werden, regelmäßig bereits durch das Führen des rein fremden Geschäfts nach außen in Erscheinung tritt. 319 Schließlich ist es atypisch, dass jemand ein rein fremdes Geschäft nicht für den Geschäftsherrn führen will. 320 Die Fälle der pflichtgebundenen Geschäftsführer entsprechen aber bezogen auf den Fremdgeschäftsführungswillen eher den subjektiv fremden bzw. neutralen Geschäften. Das vom pflichtgebundenen Geschäftsführer besorgte auch fremde Geschäft ist insofern niemandem eindeutig zugeordnet und damit neutral, als es nicht nur den Rechts- und Interessenkreis des Geschäftsherrn, sondern auch den des Geschäftsführers betrifft. 321 Die reine Geschäftsbesorgung liefert bei einem pflichtgebundenen Geschäftsführer daher keinerlei Anhaltspunkte „ob sie der Ausführende nur für sich oder für einen anderen vornehmen will.“ 322 Sie stellt gerade keine Manifestation des Fremdgeschäftsführungswillens nach außen dar. Vielmehr bedarf es 318
Kreidt, 265. Schwarz/Wandt, § 4, Rz. 30. 320 Wo dies ausnahmsweise doch der Fall ist, liegt eine Geschäftsanmaßung vor. 321 Ähnlich Thole, NJW 2010, 1243, 1245. 322 So ausschließlich zum neutralen Geschäft (und damit in der Abgrenzung zum auch fremden Geschäft des pflichtgebundenen Geschäftsführers nicht überzeugend) BGH, 20.06.1963, NJW 1963, 1825, 1826 (Funkenflug). 319
A. Anspruchsgrundlagen
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weiterer Umstände, um einen Fremdgeschäftsführungswillen annehmen zu können. Konsequenterweise obliegt es dem Geschäftsführer, diese zu beweisen. Schließlich trifft auf die Fälle des pflichtgebundenen Geschäftsführers eines der Grundanliegen der Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag nicht zu. Die großzügige Handhabung der Anwendbarkeit des Rechtsinstituts der Geschäftsführung ohne Auftrag ist hier nicht nötig, um den Geschäftsführer zum Tätigwerden zu motivieren. Dafür wird in der Regel seine eigene Pflicht Motivation genug darstellen. 323 Im Ergebnis ist mit dem Schweizer Recht und einer im deutschen Schrifttum vertretenen überzeugenden Ansicht davon auszugehen, dass der Fremdgeschäftsführungswille des Endherstellers bei der Durchführung einer Rückrufaktion nicht vermutet wird, sondern von diesem bewiesen werden muss. b)
Gebotenheit der Geschäftsübernahme
Voraussetzung für einen Anspruch auf Kostenersatz ist weiter, dass die Übernahme der Geschäftsbesorgung durch den Geschäftsführer geboten war, sie also dem Interesse sowie dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprach (Art. 422 Abs. 1 OR; § 683 Satz 1 BGB). (i) Wille des Zulieferers Wenn der Geschäftsherr seinen Willen nicht geäußert hat, so hat der Geschäftsführer nach dem mutmaßlichen Willen zu handeln, welcher regelmäßig mit seinem Interesse gleichzusetzen ist. In den Fällen, in denen der Wille des Geschäftsherrn bekannt ist, darf die Geschäftsführung diesem nicht widersprechen. 324 Eine Ausnahme gilt nach Art. 420 Abs. 3 OR jedoch, wenn ein Einmischungsverbot unsittlich oder rechtswidrig ist, und nach § 679 BGB „wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, […] nicht rechtzeitig erfüllt werden würde.“ Da eine Rückrufpflicht nur bei einer ernsten Gefahr für wichtige Rechtsgüter besteht, liegt ihre Erfüllung im öffentlichen Interesse. Zudem liegt auch die Übernahme gerade durch den Endhersteller im öffentlichen 323
Thole, NJW 2010, 1243, 1247. Natürlich kann der Endhersteller bei Vorliegen einer reinen Verkehrspflicht nicht dazu gezwungen werden, das Geschäft zu besorgen; aber das ändert nichts daran, dass die Geschäftsbesorgung in seinem eigenen Interesse erfolgt und jedenfalls in erster Linie davon auszugehen ist, dass es sein eigenes Interesse ist, welches ihn zum Tätigwerden motiviert. 324 Gehrlein in BeckOK-BGB, § 683, Rz. 3; Hofstetter, 263; K. Lange in jurisPK, § 683, Rz. 20; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 110; Weber in BaslerKommOR I, Art. 419, Rz. 10.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Interesse. 325 Denn dieser ist aufgrund seiner Stellung im Herstellungs- und Vertriebsprozess in aller Regel wesentlich besser dazu in der Lage, den Rückruf durchzuführen als der Zulieferer. 326 Zudem kann üblicherweise mit dem Rückruf nicht weiter zugewartet werden, so dass auch das Dringlichkeitserfordernis des schweizerischen Rechts 327 regelmäßig erfüllt ist. Ein Verbot des Rückrufs seitens des Zulieferers wäre mit der bereits vom Reichsgericht vertretenen Auffassung 328 auch als unsittlich anzusehen. 329 Im Ergebnis ist der dem Rückruf entgegenstehende Wille des Zulieferers demnach in beiden Rechtsordnungen regelmäßig unbeachtlich. 330 (ii) Interesse des Zulieferers Gemäß Art. 422 Abs. 1 OR bzw. § 683 Satz 1 BGB muss die Übernahme der Geschäftsbesorgung „durch das Interesse des Geschäftsherrn geboten“ gewesen sein (Art. 422 Abs. 1 OR) bzw. dem Interesse des Geschäftsherrn entsprochen haben (§ 683 Satz 1 BGB). In beiden Rechtsordnungen gibt es für die jeweilige Voraussetzung eine nahezu allseits akzeptierte Umschreibung. So heißt es im schweizerischen Recht, die Übernahme müsse mehr als nützlich, aber weniger als notwendig sein, 331 dabei wird auf eine objektivierte Sichtweise abgestellt 332. In Deutschland besteht Einigkeit dahingehend, dass die Geschäftsübernahme objektiv nützlich sein müsse. 333 Als relevanter Zeitpunkt für die Bestimmung gilt jeweils die Geschäftsüber325 Ein „abstraktes Interesse der Gemeinschaft an der Erfüllung von Pflichten“ genügt nicht, vielmehr muss gerade das Eingreifen des Geschäftsführers geboten sein: LG Berlin, 15.07.2004, NJW-RR 2005, 63, 65 (Love Parade). 326 Droste, 280; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1340; ähnlich L. Herrmann/ Fingerhut, BB 1990, 725, 727; hierzu ausführlich oben S. 155 f. 327 Dazu statt vieler Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 13 f. m.w.N. 328 RG, 17.01.1940, RGZ 163, 21, 26 (Bremsen I). 329 So auch J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 420, Rz. 53, allgemein für Einmischungsverbote, wenn es um „die Erfüllung allgemeiner Rechtspflichten (etwa aus dem Gefahrensatz ausfliessender Sicherungspflichten) [geht], denen nachzukommen der Geschäftsherr versäumt hat.“ 330 Droste, 286 f.; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; Kreidt, 271 ff.; Link, BB 1985, 1424, 1427 f.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1340; Tamme, 383. 331 BGer, 20.05.1969, BGE 95 II 93, 104; Héritier Lachat in CR CO I, Art. 422, Rz. 2; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 422, Rz. 11 m.w.N.; Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 12, 14; G. Gautschi in BernerKomm, Art. 422 OR, Rz. 2c, stellt hingegen auf reine Nützlichkeit ab. 332 Héritier Lachat in CR CO I, Art. 422, Rz. 2; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 419, Rz. 12 m.w.N.; Weber in KurzKomm, Art. 422, Rz. 3. 333 Allgemeine Meinung, siehe nur BGH, 16.11.2007, NJW-RR 2008, 683, 685; Gehrlein in BeckOK-BGB, § 683, Rz. 2; Mansel in Jauernig, § 683, Rz. 3; Schwarz/Wandt, § 5, Rz. 10; Seiler in MüKoBGB 5, § 683, Rz. 5; Sprau in Palandt, § 677, Rz. 4; Steffen in RGRK, vor § 677, Rz. 63.
A. Anspruchsgrundlagen
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nahme. 334 Wie diese Formeln zur interessegemäßen Geschäftsübernahme jeweils auszufüllen sind, darüber herrscht jedoch Uneinigkeit. 335 Jedenfalls abzulehnen ist die reine Saldierungsmethode 336, die ausschließlich auf eine Kosten-Nutzen-Analyse aller vermögensrechtlich relevanten Faktoren abstellt und einen Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag dementsprechend immer dann ablehnt, wenn die Geschäftsübernahme für den Geschäftsherrn nicht wirtschaftlich vorteilhaft ist. 337 Es entspricht auch der weit überwiegenden Meinung, dass auch solche Faktoren in die Bestimmung des Interesses einfließen, die nicht vermögensrechtlich relevant sind. 338 Wollte man hingegen der reinen Saldierungsmethode folgen, könnte der Zulieferer sich der Haftung aus Geschäftsführung ohne Auftrag immer dann entziehen, wenn ihn die Haftung für den aufgrund der Gefährlichkeit des Produkts eingetretenen Schaden günstiger zu stehen gekommen wäre als die Übernahme der Rückrufkosten. 339 Dieses Ergebnis stünde der Wertung, die die Rechtsordnung durch die Statuierung einer Rückrufpflicht trotz der unter Umständen höheren Kosten für den Hersteller getroffen hat, diametral entgegen. 340 Nach allen anderen Ansichten zur Interessegemäßheit der Geschäftsübernahme liegt die Erfüllung einer Pflicht des Geschäftsherrn, die dem Schutz vor Personen- und Sachschäden dient und ohne das Eingreifen des Geschäftsführers nicht rechtzeitig erfüllt worden wäre, im Interesse des 334
Mansel in Jauernig, § 683, Rz. 3; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 422, Rz. 14; Seiler in MüKoBGB 5, § 683, Rz. 11; Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 10. 335 Häufig handelt es sich dabei allerdings nur um Unterschiede in der systematischen Verortung oder in den Begrifflichkeiten, nicht aber in den Ergebnissen. 336 Gursky, AcP 185 (1985), 13, 43 f.; Köhler, JZ 1985, 359, 363. 337 So sehr deutlich BGH, 07.11.1960, NJW 1961, 359, 360: den Einwand der Krankenkasse, die Rettungsmaßnahme des Geschäftsführers zugunsten ihrer Versicherungsnehmerin sei nicht in ihrem Interesse gewesen, wies der Bundesgerichtshof als „erstaunlich“ zurück. Die Krankenkasse hatte argumentiert, die Geschäftsbesorgung sei nicht in ihrem Interesse gewesen, da die Schwerverletzte ohne die Geschäftsbesorgung nicht mehr am Leben sei, was für die Versicherung wirtschaftlich vorteilhaft gewesen wäre; für ebenso unbeachtlich hielt es der Bundesgerichtshof in diesem Fall, ob durch das Eingreifen des Geschäftsführers letztlich eine schnellere Heilung bewirkt und der Krankenkasse dadurch Kosten erspart worden seien; vielmehr stellte er allein darauf ab, dass es Pflicht der Krankenkasse sei, die ärztliche Behandlung zu gewähren, und der Geschäftsführer die Ermöglichung ebendieser bezweckte. Ebenfalls gegen eine reine KostenNutzen-Analyse Kreidt, 270 f.; Tamme, 373 ff. 338 BGH, 07.11.1960, NJW 1961, 359, 360; Bergmann in Staudinger, § 683, Rz. 36; Dornis in Erman, § 683, Rz. 5; Seiler in MüKoBGB 5, § 683, Rz. 4. 339 Droste, 285 f. ordnet diesen Punkt unter der Frage nach dem Willen des Zulieferers ein und stellt dementsprechend für das Interesse ausschließlich darauf ab, dass der Rückruf sich für den Zulieferer als vorteilhaft herausstellt. Zu den praktischen Schwierigkeiten der Saldierung in den Fällen des Rückrufregresses Tamme, 373. 340 Ähnlich Tamme, 374.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Geschäftsherrn. 341 Insofern besteht für den hier erörterten Fall Konsens über das sachgerechte Ergebnis: Bei Bestehen einer Rückrufpflicht scheitert der Regress des Endherstellers auf Grundlage der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht am Kriterium der Interessegemäßheit. 342 Zuletzt gilt es hier noch zu erörtern, welchen Einfluss es auf den Regressanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag hat, wenn man die Pflicht, die der Endhersteller für den Zulieferer erfüllt, nicht als einen Rückrufanspruch, sondern lediglich als eine entsprechende Verkehrspflicht erachtet. 343 Auf den ersten Blick scheint gerade die deutsche Rechtsprechung in diesem Punkt sehr uneins. So wird an manchen Stellen die Interessegemäßheit der Geschäftsübernahme bereits deswegen bejaht, weil der Geschäftsführer damit eine Verkehrspflicht des Geschäftsherrn erfüllt. 344 An anderer Stelle wird aber aus exakt demselben Grund in Zweifel gezogen, dass die Geschäftsübernahme im Interesse des Geschäftsherrn lag. 345 Der Grund für diese Skepsis oder gar Ablehnung liegt darin, dass in den betreffenden Fällen dem Geschäftsherrn (häufig eine Behörde) ein Ermessen bei der Auswahl der Maßnahme zustand, mit der er seiner Verkehrspflicht nachkam. Durch das Eingreifen des Geschäftsführers wurde ihm diese Wahlmöglichkeit genommen. In der Tat kann diese Einschränkung grundsätzlich ein überzeugendes Argument darstellen, um dem Geschäftsführer den Regress zu versagen. Zu einem anderen Schluss kommt man aber – und dadurch lässt sich auch die anscheinende Widersprüchlichkeit der erwähnten Entscheidungen auflösen –, wenn der Geschäftsherr seiner Verkehrspflicht nur durch eine konkrete Maßnahme nachkommen kann und dem Geschäftsherrn daher ein Beschneiden seiner Entscheidungsfreiheit nicht vorgeworfen werden kann. 346
341 So bei einer normativen Bewertung des Interessenbegriffs (Kreidt, 270 f.; Steffen in RGRK, vor § 677, Rz. 62; Tamme, 373 ff.) sowie beim Abstellen auf die Gebotenheit des Eingreifens durch den Geschäftsführer (J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 422, Rz. 11 ff.; Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 419, Rz. 10 ff.). 342 So im Ergebnis auch OLG München, 04.12.1992, NJW-RR 1994, 356, 357 (Sicherheitsgurte); Droste, 285 f. (darauf abstellend, dass der Zulieferer von seinem Haftpflichtrisiko befreit wird); Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 42, Rz. 80; Kreidt, 266 ff.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1340; Tamme, 376. 343 Die Frage stellt sich gleichermaßen, wenn man es zwar für möglich hält, Verkehrspflichten mithilfe eines Anspruchs durchzusetzen, im konkreten Fall aber das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs verneint. 344 BGH, 10.04.1969, NJW 1969, 1205, 1206 (Anker); VG Frankfurt (Oder), 29.04.2003, 7 K 300/00, E. 41. 345 Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 29.10.1969, VerwRspr 1970, 397, 399; LG Berlin, 15.07.2004, NJW-RR 2005, 63, 65 (Love Parade). 346 BGH, 15.12.1977, NJW 1978, 1258, 1259 unter Anwendung des § 679 BGB.
