Selbstheilungskräfte und Arzneimittelwirkungen: Synergien und Grenzen 9783110447590

Self-healing forces can enhance drug treatments. Drug effects are strengthened through belief in the success of treatmen

249 69 1MB

German Pages 339 [340] Year 2016

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Inhalt
1 Einleitung
2 Die Steuerung unseres Verhaltens
2.1 Vom Lernen, Wissen und Vertrauen
2.2 Die Wahrnehmungen über die Sinne
2.2.1 Das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen
2.2.2 Die Schmerzempfindungen
2.3 Die Grundzüge unserer Bewusstseinsbildung
2.3.1 Der Thalamus als Schwelle
2.3.2 Die Wege zum Bewusstsein
2.3.3 Das limbische System für Gedächtnis- und Gefühlsvorgänge
2.4 Die Stärke des Unbewussten
2.4.1 Die Prägung des Unbewussten
2.4.2 Der Hypothalamus als Schaltzentrale
2.4.3 Die Wirkung der Geschlechtshormone
2.4.4 Die Rolle der Lockstoffe (Pheromone)
2.4.5 Funktionen und Steuerung des vegetativen Nervensystems
3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme
3.1 Die Voraussetzungen
3.1.1 Der Wille zur Selbstergründung und Verhaltensänderung
3.1.2 Die ärztliche Hilfestellung
3.2 Die Steigerung des Wohl- und Glücksgefühls
3.2.1 Die Bedeutung der Glückshormone
3.2.2 Über Liebe, Partnerschaft, Ehe, Kinder
3.2.3 Arbeitsbelastung und Arbeitszufriedenheit
3.2.4 Soziale Bindungen und Freundschaften
3.3 Die Bewältigung von Stress, Ängsten und Schmerzen
3.3.1 Stressbelastungen
3.3.2 Angststörungen
3.3.3 Traumafolgestörungen
3.3.4 Schmerzbelastungen
3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr
3.4.1 Die Aktivierung der angeborenen und erworbenen Immunabwehr
3.4.2 Wechselspiel zwischen Immunsystem und Nervensystem
3.4.3 Wundheilung
3.4.4 Infektionsabwehr
3.4.5 Autoimmunreaktionen
3.4.6 Allergie und Asthma
3.4.7 Atopische Dermatitis
3.4.8 Tumorabwehr
3.5 Die Wahl der Ernährung
3.5.1 Eine gesunde Vielfalt der Nahrungsmittel
3.5.2 Bewältigung von Hungersucht und Esssucht
3.5.3 Der Genuss von Kaffee, Tee oder Kakao
3.5.4 Die Bedeutung von Zucker, Salz, Geschmacksverstärkern und Gewürzen
3.5.5 Die Wirkung von Alkohol, Nikotin und Tabak
3.6 Die Gefahr des Schlafmangels
3.7 Vom Nutzen der körperlichen Bewegung
4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung
4.1 Die Bedeutung der evidenzbasierten Medizin und der Leitlinien
4.2 Die Placebo- und Noceboeffekte
4.3 Die Rolle „komplementär“ oder „alternativ“ wirkender Behandlungen
5 Zusammenfassung
Sachregister
Über den Autor
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Selbstheilungskräfte und Arzneimittelwirkungen: Synergien und Grenzen
 9783110447590

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Hans-Harald Sedlacek Selbstheilungskräfte und Arzneimittelwirkungen

Hans-Harald Sedlacek

Selbstheilungskräfte und Arzneimittelwirkungen

Synergien und Grenzen

Prof. Dr. Hans-Harald Sedlacek Sonnenhang 3 35041 Marburg E-Mail: [email protected]

ISBN 978-3-11-044607-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-044759-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-044610-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen mit dem Autor große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autor und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe der Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Thinkstock Satz: Meta Systems Publishing und Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt 1

Einleitung

1

2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5

Die Steuerung unseres Verhaltens 5 5 Vom Lernen, Wissen und Vertrauen 13 Die Wahrnehmungen über die Sinne 13 Das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen 20 Die Schmerzempfindungen 24 Die Grundzüge unserer Bewusstseinsbildung 27 Der Thalamus als Schwelle 30 Die Wege zum Bewusstsein Das limbische System für Gedächtnis- und Gefühlsvorgänge 35 Die Stärke des Unbewussten 35 Die Prägung des Unbewussten 39 Der Hypothalamus als Schaltzentrale 47 Die Wirkung der Geschlechtshormone 58 Die Rolle der Lockstoffe (Pheromone) Funktionen und Steuerung des vegetativen Nervensystems

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 3.4.7 3.4.8

Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme 67 67 Die Voraussetzungen 67 Der Wille zur Selbstergründung und Verhaltensänderung 70 Die ärztliche Hilfestellung 73 Die Steigerung des Wohl- und Glücksgefühls 77 Die Bedeutung der Glückshormone 88 Über Liebe, Partnerschaft, Ehe, Kinder 102 Arbeitsbelastung und Arbeitszufriedenheit 107 Soziale Bindungen und Freundschaften 111 Die Bewältigung von Stress, Ängsten und Schmerzen 111 Stressbelastungen 123 Angststörungen 129 Traumafolgestörungen Schmerzbelastungen 134 Die Beeinflussung der Immunabwehr 140 Die Aktivierung der angeborenen und erworbenen Immunabwehr Wechselspiel zwischen Immunsystem und Nervensystem 148 Wundheilung 157 Infektionsabwehr 168 Autoimmunreaktionen 182 Allergie und Asthma 186 Atopische Dermatitis 203 Tumorabwehr 208

32

62

140

VI 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.6 3.7

Inhalt

Die Wahl der Ernährung 222 222 Eine gesunde Vielfalt der Nahrungsmittel 244 Bewältigung von Hungersucht und Esssucht 260 Der Genuss von Kaffee, Tee oder Kakao Die Bedeutung von Zucker, Salz, Geschmacksverstärkern und 267 Gewürzen 274 Die Wirkung von Alkohol, Nikotin und Tabak 283 Die Gefahr des Schlafmangels 288 Vom Nutzen der körperlichen Bewegung

4 4.1 4.2 4.3

Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung 299 Die Bedeutung der evidenzbasierten Medizin und der Leitlinien 301 Die Placebo- und Noceboeffekte Die Rolle „komplementär“ oder „alternativ“ wirkender 305 Behandlungen

5

Zusammenfassung

Sachregister Über den Autor

319 333

317

299

1 Einleitung Der Wille zur Gesundung, die Zuversicht in die Heilkräfte des eigenen Körpers wie auch das Vertrauen in die Wirkung einer verordneten Arzneimittelverabreichung bestimmen das Ausmaß des Erfolges einer jeder ärztlichen Behandlung. Die Mechanismen dieser Selbstheilungskräfte, dieses eigenen, persönlichen Anteils am Heilungsprozess sind erst teilweise verstanden. Bekannt ist, dass unsere Sinneswahrmehmungen zu mentalen und emotionalen Erwartungshaltungen führen, auf Grund derer in unserem zentralen und peripheren Nervensystem letztlich Hormone, Peptide und Mediatoren ausgeschüttet werden, die über zahlreiche Reaktionswege alle Körpersysteme und Organe in unterschiedlicher Weise beeinflussen und je nach der Art unserer Erwartung heilend sich auswirken, oder auch krank machen können. Unterstützt oder beeinträchtigt werden diese eigenen Heilkräfte durch das Ausmaß unserer Selbstfürsorge, d. h. die Art, wie wir unser persönliches Leben gestalten, wie wir unsere Partnerschaft, unsere Liebe, unsere sozialen Verbindungen leben, mit unseren Stressbelastungen, unseren Ängsten, unseren Schmerzempfindungen, unseren sozialen Verbindungen umgehen, wie wir uns vor Infektionen schützen, uns ernähren, ob und in welchem Ausmaß wir unseren Körper bewegen und ob wir ausreichend Ruhe und Schlaf suchen. All dieses hat Einfluss auf die Regelkreise unseres Nervensystems, unseres Immunsystems und auf die Entstehung, den Verlauf, die Linderung oder Heilung unserer Erkrankungen. Bekannt ist, dass eine positive Erwartungshaltung, dass Hoffnung und Vertrauen in den Heilerfolg einer Arzneimitteltherapie deren Wirkung verstärkt. Dieser „Placeboeffekt“ ist fassbar in placebokontrollierten klinischen Studien und Bestandteil der wissenschaftlich orientierten, evidenzbasierten Medizin. Bekannt ist des Weiteren, dass eine negative Erwartungshaltung, dass Ängste, Zweifel und Misstrauen den „Noceboeffekt“ auslösen, d. h. Nebenwirkungen einer Therapie bewirken oder verstärken können und hierdurch die erhoffte therapeutische Wirkung hintertreiben. Gegen den Noceboeffekt kann nur helfen eine bewusste positive Erwartungshaltung. Wenn diese zu einer sinnvollen Selbstfürsorge führt, stärkt sie die eigenen Selbstheilungskräfte. Eine sinnvolle Selbstfürsorge bedarf wiederum des notwendigen Wissens. Dieses Wissen zu erwerben ist wesentlicher Teil der „Eigenleistung“ jedes Einzelnen zum Erhalt, zur Förderung oder zur Wiedererlangung der eigenen Gesundheit. Eine positive Erwartungshaltung benötigt aber auch das Vertrauen in das verantwortungsvolle ärztliche Handeln. Ohne dieses Vertrauen ist jegliche Therapie, gerade auch eine Arzneimitteltherapie, mit einem Noceboeffekt belastet. Ob ein ärztliches Therapieangebot vertrauenswürdig ist, muss jeder Patient mit seinem Wissen, mit seinem Gefühl letztlich alleine entscheiden. Diese Entscheidung wird ihm jedoch erschwert durch das Angebot von zahlreichen Behandlungsverfahren, welche sich als Ergänzung oder als Alternative zur „evidenzbasierten“ (Schul-) Medizin verstehen. Viele dieser alternativen und komplementären Behandlungsverfahren beziehen sich auf „persönliche Erfahrungen“ oder „Entdeckungen“ ihrer Begründer und beanspruchen eine

2

1 Einleitung

inidividualspezifische therapeutische Wirkung. Doch dieser Anspruch entbehrt allzu häufig einer wissenschaftlich nachprüfbaren Grundlage und/oder ist durch adequate klinische Studien entweder unzureichend oder überhaupt nicht belegt. Zwar können auch wissenschaftlich nicht begründete komplementäre oder alternative Behandlungsverfahren besonders in leichtgläubigen oder vertrauensseligen Patienten eine positive Erwartungshaltung erzeugen und dadurch einen Placeboeffekt auslösen. Doch ein über diesen Placeboeffekt hinaus gehender Anspruch auf therapeutische Wirksamkeit eines Behandlungsverfahrens bedarf des wissenschaftlichen Beweises. Dieser ist gemäß dem Stand des Wissens und der Technik durch gezielt geplante, angemessen, d. h. im Vergleich zur Null-Behandlung, Placebo- oder zur Standard-Behandlung kontrollierte und vorurteilsfrei ausgewertete klinische Studien zu erbringen, gerade auch, um den Gefahren der Täuschung und Selbsttäuschung zu entgehen und um das Vertrauen der Patienten nicht zu missbrauchen. Jede Ablehnung eines solchen Wirksamkeitsbeweises ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern widerspricht auch den ethischen Normen der ärztlichen Tätigkeit.1 Ziel dieses Buches ist es, den Stand des Wissens über die biologischen Mechanismen der Selbstheilungskräfte und über die Möglichkeiten ihrer mentale und emotionalen Steuerung, ihrer Stärkung durch Selbstfürsorge und ihres Einflusses auf eine Arzneimitteltherapie zu beschreiben. Die relativ große Zahl der hierfür zitierten Arbeiten erklärt sich aus dem Problem, dass jedes einzelne wissenschaftliche Beweisverfahren durch technische Unzulänglichkeiten belastet sein kann oder der Gefahr ausgesetzt ist, subjektiven Einflussnahmen zu unterliegen, die ausgehen vom Wunschdenken, von Vorurteilen oder auch von bewussten oder unbewussten Manipulationen zur Erfüllung von Zielvorstellungen.2,3 Das hierdurch erzeugte Problem der Reproduzierbarkeit von Ergebnissen ist bei zahlreichen präklinischen und klinischen Forschungsergebnissen zu finden.4 Geschätzt wurde, dass etwa 85 % aller investierten Forschungsgelder für nicht reproduzierbare, für nicht verwertbare Ergebnisse verbraucht worden sind.5 Auch viele psychologische Studien gehören hierzu.6,7,8 So ergab sich beispielsweise in einer breit und multizentrisch angelegten Zusammenarbeit, dass

1 http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/DeklHelsinki2013.pdf. 2 Schwartz CE, Sajobi TT, Verdam MG, Sebille V, Lix LM, Guilleux A, Sprangers MA. Method variation in the impact of missing data on response shift detection. Qual Life Res. 2015;24(3):521–8. 3 Begley CG, Buchan AM, Dirnagl U. Robust research: Institutions must do their part for reproducibility. Nature. 2015;525(7567):25–7. 4 Office of research integrity.Ori; https://www.federalregister.gov/articles/2015/11/09/2015-28437/findingsof-research-misconduct. 5 Macleod MR, Michie S, Roberts I, Dirnagl U, Chalmers I, Ioannidis JPA, Al-Shahi Salman, Chan AW, Glasziou P. Biomedical research: increasing value, reducing waste. Lancet 2014;383,9912:101–104; Chalmers I, Glasziou P. Avoidable waste in the production and reporting of research evidence. Lancet 2009;374:86–89. 6 Francis G. Publication bias and the failure of replication in experimental psychology. Psychon Bull Rev. 2012;19(6):975–91. 7 Ferguson CJ, Brannick MT. Publication bias in psychological science: prevalence, methods for identifying and controlling, and implications for the use of meta-analyses. Psychol Methods. 2012;17(1):120–8. 8 Rothstein HR, Bushman BJ. Publication bias in psychological science: comment on Ferguson and Brannick (2012). Psychol Methods. 2012;17(1):129–36.

1 Einleitung

3

von 100 maßgeblichen psychologischen klinischen Primärstudien nur etwa 50 % durch Sekundärstudien zu reproduzieren waren.9 Daher wurden in diesem Buch bevorzugt Informationen aus Übersichtsarbeiten, Metaanalysen wie auch Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften als Informationsquellen verarbeitet. Wo diese nicht ausreichend zur Verfügung standen, erfolgte zumindest der Versuch, mehrere bestätigende Veröffentlichungen unterschiedlicher Gruppen für eine wissenschaftliche Aussage zu finden. Die Hoffnung ist, dass mit dieser Vorgehensweise die Aussagekraft dieses Buches gestärkt und subjektive Einflüsse in den Hintergrund gedrängt werden konnten.

9 Aarts AA et al. (270 Collaborators in an Open Science Collaboration); PSYCHOLOGY. Estimating the reproducibility of psychological science. Science. 2015;349, 6251, PMID: 26315443.

2 Die Steuerung unseres Verhaltens 2.1 Vom Lernen, Wissen und Vertrauen Neben der Tätigkeit eines Seelsorgers ist wohl kaum eine andere menschliche Beziehung so geprägt von den Fragen Gesundheit, Krankheit und Tod wie das Arzt-Patient-Verhältnis. In dieser Beziehung obliegt dem Arzt die Bringschuld, ▪ seine ärztliche Kunst durch andauerndes Lernen der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse auf den bestmöglichen Stand zu halten, ▪ seine diagnostiche und therapeutischen Entscheidungen alleine auf das Wohl des Patienten hin auszurichten und ▪ den Patienten vor Täuschungen und Betrug wie Quacksalberei und Kurpfuscherei zu schützen.10 Andererseits, auch bei bestmöglicher ärztlicher Tätigkeit dürfte diese nur dann auf Dauer erfolgreich sein, wenn der Patient überzeugt ist von der Qualifikation des Arztes, ihm vertrauensvoll sein Kranksein offenbart, die ärztlichen Anweisungen versteht, aus ihnen lernt und sie bewusst befolgt (siehe Tab. 2.1). Beidseitiges Lernen und Wissen nehmen somit eine besondere Rolle im Arzt-Patienten-Verhältnis ein. Tab. 2.1: Die Rolle des Lernens, Wissens und Vertrauens im Netzwerk des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Arzt Diagnose



Patient Therapie

Krankheit

Lernen, Wissen, Erfahrung

Selbstfürsorge

positive Erwartungshaltung

▾▴

▾▴

▾▴

Fachkompetenz

Leidensdruck

Heilungswillen

▾▴ ethische Kompetenz

▾▴

▸ ◂

▾▴ Vertrauen

▾▴

▸ ◂

▴▾ Wissen

▾▴

Vertrauenswürdigkeit

Hoffnung

Ängste

▾▴

▾▴

▾▴

kommunikative Kompetenz

Selbstheilungskräfte

negative Erwartungshaltung

10 Haustein KO, Höffler D, Lasek R, Müller-Oerlinghausen B, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Außerhalb der wissenschaftlichen Medizin stehende Methoden der Arzneitherapie. Dt Ärztebl 1998;95/14:800–805.

6

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.2: Der Lernprozess als Grundlage des Wissens und des Verhaltens. Objekte, Prozesse, Inhalte A

A+B

Lernen

Gedächtnis



Wahrnehmung A





Wahrnehmung A+B

◂ ▸

Wissen Erfahrung

Wissen A

Vorwissen A Wissen A+B

Abruf A

◂ ▸

▸ Abrufe A, B

A+B+C



Wahrnehmung A+B+C

◂ ▸

Denken, Entscheiden, Verhalten

Vorwissen A+B Wissen A+B+C

Abrufe A,B,C

Unter Lernen wird ein komplexer Vorgang verstanden, bei welchem von Bedeutung sind 11 ▪ die Wahrnehmung, welche abhängig ist – von der Fähigkeit der Aufnahme und Verarbeitung von Sinneseindrücken, – vom Vorwissen, vom Anteil des Vorwissens im Neuen (siehe Tab. 2.2)12,13,14 und – von dem eigenen Wollen und Fühlen; ▪ die gedankliche Verarbeitung des Wahrgenommenen; ▪ das Gedächtnis, funktionell unterteilt in – das (sensorische) Ultrakurzzeit-, Kurzzeit- (Arbeits-) und Langzeitgedächtnis, – in das Neugedächtnis und Altgedächtnis und – in das (deklarative) Wissensgedächtnis und das (prozedurale) Verhaltensgedächtnis. Das Gedächtnis wiederum wird funktionell bestimmt ▪ von der „synaptischen Plastizität“ der neuralen Synapsen im Gehirn,15 gewährleistet durch – die biochemische Variabilität der synaptischen Funktionszustände, – die Anpassungsfähigkeit der prä- und postsynaptischen Signalübertragungen und durch – die postsynaptischen Membranverdichtungen;16 11 Sedlacek HH. Arzneimittelforschung. de Gruyter Berlin, Boston 2015;140–149. 12 Gomes CA1, Mayes A. The kinds of information that support novel associative object priming and how these differ from those that support item priming. Memory. 2014;22:1–27. 13 Saylor MM1, Sabbagh MA, Baldwin DA. Children use whole-part juxtaposition as a pragmatic cue to word meaning. Dev Psychol. 2002 Nov;38(6):993–1003. 14 Goethe von JW, Brief an Friedrich von Müller, 24. April 1819, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, Zürich und Stuttgart 1948;13:142; Zitate und Aphorismen − http://gutezitate.com. 15 Caroni P1, Donato F, Muller D. Structural plasticity upon learning: regulation and functions. Nat Rev Neurosci. 2012;13(7):478–90. 16 Meyer D, Bonhoeffer T, Scheuss V. Balance and stability of synaptic structures during synaptic plasticity. Neuron. 2014;82(2):430–43.

2.1 Vom Lernen, Wissen und Vertrauen







7

von den Langzeitpotentialen im Hippocampus, die wiederum durch neurotrophe Wachstumsfaktoren, im Besonderen durch den Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) gefördert werden;17 von dem Vermögen, Begriffe von der Wirklichkeit speichern und verwalten zu können,18 wobei – ein Abruf des Gedächtnisinhaltes die passenden Abrufsignale benötigt, wiederholte Abrufe des Gedächtnisinhaltes dessen Speicherung verfestigt, – im vorbewussten Gedächtnis ein Abruf erst bei erhöhter Aufmerksamkeit erfolgt, – durch Wiederholungen einer Wahrnehmung von Sinnesreizen oder von Gedanken das Gedächtnis an das Wahrgenommene gestärkt und das Vergessen verhindert,19 jedoch auch nichtaufgerufene spezifische Gedächtnisinhalte zerstört werden können;20 von der „neuronale Plastizität“ des Gehirns, welche dessen Adaptationsfähigkeit bestimmt und damit das Lernen bis ins hohe Alter hinein ermöglicht, wahrscheinlich bedingt – durch die Bildung von neuen Schaltkreisen auf der Ebene der Synapsen, sodass zusätzliche Hirnregionen für bestimmte Lernaufgaben rekrutiert werden können und – durch die Vermehrung von Nervenzellen wie auch durch die Mutationen in Nervenzellen, sodass neue Funktionen ausgebildet werden können.21,22,23 Ungeklärt ist jedoch bislang, wie sich diese neue Nervenzellen funktionell in alte Verschaltungen einfügen können24 und welche der Mutationen die Funktionen des Gehirns unterstützen.

17 Edelmann E, Cepeda-Prado E, Franck M, Lichtenecker P, Brigadski T, Leßmann V. Theta Burst Firing Recruits BDNF Release and Signaling in Postsynaptic CA1 Neurons in Spike-Timing-Dependent LTP. Neuron. 2015;86(4):1041–54. 18 Caroni P, Chowdhury A, Lahr M. Synapse rearrangements upon learning: from divergent-sparse connectivity to dedicated sub-circuits. Trends Neurosci. 2014;37(10):604–614. 19 Zhang Y, Smolen P, Baxter DA, Byrne JH. The sensitivity of memory consolidation and reconsolidation to inhibitors of protein synthesis and kinases: computational analysis. Learn Mem. 2010;17(9):428–39. 20 Segaert K, Weber K, de Lange FP, Petersson KM, Hagoort P. The suppression of repetition enhancement: a review of fMRI studies. Neuropsychologia. 2013;51(1):59–66. 21 Lodato MA, Woodworth MB, Lee S, Evrony GD, Mehta BK, Karger A, Lee S, Chittenden TW, D’Gama AM, Cai X, Luquette LJ, Lee E, Park PJ, Walsh CA. Somatic mutation in single human neurons tracks developmental and transcriptional history. Science. 2015;350(6256):94–8. 22 Evrony GD, Cai X, Lee E, Hills LB, Elhosary PC, Lehmann HS, Parker JJ, Atabay KD, Gilmore EC, Poduri A, Park PJ, Walsh CA. Single-neuron sequencing analysis of L1 retrotransposition and somatic mutation in the human brain. Cell. 2012;151(3):483–96. 23 Upton KR, Gerhardt DJ, Jesuadian JS, Richardson SR, Sánchez-Luque FJ, Bodea GO, Ewing AD, SalvadorPalomeque C, van der Knaap MS, Brennan PM, Vanderver A, Faulkner GJ. Ubiquitous L1 mosaicism in hippocampal neurons. Cell. 2015;161(2):228–39. 24 Elger CE, Friederici A, Koch C, Luhmann H, von der Malsburg C, Menzel R, Monyer H, Rösler F, Roth G, Scheich H, Singer W, Das Manifest: Was können und wissen Hirnforscher heute? http://www.spektrum.de/ thema/das-manifest/852357.

8

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.3: Unterschiedliche Formen des Wissens. Voraussetzungen Implizites Wissen

Reproduzierbarkeit nein

Überzeugungen; Glauben, Vertrauen in die Wissensvermittlung

unbewusst

Abruf

ungezielt

bei Ruhe; Müßiggang

jederzeit, gezielt

Aufgabenorientiert

individualspezifisch

Lernfähigkeit Stilles Wissen Explizites Wissen

Speicherung

eingeschränkt

Erfahrung

ja nicht (schriftliche personenUnterlagen, gebunden Datenträger etc)

bewusstes Lernen

Lernen führt zu unterschiedlichen Wissensqualitäten, dem „impliziten Wissen“, dem „stillen Wissen“ und dem „expliziten Wissen“ (siehe Tab. 2.3),25,26,27,28 welche als Gedächtnisinhalte im Hippocampus gespeichert maßgebend sind für unsere Entscheidungen im prefrontalem Cortex (siehe Kap. 2.3).29 Der Erwerb von Wissen beruht auf einem Lernprozess, der gefolgt wird von einem individuellen Verarbeitungsprozess,30 aus dem sich wiederum ergeben ▪ unsere Überzeugungen, da man nur wissen kann, was man glaubt 31,32 im Sinne einer „Wahrscheinlichkeitsvermutung“ oder einer „Wahrheitsvermutung“ und ▪ unsere eigene Rechtfertigung des Wissens, da man nur das glauben kann, was man auch für sinnvoll, für logisch, für nachvollziehbar, für glaubwürdig erachtet. Denn nur den geringsten Teil unseres Wissens können wir eigenständig überprüfen. Den weitaus überwiegenden Anteil müssen wir glauben. Dieses auf Glauben beruhende Wissen ist unterteilbar ▪ in einen Bereich, der grundsätzlich von uns überprüfbar wäre, wenn wir die Möglichkeit hierzu hätten und ▪ in einen weiteren Bereich, welcher sich jeglichem wissenschaftlichen Nachweis entzieht.33 25 Kimble C. Kowledge management, codification and tacit knowledge; IR-information Research 2013;18/2, paper 577; http://www.informationr.net/ir/18-2/paper577.html. 26 Frost J. Wissensmanagement; http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/wissensmanagement.html. 27 Lischka, A. Einteilung der Wissensarten; https://www.fbi.fh-koeln.de/institut/personen/.../Skript Arten von WM. 28 Holton G. Michael Polanyi and the History of Science; Springer Verlag 1992; http://link.springer.com/ chapter/10.1007 %2F978-94-017-2658-0_11. 29 Gluth S, Sommer T, Rieskamp J, Büchel C. Effective Connectivity between Hippocampus and Ventromedial Prefrontal Cortex Controls Preferential Choices from Memory. Neuron. 2015;86(4):1078–90. 30 Gadamer HG. Wahrheit und Methode –Figal G, Hrsg. Akademie Verlag 2011;100–102. 31 Kistner, P. Glaubenspluralität und Glaubenswahrheit; zur Frage des theologischen Wahrheitskriteriums, Diss. Tübingen 2006; Lit- Verlag Berlin 2006;211–212. 32 http://theologie_de.deacademic.com/293/Gottesbeweise. 33 Sedlacek HH, Netter P. Gott, Religion und Kirche, Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2014;11–26.

2.1 Vom Lernen, Wissen und Vertrauen

9

Somit bedarf jegliches Wissen, welches wir nicht eigenständig überprüfen können, des Vertrauens in die Glaubwürdigkeit des Wissensvermittlers.34 Vertrauen wird formal bezeichnet als eine im Stadium der Unsicherheit entwickelte subjektive Überzeugung eines „Vertrauensgebers“, dass ein „Vertrauensnehmer“, sei es eine Person, wie z. B. ein Arzt oder seien es auch Personen in einer Institution, wie z. B. in einem Krankenhaus,35 ▪ positive Eigenschaften besitzt, wie z. B. – wahrhaftig, redlich, ehrlich, lernfähig, hilfsbereit, gesprächsbereit und verantwortungsvoll zu sein; ▪ positiv handelt, wie z. B. – fachgerecht, überlegt, umsichtig, vorausschauend und verantwortungsbewusst. Die Grundlage des Vertrauens, d. h. der subjektiven Überzeugung eines Patienten kann gegeben sein ▪ durch den Patienten als Vertrauensgeber, z. B. wegen – seiner Hilfsbedürftigkeit und seines Leidens, – seiner positiven Erwartungshaltung, seines Vorurteils, seiner guten bisherigen Erfahrungen oder seiner Autoritätsgläubigkeit; ▪ durch den Arzt als Vertrauensnehmer, z. B. durch – dessen Persönlichkeit, Ausstrahlungskraft, Autorität und/oder guten Ruf, – dessen Hoffnung vermittelnde Versprechungen und – dessen als angenehm oder wirksam empfundenen Behandlungsrituale. Im Stadium der Unsicherheit erbringt der Patient durch das gewährte Vertrauen eine Vorleistung36 ▪ mit der Chance zu gewinnen in Erwartung einer, ihm Nutzen bringenden Gegenleistung durch den Arzt, ▪ mit dem Risiko zu verlieren, weil die Hoffnung auf Gegenleistung des Arztes sich nicht erfüllen sollte oder der Arzt das Vertrauen sogar zum Schaden des Patienten ausnützen könnte. Vertrauen kann in unterschiedlicher Art gewährt werden (siehe Tab. 2.4)37 ▪ als „situationsbasiertes Vertrauen“, einseitig, aus Sicht des Patienten rein Krankheits- und weniger Personen-bezogen, ▪ als „eigenschaftsbasiertes Vertrauen“, bei welchem der Patient einem bestimmten Arzt sein Vertrauen schenkt, weil er von dessen Fachkompetenz und dessen Fähigkeiten zur Linderung oder Heilung seiner Erkrankung überzeugt ist, 34 Sedlacek HH. Arzneimittelforschung. de Gruyter Berlin, Boston 2015;140–149. 35 Preisendörfer P. Vertrauen als soziologische Kategorie. Möglichkeiten und Grenzen einer entscheidungstheoretischen Fundierung des Vertrauenskonzepts, Zeitschrift für Soziologie 1995;24(4):263–272. 36 Sedlacek HH. Siehe 34. 37 Rigotti T. Vertrauen als betriebliche Ressource; Frankfurt 18. 03. 2009; http://www.bertelsmannstiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-44088537-CB31EF9B/bst/06_Thomas_Rigotti.pdf.

10

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.4: Möglichkeiten der Gewährung von Vertrauen im Arzt-Patient-Verhältnis. Patient als Vertrauensgeber

Arzt als Vertrauensnehmer





situationsbasiertes Vertrauen (rein sach- und risikoorientiert, Chancen übersteigen Risiken)

Gegenleistung

Vorleistung: Schilderung der Erkrankung

erwartet werden



eigenschaftsbasiertes Vertrauen (einseitig personenbezogen) Vorleistung: Offenheit, Ehrlichkeit, Behandlungstreue

erwartet werden

Gegenleistung



Identifikationsbasiertes Vertrauen (zweiseitig und personenbezogen)



bestmögliche Diagnose und Therapie, Fachkompetenz, ethische Kompetenz, persönliche Ausstrahlung Gegenleistung

Vertrauen in den Arzt Vorleistung: Offenheit, Ehrlichkeit, Behandlungstreue, Wohlwollen, Sympathie

sachbezogene Diagnose und Therapie, zumindest die Abwendung drohender Risiken

Vertrauen in den Patienten erwartet werden

▸ ◂

Bestmögliche Diagnose und Therapie gleiche Vorstellungen von Werten, Eigenschaften, Zielen

als „identifikationsbasiertes Vertrauen“, bei welchem sowohl der Patient als auch der Arzt Vertrauensgeber wie auch Vertrauensnehmer sind und dieses beidseitige Verhältnis auf Sympathie und gleicher „Wellenlänge“ in Bezug auf Werte und Ziele beruht.

Insgesamt gesehen lehrt die Erfahrung:38,39 ▪ Vertrauen des Patienten in den Arzt ist – einerseits ein freiwilliges Geschenk des Patienten, welches ohne jegliche Absicherung ist und daher das Risiko der „Fehlinvestition“ in sich trägt, – andererseits auch die Antwort auf Vorschussleistungen von vertrauensbildenden Maßnahmen des Arztes, die gleichermaßen das Risiko einer Fehlinvestition in sich tragen, weil ohne jegliche Absicherung. ▪ Jedes Vertrauensverhältnis – kann durch Fehlverhalten abrupt und nachhaltig zerstört werden und in Abneigung und Verachtung bis hin zu Feindschaft umschlagen, – bedarf nach Zerstörung zum Wiederaufbau erneut überzeugende vertrauensbildende Maßnahmen als Vorschussleistung, jedoch dann in einem weitaus größeren Ausmaß und mit längerem Zeitbedarf als bei dem erstmaligen Erwerb. 38 Osterloh M, Weibel A. Vertrauen gut, Kontrolle besser? In Investition Vertrauen. Prozesse der Vertrauensentwicklung in Organisationen Gabler 2006;73–74. 39 Sedlacek HH. Siehe 34.

2.1 Vom Lernen, Wissen und Vertrauen

11

Ein Vertrauensbruch durch Lüge, durch Falschbehauptung beschädigt aber nicht nur die Vertrauenswürdigkeit des Lügners, sondern auch dessen Vertrauen in seine Mitmenschen. Denn für den Lügner gilt: „Die Strafe des Lügners ist nicht, dass ihm niemand mehr glaubt, sondern dass er selbst niemandem mehr glauben kann.“ 40 Diese menschliche Reaktion ist im besonderen Maße dort erkennbar, wo Ärzte, welche die wissenschaftlichen Grundlagen der Medizin verlassen und sich unwissenschaftlichen Komplementär- oder Alternativ-Behandlungen zugewendet haben, ▪ Aussagen zur Wirksamkeit dieser Art von Behandlungen treffen, die im Widerspruch zur medizinisch- wissenschaftlichen Erkenntnis stehen oder wissenschaftlich nicht ausreichend belegt sind, ▪ im stillen Wissen um die eigene Fehlaussage, um die eigene Unwahrhaftigkeit und um das eigene Fehlverhalten jeglichen Widerspruch der Schulmedizin pauschal als unglaubwürdig ablehnen, ▪ ihre Meinung als allgemeingültige absolute Wahrheit hinstellen und mit dem Anspruch der moralischen Überlegenheit wissenschaftlich begründete Gegenargumente des Unverstandes oder der Lüge bezichtigen. Treibende Kraft solcherart Verhaltensweisen mag die „Sehnsucht nach moralischer Überlegenheit“ 41 sein, das Ergebnis ist jedoch immer ein wachsendes sich „moralisch in die eigene Tasche Heucheln.“ 42 Grundsätzlich lebt jede ärztliche Tätigkeit mit der Gefahr, in diesen Teufelskreis hineinzugeraten, wenn nicht ausreichend Mut, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit aufgebracht werden, sich mit allen Aussagen der wissenschaftlichen Kritik zu stellen. Wissenschaftliche Kritik bewirkt dann ihr Bestmögliches zur Klärung des Wahrheitsgehaltes einer Aussage, wenn in Anbetracht der individualspezifischen Grenzen des Wissens ▪ die Sehweisen, die Ausgangspunkte, die Fachperspektiven der Kritiker so unterschiedlich wie möglich sind und ▪ die letztendlich kritische Bewertung einer Sachlage, einer Aussage im Konsens aller fachkompetenten Beteiligten erfolgt. Eine derartige Erarbeitung eines bestmöglichen kritischen Urteils ähnelt derjenigen der „Wahrheitsfindung“, für deren methodischen Weg die „Konsensustheorie“ entwickelt wurde.43,44

40 Shaw GB, http://www.zeit-und-wahrheit.de/shaw-zitat-die-strafe-des-luegners-ist-13233/. 41 Werfel F, http://www.zitate.eu/de/autor/4338/franz-werfel. 42 Röhl B. Die wirtschaftliche Überlegenheit des Westens, Wirtschaftswoche 2015. 03. 19; http://www. wiwo.de/politik/ausland/bettina-roehl-direkt-wirtschaftliche-ueberlegenheit-des-westens/10291836-2.html. 43 Habermas J. Wahrheitstheorien. In: Helmut Fahrenbach (Hrsg.): Wirklichkeit und Reflexion. Neske, Pfullingen 1973;211–265. 44 Habermas J. Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln. Suhrkamp, 1983, http://de.wikipedia.org/ wiki/Wahrheit.

12

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.5: Beurteilung einer wissenschaftlichen Aussage je nach Ausgangslage A, B, oder C. Qualifikation der Gesprächspartner

Aussage eines Partners ist

Überprüfung der Aussage eines Partners

Diskurs der Partner

Beurteilung der Aussage

vernünftig fachkompetent A wahrhaftig

Verständlich?

Ja!

Überprüfbar?

Ja!

Verständlich?

Nein!



wahrhaftig!



▸ richtig!

Konsens aller Partner

wahr!

▸ richtig!

kritisch

vernünftig fachkompetent B wahrhaftig

unwahr?



▸ Überprüfbar?

Nein!

Verständlich?

fraglich!

kritisch

unvernünftig

C

fachinkompetent

nicht zubestätigen!



Konsens der übrigen Partner

unwahr!



Konsens oder Dissens



unrichtig!

unwahr?





unwahrhaftig Überprüfbar unkritisch

falsch?

fraglich!

falsch? nicht zubestätigen?



Beurteilung nicht möglich!

Die Konsensustheorie besagt, dass eine Aussage dann als wahr, als richtig zu gelten hat, wenn sie Anerkennung von allen vernünftigen Gesprächspartnern verdient und über sie ein grundsätzlich unbegrenzter Konsens hergestellt werden konnte. Erst die durch wissenschaftliche Kritik geklärte und im Konsens erhärteten Aussagen, wie sie z. B. in Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften enthalten sind, besitzen die bestmögliche Vertrauenswürdigkeit und sind des Vertrauens der ärztlichen Kollegen, der weniger Erfahrenen, der Laien und der Patienten wert (siehe Tab. 2.5). „Eine Theorie zu überprüfen, das bedeutet immer, dass man versucht, ihren schwachen Punkt zu finden, den Punkt, der uns veranlassen kann zu denken, dass sie dort falsch sein könnte. Das erlaubt schon, viele Theorien auszuschließen. Damit eine Theorie wissenschaftlich ist, muss sie überprüfbar sein, d. h. sie muss sich der Kritik und der Widerlegung aussetzen. Da viele versuchen, die Theorie zu kritisieren und zu widerlegen und sogar ihre ganze Intelligenz daran setzen, um deren schwachen Punkte zu entdecken, können wir sagen, dass die wissenschaftlichen Theorien das beste sind, was wir auf dem Gebiet der Erkenntnis besitzen.“ 45

45 Popper K. Die Wege der Wahrheit; Interview mit L’Express, Februar 1982; Aufklärung und Kritik 1994;2:38; http://www.gkpn.de.

2.2 Die Wahrnehmungen über die Sinne

13

Auf dieser Vertrauensgrundlage darf den medizinisch-wissenschaftlich begründeten Aussagen solange Vertrauen geschenkt werden, wie sie nicht durch Gegenbeweise widerlegt worden sind. Misstrauen ist dagegen bei all solchen Aussagen angebracht, welche unserem derzeitigen Wissen widersprechen, welche nicht wissenschaftlich überprüft und bestätigt werden konnten, oder die sich einer kritischen Überprüfung widersetzen oder durch unwissenschaftliche Begründungen entziehen. Denn diese Aussagen haben nicht das Vertrauen verdient, welches notwendig ist, um ihnen zu glauben, gleich ob im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsvermutung oder einer Wahrheitsvermutung.

2.2 Die Wahrnehmungen über die Sinne 2.2.1 Das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen Unser Lernen und Wissen, unsere Gefühle, unser Verhalten und unsere zwischenmenschliche Beziehungen geht von den Wahrnehmungen unsere Sinne aus. Nicht Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten zu können „trennt von den Sachen“, nicht hören zu können „von den Menschen“. Hörverluste und Verluste des Sprachverstehens sind Ursache vom sozialen Rückzug, von Vereinsamung und den daraus entstehenden Erkrankungen.46 Alle Sinneserfahrungen stellen stufenförmige Prozesse dar (siehe Tab. 2.6), bei denen Sinnesreize über spezielle Rezeptoren von den Sinneszellen aufgenommen, in Aktionspotentiale gewandelt, und von Nervenzellen über ihre Nervenbahnen direkt (Sehen, Hören, Schmecken, Tasten, Fühlen) oder indirekt (Riechen) über den Thalamus geführt werden (siehe Tab. 2.7), von wo aus nach Verschaltung, Bewertung, Auswahl und Abruf der Signale aus dem Netzwerk der kooperierenden Gehirnzentren (siehe Kap. 2.3.1) schlussendlich die Weiterleitung zu denjenigen Arealen der Großhirnrinde erfolgt, in welchen die jeweiligen spezifischen Sinneswahrnehmungen (siehe Tab. 2.7) bewusst werden. Während das Sehen, Hören, Riechen und Schmecken auf lokale Sinnesorgane, den Kopfsinnen, beschränkt ist, besteht die somatosensorische Wahrnehmung auf einem System von Rezeptoren und freien Nervenendigungen, welche über den gesamten Körper in unterschiedlicher Art und Menge verteilt sind (siehe Tab. 2.8). Hierbei ist der Tastsinn ein wesentlicher Bestandteil der somatosensorischen Wahrnehmung. Er wird unterteilt in ▪ die aktive „haptische“ Wahrnehmung von Gegenständen und Oberflächen und des eigenen Körpers in Bezug zum Umfeld, ▪ die passive „taktile“ Wahrnehmung von Berührungen. An dieser haptischen und taktilen Wahrnehmung sind beteiligt ganglionäre Mechanorezeptoren, Berührungssensoren in den Haarbälgen und berührungssensible freie marklose Nervenendigungen.

46 Zenner HP. Hören, das Tor zu Sprache und Geist, Deutsches Ärzteblatt 2011;108(25):425.

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2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.6: Prinzipieller Ablauf der Sinneswahrnehmungen. Wahrnehmungen/Reize

Reizerfassung

Reizaufnahme Rezeptoren

Nerven (Hirnnerv)

Zwischenschaltung

Großhirn

Fernsinne Dioptischer Apparat; Augenmuskeln Sehen47,48 Lichtwellen

Iodopsine (rot-, grünoder blau-sensitiv)

Zäpfchen

Rhodopsine (Helligkeitsempfindliche Rhodopsine)

Stäbchen

N. oculomotorius (III) N. trochlearis (IV) N. abducens (VI)

Somatomotorischer Cortex

N. opticus (II) Thalamus Chiasma opticum

Visueller Cortex

N. vestibulocochlearis (VIII)

Auditiver Cortex

Verschaltungen durch Horizontalzellen, Bipolarzellen, Amakrinzellen Hören49,50, Schallwellen

Innenohr Haarzellen

Stereovilli auf Haarzellen

Vierhügelplatte

(~ 20 Hz bis ~ 20 kHz) Nahsinne

Riechen51,52 Geruchsstoffe

Schmecken 53,54,55,56,57

Geschmacksstoffe

Riechschleimhaut

Geruchszellen, Riechhärchen, Geruchsrezeptoren (ErneueN. olfaktorius (I) rung ≥ 60 Tagen; Oestrogen, Testosteron ↑) Mitralzellen

GeschmacksPapillen, GeschmacksKnospen, Geschmackzellen (Lebensdauer ≤ 10 Tage, Regeneration; im Alter noch ca. 20 %58)

Geschmacksrezeptoren TypI-Zellen:für„salzig“; Typ II –Zellen/GPR: Tas1R2/R3 für „süß“; Tas1R1/R3 für „Glutamat/Umami“; Tas2R (1–25) für „bitter“; GPR120/40/36 für „fett“ ; Typ III-Zellen: für „sauer“; Typ-IV-Zellen: Stammzellen

N. facialis (VII) N. glossopharyngeus (IX) N. vagus (X)

afferente SomaTasten, Fühlen Mechanosensorische toOberflächenRezeptoren, Fasern in Haut Finger, sensoribeschaffenheit, ThermoHirnnerven; Lippen Organe sche Temperatur, Rezeptoren, Rückenmark: NervenSchmerzen Nozizeptoren Truncus spinozellen thalamicus

Riechkolben OlfaktoriMitralzellen scher Cortex Riechbahn sekundäre Riechrinde Orbitofrontaler Cortex Thalamus

Olfactorischer Cortex

primärer gustatorischer Cortex

sekundärer gustatorischer Cortex

Thalamus

primärer, sekundärer, tertiärer somatosensorischer Cortex mit polymodalem Assoziations komplex

2.2 Die Wahrnehmungen über die Sinne

15

Tab. 2.7: Wesentliche Verschaltungen der „Kopfsinne“. Funktion

Vernetzungen mit

visuelle Wahrnehmungen Sehbahn Chiasma opticum: Axone jedes Auges überkreuzen sich zu etwa 50 % für das räumliche Sehen zum seitlichen Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale) des rechts- und linksseitigen Thalamus Thalamus

Hörbahn, Riechbahn, Geschmacksbahn

Verschaltung, Bewertung, Auswahl und Weiterleitung der Aktionspotentiale Sehrinde (visueller Cortex) der beiden Großhirnhemisphären Entstehung komplexer Bildstrukturen, Vergleich mit bereits gemachten und abgespeicherten Erfahrungen, Wahrnehmung von Bekanntem oder Neuem akustische Wahrnehmungen Hörbahn seitlicher Kniehöcker (Corpus geniculatum mediale) des rechts- und linksseitigen Thalamus Thalamus

Sehbahn

Mittelhirndach/Vierhügelplatte

Formatio reticularis (Medulla oblongata)

Verschaltungen zur Gegenseite und Rückschaltung zur ursprünglichen Seite, Erfassung von Richtungen/Unterschieden über Vernetzungen mit der Formatio reticularis Schmerzempfindungen

Periaquäduktales Grau (PAG) und Raphe-Kerne

Gefühlsregungen und Suchtverhalten

Nucleus accumbens des limbischen Systems

47 Rentzeperis I, Nikolaev AR, Kiper DC, van Leeuwen C. Distributed processing of color and form in the visual cortex. Front Psychol. 2014;5:932. 48 Faivre N, Salomon R, Blanke O. Visual consciousness and bodily self-consciousness. Curr Opin Neurol. 2015;28(1):23–8. 49 Bao S. Perceptual learning in the developing auditory cortex. Eur J Neurosci. 2015;41(5):718–24. 50 Stebbings KA, Lesicko AM, Llano DA. The auditory corticocollicular system: molecular and circuit-level considerations.Hear Res. 2014;314:51–9. 51 Manzini I, Frasnelli J, Croy I. How we smell and what it means to us: basic principles of the sense of smell. HNO. 2014;62(12):846–52. 52 Locatelli FF, Rela L. Mosaic activity patterns and their relation to perceptual similarity: open discussions on the molecular basis and circuitry of odor recognition. J Neurochem. 2014;131(5):546–53. 53 Ishimaru Y. Molecular mechanisms underlying the reception and transmission of sour taste information. Biosci Biotechnol Biochem. 2015;79(2):171–6. 54 Iwata S, Yoshida R, Ninomiya Y. Taste transductions in taste receptor cells: basic tastes and moreover. Curr Pharm Des. 2014;20(16):2684–92. 55 Oh DY, Talukdar S, Bae EJ, Imamura T, Morinaga H, Fan W, Li P, Lu WJ, Watkins SM, Olefsky JM. GPR120 is an omega-3 fatty acid receptor mediating potent anti-inflammatory and insulin-sensitizing effects. Cell. 2010;142(5):687–98. 56 Galindo MM, Voigt N, Stein J, van Lengerich J, Raguse JD, Hofmann T, Meyerhof W, Behrens M. G Protein–Coupled Receptors in Human Fat Taste Perception, Chemical Senses 2011;37(2):123–139. 57 Tucker RM, Mattes RD, Running CA. Mechanisms and effects of “fat taste” in humans. Biofactors. 2014;40(3):313–26. 58 Feng P, Huang L, Wang H. Taste bud homeostasis in health, disease, and aging. Chem Senses. 2014;39(1):3–16.

16

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Blutkreislauf und Atmungsfrequenz

Formatio reticularis (Medulla oblongata)

Motorik

Kleinhirn, Nucleus ruber, Substantia nigra

Brechzentrum

Nucleus tractus solitarii, Area postrema

Hörrinde (auditiver Cortex) Bewusstwerden und Bewertung der akustischen Wahrnehmung olfaktorische Wahrnehmungen Riechkolben, Riechbahn primäre Riechrinde (Cortex olfactorius), Bewusstwerden der Geruchsstoffe, Speicherung der Informationen orbitofrontaler Cortex Geruchsidentifikation Hippocampus Speicherung des Riecherlebnisses im Gedächtnis limbisches System Amygdala, Gyrus cinguli, Septum/Area septalis Gefühls- und Lusterregungen, Belohnungen Großhirn/Tuberculum olfactorium

Substantia nigra, Thalamus

Gefühls- und Lusterregungen sekundäre Riechrinde

gustatorischer Cortex (Überlappung)

Bewertung der Geruchsstoffe olfaktorische Wahrnehmungen können konditioniert werden im Sinn von Toleranz durch Adaptation oder von Schutzreflexen z. B. Ekelerregung und Erbrechen. gustatorische Wahnehmungen59,60,61,62,63 Ergebnis der Zusammenarbeit von Geschmacksinn, Geruchsinn, Tastsinn und Temperatursinn Geschmacksbahn Thalamus (s.o)

Hörbahn, Riechbahn

Schluck/Würgereflex; Speichel/Magensaft-Sekretion Medullaoblongata/Nervus vagus primärer gustatorischer Cortex

Tast- und Temperatur-Sinneszellen Mundhöhle

sekundärer gustatorischer (somatosensorischer) Cortex olfaktorischer Cortex (Überlappung) Wahrnehmung komplexer Geruchs- und Geschmacksstoffe emotionalen Bewertung von Geschmackstimuli

Hypothalamus, limbisches System

Geschmackszellen können sich an ihre Geschmacksstoffe „gewöhnen“, d. h. mit zunehmender Expositionsdauer wird das Aktionspotential ausgelöst durch einen spezifischen Geschmacksstoff kleiner.64

59 Ishimaru Y. Molecular mechanisms underlying the reception and transmission of sour taste information. Biosci Biotechnol Biochem. 2015;79(2):171–6. 60 Iwata S, Yoshida R, Ninomiya Y. Taste transductions in taste receptor cells: basic tastes and moreover. Curr Pharm Des. 2014;20(16):2684–92. 61 Oh DY, Talukdar S, Bae EJ, Imamura T, Morinaga H, Fan W, Li P, Lu WJ, Watkins SM, Olefsky JM. GPR120 is an omega-3 fatty acid receptor mediating potent anti-inflammatory and insulin-sensitizing effects. Cell. 2010;142(5):687–98. 62 Galindo MM, Voigt N, Stein J, van Lengerich J, Raguse JD, Hofmann T, Meyerhof W, Behrens M. G ProteinCoupled Receptors in Human Fat Taste Perception, Chemical Senses 2011;37(2):123–139.

17

2.2 Die Wahrnehmungen über die Sinne

Tab. 2.8: Das somatosensorische System und seine Vernetzung.65,66 Reize

Ort

Reizaufnahme

Druck, Dehnung, Haut, Gelenke, Vibration Muskel



Berührung

Haut

Temperatur

Haut

Schmerz

Haut, Gelenke, Muskel, innere Organe

Weiterleitung

Mechano- fein, epirezeptoren kritisch Thermorezeptoren grob, protoNozipathisch zeptoren

Kopf

Hirnnerven

Körper

Rückenmark (Hinterstrang-Bahn)

Kopf

Hirnnerven

Körper

Rückenmark (Vorderstrang-Bahn)

▾ ▾

Thalamus

Wahrnehmungen

Verarbeitung in der Großhirnrinde





Exterozeption

äußere Reize

Stereognosie

dreidimensionale Strukturen und Objekte

Propriozeption

Position des eigenen Körpers und der Gliedmaßen/Hände im Raum

Kinästhesie

Bewegungen des eigenen Körpers

Viszerozeption

Tätigkeit der eigenen Organe

Primärer und sekundärer somatosensorischer Cortex (Erfassung der Eigenschaften eines Objektes)

Thermorezeption Temperatur Nozizeption

Schmerzen





Gedächtnis

Visuelle



Akustische/ vestibuläre

Wahrnehmungen



Polymodaler Assoziationskomplex im tertiären somatosensorischen Cortex



Somatomotorisches System (Motorische Reaktionen)

Gustatorische Olfaktorische

▾ Motorisches System

63 Tucker RM, Mattes RD, Running CA. Mechanisms and effects of “fat taste” in humans. Biofactors. 2014;40(3):313–26. 64 Bujas Z, Ajduković D, Szabo S, Mayer D, Vodanović M. Central processes in gustatory adaptation. Physiol Behav. 1995;57(5):875–80. 65 Grefkes C, Fink GR. Somatosensorisches System in http://link.springer.com/chapter/10.1007%2F978-3-540-68558-6_19#page-1. 66 http://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/somatosensorisches-system/11952.

18

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Für die Bewegungskoordination sind von besonderer Bedeutung die Golgi-Sehnenorgane und die Muskelspindel in der Skelettmuskulatur verantwortlich. Muskelspindel bestehen aus wenigen, von einer Bindegewebshülle umkleideten quergestreiften Muskelfasern mit deren Hilfe gesteuert werden ▪ die Aufrechterhaltung einer konstanten Muskelspannung und Körperhaltung, ▪ die bewussten und unbewussten körperlichen Bewegungen, ▪ der Schutz vor Überdehnung der Muskeln. Die zentrale Verarbeitung der von den Mechanorezeptoren aufgenommenen Signale erfolgt (siehe Tab. 2.8) ▪ primär im Thalamus und nach dortiger Verschaltung mit dem primären und sekundären somatosensorischen Cortex, ▪ letztlich im polymodale Assoziationskomplex des tertiären somatosensorischen Cortex, – wo die Signale verbunden und verarbeitet werden mit den Sinneswahrnehmungen aus dem visuellen, dem akustischen/vestibulären und dem olfaktorischen und gustatorischen System, – sodass komplexe Eigenschaften eines Objektes erfasst werden können wie Größe, Gewicht, Gestalt, Oberfläche, Festigkeit und Temperatur, Aussehen und Farbe, Geruch und Geschmack und/oder Tonabgabe; ▪ nachfolgend im somatomotorischen System, wo – die somatosensorischen Wahrnehmungen vernetzt werden mit dem motorischen Kortex und – unter Beteiligung des Frontalhirns und des Gedächtnisses in den Temporallappen – die körperlichen Aktionen als Reaktion auf die Wahrnehmung erfolgen. Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr besitzt zwei Funktionseinheiten, welche umgeben sind von Perilymphe, gefüllt sind mit Endolymphe und mit Haarzellen besetzt sind. Von den Haarzellen führen afferente und efferente Nervenbahnen zu den Nervenzellen des Ganglion vestibulare am Boden des inneren Gehörgangs, von welchem die Aktionspotentiale letztlich zu den vier Gleichgewichtskernen im Hinterhirn geführt werden, wo sie verschaltet werden mit Nervenfasern von fast allen Hirnbereichen, im besonderen ▪ den Hirnbereichen – für die visuelle Wahrnehmung (Augen und Augenmuskeln) und – für die Tiefensensibilität (propriozeptives System); ▪ dem Kleinhirn, der Formatio reticularis und dem Rückenmark. Durch diese Verschaltungen ist eine bewusste Orientierung und Bewegung des Körpers im Raum möglich. Störungen dieser Verschaltungen und Funktionen können zu Schwindelanfällen, Erbrechen etc. führen. Für das Arzt-Patienten-Verhältnis sind die Sinneswahrnehmungen von entscheidender Bedeutung. Sie ermöglichen

2.2 Die Wahrnehmungen über die Sinne

▪ ▪





19

dem Patienten, sich selbst als krank oder gesund zu empfinden und seine Erkrankungen zu erkennen, zu verorten und zu beschreiben, die Einschätzung des Gegenübers. Auf Grund der visuellen, akustischen und olfaktorischen Wahrnehmung kann der Arzt oder der Patient – auf den „ersten Blick“ oder auch erst nach „längerem Hinsehen“ als angenehm, als sympathisch, vielleicht auch als vertrauenswürdig angesehen werden, – auch innerlich abgelehnt werden, verdeutlicht in Sprüchen wie „Er stößt auf taube Ohren“ oder „Den kann ich nicht riechen“; dem Arzt, durch eine „Wohlfühl-Umgebung“ das Vertrauen und die Offenheit des Patienten zu steigern und so Vorgeschichte und Symptome der Erkrankung umfassend zu ermitteln und Diagnose und Therapie bestmöglich zu erarbeiten, dem Patienten, die ärztliche Beratung und die Therapievorschläge zu verstehen und bewusst und überzeugt anzuwenden.

Dieses Überzeugtsein stärkt die Selbstheilungskräfte, die dann wieder unter dem Einfluss stehen der nachfolgenden Sinneswahrnehmungen, der Bewusstseinsbildung (siehe Kap. 2.3) und der unbewussten und autonomen Körperfunktionen (siehe Kap. 2.4) und diese ihrerseits willkürlich wie auch unwillkürlich beeinflussen. Alle unsere körperlichen Funktionen und damit auch diejenigen der Selbstheilungskräfte sind der steuernden Funktion des Zeitsinns unterworfen, welcher ▪ als passiver Zeitsinn die Ausschüttung von Glucocorticoiden mit Hilfe der circadianen Schrittmacher reguliert 67,68, welche den täglichen Rhythmus erfassen und die lokalisiert sind, – zum einen im Gehirn (suprachiasmatischen Nukleus) mit Einfluss auf die Aktivität der Hypothalamus-Hypophyse-Nebennieren- Achse und des autonomen Nervensystems, – zum anderen in der Nebenniere, ▪ als aktiver Zeitsinn69,70,71 das Zeitgefühl ermöglicht mit der Wahrnehmung von zeitlichen Abfolgen und von Zeitintervallen, wie auch der Gegenwart und an welchem beteiligt sind Teile der Großhirnrinde (prefrontaler Cortex), der anteriore cingulate Gyrus (ACG), das supplementäre motorische Areal (SMA), der Parietallappen und das Kleinhirn.

67 Plikus MV, Van Spyk EN, Pham K, Geyfman M, Kumar V, Takahashi JS, Andersen B. The Circadian Clock in Skin: Implications for Adult Stem Cells, Tissue Regeneration, Cancer, Aging, and Immunity. J Biol Rhythms. 2015 Jan 13. pii: 0748730414563537. 68 Dickmeis T, Foulkes NS. Glucocorticoids and circadian clock control of cell proliferation: at the interface between three dynamic systems. Mol Cell Endocrinol. 2011 Jan 1;331(1):11–22. 69 Harrington DL, Boyd LA, Mayer AR, Sheltraw DM, Lee RR, Huang M, Rao SM. Neural representation of interval encoding and decision making. Brain Res Cogn Brain Res. 2004;21(2):193–205. 70 Rubia K, Smith A. The neural correlates of cognitive time management: a review. Acta Neurobiol Exp (Wars). 2004;64(3):329–40. 71 Bueti D, Walsh V, Frith C, Rees G. Different brain circuits underlie motor and perceptual representations of temporal intervals. J Cogn Neurosci. 2008;20(2):204–14.

20

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

2.2.2 Die Schmerzempfindungen Schmerzen dienen dem Überleben. Menschen, welche kongenital (z. B. durch Mutation des SCN9A Gens) keine Schmerzempfindungen besitzen, haben nur eine geringe Lebenserwartung.72,73 Andererseits bedeutet Kranksein in vielen Fällen, Schmerzen zu empfinden. Schmerzempfindungen gehen von Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) (siehe Tab. 2.9) aus, welche ▪ sich in der Zellmembran der freien Endigungen der peripheren Endverzweigung von Axonen sensibler Ganglienzellen befinden und ▪ unterschiedliche Kationenkanäle (TRT, transient receptor potential cation channels) darstellen, welche spezifisch sind für bestimmte schmerzauslösende Reize. Nozizeptoren sind in fast allen Geweben anzutreffen, so in der Haut, im Stütz- und Bewegungsapparat und in fast allen Organen, jedoch nicht in der Leber und im Gehirngewebe. Entsprechend der Lokalisation, der Dichte und der Art der Nozizeptoren sind zu unterteilen: ▪ der Oberflächenschmerz, wahrgenommen auf der Haut und eindeutig zu lokalisieren, meist assoziiert mit einem geschädigten Gebiet, ▪ der Tiefenschmerz, wahrgenommen in der Muskulatur oder im Knochen bzw. im Periost, nicht eindeutig zu lokalisieren und durch Nozizeptoren mit den langsamer leitenden C-Fasern hervorgerufen, ▪ der Viszeralschmerz, wahrgenommen in dem betroffenen inneren Organ, bedingt durch Dehnungsreize der glatten Muskulatur, auf das jeweilige Organ zu lokalisieren (z. B. Darm-, Nieren- oder Gallengangs-Koliken) und durch Nozizeptoren mit den langsamer leitenden C-Fasern hervorgerufen, ▪ der „beißende“ Schmerz, durch Nozizeptoren mit schnell leitenden A-delta-Fasern, ▪ der „dumpfe“ Schmerz, durch Nozizeptoren mit den langsamer leitenden C-Fasern. Über die Schmerzbahn werden die Aktivierungspotentiale entstanden in den Nozizeptoren weitergeleitet (siehe Tab. 2.9) ▪ in das Vorderhorn das Rückenmarks, wo der nociceptive Reflex (Fluchtreflex) über polysynaptische Reflexbahnen ausgelöst wird, wobei die Reflexbewegungen bestimmt werden – von den gleichseitigen Motoneuronen, welche die sekundenschnelle Rückzugoder Fluchtreaktion auslösen, – von den gegenseitigen Motoneuronen, die gleichzeitig die Stabilität des Körpers einstellen; ▪ zum Thalamus über den Tractus spinothalamicus, wobei im Thalamus – die Bewertung der gefühlten Stärke des Schmerzes erfolgt und – die Vernetzung mit allen anderen Sinneswahrnehmungen stattfindet;

72 Peddareddygari LR, Oberoi K, Grewal RP. Congenital insensitivity to pain: a case report and review of the literature. Case Rep Neurol Med. 2014;141953. PMID:25309764. 73 Golshani AE, Kamdar AA, Spence SC, Beckmann NM. Congenital indifference to pain: an illustrated case report and literature review. J Radiol Case Rep. 2014;8(8):16–23.

2.2 Die Wahrnehmungen über die Sinne

21

Tab. 2.9: Übersicht der Schmerzrezeptoren/Nozizeptoren. Rezeptoren MechanoNozizeptoren A-polymodale Nozizeptoren C-polymodale Nozizeptoren

Ableitung

Aktivierung durch

A-Deltafasern markhaltig Leitungsgeschwindigkeit 2–30 m/s

mechanische Reize

C-Fasern, marklos, Ummantelung mit Schwann-Zellen unterbrochen, Leitungsgeschwindigkeit 0,25–1,5 m/s

mechanische, thermische, chemische Reize, bewirken Einstrom von Kationen (Na+, Ca2+, Mg2+), reaktive Öffnung der Natriumkanäle und Membran-Depolarisation mit Aktionspotential im Axon

„thermische“ und „chemische“ polymodale Nozizeptoren

TRPV- Kanäle (Transient Receptor Potential Vanilloid Channels)





TRPV1

Temperaturen > 42 °C; Capsaicin („Würze“ von Pfeffer, Paprika, Chilli)

TRPV2

Temperaturen > 52 °C; unempfindlich gegen Capsaicin

TRPV3; TRPV4

nicht schmerzhafte Temperaturen

TRPM8 (Transient Receptor Potential Melasatin Channel)

Temperaturen ≤ 28 °C

TRPA1 (Transient Receptor Potential Ankyrin Channel)

sehr niedrige Temperaturen

ASIC-Kanäle (acid sensing ion channels)

Verminderung des pH-Wertes direkt (z. B. Säuren) oder indirekt (toxischer Zelltod, lokale Ischämie, lokale Entzündung)

zum somatosensorischen Cortex – wo die bewusste Wahrnehmung und Lokalisation des Schmerzes stattfindet, – wobei beides Lernprozesse darstellen; zur Formatio retikularis (in der Medulla oblongatea) über kollaterale Nervenfasern, welche vom Tractus spinothalamicus abzweigen; hierdurch besteht eine Verbindung – mit dem vegetativen Nervensystem, dessen Erregung vegetative Reaktionen (Pupillenerweiterung, Schweißausbruch, Ohnmacht und Kreislaufkollaps) zur Folge haben kann und – mit spinalen motorischen Nervenbahnen.

Bei Entzündungen können die freigesetzten Entzündungsmediatoren die Aktivierung der Nozizeptoren erheblich verstärken oder stille Nozizeptoren im gesunden Gewebe durch Herabsetzen der Reizschwelle aktivieren (siehe Tab. 2.10). Jede Aktivierung von Nozizeptoren kann zum neurogenen Reflex führen, bei welchem aktivierte Nozizeptoren den Schmerz verstärken, indem sie Wachstumsfaktoren wie NGF (Nerve Growth Factor) und CGRP (Calcitonin Gen related Peptide) ausschütten und hierdurch

22

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.10: Die Schmerzwahrnehmung. Ort

Schmerzbahn

Haut, Nozizeptoren Bindegewebe (Kationenkanäle Organe in der Zellmembran freier sensibler Organe Axon-Enden)

Funktion

Mechano- Nozizeptoren A-polymodale Nozizeptoren

mechanische Reize Öffnung der Kationenkanäle



C-polymodale Nozizeptoren

mechanische, thermische und chemische Reize

▾ Entzündungs- Freisetzung von gebiete Mediatoren

Kinine (Bradykinin), Prostaglandine (PGE2), Leukotriene, Histamin, Serotonin, Interleukine,

Mediatoren aktivieren ihre Rezeptoren, deren Phosphokinase die Kationenkanäle phosphoryliert, was den Einstrom von Kationen steigert und den Schmerz verstärkt oder durch Aktivierung stiller Nozizeptoren Schmerz erzeugt

▾ sensible Neuronen (pseudounipolar)

A-delta-Faser (mechanogering myelinisiert, schnell leitend und A-poly-modale (2–30 m/s) Nozizeptoren) C-Faser (C-polymodale Nozizeptoren)

nicht myelinisiert, langsam leitend (0,25–1,5 m/s)

▾ Ausschüttung von neurotropen Wachstumsfaktoren





Neurogener Reflex: Verstärkung des Schmerzreizes durch autokrine und parakrine Aktivierung und Proliferation von Nozizeptoren

Ganglien Hirnnerven Schmerzsensible Neurone

Spinalganglion (Wirbelsäule)

Weiterführende neurale Verschaltungen

▾ Rückenmark

Weiterführende Neurone in grauer Substanz

Hinterhorn

▾ Vorderhorn

▾ ▸

Verschaltung mit Motoneuronen

▾ Vorderseitenstrang

Traktus spinothalamicus

der gleichen Seite

Nociceptiver Reflex: Flucht oder Rückzug

der Gegenseite

Nociceptiver Reflex: Stabilisierung der Körperhaltung

2.2 Die Wahrnehmungen über die Sinne

Ort

Schmerzbahn

23

Funktion

▾ Verschaltungen:

Hirnstamm (Tegmentum)

Zwischenhirn



Formatio reticularis



Kleinhirn, Hypothalamus, limbisches System; Brechzentrum, Schluckzentrum, vegetatives System (Pupillenerweiterung, Schweißausbruch, Kreislaufkollaps), endogenes analgetisches System; spinale motorische Nervenbahnen;

Bewertung der gefühlten Stärke des Schmerzes

Thalamus

▾ Großhirnrinde

▪ ▪

Somatosensorischer Cortex

bewusste Wahrnehmung und Lokalisation des Schmerzes

autokrin ihre eigene Aktivierung steigern und parakrin die umliegenden, ruhenden Nozizeptoren aktivieren, sodass Nervenfasern in vom primären Reiz nicht betroffene, benachbarte Gewebe aussprossen, in denen dann auch Schmerz empfunden wird.

Die Temperaturwahrnehmung74,75 erfolgt durch Thermorezeptoren in der Haut und in den anderen Organen, im Besonderen in deren Schleimhäuten.76,77,78 Zu unterscheiden sind ▪ „spezifische“ Thermorezeptoren (Kationenkanäle, die sich temperaturabhängig öffnen und schließen) in den Enden thermosensibler Axone, – Kaltrezeptoren, aktiv zwischen ~ 5 °C und ~ 40 °C mit einem Maximum bei 20 °C– 25 °C, – Kaltrezeptoren und Warmrezeptoren, aktiv zwischen ~ 25 °C und ~ 45 °C; mit einem Maximum bei 40 °C–45 °C ▪ „unspezifische“ Thermorezeptoren, welche zu den Nozizeptoren gehören und ▪ Mechanorezeptoren, welche zusätzlich Temperaturveränderungen wahrnehmen können. 74 http://www.physiologie.uni-kiel.de/dissertationen/Andresen_2010.pdf. 75 Vriens J, Nilius B, Voets T. Peripheral thermosensation in mammals. Nat Rev Neurosci. 2014;15(9):573– 89. 76 Green BG, Akirav C. Threshold and rate sensitivity of low-threshold thermal nociception. Eur J Neurosci. 2010;31(9):1637–45. 77 Schepers RJ, Ringkamp M. Thermoreceptors and thermosensitive afferents. Neurosci Biobehav Rev. 2009;33(3):205–12. 78 Madrid R, de la Peña E, Donovan-Rodriguez T, Belmonte C, Viana F. Variable threshold of trigeminal cold-thermosensitive neurons is determined by a balance between TRPM8 and Kv1 potassium channels. J Neurosci. 2009;29(10):3120–31.

24

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Das durch Thermorezeptoren entstandene Aktivierungspotential wird von den sensorischen Nervenbahnen über die Spinalganglien zum Hinterhorn des Rückenmarks geführt, wo ▪ Kaltneurone unter der Kontrolle von aktivierten Warmneuronen die Hauttemperatur zwischen 15 °C bis 34 °C halten, ▪ polymodale nozizeptive HPC-(Heat, Pinch, Cold)-Neurone mechanische Reize, KälteReize und Hitze-Reize ≥ 45,5 °C weiterleiten unter der Kontrolle von Kaltneuronen und ▪ spezifische nozizeptive Neurone mechanische Reize und Temperaturreize ≥ 43 °C weiterleiten. Von dort erfolgt die Reizweiterleitung in den Vorderseitenstrang des Rückenmarks und über den Tractus spinothalamicus zum Thalamus. Vom Thalamus bestehen polysynaptische Verbindungen ▪ zum somatosensorischen Cortex, wo die bewusste Wahrnehmung und Lokalisation der Temperaturveränderung stattfindet, ▪ zur Inselrinde mit Verbindungen zur olfaktorischen und gustatorischen Wahrnehmung wie auch zur emotionalen Bewertung von Schmerzen und ▪ zum cingulären Cortex (Gyrus cinguli) des limbischen Systems, welcher beteiligt ist an – der Bearbeitung und Bewertung von Gefühlen und Schmerzen, – der Entscheidung über das Verhalten bei sich widersprechenden Reizen, – der Steuerung des Ausdruckverhaltens (z. B. Mimik und Gestik) und des Antriebs und der hierzu verbunden ist mit dem motorischen und dem präfrontalen Cortex und – der visuell-räumliche Aufmerksamkeit und des räumlichen Gedächtnisses und der hierfür verschaltet ist mit dem Parietal-, Temporal- und Frontallappen. Temperaturempfindungen unterliegen einer sensorischen Adaption, d. h. ▪ eine Veränderung der Hauttemperatur innerhalb einer thermischen Indifferenzzone von 30 °C–35 °C wird kaum wahrgenommen, ▪ außerhalb der thermischen Indifferenzzone wird eine Temperaturveränderung durch zentrale Anpassung an die Temperaturveränderung nur vorübergehend empfunden, wobei in Bereichen von ~20 °C und ~40 °C eine weitgehend vollständige sensorische Anpassung besteht.

2.3 Die Grundzüge unserer Bewusstseinsbildung Das menschliche Bewusstsein umfasst all jene Zustände, die von einem Individuum erlebt werden. Hierzu gehören79 ▪ die Sinneswahrnehmungen von Vorgängen in der Umwelt und im eigenen Körper,

79 Roth G. „Wie das Gehirn die Seele macht“ Vorlesung im Rahmen der 51. Lindauer Psychotherapiewochen 2001, http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth_gerhard.pdf.

2.3 Die Grundzüge unserer Bewusstseinsbildung







25

mentale, kognitive und emotionale Zustände und Tätigkeiten wie – Denken, Vorstellen und Erinnern, – Gefühls- und Gemütsbewegungen, Erregungs- und Bedürfniszustände, – Planungen und Kontrolle von Handlungen; das Erleben der eigenen Person, das Ich-Gefühl in seinen unterschiedlichen Ausprägungen, – in Form der Besitznahme und durch das Besitzgefühl für den eigenen Körper, – als Urheber und steuernde Kraft der eigenen Gedankenvorgänge und Handlungen, – durch den Bezug des geistigen und körperlichen Selbst in Raum und Zeit und das Wahrnehmen von Geschehnissen und die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Vorstellung.

Um Sinneswahrnehmungen bewusst werden zu lassen und auf sie reagieren zu können, müssen sie im Gehirn verarbeitet werden. Grundlage des Wissens auf diesem Gebiet sind ▪ Tierexperimente und zelluläre molekularbiologische Untersuchungen der beteiligten Gensequenzen und der (epigenetischen) Bedingungen für die Expression der von ihnen kodierten Proteine, ▪ klinische Untersuchungen mit Hilfe von nicht invasiven bildgebenden Methoden (Elektroenzephalografie/EEG, Magnetenzephalografie/MEG, Positronenemissionstomografie/PET, funktionelle Magnetresonanztomografie/fMRT), ▪ klinische Befunde der Änderung von kognitiven, mentalen und/oder emotionalen Funktionen nach Schädigungen bestimmter Gehirnareale durch Infarkte, Tumoren, Missbildungen und ▪ neuropharmakologische Untersuchungen. Durch diese Untersuchungen ist belegt, dass im menschlichen Gehirn (siehe Tab. 2.11)80 ▪ neuronale Prozesse und bewusst erlebte geistig-psychische Zustände miteinander zusammenhängen und unbewusste Prozesse bewussten Prozessen vorausgehen und ▪ sämtliche psychische Prozesse mit neuronalen Vorgängen in bestimmten Hirnarealen einhergehen – zum Beispiel Vorstellungen, Empathie, Empfindungen, Entscheidungen und die bewusste Planung von Handlungen. Andererseits ist der eigentliche Mechanismus dieser Aktivitäten, so auch die Antwort auf die Frage, wie funktioniert das menschliche Bewusstsein, bislang noch weitgehend ungeklärt.81 Rein beschreibend gelten als wesentlichen Stationen des menschlichen Bewusstseins

80 Elger CE, Friederici A, Koch C, Luhmann H, von der Malsburg C, Menzel R, Monyer H, Rösler F, Roth G, Scheich H, Singer W, Das Manifest: Was können und wissen Hirnforscher heute? http://www.spektrum.de/ thema/das-manifest/852357 81 Elger CE et al. Siehe 80

26

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.11: Das zentrale Netzwerk zur Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen. Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Fühlen)



olfaktorische Wahrnehmung



Thalamus



▾▴ Großhirnrinde

▸ ◂

▴▾

▴▾

▸ externe interne Reize



Hypothalamus motorisches System

▾▴ vegetatives Nervensystem

somatisches Nervensystem

interne externe Reize

▾ ▸ ◂



Hormonsystem



Hirnstamm





Rückenmark

◂ ▸

Limbisches System



Hypophyse

▾ Hormone





▸ ◂

Körperorgane

▪ ▪ ▪



der Thalamus als Filterorgan, die jeweiligen Großhirnrindenareale, – für die Verarbeitung der Sinneswahrnehmungen und für das Bewusstwerden; das limbische System als Schaltzentrale – für Gedächtnisprozesse und Gefühlsreaktionen, – zur Abspeicherung und zum Abruf der Erlebnisse in den zugehörigen Arealen der Großhirnrinde, wobei die endgültige Speicherung konsolidierter Gedächtnisinhalte in den zugehörigen Hirnrindengebieten besonders in der Schlafphase erfolgt;82,83,84 der Hypothalamus mit seinen zusätzlichen Funktionen als Steuerungszentrale – des vegetativen und somatischen Nervensystems und des Hormonsystems.

82 Huijgen J, Samson S. The hippocampus: A central node in a large-scale brain network for memory. Rev Neurol (Paris). 2015;171(3):204–16. 83 Genzel L, Spoormaker VI, Konrad BN, Dresler M. The role of rapid eye movement sleep for amygdalarelated memory processing. Neurobiol Learn Mem. 2015;122:110–121. 84 Alger SE, Chambers AM, Cunningham T, Payne JD. The role of sleep in human declarative memory consolidation. Curr Top Behav Neurosci. 2015;25:269–306.

2.3 Die Grundzüge unserer Bewusstseinsbildung

27

2.3.1 Der Thalamus als Schwelle Der Thalamus ist der größte Teil des Zwischenhirns. Er besteht aus einer, jeweils unter der rechten und der linken Großhirnhemisphäre gelegenen, etwa taubeneigroßen Struktur (unterteilt in den Thalamus dorsalis und Thalamus ventralis), die mehr als 100 Anhäufungen von Nervenzellkörpern, sogenannte Kerngebiete/Nuclei aufweist, die wiederum nach ihrer Lage und Funktion unterteilt werden in ▪ spezifische Thalamuskerne und ▪ unspezifische Thalamuskerne, ▪ Kerne des Thalamus ventralis und des Nucleus reticularis thalami. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“,85,86 indem er ▪ alle Signale von den Sinnesorganen prüft, welche aus dem Kopfbereich über die Gehirnnerven direkt oder indirekt eingehen, ▪ über die afferenten sensorischen Bahnen des Rückenmarks alle Signale der somatosensorischen Wahrnehmungen aus dem übrigen Körperbereich erhält, ▪ diejenigen Signale auswählt, welche für den Körper in Bezug auf ihre Wichtigkeit und die aktuelle Problemlösung von Bedeutung sind, wobei hierzu der Thalamus vernetzt ist mit – der Großhirnrinde, besonders denjenigen Arealen, welche für die Sinneswahrnehmungen entscheidend sind, – dem limbischen System, in welchem die Verarbeitung von Gefühlsprozessen und die Regulierung von Gedächtnisinhalten stattfinden, und – dem motorischen System; ▪ die ausgewählten Signale an die zugehörigen Areale in der Großhirnrinde weiterleitet, – in denen das Bewusstwerden der jeweiligen Sinnesempfindungen stattfindet. Die spezifische Thalamuskerne üben hierbei einen direkten Einfluss auf die Großhirnrinde aus, da sie über mannigfache Nervenstränge direkt afferent wie auch efferent miteinander und mit definierten Bereichen der Großhirnrinde verbunden sind, wobei den unterschiedlichen Thalamuskernen bestimmte Schaltfunktionen zugeordnet werden können (siehe Tab. 2.12). In der Großhirnrinde werden die ausgewählten Signale von den spezifischen Thalamuskernen verarbeitet und miteinander verbunden, so z. B. ▪ werden im polymodalen Assoziationskomplex des tertiären somatosensorischen Cortex die haptischen Informationen zusammengeführt und verbunden – mit den anderen Sinneswahrnehmungen aus dem visuellen, akustischen/vestibulären, dem olfaktorischen und dem gustatorischen System, – sodass komplexe Eigenschaften eines Objektes erfasst werden können;

85 Cudeiro-Mazaira FJ, Rivadulla-Fernández JC. The thalamus: a dynamic door to perception. Rev Neurol. 2002;34(2):121–30. 86 Sherman SM. Thalamic relays and cortical functioning. Prog Brain Res. 2005;149:107–26.

28

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.12: Die Filterfunktion der spezifischen Thalamuskerne bei der Sinneswahrnehmung. Peripheres Nervensystem

ZNS Limbisches und Motorisches System

Somatosensorische (sensible) Wahrnehmung

▾▴

Kopfbereich N. oculomotorius

III

N. trochlearis

IV

N. abducens

VI

N. trigeminus

V

N. ophtalmicus

Pupillenbewegungen, Augenmuskel/Augenbewegungen

▸ ◂

unspezifische Thalamus-Kerne (Trunko-Thalamus)

▾▴ Basalganglien

▴▾

Augen

N. maxillaris Gesicht N. mandibularis N. facialis

VII

N. petrosus major

Gaumen

Chorda tympani

Vordere Teil der Zunge

N. glossopharyngeus

IX

N. vagus

X

Primärer und sekundärer somatosensorischer Cortex

Gesichtsmuskel/Mimik



hinterer Teil der Zunge Rachenmuskel/Schlucken

N. laryngus superior

Kehlkopf, Nasenrachenraum

Para-sympatikus

Innere Organe

Spezifische Thalamus Kerne (PallioThalamus)

▸ ◂ Polymodaler Assoziationskomplex im tertiären somatosensorischen Cortex

Übriger Körper sensorische Bahnen des Rückenmarks (Tractus spinothalamicus)

Haut, Muskeln, Sehnen, Schleimhäute, innere Organe

▴▾

Sensorische Wahrnehmungen Visuell

N. opticus

Akustisch

N. vestibularis + VIII N. cochlearis)

Gustatorisch

II

N. facialis

VII

N. glossopharyngicus

IX

N. vagus

X

N. olfaktorius

I

Visueller Cortex Akustischer Cortex

▸ ◂



Gustatorischer Cortex

▴▾ Olfaktorisch

Traktus olfactorius



Olfaktorischer Cortex

▴▾ Limbisches System

2.3 Die Grundzüge unserer Bewusstseinsbildung

▪ ▪

29

wird im somatomotorischen System die somatosensorische Wahrnehmung vernetzt mit dem motorischen Kortex, erfolgen unter Beteiligung des Frontalhirns und des Gedächtnisses in den Temporallappen die körperlichen Aktionen als Reaktion auf die Wahrnehmung (siehe Kap. 2.2.2).

Die unspezifischen Thalamuskerne stellen die Eingangsstelle für „Hintergrundinformationen“ dar. Nur mit wenigen Fasern sind sie direkt mit der Hirnrinde verbunden. Stattdessen bestehen zahlreiche Verbindungen ▪ mit den spezifischen Thalamuskernen und über diese indirekt mit den zugehörigen Arealen der Hirnrinde, ▪ mit den Basalganglien, die subkortikal (zwischen Hirnrinde und Thalamus) liegen und welche – zusätzlich verbunden sind mit der Hirnrinde, dem limbischen und dem motorischen System, – als Filtersystem wirken für Signale, welche von der Großhirnrinde ausgehen und über die Basalganglien und den Thalamus zurück zum Frontallappen des Großhirns geleitet werden; ▪ mit den Neuronen der Formatio reticularis im Mittelhirn, welche steuernde Zentren darstellen für – das „aufsteigende retikuläre aktivierende System (ARAS)“, – das Schlucken, Erbrechen, Ein- und Ausatmen, den Blutdruck und die Herzfrequenz und für die Schmerzempfindungen; ▪ mit den motorischen Regionen im Kleinhirn (Cerebellum) und Großhirn. Das „aufsteigende retikuläre aktivierende System (ARAS)“ 87,88 reguliert die gerichtete Aufmerksamkeit und den Wach- und Schlafzustand. Ihren Ausgang nimmt das ARAS von Neuronen der Formatia reticularis im Mittelhirn, ▪ welche die (blockierende) Funktion des Nucleus reticularis thalami derart beeinflussen, – dass die Weiterleitung der eingehenden Sinnesreize an die unspezifischen Thalamuskerne wie auch die spezifischen Thalamuskerne nicht gehemmt werden, – dass die so enthemmten spezifischen Thalamuskerne die eingegangenen und ausgewählten Sinnesreize gezielt an die jeweilige Hirnrinde weitergeben können; ▪ welche afferent wie auch efferent über die unspezifischen Thalamuskerne und Basalganglien mit der Hirnrinde verbunden sind und dort in den kortikalen Zellen bewirken – eine Senkung des Schwellenwertes für die Aktivierung und eine Verminderung der inhibitorischen Prozesse,

87 Edlow BL, Takahashi E, Wu O, Benner T, Dai G, Bu L, Grant PE, Greer DM, Greenberg SM, Kinney HC, Folkerth RD. Neuroanatomic connectivity of the human ascending arousal system critical to consciousness and its disorders. J Neuropathol Exp Neurol. 2012;71(6):531–46. 88 Jang SH, Kwon HG. The ascending reticular activating system from pontine reticular formation to the hypothalamus in the human brain: a diffusion tensor imaging study. Neurosci Lett. 2015;590:58–61.

30

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

– –

eine tonische Erhöhung der elektrischen Aktivität und eine Verstärkung von phasischen Erregungszunahmen, eine cholinerge und glutaminerge Erregung der gesamten Hirnrinde mit Erhöhung der Aufmerksamkeit, des Wachseins und Verminderung des Schlafes.89

Die im Alter auftretenden Einschränkungen der Aufmerksamkeit, der kognitiven Funktionen und der Gedächtnisleistungen sind korreliert mit einer strukturellen Verminderung der Vernetzung des Thalamus.90

2.3.2 Die Wege zum Bewusstsein Das Bewusstsein äußert sich in den Phänomenen des Wachseins für die Aufnahme, Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen und in den unterschiedlichen mentalen Zuständen der Verfügbarkeit von Erlebnissen und der Aufmerksamkeit, welche führen ▪ zu neu empfundenen Erlebnissen, zu Überzeugungen und zu Verhaltenskontrollen bis hin ▪ zu dem Wissen über die eigenen inneren Zustände und in das Selbstbewusstsein (siehe Tab. 2.13).91 Zu unterscheiden sind 92 ▪ das Hintergrundbewusstsein, welches umfasst – das Ich-Bewusstsein mit der willentlichen Kontrolle des Körpers, der Orientierung in Raum und Zeit und der Wirklichkeitsbewertung des Erlebten und ▪ das Aktualbewusstsein, welches abhängt – von den aktuellen Sinneserlebnissen, den emotionalen (Gefühlsprozesse) und kognitiven (Denken, Vorstellen, Erinnern) Reaktionen und den exekutiven Vorgängen (Handlungsplanung und Handlungskontrolle). Zentraler Ort der Bewusstseinsbildung ist der assoziative Cortex. Dieser ist direkt verbunden mit nicht bewusstseinsfähigen Hirngebieten des limbischen Systems für die Verschaltung von Gedächtnisprozessen und weitgehend indirekt verbunden mit den Hirnrindenregionen für die Gedächtnisspeicherung (siehe Tab. 2.14).93

89 Harris CD. Neurophysiology of sleep and wakefulness. Respir Care Clin N Am. 2005;11(4):567–86. 90 Fama R, Sullivan EV. Thalamic structures and associated cognitive functions: Relations with age and aging. Neurosci Biobehav Rev. 2015;54:29–37. 91 Metzinger T. http://www.philosophie.uni-mainz.de/metzinger/publikationen/Bewusstsein_2008_ prefinal.pdf 92 Roth G. „Wie das Gehirn die Seele macht“ Vorlesung im Rahmen der 51. Lindauer Psychotherapiewochen 2001, http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth_gerhard.pdf. 93 Roth G. Siehe 92.

2.3 Die Grundzüge unserer Bewusstseinsbildung

31

Tab. 2.13: Phänomene des Bewusstseins.94 Wachsein Vor-Begriffe (sensorisch)

Reize (äußere und innere) Aufmerksamkeit Aufnahme





Denken



Wahrnehmung

Begriffe (intentional)

Kenntnis

Empfindungen (sensorisch)

Orientierung flexible Reaktion mentaler Zustand

Verfügbarkeit der Inhalte und Qualitäten von Erlebnissen





Denken



Überzeugungen (intentional)

Erfahrung innere Wahrnehmung (Reflexion) Aufmerksamkeit



eigener mentaler Zustand

Verhaltenskontrolle



Wissen über die eigenen inneren Zustände

Vor-Begriff von sich selbst



Begriff von sich selbst

▾ Überzeugungen Selbstbewusstsein



Absichten Gefühle Handlungsweisen

Wesentliche Funktionen bei der Bewusstseinsbildung und bei bewussten Entscheidungen nimmt der präfrontale Cortex in Zusammenarbeit mit dem anterioren cingularen Cortex (ACC) ein95,96: ▪ der dorsolaterale präfrontale Cortex (DLPFC) ist maßgebend für – das Ichgefühl und die Ausprägung des Charakters, – die Wahrnehmung und Einschätzung von Geschehnissen, – das kontextgerechte Sprechen und Handeln, – die Entwicklung von Zielvorstellungen und für – das Arbeitsgedächtnis;

94 Metzinger T. Siehe 91. 95 Broche-Pérez Y, Herrera Jiménez LF, Omar-Martínez E. Neural substrates of decision-making. Neurologia. 2015. pii: S0213-4853(15)00052-3. 96 Roth G. Siehe 92.

32

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.14: Prozess der Bewusstseinsbildung.97 assoziativer Cortex (zentraler Ort der Bewusstseinsbildung)

Schläfenlappen

Schaltzentralen zur Steuerung von Gedächtnisprozessen und zum Abruf von Gedächtnisinhalten

posteriorer parietaler Cortex

Hirnrinde (kortikal)

temporaler Cortex Hinterhauptslappen

okzipitaler Cortex präfrontaler Cortex

cingulärer, entorhinaler, insulärer Cortex Hippocampus Mamillarkörper

▸ ◂

Nucleus interpeduncularis

Limbisches System

subkortikal Stirnlappen dorsolateral



orbitofrontal

Speicherung von Gedächtnisinhalten

cingulärer Cortex (Gyrus cinguli)

▸ ◂

sensorische (visuelle, akustische, olfaktorische, gustatorische) Hirnrindenareale sensomotorische Hirnrindenareale

Mandelkern (Amygdala)

der orbitofrontale Cortex (OFC) ist entscheidend beteiligt bei – der sachlichen, emotionalen wie auch ethischen und moralischen Bewertung von Situationen und Handlungen und der Einschätzung von Risiken, wobei die Prägung in der Kindheit und Jugend erfolgt und zum Ende der Pubertät, d. h. mit erfolgter Ausreifung des orbitofrontalen Cortex weitgehend abgeschlossen ist, – der Beurteilung von körperlichen, zwischenmenschlichen und sozialen Signalen und bei der Entwicklung eines sozial angepassten Verhaltens und – der Entwicklung spontaner und kreativer Handlungen.

2.3.3 Das limbische System für Gedächtnis- und Gefühlsvorgänge Unter dem limbischen System wird verstanden eine Reihe anatomisch abgrenzbarer Strukturen in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns, welche als funktionelle Gemeinsamkeit haben die Verarbeitung von der Informationen aus den Sinnesorganen mit dem Ziel, „diese mit dem aktuellen Zustand und den Bedürfnissen des Körpers in Einklang zu bringen“.98 Diese Aufgabe wird arbeitsteilig übernommen von den einzelnen Strukturen des limbischen Systems (siehe Tab. 2.15), ergänzt um mehrere parallele und miteinander vernetzte Schaltkreise.99,100 Im Vordergrund stehen

97 Roth G. „Wie das Gehirn die Seele macht“ Vorlesung im Rahmen der 51. Lindauer Psychotherapiewochen 2001, http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth_gerhard.pdf. 98 http://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/limbisches-system/7089. 99 Siehe 98. 100 Roth G. Siehe 97.

2.3 Die Grundzüge unserer Bewusstseinsbildung



▪ ▪





33

der „Papez-Kreis“ (Hippocampus, Fornix, Corpus mamillare, Thalamus, Gyrus cinguli, Hippocampus), gedacht als funktionelle Einheit für Lernprozesse und für die Speicherung und den Abruf von (emotionalen) Gedächtnisinhalten, die„Septumschleife“ (Hippocampus, Fornix, Septumkerne, Hippocampus) für Schaltfunktionen im Rahmen deklarativer Gedächtnisprozesse im Hippocampus, die „Mandelkernschleife“ (Riechrinde, basales Vorderhorn, Hypothalamus, Tegmentum, Amygdala, entorhinaler Cortex) für Wachheit, gerichtete Aufmerksamkeit, Motivation und emotionale Bewertung von Erinnerungsinhalten, das „mesolimbischen System“ (ventrales tegmentales Areal/VTA, lateraler Hypothalamus, Nucleus accumbens/ventrales Striatum und ventrales Pallidum) für die Registrierung, Verarbeitung und Belohnung von Ereignissen und die „ventrale Schleife“ (orbitofrontaler und cingulärer Cortex, ventrales Striatum/Nucleus accumbens, ventrales Pallidum, Substantia nigra, Thalamus, orbitofrontaler Cortex und cingulärer Cortex) für das unbewusste emotionale Gedächtnis.