A. Anspruchsgrundlagen
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Für die Fälle des Rückrufregresses ist diese Überlegung zur Entscheidungsfreiheit des Geschäftsherrn maßgeblich. 347 Zunächst ist festzuhalten, dass es sich anders als im Rahmen des Solidarschuldnerausgleichs 348 bezogen auf den Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nicht um die Wahlfreiheit des Zulieferers bezüglich des Ob der Verkehrspflichterfüllung handelt. Diese Freiheit steht dem Geschäftsführer nach der Wertung der Unbeachtlichkeit eines Einmischungsverbots bzw. des § 679 BGB nicht zu. Zwar kann der Geschäftsherr zur Erfüllung der Verkehrspflicht selbst unter Umständen nicht gezwungen werden, aber das Überwiegen dringender öffentlicher Interessen macht ihn ausgleichspflichtig, wenn ein anderer seine Verkehrspflicht erfüllt, und versagt ihm so das Recht, darauf zu beharren, dass er die Verkehrspflicht nicht erfüllen wollte. Etwas anderes gilt jedoch für die Frage nach dem Wie, also der Art und Weise der Verkehrspflichterfüllung. Die diesbezügliche Entscheidungsfreiheit soll dem Verkehrspflichtigen durch das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht genommen werden. 349 Wenn aber den Zulieferer eine Verkehrspflicht zum Rückruf gefährlicher Produkte trifft, ist er in der Wahl der Art und Weise, wie er dieser Pflicht nachkommt, sehr eingeschränkt. 350 In Anlehnung an die verwaltungsrechtliche Terminologie lässt sich hier sogar von einer Ermessensreduzierung auf null sprechen: die Pflicht zum Produktrückruf lässt sich eben nur durch eine Rückrufaktion erfüllen. Die Detailfragen der Durchführung der Rückrufaktion sind nicht relevant für die Frage, ob die Geschäftsbesorgung im Interesse des Zulieferers ist, sondern spielen erst auf der Ebene der ersatzfähigen Kosten eine Rolle. 351 2. Umfang des Aufwendungsersatzes Liegen die Voraussetzungen der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag vor, kann der Geschäftsführer vom Geschäftsherrn Aufwendungsersatz verlangen. Gemäß §§ 683, 670 BGB ist die Ersatzpflicht des Geschäftsherrn auf diejenigen Aufwendungen beschränkt, die der Geschäftsführer „den Umständen nach für erforderlich halten darf“, während die Verpflichtung nach Art. 422 Abs. 1 OR etwas weiter geht, indem er auf 347
Kreidt, 268 f.; aufgrund dieser Überlegung lehnt Schreiber, 206 f., bereits die Fremdheit des Geschäfts ab. 348 Siehe hierzu oben S. 215 ff. 349 Aus diesem Grunde versagte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 29.10.1969, VerwRspr 1970, 397, 401, dem Geschäftsführer den Ersatz der Aufwendungen für die Errichtung von Straßenbeleuchtung mit dem Argument, dem Geschäftsherrn hätte es freigestanden, alternative Formen der Verkehrspflichterfüllung zu wählen, wie z.B. das Aufstellen von Warnschildern. 350 Kreidt, 268 f. 351 Ebenso Kreidt, 269; Tamme, 385 ff.; insofern nicht überzeugend OLG Karlsruhe, 30.05.1985, VersR 1986, 1125, 1127 (Kondensatoren/Milchkühlanlagen).
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
„Verwendungen, die notwendig oder nützlich und den Verhältnissen angemessen waren,“ abstellt. Solange die Aufwendungen des Endherstellers sich an einer vernünftigen Einschätzung der Gefährdung und der daraus sich ergebenden Rückrufpflicht orientiert haben, dürften sich aus diesen unterschiedlichen Formulierungen jedoch kaum Unterschiede im Hinblick auf die ersatzfähigen Kosten ergeben. In den Fällen des auch fremden Geschäfts kann der Geschäftsführer jedoch nicht einfach die gesamten Kosten auf den Geschäftsherrn abwälzen. Schließlich hat er mit der Geschäftsführung zumindest auch seine eigenen Interessen verfolgt. Daher sind die nach den eben erörterten Maßstäben grundsätzlich als ersatzfähig anzusehenden Aufwendungen des Geschäftsführers zwischen diesem und dem Geschäftsherrn angemessen aufzuteilen. Eine gegenständliche Aufteilung nach den jeweils geschützten Interessen, wie sie in Deutschland in erster Linie befürwortet wird 352, ist im Falle des Rückrufregresses nicht möglich. 353 Schließlich lassen sich die Rückrufkosten nicht in Kosten für den Rückruf des Zulieferteils einerseits und Kosten für den Rückruf des Endprodukts andererseits trennen. Stattdessen kommt eine Kostenverteilung „nach dem Maß der Verantwortlichkeit und dem Gewicht der Interessen der Beteiligten in Betracht.“ 354 Dazu wird in Deutschland ebenso wie im Rahmen des Solidarschuldnerausgleichs auf den Rechtsgedanken des § 254 BGB abgestellt. 355 In der Schweiz hingegen wird die Kostenaufteilung im Rahmen eines auch fremden Geschäfts nur insofern erörtert, als dass der Wert der geschützten Interessen maßgeblich sein soll. 356 Vor diesem Hintergrund erscheint es angemessen, auch hier auf die Grundsätze von Art. 44 Abs. 1 OR zurückzugreifen. Die Konsequenzen dieser Maßstäbe für den Rückrufregress werden in Kürze diskutiert. 357
352
RG, 13.11.1935, RGZ 149, 205, 209; BGH, 15.12.1954, NJW 1955, 257, 258 (Eigentümer zweier Häuser mit gemeinsamer, einsturzgefährdeter Giebelmauer: Ersatz der Hälfte der Aufwendungen für den Abriss der Mauer); Dornis in Erman, § 683, Rz. 18; Gehrlein in BeckOK-BGB, § 683, Rz. 4; Seiler in MüKoBGB 5, § 683, Rz. 26. 353 Tamme, 387. 354 BGH, 18.09.1986, NJW 1987, 187, 189; BGH, 08.03.1990, NJW 1990, 2058, 2059; Bergmann in Staudinger, § 683, Rz. 51; Dornis in Erman, § 683, Rz. 18: Gehrlein in BeckOK-BGB, § 683, Rz. 4. 355 BGH, 08.03.1990, NJW 1990, 2058, 2059 (Milchpulver); BGH, 24.10.1974, NJW 1975, 207, 210; für den Rückrufregress über die Geschäftsführung ohne Auftrag so auch ausdrücklich Tamme, 387. 356 Hofstetter, 265. 357 Siehe unten S. 240 ff.
A. Anspruchsgrundlagen
V.
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Bereicherungsrecht
Grundlage für den Rückrufregress des Endherstellers gegen den verantwortlichen Zulieferer kann auch ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung sein (Art. 62 OR bzw. § 812 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 BGB). 358 Der Anwendungsbereich des bereicherungsrechtlichen Anspruchs im Rahmen des Rückrufregresses dürfte jedoch gering ausfallen, 359 setzt er doch voraus, dass weder der Zuliefervertrag eine entsprechende Regelung enthält 360, noch eine Solidarschuld 361 oder eine Geschäftsführung ohne Auftrag 362 vorliegt. Das Bereicherungsrecht kann daher insbesondere dann relevant werden, wenn nur den Zulieferer eine Rückrufpflicht traf (somit keine Gesamtschuld) und der Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag mangels Fremdgeschäftsführungswillens des Endherstellers oder wegen Verstoßes gegen die Interessen des Zulieferers scheitert. Eine Rückrufpflicht auch des Endherstellers steht dem bereicherungsrechtlichen Anspruch jedoch nicht im Wege. 363
358 In der deutschen Rechtsprechung grundsätzlich in Betracht gezogen von: OLG Düsseldorf, 31.05.1996, NJW-RR 1997, 1344, 1345 (Kunststoffkugelpfannen); OLG München, 04.03.1992, VersR 1992, 1135, E. 23 ff. (Druckmesszellen); OLG Karlsruhe, 30.05.1985, VersR 1986, 1125, 1126 (Kondensatoren/Milchkühlanlagen). 359 So auch Kreidt, 275; Tamme, 388 f., zufolge bleibt für die Anwendung bereicherungsrechtlicher Vorschriften im Rahmen des Rückrufregresses sogar überhaupt kein Raum mehr, dabei übersieht er jedoch insbesondere die Fälle, in denen es dem Endhersteller am nötigen Fremdgeschäftsführungswillen mangelt. 360 Eine vertragliche Regelung, die den Endhersteller zum Rückruf verpflichtet, würde einen Rechtsgrund für die Bereicherung des Zulieferers darstellen. 361 Bei Vorliegen einer Solidarschuld ergibt sich für die vom Endhersteller aufgewendeten Kosten Folgendes: soweit der Endhersteller im gesamtschuldnerischen Innenverhältnis zur Kostentragung verpflichtet ist, besteht ein Rechtsgrund für die Bereicherung (d.h. die Befreiung von der Rückrufpflicht) des Zulieferers (vgl. BGH, 04.07.1963, NJW 1963, 2067, 2068); soweit der Zulieferer zur Kostentragung verpflichtet ist, ist er nicht bereichert, da er dem Regressanspruch aus dem Gesamtschuldnerausgleich ausgesetzt ist. Siehe hierzu nur Sprau in Palandt, § 812, Rz. 10; S. Lorenz in Staudinger, § 812, Rz. 69. Im schweizerischen Recht ist dieses Verhältnis, soweit ersichtlich, bisher nicht erörtert worden, die Überlegungen zum deutschen Recht lassen sich insoweit jedoch übertragen. 362 L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727: Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag gehen dem Bereicherungsrecht grundsätzlich vor; ebenso W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339; Tamme, 388 f.; ebenso die überwiegende Auffassung in der Schweiz, siehe nur Schulin in BaslerKomm-OR I, Art. 62, Rz. 40 mit umfassenden Nachweisen. 363 BGH, 12.03.1964, NJW 1964, 1365, 1365.
236
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
1.
Voraussetzungen
a)
Bei Rückrufanspruch gegen den Zulieferer
Unproblematisch ist der bereicherungsrechtliche Anspruch, wenn ein Rückrufanspruch gegen den Zulieferer vorlag. 364 Dann stellt sich die Durchführung der Rückrufaktion durch den Endhersteller als Tilgung der Schuld des Zulieferers dar. 365 b)
Bei Rückrufverkehrspflicht des Zulieferers
Das deutsche Schrifttum sieht überwiegend das Bestehen eines Anspruchs gegen den Zulieferer als unabdingbare Voraussetzung für den bereicherungsrechtlichen Anspruch aufgrund der Befreiung von einer Verbindlichkeit. Die Begründungen für diese Ansicht sind jedoch äußerst knapp. Teilweise begnügen sich die Autoren allein mit einer apodiktischen Feststellung. 366 Andere fügen hinzu, eine reine Verkehrspflicht zum Rückruf stelle keine „echte Verbindlichkeit“ im Sinne des Bereicherungsrechts dar. 367 Von den drei deutschen Entscheidungen, die das Bereicherungsrecht als Grundlage für den Rückrufregress in Betracht ziehen, lehnen zwei einen bereicherungsrechtlichen Anspruch wegen Fehlen eines Rückrufanspruchs der Endabnehmer ab. 368 Eine verneint bereits den Produktfehler und 364
Im Gegensatz zu der Auffassung von Kreidt, 275, kann eine solche Situation durchaus eintreten, weil es zumindest vorstellbar ist, dass ein Rückrufanspruch ausschließlich gegen den Zulieferer besteht (wie Kreidt an anderer Stelle (247) selbst einräumt), so dass ein Gesamtschuldnerausgleich nicht in Betracht kommt. (Darüber, dass zudem kein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag einschlägig sein darf, herrscht in diesem Zusammenhang Einigkeit.) 365 Für den Rückrufregress: OLG Karlsruhe, 30.05.1985, VersR 1986, 1125, 1126 (Kondensatoren/Milchkühlanlagen); Droste, 290; Grote, VersR 1994, 1269, 1271; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; Kreidt, 275 f. (scheidet aber aus wegen Vorrang gesamtschuldnerischen Innenausgleichs); W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1338 (scheidet aber aus bei berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag); zur Tilgung fremder Schulden allgemein: siehe nur A. Koller, OR AT, § 31, Rz. 88 m.w.N.; Schwab in MüKoBGB 5, § 812, Rz. 317 ff. m.w.N. 366 Grote, VersR 1994, 1269, 1271; L. Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727. 367 So W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1338 unter Verweis auf Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 42, Rz. 81 (insoweit in der 3. Aufl. unverändert); allerdings verkennen W. Müller/Dörre dabei, dass Foerste den Bereicherungsanspruch deswegen nicht ablehnt, sondern vielmehr auf die Verhinderung potentieller Schadensersatzansprüche gegen den Zulieferer als Bereicherungsgegenstand abstellt. 368 OLG München, 04.03.1992, VersR 1992, 1135, E. 25 (Druckmesszellen); OLG Karlsruhe, 30.05.1985, VersR 1986, 1125, 1126 (Kondensatoren/Milchkühlanlagen) (Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 42, Rz. 81, Fn. 120 versteht diese Entscheidung sogar so, dass es für eine Bereicherung ausreicht, dass der Rückruf die Inanspruchnahme des Zulieferers wegen Produktschäden verhindert).
A. Anspruchsgrundlagen
237
kommt somit gar nicht zu der entsprechenden Frage. 369 Keine der Entscheidungen jedoch differenziert zwischen einem Rückrufanspruch und einer Rückrufverkehrspflicht. Dementsprechend befasst sich auch keine Entscheidung mit der Möglichkeit eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs aufgrund der Erfüllung einer Verkehrspflicht. In der Schweiz hat diese Thematik, soweit ersichtlich, bisher keine Aufmerksamkeit erfahren. Es lässt sich jedoch nicht von der Hand weisen, dass die Erfüllung der Rückrufverkehrspflicht ein ernst zu nehmendes und immanentes Haftungsrisiko für den Zulieferer beseitigt. Schließlich ist zumindest ein ernster Verdacht drohender Personen- oder Sachschäden stets Voraussetzung für das Bestehen einer Rückrufpflicht. Die Durchführung einer Rückrufaktion reduziert somit das Haftungsrisiko, worin ein vermögenswerter Vorteil und damit ein tauglicher Bereicherungsgegenstand zu sehen ist. 370 Daran vermag es nichts zu ändern, wenn man die Rückrufverkehrspflicht nicht als einklagbare Verbindlichkeit ansieht. Jedenfalls liegt es in der Natur einer Verkehrspflicht, dass entweder für ihre Erfüllung oder aufgrund ihrer Nichterfüllung dem Verkehrspflichtigen Kosten entstehen. Für die Frage, ob eine Bereicherung vorliegt, kann es – anders als für den sogleich zu erörternden Wert der Bereicherung – daher nicht darauf ankommen, ob auf die Befreiung von der Kostenpflicht für Maßnahmen zur Pflichterfüllung 371 oder auf die Befreiung vom Haftungsrisiko abgestellt wird. Jedenfalls wird der Zulieferer durch die Erfüllung der Rückrufpflicht seitens des Endherstellers bereichert. c)
Ohne Rückrufpflicht des Zulieferers
Fehlt es hingegen an jeglicher Rückrufpflicht des Zulieferers, so mangelt es auch an einer Verbindlichkeit, die der Endhersteller für den Zulieferer erfüllt haben könnte. Dennoch lässt sich auch in dieser Konstellation überlegen, ob der Zulieferer dadurch bereichert wurde, dass er vor einer potentiellen Haftung für Schäden, die durch sein Zulieferteil in Zukunft hätten verursacht werden können, bewahrt wurde. Auch ohne Rückrufpflicht kann ein konkretes Haftungsrisiko bestehen, so beispielsweise in den Fällen, in denen eine Rückrufpflicht trotz großer Wahrscheinlichkeit eines Scha369 OLG Düsseldorf, 31.05.1996, NJW-RR 1997, 1344, 1345 (Kunststoffkugelpfannen). 370 Vgl. Droste, 291 ff.; Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 42, Rz. 81; Kreidt, 276. Allgemein zur Ersparnis von Aufwendungen als Bereicherungsgegenstand: Schulin in BaslerKomm, Art. 62, Rz. 7 m.w.N.; zum Nichtentstehen einer Verbindlichkeit S. Lorenz in Staudinger, § 812, Rz. 71. 371 So VG Frankfurt (Oder), 29.04.2003, 7 K 300/00, E. 46 (die Entscheidung betrifft zwar den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, ist aber auf den Bereicherungsanspruch nach §§ 812 ff. BGB übertragbar).
238
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
denseintritts aufgrund der Unverhältnismäßigkeit der zu erwartenden Schäden (meist reinen Sachschäden) und den Kosten eines Rückrufs als unzumutbar abzulehnen ist. In solchen Situationen kann ein Bereicherungsanspruch des Endherstellers gegen den Zulieferer nicht pauschal abgelehnt werden. 372 Zwar ist es richtig, dass die reine Möglichkeit, dass der Zulieferer haftpflichtig geworden wäre, nicht ausreicht, um eine Bereicherung anzunehmen. Vielmehr muss für eine Bereicherung durch die Ersparnis von Aufwendungen bzw. das Nichtentstehen von Verbindlichkeiten feststehen, dass die Aufwendung respektive Verbindlichkeiten getätigt worden bzw. entstanden wären. 373 So wurde beispielsweise einer Charterfluggesellschaft ein Bereicherungsanspruch gegen den Versicherer der Reiseausfallkosten zugesprochen, weil ersterer trotz Insolvenz des Reiseveranstalters dessen Kunden zurücktransportiert und damit den Eintritt des Versicherungsfalls verhindert hatte. 374 Das Gericht entschied in diesem Fall, die Bereicherung der Versicherung „ähnelt […] der Fallgruppe der Rückgriffs- und Aufwendungskondiktion.“ Wenn es dem Endhersteller also gelingt zu beweisen, dass dem Zulieferer durch den Rückruf (berechtigte) Ansprüche der potentiell Geschädigten erspart geblieben sind, so wird er die entsprechende Bereicherung vom Zulieferer herausverlangen können. Freilich handelt es sich dabei insofern dann nicht mehr um einen Rückrufkostenregress, als sich der Umfang der Bereicherung in der tatsächlich ersparten Haftung erschöpft. Da regelmäßig ein grobes Missverhältnis zwischen den Rückrufkosten und den nachweislich verhinderten Schäden bestehen wird, erhält der Endhersteller so meist nur einen Bruchteil seiner Kosten erstattet. Aus diesem Grund werden die Konsequenzen eines möglichen Bereicherungsanspruchs ohne Rückrufpflicht des Zulieferers im Folgenden nicht näher erörtert. 2.
Inhalt des Bereicherungsanspruchs
Mit dem bereicherungsrechtlichen Anspruch kann der Endhersteller vom Zulieferer Herausgabe der Bereicherung (Art. 62 Abs. 1 OR) respektive des Erlangten (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) verlangen. In der Schweiz wird die Bereicherung in Umkehrung der schadensrechtlichen Differenzhypothese bestimmt durch einen Vergleich des tatsächlichen Vermögensstands des Bereicherten mit dem hypothetischen Vermögensstand, der ohne das 372
So aber Kreidt, 275 f.; W. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1338. S. Lorenz in Staudinger, § 812, Rz. 71 („Nichtentstehen einer Verbindlichkeit […], zu deren Entstehung es ohne das Dazwischentreten […] gekommen wäre“); Schulin in BaslerKomm-OR I, Art. 62, Rz. 7 („nach dem regelmässigen Lauf der Dinge“). 374 OLG Köln, 12.12.2000, 9 U 36/99. 373
A. Anspruchsgrundlagen
239
bereichernde Ereignis vorläge. 375 Im Falle des Rückrufregresses handelt es sich um eine Ersparnisbereicherung 376, die darin zu sehen ist, dass dem Zulieferer die Rückrufkosten oder die bei Unterlassen des Rückrufs eintretende Haftung erspart wurde. Dieselben Posten kommen auch für die Bestimmung des Wertersatzes für den Bereicherungsgegenstand nach § 818 Abs. 2 BGB in Betracht. 377 Auf welchen dieser beiden Referenzwerte – Rückrufkosten oder ersparte Haftung – für den Wert der Bereicherung bei Bestehen einer Rückrufpflicht des Zulieferers abzustellen ist, hängt letztlich davon ab, ob davon ausgegangen werden kann, dass der Zulieferer dieser Pflicht nachgekommen wäre oder nicht. Soweit ein Rückrufanspruch besteht, sind die Kosten zur Erfüllung desselben maßgeblich. Weniger klar ist die Situation allerdings, wenn dem Zulieferer lediglich die Erfüllung seiner Rückrufverkehrspflicht abgenommen wurde. Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hat in einer Entscheidung zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, der insoweit den Regelungen des privatrechtlichen Bereicherungsanspruchs folgt 378, für die Höhe des Anspruchs auf den „Umfang der zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht erforderlichen Maßnahmen und dementsprechenden Kosten“ abgestellt. 379 In der Entscheidung ging es um die Frage, wer die Baumpflegearbeiten an einer dem Denkmalschutz unterfallenden Allee vorzunehmen habe. Da die Beklagte sich weigerte, ihrer entsprechenden Verkehrspflicht nachzukommen, nahm die Klägerin die Maßnahmen letztlich selbst vor und erhielt den Ersatz der dadurch entstandenen Kosten zugesprochen. Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist auch für das privatrechtliche Bereicherungsrecht zuzustimmen. Bei Vorliegen einer Verkehrspflicht des Zulieferers zur Durchführung eines Rückrufs muss der Wert der Bereicherung in der Ersparnis der Kosten für diesen Rückruf gesehen werden. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass der Zulieferer seiner Rechtspflicht nachgekommen wäre. Selbst wo Anhaltspunkte dafür vorliegen oder der Zulieferer sich im Nachhinein darauf beruft, dass er dies nicht getan hätte, erscheint es unbillig, der Berechnung sein rechtswidriges Verhalten zugrunde zu legen mit dem Ergebnis, dass der sich rechtmäßig ver375
BGer, 16.10.2003, BGE 129 III 646, 652 E. 4.2; Schulin in BaslerKomm-OR I, Art. 62, Rz. 5; Schwenzer, OR AT, Rz. 58.01. 376 Schulin in BaslerKomm-OR I, Art. 62, Rz. 7. 377 Droste, 293; Kreidt, 277 f. 378 Rechtsfolgenverweis für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auf die §§ 818 bis 820 BGB in § 49a Abs. 2 Satz 1 des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003, BGBl. 2003 I 102 (VwVfG), siehe dazu nur Falkenbach in BeckOK-VwVfG, § 49a, Rz. 25 ff. 379 VG Frankfurt (Oder), 29.04.2003, 7 K 300/00, E. 46 (der Antrag auf Zulassung zur Berufung wurde wegen Unzulässigkeit verworfen, OVG Berlin-Brandenburg, 08.03.2006, OVG 11 N 66.05).
240
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
haltende Endhersteller die mitunter beträchtliche Kostendifferenz zu schultern hätte. Im Ergebnis sind demnach die Kosten, die der Zulieferer für die Erfüllung der Rückrufpflicht erspart hat, als Wert der Bereicherung anzusehen und dem Erstattungsanspruch des Endherstellers zugrunde zu legen. 380 Bei der Berechnung des Werts der Bereicherung ist schließlich auch wieder die gemeinsame Verantwortung von Endhersteller und Zulieferer für den Rückruf zu beachten. Dies erfolgt so wie bereits im Rahmen der übrigen Regressansprüche über die Berücksichtigung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge 381 und wird sogleich 382 näher erörtert.
B. Kostenverteilung B. Kostenverteilung
Im Rahmen der einzelnen Anspruchsgrundlagen wurde jeweils darauf hingewiesen, dass sich die Aufteilung der im Wege des Regresses grundsätzlich ersatzfähigen Kosten zwischen Endhersteller und Zulieferer nach den jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteilen sowie sonstigen Umständen richtet. Maßgeblich sind in jedem Einzelfall das Innenverhältnis zwischen den Parteien und ihre vertraglich vereinbarte und tatsächlich praktizierte Pflichtenverteilung. 383 Allgemeingültige Aussagen zu den sich daraus ergebenden Verteilungsquoten lassen sich daher kaum treffen. I.