Durch die Schaltkreise ist das limbische System im besonderen Maße beteiligt ▪ an Gefühlsempfindungen wie Zuneigung, Liebe, Abneigung, Hass, Angst und Agressionen, ▪ an emotionalen, Angst-geleiteten Verhaltensweisen und an Verteidigungs- und Fluchtreaktionen, ▪ an Antrieb und Belohnung und an der Steuerung der Sexualfunktionen, ▪ an der Abspeicherung deklarativer und emotionaler Gedächtnisinhalte und ▪ an der Steuerung vegetativer Funktionen. Unterstützt wird die Funktion des limbischen Systems durch das „neuromodulatorische System“, d. h. durch die Einwirkung von Neurotransmittern und Neuropeptiden auf die Informationsübertragung in den Synapsen. Die zentrale Kontrolle dieses „neuromodulatorische System“ erfolgt durch den Hippocampus, den Hypothalamus und den Mandelkern (Amygdala). Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Neurotransmitter ▪ Noradrenalin zur Erhöhung der Erregung und Aufmerksamkeit mit Wirkung im gesamten limbischen System und im assoziativem Cortex, ▪ Acetylcholin zur Förderung der gezielten Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses mit Wirkung im Hippocampus, Amygdala und assoziativem Cortex, ▪ Gamma-Aminobuttersäure/GABA, welche wohl der wichtigste inhibitorische Transmitter im Zentralen Nervensystem ist, ▪ die den Glückshormonen (siehe Kap. 3.2.1) zugeordnet werden wie – Serotonin für die Selbstberuhigung und für das Wohlbefinden mit Wirkung im gesamten limbischen System und im Cortex, – Dopamin zur Anregung und Belohnung, – Endogene Opioide (Endorphine) zur Minderung von Schmerzen, von Stress und für die Glücksgefühle mit Wirkung besonders im präfrontalem Cortex und im mesolimbischen System (s. o.) und – Oxytocin für die menschliche Bindung und für Glücksgefühle, wobei Oxytocin wiederum eine erhöhte Ausschüttung von Serotonin und Endorphinen bewirkt.

34

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.15: Bestandteile des limbischen Systems und deren Funktionen. Limbisches System

Hippocampus

Temporallappen

Besondere Funktionen zentrale Schaltstelle für deklarative Gedächtnisprozesse,101,102 und zum Aufruf von impliziten und expliziten Gedächtnisinhalten aus Großhirnrinden-Arealen; Erkennen von verwandten Strukturen zwischen vergangenen und neuen Inhalten, Abspeicherung von neuen Inhalten, Überführung von Gedächtnisinhalten aus dem Kurzzeitin das Langzeitgedächtnis; Konsolidierung der Speicherung103

Subiculum Gyrus dentatus

Verarbeitung von Informationen und Gedächtnisinhalten

Ammonshorn parahippocampaler Cortex grauer Schleier (Indusium griseum)

Verarbeitung von Informationen und Gedächtnisinhalten

Entorhinaler Cortex cingulärer Cortex (Gyrus cinguli)

Schaltstelle für das Langzeitgedächtnis104 und für emotionale Schmerzwahrnehmungen und das Schmerzgedächtnis Erwartungs- und Handlungskontrolle; beteiligt am Belohnungssystem105

Mandelkern (Amygdala)

Schaltstelle für emotionale Gedächtnisprozesse; Produktion und Steuerung von Gefühlsempfindungen/Emotionen106 und vom gefühlgesteuerten und sozialen Handeln,107,108 (Zuneigung, Liebe, Abneigung, Angst, Hass, Agressionen)109,110 Zentrum von furcht- und angstgeleiteten Bewertungen und

Großhirn

101 Schultz C, Engelhardt M. Anatomy of the hippocampal formation. Front Neurol Neurosci. 2014;34:6–17. 102 Sasaki T, Leutgeb S, Leutgeb JK. Spatial and memory circuits in the medial entorhinal cortex. Curr Opin Neurobiol. 2015;32:16–23. 103 Takehara-Nishiuchi K. Entorhinal cortex and consolidated memory. Neurosci Res. 2014;84:27–33. 104 Insel N, Takehara-Nishiuchi K. The cortical structure of consolidated memory: a hypothesis on the role of the cingulate-entorhinal cortical connection. Neurobiol Learn Mem. 2013;106:343–50. 105 Shenhav A, Botvinick MM, Cohen JD. The expected value of control: an integrative theory of anterior cingulate cortex function. Neuron. 2013 24;79(2):217–40. 106 Grosso A, Cambiaghi M, Concina G, Sacco T, Sacchetti B. Auditory cortex involvement in emotional learning and memory. Neuroscience. 2015;299:45–55. 107 Frank DW, Dewitt M, Hudgens-Haney M, Schaeffer DJ, Ball BH, Schwarz NF, Hussein AA, Smart LM, Sabatinelli D. Emotion regulation: quantitative meta-analysis of functional activation and deactivation. Neurosci Biobehav Rev. 2014;45:202–11. 108 Rutishauser U, Mamelak AN, Adolphs R. The primate amygdala in social perception − insights from electrophysiological recordings and stimulation. Trends Neurosci. 2015;38(5):295–306. 109 Rosell DR, Siever LJ. The neurobiology of aggression and violence. CNS Spectr. 2015;20(3):254–79. 110 Fox AS, Oler JA, Tromp DP, Fudge JL, Kalin NH. Extending the amygdala in theories of threat processing. Trends Neurosci. 2015;38(5):319–329.

2.4 Die Stärke des Unbewussten

Limbisches System

Besondere Funktionen

Mandelkern (Amygdala)

Verhaltensweisen; Regelt Wachheitszustand, Verhaltensbereitschaft, Verteidigungs- und Fluchtreaktionen und Stressreaktionen;

ventrales Pallidum

regelt Wachheit und Aufmerksamkeit; Teil des endogenen (dopaminergen) Belohnungssystems

Mamillar-Körper (Corpus mamillaria)

Schaltstelle zwischen Thalamus und Hippocampus111 im Besonderen für sexuelles Verhalten und Gedächtnisprozesse

Hypothalamus

Kontroll- und Schaltzentrale vieler vegetativer Funktionen (siehe Kap. 2.4.2) u. a. Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, Sexualverhalten, Schlaf- und Wachzustand, Temperatur- und Kreislaufregulation; Stressverarbeitung

Nucleus interpeduncularis

Multifunktionell;112 steuert Lernen, Gedächtnis, Sexualverhalten, Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, ist Teil des Belohnungssystems, der Schmerzempfindung, des Angstverhaltens

ventrales tegmentales Areal (VTA)

Bestandteil des endogenen (dopaminergen) Belohnungssystems; positive Verstärkung von Verhaltensweisen (über Aktivierung des Nucleus accumbens) mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von Sucht.

periaquäduktales Grau (PAG)

Koordination des angeborenen Angriffs- und Verteidigungsverhaltens und des affektiven Verhaltensweise inklusive Sexualverhalten, Moduliet/dämpft Schmerzempfindungen; Ursprung unbewusster Schmerzlaute (Schreie, Stöhnen)113

Zwischenhirn

Mittelhirn (Hirnstamm)

35

2.4 Die Stärke des Unbewussten 2.4.1 Die Prägung des Unbewussten Von Sigmund Freud wurde einerseits das Modell des „Unbewussten“, des „Vorbewussten“ und des „Bewussten“, andererseits das Strukturkonzept mit den Instanzen „Ich“, „Es“ und „Über-Ich“ entworfen,114 um psychische Befindlichkeiten und Verhaltensweisen des Menschen zu erklären.

111 Dillingham CM, Frizzati A, Nelson AJ, Vann SD. How do mammillary body inputs contribute to anterior thalamic function? Neurosci Biobehav Rev. 2015;54:108–119. 112 Klemm WR. Habenular and interpeduncularis nuclei: shared components in multiple-function networks. Med Sci Monit. 2004;10(11):261–73. 113 Roth G. „Wie das Gehirn die Seele macht“ Vorlesung im Rahmen der 51. Lindauer Psychotherapiewochen 2001, http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth_gerhard.pdf. 114 Bohleber W. Das Unbewusste. Metamorphosen eines Kernkonzepts, Z Psychoanal 2013;67:804–814, http://psychoanalyseforum.de/blog/das-unbewusste-psychoanalytische-kernkonzepte/.

36

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.16: Unbewusste Wahrnehmungen, welche bewusste Wahrnehmungen beeinflussen können.115 Inhalte bewusste Wahrnehmungen, die ins Unbewusste abgesunken sind

Auswirkungen/Abrufe



können durch Schlüsselsignale wieder bewusst gemacht („erinnert“) werden



können nach entsprechender Aktivierung der assoziativen Großhirnrinde bewusst werden



können Funktionen der assoziativen Großhirnrinde beeinflussen



Ich-bezogene Bewusstseins- und Gedächtnisinhalte scheinen sich erst ab Ende des dritten Lebensjahres zu entwickeln

vorbewusste Wahrnehmungen unterschwellige (subliminale) Wahrnehmungen unbewusste Vorgänge in Gehirnregionen außerhalb der assoziativen Großhirnrinde kognitive und emotionale Prozesse, die beim Fötus, Säugling und/oder Kleinkindes vor Ausreifung des assoziativen Cortex ablaufen.

Die heutige Psychoanalyse unterteilt 116 ▪ das dynamische Unterbewusstsein, welches aus einer Verdrängung eines Erlebnisses resultiert und das Bewusstsein beeinflusst und in welchem unbewusste Wünsche durch Träume eine imaginäre Erfüllung suchen, ▪ das nicht-verdrängte Unterbewusstsein, was sich überschneidet bzw. weitgehend identisch ist mit dem impliziten Wissen und (siehe Kap. 2.1) und in welchem auch das Bindungsverhalten angesiedelt werden kann, und ▪ das kreative Unterbewusstsein, in welchem Wach- und Schlaf-Träume als besondere Formen des unbewussten Denkens angesehen werden und welches der Suche nach Problemlösungen und der Verarbeitung von Konflikten dient, neue Ideen schafft und seelisches Wachstum fördert. Die Ergebnisse der modernen Neurobiologie bestätigen die Annahmen der Psychologie (siehe Tab. 2.16), dass in unserem Gehirn unbewusste Prozesse bewussten Prozessen in bestimmter Weise vorausgehen.117 Die maßgebliche Prägung des Unbewussten im Menschen findet bis etwa zum Ende seiner Pubertät statt (siehe Tab. 2.17).118 Die vorgeburtliche Prägung erfolgt durch eine epigenetische Programmierung des Fetus unter dem Einfluss der Hormone der Schwangeren. Hierbei wird die Entwicklung eines wirkungsvollen stressverarbeitenden Systems (Hypothalamus-Hypophyse-Nebenniere) beim Fetus

115 Roth G. Siehe 113. 116 Bohleber W. Siehe 114. 117 Elger CE, Friederici A, Koch C, Luhmann H, von der Malsburg C, Menzel R, Monyer H, Rösler F, Roth G, Scheich H, Singer W. Das Manifest: Was können und wissen Hirnforscher heute? http://www.spektrum.de/thema/das-manifest/852357. 118 Roth G. Siehe 113.

2.4 Die Stärke des Unbewussten





37

gefördert, wenn die Schwangere – ein ausgewogenes Verhältnis von Stresshormonen (Cortisol, Noradrenalin) und Beruhigungshormonen (Serotonin; Endorphine) im Blut aufweist und – Stressbelastungen durch eine leistungsfähige Stressbewältigung schnell überwinden kann; gehemmt, wenn die Schwangere119 – dauerhaften oder häufigen Stressbelastungen ausgesetzt ist mit hohen Konzentrationen von Stresshormonen im Blut, besonders ausgeprägt z. B. bei fehlendem festen Lebenspartner oder bei geringer Bewältigungskapazität durch mangelnde geistige Bildung,120 – regelmäßig Alkohol konsumiert; Schwangere sollten auch deswegen Alkohol meiden;121 – Corticosteroiden verabreicht bekommt;122,123 Schwangere sollten daher nicht oder nur in Notfällen und dann nur kurzzeitig mit Corticosteroiden behandelt werden.

Die nachgeburtliche und frühkindliche Prägung findet statt ▪ durch ein unbewusstes, assoziatives Lernen im limbischen System, um das „Lustvolle und Erfolgreiche“ vom „Schmerzhaften und Erfolglosen“ unterscheiden und bevorzugen zu können, ▪ durch die Ausschüttung von Neurotransmittern, welche als „Glückhormone“ (siehe Kap. 3.2.1) Wohl- und Glücksgefühle vermitteln, ▪ durch Abspeicherung der Erfahrungen im emotionalen (limbischen) Gedächtnis, welches maßgeblich beteiligt ist an der frühen und unbewussten Entwicklung des Charakters und der Persönlichkeit eines Menschen, die dann zunehmend unbeeinflussbar werden durch spätere Erfahrungen. Die kindliche und jugendliche Prägung erfolgt etwa ab dem dritten Lebensjahr durch das unbewusste wie auch bewusste Lernen ▪ von moralischen, ethischen und sozialen Regeln im orbitofrontalen Cortex, wobei diese Prägung einen vorläufigen Abschluss findet mit der Ausreifung des orbitofrontalem Cortex gegen Ende der Pubertät,

119 Moisiadis VG, Matthews SG. Glucocorticoids and fetal programming part 1: Outcomes and part 2: Mechanisms, Nat Rev Endocrinol. 2014;10(7):391–411. 120 Braig S, Grabher F, Ntomchukwu C, Reister F, Stalder T, Kirschbaum C, Genuneit J, Rothenbacher D. Determinants of maternal hair cortisol concentrations at delivery reflecting the last trimester of pregnancy. Psychoneuroendocrinology. 2015;52:289–96. 121 Bekdash R, Zhang C, Sarkar D. Fetal alcohol programming of hypothalamic proopiomelanocortin system by epigenetic mechanisms and later life vulnerability to stress. Alcohol Clin Exp Res. 2014;38(9):2323– 30. 122 Zhang C, Xu D, Luo H, Lu J, Liu L, Ping J, Wang H. Prenatal xenobiotic exposure and intrauterine hypothalamus-pituitary-adrenal axis programming alteration. Toxicology. 2014;325:74–84. 123 Challis JR, Sloboda D, Matthews SG, Holloway A, Alfaidy N, Patel FA, Whittle W, Fraser M, Moss TJ, Newnham J. The fetal placental hypothalamic-pituitary-adrenal (HPA) axis, parturition and post natal health. Mol Cell Endocrinol. 2001;185(1–2):135–44.

38

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.17: Grundzüge der Prägung der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen. Eltern

Persönlichkeits-Entwicklung des Kindes

Gene der Mutter und des Vaters Schwangere, Mutter normale glückliche Bedingungen

Stressfaktorenausgewogen

Dauerstress, Traumata, schwere Verluste

Stressfaktoren erhöht: Corticosteroide (↑) Nor-/Adrenalin (↑) Beruhigungsfaktoren erniedrigt: Serotonin (↓) Dopamin (↓) Endorphin (↓)



▸ ▸

genetische „Grundausstattung“ vorgeburtliche und frühkindliche epigenetische Prägung



normale

▸ ungenügende

Mutter, Eltern bzw. Bezugsperson(en)

Entwicklung des Stressverarbeitenden Systems (HypothalamusHypophysenNebenniere)

normale GemütsEntwicklung

mangelhafte Stressbewältigung



erhöhtes Risiko psychischer Erkrankungen

frühkindliche epigenetische Prägung (limbische Ebene) Amygdala mesolimbisches System

▸ Charaktereigenschaften, Temperament, Verhalten



liebevolle Art der Zuwendung; Ausschüttung von Glückshormonen Oxytocin, Serotonin; Endorphinen, Dopamin

Verhaltensstörungen; Angststörungen, Depressionen





Familie, Kindergarten, Schule, Gesellschaft

subkortikale Basalganglien Hypothalamus/ Hypophyse: Oxytocin (↑) 1–3 Jahre Serotonin (↑) Endorphine (↑) Dopamin (↑) Mangelhafte Prägung; mangelhafte Ausschüttung von Glückshormonen



Gewohnheiten, nichtsprachliche Kommunikation; Bindungsfähigkeit



Verhaltensstörungen, Bindungsunfähigkeit, Gefühlskälte, Angststörungen, Depressionen, Gewaltneigung

kindliche, jugendliche und Erwachsenen- Prägung orbitofrontaler Cortex

soziale Einflüsse und Zwänge, moralische und ethische Regeln

cingulärer Cortex

▸ Schulung, Förderung, Anerkennung; Fehlerkultur

Übernahme der Gefühlsreaktionen, Belohnungsempfänglichkeit und Belohnungserwartungen;



> 3 Jahre bis ins insulärer Cortex hohe Alter präfrontaler Cortex



Anpassung frühkindlicher egozentrischer Verhaltensweisen an familiäre und gesellschaftliche Regeln Ausreifung kognitiver und sprachlicher Fähigkeiten Entwicklung des Selbstbewusstseins

2.4 Die Stärke des Unbewussten

▪ ▪

39

von kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten im präfrontalen Cortex, von Selbstwertgefühlen und des Selbstbewusstseins im assoziativen und präfrontalen Cortex.

Gegen Ende der Pubertät sind das Unbewusste im Menschen, sein Charakter und seine Persönlichkeit durch das Verhalten der Mutter, der Eltern und der Beziehungspersonen für das weitere Leben weitgehend geprägt (siehe Tab. 2.18). Diese Prägung des unbewussten limbischen Gedächtnisses scheint das Handeln stärker zu lenken als das bewusste „Ich“,124 denn ▪ das limbische System beeinflusst den präfrontalen Cortex, die kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten und auch das Selbstbewusstsein in dominanter und dauerhafter Weise, ▪ der präfrontale Cortex ist dagegen nur im geringen Maße in der Lage, die kognitiven Fähigkeiten, das limbische System, das Gefühl und das Verhalten zu steuern und ▪ erhebliche und dauerhafte Willensanstrengungen sind notwendig, um durch Lernen, neue Erfahrungen und Einsicht diese kindlichen und jugendlichen Prägungen zu überschreiben, auch deswegen, weil ein vollkommenes „Auslöschen“ dieser Prägungen nicht möglich zu sein scheint.

2.4.2 Der Hypothalamus als Schaltzentrale Im Zentrum der Vernetzung des limbischen Systems steht der Hypothalamus. Mit seinen zahlreichen Ansammlungen von produktiven Neuronen stellt er das „Ausführungsorgan“ für das limbische System, für das Unbewusste, für unsere Prägungen dar, indem er als Schaltzentrale arbeitet für (siehe Tab. 2.18 und Tab. 2.19) ▪ das Hormonsystem – der Neurohypophyse (Teil der Hypothalamus, mit diesem über den Hypophysenstil verbunden), in welcher Oxytocin und Adiuretin/Vasopressin gebildet und gespeichert werden, – der Adenohypophyse, von welcher durch Freisetzung und Wirkung der Liberine und Statine aus dem Hypothalamus die tropen Hypophysenhormone ausgeschüttet werden, ▪ das vegetative System – mit dem vegetativen Nervensystem, unterteilt in das parasymphatische, das sympathische und das enterale Nervensystem, – über die Bildung und Ausschüttung von unterschiedlichen Neurotransmittern.

124 Roth G. „Wie das Gehirn die Seele macht“ Vorlesung im Rahmen der 51. Lindauer Psychotherapiewochen 2001, http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2001/roth_gerhard.pdf.

40

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.18: Das Netzwerk: Limbisches System, Hypothalamus und Hypophyse. Blutkonzentrationen von Glucose, Insulin, Osmolarität des Blutes, Angiotensin, Endothelin, Relaxin, atrialer natriuretischer Faktor/ANF

Oestrogen, Testosterone, Progesteron, Glucocorticosteroide, Mineralocorticosteroide

Hypophysenhormone, Leptin, Ghrelin, Neuropeptide Zytokine, Immunmediatoren

▾ Passage durch Bluthirnschranke (Peptide: durch fenestrierte Endothelien)

▾╩ Limbisches System

Olfaktorischer Cortex

Formatio reticularis



▾ SinnesWahrnehmungen; Pheromone

▸ ◂

▸ ◂

▸ ◂

Limbisches System

Thalamus

Neurosekretion: Neurotransmitter

Hypothalamus

▸ ▾▴ ▸

Zirbeldrüse (Melatonin)

Neurohormone Wachstumsfaktoren Immunmediatoren



Rückenmark

▾ Releasing-Peptide

▾ Neurohypophyse

Liberine



Statine

Corticoliberin (CRH), Thyreoliberin (TRH) Dopamin Gonadoliberin (GnRH), Somatoliberin (GHRH) Somatostatin (GHIH) Melanoliberin (MSH-RH), Melanostatin (MSH-ICH) Prolactoliberin (PRL-RH ?)



Neurohomone



Adenohypophyse (trope Hormone)

▾ Inhibitoren: Somatotropin MSH/ SomatostaMelanozyten stimutin Melanolierendes Hormon statin Prolactin Dopamin

Corticotropin/ACTH Thyreotropin/TSH Gonadotropine (Inhibitor: Prolactin) (LH/Luteinisierendes Hormon; FSH/FollikelstimulierendesHormon)

▾ Nebennierenrinde: Corticosteroide, Cortisol Schildrüse: Thyroxine Eierstöcke: Oestrogen, Progesteron, Testosteron Hoden: Testosteron, Oestrogen, Progesteron ╩ = Hemmung durch;

▾ = Förderung/Stimulierung

Adiuretin Oxytocin

2.4 Die Stärke des Unbewussten

41

Tab. 2.19: Beispiele der Steuerung vegetativer Funktionen durch den Hypothalamus. Beteiligte Neuronen Expression von (Nucleus/N.)

Funktionen

Bemerkungen

Nahrungsaufnahme N. lateralis125,

Orexin A

N. tuberomammillaris126

Orexin A,B

N. arcuatus 127,128

Neuropeptid Y(NPY); Agouti related peptide (AGRP)

Bildung von Orexin wird durch Leptin gehemmt Hungergefühl (↑) NPY hemmt den N. paraventricularis; Leptin aus Fettzellen hemmt NPY-Ausschüttung

Proopiomelanocortin (POMC) MC-4 und MC-3-Rezeptor; CNTF-Rezeptor N. paraventricularis

NPY-Rezeptor

POMC wird durch Convertasen u. a. in α-MSH gespalten Sattheitsgefühl (↑)

Hungergefühl (↑)

129,130,131,132

N. paraventricularis wird aktiviert durch Ciliary neurotrophic factor (CNTF) und α-MSH falls N. paraventricularis gehemmt wird (z. B. durch NPY)

Thyroliberin Corticoliberin Oxytocin Sattheitsgefühl (↑) N. ventromedialis133

wird stimuliert durch Glukagon, Cholezystokinin (CCK), Peptid YY (PYY)

125 Valassi E, Scacchi M, Cavagnini F. Neuroendocrine control of food intake. Nutr Metab Cardiovasc Dis. 2008;18(2):158–68. 126 Girault EM, Yi CX, Fliers E, Kalsbeek A. Orexins, feeding, and energy balance. Prog Brain Res. 2012;198:47–64. 127 Joly-Amado A, Cansell C, Denis RG, Delbes AS, Castel J, Martinez S, Luquet S. The hypothalamic arcuate nucleus and the control of peripheral substrates. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab. 2014;28(5):725– 37. 128 Meister B. Neurotransmitters in key neurons of the hypothalamus that regulate feeding behavior and body weight. Physiol Behav. 2007;92(1–2):263–71. 129 Fekete C, Lechan RM. Central regulation of hypothalamic-pituitary-thyroid axis under physiological and pathophysiological conditions. Endocr Rev. 2014; 35(2):159–94. 130 Stefater MA, MacLennan AJ, Lee N, Patterson CM, Haller A, Sorrell J, Myers M, Woods SC, Seeley RJ. The anorectic effect of CNTF does not require action in leptin-responsive neurons. Endocrinology. 2012;153(6):2647–54. 131 Fani L, Bak S, Delhanty P, van Rossum EF, van den Akker EL. The melanocortin-4 receptor as target for obesity treatment: a systematic review of emerging pharmacological therapeutic options. Int J Obes (Lond). 2014;38(2):163–9. 132 Valassi E, Scacchi M, Cavagnini F. Neuroendocrine control of food intake. Nutr Metab Cardiovasc Dis. 2008;18(2):158–68. 133 Stacher G. Effects of cholecystokinin and caerulein on human eating behavior and pain sensation: a review. Psychoneuroendocrinology. 1986;11(1):39–48.

42

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Beteiligte Neuronen Expression von (Nucleus/N.) N. hypothalamicus dorsomedialis134

GLP1-Rezeptoren

Funktionen

Darmtätigkeit (↓)

Bemerkungen Aktivierung durch Glucagon-like peptides (GLP-1/2)

Wachstum N. arcuatus

Somatoliberin (GHRH)

Körperwachstum (↑)

N. paraventricularis

Somatostatin (GHIH)

Körperwachstum (↓)

Thyreoliberin (TRH)

Grundumsatz (↑) Milchbildung (↑)

Corticoliberin (CRH)

Gluconeogenese (↑) Zelluläre Lipolyse (↑) Entzündung (↓)

Förderung (GHRH) bzw. Hemmung (GHIH) der Freisetzung von Somatotropin in der Adenohypophyse; Stimulierung der Freisetzung von GHRH bzw. Inhibition von GHIH durch Ghrelin (gebildet in der Magenschleimhaut)135

Stoffwechsel

N. paraventricularis136

Melanoliberin Melanostatin N. tuberomammillaris

Orexin A, B

Förderung der Freisetzung von Thyreotropin (TSH), stimuliert die Schilddrüse zur Ausschüttung von Thyroxin T4 und T3 bewirkt Freisetzung von ACTH und dieses die Freisetzung von Corticoiden in der Nebennierenrinde

Hautpigmentierung (↑) bewirkt Freisetzung/Hemmung von MSH durch die Adenohypophyse; Haut-Pigmentierung (↓) MSH steigert Melaninsynthese in Melanozyten Energieverbrauch (↑)

Aktivierung des Orexin-Rezeptors

tubuläre Rückresorption von Wasser aus dem Primärharn (↑)

ADH wird von der Neurohypophyse bei Hyperosmolarität des Blutes ausgeschüttet; aktiviert die ADH Rezeptoren (V2/V3) in Niere

Osmotisches Gleichgewicht N. supraopticus137 N. paraventricularis (lateral)138

Adiuretin (Vasopressin; ADH/Antidiuretisches Hormon)

134 Guan X, Shi X, Li X, Chang B, Wang Y, Li D, Chan L. GLP-2 receptor in POMC neurons suppresses feeding behavior and gastric motility. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2012;303(7):853–64. 135 Lanfranco F, Motta G, Baldi M, Gasco V, Grottoli S, Benso A, Broglio F, Ghigo E. Ghrelin and anterior pituitary function. Front Horm Res. 2010;38:206–11. 136 Fekete C, Lechan RM. Siehe 129. 137 Rhodes CH, Morrell JI, Pfaff DW. Immunohistochemical analysis of magnocellular elements in rat hypothalamus: distribution and numbers of cells containing neurophysin, oxytocin, and vasopressin. J Comp Neurol. 1981;198(1):45–64. 138 Expression patterns of corticotropin-releasing factor, arginine vasopressin, histidine decarboxylase, melanin-concentrating hormone, and orexin genes in the human hypothalamus. J Comp Neurol. 2010; 518(22):4591–611.

2.4 Die Stärke des Unbewussten

Beteiligte Neuronen Expression von (Nucleus/N.)

Funktionen

43

Bemerkungen

Körpertemperatur N. preopticus139 Aktivierung des braunen Fetts140 (↑)

N. hypothalamicus dorsomedialis141 N. hypothalamicus anteriores142

über Aktivierung der Raphekerne (Formatio reticularis) Aktivierung des braunen Fetts

Schwitzen (↑)

N. posteriores143

Muskelzittern (↑)

Blutkreislauf N. hypothalamicus dorsomedialis144

Blutdruck (↑) Herzfrequenz (↑)

N. preopticus145 N. paraventricularis; N. supraopticus,146

über Verbindungen zum sympathischen Nervensystem

Blutdruck (↓) Angiotensin converting enzyme

Blutdruck (↑)

Spaltung von Angiotensin I in das Angiotensin II

Antidepressive Wirkung (↑)

Modulation der Freisetzung von Neurotransmittern (Noradrenalin, Dopamin, Acetylcholin, Serotonin, Glutamin)

Schlaf-Wach-Rhythmus

Histamin147,148 N. tuberomammillaris

Aktivierung des neuralen H1-Rezeptors

139 Hori T, Oka T, Hosoi M, Abe M, Oka K. Hypothalamic mechanisms of pain modulatory actions of cytokines and prostaglandin E2. Ann N Y Acad Sci. 2000;917:106–20. 140 Contreras C, Gonzalez F, Fernø J, Diéguez C, Rahmouni K, Nogueiras R, López M. The brain and brown fat. Ann Med. 2015;47(2):150–68. 141 Dimicco JA, Zaretsky DV. The dorsomedial hypothalamus: a new player in thermoregulation. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol. 2007;292(1):R47–63. 142 Clapham JC. Central control of thermogenesis. Neuropharmacology. 2012;63(1):111–23. 143 Nakamura K. Central circuitries for body temperature regulation and fever. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol. 2011;301(5):1207–28. 144 Fontes MA, Xavier CH, Marins FR, Limborço-Filho M, Vaz GC, Müller-Ribeiro FC, Nalivaiko E. Emotional stress and sympathetic activity: contribution of dorsomedial hypothalamus to cardiac arrhythmias. Brain Res. 2014;1554:49–58. 145 Charkoudian N, Stachenfeld NS. Reproductive hormone influences on thermoregulation in women. Compr Physiol. 2014;4(2):793–804. 146 Chai SY, McKenzie JS, McKinley MJ, Mendelsohn FA. Angiotensin converting enzyme in the human basal forebrain and midbrain visualized by in vitro autoradiography. J Comp Neurol. 1990;291(2):179–94. 147 Umehara H, Mizuguchi H, Fukui H. Identification of a histaminergic circuit in the caudal hypothalamus: an evidence for functional heterogeneity of histaminergic neurons. Neurochem Int. 2012;61(6):942–7. 148 Huston JP, Wagner U, Hasenöhrl RU. The tuberomammillary nucleus projections in the control of learning, memory and reinforcement processes: evidence for an inhibitory role. Behav Brain Res. 1997;83(1– 2):97–105.

44

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Beteiligte Neuronen Expression von (Nucleus/N.)

Funktionen Aufmerksamkeit (↑)

Orexin A, B149 N. preopticus lateralis150,151

AdenosinRezeptor

N. suprachiasmaticus/ N. paraventricularis152 N. arcuatus

Einschlafphase (↑)

Tag-Nacht-Rhythmus (↑) (innere Uhr) Somatoliberin (GHRH)

Bemerkungen

Aktivierung des Orexin-Rezeptors im lateralen Hypothalamus; Adenosin aktiviert Adenosinrezeptor

Aktivierung der Zirbeldrüse zur Expression von Melatonin

Schlaftiefe (↑)

Sexualfunktion und Sozialverhalten

N. preopticus

N. arcuatus

N. paraventricularis (N. supraopticus)

Libido, Potenz (↑) Schwangerschaft (↑)

steuert in der Adenohypophyse die Ausschüttung der Gonadotropine FSH und LH, welche die Bildung von Androgenen, Oestrogenen und Progesteron in den Keimdrüsen regulieren. GnRH-Freisetzung wird gehemmt durch Ghrelin153

Prolaktoliberin (PRL-RH)

Laktation (↑)

PRL-RH (Substanznachweis noch fraglich) fördert die Freisetzung von Prolaktin in der Adenohypophyse; Ghrelin wirkt ähnlich154

Dopamin (PRL-IH)

Laktation (↓)

hemmt die Freisetzung von Prolaktin

Partnerbindung (↑) Sozialverhalten (↑) Euphorien (↑) Geburtswehen (↑), Milchabgabe (↑)

Oxytocin wird über Axone und über Dendriten freigesetzt und kann somit autokrin wie auch parakrin im Hypothalamus wirken155

Gonadoliberin (GnRH)

Oxytocin

149 Girault EM, Yi CX, Fliers E, Kalsbeek A. Orexins, feeding, and energy balance. Prog Brain Res. 2012;198:47–64. 150 Huang ZL, Zhang Z, Qu WM. Roles of adenosine and its receptors in sleep-wake regulation. Int Rev Neurobiol. 2014;119:349–71. 151 Lim AS, Ellison BA, Wang JL, Yu L, Schneider JA, Buchman AS, Bennett DA, Saper CB. Sleep is related to neuron numbers in the ventrolateral preoptic/intermediate nucleus in older adults with and without Alzheimer’s disease. Brain. 2014;137(Pt 10):2847–61 152 Coomans CP, Ramkisoensing A, Meijer JH. The suprachiasmatic nuclei as a seasonal clock. Front Neuroendocrinol. 2015;37:29–42. 153 Benso A, Calvi E, Gramaglia E, Olivetti I, Tomelini M, Ghigo E, Broglio F. Other than growth hormone neuroendocrine actions of ghrelin. Endocr Dev. 2013;25:59–68. 154 Lanfranco F, Motta G, Baldi M, Gasco V, Grottoli S, Benso A, Broglio F, Ghigo E. Ghrelin and anterior pituitary function. Front Horm Res. 2010;38:206–11. 155 Iovino M, Guastamacchia E, Giagulli VA, Licchelli B, Iovino E, Triggiani V. Molecular mechanisms involved in the control of neurohypophyseal hormones secretion. Curr Pharm Des. 2014;20(42):6702–13.

2.4 Die Stärke des Unbewussten

Beteiligte Neuronen Expression von (Nucleus/N.)

Funktionen

45

Bemerkungen

Immunregulation N. paraventricularis

Corticoliberin (CRH) Thyroliberin (TRH)

N. arcuatus

Somatoliberin (GHRH) Melanoliberin (MSH-RH)

N. preopticus

Gonadoliberine (GnRH)

Angeborene und erworbene Immunabwehr (↑)

Förderung der Immunantwort durch Liberine wird gehemmt durch die entsprechenden Statine (Somatostatin, Melanostatin) und je nach Art der Immunantwort hemmend oder fördernd moduliert durch die jeweiligen Tropine und Hormone; Durch CRH über ACTH freigesetzte Glucocorticoide, im Besonderen das Cortisol, wirken vorwiegend immunsuppressiv.156

Stressbewältigung

N. paraventricularis

Corticoliberin (CRH)

Anpassung an und Bewältigung der Wirkung von Stressfaktoren (↑)

Aktivierung der Hypophyse- (ACTH) Nebennierenrinde- ( Cortisol) Achse; zentrale Wirkungen: Aufmerksamkeit (↑), Angst (↑), Speicherung von Gedächtnisinhalten (↓), Hungergefühle (↓) durch Bindung an neuronale CRHR-1 und periphere CRHR-2 Rezeptoren;157,158,159 Urocortine binden an dieselben Rezeptoren mit ähnliche Wirkung160

Schmerzbewältigung Aktivierung der Raphekerne (Formatio reticularis)

N. preopticus N. paraventricularis161

N. arcuatus

Proopiomelanocortin (POMC) Melanoliberin (MSH-RH)

Schmerzempfindung (↓)

Neurotensin

β-Endorphin aus Proopiomelanocortin (POMC) durch Convertasen; Expression von POMC wird simuliert durch MSH-RH bzw. MSH Neurotensin wirkt analgetisch und antidepressiv162,163

(↑) = Zunahme/Aktivierung; (↓) = Abnahme/Hemmung

156 Sedlacek HH, Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen, de Gruyter 2014;359–456. 157 Contoreggi C. Corticotropin releasing hormone and imaging, rethinking the stress axis. Nucl Med Biol. 2015;42(4):323–39. 158 Gold PW. The organization of the stress system and its dysregulation in depressive illness. Mol Psychiatry. 2015;20(1):32–47. 159 Regev L, Baram TZ. Corticotropin releasing factor in neuroplasticity. Front Neuroendocrinol. 2014;35(2):171–9. 160 Skelton KH, Owens MJ, Nemeroff CB. The neurobiology, Regul Pept. 2000;93(1–3):85–92. 161 Fekete C, Lechan RM. Central regulation of hypothalamic-pituitary-thyroid axis under physiological and pathophysiological conditions. Endocr Rev. 2014; 35(2):159–94. 162 Lafrance M, Roussy G, Belleville K, Maeno H, Beaudet N, Wada K, Sarret P. Involvement of NTS2 receptors in stress-induced analgesia. Neuroscience. 2010;166(2):639–52. 163 Dobner PR. Neurotensin and pain modulation. Peptides. 2006;27(10):2405–14.

46

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Hierdurch ist der Hypothalamus in der Lage, zentrale Funktionen des Körpers zu steuern (siehe Tab. 2.19). Hierzu gehören ▪ Aufrechterhaltung des Sollzustandes von körperlichen Eigenschaften wie Körpertemperatur, Blutdruck und Osmolarität von Blut und Gewebeflüssigkeit, ▪ Durst und Ausscheidung von Wasser, Nahrungsaufnahme, Hunger und Sättigungsgefühl, ▪ Körperwachstum und Immunabwehr, ▪ Bedürfnis von Schlaf und körperlicher Erholung in Abhängigkeit von Tag und Nacht, ▪ Sozialverhalten, Sexualverhalten und Fortpflanzung, ▪ Stressbewältigung und Schmerzbewältigung. Andererseits unterliegt der Hypothalamus dem regelnden Einfluss ▪ von kognitiven Reize, aufgenommen durch die Sinnesorgane, gefiltert durch den Thalamus, bewertet durch das limbische System und durch die zugehörigen Bereiche der Großhirnrinde, ▪ von gedanklichen Vorstellungen und/oder psychischen Befindlichkeiten, ▪ von organischen Reizen im Körper, welche über afferente Nervenbahnen zum Hypothalamus geführt werden und von dort efferent weitergeleitet werden zum autonomen/vegetativem Nervensystem und/oder zum motorischen Nervensystem, ▪ der hypothalamusinternen neuronalen Ausschüttung – von Neurotransmittern (Neuropeptid Y, Agouti-related Peptid, Tachykinine, Orexin A und B, Neurotensin, Adenosin, Histamin, Endorphine, Enkephaline), – von Wachstumsfaktoren (NF, CNTF, α-MSH), – von Zytokinen (Interleukine/IL-1,-6; Interferon-γ, TNF-α, Erythropoietin, Stammzellfaktor/SCF, granulozytenstimulierender Faktor/G-CSF); – von Liberinen und Statinen, ▪ der Blut-Konzentration von Hormonen, Zytokinen, und Wirkstoffen, welche ihrerseits beeinflussen (siehe Tab. 2.19) – den Stoffwechsel, die Nahrungsaufnahme und das Wachstum (Glucose und Insulin, Leptin, Ghrelin, Neuropeptide), – den Blutdruck (Angiotensin, Endothelin, Relaxin, Atrialer natriuretischer Faktor/ ANF), – die Osmolarität der Körperflüssigkeiten (Adiuretin/Vasopressin), – die Stress- und Schmerzbewältigung (Corticotropin, Glucocorticoide), – die verschiedenen Funktionen der Fortpflanzung wie Libido, Potenz, Schwangerschaft und Milchbildung (Gonadotropine/LH und FSH, Prolaktin), – die Körpertemperatur (Interleukin-1, IL-6); ▪ der Blutkonzentration derjenigen Hormone, deren Expression direkt oder indirekt vom Hypothalamus ausgelöst wurde und welche eine positive oder negative Rückkopplung auf die Bildung dieser Hormone im Hypothalamus auslösen. Für ihre Einwirkung auf den Hypothalamus müssen die regulativen Wirkstoffe im Blut die Bluthirnschranke durchdringen können.164 164 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunantwort des Menschen. de Gruyter 2014;372–376.

2.4 Die Stärke des Unbewussten

47

Tab. 2.20: Unterbrochene Bluthirnschranke durch gefensterte (fenestrierte) Endothelien. Gehirnregion

Ort

Funktion

Area postrema

Hirnstamm

Teil des Brechzentrums. Besitzt Chemorezeptoren, an welche Toxine im Blut binden können

Eminentia mediana

Neurohypophyse (Teil des Hypothalamus)

Abgabe von Oxytocin und Vasopressin

Organum subfornicale

Teil des limbischen Systems im Großhirn

Einspeicherung von Gedächtnisinhalten

Zirbeldrüse

Vorderhirn sekretorische Nervenzellen

Sekretion von Melatonin zur Regulation des Tag-Wachrhythmus

Organum vasculosum laminae terminalis

Lamina terminalis im Vorderhirn

beteiligt an der Regulation von – Durst, Hunger und – Fieber, z. B. ausgelöst durch Immunmediatoren (Interleukin 1; TNF-α) im Blut

Plexus choroideus

Adergeflecht im Hohlraum (Ventrikel) des Gehirns

Bildung des Liquor, angereichert mit Na-Ionen, Glucose, Vitaminen (C, B12); Entgiftung über Membran-Transportersysteme ins Blut





Unter physiologischen Bedingungen ist diese Möglichkeit gegeben – bei lipophilen Substanzen wie z. B. Steroiden an jedem Ort der Bluthirnschranke, – bei hydrophilen Substanzen in Regionen der Bluthirnschranke, in denen das Endothel gefenstert ist (siehe Tab. 2.20); Unter pathophysiologischen Bedingungen wird die Blut-Hirnschranke nach Aktivierung der Endothelzellen und Auflösung der Haftkomplexe (Tight junctions) durchgängig. Eine solche Durchgängigkeit wird im Rahmen von Entzündungen oder durch physikochemische Schädigung der Endothelzellen bewirkt (siehe Kap. 3.4).

2.4.3 Die Wirkung der Geschlechtshormone Die Geschlechtshormone der Gruppen Oestrogene, Gestagene und Androgene sind entscheidend beteiligt an der Entwickung und Funktion unseres genetisch festgelegten Geschlechts. Ihre Ausschüttung besonders durch die Keimdrüsen wird direkt und indirekt gesteuert durch Liberine und Tropine des Hypothalamus- Hypophysensystems (siehe Kap. 2.4.2). Deren Freisetzung wird wiederum im Sinne einer negativen Rückkopplung gehemmt durch hohe Blutspiegel der Geschlechtshormone. Von der Embryonalentwicklung bis hin zur Geschlechtsreife prägen die Geschlechtshormone

48

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Tab. 2.21: Besondere Wirkungen der Androgene. Wirkungen (über Androgen-Rezeptoren)

Männer

Frauen

im Blut: _ ~ 40 x > \ sexuelles Verhalten

soziales Verhalten

sexuelles

Verlangen165,166

++

psychische und physische sexuelle Dysfunktionen167



dominante Verhaltensweisen, egozentrische Entscheidungen168

++

Angsterkennung,169 soziale Wachsamkeit,170 Misstrauen171

++

Angstempfindungen und Angstreaktionen172 Gedächtnis,173

mentale und emotionale Fähigkeiten/ Verhalten

++

Ehrlichkeit 175

+

Risiko: Essstörungen (Hungersucht und Bulämie oder Esssucht und Adipositas)176





Aufmerksamkeit, Lernfähigkeit, Arbeits- und Worte-Gedächtnis174

Kontrolle der Nahrungsaufnahme

++

+



– +

165 Kingsberg SA, Simon JA, Goldstein I. The current outlook for testosterone in the management of hypoactive sexual desire disorder in postmenopausal women. J Sex Med. 2008;5 Suppl 4:182–93. 166 Scheffers CS, Armstrong S, Cantineau AE, Farquhar C, Jordan V. Dehydroepiandrosterone for women in the peri- or postmenopausal phase. Cochrane Database Syst Rev. 2015;1:CD011066. PMID: 25879093. 167 DeRogatis LR, Graziottin A, Bitzer J, Schmitt S, Koochaki PE, Rodenberg C. Clinically relevant changes in sexual desire, satisfying sexual activity and personal distress as measured by the profile of female sexual function, sexual activity log, and personal distress scale in postmenopausal women with hypoactive sexual desire disorder. J Sex Med. 2009;6(1):175–83. 168 Wright ND, Bahrami B, Johnson E, Di Malta G, Rees G, Frith CD, Dolan RJ. Testosterone disrupts human collaboration by increasing egocentric choices. Proc Biol Sci. 2012 Jun 7;279(1736):2275–80. 169 van Honk J, Schutter DJ. Testosterone reduces conscious detection of signals serving social correction: implications for antisocial behavior. Psychol Sci. 2007;18(8):663–7.; Wirth MM, Schultheiss OC. Basal testosterone moderates responses to anger faces in humans. Physiol Behav. 2007;90(2–3):496–505. 170 Bos PA, Hermans EJ, Ramsey NF, van Honk J. The neural mechanisms by which testosterone acts on interpersonal trust. Neuroimage. 2012; 61(3):730–7. 171 Bos PA, Terburg D, van Honk J. Testosterone decreases trust in socially naive humans. Proc Natl Acad Sci U S A. 2010;107(22):9991–5. 172 Putman P, Hermans EJ, van Honk J. Exogenous cortisol shifts a motivated bias from fear to anger in spatial working memory for facial expressions. Psychoneuroendocrinology. 2007 ;32(1):14–21. 173 Holland J, Bandelow S, Hogervorst E. Testosterone levels and cognition in elderly men: a review. Maturitas. 2011;69(4):322–37. 174 Gruenewald DA, Matsumoto AM. Testosterone supplementation therapy for older men: potential benefits and risks. J Am Geriatr Soc. 2003 Jan;51(1):101–15; discussion 115. 175 Wibral M, Dohmen T, Klingmüller D, Weber B, Falk A. Testosterone Administration Reduces Lying in Men. PLoS ONE 2012;7(10):e46774. doi:10.1371/journal.pone.0046774; http://www.plosone.org/article/ info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0046774. 176 Hirschberg AL. Sex hormones, appetite and eating behaviour in women. Maturitas. 2012;71(3):248–56.

49

2.4 Die Stärke des Unbewussten

Wirkungen (über Androgen-Rezeptoren)

Männer

Frauen

im Blut: _ ~ 40 x > \ Regeneration der Riechzellen,177 Rezeptoren für NGF, EGF und TGF-α (↑)178,179 HerzKreislauf

++

HDL/High-Density-Lipoprotein

+ –

Risiko: Artheriosklerose und Herzinfarkten180,181

++

Stoffwechsel/Immunsystem

Mineralisierung der Knochen182

++

Tumore

Wachstum von Androgen-Rezeptor-positiven Prostata-Karzinomen184

Zelluläre und humorale Immunabwehr (Akne nach Testosterongabe ↑)183

– + –

+

+ = Erhöhung/Verstärkung; − = Erniedrigung/Verminderung

▪ ▪ ▪

die körperliche, geistige und emotionale Entwicklung eines Menschen und gemeinsam mit embryonalen und nachgeburtlichen Einflüssen dessen sexuelle Grundorientierung als Heterosexueller, Asexueller oder Homosexueller, das Ausmaß des sexuellen Verlangens.

Androgene besitzen eine vermännlichende (virilisierende) Wirkung, stärken die Libido bei Mann und Frau und prägen beim Mann dessen „männliches“ Verhalten (siehe Tab. 2.21). Bildung und Ausschüttung von Androgenen werden stimuliert durch das LH/ luteinisierende Hormon der Hypophyse (siehe Kap. 2.4.2). Bildungsorte sind im Wesentlichen Hoden, Eierstöcke und Nebennierenrinde. Männer haben einen deutlich höheren Testosteronspiegel als Frauen.

177 Kim HY, Dhong HJ, Min JY, Jung YG, Chung SK. Effects of statins on regeneration of olfactory epithelium. Am J Rhinol Allergy. 2010;24(2):121–5. 178 Elmas C, Erdoğan D, Ozoğul C. Expression of growth factors in fetal human olfactory mucosa during development. Growth Dev Aging. 2003;67(1):11–25. 179 Balboni GC, Zonefrati R, Repice F, Barni T, Vannelli GB. Immunohistochemical detection of EGF and NGF receptors in human olfactory epithelium. Boll Soc Ital Biol Sper. 1991;67(10–11):901–6. 180 Bagatell CJ, Knopp RH, Vale WW, Rivier JE, Bremner WJ. Physiologic testosterone levels in normal men suppress high-density lipoprotein cholesterol levels. Ann Intern Med. 1992;116(12 Pt 1):967–73. 181 Montalcini T, Migliaccio V, Ferro Y, Gazzaruso C, Pujia A. Androgens for postmenopausal women’s health? Endocrine. 2012;42(3):514–20. 182 Isidori AM, Giannetta E, Greco EA, Gianfrilli D, Bonifacio V, Isidori A, Lenzi A, Fabbri A. Effects of testosterone on body composition, bone metabolism and serum lipid profile in middle-aged men: a metaanalysis. Clin Endocrinol (Oxf). 2005;63(3):280–93. 183 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;448–450. 184 Sedlacek HH. Onkologie. Die Tumorerkrankungen des Menschen. de Gruyter Verlag, 2013;695–703.

50

2 Die Steuerung unseres Verhaltens

Ein Mangel an Androgenen ist beim Mann vergesellschaftet mit ▪ einer Verminderung von sexuellem Verlangen, von sexuellen Fantasien, der Bereitschaft zum Geschlechtsverkehr und dessen Häufigkeit;185 ▪ einem Knochenschwund (Osteoporosis) und Muskelschwund;186 aber auch mit ▪ erhöhten sozialen und pädagogischen Fähigkeiten187 und ▪ einer erhöhten Lebenserwartung im Vergleich zu Männern vom gleichen Sozialstatus.188 Oestrogene entstehen mit Hilfe der Aromatase aus den Androgenen und wirken vorwiegend verweiblichend (feminisierend). Die Bildung wird indirekt stimuliert durch das LH/ luteinisierende Hormon und direkt durch das FSH/Follikel stimulierende Hormon der Hypophyse (siehe Kap. 2.4.2). Bildungsorte sind im Wesentlichen Eierstöcke, Plazenta, Hoden, Nebennierenrinde, Fettzellen und Gehirnzellen. Frauen haben deutlich höhere, von der Phase des Menstruationszyklus abhängige Oestrogenspiegel als Männer. Diese Oestrogenspiegel sinken erheblich mit der Menopause. Über ihre Wirkung auf die Geschlechtsorgane und die Schwangerschaft hinaus beeinflussen Oestrogene in erheblichem Maße auch andere Organsysteme, im besonderen das Gehirn und das Verhalten (siehe Tab. 2.22). Gestagene ermöglichen eine Schwangerschaft und halten diese aufrecht. Hierzu gehört die Beteiligung am Follikelsprung, die Vorbereitung der Gebärmutter und ihrer Schleimhaut für die Einbettung der befruchteten Eizelle, für das Wachstum der Plazenta und der Brustdrüsen und die zeitgleiche Verhinderung der weiteren Follikelreifung in den Eierstöcken. Progesteron ist der wichtigste Vertreter der Gestagene. Bildung und Ausschüttung werden durch das LH/luteinisierende Hormon der Hypophyse stimuliert und erfolgt im Wesentlichen in den Eierstöcken und in der Placenta, im Hoden, in der Nebennierenrinde und im Gehirn durch Nervenzellen (Purkinjesche Zellen) und Gliazellen.189,190 Progesteron wirkt nicht nur auf die Geschlechtsorgane, sondern hat auch eine schützende Wirkung auf das Gehirn und beeinflusst in erheblichem Maße das Verhalten (siehe Tab. 2.23).

185 Bagatell CJ, Heiman JR, Rivier JE, Bremner WJ. Effects of endogenous testosterone and estradiol on sexual behavior in normal young men. J Clin Endocrinol Metab. 1994;78(3):711–6. 186 Vermeulen A. Andropause. Maturitas. 2000;34(1):5–15. Schmidtova E, Kelemenova S, Ostatnikova D. Testosterone supplementation therapy as a treatment of hypogonadism. Bratisl Lek Listy. 2009;110(12):765–72. 187 Aucoin MW, Wassersug RJ. The sexuality and social performance of androgen-deprived (castrated) men throughout history: implications for modern day cancer patients. Soc Sci Med. 2006;63:3162–3173. 188 Min K-J, Lee C-K, Park H-N, The lifespan of Korean eunuchs, Current Biology, 2012;22:792–793. 189 Schumacher M, Guennoun R, Stein DG, De Nicola AF. Progesterone: therapeutic opportunities for neuroprotection and myelin repair. Pharmacol Ther. 2007;116(1):77–106. 190 Tsutsui K. Progesterone biosynthesis and action in the developing neuron. Endocrinology. 2008; 149(6):2757–61.

51

2.4 Die Stärke des Unbewussten

Tab. 2.22: Besondere Wirkungen der Oestrogene. Männer

Frauen

Wirkungen (über Oestrogen-Rezeptoren) im Blut: _ schwache Opioide > starke Opioide

lokale Kältetherapie/Vereisung (Kryoanalgesie) bei akuten Schmerzen, Wärmepackungen auf bestimmte Hautareale (Headsche Zonen), um die Durchblutung eines (über einen Reflexbogen mit dem Hautareal verbundenen) schmerzhaften inneren Organs zu steigern, Entspannungsübungen (Autogenes Training, progressive Muskelentspannung)

neuropathischer Schmerz kausal

?

symptomatisch

Antidepressiva (z. B. Serotoninwiederaufnahmeinhibitoren), lang wirkende Opioide (peridurale Injektion, spinale Injektion); periphere Lokalanästhesie; Leitungsanästhesie; Ganglienblockade

Implantation eines Rückenmarksstimulators Physiotherapie/Funktionstraining, Massagetherapie, transkutane elektrische Nervenstimulation Neurochirurgie (Durchtrennung der Schmerzbahn)

funktioneller Schmerz kausal

?

symptomatisch

ggf. Antidepressiva (z. B. SerotoninwiederaufnahmeInhibitoren)

Entlastungsgespräche, kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungsübungen (autogenes Training, progressive Muskelentspannung), Physiotherapie/Funktionstraining, Massagetherapie, physikalische Therapie (Kälte/Wärme)

kognitive Verhaltenstherapie und die Entspannungstherapie783, welche besonders bei funktionellen Schmerzen zum Tragen kommen. Ähnlich wie bei Angststörungen und Traumafolgestörungen (siehe Kap. 3.3.3), benötigen diese Psychotherapieformen die besondere Mitarbeit des Patienten, und zwar ▪ kognitiv, – um in seiner Lebens- und ggf. Leidensgeschichte die traumatischen Ursachen hinter den Schmerzen erkennen zu können, – sodass der Patient diese Ursachen kognitiv erfassen, neu verarbeiten und geordnet in seinem Gedächtnis speichern kann, – damit die Ursachen als Auslöser für die funktionellen Schmerzen ihre Dominanz im Denken und Fühlen des Patienten verlieren; ▪ im Verhalten, – indem bewusst Abkehr genommen wird von dem Verhalten, Gedanken und Gefühle an erlittene Traumata zu vermeiden,

783 Onieva-Zafra MD, García LH, Del Valle MG. Effectiveness of guided imagery relaxation on levels of pain and depression in patients diagnosed with fibromyalgia. Holist Nurs Pract. 2015;29(1):13–21.

3.3 Die Bewältigung von Stress, Ängsten und Schmerzen





137

durch bewusste Nutzung der Möglichkeiten zur aktiven (Bewegungen, Sport, mentale Aktivitäten, autogenes Training, Spiele) und ggf. auch der passiven (Massage, Hydrotherapie, Thermotherapie) Entspannung und/oder durch eine aktive und bewusste Verminderung und/oder Bewältigung der Stressfaktoren (siehe Kap. 3.3.1).

Wie bedeutsam dieses systematische Aktivieren von Selbstheilungskräften für die Schmerztherapie ist, zeigt sich an deren Erfolg bei alten Menschen,784,785 oder bei der Therapie der Rücken- oder Kreuzschmerzen. Sind bei Kreuzschmerzen objektive (z. B. Frakturen, Tumoren, Infektionen, Radikulopathien/Kompressionen und/oder Neuropathien) Ursachen auszuschließen, verbleibt die Diagnose der unspezifischen Kreuzschmerzen. Diese sind z. B. in Deutschland der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit und medizinische Rehabilitation.786 Akute Kreuzschmerzen gehen häufig in länger anhaltende (> 12 Wochen) und damit chronische Kreuzschmerzen über. Risikofaktoren hierfür stellen dar (siehe Tab. 3.27) ▪ physische Dauerbelastungen, ▪ psychisch-soziale Dauerbelastungen. Die Therapie der unspezifischen akuten wie auch chronischen Kreuzschmerzen hat die Zielsetzung787 ▪ Aufklärung und Motivation zu einer gesunden Lebensführung, ▪ eine regelmäßige körperliche Aktivität, ▪ Verminderung der Ursachen der Chronifizierung, ▪ Vermeidung chronifizierungsfördernder medizinischer Verfahren. Um diese Zielsetzung zu erreichen, werden folgenden Maßnahmen empfohlen:788 ▪ eine medikamentöse Schmerztherapie so niedrig dosiert wie möglich und nur so lange wie nötig – bevorzugt werden nicht-steroidale Anti-Rheumatika bzw. Antiphlogistika/NSAD und bei deren mangelnder Wirksamkeit ggf. auch Opiate; ▪ eine nichtmedikamentelle Therapie (siehe Tab. 3.28), welche im Wesentlichen die aktive Teilnahme des Patienten fordert und, − falls notwendig −, ▪ eine multimodale Kombination aller therapeutisch wirksamen Faktoren. Dieses beinhaltet

784 Bicket MC, Mao J. Chronic Pain in Older Adults. Anesthesiol Clin. 2015;33(3):577–90. 785 Makris UE, Abrams RC, Gurland B, Reid MC. Management of persistent pain in the older patient: a clinical review. JAMA. 2014;312(8):825–36. 786 Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz, Kurzfassung, 1. Auflage. Version 5. 2010 zuletzt verändert: Oktober 2015; http://www.kreuzschmerz. versorgungsleitlinien.de. 787 Siehe 786. 788 Siehe 786.

138

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.27: Risikofaktoren für chronische unspezifische Kreuzschmerzen.789 physische Ursachen

subjektiv: Arbeitsplatz

subjektiv: ärztliche Betreuung

körperliche Schwerarbeit

berufliche Unzufriedenheit

mangelhafte Berücksichtigung der möglichen Ursachen

monotone Körperhaltung

▸ ◂

Verlust des Arbeitsplatzes andauernde Kränkungen

▸ ◂

andauernde Vibrationsexposition chronische Konflikte

Überbewertung somatischer/ radiologischer Befunde lange, inadäquat begründete Krankschreibungen Konzentration auf passive Therapiekonzepte

▴ psychosoziale Ursachen negativer Stress/Distress (vor allem arbeitsplatzbezogen) und Depressionen Hilf- und Hoffnungslosigkeit, Angst starke Evidenz schmerzbezogene Erkenntnisfolgen wie z. B. Katastrophisieren ausgeprägtes passives Vermeidungsverhalten wie Schonverhalten schmerzbezogene Erkenntnisfolgen wie Gedankenunterdrückung überaktives Schmerzverhalten wie beharrliche Arbeitssamkeit moderate Evidenz suppressives Schmerzverhalten Neigung zu Somatisierung begrenzte Evidenz

Persönlichkeitsmerkmale

keine Evidenz

psychopathologische Störungen





im somatischen Bereich: – die Therapie der Schmerzerkrankung mit Linderung ihrer Symptomatik, die Reduktion von Schmerzen und der schmerzbedingten Beeinträchtigungen, – die Beeinflussung der Ursachenkette der Schmerzen und die Prävention von Schmerzrezidiven, – die Verbesserung von Ausdauer, Muskelkraft, Koordination und Beweglichkeit und die Verbesserung der funktionellen Leistungsfähigkeit, – die positive Beeinflussung von Risikofaktoren und Komorbiditäten (z. B. Bluthochdruck, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, metabolisches Syndrom usw.); im psychosozialen Bereich: – die Verminderung psychosozialer Belastungen und psychischer Folgen oder Komorbiditäten, wie Depressivität und Angst, – den Abbau inadäquater Bewältigungsstrategien (z. B. Katastrophisieren, Schonverhalten, Durchhalteverhalten),

789 Siehe 786.

139

3.3 Die Bewältigung von Stress, Ängsten und Schmerzen

Tab. 3.28: Wirksamkeit nichtmedikamentöser Therapiearten bei unspezifischen Kreuzschmerzen.790 Therapieformen

Wirksamkeit/Empfehlung akute Schmerzen

chronische Schmerzen

die eigene Passivität voraussetzende Therapiearten Akupunktur

––

+/–

Bettruhe

––

––

Interferenz

––

––

transkutane elektrische Nervenstimulation/TENS

––

––

perkutane elektrische Nervenstimulation/PENS

––

––

Kurzwellendiathermie

––

––

Lasertherapie

––

––

Magnetfeldtherapie

––

––

Elektrotherapie

+/–

Manipulation/Mobilisation

+/–

Massagen

––

Orthesen

––

+/– ––

Thermotherapie +/–

Wärmetherapie

– –

Kältetherapie



Traktion mit Gerät

––

––

Ultraschall

––

––

die eigene Aktivítät fordernde Therapiearten Beratung über Verhaltensverbesserung und Prognose

++

++

kognitive Verhaltenstherapie

++

++

körperliche Bewegung

++

++

progressive Muskelrelaxation/ Entspannungsverfahren

+/– ––

Ergotherapie Rückenschule (Angstvermeidung; funktionelle Rekonstruktion)

+

+/–

+ +

++/+: sehr starke/starke Empfehlung; +/–: schwache/eingeschränkte Empfehlung; –/– –: klare/sehr klare Ablehnung

790 Siehe 786.

140

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

– – – –

die Verbesserung von Interaktions- und Kommunikationskompetenz (zur Vermeidung instrumenteller Funktionen von Schmerzverhalten), Motivierung zu nachhaltiger körperlicher Aktivität, Verbesserung der psychischen und sozialen Kompetenzen in Alltag und Beruf, die bewusste Suche nach Quellen für Glücksgefühle in der Partnerschaft, im Freundeskreis und in der Beschäfigung mit Steckenpferden, da Anhaltspunkte bestehen, dass das ausgeschüttete Oxytocin die Schmerzempfindungen zentral wie auch peripher hemmen kann (siehe Kap. 3.2.1).

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr 3.4.1 Die Aktivierung der angeborenen und erworbenen Immunabwehr Das Immunsystem dient der Abwehr und Vernichtung von fremden oder verfremdeten körpereigenen Stoffen. Fremde Stoffe enthalten im Regelfall ▪ „pathogene molekulare Strukturmuster“ (PAMPs/Pathogen associated molecular patterns) von Bakterien, Pilzen, Viren, im Besonderen Kohlenhydrate, Lipide, Proteine, Lipopeptide, Glykolipide, Nukleinsäuren, ▪ Immunogene und Antigene, im Besonderen Peptide, Glykopeptide, Lipopeptide und Lipide. Für die Abwehr und Vernichtung und Entfernung dieser Fremdstoffe besitzt das Immunsystem zwei wesentliche Funktionseinheiten, welche über die Ausschüttung von Immunmediatoren (Interleukine, Zytokine, Wachstumsfaktoren, Interferone) eng zusammenarbeiten. Die angeborene Immunabwehr791 kann sofort und ohne eine vorhergegangene spezifische Prägung auf einen in den Körper eingedrungenen Fremdstoff reagieren, indem durch Kontakt mit diesem mehrere ineinandergreifender Systeme direkt oder indirekt (z. B. über die Zerstörung infizierter Zellen) aktiviert werden (siehe Tab. 3.29). Zu diesem Systemen gehören: ▪ das Komplementsystem (Freisetzung von Anaphylatoxinen und Bildung des lytischen Komplexes zur Abtötung von infizierten Zellen), ▪ das Gerinnungssystem (Aktivierung des Hagemannfaktors, Freisetzung des Tissue Factors, Bildung von Thrombin und Fibrin, Aktivierung der Fibrinolyse durch Plasmin), ▪ das Kininsystem (Freisetzung von Kininen), ▪ Mastzellen, Thrombozyten, Granulozyten, Makrophagen, natürliche Killerzellen, Endothelzellen und Epithelzellen, welche aktiviert werden – direkt durch Bindung der PAMPs des Fremdstoffes an „angeborene Rezeptoren“ für pathogene Strukturmuster (PRRs/Pattern recognition receptors, siehe Tab. 3.29) – indirekt durch Entzündungsmediatoren, freigesetzt durch den Aktivierungsprozess der Komplement-, Gerinnungs- und Kininsysteme; 791 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;144–160.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

141

Tab. 3.29: Zeitablauf und Mediatoren bei der Reaktion des angeborenen Immunsystems auf Fremdstoffe.792 Fremdstoffe „pathogene molekulare Strukturmuster“ (PAMPs/Pathogen associated molecular patterns) von Bakterien, Pilzen, Viren, im Besonderen Kohlenhydrate, Lipide, Proteine, Lipopeptide, Glykolipide wie LPS/Lipopolysaccharide, Peptidoglykane, Zymosan, Hyaluronsäure, Glykopeptide, RNA und/oder nicht-methylierten DNA-Fragmenten

▾ Aktivierungen Enzymkaskaden

Freisetzung von proinflammatorischen Mediatoren

von Inhibitoren

Minuten (nach Kontakt mit dem Fremdstoff) Komplementsystem

Opsonine Anaphylatoxine (C3a, C4a, C5a) zytolytischer Komplex

C1-Inaktivator, Carboxypeptidase (spaltet Anaphylatoxine)

Gerinnungssystem

Hagemann-Faktor; Thrombin, Fibrin, Plasmin

C1-Inaktivator, Antithrombin III, Protein S, PlasminogenaktivatorInhibitor

Kininsystem

Kallikrein, Bradykinin, Kallidin

Carboxypeptidase

▾ Rezeptoren für pathogene molekulare Strukturmuster/PRRs/Pathogen recognition receptors für Komplementfaktoren für Blutgerinnungsfaktoren

▾ Aktivierung von Immunzellen

Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren

antiinflammatorischer Mediatoren

Histamin, Heparin, Serotonin, Chemokine Interleukine (IL-3, -16), Leukotriene (LTC4), Zytokine (TNFα, GM-CSF), Wachstumsfaktoren (VEGF), lysosomale Enzyme

Prostaglandine (PGD2), lysosomale Enzyme, Interleukine (IL-4, -5, -6, -10, -13), Carboxypeptidase (degradiert Anaphylatoxine)

basophile Granulozyten (Degranulation, Exozytose)

Histamin, Serotonin, Leukotriene (LTC4), Interleukine (IL-16), lysosomale Enzyme

Lysosomale Enzyme, Interleukine (IL-4, -5, -6, -13), Carboxypeptidase (spaltet Anaphylatoxine)

neutrophile Granulozyten (PMN) (Zytotoxizität, Phagozytose, Exozytose)

reaktive Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen; Thromboxan, Leukotriene (SRS-A, LTC4, LTD4, LTE4), Interleukin (IL-1), lysosomale Enzyme; Chemokine, Wachstumsfaktoren (TGFβ, VEGF, PDGF)

Mastzellen (Degranulation, Exozytose) Minuten bis Stunden

792 Sedlacek HH. Siehe 791

Prostaglandine (PGI2, PGE2, PGF2), lysosomale Enzyme (u. a. Tryptase, Chymase)

142

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Serotonin, lysosomale Enzyme, Leukotriene (SRSA, LTC4, LTD4, LTE4), Thrombozyten Wachstumsfaktoren (Aggregation, Exozytose) (PDGF, PF, PF4, PAF, TGFβ), Gerinnungsfaktoren, Thromboxan

Prostaglandine (PGI2, PGE2, PGF2), lysosomale Enzyme

Stunden bis Tage

eosinophile Granulozyten (Exozytose, Zytotoxizität)

zytotoxische Proteine (MBP, ECP, EDN, EPO), Zytokine, (IL-4, -5, -6, IFNα, IFNβ, TNFα), Wachstumsfaktoren (TGFα, TGFβ), Leukotriene (LTC4), Lysosomale Enzyme

Histaminase, Aryl-Sulfatase, Phospholipase B (Abbau von Histamin, Leukotriene, PAF), Wachstumsfaktoren (TGFβ)

1–4 Tage (nach Kontakt mit dem Fremdstoff)

Makrophagen (Zytotoxizität, Phagozytose, Exozytose)

reaktive Sauerstoff- und StickstoffVerbindungen, lysosomale Enzyme, Zytokine (IL-1, TNFα, IFNγ, G-, GM-, GM-CSF), Wachstumsfaktoren (TGFβ, PDGF, FGF, TGFα, VEGF), Chemokine, Thromboxan, Leukotriene (LTB4, SRSA: LTC4, LTD4, LTE4)

Interleukine (IL-4, -6, -10, -13) Prostaglandine (PGI2, PGE2, PGF2), Protease-Inhibitoren (α2-Makroglobulin, α1-Antitrypsin, α-1-Antiplasmin, TIMP, PAI), Interleukine (IL-4, -10)

natürliche Killerzellen ( Zytotoxizität)

Zytokine (GM-CSF, IFNγ), Zytotoxine (Perforin, Granzyme), Liganden für Todesrezeptoren, (TNF, Fasligand, TRAIL)

Zytokine (IL-4, -10, 13)



wobei eine Schlüsselrolle einnehmen (siehe Tab. 3.29) – Thrombozyten (Aggregation; Freisetzung ihrer proinflammatorischen Mediatoren), – Mastzellen und basophile Granulozyten (Ausschüttung von Entzündungsmediatoren), – neutrophile und eosinophile Granulozyten wie auch Makrophagen (Freisetzung von Zytokinen, Ausschüttung von lysosomalen Enzymen, Bildung von radikalem Sauerstoff zur Zerstörung von Infektionserregern; Phagozytose und intrazellulärer Verdau von Fremdstoffen), – natürliche Killerzellen (Abtötung infizierter Zellen).

Das Ergebnis dieser Aktivierung ist ▪ eine lokale Entzündung mit den klinischen Symptomen „Rötung, Schwellung, Temperaturerhöhung, Schmerz und eingeschränkte Funktion“ durch die freigesetzten proinflammatorischen Wirkstoffe (Histamin, Serotonin, Interleukine, Chemokine, Interferone, Leukotriene, Prostaglandine, Enzyme und Wachstumsfaktoren), welche weitere Granulozyten, Makrophagen und natürliche Killerzellen anlocken und aktivieren, ▪ die Zerstörung und Entfernung der Fremdsubstanz durch

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

143





zytotoxische Wirkstoffe (reaktive Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen, TNFα, TNFβ, IFNα, IFNγ, Perforine, Granzyme Cathepsine, lysosomale degradative Enzyme) und – Phagozytose, intrazelluläre Abtötung und Verdau (im Besonderen bewirkt durch neutrophile Granulozyten und Makrophagen); die Regeneration bzw Reparatur des Entzündungsgebietes, bewerkstelligt durch Wachstumsfaktoren, ausgeschüttet besonders von Makrophagen und Bindegewebezellen (VEGF, FGF, TGFα, TGFβ) mit – der Abräumung des toten fremden und körpereigenen Zellmaterials erst durch Granulozyten, später durch Makrophagen, – der Stimulation der Blutgefäßneubildung (Angiogenese) aus den angrenzenden Blutkapillaren und – der Narbenbildung aus dem Wachstum der Bindegewebszellen und ggf. der angrenzenden Epithelschicht.

Die erworbene Immunabwehr793 bedarf (im Gegensatz zur angeborenen Immunabwehr) einer Prägung durch die Antigene eines Fremstoffes, um eine spezifische Abwehr gegen diesen Stoff zu entwickeln (siehe Tab. 3.30). Hierfür Charakteristisch für die erworbene Immunabwehr sind folgende Komponenten: Variable Strukturen welche Antigene, d. h. „fremde“ Peptide, Glykopeptide, Lipopeptide oder Lipide spezifisch binden und die zellspezifisch von den einzelnen Immunzellen herausgebildet werden, ▪ wobei deren Vielfalt ermöglicht wird durch den hohen Polymorphismus der kodierenden Gene, die Vielzahl an unterschiedlichen Gensegmenten, durch somatische Hypermutationen und somatische Rekombinationen und durch die posttranslationale Kombination unterschiedlicher Genprodukte zu einem heterogenen Makromolekül, ▪ welche sich befinden in folgenden heterogenen Makromolekülen – MHC-I/Major-Histocompatibility-Complex auf praktisch jeder kernhaltigen Zelle; auf dem MHC-I werden Fremdantigene zytotoxischen T-Lymphozyten präsentiert, – MHC-II und CD1 auf Antigen-präsentierende Zellen (APC), welche das Fremdantigen T-Helfer-Lymphozyten präsentieren, – TCR/T-Lymphozyten-Rezeptor auf allen T-Lymphozyten, – BCR/B-Lymphozyten-Rezeptor auf allen B-Lymphozyten und – Antikörper, produziert von B-Lymphozyten und Plasmazellen. Antigenpräsentierende Zellen (APC), welche mit Hilfe der Rezeptoren für pathogene Strukturmuster (PRR) Fremdstoffe erkennen, phagozytieren, verdauen und deren kleinste antigene Bruchstücke (antigene Peptide, Glykopeptide oder Lipopeptide) mit Hilfe der membranständigen MHC-II- oder CD1-Moleküle solchen T-Lymphozyten präsentieren, welche ihrerseits TCR-Moleküle tragen, die spezifisch sind für diese antigenen Bruchstücke. Zu den Antigenpräsentierenden Zellen gehören besonders

793 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;161–353.

144 ▪



3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Dentritische Zellen, welche antigenspezifisch naive (TH0-) T-Helfer-Lymphozyten stimulieren zur Differenzierung in – Helfer-T-Lymphozyten (TH1) für die antigenspezifische Auswahl und Stimulation der Vermehrung von zytotoxischen T-Lymphozyten (CTL), – Helfer-T-Lymphozyten (TH17) für die Verstärkung der angeborenen Immunreaktion oder – Helfer-T-Lymphozyten (TH2) für die Unterstützung von B-Lymphozyten bei der Entwicklung der antikörpervermittelten Immunreaktion; B-Lymphozyten, welche – antigenspezifisch Helfer-T-Lymphozyten (TH2) aktivieren zur Ausschüttung von Interleukinen, – durch welche diese B-Lymphozyten stimuliert werden zur Proliferation, somatischen Hypermutation und Selektion zur Bildung von hochaffinen Antikörpern gegen das in Frage kommende Antigen.

Die Kooperation zwischen den APC und den T-Lymphozyten erfolgt ▪ unter der Kontrolle von zusätzlichen Membranmolekülen, welche die Individualspezifität der Reaktion sichern helfen und/oder als Kostimulatoren wirken; insgesamt als immunologische Synapse bezeichnet, ▪ mit Unterstützungen unterschiedlicher Kombinationen von Zytokinen, ausgeschüttet von den beteiligten Zellen und/oder von den Zellen der meist gleichzeitig aktivierten angeborenen Immunabwehr (siehe Tab. 3.30). Das Ergebnis dieser Kooperation sind ▪ zytotoxischen T-Lymphozyten (CTL), welche mit ihrem spezifischen TCR definierte Antigene (z. B. ein Virusantigen, gebunden an MHC-I) auf Zielzellen entdecken und durch Ausschüttung von zytotoxischen Substanzen (Perforine, Granzyme, Cathepsine, TNFα, TNFβ) töten, ▪ B-Lymphozyten, welche nach einem Selektions- und Reifungsprozess hochaffine Antikörper bilden und sich zu Plasmazellen differenzieren, welche die Antikörper des Isotyps IgM, IgD, IgG, IgA oder IgE produzieren. Jeder Isotyp hat unterschiedliche Fähigkeiten, so z. B. – wird lösliches Antigen gebunden, sodass Immunkomplexe entstehen, welche in der Lage sind • toxische Funktionen des Antigens zu neutralisieren, • die angeborene Immunabwehr zur verstärkten Phagozytose der Immunkomplexe und zu Entzündungsreaktionen zu stimulieren (über Rezeptoren für den konstanten (Fc-) Teil der Antikörper IgM, IgG1,2,3, IgA1,2), – wird Antigen auf einer Zielzelle gebunden, wodurch Komplement (von IgM, IgG1,2,3) aktiviert wird mit der Folge • der Zytolyse der Zielzelle (z. B. Erythrozyten) durch den zytolytischen Komplex (C5a678(9)xn), • der Aktivierung der Zellen der angeborenen Immunantwort (natürliche Killerzellen, Makrophagen, neurophile und eosinophile Granulozyten) zur Zerstörung der Zielzelle und zur Entzündung durch Auschüttung von Zytokinen,

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

145

Tab. 3.30: Entwicklung der erworbenen Immunabwehr mit Hilfe der angeborenen Immunabwehr.794 Fremdstoffe Bakterien, Pilze, Viren, Parasiten, infizierte oder molekular verfremdete eigene Zellen, fremde Proteine, Lipide, Glykolipide, Glykoproteine

▾ pathogene molekulare Strukturmuster (PAMPs = Pathogen associated molecular patterns/pathogene molekulare Strukturmuster)





Rezeptoren für PAMPs (PRR = Pattern recognition receptors)

B-LymphozytenRezeptor / BCR

Rezeptoren für PAMPs (PRR)

antigenpräsentierende Zellen

Hilfe durch angeborene Immunabwehr

dentritische Zellen

B-Lymphozyten





Komplementfaktoren



Phagozytose und Verdau der Fremdstoffe





lysosomale Enzyme

MHC-II Beladung mit antigenen Peptiden CD1 Beladung von mit antigenen Lipiden und Glykolipiden Präsentation auf der Zellmembran





immunologische Synapse mit

immunologische Synapse

TCR naive T-Lymphozyten



IL-1, IL-4, TNFα, IFNα, GM-CSF (Makrophagen, Fibroblasten)



IFNα, IFNγ (Makrophagen, natürliche Killerzellen)



IFNα, IL-2 (Makrophagen)



IL-4, IL-25 (Mastzellen, Basophile) IL-10, IL-33 (Makrophagen, Epithelz.)

Zytokine, die prägen zu IL-4 IL-10 IL-25 IL-33

TH2-HelferLymphozyten



TH2Lymphozyten (IL-2, IL-4, IL-5, IL-6, IL-10, IL-13, IL-15, IL-21)

▾ TH1-HelferLymphozyten IL-12 IL-21 IL27 IFNγ

▾ Ausschüttung von IL-2, IL-3, IL-17, IFNγ, TNFα, GM-CSF

B-Lymphozyten Proliferation, somatische Hypermutation, Differenzierung, somatische Rekombination

IL-2, IL-12, IFNγ (Makrophagen, Granulozyten)

794 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunantwort des Menschen. de Gruyter 2014;161–353.

146

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

▾ IL-12 IL-23 IL27

TGFα TGFβ IL-7

zytotoxische T-Lymphozyten/ CTL

Treg-HelferLymphozyten regulatorische T-Lymphozyten (IL-10, TGFβ)

▾ Isotypenwechsel IgM

IL-7

IGM, IgG3, IgG1, IgA1

IFNα, IFNγ, TGFβ

IGM, IgG3, IgG1, IgA1, IgG2

Il-5, IL-6

IGM, IgG3, IgG1, IgA, IgG2, IgE

TH17-HelferLymphozyten (IL-17, IL-22 TNFα, GM-CSF)



IGM, IgG3, IgG1, IgA, IgG2,IgE, IgA2

Makrophagen, Mastzellen, Fibroblasten, Endothelzellen, eosinoph. Granulozyten



Plasmazellen Ausschüttung spezifischer Antikörper



IL-2, IL-10 (hoch) IL-7 IL-15 IL-21

T-GedächtnisLymphozyten

▾ B-GedächtnisLymphozyten

IL-4, IL-13 +IL-2, IL-9, TGFα

▴ Hilfe durch TH2-Lymphozyten

IL-21 IL-23 TGFß

Hilfe für Isotypenwechsel



IL-17, IL-22 (Fibroblasten, natürliche Killerzellen)

IL-7, IL-15 (Parenchymzellen) IL-2, IL-10 (Makrophagen)

MHC = Major Histocompatibility Complex; TCR = T-Lymphozyten-Rezeptor; TGF = Transforming Growth Factor

– –

ist der aktive Transfer durch Epithelschichten der Schleimhaut möglich (IgA1,2), werden Personen für eine Allergie sensibilisiert, indem IgE an Fc-Rezeptoren auf Mastzellen und basophilen Granulozyten bindet. Werden derart zellmembrangebundene IgE-Moleküle durch das spezifische Antigen (Allergen) vernetzt, erfolgt eine Aktivierung der Mastzellen und basophilen Granulozyten mit Ausschüttung besonders von Histamin, Heparin und Serotonin, welche die allergische Reaktion bewirken.

Die Prägung der erworbenen Immunabwehr durch ein definiertes Antigen ▪ bedarf einen Zeitraum von etwa 5–6 Tagen und ▪ erfolgt vorwiegend in den lymphatischen Organen (z. B. Lymphknoten, Milz, Peyerschen Platten des Darmes) als „Reaktionszentren“, ▪ vermittelt eine Grundimmunität gegen das definierte Antigen (sogenannte Immunisierung durch ein Immunogen) mit der Entwicklung von T-Gedächtnis-Lymphozyten und B-Gedächtnis-Lymphozyten, ▪ ermöglicht bei einem nachfolgenden zweiten Eindringen des Antigens, – dass auch die angeborene Immunabwehr innerhalb von Minuten bis Stunden auf das Antigen reagieren kann und – dass die Grundimmunität verstärkt wird (sogenannte Booster-Reaktion).

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

147

Tab. 3.31: Klinische Ergebnisse aus der Zusammenarbeit von angeborener und erworbener Immunabwehr.795 Typ der klinischen Immunreaktion

Antigen

erworbene Immunabwehr

angeborene Immunabwehr

Krankheiten bei Fehlfunktionen

Typ I allergische Reaktion vom Soforttyp

lösliche Antigene (Allergene)

IgE-Antikörper spezifisch gegen das Allergen

Mastzellen, basophile Granulozyten, eosinophile Granulozyten

Allergien (Auge, Luftwege, Magen-Darm, Haut), Schock

Typ II antikörpervermittelte Immunreaktionen gegen zellgebundene Antigene

zellgebundene Antigene

IgG (IgG3,1,2)Antikörper

Komplementsystem, natürliche Killerzellen, Makrophagen, neutrophile Granulozyten

Hämolysen nach allogenen Blutspenden; durch Arzneimittel, welche an Erythrozyten binden

lösliche Antigene

IgM und IgG (IgG3,1,2)

Komplementsystem, Gerinnungssystem, Kininsystem, natürliche Killerzellen, Makrophagen Granulozyten, Thrombozyten

Immunkomplexerkrankungen, Serumkrankheit, Gefäßentzündungen, Nierenentzündungen

zellassoziierte Antigene

zytotoxische T-Lymphozyten (CTL)

Typ III Immunreaktionen, bedingt durch Immunkomplexe, gebildet aus löslichen Antigenen und Antikörpern

Typ IV Immunreaktion vom verzögerten Typ

lösliche Antigene

Helfer (TH1) Lymphozyten

Helfer (TH2) Lymphozyten Typ V Immunreaktion gegen membranZellmembrangebundene rezeptoren Antigene/ Rezeptoren

IgM, IgG, IgA

Kontaktdermatitis

Makrophagen

Kontaktdermatitis, Tuberkulinreaktion

neutrophile Granulozyten

Kontaktdermatitis

eosinophile Granulozyten

chronische Allergien, chronisches Asthma Rezeptoraktivierung (z. B. Schilddrüse), Rezeptorblockaden (z. B. Acetylcholinrezeptor/Myasthenia gravis)

Die Kenntnis über die Mechanismen der Immunisierung macht man sich bei Impfstoffen zu Nutze, indem ▪ Grundimmunisierung und Boosterreaktionen durch ein Impfprogramm ausgelöst werden, ▪ vielen Impfstoffen Adjuvantien beigemischt werden, um durch gleichzeitige Aktivierung der angeborenen Immunabwehr den spezifischen Immunisierungseffekt zu verstärken. 795 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunantwort des Menschen. de Gruyter 2014;571–631.

148

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Die Art der immunologischen Reaktion und die Qualität des fremden antigenen Stofffes bestimmen die Art des klinisch erkennbaren Bildes der Immunreaktion. Diese wird in 5 unterschiedlichen Typen eingeteilt (siehe Tab. 3.31). Entsprechend ergeben sich auch die Zuordnungen der Krankheitsbilder bei Fehlfunktionen dieser Immunreaktionen.

3.4.2 Wechselspiel zwischen Immunsystem und Nervensystem Zwischen dem Nervensystem und dem Immunsystem besteht die Besonderheit,796 ▪ dass Nervenzellen für die Aufrechterhaltung ihrer Funktion nicht nur Neuromediatoren, sondern auch Immunmediatoren ausschütten (siehe Tab. 3.32), ▪ dass fast alle Neuromediatoren des Nervensystems die Aktivität von Immunzellen direkt beeinflussen, wobei unter Normalbedingungen dieser Einfluss insgesamt ausgewogen ist (siehe Tab. 3.33), ▪ dass zahlreiche Neuromediatoren auch von Immunzellen gebildet werden (siehe Tab. 3.35) und ▪ dass eine beträchtliche Anzahl von Immunmediatoren direkten Einfluss auf die Zellen des Nervensystems haben (siehe Tab. 3.34). Zwar wird der Austausch der Mediatoren zwischen beiden Systemen durch die Bluthirnschranke und durch die Blutnervenschranke behindert (siehe Kap. 2.4.2); ▪ sodass sich unter normalen Bedingungen der Austausch797 auf Gehirnregionen beschränkt, in denen das Endothel der Bluthirnschranke gefenstert ist (siehe Kap. 2.4.2), ▪ jedoch öffnet sich die Blut-Hirnschranke unter pathophysiologischen Bedingungen, d. h. nach Aktivierung ihrer Endothelzellen und Auflösung der Haftkomplexe (Tight junctions). Eine solche Durchgängigkeit wird bewirkt – durch Entzündungen, die lokal zur Freisetzung von Histamin, Serotonin, Bradykinin, Anaphylatoxinen (C4a, C3a, C5a), Immunmediatoren (IL-1, IL-2, IL-4, GM-CSF, M-CSF, TNFα), Prostaglandinen und/oder Leukotrienen führen, – durch physikochemische Schädigungen der Endothelzellen, z. B. bei Erhöhung der Osmolarität (z. B. entgleister Diabetes mellitus) oder Erniedrigung der Osmolarität (z. B. Hyponatriämie, Wasserintoxikation) des Blutes, bei Hypoxien mit Ausfall der Na-Ionen/K-Ionen-ATP-ase, bei einer hypertensiven Krise, nach Hirninfarkten oder toxischen Schädigungen. Durch eine derart mehr oder weniger geöffnete Bluthirnschranke kann das Zentrale Nervensystem (ZNS) Einfluss auf das Immunsystem ausüben und kann eine Aktivierung des Immunsystems auch das ZNS in Mitleidenschaft ziehen.

796 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunantwort des Menschen. de Gruyter 2014;359–456. 797 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunantwort des Menschen. de Gruyter 2014;372–376.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

149

Tab. 3.32: Beispiele für den Einfluss von Immunmediatoren, gebildet von Nervenzellen auf Nervenzellen. Nervenzellen exprimiert von Nervenzellen im Großhirn

im Rückenmark (Dorsalhorn)

Wirkung auf Nervenzellen Hemmung

TNFα

Apoptose

Bildung von Rezeptoren für Erythropoietin

Erythropoietin

Apoptose

Neuritenwachstum

IL-1

SerotoninSynthese798

NGF (↑), CRH (↑), Vasopressin (↑), Oxytocin (↑)

IL-6

Übererregung

IFNγ

Dendritenwachstum

SCF, G-CSF

Zellteilung (Neuronen und Gliazellen), Heilvorgang nach Schlaganfall

Chemokine SDF-1, CXCL-12, CCL-21

Proliferation; Freisetzung von Glutamat (↑), GABA (↑), Adiuretin (↑)

TNFα

spontane Synapsenaktivität

IL-6

spontane Synapsenaktivität

IL-1 vegetative Neuronen (Vagus)

Förderung

IL-1, IL-6, TNFα

spontane Synapsenaktivität Proliferation

Apoptose

IL = Interleukin; IFN = Interferon; TNFα = Tumor Nekrosis Faktor; SCF = Stem-cell-factor; G-CSF = Granulozyten-Colony stimulating factor; NGF = Nerve Growth Factor; CRH = Corticotropin-Releasing Factor; GABA = Gamma-Aminobuttersäure

Wechselwirkungen zwischen dem ZNS und dem Immunsystem werden beispielsweise deutlich bei ▪ der Schizophrenie, welche mit einem deutlich erhöhten Blutspiegel von proinflammatorischen Zytokinen (IL-1α, IL-1β, IL-6, IL-8 und TNF-α) einhergeht,799,800

798 Miller AH, Haroon E, Raison CL, Felger JC. Cytokine targets in the brain: impact on neurotransmitters and neurocircuits. Depress Anxiety. 2013;30(4):297–306. 799 Upthegrove R, Manzanares-Teson N, Barnes NM. Cytokine function in medication-naive first episode psychosis: a systematic review and meta-analysis. Schizophr Res. 2014;155(1–3):101–8. 800 Di Nicola M, Cattaneo A, Hepgul N, Di Forti M, Aitchison KJ, Janiri L, Murray RM, Dazzan P, Pariante CM, Mondelli V. Serum and gene expression profile of cytokines in first-episode psychosis. Brain Behav Immun. 2013;31:90–5.

150 ▪

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

der Depression – welche assoziiert ist mit einer Vermehrung von proinflammatorischen Zytokinen (TNFα, IL-1, IL-6, IFNγ) und Chemokinen (IL-8, CCL2/MCP-1/Monocyte chemoattractant Protein) im Blut,801,802,803 – die vermehrt auftritt während oder unmittelbar im Anschluss an chronischen Infektionen wie z. B. Tuberkulose,804,805 Herpes Zoster,806 HIV,807 oder chronischen Entzündungen wie z. B. Osteomyelitis,808 Rheuma,809 Akne,810 – welche ausgelöst werden kann durch die Verabreichung von Zytokinen,811,812,813 – wobei die Zytokine die Synthese von Nikotinsäure stimulieren, hierdurch Tryptophan verbraucht und damit die Synthese des antidepressiven Serotonins vermindert wird.814, 815

801 Young JJ, Bruno D, Pomara N. A review of the relationship between proinflammatory cytokines and major depressive disorder. J Affect Disord. 2014;169:15–20. 802 Duggal NA, Upton J, Phillips AC, Hampson P, Lord JM. Depressive symptoms post hip fracture in older adults are associated with phenotypic and functional alterations in T cells. Immun Ageing. 2014;11(1):25. PMID: 25628751. 803 Pae CU The potential role of monocyte chemoattractant protein-1 for major depressive disorder. Psychiatry Investig. 2014;11(3):217–22. 804 Yen YF, Chung MS, Hu HY, Lai YJ, Huang LY, Lin YS, Chou P, Deng CY. Association of pulmonary tuberculosis and ethambutol with incident depressive disorder: a nationwide, population-based cohort study. J Clin Psychiatry. 2015;76(4):e505–11. 805 Shen TC, Wang CY, Lin CL, Liao WC, Chen CH, Tu CY, Hsia TC, Shih CM, Hsu WH, Chung CJ. People with tuberculosis are associated with a subsequent risk of depression. Eur J Intern Med. 2014;25(10):936– 40. 806 Chen MH, Wei HT, Su TP, Li CT, Lin WC, Chang WH, Chen TJ, Bai YM. Risk of depressive disorder among patients with herpes zoster: a nationwide population-based prospective study. Psychosom Med. 2014;76(4):285–91. 807 Arseniou S, Arvaniti A, Samakouri M. HIV infection and depression. Psychiatry Clin Neurosci. 2014;68(2):96–109. 808 Tseng CH, Huang WS, Muo CH, Chang YJ, Kao CH. Increased depression risk among patients with chronic osteomyelitis. J Psychosom Res. 2014;77(6):535–40. 809 Iaquinta M, McCrone S. An Integrative Review of Correlates and Predictors of Depression in Patients with Rheumatoid Arthritis. Arch Psychiatr Nurs. 2015;29(5):265–78. 810 Kurek A, Johanne Peters EM, Sabat R, Sterry W, Schneider-Burrus S. Depression is a frequent co-morbidity in patients with acne inversa. J Dtsch Dermatol Ges. 2013;11(8):743–9, 743–50. 811 Dunn AJ, Swiergiel AH, de Beaurepaire R. Cytokines as mediators of depression: what can we learn from animal studies? Neurosci Biobehav Rev. 2005;29(4–5):891–909. 812 Schiepers OJ, Wichers MC, Maes M. Cytokines and major depression. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry. 2005;29(2):201–17. 813 Hoyo-Becerra C, Schlaak JF, Hermann DM. Insights from interferon-α-related depression for the pathogenesis of depression associated with inflammation. Brain Behav Immun. 2014;42:222–31. 814 Miller AH, Haroon E, Raison CL, Felger JC. Cytokine targets in the brain: impact on neurotransmitters and neurocircuits. Depress Anxiety. 2013;30(4):297–306. 815 Müller N, Immunology of major depression. Neuroimmunomodulation. 2014;21(2–3):123–30.