Gleichlauf mit Kostentragung für Produkthaftungsschäden
Für den Rückrufregress reicht es weitgehend aus, auf die umfangreiche allgemeine Literatur zur Haftungsverteilung im Innenverhältnis der Zulieferbeziehung im Rahmen von durch das Endprodukt verursachten Schäden zu verweisen. 384 Im einschlägigen Schrifttum findet sich eine Reihe von Vorschlägen, inwiefern die üblichen Grundsätze der Haftungsverteilung im Innenverhältnis für das Verhältnis zwischen Endhersteller und Zulieferer 380 Anders Kreidt, 278 f.: nur Wert des Haftungsrisikos zu erstatten, es sei denn, der Zulieferer weist nach, dass die Durchführung des Rückrufs für ihn günstiger gewesen wäre. Auch Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 42, Rz. 81, lehnt die Rückrufkosten als Inhalt des Erstattungsanspruchs jedenfalls für die Fälle ab, in denen der Zulieferer „seine Produktverantwortung verkannte oder ignorierte“, und hält in diesen Fällen nur die Kosten für die eingesparte Haftung für ersatzfähig. Gerade Foerstes Verweis auf das Ignorieren der Rückrufpflicht durch den Zulieferer lässt jedoch die Unbilligkeit dieser Lösung besonders ins Auge stechen. 381 Kreidt, 279. 382 Siehe hierzu unter Punkt B. auf dieser Seite. 383 Hierzu im Einzelnen und unter Einbezug modifizierender Ansichten Kreidt, 250 ff. 384 Ebenso Wellenhofer-Klein, 268: „kein rückrufspezifisches Problem“.
B. Kostenverteilung
241
anzuwenden bzw. abzuändern seien. 385 Dabei werden insbesondere die Auswirkungen eines unter den Parteien vereinbarten Qualitätssicherungssystems unter die Lupe genommen. 386 Diese Diskussion ist auch im Rahmen des Rückrufregresses entsprechend zu beachten, stellt jedoch eine allgemeine Frage des Haftungsausgleichs in der Zulieferbeziehung dar und hat darüber hinaus keine spezifischen Konsequenzen für die hier erörterten Fragen. Ausdrücklich hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass der Verweis auf die generelle Haftungsverteilung im Innenverhältnis von Endhersteller und Zulieferer keineswegs ein Selbstzweck ist. Vielmehr dient der grundsätzliche Gleichlauf der Haftungsverteilung im Rückrufregress mit derjenigen für Schäden, die – ohne Rückruf – durch das Produkt verursacht worden wären, einer sachgerechten Einbindung der Gefahrabwendung nach Inverkehrbringen der Produkte in das System der Produkthaftung. Diese Schlussfolgerung beruht auf der Überlegung, dass die Rückrufentscheidung des Endherstellers sich allein daran orientieren sollte, ob ein Rückruf zum Schutz vor Integritätsschäden gemäß rechtlichen Erwägungen durchgeführt werden muss. Ginge man nicht von dem hier geforderten Gleichlauf der Haftungsverteilung aus, dann bestünde dagegen die Gefahr, dass das Kalkül im Hinblick auf die Haftungsverteilung als Faktor in die Rückrufentscheidung miteinfließt. Im Extremfall könnte sich der Endhersteller trotz Rückrufpflicht gegen einen Rückruf entscheiden, weil dieser für ihn eine anteilsmäßig höhere Kostenfolge hätte als der Eintritt entsprechender Schäden. Die grundsätzliche Kopplung der Verteilungsquote für den Rückrufregress an diejenige bei Schadenseintritt ist damit letztlich eine Voraussetzung für die Präventionswirkung der Verkehrspflichten. II. Mangelnde traceability als Besonderheit im Rückrufregress Ein besonderes Problem des Rückrufregresses soll hier aufgrund seiner großen praktischen Relevanz gerade im Bereich der Automobilherstellung kurz angesprochen werden. Es handelt sich dabei um die Frage der sogenannten traceability von Zulieferteilen, also die Rückverfolgbarkeit aufgrund von Kennzeichnungen beispielsweise durch die Zuordnung von Chargen- oder Seriennummern zu bestimmten Fertigungszeiten oder -zeiträumen. 385
Ausführlich Wellenhofer-Klein, 282 ff.; siehe zudem Foerste in Produkthaftungshandbuch, § 42, Rz. 55 ff.; Franz, 136 ff.; Fuchs, JZ 1994, 533, 537 f.; Schweighauser 203 ff., 211 ff. 386 Ensthaler, NJW 1994, 817, 822 f.; Fuchs, JZ 1994, 533, 538; Hollmann, PHi 1989, 146, 156; Kreifels, ZIP 1990, 489 ff.; Migge, VersR 1992, 665, 673 f.; Quittnat, BB 1989, 571, 572 ff., 574.
242
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Das Problem liegt darin begründet, dass mitunter entgegen den einschlägigen Industriestandards gerade bei Massenwaren wie Schrauben und sonstigen Kleinstteilen die traceability auf einzelnen Produktionsstufen bewusst nicht gewährleistet wird. 387 Relevanz erlangt die mangelnde Rückverfolgbarkeit beim Auftreten von Fabrikationsfehlern beispielsweise einzelner Chargen. Hier dient die eindeutige Zuordnung, welche Teile in welche Endprodukte eingebaut wurden, gerade dazu, die betroffenen Endprodukte identifizieren und dadurch gezielte Gefahrenabwehrmaßnahmen vornehmen zu können. Hat der Endhersteller es unterlassen, die traceability der vom Zulieferer ordnungsgemäß gekennzeichneten Teile zu gewährleisten, kann er beim Auftreten von Sicherheitsproblemen durch die entsprechenden Zulieferteile die betroffenen Endprodukte nicht eindeutig identifizieren. Häufig werden bei der Verarbeitung der Zulieferteile problembehaftete mit fehlerfreien Chargen – sei es von demselben, sei es von unterschiedlichen Zulieferern – vermischt worden sein 388 oder es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass dies der Fall war. Die effektive Gefahrenabwehr gebietet es in solch einer Situation bei Vorliegen einer Rückrufpflicht, dass sich die Rückrufaktion auf alle potentiell betroffenen Endprodukte bezieht. Dadurch kann die Zahl der zurückzurufenden Produkte gegenüber der bei Gewährleistung der traceability um ein Vielfaches steigen. Ein massiver Kostenanstieg ist die Folge. 389 Diese Konsequenz stellt insofern eine Besonderheit des Rückrufregresses gegenüber der Haftung für durch Endprodukte verursachte Schäden dar, als sich die mangelnde traceability zwar nicht in höheren Kosten im Falle des Schadenseintritts niederschlagen würde, aber doch zu höheren Rückrufkosten führt. Aus diesem Grunde erfordert die traceabilityProblematik ein Abweichen von dem oben postulierten Gleichlauf der Haftungsverteilung in diesen beiden Konstellationen. Der Endhersteller, der seine diesbezügliche Pflicht verletzt, hat maßgeblich zur Verursachung höherer Rückrufkosten beigetragen und hat dementsprechend auch einen 387
Helmig, PHi 2006, 117, 122; Klindt, § 5 GPSG, Rz. 30. Klindt, § 5 GPSG, Rz. 30. 389 In dem vom OLG Karlsruhe, 02.04.1993, NJW-RR 1995, 594 ff., entschiedenen Dunstabzugshauben-Fall hätte möglicherweise ein signifikanter Teil der Rückrufkosten vermieden werden können, wenn der Zulieferer elektronischer Steuerungen seine Produkte je nach den darin verwendeten Kondensatoren unterschiedlich gekennzeichnet hätte. Sicherheitsprobleme waren in dem Fall nämlich nur mit Kondensatoren eines SubZulieferers aufgetreten (ibid., 596). Allerdings hielt das Gericht es nicht für erwiesen, dass nicht auch die mit den Kondensatoren eines anderen Sub-Zulieferers hergestellten Steuerungen eine Sicherheitsgefahr darstellten, so dass die Rückrufpflicht sich unabhängig von Kennzeichnungsproblemen auf sämtliche Dunstabzugshauben bezog, die entsprechende Steuerungen enthielten. 388
C. Verjährung
243
größeren Teil dieser Kosten zu schultern. 390 Die Reichweite der Pflicht zur Gewährleistung der traceability bestimmt sich dabei entweder durch explizite vertragliche Vereinbarung oder durch Einbezug entsprechender Standards oder aber aufgrund von Usancen innerhalb der jeweiligen Branche. Soweit keine derartige Grundlage existiert, kann die Pflicht nur so weit reichen, wie ihre Erfüllung gemessen an den dafür aufzuwendenden Kosten zumutbar ist. Die genaue Bezifferung der durch die mangelnde Rückverfolgbarkeit im Rahmen des Rückrufs verursachten Mehrkosten hängt vom Einzelfall ab. Neben der größeren Zahl der zurückzurufenden Endprodukte können höhere Kosten auch noch auf andere Art entstehen. Regelmäßig sind zusätzliche Überprüfungen daraufhin notwendig, ob das jeweilige Endprodukt ein potentiell gefährliches Zulieferteil (z.B. aus der betroffenen Charge) enthält. Wenn die Kosten dieser Prüfung so hoch sind, dass sich ein Austausch der Endprodukte oder die Rückerstattung des Kaufpreises ohne vorherige Überprüfung als günstiger erweist, dann wird es dem Endhersteller kaum zu gestatten sein, diese Kosten seinem Regressanspruch zugrunde zu legen, wenn bei entsprechender Kennzeichnung z.B. die Reparatur der betroffenen Produkte ausgereicht hätte. Letztlich wird es darauf ankommen, die Kosten zu ermitteln, die ein Rückruf auf Grundlage pflichtgerechter Rückverfolgbarkeit verursacht hätte.
C. Verjährung C. Verjährung
Jeder Anspruch auf Erstattung der Rückrufkosten ist für den Endhersteller von geringem Nutzen, wenn er diesen bereits bei Durchführung der Rückrufaktion nicht mehr durchsetzen kann. Aus diesem Grunde gilt es im Folgenden die Verjährungsfristen zunächst der vertraglichen, anschließend der gesetzlichen Ansprüche kurz zu erörtern. Von allen hier diskutierten gesetzlichen Regelungen können die Parteien des Zuliefervertrags nach deutschem Recht in den Grenzen der §§ 202, 305 ff. BGB abweichen. 391 Unter Geltung des Schweizer Rechts ist diese Möglichkeit hingegen aufgrund von Art. 129 OR deutlich limitierter. 392 Der Vorentwurf zur Revision des
390
Ebenso Helmig, PHi 2006, 117, 122 f.; Klindt, § 5 GPSG, Rz. 30. Zur Zulässigkeit von Verjährungsvereinbarungen zwischen Endhersteller und Zulieferer nach deutschem Recht ausführlich Kreidt, 51 ff. 392 Ausführlich Krauskopf in Personen-Schaden-Forum 2011, 113, 135 ff.; zudem statt vieler Däppen in BaslerKomm-OR I, Art. 129, Rz. 2 ff. m.w.N. 391
244
Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Verjährungsrechts enthält diesbezüglich allerdings in Art. 133 VE-Verjährung eine deutliche Liberalisierung. 393 I.
Vertragliche Ansprüche
Das CISG regelt die Verjährung nicht. Allerdings kann der Endhersteller Ansprüche aufgrund eines Mangels des Zulieferteils nur geltend machen, wenn er den Mangel innerhalb der absoluten Ausschlussfrist von zwei Jahren nach der Übergabe gerügt hat (Art. 39 Abs. 2 CISG). 394 Für die Verjährung selbst gelten die nationalen Regelungen, da weder die Schweiz noch Deutschland Vertragsstaaten des UNCITRAL Verjährungsübereinkommens 395 sind. Die Vorschriften des schweizerischen und deutschen unvereinheitlichten Rechts knüpfen für den Beginn der Verjährungsfristen für Gewährleistungsansprüche jeweils an die Ablieferung der Kaufsache bzw. die Abnahme des Werks an. 396 In der Schweiz beträgt die Verjährungsfrist ab diesem Zeitpunkt derzeit noch ein Jahr, 397 gemäß der Änderung vom 16. März 2012 künftig zwei Jahre, 398 in Deutschland regelmäßig zwei Jahre. 399 Im Zusammenhang mit Bauwerken besteht nach deutschem Recht sowie nach derzeitigem Schweizer Werkvertragsrecht jeweils eine fünfjäh393 Dazu Bundesamt für Justiz, Bericht zum Vorentwurf Verjährungsrecht, 21; G. Chappuis, HAVE 2012, 72, 74, begrüßt diese „flexibilité nouvelle“; kritisch zu Einzelfragen Bergamin, HAVE 2012, 84, 89. 394 Zum Konflikt der einjährigen Verjährungsfrist des (noch) geltenden Art. 210 Abs. 1 OR mit der Regelung des Art. 39 Abs. 2 CISG siehe BGer, 18.05.2009, 4A_68/2009, CISG-online 1900, mit Anmerkung Mohs/Hachem, AJP 2009, 1541 ff. 395 UNCITRAL Übereinkommen über die Verjährung beim internationalen Warenkauf vom 14. Juni 1974. 396 Artt. 210 Abs. 1, 371 Abs. 1 OR (insoweit unverändert durch die Änderung vom 16. März 2012, BBl. 2012, 3447 f.); §§ 438 Abs. 2, 634a Abs. 2 BGB. Das Bundesgericht, welches neben der kaufvertraglichen Sachmängelgewährleistung konkurrierend einen Schadensersatzanspruch aus Art. 97 OR zulässt (siehe dazu oben S. 200 mit Fn. 184), wendet auch auf diesen Anspruch die Verjährung gemäß Art. 210 OR an; siehe nur aus jüngster Zeit BGer, 19.02.2007, BGE 133 III 335, 337 ff., E. 2 mit eingehender Diskussion und Nachweisen. 397 Artt. 210 Abs. 1, 371 Abs. 1 OR. 398 Artt. 210 Abs. 1, 371 Abs. 1 OR n.F. gemäß der Änderung vom 16. März 2012, BBl. 2012, 3447 f. (Inkrafttreten: 1. Januar 2013). 399 §§ 438 Abs. 1 Ziff. 3, 634a Abs. 1 Ziff. 1 BGB. Die regelmäßige (dreijährige) Verjährungsfrist, auf die § 634a Abs. 1 Ziff. 3 BGB verweist, ist für den Rückrufregress in der Regel nicht von Belang, da sie vor allem immaterielle Werkleistungen, Leistungen, die an Menschen erbracht werden, sowie Auskunfts- und Beratungsverträge erfasst (siehe dazu Busche in MüKoBGB5, § 634a, Rz. 33 ff.; Voit in BeckOK-BGB, § 634a, Rz. 21). Denkbar wäre jedoch, dass sie beispielsweise bei Lieferung von Software Relevanz erlangt (str., dazu Busche in MüKoBGB 5, § 634a, Rz. 33 m.w.N.).
C. Verjährung
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rige Frist. 400 Mit Inkrafttreten der Änderung vom 16. März 2012 wird diese Frist auch für das schweizerische Kaufrecht gelten. 401 Insbesondere das jetzige Schweizer Verjährungsrecht, in geringerem Maße aber auch die deutsche sowie die künftige schweizerische Regelung, werden dem vertraglichen Regress des Endherstellers häufig im Wege stehen. Dies liegt daran, dass einerseits zwischen Ablieferung der Zulieferteile und dem auf den Markt Bringen des Endprodukts üblicherweise eine gewisse Zeit vergeht und andererseits der Rückruf häufig nicht direkt nach dem Inverkehrbringen, sondern erst lange später erfolgt. 402 Nach dem schweizerischen Vorentwurf zur Revision des Verjährungsrechts sollen Artt. 210 und 371 OR aufgehoben und die Verjährung der vertraglichen Ansprüche den allgemeinen Verjährungsregeln unterstellt werden. Gemäß Artt. 201 Abs. 4, 370 Abs. 4 VE-Verjährung muss der Käufer so wie nach Art. 39 Abs. 2 CISG spätestens innerhalb von zwei Jahren den Mangel anzeigen. 403 Für die Verjährung soll eine relative Frist von drei Jahren ab Kenntnis der Forderung und der Person des Schuldners 404 und eine absolute zehnjährige Frist ab Fälligkeit 405 gelten. Ein Alternativvorschlag für Artt. 129, 130 VE-Verjährung sieht sogar eine 20-jährige absolute Verjährungsfrist vor und verzichtet damit auf die sonst vorgesehenen unterschiedlichen Fristen für Personenschäden 406 und sonstigen Schäden. 407 Für Schadensersatzansprüche beginnt die absolute Frist abweichend von der sonstigen Regelung mit dem Tag der schädigenden Handlung zu laufen. 408 Bei positiver Vertragsverletzung ist dies der Zeitpunkt der Vertragsverletzung, 409 d.h. für den Rückrufkostenregress die Lieferung der mangelhaften Zulieferteile. Auf den ersten Blick scheint es so, als führte der Vorentwurf zum Verjährungsrecht zu einer wesentlichen Verbesserung der Stellung des Endherstellers im vertraglichen Rückrufkostenregress nach Schweizer Recht. 400
Art. 371 Abs. 2 OR; §§ 438 Abs. 1 Ziff. 2, 634a Abs. 1 Ziff. 2 BGB. Art. 210 Abs. 2 n.F. gemäß der Änderung vom 16. März 2012, BBl. 2012, 3447 f. (Inkrafttreten: 1. Januar 2013). 402 So lag das Durchschnittsalter der zurückgerufenen Kraftfahrzeuge im Jahr 2010 nach Auskunft des deutschen Kraftfahrt-Bundesamtes bei fünf Jahren. 403 Es handelt sich dabei um eine Präklusionsfrist, die weder gehemmt noch unterbrochen werden kann und von Amts wegen zu berücksichtigen ist, Bundesamt für Justiz, Bericht zum Vorentwurf Verjährungsrecht, 34. 404 Art. 128 VE-Verjährung. 405 Art. 129 Abs. 1 VE-Verjährung. 406 30 Jahre gemäß Art. 130 VE-Verjährung. 407 Kritisch zu dieser Alternative Huguenin/Purtschert/Thouvenin, HAVE 2012, 76, 79; sowohl die 30-jährige Frist als auch die 20-jährige Alternative ablehnend G. Chappuis, HAVE 2012, 72, 74. 408 Art. 129 Abs. 2 Ziff. 1 VE-Verjährung. 409 Bundesamt für Justiz, Bericht zum Vorentwurf Verjährungsrecht, 21. 401
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Letztlich ist die Verlängerung der Verjährungsfrist für den Endhersteller in den hier interessierenden Fällen allerdings nur von begrenztem Nutzen. Schließlich kann er – so wie unter dem CISG – vertragliche Ansprüche gegen den Zulieferer bereits dann nicht mehr geltend machen, wenn er nicht innerhalb von zwei Jahren nach Ablieferung die Mangelhaftigkeit des Zulieferteils gerügt hat. 410 Angesichts der Tatsache, dass Rückrufaktionen nicht selten aufgrund verdeckter Mängel durchgeführt werden müssen, die erst Jahre nach Inverkehrbringen sichtbar werden 411 (man denke beispielsweise an die Hüftgelenksprothesen, die nach einigen Jahren korrodierten 412), ist der vertragsrechtliche Rückrufkostenregress dadurch signifikant eingeschränkt. II. Gesetzliche Ansprüche 1.
Deliktsrecht und Bereicherungsrecht
Die delikts- und bereicherungsrechtlichen Regressansprüche unterliegen in beiden Rechtsordnungen einem System aus relativer und absoluter Verjährungsfrist. 413 Nach geltendem Schweizer Recht beträgt die Dauer der relativen Frist ein Jahr ab Kenntnis vom Anspruch und der Person des Anspruchsgegners, 414 nach deutschem Recht sowie nach dem schweizerischen Vorentwurf hingegen drei Jahre. 415 Die dreijährige Frist beginnt gemäß Art. 128 Abs. 2 VE-Verjährung ebenfalls mit der Kenntnis vom Anspruch und vom Schuldner. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB ist der Schluss des Jahres maßgeblich, in dem der Gläubiger die entsprechende Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Die absolute Frist ist jeweils zehn Jahre lang, nach dem Alternativvorschlag des Vorentwurfs sogar 20 Jahre, und beginnt mit der Entstehung respektive Fälligkeit des
410
Artt. 201 Abs. 4, 370 Abs. 4 VE-Verjährung. Gerade Fehler, die erst nach jahrelangem Gebrauch sichtbar werden, werden durch Tests vor dem Inverkehrbringen häufig nicht entdeckt. 412 So der Sachverhalt, der der Entscheidung des BGer, 18.03.2011, BGE 137 III 226, 233, E. 4.2 (mit Anmerkung Junod, AJP 2011, 1177 ff.), zugrunde lag. In diesem Fall wurde zwar davon ausgegangen, dass es sich um ein Entwicklungsrisiko handelte, es sind jedoch auch andere Konstellationen bzw. Einschätzungen vorstellbar. 413 Artt. 60 Abs. 1, 67 Abs. 1 OR bzw. Artt. 128 Abs. 1, 129 Abs. 1 VE-Verjährung; §§ 195, 199 Abs. 2, 3, 4 BGB. 414 Artt. 60 Abs. 1, 67 Abs. 1 OR. Das Erfordernis der Kenntnis von der Person des Anspruchsgegners ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Art. 67 Abs. 1, wird aber nach allgemeiner Meinung zu der Kenntnis vom Anspruch gerechnet; siehe statt vieler aus der Rechtsprechung BGer, 10.06.2003, BGE 129 III 503, 506, E. 3.4; aus der Literatur Huwiler in BaslerKomm-OR I, Art. 67, Rz. 9, jeweils m.w.N. 415 § 195 BGB; Art. 128 Abs. 1 VE-Verjährung. 411
C. Verjährung
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Anspruchs. 416 Nach dem Vorentwurf besteht eine Abweichung für Schadensersatzansprüche, für die der Tag der schädigenden Handlung den Fristbeginn darstellt. 417 Während die bereicherungsrechtlichen Ansprüche überhaupt erst mit Durchführung der Rückrufaktion entstehen und nach dem Gesagten auch frühestens dann zu verjähren beginnen, stellt sich die Situation für die deliktsrechtlichen Ansprüche anders dar. In diesen Fällen entsteht der Anspruch bereits mit dem Einbau der fehlerhaften Zulieferteile, durch den das Eigentum des Endherstellers an den übrigen, unversehrten Teilen beeinträchtigt wird. 418 Die nach dem Vorentwurf maßgebliche schädigende Handlung dürfte sogar bereits in der Lieferung der Zulieferteile zu sehen sein. In einzelnen Fällen könnten die deliktsrechtlichen Ansprüche demnach aufgrund der absoluten Frist bereits vor Durchführung des Rückrufs verjährt sein. 2.
Solidarschuldnerausgleich
Hinsichtlich der Verjährung des Ausgleichsanspruchs unter Solidarschuldnern herrscht in der Schweiz bis heute eine gewisse Unklarheit. Es besteht jedoch zumindest insoweit Einigkeit, als die Verjährung für den selbständigen Regressanspruch nicht vor der Leistung des Regressberechtigten an den Gläubiger beginnen können soll. 419 Für die Fälle des Rückrufkostenregresses entspricht dieser Zeitpunkt der Durchführung der Rückrufaktion. Zusätzlich hält das Bundesgericht für den Beginn der relativen Verjährung die Kenntnis des Regressgläubigers von seiner Forderung und der Person des Regressschuldners für erforderlich. 420 Die Länge der relativen Verjäh416
Art. 127 OR; Art. 129 Abs. 1 VE-Verjährung; § 199 Abs. 3 Ziff. 1 BGB. Das deutsche Recht sieht in § 199 Abs. 3 Ziff. 2 BGB eine zusätzliche 30-jährige Frist ab dem den Schaden auslösenden Ereignis vor. Diese Frist dürfte jedoch für die Fälle des Rückrufregresses keinerlei Relevanz erlangen. Schließlich beginnt die zehnjährige Frist mit der Entstehung des Anspruchs und damit mit dem Einbau der fehlerhaften Zulieferteile. Dementsprechend verjährt der deliktsrechtliche Schadensersatzanspruch des Endherstellers zehn Jahre nach Einbau. Dieser Zeitpunkt wird wohl immer früher liegen als 30 Jahre nach Lieferung der mangelhaften Zulieferteile. 417 Art. 129 Abs. 2 Ziff. 1 VE-Verjährung. Äußerst kritisch zu dieser Regelung: P. Widmer, HAVE 2012, 92 f. 418 Siehe dazu oben S. 207 f. 419 BGer, 26.09.2006, BGE 133 III 6, 28, E. 5.3.5; Brehm in BernerKomm, Art. 51 OR, Rz. 141; W. Ernst, FG Schweizerischer Juristentag, 175, 178 f.; Fellmann/ Kottmann, Rz. 3082; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 575; Romy in CR CO I, Art. 148, Rz. 14; Schweighauser, 253; Schwenzer, OR AT, Rz. 88.39. 420 BGer, 26.09.2006, BGE 133 III 6, 28, E. 5.3.5 (allerdings für Fälle der unechten Solidarität; zur Übertragbarkeit der Entscheidung auf Fälle echter Solidarität im Bereich des Haftpflichtrechts Weiss, 185 f.); Casanova, 117 f.; Heierli/Schnyder in BaslerKommOR I, Art. 51, Rz. 12a, Art. 149, Rz. 1b; A. Koller, OR AT, § 75, Rz. 216; Pichonnaz/
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
rungsfrist richtet sich einer Auffassung zufolge nach der Frist, die für den Anspruch des Gläubigers gegen den Regressschuldner maßgeblich war, 421 eine andere Ansicht plädiert dafür, immer eine einjährige Frist anzuwenden 422. 423 Für den Rückrufkostenregress muss diese Frage nicht entschieden werden, da aufgrund der deliktsrechtlichen Natur der Rückrufpflicht nach der ersten Ansicht die deliktsrechtliche Frist nach Art. 60 Abs. 1 OR und somit auch eine Jahresfrist anzuwenden wäre. In Ergänzung zu der relativen Frist gilt nach dem Bundesgericht und einer Reihe von Literaturstimmen eine absolute zehnjährige Frist. Deren Beginn wird von einigen auf die schädigende Handlung, von anderen auf die Zahlung an den Gläubiger festgelegt. 424 Anders als im Rahmen des deliktsrechtlichen Anspruchs ist für den Rückrufregress nach den Regeln der Solidarschuld der schädigenden Handlung die Entstehung der Rückrufpflicht gleichzusetzen; der Zahlung an den Gläubiger entspricht die Durchführung des Rückrufs. Im Vorentwurf zum Verjährungsrecht wurde bewusst darauf verzichtet, die Verjährungsfragen im Zusammenhang mit der Solidarschuld zu regeln. 425 Nach Auffassung des Bundesamtes für Justiz erübrigen sich die betreffenden Fragen jedoch aufgrund der vorgeschlagenen Neuregelung. So soll der Regressanspruch gemäß der allgemeinen Regelung innerhalb von drei Jahren ab Kenntnis von der Forderung und der Person des Ver-
Werro, BR 2007, 48, 49 ff.; die Kenntnis hingegen nicht für nötig haltend: W. Ernst, FG Schweizerischer Juristentag, 175, 180; Fellmann/Kottmann, Rz. 3082; Romy in CR CO I, Art. 148, Rz. 14; nur auf die Leistung abstellend, die Notwendigkeit der Kenntnis jedoch nicht explizit ablehnend: Rey, Rz. 1722; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 575; Schwenzer, OR AT, Rz. 88.39. 421 Heierli/Schnyder in BaslerKomm-OR I, Art. 149, Rz. 1b; Roberto, Haftpflichtrecht, Rz. 575; Schwenzer, OR AT, Rz. 88.39; in diese Richtung auch OGer Solothurn, 22./25.02.2000, SOG 2000, 13, 14. 422 BGer, 31.01.1989, BGE 115 II 42, 49, E. 2.a; Brehm in BernerKomm, Art. 51 OR, Rz. 143; Casanova, 117; A. Koller, OR AT, § 75, Rz. 216; Mazan in HandKomm, Art. 50, Rz. 24a; Pichonnaz/Werro, BR 2007, 48, 49 ff.; Weiss, 171 f. 423 Zu den weiteren Ansichten, die von einzelnen Stimmen in der Literatur vertreten werden, umfassend Weiss, 157 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 424 Für eine absolute Zehnjahresfrist: BGer, 26.09.2006, BGE 133 III 6, 28, E. 5.3.5 (Beginn mit schädigender Handlung); BGer, 31.01.1989, BGE 115 II 42, 49, E. 2.a (ohne klare Aussage zum Verjährungsbeginn); Brehm in BernerKomm, Art. 51 OR, Rz. 143 (Verjährungsbeginn ebenfalls unklar); Casanova, 118 ff. (Beginn mit schädigendem Ereignis); Heierli/Schnyder in BaslerKomm-OR I, Art. 51, Rz. 12a, Art. 149, Rz. 1b (Beginn erst mit Leistung an Gläubiger); Mazan in HandKomm, Art. 50, Rz. 24a (Beginn mit schädigender Handlung); Romy in CR CO I, Art. 148, Rz. 15 (Beginn mit schädigender Handlung); Weiss, 182 ff. (Beginn mit Leistung an Gläubiger); dagegen lehnt A. Koller, OR AT, § 75, Rz. 216 eine zusätzliche zehnjährige Frist ab. 425 Bundesamt für Justiz, Bericht zum Vorentwurf Verjährungsrecht, 22. Dies bedauert Werro, HAVE 2012, 70, 71 f.