151

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Tab. 3.33: Einfluss von Neuromediatoren und von diesen regulierte Hormone auf die Immunantwort. Nervensystem

Sympathicus

endokrines Gewebe/Organ

+/– Nebennierenmark

Parasympathicus

zentrales und peripheres Nervensystem (NeurotrophinNeuropeptidAchse)

Hypothalamus

Neuromediator/ Hormon

Einfluss auf das Immunsystem angeborene Abwehr

+





Acetylcholin



+





Neuropeptid Y



+





Tachykinine

+

Endorphine

+

+

















VIP



+





ANP



+





NGF

+

BDNF

+

CRH

+

+

+

Hypothalamus

TRH

+

HVL

TSH

+

Schilddrüse

Trijodthyronin Somatoliberin

Melanoliberin Hypothalamus Melanostatin

+

+



+

+



+*





+*



+*

+











– +

– +

+

+

+ +



+

• –

+



+



+



Somatostatin/ Cortistatin/ Ghrelin Wachstumshormon/GH





Mineralocorticoide

HVL

+

CGRP

Cortisol

Hypothalamus

zelluläre Zytotoxizität



HypophysenvorACTH derlappen (HVL)

zentrales Nervensystem

Antikörper

Noradrenalin Adrenalin

Hypophysenhin- Oxytocin terlappen (HHL) Vasopressin

Nebennierenrinde

erworbene Abwehr

Produktion des Neuromediators durch Immunzellen





+





152

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Nervensystem

endokrines Gewebe/Organ

HVLZwischenlappen

Neuromediator/ Hormon

Einfluss auf das Immunsystem angeborene Abwehr

Antikörper

zelluläre Zytotoxizität







Melanocortin Gonadoliberin1

erworbene Abwehr

+

+

Produktion des Neuromediators durch Immunzellen

+

• •

Hypothalamus –

Gonadoliberin2

zentrales Nervensystem

HVL

FSH/ Follitropin

Gonaden

Östrogene

HVL

LH/Lutropin

+

– (+)



(+)

+

Testosteron



Progesteron



• •



+

(+)



+ –

• –

Gonaden Prolaktoliberin

+

+



+

+



Hypothalamus –

Dopamin HVL

Prolaktin

+

– +

– +

• •

+: Förderung; −: Hemmung; •: ja/trifft zu; CGRP = Calcitonin-Gene-related Peptide; VIP = vasoaktives intestinales Peptid; ANP = atriales natriuretisches Peptid; CRH = Corticotropin-Releasing Hormon/Corticoliberin; ACTH = adrenocorticotropes Hormon/ Corticotropin; TRH = Thyreotropin Releasing Hormone/Thyreoliberin; TSH = thyreoideastimulierendes Hormon; GH = Growth Hormon; FSH = follikelstimulierendes Hormon; LH = luteinisierendes Hormon; HVL = Hypophysenvorderlappen; *) allergische Reaktionen

Starke Stressreize setzen zentral und in der Peripherie Stresshormone frei, im Besonderen Noradrenalin und Cortisol (siehe Kap. 3.3.1), welche das Immunsystem mehr oder weniger beeinträchtigen können (siehe Tab. 3.35), entweder nur vorübergehend (falls der Stress bewältigt wird und die Erholungsphase gelingt) oder langfristig (falls die Stressbelastung in eine Erschöpfungsphase mündet). Diese stressbedingte längerfristige Schwächung der Immunabwehr kann zur Folge haben,816 ▪ dass Häufigkeit, Dauer und Schweregrad von Infektionserkrankungen erhöht sind, ▪ dass Impfstoffe nur mangelhaft schützen (z. B. zu geringe Antikörperspiegel nach Impfung mit einer Hepatitis-B-Virus-Vakzine, mangelnder Schutz nach Impfung mit einer Influenza-Virus-Vakzine), ▪ dass die Wundheilung sich verzögert,

816 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen, de Gruyter 2014;516–519.

153

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Tab. 3.34: Beispiele für die Wirkung von Immunmediatoren auf das Nervensystem. Wirkungen auf das Nervensytem

Interleukine

Interferone Wachstumsfaktoren

IL1

IL2

IL4

IL6

IL10 IFNα IFNγ

TNFα M-CSF GM-CSF

+

+

+

+

+

+

+





+

+





+





+







+

+

+

zentrales Nervensystem Öffnung der Bluthirnschranke (Aktvierung der Endothelzellen) Acetylcholin AusschütCRH tung von NeuroACTH und Cortisol mediatoren/ Vasopressin Hormonen NGF

+

+

Schlafbedürfnis

+

+

Nahrungsaufnahme





Aktivierung/ Oligodendrozyten BeeinflusAstrozyten sung IL-1 und TNFα (↑)

+

+

+

+

Körpertemperatur/Fieber

Mikrogliazellen

+

+

+

+

+

+ +

– +

+ –

ApoptosedurchTNFα



peripheres Nervensystem Öffnung der Blutnervenschranke (Aktivierung der Endothelzellen)

+

+

+

+

+

+

+

Schwann’sche Zellen

+

+

+

+

+

+

+

axonale Reizleitung

















Aktivierung/ Aktivität der BeeinflusSynapsen sung motorische Aktivität





IL-1 und TNFα (↑)



Apoptose durch TNFα





+ : Förderung; − : Hemmung; IL = Interleukin; IFN = Interferon; TNF = Tumornekrosefaktor; M-CSF = Makrophagen-Colony-Stimulating Factor; GM-CSF = Granulozyten-Makrophagen-CSF; CRH = Corticotropin-Releasing Hormon/Corticoliberin; ACTH = adrenocorticotropes Hormon/Corticotropin; NGF = Nerve-Growth-Factor

154

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.35: Schematischer Zeitablauf der Immunreaktion nach akuter Stresseinwirkung. Stress





Alarmphase

Bewältigungsphase



Beruhigungs- und Erholungsphase

angeborene Immunantwort

akute Entzündungsreaktion

erworbene Immunantwort

Antikörperbildung

zelluläre (zytotox) Reaktion

Bewältigung, Beruhigung und Erholung

▪ ▪

gelungen

nicht gelungen (Erschöpfungsphase)

dass vermehrt Allergien und Autoimmunerkrankungen auftreten, dass Tumorerkrankungen vermehrt auftreten oder das Überleben verkürzen (z. B. beim Mammakarzinom817,818 ) oder dass Tumoren verstärkt wachsen (z. B. beim Prostatakarzinom819).

817 Lin Y, Wang C, Zhong Y, Huang X, Peng L, Shan G, Wang K, Sun Q. Striking life events associated with primary breast cancer susceptibility in women: a meta-analysis study. J Exp Clin Cancer Res. 2013;32(1):53. doi: 10.1186/1756-9966-32-53. 818 Spiegel D. Minding the body: psychotherapy and cancer survival. Br J Health Psychol. 2014;19(3):465– 85. 819 Damaschke NA, Yang B, Bhusari S, Svaren JP, Jarrard DF. Epigenetic susceptibility factors for prostate cancer with aging. Prostate. 2013;73(16):1721–30.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

155

Ängste vor einer allergischen Reaktion und/oder auch Ekelgefühle können allergische Reaktionen auslösen, welche das klinische Bild von allergischer Rhinitis/Konjunktivitis, Asthma, Urtikaria, Dermatitis, Erbrechen oder Durchfall zeigen und mit oder auch ohne Beteiligung von IgE (dann als sogenannte Pseudoallergien) einhergehen (siehe Kap. 3.4.6). Bei diesen Pseudoallergien werden unter Beteiligung des limbischen Systems und über das vegetative Nervensystem Noradrenalin und Acetylcholin freigesetzt, welche aktivieren ▪ Mastzellen (Noradrenalin, Acetylcholin) und basophile Granulozyten (Acetylcholin) zur Freisetzung von Histamin und Serotonin und ▪ Makrophagen und Endothelzellen (Acetylcholin) zur Ausschüttung von Chemokinen (CXCL-1,-5,-7,-8,-14, CX3CL-1, CCL-1,-2,-3,-4,-5,-11), welche wiederum Mastzellen und basophile Granulozyten aktivieren zu Freisetzung von Histamin und Serotonin. Glückliche Ereignisse, beispielsweise ein glückliches Liebesleben, stärken die Immunabwehr. Denn die Glückshormone Oxytocin, Dopamin, Serotonin, Endorphine und Prolaktion (siehe Kap. 3.2.1) modulieren das Immunsystem in direkter und indirekter Weise derart (siehe Tab. 3.36), ▪ dass insgesamt die Immunstimulierung der angeborenen wie auch der erworbenen Immunabwehr deutlich überwiegt, ▪ dass die immunsuppressive Wirksamkeit von ACTH und Cortisol (verstärkt ausgeschüttet nach Stresseinwirkungen, siehe Kap. 3.3.1), eingeschränkt oder verhindert wird und ▪ dass die Gefahr einer überschießenden Immunreaktion gebannt wird, da sich die unterschiedlichen direkt und indirekt immunstimulierenden oder immunhemmenden Einflüsse der Glückshormone wechelseitig kontrollieren, ▪ dass funktionelle Schmerzen (siehe Kap. 3.3.1) zentral und peripher gehemmt werden. Aus diesem Wissen heraus ▪ stärkt die Befolgung des Ratschlags „Liebe Deine Frau und Deine Familie, aber nie Deinen Job“ nicht nur Leistungsfähigkeit, Sach- und Ziel-Orientierung im Management,820 sondern dient auch der eigenen Gesunderhaltung, ▪ ist es naheliegend, dass ein Liebesakt unter Stressbedingungen z. B. in Form eines männlichen, weiblichen oder beidseitigen Leistungsanspruches oder Leistungsbeweises – die Ausschüttung von Glückshormonen einschränkt oder verhindert und damit – nicht nur die glücksbringende, sondern auch die immunstimulierende und damit gesundheitsförderliche Wirkung der Liebe zunichte macht.

820 http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/agenturchef-frank-behrendt-10-tipps-fuers-entspannteberufsleben-a-1055766.html.

156

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.36: Wirkung der Glückshormone auf die Immunabwehr. Glückshormone

angeborene Abwehr

erworbene Abwehr Antikörper

zelluläre Zytotoxizität

Oxytocin821,822,823 Aktivierung von T-Lymphozyten direkt

indirekt

+

+

+

+

Inhibition der Immunmodulation durch Oestrogen (Oestrogen fördert Oxytocin-Rezeptor-Expression)

+

Förderung der Histaminausschüttung (Mastzellen)

+

Verminderung der zellulären Aufnahme von Serotonin

+

Hemmung der ACTH/Cortisolausschüttung (Sympath.)

+

+

+

Hemmung der Endorphinausschüttung

+

+

+

Förderung der Prolaktinausschüttung

+

+

+

Aktivierung der Acetylcholinfreisetzung (Parasympath)

+

Wundheilung und Narbenbildung

+

Knochenumbau und Wachstum

+





+

+





+

+





Dopamin824,825,826,827

direkt

Aktivierung von dentritischen Zellen und CD4-TLy

+

+

Aktivierung von T-Lymphozyten, Hemmung von Treg

+

+

+

+

Aktivierung von TH17 und Auschüttung von IL-17

+

821 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;384–444. 822 Clodi M, Vila G, Geyeregger R, Riedl M, Stulnig TM, Struck J, Luger TA, Luger A. Oxytocin alleviates the neuroendocrine and cytokine response to bacterial endotoxin in healthy men. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2008;295(3):E686–91. 823 Macciò A, Madeddu C, Chessa P, Panzone F, Lissoni P, Mantovani G. Oxytocin both increases proliferative response of peripheral blood lymphomonocytes to phytohemagglutinin and reverses immunosuppressive estrogen activity. In Vivo. 2010;24(2):157–63. 824 Prado C, Bernales S, Pacheco R. Modulation of T-cell mediated immunity by dopamine receptor d5. Endocr Metab Immune Disord Drug Targets. 2013;13(2):184–94. 825 Pacheco R, Contreras F, Zouali M. The dopaminergic system in autoimmune diseases. Front Immunol. 2014 Mar 21;5:117. doi: 10.3389/fimmu.2014.00117. 826 Nakano K, Yamaoka K, Hanami K, Saito K, Sasaguri Y, Yanagihara N, Tanaka S, Katsuki I, Matsushita S, Tanaka Y. Dopamine induces IL-6-dependent IL-17 production via D1-like receptor on CD4 naive T cells and D1-like receptor antagonist SCH-23390 inhibits cartilage destruction in a human rheumatoid arthritis/ SCID mouse chimera model. J Immunol. 2011;186(6):3745–52. 827 Levite M. Dopamine and T cells: dopamine receptors and potent effects on T cells, dopamine production in T cells, and abnormalities in the dopaminergic system in T cells in autoimmune, neurological and psychiatric diseases. Acta Physiol (Oxf). 2015, doi: 10.1111/apha.12476. PMID: 25728499.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Glückshormone

indirekt

Hemmung der Ausschüttung von Prolaktin



Hemmung der Angiogenese und Wundheilung



Endorphine direkt

indirekt

angeborene Abwehr

157

erworbene Abwehr Antikörper

zelluläre Zytotoxizität









(β-Endorphin)828,829,830

Aktivierung von NK-Ly, Hemmung von Mo und T-Ly

+

– +

Erhöhung der Ausschüttung von IL-4 in T-Ly Hemmung der Ausschüttung von ACTH/Cortisol

+

+

Erhöhung der Ausschüttung von Prolaktin

+

+



+

Serotonin831,832 direkt

Stimulierung/Inhibition abhängig vom 5-HT-Rezeptortyp

+



+



+



Prolaktin833,834,835 direkt

indirekt

Aktivierung von NK-Ly und von Makrophagen (Mo)

+ +

Aktivierung von T-Lymphozyten und B-Lymphozyten Inhibition der Expression von Prolaktinrezeptoren Förderung der Angiogenese und Wundheilung



+ –



+

+: Förderung; –: Hemmung

3.4.3 Wundheilung Die Wundheilung ist ein komplexer Prozess, welcher über eng miteinander verwobene Phasen der Entzündung und Proliferation schlussendlich zu einem Narbengewebe führt, welches die Wundränder verbindet und den ursprünglichen Gewebedefekt ausfüllt (siehe Tab. 3.37). Im Mittelpunkt dieses Heilungsprozesses stehen

828 Sedlacek HH. Siehe 821. 829 Pomorska DK, Gach K, Janecka A. Immunomodulatory effects of endogenous and synthetic peptides activating opioid receptors. Mini Rev Med Chem. 2014;14(14):1148–55. 830 Börner C, Lanciotti S, Koch T, Höllt V, Kraus J. μ opioid receptor agonist-selective regulation of interleukin-4 in T lymphocytes. J Neuroimmunol. 2013;263(1–2):35–42. 831 Shajib MS, Khan WI. The role of serotonin and its receptors in activation of immune responses and inflammation. Acta Physiol (Oxf). 2015;213(3):561–74. 832 Arreola R, Becerril-Villanueva E, Cruz-Fuentes C, Velasco-Velázquez MA, Garcés-Alvarez ME, HurtadoAlvarado G, Quintero-Fabian S, Pavón L. Immunomodulatory effects mediated by serotonin. J Immunol Res. 2015;354957. doi: 10.1155/2015/354957. 833 Pereira Suarez AL, López-Rincón G, Martínez Neri PA, Estrada-Chávez C. Prolactin in inflammatory response. Adv Exp Med Biol. 2015;846:243–64. 834 Marano RJ, Ben-Jonathan N. Minireview: Extrapituitary prolactin: an update on the distribution, regulation, and functions. Mol Endocrinol. 2014;28(5):622–33. 835 Vera-Lastra O, Jara LJ, Espinoza LR. Prolactin and autoimmunity. Autoimmun Rev. 2002;1(6):360–4.

158 ▪

▪ ▪







3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

die durch die Verletzung ausgelöste, lokal begrenzte Aktivierung des Gerinnungs-, Kinin- und Komplementsystems, wodurch – die Blutungen zum Stillstand kommen und das Wundgebiet durch Blutgerinnsel und Schorf vorläufig verschlossen wird und – vor Ort Thrombozyten aggregiert, Mastzellen degranuliert und Granulozyten und Makrophagen angelockt und aktiviert werden, – das klinische Bild der lokalen Entzündung entsteht mit Schwellung, Rötung, Schmerzen, Temperaturerhöhung und eingeschränkter Funktion; die Säuberung des Wundgebietes durch die Phagozytose-Tätigkeit der aktivierten Granulozyten und Makrophagen, die Aktivierung der Endothelzellen zur Teilung und Proliferation, sodass sich Kapillarsprossen von den angrenzenden Kapillaren bilden (Angiogenese), bewirkt durch Wachstumsfaktoren, freigesetzt aus der Aktivierung – des Gerinnungs-, Kinin- und Komplementsystems und – der beteiligten Thrombozyten, Mastzellen, Granulozyten und Makrophagen; die Bildung eines Granulationsgewebes aus einem dichten Netz von neugeformten Blut-Kapillaren und Bindegewebsfasern von den Wundrändern in das Wundgebiet hinein, die mechanische und funktionelle Beanspruchung des Granulationsgewebes mit der Folge, dass – überflüssige Blutgefäße sich über einen Absterbe/Apoptoseprozess zurückbilden, – die extrazelluläre Matrix sich entsprechend der physischen Belastung ausbildet und dass – die Ränder des Wundgebietes unter Narbenbildung zusammengeführt werden; die Epithelisierung des Narbengewebes, ausgehend von dem gesunden Epithel der Wundränder.

Wird die Wunde infiziert, aktivieren die Infektionserreger ▪ mit ihren pathogenen molekularen Strukturmustern (PAMPs, siehe Kap. 3.4.1) die Granulozyten, Makrophagen und Natürliche Killerzellen (der angeborenen Immunabwehr) zur sofortigen Elimination der Infektionserreger durch Zytotoxizität ohne oder mit Phagozytose und ▪ die dentritischen Zellen und B-Lymphozyten (der erworbenen Immunabwehr) zur Bildung von Antikörpern für die Neutralisation von Toxinen und zur Bildung von zytotoxischen T-Lymphozyten zur Abtötung von (Virus-) infizierten Zellen. Infektionen einer Wunde verzögern oder verhindern deren Heilung ▪ durch den zytopathischen Effekt der Infektionserreger auf die Gewebezellen im Wundgebiet, ▪ durch die Eiterbildung aus abgestorbenen Granulozyten, Makrophagen und Gewebezellen, ▪ durch die überschießende Bildung von Granulationsgewebe, da die pathogenen molekularen Strukturmuster der Infektionserreger Endothelzellen und Fibroblasten fortlaufend zur Proliferation stimulieren.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

159

Tab. 3.37: Ablauf der Wundheilung.

Aktivierung

Freisetzung von

Wirkung

Heilungsphasen

Sekunden bis wenige Minuten nach Verletzung GerinnungsSystem

KininSystem

KomplementSystem

FXIIa,Thrombin Fibrin, Plasmin

Blutgerinnung (↑), Thrombozyten-Aggregation (↑), Aktivierung von Komplementund Kininsystem (↑),

Kallikrein, Bradykinin, Kallidin

Gefäßkontraktion (↑) Schmerzen (↑)

Opsonine (C1q, C3b, C3bi, C3d), Anaphylatoxine (C3a, C4a, C5a), lytischer Komplex C5a678(nx9)

Gefäßdilatation (↑) und Durchlässigkeit (↑), Aktivierung von Gerinnungsund Kininsystem (↑), Phagozytose (↑), Zytolyse (↑)

Latenzphase

Minuten bis einige Stunden nach Verletzung Thrombozytenaggregation (↑)

Thrombozyten

Mastzellen (+ basophile Granulozyten)

Serotonin

Gefäßkontraktion (↑)

Thromboxan

Thrombozytenaggregation (↑)

Leukotriene (SRS-A, LTC4, LTD4, LTE4)

Chemotaxie von Granulozyten (↑)

Mediatoren (PF/Permeabilitätsfaktor, Mastzellendegranulation (↑) BHRS/Basophil – Histamin Releasing Substance) Wachstumsfaktoren (PDGF, PF4, PAF, TGFβ)

Proliferation von Fibroblasten und Endothelzellen (↑)

TGFβ

Differenzierung von Endothelzellen (↑), Epithelzellen (↓), TH1 (↓), Treg (↑)

Histamin, Heparin

Gefäßdilatation (↑) und -Durchlässigkeit (↑), Gerinnungshemmung (↑)

Serotonin

Kapillarkontraktion (↑)

Chemokine/Eotoxine (CCL11, CCL24)

Chemotaxie/Aktivierung von eosinophilen Granulozyten (↑)

Leukotriene (LTC4)

Chemotaxie von Granulozyten

Zytokine (IL-3, -4, -5, -6, -10, 13, 16, GM-CSF, TNFα)

Aktivierung von neutrophilen Granulozyten, Makrophagen, B-Lymphozyten

lysosomale Enzyme

Aktivierung von Plasminogen, Abbau zerstörter Zellen

Exsudationsphase mit primärer Blutungsstillung, Schorfbildung und Einleitung der Entzündungsphase

160

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Aktivierung

neutrophile Granulozyten

Freisetzung von

Wirkung

reaktive O- und N-Verbindungen

Bakterizidie (↑), Zytotoxizität (↑)

Chemokine (CCL-3, -4)

Chemotaxie von Makrophagen (↑)

Zytokine (IL-1,-6, TNFα, GM-CSF)

Aktivierung von Granulozyten, Makrophagen, Endothelzellen, Lymphozyten

lysosomale Enzyme

Aktivierung von Plasminogen, Abbau und Phagozytose zerstörter Zellen

Prostaglandine (PGI2, PGE2, PGF2)

Thrombozytenaggregation (↓), Gefäßdilatation (↑), Lymphozytenfunktion (↓)

Heilungsphasen

1.Tag bis ca. 4.Tag nach Verletzung

eosinophile Granulozyten

Makrophagen

kationische Proteine (MBP, ECP, EDN, EPO)

Zytotoxizität (↑), Degranulation von Mastzellen (MBP) (↑)

Zytokine (IL-1, -3,-5,-6, GM-CSF, IFN-α, -β, TNFα)

Aktivierung (↑) von Granulozyten, Makrophagen, Lymphozyten, Endothelzellen

Wachstumsfaktoren (TGFα, -β, PAF)

Aktivierung (↑) von Thrombozyten, Epithelzellen und Fibroblasten,

Leukotriene (LTC4)

Chemotaxie von Granulozyten

reaktive O- und N-Verbindungen

Bakterizidie (↑), Zytotoxizität (↑)

lysosomale Enzyme

Aktivierung von Plasminogen; Abbau und Phagozytose zerstörter Zellen

Gerinnungsfaktoren (FV, FVII, FIX, FX; Prothrombin, Plasminogen-Aktivatoren/uPA und Inhibitoren/PAI)

Steuerung der Gerinnung und Fibrinolyse

Komplementfaktoren (C1q, C4, C2, C3, C5, Faktor-B, -D, -P, -I, -H)

Steuerung der Komplementaktivierung

Chemokine (CCL-2, -3, -4, -17, -18, -19, -20, -22)

Chemotaxie (↑) von Makrophagen und Lymphozyten

Zytokine (IL-1, -4, -6, -10, -13, TNFα, IFNγ, GM-CSF, G-CSF, M-CSF)

Aktivierung und Proliferation (↑) von Makrophagen, Lymphozyten, Granulozyten, Endothelzellen

Wachstumsfaktoren für Endothelzellen (VEGF-A, -B, -C, -D; PDGF-A, -B, -C, -D; aFGF, bFGF; TGFβ)

Blutgefäßneubildung/ Angiogenese (↑)

Wachstumsfaktor für Fibroblasten (PDGF-A, -B, -C, -D; aFGF, bFGF)

Bildung der extrazellulären Matrix und der Blutkapillarwände (↑)

Entzündungsphase mit Autolyse und Resorption

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Aktivierung

Freisetzung von

Wirkung

161

Heilungsphasen

2. Tag bis ca. 16. Tag nach Verletzung

Endothelzellen

Fibrozyten/ Fibroblasten

Gerinnungsfaktoren (TF/Thromboplastin, Plasminogenaktivator uPA, tPA);

Steuerung der Gerinnung an der Endothelzell-Oberfläche

Endothelin -1,-2,-3; NO/EDRF

Kontraktion bzw. Erschlaffung der glatten Muskelzellen der Gefäß-wände

Chemokine (IL-8, CCL-2, -3, -4, -5, CXCL10)

Chemotaxie (↑) von neutrophilen Granulozyten, Makrophagen, Lymphozyten

Leukotrien LTB4

Chemotaxie neutrophile Granulozyten

Zytokine (IL-1,-6, GM-CSF, G-CSF, M-CSF)

Aktivierung von Makrophagen und Granulozyten

Wachstumsfaktoren (aFGF, bFGF, PDGF-A, -B, -C, -D; PAF)

Proliferation (↑) von Endothelzellen, Fibrozyten/Fibroblasten, Aktivierung (↑) von Thrombozyten

Proteoglykane und Kollagenfasern, Integrine, IFNβ

Bildung der extrazellulären Matrix, welche über Integrine an den Zellen (Fibrozyten) haftet

Proliferationsphase mit Angiogenese und Fibrogenese

5. Tag bis ca. 25. Tage nach Verletzung Wachstumsfaktoren (EGF, FGF, HGF)

Epithelzellen

autokrine und parakrine Stimulation der Epithelisierung

Haftkomplexe: Claudine, Occludine, Verhornung: Keratin − Filamente, Filaggrine/FLG, Verschleimung: Mucine

mechanisch schützende Zellschicht

Zytokine (IL-1, -6, -10, -15), Chemokine (IL-8), Prostaglandine (PGE2, PGD2, PGF2α)

Regulation der lokalen Immunantwort

Defensine, Cathelicidin, Psoriasin

antiinfektive Abwehrstoffe

Regenerationsphase mit Epithelisierung

162

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Grundsätzlich wird eine Wundheilung durch folgenden Maßnahmen unterstützt:836,837,838 ▪ Beseitung und von Fremdkörpern und/oder zerstörter Gewebeanteile im Wundgebiet, ▪ Verhinderung einer Infektion des Wundgebietes durch eine sterile Abdeckung, ▪ bei akuten, nicht infizierten Wunden die direkte Heilung durch – Verkleinerung der Wundhöhle durch eine Wundnaht und – Schutz der Wundnaht und des Wundschorfes vor Infektionen durch sterile Abdeckung; ▪ bei infizierten, ausgedehnten und/oder chronischen (Abheilung nicht innerhalb von 8 Wochen) Wunden die verzögerte Heilung durch – Beseitigung der Infektionen durch regelmäßige Spülungen mit einer sterilen physiologischen/isotonen (z. B. 0,9 %igen NaCl-) und gewebeverträglichen Desinfektionsmittellösung, – Verhinderung der Austrocknung des Wundgebietes durch einen, mit einer sterilen, physiologischen/isotonen) und gewebeverträglichen Desinfektionsmittellösung getränkten und regelmäßig zu wechselnden Verband über die Gesamtzeit der Wundheilung; ▪ Ruhigstellung des Wundgebietes bis zum Ende der Regenerationsphase, welche mit der Epithelisierung weitgehend abgeschlossen ist. Der Prozess der Wundheilung wird in komplexer Weise direkt und indirekt gesteuert durch fördernde und hemmende Faktoren und Hormone des vegetativen Nervensystems (siehe Tab. 3.38), des Hypothalamus-Hypophysen-Systems (siehe Tab. 3.39) und des Neurotrophin-Neuropeptid-Systems (siehe Tab. 3.40). Wird dieses Gleichgewicht gestört, können sich drastische Störungen der Wundheilung ergeben. „Neurogene“ Störungen der Wundheilung können sich ergeben ▪ aus einem dauerhaften, nicht bewältigten psychischen Stress (es genügt, wenn dieser bereits vor der Verwundung bestanden hat 839), welcher immunsuppressiv und antiproliferativ wirkt 840,841 durch die verstärkte Aktivierung – des Sympathikus mit der erhöhten Ausschüttung von Noradrenalin und Adrenalin (siehe Tab. 3.38) und – der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse mit der erhöhten Ausschüttung von Cortisol (siehe Tab. 3.39),

836 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/006-129l_S1_Wunden_Wundbehandlung_09-2014.pdf. 837 http: // www .awmf .org / uploads/ tx_szleitlinien /091-001k _ S3 _ Lokaltherapie _ chronischer _ Wunden _ 2015-6.pdf. 838 http://www.awmf.org/Siehe 837. 839 Koschwanez H, Vurnek M, Weinman J, Tarlton J, Whiting C, Amirapu S, Colgan S, Long D, Jarrett P, Broadbent E. Stress-related changes to immune cells in the skin prior to wounding may impair subsequent healing. Brain Behav Immun. 2015;50:47–51. 840 Gouin JP, Kiecolt-Glaser JK. The impact of psychological stress on wound healing: methods and mechanisms. Immunol Allergy Clin North Am. 2011 Feb;31(1):81–93. doi: 10.1016/j.iac.2010.09.010. 841 Stojadinovic O, Gordon KA, Lebrun E, Tomic-Canic M. Stress-Induced Hormones Cortisol and Epinephrine Impair Wound Epithelization. Adv Wound Care (New Rochelle). 2012;1(1):29–35.

163

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Tab. 3.38: Wirkung des vegetativen Nervensystems auf die Wundheilung. System

Einfluss auf Zellen beteiligt an der Wundheilung

Wirkung

Sympathicus

Noradrenalin/ Adrenalin

Mastzellen

Degranulierung über α-Rezeptoren (↑)

Mastzellen

Degranulierung über β-Rezeptoren (↓)



eosinophile Granulozyten

Degranulierung (↓), isosomale Enzyme (↓)



neutrophile Granulozyten

Phagozytose (↓), isosomale Enzyme (↓), radikale O- und N-Moleküle (↓)



natürliche Killerzellen

Zytotoxizität (↓)



Makrophagen

proinflammatorische Zytokine IL-1, -2, -6, -12, -23, IFNγ, TNFα (↓)



T-Lymphozyten

TH1- und Treg (↓); TH2 (↑); CTL (↓)



B-Lymphozyten

IgE-Synthese (↑)



+

Parasympathicus

Acetylcholin

Mastzellen

Degranulierung (↑)

eosinophile Granulozyten

Aktivierung (↓) Leukotriene (↓)

Makrophagen

Leukotriene und Prostaglandine (↑)

+

T-Lymphozyten

Zytotoxizität/CTL (↑)

+

B-Lymphozyten

IgG-Synthese (↑)

+

Endothelzellen

Proliferation (↑)

+

Fibrozyten/Fibroblasten

Proliferation (↑), Bildung der extrazellulären Matrix (↑)

+

+ –

(↑) = Anstieg/Vermehrung; (↓) = Abfall/Verminderung; + = Förderung, − = Hemmung der Wundheilung



aus einer drastisch erhöhten solaren oder technischen UV-Bestrahlung, welche u. a. zur Ausschüttung von Melanocortin führt, das – einerseits die Melanin-Synthese in den Melanozyten und deren Migration in die Epidermis der Haut fördert,842,843 – andererseits deutlich immunsuppressiv wirkt.

842 Chou WC, Takeo M, Rabbani P, Hu H, Lee W, Chung YR, Carucci J, Overbeek P, Ito M. Direct migration of follicular melanocyte stem cells to the epidermis after wounding or UVB irradiation is dependent on Mc1r signaling. Nat Med. 2013;19(7):924–9. 843 Chen H, Weng QY, Fisher DE. UV signaling pathways within the skin. J Invest Dermatol. 2014;134(8):2080–5.

164

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.39: Wirkung des Hypothalamus-Hypophysen-Systems auf die Wundheilung. System

Einfluss auf Zellen beteiligt an der Wundheilung

Wirkung

Hypothalamus-Neurohypophyse Mastzellen

Degranulierung (↑)

Endorphine (↑) Oxytocin

Vasopressin

+ +



Acetylcholin (↑)

+



Entzündung (↑) durch ACTH (↓) und Cortisol (↓)

+

T-Lymphozyten

Aktivierung (↑)

Endothelzellen

Proliferation (↓) durch VEGF (↓)

Makrophagen

Phagozytose (↑),

+

natürliche Killerzellen

Zytotoxizität (↑)

+

T-Lymphozyten

Proliferation (↑), CTL (↑), Treg (↓)

+

B-Lymphozyten

Differenzierung (↑), Antikörperbildung (↑)

+



Entzündung (↓) durch ACTH (↑) und Cortisol (↑)



Hypothalamus-Adenohypophyse

Somatoliberin

Makrophagen

Proliferation (↑), proinflammatorische Zytokine IL-1, -6, IFNγ, TNFα (↑)

+

T-Lymphozyten + B-Lymphozyten

IL-2-Rezeptoren (↑), Proliferation (↑)

+

B-Lymphozyten

IgM, IgG, IgA (↑)

+

ACTH und Cortisol bei Männern (↓), bei Frauen (↑) SomatoSomatoliberin (↓) statin, T-Lymphozyten Treg (↑), TH1 (↓) Cortistatin, Ghrelin Entzündung (↑) durch ACTH (↓) und Cortisol (↓) Thyreoliberin

Makrophagen

proinflammatorische Zytokine IFNγ (↑); radikale O- und N-Moleküle (↑)

Entzündung (↑) durch ACTH (↓), Cortisol (↓)

GH/Wachs- T-Lymphozyten Proliferation (↑), TH1 (↑), IFNγ (↑) tumsproinflammatorische Zytokine TNFα, GM-CSF, IL-6 (↓) hormon

Thyreotropin

+

– – + + + + –

Makrophagen + Granulozyten + Megakaryozyten

Proliferation (↑)

+

dentritische Zellen

Phagozytose (↑)

+

T-Lymphozyten

Proliferation (↑)

+

B-Lymphozyten

Proliferation (↑), Antikörperbildung (↑)

+

Makrophagen

Proliferation (↑), proinflammatorische Zytokine IL-1, IL-12, IFNγ (↑), Chemokine CCL-3, -5 (↑), VEGF (↑), NO-Bildung (↑)

+

natürliche Killerzellen

Proliferation (↑), Zytotoxizität (↑)

+

dendritische Zellen

Proliferation (↑), Zytokine IL-6, -10, -12 (↑), Antigenpräsentation (↑)

+

T-Lymphozyten

Zytokine IL-2, IFNγ (↑), Zytotoxizität/CTL (↑)

+

B-Lymphozyten

Antikörpersynthese (↑)

+

Prolaktin



165

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

System

Melanocortin

Einfluss auf Zellen beteiligt an der Wundheilung

Wirkung

Makrophagen

proinflammatorische Zytokine IL-1, -2, -4, -6, -13, IFNγ, TNFα (↓), Chemokine CCL-2 (↓), NO-Bildung (↓)



dentritische Zellen

Antigenpräsentation (↓), Expression von IL-10 (↑)



T-Lymphozyten

Expression von CTLA4 (↑), Aktivierung (↓)



B-Lymphozyten

Antigenpräsentation (↓), Aktivierung (↓)



Endothelzellen

Expression von Adhäsionsmolekülen (↓)



Hypothalamus-Adenohypophyse-Nebennierenrinde

CRH/ Corticoliberin

Mastzellen

Degranulierung (↑)

+

Makrophagen

proinflammatorische Zytokine IL-1, -2, -6, -12, -23, IFNγ, TNFα (↑)

+

natürliche Killerzellen

Zytotoxizität (↓)

T-Lymphozyten + B-Lymphozyten

Proliferation (↑)

+

Fibroblasten

Proliferation (↑)

+



Entzündung (↓) durch ACTH (↑), Cortisol (↑) und Noradrenalin/Adrenalin (↑)

ACTH/ Adrenocorticotropin

Mastzellen

Proliferation (↓), Degranulierung (↑)

Makrophagen

radikale O- und N-Moleküle (↓), Zytotoxizität (↓), IL-4 (↑)

T-Lymphozyten

Proliferation bei niedrigem ACTH (↑), bei hohem ACTH (↓)

– +

– –

+



Entzündung (↓) durch Cortisol (↑)



Mastzellen

Mediatoren (↓), Degranulation (↓)



Makrophagen

Proliferation (↓), proinflammatorische Zytokine/ IL-1, -2, -6, -12, -23, IFNγ, TNFα (↓), Chemokine (↓), Rezeptoren (↓), Chemotaxie (↓), Phagozytose (↓), lysosomale Enzyme (↓)



neutrophile Granulozyten

Proliferation (↓), Chemotaxie (↓), Diapedese (↓), Phagozytose (↓), lysosomale Enzyme (↓)



natürliche Killerzellen

Proliferation (↓)



T-Lymphozyten

Proliferation (↓), Zytokine/IL-2, -3, -4, -5, -6, IFNγ (↓), Chemokine/IL-8 (↓), Zytokin-Rezeptoren (↓), TH2: CD40-Liganden (↑)



B-Lymphozyten

Proliferation (↓), Zytokine/Zytokin-Rezeptoren/ IL-2 (↓), IgE-Synthese (↑)



Endothelzellen

Proliferation (↓), Angiogenese (↓)



Fibroblasten

Proliferation und Synthese von Kollagen (↓)



Megakaryozyten/ Thrombozyten

Proliferation (↑)

Cortisol

+

(↑) = Anstieg/Vermehrung; (↓) = Abfall/Verminderung; + = Förderung, − = Hemmung der Wundheilung

166

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.40: Wirkung des Neurotrophin-Neuropeptid-Systems auf die Wundheilung. System

Wirkung auf Zellen beteiligt an der Wundheilung

Wirkung

Neurotrophine NGF/ Nerve Growth Factor

Mastzellen

Proliferation, Reifung, Degranulation (↑)844

+

Makrophagen

Chemotaxie (↑),845 proinflammatorische Zytokine/IL-1 (↑)846

+

eosinophile Granulozyten

Proliferation (↑)847

+ (↑),848

Epithelzellen

Aktivierung (↑), Chemokine/Eotaxin-3 VEGF (↑)849

BDNF/ Brainderived Neurotrophic Factor

Mastzellen

Proliferation (↑)850

+

(↑)851

+

NT-3

+

eosinophile Granulozyten

Proliferation

Makrophagen/Mikroglia

NO (↓)852



Epithelzellen

Stem cell Factor (↓), Chemokin/IL-8 (↓)853



Plasmazellen

Antikörpersynthese (↑), Apoptose (↓)854

+

844 Kritas SK, Caraffa A, Antinolfi P, Saggini A, Pantalone A, Rosati M, Tei M, Speziali A, Saggini R, Pandolfi F, Cerulli G, Conti P. Nerve growth factor interactions with mast cells. Int J Immunopathol Pharmacol. 2014;27(1):15–9. 845 Samah B, Porcheray F, Dereuddre-Bosquet N, Gras G. Nerve growth factor stimulation promotes CXCL12 attraction of monocytes but decreases human immunodeficiency virus replication in attracted population. J Neurovirol. 2009;15(1):71–80. 846 Datta-Mitra A, Kundu-Raychaudhuri S, Mitra A, Raychaudhuri SP. Cross talk between neuroregulatory molecule and monocyte: nerve growth factor activates the inflammasome. PLoS One. 2015;10(4):e0121626. PMID: 25876154. 847 Hahn C, Islamian AP, Renz H, Nockher WA. Airway epithelial cells produce neurotrophins and promote the survival of eosinophils during allergic airway inflammation. J Allergy Clin Immunol. 2006;117(4):787– 94. 848 Rochman M, Kartashov AV, Caldwell JM, Collins MH, Stucke EM, Kc K, Sherrill JD, Herren J, Barski A, Rothenberg ME. Neurotrophic tyrosine kinase receptor 1 is a direct transcriptional and epigenetic target of IL-13 involved in allergic inflammation. Mucosal Immunol. 2015;8(4):785–98. 849 Zhang J, Ma WY. Nerve growth factor regulates the expression of vascular endothelial growth factor in human HaCaT keratinocytes via PI3K/mTOR pathway. Genet Mol Res. 2014;13(4):9324–35. 850 Renz H, Kiliç A. Neurotrophins in chronic allergic airway inflammation and remodeling. Chem Immunol Allergy. 2012;98:100–17. 851 Hahn C et al. Siehe 847. 852 Mizoguchi Y, Monji A, Kato T, Seki Y, Gotoh L, Horikawa H, Suzuki SO, Iwaki T, Yonaha M, Hashioka S, Kanba S. Brain-derived neurotrophic factor induces sustained elevation of intracellular Ca2+ in rodent microglia. J Immunol. 2009;183(12):7778–86. 853 Groneberg DA, Fischer TC, Peckenschneider N, Noga O, Dinh QT, Welte T, Welker P. Cell type-specific regulation of brain-derived neurotrophic factor in states of allergic inflammation. Clin Exp Allergy. 2007;37(9):1386–91. 854 Abram M, Wegmann M, Fokuhl V, Sonar S, Luger EO, Kerzel S, Radbruch A, Renz H, Zemlin M. Nerve growth factor and neurotrophin-3 mediate survival of pulmonary plasma cells during the allergic airway inflammation. J Immunol. 2009;182(8):4705–12.

167

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

System

Wirkung auf Zellen beteiligt an der Wundheilung

Wirkung

Neuropeptide Mastzellen

Degranulierung (↑), ZytokineIL-3, TNF, GMCSF (↑)855,856

+

neutrophile Granulozyten

Aktivierung (↑), Exozytose (↑)

+

proinflammatorische Zytokine IL-1, TNF (↑), Prostaglandine/PGE2 (↑)

+

Zytotoxizität (↑)

+

Endothelzellen

Proliferation (↑)

+

Fibrozyten/Fibroblasten

Proliferation (↑), Bildung der extrazellulären Matrix (↑)

+

Makrophagen

proinflammatorische Zytokine IL-12, IFNγ (↑)

+

natürliche Killerzellen

Zytotoxizität (↓)

T-Lymphozyten

TH1 (↑)

+

Endothelzellen

Proliferation (↑)

+

Fibrozyten/Fibroblasten

Proliferation (↑), Bildung der extrazellulären Matrix (↑)

+

Makrophagen

Aktivierung (↓), proinflammatorische Zytokine (↓)

natürliche Killerzellen

Zytotoxizität (↑)

T-Lymphozyten (TH1, TH2)

Aktivierung (↓)

Tachykinin- Makrophagen Substanz P natürliche Killerzellen

Neuropeptid Y

Endorphine

B-Lymphozyten

Antikörpersynthese (↓)

Mastzellen

Degranulierung (↑), Zytokine/IL-3, TNF, GM-CSF (↑)857

VIP/ Makrophagen/ vasoaktidentritische Zellen ves intestinales Peptid T-Lymphozyten

ANP/ atriales natriuretisches Peptid



– + – – +

Aktivierung (↓), proinflammatorische Zytokine (↓), lysosomale Enzyme (↓), Kooperation mit TH1-Lymphozyten (↓)



TH1 und Zytotoxizität/CTL: Aktivierung (↓), TH2 und Treg Aktivierung (↑)



Mastzellen

Degranulierung (↑)



neutrophile Granulozyten

Exozytose lysosomaler Enzyme (↑), Phagozytose (↑)

Makrophagen

proinflammatorische Zytokine (↓), radikale O- und N-Moleküle (↓), antiinflammatorischer Zytokine (↑)

natürliche Killerzellen

Zytotoxizität (↑)

dentritische Zellen

IL-4 (↑), IL-12 (↓)

Endothelzellen

Proliferation durch PDGF und VEGF (↓)

ACTH und Cortisol (↓)

+ – + – – +

855 Kulka M, Sheen CH, Tancowny BP, Grammer LC, Schleimer RP. Neuropeptides activate human mast cell degranulation and chemokine production. Immunology. 2008;123(3):398–410. 856 Liezmann C, Klapp B, Peters EM. Stress, atopy and allergy: A re-evaluation from a psychoneuroimmunologic persepective. Dermatoendocrinol. 2011;3(1):37–40. 857 Kulka M, Sheen CH, Tancowny BP, Grammer LC, Schleimer RP. Neuropeptides activate human mast cell degranulation and chemokine production. Immunology. 2008;123(3):398–410.

168

System CGRP/ Calcitonin Gene related Peptide

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Wirkung auf Zellen beteiligt an der Wundheilung

Wirkung

Makrophagen

TLR (↓), Freisetzung proinflammatorischer Zytokine (↓)



T-Lymphozyten

TH1 (↓), Zytotoxizität/CTL (↓)



B-Lymphozyten

Differenzierung und Reifung (↓)



(↑) = Anstieg/Vermehrung; (↓) = Abfall/Verminderung; + = Förderung; − = Hemmung der Wundheilung

Ein Jeder kann dagegen die Wundheilung unterstützen durch Selbstfürsorge, z. B. ▪ durch eine kognitive Verhaltensänderung,858 die dazu führt, – dass sowohl der Stress bewältigt als auch die immunstimulierende und immunregulative Aktivität des Neurotrophin-Neuropeptid-Systems (siehe Tab. 3.40) gesteigert werden, – dass Verhaltensweisen vermieden werden, welche immunsuppressive und antiproliferative Auswirkungen haben, – dass durch regelmäßige körperliche Bewegung bis zur Belastungsgrenze die Abheilung chronischer Wunden beschleunigt wird;859,860 ▪ durch bewusste Ruhe, wodurch der Parasympathicus aktiviert wird zur Freisetzung des immunstimulierenden Acetylcholins, ▪ durch die Wahrnehmung von Glücksmomenten (siehe Kap. 3.2), sodass die freigesetzten Glückshormone Oxytocin, Vasopressin und Prolaktin das Immunsystem stimulieren und zugleich diese Stimulierung durch Dopamin als Gegenspieler von Prolaktin begrenzt wird.861

3.4.4 Infektionsabwehr Eine Infektion ist Dank der Immunabwehr meist ein vorübergehendes Alltagsereignis. Sie wird im Regelfall beherrscht durch die lokale Aktivierung des Komplementsystems, des Kininsystems, des Gerinnungssystems, der Thrombozyten und der Zellen des Immunsystems. Schlüsselrollen spielen hierbei ▪ die pathogenen molekularen Strukturmuster (PAMPs/pathogen associated molecular patterns) der Infektionserreger, welche durch Rezeptoren für pathogene Strukturmuster (PRR/pattern recognition receptors, siehe Kap. 3.4.1) auf den Zellen der angeborenen und der erworbenen Immunabwehr erkannt werden,

858 Kuebler U, Wirtz PH, Sakai M, Stemmer A, Meister RE, Ehlert U. Anticipatory cognitive stress appraisal modulates suppression of wound-induced macrophage activation by acute psychosocial stress. Psychophysiology. 2015;52(4):499–508. 859 O’Brien J, Finlayson K, Kerr G, Edwards H. The perspectives of adults with venous leg ulcers on exercise: an exploratory study. J Wound Care. 2014;23(10):496–8, 500–9. 860 O’Brien J, Edwards H, Stewart I, Gibbs H. A home-based progressive resistance exercise programme for patients with venous leg ulcers: a feasibility study. Int Wound J. 2013;10(4):389–96. 861 Broadbent E, Koschwanez HE. The psychology of wound healing. Curr Opin Psychiatry. 2012;25(2):135– 40.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr







169

die angeborene Immunabwehr (siehe Kap. 3.4.1), an welcher besonders beteiligt sind Mastzellen, Granulozyten, Makrophagen, natürliche Killerzellen, Epithelzellen, Endothelzellen, Thrombozyten – wobei neutrophile Granulozyten, Makrophagen und die natürlichen Killerzellen die Infektionserreger bzw. infizierte Zellen direkt z. B. durch radikale Sauerstoffoder Stickstoffmoleküle und/oder nach Phagozytose abtöten und eliminieren; die erworbene Immunabwehr (siehe Kap. 3.4.1), bei welcher unter maßgeblicher Beteiligung von dendritischen Zellen, B-Lymphozyten, T-Helfer-Lymphozyten (TH1, TH17 und TH2) und regulatorischen T-Lymphozyten (Treg) schlussendlich – zytotoxische T-Lymphozyten (CTL) und Antikörper sich entwickeln, welche antigenspezifisch zur Elimination der Infektionserreger oder der durch sie infizierten Zelle beitragen und – durch die Entwicklung von B-Gedächtnis-Lymphozyten und T-Gedächtnis-Lymphozyten eine Grundimmunität entsteht, welche bei einer zweiten Infektion schnell aktiviert werden kann; die ausgeschütteten proinflammatorischen und antiinflammatorischen Zytokine, welche die Aktivierungs, Differenzierungs- Reifungs- und Abwehrprozesse steuern.

Ist es dem Immunsystem nicht möglich, die Infektion lokal zu beherrschen, kann sich die Auseinandersetzung zwischen Infektionserreger und Immunabwehr über den gesamten Körper ausweiten. Die hierdurch generalisierte Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine mündet in eine Aktivierungsspirale, welche als Zytokinsturm, ▪ körperweit neben den Immunzellen auch die Endothelzellen der Blutgefäße, das Komplement-, Gerinnungs- und das Kininsystem aktiviert, ▪ das systemische Immunreaktionssyndrom (auch Sepsis genannt) entstehen lässt, – mit einer erhöhten Durchlässigkeit der Blutgefäße, einer intravasalen Gerinnung und – mit dem anschließenden Versagen der wesentlichen Organe und einem häufig tödlichen Ausgang. So vielseitig die Infektionswege für Infektionserreger sind, so vielgestaltig sind auch die Möglichkeiten, sich vor einer Infektion passiv wie auch aktiv zu schützen. Zu den Kernbestandteilen der Selbstfürsorge in Form von eigenen Schutzmaßnahmen gehören ▪ die Einhaltung der Regeln der persönlichen Hygiene. Diese umfassen – das Trinken von sauberem Wasser, wobei in Deutschland das Leitungswasser der öffentlichen Wasserversorger die besten hygienischen Voraussetzungen erfüllt,862 – das gründliche Händewaschen nach jeder Tätigkeit, welche eine Kontamination der Hände mit einem Infektionserreger oder Parasiten wahrscheinlich macht, – zusätzlich Desinfektion der Hände und ggf. auch Mundschutz dann, wenn der Kontakt mit Fäkalien und/oder einem humanpathogenen Infektionserreger gegeben ist; so besonders, wenn diese Infektionserreger Zellen des Immunsystems infizieren und dadurch die Immunabwehr lähmen (z. B. Viren wie HIV, EBV, CMV,

862 http://www.bmg.bund.de/glossarbegriffe/t-u/trinkwasser.html.

170



3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

HTLV-1, -2, -3;863 Bakterien wie Tuberkulose/Mycobakterien, Salmonellen, Legionellen, Shigellen, Yersinia, Rickettsien, Ehrlichia),864 – Vermeiden des engen/intimen Kontaktes mit Hunden und Katzen, um das Risiko von kleinen bis zu schweren Hirnschäden und deren Folgen im Verhalten beim Fetus, Kleinkind und/oder Erwachsenen zu vermindern in Folge oraler Aufnahme • von Spulwurmeiern/Toxocara canis, leonina und cati, deren Larven als „Larva migrans“ besonders in das Gehirn wandern, dort Nekrosen bewirken, absterben und verkalken,865,866 • von Toxoplasma-Oozyten (ausgeschieden von infizierten Katzen, aber auch enthalten in unzureichend erhitztem Fleisch von Schaf, Schwein oder Rind) welche Hirnzellen infizieren und zum Absterben bringen,867,868,869 – das Bewusstsein, dass mangelnde Hygiene todbringend sein kann. Laut WHO sterben jährlich weltweit allein etwa 760.000 Kinder unter 5 Jahren an infektiösem Durchfall, weil die Hygiene fehlt,870 – die Vermeidung sexuell übertragbarer Infektionserkrankungen (HIV, Syphilis, Gonokokken) durch die persönliche Entscheidung gegen Promiskuität und/oder im Falle eines Risikos, durch den konsequenten und technisch einwandfreien Gebrauch von Kondomen; die Bewahrung der von den Epithelzellen der Haut und Schleimhäute aufgebauten antiinfektiösen Schutzschicht. Wesentlicher Teil dieser Schutzschicht sind die nach außen abgesonderten bakteriziden und viroziden Abwehrstoffe (siehe Tab. 3.41). Ein Großteil dieser Abwehrstoffe ist wasserlöslich, der kleinere Teil fettlöslich, – durch intensives Waschen der Haut (Duschen, Baden, im besonderen mit Seifen oder anderen Detergentien in verschieden Duschgelen) werden die von der Epithelschicht gebildeten Abwehrstoffe entfernt, – eine ausreichende Wiederherstellung dieser chemischen Schutzschicht benötigt bis zu 6 h. In diesem Zeitraum ist die Haut in erhöhtem Maße empfänglich für eine ungewünscht einseitige bakterielle Besiedlung, deren Folge sein kann, • dass verstärkt langkettige Fettsäuren in Buttersäure gespalten werden, welche den widerlichen Geruch von altem Schweiß ausmacht, • dass die Haarbälge infiziert werden und eitrige Pusteln und Papeln (Follikulitis) entstehen;

863 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;499–501. 864 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;137–140. 865 Fan CK, Holland CV, Loxton K, Barghouth U. Cerebral Toxocariasis: Silent Progression to Neurodegenerative Disorders? Clin Microbiol Rev. 2015; 28(3):663–86. 866 Macpherson CN. The epidemiology and public health importance of toxocariasis: a zoonosis of global importance. Int J Parasitol. 2013;43(12–13):999–1008. 867 Harker KS, Ueno N, Lodoen MB. Toxoplasma gondii dissemination: a parasite’s journey through the infected host. Parasite Immunol. 2015;37(3):141–9. 868 Paquet C, Yudin MH. Toxoplasmosis in pregnancy: prevention, screening, and treatment. J Obstet Gynaecol Can. 2013;35(1):78–81. 869 Hide G. Role of vertical transmission of Toxoplasma gondii in prevalence of infection. Expert Rev Anti Infect Ther. 2016;14(3):335–44. 870 WHO April 2013: http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs330/en/.

171

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Tab. 3.41: Antimikrobielle Wirkstoffe der Haut und der Schleimhäute.871 Wirksamkeit gegen Sekrete

Wirkung durch

Ursprung Bakterien

Viren

Pilze

Kochsalz

Chlorid-Ionen

Schweißdrüsen

+

+

Salzsäure

H-Ionen, Chlorid-Ionen

Magenschleimhaut

+

+

Fettsäuren

H-Ionen, Lipophilie

Schweißdrüsen, Talgdrüsen

+

+

Lysozym

Enzym zur Spaltung der Proteoglykan

Schleimhäute, Speicheldrüse, Schweißdrüse

+

Alpha-Defensine

Darmschleimhaut (Paneth-Zellen)

+

+

+

Beta-Defensine

Hautzellen, Bronchialschleimhaut, Darmschleimhaut

+

+

+

Cathelicidine

Peptide LL-37 und FALL-39

Epithelzellen

+

Peroxydase

Lactoperoxydase

Bronchialschleimhaut, Darmschleimhaut, Drüsenepithelien

+

+

+

Lipasen

Phospholipase A2

Bronchialschleimhaut, Darmschleimhaut, Drüsenepithelien

+

Ribonuklease

RNase 7

zahlreiche Gewebezellen

+

Hautzellen

+

Defensine

Psoriasin Lactoferrin

Schleimhäute, Blut, Bindung von Fe-Ionen Tränenflüssigkeit, Speichel, Milch

+

+

+





vermehrtes Waschen mit Seifen und/oder Detergentien verstärkt die Bildung von Buttersäure und die Infektion der Haarbälge, – ratsam ist somit, das Waschen einzuschränken auf ein sinnvolles Maß und dabei Seifen und Detergentien nur dort zu verwenden, wo sie zum Ablösen des mit reinem Wasser nicht entfernbaren Schmutzes notwendig sind; das Einüben des Körpers, Stressbelastungen bewältigen zu können (siehe Kap. 3.3.1) – derartige Übungen sind beispielsweise das regelmäßige sich selbst Besinnen, zur Ruhe Kommen, sind Entspannungstechniken wie zyklische Hyperventilation mit nachfolgendem Anhalten der Atmung und/oder Eintauchen in eiskaltes Wasser,872

871 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;18–19. 872 Kox M, van Eijk LT, Zwaag J, van den Wildenberg J, Sweep FC, van der Hoeven JG, Pickkers P. Voluntary activation of the sympathetic nervous system and attenuation of the innate immune response in humans. Proc Natl Acad Sci U S A. 2014;111(20):7379–84.

172

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme



hierdurch entsteht eine höhere Widerstandskraft des Körpers, im besonderen seines vegetativen Nervensystems. Diese Steigerung ist z. B. an der Reaktion auf die inflammatorische Wirkung von bakteriellen Endotoxinen erkennbar. Nach i. v. Injektion geringer Mengen dieser Endotoxine zeigen Geübte im Vergleich zu Ungeübten • nur im geringen Maße grippeähnliche Symptome, • einen deutlichen Anstieg des Noradrenalins, • eine deutliche Ausschüttung des antiinflammatorischen IL-10 und nur eine geringe Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen (TNFα, IL-6 und IL-8).

Zur Selbstfürsorge gehören aber auch Impfungen gegen die wesentlichen Infektionserkrankungen, soweit diese von den jeweiligen nationalen Impfkommissionen, in Deutschland von der ständigen Impfkommission (StIKo)873 empfohlen werden (siehe Tab. 3.42). Unter Impfung wird verstanden die Verabreichung des Antigen-Musters eines Infektionserregers mit dem Ziel, das Immunsystem des Impflings antigen-spezifisch so zu aktivieren, dass dieser gegen eine nachfolgende Infektion mit diesem Infektionserreger geschützt ist. Ein Impfstoff kann sein ▪ ein über Kulturpassagen nicht mehr pathogener (attenuierter) lebender Infektionserreger, ▪ ein abgetöteter Infektionserreger oder ▪ biochemisch isolierte oder gentechnisch hergestellte Antigene oder chemisch detoxifizierte Toxine des Infektionserregers, häufig in Kombination mit einem oder konjugiert an ein Adjuvans oder ▪ die Gensequenz kodierend für das Antigen, eingebracht in eine meist virale Genfähre. Impfstoffe stellen wohl die wirkungsvollste, nebenwirkungsärmste und relativ kostengünstigste Methode der Verhinderung von schweren bis hin zu tödlichen Infektionen dar. Im 20. Jahrhundert wurde durch Impfstoffe zahlreichen Geißeln der Menschheit der Schrecken genommen, so den Pocken, dem Wundstarrkrampf, der Diphtherie, dem Mumps, den Röteln, der Tollwut, der Kinderlähmung, dem Gelbfieber (um nur die Wichtigsten zu nennen). Und weltweit geht der Erfolg weiter. Entsprechend den Berichten der WHO ▪ konnte im Zeitraum von 2000–2013 durch die Masernimpfung die Anzahl der Toten nach Masern-Infektionen weltweit um ca. 75 % auf 145.700 gesenkt werden,874 ▪ wurde im Jahre 2014 durch die Meningococcus A Impfung im Meningitis-Gürtel südlich der Sahara die Anzahl der Meningitis-Erkrankungen mit Tausenden von Todesfällen drastisch auf relativ wenige Einzelfälle vermindert,875,876,877 sodass die Meningitis seitdem dort als nahezu ausgerottet gilt,878 873 http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2015/Ausgaben/34_15.pdf?__blob=publicationFile. 874 WHO February 2015: http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs286/en/. 875 WHO February 2015: http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs141/en/. 876 Kristiansen PA, Jørgensen HJ, Caugant DA. Serogroup A meningococcal conjugate vaccines in Africa. Expert Rev Vaccines. 2015;14(11):1441–58. 877 Stefanelli P, Rezza G. Impact of vaccination on meningococcal epidemiology. Hum Vaccin Immunother. 2015; PMID: 26512927. 878 http://www.arcor.de/content/aktuell/news_wissenschaft/4289657,1,Gesundheit-Impfkampagne-hatMeningitis-A-in-Afrika-nahezu-ausgerottet,content.html.

173

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Tab. 3.42: Impfkalender der Ständigen Impfkommission am Robert Koch Institut (24. 08. 2015).879 Alter Impfstoffe gegen

Monate 2

3

4

11– 14

15– 23

5– 6

7–8

9– 14

Tetanus/ Wundstarrkrampf

G1

G2

G3

G4

N

A1

N

A2

A (10 J)

Diphtherie

G1

G2

G3

G4

N

A1

N

A2

A (10 J)

Keuchhusten (B. Pertussis)

G1

G2

G3

G4

N

A1

N

A2

A (10 J)

Kinderlähmung/ Poliomyelitis

G1

G2

G3

G4

N

A1

N

Hepatitis B

G1

G2

G3

G4

N

Hib/Hämophilus influenza b

G1

G2

G3

G4

N

Pneumokokken

G1

G2

G3

G4

N

G2

(G3)

Rotaviren/Durchfall

6W

Jahre

G1

Meningokokken C/Gehirnhaut

G1

Masern

G1

G2

Mumps

G1

G2

Röteln

G1

G2

Windpocken/Varizellen

G1

G2

2–4

15– 17

> 18

S

S

Grippe/Influenza HPV/Humane Papillomviren

> 60

S G1

G2

N

G1,2,3,4 = Grundimmunisierungen; A1,2 A = Auffrischimpfungen; N = Nachholimpfungen und/oder Komplettierungen; S = Standardimpfungen





bewirkte in den letzten 25 Jahren die Poliomyelitis-Impfung eine Senkung der Häufigkeit von Poliomyelitis-Virus Erkrankungen (hiervon sind 10–15 % tödlich) weltweit von 350.000 (1988) auf 416 Fälle (2013),880 bietet die Hepatitis-B-Virus/HBV-Impfung einen vollkommenen Schutz gegen HBV-Infektionen.881 Weltweit sind jedoch noch immer etwa 240 Millionen Menschen chronisch infiziert mit dem Hepatitis B-Virus und etwa 780.000 Menschen sterben jährlich an dieser Infektion (meist in Folge der infektionsbedingten Leberzhirrose oder dem Leberkrebs).

879 http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/Impfempfehlungen_node.html. 880 WHO Siehe 875. 881 WHO July 2015: http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs204/en/.

174

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Vorsorge gegen schwere, bisweilen tödliche Infektionserkrankungen durch Impfungen zu treffen ist somit nicht nur ein Gebot der Vernunft, sondern auch eine Pflicht aus der Verantwortung heraus gegenüber ▪ dem eigenen Körper und seiner Gesundheit, ▪ den eigenen und/oder den anvertrauten Kindern und deren Zukunft, – durch einen breiten Impfschutz der Mütter, welcher über die spezifischen Antikörper in der Muttermilch passiv auf den Säugling übetragen wird,882,883 – durch den Aufbau eines breiten aktiven Impfschutzes bereits im Kindesalter durch Impfungen gemäß dem Impfkalender (siehe Tab. 3.42); ▪ den Mitgliedern der sozialen und staatlichen Gemeinschaft, in der wir leben. Denn jede geimpfte Person trägt dazu bei, dass der „Herdenschutz“ gegen einen Infektionserreger diejenigen gegen diesen Infektionerreger schützt, welche z. B. wegen einer Immunsuppression nicht wirksam geimpft werden können. Aus dieser Verantwortung kann sich keiner stehlen, weder mit pseudowissenschaftlichen, noch mit pseudophilosophischen oder pseudoreligiösen Behauptungen, in denen Bedeutung und Nutzen der Impfstoffe für die Gesundheit des Menschen kleingeredet oder sogar abgestritten werden. ▪ Wenn durch diese Behauptungen Eltern, Lehrer oder Mitmenschen, ja sogar Ärzte verführt werden, entgegen dem Stand der medizinischen Wissenschaft und entgegen jeglicher ethischen Abwägung von Impfnutzen und Impfrisiken empfohlene Schutzimpfungen gegen schwerwiegende Infektionen als wirkungslos, als schädlich oder als ersetzbar anzusehen und von diesen abzuraten oder diese zu verweigern, dann ist es Aufgabe der Gesellschaft, im Besonderen der Ärzteschaft, solcher unverantwortlichen Stimmungsmache ein Ende zu bereiten und die Urheber zur Rechenschaft zu ziehen. ▪ Denn die Folge der Behauptungen, der Verführung ist, dass abhängige, unwissende und/oder ängstliche Mitmenschen, dass Kinder und Patienten wie auch ganze Gesellschaften in eine drastisch erhöhte Gefahr für Leib und Leben geraten. Ein Beispiel für die öffentliche Wirksamkeit von unbegründeten Behauptungen ist die Veröffentlichung über Autismus und Colitis als vermeintliche Nebenwirkungen der Masernimpfung.884 Auch wenn diese Veröffentlichung

882 Abu Raya B, Srugo I, Kessel A, Peterman M, Bader D, Peri R, Ashtamker N, Gonen R, Bamberger E. The induction of breast milk pertussis specific antibodies following gestational tetanus-diphtheria-acellular pertussis vaccination. Vaccine. 2014;32(43):5632–7. 883 Faucette AN, Unger BL, Gonik B, Chen K. Maternal vaccination: moving the science forward. Hum Reprod Update. 2015;21(1):119–35. 884 Wakefield,AJ, Murch SH, Anthony A, Linnel J, Casson DM, Malik M, Berelowitz M, Dhilion AP, Thomoson MA, Harvey P, Valentine A, Davies SE, Walker-Smith JA. Ileal-lymphoid-nodular hyperplasia, non-specific colitis, and pervasive developmental disorder in children. Lancet 1998;351:637–41 (PMID: 9500320, publication withdrawn).

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr





175

mittlerweile von der Fachzeitschrift zurückgezogen wurde, weil den Autoren schwerwiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten („serious professional misconduct“) nachzuweisen war885,886 und durch eine stattliche Reihe von Studien widerlegt werden konnte,887,888

führte sie zu einem deutlich Rückgang der MMR-Impfungen begleitet von einem erheblichen Anstieg der Maserninfektionen mit allen ihren gesundheitlichen Folgen.889 Tab. 3.43: Indikationen für Impfungen zusätzlich zum Impfkalender.890 Indikationen Impfungen gegen erhöhte individuelle Empfänglichkeit

berufliche Tätigkeit

Reisetätigkeit

Cholera/ Vibrio cholera

Flüchtlingslager Katastrophengebiete

Aufenthalt in Infektionsgebieten

FSME/Frühsommermeningoencephalitis

Forst-, Land-, GartenArbeiter; Labortätigkeit mit Gefährdung

Aufenthalt in Risikogebieten

Gelbfieber

Labortätigkeit mit Gefährdung

Aufenthalt in Infektionsgebieten

Diphtherie

Hib/Hämophilus influenza b

Lebensführung

mangelhafter Impfschutz

anatomische/ funktionelle Asplenie

Hepatitis A

Hepatitis B

erhöhte Expositionen

HIVpositiv; Hepatitis C-positiv; Dialysepatienten; Patienten vor Immunsuppression

Tätigkeiten mit Gefahr der Schmierinfektion; Aufenthalt in Gesundheitsdienste; Risikogebieten Arbeiten mit Abwässern

Sexualkontakte mit hoher Infektionsgefährdung

Tätigkeiten mit Gefahr der Infektion; Gesundheitsdienste; Sozial-/ Polizeidienst; Arbeiten mit Abwässern

(Sexual-) Kontakte mit hoher Infektionsgefährdung; Drogensucht

Aufenthalt in Risikogebieten

885 http://www.theguardian.com/society/2010/feb/02/lancet-retracts-mmr-paper. 886 http://news.bbc.co.uk/2/hi/health/8695267.stm. 887 Mrozek-Budzyn D, Kiełtyka A, Majewska R. Lack of association between measles-mumps-rubella vaccination and autism in children: a case-control study. Pediatr Infect Dis J. 2010;29(5):397–400. 888 Demicheli V, Rivetti A, Debalini MG, Di Pietrantonj C. Vaccines for measles, mumps and rubella in children. Cochrane Database Syst Rev. 2012;2:CD004407. PMID: 22336803. 889 http://news.bbc.co.uk/2/hi/health/8695267.stm. 890 http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2015/Ausgaben/34_15.pdf?__blob=publicationFile.

176

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Indikationen Impfungen gegen erhöhte individuelle Empfänglichkeit Grippe/ Influenza

Personen ≥ 60 J., Personen mit erhöhtem Risiko wegen eines Grundleidens; Schwangere ab 6. M.

erhöhte Expositionen berufliche Tätigkeit

Reisetätigkeit

Lebensführung

Arbeiten mit Kontakt zu Geflügel und Wildvögel, Aufenthalt in Tätigkeiten in InfektionsGesundheits- und gebieten Sozialdiensten

Masern Mumps Keuchhusten/ Bordetella Pertussis

bei unklarem Impfstatus oder mangelhafter/ fehlender Impfung

Gehirnhautentzündung/ Meningokokken

bei angeborener Labortätigkeiten mit oder erworbener Gefährdung Immunsuppression

Pneumokokken

Personen ≥ 60 J., Personen mit erhöhtem Risiko wegen eines Grundleidens; angeborene oder erworbene Immunsuppression

Kinderlähmung/ Poliomyelitis

bei unklarem Impfstatus oder mangelhafter/ fehlender Impfung

Tätigkeiten mit Gefahr der Infektion; Gesundheitsdienste; Sozialdienste

Röteln

bei unklarem Impfstatus oder mangelhafter/ fehlender Impfung

bei Tätigkeit im Gesundheitsdienst und Sozialdiensten

Tetanus

bei unklarem Impfstatus oder mangelhafter/ fehlender Impfung

Reisen in Infektionsgebiete

Reisen in Infektionsgebiete Frauen im gebärfähigen Alter; mit Kinderwunsch, Schwangere

Tollwut

Arbeiten mit Kontakt zu Wildtieren und/oder Fledermäusen in Reisen in InfekTollwutgebieten, tionsgebiete Labortätigkeiten mit Gefahr der Infektion

Typhus/ Salmonella typhi

Labortätigkeiten mit Gefahr der Infektion

Reisen in Infektionsgebiete

Arbeiten in Gesundheitsdiensten; Säuglings- und Kindergärten

Reisen in Infektionsgebiete

Windpocken/ Varizella

seronegative Personen mit erhöhtem Risiko wegen eines Grundleidens; oder vor Immunsuppression

seronegative Frauen mit Kinderwunsch

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

177

Impfungen schützen nicht nur vor den jeweiligen Infektionserkrankungen, sondern sie scheinen auch generell das Immunsystem eher zu stärken denn zu schwächen. ▪ Anhaltspunkte bestehen, – dass in der frühen Kindheit ein Impfschutz gegen Infektionserreger die Entstehung von Allergien vermindert 891,892 und – dass die Impfung von Kleinkindern z. B. gegen Masern/Mumps/Röteln,893,894 Polio895,896 oder mit BCG897,898,899 deren Erkrankungsrate (unabhängig von der jeweiligen Infektionskrankheit) in den erste 2–4 Lebensjahren deutlich verringert. ▪ Dagegen konnte bislang durch epidemiologische Studien der Verdacht nicht erhärtet werden – dass Impfungen gegen Infektionserreger mit den im Markt zugelassenen Impfstoffen in der Lage sind, Autoimmunerkrankungen auszulösen oder zu verstärken,900,901 – dass das „ASIA/Autoimmun/inflammatorische Syndrom“ induziert durch Adjuvantien, enthalten in einer Reihe von Impfstoffen, in Bezug stehen könnte zu autoimmunen Erkrankungen.902,903 Noch sind viele schwerwiegende und/oder tödliche Infektionserkrankungen nicht durch Impfungen zu beherrschen, doch die Hoffnung ist begründet, dass neue molekularbiologi891 Grüber C, Illi S, Lau S, Nickel R, Forster J, Kamin W, Bauer CP, Wahn V, Wahn U. MAS-90 Study Group. Transient suppression of atopy in early childhood is associated with high vaccination coverage. Pediatrics. 2003;111(3):e282–8. 892 Arnoldussen DL, Linehan M, Sheikh A. BCG vaccination and allergy: a systematic review and metaanalysis. J Allergy Clin Immunol. 2011 Jan;127(1):246–53, 893 Sørup S, Benn CS, Poulsen A, Krause TG, Aaby P, Ravn H. Live vaccine against measles, mumps, and rubella and the risk of hospital admissions for nontargeted infections. JAMA. 2014;311(8):826–35. 894 Martins CL, Benn CS, Andersen A, Balé C, Schaltz-Buchholzer F, Do VA, Rodrigues A, Aaby P, Ravn H, Whittle H, Garly ML. A randomized trial of a standard dose of Edmonston-Zagreb measles vaccine given at 4.5 months of age: effect on total hospital admissions. J Infect Dis. 2014;209(11):1731–8. 895 Sørup S, Stensballe LG, Krause TG, Aaby P, Benn CS, Ravn H. Oral Polio Vaccination and Hospital Admissions With Non-Polio Infections in Denmark: Nationwide Retrospective Cohort Study. Open Forum Infect Dis. 2015;3(1):ofv204. PMID: 26885538. 896 Contreras G. Effect of the administration of oral poliovirus vaccine on infantile diarrhoea mortality. Vaccine. 1989;7(3):211–2. 897 de Castro MJ, Pardo-Seco J, Martinón-Torres F. Nonspecific (Heterologous) Protection of Neonatal BCG Vaccination Against Hospitalization Due to Respiratory Infection and Sepsis. Clin Infect Dis. 2015; 60(11):1611–9. 898 Roth AE, Stensballe LG, Garly ML, Aaby P. Beneficial non-targeted effects of BCG – ethical implications for the coming introduction of new TB vaccines. Tuberculosis (Edinb). 2006;86(6):397–403. 899 Aaby P, Roth A, Ravn H, Napirna BM, Rodrigues A, Lisse IM, Stensballe L, Diness BR, Lausch KR, Lund N, Biering-Sørensen S, Whittle H, Benn CS. Randomized trial of BCG vaccination at birth to low-birth-weight children: beneficial nonspecific effects in the neonatal period? J Infect Dis. 2011;204(2):245–52. 900 Guimarães LE, Baker B, Perricone C, Shoenfeld Y. Vaccines, adjuvants and autoimmunity. Pharmacol Res. 2015;100:190–209. 901 Demicheli V, Rivetti A, Debalini MG, Di Pietrantonj C. Vaccines for measles, mumps and rubella in children. Cochrane Database Syst Rev. 2012;2:CD004407. PMID: 22336803. 902 Pellegrino P, Clementi E, Radice S. On vaccine’s adjuvants and autoimmunity: Current evidence and future perspectives. Autoimmun Rev. 2015;14(10):880–8. 903 Petrovsky N. Comparative Safety of Vaccine Adjuvants: A Summary of Current Evidence and Future Needs. Drug Saf. 2015;38(11):1059–74.

178

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

sche Technologien der Vektorkonstruktion wirksame Impfstoffe auch gegen bislang nicht beeinflussbare Infektionserkrankungen erwarten lassen, so z. B. gegen Ebolavirus-Infektionen.904,905 Zusätzlich zu Schutzimpfungen sind aber auch alle die Maßnahmen der Selbstfürsorge notwendig, welche die Selbstheilungskräfte stärken. Hierzu gehört neben einer sinnvollen Hygiene die weitgehende Vermeidung all jener Einflussfaktoren (siehe Tab. 3.45), welche das Immunsystem schwächen und dadurch die Infektionsgefährdung erhöhen. Denn viele erworbenen (sekundären) Immunschwächen haben ihre Ursache (siehe Tab. 3.44) in ▪ Stressbelastungen und Angststörungen (siehe Kap. 3.3.1; 3.3.2), ▪ UV-Expositionen bis hin zu Verbrennungen der Haut durch übertriebenes Sonnenbaden, ▪ Fehlernährungen in Form von – Proteinmangel, der alle Bereiche der Immunabwehr beeinträchtigt, – Mangelernährungen (siehe Kap. 3.5.1), im Besonderen betreffend Eisen-, Kupfer-, Zink-, und Selenium-Ionen, Vitamin A, C, E, B6, B9 (Folsäure) und B12 (Cobalamin); ▪ Alkoholmissbrauch (siehe Kap. 3.3.3) und Drogensucht, ▪ Hungersucht (siehe Kap. 3.5.2), die meist mit einen hohen (immunsuppressiv wirkenden) Cortisolspiegel verbunden ist, ▪ Übergewicht (siehe Kap. 3.5.2) welches vergesellschaftet ist mit einem hohen Cortisolspiegel und häufigen, auch geschlechtsunterschiedlichen Infektionen.906 Im Vordergrund stehen – bei beiden Geschlechtern Abzesse und Wundinfektionen,907 – beim Mann Infektionen der Haut und der Unterhaut, bei der Frau Infektionen der oberen Luftwege und der Harnblase, – beim metabolischen Syndrom (Fettsucht, Diabetes, Bluthochdruck, Dyslipidemie, Hypertriglyceridemie, Hypercholesterolemie) die Daueraktivierung der Entzündungskaskade (mit der Produktion von Eicosanoiden/Leukotrienen); ▪ der unbekümmerten Einnahme von solchen Arzneimitteln gegen Alltagsbeschwerden (siehe Tab. 3.44), – die immunsuppressive Nebenwirkungen aufweisen und – deren Anwendung (Dosis, Dauer) im persönlichen Ermessen des Einzelnen liegt und ggf. einschränkbar oder vermeidbar wäre. 904 Matassov D, Marzi A, Latham T, Xu R, Ota-Setlik A, Feldmann F, Geisbert JB, Mire CE, Hamm S, Nowak B, Egan MA, Geisbert TW, Eldridge JH, Feldmann H, Clarke DK. Vaccination With a Highly Attenuated Recombinant Vesicular Stomatitis Virus Vector Protects Against Challenge With a Lethal Dose of Ebola Virus. J Infect Dis. 2015;212 Suppl 2:S443–51. 905 Tsuda Y, Parkins CJ, Caposio P, Feldmann F, Botto S, Ball S, Messaoudi I, Cicin-Sain L, Feldmann H, Jarvis MA. A cytomegalovirus-based vaccine provides long-lasting protection against lethal Ebola virus challenge after a single dose. Vaccine. 2015;33(19):2261–6. 906 Kaspersen KA, Pedersen OB, Petersen MS, Hjalgrim H, Rostgaard K, Møller BK, Juul-Sørensen C, Kotzé S, Dinh KM, Erikstrup LT, Sørensen E, Thørner LW, Burgdorf KS, Ullum H, Erikstrup C. Obesity and risk of infection: results from the Danish Blood Donor Study. Epidemiology. 2015;26(4):580–9. 907 Hourigan JS. Impact of obesity on surgical site infection in colon and rectal surgery. Clin Colon Rectal Surg. 2011;24(4):283–90.

179

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Tab. 3.44: Beispiele für beeinflussbare oder vermeidbare Beeinträchtigungen des Immunsystems. Folgen für die Immunabwehr Beeinflussung durch

Lebensführung

Stress und Ängste

Wirkungen auf die Funktion der Immunzellen

Hemmung

neutrophile und eosinophile NoradreGranulozyten, Makrophagen, nalin (↑) NK-Zellen, Dentritische Zellen, TH1-Ly

IgE

Thrombozytenzahl, IgE/CD40L

UV-Belastung908,909,910

Makrophagen, natürliche Killerzellen, TH1-Ly, CTL-Ly

Schutzstoffe der Haut

Verbrennungen, Verletzungen911,912

TH1-Ly, TH2-Ly

Makrophagen, Treg-Ly

Alkoholmissbrauch 913,914,915,916

Cannabinoide917,

erworben Antik.

Zellulär

Förderung

Mastzellen, Neutrophile Granulozyten, Makrophagen, NK-Zellen, dentritische Zellen, TH1-Ly; TH2-Ly; B-Ly; Wundheilung

Cortisol (↑)

angeboren

Makrophagen, dentritische Zellen, TH1-Ly; TH2-Ly



+



– –

– +

+ (–)











(–)

























918,919,920,921

Makrophagen, Mikroglia, dentritische Zellen, TH1-Ly, TH2-Ly

Treg-Ly



Cocain922 (Cortisol (↑))

NK-Zellen, Lymphozyten, T-Ly, TH1-Ly, B-Ly,

neutrophile Granulozyten

+ –

Arzneimittel Anti-Fieber-Mittel/ Schmerzmittel 923, 924,925,926,927,928,929

IL-1, dentritische Zellen, T-Lymphozyten

Testosteron930 (Muskelaufbau, Hypogonadismus)

Thymuszellen, TH1-Ly, TH2-Ly, B-Lymphozyten, Antikörper

Antihistaminika (H1- RezeptorInhibitoren)931,932

Mastzellen, eosinophile Granulozyten, basophile Granulozyten, Makrophagen

Beruhigungsmittel/ Makrophagen/Phagozytose/reaktiver Sedativa/TranquiSauerstoff, TH1-Ly lizer933,934



Treg-Ly



PMN, bei Frauen BMI > 30: IL-1β, -6, -8, -17, -23, TNFα

– + – +

180

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Folgen für die Immunabwehr Beeinflussung durch

Wirkungen auf die Funktion der Immunzellen

angeboren

erworben Antik.

Zellulär

Ernährung Zink-Mangel 935, 936,937,938

neutrophile Granulozyten, Makrophagen, TH1-Ly, TH2-Ly







SeleniumMangel 939,940,941

Makrophagen, NK-Zellen, TH1-Ly, TH2Ly, CTL-Ly, B-Lymphozyten/Antikörper







Vitamin B12 Mangel (Veganer)

NK-Zellen, Komplementfaktoren C3+C4, Lymphozyten, TH1-Ly, TH2-Ly, CTL-Ly, Antikörper (IgM, IgG, IgA)







942,943,944,

Hungersucht 945, 946,947

Cortisol (↑)

IgE/CD40L

dentritische Zellen, TH1-Ly, CTL-Ly

Eicanosoide/Leukotriene, IgE

Fettleibigkeit 948, 949,950,951,952

Cortisol (↑)

(–)

Leukocyten, NK-Zellen, Lymphozyten



– +

– +





(↑): Anstieg/Vermehrung; (↓): Abfall/Verminderung; +: Förderung, −: Hemmung der Immunabwehr

908 Schwarz T. The dark and the sunny sides of UVR-induced immunosuppression: photoimmunology revisited. J Invest Dermatol. 2010;130(1):49–54. 909 Felton S, Navid F, Schwarz A, Schwarz T, Gläser R, Rhodes LE. Ultraviolet radiation-induced upregulation of antimicrobial proteins in health and disease. Photochem Photobiol Sci. 2013;12(1):29–36. 910 Sleijffers A, Garssen J, Vos JG, Loveren H. Ultraviolet light and resistance to infectious diseases. J Immunotoxicol. 2004;1(1):3–14. 911 Patenaude J, D’Elia M, Hamelin C, Garrel D, Bernier J. Burn injury induces a change in T cell homeostasis affecting preferentially CD4+ T cells. J Leukoc Biol. 2005;77(2):141–50. 912 Kimura F, Shimizu H, Yoshidome H, Ohtsuka M, Miyazaki M. Immunosuppression following surgical and traumatic injury. Surg Today. 2010;40(9):793–808. 913 Muralidharan S, Ambade A, Fulham MA, Deshpande J, Catalano D, Mandrekar P. Moderate alcohol induces stress proteins HSF1 and hsp70 and inhibits proinflammatory cytokines resulting in endotoxin tolerance. J Immunol. 2014;193(4):1975–87. 914 Parlet CP, Waldschmidt TJ, Schlueter AJ. Chronic ethanol feeding induces subset loss and hyporesponsiveness in skin T cells. Alcohol Clin Exp Res. 2014;38(5):1356–64. 915 Liang Y, Harris FL, Jones DP, Brown LA. Alcohol induces mitochondrial redox imbalance in alveolar macrophages. Free Radic Biol Med. 2013;65:1427–34. 916 Ghare S, Patil M, Hote P, Suttles J, McClain C, Barve S, Joshi-Barve S. Ethanol inhibits lipid raft-mediated TCR signaling and IL-2 expression: potential mechanism of alcohol-induced immune suppression. Alcohol Clin Exp Res. 2011;35(8):1435–44. 917 Massi P, Vaccani A, Parolaro D. Cannabinoids, immune system and cytokine network. Curr Pharm Des. 2006;12(24):3135–46. 918 Tahamtan A, Tavakoli-Yaraki M, Rygiel TP, Mokhtari-Azad T, Salimi V. Effects of cannabinoids and their receptors on viral infections. J Med Virol. 2015. doi: 10.1002/jmv.24292. PMID: 26059175.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

181

919 Nagarkatti P, Pandey R, Rieder SA, Hegde VL, Nagarkatti M. Cannabinoids as novel anti-inflammatory drugs. Future Med Chem. 2009;1(7):1333–49. 920 Rieder SA, Chauhan A, Singh U, Nagarkatti M, Nagarkatti P. Cannabinoid-induced apoptosis in immune cells as a pathway to immunosuppression. Immunobiology. 2010;215(8):598–605. 921 Downer EJ. Cannabinoids and innate immunity: taking a toll on neuroinflammation. ScientificWorldJournal. 2011;11:855–65. 922 Jankowski MM, Ignatowska-Jankowska B, Glac W, Swiergiel AH. Cocaine administration increases CD4/ CD8 lymphocyte ratio in peripheral blood despite lymphopenia and elevated corticosterone. Int Immunopharmacol. 2010;10(10):1229–34. 923 Hussain M, Javeed A, Ashraf M, Zhao Y, Mukhtar MM, Rehman MU. Aspirin and immune system. Int Immunopharmacol. 2012;12(1):10–20. 924 Buckland M, Lombardi G. Aspirin and the induction of tolerance by dendritic cells. Handb Exp Pharmacol. 2009;(188):197–213. 925 Buckland M, Jago CB, Fazekasova H, Scott K, Tan PH, George AJ, Lechler R, Lombardi G. Aspirintreated human DCs up-regulate ILT-3 and induce hyporesponsiveness and regulatory activity in responder T cells. Am J Transplant. 2006;6(9):2046–59. 926 Warwick C. Paracetamol and fever management. J R Soc Promot Health. 2008;128(6):320–3. 927 Yamaura K, Ogawa K, Yonekawa T, Nakamura T, Yano S, Ueno K. Inhibition of the antibody production by acetaminophen independent of liver injury in mice. Biol Pharm Bull. 2002;25(2):201–5. 928 Rainsford KD. Ibuprofen: from invention to an OTC therapeutic mainstay. Int J Clin Pract Suppl. 2013;(178):9–20. 929 Sacerdote P. Opioids and the immune system. Palliat Med. 2006;20 Suppl 1:s9–15. 930 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunantwort des Menschen. de Gruyter 2014;448–449. 931 Vena GA, Cassano N, Buquicchio R, Ventura MT. Antiinflammatory effects of H1-antihistamines: clinical and immunological relevance. Curr Pharm Des. 2008;14(27):2902–11. 932 Assanasen P, Naclerio RM. Antiallergic anti-inflammatory effects of H1-antihistamines in humans. Clin Allergy Immunol. 2002;17:101–39. 933 Chen ML, Wu S, Tsai TC, Wang LK, Tsai FM. Regulation of macrophage immune responses by antipsychotic drugs. Immunopharmacol Immunotoxicol. 2013;35(5):573–80. 934 O’Connell KE, Thakore J, Dev KK. Pro-inflammatory cytokine levels are raised in female schizophrenia patients treated with clozapine. Schizophr Res. 2014;156(1):1–8. 935 Djoko KY, Ong CL, Walker MJ, McEwan AG. The Role of Copper and Zinc Toxicity in Innate Immune Defense against Bacterial Pathogens. J Biol Chem. 2015;290(31):18954–61. 936 Livingstone C. Zinc: physiology, deficiency, and parenteral nutrition. Nutr Clin Pract. 2015;30(3):371– 82. 937 Ong CL, Gillen CM, Barnett TC, Walker MJ, McEwan AG. An antimicrobial role for zinc in innate immune defense against group A streptococcus. J Infect Dis. 2014;209(10):1500–8. 938 Lindenmayer GW, Stoltzfus RJ, Prendergast AJ. Interactions between zinc deficiency and environmental enteropathy in developing countries. Adv Nutr. 2014;5(1):1–6. 939 Steinbrenner H, Al-Quraishy S, Dkhil MA, Wunderlich F, Sies H. Dietary selenium in adjuvant therapy of viral and bacterial infections. Adv Nutr. 2015;6(1):73–82. 940 Mehdi Y, Hornick JL, Istasse L, Dufrasne I. Selenium in the environment, metabolism and involvement in body functions. Molecules. 2013;18(3):3292–311. 941 Huang Z, Rose AH, Hoffmann PR. The role of selenium in inflammation and immunity: from molecular mechanisms to therapeutic opportunities. Antioxid Redox Signal. 2012;16(7):705–43. 942 Erkurt MA, Aydogdu I, Dikilitaş M, Kuku I, Kaya E, Bayraktar N, Ozhan O, Ozkan I, Sonmez A. Effects of cyanocobalamin on immunity in patients with pernicious anemia. Med Princ Pract. 2008;17(2):131–5. 943 Maggini S, Wintergerst ES, Beveridge S, Hornig DH. Selected vitamins and trace elements support immune function by strengthening epithelial barriers and cellular and humoral immune responses. Br J Nutr. 2007;98 Suppl 1:S29–35.

182

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

3.4.5 Autoimmunreaktionen Zwischen 5 % und 8 % der Menschen leiden an einer Autoimmunerkrankung, Frauen häufiger als Männer. Ursachen sind neben den endogenen (genetische Disposition und/oder inaktivierende Mutationen) häufig auch exogene Faktoren, welche953 ▪ körpereigene Strukturen verfremden, z. B. durch physikochemische Schädigung (Bestrahlung), Infektionen, Bindung von xenobiotischen (Fremd-) Substanzen an körpereigene Strukturen; epigenetische Beeinflussung der genetischen Expression von Proteinen und deren Glykosylierung, ▪ als Antigene eine Immunreaktion erzeugen, welche kreuzreagiert mit körpereigenen Strukturen (z. B. rheumatisches Fieber oder Herzmuskelentzündungen/Kreuzreaktion mit Cardiolipin nach Infektionen mit β-hämolytischen Streptokokken), ▪ anatomische Schranken (Blut-Hirn-Schranke, Blut-Nerven-Schranke, Augenlinse, Hoden) öffnen und für die Immunabwehr durchgängig machen, ▪ die Immunabwehr derart schädigen, dass sie nicht in der Lage ist, die exogene Substanz zu eliminieren und somit ein chronischer Entzündungsprozess entsteht (wie z. B. bei chronischen Immunkomplexerkrankungen). Gemeinsam ist allen gegen definierte Körperantigene gerichtete Autoimmunerkrankungen, dass der Körper mit seiner erworbenen Immunabwehr nicht in der Lage ist, körpereigene Strukturen zu tolerieren. Maßgeblich für diese mangelhafte Toleranz des Immunsystems sind nach dem derzeitigen Wissensstand im Besonderen954

944 Bhaskaram P. Micronutrient malnutrition, infection, and immunity: an overview. Nutr Rev. 2002;60 (5 Pt 2):S40–5. 945 Omodei D, Pucino V, Labruna G, Procaccini C, Galgani M, Perna F, Pirozzi D, De Caprio C, Marone G, Fontana L, Contaldo F, Pasanisi F, Matarese G, Sacchetti L. Immune-metabolic profiling of anorexic patients reveals an anti-oxidant and anti-inflammatory phenotype. Metabolism. 2015;64(3):396–405. 946 MacDonald L, Hazi A, Paolini AG, Kent S. Calorie restriction dose-dependently abates lipopolysaccharide-induced fever, sickness behavior, and circulating interleukin-6 while increasing corticosterone. Brain Behav Immun. 2014;40:18–26. 947 Misra M, Klibanski A. Endocrine consequences of anorexia nervosa. Lancet Diabetes Endocrinol. 2014;2(7):581–92. 948 Genoni G, Prodam F, Marolda A, Giglione E, Demarchi I, Bellone S, Bona G. Obesity and infection: two sides of one coin. Eur J Pediatr. 2014;173(1):25–32. 949 Schorr M, Lawson EA, Dichtel LE, Klibanski A, Miller KK. Cortisol Measures Across the Weight Spectrum. J Clin Endocrinol Metab. 2015;100(9):3313–21. 950 Paich HA, Sheridan PA, Handy J, Karlsson EA, Schultz-Cherry S, Hudgens MG, Noah TL, Weir SS, Beck MA. Overweight and obese adult humans have a defective cellular immune response to pandemic H1N1 influenza A virus. Obesity (Silver Spring). 2013;21(11):2377–86. 951 O’Shea D, Corrigan M, Dunne MR, Jackson R, Woods C, Gaoatswe G, Moynagh PN, O’Connell J, Hogan AE. Changes in human dendritic cell number and function in severe obesity may contribute to increased susceptibility to viral infection. Int J Obes (Lond). 2013;37(11):1510–3. 952 Hardwick JP, Eckman K, Lee YK, Abdelmegeed MA, Esterle A, Chilian WM, Chiang JY, Song BJ. Eicosanoids in metabolic syndrome. Adv Pharmacol. 2013;66:157–266. 953 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;631–668. 954 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;463–479.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

▪ ▪

183

die unzureichende Vernichtung (Deletion) autoreaktiver Lymphozyten im Zuge des Selektions- und Differenzierungsprozesses von T-Lymphozyten und B-Lymphozyten, die Beeinträchtigung der Toleranz durch – die ungenügende oder fehlende Entwicklung von regulatorischen T-Lymphozyten (Treg), welche Autoimmunreaktionen dämpfen können, – immunstimulierende oder immunsuppressive neurogene Faktoren, – immunstimulierende Infektionen.