C. Verjährung
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pflichteten verjähren, in jedem Fall aber innerhalb von zehn Jahren ab Fälligkeit der Forderung, 426 d.h. Durchführung der Rückrufaktion. Nach deutschem Recht entsteht der gesamtschuldnerische Ausgleichsanspruch hingegen bereits mit Begründung der Gesamtschuld. 427 Die dreijährige Verjährungsfrist 428 beginnt daher gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Endhersteller Kenntnis von allen anspruchsbegründenden Umständen hat oder haben müsste. Dazu gehört auch die Kenntnis von „den Umständen, die im Innenverhältnis eine Ausgleichspflicht begründen.“ 429 Entsprechend wird diese Frist für den Rückrufkostenregress regelmäßig jedenfalls nicht vor Durchführung der Rückrufaktion beginnen. Nach § 199 Abs. 4 BGB verjährt der Ausgleichsanspruch in jedem Fall spätestens zehn Jahre nach Entstehung der Gesamtschuld, d.h. nach Entstehung der Rückrufpflicht. 3.
Geschäftsführung ohne Auftrag
Für die Geschäftsführung ohne Auftrag gelten nach deutschem Recht und dem schweizerischen Vorentwurf dieselben Fristen wie für Delikts- und Bereicherungsrecht: eine relative dreijährige Frist ab Kenntnis und eine absolute zehnjährige Frist ab Entstehung bzw. Fälligkeit. 430 Unter derzeitigem schweizerischem Recht jedoch gilt nach überwiegender Ansicht ausschließlich die regelmäßige zehnjährige Verjährungsfrist nach Art. 127 OR, welche mit der Fälligkeit des Anspruchs zu laufen anfängt. 431 426
Artt. 128, 129 VE-Verjährung. Siehe dazu Bundesamt für Justiz, Bericht zum Vorentwurf Verjährungsrecht, 22. 427 Ständige Rechtsprechung, siehe nur aus neuerer Zeit BGH, 18.06.2009, NJW 2010, 60, 61, E. 12 m.w.N.; aus dem Schrifttum Gehrlein in BeckOK-BGB, § 426, Rz. 3a; Grüneberg in Palandt, § 426, Rz. 4; Looschelders in Staudinger, § 426, Rz. 7; Schulze in Schulze et al., § 426, Rz. 3. 428 Zur Maßgeblichkeit der regelmäßigen Verjährungsfrist für den Gesamtschuldnerausgleich unabhängig von den die Gesamtschuld begründenden Ansprüchen: BGH, 09.03.1972, NJW 1972, 942, 942 f., zum damals geltenden Recht; nach der Schuldrechtsreform etwa OLG Koblenz, 16.01.2008, OLGR Koblenz 2008, 495, E. 59; Bydlinski in MüKoBGB6, § 426, Rz. 12; Looschelders in Staudinger, § 426, Rz. 15 f.; Schulze in Schulze et al., § 426, Rz. 4. Zu diesem Grundsatz werden einige Ausnahmen diskutiert, darunter insbesondere die Frage, ob in einer Lieferkette für Ansprüche der Endabnehmer gegen den Zwischenerwerber die gewährleistungsrechtlichen Verjährungsfristen auch auf den Gesamtschuldnerausgleich anzuwenden sind. Speziell für die Fälle des Rückrufkostenregresses hat Kreidt, 257 ff., diesen Vorschlag jedoch mit überzeugenden Argumenten abgelehnt. 429 BGH, 18.06.2009, NJW 2010, 60, 62, E. 21; ebenso Gehrlein in BeckOK-BGB, § 426, Rz. 3a; Schulze in Schulze et al., § 426, Rz. 4. 430 §§ 195, 199 Abs. 1 BGB; Artt. 128, 129 VE-Verjährung. 431 BGer, 08.10.1929, BGE 55 II 262, 265; Weber in BaslerKomm-OR I, Art. 422, Rz. 16; J. Schmid in ZürcherKomm, Art. 422, Rz. 83, jeweils m.w.N.
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Teil 2: Der Regress gegen den Zulieferer
Somit beginnt die Verjährung für Regressansprüche des Endherstellers hinsichtlich der Rückrufkosten, welche sich auf die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag stützen, jedenfalls nicht vor Durchführung der Rückrufaktion.
D. Schlussbetrachtung D. Schlussbetrachtung
Die Untersuchung hat gezeigt, dass das geltende Recht in der Schweiz und in Deutschland sachgerechte Regressregeln für den vom Endhersteller durchgeführten Rückruf bereithält. Sie wahren sowohl die Interessen beider beteiligten Parteien als auch das gesellschaftliche Interesse an der Produktsicherheit. Auf Basis vertraglicher Ansprüche kann der Endhersteller die Rückrufkosten vom Zulieferer grundsätzlich unabhängig vom Bestehen einer Rückrufverpflichtung des Zulieferers erstattet verlangen, soweit der Rückruf im Zeitpunkt seiner Durchführung eine vernünftige Maßnahme darstellte. Allerdings unterliegen die vertraglichen Ansprüche zwei wesentlichen Einschränkungen: Erstens sind sie zeitlich verhältnismäßig eng begrenzt und scheiden somit bei erst spät auftretenden Gefahren aus. Zweitens greifen die Schadensersatzansprüche des Endherstellers nach unvereinheitlichtem Recht nur, wenn der Zulieferer den Fehler zu vertreten hat, und deswegen nicht bei Entwicklungsrisiken und Ausreißern. Während der Regressanspruch aus Deliktsrecht aufgrund seiner geringen Reichweite insgesamt zu vernachlässigen ist, bilden die übrigen gesetzlichen Anspruchsgrundlagen eine sinnvolle Ergänzung zu den vertraglichen Ansprüchen. Sie unterliegen nicht denselben Einschränkungen wie letztere und sind insofern für den Endhersteller vorteilhafter. Allerdings setzen die Ansprüche aus Solidarschuldnerausgleich, Geschäftsführung ohne Auftrag und Bereicherungsrecht jeweils voraus, dass der Zulieferer (und bei der Solidarschuld zudem der Endhersteller) zum Rückruf verpflichtet war. Hierfür ist eine Verkehrspflicht jeweils ausreichend, auf das Bestehen von Rückrufansprüchen kommt es dagegen nicht an. Die so geregelte Verteilung des Risikos eines Produktrückrufs zwischen Endhersteller und Zulieferer erscheint im Ergebnis sachgerecht. Zum einen ist bei Vorliegen der jeweiligen Regressvoraussetzungen für die Höhe der ersatzfähigen Kosten grundsätzlich auf eine objektivierte ex-ante-Betrachtung abzustellen. Dadurch werden die Interessen des Endherstellers insofern angemessen berücksichtigt, als er das Prognoserisiko hinsichtlich des Inhalts der Rückrufpflicht nicht alleine trägt. Zum anderen muss der Zulieferer außerhalb der vertraglichen Sonderbeziehung die Rückrufkosten nur dann übernehmen, wenn er selbst zum Rückruf verpflichtet war. Schließ-
D. Schlussbetrachtung
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lich erlaubt das Bereicherungsrecht dem Endhersteller, jedenfalls den Vorteil auf Seiten des Zulieferers abschöpfen, den dieser durch den Rückruf des Endherstellers erlangt hat. Auch dem gesellschaftlichen Interesse daran, dass Produkte bei entsprechender Gefährdungslage zurückgerufen und somit Schäden möglichst vermieden werden, wird durch diese Regressordnung Genüge getan. Insbesondere ist gewährleistet, dass der Endhersteller durch Erfüllung seiner Rückrufpflichten im Regressverhältnis gegenüber dem Zulieferer nicht schlechter gestellt wird als bei Schadenseintritt. Insofern besteht im Hinblick auf den Anspruch gegen den Zulieferer ein Gleichlauf zwischen der Erstattung der Rückrufkosten auf der einen und eines etwaigen Haftungsschadens auf der anderen Seite. Dadurch wird das Risiko minimiert, dass der Endhersteller seiner Rückrufpflicht nur deswegen nicht nachkommt, weil ihm daraus im Rahmen des Regresses finanzielle Nachteile entstünden. Es erscheint nur eine einzige Ausnahme denkbar, in der der Zulieferer zwar bei Schadenseintritt haftpflichtig wäre, außerhalb des Vertragsrechts aber nicht für die Rückrufkosten aufkommen müsste. Dabei handelt es sich um die Konstellation, in der der Fehler des Zulieferteils für den Zulieferer ein Entwicklungsrisiko darstellt, aufgrund wissenschaftlichen und technischen Fortschritts für den Endhersteller aber die Pflichtwidrigkeit des Inverkehrbringens des Endprodukts begründet. Soweit die Zumutbarkeitsabwägung für den Zulieferer hier zu einer Warnpflicht führt, für den Endhersteller aber zu einer Rückrufpflicht, kann es für letzteren wirtschaftlich sinnvoller erscheinen, seiner Rückrufpflicht nicht nachzukommen und gemeinsam mit dem Zulieferer für den eintretenden Schaden zu haften. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Rückrufpflicht für den Zulieferer unter diesen Umständen überhaupt nur dann unzumutbar sein kann, wenn keine ernsten Personenschäden drohen. Überdies wird die beschriebene Konstellation so selten auftreten, dass sie als zu vernachlässigender Sonderfall anzusehen ist. Im Ergebnis sind die Wertungen der Rückrufregressordnung daher durchweg überzeugend, sowohl in Bezug auf die Risikoverteilung zwischen Endhersteller und Zulieferer als auch in Bezug auf das gesamtgesellschaftliche Interesse an der Sicherheit im Verkehr befindlicher Produkte.