Die Eigenleistung bei der Beherrschung von Autoimmunerkrankungen besteht ▪ in der Prophylaxe, d. h. – der Vermeidung derjenigen Faktoren, welche als exogene Risikofaktoren bekannt sind (siehe Tab. 3.45), – in der Schutzimpfung, soweit ein definierter Infektionserreger als Risikofaktor bekannt ist oder vermutet wird und ein im Markt zugelassener Impfstoff vorliegt; ▪ in der mentalen Aufarbeitung der Erkrankung für eine kognitive Verhaltensänderung. Ziel sollte sein, – die biologischen Ursachen (soweit diese bekannt sind) und Reaktionsweisen der jeweiligen Autoimmunerkrankung zu verinnerlichen, – die Erkrankung als Teil der eigenen Identität anzunehmen, – sich über den Einfluss des sozialen (Lebenspartner, Familie, Freundeskreis) und des beruflichen Umfeldes (Ausmaß der Arbeitszufriedenheit, Stressfaktoren, Eigenanspruch und Leistungsvermögen) auf die Autoimmunerkrankung klar zu werden, – die eigene Lebensführung und das eigene Umfeld entsprechend diesem Wissen bestmöglich zu gestalten und dadurch die Krankheit zu beherrschen. Bei einigen Autoimmunerkrankungen liegen bereits Anhaltspunkte vor, dass die Schwere der bestehenden Erkrankung und/oder die mit dieser vergesellschafteten Depression durch die willentliche Beeinflussung des eigenen Wohlbefindens und Heilvorgangs verbessert werden kann. Hierzu gehören ▪ die Multiple Sklerose,955,956,957 wobei hierzu jedoch auch Ergebnisse vorliegen,958 in welchen die Wirksamkeit einer derartigen Verhaltenstherapie nicht bestätigt werden konnte,

955 Pöttgen J, Lau S, Penner I, Heesen C, Moritz S. Managing Neuropsychological Impairment in Multiple Sclerosis: Pilot Study on a Standardized Metacognitive Intervention. Int J MS Care. 2015;17(3):130–7. 956 Hind D, Cotter J, Thake A, Bradburn M, Cooper C, Isaac C, House A. Cognitive behavioural therapy for the treatment of depression in people with multiple sclerosis: a systematic review and meta-analysis. BMC Psychiatry. 2014;14:5. PMID: 24406031. 957 Rosti-Otajärvi E, Mäntynen A, Koivisto K, Huhtala H, Hämäläinen P. Neuropsychological rehabilitation has beneficial effects on perceived cognitive deficits in multiple sclerosis during nine-month follow-up. J Neurol Sci. 2013;334(1–2):154–60. 958 Rosti-Otajärvi EM, Hämäläinen PI. Neuropsychological rehabilitation for multiple sclerosis. Cochrane Database Syst Rev. 2014;2:CD009131. PMID: 24515630.

184 ▪ ▪ ▪ ▪

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

die rheumatoide Arthritis,959,960,961,962 und der systemische Lupus erythematodes,963,964 der Diabetes mellitus I und II,965,966 die Schuppenflechte/Psoriasis,967,968,969 und andere Dermatosen,970,971,972,973 und in geringem Maße auch chronische entzündliche Darmerkrankungen (Zoeliakie, Crohn’sche Erkrankung).974,975

959 Walsh DA, McWilliams DF. Mechanisms, impact and management of pain in rheumatoid arthritis. Nat Rev Rheumatol. 2014;10(10):581–92. 960 Jones G, Winzenberg TM, Callisaya ML, Laslett LL. Lifestyle modifications to improve musculoskeletal and bone health and reduce disability – a life-course approach. Best Pract Res Clin Rheumatol. 2014;28(3):461–78. 961 Nessen T, Opava CH, Martin C, Demmelmaier I. From clinical expert to guide: experiences from coaching people with rheumatoid arthritis to increased physical activity. Phys Ther. 2014;94(5):644–53. 962 Shadick NA, Sowell NF, Frits ML, Hoffman SM, Hartz SA, Booth FD, Sweezy M, Rogers PR, Dubin RL, Atkinson JC, Friedman AL, Augusto F, Iannaccone CK, Fossel AH, Quinn G, Cui J, Losina E, Schwartz RC. A randomized controlled trial of an internal family systems-based psychotherapeutic intervention on outcomes in rheumatoid arthritis: a proof-of-concept study. J Rheumatol. 2013;40(11):1831–41. 963 Jolly M, Peters KF, Mikolaitis R, Evans-Raoul K, Block JA. Body image intervention to improve health outcomes in lupus: a pilot study. J Clin Rheumatol. 2014;20(8):403–10. 964 Bantornwan S, Watanapa WB, Hussarin P, Chatsiricharoenkul S, Larpparisuth N, Teerapornlertratt T, Vareesangthip J, Vareesangthip K. Role of meditation in reducing sympathetic hyperactivity and improving quality of life in lupus nephritis patients with chronic kidney disease. J Med Assoc Thai. 2014;97 Suppl 3:S101–7. 965 van Son J, Nyklíček I, Pop VJ, Blonk MC, Erdtsieck RJ, Pouwer F. Mindfulness-based cognitive therapy for people with diabetes and emotional problems: long-term follow-up findings from the DiaMind randomized controlled trial. J Psychosom Res. 2014;77(1):81–4. 966 Tovote KA, Fleer J, Snippe E, Peeters AC, Emmelkamp PM, Sanderman R, Links TP, Schroevers MJ. Individual mindfulness-based cognitive therapy and cognitive behavior therapy for treating depressive symptoms in patients with diabetes: results of a randomized controlled trial. Diabetes Care. 2014;37(9):2427– 34. 967 Breuer K, Göldner FM, Jäger B, Werfel T, Schmid-Ott G. Chronic stress experience and burnout syndrome have appreciable influence on health-related quality of life in patients with psoriasis. Clin Exp Dermatol. 2014;39(5):600–3. 968 Shah R, Bewley A. Psoriasis: ‘the badge of shame’. A case report of a psychological intervention to reduce and potentially clear chronic skin disease. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2015;29(10):1898–904. 969 Huynh M, Gupta R, Koo JY. Emotional stress as a trigger for inflammatory skin disorders. Semin Cutan Med Surg. 2013;32(2):68–72. 970 Chuh A, Wong W, Zawar V. The skin and the mind. Aust Fam Physician. 2006;35(9):723–5. 971 Thompson DL, Thompson MJ. Knowledge, instruction and behavioural change: building a framework for effective eczema education in clinical practice. J Adv Nurs. 2014;70(11):2483–94. 972 Senra MS, Wollenberg A. Psychodermatological aspects of atopic dermatitis. Br J Dermatol. 2014;170 Suppl 1:38–43. 973 Ersser SJ, Cowdell F, Latter S, Gardiner E, Flohr C, Thompson AR, Jackson K, Farasat H, Ware F, Drury A. Psychological and educational interventions for atopic eczema in children. Cochrane Database Syst Rev. 2014;1:CD004054. PMID: 24399641. 974 McCombie AM, Mulder RT, Gearry RB. Psychotherapy for inflammatory bowel disease: a review and update. J Crohns Colitis. 2013;7(12):935–49. 975 Timmer A, Preiss JC, Motschall E, Rücker G, Jantschek G, Moser G. Psychological interventions for treatment of inflammatory bowel disease. Cochrane Database Syst Rev. 2011;(2):CD006913. PMID: 21328288.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

185

Tab. 3.45: Beispiele für Autoimmunerkrankungen, beeinflussbar durch eigenes Handeln.976 Krankheit

beteiligtes Autoantigen

Encephalitis (akut, disseminiert)

myelinbasisches Protein/MBP

Multiple Sklerose

MBP, Myelin-OligodendrozytenGlykoprotein/ MOG

Typ der Immunreaktion

II, IV

Epidermisantigene

Risikominderung

Virusinfektionen (Influenza, Masern, Mumps, prophylaktische Röteln, Varizella zoster, EBV, Impfungen, Zytomegalie, HSV, Hepatitis A, soweit verfügbar Cocksackie) Bakterieninfektion Schutz gegen ZeckenMycoplasma pneumoniae, biss/Antibiose (Borrelia), Borrelia, Leptospiren, Hygiene β-hämolytische Streptokokken mangelndes Sonnenlicht (Vitamin D), mangelnde Belastungen des Immunsystems im Kindesalter; Nikotin/Rauchen, anhaltender Stress

Für Kinder: Kinderkrippen, Kindergärten, Außenspielplätze, Ansonsten: Rauchverbot/Nichtrauchen, Stressabbau

Virusinfektionen? anhaltender Stress, Nikotin/Rauchen

Stressabbau; Rauchverbot/ Nichtrauchen

II (lokal)

UV-Strahlung, Arzneimittel (Diuretika, Penicillin, ACE-Hemmer, nichtsteroidale Antirheumatika, lokal 5-FU)

Vermeiden intensiver Sonnenbäder

Stressabbau, Ess- und Trinkkontrolle, Schutz der belasteten Haut

IV, II

Hyperthyreoditis Typ Rezeptor für TSH V Basedow

Pemphigus

exogene Risikofaktoren (vermutet oder belegt)

Psoriasis Schuppenflechte

Keratinozytenantigene

IV

Stress, Alkoholmissbrauch, Fettleibigkeit, Infektionen (besonders Streptokokken), Medikamente (Lithiumsalze, Antimalariamittel, Tetracycline, β-Blocker)

systemischer Lupus erythematodes

doppelsträngige DNA, Sm-Protein, Phospholipide

III, IV

UV-Strahlung (Virusinfektionen?)

Vermeiden intensiver Sonnenbäder

II, III

Infektion mit β-hämolytischen Streptokokken Gruppe A (Rachenraum)

geeignete Antibiose

IV

Infektion mit Borreliose und/oder Toxoplasmose

Schutz gegen Zeckenbiss bzw. Hygiene bei Katzenkontakt, Antibiose

rheumatisches MuskelFieber antigene

Polymyositis

Muskelantigene

976 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;631–668.

186

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Krankheit

beteiligtes Autoantigen

autoimmune Hepatitis

Leberzellatentigene

IV, II

Infektionen mit Hepatitisviren (-B, -A, -C), Intoxikationen

prophylaktische Impfungen (HBV, HAV)

Diabetes mellitus I

Inselzellantigene im Pankreas

II, IV

Virusinfektionen (Röteln, Cocksackie, Echo, CMV, HSV)

prophylaktische Impfungen (Röteln)

Sarkoidose (Lunge, andere unbekannt Organe)

IV

eingeschwemmte Tattoofarbstoffe (?), inhalierte Antigene (?)

Vermeidung der Exposition

Goodpasture Syndrom (Lunge, Niere)

II

organische Lösungsmittel (Virusinfektionen)

Vermeidung der Exposition

IV, II

Konsum großer Mengen raffinierten Zuckers, Tabaktoxine

Vermeidung übermäßigen Zuckerkonsums, Rauchverbot/ Nichtrauchen

II, IV

Klebereiweiß (Gluten)

Vermeidung der Exposition

Basalmembran

Crohn’sche Antigene von Krankheit/ IBD Darmbakterien/ inflammatory Muramylpeptide Bowel disease

Typ der Immunreaktion

exogene Risikofaktoren (vermutet oder belegt)

Risikominderung

Zöliakie

Transglutaminase Reticulin, Endomysium

Arteriosklerose

oxidierte LDL Antigene von Clamydia pneumonia oder Herpesviren

II, IV

Fettsucht, Diabetes, Bewegungsarmut, Tabakrauch

Veränderung der Lebensgewohnheiten (Veränderung der Qualität und Quantität des Essens; körperliche Tätigkeit) Rauchverbot/Nichtrauchen

Periarteriitis nodosa

unbekannt (möglicherweise Infektionsantigen)

II, IV

Infektionen mit Hepatitis B-Virus, Hepatitis C-Virus

prophylaktische Impfungen (HBV)

3.4.6 Allergie und Asthma Gemeinsam ist allen allergischen Reaktionen vom Soforttyp die Aktivierung von Mastzellen und basophilen Granulozyten, sodass diese aus ihren Speicherorganellen, den sogenannten basophilen Granula, eine Vielfalt von Mediatoren der allergischen Reaktion, im Besonderen Histamin freisetzen (siehe Tab. 3.46), welche das typische klinische Bild der akuten allergischen Reaktion bewirken. Aktivierung und Freisetzung dieser Mediatoren kann durch mehrere Mechanismen ausgelöst werden (siehe Tab. 3.46 und 3.47).

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

187

Allergenbedingte allergische Reaktionen ▪ werden verursacht durch Antikörper vom Typ IgE, spezifisch für ein Allergen (siehe Kap. 3.4.1), welche durch Immunisierung mit einem Allergen unter dem dominanten Einfluss der Zytokine Il-4 und IL-13 entstehen und nach wiederholter Exposition mit dem Allergen verstärkt exprimiert werden, ▪ haben zur Voraussetzung: – die Bindung der IgE Antikörper über deren Fc-Teil an IgE-Rezeptoren auf Mastzellen/basophile Granulozyten und – die Vernetzung der rezeptorgebundenen IgE-Antikörpern durch ein Allergen, sodass Mastzellen/basophile Granulozyten aktiviert werden zur Freisetzung der Mediatoren aus ihren Granula (Degranulation) mit Ausbildung der klinischen Symptome der Allergie vom Soforttyp (siehe Tab. 3.46 und 3.47). Pseudoallergien werden ausgelöst durch Degranulation von Mastzellen/basophilen Granulozyten, ohne dass IgE beteiligt ist, wobei die Degranulation ▪ bereits bei Erstkontakt mit der Allergie-auslösenden Substanz entsteht, ▪ nach wiederholter Exposition mit der Allergie auslösenden Substanz unverändert bleibt oder sich vermindert, ▪ bedingt sein kann durch Aktivierung von Rezeptoren für (siehe Tab. 3.46) – Immunmediatoren (wie z. B. Chemokine, Anaphylatoxine, Thrombozytenfaktoren), – Pathogene molekulare Strukturmuster (PAMPs) von Infektionserregern, – Neuropeptide und Hypothalamus/Hypophysenhormone, – MBP/Major Basic Protein (Bindung an Heparan-Sulfat-Proteoglykan der Zellmembran). Toxisch bedingte allergische Reaktionen entstehen, indem physikochemische (z. B. mechanische Reizung der Haut) und/oder toxische Einwirkungen die Mastzellen/basophile Granulozyten direkt degranulieren. IgE-vermittelte Allergien und/oder Pseudoallergien können parallel entstehen, sich gegenseitig verstärken und je nach Ausdehnung lokal und harmlos oder lebensbedrohlich (Schweregrad I–IV) verlaufen. Sie betreffen im Wesentlichen ▪ Nase- und Nasennebenhöhlen (allergische Rhinitis), Augen (allergische Konjunktivitis), Haut (atopische Dermatitis) – Schweregrad 0–II; ▪ die oberen Luftwege, Luftröhre und Bronchien (allergisches Asthma) – Schweregrad I–III; ▪ Mund, Magen und Darm (Nahrungsmittelallergie) – Schweregrad I–III; ▪ das Allgemeinbefinden bis hin zur Bewusstlosigkeit und zum anaphylaktischen Schock – Schweregrad I–IV.

188

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.46: Mechanismen der Aktivierung von Mastzellen zur Auslösung von Allergien vom Soforttyp.977 IgE-Antikörper – vermittelt

freigesetzte Mediatoren

Primäre Exposition/Erstimmunisierung

Allergen



Dentritische Zellen, TH (2)-Ly B-Ly (+ IL-4, -13)



IgE



Sensibisilierung durch Bindung an (Fc-) Rezeptoren für IgE (IgE(Fc)-Rezeptor)

Sekundäre Exposition/Allergieauslösung



Bindung an IgE(Fc)-Rezeptor (allergen-spezifisch)



Degranulation und Aktivierung



Bindung an (blockierenden) IgG(Fc)-RIIB-Rezeptor (allergen-spezifisch)



Blockade der Degranulation

Allergen

Pseudoallergien, unabhängig von IgE-Antikörpern Degranulierung/Aktivierung über Aktivierung von Zellen der Immunabwehr

Chemokine

Infektionserreger

pathogene molekulare Strukturmuster (PAMPs)

Rezeptoren für PAMPs

Anaphylatoxine

Aktivierung der Gerinnungskaskade

Thrombozytenfaktoren (PF4, BHRS, PAF, PF)

Rezeptoren für PF4, BHRS, PAF, PF

MBP/Major Basic Protein

Heparan-SulfatProteoglykan

C3a, C4a

C5a

C3a-Rezeptor



C5a-Rezeptor

durch Aktivierung von Rezeptoren für Neuromediatoren oder Hypophysenhormone Aktivierung/Degranulierung über sympathisches Nervensystem

Noradrenalin/ Adrenalin

Histamin, Heparin, Serotonin, Dopamin, Chondroitinsulfat lysosomale Enzyme, Carboxypeptidase, Elastase

Chemokin-Rezeptoren

Aktivierung der Komplementkaskade (Entzündung)

Aktivierung von Mastzellen

Degranulation:

α-adrenerge Rezeptoren (Hemmung: Aktivierung der β-adrenergen Rezeptoren)

Mastzellen, MBP/Major basophile Basic Protein Granulozyten Aktivierung Ausschüttung: Prostaglandine Leukotriene PAF Interleukine GM-CSF, TNFα Chemokine Eotoxine VEGF NGF

977 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;573–604.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

durch Aktivierung von Rezeptoren für Neuromediatoren oder Hypophysenhormone

freigesetzte Mediatoren

primäre sensorische Neuronen/ Tachykinine/Substanz P periphere Dentriten

Neurokinin-Rezeptor 1/ NKR1

Neuronen, Epithel-/ Endothelzellen, Tubuluszellen

ANP/atriales natriuretisches Peptid

natriuretischer PeptidRezeptor / NPR-A, -B, -C

präsynaptische sensorische Ganglien

CGRP/Calcitonin Gene related Peptide



CGRP-Rezeptor

Hypothalmus/ Oxytocin Neurohypophyse Hypothalamus/ Adenohypophyse

Oxytocin-Rezeptor/OXTR

Corticoliberin/CRH/ Corticotropin releasing Hormone

CHR-1, -2

Adrenocorticotropin/ACTH

ACTH-Rezeptor/ACTHR

Mastzellen, basophile Granulozyten

Aktivierung/Proliferation über periphere Dentriten/ Mastzellen978,979

189

NGF/Nerve Growth Factor

TrkA

BDNF/Brain-Derived Neurotrophic Factor + NT-4

TrkB



NT-3/Neurotrophic Factor-3

TrkC

Tropomyosinrelated Kinases

durch physikochemisch-toxische Einwirkungen physikalisch

Druck, Wärme, Kälte, Licht, Röntgenstrahlung

Toxine

Toxin-A, -B von Clostridium difficile, Streptolysin O von Streptococcus pyogenes, Gifte von Bienen, Wespen, Hornissen, Hummeln



Inhaltsstoffe von Gewürze (Capsaicin), Lebensmitteln Geschmacksverstärker (Glutamat) Arzneimittel

Morphin, Codein, Schmerzmittel (Salizylate)

978 Tam SY, Tsai M, Yamaguchi M, Yano K, Butterfield JH, Galli SJ. Expression of functional TrkA receptor tyrosine kinase in the HMC-1 human mast cell line and in human mast cells. Blood. 1997;90(5):1807–20. 979 Peng WM, Maintz L, Allam JP, Raap U, Gütgemann I, Kirfel J, Wardelmann E, Perner S, Zhao W, Fimmers R, Walgenbach K, Oldenburg J, Schwartz LB, Novak N. Increased circulating levels of neurotrophins and elevated expression of their high-affinity receptors on skin and gut mast cells in mastocytosis. Blood. 2013;122(10):1779–88.

190

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.47: Wirkung der Mediatoren, ausgeschüttet von Mastzellen/basophilen Granulozyten.980 Wirkstoffe

Zielstruktur

sekundäre Phase der allergischen Reaktion

Wirkung Förderung

Blutkapillaren

Gefäßerweiterung, Gefäßpermeabilität, (Hautrötung, Nesselsucht)

Nervenzellen

Juckreiz

Bronchien, große Gefäße/Darm

Kontraktion der glatten Muskulatur

Histamin Mastzellen eosinophile Granulozyten T-Lymphozyten

Hemmung

Chemotaxie Aktivierung, Ausschüttung von IL-16

Nebennierenrinde

Ausschüttung von Adrenalin

MBP/Major Basic Protein

Mastzellen/basophile Granulozyten

Degranulation unabhängig von IgE, Amplifikation der allergischen Reaktion

Dopamin

Mastzellen/basophile Granulozyten

IgE-abhängige Degranulation981,982

Heparin

Blutgerinnung

Blutgerinnung (über ATIII und FXa)

Chondroitin-Sulfat

Mastzellen

Speicherung der Monoamine und Proteasen, Apoptose983

Lunge/Niere/Darm

Gefäßverengung/Kontraktion der glatten Muskulatur

Skelettmuskulatur

Gefäßerweiterung

extrazelluläre Matrix (Bindegwebe)

Abbau

Serotonin lysosomale Enzyme (Proteasen, Hydrolasen, Carboxy-Peptidasen, Elastase)

sekundäre Phase der allergischen Reaktion IL-3, -4

Mastzellen

Vermehrung Expression von IgE-Rezeptoren (↑)

Chemokine CCL-5, -7, Eotaxin-1–2, -3, CCL-13, -15)

eosinophilen Granulozyten (Makrophagen, dentritische Zellen)

Chemotaxie

980 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;105–107. 981 Rönnberg E, Calounova G, Pejler G. Mast cells express tyrosine hydroxylase and store dopamine in a serglycin-dependent manner. Biol Chem. 2012;393(1–2):107–12. 982 Yoo JM, Park ES, Kim MR, Sok DE. Inhibitory effect of N-Acyl dopamines on IgE-mediated allergic response in RBL-2H3 cells. Lipids. 2013;48(4):383–93. 983 Rönnberg E, Melo FR, Pejler G. Mast cell proteoglycans. J Histochem Cytochem. 2012;60(12):950–62.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Wirkstoffe

Zielstruktur

Wirkung

sekundäre Phase der allergischen Reaktion

Förderung

ECF-A/eosinophile chemotaktische Faktoren der Anaphylaxie

Chemotaxie

IL-3, -4, -5, -9, GM-CSF

eosinophile Graulozyten

PAF/Plättchen aktivierender Faktor

Degranulierung984 Nervenzellen

Juckreiz

GM-CSF

neutrophile Granulozyten

Aktivierung und Vermehrung

IL-4, -5, -6, -13

B-Lymphozyten

Isotypenwechsel nach IgE

THelfer (1)-Lymphozyten

Differenzierung und Vermehrung

ZNS

Hypothalamus/Hypophyse/ Nebennieren-Achse/Cortisol

Makrophagen

Aktivierung

falls der Apoptosekomplex gebildet wird

kontrollierter Zelltod/ Apoptose

ZNS

Schlaf

Bronchien/Gefäße/Darm

Kontraktion der glatten Muskulatur

TNFα/Tumor Nekrosis Faktor

Prostaglandine (PGD2)

Bronchien/Gefäße/Darm Leukotriene (LTC4, LTD4, LTE4)

Thrombozyten

Aggregation und Degranulation

Butgefäße

Gefäßpermeabilität

VEGF/vaskuläre endo- Endothelzellen theliale Wachstumsfak-toren (A, B, C, D) Monozyten, Makrophagen NGF/Nervenwachstumsfaktor

Hemmung

Expression von Rezeptoren für IL-3, IL-5, GM-CSF, IgE und Histamin (H4-Rezeptor), Degranulierung

IL-2, -4, -13, -31

IL-2, -12, IFNγ

191

Nervenzellen

Appetit

Fieber

Herzleistung, Blutdruck985

Gefäßpermeabilität, Auflösung der Haftkomplexe, Proliferation, Angiogenese, Lymphangiogenese Chemotaxie und Aktivierung986 Juckreiz987

984 Dyer KD, Percopo CM, Xie Z, Yang Z, Kim JD, Davoine F, Lacy P, Druey KM, Moqbel R, Rosenberg HF. Mouse and human eosinophils degranulate in response to platelet-activating factor (PAF) and lysoPAF via a PAF-receptor-independent mechanism: evidence for a novel receptor. J Immunol. 2010;184(11):6327–34. 985 Gill P, Jindal NL, Jagdis A, Vadas P. Platelets in the immune response: Revisiting platelet-activating factor in anaphylaxis. J Allergy Clin Immunol. 2015;135(6):1424–32. 986 Johnson KE, Wilgus TA. Vascular Endothelial Growth Factor and Angiogenesis in the Regulation of Cutaneous Wound Repair. Adv Wound Care (New Rochelle). 2014;3(10):647–661. 987 Mollanazar NK, Smith PK, Yosipovitch G. Mediators of Chronic Pruritus in Atopic Dermatitis: Getting the Itch Out? Clin Rev Allergy Immunol. 2015; PMID: 25931325.

192

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Allergische Reaktionen vom Soforttyp können in eine zelluläre Entzündung übergehen. Diese wird eingeleitet durch eosinophile Granulozyten (siehe Tab. 3.48), ▪ welche angelockt und aktiviert werden durch die von Mastzellen/basophilen Granulozyten ausgeschütteten Chemokine, Zytokine, Leukotriene, ECF-A und von Histamin, ▪ die ihrerseits Mediatoren ausschütten, welche die akute allergische Reaktion in eine weitgehend zellulär geprägte Entzündung überführen, die dann ausheilen oder in eine chronische Entzündung übergehen kann und ▪ welche in unterschiedlicher Weise die verschiedenen klinischen Formen der Typ IAllergie bestimmen. Die von eosinophilen Granulozyten geprägte zelluläre Entzündung geht einher (siehe Tab. 3.48) ▪ mit einer Verminderung (enzymatischer Abbau) der lokalen Konzentration und der Wirkung der Mediatoren der akuten allergischen Reaktion, ▪ mit einem weiteren Anstieg der Konzentration von eosinophilen Granulozyten wie auch mit einer wachsenden Infiltration von Makrophagen und T-Lymphozyten, ▪ in Schleimhautbereichen – mit einer gesteigerten Schleimsekretion und einer erhöhten Empfindlichkeit, verstärkten Kontraktion und Hyperplasie der glatten Muskulatur und – mit einer Zerstörung von Epithelzellen und einer Zunahme und Verdickung des submukösen Bindegewebes durch die ausgeschütteten kationischen Peptide; ▪ mit der Ausschüttung von Wachstumsfaktoren für den Heilungsprozess. Die Entstehung einer Allergie vom Soforttyp wird beeinflusst durch das Zusammenwirken von mehreren Faktoren. Zu diesen zählen: Der individuelle genetische Hintergrund, ▪ wenn mindestens ein Elternteil und/oder ein Geschwisterkind Asthma, Heuschnupfen oder Neurodermitis haben, besteht ein erhöhtes Risiko für eine allergische Erkrankung,988 ▪ so sind beispielsweise kodiert – im Chromosom 6p21.33 der Polymorphismus für das TNFα989 in der allergischen Rhinitis, – im Chromosome 5q diejenigen Zytokine (IL-3, -4, -5, -9, -13, GM-CSF), welche die Synthese von IgE und die Proliferation und Aktivierung von Mastzellen, basophilen Granulozyten und eosinophilen Granulozyten stimulieren wie auch die Expression der α-Kette des IL-4-Rezeptors, – im Chromosom 11q der Polymorphismus der β-Kette des IgE (Fc-) Rezeptors, – im Chromosom 11p14.1 der Polymorphismus für BDNF/Brain derived Neurotrophic factor,990 welcher am Entzündungsgeschehen teilhat. 988 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/061-016l_S3_Allergieprävention_2014-07.pdf. 989 Wei X, Zhang Y, Fu Z, Zhang L. The association between polymorphisms in the MRPL4 and TNF-α genes and susceptibility to allergic rhinitis. PLoS One. 2013;8(3):e57981. PMID: 23472126. 990 Jin P, Andiappan AK, Quek JM, Lee B, Au B, Sio YY, Irwanto A, Schurmann C, Grabe HJ, Suri BK, Matta SA, Westra HJ, Franke L, Esko T, Sun L, Zhang X, Liu H, Zhang F, Larbi A, Xu X, Poidinger M, Liu J, Chew

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

193

Tab. 3.48: Einfluss der Wirkstoffe von eosinophilen Granulozyten auf die Allergie vom Soforttyp.991 Wirkstoffe

Wirkung Zielstruktur

proallergisch/proentzündlich

antiallergisch/heilend

Enzyme Histaminase

Histamin

Arylsulfatase

Leukotriene

PhospholipaseD

PAF/Platelet aktiv. Faktor

Abbau

zytotoxische Substanzen Mastzellen/ MBP basophile major basic Protein Granulozyten

Degranulation

ECP eos. kation. Protein Epithelzellen (Bronchien Haut), EPO Parasiten eos. Peroxydase

Zytotoxizität

TH2-Lymphozyten

Proliferation, IL-5, -6, -10, -13 (↑)

EDN eos. derived Neurotoxin

B-Lymphozyten

Sauerstoffradikale

Nachbarzellen

Zytotoxizität

IL-3, -4, -5, -9 GM-CSF

eosinophile Granulozyten

Degranulierung, autokrine Stimulation, Vermehrung, Expression von Rezeptoren für IL-3, -5 und GM-CSF

GM-CSF

neutrophile Granulozyten

Aktivierung, Vermehrung

IL-3, -4

Mastzellen

Vermehrung, IgE-Rezeptoren (↑)

Isotypenwechsel nach IgG1 (↑)

Zytokine

IL-4, -13

Isotypenwechsel nach IgE B-Lymphozyten

Isotypenwechsel nach IgG oder IgA

IL-2, -12, IFNγ

THelfer (1)Lymphozyten

Differenzierung/ Vermehrung

IL-2, -4, -10

THelfer (2)Lymphozyten

Differenzierung und Vermehrung

IL-1, -4, IFNγ

Endothelzellen

Aktivierung, Auflösung der Haftkomplexe, Oedeme

IL-6

Fibroblasten

IL-5, -6, TGFβ, IFNγ

Proliferation

FT, Rotzschke O, Shi L, Wang de Y. A functional brain-derived neurotrophic factor (BDNF) gene variant increases the risk of moderate-to-severe allergic rhinitis. J Allergy Clin Immunol. 2015;135(6):1486–93. 991 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;582–585.

194

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Wirkstoffe

Wirkung Zielstruktur

proallergisch/proentzündlich

antiallergisch/heilend

lysosomale Enzyme Proteasen, Lipasen, Bindegewebe Elastasen

Abbau der extrazellulären Matrix

Wachstumsfaktoren VEGF-A, B, C, D Vascular endothelial growth factor PDGF-A, B, C, AB Platelet derived growth factor

TGFβ Transforming growth factor β

Monozyten/ Makrophagen

Chemotaxie

Endothelzellen

Proliferation, Angiogenese, Lymphangiogenese (VEGF-C, -D)

Fibroblasten, Osteoblasten, Chondroblasten

Proliferation, Differenzierung; Bildung von extrazellulärer Matrix

Endothelzellen

Proliferation (↓), Differenzierung (↑)

T- und B-Lymphozyten

Proliferation (↓)

Monozyten/ Makrophagen

Proliferation (↓)

Endothelzellen

Die Immunitätslage des Körpers zum Zeitpunkt der Exposition mit dem Allergen. ▪ Diese wird entscheidend bestimmt vom Aktivitätszustand – des zentralen, peripheren und vegetativen/autonomen Nervensystems und dessen Ausschüttung von Neuromediatoren, Neuropeptiden und Hormonen (siehe Tab. 3.49), – der angeborenen Immunabwehr mit den Mastzellen, basophilen Granulozyten, eosinophilen Granulozyten, Makrophagen und natürlichen Killerzellen, – der erworbenen Immunabwehr mit den das Allergen präsentierenden dentritischen Zellen, den B-Lymphozyten und den regulatorischen T-Lymphozyten im Verhältnis zu den T-Helfer-Lymphozyten (siehe Tab. 3.49) und den zytotoxischen T-Lymphozyten ▪ Proallergische Bedingungen sind charakterisiert – gemäß der Hygienehypothese durch Mangel an Treg/regulatorischen T-Lymphozyten, welche Toleranz gegenüber dem Allergen bewirken (siehe Tab. 3.50) und durch vermehrte Differenzierung der T-Helfer-Lymphozyten zu TH2 statt zu TH1 und TH17 (siehe Kap. 3.4.1), – durch relativ hohe Konzentrationen von IL-4 in der lokalen Zytokinvielfalt, wodurch in den B-Lymphozyten ein Wechsel zur Synthese von IgE stimuliert wird, – durch Entzündungsvorgänge, welche Chemokine, Anaphylatoxine, Thrombozytenfaktoren und/oder basophile Proteine freisetzen, die Mastzellen und basohile Granulozyten degranulieren können (siehe Tab. 3.50), – durch eine Vermehrung von Mastzellen, stimuliert durch erhöhte lokale Konzentrationen besonders von Il-3, IL-4 und GM-CSF.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

195

Tab. 3.49: Einfluss von neurogenen Mediatoren auf die allergische Reaktion vom Soforttyp.992 neurogene Mediatoren

allergiefördernde Wirkung

allergiehemmende Wirkung

Funktion von B-Lymphozyten vegetatives Nervensystem Noradrenalin/Adrenalin

TH1- und Treg (↓); IL-12, -23, IFNγ (↓); IL-10 (↑)

Acetylcholin

IL-6, IL-12, IFNγ (↓)

IgG (↑), IgE (↓)

neurotrophes Neuropeptid-System Endorphine

TH1 + TH2 (↓), Antikörpersynthese (↓)

Neuropeptid Y

IL12 + IFNγ (↑) TH1 (↑)

VIP/vasoaktives intestinales Peptid ANP/atriales natiuretisches Peptid

IL-4, -10, -13 (↑), TH2 (↑)

TGFβ (↑)

IL-10 (↑)

CGRP/Calcitonin-Gen verwandtes Peptid

B-Lymphozyten (↓)

Hypothalamus-Hypophysen- System Oxytocin

ACTH (↓)

Vasopressin

ACTH (↑)

Somatoliberin

IgM, IgG, IgA (↑)

Somatostatin, Cortistatin, Ghrelin

ACTH (↓)

regulatorische T-Lymphozyten (↑)

GH/Wachstumshormon

IL-10 (↑)

TGFβ (↑), IgG und IgA (↑)

Prolaktin

B-Lymphozyten (↑)

Dopamin Cortisol

Inhibition von Prolaktin CD40-Liganden (↑)

Funktion von Mastzellen/basophile Granulozyten vegetatives Nervensystem Noradrenalin/Adrenalin

(α-Rezeptor): Degranulierung (↑)

(β-Rezeptor): Degranulierung (↓)

Acetylcholin

Degranulierung (↑)

Degranulierung/IgE-abhängig (↓)

Neurotrophin-Neuropeptid- System NGF/Nerve growth factor BDNF/Brain derived nerve f.

Proliferation, Reifung, Degranulation (↑)993

992 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;571–596. 993 Kritas SK, Caraffa A, Antinolfi P, Saggini A, Pantalone A, Rosati M, Tei M, Speziali A, Saggini R, Pandolfi F, Cerulli G, Conti P. Nerve growth factor interactions with mast cells. Int J Immunopathol Pharmacol. 2014;27(1):15–9.

196

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

neurogene Mediatoren Tachykinin/Substanz P VIP/vasoactive intestinal Peptide

allergiefördernde Wirkung

allergiehemmende Wirkung

Degranulierung (↑), Chemokine (↑) Zytokine/IL-3, TNF, GM-CSF (↑)994

ANP/atriales natriuretisches Peptid

Degranulierung (↑)

CGRP/Calcitonin gene related peptide

Degranulierung (↑)

Hypothalamus-Hypophysen-System Oxytocin

Degranulierung (↑), Cortisol (↓) durch ACTH (↓)

Corticoliberin Degranulierung (↑) ACTH

Proliferation (↓), Cortisol (↑)

Vasopressin

Cortisol (↑) durch ACTH (↑)

Oxytocin Somatostatin, Cortistatin, Ghrelin

Cortisol (↓) durch ACTH (↓)

Cortisol

Allergie/Entzündung (↓)

Funktion von eosinophilen Granulozyten vegetatives Nervensystem Noradrenalin/ Adrenalin

Degranulierung (↓)

Acetylcholin

Aktivierung (↓), Leukotriene (↓)

Hypothalamus-Hypophysen-System Oxytocin

Cortisol (↓) durch ACTH (↓)

Vasopressin Somatostatin

Cortisol (↑) durch ACTH (↑) Cortisol (↓) durch ACTH (↓)

Neurotrophin-Neuropeptid-System NGF/Nerve growth factor

Proliferation (↑)995

994 Kulka M, Sheen CH, Tancowny BP, Grammer LC, Schleimer RP. Neuropeptides activate human mast cell degranulation and chemokine production. Immunology. 2008;123(3):398–410. 995 Hahn C, Islamian AP, Renz H, Nockher WA. Airway epithelial cells produce neurotrophins and promote the survival of eosinophils during allergic airway inflammation. J Allergy Clin Immunol. 2006;117(4):787– 94.

197

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

neurogene Mediatoren

allergiefördernde Wirkung

allergiehemmende Wirkung

Funktion von Makrophagen, Epithelzellen proinflammatorische Zytokine/IL-1 (↑)996

NGF

Aktivierung (↑), Chemokinen/ Eotaxin-3 (↑),997 VEGF (↑)998

(↑): Anstieg/Vermehrung; (↓): Abfall/Verminderung

Tab. 3.50: Risiko einer allergischen Reaktion in Abhängigkeit der Menge/Aktivität der regulatorischen T-Lymphozyten. Verhältnis der T-Helferzellen zu den regulatorischen T-Zellen

Risiko einer Allergie vom Soforttyp gering

gering

mittel

hoch









TH1 (T-Helfer (1)Lymphozyten)

TH2 (T-Helfer (2)Lymphozyten)

Treg (regulatorische T-Lymphozyten)

Treg + TH1 > TH2

Treg + TH1 > TH2

Treg + TH1 = TH2

Treg + TH1 < TH2

996 Datta-Mitra A, Kundu-Raychaudhuri S, Mitra A, Raychaudhuri SP. Cross talk between neuroregulatory molecule and monocyte: nerve growth factor activates the inflammasome. PLoS One. 2015;10(4):e0121626. PMID: 25876154. 997 Rochman M, Kartashov AV, Caldwell JM, Collins MH, Stucke EM, Kc K, Sherrill JD, Herren J, Barski A, Rothenberg ME. Neurotrophic tyrosine kinase receptor 1 is a direct transcriptional and epigenetic target of IL-13 involved in allergic inflammation. Mucosal Immunol. 2015;8(4):785–98. 998 Zhang J, Ma WY. Nerve growth factor regulates the expression of vascular endothelial growth factor in human HaCaT keratinocytes via PI3K/mTOR pathway. Genet Mol Res. 2014;13(4):9324–35.

198

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Exogene proallergische Faktoren wirken auf das Immunsystem, indem sie ▪ bei der Entwicklung von B-Lymphozyten – die Differenzierung zur Bildung von IgE (Isotyp-Switch) und die Hilfe durch T/ Helfer(2)-Lymphozyten stimulieren, – die Entwicklung von hemmenden T/Helfer(1)-Lymphozyten und von Toleranz erzeugenden regulatorischen T-Lymphozyten blockieren (siehe Tab. 3.50); ▪ bei den Mastzellen und basophilen Granulozyten – die Proliferation und Differenzierung fördern, – die Expression von aktivierenden IgE (Fc) Rezeptoren und von Rezeptoren für direkt aktivierende und degranulierende Immunmediatoren, Hormone und Neuropeptide erhöhen, – die Expression von hemmenden IgG (Fc)-Rezeptoren vermindern, – den Schwellenwert zur Degranulation und Ausschüttung der Mediatoren der allergischen Reaktion erniedrigen, – die Freisetzung von proinflammatorischen Wirkstoffen stimulieren; ▪ bei den eosinophilen Granulozyten die Chemotaxie und die Aktivierung zur Degranulation von proinflammatorischen Wirkstoffen stimulieren. Zu den Allergenen bzw. Pseudoallergenen mit hoher Potenz gehören ▪ Insektengifte, im Besonderen das Melittin von Bienen, Wespen, Hornissen, Hummeln, ▪ inhalierte Fremdstoffe von Tieren (Hausstaubmilben, Haare, Federn, Epithelien, Kotproteine), und/oder von Pflanzen (Pilzsporen, Pollen von Gräsern, Kräutern, Sträuchern oder Bäumen), ▪ Lebensmittelbestandteile von Pflanzen (Obst, Gemüse, Nüsse), von Fischen, Krustentieren, Muscheln, Milchproteine, Eiproteine und/oder Lebensmittelzusatzstoffe (z. B. Stabilisatoren, Gewürze, Geschmacksverstärker), ▪ Bestandteile in Kosmetika und/oder Arzneimitteln zur äußerlichen oder innerlichen Anwendung. Antiallergischen Faktoren ist gemeinsam, dass sie die Bildung von IgE und/oder die Aktivierung von Mastzellen und basophilen Granulozyten vermeiden helfen (siehe Tab. 3.51). Unterschiedliche pharmakotherapeutische und immuntherapeutische Therapieansätze zur Beherrschung der allergischen Reaktion stehen zur Verfügung (siehe Tab. 3.51 und 3.52) Zu ihnen gehören im Besonderen ▪ die allergenspezifische Desensibilisierung durch orale/sublinguale oder intradermale Verabreichung ansteigender Mengen des ursächlichen Allergens, welche kausal, bei einer beträchtlichen Zahl von Allergenen und dauerhaft wirksam ist, und ▪ eine kognitive Verhaltensänderung, welche auf das Allergen und die jeweilige Ausprägung der Allergie bezogen ist und die das Ziel hat – die Heilungskräfte des Körpers zu stärken, indem die Stressfaktoren bewältigt und Phasen der Ruhe und des Glücks bewusst angestrebt und erlebt werden,

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

199

Tab. 3.51: Einfluss von Verhalten und Behandlungen auf die Entwicklung einer Typ I-Allergie.999 Einflüsse Funktion

antiallergisch Treg + TH1 > TH2, IL-4 (↓)

proallergisch TH2 > Treg + TH1, IL-4 (↑)

Exposition während der Schwangerschaft mit Stalltieren, Haustieren oder Heu: Wirkung auf das Kind Allergenexposition

Stimulation des Immunsystems im Kindesalter Parasitenbelastung

Stressbelastungen

Allergenkarenz (bei Allergikern) mittlere Allergenkonzentrationen

geringe oder hohe Allergenkonzentrationen

orale oder intravenöse Verabreichung

Inhalation, häufige Expositionen

erhöhte bes. orale Keimbelastung durch mehrere Geschwister, in Kinderhorten, Kindergärten, Bauernhöfen Rohmilchverzehr häufige Infektionen (Stimulation durch CpG und LPS)

übertriebene Hygiene

als Kind (z. B. Ascariden vom Hund)

als Erwachsener

Noradrenalin/Adrenalin (↑) Degranulierung eosinophile Granulozyten (↓)

Noradrenalin/Adrenalin (↑) IgE (↑), Degranulierung Mastzellen (↑)

ACTH (↑) Proliferation der Mastzellen (↓)

CRH (↑), ACTH (↑) Degranulierung der Mastzellen (↑)

Cortisol (↑) Proliferation Lymphozyten/Mastzellen (↓), Entzündung (↓)

Cortisol (↑) CD40-Ligand(↑), IgE-Synthese (↑) NGF (↑), BDNF (↑), CGRP (↑), Substanz P (↑) Mastzellen Proliferation/ Degranulation (↑)

Muße und Ruhephasen Glücksgefühle

Impfungen

Para-Sympathikus: Acetylcholin (↑) Degranulierung Mastzellen/eosinophile Granulozyten (↓) Dopamin (↑) Hemmung von Prolaktin Vasopressin (↑) TH2-Ly/B-Lymphozyten (↓) gegen Bakterien und Viren IgG/IgA-Synthese (↑), IgE-Synthese (↓) mangelhafte Prägung des Immunsystems durch unzureichende Keimbelastung TH2 > TH1 + Treg, IgE (↑), IgG/IgA (↓)

häufige Antibiotikatherapie Glucocorticoide

Oxytocin (↑), Prolaktin (↑), Vasopressin (↑) ACTH (↓) Cortisol (↓) B-Ly (↑), Mastzellen: Degranulierung (↑)

B-Lymphozyten (↓) Mastzellen (↓), Entzündung (↓)

CD40-Liganden (↑), IgE-Synthese (↑)

999 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;571–596.

200

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme





die Selbstfürsorge anzuregen, indem die Erfahrungen zur Minderung des Risikos der Entwicklung einer Typ I-Allergie1000 zur Kenntnis genommen und im persönlichen Leben zu berücksichtigt werden (siehe Tab. 3.52), das Risiko einer allergischen Erkrankung bei Kinder zu mindern, auch dann, wenn sie belastet sind durch ein an Allergie leidendes Elternteil (siehe Tab. 3.53).

Tab. 3.52: Therapiemaßnahmen für die Typ I-Allergie. Maßnahme

Wirkungsweise

klinischer Erfolg

perorale oder intradermale Verabreichung ansteigender Allergenmengen

Stimulation zum Wechsel der AntikörperKlasse in B-Lymphozyten nach IgG/IgA (statt nach IgE) (IL-5, -6, -10, TGF-β, IFNγ (↑), Treg (↑), TH1(↑))

abhängig vom Allergen: 50 %–90 %, dauerhaft und belastbar

monoklonale Antikörper gegen das Fc-Teil von IgE

Verhinderung der Bindung des IgE an IgE(Fc)-Rezeptoren auf Mastzellen

Asthma, häufig nur vorübergehend

Immunsuppression

Immunophilin-/ Cyclophilininhibitoren

Inhibition von T-Lymphozyten durch Blockade des T-Zell-Rezeptors (TH1, TH2, Treg und CTL)

atopische Dermatitis, Nebenwirkungen

Probiotika

Lactobazillen, Bifidobakterien

Immunstimulierung, Ziel: TH1(↑), Treg (↑), IgE (↓)

fraglich bei Lebensmittelallergien,1001 Ekzemen,1002 allergischer Rhinitis1003

Immuntherapie Desensibilisierung

Blockade des IgE

Pharmakotherapie Histaminblockade

H1-Rezeptorblocker

Blockade der Mastzellen

Chromone (Chromoglycinsäure)

Glucocorticoide

Bindung von Histamin an Histamin-1-Rezeptor (↓) Degranulation (↓)

allerg. Rhinitis/ Konjunktivitis

Entzündungsmediatoren/ proinflammatorischer Zytokine (↓)

bei allen allergischen Erkrankungen

Antileukotriene

Lipoxygenaseinhibitoren Leukotrien(LTD4)Rezeptor Antagonisten

LTD4 (↓), Chemotaxie von eosinophilen/ neutrophilen Granulozyten (↓)

allergisches Asthma

Sympathomimetika

α-Sympathomimetika

α-adrenerge Rezeptoren/ Vasokonstriktion (↑)

allergische Rhinitis

β-Sympathomimetika

β-adrenerge Rezeptoren/ Bronchospasmolyse (↑)

Asthma

1000 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/061-016l_S3_Allergieprävention_2014-07.pdf. 1001 Lanser BJ, Wright BL, Orgel KA, Vickery BP, Fleischer DM. Current Options for the Treatment of Food Allergy. Pediatr Clin North Am. 2015;62(6):1531–49. 1002 Cuello-Garcia CA, Brożek JL, Fiocchi A, Pawankar R, Yepes-Nuñez JJ, Terracciano L, Gandhi S, Agarwal A, Zhang Y, Schünemann HJ. Probiotics for the prevention of allergy: A systematic review and metaanalysis of randomized controlled trials. J Allergy Clin Immunol. 2015;136(4):952–61. 1003 Peng Y, Li A, Yu L, Qin G. The role of probiotics in prevention and treatment for patients with allergic rhinitis: A systematic review. Am J Rhinol Allergy. 2015;29(4):292–8.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Maßnahme Theophyllin

Phosphodiesteraseinhibitoren

Wirkungsweise

klinischer Erfolg

Bronchospasmolyse (↑)

Asthma

Hausstaubmilbenallergie: Juckreiz (↓)

atopische Dermatitis1004

201

Psychotherapie kognitive Verhaltenstherapie Selbst-Management-Training Atmungstraining

Asthma Stressbelastung (↓), Angst (↓)

1005,1006,1007,1008

Hausstaubmilbenallergie: Blutspiegel IgE (↓)

Asthma1010

körperliches Aktivierungsprogramm1009 Entspannungsübungen

Tab. 3.53: Maßnahmen zur Verminderung des Risikos einer Allergieerkrankung bei Kindern.1011,1012,1013 Kinder mit normalem Risiko

Kinder mit erhöhtem Risiko*

Schwangere/Stillende psychische Belastungen

zügige Bewältigung einschneidender Erlebnisse (Trennungen, Tod, Katastrophen erhöhen das Risiko für das Kind) ausgewogene und nährstoffreiche Ernährung

Ernährung

regelmäßiger und häufiger Konsum von Fisch keine diätetischen Restriktionen, da diese nicht allergievorbeugend wirken Vermeidung von Übergewicht

1004 Arkwright PD, Stafford JC, Sharma V. Atopic dermatitis in children. J Allergy Clin Immunol Pract. 2014;2(4):388–95. 1005 Ritz T, Meuret AE, Trueba AF, Fritzsche A, von Leupoldt A. Psychosocial factors and behavioral medicine interventions in asthma. J Consult Clin Psychol. 2013;81(2):231–50. 1006 Pokladnikova J, Selke-Krulichova I. Effectiveness of a comprehensive lifestyle modification program for asthma patients: a randomized controlled pilot trial. J Asthma. 2013;50(3):318–26. 1007 Baptist AP, Ross JA, Yang Y, Song PX, Clark NM. A randomized controlled trial of a self-regulation intervention for older adults with asthma. J Am Geriatr Soc. 2013;61(5):747–53. 1008 Deshmukh VM, Toelle BG, Usherwood T, O’Grady B, Jenkins CR. Anxiety, panic and adult asthma: a cognitive-behavioral perspective. Respir Med. 2007;101(2):194–202. 1009 Field T. Exercise research on children and adolescents. Complement Ther Clin Pract. 2012;18(1):54–9. 1010 Lahmann C, Henningsen P, Schulz C, Schuster T, Sauer N, Noll-Hussong M, Ronel J, Tritt K, Loew T. Effects of functional relaxation and guided imagery on IgE in dust-mite allergic adult asthmatics: a randomized, controlled clinical trial. J Nerv Ment Dis. 2010;198(2):125–30. 1011 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/061-016l_S3_Allergieprävention_2014-07.pdf. 1012 Koletzko B. Konsens über Säuglingsernährung. Deutsches Ärzteblatt 2011;108(1–2):29–30. 1013 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;571–596.

202

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Kinder mit normalem Risiko

Kinder mit erhöhtem Risiko*

Immunstimulation durch Kontakt mit Tieren, Aufenthalt in Bauernhöfen Vermeidung von Tabakexpositionen (aktiv und passiv) Umwelt

Vermeidung eines schimmelpilzfördernden feuchtwarmen, schlecht gelüfteten Raumklimas Vermeidung von Schadstoffexpositionen (z. B. Formaldehyd, organische Lösungsmittel, Motorabgase/CO2, Rußpartikel) in Innenräumen wie auch Außen

Säugling/Kleinkind Entbindung

Vermeidung von Kaiserschnitt ohne medizinische Indikation (Sektio erhöht das Risiko, möglicherweise wegen zu geringer Immunstimulation)

psychische Belastungen

Minimierung der Belastungen durch einschneidende Erlebnisse (z. B. Trennung der Eltern oder Tod eines Elternteils erhöhen das Risiko)

Impfungen

Impfungen gemäß Impfplan der Impfstoffkommissionen Muttermilch (Stillen) als Vollernährung ≥ 5 Monate, ggf. bis ≥ 6. Monat als Teilernährung längeres Stillen vermindert nicht die Allergieentstehung falls Stillen nicht oder nur als Teilernährung möglich, dann als Ersatznahrung Ernährung mit hypoallergener (HA) Nahrung, partiell oder extensiv hydrolysiert; normale Säuglingsnahrung

keine Säuglingsnahrung auf der Basis von Sojaprotein, Ziegen-, Stuten- oder einer anderer Tiermilch (weitgehend ungeeignet)

ab dem 5. Monat ausgewogene und nährstoffreiche Beikost Ernährung

geeignete Beikost fördert durch die Entwicklung der komplexen Darmflora die Toleranzentwicklung regelmäßiger und häufiger Konsum von Gemüse und Früchten von Fisch, im Besonderen wegen der langkettigen, vielfach ungesättigten Ω-3-Fettsäuren von Milchfett, im Besonderen wegen der widerkäuertypischen Transfette keine diätetischen Restriktionen, da die Zugabe oder der Entzug potentieller Allergene nicht allergievorbeugend wirken Vermeidung von Übergewicht Vermeidung von Tabakexpositionen (aktiv und passiv)

Umwelt

Vermeidung eines schimmelpilzfördernden Raumklimas Vermeidung von Schadstoffexpositionen in Innenräumen wie auch Außen

Aufenthalt in Kindertagesstätten und/oder das Aufwachsen mit älteren Geschwistern allgemeine Aufenthalt in Bauerhöfen, Kontakt mit unterschiedlichen Tieren Immunstimulation keine Einschränkungen bei keine Haltung von Katzen, Hunden, der Auswahl der Haustiere oder behaarten Tieren *) Personen mit einem Allergie-erkranktem Elternteil oder Geschwister

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

203

3.4.7 Atopische Dermatitis Die atopische Dermatitis (auch Neurodermitis genannt) stellt eine chronische oder chronisch rezidivierende nicht ansteckende Hauterkrankung unbekannter Ursache dar, deren derzeitige Prävalenz bei Kindern zwischen 10–15 % liegt (das bedeutet eine 4- bis 6-fache Zunahme in den letzten 50 Jahren) und bei Erwachsenen bei 2–3 %. Sie weist die folgende Eigenschaften auf:1014,1015 ▪ ein Barrieredefekt der Hautschichten, vergesellschaftet mit – ausgeprägter Trockenheit der Haut und abnormaler Zusammensetzung der Hautlipide, – teilweise genetischen Veränderungen in den Keratozyten (Mutationen des FilaggrinGens, Polymorphismus des Stratum corneum chymotryptischen Enzyms (SCCE); ▪ ein Juckreiz, welcher klinisch dominant ist, die Lebensqualität deutlich mindern und zu Schlaflosigkeit, Leistungsabfall, sozialen Konflikten und Depressionen führen kann. Die extrinsische Form (etwa 50−80 % der Fälle) ist gekennzeichnet durch ▪ eine IgE-vermittelte Sensibilisierung gegen Allergene der Umwelt und/oder in den Nahrungsmitteln, ▪ (häufig aber nicht immer) eine allergische Rhinokonjunktivitis, ein allergisches Asthma bronchiale oder eine klinisch relevante Nahrungsmittelallergie. Die intrinsische Form ist dagegen nicht assoziiert mit IgE- Antikörpern gegen ein Allergen, ▪ häufig (in ca 90 % der Fälle) sind die Hautveränderungen bakteriell mit Staphylococcus aureus oder viral (meist Herpes- oder Papillomviren) oder durch Pilze (z. B. Trichophyton, Malassezia) besiedelt bzw. infiziert, wobei vermutet wird, dass die mikrobielle Besiedlung eine treibende Kraft für das atopische Ekzem darstellt. Die Arzneimitteltherapie der atopischen Dermatitis umfasst (siehe Tab. 3.54) ▪ eine lokale/topische Basistherapie mit einer geeigneten Salbe, welche die Barrierefunktion der meist trockenen und/oder fettarmen Haut unterstützen sollte, ▪ eine lokale Entzündungshemmung, ▪ eine spezifische Desensibilisierung durch oral/sublinguale oder intradermale Verabreichung des Allergens, falls die atopische Dermatitis die Begleiterkrankung einer allergischen Erkrankung gegen dieses Allergen darstellt, ▪ die Gabe ausgewählter Antimetaboliten zur Immunsuppression, ▪ eine lokale/topische antiseptische oder antimykotische und/oder die systemische antibiotische Therapie, falls Anzeichen einer Infektion vorliegen und ▪ die Hemmung des Juckreizes.

1014 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/013-027l_S2e_Neurodermitis_abgelaufen.pdf. 1015 Werfel T, Schwerk N, Hansen G, Kapp A. Diagnostik und Stufentherapie der Neurodermitis, Deutsches Ärzteblatt 2014;111(29–30):509–519.

204

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.54: Verfahren zur Behandlung der atopischen Dermatitis.1016 Art der Therapie

Wirkungsweise

Anwendung

Beispiele

Risiken/ Nebenwirkungen

Wirksamkeit/ Empfehlung

Basistherapie +

Mandelöl fette Salbengrundlage

Rückfettung

trockene Haut

Öl-in-WasserEmulsionen

Hydratisierung

weniger trockene Haut

Wollwachsalkohole, Cetylstearylalkohole

(+)

Sensibilisierung

Lotio alba, Glycerin

+

Harnstoff (4 %–10 %)

Hautbrennen (vorübergehend)

+

Hydrokortisonbutyrat, Mometasonfuroat, Methylprednisolonaceponat, Prednicarbat

Hautatrophie, Infektionen, periorale, Infektionen

+

Entzündungshemmung

Glucocorticosteroide

Calcineurininhibitoren

Zink-Salben

Signalübertragung NFkB (↓), Zytokinexpression (↓)

Immunophilinaktivität (↓), T-Lymphozyten (↓)

antientzündlich, kühlend, adstringierend

ProstaCyclooxygenase- cyclinInhibitor synthese (↓) Schieferöl

Bituminosulfonate

Steinkohlenteer Mastzellstabilisatoren

Hemmung der Degranulation

topisch: zeitlich begrenzt

oral: Stoßbehandlung topisch: falls Glucocorticoide nicht möglich (ab 3. Lebensjahr) oral: bei schwerer Erkrankung

+

Prednison

Pimecrolimus, Tacrolimus,

Hautbrennen/ lokales Wärmegefühl, virale Infektionen/ HSV, Karzinogenität (?)

+

Cyclosporin A

Nierentoxizität

+

topisch: in hydrophilen als Ergänoder lipophilen zung in BasisSalben therapeutika

topisch

Bufexamac

+

Sensibilisierung gegen den Wirkstoff



topisch

lockt Granulozyten an (Zugsalbe)

(+)

topisch

Karzinogenität (?), Phototoxizität (?)

(+)

oral

Cromoglycinsäure Nedocromil, Ketotifen

1016 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/013-027l_S2e_Neurodermitis_abgelaufen.pdf.





205

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Art der Therapie

Wirkungsweise

Anwendung

Beispiele

Desensibilisierung mit Allergen

Induktion von Treg und IgG

intradermal oder sublingual

Hausstaubmilbenallergen

Interferone

Entwicklung TH1 + TH2 (↓)

Risiken/ Nebenwirkungen

Wirksamkeit/ Empfehlung

Immuntherapie

IFNα IFNγ

Anti-IgEMAK

Hemmung von IgE

parenteral/ subkutan

Omalizumab

Lactobakterien

Immunstimulierung

oral

Bifidobakterium Lactis BB-12, Lactobacillus GG

+ –

Kopf- und Muskelschmerzen, Fieberschübe



Anaphylaktische Reaktionen; Tumorpromotion





Antimetaboliten Purinanaloga

Folsäureanaloga

GuaninSynthese Hemmer

RNA/DNASynthese (↓)

bei schwerer NeuroDihydrodermitis folat(wenn Cycloreduktase sporin (↓) unwirksam Inosinmono- oder kontraphosphatindiziert ist Dehydrogenase (↓)

Azathioprin (Metabolit: 6-Mercaptopurin)

Methotrexat

+

Knochenmark-, Leber- und MagenDarm-Toxizitäten, Infektionen

(+)

Mycophenolat, Mofetil

(+)

Fototherapie

UV-Bestrahlung

Immunsuppression

bei mittelgradiger Dermatitis bei schwerer Dermatitis

UVB (280–320 nm) UVA1 (320–380 nm) UVA > 380nm

vorzeitige Hautalterung, Herpes/HSVRezidiv, Hautkarzinome (?), Melanome (?)

+

+ –

antimikrobielle Behandlung

Antiseptica

Antibiotika

Antimykotika

Bakterizidie

topisch

Triclosan, Gentianaviolett (0,25 %) Lösung

bei infizierten Ekzemen

topisch

Mupuricin, Retapamulin

oral

Cephalosporine

+

topisch

Ciclopiroxolamin

+

Ketokonazol

+

bei Verdacht auf Pilzinfektionen

oral

+ Sensibilisierung und Resistenzentwicklung

(+)

206

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Art der Therapie

Wirkungsweise

Anwendung

Beispiele

Risiken/ Nebenwirkungen

Wirksamkeit/ Empfehlung

Hemmung des Juckreizes

Histamininhibitoren

H1Rezeptorinhibitoren H2Rezeptorinhibitoren

Anästhetika

Gerbstoffe

Adstringens

oral Cetirizin topisch

Sedierung, ggf. Unruhe (paradoxe Reaktionen)

+ –



oral

topisch

Polidocanol

Kontaktallergie (selten)

(+)

topisch

Tamol

Hautbrennen, Rötung

(+)

Psychotherapie kognitive Verhaltenstherapie autogenes Training Entspannungstherapie

Verhaltensstörungen (Kratzen-Juckreiz-KratzenKreislauf, Störungen des Selbstbewusstseins, Angst vor sozialen Kontakten)

+ + +

+: Empfehlung; (+): Empfehlung für Einzelfälle oder unter Einschränkungen; −: derzeit keine Empfehlung

Alternativ zur Arzneimitteltherapie oder in Kombination mit der topischen GlucocorticoidTherapie wird die Fototherapie mit ultraviolettem Licht (UVB oder UVA1) als eine wirksame Behandlung angesehen. Die Arzneimittel- und Fototherapie der atopischen Dermatitis wird wiederum wirksam ergänzt 1017 ▪ durch die Schulung der Patienten, im Besonderen von Kindern und Jugendlichen und deren Angehörige im Umgang mit der atopischen Dermatitis und ihrer Behandlung,1018,1019 ▪ durch die Vermeidung der Exposition mit solch einem Allergen, gegen welches beim Dermatitispatienten eine Sensibilisierung nachgewiesen werden kann und das Ursache einer gleichzeitig bestehenden Typ-I-Allergie darstellt. Zu diesen Allergenen gehören im Besonderen – Hausstaubmilbenantigene, die ggf. mit Haushygiene und milbendichten Umhüllungen der Bett- und Möbelwäsche etwas zu vermindern sind,

1017 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/013-027l_S2e_Neurodermitis_abgelaufen.pdf. 1018 Ersser SJ, Cowdell F, Latter S, Gardiner E, Flohr C, Thompson AR, Jackson K, Farasat H, Ware F, Drury A. Psychological and educational interventions for atopic eczema in children. Cochrane Database Syst Rev. 2014;1:CD004054. PMID: 24399641. 1019 Thompson DL, Thompson MJ. Knowledge, instruction and behavioural change: building a framework for effective eczema education in clinical practice. J Adv Nurs. 2014;70(11):2483–94.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

207





Nahrungsmittelbestandteile wie z. B. (in seltenen Fällen) Inhaltsstoffe der Kuhmilch oder des Hühnereis, welche durch entsprechende Diäten vermieden werden können; durch eine Psychotherapie, − z. B. in Form der kognitiven Verhaltenstherapie1020 oder unterschiedlicher Formen des Entspannungstrainings,1021 auch durch Musik,1022 um – auslösende Faktoren der Hauterkrankung wie z. B. unbewältigter Stress1023,1024 zu weitestgehend beseitigen und – Verhaltensstörungen zu vermindern1025, welche Ursache einer Verschlimmerung der Erkrankung sein können, wie z. B. • ein eskalierender Kratzen-Juckreiz-Kratzen-Kreislauf, • dauerhafte und unbewältigte Stresssituationen zwischen dem Patienten und den Angehörigen bei der Bewältigung der Erkrankung, • Selbstvorwürfe, Einschränkungen des Selbstbewusstseins und/oder Angst vor sozialen Kontakten.

Neben den verschiedenen weitgehend wirksamen Behandlungen der atopischen Dermatitis gibt es eine Reihe von Behandlungsmethoden ohne wissenschaftlichen Beleg, mit zweifelhafter oder unbestätigter Wirkung (siehe Tab. 3.55). Allein auf sich gestellt dürften viele Patienten überfordert sein, Wirksames von Unwirksamen unterscheiden zu können. Hier ist eine verantwortungsvolle, fachkompetente und erfahrene ärztlichen Beratung notwendig.

1020 Shenefelt PD. Biofeedback, cognitive-behavioral methods, and hypnosis in dermatology: is it all in your mind? Dermatol Ther. 2003;16(2):114–22. 1021 Bae BG, Oh SH, Park CO, Noh S, Noh JY, Kim KR, Lee KH. Progressive muscle relaxation therapy for atopic dermatitis: objective assessment of efficacy. Acta Derm Venereol. 2012;92(1):57–61. 1022 Lazaroff I, Shimshoni R. Effects of Medical Resonance Therapy Music on patients with psoriasis and neurodermatitis – a pilot study. Integr Physiol Behav Sci. 2000;35(3):189–98. 1023 Peters EM, Michenko A, Kupfer J, Kummer W, Wiegand S, Niemeier V, Potekaev N, Lvov A, Gieler U. Mental stress in atopic dermatitis – neuronal plasticity and the cholinergic system are affected in atopic dermatitis and in response to acute experimental mental stress in a randomized controlled pilot study. PLoS One. 2014 Dec 2;9(12):e113552. PMID: 25464511. 1024 Schut C, Weik U, Tews N, Gieler U, Deinzer R, Kupfer J. Psychophysiological effects of stress management in patients with atopic dermatitis: a randomized controlled trial. Acta Derm Venereol. 2013;93(1):57– 61. 1025 Senra MS, Wollenberg A. Psychodermatological aspects of atopic dermatitis. Br J Dermatol. 2014;170 Suppl 1:38–43.

208

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.55: Präparate und Verfahren ohne ausreichenden Beleg einer Wirksamkeit bei der atopischen Dermatitis.1026 lokale Salbenbehandlungen Lithium-Succinat Johanniskrautextrakte

Hypericin

fototoxisch

Hyperforin

bakterizid (Staphylococcus. aureus)

Schwarzkümmel Seekreuzdornextrakt PAF-Antagonisten

Inhibition des PAF/plättchenaktivierenden Faktors

systemische Immuntherapie polyvalentes Immunglobulin

i.m. Präparat i.v. Präparat

antiinfektiv, immunmodulatorisch (Stimulation des Antikörperabbaus)

Anti-IL-5-Antikörper

Hemmung der Proliferation eosinophiler Granulozyten

Montelukast

Leukotrien-Rezeptor-Antagonist Thymusmodulin

Thymuspräparate

Thymusstimulin

Peptidfraktionen aus dem Thymusextrakt (Rind) zur Stimulation von T-Lymphozyten

Thymuspentin

synthetisch hergestelltes Pentapeptid des Thymus

Transferfaktor

Extrakt aus humanen Leukozyten

Eigenblutpräparate

(orientierende klinische Studie zeigt Anhaltspunkte für Wirksamkeit)

Vitamine und Spurenelementen (Nahrungsergänzung) Vitamin B6

Pyridoxin

Vitamin E

(klinische Studie zeigt Anhaltspunkte für Wirksamkeit, hat jedoch formale Mängel)

Zink weitere Verfahren enzymfreie Waschmittel Bioresonanztherapie Homöopathie chinesische Kräutermischungen

siehe Kap. 4.3

3.4.8 Tumorabwehr Gemäß der Hypothese der Immunüberwachung (immun-surveillance) entstehen erst dann Tumore, wenn das Immunsystem versagt hat, die aus unterschiedlichen Gründen immer wieder entstehenden Transformationen von Normalzellen in Tumorzellen zu erkennen und diese mit den zytotoxischen Mechanismen der angeborenen und erworbenen Immunabwehr zu vernichten. Die Gründe hierfür können bei der Immunabwehr oder bei dem Tumor liegen. Einige dieser Gründe sind bekannt (siehe Tab. 3.56).

1026 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/013-027l_S2e_Neurodermitis_abgelaufen.pdf.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

209

Tab. 3.56: Mechanismen der Hemmung der Immunreaktion gegen Tumorantigene/TA bzw. Tumorzellen. Hemmung durch

zentrale Toleranz

Folgen

TA zugänglich Affinität des TCR sehr hoch

T-Lymphozytenrezeptor/TCR



B-Lymphozytenrezeptor/BCR



Ignoranz

TA nicht zugänglich

Affinität des TCR hoch Affinität des BCR sehr hoch

Zugang zum TA behindert T-Lymphozyten, B-Lymphozyten

T-Lymphozyten, B-Lymphozyten

Thymuszellen (Thymus)

Knochenmark

negative Selektion durch Zelltod/Apoptose

fehlt/ deletiert

Differenzierung zu regulatorischen T-Lymphozyten (Treg)

gehemmt durch Treg

negative Selektion durch Zelltod/Apoptose

deletiert

spezifische T-Lymphozyten und B-Lymphozyten können das TA nicht erkennen und nicht aktiviert werden; Tumorzellen verändern ihr TA oder schalten dessen Expression ab

nicht möglich

spezifische T-Lymphozyten können das Tumorantigen erkennen, können aber nicht aktiviert werden; B-Lymphozyten erhalten keine Hilfe durch aktivierte T-Helfer-Lymphozyten/TH

gelähmt



notwendige Kostimulation fehlt

spezifische T-Lymphozyten können das Tumorantigen erkennen, ihre Aktivierung löst jedoch Zelltod/Apoptose aus;

fehlt/ deletiert



Hilfe durch T-HelferLymphozyten fehlt

Somatische Hypermutation in B-Lymphozyten ist mangelhaft; B-Lymphozyten mit gering affinem Antikörper mangelhaft werden wegen mangelnder Aktivierung in den Zelltod geführt



Tumorzelle exprimiert TA und Todesliganden

Todesliganden lösen in Zellen der Immunabwehr den kontrollierten Zelltod/Apoptose aus



Menge des TA zu gering TA-Expression variabel

Anergie

Zytotoxizität gegen Tumor

TA zugänglich



notwendige Kostimulation fehlt

periphere Deletion TA zugänglich

T-Lymphozyten

B-Lymphozyten

dentritische Zellen, T-Lymphozyten, B-Lymphozyten periphere Toleranz dentritische Zellen, T-Lymphozyten

fehlt/ deletiert

TA zugänglich



Tumorzelle exprimiert TA und TGFβ

TGFβ induziert regulatorische T-Lymphozyten, durch Treg welche (durch IL-10 und TGFβ) T-Lymphozyten gehemmt hemmen

210

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Hemmung durch

Proteolyse

Folgen

TA zugänglich

T-Lymphozyten, B-Lymphozyten, natürliche Killerzellen, Makrophagen



Neutralisation

TA zugänglich

Tumorzelle exprimiert proteolytische Enzyme

T-Lymphozyten (TCR), B-Lymphozyten (BCR), Antikörper



Immunsuppression

TA zugänglich

T-Lymphozyten, B-Lymphozyten, natürliche Killerzellen, Makrophagen

Zytotoxizität gegen Tumor



Tumorzelle schilfert TA in die Umgebung ab

Tumorzelle exprimiert immunsuppressive Wirkstoffe

Zytokine, Chemokine, Antikörper und zytotoxische Proteine der Immunabwehr werden im Umfeld des Tumors zerstört

zerstört

TA-spezifische Rezeptoren (TCR, BCR) und die Antikörper werden in der Peripherie des Tumors durch das lösliche, abgeschilferte TA neutralisiert

durch TA gehemmt

immunsuppressive Wirkstoffe (TGFβ, IL-10, VEGF Prostaglandine/PGE2, Indolami-2, -3,dioxygenase/IDO hemmen Zellen der Immunabwehr

gehemmt oder zerstört (IDO)

Eine wesentliche Ursache der Entstehung von Tumoren stellen genetische oder somatische Mutationen derjenigen Gene dar, welche direkt oder indirekt das Zellwachstum und/oder die Zellteilung kontrollieren.1027 Soweit exogene Einflüsse diese Mutationen bewirken, kann ein jeder für sich selber in gewissen Grenzen die Entstehung und Wachstum von Tumoren beeinflussen. Voraussetzung hierfür ist eine ausreichende Kenntnis der exogenen krebsauslösenden und/oder krebsförderlichen Substanzen und Faktoren (siehe Tab. 3.57). Zu diesen gehören1028 ▪ Karzinogene, welche Tumorwachstum initiieren, indem sie durch Reaktion mit den Genstrukturen Normalzellen in Tumorzellen transformieren (siehe Tab. 3.57). ▪ Viren und Bakterien, welche selbst Tumoren initiieren (siehe Tab. 3.58) und/oder durch ihre immunsuppressive Wirkung das Wachstum von Tumoren fördern können (siehe Tab. 3.59 und Kap. 3.4.4), ▪ Hormone, – deren Einnahme eine Promotion auf das Wachstum derjenigen Tumore ausübt, welche die jeweiligen Hormonrezeptoren exprimieren, – nichtsteroidale, hormonaktive Stoffe in der Umwelt (siehe Kap. 2.4.3) und in den Nahrungsmitteln (siehe Kap. 3.5.4), die je nach Art der Rezeptorbindung, das Wachstum der jeweiligen Tumore fördern können; 1027 Sedlacek HH. Onkologie. Die Tumorerkrankungen des Menschen. de Gruyter 2013;230–236. 1028 Sedlacek HH. Onkologie. Siehe 1027.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

211

Tab. 3.57: Krebsauslösende und krebsförderliche exogene Substanzen. Karzinogene reagieren mit Genstrukturen Mutation von Protoonkogenen in „aktive“ Onkogene inaktivierende Mutationen von Tumorsuppressorgenen und/oder Metastasierungssuppressorgene Tabakkonsum karzinogene Tabakinhaltsstoffe sind Ursache von 25–30 % aller maligner Tumorerkrankungen1029 Alkoholkonsum verstärkt als Lösungsmittel die Wirkung der meist fettlöslichen Karzinogene im Tabak wirkt als Karzinogen durch die Metabolisierung zu Acetaldehyd Gefahrstoffe im beruflichen Alltag (siehe Tab. 3.64) in Nahrungsmitteln durch die Zubereitungstechnik (Erhitzen) mit der Bildung von Nitrosaminen, Acrylamid, Peroxide, Aldehyde, polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, Phenylimidazo-Pyridine/Phip durch mangelhafte Lager- und Konservierungstechnik: z. B. Schimmelpilztoxine wie Aflatoxin, Ochratoxine, Sterigmatocystin, Luteoskyrin, Patilin, Fumonisine, Zealenon, Allternariol, Nitrofen als Konservierungsmittel: z. B. Nitrite oder Nitrate (die bakteriell zu Nitrite reduziert werden) im Pökelsalz, wobei Nitrite bei erhöhten Temperaturen mit Aminosäuren die kanzerogenen Nitrosamine bilden; des Weiteren Kochsalz, welches die (Magen-) karzinogene Wirkung von Helicobacter pylori verstärkt Infektionserreger können selbst Tumoren initiieren (siehe Tab. 3.65) können durch ihre spezifische immunsuppressive Wirkung das Wachstum von Tumoren fördern weltweit haben etwa 15 % der menschlichen Tumorerkrankungen ihre Ursache in Infektionserregern Hormone deren Einnahme das Wachstum derjenigen Tumore promoviert, welche die jeweiligen Hormonrezeptoren exprimieren Östrogene promovieren Oestrogen-Rezeptor-positive-Tumore der Mamma, des Ovars, im Endometrium, der Hoden, Niere, Prostata Progesteron fördert das Wachstum von Progesteron-Rezeptor-positive-Tumore der Mamma, in Nieren, Hoden, Prostata, Lungen, des Kolons Androgene promovieren Androgen-Rezeptor-positive-Tumore der Prostata, der Mamma, des Ovars, der Niere, Leber, und des Kolons nichtsteroidale, hormonaktive Stoffe in der Umwelt und in den Nahrungsmitteln (siehe Kap. 2.4.3 und 3.5.4) migrieren häufig aus Kunstoffmaterialien (z. B. Spielzeug) und Kunstoffverpackungen fördern je nach Art der Rezeptorbindung das Wachstum der jeweiligen Tumore

1029 http://www.med-college.hu/de/wiki/artikel.php?id=42&lan=1; Abfrage 23. 10. 2015.

212

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.58: Auswahl wichtiger Karzinogene. Karzinogene und Promotoren

erhöhtes Risiko für Tumore in

Tabak Kraut

≥ 28 Karzinogene

Rauch

≥ 60 Karzinogene

Kraut/ Rauch

radioaktive Nuklide

polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe/PAK (z. B. 1,2-Benzpyren), Nitrosamine, aromatische Amine, Phenole, Benzol, Nitromethan, Ethylenoxyd, Acrylnitril Polonium210, Radium 226 und 228, Blei 220, Caesium 187

obere Luftwege, Bronchien, Lunge, Mund, Speiseröhre, Magen-Darm, Leber, Pankreas, Niere, Harnblase, Mamma, Zervix, Prostata

Alkohol ≥ 25g/Tag

Risiko 1,0–2,0

≥ 50g/Tag

Risiko 1,0–3,6

≥ 100g/Tag

Risiko 1,1–9,2

direkte Zytotoxizität, Lösungsvermittler für Karzinogene, Promotor für Oestrogene, Bildung von radikalen Sauerstoffmolekülen, Metabolisierung zum mutagenen Acetaldehyd

Kopf und Hals, Leber (Frauen) Kopf und Hals, Leber, Mamma, Kopf und Hals, Leber, Mamma, Ovar, Zervix

Karzinogene im beruflichem Alltag PAK/polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe Benzol Azofarbstoffe, Anilinfarbstoffe (z. B. 2-Naphthylamin, Benzidin, 4-Aminobiphenyl)

Kohle, Ruß, Rauch

Farben-, Öl-, Leder-, Chemie-, Auto-Industrie, Friseure

Haut, Hoden Blut (Leukämien, Lymphome) Harnblase, Pankreas, Blut, Leber, Schilddrüse

halogenierte Ether (z. B. Clormethyläther)

Chemie-Industrie

halogenierte Kohlenwasserstoffe (z. B. Vinylchlorid)

Kunststoff-Industrie

alkylalkansulfonate Sultone

Pharma-Industrie

Nasenschleimhaut, Lunge

Sultone

Chemie-Industrie

Haut

Toluidine (z. B. Ortho-Toluidin)

Chemie-Industrie

Harnblase

N-Nitrosamine

Lebensmittel-Industrie

Speiseröhre, Magen, Darm

Formaldehyd

Holz-, Arzneimittel-, Desinfektions-, Kosmetik-Industrie

Nasen-Rachen-Raum, Blut (myeloische Leukämie)

Acetaldehyd

Alkoholkonsum

s. o.

Chromat-IV-Ionen

Stahl-Industrie

Lunge

Nickel-II-Ionen

Galvanisierung, Akkumulatoren

Nasenschleimhaut, Lunge

Beryllium

Tabakkonsum

Lunge

Arsen

Metall-Industrie

Harnblase, Lunge

Aldehyde

Metallionen

Cadmium-II-Ionen

Lunge Leber, Milz

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Karzinogene und Promotoren

erhöhtes Risiko für Tumore in

Silikat-Fasern Asbestfasern

Bau-Industrie

Lunge, Pleura, Peritoneum (Mesotheliome)

organische Fasern

Holzstäube (z. B. Eiche, Buche)

Holz-Industrie

Nasen- und Nasennebenhöhlen

UV-Strahlen

UV-A, UV-B

Sonnenlichtexposition

Haut, Melanome

Röntgen-Strahlung (γ-Strahlen)

medizinische Technik

Teilchen-Strahlung (α-, β-Strahlung)

Umwelt

ionisierende Strahlung





213

Haut, Blut (Leukämien, Lymphome), Schildrüse, Knochen

Ernährungsgewohnheiten, welche das Risiko einer Tumorerkrankung erhöhen,1030 – der Anteil falscher Ernährung als Ursache von Krebs wird auf einen Bereich von etwa 20–40 % aller Krebstodesfällen geschätzt, 793 – als häufigste Ursache gelten: • Überernährung und Fettsucht (siehe Kap. 3.5.2); bei einem BMI/Body-MassIndex von > 30 kg/m2 erhöht sich das Tumorrisiko bereits um den Faktor 2 (Kolontumore) bis 4,0 (Pankreas), • Zubereitungstechniken oder technische Zusätze, welche Karzinogene entstehen lassen und • Kontaminationen mit karzinogenen Schimmelpilztoxinen; Exzessive UV-Bestrahlungen z. B. durch Sonnenbaden mit dem Risiko der Entwicklung eines Melanoms.

In Kenntnis dieser Einflussfaktoren ist es eine Entscheidung zum Wohl der eigenen Gesundheit, ▪ die Exposition, den Kontakt mit und/oder die Aufnahme von krebsauslösenden oder krebsförderlichen Substanzen und Infektionserregern soweit wie irgend möglich zu vermeiden (siehe Tab. 3.58), ▪ sich vor Infektionen durch Tumorviren (siehe Tab. 3.59) und/oder immunsuppressiven Viren oder tumorerregenden Bakterien (siehe Tab. 3.60) bestmöglich zu schützen – durch Hygienemassnahmen (siehe Kap. 3.4.4), – durch Schutzimpfungen, soweit Impfstoffe vorliegen (z. B. bei HBV, HPV, Röteln, Pocken, Masern, siehe Kap. 3.4.4) und – durch Nachweis und Antibiotikatherapie einer Helicobacter pylori-Infektion in der Magenschleimhaut; ▪ die eigenen emotionalen oder mentalen Kräfte so zu schulen (siehe Kap. 3.3.1), dass Stressfaktoren und Ängste – nicht das Denken und Fühlen längerfristig oder dauerhaft beherrschen und hierdurch

1030 Sedlacek HH. Onkologie. Die Tumorerkrankungen des Menschen. de Gruyter 2013;254–264.

214

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.59: Infektionserreger, welche beim Menschen Tumoren erzeugen können.1031 Viren

infizierte Organe/ Zellen

Tumorerkrankung histologischer Typ

Beteiligung der Immunabwehr

Häufigkeit (%)

DNA-Viren

J. C. Virus PolyomaViren

Lunge, Niere, ZNS

B. K. Virus

Lunge, Niere

Merkel-Virus

Lunge, Haut (Kofaktor: UV-Strahlung)

Humane Papillom-Viren mit niedrigem bis mittlerem Krebsrisiko Epithelzellen der Haut und Schleimhaut

PapovaViren

Humane Papillom-Viren mit hohem Krebsrisiko

HerpesViren

Astrozytome, Medulloblastome, Pinealoblastom, primitive neuroektodermale Tumore (PNET)

Hautkrebs, hohe Malignität HPV 1, 2, 3, 4, 7, 27, 29, 57: vulgäre Fleischer- (HPV7), Fußsohlen-, Pinselwarzen HPV 6, 11, 42, 44: Feig-/Genitalwarzen, HPV 3, 10, 28: Flachwarzen HPV 13, 32: fokale Hyperplasie Mundhöhle HPV 5, 8: Dysplasien HPV 16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59 und 66: Karzinome der Cervix, Vulva, Vagina, Uterus, Anus, Mundhöhle, Schlundkopf, Oesophagus, Penis

< 0,1 Immunsuppression kann latente Polyoma-VirusInfektionen aktivieren

< 0,1

< 0,1

Immunsuppression fördert HPV-Infektion (z. B. durch aktiven oder passiven Tabakkonsum)

5- 10

KaposiSarkomHerpes-Virus (KSHV), (HHSV-8)

Epithelzellen, Endothelzellen Lymphozyten

Kaposi-Sarkom, primäre EffusionsLymphome, LymphknotenHyperplasie

Immunsuppression fördert KSHV-Infekti~ 1,5 on und Tumorwachstum

Epstein BarrVirus (EBV), (HHV-4)

Epithelzellen der Nasenund Mundschleimhaut, B-Ly

Mononukleose Burkitt-Lymphom, Hodgkin-Lymphom (?) Nasopharynx-Karzinom B-LymphozytenLymphome

Immunsuppression fördert EBV-Infektion, ~1,0 EBV-Protein hat Homologie zu IL-10, MHC-I-Expression (↓)

1031 Sedlacek HH. Onkologie. Die Tumorerkrankungen des Menschen. de Gruyter 2013;310–319.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Viren

Hepatitis HepaB-Virus DNA-Viren (HBV)

infizierte Organe/ Zellen

Tumorerkrankung histologischer Typ

Leberzellen

Leberkarzinom

Human T-lymphotropes Virus 1 (HTLV-1)

dentritische Zellen, TH1Lymphozyten

T-LymphozytenLeukämie

Human T-lymphotropes Virus 2 (HTLV-2)

CD8(+) T-Lymphozyten

T-LymphozytenLeukämie

Beteiligung der Immunabwehr Wachstumsreize durch zerstörte Leberzellen und durch spezif. CTL

215

Häufigkeit (%)

~ 2–3,5

RNA-Viren

DeltaRetroViren

FlaviViren

HTLV bewirkt IL-2, IL-2-Rezeptor (↓), GM-CSF (↓), TH1-Ly (↑), TH2-Ly (↓), Antikörper (↓)

durch HCV-immunkomplexe Entzündungen, Gefäße, Nieren

Hepatitis C-Virus (HCV)

Leberzellen

Helicobacter pylori (HElBP)

dentritische Zellen (↓), T-Lymphozyten (↓), durch die Magenkarzinom, bakterielle γ-GlutaLymphome im schleimMagenmyl-transpeptidase hautassoziierten schleimhaut (GGT),1032 onkogen lympoiden Gewebe durch Zytotoxin (MALT) VacA, Onkoproteine CagA, Cag, und CaPAI1033,1034,1035

Leberkarzinom

~ 0.02

~ 0,01

0,02–0,18

Bakterien

gram (–) Keime

~ 50 chron. Infektionen des Magens, MagenkarzinomUrsache zu 60 %–70 % HEIBP1036

1032 Ricci V, Giannouli M, Romano M, Zarrilli R. Helicobacter pylori gamma-glutamyl transpeptidase and its pathogenic role. World J Gastroenterol. 2014;20(3):630–8. 1036 Fock KM. Review article: the epidemiology and prevention of gastric cancer. Aliment Pharmacol Ther. 2014;40(3):250–60. 1033 Amieva M, Peek RM Jr. Pathobiology of Helicobacter pylori-induced Gastric Cancer. Gastroenterology. 2015. pii: S0016-5085(15)01312-8. PMID: 26385073. 1034 Bessède E, Staedel C, Acuña Amador LA, Nguyen PH, Chambonnier L, Hatakeyama M, Belleannée G, Mégraud F, Varon C. Helicobacter pylori generates cells with cancer stem cell properties via epithelialmesenchymal transition-like changes. Oncogene. 2014;33(32):4123–31. 1035 Sgouras DN, Trang TT, Yamaoka Y. Pathogenesis of Helicobacter pylori Infection. Helicobacter. 2015;20 Suppl 1:8–16.

216

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.60: Virusbedingte Immunsuppressionen.1037 Viren

Einfluss auf die Immunabwehr (IA)

RötelnVirus

Fetus

ange- erworbene IA boreCTL ne IA AK

Isotypwechsel in B-Lymphozyten (↓)



Toleranz des Fetus gegen virale Proteine



antikörperabhängige Zytotoxizität/ADCMC und ADCC (↓) PockenVirus

Herpes SimplexVirus (HSV-1, HSV-2)

MasernVirus

humanes ImmundefiziensVirus (HIV)

CytomegalieVirus (CMV)

Epstein BarrVirus (EBV)



Antigenpräsentation/MHC-I (↓)



proinflammatorische Zytokine (IL-1, IL-18, TNFα, IFNγ)/ Chemokine (↓)



Komplementaktivierung (↓)



– –

Antigenpräsentation/MHC-II (↓)



TH2-Lymphozyten (↓)



zytotoxische T-Lymphozyten/CTL (↓)





proinflammatorische Zytokine (IL-6, IL-12, TNFalpha) + Chemokin/CCL5 (↓)





proinflammatorische Zytokine (IL-1, IL-6, IL-8, IFNα), Blockade





Vermehrung in B-Lymphozyten, T-Lymphozyten und Makrophagen







T-Lymphozyten Proliferation und Zytoroxizität (↓)





proinflammatorische Zytokine/IL-12 (↓)

+







TGFβ (↑), T-Lymphozyten Proliferation (↓)





Funktion von CD4/T-Ly durch lösliches HIV-Hüllprotein (↓)





Infektionsweg/Vermehrung/Zytolyse: Korezeptor CD4 und Chemokinrezeptoren (CCR5, CXCR4) auf T-Ly, dentritische Zellen, Monozyten/Makrophagen



Zytolyse von HIV-infizierten Lymphozyten/Leukozyten durch CTL (↑)

(–)





Infektion von dentritischen Zellen







TGFβ (↑), TH1, TH2, CTL (↓), Antikörper/Affinität/Titer (↓)







Infektion/Makrophagen/natürliche Killerzellen durch Phagozytose (↑)



virale inhibitorische Homologe von MHC-I Molekülen, Chemokinen und G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (↑)







Infektion von Endothelzellen (↑)



Infektion von B-Lymphozyten (T-Lymphozyten), latent in Gedächtnis-B-Lymphozyten, Blastenbildung (↑)

– –

(–)

MHC-I (↓)



TGFβ (↑), virale Homologe von IL-10 (↑), IFNγ (↓), TH1-Ly (↓)



Zytotoxizität natürlicher Killerzellen, Granulozyten und Makrophagen (↓) durch EBV-Immunkomplexe



1037 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;541–547.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr



217

die Ausschüttung großer Mengen von Noradrenalin und Cortisol bewirken, die ihrerseits das Immunsystem hemmen, die immunologische Tumorüberwachung beschädigen und damit letztlich das Tumorwachstum fördern.

Welche Rollen Psyche und Immunsystem bei Tumorerkrankungen spielen zeigen die Befunde an einem der häufigsten Tumoren, dem Mammakarzinom (siehe Tab. 3.61): ▪ allein schon eine Biopsie zur diagnostischen Abklärung eines Mammakarzinoms kann eine langanhaltende Immunsuppression bewirken, deren Dauer meist unabhängig ist vom Ergebnis der zwischenzeitlich erhobenen Diagnose, ▪ ein operativer Eingriff zur Entfernung eines Mammakarzinoms wirkt zusätzlich immunsuppressiv,1038 und ▪ durch eine postoperative Psychotherapie lässt sich sowohl die operativ bedingte Immunsuppression zeitlich begrenzen als auch die Lebensqualität verbessern. Anhaltspunkte liegen vor, dass eine kompetente Immunabwehr (siehe Tab. 3.62) ▪ die Schwere einer Tumorerkrankung vermindern hilft, indem sie zumindest die immunsuppressive Wirkung der durch Stress und Angst ausgeschütteten Hormone Noradrenalin und Cortisol begrenzt, ▪ beteiligt sein kann an einem Wachstumsstop des Tumors oder an Tumorregressionen, – die Möglichkeit eines dauerhaften Gleichgewichts zwischen Wachstumsförderung und Wachstumshemmung eines Tumors stellen Erfahrungen der klinischen Tumordiagnostik dar: • so hat die in den letzten 30 Jahren um den Faktor 15 angestiegene Diagnose „Ductales Carcinoma in Situ/DCIS“ 1039 und dessen chirurgische Entfernung nicht zu einer deutlichen Verminderung der Mortalitätsrate des Mammakarzinoms geführt,1040 woraus gefolgert werden kann, dass zahlreiche DCIS entweder zur Regression kommen oder sich nicht zu einem invasivem Mammakarzinom entwickeln, • etwa 42 % der 50-jährigen Männer entwickeln in ihrem weiteren Leben ein Prostatakarzinom, aber nur 9,5 % dieser Männer zeigen klinische Symptome dieser Tumorerkrankung und nur 2,9 % sterben an diesem Karzinom,1041 – spontane Tumorregressionen sind zwar relativ selten anzutreffen, aber absolut gesehen keine Einmalerscheinungen und wurden auch bei fortgeschrittenen, metastasierten Tumoren unterschiedlichen Typs beobachtet (siehe Tab. 3.62).

1038 Goldfarb Y, Ben-Eliyahu S. Surgery as a risk factor for breast cancer recurrence and metastasis: mediating mechanisms and clinical prophylactic approaches. Breast Dis. 2006–2007;26:99–114. 1039 Virnig BA, Tuttle TM, Shamliyan T, Kane RL. Ductal carcinoma in situ of the breast: a systematic review of incidence, treatment, and outcomes. J Natl Cancer Inst. 2010;102(3):170–8. 1040 Makretsov N. Now, later of never: multicenter randomized controlled trial call – is surgery necessary after atypical breast core biopsy results in mammographic screening settings? Int J Surg Oncol. 2015;2015:192579. PMID: 25977821. 1041 Mikuz G. Pathology of prostate cancer. Old problems and new facts. Adv Clin Path. 1997;1(1):21–34.