Thesen 1. Aus dem deutschen und aus dem schweizerischen Deliktsrecht, nicht jedoch aus den entsprechenden Produkthaftungsgesetzen, kann sich für den Hersteller eines gefährlichen Produkts die Pflicht ergeben, dieses zurückzurufen. Öffentlich-rechtliche Rückrufpflichten haben auf die zivilrechtliche Rückrufpflicht keinen Einfluss, sofern ein Rückruf nicht behördlich angeordnet wurde. (S. 39 ff.) 2. Soweit eine Reaktionspflicht des Herstellers besteht, gelten richtigerweise folgende Grundsätze für die Rückrufverkehrspflicht: − An der Erforderlichkeit eines Rückrufs mangelt es nur in Fällen eines anfänglichen oder nachträglichen Instruktionsfehlers. In allen übrigen Konstellationen ist eine Warnung entweder weniger gut zur Gefahrenabwehr geeignet oder stellt kein milderes Mittel dar. Dies hat zwei Gründe: zum einen ist als relevante Bezugsgruppe für die Erfolgswahrscheinlichkeit der gesamte betroffene Personenkreis in den Blick zu nehmen; und zum anderen ist ein Mittel jedenfalls bei der Bestimmung von Verkehrspflichten nur dann als milder anzusehen, wenn es für wenigstens einen Betroffenen eine geringere und für sämtliche anderen keine höhere Belastung darstellt. (S. 51 ff., 111 f.) − Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung bedarf es einer umfassenden Abwägung. Weder ist bei Vorliegen von Fabrikations- oder Konstruktionsfehlern stets eine Rückrufpflicht anzunehmen, noch ist sie bei Entwicklungsrisiken oder Ausreißern stets abzulehnen. Auch Selbstschutzmöglichkeiten der Gefährdeten oder die ausschließliche Gefährdung von Sachgütern lassen eine Rückrufpflicht nicht per se entfallen. Die Gefährdung von Personen und insbesondere von Dritten ist hingegen ein starkes Indiz für die Zumutbarkeit einer Rückrufaktion. Auch die Möglichkeit der Versicherung von Rückrufkosten wegen drohender Personenschäden führt dazu, dass eher von der Zumutbarkeit einer Rückrufaktion auszugehen ist. Dagegen kann die Versicherbarkeit von Produkthaftpflichtschäden nicht zur Begründung einer Rückrufpflicht herangezogen werden. (S. 64 ff., 112) − Bei der Bestimmung des Inhalts der Rückrufpflicht muss dem Verbraucherverhalten Rechnung getragen werden, um eine möglichst effektive Gefahrenabwehr zu gewährleisten. Daraus resultiert eine um-
Thesen
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fassende Kostentragungspflicht des Herstellers, wenn die Produkte sich in den Händen von Verbrauchern befinden, sie Rechtsgüter Dritter gefährden sowie aufgrund ihrer Unentbehrlichkeit ein Nutzungsverzicht nicht zu erwarten ist. Ein Abzug „neu für alt“ ist – insbesondere in Form einer Zuzahlung durch die Verbraucher – auch bei verzichtbaren Produkten abzulehnen; der Hersteller kann hier höchstens bei Erstattung des Kaufpreises eine anteilige Herabsetzung vornehmen, wenn der Verbraucher das Produkt bereits mindestens für den Zeitraum eines Viertels seiner üblichen Gebrauchsdauer in Besitz hatte. Unter Umständen kann der Hersteller auch verpflichtet sein, weitere Kosten zu tragen, die durch den Rückruf entstehen. In jedem Fall muss er gewährleisten, dass den Eigentümern fehlerfreier Produkte keinerlei Kosten entstehen. (S. 94 ff., 112 ff.) 3. In zeitlicher Hinsicht ist die Rückrufverkehrspflicht begrenzt durch die zu erwartende Gebrauchsdauer des Produkts bzw. durch die absoluten deliktsrechtlichen Verjährungsfristen, sofern diese früher enden. (S. 116 ff.) 4. Parallel zu der Rückrufverkehrspflicht kann grundsätzlich auch ein Anspruch auf Rückruf bestehen. Dieser findet seine normative Grundlage in § 1004 Abs. 1 BGB (analog) bzw. in Art. 641 Abs. 2 oder in Art. 28a Abs. 1 ZGB, üblicherweise in der Form eines Unterlassungsanspruchs. Deliktsrechtliche Ansprüche auf Produktrückruf bestehen hingegen regelmäßig nicht. (S. 121 ff.) 5. Bei arbeitsteiliger Produktion richtet sich die Rückrufpflichtigkeit nach der jeweiligen Verantwortlichkeit von Endhersteller und Zulieferer. Sie können jeweils einzeln oder auch gemeinsam verpflichtet sein. (S. 151 ff.) 6. Der Regress des Endherstellers gegen den für die Gefährlichkeit des Produkts verantwortlichen Zulieferer kann – unter unterschiedlichen Voraussetzungen und in unterschiedlichem Umfang – grundsätzlich auf vertrags-, delikts- und bereicherungsrechtlicher Grundlage sowie über die Regeln des Gesamtschuldnerausgleichs und diejenigen der Geschäftsführung ohne Auftrag erfolgen. (S. 161 ff.) 7. Aus Präventionsgründen sollte die Verteilung der Rückrufkosten zwischen Endhersteller und Zulieferer mit der Kostentragung bei Produkthaftungsschäden gleichlaufen. Etwas anderes gilt, wenn der Endhersteller die Rückverfolgbarkeit (traceability) der Zulieferteile nicht gewährleistet hat. (S. 240 ff.)
Materialienverzeichnis Gesetze * Bundesrepublik Deutschland Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002, BGBl. 2002 I 42, 2909; 2003 I 738, (zit.: BGB). Geräte- und Produktsicherheitsgesetz vom 6. Januar 2004, BGBl. 2004 I 2, 219, in Kraft bis 30.11.2011 (zit.: GPSG). Gesetz über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt vom 8. November 2011 (Produktsicherheitsgesetz), BGBl. 2011 I 2179; 2012 I 131 (zit.: PrSG-D). Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte vom 15. Dezember 1989 (Produkthaftungsgesetz), BGBl. 1989 I 2198 (zit.: PrHG-D). Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 4100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung (zit.: HGB). Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch vom 1. September 2005, BGBl. 2005 I 2618 (zit.: LFGB). Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005, BGBl. 2005 I 3202 (2006 I 431) (2007 I 1781) (zit.: ZPO-D).
Schweizerische Eidgenossenschaft Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Produktesicherheit, SR 930.11 (zit.: PrSG-CH) Bundesgesetz vom 18. Juni 1993 über die Produktehaftpflicht (Produktehaftpflichtgesetz), SR 221.112.944 (zit.: PrHG-CH). Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 über den unlauteren Wettbewerb, SR 241 (zit.: UWG-CH). Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht), SR 220 (zit.: OR). Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung vom 23. November 2005, SR 817.02 (zit.: LGV). Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210 (zit.: ZGB).
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Bei Gesetzen und sonstigen Rechtsnormen, die in dieser Arbeit nur einmal Erwähnung finden, sind die entsprechenden Angaben in der jeweiligen Fußnote enthalten.
Materialienverzeichnis
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Sachregister Abbedingung der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit 178 ff. Abzug „neu für alt“ 92, 98 ff., 108, 114, 253 aliud 197 f. Anreizzahlungen 4, 92 f., 101, 195 Anspruch auf Rückruf, siehe Rückrufanspruch Äquivalenzinteresse 50, 65, 89 ff., 93, 102, 209 Arbeitsteilung 141 ff. Ausbaukosten 4, 91, 108, 194 f., 200 Ausreißer 29, 34, 38, 64, 69 ff., 84, 88, 120 f., 151, 160, 172, 183, 206, 250, 252 Australien 13 Behörde, siehe Marktüberwachungsbehörde bereicherungsrechtlicher Regressanspruch 235 ff. – Bereicherungsgegenstand 237, 239 – Ersparnisbereicherung 238 ff. – Tilgung der Schuld des Zulieferers 236 – Verbindlichkeit des Zulieferers 236 ff. – Verjährung 246 f. – Wert der Bereicherung 237, 239 f. Beweislast 17, 20 ff., 132, 204, 225 ff. bystanders 83, 86, 92, 131 China 13 CISG – Anwendbarkeit 163 ff. – Personenschäden 165 ff. Contergan-Fall 37 f. deliktsrechtlicher Regressanspruch 206 ff.
Eigentumsverletzung, siehe dort Verhältnis zum Vertragsrecht 210 f. Verjährung 246 f. Verletzung von Schutzgesetzen/ -normen 209 Direktvertrieb 8 Duldungspflicht 132, 136 – – – –
Effektivität der Gefahrenabwehr 50, 60, 88, 94 ff., 112 f., 202 Eigentumsverletzung/-gefährdung/ -schutz 73, 77 f., 91, 104, 107, 112 f., 123 ff., 137, 139, 206 ff., 247 – Gebrauchsbeeinträchtigung 208 – Produktionsschaden 207 Einbau – von Ersatzteilen/Sicherungen 4, 28, 92, 185, 194 ff. – von Zulieferteilen 153, 156, 175, 194 ff., 198, 201, 247 Einbaukosten 4, 91, 108, 194 ff., 200 Einklagbarkeit – der Rückrufverkehrspflicht 18, 128 ff., 216, 237, siehe auch Rückrufanspruch – von Verkehrspflichten 27, 128 ff., 137 Endabnehmer 5, 8 f., 48, 55, 71, 92, 204 f., 236 Endhersteller, Vorgaben an den Zulieferer, siehe Verantwortungsbereiche von Endhersteller und Zulieferer Endhersteller-Zulieferer-Beziehung, siehe Arbeitsteilung, siehe Zuliefervertrag Entsorgung des Produkts 4, 89, 93, 104, 193, 195 Entwicklungsfehler, siehe Entwicklungsrisiko
278
Sachregister
Entwicklungsrisiko 28 ff., 34, 56, 61 f., 64, 67 ff., 71, 78, 81 f., 84 ff., 88, 106, 112, 120 f., 135 f., 160, 172, 183, 206, 250 ff. – Fabrikation 31, 61 f. – Instruktion 30 f., 56 f., 61 f., 68, 88 – Konstruktion 30, 61, 88 Erfolgsaussichten. – eines Rückrufs 52 f., 55, 93, 95, 109, 113, 252 – einer Warnung 51 ff., 55, 252 Erforderlichkeit des Rückrufs 13, 47 ff., 53 ff., 59 f., 62, 68, 74, 87, 94, 111 f., 252 – gleiche Eignung 51 ff. – milderes Mittel, siehe dort – Rückruf als ultima ratio 60 – schutzbedürftigste Personengruppe 52 f. Erfüllungsort bei Nacherfüllung, siehe Nacherfüllungsanspruch des Endherstellers Ermessen 13, 41 f., 55, 219, 232 – Reduktion auf null 42, 233 ex-ante-Betrachtung 54, 75 f., 132, 188, 223 f., 250 ex-post-Betrachtung 54 Fabrikationsfehler 28, 31, 38, 61 f., 64 ff., 68 f., 71, 79, 84, 88, 92, 113, 117, 129, 131, 150, 159 f., 175, 196, 242 Fehler, unbehebbarer 91 fehlerfreies Produkt 96, 103 f., 113 f., 129, 172, 209, 242, 253 Fehlerkategorien 43, 64 Flaschen 70, 117 Garagenkipptor-Fall 17, 28 Gaszug-Fall 76 Geeignetheit der Gefahrenabwehrmaßnahme 47 f. Gefährdung – der Produkteigentümer/-nutzer 83 – konkrete 124, 129 ff., 139 – Verdacht 131, 174 – von bystanders/Dritten 50, 83, 86, 88, 92, 94, 101, 106, 108, 252 f. – von Kindern 52
– von Personen 16, 38, 40, 49, 63, 73, 86 ff., 92, 112, 120, 130 f., 189, 252 – von Sachen, siehe Sachgefährdung, reine Gefahrenabwehr 36, 46 ff., 52 ff., 60, 63 f., 67 ff., 72, 79, 82 f., 88 f., 91, 94, 117, 120, 126, 134 f., 156, 158, 167, 209, 217, 242, 252 – Effektivität, siehe dort Gefahrenbeseitigung 3 f., 9, 35, 45 f., 54 f., 57, 63, 66 f., 88, 94, 104, 106 ff., 113 Gefahrensatz 24 ff., 33, 109 Gefahrsteuerung, Möglichkeit 81, 147, 150, 153, 155 f., 159 Gehilfe, siehe Hilfsperson Gesamtschuld, siehe Solidarschuld als Regressgrundlage Geschäftsführung ohne Auftrag als Regressgrundlage 220 ff. – Beweislast 225 ff. – öffentliches Interesse 229 f., 233 – pflichtgebundener Geschäftsführer 226, 228 f. – Verjährung des Regressanspruchs 249 f. Geschäftsherrnhaftung 20 f., 23 Gewährleistungsrecht 75 f., 89, 108, 162, 197, 201 Grundstoffe 8, 70, 146 Haftpflichtschaden, siehe Haftungsschaden Haftung – deliktsrechtlich, siehe deliktsrechtlicher Regressanspruch, siehe Rückrufpflicht, siehe Verkehrspflicht – des Geschäftsherrn, siehe Geschäftsherrnhaftung – Kanalisierung 155 – verschuldensabhängig 84, 112, 182 ff., 200, 208 – verschuldensunabhängig 43 f., 112, 182, 185, 187, 199 f., 205 Haftungsrisiko 118, 120, 237 Haftungsschaden 85, 186, 191 f., 240, 252 f. Heizkessel-Fall 32, 35 Herstellerpflicht 23, 43, 113, 154, siehe auch Sorgfaltspflicht