218

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Eine kompetente Immunabwehr kann aufrechterhalten werden durch eine willentliche positive Beeinflussung des eigenen psychisch-emotionalen Zustandes, da dieser über das limbische System, über die Hypothalamus-Hypophysen-Achse, über die NeurotrophinNeuropeptid-Achse und über das autonome/vegetative Nervensystem verbunden ist mit dem Immunsystem (siehe Kap. 3.4.2). Daher sollte ein kognitives, d. h. durch Einsicht gesteuertes Verhalten des Patienten helfen, ▪ die Angst vor einer Tumorerkrankung zu mindern und hierdurch alleine schon das Risiko von Verhaltenstörungen zu mindern, ▪ die emotionale Belastung einer Tumordiagnose besser zu verkraften und damit die durch den psychischen Stress bedingte Hemmung der Immunabwehr zu begrenzen, ▪ die tumortherapeutischen Maßnahmen bewusst und vertrauensvoll anzunehmen und damit – ihre Wirkung zu unterstützen, wie auch – Nebenwirkungen zu begrenzen, zu ertragen und nicht über psychische Reaktionswege zu verstärken; ▪ die Chance für eine Eindämmung der Tumorerkrankung bis hin zur Heilung zu verbessern und ▪ das Leben nach der Tumortherapie bewusster, hoffnungsvoller und angstfreier zu gestalten. Bei diesem Prozess der kognitiven Verhaltensänderung durch eine Verhaltenstherapie können Psychotherapeuten oder auch lebenserfahrene Seelsorger, Verwandte und Freunde hilfreich sein. Diese sind eindeutig und relativ leicht zu unterscheiden von solchen eindeutig abzulehnenden „Geistheilern“,1042 welche ▪ sich selbst als wundertätig bezeichnen oder bezeichnen lassen, ▪ ihr Heilverfahren mystifizieren, die Schulmedizin dagegen pauschal als Böse und deren Therapien als schädlich verurteilen, ▪ Kritik an der eigenen Tätigkeit nicht zulassen und die vollkommene Gefolgschaft als Voraussetzung für die Heilung fordern und ▪ den Patienten – mit Heilsversprechungen in ihre vollkommene Abhängigkeit bringen, – zu trennen versuchen von seiner ärztlichen und fachärztlichen Betreuung wie auch vom Umgang mit seiner/m Lebenspartner, der Familie, den Freunden, – langfristig verpflichten und von ihm hohe Gebühren oder „Spenden“, häufig sogar in Vorkasse abverlangen.

1042 Henß H, Ebach A, Huber R. Komplementäre Verfahren; Tumorzentrum Freiburg; https://www.uni klinikfreiburg . de / fileadmin / mediapool / 09_zentren / cccf / pdf / Broschüren / Komplementär _CCCF_April_ 2015-2.pdf.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

219

Tab. 3.61: Beispiele für die Rolle der Immunabwehr auf den Verlauf von Tumorerkrankungen. Tumore

Brustkrebs

Eingriff/ Stadium

Psychotherapie

Ergebnisse Immunabwehr (IA)

klinisch

Biopsie1043

zelluläre IA (↓) durch NK-Zellen (↓), IFNγ(↓), IL-4 (↑), IL-6 (↑), IL-10 (↑)

anhaltende Immunsuppression (> 5 Wochen) unabhängig von Tumor Diagnose

Resektion des Primärtumors1044

zelluläre und humorale IA (↓) durch MHC-II (↓), NK-Zellen (↓), TH2 -Ly (↓), TH1-Ly (↓)

Resektion des Primärtumors1045

Behandlungsgruppe: vorübergehend Cortisol (↑) und zelluläre IA (↓) durch: IFNγ (↓), NK-Zellen (↓), IL-4 (↑), IL-6 (↑), IL-10 (↑) Kontrollgruppe: dauerhaft Cortisol (↑), zelluläre IA (↓)

Behandlungsgruppe: Lebensqualität (↑), Bewältigung der Erkrankung (↑)

Patienten mit CTL (↑)1046

direkte Korrelation mit verlängertem Überleben

Cortisol: abnormales Tagesprofil, NK-Zell-Aktivität (↓)1047

direkte Korrelation mit verkürztem Überleben

nach Resektion des Primärtumors1048

Patienten mit MHC-I (↓)

5-Jahres-Überleben vermindert

metastasierend 1049 (Gehirn)

TIL/Tumor infiltrierende Lymphozyten (↑)

direkte Korrelation mit verlängertem Überleben

Stressreduktion

metastasierend

Lunge

1043 Witek-Janusek L, Gabram S, Mathews HL. Psychologic stress, reduced NK cell activity, and cytokine dysregulation in women experiencing diagnostic breast biopsy. Psychoneuroendocrinology. 2007;32(1):22– 35. 1044 Boomsma MF, Garssen B, Slot E, Berbee M, Berkhof J, Meezenbroek Ede J, Slieker W, Visser A, Meijer S, Beelen RH. Breast cancer surgery-induced immunomodulation. J Surg Oncol. 2010;102(6):640–8. 1045 Witek-Janusek L, Albuquerque K, Chroniak KR, Chroniak C, Durazo-Arvizu R, Mathews HL. Effect of mindfulness based stress reduction on immune function, quality of life and coping in women newly diagnosed with early stage breast cancer. Brain Behav Immun. 2008;22(6):969–81. 1046 Blake-Mortimer JS, Sephton SE, Carlson RW, Stites D, Spiegel D. Cytotoxic T lymphocyte count and survival time in women with metastatic breast cancer. Breast J. 2004;10(3):195–9. 1047 Sephton SE, Sapolsky RM, Kraemer HC, Spiegel D. Diurnal cortisol rhythm as a predictor of breast cancer survival. J Natl Cancer Inst. 2000;92(12):994–1000. 1048 Hanagiri T, Shigematsu Y, Shinohara S, Takenaka M, Oka S, Chikaishi Y, Nagata Y, Baba T, Uramoto H, So T, Yamada S. Clinical significance of expression of cancer/testis antigen and down-regulation of HLA class-I in patients with stage I non-small cell lung cancer. Anticancer Res. 2013;33(5):2123–8. 1049 Bieńkowski M, Preusser M. Prognostic role of tumour-infiltrating inflammatory cells in brain tumours: literature review. Curr Opin Neurol. 2015. PMID: 26402405.

220

Tumore

Niere

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Eingriff/ Stadium

Psychotherapie

Ergebnisse Immunabwehr (IA)

klinisch

potentiell kurative Resektion des Primärtumors1050

Patienten, deren TIL ChemokineRezeptoren CXCR3 (↑) und/oder CCR5 (↑) und IFNγ (↑) exprimieren

direkte Korrelation mit Rezidiv-Freiheit

potentiell kurative Resektion des Primärtumors1051

drainierende Lymphknoten: Anteil von immunsuppressiven dendritischen Zellen (IDO/indoleamine2,3-dioxygenase (+)) und Treg (Foxp3(+))

direkte Korrelation mit histologischem Nachweis von Melanom-Metastasen im Lymphknoten

potentiell kurative Resektion des Primärtumors1052

direkte Korrelation mit drainierende Lymphknoten: Expresmelanomnegativen sion des T-Zell-Rezeptors/TCR Lymphnoten

Melanom

Tab. 3.62: Beispiele spontan aufgetretener Tumorregressionen (Fallstudien). Tumor

Stadium

Therapie

Regression

Immunreaktion gegen Tumor

Stadium II

Keine (nur Biopsie)

CR nach Sepsis

ggf. durch angeborene Immunabwehr

Stadium IIIA

keine (nur Biopsie)

CR > 1Jahr

wahrscheinlich

Kopf und Hals Kehlkopf-Tumor, Plattenepithelkarzinom1053 Lunge großzellig/Non Small Cell Lung Carcinoma/ NSCLC1054

metastasierend (mediastinaler Ln)

1050 Kondo T, Nakazawa H, Ito F, Hashimoto Y, Osaka Y, Futatsuyama K, Toma H, Tanabe K. Favorable prognosis of renal cell carcinoma with increased expression of chemokines associated with a Th1-type immune response. Cancer Sci. 2006;97(8):780–6. 1051 Lee JH, Chen Y, Chan JL, Qian YW, Goydos JS. Molecular analysis of melanoma-induced sentinel lymph node immune dysfunction. Cancer Immunol Immunother. 2011;60(5):685–92. 1052 Negin B, Panka D, Wang W, Siddiqui M, Tawa N, Mullen J, Tahan S, Mandato L, Polivy A, Mier J, Atkins M. Effect of melanoma on immune function in the regional lymph node basin. Clin Cancer Res. 2008;14(3):654–9. 1053 Sipaul F, Ling B, Mason C, Keast A. Spontaneous regression of laryngeal squamous cell carcinoma. J Laryngol Otol. 2015;10:1–3. PMID: 26443436. 1054 Lopez-Pastorini A, Plönes T, Brockmann M, Ludwig C, Beckers F, Stoelben E. Spontaneous regression of non-small cell lung cancer after biopsy of a mediastinal lymph node metastasis: a case report. J Med Case Rep. 2015;9:217. PMID: 26377170.

3.4 Die Beeinflussung der Immunabwehr

Tumor

Stadium

Therapie

Regression

großzellig/Non Small Cell Lung Carcinoma/ NSCLC1055

metastasierend (mediastinaler Ln)

keine (nur Biopsie)

CR: Metastasen nicht PR: Primäruntersucht tumor

kleinzellig/Small Cell Lung Carcinoma1056

metastasierend (mediastinaler Ln), Recoverin (+)

Stadium III

keine

PR: Primärtumor und Metastase

metastasierend (axilläre Ln)

Stadium III

keine

CR: Metastasen CD3(+)-T-Ly/ PR: PrimärCTL (↑) tumor

Stadium II

keine (nur Biopsie)

PR: Primärtumor

Metastasen (Lunge, Nebenniere)

Stadium IV

Chemotherapie (Resistenz)

CR: 5 Jahre

nicht untersucht

Metastasen (Lunge)

Stadium IV

keine (nur Biopsie)

CR: Metastasen

nicht untersucht

Stadium II

keine (nur Biopsie)

CR

nicht untersucht

Stadium IIIB

221

Immunreaktion gegen Tumor

CTL und Antikörper spezifisch für Recoverin

Mammakarzinom ductales Karzinom,1057 Östrogen Rezeptor (+) AE1/AE3 (+) Leber bilobuläres Leberkarzinom1058 Leberkarzinom (rezidiv) nach Resektion des Primärtumors1059 Niere renales Karzinom1060 renales Karzinom1061

1055 Gladwish A, Clarke K, Bezjak A. Spontaneous regression in advanced non-small cell lung cancer. BMJ Case Rep. 2010;2010. pii: bcr0720103147. PMID: 22802473. 1056 Kitai H, Sakakibara-Konishi J, Oizumi S, Hirohashi Y, Saito W, Kanda A, Sato N, Nishimura M. Spontaneous regression of small cell lung cancer combined with cancer associated retinopathy. Lung Cancer. 2015;87(1):73–6. 1057 Tokunaga E, Okano S, Nakashima Y, Yamashita N, Tanaka K, Akiyoshi S, Taketani K, Shirouzu M, Yamamoto H, Morita M, Maehara Y. Spontaneous regression of breast cancer with axillary lymph node metastasis: a case report and review of literature. Int J Clin Exp Pathol. 2014;7(7):4371–80. 1058 Bhardwaj N, Li M, Price T, Maddern GJ. Spontaneous regression of a biopsy confirmed hepatocellular carcinoma. BMJ Case Rep. 2014;2014. pii: bcr2014204897. PMID: 25053671. 1059 Lim DH, Park KW, Lee SI. Spontaneous complete regression of multiple metastases of hepatocellular carcinoma: A case report. Oncol Lett. 2014;7(4):1225–1228. 1060 Chan BP, Booth CM, Manduch M, Touma NJ. Spontaneous regression of metastatic pulmonary renal cell carcinoma in the setting of sarcomatoid differentiation of the primary tumour. Can Urol Assoc J. 2013;7(9–10):E587–9. 1061 Jawanda GG, Drachenberg D. Spontaneous regression of biopsy proven primary renal cell carcinoma: A case study. Can Urol Assoc J. 2012;6(5):E203–5.

222

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tumor

Stadium

Therapie

Regression

Immunreaktion gegen Tumor

Stadium III

keine (nur Biopsie)

CR > 1 Jahr

nicht untersucht

Merkel ZellKarzinom1063

Stadium II

keine (nur Biopsie)

CR nach 8 Wochen

T-Lymphozyten und B-Lymphozyten Infiltrate

Plattenepithelkar- Metastasen zinom, Mundhöhle (cervicale Ln)

Stadium III

Resektion Primärtumor

gemischzelliges malignes Melanom1064 (Konjunktiva)

Stadium II

keine

CR > 6 Jahre

nicht untersucht

Stadium II/IV

keine (nur Biopsie)

CR > 3 Jahre

nicht untersucht

Binde- und Stützgewebe myxoides Chondrosarkom1062

Metastasierend Lunge bds.; inguinaler Ln

Haut

malignes Melanom1065

Metastasen (Lunge)

Treg (↓), NK-Zellen (↑)

CR: komplette Remission; PR: partielle Remission (> 50 % des initialen Tumorvolumens)

3.5 Die Wahl der Ernährung 3.5.1 Eine gesunde Vielfalt der Nahrungsmittel Eine „gesunde“ Ernährung ist die Grundlage jeglichen Wohlbefindens. Das Wohlgefühl beginnt mit dem Essgenuss, der wiederum abhängig ist von den physiologischen Fähigkeiten (dem Sehen, Riechen und Schmecken) und von ernährungsphysiologischen, technischen wie auch emotionalen und kulturellen Faktoren. So umfasst unsere Esskultur ▪ die kulturelle Prägung unseres Geschmacks und unserer Essensvorlieben, einschließlich der gesellschaftlichen und/oder religiösen Tabus für mögliche Quellen von Nahrungsmitteln wie z. B. Art der Nahrungspflanzen, Art der Nutz- und Schlachttiere (wie

1062 Kinoshita T, Kamiyama I, Hayashi Y, Asakura K, Ohtsuka T, Kohno M, Emoto K, Nakayama R, Morioka H, Asamura H. Spontaneous Regression of Metastatic Extraskeletal Myxoid Chondrosarcoma. Ann Thorac Surg. 2015;100(4):1465–7. 1063 Pang C, Sharma D, Sankar T. Spontaneous regression of Merkel cell carcinoma: A case report and review of the literature. Int J Surg Case Rep. 2015;7C:104–8. 1064 Miller CV, Cook IS, Jayaramachandran R, Tyers AG. Spontaneous regression of a conjunctival malignant melanoma. Orbit. 2014;33(2):139–41. 1065 Wang TS, Lowe L, Smith JW 2nd, Francis IR, Sondak VK, Dworzanian L, Finkelstein S, Slingluff CL Jr, Johnson TM. Complete spontaneous regression of pulmonary metastatic melanoma. Dermatol Surg. 1998;24(8):915–9.

3.5 Die Wahl der Ernährung

▪ ▪



223

Schweine, Rinder, Pferde, Fische, Hunde), Art der tierischen und pflanzlichen „Delikatessen“, die Kunstfertigkeit, Speisen und Getränke schmackhaft zubereiten zu können, die Einbindung des Speisevorgangs in soziale und dekorative Rituale, beginnend mit dem primitiven „von der Hand in den Mund “ bis hin zum gemeinsamen Genießen eines Festessens mit Essbesteck an einer gedeckten Tafel, die freie Auswahl der Nahrungsmittel und das Maßhaltenkönnen beim Essen und Trinken.

Kinder sollten daher so früh wie möglich an den Essgenuss herangeführt werden. Empfohlen wird,1066 die Kinder mit altersgerechten Portionen an den Mahlzeiten der Familie teilhaben zu lassen, damit sie lernen ▪ durch die strikte Einhaltung des Rhythmus von Mahlzeiten und essensfreien Zeiten Hunger- und Sättigungsgefühle entwickeln, ▪ Hunger- und Sättigungssignale sozialverträglich zu äußern wie auch deren Beachtung einzufordern, ▪ eine Selbstregulationsfähigkeit zu entwickeln, indem sie über das was und wieviel an einer Mahlzeit selbst entscheiden, wobei den Eltern zu raten ist, bei Verweigerung des Essens den Kindern keine Extraspeisen als Ersatz anzubieten. Zum Wohlgefühl gehört auch das Wissen um die Werthaltigkeit von Speisen und Getränken und um die Wirkung der Nahrungsmittel auf unsere Gesundheit. Denn mit unserem Essverhalten können wir unsere Gesundheit erhalten, stützen oder auch schädigen, weil wir die Wahl haben zwischen ▪ einer vielseitigen, dem individuellen Bedarf angepassten Ernährungsweise, ▪ einer einseitigen Ernährung, welche bestimmte Nahrungsmittel ausschließt und/oder ▪ einer Überernährung oder Mangelernährung. Biologisch gesehen hat sich der Mensch im Laufe seiner (phylogenetischen) Entwicklung zu einem „Allesesser“ (Omnivor) entwickelt. Sein Verdauungssystem ist nunmehr derart gestaltet, dass er zum Aufbau seines Körpers wie auch für seine Lebensfunktionen sowohl pflanzliche wie auch tierische Nahrung benötigt. In Bezug auf Fleisch als Nahrungsmittel stellt sich damit für den Menschen nicht die ethische Frage des „ob“, sondern des „wie“. Denn mit Nutzung der lebenden Natur für sein Überleben, gleich ob Pflanze oder Tier, übernimmt der Mensch auch die Verantwortung für diese Natur, für deren Artenvielfalt, für eine artgerechte Tierhaltung, für ein tierschutzgerechtes Töten und für eine würdige, bestmögliche Verwertung der pflanzlichen und tierischen Produkte. Angesichts des häufig auftretenden ethischen Fehlverhaltens in der Produktion, Nutzung, Verwertung und Vernichtung von Nahrungsmitteln haben sich jedoch Weltanschau-

1066 Koletzko B, Cremer M, Flothkötter M. Ernährung und Bewegung im Kleinkindalter. Grundstein für das spätere Wohl. Deutsches Ärzteblatt, 2015;112(41):1386–1387.

224

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

ungen entwickelt, welche fordern, bei der menschlichen Ernährung auf tierische Produkte entweder weitgehend (Vegetarier) oder gänzlich (Veganer) zu verzichten. ▪ Diese Forderung wird begründet mit dem Lebensrecht aller Lebewesen, welchem im Besonderen die Nutzungshaltung von Tieren und deren Tötung für die Ernährung des Menschen entgegen stehen würde.1067 ▪ Folgerichtig gedacht wäre damit aber auch die Vernichtung von Pflanzen für den Nutzen und die Ernährung des Menschen unethisch. Denn auch Pflanzen sind Lebewesen, besitzen ihren individuellen Lebenszyklus, ihre arttypischen Sensibilitäten, ihre Wundreaktionen, ihre Sexualität. Es ist offensichtlich, dass eine fundamentalistische Forderung nach einem uneingeschränkten, gleichwertigem Lebensrecht aller Lebewesen das menschliche Leben in seiner Gesamtheit in Frage stellt. Sieht man von verdorbenen, im Besonderen von dem häufigen Problem hoch keimbelasteter Speisen ab1067a, so sind Fehlernährungen die häufigsten Ursachen von menschlichen Erkrankungen. So zeigt der Bericht des DGAC/Dietary-Guidelines-Advisory-Committee für 2015, ▪ dass mehr als 66 % der Erwachsenen und etwa 33 % der Kinder und Jugendlichen übergewichtig oder fettsüchtig sind, ▪ dass ein bedeutsamer Teil der Bevölkerung sich fehlerhaft ernährt in Folge – einer aufgeschwatzten Mangel-Diät in der Hoffnung, hierdurch gesund zu bleiben oder gesund zu werden, – einer Mangelernährung auf Grund einer Weltanschauung, wie z. B. bei Vegetariern oder Veganern, – einer Hypochondrie, wie z. B. bei Blähungen sofort eine Lebensmittelunverträglichkeit zu vermuten. Denn die häufig angenommene • Glutenunverträglichkeit ist nur bei ca 0,2 % der Bevölkerung zu finden,1068 und • genetische Lactoseunverträglichkeit ist extrem selten (nur ca. 40 Fälle sind bislang beschrieben),1069 die erworbene liegt dagegen bei ca. 15 % der Bevölkerung Deutschlands und kann nach Milchentwöhnung bei erneutem Milchgenuss auftreten, jedoch kaum bei Milchprodukten, welche durch Milchsäurebakterien (die Laktose spaltende) Laktase enthalten;1070 1067 https: / / de . wikipedia . org / wiki / Leichenschmaus _ %E2 %80 %93 _ Ethische _ Gründe _ für _ eine _ vegetarische_Ernährung. 1067a Kirk MD, Pires SM, Black RE, Caipo M, Crump JA, Devleesschauwer B, Döpfer D, Fazil A, FischerWalker CL, Hald T, Hall AJ, Keddy KH, Lake RJ, Lanata CF, Torgerson PR, Havelaar AH, Angulo FJ., World Health Organization Estimates of the Global and Regional Disease Burden of 22 Foodborne Bacterial, Protozoal, and Viral Diseases, 2010: A Data Synthesis. PloS Med. 2015;12(12):e1001921. PMID: 26633831. 1068 Biesiekierski JR, Iven J. Non-coeliac gluten sensitivity: piecing the puzzle together (2015). United European Gastroenterol J. 3:160–165. 1069 Raithel M, Weidenhiller M, Hagel AFK, Hetterich U, Neurath MF, Konturek PC. Kohlenhydratmalassimilation häufig vorkommender Mono- und Disaccharide. Deutsches Ärzteblatt, 2013;110(46):775–782. 1070 Silanikove N, Leitner G, Merin U. The Interrelationships between Lactose Intolerance and the Modern Dairy Industry: Global Perspectives in Evolutional and Historical Backgrounds. Nutrients. 2015;7(9):7312–31.

3.5 Die Wahl der Ernährung

– –

225

einer Hilflosigkeit, besonders im Alter, sich eigenständig und ausgewogen zu ernähren, aus Mangel an Nahrung durch Armut, Verwahrlosung oder in Folge von DrogenSucht.

Um dem Problem der mangelhaften oder falschen Information in Bezug auf Ernährung zu begegnen, wurden auf der Grundlage von Metaanalysen der verfügbaren klinischen Studien Regeln und Zielvorgaben in Deutschland (DGE), Europa (WHO/CINDI) und USA (DGAC) für eine ausgewogene und gesunde Ernährung erarbeitet (siehe Tab. 3.63). Diese Regeln beinhalten im Wesentlichen eine ausgewogene Ernährung ▪ mit pflanzlichen und tierischen Produkten, wobei die pflanzlichen Produkte deutlich überwiegen, Milchprodukte mäßig, Fleischprodukte sparsam und Fischprodukte regelmäßig enthalten sein sollten, wodurch dem Körper in ausreichender Menge zugeführt werden können – Makronährstoffen (Kohlenhydrate, Fette einschließlich der Omega-3-Fettsäuren, Eiweiß und Ballaststoffe) und – alle notwendigen Salze und Spurenelemente wie Kalzium, Magnesium, Kalium, Natrium, Zink, Eisen, Selen, Chrom, Kupfer, Mangan, Molybdän und – alle Vitamine (A, B1, B2, B3, B5, B6, B9, B12, D, E) – wobei jedoch auch sich ausgewogen und omnivor Ernährende Mangelzustände aufweisen können,1071 z. B. wenn die Technik der Nahrungszubereitung die Mikronährstoffe zerstört oder wenn die gastrointestinale Aufnahme der Mikronährstoffe behindert ist; ▪ bei welcher die aufgenommene Energie auf den Bedarf abgestimmt sein sollte. Hilfreich und gesundheitsförderlich ist hierbei – fettarmen Lebensmitteln den Vorzug vor fettreichen Lebensmitteln zu geben, – die Aufnahme von technisch isolierten Nährstoffen wie raffinierte Zucker und isolierte Fette auf ein Minimum zu beschränken, ▪ bei welcher Nahrungsmittelergänzungen im Regelfall nicht notwendig sind. Für Säuglinge gilt als beste Nahrung Muttermilch. Die Stilldauer sollten Mutter und Kind bestimmen. ▪ Säuglinge, die ≥ 4 Monate bis zu 6 Monate1072 ausschließlich gestillt werden, entwickeln ihre kognitiven Fähigkeiten deutlich besser als nichtgestillte Kinder1073,1074,1075 1071 Fayet-Moore F, Petocz P, Samman S Micronutrient Status in Female University Students: Iron, Zinc, Copper, Selenium, Vitamin B12 and Folate Nutrients 2014;6(11):5103–5116. 1072 Kramer MS, Kakuma R. Optimal duration of exclusive breastfeeding. Cochrane Database Syst Rev. 2012;8:CD003517. PMID: 22895934. 1073 Kramer MS, Aboud F, Mironova E, Vanilovich I, Platt RW, Matush L, Igumnov S, Fombonne E, Bogdanovich N, Ducruet T, Collet JP, Chalmers B, Hodnett E, Davidovsky S, Skugarevsky O, Trofimovich O, Kozlova L, Shapiro S. Promotion of Breastfeeding Intervention Trial (PROBIT) Study Group. Breastfeeding and child cognitive development: new evidence from a large randomized trial. Arch Gen Psychiatry. 2008;65(5):578–84. 1074 Deoni SC, Dean DC 3rd, Piryatinsky I, O’Muircheartaigh J, Waskiewicz N, Lehman K, Han M, Dirks H. Breastfeeding and early white matter development: A cross-sectional study. Neuroimage. 2013;82:77–86. 1075 Herba CM, Roza S, Govaert P, Hofman A, Jaddoe V, Verhulst FC, Tiemeier H. Breastfeeding and early brain development: the Generation R study. Matern Child Nutr. 2013;9(3):332–49.

226

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.63: Regeln bzw. Zielvorgaben für eine ausgewogene, gesunde Ernährung. Deutsche Gesellschaft für Ernährung/ DGE1076,1077

WHO/CINDI1) dietary guide Europe 20151078

USA-DGAC2) Empfehlungen 20151079,1080

vollwertiges, bedarfsgerechtes Essen und Trinken vielfältige Kombination nährstoffreicher und energiearmer Lebensmittel angemessene Gesamtmenge in Bezug auf den individuellen Bedarf

6500–14000 kJ/Tag (je nach körperlicher Aktivität)

körperliche Bewegung 30–60 min/Tag

Eigenkontrolle der Quantität und Qualität



Schnellimbisse, Fertiggerichte



Bewegung



Vollkornprodukte



überwiegend pflanzliche Lebensmittel ~ 30 % der Nahrung: Brot, Getreideflocken, Nudeln, Reis, am besten aus Vollkorn, sowie Kartoffeln fettarme Zutaten

≥ 50 % der Tagesration Energiegehalt der Stärke: 16 kJ/g

raffinierte Mehle Ballststoff/ Fasern

mindestens 30 g Ballaststoffe/Tag

↓ ↑

Gemüse und/oder Obst und/oder Nüsse ~ 26 % der Nahrung: Gemüse ~ 17 % der Nahrung: Obst möglichst frisch oder nur kurz gegart, nur gelegentlich als Saft

ø ≥ 400 g/Tag Kinder ≥ 200 g/Tag Erwachsene ≥ 600 g/Tag

zu jeder Hauptmahlzeit und als Zwischenmahlzeit, ~ 5 x/Tag

Obst, Gemüse, Nüsse

Vitamine -A, -D, -E ,-C, -B9





tierische Lebensmittel ~ 18 % der Nahrung: Milch/Milchprodukte/täglich ~ 7 % der Nahrung: Fisch/Fleisch/Geflügel/Eier Fisch 1 x–2 x/Woche Fleisch und Wurstwaren 300–600 g/Woche Geflügelfleisch > rotes Fleisch (Rind, Schwein, Schaf), Eier gelegentlich

Protein/kg Körpergewicht/ Tag: Säuglinge 2,7–1,0 g, Jugendliche 1,0–0,8 g, Erwachsene 0,8 g, Fisch + Geflügel > rotes Fleisch, Kefir, Yoghurt, Magermilch (↑), Fett + Salz in Käse (↓)

Milchprodukte

Fisch Fleisch/Würste



↑ ↓

1076 https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln-der-dge/. 1077 https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/ina/vortraege/2013/2013-nachhaltige-LebensstileIII_ Oberritter.pdf. 1078 http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0010/119926/E70041.pdf. 1079 http://health.gov/dietaryguidelines/2015-scientific-report/PDFs/Scientific-Report-of-the-2015-DietaryGuidelines-Advisory-Committee.pdf. 1080 http://health.gov/dietaryguidelines/2015-scientific-report/02-executive-summary.asp.

227

3.5 Die Wahl der Ernährung

Deutsche Gesellschaft für Ernährung/ DGE1076,1077

WHO/CINDI1) dietary guide Europe 20151078

USA-DGAC2) Empfehlungen 20151079,1080

fettarme Lebensmittel 2 % der Nahrung: Öle + Fette, 60–80 g Fett/Tag pflanzliche Öle und Fette (Raps, Soja, Oliven, Sonnenblumen, Cocus) > tierische Fette

gesättigte Fette ≤ 30 % des Energiebedarfs/ Tag, pflanzliche Öle > tierische Fette



ungesättigte Fette



Vollkornprodukte, Gemüse, Obst



Ballaststoffe ≥ 30 g Ballaststoffe/Tag in Vollkornprodukten, Gemüse, Obst, Stärke (statt raffiniertem Zucker)

Vollkornprodukte, Gemüse, Obst

Süßen, Salzen und Würzen Kochsalz

Kochsalz angereichert mit Jod und Fluorid, so wenig Kochsalz wie möglich

gesamt Kochsalz ≤ 6g/Tag

raffinierter Zucker (in Speisen und Getränken) nur gelegentlich

Zucker (↓)

Kräuter und Gewürze > Salz und Zucker

Ca++, Mg++, K+

↓ ↑

raffinierter Zucker Eisen/Fe-Ionen

↓ ↑

Trinken ~ 2,6 Liter Flüssigkeit in fester und flüssiger 1,5 Liter Flüssigkeit Nahrung und/oder als Trinkwasser/Tag als Trinkwasser zuckergesüßte Getränke falls überhaupt, dann nur gelegentlich

zuckergesüßte Getränke (↓)

raffinierte Zucker

alkoholische Getränke nur gelegentlich und in kleinen Mengen

Alkoholkonsum ≤ 20g/Tag Alkohol Energiegehalt Alkohol: 29 kJ/g

Muttermilch für den Säugling

Stillen ≥ 4 Monate Zufütterung > 4 Monate







Schonende Zubereitung kurzes Garen bei möglichst niedrigen Temperaturen mit wenig Wasser und wenig Fett

Kochen, Dampfgaren, Backen (↑)

Esskultur Essen mit der notwendigen Zeit und in Ruhe Maßhalten beim Essen 1)

Essen in Familie Ziel: BMI3) von 20–25

Schnellimbiss

CINDI: countrywide integrated noncommunicable disease intervention (CINDI) programme WHO DGAC: Dietary guidelines advisory committee USA 3) BMI/body mass index: Gewicht/Größe2 (kg/m2) 2)

↑ ↓

228





3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

und haben ein deutlich geringeres Risiko, später an Fettsucht 1081 und/oder Artheriosklerose1082 zu erkranken; Säuglingsanfangsnahrungen sollten industriell hergestellt sein (geringeres Risiko eines unausgewogenen Nährstoffgehaltes und einer Magen-Darm-Infektion) und nach Bedarf gefüttert werden; Rohmilch von Kühen, anderen Tierarten oder Ersatzmilch (Mandeln, Sojaeiweiß) gilt als weniger oder ungeeignet,1083 Säuglinge Allergie-belaster Eltern, die nicht gestillt werden können, sollten hypoallergische Säuglingsnahrung bis ≥ 5 Monate erhalten. Säuglingsnahrungen auf der Basis von Sojaeiweiß, Ziegen-, Stuten- oder einer anderen Tiermilch gelten zur Allergievorbeugung als ungeeignet.1084

Kleinkinder sollten ab ≥ 5 Monaten Beikost erhalten. ▪ Diese soll aus pflanzlichen und tierischen (Fleisch, Fisch, Kuhmilch) Produkten bestehen1085 ▪ Trinkmilch (Kuhmilch) sollte ab ≥ 12 Monaten und bis zum ≥ 2. Lebensjahr1086 verabreicht werden Für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollte die Ernährung aus pflanzlichen wie auch tierischen Nahrungsmittel bestehen (siehe Tab. 3.63). ▪ Wenn tierische Nahrungsmittel teilweise oder gänzlich und dauerhaft ausgeschlossen werden, kann dieses ein beträchtliches Risiko von Mangelerscheinungen bis hin zu schwerwiegenden Erkrankungen zur Folge haben (siehe Tab. 3.64 und 3.65). ▪ Messungen der Vitamin B12-Konzentrationen im Blut im Vergleich zu Omnivoren1087,1088 ergaben – bei Vegetariern gleich welcher geografischen Herkunft oder Ernährungsform ein Defizit von 17 %–60 % bei Schwangeren, zwischen 0–85 % bei Kindern und Jugendlichen und zwischen 0–90 % bei Älteren, – bei Veganern ein Defizit, welches noch deutlich höher lag als bei Vegetariern.

1081 Zhu Y, Hernandez LM, Dong Y, Himes JH, Hirschfeld S, Forman MR. Longer breastfeeding duration reduces the positive relationships among gestational weight gain, birth weight and childhood anthropometrics. J Epidemiol Community Health. 2015. pii: jech-2014-204794. 1082 Linhares Rda S, Gigante DP, de Barros FC, Horta BL. Carotid intima-media thickness at age 30, birth weight, accelerated growth during infancy and breastfeeding: a birth cohort study in Southern Brazil. PLoS One. 2015;10(1):e0115166. 1083 Koletzko B. Konsens über Säuglingsernährung. Deutsches Ärzteblatt 2011;108(1–2):29–30. 1084 Koletzko B. Siehe 1083. 1085 Koletzko B. Siehe 1083. 1086 Anderson A, Burggren A. Cognitive and neurodevelopmental benefits of extended formula-feeding in infants: re: Deoni et al. 2013. Neuroimage. 2014;100:706–9. 1087 Pawlak R, Parrott SJ, Raj S, Cullum-Dugan D, Lucus D. How prevalent is vitamin B(12) deficiency among vegetarians? Nutr Rev. 2013;71(2):110–7. 1088 Pawlak R, Lester SE, Babatunde T. The prevalence of cobalamin deficiency among vegetarians assessed by serum vitamin B12: a review of literature. Eur J Clin Nutr. 2014;68(5):541–8.

3.5 Die Wahl der Ernährung

229

Tab. 3.64: Wirkung von Diäten, durch welche der Konsum von Makro-Nährstoffen eingeschränkt werden soll. MakroNährstoffe

enthalten in Nahrungsmitteln pflanzlich

tierisch

Diäten Typ

Wirkung

Kohlenhydrate1089 Stärke

Getreide, Kartoffel, Bohnen kohlenhydrateminimierende Diäten „Low-Carb“-Diäten

Obst Zucker

raffinierter Zucker (Zuckerrohr, -rüben)

hat alleine für sich kaum einen Einfluss auf Adipositas, Diabetes Typ 2, Dyslipoproteinämie, Hypertonie, metabolisches Syndrom, koronareHerzkrankheiten oder Krebs

Fette1090,1091,1092,1093

gesamt

gesättigt

pflanzliche Fette/Öle

tierische Fette/Öle

Kokosfett

tierische Fette (Rind, Schwein)

Fett/Öl-minimierende Diäten „Low-Fat“ Diäten

Risiko Adipositas (↓) Gesamt- und LDL-Cholesterol (↓)

Ersatz von Fetten und kein Einfluss auf das Risiko von Öle durch Kohlenhydkoronaren Herzkrankheiten rate oder Proteine bedarfbilanzierter Konsum tierischer Fette

hat alleine für sich keinen Einfluss auf Adipositas, Diabetes Typ 2, koronare Herzkrankheiten, Krebs

tierische Fette „ad libidum“

Risiko (↑) für koronare Herzkrankheiten + Gesamt- und LDL-Cholesterol (↑)

1089 https://www.dge.de/fileadmin/public/doc/ws/ll-kh/10-Zusammenfassung-der-Ergebnisse-DGELeitlinie-KH.pdf. 1090 Howard BV, Van Horn L, Hsia J, Manson JE, Stefanick ML, Wassertheil-Smoller S, Kuller LH, LaCroix AZ, Langer RD, Lasser NL, Lewis CE, Limacher MC, Margolis KL, Mysiw WJ, Ockene JK, Parker LM, Perri MG, Phillips L, Prentice RL, Robbins J, Rossouw JE, Sarto GE, Schatz IJ, Snetselaar LG, Stevens VJ, Tinker LF, Trevisan M, Vitolins MZ, Anderson GL, Assaf AR, Bassford T, Beresford SA, Black HR, Brunner RL, Brzyski RG, Caan B, Chlebowski RT, Gass M, Granek I, Greenland P, Hays J, Heber D, Heiss G, Hendrix SL, Hubbell FA, Johnson KC, Kotchen JM. Low-fat dietary pattern and risk of cardiovascular disease: the Women’s Health Initiative Randomized Controlled Dietary Modification Trial. JAMA. 2006;295(6):655–66. 1091 https://www.dge.de/fileadmin/public/doc/ws/ll-fett/v2/12-Zusammenfassung-DGE-Leitlinie-Fett2015.pdf. 1092 Hooper L, Abdelhamid A, Bunn D, Brown T, Summerbell CD, Skeaff CM. Effects of total fat intake on body weight. Cochrane Database Syst Rev. 2015;8:CD011834. PMID: 26250104. 1093 Hooper L, Martin N, Abdelhamid A, Davey Smith G. Reduction in saturated fat intake for cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Rev. 2015; 6:CD011737. PMID: 26068959.

230

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

MakroNährstoffe

enthalten in Nahrungsmitteln pflanzlich

ungesättigt pflanzliche Öle (n3, n6)

Transfette

tierisch

Fischöle

Diäten Typ

Wirkung

Risiko koronarer Herzkrankheiten (↓), Ersatz tierischer Fette kein Einfluss auf Hypertonie, durch pflanzliche Öle Diabetes Typ II, Schlaganfall, Krebs

Isomerisierung der „cis“ Konfiguration in „trans“ bei Härtung von (Pflanzen-) Ölen

Risiko koronarer Herzkrankheiten (↑), Blut: LDL-Cholesterol (↑)

Sterine Cholesterol/ Cholesterin

beeinflussen nicht das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen, Schlaganfall oder Diabetes Typ II1094,1095

Eier

Proteine1096 essentielle Aminosäuren (AS)

Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan, Valin

semiessenArginin und Histidin tielle AS essentielle + semiessentielle AS

Milch + M.produkte Hülsenfrüchte, Eier, Getreideprodukte Fleisch, Fisch, Geflügel

Protein-Diät Kohlenhydrate und Fette auf ein Minimum gesenkt Reduktion von Blattgemüse/ Fleisch-Diät (rotes Fleisch >> 600 g/ Woche)

Ballaststoffe (↓), Verstopfung (↑), Vitamine A, B9, C, E, D (↓), Purine (↑), Cholesterin (↑), gesättigte Fettsäuren (↑), Risiko (↑) für Kolonkarzinom1097, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes Typ II falls Blattgemüse (↓) zusätzliche Risiken (↑): Vitamin B9/Folsäure (↓), (siehe Tab. 3.65)

Ballaststoffe und Fasern

Vollkornprodukte, Gemüse, Obst

Eier, „Ovo-LactoMilch + M.Vegetarier“ Produkte „Veganer“

Risiko (↑) von Mangelerkrankungen (Vitamin B2, B12, D, Kalzium, Eisen, Zink, Jod, siehe Tab. 3.65)

(↑) = erhöht; (↓) = vermindert

1094 Fuller NR, Sainsbury A, Caterson ID, Markovic TP. Egg Consumption and Human Cardio-Metabolic Health in People with and without Diabetes. Nutrients. 2015;7(9):7399–420. 1095 Rong Y, Chen L, Zhu T, Song Y, Yu M, Shan Z, Sands A, Hu FB, Liu L. Egg consumption and risk of coronary heart disease and stroke: dose-response meta-analysis of prospective cohort studies. BMJ. 2013;346:e8539. PMID: 23295181. 1096 http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/43411/1/WHO_TRS_935_eng.pdf. 1097 Alexander DD, Weed DL, Miller PE, Mohamed MA. Red Meat and Colorectal Cancer: A Quantitative Update on the State of the Epidemiologic ScienceJournal of the American College of Nutrition 2015;34(6):521–543.

3.5 Die Wahl der Ernährung

231

Tab. 3.65: Die Risiken vegetarischer Ernährungsformen. Ernährungsformen

Risiken und Gefahren

Vegetarier (V)

Mangel

Mögliche Beeinträchtigungen/Erkrankungen

erlaubt:

Kreatin

Arbeitsgedächtnis (↓), Hirnleistung (↓)1098,1099,1100

Getreide, Obst, Gemüse, Pilze, Kartoffel, Bakterienprodukte

Jod

Struma/Kropf (↑), Hypothyreodismus mit allen Symptomen (↑), mentale Beeinträchtigungen (↑)1101

Zink

embryonales Wachstum (↓), Frühgeburten (↑) + deren Organschwächen (↑), Dermatitis (↑),1102 Appetit (↓), Haarausfall (↑), Hodenatrophie (↑), Geschmack/Geruch/cerebrale Funktionen (↓), emotionale Störungen (↑), Immunfunktionen (↓), Durchfall (↑), Leberfunktionen (↓)1103,1104,1105,1106,1107

Eisen

Anämie (↑), körperliche und geistige/kognitive Leistungsfähigkeit (↓), Gefühlsstabilität (↓), Resorption von Schwermetallen (↑),1108,1109,1110,1111 Geburtsgewicht (↓)1112

Selen

(evtl. bei Vg) kognitive Funktion (↓), Spermaqualität (↓), Leberfunktion (↓), Schilddrüsenfunktion (↓), Wachstum/Knochenbildung (↓), Myopathie (↑), Immunabwehr (↓), Krebsrisiko, i.e. Prostata-Ca, Mamma-Ca (↑), 1113,1114,1115,1116,1117,1118,1119,1120,1121 Fehlgeburten (↑)1122

Chrom

(evtl. bei Vg) Konzentrations-Lernfähigkeit (↓), Verwirrtheit (↑), Depressionen (↑), Muskelkraft (↓), Körpergewicht (↓), Juckreiz (↑), Insulinwirkung (↓)1123,1124,1125,1126

Ovo-V

Eier

Lakto-V

Milch/ Milchprodukte

verboten: Fleisch, Fisch, Krustentiere, Geflügel, tierische Fette, Gelatine Frutarier (F) erlaubt: Früchte, Samen (Obst, Getreide, Nüsse) Ovo-F

Eier

Lakto-F

Milch/ Milchprodukte



verboten: Pflanzenteile (Rüben, Wurzeln, Stengel, Blätter) Fleisch, Fisch, Krustentiere, Geflügel, tierische Fette, Gelatine Veganer (Vg) erlaubt: Getreide, Obst, Gemüse, Pilze, Nüsse, Kartoffel, Bakterienprodukte verboten: tierische Nahrungsmittel wie Fleisch, Fisch, Krustentiere, Geflügel, tierische Fette, Gelatine, Eier, Milch/Milchprodukte, Honig geschälter Reis/Soja als dominante Nahrung (GRS)

Calcium

Vitamin D (Calciferol)

(besonders bei Vg) Muskelkrämpfe (↑), Knochendichte/ Mineralisierung (↓), Osteoporose (↑),1127,1128,1129 Geburtsgewicht (↓)1130 (besonders bei Vg) Blutkonzentration Vit.D (↓), Muskelstärke (↓), Muskelschmerzen (↑), Knochendichte (↓), Osteoporose (↑), bei Kindern Rachitis (↑)1131,1132,1133

232

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Ernährungsformen

Risiken und Gefahren

„Entwässerungs“-Diät (Reis) erzwungen durch Armut/Not (Reis)

Vitamin B1 (Thiamin)

(besonders bei GRS, aber auch V)1134,1135 neurologische Störungen/Encephalopathien (↑), kardiovaskuläre Erkrankungen (↑),1136,1137 als Extrem: „Beriberi“ 1138

Vitamin B2 (Riboflavin)

(besonders bei Vg)1139,1140 Migräne (?), Hautrisse (↑), Exantheme (↑), Stressempfindlichkeit (↑), Lichtempfindlichkeit (↑),1141 kongenitale Herzdefekte1142

Vitamin B3 (Niacin)

(bei MH; auch bei V)1143,1144 Durchfall (↑), Exantheme (↑), Depressionen (↑), Demenz (↑),1145 kongenitale Herzdefekte (↑),1146 als Extrem: „Pellagra“

Vitamin B6 (Pyridoxal, Pyridoxin, Pyridoxamin)

(bei Vg)1147,1148 Ataxien, Paralysen, Paraesthesien (↑), Muskelkrämpfe, Schlafstörungen, Angststörungen, Dermatitiden, Exantheme, Durchfall, Erbrechen, Preklampsie (↑), Schwangerschaftserbrechen (↑), bei Neugeborenen: Neurologische Störungen (↑)1149

Babynahrung (Soja) unbhandelter Mais und/oder Hirse als dominante Nahrung (MH) Variation der Veganer-Diät erzwungen durch Armut/Not Obst-Diät Obst als dominante Nahrung Begrenzung auf 1000 kcal/Tag Gemüse-Diät Gemüse als dominante Nahrung Begrenzung auf 1000 cal/Tag Körner-Diät Getreide als dominante Nahrung Begrenzung auf ≤ 1200 cal/Tag Schroth-Diät

gekochtes und gedünstetes Gemüse und Obst in Form von Kompotten, Reis, Graupen, Kräuter, Grieß, getrocknete Pflaumen und Aprikosen, Gebäck

▸ (evtl bei Vg)1150,1151 perniciöse (hyperchrome, makrozytäre) Anämie (↑), Vitamin perinatale Depressionen (↑)1152,1153, B9 beim Embryo (↑): Neuralrohrdefekte, (Folsäure) Spina bifida, Anencephalie, Hasenscharte, Herzanomalien (↑), Frühgeburten (↑), Sprachstörungen (↑)1154,1155,1156,1157,1158,1159,1160

Vitamin B12 (Cobalamin)

(besonders bei Vg)1161,1162,1163 Hyperpigmentation (↑),1164 Parästhesien, Gedächtnisverlust (↑), Krämpfe, Ataxien, Lähmungen der Gliedmaßen (↑), Entmarkung des Rückenmarkes mit Degeneration des Hinterstranges und des Seitenstranges und Polyneuropathie (↑), funikuläre Myelose (Abgrenzung zur multiplen Sklerose!) perniziöse Anämie (↑) (kann durch Vitamin B9-Überschuss bei Veganern verdeckt sein). B12-Mangel bewirkt durch Homocystein (↑), Kardiovaskuläre Erkrankungen (↑), Migräne ↑),1165 (Depression (↑) und Demenz (↑) 1166,1167,1168,1169,1170, 1171,1172,1173,1174,1175,1176,1177

Bei Schwangeren: Präclampsie (↑), spontane Aborte (↑), perinatale Depressionen (↑)1178,1179, bei Embryos: Neuralrohrdefekte, Spina bifida (↑), Geburtsgewicht (↓), Spätfolgen: Hirnentwicklung (↓), Wachstum (↓), Insulinresistenz (↑)1180,1181,1182 (↑) = erhöht; (↓) = vermindert

3.5 Die Wahl der Ernährung

233

1098 Rae C, Digney AL, McEwan SR, Bates TC. Oral creatine monohydrate supplementation improves brain performance: a double-blind, placebo-controlled, cross-over trial. Proc Biol Sci. 2003;270(1529):2147–50. 1099 Ling J, Kritikos M, Tiplady B. Cognitive effects of creatine ethyl ester supplementation. Behav Pharmacol. 2009;20(8):673–9. 1100 Benton D, Donohoe R. The influence of creatine supplementation on the cognitive functioning of vegetarians and omnivores. Br J Nutr. 2011;105(7):1100–5. 1101 Triggiani V, Tafaro E, Giagulli VA, Sabbà C, Resta F, Licchelli B, Guastamacchia E. Role of iodine, selenium and other micronutrients in thyroid function and disorders. Endocr Metab Immune Disord Drug Targets. 2009;9(3):277–94. 1102 Terrin G, Berni Canani R, Di Chiara M, Pietravalle A, Aleandri V, Conte F, De Curtis M. Zinc in Early Life: A Key Element in the Fetus and Preterm Neonate. Nutrients. 2015;7(12):10427–46. 1103 Prasad AS. Clinical manifestations of zinc deficiency. Annu Rev Nutr. 1985;5:341–63. 1104 Foster M, Samman S Vegetarian diets across the lifecycle: impact on zinc intake and status. Adv Food Nutr Res. 2015;74:93–131. 1105 Foster M, Chu A, Petocz P, Samman S. Effect of vegetarian diets on zinc status: a systematic review and meta-analysis of studies in humans. J Sci Food Agric. 2013;93(10):2362–71. 1106 Grüngreiff K, Reinhold D, Wedemeyer H. The role of zinc in liver cirrhosis. Ann Hepatol. 2015/2016 Feb;15(1):7–16. 1107 Terrin G, Berni Canani R, Passariello A, Messina F, Conti MG, Caoci S, Smaldore A, Bertino E, De Curtis M. Zinc supplementation reduces morbidity and mortality in very-low-birth-weight preterm neonates: a hospital-based randomized, placebo-controlled trial in an industrialized country. Am J Clin Nutr. 2013;98(6):1468–74. 1108 Dagnelie PC. Nutrition and health – potential health benefits and risks of vegetarianism and limited consumption of meat in the NetherlandsNed Tijdschr Geneeskd. 2003 Jul 5;147(27):1308–13. 1109 Savva SC, Kafatos A. Is red meat required for the prevention of iron deficiency among children and adolescents? Curr Pediatr Rev. 2014;10(3):177–83. 1110 Bitzer J, Sultan C, Creatsas G, Palacios S. Gynecological care in young women: a high-risk period of life. Gynecol Endocrinol. 2014;30(8):542–8. 1111 Kim Y, Park S. Iron deficiency increases blood concentrations of neurotoxic metals in children. Korean J Pediatr. 2014;57(8):345–50. 1112 Hovdenak N, Haram K. Influence of mineral and vitamin supplements on pregnancy outcome. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2012;164(2):127–32. 1113 Stoffaneller R, Morse NL. A review of dietary selenium intake and selenium status in Europe and the Middle East. Nutrients. 2015;7(3):1494–537. 1114 Steinbrenner H, Al-Quraishy S, Dkhil MA, Wunderlich F, Sies H. Dietary selenium in adjuvant therapy of viral and bacterial infections. Adv Nutr. 2015;6(1):73–82. 1115 Pieczyńska J, Grajeta H. The role of selenium in human conception and pregnancy. J Trace Elem Med Biol. 2015;29:31–8. 1116 Ahsan U, Kamran Z, Raza I, Ahmad S, Babar W, Riaz MH, Iqbal Z. Role of selenium in male reproduction − a review. Anim Reprod Sci. 2014;146(1–2):55–62. 1117 Burk RF, Hill KE, Motley AK. Selenoprotein metabolism and function: evidence for more than one function for selenoprotein P. J Nutr. 2003;133(5 Suppl 1):1517S–20S. 1118 Yakubov E, Buchfelder M, Eyüpoglu IY, Savaskan NE. Selenium action in neuro-oncology. Biol Trace Elem Res. 2014;161(3):246–54. 1119 Rayman MP. Selenium in cancer prevention: a review of the evidence and mechanism of action. Proc Nutr Soc. 2005;64(4):527–42. 1120 Pillai R, Uyehara-Lock JH, Bellinger FP. Selenium and selenoprotein function in brain disorders. IUBMB Life. 2014;66(4):229–39. 1121 Babaknejad N, Sayehmiri F, Sayehmiri K, Rahimifar P, Bahrami S, Delpesheh A, Hemati F, Alizadeh S. The relationship between selenium levels and breast cancer: a systematic review and meta-analysis. Biol Trace Elem Res. 2014;159(1–3):1–7.

234

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

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3.5 Die Wahl der Ernährung

235

1149 Hovdenak N, Haram K. Influence of mineral and vitamin supplements on pregnancy outcome. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2012;164(2):127–32. 1150 Kajanachumpol S, Atamasirikul K, Tantibhedhyangkul P. C677T methylenetetrahydrofolate reductase and plasma homocysteine levels among Thai vegans and omnivores. Int J Vitam Nutr Res. 2013;83(2):86– 91. 1151 Varela-Moreiras G, Murphy MM, Scott JM. Cobalamin, folic acid, and homocysteine. Nutr Rev. 2009;67 Suppl 1:S69–72. 1152 Leung BM, Kaplan BJ. Perinatal depression: prevalence, risks, and the nutrition link – a review of the literature. J Am Diet Assoc. 2009;109(9):1566–75. 1153 Sarris J, Schoendorfer N, Kavanagh DJ. Major depressive disorder and nutritional medicine: a review of monotherapies and adjuvant treatments. Nutr Rev. 2009;67(3):125–31. 1154 Wald N, Sneddon J, Densem J, Christopher Frost C, Stone R. MRC Vitamin Study Research group Prevention of neural tube defects: Results of the Medical Research Council Vitamin Study The Lancet, 1991;2(8760):131–137. 1155 Allen LH. Causes of vitamin B12 and folate deficiency. Food Nutr Bull. 2008;29(2 Suppl):S20–34; 1156 Varela-Moreiras G. et al. Siehe 1151. 1157 Khoshnood B, Loane M, Walle Hd, Arriola L, Addor MC, Barisic I, Beres J, Bianchi F, Dias C, Draper E, Garne E, Gatt M, Haeusler M, Klungsoyr K, Latos-Bielenska A, Lynch C, McDonnell B, Nelen V, Neville AJ, O’Mahony MT, Queisser-Luft A, Rankin J, Rissmann A, Ritvanen A, Rounding C, Sipek A, Tucker D, Verellen-Dumoulin C, Wellesley D, Dolk H. Long term trends in prevalence of neural tube defects in Europe: population based study. BMJ. 2015;351:h5949. PMID: 26601850. 1158 http://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2005/30/folsaeureversorgung_in_deutschland_ist_ unzureichend-6844.html. 1159 Williams J, Mai CT, Mulinare J, Isenburg J, Flood TJ, Ethen M, Frohnert B, Kirby RS. Centers for Disease Control and Prevention. Updated estimates of neural tube defects prevented by mandatory folic Acid fortification − United States, 1995–2011. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2015;64(1):1–5. 1160 Hovdenak N, Haram K. Siehe 1112. 1161 Majchrzak et al. Siehe 1139. 1162 Gilsing AM, Crowe FL, Lloyd-Wright Z, Sanders TA, Appleby PN, Allen NE, Key TJ. Serum concentrations of vitamin B12 and folate in British male omnivores, vegetarians and vegans: results from a crosssectional analysis of the EPIC-Oxford cohort study. Eur J Clin Nutr. 2010;64(9):933–9. 1163 Schüpbach et al. Siehe 1143. 1164 Brescoll J, Daveluy S. A review of vitamin B12 in dermatology. Am J Clin Dermatol. 2015;16(1):27–33. 1165 Shaik MM, Tan HL, Kamal MA, Gan SH. Do folate, vitamins B₆ and B₁₂ play a role in the pathogenesis of migraine? The role of pharmacoepigenomics. CNS Neurol Disord Drug Targets. 2014;13(5):828–35. 1166 Dastur DK, Santhadevi N, Quadros EV, Gagrat BM, Wadia NH, Desai MM, Singhal BS, Bharucha EP. Interrelationships between the B-vitamins in B12-deficiency neuromyelopathy. A possible malabsorptionmalnutrition syndrome. Am J Clin Nutr. 1975;28(11):1255–70. 1167 Majchrzak et al. Siehe 1139. 1168 Varela-Moreiras G, Murphy MM, Scott JM. Cobalamin, folic acid, and homocysteine. Nutr Rev. 2009;67 Suppl 1:S69–72. 1169 Pawlak R. Is vitamin B12 deficiency a risk factor for cardiovascular disease in vegetarians? Am J Prev Med. 2015;48(6):e11–26. 1170 Morishita A, Tomita H, Takaishi Y, Nishihara M, Kohmura E. A case of subacute combined degeneration of the spinal cord diagnosed by characteristic findings of magnetic resonance imaging: case report and review of 22 cases. No Shinkei Geka. 2005;33(5):489–95. 1171 Srikanth SG, Jayakumar PN, Vasudev MK, Taly AB, Chandrashekar HS. MRI in subacute combined degeneration of spinal cord: a case report and review of literature. Neurol India. 2002;50(3):310–2. 1172 Brocadello F, Levedianos G, Piccione F, Manara R, Pesenti FF. Irreversible subacute sclerotic combined degeneration of the spinal cord in a vegan subject. Nutrition. 2007;23(7–8):622–4.

236

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Um die Folgen aus solcher Art Mangelernährung1183 zu vermeiden, ist daher Vegetariern und Veganern zu empfehlen,1184 ▪ bei der Zubereitung pflanzlicher Lebensmittel solche Kombinationen und Techniken zu vermeiden, durch welche ein bereits vorliegender Nährstoffmangel in der pflanzlichen Ernährung noch verstärkt wird, ▪ den Mangel an Nährstoffen durch die Einnahme von chemisch-technisch hergestellten Nahrungsergänzungsmitteln so zu beheben,1185 dass nicht nur die immer, sondern auch die möglicherweise mangelnden Vitamine, Salze und Spurenelemente ergänzt werden (siehe Tab. 3.64 und 3.65), – zum Schutze der eigenen Gesundheit, aber besonders auch – zum Schutz der eigenen ungeborenen Kinder und der zu stillenden Säuglinge vor den Risiken schwerster neurologischer, mentaler und weiterer organischer Schäden einschließlich Missbildungen,1186,1187,1188, – zum Schutz der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen, damit diese ohne Mängel in der Ernährung gesund aufwachsen können.

1173 Mądry E, Lisowska A, Grebowiec P, Walkowiak J. The impact of vegan diet on B-12 status in healthy omnivores: five-year prospective study. Acta Sci Pol Technol Aliment. 2012;11(2):209–12. 1174 Kwok T, Chook P, Qiao M, Tam L, Poon YK, Ahuja AT, Woo J, Celermajer DS, Woo KS. Vitamin B-12 supplementation improves arterial function in vegetarians with subnormal vitamin B-12 status. J Nutr Health Aging. 2012;16(6):569–73. 1175 Tucker KL. Vegetarian diets and bone status. Am J Clin Nutr. 2014;100(Supplement 1):329S–335S. 1176 Woo KS, Kwok TC, Celermajer DS. Vegan diet, subnormal vitamin B-12 status and cardiovascular health. Nutrients. 2014;6(8):3259–73. 1177 Jayaram N, Rao MG, Narasimha A, Raveendranathan D, Varambally S, Venkatasubramanian G, Gangadhar BN. Vitamin B₁₂ levels and psychiatric symptomatology: a case series. J Neuropsychiatry Clin Neurosci. 2013 Spring;25(2):150–2. 1178 Leung BM, Kaplan BJ. Perinatal depression: prevalence, risks, and the nutrition link – a review of the literature. J Am Diet Assoc. 2009;109(9):1566–75. 1179 Sarris J, Schoendorfer N, Kavanagh DJ. Major depressive disorder and nutritional medicine: a review of monotherapies and adjuvant treatments. Nutr Rev. 2009;67(3):125–31. 1180 Stewart CP, Christian P, Schulze KJ, Arguello M, LeClerq SC, Khatry SK, West KP Jr. Low maternal vitamin B-12 status is associated with offspring insulin resistance regardless of antenatal micronutrient supplementation in rural Nepal. J Nutr. 2011;141(10):1912–7. 1181 Finkelstein JL, Layden AJ, Stover PJ. Vitamin B-12 and Perinatal Health. Adv Nutr. 2015;6(5):552–63. 1182 Deshmukh U, Katre P, Yajnik CS. Influence of maternal vitamin B12 and folate on growth and insulin resistance in the offspring. Nestle Nutr Inst Workshop Ser. 2013;74:145–54; discussion 154–6. 1183 Farmer B. Nutritional adequacy of plant-based diets for weight management: observations from the NHANES. Am J Clin Nutr. 2014;100 Suppl 1:365S–8S. 1184 https://de.wikipedia.org/wiki/Vegetarismus. 1185 http://www.health.com/health/gallery/0,,20773383_last,00.html. 1186 Craig WJ, Mangels AR; American Dietetic Association. Position of the American Dietetic Association: vegetarian diets. J Am Diet Assoc. 2009 Jul;109(7):1266–82. 1187 Craig WJ. Nutrition concerns and health effects of vegetarian diets. Nutr Clin Pract. 2010;25(6):613– 20. 1188 Haider BA, Bhutta ZA. Multiple-micronutrient supplementation for women during pregnancy. Cochrane Database Syst Rev. 2015;11:CD004905. PMID: 26522344.

3.5 Die Wahl der Ernährung

237

In der ausgewogen omnivor sich ernährenden Normalbevölkerung (in USA, Japan Europa) weisen Multi-Vitamin- und Multi-Mineral-Ergänzungen im allgemeinen keine nennenswerten Zusatzwirkungen und Nebenwirkungen auf.1189,1190 Trotzdem können Nahrungsmittelergänzungen bei bestimmten Personengruppen vorsorglich und unter ärztlicher Aufsicht sinnvoll sein, um versteckte und folgenschwere Nährstoffmängel zu verhindern. Beispiele hierfür sind:1191,1192 ▪ bei Männern und Frauen eine Ergänzung von 200–400 μg Vitamin B9/Folsäure pro Tag, um eine Gesamtversorgung von ~ 400 μg Vitamin B9/Tag zu sichern, – denn z. B. in Deutschland beträgt die Zufuhr von Vitamin B9 im Mittel nur 252 μg/ Tag (Frauen) bzw. 283 μg/Tag (Männer), – die Einahme von oralen Kontrazeptiva kann bei Frauen die Unterversorgung mit Vitamin B9 und ggf. auch mit Vitamin B12 noch verstärken,1193 – höhere Dosen von Vitamin B9 von ≥ 1 mg/Tag sollten wegen des Risikos epigenetisch induzierter Tumoren vermieden werden,1194 – zusätzliche Gaben von Vitamin B12 begegnen einem durch Vitamin B9 verschleierten gleichzeitigem Mangel an Vitamin B12; ▪ bei Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten bis hin zum 2. Drittel der Schwangerschaft: eine Ergänzung von 300–400 μg Vitamin B9/Folsäure pro Tag, um eine Gesamtversorgung von ~ 600 μg Vitamin B9/Tag zu sichern, – durch die Verabreichung von Vitamin B6 vor und während der Schwangerschaft kann das Risiko eines Neuralrohrdefekts (Spina Bifida) für das Neugeborene um 20 %–60 % gesenkt worden;1195,1196,1197 ▪ bei Schwangeren und Stillenden: zusätzlich 100 bis 150 μg Jodid/Tag und Eisenverbindungen, falls ein Eisenmangel nachgewiesen wurde,

1189 Alexander DD, Weed DL, Chang ET, Miller PE, Mohamed MA, Elkayam L. A systematic review of multivitamin-multimineral use and cardiovascular disease and cancer incidence and total mortality. J Am Coll Nutr. 2013;32(5):339–54. 1190 Rautiainen S, Lee IM, Rist PM, Gaziano JM, Manson JE, Buring JE, Sesso HD. Multivitamin use and cardiovascular disease in a prospective study of women. Am J Clin Nutr. 2015 Jan;101(1):144–52. 1191 Bechthold A. Deutschland ist kein Vitaminmangelland, Presseinformation: DGE aus der Wissenschaft 02/2012; https://www.dge.de/presse/pm/deutschland-ist-kein-vitaminmangelland/. 1192 Herrmann W, Obeid R. Die obligatorische Folsäurefortifikation von Nahrungsmitteln. Deutsches Ärzteblatt 2011;108(15):249–254. 1193 Wilson SM, Bivins BN, Russell KA, Bailey LB. Oral contraceptive use: impact on folate, vitamin B₆, and vitamin B₁₂ status. Nutr Rev. 2011;69(10):572–83. 1194 Herrmann W, Obeid R. Siehe 1192. 1195 Crider KS, Bailey LB, Berry RJ. Folic acid food fortification-its history, effect, concerns, and future directions. Nutrients. 2011;3(3):370–84. 1196 De-Regil LM, Peña-Rosas JP, Fernández-Gaxiola AC, Rayco-Solon P. Effects and safety of periconceptional oral folate supplementation for preventing birth defects. Cochrane Database Syst Rev. 2015;12: CD007950. PMID:26662928. 1197 Herrmann W, Obeid R. Die obligatorische Folsäurefortifikation von Nahrungsmitteln. Deutsches Ärzteblatt 2011;108(15):249–254.

238 ▪ ▪



3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

bei Neugeborenen: 3-mal 2 mg Vitamin K und bei Säuglingen: 10 μg Vitamin D/Tag und 0,25 mg Fluorid/Tag, in der Bevölkerung bestimmter Länder: ein Mangel an Spurenmineralien. Zumindest in den USA konnte die Mortalität von Frauen auf Grund von Herzkreislauferkrankungen durch die Gabe von Multi-Mineral-Ergänzungen über einen Zeitraum > 3 Jahren leicht gesenkt werden,1198 bei älteren Menschen: die Gefahr eines Vitaminmangels, bedingt durch verringerte Resorptionsraten, im Besonderen von Vitamin B9 und Vitamin B12.1199,1200 Daher kann Älteren nur geraten werden – das Risiko einer Verstärkung des altersbedingten Gedächtnisverlustes und weiterer neurologischer Probleme durch einen Mangel an Vitamin B9 und B12 (siehe Tab. 3.64 und 3.65) zumindest nicht noch zu erhöhen1201,1202 und aus diesem Grund – solche Lebensmittel in größeren Mengen zu verzehren, welche diese Vitamine in relativ größeren Mengen enthalten, wie z. B. Leber, Eier oder aber auch Milchprodukte, hergestellt unter Verwendung von Milchsäurebakterien, da diese besonders viel Vitamin B9 produzieren,1203,1204 und – auf jegliche Mangelernährung oder Mangeldiät zu verzichten.

Allein in den USA wird der Anteil an der Bevölkerung mit Vitamin B12-Mangel auf etwa 10 %–40 % geschätzt.1205 Die vielfältigen Ursachen dieses Mangels zeigen (siehe Tab. 3.66), wie wichtig eine ausgewogene Ernährung mit pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln ist, um zu verhindern, dass durch unterschiedliche Einflüsse eine Mangelernährung mit gravierenden gesundheitlichen Folgen entstehen kann.

1198 Bailey RL, Fakhouri TH, Park Y, Dwyer JT, Thomas PR, Gahche JJ, Miller PE, Dodd KW, Sempos CT, Murray DM. Multivitamin-mineral use is associated with reduced risk of cardiovascular disease mortality among women in the United States. J Nutr. 2015;145(3):572–8. 1199 Hughes CF, Ward M, Hoey L, McNulty H. Vitamin B12 and ageing: current issues and interaction with folate. Ann Clin Biochem. 2013;50(Pt 4):315–29. 1200 Wong CW. Vitamin B12 deficiency in the elderly: is it worth screening? Hong Kong Med J. 2015;21(2):155–64. 1201 Malouf R, Grimley Evans J. Folic acid with or without vitamin B12 for the prevention and treatment of healthy elderly and demented people. Cochrane Database Syst Rev. 2008;(4):CD004514. PMID: 18843658. 1202 Miles LM, Mills K, Clarke R, Dangour AD. Is there an association of vitamin B12 status with neurological function in older people? A systematic review. Br J Nutr. 2015;114(4):503–8. 1203 Iyer R, Tomar SK. Folate: a functional food constituent. J Food Sci. 2009;74(9):R114–22. 1204 Laiño JE, Leblanc JG, Savoy de Giori G. Production of natural folates by lactic acid bacteria starter cultures isolated from artisanal Argentinean yogurts. Can J Microbiol. 2012;58(5):581–8. 1205 Spence JD. Metabolic B12 deficiency: a missed opportunity to prevent dementia and stroke. Nutr Res. 2015. pii: S0271–5317(15)00251–1. PMID: 26597770.

3.5 Die Wahl der Ernährung

239

Tab. 3.66: Ursachen des Vitamin B12 Mangels beim Menschen. natürliche Quellen von Vitamin B121206 Vit. B12 wird von Bakterien und nicht Pflanzen oder Tieren produziert! Blaualgen oder Pilze produzieren zum größten Teil Pseudo-Vitamine B12 (Corrinoide), welche beim Menschen inaktiv sind 1207,1208,1209 Pflanzen adsorbieren geringe (vernachlässigbare Mengen) an Bakterien/Vit.B12. Pflanzenfresser nehmen das Vit. B12 von Bakterien in ihren Darm (Pansen/Blinddarm) auf und reichern es in der Leber an Fleischfresser erhalten das Vit. B12 aus dem Fleisch und den Innereien ihrer Beute für Menschen sind die natürlichen Vit. B12-Quellen: Fleisch, Innereien, Fisch, weniger Milch, Milchprodukte und Eier Physiologie der Vit. B12-Versorgung beim Menschen1210,1211,1212 Vit. B12 (in der Nahrung meist im Komplex mit Proteinen) wird durch Salzsäure und Pepsin des Magens freigesetzt freigesetztes Vit. B12 bindet an den intrinsischen Faktor der Parietalzellen in der Magenschleimhaut der Komplex Vit. B12/intrinsischer Faktor wird im Ileum rezeptorspezifisch aufgenommen. bis etwa 50 % des Vitamin B12 in der Nahrung kann vom gesunden Menschen resorbiert werden1213 überschüssiges Vitamin B12 wird mit der Galle ausgeschieden und nach Bindung an den intrinsischen Faktor erneut resorbiert Mangelernährung Vegetarier: relatives Vit. B12-Defizit, wenn Milchprodukte und Eier in zu geringer Menge verzehrt werden Veganer: ein absolutes Vit. B12-Defizit, Nahrung muss mit Vit. B12 ergänzt werden Schwangere: ggf. relatives Vit. B12-Defizit bei unzureichender Zufuhr und/oder Aufnahme ungeborene und (gestillte) neugeborene Kinder von Vegetariern und Veganern: relativer oder absoluter Vitamin B12-Mangel ältere Menschen: relatives Vit. B12-Defizit, wenn sie nicht ausreichend vitaminhaltige Nahrung zu sich nehmen1214

1206 Degnan PH, Taga ME, Goodman AL. Vitamin B12 as a modulator of gut microbial ecology. Cell Metab. 2014;20(5):769–78. 1207 Dagnelie PC, van Staveren WA, van den Berg H. Vitamin B-12 from algae appears not to be bioavailable. Am J Clin Nutr. 1991;53(3):695–7. 1208 Watanabe F, Takenaka S, Kittaka-Katsura H, Ebara S, Miyamoto E. Characterization and bioavailability of vitamin B12-compounds from edible algae. J Nutr Sci Vitaminol (Tokyo). 2002;48(5):325–31. 1209 Watanabe F, Yabuta Y, Tanioka Y, Bito T. Biologically active vitamin B12 compounds in foods for preventing deficiency among vegetarians and elderly subjects. J Agric Food Chem. 2013;61(28):6769–75. 1210 Shaw S, Jayatilleke E, Meyers S, Colman N, Herzlich B, Herbert V. The ileum is the major site of absorption of vitamin B12 analogues. Am J Gastroenterol. 1989;84(1):22–6. 1211 Schubert ML. Functional anatomy and physiology of gastric secretion. Curr Opin Gastroenterol. 2015;31(6):479–85. 1212 Gräsbeck R. Hooked to vitamin B12 since 1955: a historical perspective. Biochimie. 2013;95(5):970–5. 1213 Watanabe F. Vitamin B12 sources and bioavailability. Exp Biol Med (Maywood). 2007;232(10):1266–74. 1214 Degnan PH, Taga ME, Goodman AL. Vitamin B12 as a modulator of gut microbial ecology. Cell Metab. 2014;20(5):769–78.

240

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

im Magen: mangelhafte Freisetzung von Vitamin B12 aus dem Vit. B12-Proteinkomplex in der Nahrung durch Antacida/Säurehemmer1215,1216 Protonen-Pumpen-Inhibitoren1217,1218,1219 Magenresektion1220 im Magen: Mangel an intrinsischem Faktor für Vitamin B12 durch Infektionen (z. B. Helicobacter pylori)1221,1222 chronische Gastritis

Alkohol, besonders wenn täglich und in größeren Mengen getrunken1223,1224,1225 Acetylsalicylsäure, z. B. täglich Aspirin1226 H2-Antagonisten zur Blockade der Histaminwirkung auf Parietalzellen1227,1228

Neutralisation des intrinsischen Faktors durch Autoantikörper (Perniciöse Anämie) Magenresektion

1215 Biswas S, Benedict SH, Lynch SG, LeVine SM. Potential immunological consequences of pharmacological suppression of gastric acid production in patients with multiple sclerosis. BMC Med. 2012;10:57. PMID: 22676575. 1216 Zwicker J. Acid inhibition leads to vitamin b12 deficiency, Med Monatsschr Pharm. 2014;37(5):190–1. 1217 Shikata T, Sasaki N, Ueda M, Kimura T, Itohara K, Sugahara M, Fukui M, Manabe E, Masuyama T, Tsujino T. Use of proton pump inhibitors is associated with anemia in cardiovascular outpatients. Circ J. 2015;79(1):193–200. 1218 Hirschowitz BI, Worthington J, Mohnen J. Vitamin B12 deficiency in hypersecretors during long-term acid suppression with proton pump inhibitors. Aliment Pharmacol Ther. 2008;27(11):1110–21. 1219 Lam JR, Schneider JL, Zhao W, Corley DA. Proton pump inhibitor and histamine 2 receptor antagonist use and vitamin B12 deficiency. JAMA. 2013;310(22):2435–42. 1220 Stein J, Stier C, Raab H, Weiner R. Review article: The nutritional and pharmacological consequences of obesity surgery. Aliment Pharmacol Ther. 2014;40(6):582–609. 1221 Campuzano-Maya G. Hematologic manifestations of Helicobacter pylori infection. World J Gastroenterol. 2014;20(36):12818–38. 1222 Franceschi F, Annalisa T, Teresa DR, Giovanna D, Ianiro G, Franco S, Viviana G, Valentina T, Riccardo LL, Antonio G. Role of Helicobacter pylori infection on nutrition and metabolism. World J Gastroenterol. 2014;20(36):12809–17. 1223 Cravo ML, Camilo ME. Hyperhomocysteinemia in chronic alcoholism: relations to folic acid and vitamins B(6) and B(12) status. Nutrition. 2000;16(4):296–302. 1224 Cogswell ME, Weisberg P, Spong C. Cigarette smoking, alcohol use and adverse pregnancy outcomes: implications for micronutrient supplementation. J Nutr. 2003 May;133(5 Suppl 2):1722S-1731S. 1225 Kopczyńska E, Ziółkowski M, Jendryczka-Maćkiewicz E, Odrowaz-Sypniewska G, Opozda K, Tyrakowski T. The concentrations of homocysteine, folic acid and vitamin B12 in alcohol dependent male patients. Psychiatr Pol. 2004;38(5):947–56. 1226 van Oijen MG, Laheij RJ, Peters WH, Jansen JB, Verheugt FW. BACH study. Association of aspirin use with vitamin B12 deficiency (results of the BACH study). Am J Cardiol. 2004;94(7):975–7. 1227 Lam JR, Schneider JL, Zhao W, Corley DA. Proton pump inhibitor and histamine 2 receptor antagonist use and vitamin B12 deficiency. JAMA. 2013;310(22):2435–42. 1228 Valuck RJ, Ruscin JM. A case-control study on adverse effects: H2 blocker or proton pump inhibitor use and risk of vitamin B12 deficiency in older adults. J Clin Epidemiol. 2004;57(4):422–8.

3.5 Die Wahl der Ernährung

241

mangelnde Resorption von Vitamin B12/Intrinsic Factor im Ileum/mangelnde Wirkung von Vitamin B12 Ileumresektion (bei entzündlicher Colitis)1229 Entzündungshemmung durch Sulfasalazin/Salazosulfapyridin1230 Antidiabetika/Biguanide, z. B. Metformin1231 Antiepileptika1232,1233 Antibiotika, unter deren Wirkung sich resistente Bakterien im Darm vermehren, welche Vit. B12 binden und verbrauchen

Aus amerikanischen Studien bei Adventisten liegen aus ca. 6 jähriger Beobachtungszeit Ergebnisse vor, dass Vegetarier gesünder und damit auch länger leben würden.1234,1235 Diese Aussagen konnten jedoch unter europäischen Verhältnissen nicht bestätigt werden. Denn in einer prospektiven Studie in Großbritannien an 60.310 Personen über kumulativ > 1 Millionen Jahre1236 ▪ war das Sterberisiko insgesamt zwischen Fischessern, Fleischessern und Vegetariern nicht unterschiedlich (Hazard Ratio/HR: 0,93; 1,02 und 0,96), ▪ hatten Fischesser ein erhöhtes Sterberisiko durch Herzkreislaufversagen (HR: 1,22), jedoch ein geringeres durch Krebserkrankungen (HR: 0,82), – ähnlich zeigte sich in einer großen amerikanischen Studie, dass Fischesser eine geringeres Risiko (HR: 0,57) für colorektale Tumoren hatten als z. B. Veganer (HR: 0,84) oder Vegetarier (HR: 0,82);1237 ▪ besaßen Fleischesser ein geringeres Sterberisiko durch Pankreaskarzinome (HR: 0,55), Lungenerkrankungen (HR:0,7) und durch andere (z. B. neurodegenerative) Ursachen (HR: 0,74), 1229 Battat R, Kopylov U, Szilagyi A, Saxena A, Rosenblatt DS, Warner M, Bessissow T, Seidman E, Bitton A. Vitamin B12 deficiency in inflammatory bowel disease: prevalence, risk factors, evaluation, and management. Inflamm Bowel Dis. 2014;20(6):1120–8. 1230 Vavricka SR, Rogler G. Intestinal absorption and vitamin levels: is a new focus needed? Dig Dis. 2012;30 Suppl 3:73–80. 1231 Liu Q, Li S, Quan H, Li J. Vitamin B12 status in metformin treated patients: systematic review. PLoS One. 2014;9(6):e100379. PMID: 24959880. 1232 Sharma TK, Vardey SK, Sitaraman S. Evaluate the Effect of Valproate Monotherapy on the Serum Homocysteine, Folate and Vitamin B12 Levels in Epileptic Children. Clin Lab. 2015;61(8):933–40. 1233 Gorjipour F, Asadi Y, K Osguei N, Effatkhah M, Samadikuchaksaraei A. Serum level of homocysteine, folate and vitamin-B12 in epileptic patients under carbamazepine and sodium valproate treatment: a systematic review and meta-analysis. Iran Red Crescent Med J. 2013;15(3):249–53. 1234 Orlich MJ, Singh PN, Sabaté J, Jaceldo-Siegl K, Fan J, Knutsen S, Beeson WL, Fraser GE. Vegetarian dietary patterns and mortality in Adventist Health Study 2. JAMA Intern Med. 2013;173(13):1230–8. 1235 Le LT, Sabaté J. Beyond meatless, the health effects of vegan diets: findings from the Adventist cohorts. Nutrients. 2014;6(6):2131–47. 1236 Appleby PN, Crowe FL, Bradbury KE, Travis RC, Key TJ. Mortality in vegetarians and comparable nonvegetarians in the United Kingdom. Am J Clin Nutr. 2016;103(1):218–30. 1237 Orlich MJ, Singh PN, Sabaté J, Fan J, Sveen L, Bennett H, Knutsen SF, Beeson WL, Jaceldo-Siegl K, Butler TL, Herring RP, Fraser GE. Vegetarian dietary patterns and the risk of colorectal cancers. JAMA Intern Med. 2015;175(5):767–76.

242 ▪

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

hatten Vegetarier ein geringeres Sterberisiko durch Pankreaskarzinome (HR: 0,48) und durch Lymphome und Leukämien (HR: 0,5).

Somit scheint zumindest für Europa zu gelten, dass durch den Konsum von Fleisch und/ oder Fisch die Art der zum Tode führenden Erkrankung beeinflusst wird, nicht jedoch die Lebenserwartung. Jenseits einer fundamentalistischen Befolgung der vegetarischen oder veganischen Diät bietet deren Küche vielfältige neue Ideen zur Essenszubereitung, welche als Bereicherung der Ernährungsvielfalt empfunden werden können, ganz im Sinne des „bewussten Omnivoren“.1238 Jedoch werfen Kunstprodukte aus pflanzlichen Quellen, welche in Form und Geschmack einem zubereiteten tierischen Lebensmittel wie z. B. einem Schnitzel „ähneln“ sollen, ziemliche Zweifel an dieser Bereicherung auf. Für eine vielseitige und ausgewogene Ernährung spricht zusätzlich, dass für fast jedes Lebensmittel Schädliches z. B. im Sinne von Tumorförderung und Nützliches im Sinne von Schutz vor Tumorwachstum nachgewiesen werden konnte1239 und damit eine vielseitige Ernährungen eher den Ausgleich gewährleistet als eine einseitige Ernährung. Ob z. B. „rotes“ Fleisch Tumore verursachen kann, lässt sich nicht eindeutig beurteilen, da die Heterogenität der zahlreichen möglichen Kofaktoren die statistischen Aussagen vieler klinischen Analysen relativieren. Anhaltspunkte bestehen jedoch für eine Karzinogenität von Pökelprodukten: ▪ denn ab einem Verzehr von etwa 30 g Pökelprodukten (Schinken/Würste)/Tag wird das relative Risiko für das Magenkarzinom um etwa 15 % erhöht,1240 ▪ ähnliche Werte (Erhöhung um etwa 11 %) liegen für das Kolonkarzinom vor,1241 ▪ jedoch wurde kein Einfluss auf das Mammakarzinom1242 und Nierenkarzinom1243 festgestellt. Auch Antioxydantien sind differenziert zu betrachten.1244,1245 In der Zelle regulieren antioxydative Enzyme (Superoxid-Dismutase, Katalase, Peroxidase) den Abbau von reaktiven Sauerstoff- und Stickstoff-Verbindungen, welche hauptsächlich in Mitochondrien entste-

1238 Francione GL. Aninmal Rights: The abolitionist Approach, 2009; http://www.abolitionistapproach. com/peter-singer-happy-meat-and-fanatical-vegans/. 1239 Schoenfeld JD, Ioannidis JP. Is everything we eat associated with cancer? A systematic cookbook review. Am J Clin Nutr. 2013;97(1):127–34. 1240 Larsson SC, Orsini N, Wolk A. Processed meat consumption and stomach cancer risk: a meta-analysis. J Natl Cancer Inst. 2006;98(15):1078–87. 1241 Alexander DD, Weed DL, Miller PE, Mohamed MA. Red Meat and Colorectal Cancer: A Quantitative Update on the State of the Epidemiologic Science. J Am Coll Nutr. 2015;34(6):521–43. 1242 Alexander DD, Morimoto LM, Mink PJ, Cushing CA. A review and meta-analysis of red and processed meat consumption and breast cancer. Nutr Res Rev. 2010;23(2):349–65. 1243 Alexander DD, Cushing CA. Quantitative assessment of red meat or processed meat consumption and kidney cancer. Cancer Detect Prev. 2009;32(5–6):340–51. 1244 Wingler K, Schmidt HHHW. Guter Stress, schlechter Stress – die feine Balance in Blutgefäßen. Deutsches Ärzteblatt 2009;106(42):677–684. 1245 Ristow M, Schmeisser K. Mitohormesis: Promoting Health and Lifespan by Increased Levels of Reactive Oxygen Species (ROS). Dose Response. 2014;12(2):288–341.

3.5 Die Wahl der Ernährung

243

hen und unterschiedliche zelluläre Signalwirkungen ausüben (wie beispielsweise das NO/ Stickstoffmonoxyd), aber auch (z. B. als Waffe der Immunzellen, siehe Kap. 3.4.1) zytotoxisch wirken können. Nitrate stellen NO-Donatoren dar und sind neben L-Arginin Ausgangsstoffe für die Synthese des blutdrucksenkenden NO; ▪ so senken Lebensmittel mit hohem Nitratgehalt wie z. B. Rote Bete den Blutdruck und ▪ körperliche Bewegung bewirkt seine Heilwirkung (siehe Kap. 3.7) unter anderem durch die Bildung von reaktiven Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen, im Besondern von NO. Im Überschuss erzeugen reaktive Sauerstoff- und Stickstoff-Verbindungen den oxydativen Stress der Zelle (siehe Kap. 3.3.1) mit Erhöhung des Risikos für Diabetes II, Tumoren, kardiovaskuläre und neurodegenerative Erkrankungen. Dem wirken natürliche Antioxydantien wie β-Karotin, Vitamin-A, -C, -E und Selen in unseren Nahrungsmitteln zwar entgegen, aber isoliert als Nahrungsmittelergänzung in hohen Dosen verabreicht scheinen sie ▪ die Morbidität und die Mortalität von kardiovaskulären oder Tumorerkrankungen zu erhöhen,1246, ▪ die gesundheitsförderliche wie auch kondititionstärkende Wirkung von Sport aufzuheben, wie zumindest am Beispiel des Vitamin C gezeigt.1247,1248 Für den Erhalt der eigenen Gesundheit und Leistungsfähigkeit gilt es, Übergewicht und Fettleibigkeit und die hiermit verbundenen Risiken zu vermeiden (siehe Kap. 3.5.2). Stetes Unbehagen mit dem eigenen Übergewicht und mehr noch die durch das Übergewicht ausgelösten Erkrankungen können die Einsicht in die Notwendigkeit der Gewichtsabnahme erzwingen. Doch allzuhäufig wird der/die Übergewichtige dann das Opfer derjenigen, welche „Abmagerungskuren“ und „Heildiäten“ (wie z. B. Formula-Diät, Glyx-Diät, Haysche Traumkost, Hollywood Star-Diät, Mayo-Diät, Mono-Diäten1249, Dukan-Diät 1250, AtkinsDiät 1251) für das mühsam verdiente Geld anbieten, wobei viele der angepriesenen Diäten, auf Dauer angewandt, zum überwiegenden Teil entweder als unwirksam1252 oder sogar als schädlich bewertet werden (siehe Tab. 3.65 und 3.66). Diäten, welche durch einen ausgewogenen Gehalt an tierischen und pflanzlichen Produkten und angepasst an den individuellen Energiebedarf gesundheitsförderlich wirken, sind nicht allzuhäufig. Die paleolithische Diät (Fleisch, Gemüse, Früchte und Nüsse unter

1246 Wingler K, Schmidt HHHW. Siehe 1124. 1247 Merry TL, Ristow M. Do antioxidant supplements interfere with skeletal muscle adaptation to exercise training? J Physiol. 2015, PMID: 26638792. 1248 Mason SA, Morrison D, McConell GK, Wadley GD. Muscle redox signalling pathways in exercise. Role of antioxidants. Free Radic Biol Med. 2016. pii: S0891–5849(16)00073–3. PMID: 26912034. 1249 https://www.aok.de/bundesweit/gesundheit/essen-trinken-ernaehrung-diaeten-im-test-8580.php. 1250 https://de.wikipedia.org/wiki/Dukan-Diät. 1251 https://de.wikipedia.org/wiki/Atkins-Diät. 1252 Atallah R, Filion KB, Wakil SM, Genest J, Joseph L, Poirier P, Rinfret S, Schiffrin EL, Eisenberg MJ. Long-term effects of 4 popular diets on weight loss and cardiovascular risk factors: a systematic review of randomized controlled trials. Circ Cardiovasc Qual Outcomes. 2014;7(6):815–27.

244

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Ausschluss von Getreide/Produkten, Milch/Produkten und industriell hergestellten Nahrungsmitteln) mag zwar vom Grundsatz her hierzu gehören.1253 Fragwürdig erscheint jedoch der Drang, zur steinzeitlichen Essgewohnheit der Neandertaler, d. h. der Sammler und Jäger, zurückkehren zu wollen und auf das Kochen und Garen pflanzlicher Produkte besonders auch für den Aufschluss der Stärke zu verzichten.1254

3.5.2 Bewältigung von Hungersucht und Esssucht Schwere Ess-Störungen machen sich im relativen Körpergewicht bemerkbar. Hungersucht führt zu Untergewicht, Esssucht zu Übergewicht bis hin zur Fettsucht/Adipositas (siehe Tab. 3.67). Die Hungersucht hat in den letzten 4 Jahrzehnten um mehr als 200 % zugenommen. Frauen zwischen 10–44 Jahren sind mehr als 10-fach häufiger betroffen als Männer.1255 Die Verhaltensauffälligkeiten der Hungersucht sind in ihrer Gesamtheit gesehen relativ eindeutig (siehe Tab. 3.67 und 3.68). Wenn andere organische Erkrankungen ausgeschlossen werden können und spätestens, wenn das Untergewicht bereits offensichtlich ist, ergibt sich die Frage nach der Therapie. Diese dürfte nur dann auf Dauer erfolgreich sein, ▪ wenn der Patient Einsicht in seine Erkrankung gewinnt und an der Behebung der Erkrankung mitarbeiten will, eine Aufgabe, zu deren Lösung – die Psychotherapie (vorzugsweise eine kognitive Verhaltenstherapie) durch einen erfahrenen ärztlichen Therapeuten eine entscheidende Rolle spielt und – die Angehörigen mithelfen müssen; ▪ wenn die individuellen Ursachen der Hungersucht, soweit erfassbar, behoben werden können, wobei nur gemeinsam mit den Angehörigen – Schwierigkeiten auf emotionaler, kognitiver und zwischenmenschlicher Ebene als Ursache oder Auslöser zu beseitigen sind – die Bedingungen, welche die Hungersucht aufrechterhalten, geändert werden können und – dem Patienten ggf. mehr Freiraum zum selbständigen Leben und Entscheiden gegeben wird, ohne den regelmäßigen und häufigen Kontakt zu den Angehörigen einzuschränken.

1253 Manheimer EW, van Zuuren EJ, Fedorowicz Z, Pijl H. Paleolithic nutrition for metabolic syndrome: systematic review and meta-analysis. Am J Clin Nutr. 2015;102(4):922–32. 1254 Hardy K, Brand-Miller J, Brown KD, Thomas MG, Copeland L. THE IMPORTANCE OF DIETARY CARBOHYDRATE IN HUMAN EVOLUTION. Q Rev Biol. 2015;90(3):251–68. 1255 Holland J, Hall N, Yeates DG, Goldacre M. Trends in hospital admission rates for anorexia nervosa in Oxford (1968–2011) and England (1990–2011): database studies. J R Soc Med. 2015. pii: 0141076815617651. PMID: 26609127.

245

3.5 Die Wahl der Ernährung

Tab. 3.67: Die Bandbreite des relativen menschlichen Körpergewichtes, berechnet als BMI*1256 und dessen Folgen. Untergewicht hochhochgradig II gradig I < 13**

13 − < 16

mäßiggradig 16 − < 17

leichtgradig

hoch stationäre B.

erhöht

Übergewicht

Adipositas/Fettsucht Grad I

17 − < 18,5 18,5 − < 25 25 − < 30 30 − < 35

Risiko für Folgeerkrankungen sehr hoch Mortalität

Normalgewicht

niedrig

Grad II

Grad III

35 − < 40 ≥ 40

Risiken für Folgeerkrankungen Bei Sportlern (Muskelmasse ↑) kann ein sehr BMI bis < 30 kg/m2 erhöht hoch hoch Normalgewicht sein

Folgen/Folgeerkrankungen1257,1258

Risiken1259

Wachstumsstörungen bei Kindern

Asthma (OR: ÜG 1,4, AP: 1,9)

Verlust an Hirnmasse (Hirnrinde/weiße Masse, Cerebellum)1260,1261

polycystisches Ovarsyndrom, Leukämien, Karzinome: Mamma, Ovar, Endometrium, Prostata, Oesophagus, Colon, Gallenblase, Niere

kognitive Einschränkungen, Gedächtnisverluste Leichtigkeitsgefühle/Euphorien, erhöhte Reizbarkeit/Aggressivität, Depressionen Ausbleiben der Monatsblutung, Hypercortisolismus, Hypothyreose, gestörte Glucosetoleranz Akrozyanose (rotblaue Färbung der Finger und Zehen) Hautblutungen Osteopenie und Osteoporose gastrointestinale Störungen, Leberfunktionsstörungen

Herz-Kreislauferkrankungen besonders im Gefolge des metabolischen Syndroms Glukose nüchtern (↑) (Insulin-Resistenz), Triglyceride (↑), HDL-Cholesterol (↓), Blutdruck (↑) Diabetes II Schwangerschaftsdiabetes Fertilitätsstörung/Unfruchtbarkeit Fetus-Missbildungen: Defekte des Neuralrohrs, Hydrocephalus Nierenerkrankungen

1256 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-026k_S3_Diagnostik_Therapie_Essstoerungen_ 2011-abgelaufen.pdf. 1257 http://www.awmf.org/. 1258 Mitchell JE, Crow S. Medical complications of anorexia nervosa and bulimia nervosa. Curr Opin Psychiatry. 2006;19(4):438–43. 1259 http: / / www .awmf . org / uploads / tx_szleitlinien/ 050-001m_S3_Adipositas_Prävention_Therapie_201404.pdf. 1260 Seitz J, Walter M, Mainz V, Herpertz-Dahlmann B, Konrad K, von Polier G. Brain volume reduction predicts weight development in adolescent patients with anorexia nervosa. J Psychiatr Res. 2015;68:228–37. 1261 King JA, Geisler D, Ritschel F, Boehm I, Seidel M, Roschinski B, Soltwedel L, Zwipp J, Pfuhl G, Marxen M, Roessner V, Ehrlich S. Global cortical thinning in acute anorexia nervosa normalizes following long-term weight restoration. Biol Psychiatry. 2015;77(7):624–32.

246

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Untergewicht hochhochgradig II gradig I

mäßiggradig

Normalgewicht

leichtgradig

Übergewicht

Herzfunktionsstörungen und Herzschäden

Adipositas/Fettsucht Grad I

Grad II

Grad III

Lebererkrankungen; AP: bei ~ 90 % Fettleber, bei 37 % Fettleberhepatitis, Leberzirrhose

Bei Bulimie: Elektrolytstörungen: Hypokaliämie, Hyponatriämie, Hypochlorämie, Hypomagnesämie, metabolische Alkalose, evtl. Nierenversagen

Coxarthrose und Gonarthrose Gastrooesophagaler Reflux Pankreatitis und Pankreatitiskomplikationen Obstruktive Schlaf-Apnoe

vorzeitiger Tod durch Selbsttötung (ca. 40–45 % der Mortalität) oder durch Folgeerkrankungen

psychosozial bedingte Depressionen, Demenz vorzeitiger Tod durch Folgeerkrankungen 2

2

* BMI/Body Mass Index = Gewicht/Körpergröße = ** kg/m ; ÜG = Übergewicht; AP = Adipositas; RR = relatives Risiko (im Vergleich zum Normalgewicht); OR = ODDs Ratio (Risikoverhältnis im Vergleich zum Normalgwicht)

Aktuelle MRT-Hirnuntersuchungen legen nahe, dass Patienten mit Hungersucht ihre ständige Fehlentscheidungen gegen energie- und fetthaltige Nahrungsmittel deswegen treffen, ▪ weil das Belohnungszentrum im Gehirn fehlerhaft funktioniert, denn im Gegensatz zu gesunden Personen fehlt bei den Hungersüchtigen1262 – beim Stillen von Hunger die verstärkte Aktivierung im Belohnungszentrum (siehe Kap. 2.3.3) und – bei der Sättigung die verstärkte Aktivierung im kognitiven Kontrollbereich des Gehirns (siehe Kap. 2.3.2); ▪ weil das frontale Striatum (stattdessen) stärker aktiviert wird,1263 – welches im Netzwerk mit der Hirnrinde (frontaler Cortex) eine wesentliche Rolle spielt bei den Lernprozessen und der Kontrolle von automatischen Handlungsund Verhaltensweisen, – in welchem die Fehlentscheidungen gegen energie- und fetthaltige Nahrungsmittel eingeprägt sind und damit weitgehend automatisch ablaufen und ▪ weil die kognitive Kontrolle, der Lernprozess und/oder das Arbeitsgedächtnis beeinträchtigt sind

1262 Wierenga CE, Bischoff-Grethe A, Melrose AJ, Irvine Z, Torres L, Bailer UF, Simmons A, Fudge JL, McClure SM, Ely A, Kaye WH. Hunger does not motivate reward in women remitted from anorexia nervosa. Biol Psychiatry. 2015;77(7):642–52. 1263 Foerde K, Steinglass JE, Shohamy D, Walsh BT. Neural mechanisms supporting maladaptive food choices in anorexia nervosa. Nat Neurosci. 2015;18(11):1571–3.

3.5 Die Wahl der Ernährung

– –

247

durch Störungen der funktionellen Verbindungen zwischen der dorsolateralen und vorderen präfrontalen Hirnrinde (Cortex) und dem Thalamus1264 und durch mangelhafte kognitive Flexibilität der Lernprozesse im frontalen Striatum.1265

Als Ursache dieser Fehlfunktionen im Gehirn gelten fehlführende Prägungen, die wiederum nur durch ein dauerhaftes Überschreiben korrigiert werden können (siehe Kapitel 2.4.1), indem seitens des Hungersüchtigen bewusst und mit Überzeugung ständig gesündere Verhaltensweisen eingeübt werden. Die erfolgreiche Behandlung der Hungersucht bedarf somit eines langen Zeitraumes von Monaten und Jahren mit engmaschigen Therapiesitzungen und Erfolgskontrollen. 1266 ▪ Etwa ≥ 50 % der Hungersüchtigen können hierdurch geheilt werden im Sinne von normalem Essverhalten, Einhaltung eines Normalgewichtes und Behebung der durch die Hungersucht entstandenen organischen und psychischen Schäden. ▪ In etwa ≥ 20 % der Fälle entwickelt sich eine chronische Hungersucht. ▪ Die Übrigen sterben zum größten Teil (40–45 %) durch Selbsttötung,1267 oder an Organversagen, im Besonderen an Herzkreislaufkomplikationen oder an Nierenversagen,1268 wobei die Todesrate – bei den Jugendlichen (15–24 Jahre) etwas geringer ist als bei den Älteren (25– 44 Jahre),1269 und – durch fachkundige Therapie bei stationärem Krankenhausaufenthalt gesenkt werden kann.1270 Fettsucht/Adipositas wird erfasst einerseits über die Bestimmung des Body-Mass-Index (siehe Tab. 3.67), andererseits über den Taillenumfang. Dieser gilt bei Männern ab ≥ 94 cm und bei Frauen ab ≥ 80 cm als erhöht.

1264 Biezonski D, Cha J, Steinglass J, Posner J. Evidence for Thalamocortical Circuit Abnormalities and Associated Cognitive Dysfunctions in Underweight Individuals with Anorexia Nervosa. Neuropsychopharmacology. 2015. PMID: 26462619. 1265 Lao-Kaim NP, Fonville L, Giampietro VP, Williams SC, Simmons A, Tchanturia K. Aberrant function of learning and cognitive control networks underlie inefficient cognitive flexibility in anorexia nervosa: a cross-sectional fMRI study. PLoS One. 2015;10(5):e0124027. PMID: 25970523. 1266 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-026k_S3_Diagnostik_Therapie_Essstoerungen_ 2011-abgelaufen.pdf. 1267 Suokas JT, Suvisaari JM, Grainger M, Raevuori A, Gissler M, Haukka J. Suicide attempts and mortality in eating disorders: a follow-up study of eating disorder patients. Gen Hosp Psychiatry. 2014;36(3):355–7. 1268 Sachs KV, Harnke B, Mehler PS, Krantz MJ. Cardiovascular complications of anorexia nervosa: A systematic review. Int J Eat Disord. 2015. PMID: 26710932. 1269 Hoang U, Goldacre M, James A, Mortality following hospital discharge with a diagnosis of eating disorder: national record linkage study, England, 2001–2009. Int J Eat Disord. 2014;47(5):507–15. 1270 Winkler LA, Bilenberg N, Hørder K, Støving RK. Does specialization of treatment influence mortality in eating disorders? − A comparison of two retrospective cohorts. Psychiatry Res. 2015;230(2):165–71.

248

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.68: Die Verhaltensauffälligkeiten bei der Hungersucht (Anorexia nervosa).1271 mangelndes körperliches Selbstwertgefühl trotz Untergewicht wird der eigene Körper als zu dick bewertet ein vermeintlich zu hohes Körpergewicht beherrscht das tagtägliche Denken und Handeln aus Angst vor einer Gewichtszunahme wird die Nahrungsaufnahme drastisch eingeschränkt eine kritische Distanz zu diesem Denken bzw. ein Angstbewältigung kommt nicht zustande der eigene Körper wird als Gegner angesehen und bekämpft mit häufigem Wiegen wird das Körpergewicht kontrolliert hochkalorische, fetthaltige oder kohlenhydratreiche Nahrungsmittel werden peinlichst gemieden Bestandteile einer Mahlzeit (Suppe, Sättigungsbeilagen wie Kartoffeln, Nudeln, Reis oder Nachtisch) werden regelmäßig ausgelassen gesamte Mahlzeiten werden häufig übersprungen oder verweigert Hungergefühle zur Stimulation der Nahrungsaufnahme werden bewusst unterdrückt Essanfälle entstehen durch kurzzeitige Kontrollverluste beim Essverhalten ungeplante und unerwünschte Essanfälle mit kalorienreichen, ansonsten abgelehnten Nahrungsmittel geplante Essanfälle, indem Essanfälle derart organisiert werden, dass keine andere Person stören kann der gefürchteten Gewichtszunahme durch ungeplante oder geplante Nahrungsaufnahme wird gegengesteuert durch übermäßige sportliche Aktivitäten, um die aufgenommene Energie zu verbrennen durch vermehrtes Auslassen von Mahlzeiten durch Einnahme von Appetitzüglern oder durch abführende Maßnahmen (Essen faserreicher Gemüseanteile, Abführmittel, Diuretika) durch ein bewusstes sich Aussetzen von (energiefordender) Kälte im Wohnbereich wie auch im Freien durch induziertes (z. B. mechanische Reizung des Rachenraumes, Salzlösungen) Erbrechen (Bulimia nervosa) durch medikamentöse Steigerung des Stoffwechsels (z. B. durch Einnahme von Schilddrüsenhormone)

1271 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-026k_S3_Diagnostik_Therapie_Essstoerungen_ 2011-abgelaufen.pdf.

3.5 Die Wahl der Ernährung

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Verleugnung der eigenen Lage das soziale Umfeld (Familie, Ehepartner, Freundeskreis) wird getäuscht minimale Nahrungsaufnahmen werden als große Mahlzeiten hingestellt Mahlzeiten bestehen aus aufgebauschtem Salatteller ohne Speiseöle oder andere Nährstoffe Wiegen des Körpergewichtes im Beisein anderer wird verweigert oder durch vorherige größere Flüssigkeitsaufnahme verfälscht Sorgen, Nachfragen und Ratschläge des sozialen Umfeldes werden aggressiv abgelehnt gegenüber den Angehörigen wird die Hungersucht und die Gefährdung durch diese Erkrankung negiert kognitive Beeinträchtigungen die Bedrohlichkeit der Essstörung für die eigene Gesundheit wird nicht zur Kenntnis genommen die eigene Gesundheit wird als vermeintlich besonders stabil herausgestellt kritische Hinweise des sozialen Umfeldes werden übergangen oder als bösartig hingestellt Gefahren der Essstörung für die Stabilität der sozialen Beziehungen werden nicht erkannt Hinweise der Familie, des Ehepartners, der Kinder und Freunde werden überhört oder abgewehrt Phasen emotionaler Inkontinenz (Schreien, Wutausbrüche, Weinkrämpfe) belasten zunehmend mitmenschliche Beziehungen Probleme in den sozialen Beziehungen werden gegenüber Dritten heruntergespielt das Denken, Argumentieren und Handeln schränkt sich zunehmend ein (Abnahme kognitiver Fähigkeiten, Verminderung der Gedankenvielfalt, Gedächtnisverluste)

Der Anteil der Fettsüchtigen hat weltweit zugenommen. Mehr als 66 % der Erwachsenen und etwa 33 % der Kinder und Jugendlichen gelten als übergewichtig oder fettsüchtig.1272,1273 Die Ursachen der Adipositas sind komplex und bislang nur unvollständig verstanden. Als fördernde Faktoren können unterschieden werden (siehe Tab. 3.69 und 3.70) ▪ Fehlsteuerungen des Hunger- und Sättigungsgefühls durch Beeinflussung der Expression der Gene für diejenigen Proteine, welche an der Regulation des Körpergewichtes beteiligt sind.1274 Hierzu gehören

1272 https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln-der-dge/. 1273 https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/ina/vortraege/2013/2013-nachhaltige-LebensstileIII_ Oberritter.pdf. 1274 Voisin S, Almén MS, Zheleznyakova GY, Lundberg L, Zarei S, Castillo S, Eriksson FE, Nilsson EK, Blüher M1, Böttcher Y, Kovacs P, Klovins J, Rask-Andersen M, Schiöth HB. Many obesity-associated SNPs strongly associate with DNA methylation changes at proximal promoters and enhancers. Genome Med. 2015;7(1):103. PMID: 26449484.

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3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.69: Genetisch-biochemische Ursachen der Adipositas. Peptidhormone, welche Sättigung vermitteln und das Hungergefühl vermindern verminderte Expression1275,1276,1277 von Peptid YY (PYY), Glucagon-like Peptid 1 (GLP-1), Oxyntomodulin, und Cholecystokinin (gastrointestinale L-Zellen) von pankreatischem Polypeptid (Inselzellen des Pankreas) Resistenz gegen die Wirkung1278 Leptin (Bildung durch Fettzellen, Magenschleimhaut, Hypothalamus)

hemmt im Hypothalamus die Ausschüttung von Hungergefühl-Peptiden (Agouti-Related Protein/AgrP, Neuropeptid Y/NPY) und fördert die Ausschüttung von Sättigungsgefühl-Peptiden (Proopiomelanocortin/ POMC und kokain- und amphetaminreguliertes Transskript/CART). Bei Adipositas sind Blutspiegel Leptin hoch, jedoch ohne Wirkung (Leptin-Resistenz), wahrscheinlich durch mangelnde Aktivität seines Gegenspielers Sirt1 im Hypothalamus

inaktivierende Mutationen1279 nachgewiesen beim Leptin-Gen; sind selten Peptidhormone, welche den Stoffwechsel aktivieren Resistenz gegen die Wirkung Insulin fördert über den Insulinrezeptor die zelluläre Aufnahme, Verstoffwechselung und Speicherung von Glucose aus dem Blut. Hemmung des Insulinrezeptors (beteiligt sind Adipokine Adiponectin, Leptin, Resistin, Tumor Nekrosis Faktor/TNF-α, interleukin/IL-6) führen zur Insulinresistenz mit erhöhter Blutglucose und wegen des erhöhten Insulins zu verstärkten Hungergefühlen1280,1281,1282 Fibroblast Growth Factor/FGF21 (gebildet in Fettzellen, Leber, Pankreas durch Hunger) stimuliert parallel zu Insulin den Stoffwechsel (Gluconeogenese, Fettabbau, Ketogenese) und führt zur Gewichtsabnahme. Blutspiegel von FGF21 ist deutlich erhöht bei der Adipositas, jedoch ist die Wirkung durch die erniedrigte Expression des FGF21-Rezeptors (βKlotho) deutlich vermindert 1283,1284,1285, verminderte Expression1286,1287 Adiponectin (gebildet in Fettzellen) erhöht die Insulinwirkung, den Fettstoffwechsel und den Energieverbrauch und vermindert die Synthese von Glucose durch die Leber. In der Adipositas ist die Synthese von Adiponectin deutlich vermindert erhöhte Transkription von Gensequenzen bzw. erhöhte Ausschüttung von Peptiden, welche Hungergefühle stimulieren Ghrelin (ausgeschüttet von der Magenschleimhaut), stimuliert den Growth Hormone Secretagogue Rezeptor (GHS-R)1288,1289 Fat mass and obesity associated Gen/FTO ist verstärkt aktiviert bei Adipositas1290,1291,1292 verstärkte Expression von Genen, beteiligt an der Regulation des Körpergewichtes durch epigenetische Aktivierung oder aktivierende Punktmutationen (SNP/Einzel-Nukleotid Polymorphismus) in den jeweiligen Promotorregionen1293,1294,1295,1296

1275 Small CJ, Bloom SR. Gut hormones as peripheral anti obesity targets. Curr Drug Targets CNS Neurol Disord. 2004;3(5):379–88. 1276 Wren AM, Bloom SR. Gut hormones and appetite control. Gastroenterology. 2007;132(6):2116–30. 1277 Choudhury SM, Tan TM, Bloom SR. Gastrointestinal hormones and their role in obesity. Curr Opin Endocrinol Diabetes Obes. 2016;23(1):18–22.

3.5 Die Wahl der Ernährung

251

1278 Sasaki T. Age-Associated Weight Gain, Leptin, and SIRT1: A Possible Role for Hypothalamic SIRT1 in the Prevention of Weight Gain and Aging through Modulation of Leptin Sensitivity. Front Endocrinol (Lausanne). 2015;6:109. PMID: 26236282. 1279 Hinney A, Vogel CI, Hebebrand J. From monogenic to polygenic obesity: recent advances. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2010;19(3):297–310. 1280 Soumaya K. Molecular mechanisms of insulin resistance in diabetes. Adv Exp Med Biol. 2012;771:240– 51. 1281 Li Y, Ding L, Hassan W, Abdelkader D, Shang J. Adipokines and hepatic insulin resistance. J Diabetes Res. 2013;2013:170532, PMID: 23762871. 1282 Kullmann S, Heni M, Veit R, Scheffler K, Machann J, Häring HU, Fritsche A, Preissl H. Selective insulin resistance in homeostatic and cognitive control brain areas in overweight and obese adults. Diabetes Care. 2015;38(6):1044–50. 1283 Woo YC, Xu A, Wang Y, Lam KS. Fibroblast growth factor 21 as an emerging metabolic regulator: clinical perspectives. Clin Endocrinol (Oxf). 2013;78(4):489–96. 1284 Gallego-Escuredo JM, Gómez-Ambrosi J, Catalan V, Domingo P, Giralt M, Frühbeck G, Villarroya F. Opposite alterations in FGF21 and FGF19 levels and disturbed expression of the receptor machinery for endocrine FGFs in obese patients. Int J Obes (Lond). 2015;39(1):121–9. 1285 Fisher FM, Maratos-Flier E. Understanding the Physiology of FGF21. Annu Rev Physiol. 2015, PMID: 26654352. 1286 Galic S, Oakhill JS, Steinberg GR. Adipose tissue as an endocrine organ. Mol Cell Endocrinol. 2010;316(2):129–39. 1287 Lee B, Shao J. Adiponectin and energy homeostasis. Rev Endocr Metab Disord. 2014;15(2):149–56. 1288 Al Massadi O, López M, Fernø J, Diéguez C, Nogueiras R. What is the real relevance of endogenous ghrelin? Peptides. 2015;70:1–6. 1289 Kirchner H, Heppner KM, Tschöp MH. The role of ghrelin in the control of energy balance. Handb Exp Pharmacol. 2012;(209):161–84. 1290 Loos RJ, Yeo GS. The bigger picture of FTO: the first GWAS-identified obesity gene. Nat Rev Endocrinol. 2014;10(1):51–61. 1291 Cauchi S, Stutzmann F, Cavalcanti-Proença C, Durand E, Pouta A, Hartikainen AL, Marre M, Vol S, Tammelin T, Laitinen J, Gonzalez-Izquierdo A, Blakemore AI, Elliott P, Meyre D, Balkau B, Järvelin MR, Froguel P. Combined effects of MC4R and FTO common genetic variants on obesity in European general populations. J Mol Med (Berl). 2009;87(5):537–46. 1292 Wing MR, Ziegler JM, Langefeld CD, Roh BH, Palmer ND, Mayer-Davis EJ, Rewers MJ, Haffner SM, Wagenknecht LE, Bowden DW. Analysis of FTO gene variants with obesity and glucose homeostasis measures in the multiethnic Insulin Resistance Atherosclerosis Study cohort. Int J Obes (Lond). 2011;35(9):1173– 82. 1293 Voisin S, Almén MS, Zheleznyakova GY, Lundberg L, Zarei S, Castillo S, Eriksson FE, Nilsson EK, Blüher M1, Böttcher Y, Kovacs P, Klovins J, Rask-Andersen M, Schiöth HB. Many obesity-associated SNPs strongly associate with DNA methylation changes at proximal promoters and enhancers. Genome Med. 2015;7(1):103. PMID: 26449484. 1294 Poveda A, Ibáñez ME, Rebato E. Common variants in BDNF, FAIM2, FTO, MC4R, NEGR1, and SH2B1 show association with obesity-related variables in Spanish Roma population. Am J Hum Biol. 2014; 26(5):660–9. 1295 Ng MC, Tam CH, So WY, Ho JS, Chan AW, Lee HM, Wang Y, Lam VK, Chan JC, Ma RC. Implication of genetic variants near NEGR1, SEC16B, TMEM18, ETV5/DGKG, GNPDA2, LIN7C/BDNF, MTCH2, BCDIN3D/ FAIM2, SH2B1, FTO, MC4R, and KCTD15 with obesity and type 2 diabetes in 7705 Chinese. J Clin Endocrinol Metab. 2010;95(5):2418–25. 1296 Wang Y, Wang A, Donovan SM, Teran-Garcia M. STRONG Kids Research Team. Individual genetic variations related to satiety and appetite control increase risk of obesity in preschool-age children in the STRONG kids program. Hum Hered. 2013;75(2–4):152–9.

252

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.70: Exogene und endogene Ursachen der Adipositas (auf der Grundlage von1297). Energieaufnahme, welche deutlich über dem Energieverbrauch liegt ständige Verfügbarkeit von Nahrungsmittel niedrige Kosten der Nahrungsmittel Übermaß an Fetten, Stärke und/oder gereinigtem Zucker Nahrungs angebot

zunehmende Zahl an Fertigprodukten (Fast Food)

Suchtpotential

Essgewohnheiten

Zusatz von Geschmacksverstärker verführerische Werbung Unwissen/mangelnde Erfahrung in der eigenen Essenszubereitung Nahrungsmittel mit hohem Kaloriengehalt (z. B. Zucker, Käse), wahrscheinlich durch Stimulation der DopaminAusschüttung1298,1299 Bevorzugung hochkalorischer (Fette, Kohlenhydrate) Nahrungsmittel, arm an Rohfasern und Ballaststoffen Familiäre Bedingungen: schnelles, ungordnetes Essen, Konkurrenz-Essen, Entmündigung: „Alles aufessen zu müssen, was andere auf den Teller geben!“

Kantinen- und regelmäßige Geschäftsessen fortwährendes Essen „über den Hunger“ hinaus, hierdurch vermindertes oder fehlendes Sättigungsgefühl Stressbelastungen Schlafmangel Fehlernährung

Kompensation psychischer Belastungen

Diskriminierungen

familiär, sozial, beruflich gewichtsbezogen (Circulus vitiosus)

Angststörungen, Traumafolgestörungen, Depressionen1300 Nikotinverzicht „Binge eating“-Störung/BES: Essanfälle ≥ 2 x/Woche über ≥ 6 Monate mit nachträglichen Schuldgefühlen über den Kontrollverlust Ess-Störungen

„Night eating“-Störung/NES: abendliche/nächtliche Essanfälle mit Aufnahme von > 25 % des Tagesbedarfs an ≥ 3 Nächten/Woche „Grasen“: Aufnahme von vorwiegend süßen Nahrungsmitteln in großer Menge

Diäten

je nach Diät besteht die Gefahr des Nähstoffmangels, nach Ende der Diäten bewirkt meist der „JoJo“-Effekt eine weitere Gewichtszunahme

1297 http: // www.adipositas -gesellschaft.de / fileadmin/ PDF / Leitlinien / 050 - 001l_S3_Adipositas_Praeven tion_Therapie_2014-11.pdf 1298 Schulte EM, Avena NM, Gearhardt AN. Which foods may be addictive? The roles of processing, fat content, and glycemic load. PLoS One. 2015;10(2):e0117959. PMID: 25692302. 1299 Schulte EM, Yokum S, Potenza MN, Gearhardt AN. Neural systems implicated in obesity as an addictive disorder: from biological to behavioral mechanisms. Prog Brain Res. 2016;223:329–46. 1300 Fox CK, Gross AC, Rudser KD, Foy AM, Kelly AS. Depression, Anxiety, and Severity of Obesity in Adolescents: Is Emotional Eating the Link? Clin Pediatr (Phila). 2015. pii: 0009922815615825. PMID: 26581357.

3.5 Die Wahl der Ernährung

Arzneimittelnebenwirkungen

Umweltgifte

253

Glukokorticoide, Antidiabetika Antidepressiva, Neuroleptika, Antiepileptika Gestagene/Progesteron (auschließlich Gestagen enthaltende Kontrazeptiva) Weichmacher (Phthalate) erhöhen im Tier die Proliferationsrate von Fettzellen und vermindern die Insulintoleranz, Metabolite können im menschlichen Urin in nennenswerten Konzentrationen nachgewiesen werden1301,1302

Energieverbrauch, welcher deutlich unter der Energieaufnahme liegt

Bewegungsmangel

vorwiegend oder auschließlich sitzende Berufsausübung, körperliche Inaktivität, Trägheit verminderter Antrieb, Depressionen Lähmungen, Immobilisierung

endokrine Störungen

Hypothyreose

Schwangerschaft

Gewichtszunahme (durch Progesteron + Fetus) bei Normalgewichtigen im Normfall 11,5 kg–16 kg





Hypercorticoidismus/Morbus Cushing

monogenetische inaktivierende Mutationen z. B. des Leptin-Gens, oder aktivierende oder inaktivierende Punktmutationen (SNP/Single Nucleotide Polymorphism) in den Aktivierungssequenzen/Promoterregionen der beteiligten Gene, epigenetische Veränderungen der Expressionssteuerung (siehe Tab. 3.69) der beteiligten Gene (DNA-Methylierungsmuster und „small non-coding“ RNA-Expressionen), bewirkt durch exogene und endogene Prägungen; diese epigenetischen Veränderungen zeigen sich auch im Sperma von Adipösen und • können über das Sperma auf die Nachkommen übertragen werden1303,1304,1305 und • können sich bei Abmagerung auch wieder zum „Normalzustand“ hin rückentwickeln;1306

1301 Klöting N, Hesselbarth N, Gericke M, Kunath A, Biemann R, Chakaroun R, Kosacka J, Kovacs P, Kern M, Stumvoll M, Fischer B, Rolle-Kampczyk U, Feltens R, Otto W, Wissenbach DK, von Bergen M, Blüher M. Di-(2-Ethylhexyl)-Phthalate (DEHP) Causes Impaired Adipocyte Function and Alters Serum Metabolites. PLoS One. 2015 Dec 2;10(12):e0143190. PMID: 26630026. 1302 Feltens R, Roeder S, Otto W, Borte M, Lehmann I, von Bergen M, Wissenbach DK. Evaluation of Population and Individual Variances of Urinary Phthalate Metabolites in terms of Epidemiological Studies. J Chromatogr Sep Tech 2015;6:290. doi:10.4172/2157-7064.1000290. 1303 Chen Q, Yan M, Cao Z, Li X, Zhang Y, Shi J, Feng GH, Peng H, Zhang X, Zhang Y, Qian J, Duan E, Zhai Q, Zhou Q. Sperm tsRNAs contribute to intergenerational inheritance of an acquired metabolic disorder. Science. 2015. PMID: 26721680. 1304 Rando OJ, Simmons RA. I’m eating for two: parental dietary effects on offspring metabolism. Cell. 2015;161(1):93–105. 1305 Donkin I, Versteyhe S, Ingerslev LR, Qian K, Mechta M, Nordkap L, Mortensen B, Appel EV, Jørgensen N, Kristiansen VB, Hansen T, Workman CT, Zierath JR, Barrès R. Obesity and Bariatric Surgery Drive Epigenetic Variation of Spermatozoa in Humans. Cell Metab. 2015. pii: S1550-4131(15)00571-9. PMID: 26669700. 1306 Donkin I et al. Siehe 1305.

254 ▪ ▪



3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

mikrobielle Fehlbesiedlungen des Dickdarmes, im Besonderen ein Mangel an Bifidobakterien, als entscheidender zusätzlicher Risikofaktor,1307,1308 konstitutiv ein vergleichweise geringer Anteil an „braunem Fett“. In diesem ist der Energiestoffwechsel erhöht. Bei ethnischen Gruppen mit geringem Anteil an braunem Fett besteht eine Häufung von Fettleibigkeit,1309 Prägungen – des Fetus durch Mangelernährung, Fehlernährung (z. B. sehr fettreich) und/oder Adipositas der Schwangeren, wodurch die Fettzellen des Fetus zur Proliferation und Lipogenese programmiert werden,1310,1311,1312 – des Neugeborenen durch niedriges Geburtsgewicht, wodurch der gesamte Stoffwechsel des Neugeborenen auf „Speicherung“ ausgerichtet wird,1313 – des Kindes, Jugendlichen und Erwachsenen durch äußere Ursachen oder Umstände, welche zu Verhaltensweisen führen, die dauerhaft (siehe Tab. 3.70) eine ständig erhöhte Nahrungsaufnahme und/oder einen ständig erniedrigten Energieverbrauch zur Folge haben.

Fettsucht/Adipositas wird mittlerweile als Krankheit eingestuft,1314 da sie das Risiko von schwerwiegenden Erkrankungen (siehe Tab. 3.71) und von einem vorzeitigen Tod (siehe Tab. 3.72) erhöht. Beispielsweise ist eine Fettsucht bei Diagnosestellung des Mammakarzinoms mit einer deutlich höheren Gesamtmortalität verbunden.1315 Fettzellen scheinen bei der Entstehung dieser Folgeerkrankungen eine gewichtige Rolle zu spielen, ▪ weil diese bei Adipösen unter hypoxischen Bedingungen vermehrt Adipokine (Adiponectin, Leptin, Resistin, Tumor Nekrosis Faktor/TNF-α, Interleukin/IL-6) ausschütten und 1307 Roberfroid M, Gibson GR, Hoyles L, McCartney AL, Rastall R, Rowland I, Wolvers D, Watzl B, Szajewska H, Stahl B, Guarner F, Respondek F, Whelan K, Coxam V, Davicco MJ, Léotoing L, Wittrant Y, Delzenne NM, Cani PD, Neyrinck AM, Meheust A. Prebiotic effects: metabolic and health benefits. Br J Nutr. 2010;104 Suppl 2:S1–63. 1308 Chassaing B, Koren O, Goodrich JK, Poole AC, Srinivasan S, Ley RE, Gewirtz AT. Dietary emulsifiers impact the mouse gut microbiota promoting colitis and metabolic syndrome. Nature. 2015;519(7541):92–6. 1309 Merkestein M, Cagampang FR, Sellayah D. Fetal programming of adipose tissue function: an evolutionary perspective. Mamm Genome. 2014;25(9–10):413–23. 1310 Desai M, Ross MG. Fetal programming of adipose tissue: effects of intrauterine growth restriction and maternal obesity/high-fat diet. Semin Reprod Med. 2011;29(3):237–45. 1311 Budge H, Gnanalingham MG, Gardner DS, Mostyn A, Stephenson T, Symonds ME. Maternal nutritional programming of fetal adipose tissue development: long-term consequences for later obesity. Birth Defects Res C Embryo Today. 2005;75(3):193–9. 1312 Lukaszewski MA, Eberlé D, Vieau D, Breton C. Nutritional manipulations in the perinatal period program adipose tissue in offspring. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2013;305(10):E1195–207. 1313 Sarr O, Yang K, Regnault TR. In utero programming of later adiposity: the role of fetal growth restriction. J Pregnancy. 2012;2012:134758. 1314 http: // www.adipositas -gesellschaft.de / fileadmin/ PDF / Leitlinien / 050 - 001l_S3_Adipositas_Praeven tion_Therapie_2014–11.pdf. 1315 Hauner D, Janni W, Rack B, Hauner H. Einfluss von Übergewicht und Ernährung auf die Prognose des Mammakarzinoms. Deutsches Ärzteblatt 2011;108(47):795–801.

255

3.5 Die Wahl der Ernährung



weil die Adipokine im Verdacht stehen, z. B. – das Tumorwachstum zu promovieren1316,1317,1318 und/oder – direkt und indirekt den Glukosestoffwechsel zu beeinträchtigen und das HerzKreislaufsystem zu schädigen.1319,1320

Tab. 3.71: Risiken für Krankheiten im Gefolge von Übergewicht und Fettsucht (auf der Grundlage von 1321,1322). Krankheiten

Risiken (Risiko bei Normalgewicht = 1,0) bei Übergewicht gering

Asthma

mittel/hoch

bei Adipositas/Fettsucht gering

1,4

mittel

2

Leukämien

2 1,2

Karzinome

1,2 1,5

2 (\) 2

Endometrium

1,6

3,4

Oesophagus

1,5

3,1

Gallenblase (\)

1,6

3,4

Mamma, Ovar, Prostata, Colon, Rektum, Niere

1,3

sehr hoch

1,9

polycystisches Ovarsyndrom

Myelome1323

hoch

2,2

1316 Ntikoudi E, Kiagia M, Boura P, Syrigos KN. Hormones of adipose tissue and their biologic role in lung cancer. Cancer Treat Rev. 2014;40(1):22–30. 1317 Booth A, Magnuson A, Fouts J, Foster M. Adipose tissue, obesity and adipokines: role in cancer promotion. Horm Mol Biol Clin Investig. 2015;21(1):57–74. 1318 Riondino S, Roselli M, Palmirotta R, Della-Morte D, Ferroni P, Guadagni F. Obesity and colorectal cancer: role of adipokines in tumor initiation and progression. World J Gastroenterol. 2014;20(18):5177–90. 1319 Molica F, Morel S, Kwak BR, Rohner-Jeanrenaud F, Steffens S. Adipokines at the crossroad between obesity and cardiovascular disease. Thromb Haemost. 2015;113(3):553–66. 1320 Gastaldelli A, Basta G. Ectopic fat and cardiovascular disease: what is the link? Nutr Metab Cardiovasc Dis. 2010;20(7):481–90. 1321 http://www.adipositas-gesellschaft.de/fileadmin/PDF/Leitlinien/050-001l_S3_Adipositas_ Praevention_Therapie_2014–11.pdf 1322 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/050-001m_S3_Adipositas_Prävention_Therapie_201404.pdf. 1323 Teras LR, Kitahara CM, Birmann BM, Hartge PA, Wang SS, Robien K, Patel AV, Adami HO, Weiderpass E, Giles GG, Singh PN, Alavanja M, Beane Freeman LE, Bernstein L, Buring JE, Colditz GA, Fraser GE, Gapstur SM, Gaziano JM, Giovannucci E, Hofmann JN, Linet MS, Neta G, Park Y, Peters U, Rosenberg PS, Schairer C, Sesso HD, Stampfer MJ, Visvanathan K, White E, Wolk A, Zeleniuch-Jacquotte A, de González AB, Purdue MP. Body size and multiple myeloma mortality: a pooled analysis of 20 prospective studies. Br J Haematol. 2014;166(5):667–76.

256

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Krankheiten

Risiken (Risiko bei Normalgewicht = 1,0) bei Übergewicht gering

Pankreas (bei Adipositas in der Jugend)1324

mittel/hoch

1,4 (\)

bei Adipositas/Fettsucht gering

mittel

hoch

sehr hoch

1,5 1,7

≥ 2,4

Herzkreislauferkrankungen (_)

1,3

Lungenembolie (\)

≥ 1,8 1,9

(\)

3,5 3,9

12

Diabetes mellitus Typ II (_) Schwangerschaftsdiabetes

2,4

6,7

2,1

8,6

Fertilitätsstörung/Unfruchtbarkeit

1,7

Neuralrohrdefekte

1,9

Hydrocephalus

1,7

Fetus Nierenerkrankungen Gelenkserkrankungen

Coxarthrose/ Hüftgelenksersatz

1,6 (\)

1,8

(_)

2,8

Gonarthrose/Kniegelenk

Gicht gastrooesophagaler Reflux

2,0

1,4

4,2 ≥ 2,0

3

≥ 2,0

3

1,9

obstruktive Schlaf-Apnoe Neurologisch

≥3

Depressionen Demenz

≥3 4,0

1324 Genkinger JM, Kitahara CM, Bernstein L, Berrington de Gonzalez A, Brotzman M, Elena JW, Giles GG, Hartge P, Singh PN, Stolzenberg-Solomon RZ, Weiderpass E, Adami HO, Anderson KE, Beane-Freeman LE, Buring JE, Fraser GE, Fuchs CS, Gapstur SM, Gaziano JM, Helzlsouer KJ, Lacey JV Jr, Linet MS, Liu JJ, Park Y, Peters U, Purdue MP, Robien K, Schairer C, Sesso HD, Visvanathan K, White E, Wolk A, Wolpin BM, Zeleniuch-Jacquotte A, Jacobs EJ. Central adiposity, obesity during early adulthood, and pancreatic cancer mortality in a pooled analysis of cohort studies. Ann Oncol. 2015;26(11):2257–66.

257

3.5 Die Wahl der Ernährung

Tab. 3.72: Mortalitätsrisiko des Übergewichtes und der Adipositas. Normalgewicht

Adipositas/Fettsucht Grad I

Grad II

Grad III

25 − < 30

30 − < 35

35 − < 40

≥ 40

+ 15 %

+ 44 %

+ 97 %

+ 173 %

insgesamt

+ 30 %

+ 60 %

+ 90 %

+ 120 %

Tumore

+ 10 %

+ 20 %

+ 30 %

+ 40 %

+ 20 %

+ 40 %

+ 60 %

+ 80 %

+ 40 %

+ 80 %

+ 120 %

+ 160 %

+ 60–120 %

+ 120– 240 %

+ 180– 360 %

+ 240– 480 %

BMI

18,5 − < 25

relative Erhöhung des Sterblichkeitsrisikos*)1325

Sterblichkeitsrisiko, differenziert *)1326

Übergewicht

Lunge Herz/Kreislauf

Vergleichs wert

Diabetes, Niere, Leber Lebenszeitverkürzung

2–4 Jahre

Sterblichkeitsrisiko**)1327

– 6%

+ 18 %

8–10 Jahre + 18 %

+ 18 %

Kofaktor Bewegung Vergleichswert

+ 91 %

inaktive Frauen

+ 55 %

+ 142 %

gesamt Frauen1329

+ 20 %

aktive Frauen***) Sterblichkeitsrisiko1328

+ 66 %

+ 179 %

*) Ausschluss anderer Risiken **) Einschluss anderer Risiken wie Tabakrauchen und präexistente Erkrankungen ***) ≥ 3,5 Stunden körperliches Training/Woche

1325 Berrington de GA, Hartge P, Cerhan JR, Flint AJ, Hannan L, MacInnis RJ, Moore SC,Tobias GS, AntonCulver H, Freeman LB, Beeson WL, Clipp SL, English DR, Folsom AR, Freedman DM, Giles G, Hakansson N, Henderson KD, Hoffman-Bolton J, Hoppin JA,Koenig KL, Lee IM, Linet MS, Park Y, Pocobelli G, Schatzkin A, Sesso HD, Weiderpass E, Willcox BJ, Wolk A, Zeleniuch-Jacquotte A, Willett WC, Thun MJ. Body-mass index and mortality among 1.46 million white adults. N Engl J Med 2010;363(23):2211–9. 1326 Whitlock G, Lewington S, Sherliker P, Clarke R, Emberson J, Halsey J, Qizilbash N, Collins R, Peto R. Body-mass index and cause-specific mortality in 900 000 adults: collaborative analyses of 57 prospective studies. Lancet 2009;373(9669):1083–96. 1327 Flegal KM, Kit BK, Orpana H, Graubard BI. Association of all-cause mortality with overweight and obesity using standard body mass index categories: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2013;309(1):71–82. 1328 Hu FB, Willett WC, Li T, Stampfer MJ, Colditz GA, Manson JE. Adiposity as compared with physical activity in predicting mortality among women. N Engl J Med. 2004;351(26):2694–703. 1329 van Dam RM, Willett WC, Manson JE, Hu FB. The relationship between overweight in adolescence and premature death in women. Ann Intern Med. 2006;145(2):91–7.

258

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Adipositasparadoxon wird das Phänomen genannt, dass Fettsüchtige bei einigen chronischen Erkrankungen einen gewissen Überlebensvorteil im Vergleich zu ähnlich erkrankten Normalgewichtigen besitzen.1330,1331,1332,1333 Andererseits haben in einem Beobachtungszeitraum von 20 Jahren gesunde Fettsüchtige ein 8-fach höheres Risiko für eine schwere Erkrankung als gesunde Normalgewichtige.1334 Das Adipositasparadoxon darf somit nicht über das erhöhte Erkrankungs- und Mortalitätsrisiko der Adipositas hinwegtäuschen (siehe Tab. 3.71 und 3.72). Zu dessen Verminderung sind notwendig ▪ regelmäßige körperliche Aktivitäten, die bereits alleine für sich auch ohne Gewichtsreduktion gesundheitsförderlich wirken (körperlich „fitte“ Fettleibige, siehe Tab. 3.72),1335,1336 ▪ eine Gewichtsreduktion mit anhaltender Verminderung des körperlichen Fettanteils1337 durch eine energieverbrauchbilanzierte Ernährung. Eine Verminderung des Körpergewichtes um 5–10 kg bzw. um 5 %1338 ▪ weist bereits eine therapeutische Wirkung auf bei Asthma, Arthritis und erhöhtem Blutdruck, ▪ vermindert die Entstehung von Diabetes II bei Adipositas mit verminderter Glukosetoleranz, ▪ senkt das LDL-Lipoprotein, das Cholesterol und die Triglyceride im Blut und lässt das HDL-Lipoprotein ansteigen, ▪ erhöht die Chancen einer gewünschten Schwangerschaft und ▪ vermindert depressive Zustände. Gewichtsreduktionen sollten unter fachärztlicher Aufsicht durchgeführt werden, zumindest dann, wenn bereits Komorbiditäten vorliegen. Empfohlen werden1339

1330 Childers DK, Allison DB. The ‘obesity paradox’: a parsimonious explanation for relations among obesity, mortality rate and aging? Int J Obes (Lond). 2010;34(8):1231–8. 1331 Brown RE, Kuk JL. Consequences of obesity and weight loss: a devil’s advocate position. Obes Rev. 2015;16(1):77–87. 1332 Lavie CJ, Schutter AD, Archer E, McAuley PA, Blair SN. Obesity and prognosis in chronic diseases – impact of cardiorespiratory fitness in the obesity paradox. Curr Sports Med Rep. 2014;13(4):240–5. 1333 Goyal A, Nimmakayala KR, Zonszein J. Is there a paradox in obesity? Cardiol Rev. 2014;22(4):163–70. 1334 Bell JA, Hamer M, Sabia S, Singh-Manoux A, Batty GD, Kivimaki M. The natural course of healthy obesity over 20 years. J Am Coll Cardiol. 2015;65(1):101–2. 1335 Yerrakalva D, Mullis R, Mant J. The associations of “fatness,” “fitness,” and physical activity with allcause mortality in older adults: A systematic review. Obesity (Silver Spring). 2015;23(10):1944–56. 1336 McAuley PA, Beavers KM. Contribution of cardiorespiratory fitness to the obesity paradox. Prog Cardiovasc Dis. 2014;56(4):434–40. 1337 Hens W, Taeyman J, Cornelis J, Gielen J, Van Gaal L, Vissers D. The Effect of Lifestyle Interventions on Excess Ectopic Fat Deposition Measured by Non-Invasive Techniques in Overweight and Obese Adults: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Phys Act Health. 2015. PMID: 26694194. 1338 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/050-001m_S3_Adipositas_Prävention_Therapie_201404.pdf. 1339 http://www.adipositas-gesellschaft.de/fileadmin/PDF/Leitlinien/050–001l_S3_Adipositas_ Praevention_Therapie_2014–11.pdf.

3.5 Die Wahl der Ernährung

▪ ▪





259

eine schrittweise Umstellung der Ernährung gemäß den Empfehlungen der Fachgesellschaften für Ernährung (siehe Kap. 3.6.1 und Tab. 3.64), eine Vermeidung von einseitigen Diäten, wenn diese einen Nährstoffmangel bewirken (siehe Kap. 3.6.1) und/oder bei denen eine mögliche Gewichtsabnahmen nach Beendigung der Diät gefolgt wird von Gewichtszunahmen mit Werten, die dann meist höher liegen als vor Beginn der Diät und damit auch noch mit einem höheren Krankheitsund Mortalitätsrisiko belastet sind,1340 ein Energiedefizit von ≥ 500 kcal/Tag durch Verminderung des Fett und/oder Kohlenhydratverzehrs, wobei eine „low carb“-Diät wirksamer zu sein scheint als eine „low fat“-Diät 1341 und diese wiederum wirksamer ist als eine „high-fat-Diät“,1342 innerhalb einer Zeitspanne von 6–12 Monaten eine Verminderung des Ausgangsgewichtes – von > 5 % bei einem BMI von 25 bis 35 kg/m2 und – von > 10 % bei einem BMI von > 35 kg/m2.

Da die Gewichtsreduktion einer bestehenden Adipositas nicht immer bereits vorliegende Erkrankungen vermindern oder heilen hilft, ist der Vorbeugung der größte Wert beizumessen. Alle Anstrengungen einer Gewichtsminderung sind jedoch nur dann langfristig wirksam, wenn der/die Adipöse, möglichst im Rahmen einer Psychotherapie, im Besonderen einer kognitiven Verhaltenstherapie, ▪ Einsicht gewinnt in die Notwendigkeit einer sinnvoll durchgeführten Gewichtsabnahme und ▪ mit dieser Einsicht willens ist, seine bisherigen Prägungen aktiv zu überschreiben mit der Zielsetzung, einen BMI zwischen 18,5 und < 25, zumindest jedoch < 30 (siehe Tab. 3.67) zu erreichen und danach dauerhaft zu halten, – durch tägliche Selbstkontrolle seines Essverhaltens mit dem Ziel einer bedarfsorientierten und ausgewogenen Ernährung (siehe Kap. 3.6.1), – durch täglich zunehmende, ausdauerfordernde körperliche Bewegungen zur Erhöhung seines Energiebedarfs; ▪ unterstützt wird in seinem zielgerichten Verhalten von seinem familiären, gesellschaftlichen und beruflichen Umfeld. Gerade auch bei adipösen Kindern und Jugendlichen ist dabei von besonderer Bedeutung1343 – nicht nur die intensive ärztliche Information und engmaschige Therapiebegleitung,

1340 http://www.awmf. Siehe 1338. 1341 Bazzano LA, Hu T, Reynolds K, Yao L, Bunol C, Liu Y, Chen CS, Klag MJ, Whelton PK, He J. Effects of low-carbohydrate and low-fat diets: a randomized trial. Ann Intern Med. 2014;161(5):309–18. 1342 Tobias DK, Chen M, Manson JE, Ludwig DS, Willett W, Hu FB. Effect of low-fat diet interventions versus other diet interventions on long-term weight change in adults: a systematic review and meta-analysis. Lancet Diabetes Endocrinol. 2015;3(12):968–79. 1343 Foster BA, Farragher J, Parker P, Sosa ET. Treatment Interventions for Early Childhood Obesity: A Systematic Review. Acad Pediatr. 2015;15(4):353–61.

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3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme



sondern auch die Bereitschaft der Familie, im Besonderen der Eltern, durch Rat und Tat den Kindern bei den Anstrengungen zur Gewichtsverminderung zu helfen.

Für den Fall einer erfolglosen Psychotherapie der Adipositas ▪ stehen bislang keine Arzneimittel zur kausalen Behandlung zur Verfügung, ▪ beschränkt sich deren Arzneimitteltherapie im Wesentlichen auf die Behandlung von Komorbiditäten. Drohen diese meist ab einem BMI von > 35 erheblich zu werden, ▪ besteht die Möglichkeit des chirurgischen Magen-Bypass (Bariatric surgery), welcher zur Gewichtsreduktion führt und Morbidität und Mortalität der Adipositas senkt, zumindest teilweise durch die Verminderung der Ausschüttung appetitstimulierender gastrointestinaler Hormone.1344,1345,1346

3.5.3 Der Genuss von Kaffee, Tee oder Kakao Kaffee, Tee oder Kakao stellen Komponenten der Ernährung dar, welche weniger der Ernährung dienen, sondern mehr wegen des guten Geschmacks und der angenehmen, psychotropen Wirkung getrunken oder verzehrt werden. Wie überall, so gilt besonders auch hier die Regel von Paracelsus: „Alle Ding’ sind Gift und nichts ohn’ Gift − allein die Dosis macht, das ein Ding’ kein Gift ist“. Kaffee, Tee oder Kakao wirken somit jenseits des verträglichen Dosisbereiches als ein Gift. Kaffee und Tee enthalten als wesentliche Wirkstoffe das Koffein. In Maßen und regelmäßig eingenommen bewirkt Koffein (siehe Tab. 3.73) ▪ eine Steigerung der ZNS-Funktionen bis ins hohe Alter hinein, ▪ eine Minderung der Risiken unterschiedlicher Erkrankungen wie z. B. des Diabetes Typ II, von Herzkreislauferkrankungen und von einigen Tumorerkrankungen. Andererseits können exzessive Dosen von > 500 mg Koffein zu Arrhythmien, Tachycardien, Erbrechen, Krämpfen Koma und zum Tode führen. Fatale Dosen liegen im Bereich von ≥ 5g.1347,1348

1344 Bult MJ, van Dalen T, Muller AF. Surgical treatment of obesity. Eur J Endocrinol. 2008;158(2):135–45. 1345 Scopinaro N. Bariatric metabolic surgery. Rozhl Chir. 2014;93(8):404–15. 1346 Frühbeck G. Bariatric and metabolic surgery: a shift in eligibility and success criteria. Nat Rev Endocrinol. 2015;11(8):465–77. 1347 Kerrigan S, Lindsey T. Fatal caffeine overdose: two case reports. Forensic Sci Int. 2005;153(1):67–9. 1348 Jabbar SB, Hanly MG. Fatal caffeine overdose: a case report and review of literature. Am J Forensic Med Pathol. 2013;34(4):321–4.

3.5 Die Wahl der Ernährung

261

Tab. 3.73: Beeinflussung der Gesundheitsrisiken durch einen täglichen mäßigen Kaffee- und/oder Tee-Genuss. vorteilhaft

fraglich oder schädlich

biochemische Wirkung und Dosis Hemmung der Adenosinrezeptoren A1R, A2AR und A3R;1349,1350,1351 intrazellulares Kalzium (↑), Inhibition der Phosphodiesterase (↑)1352 nichttoxische Dosis: ≤ 200 mg pro Sitzung (ca. 2½ Tassen Kaffee) und ≤ 400 mg/Tag (ca. 5 Tassen Kaffee)1353 oder 3–8 mg/kg Koffein1354; durchschnittliche Dosis: 2–4 Tassen/Tag

> 400 mg/Tag

neurophysiologische Wirkung Stressbewältigung (↑), Depressionen (↓)1355,1356 kognitive Funktionen (↑), Aufmerksamkeit (↑), Gedächtnisleistung (↑), Altersbedingte Demenz (↓?)1357,1358 organische und psychische Schäden nach Rückenmarkverletzungen oder Schlaganfällen (↓)1359 Parkinson (↓)1360,1361 Innenaugendruck bei Normalpersonen (kein ↑)

Innenaugendruck bei Glaukom (↑)1362

Stoffwechselwirkung Diabetes mellitus Typ II (↓),1363,1364 Körpertemperatur und Grundumsatz (↑)1367 Lebererkrankungen: HCV-Hepatitis (↓), Fettleber (↓), Zhirrose (↓), Mortalität (↓)1368,1369

Glucoseaufnahme von Muskelzellen (↓), Glucosespiegel (↑),1365 HDL-Lipoproteine, Triglyceride, Cholesterol (↑)1366

kardiovaskuläre Wirkung Schutz der Endothelzellen durch Flavonoide (bes. im Tee), NO-Ausschüttung (↑), NO Abbau durch Oxydation (↓)1370,1371 ventrikuläre Arrhythmien (0),1372 Vorhofflimmern/geringe Dosis (↓), Vorhofflimmern/höhere Dosis (0)1373,1374 inotrope und chronotrope Wirkung (↑),1376 Herzinfarkt (↓)1377 langfristige Wirkung bei Bluthochdruck (0)1378

Herzdurchblutung unter Belastung (↓),1375 Blutdruck bei Bluthochdruck (↑, für ~ 3 Std),

ischämische Schlaganfälle (↓)1379,1380 Lungenfunktion Lungenventilation (↑)1381 Frühgeburten: bronchopulmonare Dysplasie (↓), Mortalität (↓), nekrotisierende Enterocolitis/NEC (0)1382,1383 Risiko für Karzinomwachstum antioxidative und genoprotektive Wirkung (↑),1384 Spontanrate der DNA-Strang-Brüche (↓)1385 Mammakarzinome, im Besonderen wenn BRCA1-Mutation-positiv (↓)1386 Magenkarzinome bei > 6 Tassen/Tag (kein ↑)1387,1388 Prostatakarzinome (↓)1389,1390 Leberzellkarzinome (↓)1391,1392 Nierenzellkarzinome (↓)1393 (↑) Förderung/Anstieg; (↓) Hemmung/Abfall des Risikos

Magenkarzinome in USA (↑?)

262

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

1349 Kaster MP, Machado NJ, Silva HB, Nunes A, Ardais AP, Santana M, Baqi Y, Müller CE, Rodrigues AL, Porciúncula LO, Chen JF, Tomé ÂR, Agostinho P, Canas PM, Cunha RA. Caffeine acts through neuronal adenosine A2A receptors to prevent mood and memory dysfunction triggered by chronic stress. Proc Natl Acad Sci U S A. 2015;112(25):7833–8. 1350 Sawynok J. Adenosine receptor targets for pain. Neuroscience. 2015. pii: S0306-4522(15)00950-1. PMID:26500181. 1351 Espinosa J, Rocha A, Nunes F, Costa MS, Schein V, Kazlauckas V, Kalinine E, Souza DO, Cunha RA, Porciúncula LO. Caffeine consumption prevents memory impairment, neuronal damage, and adenosine A2A receptors upregulation in the hippocampus of a rat model of sporadic dementia. J Alzheimers Dis. 2013;34(2):509–18. 1352 Cappelletti S, Piacentino D, Sani G, Aromatario M. Caffeine: cognitive and physical performance enhancer or psychoactive drug? Curr Neuropharmacol. 2015;13(1):71–88. 1353 Nehlig A. Effects of coffee/caffeine on brain health and disease: What should I tell my patients? Pract Neurol. 2015. pii: practneurol-2015-001162. PMID: 26677204. 1354 Higgins S, Straight CR, Lewis RD. The Effects of Pre-Exercise Caffeinated-Coffee Ingestion on Endurance Performance: An Evidence-Based Review. Int J Sport Nutr Exerc Metab. 2015, PMID: 26568580. 1355 Grosso G, Micek A, Castellano S, Pajak A, Galvano F. Coffee, tea, caffeine and risk of depression: A systematic review and dose-response meta-analysis of observational studies. Mol Nutr Food Res. 2016;60(1):223–34. 1356 Dong X, Yang C, Cao S, Gan Y, Sun H, Gong Y, Yang H, Yin X, Lu Z. Tea consumption and the risk of depression: a meta-analysis of observational studies. Aust N Z J Psychiatry. 2015 Apr;49(4):334–45. 1357 Panza F, Solfrizzi V, Barulli MR, Bonfiglio C, Guerra V, Osella A, Seripa D, Sabbà C, Pilotto A, Logroscino G. Coffee, tea, and caffeine consumption and prevention of late-life cognitive decline and dementia: a systematic review. J Nutr Health Aging. 2015;19(3):313–28. 1358 Carman AJ, Dacks PA, Lane RF, Shineman DW, Fillit HM. Current evidence for the use of coffee and caffeine to prevent age-related cognitive decline and Alzheimer’s disease. J Nutr Health Aging. 2014; 18(4):383–92. 1359 Rivera-Oliver M, Díaz-Ríos M. Using caffeine and other adenosine receptor antagonists and agonists as therapeutic tools against neurodegenerative diseases: a review. Life Sci. 2014;101(1–2):1–9. 1360 Costa J, Lunet N, Santos C, Santos J, Vaz-Carneiro A. Caffeine exposure and the risk of Parkinson’s disease: a systematic review and meta-analysis of observational studies. J Alzheimers Dis. 2010;20 Suppl 1:S221–38. 1361 Palacios N, Gao X, McCullough ML, Schwarzschild MA, Shah R, Gapstur S, Ascherio A. Caffeine and risk of Parkinson’s disease in a large cohort of men and women. Mov Disord. 2012;27(10):1276–82. 1362 Li M, Wang M, Guo W, Wang J, Sun X. The effect of caffeine on intraocular pressure: a systematic review and meta-analysis. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol. 2011;249(3):435–42. 1363 Ding M, Bhupathiraju SN, Chen M, van Dam RM, Hu FB. Caffeinated and decaffeinated coffee consumption and risk of type 2 diabetes: a systematic review and a dose-response meta-analysis. Diabetes Care. 2014;37(2):569–86. 1364 Jiang X, Zhang D, Jiang W. Coffee and caffeine intake and incidence of type 2 diabetes mellitus: a meta-analysis of prospective studies. Eur J Nutr. 2014;53(1):25–38. 1365 Zaharieva DP, Riddell MC, Caffeine and glucose homeostasis during rest and exercise in diabetes mellitus. Appl Physiol Nutr Metab. 2013;38(8):813–22. 1366 Cai L, Ma D, Zhang Y, Liu Z, Wang P. The effect of coffee consumption on serum lipids: a metaanalysis of randomized controlled trials. Eur J Clin Nutr. 2012;66(8):872–7. 1367 Hursel R, Westerterp-Plantenga MS. Catechin- and caffeine-rich teas for control of body weight in humans. Am J Clin Nutr. 2013;98(6 Suppl):1682S-1693S. 1368 Saab S, Mallam D, Cox GA 2nd, Tong MJ. Impact of coffee on liver diseases: a systematic review. Liver Int. 2014;34(4):495–504. 1369 Machado SR, Parise ER, Carvalho Ld. Coffee has hepatoprotective benefits in Brazilian patients with chronic hepatitis C even in lower daily consumption than in American and European populations. Braz J Infect Dis. 2014;18(2):170–6.

3.5 Die Wahl der Ernährung

263

1370 Dias PM, Changarath J, Damodaran A, Joshi MK. Compositional variation among black tea across geographies and their potential influence on endothelial nitric oxide and antioxidant activity. J Agric Food Chem. 2014;62(28):6655–68. 1371 Helm L, Macdonald IA. Impact of beverage intake on metabolic and cardiovascular health. Nutr Rev. 2015;73 Suppl 2:120–9. 1372 Zuchinali P, Ribeiro PA, Pimentel M, da Rosa PR, Zimerman LI, Rohde LE. Effect of caffeine on ventricular arrhythmia: a systematic review and meta-analysis of experimental and clinical studies. Europace. 2015, pii: euv261. PMID:26443445. 1373 Caldeira D, Martins C, Alves LB, Pereira H, Ferreira JJ, Costa J. Caffeine does not increase the risk of atrial fibrillation: a systematic review and meta-analysis of observational studies. Heart. 2013;99(19):1383– 9. 1374 Cheng M, Hu Z, Lu X, Huang J, Gu D. Caffeine intake and atrial fibrillation incidence: dose response meta-analysis of prospective cohort studies. Can J Cardiol. 2014;30(4):448–54. 1375 Higgins JP, Babu KM. Caffeine reduces myocardial blood flow during exercise. Am J Med. 2013;126(8):730.e1–8. PMID:23764265. 1376 Cappelletti S, Piacentino D, Sani G, Aromatario M. Caffeine: cognitive and physical performance enhancer or psychoactive drug? Curr Neuropharmacol. 2015;13(1):71–88. 1377 Bøhn SK, Ward NC, Hodgson JM, Croft KD. Effects of tea and coffee on cardiovascular disease risk. Food Funct. 2012;3(6):575–91. 1378 Mesas AE, Leon-Muñoz LM, Rodriguez-Artalejo F, Lopez-Garcia E. The effect of coffee on blood pressure and cardiovascular disease in hypertensive individuals: a systematic review and meta-analysis. Am J Clin Nutr. 2011;94(4):1113–26. 1379 Kim B, Nam Y, Kim J, Choi H, Won C. Coffee Consumption and Stroke Risk: A Meta-analysis of Epidemiologic Studies. Korean J Fam Med. 2012 Nov;33(6):356–65. 1380 Larsson SC, Orsini N. Coffee consumption and risk of stroke: a dose-response meta-analysis of prospective studies. Am J Epidemiol. 2011;174(9):993–1001. 1381 Chapman RF, Mickleborough TD. The effects of caffeine on ventilation and pulmonary function during exercise: an often-overlooked response. Phys Sportsmed. 2009;37(4):97–103. 1382 Park HW, Lim G, Chung SH, Chung S, Kim KS, Kim SN. Early Caffeine Use in Very Low Birth Weight Infants and Neonatal Outcomes: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Korean Med Sci. 2015; 30(12):1828–35. 1383 Jensen EA, Foglia EE, Schmidt B. Evidence-Based Pharmacologic Therapies for Prevention of Bronchopulmonary Dysplasia: Application of the Grading of Recommendations Assessment, Development, and Evaluation Methodology. Clin Perinatol. 2015;42(4):755–79. 1384 Bravo J, Arbillaga L, de Peña MP, Cid C. Antioxidant and genoprotective effects of spent coffee extracts in human cells. Food Chem Toxicol. 2013;60:397–403. 1385 Bakuradze T, Lang R, Hofmann T, Eisenbrand G, Schipp D, Galan J, Richling E. Consumption of a dark roast coffee decreases the level of spontaneous DNA strand breaks: a randomized controlled trial. Eur J Nutr. 2015;54(1):149–56. 1386 Jiang W, Wu Y, Jiang X. Coffee and caffeine intake and breast cancer risk: an updated dose-response meta-analysis of 37 published studies. Gynecol Oncol. 2013 Jun;129(3):620–9. 1387 Li L, Gan Y, Wu C, Qu X, Sun G, Lu Z. Coffee consumption and the risk of gastric cancer: a metaanalysis of prospective cohort studies. BMC Cancer. 2015;15:733. PMID: 26481317. 1388 Zeng SB, Weng H, Zhou M, Duan XL, Shen XF, Zeng XT. Long-Term Coffee Consumption and Risk of Gastric Cancer: A PRISMA-Compliant Dose-Response Meta-Analysis of Prospective Cohort Studies. Medicine (Baltimore). 2015;94(38):e1640. PMID: 26402838. 1389 Cao S, Liu L, Yin X, Wang Y, Liu J, Lu Z. Coffee consumption and risk of prostate cancer: a metaanalysis of prospective cohort studies. Carcinogenesis. 2014;35(2):256–61. 1390 Liu H, Hu GH, Wang XC, Huang TB, Xu L, Lai P, Guo ZF, Xu YF. Coffee consumption and prostate cancer risk: a meta-analysis of cohort studies. Nutr Cancer. 2015;67(3):392–400. 1391 Saab S, Mallam D, Cox GA 2nd, Tong MJ. Impact of coffee on liver diseases: a systematic review. Liver Int. 2014;34(4):495–504.

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3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.74: Klinische Wirksamkeit von Kakao in randomisiert kontrollierten Studien und Metaanalysen. Stoffwechselerkrankungen Risiko Diabetes Mellitus Typ II (↓) bei Schokolade ≥ 2 x/Woche, Normalgewicht, jung1394 (HR: 0,83) Insulinresistenz/Insulinblutspiegel (↓): (HOMA-IR: 0,67)1395 Herz-Kreislauf 1396,1397,1398,1399 Lipoproteine-LDL (↓) – HDL (↑), Thrombozytenaggregation (↓), Fibrinolyse (↑)1400 Schutz der Endothelzellen durch NO Synthese (↑), superoxidebedingter Abbau von NO (↓)1401 Gefäßerweiterung/Flow mediated dilatation (↑): 1,3 %–3,9 % diastolischer Blutdruck (↓), systolischer Blutdruck (↓): von –1,6/–1,6 bis –2/–3 mmHg arterielle Steifheit/Geschwindigkeit der Pulswelle (↓) Risiko (16–99 g Schokolade/Tag) kardiovaskulärer Erkrankungen (↓) (RR: ~ 0,6–0,7), Risiko Schlaganfall (↓) (RR: ~ 0,7–0,8), kardiovaskuläre Mortalität (↓) (RR: 0,6)1402,1403 Risiko Herz-Kreislauferkrankung (↓) RR: ~ 0,7, Schlaganfall (↓) RR: ~0,8; zentrales Nervensystem/neurologische Reaktionen Gemütslage (↑), kognitive Funktionen (↑)1404,1405 cerebraler Blutfluss (↑),1406,1407 Neurodegeneration (↓)1408,1409 (↑) Förderung/Anstieg, (↓) Hemmung/Abfall; RR = relatives Risiko

1392 Leung WW, Ho SC, Chan HL, Wong V, Yeo W, Mok TS. Moderate coffee consumption reduces the risk of hepatocellular carcinoma in hepatitis B chronic carriers: a case-control study. J Epidemiol Community Health. 2011;65(6):556–8. 1393 Nkondjock A. Coffee consumption and the risk of cancer: an overview. Cancer Lett. 2009;277(2):121–5. 1394 Matsumoto C, Petrone AB, Sesso HD, Gaziano JM, Djoussé L. Chocolate consumption and risk of diabetes mellitus in the Physicians’ Health Study. Am J Clin Nutr. 2015;101(2):362–7. 1395 Hooper L, Kay C, Abdelhamid A, Kroon PA, Cohn JS, Rimm EB, Cassidy A. Effects of chocolate, cocoa, and flavan-3-ols on cardiovascular health: a systematic review and meta-analysis of randomized trials. Am J Clin Nutr. 2012;95(3):740–51. 1396 Berends LM, van der Velpen V, Cassidy A. Flavan-3-ols, theobromine, and the effects of cocoa and chocolate on cardiometabolic risk factors. Curr Opin Lipidol. 2015 ;26(1):10–9. 1397 Hooper L, et al. Siehe 1395. 1398 Ried K, Sullivan TR, Fakler P, Frank OR, Stocks NP. Effect of cocoa on blood pressure. Cochrane Database Syst Rev. 2012;8:CD008893. PMID: 22895979. 1399 Lilamand M, Kelaiditi E, Guyonnet S, Antonelli Incalzi R, Raynaud-Simon A, Vellas B, Cesari M. Flavonoids and arterial stiffness: promising perspectives. Nutr Metab Cardiovasc Dis. 2014;24(7):698–704. 1400 Arranz S, Valderas-Martinez P, Chiva-Blanch G, Casas R, Urpi-Sarda M, Lamuela-Raventos RM, Estruch R. Cardioprotective effects of cocoa: clinical evidence from randomized clinical intervention trials in humans. Mol Nutr Food Res. 2013;57(6):936–47. 1401 Grassi D, Desideri G, Di Giosia P, De Feo M, Fellini E, Cheli P, Ferri L, Ferri C. Tea, flavonoids, and cardiovascular health: endothelial protection. Am J Clin Nutr. 2013;98(6 Suppl):1660S–1666S. 1402 Buitrago-Lopez A, Sanderson J, Johnson L, Warnakula S, Wood A, Di Angelantonio E, Franco OH. Chocolate consumption and cardiometabolic disorders: systematic review and meta-analysis. BMJ. 2011;343:d4488. PMID: 21875885. 1403 Kwok CS, Boekholdt SM, Lentjes MA, Loke YK, Luben RN, Yeong JK, Wareham NJ, Myint PK, Khaw KT. Habitual chocolate consumption and risk of cardiovascular disease among healthy men and women. Heart. 2015;101(16):1279–87.

3.5 Die Wahl der Ernährung

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Kakao und kakaohaltige Schokolade enthalten Kakaopulver, welches mit einem aufwendigen Verfahren hergestellt wird und aus einer Mischung zahlreicher Wirkstoffe besteht, wobei im Vordergrund stehen:1410,1411 ▪ Methylxanthine wie Theobromin, Theophyllin und Caffein – welche über die Aktivierung von Adenosin-Rezeptoren das intrazelluläre zyklische Adenosin-Mono-Phosphat/cAMP erhöhen und – denen eine neurologisch stimulierende Wirkung zugesprochen wird; ▪ Polyphenole wie Flavonoide, Catechine (unter ihnen das (–)-Epicatechin und Procyanide, – deren Gehalt im Kakaopulver abhängt von den Kulturbedingungen (Region, Klima, Reife der Bohne, Erntezeit) und den technischen Bedingungen der Herstellung (Lagerung, Erhitzung);1412 ▪ je nach Art, technischer Herstellung und Qualitätskontrolle aber auch Verunreinigungen mit Mycotoxinen, im Besonderen mit dem kanzerogenen Aflatoxin.1413,1414,1415 Durch klinische Studien ist belegt, dass der Genuss von Kakao gesundheitsförderlich wirkt.1416,1417 Die Schutzwirkung umfasst (siehe Tab. 3.74) ▪ eine Verminderung des Risikos von Herz- und Kreislauferkrankungen1418

1404 Scholey A, Owen L. Effects of chocolate on cognitive function and mood: a systematic review. Nutr Rev. 2013;71(10):665–81. 1405 Smit HJ, Gaffan EA, Rogers PJ. Methylxanthines are the psycho-pharmacologically active constituents of chocolate. Psychopharmacology (Berl). 2004;176(3–4):412–9. 1406 Francis ST, Head K, Morris PG, Macdonald IA. The effect of flavanol-rich cocoa on the fMRI response to a cognitive task in healthy young people. J Cardiovasc Pharmacol. 2006;47 Suppl 2:S215–20. 1407 Sokolov AN, Pavlova MA, Klosterhalfen S, Enck P. Chocolate and the brain: neurobiological impact of cocoa flavanols on cognition and behavior. Neurosci Biobehav Rev. 2013;37(10 Pt 2):2445–53. 1408 Nehlig A. The neuroprotective effects of cocoa flavanol and its influence on cognitive performance. Br J Clin Pharmacol. 2013;75(3):716–27. 1409 Vauzour D. Effect of flavonoids on learning, memory and neurocognitive performance: relevance and potential implications for Alzheimer’s disease pathophysiology. J Sci Food Agric. 2014;94(6):1042–56. 1410 Verna R. The history and science of chocolate. Malays J Pathol. 2013;35(2):111–21. 1411 Kim J, Kim J, Shim J, Lee CY, Lee KW, Lee HJ. Cocoa phytochemicals: recent advances in molecular mechanisms on health. Crit Rev Food Sci Nutr. 2014;54(11):1458–72. 1412 Oracz J, Zyzelewicz D, Nebesny E. The content of polyphenolic compounds in cocoa beans (Theobroma cacao L.), depending on variety, growing region, and processing operations: a review. Crit Rev Food Sci Nutr. 2015;55(9):1176–92. 1413 Schwan RF, Wheals AE. The microbiology of cocoa fermentation and its role in chocolate quality. Crit Rev Food Sci Nutr. 2004;44(4):205–21. 1414 Copetti MV, Iamanaka BT, Pitt JI, Taniwaki MH, Fungi and mycotoxins in cocoa: from farm to chocolate. Int J Food Microbiol. 2014;178:13–20.. 1415 Ho VT, Zhao J, Fleet G. Yeasts are essential for cocoa bean fermentation. Int J Food Microbiol. 2014;174:72–87. 1416 Verna R. The history and science of chocolate. Malays J Pathol. 2013;35(2):111–21. 1417 Franco R, Oñatibia-Astibia A, Martínez-Pinilla E. Health benefits of methylxanthines in cacao and chocolate. Nutrients. 2013;5(10):4159–73. 1418 Helm L, Macdonald IA. Impact of beverage intake on metabolic and cardiovascular health. Nutr Rev. 2015;73 Suppl 2:120–9.

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3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme



▪ ▪

eine Blutdrucksenkung wird bereits durch einen mäßigen Schokoladenkonsum erreicht, vergleichbar mit derjenigen nach einer Monotherapie mit einem BetaBlocker oder einem Angiotensin-Konversionsenzym-Hemmer,1419 – als wesentliche Mechanismen werden die verstärkte Bildung von NO und die Hemmung des Angiotensin-Konversions-Enzym (z. B. nach Einnahme von 75g dunkler Schokolade) vermutet;1420,1421 eine zumindest geringradige Verminderung des Risikos eines Diabetes mellitus Typ II, eine Stimulierung der Gemütslage wie auch der kognitiven Funktionen. Nur für die hoch kakaohaltige („schwarze“) Schokolade ist die Wirkung belegt. Weiße Schokolade scheint dagegen nicht besser zu wirken als Wasser.1422

Darüber hinaus gibt es Anhaltspunkte, dass Kakao ▪ das bei der Adipositas gefürchtete metabolische Syndrom (Diabetes mellitus Typ II, Bluthochdruck, Herzkreislauferkrankung) verhindern oder einschränken hilft,1423,1424 ▪ auf Grund seiner antioxydativen Wirkung die Entstehung von Tumoren hemmen könnte,1425,1426 ▪ antientzündlich wirken könnte.1427,1428 Ob die in der Zellkultur geprüften Kakaokonzentrationen den maximalen Blutkonzentrationen nach Aufnahme von gewöhnlichen Mengen von Kakao oder Schokolade entsprechen, ist jedoch fraglich.1429

1419 Wingler K, Schmidt HHHW. Guter Stress, schlechter Stress – feine Balance in Blutgefäßen. Dtsch Ärztebl Int 2009;106(42):677–684. 1420 Persson IA, Persson K, Hägg S, Andersson RG. Effects of cocoa extract and dark chocolate on angiotensin-converting enzyme and nitric oxide in human endothelial cells and healthy volunteers – a nutrigenomics perspective. J Cardiovasc Pharmacol. 2011;57(1):44–50. 1421 Oboh G, Ademosun AO, Ademiluyi AO, Omojokun OS, Nwanna EE, Longe KO. In Vitro Studies on the Antioxidant Property and Inhibition of α-Amylase, α-Glucosidase, and Angiotensin I-Converting Enzyme by Polyphenol-Rich Extracts from Cocoa (Theobroma cacao) Bean. Patholog Res Int. 2014;2014:549287. PMID: 25295218. 1422 Smit HJ, Gaffan EA, Rogers PJ. Methylxanthines are the psycho-pharmacologically active constituents of chocolate. Psychopharmacology (Berl). 2004;176(3–4):412–9. 1423 Ali F, Ismail A, Kersten S. Molecular mechanisms underlying the potential antiobesity-related diseases effect of cocoa polyphenols. Mol Nutr Food Res. 2014;58(1):33–48. 1424 Gu Y, Lambert JD. Modulation of metabolic syndrome-related inflammation by cocoa. Mol Nutr Food Res. 2013;57(6):948–61. 1425 Martin MA, Goya L, Ramos S. Potential for preventive effects of cocoa and cocoa polyphenols in cancer. Food Chem Toxicol. 2013;56:336–51. 1426 Rudolf E, Andelová H, Cervinka M. Polyphenolic compounds in chemoprevention of colon cancer − targets and signaling pathways. Anticancer Agents Med Chem. 2007;7(5):559–75. 1427 Becker K, Geisler S, Ueberall F, Fuchs D, Gostner JM. Immunomodulatory properties of cacao extracts − potential consequences for medical applications. Front Pharmacol. 2013;4:154. PMID: 24376420. 1428 Jenny M, Santer E, Klein A, Ledochowski M, Schennach H, Ueberall F, Fuchs D. Cacao extracts suppress tryptophan degradation of mitogen-stimulated peripheral blood mononuclear cells. J Ethnopharmacol. 2009;122(2):261–7. 1429 Rimbach G, Melchin M, Moehring J, Wagner AE. Polyphenols from cocoa and vascular health – a critical review. Int J Mol Sci. 2009;10(10):4290–309.

3.5 Die Wahl der Ernährung

267

Wie immer auch, auf Grund der bereits vorliegenden klinischen Daten hat jeder mit Kakao oder schwarzer Schokolade ein Genussmittel in der Hand, mit welchem er seine Gesundheit fördern kann, soweit die konsumierten Mengen beschränkt werden im Rahmen der jeweiligen persönlichen Bilanz von Energiezufuhr und -verbrauch.

3.5.4 Die Bedeutung von Zucker, Salz, Geschmacksverstärkern und Gewürzen Zucker gehört als Kohlenhydrat zu den Makronährstoffen. Andererseits dient seine Süße, geschmeckt über TypII-Tas1R2/R3 Rezeptoren (siehe Kap. 2.2.1), dem Genuss. In diesem Genuss liegt die Gefahr, Zucker bzw. hoch zuckerhaltige Nahrungszubereitungen und/ oder Getränke jenseits einer ausgewogenen Energieverbrauchsbilanz aufzunehmen. Der Drang zu diesem Genuss kann sich zu einer substanzabhängigen wie auch zu einer verhaltensabhängigen Sucht entwickeln, welche beide wesentliche Ursachen des Übergewichtes und der Fettsucht darstellen,1430,1431,1432,1433 in deren Gefolge sich wiederum Insulinresistenz, kardiovaskuläre Erkrankungen und das metabolische Syndrom entwickeln können. Synthetische kalorienfreie Süßstoffe können nur eingeschränkt aus dieser Sucht heraushelfen. Zwar mindern die Süßstoffe etwas die Kalorieneinnahme und können dadurch das Gewicht reduzieren,1434,1435 aber das Suchtverhalten wird nicht verändert.1436 Zudem kann der dauerhafte Genuss von synthetischen Süßstoffen Probleme aufwerfen. Beispielsweise kann die Aufnahme größerer Mengen von Aspartam über eine längere Zeit durch seine Metaboliten das zentrale Nervensystem beeinflussen,1437,1438 denn ▪ Phenylalanin vermindert die Synthese von Serotonin, von Katecholaminen (siehe Kap. 2.4.5) und von Dopamin (siehe Kap. 3.2.1),

1430 Carlier N, Marshe VS, Cmorejova J, Davis C, Müller DJ. Genetic Similarities between Compulsive Overeating and Addiction Phenotypes: A Case for “Food Addiction”? Curr Psychiatry Rep. 2015;17(12):96. PMID: 26478196. 1431 Meule A, Gearhardt AN. Food addiction in the light of DSM-5. Nutrients. 2014;6(9):3653–71. 1432 Albayrak O, Wölfle SM, Hebebrand J. Does food addiction exist? A phenomenological discussion based on the psychiatric classification of substance-related disorders and addiction. Obes Facts. 2012;5(2):165– 79. 1433 Hebebrand J, Albayrak Ö, Adan R, Antel J, Dieguez C, de Jong J, Leng G, Menzies J, Mercer JG, Murphy M, van der Plasse G, Dickson SL. “Eating addiction”, rather than “food addiction”, better captures addictivelike eating behavior. Neurosci Biobehav Rev. 2014;47:295–306. 1434 Miller PE, Perez V. Low-calorie sweeteners and body weight and composition: a meta-analysis of randomized controlled trials and prospective cohort studies. Am J Clin Nutr. 2014;100(3):765–77. 1435 Zheng M, Allman-Farinelli M, Heitmann BL, Rangan A. Substitution of sugar-sweetened beverages with other beverage alternatives: a review of long-term health outcomes. J Acad Nutr Diet. 2015 May;115(5):767–79. 1436 Roberts JR. The paradox of artificial sweeteners in managing obesity. Curr Gastroenterol Rep. 2015;17(1):423. PMID: 25609450. 1437 Rycerz K, Jaworska-Adamu JE. Effects of aspartame metabolites on astrocytes and neurons. Folia Neuropathol. 2013;51(1):10–7. 1438 Humphries P, Pretorius E, Naudé H. Direct and indirect cellular effects of aspartame on the brain. Eur J Clin Nutr. 2008;62(4):451–62.

268 ▪ ▪ ▪

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Asparaginsäure führt zur Hypererregbarkeit bis hin zur Degeneration von Neuronen und Astrozyten, Methanol verursacht Sehstörungen und Depressionen und Diketopiperazin (Stoffwechselprodukt von Methanol) kann Hirntumore wie Gliome, Medulloblastome und Meningiome induzieren.

Entscheidend für die Kontrolle des Zuckergenusses ist die eigene Einsicht zu einer verbrauchsbilanzierten Energieaufnahme und Selbstbeherrschung und Willenskraft für die ständige Umsetzung dieser Einsicht. Hierbei sind entsprechende Forderungen von außen eher kontraproduktiv, Verbote verstärken nur die Gier nach Süssigkeiten. Bei Kindern kann diese Gier abgebaut werden,1439 ▪ wenn sie frei entscheiden können, die ihnen geschenkten Süssigkeiten zu verzehren, zu horten, zu verschenken oder zu verkaufen, ▪ wenn die Eltern Beispiel geben nicht nur im zwanglosen Umgang mit Süßigkeiten, sondern auch im geschenkten Vertrauen, in ihrem für Kinder spürbaren Liebesglück, in gelebten Grundsätzen, in einer kritischen Haltung zur Werbung in den Medien, ▪ durch eine gute, sachorientierte wie auch Leitwerte vermittelnde Schulerziehung und nicht zuletzt ▪ durch einen Supermarkt in erreichbarer Entfernung, sodass ein Einkauf von Süßigkeiten jederzeit möglich und dadurch nicht als zu ergreifende seltene Chance empfunden wird. Salz (NaCl) ist technischer Hilfsstoff für die Haltbarmachung und Zubereitung von Nahrungsmitteln, wie auch eine wesentliche Geschmackskomponente durch Aktivierung der Typ I-inotropen Geschmacksrezeptoren (siehe Kap. 2.2.1). Natriumionen sind durch ihre Wasserbindung wesentlich beteiligt an dem Wasserhaushalt des Körpers, der reguliert wird über die Nierenausscheidung, Schweißbildung und Atemluft, wobei die Nierenausscheidung gesteuert wird besonders von Noradrenalin (siehe Kap. 2.4.5), Aldosteron, Vasopressin (siehe Kap. 2.4.2) und dem Renin-Angiotensin-System. ▪ Erhöhte Kochsalzaufnahmen (> 6 g/Tag) sind assoziiert mit erhöhtem Blutdruck.1440 ▪ Eine Verminderung der Kochsalzaufnahme von ca. 9–12 g/Tag auf 5–6 g/Tag führt zu einem Anstieg des Renins, des Aldosterons und des Noradrenalins und senkt den systolischen Blutdruck.1441 ▪ Da Bluthochdruck ein wesentlicher Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall darstellt, wird eine Verminderung der Salzaufnahme auf ~ 3 g/Tag empfohlen.1442,

1439 Mazarello Paes V, Hesketh K, O’Malley C, Moore H, Summerbell C, Griffin S, van Sluijs EM, Ong KK, Lakshman R. Determinants of sugar-sweetened beverage consumption in young children: a systematic review. Obes Rev. 2015;16(11):903–13. 1440 Burnier M, Wuerzner G, Bochud M. Salt, blood pressure and cardiovascular risk: what is the most adequate preventive strategy? A Swiss perspective. Front Physiol. 2015;6:227. PMID: 26321959. 1441 Mohan S, Campbell NR. Salt and high blood pressure. Clin Sci (Lond). 2009;117(1):1–1. 1442 He FJ, Li J, Macgregor GA. Effect of longer term modest salt reduction on blood pressure: Cochrane systematic review and meta-analysis of randomised trials. BMJ. 2013;346:f1325. PMID:23558162.

3.5 Die Wahl der Ernährung

269

Geschmacksverstärker sollen geschmacksarme Nahrungszubereitungen geschmackvoll machen. Bevorzugte Geschmacksverstärker sind die Salze der Glutaminsäure (die sogenannten Glutamate), welche in fast allen proteinhaltigen Nahrungsmitteln zu finden sind, in der asiatischen Küche besonders angereichert in der Sojasoße.1443 Technisch werden sie isoliert aus Bakterien und Hefen. Hefeextrakte enthalten etwa 10–15 % Glutamate. Glutamate aktivieren die Umami-Rezeptoren/Glutamat-Rezeptoren in unseren Geschmacksorganen (siehe Kap. 2.2.1), im Magen und im Darm. Von den Rezeptoren werden die Erregungen über afferente Nervenbahnen an das zentrale Nervensystem (siehe Kap. 2.2.1) weitergeben, wo sie Geschmacksempfindungen und über Belohnungen Lerneffekte auslösen.1444 Häufig geübte Praxis in der Nahrungsmittelindustrie ist es, mit geschmacksarmen Ausgangsmaterialien oder mit aromazerstörerischen Techniken hergestellte Fertigprodukte durch Zugabe von Geschmacksverstärkern so zu „verbessern“, dass der Kunde das Produkt als geschmackvoll empfindet, zügig verbraucht und nach mehr verlangt. In Anbetracht dieser Produktstrategie stellt sich die Frage nach der Verträglichkeit und den Nebenwirkungen von Glutamatbeimengungen in Nahrungsmitteln.1445 Aus den bislang vorliegenden präklinischen und klinischen Daten lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: ▪ Glutamat scheint nicht die Ursache zu sein – für das „China-Restaurant Phänomen“ von allergischen Reaktionen oder Asthmaanfällen,1446,1447 oder – für Migräneanfälle;1448 ▪ Glutamat scheint nicht das Essverhalten in Richtung auf Übergewicht oder Fettleibigkeit zu beeinflussen,1449 – eher findet das Gegenteil statt, indem nach einer „Glutamat-Speise“ über die Freisetzung von NO die chromaffinen Zellen der Darmschleimhaut aktiviert werden zur Freisetzung von Serotonin, welches den Nervus vagus stimuliert,1450 die Ess-

1443 Hajeb P, Jinap S. Umami taste components and their sources in Asian foods. Crit Rev Food Sci Nutr. 2015;55(6):778–91. 1444 Kitamura A, Tsurugizawa T, Uematsu A, Torii K, Uneyama H. New therapeutic strategy for amino acid medicine: effects of dietary glutamate on gut and brain function. J Pharmacol Sci. 2012;118(2):138–44. 1445 Skypala IJ, Williams M, Reeves L, Meyer R, Venter C. Sensitivity to food additives, vaso-active amines and salicylates: a review of the evidence. Clin Transl Allergy. 2015;5:34. PMID:26468368. 1446 Woods RK, Weiner JM, Thien F, Abramson M, Walters EH. The effects of monosodium glutamate in adults with asthma who perceive themselves to be monosodium glutamate-intolerant. J Allergy Clin Immunol. 1998;101(6 Pt 1):762–71. 1447 Zhou Y, Yang M, Dong BR. Monosodium glutamate avoidance for chronic asthma in adults and children. Cochrane Database Syst Rev. 2012;6:CD004357. PMID: 22696342. 1448 Jinap S, Hajeb P. Glutamate. Its applications in food and contribution to health. Appetite. 2010;55(1):1– 10. 1449 Brosnan JT, Drewnowski A, Friedman MI. Is there a relationship between dietary MSG and [corrected] obesity in animals or humans? Amino Acids. 2014;46(9):2075–87. 1450 Torii K, Uneyama H, Nakamura E. Physiological roles of dietary glutamate signaling via gut-brain axis due to efficient digestion and absorption. J Gastroenterol. 2013;48(4):442–51.

270







3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

befriedigung erhöht 1451 und den Hunger und Wunsch nach einer weiteren Mahlzeit 1452 wie auch nach einem energiereichen süßen und/oder fetten Imbiss1453 vermindert, – andererseits werden (durch Fette und Stärke) kalorienreiche, aber fade Fertigprodukte erst durch die Zugabe von Glutamaten derart schmackhaft, dass Menschen diese Fertigprodukte essen und ggf. dann auch noch mehr, als sie an Energie benötigen; Glutamat kann ältere Personen dazu bringen, – das Essen wieder als Lust zu empfinden und so zumindest ihren Kalorienbedarf zu decken1454 und – die Kochsalzzugabe zugunsten von Glutamat zu verringern;1455 Glutamat kann unter Normalbedingungen als untoxisch gelten,1456 – weil beim Menschen die Aufnahme von bis zu 10 g Glutamat im Trinkwasser zu nur geringen Blutkonzentrationen führt und – da die Bluthirnschranke weitgehend undurchlässig ist für Glutamate (die wiederum im Gehirn als Neuromediatoren wirken; siehe Kap. 2.3) und – weil Glutamate kaum plazentagängig sind;1457 Glutamat sollte aber trotz aller positiven Aspekte mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden, gerade was die Einnahme hoher Dosen anbetrifft,1458 – da bei Nagern die Injektion von Glutamat zur Degeneration einer beträchtlichen Anzahl von serotonergen1459 bzw. von acetylcholin-esterasehaltigen Neuronen im Gehirn führt und diese Neuroexitotoxizität bei Feten wesentlich ausgeprägter ist als beim Muttertier,1460,1461

1451 Kondoh T, Mallick HN, Torii K. Activation of the gut-brain axis by dietary glutamate and physiologic significance in energy homeostasis. Am J Clin Nutr. 2009;90(3):832S–837S. 1452 Carter BE, Monsivais P, Perrigue MM, Drewnowski A. Supplementing chicken broth with monosodium glutamate reduces hunger and desire to snack but does not affect energy intake in women. Br J Nutr. 2011;106(9):1441–8. 1453 Imada T, Hao SS, Torii K, Kimura E. Supplementing chicken broth with monosodium glutamate reduces energy intake from high fat and sweet snacks in middle-aged healthy women. Appetite. 2014;79:158–65. 1454 Mouritsen OG. Umami flavour as a means of regulating food intake and improving nutrition and health. Nutr Health. 2012;21(1):56–75. 1455 Jinap S, Hajeb P. Glutamate. Its applications in food and contribution to health. Appetite. 2010;55(1):1– 10. 1456 Walker R, Lupien JR. The safety evaluation of monosodium glutamate. J Nutr. 2000;130(4S Suppl):1049S–52S. 1457 Walker R, Lupien JR. Siehe 1456. 1458 Skypala IJ, Williams M, Reeves L, Meyer R, Venter C. Sensitivity to food additives, vaso-active amines and salicylates: a review of the evidence. Clin Transl Allergy. 2015;5:34. PMID:26468368. 1459 Phelix CF, Hartle DK. Systemic glutamate induces degeneration of a subpopulation of serotonin-immunoreactive neurons in the area postrema of rats. Neurosci Lett. 1990;117(1–2):31–6. 1460 Tóth L, Karcsu S, Feledi J, Kreutzberg GW. Neurotoxicity of monosodium-L-glutamate in pregnant and fetal rats. Acta Neuropathol. 1987;75(1):16–22. 1461 Gudiño-Cabrera G, Ureña-Guerrero ME, Rivera-Cervantes MC, Feria-Velasco AI, Beas-Zárate C. Excitotoxicity triggered by neonatal monosodium glutamate treatment and blood-brain barrier function. Arch Med Res. 2014;45(8):653–9.

3.5 Die Wahl der Ernährung





271

da unter verschiedenen Bedingungen, z. B. unter hohen Stressbelastungen oder bei Infektionen die Bluthirnschranke sich auch für Glutamate öffnen kann (siehe Kap. 2.4), da ein wenn auch nur geringes Restrisiko einer Glutamat-Neuroexitotoxizität z. B. für Ungeborene, Kinder und Jugendliche nicht vollkommen ausgeschlossen werden kann.1462

Gewürze dienen dem Schmackhaftmachen unserer Speisen und Getränke. Doch eine beträchtliche Zahl von Gewürzpflanzen haben schleimhautreizende, unverträgliche oder auch toxische Inhaltsstoffe, (siehe Tab. 3.75). Da aber Gewürze nur in geringen Mengen der Nahrung zugemischt werden, sollte ihr etwaiges Gefahrenpotential relativ gering sein. Denn auch hier gilt, dass erst die Dosis das Gift macht! Doch „grüner Unverstand“ bringt die Gefahr mit sich, sich selbst, den Angehörigen und besonders den eigenen Kindern, ein Zuviel an Gewürzen oder anderen problembehafteten pflanzlichen Produkten in den Speisen anzubieten und dadurch das Gefahrenpotential für deren Gesundheit zu erhöhen. Solche Gefahren sind zu sehen: ▪ bei regelmäßiger Verwendung solcher Gewürze, welche genotoxische und karzinogene Wirksubstanzen enthalten, ▪ bei der ständigen Ernährung mit pflanzlichen Produkten, soweit diese besonders viel Phyto-Oestrogene enthalten wie z. B. Sojabohnen und daraus hergestellte Produkte, Leinsamen und Sesamsamen, ▪ bei einseitigen, unausgewogenen Ernährungsformen, welche mit dem häufigen Konsum größerer Mengen von Gewürzpflanzen einhergehen, ▪ bei Verwendung von Getreide, das kontaminiert ist mit Mutterpilz und/oder Osterluzeisamen, ▪ bei Einnahme von Nahrungsmittelergänzungen, welche Extrakte oder Stoffe von problematischen Gewürzpflanzen in angereicherter Form enthalten. Gegen diese Art von Fehlverhalten hilft neben den staatlichen Regelementierungen nur eine (meist mühsame) Wissensvermittlung mit der Hoffnung auf Einsicht und Korrektur des Verhaltens, letztlich eine kognitive Verhaltensänderung durch eine kognitive Verhaltenstherapie.