Sachregister – nach Inverkehrbringen, siehe Nachmarktpflichten Hilfsperson 22, 146, 182, 184 hindsight bias 55, 66 Hubstapler-Fall 197 Hühnerpest-Fall 20 Inhalt der Rückrufpflicht 88 ff., 107 ff. – Abzug „neu für alt“, siehe dort – Anreizzahlungen, siehe dort – Entfernung des Produkts aus den Händen der Nutzer 88 – Entsorgung des Produkts, siehe dort – Nachrüstung des Produkts, siehe dort – Prämie für Kooperation 88, 93 – Reparatur des Produkts, siehe dort – Rückerstattung des Kaufpreises, siehe dort – schadensrechtliche Grundsätze 99 f. – umfassende Kostentragung 97 f., 252 f. – Umtausch des Produkts, siehe dort – Verzicht auf Überprüfung der Produkte 93 f., 97, 103, 113 – Wert des Produkts 50, 78, 87, 91, 99 ff., 108, 110, 112 ff., 116, 154 – Zurverfügungstellen eines fehlerfreien Produkts 65, 89, 96, 209 – Zuzahlung durch den Eigentümer 92, 96, 98, 101, 103, 108, 253 Instruktionsfehler 43, 56, 61 f., 64, 84, 87 f., 106, 135, 189, 252 – nachträglicher 30 f., 56 f., 61 f., 68, 87, 189, 252 Instruktionspflicht 148 f. Integritätsinteresse 48, 51, 57 f., 75, 90, 209 Interessenabwägung 61 ff., 78, 133 ff., 189 Kanada 13 Kaufvertrag 192, 195, 200 – Abgrenzung zum Werkvertrag 163 f., 168 f. – Verbrauchsgüterkauf, siehe dort Kausalität 185, 188 f., 201 – Unterbrechung des Kausalzusammenhangs 80, 82 – Zurechnung 80, 185, 188 f., 202 Kleidung 2, 74, 98
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Konstruktionsfehler 28, 34, 38, 43, 49, 61 f., 64 ff., 68 f., 71, 74, 79, 84, 88, 92, 113, 117, 129, 131, 135, 150, 159, 252 Konstruktionsverantwortung/-leistung 142, 144 f. Konsumenten, siehe Verbraucher Körperverletzung 44, 66, 165 Kostenverteilung zwischen Endhersteller und Zulieferer 219 f., 234, 240 ff. – Gleichlauf mit Kostentragung bei Haftungsschaden 240 f. – Mehrkosten wegen mangelnder traceability 241 ff. Kraftfahrzeug 1, 3 f., 7, 11, 74, 76, 83, 95, 98, 100, 110, 114, 116, 130, 144, 153, 174, 194, 207, 241 Langzeitschäden 115 Langzeitwirkungen 30, 118, 121 Lederspray-Fall 16 Mangel des Zulieferteils 71, 151, 170 ff., 182 ff., 187, 192 ff., 203, 206, 244 ff. – verdeckter 176 f. Mängelbeseitigung 110, 187, 190 Mangelfolgeschaden 166, 189, 191 Marktüberwachungsbehörde 2, 13, 15, 40 ff., 55, 86, 174, 212, 232 Materialkosten 4, 91, 193, 195 f. milderes Mittel 48, 51, 58 ff., 111, 252 Mitverschulden 78, 81, 209 Nacherfüllungsanspruch des Endherstellers 192 ff., 198 ff. – Aus- und Einbaukosten 194 f., 200 – Erfüllungsort 193 – Recht zur zweiten Andienung 191 – Transportkosten 193 ff., 200 Nachmarktpflichten 17, 33 Nachrüstung des Produkts 4, 49 f., 52, 55, 62, 89 f., 92, 94, 96 f., 104, 209 Naturalrestitution 138 negatorischer Anspruch, siehe Rückrufanspruch „neu für alt“, siehe Abzug „neu für alt“ Nutzungsausfall 31, 93, 102, 108, 114, 195
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Sachregister
Nutzungsinteresse 50, 61, 65, 75, 89 ff., 98 peius 197 f. Personenschäden 16, 37, 64, 85 f., 88, 120 f., 165 ff., 189, 245, 251 f. – CISG 165 ff. Pflegebetten-Fall 49 f., 53 f., 57 f., 60, 66, 92, 94, 111, 139 Prävention 68, 213, 217, 241, 253 Produktbeobachtungspflicht 31 ff., 44, 67, 69, 71, 114 ff., 151 f., 158 – aktive 33 – passive 33, 158 – zeitliche Begrenzung 114 ff. Produkthaftungsgesetze 22, 30, 107, 112 f., 115, 119 f., 146 f., 149, 155, 206, 212, 252 Produkthaftungsrichtlinie 43 Produktrückruf, siehe Rückruf Produktsicherheit 2, 16 – gesellschaftliches Interesse 250 Produktsicherheitsrecht 2, 7, 9, 11 ff., 39 ff., 55, 73, 86, 116, 118, 151 Produktsicherheitsrichtlinie 9, 12 Prognoserisiko 217, 250 Qualitätssicherungsvereinbarung 149, 151, 178 f., 181 f., 184, 197 f., 218 quasi-negatorischer Anspruch, siehe Rückrufanspruch Reaktionspflichten 34 ff., 44 f., 52 f., 67 f., 94, 116, 252 Reaktionsschwelle 36, 38, 69 ff. Rechtswidrigkeit 25 f., 79, 81, 128, 132, 136, 189, 229, 239, siehe auch Widerrechtlichkeit Regress des Endherstellers gegen den Zulieferer 161 ff. – Anspruchsgrundlagen 161 ff. – Anspruch aus Bereicherungsrecht, siehe bereicherungsrechtlicher Regressanspruch – Anspruch aus Deliktsrecht, siehe deliktsrechtlicher Regressanspruch – Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag, siehe Geschäftsführung ohne Auftrag als Regressgrundlage
– Anspruch aus Produkthaftungsgesetz 206 – Anspruch aus Solidarschuld, siehe Solidarschuld als Regressgrundlage – Anspruch aus Vertrag, siehe vertragsrechtlicher Regressanspruch – Kostenverteilung zwischen Endhersteller und Zulieferer, siehe dort – Reparaturkosten 184, 190, 193 – Transportkosten 185, 193 ff., 200 – Verjährung 161 f., 204, 243 ff. Reparatur des Produkts 89 f., 92 f., 97 ff., 103 f., 107 ff., 155 f., 184, 190, 193 f., 196, 209, 243 Reparaturkosten, siehe Regress des Endherstellers gegen den Zulieferer Risikoverteilung 84, 134 f., 180, 215, 251 Röntgengeräte-Fall 3, 50, 57 f. Rückerstattung des Kaufpreises 4, 91, 101, 103, 108, 195, 209, 243 Rücknahme 9, 13, 41, 99, 107 f., 113 Rückruf – Anreizwirkung 55, 58, 92, 100 – Anspruch, siehe Rückrufanspruch – behördliche Anordnung 2, 11 ff., 36, 40 ff., 174, 188, 212 f., 221, 252 – freiwilliger 15 – Kosten 4, 6, 84 ff., 154, 161 ff., 165, 167, 170, 184 ff., 191 f., 200 ff., 204 ff., 209, 231, 234, 238 f., 242 f., 250 ff., siehe auch Inhalt der Rückrufpflicht – Verkehrspflicht, siehe Rückrufpflicht Rückrufanspruch 18, 52, 121 ff., 141, 157, 213 f., 221, 232, 236 f., 239, 253 – Aktivlegitimation 130 f., 132 f., 137 – Beseitigungsanspruch 124 f., 138 – Deliktsrecht 138 ff. – gegen den Zulieferer 157 f. – negatorischer 123 ff., 157, 213 f. – Passivlegitimation 137 f. – Persönlichkeitsschutz 123, 126 – quasi-negatorischer 123 ff., 157, 213 f. – Wettbewerbsrecht 123 Rückrufpflicht – Abgrenzung zur Warnpflicht 46 ff.
Sachregister – Bestehen 45 ff., 92, 104 ff., 133, 135 ff., 141, 153, 159, 232, 237, 239, 250 – des Zulieferers 152 ff. – Durchsetzung, siehe Rückrufanspruch – haftungsbegründende Funktion 34, 68 – Inhalt, siehe Inhalt der Rückrufpflicht – ipso iure 16 – ultima ratio, siehe Erforderlichkeit des Rückrufs – zeitliche Begrenzung 114 ff. Rückverfolgbarkeit, siehe traceability Rügeobliegenheit, siehe Untersuchungsund Rügeobliegenheit Rundballenraufen-Fall 32 Sachgefährdung, reine 72 ff., 87 f., 103, 107, 112, 120 Schachtrahmen-Fall 21, 28 Schadensersatz 34, 43 f., 73, 99, 114 f., 119 f., 125, 134, 138 ff., 165, 178, 182 ff., 189 ff., 195 ff., 200 f., 203, 206 ff., 212, 245, 247, 250 – bei unberechtigter Selbstvornahme 187, 196 f. – Differenzierung zwischen Schadensposten 189 ff. – Ersatz ersparter Aufwendungen 187, 196 – Haftungsschaden, siehe dort – Nacherfüllungsfrist 190, 196 – neben der Leistung 189 ff., 195 f. – Recht zur zweiten Andienung 191 – Schadensabwehrkosten 139 – statt der Leistung 189 ff., 196 – Vermögensfolgeschäden 93 – Vermögensschäden 85, 166, 206 Schadensminderungspflicht 188, 201 ff. Schutzgesetz/-norm 39, 40 f., 43, 209, siehe auch deliktsrechtlicher Regressanspruch Selbstschutzmöglichkeit 73, 78 ff., 88, 106, 132 ff., 252 Solidarschuld als Regressgrundlage 211 ff. – Entscheidungsfreiheit von Endhersteller und Zulieferer 215 ff. – Prognoserisiko 217 – Verjährung 247 ff.
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Sorgfaltspflicht 19, 23 f., 27, 29, 146 f., 151, siehe auch Herstellerpflicht – Verletzung 34 f., 84, 120, 158, 172 Stand von Wissenschaft und Technik 30 f., 160 Steuerungswirkung 65, 68, siehe auch Prävention Störer 137, 213 – Auswahl 60 – Eigenschaft 132, 137, 157, 212 traceability 131, 241 ff., 253, siehe auch Kostenverteilung Transportkosten, siehe Regress des Endherstellers gegen den Zulieferer – bei Nacherfüllung, siehe Nacherfüllungsanspruch Überprüfung der Produkte, Verzicht auf, siehe Inhalt der Rückrufpflicht ultima ratio, siehe Erforderlichkeit des Rückrufs Umtausch des Produkts 4, 89 f., 92, 96 f., 103 f., 109 UN-Kaufrecht, siehe CISG Unterlassungsanspruch 126 ff. – Anordnung einer Handlung 126 ff. – vorbeugend 124 f., 128 Untersuchungs- und Rügeobliegenheit 175 ff., 201, 210 – Abbedingung, siehe Abbedingung der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit USA 1, 7, 13, 101 Verantwortlichkeit des Zulieferers, siehe Vertretenmüssen Verantwortungsbereiche von Endhersteller und Zulieferer 141, 146 ff., 151, 154, 157 ff. – Vorgaben des Endherstellers 144, 147 ff., 150, 171 Verbraucher 2, 39, 51, 53 f., 72, 96 ff., 101, 155, 204 f., 209, 253 Verbraucherprodukte 17, 72, 101, 151 Verbraucherschutz 155, 209 Verbraucherverhalten 96 ff., 252 Verbrauchsgüterkauf 162, 194 f., 204 f. Verdacht der Gefährlichkeit 13, 36 f., 39, 67, 71, 131, 173 ff., 237
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Sachregister
– Mangel des Zulieferteils, siehe dort Verhältnismäßigkeit 47, 59 f., 68 f., 81, 87 f., 106 f., 112, 116, 137, 153 f., 159 f., 238 – Geeignetheit, siehe dort – Erforderlichkeit, siehe Erforderlichkeit des Rückrufs – im öffentlichen Recht 59 – Zumutbarkeit, siehe dort Verjährung, siehe Regress des Endherstellers gegen den Zulieferer Verkehrspflicht, siehe Herstellerpflicht, siehe Sorgfaltspflicht – Einklagbarkeit, siehe dort – Schutzbereich 76 Verschulden 21, 25 f., 29, 40, 43 f., 63, 84, 112, 128, 182 ff., 187, 199 f., 205, 208, 215 ff., 219, 240 – Mitverschulden, siehe dort Versicherbarkeit 25 – Auswirkung auf Zumutbarkeitsabwägung 83 ff., 252 Versicherung 5, 84 ff., 153, 155, 238, 252 – Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung 85 vertragsrechtlicher Regressanspruch 161 ff. – Abbedingung der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit, siehe dort – anwendbares Vertragsrechtsregime 163 ff. – Kausalität, siehe dort – Nacherfüllungsanspruch des Endherstellers, siehe dort – Recht zur zweiten Andienung, siehe Nacherfüllungsanspruch des Endherstellers – Schadensersatz, siehe dort – Verbrauchsgüterkauf, siehe dort – Verjährung 244 ff. – Vertretenmüssen, siehe dort – Voraussehbarkeit 185 f., 189 Vertretenmüssen 182, 190, 192, 195 – Garantie 182 ff. – Hilfsperson, siehe dort
– Verantwortlichkeit des Zulieferers 182 ff. Vollzugsdefizit 14 Warnung 9, 34 f., 46, 48 ff., 61 f., 64 ff., 68, 70, 74, 79 ff., 87, 94, 106 f., 111, 113, 118, 151, 252 Weiterfresser 75 ff., 87, 107, 113 Werklieferungsvertrag 163, 168 f. Werkvertrag 168 ff., 175, 177 f., 182, 190, 193 f., 196, 198 ff., 203, 244 – Abgrenzung zum Kaufvertrag 163 f., 168 f. Wettbewerbsrecht 123 Widerrechtlichkeit 26, 39 f., 75, siehe auch Rechtswidrigkeit Zulieferer – Auftragsfertiger 144 f., 147 f., 152, 159, 164, 170 f., 228 – Problemlöser 144 f., 147 f., 152, 164 f., 170, 227 – Rückrufanspruch, siehe dort – Rückrufpflicht, siehe dort – Standardteilehersteller 144 f., 147 f. 164, 169 f. – Verantwortlichkeit, siehe Vertretenmüssen – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit 153 Zuliefervertrag 163 ff., 178, 181 f., 192, 200, 210, 220, 235, 243 – anwendbares Vertragsrechtsregime 163 ff. Zumutbarkeit 47, 61 ff., 88, 103, 106, 112, 121, 132, 136, 141, 154, 187, 202, 251 f. – finanzielle Interessen des Herstellers 38, 68, 133 – gefährdetes Rechtsgut 63, 72 ff., 87 f. – Schutzbedürftigkeit 63 f. – Schwere der zu erwartenden Rechtsgutsverletzung 63 – Selbstschutzmöglichkeit, siehe dort – Versicherbarkeit, siehe dort Zurechnung, siehe Kausalität