1462 Olney JW. Excitotoxic food additives – relevance of animal studies to human safety. Neurobehav Toxicol Teratol. 1984;6(6):455–62.

272

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.75: Beispiele für Wirkstoffe und Toxine in Gewürz-, Obst- und Gemüsepflanzen.1463 giftige Wirkstoffe

Gewürz- oder Obstpflanzen

Bemerkungen

für das zentrale Nervensystem Pelletierinderivate

Granatapfel (Schale und Rinde)

Myristicin, Elemicin

Muskat (Samenmantel)

Opiumalkaloide

Mohn

Crocin, Picrococin

Safran (Narben)

besonders gefährdet: Kinder

Campher

Rosmarin

≤ 1,5 g NTD

Methylketone, Rutin, Bergapten, Kokusagenein

Weinraute

≤ 0,5 g NTD

Thujon, Absinthin

Wermut

≤ 1g NTD

Kavalactone/Methysticin

Rauschpfeffer

α-Solanin, α-Chaconin

Kartoffeln (grüne Schalen, Keime), grüne Tomaten

≤ 100 mg/kg NTD,1464 Toxin entweicht ins Kochwasser

Mutterkornpilz in Getreidekörnern (besonders Roggen)

≤ 100 mg/kg NTD, DL Mensch: 5–10 g Mutterkorn (Kontraktion der glatten Muskulatur, Gefäße, Uterus)

Ergotamin, Ergometrin, α-Ergokryptin

≤ 2g NTD

für die zelluläre Atmungskette durch Bildung von Blausäure Amygdalin Sambunigrin

Apfelkerne, Aprikosenkerne, Bittermandeln

> 3 Bittermandeln toxisch

Holunderbeeren (grün/unreif)

≥ 100 °C zerstört das Toxin

für das Herz digitaloide Glykoside

Rauke

für die Leber Cumarin

Waldmeister, Zimt (Cassia)

≤ 1,0g NTD (Waldmeister)

Pyrrolicidinalkaloide

Borretsch (Blüten sind weniger betroffen)

Genuss sollte vermieden/ eingeschränkt werden1465

Kavalactone/Methysticin

Rauschpfeffer

für Nieren und Harnblase Oxalsäure

Rhabarber (Stengel enthalten 0,3–0,7 % Oxalsäure), Sauerampher, Pastinaken

toxische Dosis Oxalsäure 1–5 g, bei Kindern < 1g

α-Pinen, Terpineol, Myrcen

Wacholder (Beeren)

≤ 2,0g NTD

1463 Roth L, Daunderer M, Kormann K. Giftpflanzen Pflanzengifte. ecomed 1984. 1464 http://www.lci-koeln.de/deutsch/veroeffentlichungen/lci-focus/alkaloide-der-kartoffel. 1465 http://www.bfr.bund.de/cm/343/fragen-und-antworten-zu-pyrrolizidinalkaloiden-in-lebensmitteln.pdf.

3.5 Die Wahl der Ernährung

giftige Wirkstoffe

Gewürz- oder Obstpflanzen

273

Bemerkungen

für Magen-Darm, Leber und Nieren Capsaicin

Cayennepfeffer/Chili/Paprika

≤ 0,05g NTD

Phasin/Toxalbumin

Gartenbohne (Bohnenfrüchte/grüne Bohnen)

≥ 100 °C zerstört das Toxin

Cubebin

Kubebenpfeffer

≤ 2 g NTD

Apiol, Myrestin

Petersilie (Wurzeln/Blätter)

≤ 1 g NTD

Anthracenderivate

Rhabarber, Sauerampher

Durchfall

für Haut und Schleimhäute Furocumarine

Liebstöckel, Pastinaken

Psoralen

Weinrauke

Hypericin

Johanniskraut

Senföl-Glykoside

Kapern, Kapuzinerkresse (Knospen und Blätter), Meerrettich, Rauke, Senf

Erucasäure

Kapuzinerkresse

Monoterpene, Phellandrene, α-Pinene, Cardol, Anacard

roter/rosa Pfeffer

Genuss sollte vermieden/ eingeschränkt werden1466

Piperin

schwarzer Pfeffer

zusätzlich lebertoxisch

Borneol, Cineole,

Rosmarin, Salbei

Thujon

Salbei

fototoxischeToxine, Furocumarine sind nicht wasserlöslich ≤ 1 g NTD

mit hormonähnlichen Wirkungen

Glycyrrhizin

Süßholz (Lakritz), Pampelmuse/Grapefruit, (Hemmung der11-β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase2: Cortisol (↑), Cortison (↓), Mineralocorticoid-Rezeptor (↑) mit der Folge Hyperaldosteronismus (u. a. Bluthochdruck, Oedeme)

≤ 100 mg NTD1467

Isoflavone, Genistein, Biochanin A

Sojabohne und Sojaprodukte, Kichererbsen

oestrogene Wirkung,1468 Auswirkung noch unklar1469

Lignane

Leinsamen, Sesamsamen

oestrogene Wirkung

1466 http://www.bfr.bund.de/cm/343/pflanzliche_stoffe_mit_toxischem_potential_in_lebensmitteln_und_ futtermitteln.pdf. 1467 http://ec.europa.eu/food/fs/sc/scf/out186_en.pdf. 1468 http://www.bfr.bund.de/cm/343/isolierte_isoflavone_sind_nicht_ohne_risiko.pdf. 1469 Trock BJ, Hilakivi-Clarke L, Clarke R. Meta-analysis of soy intake and breast cancer risk. J Natl Cancer Inst. 2006 Apr 5;98(7):459–71.

274

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

giftige Wirkstoffe

Gewürz- oder Obstpflanzen

Bemerkungen

die genotoxisch und karzinogen sind Estragol, Methyl-Eugenol, Safrol

Anis, Sternanis, Basilikum, Estragon, Fenchel, Gewürznelken, Kalmus, Muskat (Nuss und Samenmantel), Piment, Zitronengras

Safrol

Zimt (Cassia-Zimt, Ceylon-Zimt ist weniger betroffen), schwarzer Pfeffer, Anis, Basilikum Muskat (Nuss und Samenmantel)

Genuss sollte vermieden/ eingeschränkt werden, z. B. Fencheltee für Kinder1470,1471

Pyrrolicidinalkaloide

Borretsch (Blüten sind weniger betroffen)

Pyrrolicidin-Alkaloide sollten vermieden werden1472

Aristolochiasäure

Osterluzeigewächse (Verunreinigungen im Getreide)

zusätzlich hoch nierentoxisch

NTD = maximale nicht toxische Dosis1473; DL = letale Dosis

3.5.5 Die Wirkung von Alkohol, Nikotin und Tabak Alkohol stellt ein Genusssmittel dar, welches einen relativ schmalen nichttoxischen Dosisbereich aufweist. Vordergründig entscheidet über den Alkoholgenuss der Duft, der Geschmack und/oder der Fruchtton des Endproduktes Wein, Bier oder Destillat. Hintergründig wirkt als treibende Kraft die pharmakologische Wirkung des Alkohols. In ihr liegt zugleich auch die Gefahr der Abhängigkeit (Zwang zur Einnahme, Drang zur Dosissteigerung und Auftreten von Entzugserscheinungen). Alkoholabhängigkeit stellt ein erhebliches individuelles und gesellschaftliches Problem dar. Allein in Deutschland wird die Zahl der Drogenabhängigen auf 1,3 Mio geschätzt, unterziehen sich davon nur ca. 10 % einer Entziehungskur und sterben ca. 74.000 Personen an den direkten oder indirekten Folgen ihrer Alkoholsucht.1474 Pharmakologisch bewirkt Alkohol abhängig von der Dosis (siehe Tab. 3.76 und 3.77)1475 ▪ eine Verminderung von Angstzuständen und eine Entspannung der Muskulatur durch eine Aktivierung von GABA/γ-Aminobuttersäure-Rezeptoren, ▪ Wohlgefühle bis hin zu euphorischen Zuständen durch (siehe Kap. 3.2.1) – eine Steigerung der Expression des Glückshormones Dopamin, – eine Steigerung der Expression von Endorphinen, welche Opiodrezeptoren aktivieren wie auch die Expression von Dopamin durch Alkohol erhöhen; ▪ eine Beeinträchtigung der Nervenzellfunktionen

1470 http://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2002/16/estragol__und_methyleugenolgehalte_in_ lebensmitteln_verringern-1066.html. 1471 http://www.bfr.bund.de/cm/343/. Siehe 1470. 1472 http://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2013/18/gehalte_an_pyrrolizidinalkaloiden_in_kraeu tertees_und_tees_sind_zu_hoch-187296.html. 1473 Roth L, Daunderer M, Kormann K. Giftpflanzen Pflanzengifte. ecomed 1984. 1474 Die Drogenbeauftragte: 29. Dezember 2015: http://www.drogenbeauftragte.de/drogen-und-sucht/ alkohol/alkohol-situation-in-deutschland.html. 1475 Sedlacek HH. Onkologie. Die Tumorerkrankungen des Menschen. De Gruyter 2013;264–273.

3.5 Die Wahl der Ernährung

275

Tab. 3.76: Symptome der Wirkung von Alkohol auf das Nervensystem.1476 Blutkonzentration

Verhaltensauffälligkeiten: Zunahme

0,1–1,0 Promille*)

Wohlgefühle, euphorische Zustände

Verhaltensauffälligkeiten: Abnahme

< 0,2‰

Redseligkeit

Hemmungen

≥ 0,2‰

Enthemmungen, Selbstüberschätzung

Hörvermögen, Sehvermögen, Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung, Konzentrationsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit, Kritikvermögen, Urteilsfähigkeit, Risikobewusstsein,

≥ 0,5‰

Tunnelblick

Bewegungskoordination, Reflexe, räumliches Sehen, Wahrnehmungsfähigkeit, Wärmeregulation, Kälteempfinden

> 1,0–2,0 Promille

Rauschstadium depressive Stimmungen, Agressionen

> 1,0‰

Wortfindungen, Sprechfähigkeit Selbstgespräche, Stottern, Lallen, Gehfähigkeit, Orientierungsfähigkeit Verwirrtheit, Bewusstseinslücken, sexuelle Potenz Halluzinationen

≥ 1,5‰

Schwanken, Torkeln, Muskeltremor

≤ 2,0‰

Erbrechen

> 2,0–3,0 Promille

Betäubungsstadium Muskeltätigkeit, Atmung, Kreislauf, Bewegung, Bewusstsein

≤ 2,5‰ > 3,0 Promille ≥ 4,0‰

Gleichgewicht

Lähmungsstadium Todesgefahr

*) Faustzahl: 0,1‰ Alkohol im Blut ergibt sich nach dem Genuss von ~ 0,1 l Wein oder ~ 0,25 l Bier

– –

mit Abnahme der Lernfähigkeit und des Gedächtnisprozesses durch Hemmung von NMDA/N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptoren, mit Rauschzuständen, Betäubungszuständen und Lähmungszuständen, welche letztlich zum Tode führen können.

Der tägliche Genuss von mäßigen ≤ 20 g Alkohol, im Besonderen in Form von Wein, hat eine deutliche Verlängerung der Lebensdauer und eine Verminderung des Mortalitätsrisi-

1476 http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/SUCHT/Alkohol.shtml.

276

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

kos besonders durch Schlaganfall und/oder Herzkreislauferkrankungen zur Folge1477,1478 (siehe Tab. 3.77), wobei noch unklar ist, welche Kofaktoren eine Rolle spielen.1479 Wahrscheinlich sind beteiligt: ▪ eine durch Alkohol bedingte Verringung der Triglyceride (durch Erhöhung der Lipoprotein-Lipase),1480 der arteriellen Steifheit 1481 und der arteriellen Intimadicke,1482 ▪ die im alkoholhaltigen Getränk (besonders im Wein) enthaltenden Polyphenole, im Besonderen Flavonoide, welche unter anderem Endothelzellen zur NO-Ausschüttung stimulieren und den oxydativen NO-Abbau hemmen,1483,1484 ▪ das mit dem Konsum, im Besonderen von Wein verbundene entspannende Trinkritual und/oder ▪ das Ausmaß der Erziehung und Bildung, auf Grund derer Alkohol, bevorzugt als Wein in nur mäßigen Mengen regelmäßig konsumiert wird und mit dieser Erziehung verbunden eine ausgewogene und gute Ernährung und die Wertschätzung eines gepflegten Lebensstils. Ein täglicher Alkoholkonsum von mehr als 20 g, so z. B. ≥ 40 g bei Frauen und ≥ 60 g bei Männern1485 verkürzt dagegen deutlich die Lebenserwartung.1486,1487 Denn die toxische Wirkungen eines mittleren bis hohen Alkoholkonsums umfassen (siehe Tab. 3.77): ▪ eine Verminderung der Kontraktilität des Herzmuskels, desweiteren Herzarrythmien und Herzerweiterungen, ▪ eine Erhöhung des Risikos für koronare und periphere arterielle Verschlusserkrankungen, für Schlaganfall und Bluthochdruck, 1477 Rehm J, Patra J, Popova S. Alcohol-attributable mortality and potential years of life lost in Canada 2001: implications for prevention and policy. Addiction. 2006;101(3):373–84. 1478 Fernández-Solà J. Cardiovascular risks and benefits of moderate and heavy alcohol consumption. Nat Rev Cardiol. 2015;12(10):576–87. 1479 Nova E, Baccan GC, Veses A, Zapatera B, Marcos A. Potential health benefits of moderate alcohol consumption: current perspectives in research. Proc Nutr Soc. 2012;71(2):307–15. 1480 Kovář J, Zemánková K. Moderate alcohol consumption and triglyceridemia. Physiol Res. 2015;64 Suppl 3:S371–5. 1481 Sasaki S, Yoshioka E, Saijo Y, Kita T, Okada E, Tamakoshi A, Kishi R. Relation between alcohol consumption and arterial stiffness: A cross-sectional study of middle-aged Japanese women and men. Alcohol. 2013;47(8):643–9. 1482 Kim MK, Shin J, Kweon SS, Shin DH, Lee YH, Chun BY, Choi BY. Harmful and beneficial relationships between alcohol consumption and subclinical atherosclerosis. Nutr Metab Cardiovasc Dis. 2014; 24(7):767– 76. 1483 Helm L, Macdonald IA. Impact of beverage intake on metabolic and cardiovascular health. Nutr Rev. 2015;73 Suppl 2:120–9. 1484 Georgiev V, Ananga A, Tsolova V. Recent advances and uses of grape flavonoids as nutraceuticals. Nutrients. 2014;6(1):391–415. 1485 Marmet S, Rehm J, Gmel G, Frick H, Gmel G. Alcohol-attributable mortality in Switzerland in 2011 – age-specific causes of death and impact of heavy versus non-heavy drinking. Swiss Med Wkly. 2014; 144:w13947. PMID: 24845076. 1486 Rehm J, Patra J, Popova S. Alcohol-attributable mortality and potential years of life lost in Canada 2001: implications for prevention and policy. Addiction. 2006;101(3):373–84. 1487 Rehm J, Zatonksi W, Taylor B, Anderson P. Epidemiology and alcohol policy in Europe. Addiction. 2011;106 Suppl 1:11–9.

3.5 Die Wahl der Ernährung

277

Tab. 3.77: Pharmakologische und toxikologische Wirkungen von Alkohol.

prophylaktische Wirkung1488,1489

toxisch-kanzerogene Wirkung1490,1491,1492 Toxizitäten (kumulativ)

Kanzerogenität ≤ 1,3

< 25 g/Tag

< 25 g/Tag

Lebenserwartung

Tumore, gesamt

Wein: + 4,7 (1,6–7,7) Jahre andere Alkoholika: + 2,3 (0,5–4,2) Jahre Mortalitätsrisiko RR gesamt: 0,8 (0,6–0,9) Hirnschlag RR: 0,4 (0,3–0,7) Herz-Kreislauf RR: 0,7 (0,6–0,9)

Zytotoxizität: Schädigung von Zellmembranen und Mitochondrien (↑), Schleimhäute (Mundhöhle + Speiseröhre): Zelltod (↑), Permeabilität für Toxine + Karzinogene (↑), Leber: Acetaldehyddehydrogenase (↓), Acetaldehyd (↑), O-Radikale (↑), DNA-Schädigungen und Mutationen (↑) besonders in Leberzellen, Kupfferschen Zellen, Makrophagen, Mamma, anderen Gewebezellen

Risiko (Risiko ohne Alkohol = 1,0) ≤2

≤3

>3

1,01

Kopf-Hals-Ca.

1,4– 1,8

Leber-Ca.

1,3 (_)

Mamma-Ca.

1,3 (\)

2,0 (\)

Lipoprotein-Lipase (↑) Triglyceride (↓)1493 ≤ 50 g/Tag Schädigung (↑) von Nervenzellen, Leberzellen, Muskelzellen, Immunzellen, Schleimhäute des Verdauungstraktes: Permeabilität für Infektionserreger und Endotoxine (↑), Resorption (↓) von Vitaminen (A, E, D3, B1, B6, B9) und Spurenelementen, (Zink, Magnesium, Selen), Metabolisierung (↑) von Vitamin A, Aktivierung (↓) von Vitamin E, D3, B1, B6, Mangelerscheinungen (↑)

Tumor, gesamt

1,2

Kopf-Hals-Ca.

1,9

Leber-Ca.

1,5 (_)

Magen-DarmCa.

3,6 (\)

1,0– 1,2

Mamma-Ca. Prostata-Ca.

2,9

1,7 (\) 1,1

1490 Sedlacek HH. Onkologie. Die Tumorerkrankungen des Menschen. De Gruyter 2013;264–273. 1491 Bagnardi V, Blangiardo M, La Vecchia C, Corrao G. A meta-analysis of alcohol drinking and cancer risk. Br J Cancer. 2001;85(11):1700–5. 1492 Bagnardi V, Rota M, Botteri E, Tramacere I, Islami F, Fedirko V, Scotti L, Jenab M, Turati F, Pasquali E, Pelucchi C, Galeone C, Bellocco R, Negri E, Corrao G, Boffetta P, La Vecchia C. Alcohol consumption and site-specific cancer risk: a comprehensive dose-response meta-analysis. Br J Cancer. 2015;112(3):580–93. 1488 Streppel MT, Ocke MC, Boshuizen HC, Kok FJ, Kromhout D. Long-term wine consumption is related to cardiovascular mortality and life expectancy independently of moderate alcohol intake: the Zutphen Study. J Epidemiol Community Health. 2009;63(7):534–40. 1489 Niewada M, Michel P. Lifestyle modification for stroke prevention: facts and fiction. Curr Opin Neurol. 2016 Feb;29(1):9–13. 1493 Kovář J, Zemánková K. Moderate alcohol consumption and triglyceridemia. Physiol Res. 2015;64 Suppl 3:S371–5.

278

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

prophylaktische Wirkung

toxisch-kanzerogene Wirkung Toxizitäten (kumulativ)

Risiko (Risiko ohne Alkohol = 1,0)

Kanzerogenität ≤ 1,3

≤2

≤3

>3

≤ oder > 100 g/Tag Leber: Verfettung, Zhirrose (↑), Mamma: (ab 0,1–0,5‰ Ethanol im Blut) Expression der OestrogenRezeptoren E2Rα (↑), + E2Rβ (↓), Folgen: Zellproliferation (↑), Hemmung des Tumorsuppressors BRCA1, Hormonhaushalt: Anstieg von Oestrogen durch Aromatase (↑), Oestrogensynthese (↑) Oestrogenabbau (↓), Testosteron (↓), Impotenz (↑), Metallo-Matrix-Proteasen/MMP (↑) Folgen: Metastasenbildung (↑), Pankreaszellen: Ethanol-Veresterung zu toxischem Fettsäureethylester (↑), Folgen: Pankreatitis, Nervenzellen peripher und zentral: Schädigung der Mitochondrien (↑), Funktionsstörungen (↑), Zelltod/Apoptose (↑), Muskelzellen (Herz/Skelett) Entzündungen (↑)

Tumor, gesamt

1,9

Kopf-Hals-Ca., SpeiseröhrenCa.

3,5 - 6,1

Leber-Ca.

1,6 (_)

GallenblasenCa.

2,6

Magen-DarmCa.

1,1– 1,4

Pankreas-Ca.

1,2

Mamma-Ca.

2,7 (\)

Ovar-, Endometrium-, Cervix-Ca.

1,2

Prostata-Ca.

1,2

Larynx-Ca. Lungen-Ca.

9,2 (\)

1,5

2,7 1,2

(↑) Förderung/Anstieg; (↓) Hemmung/Abfall

▪ ▪

Dyslipidämien und Diabetes Mellitus,1494 Schädigungen der Leber und des Pankreas.

Zusätzlich stellt Alkohol in praktisch jeder Dosis ein Kanzerogen dar, wobei das Tumorrisiko dosisabhängig zunimmt (siehe Tab. 3.77) und durch zusätzliche Karzinogene, wie z. B. Tabakrauchen, verstärkt wird. Die Kanzerogenität wird im wesentlichen verursacht durch:1495 ▪ die direkte Schädigung von Zellwänden und Mitochondrien z. B. in den Schleimhäuten, der Leber, der Brustdrüse, dem Pankreas, ▪ die Oxidation von Ethanol zu Acetaldehyd (bewirkt durch die zytoplasmatische Alkoholdehydrogenase, durch das mikrosomale ethanoloxidierendes System/MEOS mit der Cytochromoxidase p450 und durch die Katalase besonders in den Nervenzellen), wobei das entstandene Acetaldehyd mutagen wirkt – direkt durch Bildung von DNA-Addukten und indirekt durch Bildung von Addukten mit regulativen Proteinen, sodass deren Funktion bei der Replikation und Transkription gestört wird, 1494 Fernández-Solà J. Cardiovascular risks and benefits of moderate and heavy alcohol consumption. Nat Rev Cardiol. 2015;12(10):576–87. 1495 Sedlacek HH. Onkologie. Die Tumorerkrankungen des Menschen. De Gruyter 2013;264–273.

3.5 Die Wahl der Ernährung





279

durch Bildung von reaktiven Sauerstoff- und Stickstoff-Molekülen über die Stimulierung der Expression von Oxidoreduktasen, Stickstoff-Monoxyd-Synthasen und Aldehyd-Oxidasen, wobei im Zuge dessen aus Acetaldehyd Ethoxyradikale und Acetylradikale entstehen. Die reaktiven Moleküle oxydieren Nukleotide der DNA und verursachen hierdurch Ablesefehler, Strangbrüche und Reparaturdefekte, durch die Bildung von 3-Methylacrolein (Crotonaldehyd) aus 2 Aldehyden in Anwesenheit von Polyaminen, wobei 3-Methylacrolein (über Desoxyguanosin) DNAAddukte bildet.

Der Konsum von Alkohol wirkt somit wie ein „zweischneidiges Schwert“, dessen Nutzen und Schaden abhängt von dem Wissen, der Einsicht, dem Willen und der Selbstbeherrschung des/der Genießers/in, ▪ Alkohol nur in solchen Mengen zu trinken, dass seine prophylaktisch-therapeutische Wirkung überwiegt und dass seine Toxizitäten im Besondern auf Schleimhäute, Nervenzellen, Leber und Pankreas gering und zu ertragen sind und die Risiken seiner Kanzerogenität überschaubar bleiben und ▪ Alkohol nur in einer Qualität und in einer Weise zu trinken, dass der Genuss von Duft, Geschmack und Fruchtton zumindest einen Gegenwert darstellt für die eingegangenen Risiken. Wie heißt es so richtig: „Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken“, ▪ als Schwangere und Stillende grundsätzlich auf Alkohol zum Schutz des ungeborenen bzw. neugeborenen Kindes vor unwiderbringlichen Schäden, im Besonderen seines Gehirns,1496,1497,1498 zu verzichten und ▪ Kindern und Jugendlichen keinen Alkohol anzubieten oder zu erlauben, sondern diese auf die Gefahren, gerade auch des versteckten Alkoholkonsums in Mischgetränken unterschiedlichster Art hinzuweisen, ▪ werdende oder junge Erwachsene im engeren Familienkreis mit dem Alkoholgenuss so vertraut zu machen, dass sie mit dieser Erfahrung gewappnet sind vor den bösen Überraschungen des/der Unerfahrenen in einer verführerischen Gesellschaft.1499 Gerade wenn eine Alkoholsucht droht oder bereits besteht, ist für deren Verhütung oder Heilung eine wesentliche Voraussetzung, dem Betroffenen das Wissen um die Wirkung von Alkohol und die Einsicht in seine Sucht zu vermitteln und seinen Willen und seine

1496 Wilhelm CJ, Guizzetti M. Fetal Alcohol Spectrum Disorders: An Overview from the Glia Perspective. Front Integr Neurosci. 2016;9:65. PMID: 26793073. 1497 Basavarajappa BS. Fetal Alcohol Spectrum Disorder: Potential Role of Endocannabinoids Signaling. Brain Sci. 2015;5(4):456–93. 1498 Chokroborty-Hoque A, Alberry B, Singh SM. Exploring the complexity of intellectual disability in fetal alcohol spectrum disorders. Front Pediatr. 2014;2:90. PMID: 25207264. 1499 Foxcroft DR, Moreira MT, Almeida Santimano NM, Smith LA. Social norms information for alcohol misuse in university and college students. Cochrane Database Syst Rev. 2015;12:CD006748. PMID: 26711838.

280

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Selbstbeherrschung für eine dauerhafte Alkoholabstinenz zu stärken.1500,1501 Unterstützt werden kann dieser Prozess durch körperliche Bewegung und Sport.1502,1503 Ohne eine solche kognitive Verhaltenstherapie und ohne eine sich hierdurch entwickelnde kognitive Verhaltensänderung, Überzeugung und aktive Mitarbeit des Betroffenen dürften alle weitere Therapiemaßnahmen einschließlich der unterschiedlichen Pharmazeutika zur Linderung der Sucht- und Entziehungssymptome1504 kaum langfristige Erfolgschancen bieten,1505,1506 sind Rückfälle in die Alkoholsucht praktisch vorprogrammiert. Ziel des Tabakrauchens ist die Aufnahme von Nikotin. Nikotin im Tabak aktiviert den nikotinischen Acetylcholinrezeptor und wirkt hierdurch als Psychostimulans:1507 ▪ Aufmerksamkeits-, Lern- und Gedächtnisleistungen werden kurzfristig gesteigert, – durch Erhöhung der Ausschüttung von Adrenalin, Dopamin und Serotonin im Gehirn, – durch Verstärkung der zellulären Signalübertragung im Hippocampus,1508 – durch die Metabolisierung des Nikotins in das Cotinin, welches die Wirkung von Nikotin auf das Erkennen, die Gedächtnisfunktionen und rationales und emotionales Verhalten verstärkt und depressive Stimmungslagen und kognitive Einschränkungen z. B. bei Stressbelastungen vermindert;1509 ▪ letztlich kann besonders durch die Ausschüttung von Dopamin eine Sucht entstehen (Zwang zur Einnahme, Drang zur Dosissteigerung und Auftreten von Entzugserscheinungen). Diese betrifft

1500 Hagger MS, Wong GG, Davey SR. A theory-based behavior-change intervention to reduce alcohol consumption in undergraduate students: trial protocol. BMC Public Health. 2015;15:306. PMID: 25886281. 1501 Ostafin BD, Palfai TP. When wanting to change is not enough: automatic appetitive processes moderate the effects of a brief alcohol intervention in hazardous-drinking college students. Addict Sci Clin Pract. 2012;7:25. PMID: 23217219. 1502 Stoutenberg M, Warne J, Vidot D, Jimenez E, Read JP. Attitudes and preferences towards exercise training in individuals with alcohol use disorders in a residential treatment setting. J Subst Abuse Treat. 2015;49:43–9. 1503 Read JP, Brown RA, Marcus BH, Kahler CW, Ramsey SE, Dubreuil ME, Jakicic JM, Francione C. Exercise attitudes and behaviors among persons in treatment for alcohol use disorders. J Subst Abuse Treat. 2001;21(4):199–206. 1504 Rolland B, Paille F, Gillet C, Rigaud A, Moirand R, Dano C, Dematteis M, Mann K, Aubin HJ. Pharmacotherapy for Alcohol Dependence: The 2015 Recommendations of the French Alcohol Society, Issued in Partnership with the European Federation of Addiction Societies. CNS Neurosci Ther. 2016;22(1):25–37. 1505 Kingsland M, Wiggers JH, Vashum KP, Hodder RK, Wolfenden L. Interventions in sports settings to reduce risky alcohol consumption and alcohol-related harm: a systematic review. Syst Rev. 2016;5(1):12. PMID: 26791417. 1506 Midford R, Mitchell J, Lester L, Cahill H, Foxcroft D, Ramsden R, Venning L, Pose M. Preventing alcohol harm: early results from a cluster randomised, controlled trial in Victoria, Australia of comprehensive harm minimisation school drug education. Int J Drug Policy. 2014;25(1):142–50. 1507 Sedlacek HH. Onkologie. Die Tumorerkrankungen des Menschen. de Gruyter 2013;213–248. 1508 Kutlu MG, Gould TJ. Nicotinic modulation of hippocampal cell signaling and associated effects on learning and memory. Physiol Behav. 2016;155:162–71. 1509 Grizzell JA, Echeverria V. New Insights into the Mechanisms of Action of Cotinine and its Distinctive Effects from Nicotine. Neurochem Res. 2015;40(10):2032–46.

3.5 Die Wahl der Ernährung





281

weite Teile der Bevölkerung; allein in Deutschland rauchen etwa 25 % der Bevölkerung, d. h. 14,7 Mio der > 15-Jährigen,1510 in den USA gelten derzeit etwa 20 % der Bevölkerung als nikotinabhängig,1511 und bevorzugt auch solche Menschen, welche versuchen, ihre psychischen Probleme wie Angststörungen, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome und Depressionen durch das Rauchen zu lindern.1512

Zugleich erhöht Nikotin die Risiken für Erkrankungen des Herz- und Kreislauf-Systems, der Lunge (im Besonderen für COPD/chronische obstruktive Lungenerkrankungen), des Magen-Darms und des Immunsystems,1513 wobei die kardiovaskulären Veränderungen und Erkrankungen (Artheriosklerose, Maculadegeneration) wahrscheinlich wesentlich beeinflusst werden ▪ durch Nikotin selbst, welches über den nikotinischen Acetylcholinrezeptor Endothelzellen und glatten Muskelzellen zur Proliferation stimuliert,1514,1515 ▪ durch den Nikotin-Metaboliten Cotinin, welcher den Testosteronabbau inhibiert und dadurch zu einer Erhöhung des Testosteronspiegels führt.1516 Ein erhöhter Testosteronspiegel steigert das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen,1517 ▪ durch die zahlreichen Begleitstoffe, aufgenommen mit dem Tabakrauch. Von Feinpartikeln allein schon ist bekannt, dass ihre Inhalation das Risiko für Schlaganfall und Demenz erhöht.1518,1519 Tabakrauch (aktiv und/oder passiv eingeatmet) stellt den weltweit größten Risikofaktor für Tumorerkrankungen dar. Das Tabakkraut enthält bereits zahlreiche Karzinogene, im Tabakrauch sind diese drastisch vermehrt. Zu diesen Karzinogenen gehören1520

1510 Die Drogenbeauftragte 29. Dezember 2015; http://www.drogenbeauftragte.de/drogen-und-sucht/tabak/situation-in-deutschland.html. 1511 Kutlu MG, Parikh V, Gould TJ. Nicotine Addiction and Psychiatric Disorders. Int Rev Neurobiol. 2015;124:171–208. 1512 Kutlu MG et al. Siehe 1511. 1513 Mishra A, Chaturvedi P, Datta S, Sinukumar S, Joshi P, Garg A. Harmful effects of nicotine. Indian J Med Paediatr Oncol. 2015;36(1):24–31. 1514 Pillai S, Chellappan S. α7 nicotinic acetylcholine receptor subunit in angiogenesis and epithelial to mesenchymal transition. Curr Drug Targets. 2012;13(5):671–9. 1515 Cooke JP. New Insights Into Tobacco-Induced Vascular Disease: Clinical Ramifications. Methodist Debakey Cardiovasc J. 2015;11(3):156–9. 1516 Zhao J, Leung JY, Lin SL, Mary Schooling C. Cigarette smoking and testosterone in men and women: A systematic review and meta-analysis of observational studies. Prev Med. 2016;85:1–10. 1517 Xu L, Freeman G, Cowling BJ, Schooling CM. Testosterone therapy and cardiovascular events among men: a systematic review and meta-analysis of placebo-controlled randomized trials. BMC Med. 2013;11:108. PMID: 23597181. 1518 Wilker EH, Preis SR, Beiser AS, Wolf PA, Au R, Kloog I, Li W, Schwartz J, Koutrakis P, DeCarli C, Seshadri S, Mittleman MA. Long-term exposure to fine particulate matter, residential proximity to major roads and measures of brain structure. Stroke. 2015;46(5):1161–6. 1519 Wang Y, Eliot MN, Wellenius GA. Short-term changes in ambient particulate matter and risk of stroke: a systematic review and meta-analysis. J Am Heart Assoc. 2014;3(4). pii: e000983. PMID: 25103204. 1520 Sedlacek HH. Onkologie. Die Tumorerkrankungen des Menschen. de Gruyter 2013;213–248.

282 ▪





3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

etwa 60 chemische Verbindungen wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe/ PAK, Nitrosamine, aromatische Amine, Aldehyde, Phenole, Benzole, Nitroverbindungen, radioaktive Nuklide, welche von der Tabakpflanze aus Staubteilen in der Luft herausgefiltert werden, im Besonderen Polonium 210, Radium 226, Radium 228, Blei 220 und Caesium 187, das Nikotin, – welches bei Fermentation des Tabakkrautes oder nach Aufnahme im Körper zu NNK (4-(Methylnitrosoamino)-1-(3-Pyridyl)-1-Butanon abgebaut wird und welches sowohl ein Karzinogen darstellt wie auch durch Aktivierung von β-adrenergen Rezeptoren Zellen zur Proliferation stimuliert, – welches als Tumorpromoter wirkt, indem die Ausschüttung von Katecholaminen (Adrenalin, Noradrenalin) aus dem Nebennierenmark stimuliert wird, die wiederum β-adrenergen Rezeptoren zahlreicher Zellen, besonders in der Lunge und im Pankreas zur Proliferation aktivieren.

Da Nikotin (besonders über die Ausschüttung von Dopamin) Abhängigkeit verursacht, wächst mit zunehmendem Tabakgenuss auch die eingenommene Dosis der Karzinogene und damit das Tumorrisiko.1521 ▪ Etwa 24 % der Raucher erkranken an einen Tumor, wobei alle Tumorarten induziert werden, am häufigsten natürlich das Lungenkarzinom. ▪ Wird das Rauchen jedoch konsequent eingestellt, verringert sich das Tumorrisiko und liegt nach 10 Jahren bei etwa 10 % des Ausgangswertes. Wie drastisch das Rauchen die Lebenserwartung beschneidet, zeigt sich an einigen aktuellen Studien an ≥ 40 bzw. ≥ 50-Jährigen mit Normalgewicht oder leichtem Übergewicht und mit moderatem Alkoholkonsum ▪ in der USA/Europa-Studie (Personen ≥ 50 Jahre) war der durchschnittliche relative Lebenszeitverlust für Raucher ohne körperliche Bewegung verglichen mit Nichtrauchern mit körperlicher Bewegung – 7,4 Jahre (Männer) bzw. 15,7 Jahre (Frauen);1522 ▪ in der Deutschland-Studie (Personen ≥ 40 Jahre) war der durchschnittliche relative Lebenszeitverlust für Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern – 9,4 Jahre (Männer) bzw. 7,3 Jahre (Frauen).1523

1521 Sedlacek HH. Siehe 1520. 1522 O’Doherty MG, Cairns K, O’Neill V, Lamrock F, Jørgensen T, Brenner H, Schöttker B, Wilsgaard T, Siganos G, Kuulasmaa K, Boffetta P, Trichopoulou A, Kee F. Effect of major lifestyle risk factors, independent and jointly, on life expectancy with and without cardiovascular disease: results from the Consortium on Health and Ageing Network of Cohorts in Europe and the United States (CHANCES). Eur J Epidemiol. 2016. PMID 26781655. 1523 Li K, Hüsing A, Kaaks R. Lifestyle risk factors and residual life expectancy at age 40: a German cohort study. BMC Med. 2014;12:59. PMID: 24708705.

3.6 Die Gefahr des Schlafmangels

283

Somit hat jeder Mensch die Möglichkeit, durch den vollkommenen Verzicht auf den „Tabakgenuss“ aus eigener Entscheidung heraus sein Risiko für schwere Erkrankungen zu senken und sein Leben deutlich zu verlängern. Für diese Entscheidung benötigt er Wissen, Einsicht und Willen, welche ihm durch eine kognitive Verhaltenstherapie vermittelt werden kann. Ohne diesen Prozess einer kognitiven Verhaltensänderung sind alle anderen Maßnahmen wie z. B. eine ergänzende Arzneimitteltherapie mit Rezeptoragonisten, welche kompetitiv zu Nikotin wirken, mit Nikotinpflaster oder auch mit E-Zigaretten wenig erfolgreich.1524,1525,1526 Wie entscheidend die eigene Willensstärke ist, zeigt sich besonderes daran, dass nur etwa 6 % der Willigen langfristig den Ausstieg aus der Nikotinabhängigkeit schaffen.1527

3.6 Die Gefahr des Schlafmangels Der erwachsene Mensch benötigt für sein Wohlbefinden im Durchschnitt ca. 7 Stunden regelmäßigen Schlaf. Dieser erfolgt in verschiedenen Schlafphasen (siehe Tab. 3.78), ▪ welche der Entwicklung und Funktionserhaltung der Gehirnaktivität dienen, ▪ während derer die Energiereserven durch anabole Stoffwechselaktivitäten wiederaufgefüllt werden und ein Abgleich mit den unterschiedlichen Körperfunktionen stattfindet, ▪ in denen die Verarbeitung von Erlebnissen und Erinnerungen im deklarativen und im prozeduralen Gedächtnis erfolgt, ▪ in denen durch die Bildung von immunstimulierenden Neuromediatoren und durch die Verminderung der Ausschüttung von Glucocorticoiden das Immunsystem gestärkt wird, welches seinerseits mit seinen Zytokinen wiederum den Schlaf verstärkt, wobei – proinflammatorische Zytokine (z. B. IL-1, TNFα, IFNα) den Schlaf fördern, was bedeutet, dass die alltägliche Expositionen mit Antigenen und Infektionserregern einen guten Schlaf gewährleisten, – antiinflammatorische Zytokine (im Besonderen IL-10) dagegen den Schlaf hemmen, was die Schlaflosigkeit unter Stressbelastungen und bei hoher Glucocorticoidausschüttung erklären mag.

1524 Bölcskei PL, Walden K. The ABC of smoking cessation. Med Monatsschr Pharm. 2008;31(5):173–8. 1525 Breland A, Soule E, Lopez A, Ramôa C, El-Hellani A, Eissenberg T. Electronic cigarettes: what are they and what do they do? Ann N Y Acad Sci. 2016. PMID: 26774031. 1526 Cobb CO, Hendricks PS, Eissenberg T. Electronic cigarettes and nicotine dependence: evolving products, evolving problems. BMC Med. 2015;13:119. PMID: 25998379. 1527 Johnson TS. A brief review of pharmacotherapeutic treatment options in smoking cessation: bupropion versus varenicline. J Am Acad Nurse Pract. 2010;22(10):557–63.

284

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.78: Funktionen und Wechselwirkungen der Schlafphasen.1528 Wachzustand Physiologie

Schlafphasen NREM

Augenbewegungen

Gehirnaktivität

willkürlich

unwillkürlich

spontan

erniedrigt

REM

langsam

desynchronisiert synchronisiert

Neurotransmitter (> = dominierend)

> Noradrenalin

> Serotonin

~ Acetylcholin

> Acetylcholin

~ Histamin

~ GABA/γ-Aminobuttersäure

~ Orexin

~ Melatonin, Adenosin

unwillkürlich

schnell

erhöht desynchronisiert Noradrenalin1529 und andere Mediatoren auf ein Minimum gesunken

Wachstumshormon

Steigerung

Prolaktin

Hormone

Glucocorticoide

Abfall

Thyreotropin

Verarbeitung von Erlebnissen

Aufnahme von Informationen

Speicherung im deklarativen Gedächtnis

Speicherung im prozeduralen Gedächtnis

Wechselwirkung zwischen den Schlafphasen, der Ausschüttung von Immunmediatoren und der Schlafqualität

Wirkung der Zytokine auf den Schlaf

Einfluss auf Immunzellen

Einleitung, Aufrechterhaltung

IL-1, TNFα (↑)

IL-1, TNFα (↑↑)

Verstärkung

IL-1, -2, -12, -7 (↑↑), TNFα, IFNα, IFNγ (↑↑)

IL-7 (↑↑)

Hemmung

IL-4, -6, -10 (↓)

Vermehrung und Differenzierung

Monozyten/ Makrophagen/ dentritische Zellen (↑) T-Lymphozyten (↑) B-Lymphozyten (↑)

Einfluss auf die Immunreaktion

Wundheilung (↑), Schutz gegen virale/bakterielle Infektionserreger (↑), Antikörperbildung (↑)

NREM = non rapid eye movement; REM = rapid eye movement; (↑) Anstieg; (↓) Abfall, bewirkt in den Schlafphasen

1528 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2013;510–513. 1529 Mehta R, Singh A, Bokkon I, Nath Mallick B. REM sleep and its Loss-Associated Epigenetic Regulation with Reference to Noradrenaline in Particular. Curr Neuropharmacol. 2016;14(1):28–40.

3.6 Die Gefahr des Schlafmangels

285

Schlafstörungen sind weitverbreitet. Im Kindesalter beeinträchtigen diese eine bestmögliche Hirnentwicklung mit dem Risiko, im späteren Alter an einem Aufmerksamkeitsdefizit, an Sprachschwächen und/oder an kognitiven wie auch psychosozialen Problemen zu leiden.1530,1531 Diesem Risiko kann bereits beim Kleinkind durch Schlafförderung entgegengewirkt werden. Diese beinhaltet 1532,1533,1534 ▪ einen geregelten Tagesablauf mit einsichtiger Ordnung und klaren Grenzen, ▪ täglich wiederkehrende Einschlafrituale und eine konsequent aufrechterhaltene Schlafhygiene, ▪ in den Wachzeiten eine frühzeitige Exposition des Kindes mit frischer Luft und den natürlichen Umwelteinflüssen, ▪ regelmäßige Nahrungsaufnahme und eine ausgewogene Ernährung unter Vermeidung von Lebensmitteln, welche zu Blähungen führen und ▪ nur in „resistenten“ Fällen die Möglichkeit der Gabe von pharmazeutischen Einschlafhilfen (z. B. Melatonin oder Melatonin-Rezeptor-Agonisten).1535 Auch wenn sich bereits ein ADHS/Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätssyndrom entwickelt hat, können diese Kinder von klaren Regeln für das Einschlafen und Schlafen profitieren.1536 Mit zunehmendem Alter vermindert sich zwar der Schlafbedarf,1537 dennoch leiden etwa 6–10 % der ansonsten gesunden Erwachsenen an chronischer Schlaflosigkeit, so definiert, falls diese ≥ 6 Monate anhält. Bei Bluthochdruck, Herz- oder Lungenerkrankungen steigt dieser Anteil auf bis zu 40–45 %.1538 Chronische Schlaflosigkeit führt allzuhäufig ▪ zu meist vergeblichen Kompensationsbemühungen, indem einerseits der Kaffeeverbrauch erhöht und andererseits die Liegezeit im Bett verlängert und/oder die Einschlafbemühungen verstärkt werden und/oder

1530 Kurth S, Olini N, Huber R, LeBourgeois M. Sleep and Early Cortical Development. Curr Sleep Med Rep. 2015;1(1):64–73. 1531 McGregor KK, Alper RM. Sleep Disorders as a Risk to Language Learning and Use. EBP Briefs. 2015;10(1):1–21. 1532 Grigg-Damberger M, Ralls F. Treatment strategies for complex behavioral insomnia in children with neurodevelopmental disorders. Curr Opin Pulm Med. 2013;19(6):616–25. 1533 Angriman M, Caravale B, Novelli L, Ferri R, Bruni O. Sleep in children with neurodevelopmental disabilities. Neuropediatrics. 2015;46(3):199–210. 1534 Shukla C, Basheer R. Metabolic signals in sleep regulation: recent insights. Nat Sci Sleep. 2016;8:9– 20. 1535 Blackmer AB, Feinstein JA. Management of Sleep Disorders in Children With Neurodevelopmental Disorders: A Review. Pharmacotherapy. 2016;36(1):84–98. 1536 Hiscock H, Sciberras E, Mensah F, Gerner B, Efron D, Khano S, Oberklaid F. Impact of a behavioural sleep intervention on symptoms and sleep in children with attention deficit hyperactivity disorder, and parental mental health: randomised controlled trial. BMJ. 2015;350:h68. PMID: 25646809. 1537 Devore EE, Grodstein F, Schernhammer ES. Sleep Duration in Relation to Cognitive Function among Older Adults: A Systematic Review of Observational Studies. Neuroepidemiology. 2016;46(1):57–78. 1538 Williams J, Roth A, Vatthauer K, McCrae CS. Cognitive behavioral treatment of insomnia. Chest. 2013;143(2):554–65.

286

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.79: Beispiele für gesundheitliche Folgen der Schlaflosigkeit bzw. des Schlafmangels. Risiken für Kleinkinder Entwicklungs- und Reifeprozess (↓) Gehirn

ADHS/Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätssyndrom (↑), Sprachschwächen (↑), kognitive Defizite (↑), motorische und psychosoziale Probleme (↑)1539,1540

Haut

atopische Dermatitis (↑)1541

Risiken für Erwachsene Speicherung von neuen Erlebnissen in das Langzeitgedächtnis (↓)1542,1543 Gehirn

(vorlaufendes Symptom von) Schüttellähme/Parkinson (↑)1544,1545 extrazelluläres Amyloid-β (↑), Demens/Alzheimer Erkrankung (↑)1546,1547

kausaler und finaler Bezug möglich

TNFα, IL-1β,-6, IFNα (↑),1548 Gucocorticoide (↑), Immunreaktionen (↓), chronische Entzündungen (↑), Infektionen (↑)1549,1550,1551 Immunsystem Autoimmunerkrankungen (↑), systemischer Lupus erythematosus, Sclerodermie, rheumatoide Arthritis (↑)1552,1553 Zellproliferation Mammakarzinom (↑?), Prostatakarzinom (↑?)1554,1555

Stoffwechsel

Leptin (↓), Ghrelin (↑), Hunger (↑), Nahrungsaufnahme (↑), Adipositas (↑), Insulinresistenz (↑), Glukosetoleranz (↓)1556,1557,1558,1559 Diabetes mellitus Typ II (↑)1560,1561 Herzinfarkt (↑)1562,1563

Herz-Kreislauf Lebensdauer

autonome Regulation der Herztätigkeit (↓)1564,1565,1566 Mortalität (↑)1567

Risiko kann auch bei überlangem Schlaf erhöht sein

(↑) Anstieg; (↓) Verminderung

1539 Kurth S, Olini N, Huber R, LeBourgeois M. Sleep and Early Cortical Development. Curr Sleep Med Rep. 2015;1(1):64–73. 1540 McGregor KK, Alper RM. Sleep Disorders as a Risk to Language Learning and Use. EBP Briefs. 2015;10(1):1–21. 1541 Fishbein AB, Vitaterna O, Haugh IM, Bavishi AA, Zee PC, Turek FW, Sheldon SH, Silverberg JI, Paller AS. Nocturnal eczema: Review of sleep and circadian rhythms in children with atopic dermatitis and future research directions. J Allergy Clin Immunol. 2015;136(5):1170–7. 1542 Goerke M, Müller NG, Cohrs S. Sleep-dependent memory consolidation and its implications for psychiatry. J Neural Transm (Vienna). 2015. PMID: 26518213. 1543 Göder R, Nissen C, Rasch B. Sleep, learning and memory: relevance for psychiatry and psychotherapy. Nervenarzt. 2014;85(1):50–6. 1544 dos Santos AB, Kohlmeier KA, Barreto GE. Are sleep disturbances preclinical markers of Parkinson’s disease? Neurochem Res. 2015;40(3):421–7. 1545 Videnovic A, Golombek D. Circadian and sleep disorders in Parkinson’s disease. Exp Neurol. 2013;243:45–56.

3.6 Die Gefahr des Schlafmangels



287

zur Einnahme von Schlafmitteln, welche ihrerseits wiederum die Risiken der kognitiven und psychomotorischen Beeinträchtigung, der Arzneimittelabhängigkeit und auch der Toxizität bei Arzneimittelkombinationen mit sich bringen.

1546 Lim MM, Gerstner JR, Holtzman DM. The sleep-wake cycle and Alzheimer’s disease: what do we know? Neurodegener Dis Manag. 2014;4(5):351–62. 1547 Lucey BP, Bateman RJ. Amyloid-β diurnal pattern: possible role of sleep in Alzheimer’s disease pathogenesis. Neurobiol Aging. 2014;35 Suppl 2:S29–34. 1548 Ali T, Choe J, Awab A, Wagener TL, Orr WC. Sleep, immunity and inflammation in gastrointestinal disorders. World J Gastroenterol. 2013;19(48):9231–9. 1549 Irwin MR. Why sleep is important for health: a psychoneuroimmunology perspective. Annu Rev Psychol. 2015;66:143–72. 1550 Ibarra-Coronado EG, Pantaleón-Martínez AM, Velazquéz-Moctezuma J, Prospéro-García O, MéndezDíaz M, Pérez-Tapia M, Pavón L, Morales-Montor J. The Bidirectional Relationship between Sleep and Immunity against Infections. J Immunol Res. 2015;2015:678164. PMID: 26417606. 1551 Ganz FD. Sleep and immune function. Crit Care Nurse. 2012;32(2):e19–25. 1552 Sangle SR, Tench CM, D’Cruz DP. Autoimmune rheumatic disease and sleep: a review. Curr Opin Pulm Med. 2015;21(6):553–6. 1553 Sangle SR, et al. 1557. 1554 Davis MP, Goforth HW. Long-term and short-term effects of insomnia in cancer and effective interventions. Cancer J. 2014;20(5):330–44. 1555 Costa G, Haus E, Stevens R. Shift work and cancer − considerations on rationale, mechanisms, and epidemiology. Scand J Work Environ Health. 2010;36(2):163–79. 1556 Nedeltcheva AV, Scheer FA. Metabolic effects of sleep disruption, links to obesity and diabetes. Curr Opin Endocrinol Diabetes Obes. 2014;21(4):293–8. 1557 Morselli L, Leproult R, Balbo M, Spiegel K. Role of sleep duration in the regulation of glucose metabolism and appetite. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab. 2010;24(5):687–702. 1558 Zimberg IZ, Dâmaso A, Del Re M, Carneiro AM, de Sá Souza H, de Lira FS, Tufik S, de Mello MT. Short sleep duration and obesity: mechanisms and future perspectives. Cell Biochem Funct. 2012;30(6):524–9. 1559 Patel SR, Hu FB. Short sleep duration and weight gain: a systematic review. Obesity (Silver Spring). 2008;16(3):643–53. 1560 Cappuccio FP, D’Elia L, Strazzullo P, Miller MA. Quantity and quality of sleep and incidence of type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Diabetes Care. 2010;33(2):414–20. 1561 Mallon L, Broman JE, Hetta J. High incidence of diabetes in men with sleep complaints or short sleep duration: a 12-year follow-up study of a middle-aged population. Diabetes Care. 2005;28(11):2762–7. 1562 Cappuccio FP, Cooper D, D’Elia L, Strazzullo P, Miller MA. Sleep duration predicts cardiovascular outcomes: a systematic review and meta-analysis of prospective studies. Eur Heart J. 2011;32(12):1484–92. 1563 Alibhai FJ, Tsimakouridze EV, Reitz CJ, Pyle WG, Martino TA. Consequences of Circadian and Sleep Disturbances for the Cardiovascular System. Can J Cardiol. 2015;31(7):860–72. 1564 Glos M, Fietze I, Blau A, Baumann G, Penzel T. Cardiac autonomic modulation and sleepiness: physiological consequences of sleep deprivation due to 40 h of prolonged wakefulness. Physiol Behav. 2014; 125:45–53. 1565 Tobaldini E, Pecis M, Montano N. Effects of acute and chronic sleep deprivation on cardiovascular regulation. Arch Ital Biol. 2014;152(2–3):103–10. 1566 Jackson CL, Redline S, Emmons KM. Sleep as a potential fundamental contributor to disparities in cardiovascular health. Annu Rev Public Health. 2015;36:417–40. 1567 Cappuccio FP, D’Elia L, Strazzullo P, Miller MA. Sleep duration and all-cause mortality: a systematic review and meta-analysis of prospective studies. Sleep. 2010;33(5):585–92.

288

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Alternativ besteht jedoch die Möglichkeit ▪ einer kognitiven Verhaltensänderung ggf. unterstützt durch eine kognitive Verhaltenstherapie, bei welcher die Gründe für die Schlaflosigkeit, seien es Tagesablauf, Lebenstil oder Wahrnehmungen und Assoziationen, analysiert werden und aus dieser Analyse ein Verhaltensprogramm entworfen wird, welches der Schlaflosigkeit erfolgreich entgegenwirkt,1568,1569 und ▪ von meditativen Übungen (z. B. Yoga) mit dem Ziel, zu entspannen und hierdurch die Schlafqualität und dadurch die Lebensqualität zu verbessern.1570 Da chronische Schlaflosigkeit erhebliche gesundheitliche Folgen hat (siehe Tab. 3.79), gleich, ob sie dabei die Ursache oder eine der Folgen einer Erkrankung ist, kann Betroffenen nur geraten werden, durch eine Selbstergründung das eigene bisherige Verhalten zu überprüfen (siehe Tab. 3.1) und mit der gewonnenen Einsicht das Verhalten in Hinblick auf Förderung des Schlafes neu auszurichten.

3.7 Vom Nutzen der körperlichen Bewegung Ob eine körperliche Bewegung nutzt oder schadet, ist abhängig von der physischen Belastbarkeit des Körpers und von der Leistungsfähigkeit seines Energiestoffwechsels. Beide werden bestimmt von ▪ der Konstitution und Kondition der jeweiligen Person, ▪ der Menge und der Verfügbarkeit seiner Energievorräte und ▪ der Zufuhr und dem Verbrauch an Sauerstoff. Die hierdurch gegebenen individuell unterschiedlichen Grenzen werden durch maßvolle Belastungen nicht überschritten. Ein Überschreiten dieser Belastungsgrenze ist erkennbar ▪ an der durch Sauerstoffnot eintretenden akuten Atemnot und ▪ an dem Auftreten von Schmerzen in den belasteten Gliedmaßen oder Körperteilen. Da Bewegungsschmerzen den Beginn zerstörerischer Vorgänge signalisieren, sollte grundsätzlich für eine gesundheitsförderliche Bewegung gelten, gleich ob bei Gesunden oder Kranken (siehe Kap. 3.3.4), ▪ den Körper nur bis zur Schmerzgrenze zu belasten, aber nicht darüber hinaus und ▪ bei Bewegungsschmerzen keine Schmerzmitteln einzunehmen, da unter Schmerzmitteln sich die Schmerzgrenze nach oben verschiebt und dadurch die notwendige Schmerzkontrolle für zur Verhinderung einer schädlichen Bewegung ausgeschaltet ist, ▪ bei Ruheschmerzen dagegen je nach deren Stärke zu wählen entweder eine Minimalbelastung der Gliedmasse oder deren Ruhigstellung unter Schmerzmitteln.

1568 Williams J, et al. Siehe 1538. 1569 Trauer JM, Qian MY, Doyle JS, Rajaratnam SM, Cunnington D. Cognitive Behavioral Therapy for Chronic Insomnia: A Systematic Review and Meta-analysis. Ann Intern Med. 2015;163(3):191–204. 1570 Wang F, Eun-Kyoung Lee O, Feng F, Vitiello MV, Wang W, Benson H, Fricchione GL, Denninger JW. The effect of meditative movement on sleep quality: A systematic review. Sleep Med Rev. 2015;30:43–52.

3.7 Vom Nutzen der körperlichen Bewegung

289

Regelmäßige, intensive, den Körper belastende (d. h. möglichst schweißtreibende) Bewegungen fördern alle wesentlichen Körperfunktionen und stärken die physische und mentale Kondition (siehe Tab. 3.80). Vor diesem Hintergrund ist die lindernde oder heilende Wirksamkeit der Bewegungstherapie auf sehr unterschiedliche Erkrankungen erklärbar (siehe Tab. 3.81). Sie wurde z. B. nachgewiesen bei1571,1572 ▪ psychiatrischen Erkrankungen (Stress, Autismus, Depression, Angststörungen, Schizophrenie, Fibromyalgie), ▪ neurologischen Erkrankungen (Demenz, Parkinson, Multiple Sklerose), – bei einer weltweiten Analyse von 33,9 Millionen Demenzerkrankungen erwies sich in USA, Europa und UK die Bewegungsarmut als größter Risikofaktor für eine Demenz;1573 ▪ Stoffwechselerkrankungen (Adipositas, Hyperlipidämie, metabolisches Syndrom, polycystisches ovariales Syndrom, Diabetes Typ II), ▪ kardiovaskuläre Erkrankungen (Bluthochdruck, koronare Herzerkrankung, Herzschwäche, periphere arterielle Verschlusserkrankungen), ▪ cerebrale arterielle Unterversorgung und Schlaganfall,1574 – bei hierdurch verursachte Lähmungen kommt der aktiven Bewegungstherapie eine besondere Bedeutung zu, da durch den Willensprozess die Ausschüttung derjenigen neurotrophen Wachstumsfaktoren (Brain-Derived Neurotrophic Factor/ BDNF, Nerve Growth Factor/NGF; siehe Kap. 2.4.5 und 3.4.2) und Immunfaktoren (siehe Kap. 3.4.2) gefördert wird,1575 welche die Neuroplastizität (Zellteilung, Wachstum von Axonen und Dendriten) und die Neubildung von Synapsen stimulieren1576 und damit den Nervenschaden eingrenzen oder zumindest teilweise beheben können (siehe Tab. 3.80 und 3.81); ▪ Lungenerkrankungen (COPD/chronische obstruktive pulmonale Erkrankung, Asthma, zystische Fibrose), ▪ Erkrankungen des Bewegungsapparates (Osteoarthritis, Osteoporosis, Rückenschmerzen, rheumatoide Arthritis) und ▪ Tumorerkrankungen. Auch wenn Dauer, Art und Intensität der körperlichen Bewegung für die Prophylaxe oder Therapie der einzelnen Erkrankungen noch nicht in allen Fällen optimiert worden sind, 1571 Pedersen BK, Saltin B. Exercise as medicine − evidence for prescribing exercise as therapy in 26 different chronic diseases. Scand J Med Sci Sports. 2015;25 Suppl 3:1–72. 1572 Henkel K, Reimers CD, Knapp G, Schneider F. Physical training for neurological and mental diseases, Nervenarzt. 2014;85(12):1521–8. 1573 Norton S, Matthews FE, Barnes DE, Yaffe K, Brayne C. Potential for primary prevention of Alzheimer’s disease: an analysis of population-based data. The Lancet Neurology, 2014;13(8):788–794. 1574 Østergaard L, Jespersen SN, Engedahl T, Gutiérrez Jiménez E, Ashkanian M, Hansen MB, Eskildsen S, Mouridsen K. Capillary dysfunction: its detection and causative role in dementias and stroke. Curr Neurol Neurosci Rep. 2015;15(6):37. PMID: 25956993. 1575 Park S, Park K, Lee Y, Chang KT, Hong Y. New Prophylactic and Therapeutic Strategies for Spinal Cord Injury. J Lifestyle Med. 2013;3(1):34–40. 1576 Ploughman M, Austin MW, Glynn L, Corbett D. The effects of poststroke aerobic exercise on neuroplasticity: a systematic review of animal and clinical studies. Transl Stroke Res. 2015;6(1):13–28.

290

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.80: Einfluss maßvoller körperlicher Aktivitäten auf Körperfunktionen. Schutz der Skelett-Muskulatur zytoprotektive Proteine/HSP/HeatShockProteine (↑)1577 Sauerstoff-StickstoffRadikale (Toxizität)

Atrophie

antioxidative Enzyme (↑)1578,1579,1580 Reparaturproteine/Proteasomkomplex, Oxoguanin DNA Glycosylase (↑), Uracil DNA Glycosylase (↑)1581 altersbedingter Schwund der Muskelmasse (↓)1582,1583

Aktivierung des Nervensystems Gehirn

Aufmerksamkeit (↑), Lernfähigkeit (↑), Gedächtnis (↑), Neuroplastizität/ Anpassungsfähigkeit (↑), Neurogenese im Hypocampus (↑)1584,1585,1586

zentrales und peripheres Nervensystem

Ausschüttung von Brain-Derived Neurotrophic Factor/BDNF, Nerve Growth Factor/NGF (↑), Neuroplastizität (↑), Neubildung von Synapsen (↑)1587,1588

Hormonausschüttung Stimulierung von

Adrenalin/Noradrenalin (↑), Wachstumshormone (↑) Testosteron (↑)

Aktivierung des Immunsystems1589 neutrophile Granulozyten

Umverteilung aus den peripheren Speichern in das Blut (↑); Phagozytose, Exozytose, anti-mikrobielle Aktivität (↑)

Monozyten/ Makrophagen

Anzahl im Blut (↑), proinflammatorische Zytokine IL-1, IFNα, IFNβ (↑)

natürliche Killerzellen

Anzahl im Blut (↑), zytotoxische Funktion (↑)

T-Lymphozyten

Anzahl im Blut (↑), Funktionen (↑), Zytokine (↑), Zytotoxizität (↑)

Immunschutz

Immunität gegen Infektionserreger, Bakterien, Viren (↑)

Stärkung von Herz und Kreislauf Herzfunktion

Schlagfrequenz (↑), Schlagvolumen (↑), Myokardkontraktilität (↑), Muskelzellvolumen (↑), Wandstärke (↑), Gesamtgewicht (↑)1590

Endothelzellen (Schutz der Gefäße)

Endothelzellfunktion (↑), Superoxid Dismutase/SOD-1 (↑)/oxidativer Stress (↓), endotheliale Nitric Oxid Synthase/eNOS (↑)/Expression von NO (↑)/Gefäßerweiterung (↑), proatherothrombotischer Phänotyp (↓), Proliferation von Endothelzell-Stammzellen (↑), Reparatur von Endothelzelldefekten (↑)1591,1592

vaskuläre Muskelzellen Risiken (↓)

koronare Herzerkrankung (↓), Herzinfarkt (↓), Herztod (↓), Bluthochdruck (↓), Stressverarbeitung (↑)1593,1594

Einfluss auf die Schwangerschaft

Schwangere

kardiovaskuläre Funktionen (↑), Risiko: Bluthochdruck (↓), Gewichtszunahme (↓) Muskelkrämpfe (↓), Beinoedeme (↓), Stimmungsschwankungen (↓), Risiko: Harminkontinenz (↓), Risiko: Rückenschmerzen (↓), Risiko: Geburtskomplikationen (↓)1595,1596 Glucose Toleranz (↑), Insulinsensitivität (↑), Risiko: Diabetes (↓), Diabeteskontrolle (↑)1597,1598 autonome Herzfunktionen (↑)1599,1600

Fetus

Fettmasse (↓), Stress Toleranz (↑), neurologische und Verhaltensentwicklung (↑)1601

(↑) Anstieg; (↓) Verminderung

3.7 Vom Nutzen der körperlichen Bewegung

291

1577 Morton JP, Kayani AC, McArdle A, Drust B. The exercise-induced stress response of skeletal muscle, with specific emphasis on humans. Sports Med. 2009;39(8):643–62. 1578 McArdle A, Jackson MJ. Exercise, oxidative stress and ageing. J Anat. 2000;197 Pt 4:539–41. 1579 Ji LL, Gomez-Cabrera MC, Vina J. Role of free radicals and antioxidant signaling in skeletal muscle health and pathology. Infect Disord Drug Targets. 2009;9(4):428–44. 1580 Leung FP, Yung LM, Laher I, Yao X, Chen ZY, Huang Y. Exercise, vascular wall and cardiovascular diseases: an update (Part 1). Sports Med. 2008;38(12):1009–24. 1581 Sallam N, Laher I. Exercise Modulates Oxidative Stress and Inflammation in Aging and Cardiovascular Diseases. Oxid Med Cell Longev. 2016;2016:7239639. PMID: 26823952. 1582 Quittan M. Aspects of physical medicine and rehabilitation in the treatment of deconditioned patients in the acute care setting: the role of skeletal muscle. Wien Med Wochenschr. 2016. PMID: 26758982. 1583 Mayer F, Scharhag-Rosenberger F, Carlsohn A, Cassel M, Müller S, Scharhag J. Intensität und Effekte von Krafttraining bei Älteren. Deutsches Ärzteblatt 2011;108(21):359–363. 1584 Cassilhas RC, Tufik S, de Mello MT. Physical exercise, neuroplasticity, spatial learning and memory. Cell Mol Life Sci. 2015. PMID: 26646070. 1585 Hamilton GF, Rhodes JS. Exercise Regulation of Cognitive Function and Neuroplasticity in the Healthy and Diseased Brain. Prog Mol Biol Transl Sci. 2015;135:381–406. 1586 Wong-Goodrich SJ, Pfau ML, Flores CT, Fraser JA, Williams CL, Jones LW. Voluntary running prevents progressive memory decline and increases adult hippocampal neurogenesis and growth factor expression after whole-brain irradiation. Cancer Res. 2010;70(22):9329–38. 1587 Ploughman M, Austin MW, Glynn L, Corbett D. The effects of poststroke aerobic exercise on neuroplasticity: a systematic review of animal and clinical studies. Transl Stroke Res. 2015;6(1):13–28. 1588 Kidd PM. Integrated brain restoration after ischemic stroke – medical management, risk factors, nutrients, and other interventions for managing inflammation and enhancing brain plasticity. Altern Med Rev. 2009;14(1):14–35. 1589 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;513–516. 1590 Wilson MG, Ellison GM, Cable NT. Basic science behind the cardiovascular benefits of exercise. Br J Sports Med. 2016;50(2):93–9. 1591 Ross MD, Malone E, Florida-James G. Vascular Ageing and Exercise: Focus on Cellular Reparative Processes. Oxid Med Cell Longev. 2016;2016:3583956. PMID: 26697131. 1592 Leung FP, Yung LM, Laher I, Yao X, Chen ZY, Huang Y. Exercise, vascular wall and cardiovascular diseases: an update (Part 1). Sports Med. 2008;38(12):1009–24. 1593 Müller-Nordhorn J, Willich SN. Cardiovascular risks in sports. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2005;48(8):922–6. 1594 Eijsvogels TM, Molossi S, Lee DC, Emery MS, Thompson PD. Exercise at the Extremes: The Amount of Exercise to Reduce Cardiovascular Events. J Am Coll Cardiol. 2016;67(3):316–29. 1595 Melzer K, Schutz Y, Boulvain M, Kayser B. Physical activity and pregnancy: cardiovascular adaptations, recommendations and pregnancy outcomes. Sports Med. 2010;40(6):493–507. 1596 Nascimento SL, Surita FG, Cecatti JG. Physical exercise during pregnancy: a systematic review. Curr Opin Obstet Gynecol. 2012;24(6):387–94. 1597 Mottola MF, Artal R. Fetal and maternal metabolic responses to exercise during pregnancy. Early Hum Dev. 2016. pii: S0378-3782(16)00007-4. PMID: 26803360. 1598 Padayachee C, Coombes JS. Exercise guidelines for gestational diabetes mellitus. World J Diabetes. 2015;6(8):1033–44. 1599 Gustafson KM, May LE, Yeh HW, Million SK, Allen JJ. Fetal cardiac autonomic control during breathing and non-breathing epochs: the effect of maternal exercise. Early Hum Dev. 2012;88(7):539–46. 1600 May LE, Scholtz SA, Suminski R, Gustafson KM. Aerobic exercise during pregnancy influences infant heart rate variability at one month of age. Early Hum Dev. 2014;90(1):33–8. 1601 Melzer K, Schutz Y, Boulvain M, Kayser B. Physical activity and pregnancy: cardiovascular adaptations, recommendations and pregnancy outcomes. Sports Med. 2010;40(6):493–507.

292

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

Tab. 3.81: Beispiele für den therapeutischen Einfluss maßvoller körperlicher Aktivitäten auf Krankheiten.

Krankheiten

psychiatrisch

neurologisch

Tumore

Wirkung der körperlichen Aktivität

Autismus

Aufmerksamkeit, Lernfähigkeit (↑), sozial-emotionales Verhalten (↑)1602

Depression

Depressionssymptome (↓)1603,1604

Angststörung

depressive Symptome (↓), kognitive Leistungsfähigkeit (↑), soziale Phobie (↓)1605,1606

Schizophrenie

Risikofaktoren (↓), Fettsucht, Insulinresistenz, Bluthochdruck, Dyslipidaemie, kardiovaskuläre Erkrankungen (↓)1607

Fibromyalgie

physische Funktionen (↑), Schmerzen (↓), Steifheit (↓), Muskelstärke (↑)1608,1609

Parkinson

Aufmerksamkeit, Lernfähigkeit (↑), Stimmungsschwankungen (↓), Schlaflosigkeit (↓)1610

Demens

kognitive Leistungsfähigkeit (↑)1611,1612

Multiple Sklerose

Bewegungskontrolle (↑), Reaktionszeiten (↓), Gemütslage (↑), Muskelstärke (↑)1613,1614,1615

Schlaganfall

mental gesteuerte Bewegung der gelähmten Extremität (↑)1616,1617,1618,1619

Psychische Belastung

Lebensqualität (↑), Selbstwertgefühl (↑), Ängste (↓), Schlafstörungen (↓), Schmerzen (↓), Sozialverhalten (↑), Sexualität (↑)1620,1621

Hirntumore

nach Hirnbestrahlung: Gedächtnisverluste (↓), Depressionen (↓), Aufmerksamkeit (↑), Lernfähigkeit (↑)1622,1623

Prostata-Ca.

Lebensqualität (↑)1624 Rehabilitation nach Koronarerkrankungen (↑),1625 Herzinfarktmortalität (↓)1626

Herz/Kreislauf HerzKreislauf Schlaganfall

Bluthochdruck (↓),1627,1628 Folgen von peripherem Arterienverschluss (↓)1629,1630 neurale Plastizität (↑), lokal: Entzündungsprozess (↓), Apoptose (↓), Angiogenese (↑), Expression von Wachstumsfaktoren (↑), Muskelaktivierung (↑), Risiko: sensorimotorische Defizite (↑) Hirnschaden (↑)1631,1632 bei Herzinsuffiziens: Verringerung der Skelettmuskelmasse/Sarkopenia (↓)1633

Schwund Skelettmuskel

Osteoarthritis

bei chronischer Entzündung/Cachexie: Verringerung der Muskelmasse (↓)1634 unspezif. Schmerzen

Rückenschmerzen (↓)1635,1636

Hüftgelenke

Schmerzen (↓), physische Funktion (↑)1637,1638

Kniegelenke

physische Funktionen (↑), Wohlbefinden (↑)1639,1640

Rheumatoid Arthritis

Selbstwertgefühl (↑), Depressionen (↓), Schlafqualität (↑), Schmerzempfindungen (↓)1641, Muskelkraft (↑), physische Funktionen (↑), Mineralisierung Hüftknochen (↑)1642

3.7 Vom Nutzen der körperlichen Bewegung

Krankheiten

Lunge

293

Wirkung der körperlichen Aktivität

COPD

Dyspnoe (↓), Angststörungen, Depressionen (↓), physische Leistungsfähigkeit (↑), Mortalität (↓)1643,1644

Asthma

Bronchokonstriktion (↓), Atemnot (↓), Verbrauch an inhalierten Corticosteroiden (↓)1645 Sauerstoffaufnahme (↑), klinische Verbesserung (↑)1646

zystische Fibrose Lungenfunktion(↑), Atmungskapazität (↑)1647,1648 metabolisches Syndrom

Diabetes

Herz-Kreislauf

arterielle Dickenzunahme (↓), arterielle Steifheit (↓)1649

Sexualität

sexuelle Potenz/Testosteron (↑)1650

Hyperlipidämie

Blut-Glucose (↓), HDL-C/High-Density-Lipoprotein-Cholesterol (↑), Low-Density-Lipoprotein Cholesterol/LDL-C (↓), Blutdruck (↓)1651

Typ II

Interleukin/IL-1β/Pancreas β-Zell-Tod (↓), IL-6 (↑), IL-1ra/IL-1 Rezeptor Antagonist (↑), TNF-α/periphere Insulinresistenz (↓)1652 Kosten der Behandlung (↓)1653

Niere

chronische Entzündung

physische Fitness, Leistungsfähigkeit, Blutdruck, Herzschlagfrequenz, Lebensqualität (↑)1654

(↑) Anstieg; (↓) Verminderung 1602 Bremer E, Crozier M, Lloyd M. A systematic review of the behavioural outcomes following exercise interventions for children and youth with autism spectrum disorder. Autism. 2016. pii: 1362361315616002. PMID: 26823546. 1603 Stubbs B, Vancampfort D, Rosenbaum S, Ward PB, Richards J, Ussher M, Schuch FB. Challenges Establishing the Efficacy of Exercise as an Antidepressant Treatment: A Systematic Review and Meta-Analysis of Control Group Responses in Exercise Randomised Controlled Trials. Sports Med. 2015;12. PMID: 26707338. 1604 Cooney GM, Dwan K, Greig CA, Lawlor DA, Rimer J, Waugh FR, McMurdo M, Mead GE. Exercise for depression. Cochrane Database Syst Rev. 2013;9:CD004366. PMID: 24026850. 1605 de Souza Moura AM, Lamego MK, Paes F, Ferreira Rocha NB, Simoes-Silva V, Rocha SA, de Sá Filho AS, Rimes R, Manochio J, Budde H, Wegner M, Mura G, Arias-Carrión O, Yuan TF, Nardi AE, Machado S. Effects of Aerobic Exercise on Anxiety Disorders: A Systematic Review. CNS Neurol Disord Drug Targets. 2015;14(9):1184–93. 1606 Jayakody K, Gunadasa S, Hosker C. Exercise for anxiety disorders: systematic review. Br J Sports Med. 2014;48(3):187–96. 1607 Chalfoun C, Karelis AD, Stip E, Abdel-Baki A. Running for your life: A review of physical activity and cardiovascular disease risk reduction in individuals with schizophrenia. J Sports Sci. 2015, 12:1–16. 1608 Bidonde J, Busch AJ, Webber SC, Schachter CL, Danyliw A, Overend TJ, Richards RS, Rader T. Aquatic exercise training for fibromyalgia. Cochrane Database Syst Rev. 2014;10:CD011336. PMID: 25350761. 1609 Busch AJ, Webber SC, Richards RS, Bidonde J, Schachter CL, Schafer LA, Danyliw A, Sawant A, Dal Bello-Haas V, Rader T, Overend TJ. Resistance exercise training for fibromyalgia. Cochrane Database Syst Rev. 2013;12:CD010884. PMID: 24362925. 1610 Reynolds GO, Otto MW, Ellis TD, Cronin-Golomb A. The Therapeutic Potential of Exercise to Improve Mood, Cognition, and Sleep in Parkinson’s Disease. Mov Disord. 2016;31(1):23–38. 1611 Groot C, Hooghiemstra AM, Raijmakers PG, van Berckel BN, Scheltens P, Scherder EJ, van der Flier WM, Ossenkoppele R. The effect of physical activity on cognitive function in patients with dementia: A meta-analysis of randomized control trials. Ageing Res Rev. 2016;25:13–23. 1612 Wang C, Yu JT, Wang HF, Tan CC, Meng XF, Tan L. Non-pharmacological interventions for patients with mild cognitive impairment: a meta-analysis of randomized controlled trials of cognition-based and exercise interventions. J Alzheimers Dis. 2014;42(2):663–78. 1613 Sandroff BM, Hillman CH, Benedict RH, Motl RW. Acute effects of walking, cycling, and yoga exercise on cognition in persons with relapsing-remitting multiple sclerosis without impaired cognitive processing speed. J Clin Exp Neuropsychol. 2015;37(2):209–19.

294

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

1614 Sandroff BM, Hillman CH, Benedict RH, Motl RW. Acute effects of varying intensities of treadmill walking exercise on inhibitory control in persons with multiple sclerosis: A pilot investigation. Physiol Behav. 2016;154:20–7. 1615 Ensari I EdM, Sandroff BM PhD, Motl RW PhD. Intensity of treadmill walking exercise on acute mood symptoms in persons with multiple sclerosis. Anxiety Stress Coping. 2016;2:1–29. 1616 Kho AY, Liu KP, Chung RC. Meta-analysis on the effect of mental imagery on motor recovery of the hemiplegic upper extremity function. Aust Occup Ther J. 2014;61(2):38–48. 1617 Butler AJ, Page SJ. Mental practice with motor imagery: evidence for motor recovery and cortical reorganization after stroke. Arch Phys Med Rehabil. 2006;87(12 Suppl 2):S2–11. 1618 Pollock A, Farmer SE, Brady MC, Langhorne P, Mead GE, Mehrholz J, van Wijck F. Interventions for improving upper limb function after stroke. Cochrane Database Syst Rev. 2014 Nov 12;11:CD010820. PMID: 25387001. 1619 Pollock A, Baer G, Campbell P, Choo PL, Forster A, Morris J, Pomeroy VM, Langhorne P. Physical rehabilitation approaches for the recovery of function and mobility following stroke. Cochrane Database Syst Rev. 2014;4:CD001920. PMID:24756870. 1620 Mishra SI, Scherer RW, Geigle PM, Berlanstein DR, Topaloglu O, Gotay CC, Snyder C. Exercise interventions on health-related quality of life for cancer survivors. Cochrane Database Syst Rev. 2012;8:CD007566. PMID: 22895961. 1621 Gerritsen JK, Vincent AJ. Exercise improves quality of life in patients with cancer: a systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. Br J Sports Med. 2015. pii: bjsports-2015-094787. PMID: 26719503. 1622 Pereira Dias G, Hollywood R, Bevilaqua MC, da Luz AC, Hindges R, Nardi AE, Thuret S. Consequences of cancer treatments on adult hippocampal neurogenesis: implications for cognitive function and depressive symptoms. Neuro Oncol. 2014;16(4):476–92. 1623 Wong-Goodrich SJ, Pfau ML, Flores CT, Fraser JA, Williams CL, Jones LW. Voluntary running prevents progressive memory decline and increases adult hippocampal neurogenesis and growth factor expression after whole-brain irradiation. Cancer Res. 2010;70(22):9329–38. 1624 Teleni L, Chan RJ, Chan A, Isenring EA, Vela I, Inder WJ, McCarthy AL. Exercise improves quality of life in androgen deprivation therapy-treated prostate cancer: systematic review of randomised controlled trials. Endocr Relat Cancer. 2016;23(2):101–12. 1625 Aspry K, Wu WC, Salmoirago-Blotcher E. Cardiac Rehabilitation in Patients with Established Atherosclerotic Vascular Disease: New Directions in the Era of Value-Based Healthcare. Curr Atheroscler Rep. 2016;18(2):10. PMID: 26803511. 1626 Anderson L, Thompson DR, Oldridge N, Zwisler AD, Rees K, Martin N, Taylor RS. Exercise-based cardiac rehabilitation for coronary heart disease. Cochrane Database Syst Rev. 2016 Jan 5;1:CD001800. PMID: 26730878. 1627 Börjesson M, Onerup A, Lundqvist S, Dahlöf B. Physical activity and exercise lower blood pressure in individuals with hypertension: narrative review of 27 RCTs. Br J Sports Med. 2016.1 pii: bjsports-2015-095786. PMID: 26787705. 1628 Sharman JE, La Gerche A, Coombes JS. Exercise and cardiovascular risk in patients with hypertension. Am J Hypertens. 2015;28(2):147–58. 1629 Gardner AW. Exercise rehabilitation for peripheral artery disease: An exercise physiology perspective with special emphasis on the emerging trend of home-based exercise. Vasa. 2015;44(6):405–17. 1630 Malgor RD, Alahdab F, Elraiyah TA, Rizvi AZ, Lane MA, Prokop LJ, Phung OJ, Farah W, Montori VM, Conte MS, Murad MH. A systematic review of treatment of intermittent claudication in the lower extremities. J Vasc Surg. 2015;61(3 Suppl):54S–73S. 1631 Pin-Barre C, Laurin J. Physical Exercise as a Diagnostic, Rehabilitation, and Preventive Tool: Influence on Neuroplasticity and Motor Recovery after Stroke. Neural Plast. 2015;2015:608581. PMID: 26682073. 1632 Niewada M, Michel P. Lifestyle modification for stroke prevention: facts and fiction. Curr Opin Neurol. 2016;29(1):9–13.

3.7 Vom Nutzen der körperlichen Bewegung

295

1633 von Haehling S. The wasting continuum in heart failure: from sarcopenia to cachexia. Proc Nutr Soc. 2015;74(4):367–77. 1634 Bowen TS, Schuler G, Adams V. Skeletal muscle wasting in cachexia and sarcopenia: molecular pathophysiology and impact of exercise training. J Cachexia Sarcopenia Muscle. 2015;6(3):197–207. 1635 Saragiotto BT, Maher CG, Yamato TP, Costa LO, Menezes Costa LC, Ostelo RW, Macedo LG. Motor control exercise for chronic non-specific low-back pain. Cochrane Database Syst Rev. 2016;1:CD012004. PMID: 26742533. 1636 Yamato TP, Maher CG, Saragiotto BT, Hancock MJ, Ostelo RW, Cabral CM, Menezes Costa LC, Costa LO. Pilates for low back pain. Cochrane Database Syst Rev. 2015;7:CD010265. PMID: 26133923. 1637 Sampath KK, Mani R, Miyamori T, Tumilty S. The effects of manual therapy or exercise therapy or both in people with hip osteoarthritis: A systematic review and meta-analysis. Clin Rehabil. 2015. pii: 0269215515622670. PMID: 26701903. 1638 Beumer L, Wong J, Warden SJ, Kemp JL, Foster P, Crossley KM. Effects of exercise and manual therapy on pain associated with hip osteoarthritis: a systematic review and meta-analysis. Br J Sports Med. 2015. pii: bjsports-2015-095255. PMID: 26612846. 1639 Tanaka R, Ozawa J, Kito N, Moriyama H. Does exercise therapy improve the health-related quality of life of people with knee osteoarthritis? A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Phys Ther Sci. 2015;27(10):3309–14. 1640 Regnaux JP, Lefevre-Colau MM, Trinquart L, Nguyen C, Boutron I, Brosseau L, Ravaud P. High-intensity versus low-intensity physical activity or exercise in people with hip or knee osteoarthritis. Cochrane Database Syst Rev. 2015;10:CD010203. PMID: 26513223. 1641 Verhoeven F, Tordi N, Prati C, Demougeot C, Mougin F, Wendling D. Physical activity in patients with rheumatoid arthritis. Joint Bone Spine. 2015. pii: S1297-319X(15)00239-0. PMID: 26639220. 1642 Cairns AP, McVeigh JG. A systematic review of the effects of dynamic exercise in rheumatoid arthritis. Rheumatol Int. 2009;30(2):147–58. 1643 Emtner M, Wadell K. Effects of exercise training in patients with chronic obstructive pulmonary disease-a narrative review for FYSS (Swedish Physical Activity Exercise Prescription Book). Br J Sports Med. 2016. pii: bjsports-2015-095872. PMID: 26823440. 1644 McCarthy B, Casey D, Devane D, Murphy K, Murphy E, Lacasse Y. Pulmonary rehabilitation for chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database Syst Rev. 2015;2:CD003793. PMID: 25705944. 1645 Fanelli A, Cabral AL, Neder JA, Martins MA, Carvalho CR. Exercise training on disease control and quality of life in asthmatic children. Med Sci Sports Exerc. 2007;39(9):1474–80. 1646 Carson KV, Chandratilleke MG, Picot J, Brinn MP, Esterman AJ, Smith BJ. Physical training for asthma. Cochrane Database Syst Rev. 2013;9:CD001116. PMID: 24085631. 1647 Hebestreit H, Kriemler S, Radtke T. Exercise for all cystic fibrosis patients: is the evidence strengthening? Curr Opin Pulm Med. 2015;21(6):591–5. 1648 Radtke T, Nolan SJ, Hebestreit H, Kriemler S. Physical exercise training for cystic fibrosis. Cochrane Database Syst Rev. 2015;6:CD002768. PMID: 26116828. 1649 Antunes BM, Cayres SU, Lira FS, Fernandes RA. Arterial Thickness and Immunometabolism: The Mediating role of Chronic Exercise. Curr Cardiol Rev. 2016;12(1):47–51. 1650 Winter AG, Zhao F, Lee RK. Androgen deficiency and metabolic syndrome in men. Transl Androl Urol. 2014;3(1):50–8. 1651 Kessler HS, Sisson SB, Short KR. The potential for high-intensity interval training to reduce cardiometabolic disease risk. Sports Med. 2012;42(6):489–509. 1652 Karstoft K, Pedersen BK. Exercise and type 2 diabetes: focus on metabolism and inflammation. Immunol Cell Biol. 2015.12 PMID: 26568029. 1653 Turi BC, Monteiro HL, Fernandes RA, Codogno JS. The impact of physical activity on mitigation of health care costs related to diabetes mellitus: findings from developed and developing settings Diabetes mellitus and physical exercise. Curr Diabetes Rev. 2015 Oct 15. PMID:26472573. 1654 Heiwe S, Jacobson SH. Exercise training for adults with chronic kidney disease. Cochrane Database Syst Rev. 2011;(10):CD003236. PMID: 21975737.

296

3 Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme

die bereits vorliegenden randomisierten und kontrollierten Studien belegen nicht nur die Wirksamkeit der Bewegungstherapie (siehe Tab. 3.81), sondern legen auch die hierfür zu erfüllenden Voraussetzungen dar. Diese umfassen ▪ regelmäßige, d. h. mehrmals in der Woche, möglichst täglich und dauerhaft durchgeführte, den Körper belastende Bewegungen; so kann z. B. die Lebenserwartung deutlich verlängert werden durch tagtägliches – intensives Fahrradfahren: um ca. 5 Jahre (Männer) bzw. ca. 4 Jahre (Frauen)1655 – intensives Joggen: um ca. 6 Jahre (Männer und Frauen);1656 ▪ trotz aller Belastungsforderung das Maßhalten, angepasst – an die eigene Konstitution und an die sich durch das Training fortlaufend verbessernde Kondition und – an die speziellen Gegebenheiten einer Erkrankung, welche es ggf. mit ärztlichem Rat zu lindern gilt; ▪ das Vermeiden von übermäßigen, die eigenen Leistungsgrenzen überschreitenden körperlichen Aktivitäten, die schädlich sind für Kranke wie auch Gesunde (siehe Tab. 3.82). Vollkommen abwegig wäre es, die Bewegungstherapie unter einen Leistungsdruck zu stellen, welcher seinerseits zu Stress, zu Versagensängsten, zu Frust führen und damit Erkrankungen eher verstärken denn vorbeugen und heilen würde. Bekannt ist in diesem Zusammenhang die „athletische Triade“ bei übermäßig Sport treibenden Frauen, welche beinhaltet das gleichzeitige oder auch wechselnde Auftreten von1657,1658,1659, ▪ Essstörungen in der Form, dass die Energieaufnahme deutlich unter dem Energieverbrauch liegt, ▪ Störungen der Sexualfunktionen durch Beeinträchtigung des Hypothalamus-Hypophyse-Ovar-Systems mit – deutlicher Verminderung der Oestrogensynthese und – Amenorrhoe, Oligomenorrhoe, Anovulation und Unfruchtbarkeit als Folgen; ▪ Störungen der Knochenmineralisation (Osteoporose, Osteopenie) durch das erniedrigte Oestrogen, sodass Insuffizienzfrakturen sich unter Stressbrüchen verbergen oder als Spontanfrakturen auftreten.

1655 Schnohr P, Marott JL, Jensen JS, Jensen GB. Intensity versus duration of cycling, impact on all-cause and coronary heart disease mortality: the Copenhagen City Heart Study. Eur J Prev Cardiol. 2012;19(1):73– 80. 1656 Schnohr P, Marott JL, Lange P, Jensen GB. Longevity in male and female joggers: the Copenhagen City Heart Study. Am J Epidemiol. 2013;177(7):683–9. 1657 West RV. The female athlete. The triad of disordered eating, amenorrhoea and osteoporosis. Sports Med. 1998;26(2):63–71. 1658 Matzkin E, Curry EJ, Whitlock K. Female Athlete Triad: Past, Present, and Future. J Am Acad Orthop Surg. 2015;23(7):424–32. 1659 Thein-Nissenbaum J. Long term consequences of the female athlete triad. Maturitas. 2013;75(2):107– 12.

3.7 Vom Nutzen der körperlichen Bewegung

297

Tab. 3.82: Wirkung übermäßiger, die Leistungsgrenzen überschreitender Belastungen auf Körperfunktionen1660,1661 Schwächung der Muskulatur Creatin-Phospho-Kinase/CK-MM (↑), Glutaminproduktion (↓) Glutaminblutspiegel (↓) Schädigung der Muskelfasern

akute Entzündung (↑) mit Ausschüttung von Chemokinen CXCL8, CCL3, CCL4 (↑), proinflammatorischen Zytokinen IL-1, IL-6, TNFα (↑) antiinflammatorischen Zytokinen IL-1Ra, IL-10, TNFR (↑)

Deregulierung der Hormonausschüttung Glucocorticoide (↑), β-Endorphin (↑) Wachstumshormon (↑) Ausschüttung von

Oestrogenen (↑), Testosteron (↓) bei Frauen die „athletische Triade“ mit Essstörungen/Hungersucht (↑), Vermindurng des Oestrogens (Amenorrhoe, Anovulation ↑) und Störungen der Knochenmineralisation (Isuffiziensfrakturen ↑)1662,1663,

Schwächung der Immunabwehr (u. a. durch Glucocorticoide) neutrophile Granulozyten

Umverteilung aus den peripheren Speichern in das Blut

natürliche Killerzellen

Anzahl im Blut (↓)

Monozyten/ Makrophagen

T-Lymphozyten

Phagozytose, Exozytose, antimikrobielle Aktivität (↓)

zytotoxische Funktionen (↓) Anzahl im Blut (↓) stimulierende Funktionen (↓), immunsuppressive Funktionen durch Auschüttung von IL-1Ra, IL-10, PGE2 (↑) Anzahl im Blut (↓), (Apoptose ↑) Funktion/Helferfunktionen/Zytotoxizität (↓)

B-Lymphozyten IgA im Speichel, auf Schleimhäuten (↓) Immunresistenz

Immunität gegen Infektionserreger (↓) Penetration von LPS/ gram(–) Bakterien durch die Darmschleimhaut (↑)

Aktivierung der Blutgerinnung Hämostase

Gerinnung ≥ Fibrinolyse, Thrombose-Neigung (↑)1664

Überbelastung des Herzkreislaufsystems Herz

Infarktrisiko (↑), Herz-Kreislauf-Versagen (↑)

(↑) Anstieg; (↓) Verminderung

1660 Sedlacek HH. Immunologie. Die Immunabwehr des Menschen. de Gruyter 2014;513–516. 1661 Kupchak BR, Kraemer WJ, Hoffman MD, Phinney SD, Volek JS. The impact of an ultramarathon on hormonal and biochemical parameters in men. Wilderness Environ Med. 2014;25(3):278–88. 1662 Matzkin E, Curry EJ, Whitlock K. Female Athlete Triad: Past, Present, and Future. J Am Acad Orthop Surg. 2015;23(7):424–32. 1663 Thein-Nissenbaum J. Long term consequences of the female athlete triad. Maturitas. 2013;75(2):107– 12. 1664 Kupchak BR, Volk BM, Kunces LJ, Kraemer WJ, Hoffman MD, Phinney SD, Volek JS. Alterations in coagulatory and fibrinolytic systems following an ultra-marathon. Eur J Appl Physiol. 2013;113(11):2705–12.

4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung 4.1 Die Bedeutung der evidenzbasierten Medizin und der Leitlinien Ein Arzneimittel wird nur dann für die klinische Anwendung zugelassen, wenn die erarbeiteten präklinischen und klinischen Daten darlegen, dass dieses Arzneimittel von sachkundigen Personen und gemäß gültiger Qualitätsrichtlinien hergestellt und präklinisch und klinisch auf Unbedenklichkeit und Wirksamkeit geprüft wurde. Zur Kontrolle dieses Prozesses sind national und international gültige Gesetze verabschiedet und Vereinbarungen getroffen worden, deren Umsetzung von den zugehörigen Aufsichtsbehörden kontrolliert wird.1665 Die hierdurch gegebene Rechtssicherheit stellt den Rahmen für das Vertrauen dar, welches Arzt und Patient der Beschreibung der Wirkungen und der Nebenwirkungen eines Arzneimittels für die Prophylaxe oder Therapie einer Erkrankung entgegenbringen. Die medizinisch-wissenschaftlichen Grundlagen dieses Vertrauens umfassen: ▪ Aussagen über Wirkung und Nebenwirkung eines Arzneimittels. Diese Aussagen gründen auf den Ergebnissen all derjenigen klinischen Studien, in denen die Wirksamkeit des Arzneimittels gemäß dem Stand der Technik im Vergleich zu der bestmöglichen Standardtherapie oder zu einem Scheinpräparat/Placebo an einer ausreichenden Zahl von Patienten geprüft wurde. – Durch Randomisierung und Verblindung wird dabei bestmöglich verhindert, dass unbewusste oder bewusste Einflussnahmen durch die Untersucher das Ergebnis verfälschen. – Die statistisch abgesicherten Aussagen aus klinischen Studien sind für den klinischen Alltag jedoch meist unzureichend, • weil die klinischen Studien unter z. T. künstlichen Bedingungen in selektionierten Kollektiven mit einer beschränkten Zahl von meist „harten“ Endpunkten wie z. B. Überleben durchgeführt werden, wodurch „weiche“ aber dennoch klinisch bedeutsame Parameter wie z. B. Lebensqualität oder Krankenhausaufenthaltsdauer seltener Berücksichtigung finden,1666 • weil die Ergebnisse randomisiert kontrollierter Studien nicht alle Bereiche des ärztlichen Handelns abdecken,1667 • da die Anzahl der randomisierten klinischen Studien durch Probleme bei der Patientenrekrutierung beschränkt ist, denn die beteiligten Ärzte und die Patienten müssen für Studien motiviert werden, in denen die Therapieentscheidung dem Zufall überlassen bleibt,

1665 Sedlacek HH. Arzneimittelforschung. de Gruyter 2015;253–272. 1666 Stang A. Randomisierte kontrollierte Studien – unverzichtbar in der klinischen Forschung. Deutsches Ärzteblatt 2011;108(39):661–662. 1667 Schmiegel W. Evidenzbasierte Medizin – ohne Basis? Forum 2016;31:7.

300

4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung

da ältere und/oder multimorbide Patienten aus vielen Studienplanungen ausgeschlossen werden, • weil industrieunabhängige klinische Studien unzureichend finanziell unterstützt werden; dieses betrifft besonders auch industrieunabhängige, nicht durch die Bestrebungen der Arzneimittelvermarktung beeinflusste und damit eher verwertbare Postzulassungsstudien; die Leitlinien zur ärztlichen Behandlung einer definierten Erkrankung, ausgearbeitet von den jeweiligen medizinischen Fachgesellschaften.1668 Diese Leitlinien bieten die bestmöglichen Therapieempfehlungen, da sie – im Konsens (siehe Kap. 2.1) der beteiligten, teils auch unterschiedlicher FacharztDisziplinen erstellt werden auf der Grundlage einer umfassenden Suche nach Ergebnissen der weltweiten wissenschaftlichen präklinischen und klinischen Forschung, der eigenen Erfahrung und deren rein sachbezogenen, wissenschaftlichen, möglichst interessenskonfliktfreien Bewertung, – wissenschaftsbasiert sind, d. h., die in ihnen enthaltenen Empfehlungen für die Behandlung einer Erkrankung z. B. mit Hilfe eines Arzneimittels gründen auf der Analyse und Bewertung der Ergebnisse von aussagefähigen, d. h. im Regelfall randomisierten und kontrollierten klinischen Studien. Liegen mehrere klinische Studien dieser Art vor, wird eine Metaanalyse zur Hilfe genommen, um das Gemeinsame und die Unterschiede in diesen Studien für die Leitlinien herauszuarbeiten, – fortlaufend gemäß dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis weiterentwickelt werden und – die Gefahr einer mangelhaften oder fehlerhaften Therapieentscheidung auf Grund des fachspezifischen „Tunnelblicks“ eines einzelnen Arztes vermeiden helfen. •



Durch die Leitlinien wird dem praktizierenden Arzt das fachliche „Handwerkzeug“ in Form der „evidenzbasierten Medizin“ für die Diagnose und Therapie seines Patienten zur Verfügung gestellt. ▪ Die Kompetenz zur Benutzung dieses „Handwerkszeugs“, das heißt, die hierfür notwendige medizinisch-wissenschaftliche Schulung und Denkweise sollte sich jeder Arzt durch sein Medizinstudium erworben und durch seine Fortbildung aufrechterhalten haben. ▪ Seine ärztliche Erfahrung und Kritikfähigkeit ermöglicht es ihm, die Empfehlungen der Leitlinie auf den Einzelfall der Diagnose und bestmöglichen Therapie eines erkrankten Patienten zu übertragen. Die Verwendung diese Leitlinien als medizinisch-wissenschaftlichen Maßstab für das individuell auf den Patienten ausgerichtete ärztliche Handeln darf als ein wesentlicher Parameter gelten für die Bewertung der Fachkompetenz und ethischen Kompetenz eines Arztes und damit für dessen Vertrauenswürdigkeit.

1668 http://www.awmf.org/leitlinien/aktuelle-leitlinien.html.

4.2 Die Placebo- und Noceboeffekte

301

4.2 Die Placebo- und Noceboeffekte Trotz der Erfolge in der Diagnose und Therapie zahlreicher Erkrankungen fühlen sich die Menschen in den Industrieländern zunehmend krank.1669 Dieses verstärkte subjektive Krankheitsgefühl ist möglicherweise das Ergebnis einer negativen Erwartungshaltung zur eigenen Gesundheit, ausgelöst durch die Werbung für die kaum noch überschaubaren Angebote des wachsenden Gesundheitssystems, durch die zunehmende medizinische Spezialisierung und durch die Marktbeeinflussung einer expandierenden Pharmaindustrie.1670 Gegen dieses subjektive Krankheitsgefühl kann helfen: der entschiedene Wille, sich gesund zu fühlen, gesund zu bleiben oder gesund zu werden, d. h. die bewusste Stärkung der positiven Erwartungshaltung in die eigenen Selbstheilungskräfte wie auch in die ärztliche Behandlung. Aus dieser positiven Erwartungshaltung ergibt sich auch der Placeboeffekt. Unter einem Placeboeffekt wird eine positive Reaktion auf eine Behandlung verstanden, wobei der Mechanismus dieser positiven Reaktion bislang nur in Ansätzen geklärt ist. Der Placeboeffekt wird erfasst, indem die Wirkung einer Scheinbehandlung auf die Körperfunktion geprüft wird, d. h. die Gabe einer dem Arzneimittel ähnlichen Substanz, welche keine pharmakologische Wirkung aufweist. Eine Täuschung des Empfängers ist hierfür nicht notwendig, da bei ihm der Placeboeffekt auch auszulösen ist, wenn er weiß, dass das Placebo keine pharmakologische Wirksubstanz enthält.1671 Durch den Placeboeffekt kann alleine oder in Kombination mit einer Arzneimittelgabe eine Krankheit gelindert oder sogar geheilt werden. Bekannt sind die Heilwirkungen einer Placebogabe z. B. bei chronischen Schmerzen1672 oder bei der Parkinsonerkrankung1673 oder zur Steigerung der Lebensqualität bei Tumorerkrankungen (z. B. metastasierendem Pankreaskarzinom), gemessen an Parametern wie Schmerzreduktion, Müdigkeit und Schlaflosigkeit.1674 Ausgelöst wird der Placeboeffekt über die Sinnesorgane des Patienten, indem bei ihm (in Verbindung mit der Placeboverabreichung) durch Worte, Schriften, Melodien, Farben, Düfte, Rituale oder sonstige als angenehm empfundene soziale und Umfeldbedingungen mehrer Reaktionen ausgelöst werden:1675

1669 Zheng H Why has medicine expanded? The role of consumers, Social Science Research. 2015;52:34– 46. 1670 Zengh. Siehe 1669. 1671 Esch T. Selbstheilung als Teil der Medizin. Ein medizinisch-kultureller Blick auf die Autoregulationsforschung. Deutsches Ärzteblatt 2014;111(50):1872–75. 1672 Reicherts P, Gerdes AB, Pauli P, Wieser MJ. Psychological Placebo and Nocebo Effects on Pain Rely on Expectation and Previous Experience. J Pain. 2016;17(2):203–14. 1673 Lidstone SC. Great expectations: the placebo effect in Parkinson’s disease. Handb Exp Pharmacol. 2014;225:139–47. 1674 Tröger W, Galun D, Reif M, Schumann A, Stankovic N, Milicevic M. Lebensqualität von Patienten mit fortgeschrittenem Pankreaskarzinom unter Misteltherapie. Deutsches Ärzteblatt. 2014;111(29–30):493–502. 1675 Breidert M, Hofbauer K. Placebo: Missverständnisse und Vorurteile. Deutsches Ärzteblatt 2009; 106(46):751–753.

302 ▪

▪ ▪

4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung

kognitive und affektive Mechanismen im Gehirn, – welche denen aktiviert durch Arzneimittel gleichen1676 und die im präfrontalem Cortex angesiedelt sind, da z. B. Patienten mit Alzheimerdemens auf Placebogaben nicht oder nur gering reagieren1677 und – die einen Erinnerungsprozess1678 bzw. einen Lernprozess auslösen,1679 der unterstützt wird von besonders einprägsamen Besonderheiten, z. B. einer roten oder gelben Farbe des Placebos;1680 die Konditionierung einer Arzneimittelwirkung,1681 – sodass die Gabe des Placebos die Wirkung des Arzneimittels hervorruft und/oder eine positive Erwartungshaltung,1682 – welche im zentralen Nervensystem integriert und verstetigt wird und – welche die Ausschüttung von Glückshormonen (Dopamin, Serotonin, Endorphine) Verhaltensweisen und Körperreaktionen bewirkt.

Die Erfassung eines Placeboeffekts kann wiederum beeinflusst werden durch1683 ▪ spontane Remissionen der Erkrankung oder deren Rückkehr vom Extremwert zum Mittelwert, ▪ diagnostische Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten und durch ▪ unbekannte Kofaktoren und Einflussgrößen. Eine wesentliche Voraussetzung für den Placeboeffekt ist das Vertrauen des Patienten (siehe Kap. 2.1) in die Heilwirkung einer Behandlung. Für den Aufbau eines solchen Vertrauens können jenseits jeglicher überzeugenden wissenschaftlichen Begründung und Belehrung schon maßgebend sein ▪ beim Vertrauensnehmer, sei es ein Laientherapeut oder ein Arzt – Persönlichkeit, Ausstrahlungskraft, und Autorität und – Überredungskunst und Überzeugungskraft; ▪ beim Patienten als Vertrauensgeber – sein Leidensdruck, seine Suche nach Hilfe, seine Angst, – die Hoffnung vermittelnden Zusicherungen des Behandelnden, – als angenehm oder wirksam empfundene Behandlungsrituale,

1676 Frisaldi E, Piedimonte A, Benedetti F. Placebo and nocebo effects: a complex interplay between psychological factors and neurochemical networks. Am J Clin Hypn. 2015;57(3):267–84. 1677 Benedetti F, Carlino E, Pollo A. How placebos change the patient’s brain. Neuropsychopharmacology. 2011;36(1):339–54. 1678 Reicherts P, Gerdes AB, Pauli P, Wieser MJ. Psychological Placebo and Nocebo Effects on Pain Rely on Expectation and Previous Experience. J Pain. 2016;17(2):203–14. 1679 Colloca L. Placebo, nocebo, and learning mechanisms. Handb Exp Pharmacol. 2014;225:17–35. 1680 Kuhbandner C, Spitzer B, Lichtenfeld S, Pekrun R. Differential binding of colors to objects in memory: red and yellow stick better than blue and green. Front Psychol. 2015;6:231. PMID: 25784892. 1681 Haour F Mechanisms of the placebo effect and of conditioning. Neuroimmunomodulation. 2005;12(4):195–200. 1682 Colagiuri B, Schenk LA, Kessler MD, Dorsey SG, Colloca L. The placebo effect: From concepts to genes. Neuroscience. 2015;307:171–90. 1683 Benedetti F et al. Siehe 1677.

4.2 Die Placebo- und Noceboeffekte

– –

303

eine attraktive und/oder gewohnte Farbe der von Arzt verschriebenen Pille1684,1685 und/oder gefühlte oder erkannte positiv wirkende Unterschiede in Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen des Behandelnden und dessen Umfeld, gerade auch, wenn anderweitig enttäuschende Erfahrungen gemacht wurden.

Durch den Placeboeffekt hat jede ärztliche Behandlung das Potential, im Patienten die Selbstheilungskräfte zu stärken, alleine für sich, aber auch in Ergänzung zur Wirkung eines Arzneimittels. Denn die Erfahrung hat gezeigt: „Mit dem Einsatz von Placebos lassen sich erwünschte Arzneimittelwirkungen maximieren, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten verringern und Kosten im Gesundheitswesen sparen.“ 1686 Eine durch Ängste oder Zweifel bedingte negative Erwartungshaltung des Patienten kann dagegen den Noceboeffekt als eine negative Reaktion auf eine Behandlung entstehen lassen. Es reicht hierfür ▪ ein Blick in die Packungsbeilage eines Arzneimittels, um die dort beschriebenen Nebenwirkungen und/oder auch neue angstgetriebene Krankheitssymptome bei Gabe des Arzneimittels auszulösen, ▪ eine negativ formulierte, flappsige Bemerkung aus dem alltäglichen Fachjargon des behandelnden Arztes,1687 aber auch ▪ die öffentliche Kritik an der Pharmaindustrie und an ihren Produkten vor dem Hintergrund der Werbung der Gesundheitsdienste. Zweifel an der Wirksamkeit und Sicherheit der Arzneimitteltherapie und an der eigenen Gesundheit kann die Folge sein, möglicherweise eine der Ursachen, warum sich die Menschen in den Industrieländern zunehmend krank fühlen.1688 Verstärkt werden solche Noceboeffekte bis zu einer eigenständigen Erkrankung ▪ durch Wiederholungen d. h. durch eine Konditionierung und/oder ▪ durch bewusstes Lernen.1689 Ein Noceboeffekt kann eine vom Arzt verordnete Arzneimittelwirkung hintertreiben. Noceboeffekte treten besonders häufig auf

1684 Kesselheim AS, Bykov K, Avorn J, Tong A, Doherty M, Choudhry NK. Burden of changes in pill appearance for patients receiving generic cardiovascular medications after myocardial infarction: cohort and nested case-control studies. Ann Intern Med. 2014;161(2):96–103. 1685 Kesselheim AS, Misono AS, Shrank WH, Greene JA, Doherty M, Avorn J, Choudhry NK. Variations in pill appearance of antiepileptic drugs and the risk of nonadherence. JAMA Intern Med. 2013;173(3):202–8. 1686 http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=37128. 1687 Häuser et al. Siehe 1693. 1688 Zheng H. Why has medicine expanded? The role of consumers, Social Science Research. 2015;52:34– 46. 1689 Colloca L, Sigaudo M, Benedetti F. The role of learning in nocebo and placebo effects. Pain. 2008;136(1–2):211–8.

304 ▪ ▪

4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung

bei Schmerzleiden1690,1691 durch die mental bedingte Aktivierung von Cholecystokinin und die Deaktivierung von Endorphinen und Dopamin,1692 bei allen durch Ängste auslösbaren oder beeinflussbaren Erkrankungen (siehe Kap. 3.3.2).

Aufgabe des Arztes ist es somit, die negative Erwartungshaltung des Patienten abzubauen und stattdessen in ihm eine positive Erwartungshaltung zu erzeugen. Grundsätzlich stellt dieses ein ethisches Dilemma dar1693 zwischen den Verpflichtungen des Arztes ▪ zur umfassenden Aufklärung des Patienten über alle Risiken einer Behandlung und ▪ zur bestmöglichen Behandlung des Patienten unter Nutzung seiner Selbstheilungskräfte, auch durch Nutzung des Placeboeffektes. Zu lösen ist dieses Dilemma nur durch den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen dem Patienten und dem Arzt, wobei diese auf zwei Ebenen einwirkt: ▪ auf einer medizinisch-wissenschaftlichen Ebene, auf welcher – der Arzt die Diagnose der Erkrankung des Patienten erarbeitet, den Patienten über seine Erkrankung und die Risiken und Chancen einer Behandlung aufklärt und die Begründung für die größeren Chancen im Vergleich zu den Risiken dem Patienten vermittelt, – der Patient die rationale Abwägung des Arztes nachvollziehen kann; ▪ auf einer von den beidseitig zugewandten Gefühlen getragenen Ebene, auf Grund derer – der Patient der medizinischen, wissenschaftlichen und ethischen Kompetenz des Arztes vertraut und eine positive Erwartungshaltung zu der vom Arzt vorgeschlagenen Behandlung entwickelt und – der Arzt der Ehrlichkeit und den Angaben des Patienten vertraut, sich daher in die Lage des Patienten hineinversetzen kann und so den Hintergrund seiner Erkrankung besser verstehen lernt, wie auch der Behandlungstreue des Patienten vertrauen kann. In einem Gesundheitssystem, welches eine freie Arztwahl gewährt, sind die Gefühle und das Vertrauen des Patienten von entscheidender Bedeutung (siehe Kap. 2.1). Sie beeinflussen die Arztwahl, die Dauerhaftigkeit der Arzt-Patienten-Beziehung und den Erfolg der ärztlichen Tätigkeit. Schädlich für diese Vertrauensbeziehung sind im Besonderen ▪ mangelnde Zeit für das Beratungsgespräch durch den Kosten-Nutzen-Druck, welchem die ärztliche Tätigkeit zunehmend ausgesetzt ist,

1690 Vase L, Skyt I, Hall KT. Placebo, nocebo, and neuropathic pain. Pain. 2016;157 Suppl 1:S98–S105. 1691 Papadopoulos D, Mitsikostas DD. A meta-analytic approach to estimating nocebo effects in neuropathic pain trials. J Neurol. 2012;259(3):436–47. 1692 Carlino E, Benedetti F. Different contexts, different pains, different experiences. Neuroscience. 2016.1. pii: S0306-4522(16)00081-6. PMID: 26827944. 1693 Häuser W, Hansen E, Enck P. Nocebo phenomena in medicine: their relevance in everyday clinical practice. Dtsch Arztebl Int. 2012 ;109(26):459–65.

4.3 Die Rolle „komplementär“ oder „alternativ“ wirkender Behandlungen



305

Angaben zu Arzneimitteln, denen der Arzt und Patient Vertrauen schenken, die im Zuge eines unseriösen Pharmamarketings durch Übertreibung, Verschweigen oder Falschangaben sich jedoch als unvollständig oder unwahr erweisen,1694

Enttäuschungen des Patienten sind die Folge. Eine positive Erwartungshaltung verkehrt sich zu einer negativen. Und diese negative Erwartungshaltung wird verstärkt ▪ durch mangelhafte Behandlungserfolge bei Krankheiten, deren Heilungsmöglichkeiten auch bei bester Therapie begrenzt sind, ▪ durch Nebenwirkungen, die wiederum durch Noceboeffekte ausgeweitet werden. Derartig angehäufte Enttäuschungen des Patienten bieten dem Laientherapeuten, aber auch so manchem ähnlich praktizierenden Arzt die Einstiegsmöglichkeit, eine eher gefühlsbetonte Beziehung zum Patienten aufzubauen und diese zu nutzen für das Angebot von als wirksam und nebenwirkungsfrei deklarierten ▪ komplementären Behandlungsverfahren, welche die Therapie gemäß der evidenzbasierten Medizin ergänzen sollen und/oder ▪ alternativen Behandlungsverfahren, gedacht oder erfunden, um die Therapie gemäß der Schulmedizin und gemäß den Leitlinien zu ersetzen.

4.3 Die Rolle „komplementär“ oder „alternativ“ wirkender Behandlungen Gleich welche Absicht mit einem Behandlungsverfahren verbunden ist, wichtig für den verantwortungsvoll handelnden Arzt muss sein, ggf. unter Hinzunahme der Leitlinien zu prüfen, ob das vorgesehene und/oder sogar vom Patienten gewünschte Behandlungsverfahren ▪ medizinisch wissenschaftlich begründet ist, weil es – klinisch erfolgreich gemäß dem Stand der Technik in der einzusetzenden Indikation durch randomisierte, kontrollierte Studien mit einfacher oder doppelter Verblindung geprüft wurde1695, und/oder – auf Grund aller medizinisch-wissenschaftlichen Daten im Konsens der fachärztlichen Erfahrung z. B. im Rahmen der Leitlinie empfohlen wird; ▪ aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht nicht oder mangelhaft begründet ist, vielleicht sogar scheinwissenschaftlich erklärt wird und/oder weil der klinische Beweis einer Wirkung gemäß dem Stand der Technik zweifelhaft ist oder fehlt. Letztlich entscheidet der klinische Beweis der Wirksamkeit einer Behandlungsart über deren medizinisch und ethisch gerechtfertigten klinischen Einsatz. „Wer heilt, hat Recht!“ Diese an sich richtige Feststellung, dem Gründer der Homöopathie zugeschrieben,1696 1694 http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/unserioese-pharmawerbung-selbstkontrolle-reicht-nichtaus-a-1025105.html. 1695 http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/kurzversion-leitlinien/S3-LL_ Lang_Angststörungen_2014.pdf. 1696 https://www.psiram.com/ge/index.php/Wer_heilt_hat_Recht.

306 ▪ ▪

4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung

bedarf der bestmöglichen Erfassung der therapeutischen Wirkung, der „Heilung“, wird jedoch zur zynischen Floskel, wenn sie angewandt wird für eine Behandlungsart, – welche ihren Anspruch auf klinische Wirkung begründet auf unwissenschaftliche Behauptungen und/oder unsachgemäß und/oder fehlerhaft durchgeführte klinische Studien und/oder – welche auf unseriöse Pharmawerbung des Verschweigens, Übertreibens oder der Falschangabe beruht.1697,1698

Ähnlich wie jeder Arzneimittelkandidat hat auch jede alternative oder komplementäre Behandlungsart die Chance, ihre Wirksamkeit im Vergleich oder in Kombination zur bestehenden bestmöglichen Therapie oder zu einem Scheinpräparat/Placebo zu beweisen. Sonderrollen oder Sonderwege sollte und darf es nicht geben.1699 Wird jedoch für eine alternative oder komplementäre Behandlungsart eine klinische Vergleichsprüfung gemäß dem Stande der Technik und der wissenschaftlichen Erkenntnis abgelehnt und ein Sonderweg für die Marktzulassung beansprucht, dann muss die Schlussfolgerung gezogen werden, ▪ dass die Befürworter selbst von der Wirksamkeit der zu prüfenden Behandlungsart nicht ausreichend überzeugt sind, ▪ dass finanzielle oder ideologisch-weltanschauliche Gründe die treibenden Kräfte für die klinische Anwendung der Behandlungsart sind, nicht jedoch das Bestreben, die Therapie einer definierten Erkrankung zu verbessern und diese Verbesserung bestmöglich zu beweisen, ▪ dass die klinische Prüfung der Behandlungsart nicht mit den medizinisch-ethischen Grundsätzen zur Durchführung klinischer Prüfungen vereinbar ist. Wie immer auch, letztlich ist jeder Patient gut beraten, sich vor zweifelhaften alternativen oder komplementären Behandlungsangeboten von Laientherapeuten oder in ähnlicher Weise aktiven Ärzten zu schützen, indem er grundsätzlich immer ▪ die wissenschaftlichen Grundlagen und den klinischen Wirksamkeitnachweis des Behandlungsangebotes hinterfragt, ▪ bei Zweifel am Fachwissen, an der Unabhängigkeit oder an der Uneigennützigkeit des Anbieters die Hilfe eines verantwortungsvollen und auch fachkompetenten Arztes für eine Zweitmeinung in Anspruch nimmt und/oder ▪ die öffentlich zugänglichen Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften für die Behandlung der jeweiligen Erkrankung zu Rate zieht. Fühlt sich der Patient mit dieser Vorgehensweise überfordert, so kann er zumindest mit einigen Fragen versuchen, abzuschätzen, ob der Anbieter unseriös ist (siehe Tab. 4.1).

1697 http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/unserioese-pharmawerbung-selbstkontrolle-reicht-nichtaus-a-1025105.html. 1698 Krüger-Brand H. Experten fordern „sauberes“ Wissen. Deutsches Ärzteblatt. 2015;11273:60–61. 1699 Hübner J, Prott FJ, Micke O, Mücke R, Büntzel J, Münstedt K. Komplementäres und Alternatives: Ohne Vorurteile prüfen. Deutsches Ärzteblatt. 2015;112(14):532–535.

4.3 Die Rolle „komplementär“ oder „alternativ“ wirkender Behandlungen

307

Tab. 4.1: Einfache Kriterien zur Überprüfung eines Angebotes zur alternativen oder komplementären Behandlung.1700 unredliche Anpreisungen das Angebot wird als das beste, wirksamste und verträglichste Verfahren oder Produkt bezeichnet das Angebot wird als Innovation bezeichnet, obwohl es schon seit Jahren oder Jahrzehnten „auf dem Markt“ ist Verweigerung von Informationen und von kritischen Bewertungen sachliche und wissenschaftlich überprüfbare Beschreibungen werden verweigert eigene nicht überprüfbare klinische Fallberichte werden als Wirksamkeitsbeweis dem Patienten vorgelegt die Zweitmeinung eines fachkompetenten Arztes (z. B. aus einer Universitätsklinik) wird nicht zugelassen Abwertung der Schulmedizin die Möglichkeiten der Schulmedizin werden pauschal abgelehnt mit Schlagworten wie Apparatemedizin, dominierende wirtschaftliche Interessen der Pharmaindustrie, der Krankenhäuser, der Ärzte, mangelnde Kenntnisse in der Ganzheitsmedizin, in Naturheilverfahren, in alternativer und komplementärer Medizin veröffentlichte Berichte über Therapieversagen, Fehlbehandlungen und Kunstfehler in der Schulmedizin werden als Begründung für die Attraktivität des Angebotes herangezogen eine gleichzeitige Betreuung und Behandlung durch einen Arzt der Schulmedizin wird untersagt emotionale und finanzielle Bindung des Patienten vom Patienten wird eine dauerhafte Bereitschaft zur exklusiven Behandlung mit dem Angebot gefordert eine strikte Geheimhaltung aller Informationen zum Behandlungsritual und dessen Ergebnissen wird gefordert mangelnde Wirkung oder auftretende Nebenwirkungen des Angebotes werden einzig und alleine auf fehlerhaftes Verhalten des Patienten zurückführt jegliche kritische Bemerkung des Patienten zum Angebot wird als Vertrauensbruch angesehen für das Angebot werden in Vorkasse oder mit vertraglicher Bindung hohe Preise gefordert, welche in keinem Verhältnis zum Aufwand stehen

Für solch einen eigenständigen Entscheidungsprozess bedarf der Patient eines gewissen Maßes an Lernfähigkeit, an Wissen, aber auch an Kritikkompetenz: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ 1701 Denn nur so

1700 Henß H, Ebach A, Huber R. Komplementäre Verfahren; Tumorzentrum Freiburg; https://www.uni klinikfreiburg.de/fileadmin/mediapool/09_zentren/cccf/pdf/Broschüren/Komplementär_CCCF_April_20152.pdf. 1701 Horaz Epist. I,2,40, Kant I. Aufsatz: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? 1784;481.

308 ▪ ▪ ▪ ▪



4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung

kann der Patient seriöse Angebote gleich welcher Art, von unseriösen unterscheiden, auch im Bereich der „individuellen Gesundheitsleistung/IGEL“ von Ärzten, kann ein belastbares und nutzbringendes Vertrauen zwischen Patient und Arzt aufgebaut werden, kann der Patient von der Diagnose und dem Therapievorschlag des Arztes überzeugt sein, kann die Überzeugung die eine positive Erwartungshaltung im Patienten wecken, welche seine Selbstheilungskräfte ggf. in Synergie mit der Arzneimittelwirkung mobilisiert, kann eine wissenschaftsbasierte ärztliche Kunst ihre volle Wirksamkeit entfalten.

Die Gefahr lauert jedoch in der Angst und Verzweifelung, die entsteht, wenn dem Patienten klar wird, dass er an einer unheilbaren Krankheit, wie z. B. an einer Tumorerkrankung leidet. In solch einer vermeintlich aussichtlosen Lage wird häufig genug der Verstand ausgeschaltet (siehe Kap. 3.3.2) und jedes noch so unsinnige Versprechen einer Heilung wie ein Strohhalm ergriffen, in der Hoffnung, er rette vor dem Ertrinken. Das Angebot der komplementären Behandlungsverfahren ist riesig, gerade auch für Tumorerkrankungen. Eine Auswahl wurde vom Tumorzentrum Freiburg zusammengestellt und bewertet. Diese Auswahl umfasst 1702 ▪ die Physiotherapie mit nachweisbaren Erfolgen für die Verbesserung des Allgemeinbefindens des Patienten, ▪ die Phytotherapie, deren unterschiedliche Produkte je nach Art durchaus palliativ wirken können (siehe Tab. 4.2), – von denen aber keines belegtermaßen in der Lage ist, das Tumorwachstum zu beeinflussen, – die aber auch nicht schaden, soweit substanzspezifische Nebenwirkungen ausgeschlossen werden können; ▪ die unterschiedlichen Methoden der „Entschlackung“, von denen aber, soweit sie den Patienten, gerade auch den Tumorpatienten schwächen, abgeraten wird, ▪ Diäten und Nahrungsmittelergänzungen, – deren Einfluss auf das Tumorwachstum nicht belegt oder bislang nicht ausreichend untersucht worden ist, – die nur dann sinnvoll sind, wenn sie zur ausgewogenen Ernährung des Patienten beitragen, – von denen jedoch abzuraten ist, wenn sie Mangelernährungen darstellen, welche den Patienten und sein Immunsystem schwächen, ihm die Lust am Essen nehmen und damit auch seine Selbstheilungskräfte beeinträchtigen (siehe Kap. 3.5.1); ▪ „ganzheitliche“ Behandlungsverfahren, welche auf der anthroposophischen Weltanschauung oder der traditionellen Medizin in China, Indien oder Japan beruhen (siehe Tab. 4.3),

1702 Henß H, et al. Siehe 1702.

4.3 Die Rolle „komplementär“ oder „alternativ“ wirkender Behandlungen

309

Tab. 4.2: Beispiele für komplementäre Behandlungsverfahren mit Anhaltspunkten für Wirksamkeit.1703 Behandlung

Zielvorstellungen der Behandlung

klinische Wirkung

Gefahren/ Nebenwirkungen

Physiotherapie Krankengymnastik, Massagebehandlung

Bewegungsabläufe (↑), Schmerzen (↓), Schwellungen (↓), (Lymphdrainage), bes. nach Op.

+

Atemtherapie

Angst (↓), Angststörungen (↓)

+

Phytotherapie Aleo vera (Salben, Tinkturen)

Wundheilung (↑)

(+)

Haschisch (Cannabis), Tetrahydrocannabinol

Schmerzen (↓)

+

Appetitlosigkeit (↓)

+

Johanniskrautextrakte

Depressionen (↓)

(+)

Muskelschmerzen (↓)

(+)

Wundheilung (↑)

(+)

Psychosen Fototoxizität

Johanniskrautöle Salbeitee

Wundheilung/Schleimhäute (↑) Immunmodulation (↑)

+ (+)

Mistelextrakte/Mistellektin Lebensqualität/Placeboeffekt (↑)

+

Entzündungen/Leukotriene (↓)

(+)

Unruhezustände (↓)

(+)

Weihrauch (Boswellia-Harz) Ringelblumensalbe

Wundheilung (↑)

+

Pfefferminzöl

Kopfschmerzen (↓)

(+)

Lavendelöl

Schlafstörungen (↓)

(+)

+ oder (+): wirksam oder möglicherweise wirksam





welche das kognitiv gesteuerte Verhalten, Selbstkontrolle und Konzentrationsfähigkeit verbessern können und hierdurch zur Bewältigung von Stress, Angst und Schmerzen beitragen, – die in Form der Akupunktur und deren methodischen Spielarten breiten Eingang in die medizinische Schmerztherapie gefunden haben; und nicht zuletzt die Homöopathie.

Für einige der komplementären Behandlungsverfahren wird ein Wirkmechanismus postuliert, welcher nicht grundsätzlich unserem medizinisch-naturwissenschaftlichen Denken widerspricht, gleich ob es zumindest Anstalten gab, diesen Wirkmechanismus mit wissen-

1703 Henß H, et al. Siehe 1702.

310

4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung

Tab. 4.3: Beispiele für „ganzheitliche“ Behandlungsverfahren mit Anhaltspunkten für Wirksamkeit.1704 Behandlungsverfahren

Zielvorstellung der Behandlung

klinische Wirkung

Gefahren/ Nebenwirkungen

anthroposophisch begründete Behandlungsverfahren Heileurhythmie (akustisch gesteuerte Bewegungstherapie) künstlerisch/handwerkliche Tätigkeiten (Malen, Zeichnen, Bildhauern, Musizieren etc.)

Selbstregulation (↑), Selbstfindung (↑), Entspannung (↑), Schlaflosigkeit (↓)

+

Behandlungsverfahren der traditionellen chinesischen Medizin/TCM Kräutermischungen (patienten- und krankheitsspezifisch ausgewählt aus ~ 7000 Heilkräutern)

Allgemeinbefinden (↑)

Qui Gong (Bewegungs- und Haltungsübungen + Atemübungen + Vorstellungskraft)

Selbstregulation (↑), Entspannung (↑)

+

Tai Chi (Bewegung/Schattenboxen + Meditation + Konzentration)

Selbstregulation (↑), Ermüdung (↓), Konzentration (↑)

+

Akupunktur (~ 400 Akupunkturpunkte, Gold-, Silber-, oder Stahlnadeln)

chronische Schmerzen, Rücken, Kniegelenk (↓)

+

(+)

Giftpflanzen?, Verunreinigungen?, CortisonBeimengungen (?)

zu tief gestochene Nadeln

Behandlungsverfahren, welche auf der traditionellen indischen bzw. japanischen Medizin fußen Kabat Zinn (USA) (medidatives Abtasten des eigenen Körpers, Atemübungen + Bewegung/Yoga)

Stressbelastungen (↓), Ängste (↓), Schmerzbelastungen (↓)

+

+ oder (+): wirksam oder möglicherweise wirksam

schaftlichen Methoden nachzuweisen und/oder durch eine sachgemäß durchgeführte klinische Prüfung zu belegen. Für einige andere komplementäre Behandlungsverfahren gibt es dagegen keine wissenschaftlichen Grundlagen. Hierzu gehören im Besonderen ▪ die Irisdiagnostik, welche behauptet, durch Analyse der Struktur und der Reflexe des Auges, im Besonderen der Iris und der Bindehaut, auf systemische Erkrankungen des Menschen rückschließen zu können, ▪ die Reinkarnationstherapie, in welcher psychische Verletzungen aus einem geglaubten früheren Leben geistig wiedererlebt werden sollen, um deren vermeintlichen Einfluss auf die Psyche im jetzigen Leben zu beenden und den Patienten hierdurch zu heilen,

1704 Henß H et al. Siehe 1702.

4.3 Die Rolle „komplementär“ oder „alternativ“ wirkender Behandlungen

▪ ▪ ▪

311

die astrologische Gesundheitsberatung, bei welcher Sternzeichen für die Neigung zu bestimmten Krankheiten gedeutet werden, die Akupunktur mit ihren „Leitbahnen“ und „Hautpunkten“ und die Homöopathie.

Dennoch werden diese Behandlungsverfahren teilweise sogar weltweit angewandt, im Besonderen die Akupunktur und die Homöopathie. Die Akupunktur und ihre Spielformen haben ihren Ursprung in der traditionellen chinesischen Medizin/TCM.1705 Zu unterscheiden sind ▪ Akupunktur, d. h., durch das Einstechen von Nadeln aus Gold, Silber oder Stahl, ▪ Akupressur, d. h., durch Fingerdruck (Akupressur) oder ▪ Moxibustion, d. h. durch Hitze, indem kleine Mengen von fein zerriebenen Beifußblättern (Artemisia princeps) auf den Hautpunkten verbrannt werden. Im Jahre 1822 wurde die Akupunktur an der kaiserliche Medizinakademie Chinas verboten. Ihr Wiederaufleben ist dem medizinischen Laien George Soulie (alias George Soulie de Morants, 1878–1955) zu verdanken, der mit seinen Fantasievorstellungen und durch seine Irrtümer bei seinem Verständnis der traditionellen chinesischen Medizin die heute noch in Europa und von dort weltweit geltenden Regeln der Akupunktur aufgestellt hat.1706 In ihr sind auf Leitbahnen (sogenannte „Meridiane“) der Körperoberfläche, in denen „Energie und Blut“ fließen, ca. 400 „Hautpunkte“ festgelegt, unterteilt in „Tonisierungs- und Sedierungspunkte, Kardinal-, Yuan-, Luo-, Alarm-, Meister-, Spalt- oder antike Punkte“, deren Stimulation den behaupteten Fluss an „Energie“ fördern oder hemmen soll. Bislang gibt es weder für die behaupteten Meridiane noch für die definierten sensiblen Hautpunkte noch für den Energiefluss einen Zusammenhang zur Anatomie oder zur Physiologie des menschlichen Körpers.1707 Trotz dieser fehlenden wissenschaftlichen Grundlage wurden zahlreiche klinischen Studien zur Wirksamkeit durchgeführt. Zu einem großen Teil erbrachten diese widersprüchliche Ergebnisse und/oder waren wegen Mängel in der Studienplanung nicht ausreichend aussagefähig. Bei chronischen Schmerzen liegen jedoch Anhaltspunkte für eine therapeutische Wirksamkeit der Akupunktur vor. Diese betrifft chronische Kopfschmerzen, Migräne, Schmerzen bei Osteoarthritis, Lendenwirbelsäulenschmerzen und Schmerzen im Nackenund Schulterbereich. ▪ In einer prospektiven, randomisiert kontrollierten Studie (313.534 Patienten, 10.000 Ärzte, Zeitraum 12.2000 bis 3.2005; 10 ± 3 Akupunkturbehandlungen/Patient innerhalb von drei Monaten) ergaben sich1708 1705 Leung L. Neurophysiological basis of acupuncture-induced analgesia – an updated review. J Acupunct Meridian Stud. 2012;5(6):261–70. 1706 Lehmann H. Akupunktur im Westen: Am Anfang war ein Scharlatan. Dtsch Arztebl. 2010;107(30):A 1454–7, http://www.aerzteblatt.de/archiv/77695. 1707 http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/51612/Chronische-Schmerzen-Akupunktur-etwas-besser-alsPlacebo. 1708 Witt C M, Brinkhaus B, Jena S, Selim D, Straub C, Willich S N. Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Akupunktur − Ein Modellvorhaben mit der Techniker Krankenkasse. Efficacy, effectiveness, safety and costs of acupuncture. Dtsch Arztebl. 2006;103(4):A 196–202.

312

4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung





signifikante Unterschiede zwischen der Akupunktur-Gruppe und einer unbehandelten Wartelistenkontrolle (p < 0,001), – jedoch keine Unterschiede zwischen der klassischen Akupunktur (tiefe Stichtechnik an den vorschriftsmäßigen Akupunkturpunkten) und der minimalen Akupunktur (oberflächliche Stichtechnik an Nichtakupunkturpunkten). In einer Metaanalyse von 20 Studien kontrolliert mit Scheinbehandlungen (n = 5230) und 18 Studien ohne Scheinbehandlungen (n = 14597), erwies sich die klassische Akupunktur stärker wirksam als alle geprüften Kontrollbehandlungen.1709

Die Ergebnisse der großen, repräsentativen Vergleichsuntersuchung mit der minimalen Akupunkturtechnik lassen vermuten, dass die mechanische Reizung in der Hautregion an der Schmerzquelle von entscheidende Bedeutung ist und nicht der formale Akupunkturpunkt. Der Wirkmechanismus dieser Schmerzlinderung ist unklar. Anhaltspunkte, dass durch punktuelle Reizung Endorphine1710 oder neurotrophe Faktoren wie BDNF1711 ausgeschüttet werden, wurden gefolgt von Befunden, ▪ dass durch eine lokale Reizung (verstärkt durch Drehen der Nadel am Akupunkturpunkt 1712) in den vor Ort befindlichen Mastzellen die intrazellulären Ca-Ionenkonzentration ansteigt und hierdurch Adenosintriphosphat/ATP freigesetzt wird,1713,1714 welches durch Ectonukleotidasen zu Adenosin dephosphoryliert wird,1715,1716 ▪ dass das freigesetzte ATP/Adenosin die A1-Rezeptoren an den Endigungen schmerzleitender Spinalnerven stimuliert mit der Folge, dass der Schmerzreiz reduziert wird.1717 Die Homöopathie wurde von Christian Friedrich Samuel Hahnemann (1755–1843) entwickelt als Alternative zu den damaligen recht „blutigen“ und „groben“ medizinischen Behandlungsmethoden. Grundlage sind die Vorstellungen über die „Ähnlichkeitsregel“, das

1709 MacPherson H, Vertosick E, Lewith G, Linde K, Sherman KJ, Witt CM, Vickers AJ. Acupuncture Trialists’ Collaboration. Collaborators (32) Influence of control group on effect size in trials of acupuncture for chronic pain: a secondary analysis of an individual patient data meta-analysis. PLoS One. 2014;9(4):e93739. PMID: 24705624. 1710 Clement-Jones V, Tomlin S, Rees LH, Mcloughlin L, Besser GM, Wen HL. Increased β-endorphin levels in human cerebrospinal fluid after acupuncture for recurrent pain, Lancet 1980;316(8201):946–949. 1711 Lin D, De La Pena I, Lin L, Zhou SF, Borlongan CV, Cao C. The neuroprotective role of acupuncture and activation of the BDNF signaling pathway. Int J Mol Sci. 2014;15(2):3234–52. 1712 Takano T, Chen X, Luo F, Fujita T, Ren Z, Goldman N, Zhao Y, Markman JD, Nedergaard M. Traditional acupuncture triggers a local increase in adenosine in human subjects. J Pain. 2012;13(12):1215–23. 1713 Napadow V, Ahn A, Longhurst J, Lao L, Stener-Victorin E, Harris R, Langevin HM. The status and future of acupuncture mechanism research. J Altern Complement Med. 2008;14(7):861–9. 1714 Goldman N, Chen M, Fujita T, Xu Q, Peng W, Liu W, Jensen TK, Pei Y, Wang F, Han X, Chen JF, Schnermann J, Takano T, Bekar L, Tieu K, Nedergaard M. Adenosine A1 receptors mediate local anti-nociceptive effects of acupuncture. Nat Neurosci. 2010;13(7):883–8. 1715 Zylka MJ. Pain-relieving prospects for adenosine receptors and ectonucleotidases. Trends Mol Med. 2011;17(4):188–96. 1716 Yao W, Yang H, Yin N, Ding G. Mast cell-nerve cell interaction at acupoint: modeling mechanotransduction pathway induced by acupuncture. Int J Biol Sci. 2014;10(5):511–9. 1717 Sawynok J. Adenosine receptor targets for pain. Neuroscience. 2015. pii: S0306-4522(15)00950-1. PMID: 26500181.

4.3 Die Rolle „komplementär“ oder „alternativ“ wirkender Behandlungen

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„Arzneimittelbild“ und „die Potenzierung durch Verdünnen“. Bis heute gibt es für alle diese Regeln keinen wissenschaftlichen Beleg. Bereits im Jahr 1835 wurde an freiwilligen, gesunden Personen versucht, die Wirkung eines homöopathischen Arzneimittels durch Verblindung und Zufallsverteilung (Randomisierung) in eine Prüfgruppe (Behandlung mit potenzierter Kochsalzlösung) und eine Kontrollgruppe (Behandlung mit reinem Wasser) nachzuweisen. Da 42 Probanden (19 × potenziertes Kochsalz, 23 × Wasser) „gar nichts Ungewöhnliches“ bemerkt und nur 9 Probanden (6 × potenziertes Kochsalz, 3 × Wasser) „etwas Ungewöhnliches“ bemerkt hatten, wurde gefolgert, dass die Potenzierung keine Wirkung habe.1718 Zahlreiche klinische Studien schlossen sich an. Dennoch entwickelten sich Bestrebungen, Homöopathie zum Ausbildungsfach im Medizinstudium zu machen. Diesen setzte im Jahre 1992 der Fachbereich Humanmedizin an der Universität Marburg die „Marburger Erklärung“ entgegen: „… Wir betrachten die Homöopathie nicht etwa als eine unkonventionelle Methode, die weiterer wissenschaftlicher Prüfung bedarf. Wir haben sie geprüft. Homöopathie hat nichts mit Naturheilkunde zu tun. Oft wird behauptet, der Homöopathie liege ein ‚anderes Denken‘ zugrunde. Dies mag so sein. Das geistige Fundament der Homöopathie besteht jedoch aus Irrtümern (‚Ähnlichkeitsregel‘; ‚Arzneimittelbild‘; ‚Potenzieren durch Verdünnen‘). Ihr Konzept ist es, diese Irrtümer als Wahrheit auszugeben. Ihr Wirkprinzip ist Täuschung des Patienten, verstärkt durch Selbsttäuschung des Behandlers. Wir leugnen nicht, dass sich mit „Homöopathie“ mitunter therapeutische Wirkungen erzielen lassen, wobei es sich um so genannte Placebo-Effekte handelt …“.1719 Dieser Beurteilung entspricht, ▪ dass bei der Bewertung der bis zum Jahre 2005 vorliegenden randomisierten, placebokontrollierten Studien kein Unterschied zwischen der homöopathischen Behandlung und der Gabe von Placebos gefunden wurde,1720 ▪ dass der Ausschuss für Wissenschaft und Technik des britischen Unterhauses in seiner Beurteilung der bis zum Jahre 2009/2010 vorliegenden klinischen Studien zur Wirksamkeit der Homöopathie die Schlussfolgerung zog, dass eine homöopathische Behandlung einer Placebobehandlung gleichkommt,1721 ▪ dass im Jahr 2015 die australische Gesundheitsbehörde (National Health and Medical Research Council/NHMRC) die Ergebnisse der seit dem Jahr 2013 durchgeführten, placebokontrollierten klinischen Studien zur Wirksamkeit von Homöopathie (57 systema-

1718 Löhner G. Die homöopathischen Kochsalzversuche zu Nürnberg. Von der Gesellschaft wahrheitsliebender Männer, Nürnberg 1835;1–32; https://books.google.de/books?id=Fds8AAAAcAAJ&printsec=front cover&dq=inauthor:%22George+L%C3 %B6hner%22&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjS6Oa09OLJAhWEGw8 KHdRQAjwQuwUIITAA#v=onepage&q&f=false. 1719 Marburger Erklärung zur Homöopathie, Teil I (Beschluss des Fachbereichsrates vom 2. 12. 1992), http://www.hno-vahle.de/wp-content/uploads/Marburger-Erklärung-zur-Homöopathie.pdf. 1720 Shang A, Huwiler-Müntener K, Nartey L, Jüni P, Dörig S, Sterne JA, Pewsner D, Egger M. Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet. 2005;366(9487):726–32. 1721 http://www.publications.parliament.uk/pa/cm200910/cmselect/cmsctech/45/45.pdf.

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4 Die Bedeutung des Vertrauens in die Arzneimittelwirkung

tische Übersichtsarbeiten mit 176 Einzelstudien) mit der Schlussfolgerung bewertet,1722 – dass es keine wissenschaftlich haltbaren Hinweise dafür gibt, dass Homöopathie über das Maß des sogenannten Placeboeffekts hinaus wirken würde oder irgendeiner anderen Therapie überlegen sei, – dass diejenigen wenigen Untersuchungen, welche auf einen Effekt hindeuten, der über der Schwelle des Placeboeffekts liegt, derartig gravierende methodologische Mängel aufweisen, dass sie nicht für eine Bewertung herangezogen werden können und – dass die Homöopathie nicht angewandt werden sollte bei chronischen oder ernsthaften Erkrankungen oder solchen Störungen der Gesundheit, welche sich zu einer ernsthaften Erkrankung entwickeln könnten. Die Verordnung eines homöopathischen Mittels dürfte demnach derjenigen eines Placebos gleichzusetzen sein, mit dem bekannten Wirkungsspektrum, vermittelt durch die Vorstellung des Patienten, das Mittel sei hilfreich (siehe Kap. 4.2). Die Placebowirkung über eine derartige Autosuggestion ist jedoch zu trennen von einer biochemisch bzw. experimentell fassbaren pharmakologischen Wirkung (siehe Kap. 4.1). Nachgewiesenermaßen fehlt dem homöopathischen Mittel eine pharmakologisch nachweisbare Wirkung. Wird solch eine definierte pharmakologische Wirkung zur Therapie einer Erkrankung benötigt, muss daher das für diese Krankheit wirksame Arzneimittel und darf nicht oder darf nicht alleine das homöopathische Mittel verabreicht werden. Bei der Homöopathie ist auch zu berücksichtigen, dass einige „Urtinkturen“ zur Herstellung eines homöopathischen Mittels starke Gifte darstellen, wie z. B. Quecksilber, Arsen oder Tollkirsche. Wird eine zu geringe Verdünnung solcher Gifte als homöopathisches Mittel verabreicht, können schwere Vergiftungen die Folge sein. Bei der Empfehlung und Verwendung von homöopathischen Mitteln besteht somit durchaus die Gefahr der Schädigung des Patienten, ▪ wenn die Behandlung mit einem für die jeweilige Erkrankung nachweisbar wirksamen Arzneimittel unterlassen wird zugunsten der Behandlung mit einem homöopathischen Mittel, ▪ wenn eine noch giftige Verdünnung eines Giftes verabreicht wird und das Risiko eines Schadens nicht durch die Chance einer Heilwirkung über einen Placeboeffekt hinaus aufgewogen werden kann. Es bestehen große Zweifel, dass wissenschaftliche Fakten und Argumente in der Lage sind, Menschen, die von der Homöopathie überzeugt sind, eines Besseren zu belehren, gleich ob diese „Überzeugungstäter“ Laientherapeuten oder in gleicher Art tätige Ärzte darstellen. Entsprechend wurde bereits im Jahre 1835 das negative Ergebnis des klinischen

1722 Australian government: National Health and Medical Research Council; NHMRC information paper: Evidence of the effectiveness of homeopathy for treating health conditions, March 2015; https://www. nhmrc.gov.au/_files_nhmrc/publications/attachments/cam02a_information_paper.pdf.

4.3 Die Rolle „komplementär“ oder „alternativ“ wirkender Behandlungen

315

Versuches, einer potenzierten Kochsalzlösung eine Wirksamkeit besser als reinem Wasser nachzuweisen, mit den Worten kommentiert: „Es würde leicht seyn, noch mehr solcher Fälle aufzuführen; allein für das denkende und unbefangene Publikum ist dieser einzige genug; für das nichtdenkende und befangene Publikum würden tausende zu seiner Belehrung nicht ausreichen.“ 1723 Diese Einschätzung dürfte auch heute noch gültig sein. Erstaunlich bleibt dennoch, wenn Ärzte trotz ihrer medizinisch-wissenschaftlichen Ausbildung komplementäre und/oder alternative Behandlungsverfahren nicht nur wie ein Placebo, sondern mit der Behauptung einer pharmakologischen Wirkung wie ein Arzneimittel auch dann verabreichen, wenn dieses der wissenschaftlichen Erkenntnis widerspricht und die klinischen Wirksamkeitsbelege fehlen oder zweifelhaft sind. Eine Erklärung hierfür wäre, dass es für manchen „Therapeuten“ attraktiver sein mag, auf der Ebene der Täuschung leichtgläubiger Patienten sein Geld zu verdienen, als sich fortlaufend durch eine zeitfordernde, mühsame Weiterbildung die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Medizin anzueignen und diese bei der ärztlichen Tätigkeit bestmöglich zu berücksichtigen.

1723 Löhner G. Die homöopathischen Kochsalzversuche zu Nürnberg. Von der Gesellschaft wahrheitsliebender Männer, Nürnberg 1835;32; https://books.google.de/books?id=Fds8AAAAcAAJ&printsec=front cover&dq=inauthor:%22George+L%C3 %B6hner%22&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjS6Oa09OLJAhWEGw8 KHdRQAjwQuwUIITAA#v=onepage&q&f=false.

5 Zusammenfassung Selbstheilungskräfte fördern die Heilung, gerade auch in Synergie mit Arzneimitteln. Denn der Wille zur Gesundung und die Einsicht und das Wissen um die eigenen Heilkräfte und um den bestmöglichen Weg ihrer Stärkung sind wesentlicher Teil eines jeden Heilprozesses. Dieser wird gestützt durch das Vertrauen in die Fachkompetenz des Arztes und in die Wirkung der verordneten Arzneimittelbehandlung. Die Mechanismen des eigenen Willens zur Gesundung und der Selbstheilung sind erst teilweise verstanden. Über unsere Sinnesorgane, über kognitive und emotionale, bewusste und unbewusste Prozesse werden Hormone, Peptide und Mediatoren ausgeschüttet, welche auf unterschiedlichen Wegen alle Körpersysteme und Organe in unterschiedlicher Weise beeinflussen. Durch unseren Willen zur Selbstfürsorge, durch unser bewusstes, informiertes Verhalten können wir unsere Wohl- und Glücksgefühle steigern, das autonome Nervensystem beeinflussen, Stress, Ängste und Schmerzen bewältigen und unsere Immunabwehr stärken. Derartig ausgerichtet beeinflussen unsere Selbstheilungskräfte praktisch alle Organsysteme und wirken vorbeugend wie auch heilend bei den unterschiedlichsten Erkrankungen. Unterstützung erfahren sie durch unsere Entscheidung für eine bestmögliche Ernährung, für einen ausreichenden Schlaf und für regelmäßige, belastende, d. h. schweißtreibende Körperbewegungen. Doch auch hier sind die Mechanismen und das Ausmaß nicht vollkommen verstanden, sind in manchen Bereichen die Annahmen und Lehrmeinungen widersprüchlich. Selbstheilungskräfte können eine Arzneimittelbehandlung unterstützen. Denn deren Wirkung wird verstärkt durch die positive Erwartungshaltung, durch das Vertrauen in den Heilerfolg, nachweisbar durch den Placeboeffekt, fassbar in placebokontrollierten klinischen Studien der wissenschaftlich orientierten, evidenzbasierten Medizin. Andererseits kann eine negative Erwartungshaltung, können Ängste vor Nebenwirkungen einer Arzneimittelbehandlung allein schon Nebenwirkungen verursachen oder verstärken (der Noceboeffekt) und hierdurch deren therapeutische Wirkung beeinträchtigen. Daher wird ohne Vertrauen in die Fachkompetenz des Arztes ein von ihm verordnetes Arzneimittel wohl kaum sein volles Wirksamkeitspotential entfalten können. Dieses Vertrauen in den Arzt hat zur Grundlage, dass dessen Diagnose und Therapieentscheidungen auf dem bestmöglichen medizinischen Wissen beruhen. Dieses ergibt sich aus den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen, den Ergebnissen adequat durchgeführter klinischer Studien und den Empfehlungen und Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften. Parallel und meist im Widerspruch zu dieser evidenzbasierten Medizin sind zahlreiche komplementäre und alternative Behandlungsverfahren entstanden, welche sich häufig beziehen auf persönliche, individuelle Erfahrungen oder „Entdeckungen“ ihrer Begründer. Sie erheben den Anspruch auf eine individualspezifische Wirkung, wollen lindern und heilen alternativ oder komplementär zur wissenschaftlichen evidenzbasierten Medizin und trotzen deren Kritik. Auch mit diesen komplementären und alternativen Behandlungsverfahren kann bei Patienten ein Placeboeffekt erzielt werden. Doch Behauptungen über Heilwirkungen über diesen Placeboeffekt hinaus sind in klinischen Studien wissenschaftlich zu beweisen, ge-

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5 Zusammenfassung

rade auch, um den Gefahren der Täuschung des Patienten und der Selbsttäuschung des Behandlers, sei es ein Laientherapeut oder Arzt, zu entgehen und um das Vertrauen des Patienten nicht zu missbrauchen.

Sachregister Abhängigkeit 270, 278 Abmagerungskur 239 Abrufsignale 3 Acetaldehyd 274 Acetylcholin 29 Acetylcholinrezeptor 276 Acetylradikale 275 ACTH 119, 151 Adenohypophyse 35 Adenosin 42 Adenosintriphosphat siehe ATP ADHS 281 Adipokine 250 Adipositas 243, 250, 285 Adipositasparadoxon 254 Adjuvantien 143, 168 Adrenalin 119, 276 affektive Mechanismen 298 aggressive Personen 55 Agouti-related Peptid 42 Ähnlichkeitsregel 308 Akarizide 53 aktive Sauerstoffmoleküle 275 Aktivierungspotentiale 16 Aktivismus 114 Aktualbewusstsein 26 Akupressur 307 Akupunktur 305, 307–308 akzessorisches olfaktorisches System 54 Alarmphase 107 Aldehyde 278 Aldosteron 264 Alkohol 33, 270 Alkoholabhängigkeit 270 Alkoholabstinenz 276 Alkoholdehydrogenase 274 Alkoholgenuss 50, 275 Alkoholkonsum 272 Alkoholmissbrauch 174 Allergen 142, 183, 199 Allergien 122, 150, 173 allergische Reaktion 143, 151, 182–183 allergische Rhinitis 151 Allesesser 219 Alter 26, 97, 221, 281 ältere Menschen 106 Altgedächtnis 2 Amenorrhoe 292 γ-Aminobuttersäure siehe GABA α-MSH 42

Amygdala 29 Anamnese 67, 96, 123 Androgene 45, 207 Anergie 205 Angiogenese 139 Angriff 107, 119 Angst 105, 203, 298, 300, 304–305 Angstgefühle 83, 119 Angststörungen 119, 128, 130, 174, 277, 285 Angstzustände 270 Anhedonie 106 Anovulation 292 Anpassungsfähigkeit 114 anthroposophische Weltanschauung 304 Antibiotikatherapie 209 antientzündlich 262 Antigene 136, 139, 168 antigenpräsentierende Zellen 139 Antikörper 139–140 Antioxydantien 238 antioxydative Enzyme 238 antioxydative Wirkung 262 Antrieb 29 Anxiolytika 123 Apoptoseprozess 154 Appetit 83 ARAS 25 Arbeitsbedingungen 98 Arbeitshaltung 67 Arbeitslosigkeit 98, 100 Arbeitsstress 101 Arbeitsunfähigkeit 133 Arbeitswut 105 Armut 221 Aromatase 46 aromatische Amine 278 Arrhythmien 256 Arsen 310 arterielle Verschlusserkrankungen 272 Artheriosklerose 277 Arthritiden 125 Arthritis 254 Arzneimittel 194, 295 Arzneimittelabhängigkeit 283 Arzneimitteltherapie VII, 67, 119, 199 Arzneimittelwirkung 298 Arzt-Patienten-Beziehung 1, 300 Asparaginsäure 264 Aspartam 263 Assoziationskomplex – polymodaler 14, 23

320

Sachregister

Asthma 125, 254, 285 Asthma bronchiale 199 astrologische Gesundheitsberatung 307 Atemluft 264 Atemnot 284 athletische Triade 292 atopische Dermatitis siehe Neurodermitis ATP 308 Aufklärung 300 Aufmerksamkeitsdefizit 281 Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätssyndrom siehe ADHS Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome 277 Aufsichtsbehörden 295 Ausbeutung 83 Ausbildungsgrad 97 Ausführungsorgan 35 ausgewogene Ernährung 281 Auslösereize 128 Ausstrahlungskraft 298 Austrocknung 158 Autismus 170, 285 autogenes Training 61, 66, 133 Autoimmunerkrankungen 150, 173, 178 autokrin 19 Autoregulation 61 Autorität 298 Autosuggestion 310

Berührungssensoren 9 Beschäftigungsverhältnisse 99 Betäubungszustände 271 Bewältigungsmechanismen 114 Bewegungsschmerzen 284 Bewegungstherapie 285, 292 Bewusste 31 Bewusstsein 23, 26, 65, 128 Bezahlung – leistungsgerechte 99 Beziehungen – harmonische 55 bildgebende Methoden 21 Bildungsgrad 98 Bindungsperson 63 Biofeedback 66 Bisphenol A 53 Blutdruck 25, 42, 239, 254, 264 Blutgerinnsel 154 Bluthirnschranke 42, 144, 266 Bluthochdruck 281, 285 Blutkreislauf 83 Blutnervenschranke 144 B-Lymphozyten 140, 165, 194 Body-Mass-Index 243 Boosterreaktion 142 braunes Fett 250 Buttersäure 166

bakterielle Besiedlung 199 Bakterien 265 Bariatric surgery siehe Magen-Bypass Barrieredefekt 199 Barrierefunktion 199 Basalganglien 25, 69 BCR 139 BDNF 3, 285, 308 Bedeutungslosigkeit 105 Behandlungsrituale 298 Behandlungsverfahren – alternative 301 – ganzheitliche 304 – komplementäre 301, 304 Beikost 224 Belastungsgrenze 284 Belohnung 29, 84 Belohnungsempfänglichkeit 91, 96 Belohnungserwartung 91, 96 Belohnungssystem 73 Belohnungszentrum 242 Benzole 278 Beruhigung 114 Beruhigungs- und Erholungsphase 107

Caffein 261 Catechine 261 CD1 139 cerebrale arterielle Unterversorgung 285 CGRP 17 Chancen 118 Chemokine 146 chemosensorische Kommunikation 55 Chemosignale 55 China-Restaurant Phänomen 265 Cholecystokinin 300 Cholesterol 254 chronisch obstruktive Lungenerkrankungen 125 chronische Entzündung 188 chronische Hungersucht 243 chronische obstruktive Lungenerkrankungen 277, 285 chronische Schmerzen 297 circadianer Schrittmacher 15 CNTF 42 Colitis 170 colorektale Tumore 237 Cortex – anteriorer cingulärer 27

Sachregister

– assoziativer 26 – cingulärer 20 – dorsolateraler präfrontaler 27 – frontaler 242 – orbitofrontaler 28 – präfrontaler 27, 35, 298 – prefrontaler 4 – somatosensorischer 14, 17, 20 Corticoliberin 107, 119 Corticosteroide 33 Cortisol 73, 119, 148, 151 Cortisolspiegel 174 Cotinin 276 Crohn’sche Erkrankung 180 Crotonaldehyd 275 CTL 140 Cyclooxygenase 130 Cytochromoxidase p450 274 Darmmotilität 58 Dauer 109 Dauerbelastungen – physische 133 – psychisch-soziale 133 de Morants 307 Degeneration 266 Deletion 179 Demenz 285 dendritische Zellen 165 dentritische Zellen 140 Depressionen 100, 106, 114, 122, 128, 130, 254, 277, 285 depressive Stimmungslage 276 Dermatosen 180 Desensibilisierung 199 – allergenspezifische 194 Desinfektion 165 Desinfektionsmittel 158 Detergentien 167 Diabetes 114, 180, 254, 256, 262, 274, 285 Diagnose 67 Diät 255, 304 Diethylhexylphalat 53 Diketopiperazin 264 Diphtherie 168 Diskriminierung 96 DNA 275 DNA-Addukten 274 DNA-Methylierungsmuster 249 Dopamin 29, 73, 91, 107, 109, 270, 276, 298 Dosissteigerung 276 Drogensucht 174

Dyslipidämie 274 Dystress 109 ehrenamtliche Tätigkeit 102 Eichel – periurethrale 89 Eigenleistung VII, 179 Einsamkeit 105 Einschlafrituale 281 Eisen 233 Ejakulation – weibliche 89 Ekzeme 125 Eltern 97 emotionale Belastung 214 emotionales Gedächtnis 122 endokrine Disruptoren 53 Endorphine 42, 69, 73, 270, 298, 300, 308 Endothelzellen 43, 144, 151 Endotoxine 168 Endphase 107 Energie 307 Energie und Blut 307 Energieaufnahme 264 Energiebedarf 255 Energiedefizit 255 Energiestoffwechsel 250, 284 Energieverbrauchsbilanz 263 Energievorräte 284 Enkephaline 42, 73 Entfremdungsgefühle 127 Entscheidungen 4 Entscheidungsfindung – partizipative 67 Entschlackung 304 Entspannung 133 Entspannungstraining 203 Entspannungsübungen 118 – aktive mentale 66 – passive physische 66 Entzugserscheinungen 276 Entzündungen 17, 144, 146, 153 Entzündungshemmung 199 Entzündungsmediatoren 17 Epicatechin 261 Epithelisierung 154 Erfolgskontrollen 243 Erinnerungsbilder 128 Erinnerungsfragmente 128 Erinnerungsprozess 298 Ernährung 218, 254 Ernährungsgewohnheiten 209

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Sachregister

Erregung – klitorale 89 Erschöpfungsphase 107 Erwartungshaltung VII – positive 297, 300 Erythropoietin 42 Erziehung 272 Es 31 Essbefriedigung 266 Essgenuss 218 Essstörungen 128, 292 Essverhalten 255, 265 ethische Frage 219 ethische Kompetenz 68 ethnische Gruppe 250 Ethoxyradikale 275 Euphorie 73 Eustress 109 evidenzbasierte Medizin VII, 296 Exposition 202 extrazelluläre Matrix 154 Fachkompetenz 68 Fäkalien 165 Farbe 299 Fehlernährung 174, 220, 250 Fehlinvestition 6 Fertigprodukte 265 Feten 266 Fette 221 Fettleibigkeit 265 Fettsucht 50, 209, 220 Fettsucht siehe Adipositas Fettzellen 250 Fetus 250 Fibromyalgie 285 Filaggrin-Gen 199 Filterorgan 22 Fisch 194, 237 Flammschutzmittel 53 Flavonoide 261, 272 Fleisch – rotes 238 Flucht 107, 119 Fluchtreflex 16, 130 Folgeerkrankungen 250 Follikulitis 166 Folsäure 233 Formatio reticularis 25, 59 Fortpflanzung 42 – triebgesteuerte 84 Fototherapie 202 Fremdkörper 158

Fremdsubstanz 138 Freundschaften 103 Frührentner 100 Fühlen 2 Fungizide 53 GABA 29, 270 Gamma-Aminobuttersäure siehe GABA G-CSF 42 Geburtsgewicht 250 Gedächtnis 2, 279 – emotionales 29 – vorbewusstes 3 Gedächtnisinhalte 4, 29 Gedächtnisleistungen 26, 276 Gedächtnislymphozyten 165 Gedächtnisprozesse 271 – deklarative 29 Gedächtnisspeicherung 26 gedankliche Verarbeitung 2 Gefahren 65 Gefahrenpotential 267 Gefahrenreize 119 Gefühlsempfindungen 29 Gefühlsprozesse 26 Gehirn 46 Geistheiler 214 Geiz 105 Gelbfieber 168 Gelenkschmerzen 130 genetische Disposition 178 Genfähre 168 Gensequenz 168 George Soulie 307 Gereiztheit 100 Gerinnungssystem 136, 164 Geschenk 6 Geschlechtsverkehr 84 Geschmackskomponente 264 Geschmacksverstärker 265 Gestagene 46 gesunde Ernährung 221 Gesundheit 98 Gesundheitssystem 297, 300 Gewalt 83 Gewalttätigkeit 95 Gewichtsreduktion 254 Gewürze 267 Gier 264 Gift 256, 310 Gleichgewichtsorgan 14 Gleichgewichtszustand 107 Gliazellen 46

Sachregister

Glücksgefühle 69, 73, 84, 97, 103 Glückshormone 29, 73, 88, 109, 151 Glucocorticoide 15, 202, 279 Glukosestoffwechsel 251 Glukosetoleranz 254 Glutamat 265, 266 Glutenunverträglichkeit 220 Golgi-Sehnenorgane 14 G-Punkt-Amplifikation 89 Gräfenberg (G-) Punkt 89 Granulationsgewebe 154 Granulozyten 136, 138 – basophile 142, 151, 182, 194 – eosinophile 188, 194 – neutrophile 165 Grenzen – individualspezifische 7 Großhirnhemisphäre 23 Großhirnrinde 23 Grundimmunität 142 Grundlage 63 grüner Unverstand 267 Haarbälge 166 Haarzellen 14 Habgier 83 Haftkomplexe 144 Haftkomplexe siehe Tight junctions Hahnemann 308 Händedruck 55, 66 Händewaschen 165 Handlungskontrolle 26 Handlungsplanung 26 Hausstaubmilben 194, 202 Hautpunkte 307 Hefen 265 Heilsversprechung 214 Heilung 302 Helicobacter pylori 209 Heparan-Sulfat-Proteoglykan 183 Hepatitis-B-Virus 169 Herdenschutz 170 Herzarrythmien 272 Herzinfarkt 114, 264 Herzkreislauferkrankungen 256, 261, 272 Herzkreislaufversagen 237 Herzschwäche 285 Hilfe – ärztliche 66 Hintergrundbewusstsein 26 Hippocampus 3, 4, 29, 69, 276 Hirnschäden 166 Histamin 42, 182

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Hoffnung 298 Homeostase 107 Homöopathie 301, 305, 307–308 hormonaktive Stoffe 206 Hormone 206 Hormonsystem 35 Hühnerei 203 Hungersucht 174, 240 Hygiene 165, 209 Hyperlipidämie 285 Hypochondrie 220 Hyponatriämie 144 Hypothalamus 22, 29, 35, 59 Hypothalamus-Hypophysen-Achse 214 Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde 107 Hypoxien 144 Ich 21, 31 IgE 142, 183, 190 IGEL 304 IgE-Rezeptoren 194 Ignoranz 205 IL-4 190 Immunabwehr 73 – angeborene 136, 165, 190 – erworbene 139, 142, 165, 190 Immunisierung 142 Immunkomplexe 140 Immunkomplexerkrankung 178 Immunmediatoren 144 Immunogene 136, 142 immunologische Synapse 140 Immunreaktion 143 – Typ I 143 – Typ II 143 – Typ III 143 – Typ IV 143 – Typ V 143 Immunstimulierung 151 Immunsuppression 170, 199, 206, 213 immunsuppressive Viren 209 immunsuppressive Wirkung 130 Immunsystem 136, 144, 148, 164, 214 Immunüberwachung 204 Impfkalender 170 Impfkommission 168 Impfstoffe 143, 148, 168 Impfungen 168 Impotenz 114 individuelle Gesundheitsleistung siehe IGEL Industrieländer 299 Infektionen 146, 158, 267

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Sachregister

Infektionserkrankungen 114, 148 – sexuell übertragbare 166 Infektionserreger 165, 168 Infektionsneigung 50 inflammatorisches syndromautoimmunes Syndrom 173 Insektengift 194 Insektizide – polychlorierte 53 Inselrinde 20 Insuffizienzfrakturen 292 Intelligenz – kognitive 70 Interferon-γ 42 Intergenerationspotential 98, 106 Interleukine 42 Intimadicke – arterielle 272 Irisdiagnostik 306 Isotyp 140 Isotyp-Switch 194 Jod 233 Juckreiz 199, 203 Jugendliche 275 Kaffee 256 Kakao 261 Kanzerogen 274 kardiovaskuläre Erkrankungen 285 β-Karotin 239 Karzinogene 206, 277–278 Katalase 274 kategorischer Imperativ 84 Kationenkanäle 16 kationische Peptide 188 Katzen 166 Kaugummikauen 119 Kinder 94, 97, 264, 275 Kinderlähmung 168 Kininsystem 136, 164 Kleinkinder 224 klinische Anwendung 295 klinischer Beweis 301 Knochenmineralisation 292 Kochsalz 264, 266 Koffein 256 kognitive Funktionen 26 kognitive Verhaltensänderung 119, 164, 179, 214, 267, 284 kognitive Verhaltenstherapie 119, 125, 129, 132, 203, 240, 255, 267, 276, 284 Komorbiditäten 114, 122, 128, 256

Komplement 140 Komplementsystem 136, 164 komplexe dissoziative Identitätsstörung 127 komplexe posttraumatische Belastungsstörung 127 Kondition 284 Konditionierung 73, 298–299 Kondome 166 Konsens 8 Konsensustheorie 7 Konstitution 284 konsumorientierte Gesellschaft 104 Konzentrationsfähigkeit 305 Kopfschmerzen 307 koronare Herzerkrankung 285 Körpergewicht 245, 254 körperliche Aktivität 133, 254 körperliche Bewegung 50, 65, 276, 284 körperliches Gleichgewicht 114 Körpertemperatur 42 Kosmetika 194 Krankheitsbilder 144 Krankheitsgefühl – subjektives 297 Krankheitssymptome 299 Krebserkrankungen 237 Kreuzreaktion 178 Kreuzschmerzen 133 – unspezifische 133 Kritikkompetenz 303 kritische Bewertung 7 Krustentiere 194 Kuhmilch 203 kulturelle Prägung 218 Kunstprodukte 238 Kurpfuscherei 1 Lactoseunverträglichkeit 220 Lähmungszustände 271 Laientherapeuten 301 Langlebigkeit 97 Langzeitgedächtnis 2 Langzeitpotentiale 3 LDL-Lipoprotein 254 Lebenserwartung 46, 100, 114, 125, 238, 272, 278 Lebensmittelunverträglichkeit 220 Lebensmittelzusatzstoffe 194 Lebensqualität 297 Lebenstil 50, 67 Lebenszeitverlust 278 Leber 274 Leidensdruck 298 Leinsamen 267 Leistung 98

Sachregister

Leistungsbereitschaft 97 Leistungsdruck 292 Leitlinien 8, 302 Lendenwirbelsäulenschmerzen 307 Leptin-Gen 249 Lernen 299 Lernfähigkeit 271, 303 Lernprozess 4, 17, 69, 298 Leukämie 238 Libido 45 Liebesakt 151 Liebesbeziehung 83 limbisches System 22, 23, 28, 35, 69, 214 Lockstoffe 54 Lungenerkrankungen 237, 285 Lustgier 83 lymphatische Organe 142 Lymphom 238 Lymphozyten – autoreaktive 179 – B-Gedächtnis- 142 – T-Gedächtnis- 142 – T-Helfer- 165 Machtgier 83 Maculadegeneration 277 Magen-Bypass 256 Makronährstoffe 221, 263 Makrophagen 136, 138, 151 Mammakarzinom 150, 213 Management 151 Mandelkern siehe Amygdala Mandelkernschleife 29 Mandeln 224 Mangeldiät 234 Mangelernährung 220, 232, 250, 304 Männer 100 Marburger Erklärung 309 Marktbeeinflussung 297 Masern 168 Masernimpfung 170 Maßhaltenkönnen 219 Mastzellen 136, 138, 142, 151, 182, 194, 308 MBP 183 mechanische Reizung 308 Mechanorezeptoren 14 – ganglionäre 9 Meditation 118 meditative Übungen 284 medizinische Fachgesellschaften 8 Melanocortin 159 Meningitis 168 Menopause 50

menschliche Beziehungen 70 menschliches Bewusstsein 20 Menstruationszyklus 55 MEOS 274 Meridiane 307 mesolimbisches System 29 Metaanalyse IX, 296 metabolisches Syndrom 174, 262, 285 Methanol 264 3-Methylacrolein 275 Methylxanthine 261 MHC-I 139 MHC-II 139 Migräne 265, 307 mikrobielle Fehlbesiedlungen 250 Mikroorganismen 94 Milchsäurebakterien 234 Mind-Body-Medicine 61 Minimalbelastung 284 Missbildungen 232 Missbrauch 69, 125 Misstrauen 114 Mitochondrien 274 Mittelhirn 25 Modulatoren 55 Möglichkeiten 65, 118 Monogamie 90 – serielle 90 – soziale 84 moralische Überlegenheit 7 Mortalitätsrate 98 Mortalitätsrisiko 254, 272 motorisches System 23 Moxibustion 307 Müdigkeit 297 multimodale Kombination 133 Multiple Sklerose 179, 285 Mumps 168 Mundschutz 165 Muskelschwund 46 Muskelspindel 14 Muskelzellen 277 Muskulatur 270 Müßiggang 101 Mutation 206 Mutter-Kind-Beziehung 55 Muttermilch 170, 221 Mutterpilz 267 Mycotoxine 261 Nachhaltigkeit 69 Nächstenliebe 84 Nackenschmerzen 307

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Sachregister

Nährstoffmangel 255 Nahrungsaufnahme 250 Nahrungsmittelallergie 199 Nahrungsmittelergänzungen 221, 232, 267, 304 Narbenbildung 139, 154 Narbengewebe 153 natürliche Killerzellen 136, 138, 165 Nebenwirkungen 295, 304 negative Erwartungshaltung 297 Nervenendigungen – marklose 9 Nervenschaden 285 Nervensystem 144 – enterales, intramurales 58 – parasympathisches 58 – sympathisches 58 Nervenzellen 73 Nervenzellfunktionen 270 Nervus vagus 89 Neugeborene 250 Neugedächtnis 2 Neurodermitis 199 Neuroexitotoxizität 266 Neurohypophyse 35 neurologische Erkrankungen 285 Neuromediatoren 144, 190, 279 neuromodulatorisches System 29 neuronale Plastizität 3 Neurone 266 Neuropeptid Y 42 Neuropeptide 190 Neuroplastizität 285 Neurotensin 42 Neurotransmitter 29, 42 Neurotrophin-Neuropeptid-Achse 214 Neutralisation 206 NGF 17, 285 Niere 264 Nikotin 276, 278 Nikotinabhängigkeit 279 Nitrosamine 278 Nitroverbindungen 278 NO 239, 272 Noceboeffekt VII, 299 Noradrenalin 29, 119, 148, 264 Nozizeptoren 16 Nucleus reticularis 25 Oberflächenschmerz 16 Oestrogen 207 Oestrogene 46 Oestrogen-Synthese 292 ökonomische Strukturen 104

Oligomenorrhoe 292 Omnivor 219 operativer Eingriff 213 Options 65 orale Kontrazeptiva 233 Orexin 42 Organbeschwerden 122 Organerkrankungen 114, 122 Organozinnverbindungen 53 Organversagen 243 Orgasmus 89 Osmolarität 42, 144 Osteoarthritis 285, 307 Osteoporosis 46, 285 Osterluzeisamen 267 Ovulation 58 Oxidoreduktasen 275 Oxytocin 29, 69, 73, 107 Paarungsmöglichkeiten 90 Packungsbeilage 299 paleolithische Diät 239 PAMPs 136–137, 154, 164 Pankreas 274 Pankreaskarzinom 237 Papez-Kreis 29 Paracelsus 256 parakrin 19 Parkinson 285, 297 Partnerbindung 90 Partnerliebe 84 partnerschaftliche Probleme 95 pathogene molekulare Strukturmuster siehe PAMPs Patientenkontakt 66 Patientenrekrutierung 295 pattern recognition receptor siehe PRR Penis-Erektion 89 periphere arterielle Verschlusserkrankungen 285 periphere Deletion 205 periphere Toleranz 205 Persönlichkeit 298 Persönlichkeitsstörungen 122 Pflanzenschutzmittel 53 Phagozytose 138, 139, 154 Pharmaindustrie 297 Phenole 278 Phenylalanin 263 Pheromone 54, 66 physikochemische Schädigung 178 Physiotherapie 304 physische Belastbarkeit 284 Phyto-Oestrogene 54, 267 Phytotherapie 304

Sachregister

Pilzsporen 194 Placebo 295, 309 Placeboeffekt VII, 297–298 Plasmazellen 140 Pocken 168 Poliomyelitis 169 Pollen 194 polyamore Beziehungen 90 polycystisches ovariales Syndrom 285 Polyphenole 261, 272 polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe 278 positive Eigenschaften 5 positive Erwartungshaltung 298 posttraumatische Belastungsstörungen 122, 125, 130 Postzulassungsstudien 296 Potenzierung 309 Prägung 28, 35, 63, 122, 142, 243 – frühkindliche 33 – jugendliche 33 – vorgeburtliche 32 proallergische Bedingungen 190 proallergische Faktoren – exogene 194 Problemanalyse 118 Procyanide 261 Progesteron 46, 207 proinflammatorische Wirkstoffe 138 Prolaktin 73, 89, 107, 109 Proliferation 153 Promiskuität 166 promiskuitives Verhalten 90 propriozeptives System 14 Prostatakarzinom 150, 213 Proteolyse 206 PRR 136, 139, 164 Pseudoallergien 151, 183 Psoriasis 180 psychiatrische Erkrankungen 285 psychische Behandlung 123 psychische Prozesse 21 Psychoanalyse 32 psychodynamische Psychotherapie 125 psychologische Studien VIII psychomotorische Störungen 95 Psychosen 122 Psychostimulans 73, 276 psychotherapeutische Betreuung 67 Psychotherapie 66, 131, 213 Pubertät 28, 35 Purkinjesche Zellen 46

Quacksalberei 1 Qualitätsrichtlinien 295 Quecksilber 310 Randomisierung 295 Rauschzustände 271 reaktive Stickstoffmolekülere 275 Rechtfertigung 4 Reflex – neurogener 17 – nociceptiver 16 Refraktärzeit 89 Regelkreise VII Regenerationsphase 158 Reichtum 104 Reinkarnationstherapie 306 Renin-Angiotensin-System 264 Rentner 98 Reproduzierbarkeit VIII Rezeptoren 54 rheumatische Erkrankungen 125 rheumatoide Arthritis 180, 285 Rhinokonjunktivitis 199 Riechschleimhaut 54 Risikofaktoren 133, 179 Rituale 219 RNA-Expressionen 249 Rote Bete 239 Röteln 168 Rückenschmerzen 285 Ruhe 164 Ruheforderung 130 Ruheschmerzen 284 Ruhigstellung 130 salutogene Ressourcen 118 Salze 232, 264 Sättigung 242, 245 Sättigungssignale 219 Sauerstoff 284 Säugling 170, 221 Säuglingsanfangsnahrung 224 SCF 42 Schaltkreise 28 Scheidung 90, 95 Scheinbehandlung 297 Scheinpräparat siehe Placebo Schilddrüse 107 Schilddrüsenüberfunktion 114 Schimmelpilztoxine 209 Schizophrenie 285 Schlafbedarf 281 Schlafförderung 281

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Sachregister

Schlafhygiene 281 Schlaflosigkeit 279, 281, 297 Schlafmittel 283 Schlafphase 279 Schlafstörungen 100, 114, 281 Schlaganfall 114, 131, 264, 272, 285 Schleimhautgeschwüre 114 Schmerzbahn 16 Schmerzbewältigung 42 Schmerzempfindungen 25, 83 Schmerzen 16, 284, 305 – akute 130 – beißende 16 – chronische 130, 307 – dumpfe 16 – funktionelle 130 – neuropathische 130 – nozizeptive 130 Schmerzkontrolle 284 Schmerzleiden 300 Schmerzmittel 130, 284 Schmerzrezeptoren 16 Schmerztherapie 133 Schmerzwahrnehmung 18 Schnelligkeit 109 Schokolade 261, 262 Schorf 154 Schulmedizin 214 Schulterschmerzen 307 Schuppenflechte siehe Psoriasis Schutzimpfung 209 Schutzmaßnahmen 165 Schutzreaktionen 119 Schutzschicht 166 Schwächen 63 Schwangere 224, 250, 275 Schwangerschaft 46, 91, 254 Schweiß 55, 166, 264 Seife 167 Selbstachtung 65, 70 Selbstannahme 65 Selbstbeherrschung 264 Selbstbewusstsein 70, 203 Selbstergründung 102, 105–106, 114, 123, 284 Selbstfürsorge VII, 65, 165 Selbstheilungskräfte VII, 15, 65, 129, 299, 304 Selbstkontrolle 255, 305 Selbstregulationsfähigkeit 219 Selbsttäuschung 69 Selbsttötung 100, 106, 128, 243 Selbsttötungsabsichten 122 Selbstverletzungen 128 Selbstwertgefühl 70

Selen 239 Sepsis 165 Septumschleife 29 Serotonin 29, 69, 73, 89, 107, 109, 265, 276, 298 Sesamsamen 267 Sexualfunktionen 29, 83, 292 sexuell übertragbare Erkrankung 91 sexuelle Erregbarkeit 56 sexuelle Potenz 50 sexuelle Stimulation 50 Sicherheitsgefühle 104 Signalgeber 55 Sinnesorgane 297 Sinneswahrnehmungen 14, 20 Soja 224 Sojabohnen 267 Sojasoße 265 somatische Erkrankungen 100, 106 somatomotorisches System 14, 25 Sonnenschutz 53 soziale Aversion 106 soziale Bindungen 103 soziales Verhalten 103 Sozialverhalten 55 Speicherung 3 Spenden 105 Sperma 249 Spermaejakulation 89 Spinalnerven 308 Spontanfrakturen 292 Spontanremissionen 119 Sport 276 sportliches Ausdauertraining 125 Sprachschwäche 281 Spülungen 158 Spulwurm 166 Spurenelemente 221, 232 Spurenmineralien 234 Standardtherapie 295 Stärken 63, 102 Sterberisiko 95, 237 Sterilität 114 StIKo siehe Impfkommission Stillende 275 Stimmungsmache 170 Stimulation 98, 106 Stoffwechsel 42 Stoffwechselerkrankungen 285 Störungen – neurogene 158 Strenghts 65 Stress 100, 158, 203, 285, 292, 305 Stressbedingungen 151

Sachregister

Stressbelastungen 83, 148, 167, 174, 267, 279 Stressbrüche 292 Stresserkrankungen 119 Stressfaktoren 107 Stresshormone 69, 105, 148 Stressoren 107 Stressreaktion 107 Stressreize 148 Stresstoleranz 114 Striatum 242 subjektive Empfindung 114 Sucht 263, 276 Suchterkrankungen 122 Suchtverhalten 128 Süßstoffe 263 SWOT 65 sympathisches Nervensystem-Nebennierenmark 107 Synapsen 2, 285 synaptische Plastizität 2 systemisches Immunreaktionssyndrom siehe Sepsis Tabak 50 Tabakrauchen 274, 276 Tachycardien 256 Tachykinine 42 Tastsinn 9 Täuschung 69, 297 TCM 307 TCR 139 Tee 256 Teilen 105 Temperaturwahrnehmung 19 Testosteron 277 Testosteronspiegel 56, 91 TH0 140 TH1 140 TH17 140 TH2 140 Thalamus 14, 16, 20, 22–23, 243 Thalamuskerne 23, 25 – spezifische 23 – unspezifische 25 T-Helfer-Lymphozyten 190, 194 Theobromin 261 Theophyllin 261 therapeutische Allianz 68 Therapieerfolg 67 Thermorezeptoren 19 Thermotherapie 118 Threats 65 Thrombose 50

Thrombozyten 136, 138, 154 tibetanische Mönche 61 Tiefenschmerz 16 Tiefensensibilität 14 tierisches Paarungsverhalten 84 Tight junctions 43 T-Lymphozyten 139 – Helfer- siehe TH1 – regulatorische 165, 179, 190, 194 – zytotoxische 165 – zytotoxische siehe CTL TNFα 42 Toleranz 109 Tollkirsche 310 Tollwut 168 Tonisierungs- und Sedierungspunkte 307 Toxin 168 Toxizität 283 Toxocara siehe Spulwurm Toxoplasma 166 Tractus spinothalamicus 16 traditionelle chinesische Medizin siehe TCM traditionelle Medizin 304 Tränen 58 Traumaerfahrungen 125 Traumafolgestörungen 125 Traumagedächtnis 128 Traumata 125 Trennungserlebnisse 95 Triglyceride 254, 272 Tumorerkrankungen 150, 256, 277, 285, 304 tumorerregende Bakterien 209 Tumorpromoter 278 Tumorregression 213 Tumorrisiko 274, 278 Tumorschmerzen 130 Tumorviren 209 Tumorwachstum 251, 304 Tunnelblick 296 Überernährung 209 Überforderung 97, 128 Übergewicht 174 Über-Ich 31 Überlastung 118 Überredungskunst 298 Überzeugung 4, 304 Überzeugungskraft 298 Überzeugungstäter 310 Umami-Rezeptoren 265 Unbewusste 31, 35 Unfruchtbarkeit 292 unheilbare Krankheit 304

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Sachregister

Unterbewusstsein – dynamisches 32 – kreatives 32 – nicht-verdrängtes 32 Urtinktur 310 UV-Bestrahlung 159, 209 UV-Expositionen 174 Vasopressin 264 Veganer 220, 224 Vegetarier 220, 224 vegetative Funktionen 29 vegetatives Nervensystem 35, 214 vegetativ-hormonelle Veränderungen 114 ventrale Schleife 29 Verarbeitungsprozess 4 Verblindung 295 Verbrennungen 174 Verdauung 58, 83 Vereinsamung 106 Vergesslichkeit 3, 114 Vergiftungen 310 Vergleichsprüfung 302 Verhalten 46, 305 Verhaltensänderung 106, 129 – kognitive 65, 67, 194 Verhaltensauffälligkeiten 240 Verhaltensgedächtnis 2 Verhaltensstörungen 203 Verhaltenstherapie 214 – kognitive 66, 67 Verhaltensweisen 55 Vermeidungshaltung 67 Versagensängste 292 Verstand – kritischer 65 Vertrauen 5, 104, 298, 304 – eigenschaftsbasiertes 5 – identifikationsbasiertes 6, 67 – situationsbasiertes 5 Vertrauensbereitschaft 66 vertrauensbildende Maßnahmen 6 Vertrauensgeber 5, 298 Vertrauensnehmer 5 Vertrauensverhältnis 6 Verwirrung 114 Verzweifelung 304 Viszeralschmerz 16 Vitamin B12 233 Vitamin B12-Mangel 234 Vitamin B9 siehe Folsäure Vitamin D 234 Vitamin K 234

Vitamine 221, 232, 239 Vitaminmangel 234 vomeronasales Organ 54 Vomeronasal-Type 1 Rezeptor-Gene 54 Vorbewusste 31 Vorleistung 5 Vorschussleistungen 6 Vorurteile 114 Vorwissen 2 Wachheit 29 Wachstumsfaktoren 139 – neurotrophe 285 Wahrheit 7 Wahrheitsfindung 7 Wahrheitsvermutung 4 Wahrnehmung 2, 21 – haptische 9 – somatosensorische 9 – taktile 9 Wahrscheinlichkeitsvermutung 4 Wartelistenkontrolle 308 Waschen 166 Wasser 165 Wasserintoxikation 144 Weaknesses 65 Weichmacher 53 Weltanschauung 220 Wertschätzung 65 Widerstandskraft 168 Widerstandsphase 107 Wiederholungen 299 Wille 297 Willensanstrengungen 35 Willenskraft 264 Wirksamkeit 295 Wirksamkeitnachweis 302 Wissen 303 – explizites 4 – implizites 4 – stilles 4 wissenschaftliche Erkenntnis 296, 302 wissenschaftliche Grundlagen 302 wissenschaftliche Kritik 8 wissenschaftliche Schulung 296 Wissensgedächtnis 2 Wohlbefinden 94, 104 Wollen 2 Wundgebiet 154 Wundheilung 83, 148, 153, 158 Wundnaht 158 Wundschorf 158 Wundstarrkrampf 168

Sachregister

Yoga 118 Zeitsinn – aktiver 15 – passiv 15 zelluläre Entzündung 188 Zellwände 274 zentrale Toleranz 205 zentrales Nervensystem siehe ZNS ZNS 145 ZNS-Funktionen 256

Zoeliakie 180 Zucker 221, 263 Zwangsstörungen 122 Zweifel 302 zystische Fibrose 285 Zytokine 145, 165, 168, 279 Zytokinsturm 165 Zytolyse 140 zytolytischer Komplex 140 zytotoxische Wirkstoffe 139 Zytotoxizität 154

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Über den Autor

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Über den Autor

Hans-Harald Sedlacek Jahrgang 1943, Studium der Veterinärmedizin, 1968 Promotion in der Endokrinpharmakologie, (Universität Gießen), 1989 Habilitation an der Medizinischen Fakultät, Universität Marburg (Fachgebiet Tumorbiologie); dort seit 1995 außerplanmäßiger Professor. Seit 1969 leitende Tätigkeiten in der Arzneimittel-Forschung verschiedener Pharmafirmen (Schering AG, Behringwerke AG, Hoechst Marion Roussel/Aventis); von 2000 bis 2005 wissenschaftlicher Geschäftsführer bei vier Wagniskapitalfirmen. Seit 2005 Beratertätigkeit in der Arzneimittelforschung. Seine Tätigkeiten umfassen besonders die Gebiete der Wirkstofffindung im Bereich der Immunmodulation und Arznei-Therapie von Tumorerkrankungen, des Weiteren das Forschungsmanagement und sind dokumentiert durch zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, durch eine Vielzahl von Patenten und durch den Innovationspreis der Deutschen Wirtschaft (1999, Hoechst Marion Roussel), verliehen für die maßgebliche Beteiligung an der Idee, zelluläre Tyrosinphosphokinasen als Zielstrukturen für die Suche nach neuen tumorzellspezifischen Krebstherapeutika zu verwenden und für die hierdurch ermöglichte Auffindung des Tumorwirkstoffes Flavopiridol (Alvocidib).